Mit Kennzahlen effizient steuern: Controlling in Zeiten von Pflege 4.0 9783748604136

Behalten Sie mit Kennzahlen die Wirtschaftlichkeit und Pflegequalität Ihrer Einrichtung im Blick! Das Autorenteam stellt

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German Pages 136 [137] Year 2021

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Mit Kennzahlen effizient steuern: Controlling in Zeiten von Pflege 4.0
 9783748604136

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David Thiele, Siegfried Loewenguth

Mit Kennzahlen effizient steuern Controlling in Zeiten von Pflege 4.0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet. Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2020 Besuchen Sie uns im Internet: www.altenheim.net Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Druck: SDK Systemdruck Köln Foto Titelseite: freshidea – adobestock.com

David Thiele, Siegfried Loewenguth

Mit Kennzahlen effizient steuern Controlling in Zeiten von Pflege 4.0

Inhalt Vorwort

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Zum Aufbau dieses Buches

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1 Einleitung und Begriffsdefinitionen 11 2 Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“ 2.1 Annäherung an einen Begriff

17

2.2 Organisation und Pflege 4.0 – Auflösung eines Spannungsfeldes

4

17

18

2.3 Das Kanomodell 2.3.1 Beschreibung des Kanomodells 19 2.3.2 Das Modell als Grafik 2.3.3 Übertragung des Kanomodells 2.3.4 Pflegeeinrichtungen in der digitalen Welt

19 20 22 27

2.4 Folgen für ein modernes Management

28

3 Ziele und ihre Definition

33

3.1 Was ist ein Ziel?

33

3.2 Wie werden Ziele definiert?

35

4 Qualität in der stationären Pflege

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5 Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

43

5.1 Motivation für den Einsatz von Kennzahlen

43

5.2 Voraussetzungen für die Einrichtung von Kennzahlensystemen

45

5.3 Prozessorientierung in modernen Unternehmen

46

5.4 Die Steuerung von Prozessen

52

5.5 Eine Kennzahl allein garantiert noch keinen Erfolg

54

5.6 Arten von Kennzahlen

55

5.7 Anforderungen an Kennzahlen

58

5.8 Die Definition von Kennzahlen

61

5.9 Für wen sind Kennzahlen gedacht?

63 Inhaltsverzeichnis

5.10 Die Aufbereitung von Kennzahlen – das Reporting

66

5.11 Kennzahlen in mehreren Dimensionen

77

6 Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

81

6.1 Einführung

81

6.2 Typische Kennzahlen für vollstationäre Pflegeeinrichtungen 6.2.1 Übersicht 6.2.2 Kostendeckung / Kostendeckungsgrad 83 6.2.3 Umsatzrendite 6.2.4 Debitorenlaufzeit (Liquidität / Cash-Flow) 6.2.5 Auslastung der Einrichtung 6.2.6 Break-Even-Point 6.2.7 Pflegegradmix 6.2.8 Belegungsmanagement (Exkurs) 6.2.9 Erlös-Anteile wichtiger Leistungsarten im Bereich Pflege gemessen an den gesamten Erlösen als Indikatoren(Grundformel) 6.2.10 Sachkostenanteile wichtiger Sachkosten an den Gesamtkosten oder den gesamten Sachkosten

83 83 85 86 87 91 92 93

94 96

 Literaturverzeichnis

133

 Autoren

135

Mit Kennzahlen effizient steuern

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VORWORT

Vorwort Von Marina Stelter Geschäftsführerin von ViVa Pflege GmbH Sind Sie ein Zauberer? Ja, ich zaubere den Leuten ein Lächeln ins Gesicht… Das Leben ist wie ein kreativer Raum. Es gibt unterschiedliche Themen, Rollen und Akteure. Dieser Raum kann aber nur dann gut funktionieren, wenn es ein bestmögliches Programm hat und die Rollen richtig verteilt sind. Als junges Mädchen habe ich im Theater gespielt. Es hat mir sehr viel Freude bereitet, interessante Rollen an verschiedenen Orten zu spielen. Die Mitwirkenden lachend, weinend, neugierig zu sehen. Und das Schönste war der Applaus der Dankbarkeit und Emotionen, die man mit Worten nicht wiedergeben kann. Diese Erfahrung begleitet mich das ganze Leben. Theater bedeutet für mich Freiheit, aber auch sichtbarer Erfolg. Die kreative Bühne Arbeit unterscheidet sich nur thematisch. Die Themen entwickeln sich als Ergebnis der gestellten Aufgaben. „Bretter, die die Welt bedeuten. `` Friedrich Schiller Die Rollen werden den Akteuren (Mitarbeiter) nach deren Vorstellungen mutig angeboten. Dabei ist der Umgangston untereinander entscheidend. Wenn die Rollen richtig verteilt sind und die persönlichen Möglichkeiten genutzt werden, dann fühlen sich die Akteure wohl und haben die Freude sich zu entwickeln und entfalten. So kann sich, wie in der Familie, Vertrauen, Geborgenheit, Zutrauen und aktives Handeln immer weiterentwickeln. Unsere Kreative Bühne „Pflege“ lebt zudem mit weiteren Mitwirkenden (Patienten), mit einzigartigen Charakteren, vielfältigen Ansichten und spannenden Lebensgeschichten, die besonders an familiärer Atmosphäre interessiert sind. Und die das Gefühl haben, es wird um sie gekümmert. Aber: jede Bühne muss sich auch den Realitäten des Alltags stellen und sich mit den Fakten ohne Maske zu befassen. Hierbei können Kennzahlen einen wertvollen Beitrag leisten. Lange Zeit waren Kennzahlen eine unerreichbare Zahlenansammlung, die mir nicht viel gesagt hat.

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Im Gegenteil, sie sind eher abstoßend in ihrer Wirkung nicht nur für mich, sondern auch für die Patienten. Was ist Digitalisierung? Ein Knopfdruck und fertig? Bin ich nur eine Nummer? Erst mit der Gründung eines eigenen ambulanten Pflegedienstes hat sich diese Haltung verändert. Akzeptanz statt Angst, Mut zur Anwendung und vor allem Verständnis. Dieses Verständnis rührt aus der Erkenntnis, dass vor allem der Wunsch nach bestmöglicher Versorgung der mir anvertrauten Klienten die Notwendigkeit entsteht, sich mit Zahlen, Daten und Fakten zu beschäftigen. Die entstehenden Zahlen müssen beherrscht und verstanden werden. Damit ich ein Lächeln ins Gesicht zaubere… Deswegen schätze ich die Hilfsmittel sehr, die mich weiterbringen. Dieses Buch ist eines davon! Es schafft Verständnis, Freiheit und Ressourcen für das eigentliche Kerngeschäft. Das eigentliche Kerngeschäft besteht aus der Pflege, Betreuung und Beratung von Angehörigen und pflegebedürftigen Menschen und der Führung und Anleitung der Mitarbeiter. Meine Sichtweise ist die, dass für eben diese Menschen der größte Teil des Tages zur Verfügung stehen sollte. Da bleibt nicht viel Zeit für Software, Zahlen, Daten und Fakten. Es muss einfach funktionieren! Damit das eigentliche Ziel und der Sinn unserer Arbeit nicht verloren geht. Den Führungskräften empfehle ich dieses Buch zu lesen.

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Zum Aufbau dieses Buches ZUM AUFBAU DES BUCHES

Bevor es um konkrete Kennzahlen geht, muss deutlich werden, auf welcher Basis hier angesetzt worden ist: – Welche Anforderungen an zeitgemäßes und effektives Management bestehen aktuell? – Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung und was bedeutet in diesem Zusammenhang das Schlagwort „Organisation und Pflege 4.0“? – Welche besonderen Ziele gibt es im Management und wie ist die Verbindung zur Qualitätssicherung? Auf Basis der Antworten zu diesen Fragen werden dann Grundlagen und Anwendungsmuster zu Kennzahlen beschrieben. Der folgende Text stellt dann die „klassischen“ aber auch spezielle Kennzahlen vor. Jede Kennzahl wird mit Hilfe der Gliederungspunkte „Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl“, „Bedeutung und Nutzung“ vorgestellt und so für die Anwendung nachvollziehbar vermittelt.

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Kapitel 1 // Einleitung und Begriffsdefinitionen

KAPITEL 1

In diesem Buch wenden wir uns an alle Menschen, die mittelbar und unmittelbar mit der Organisation einer Einrichtung der vollstationären Altenpflege befasst sind. Es sollen Führungskräfte, als auch interessierte Mitarbeiter im Bereich der Administration und Pflege in erster Linie angesprochen werden. Auch wenn in diesem Buch generalisierend von Mitarbeitern gesprochen wird, ist den Autoren bewusst, dass Mitarbeiter, gleich welcher Ebene, immer auch Betroffene und Beteiligte der täglichen Prozesse von vollstationären Pflegeeinrichtungen sind. Durch ihre Tätigkeit werden Prozesse gut oder schlecht gestaltet bzw. ausgeführt. Sie verantworten auf vielfältige Art und Weise nicht zuletzt auch den wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens. Ungeachtet und in vollem Bewusstsein dieses Sachverhaltes bleiben wir in diesem Buch zum besseren Verständnis bei dem Begriff „Mitarbeiter“. Dabei verwenden wir die männliche Form – ­­ der Einfachheit halber. Wir wenden uns jedoch gleichberechtigt an jedes Geschlecht! Ambulante Pflegedienste und Einrichtungen der stationären Altenpflege sind Teil des „Gesundheitswesens“ bzw. „Gesundheitssystems“ in Deutschland1. Alle diese Einrichtungen sind gleichzeitig Bestandteil des deutschen Wirtschaftssystems, das aus Einrichtungen und Personen besteht, die unter Einsatz von Maschinen, weiterer Produktionsmittel oder auch durch von Menschen erbrachte Dienstleistungen Angebot und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen generieren und regulieren. Alle Einrichtungen des Gesundheitswesens sind ihrem Wesen nach Unternehmen, die als einzelner Betrieb oder als Träger mehrerer Betriebe auf einem klar definierten Markt erwerbswirtschaftlich agieren.

1 U  nter dem Begriff Gesundheitssystem verstehen die Autoren alle Personen, Organisationen und Einrichtungen, die durch Prävention, Behandlung und Betreuung die Gesundheit von Menschen fördern und erhalten und Krankheiten bekämpfen. Vollstationäre Pflegeeinrichtungen nehmen hierbei eine spezialisierte Aufgabe wahr, ambulante Einrichtungen der Altenpflege wiederum ebenso spezialisierte Aufgaben in anderen Bereichen des Systems.

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Definition: Die Wirtschaft, auch Ökonomie genannt, besteht aus Einrichtungen, Maschinen und Personen, die Angebot und Nachfrage generieren und regulieren. Einrichtungen sind Unternehmen bzw. Betriebe und Haushalte. Maschinen unterstützen und ersetzen Produktion, Transformation, Konsumation und Distribution von Gütern zielende Aktivitäten von Arbeitskräften, Mittelsmännern und Endkunden. Diese erhalten oder entrichten Geld für Erstellung, Vermittlung und Anforderung respektive Erwerb oder tauschen ihre Eigentümer und Leistungen aus.2 Diese sehr nüchterne und technokratische Definition des Begriffes Wirtschaft wird immer noch, insbesondere in Einrichtungen des Gesundheitswesens, also auch der Altenhilfe, mit dem für Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Güterproduktion dominierenden Ziel der Gewinnmaximierung verbunden. Unvoreingenommen werden mit der Definition jedoch lediglich wertfreie Argumente geliefert, wo, unter welchen Umständen und für wen Güter hergestellt, verändert, verteilt, und verbraucht werden. Ersetzt man den Begriff „Güter“ durch den Begriff „Dienstleistung“, gilt die Definition uneingeProzessentwicklung schränkt auch für Einrichtungen des Gesundheitswesens. Pflegedienste und -einrichtungen „produzieren“ mit ihren Tätigkeiten eine Dienstleistung für Menschen mit ProzessSchwerpunkt Pflege und Betreuung. steuerung Hierzu setzen sie Menschen und Sachmittel ein. Die Zielsetzung ist vielleicht nicht die Gewinnmaximierung, sicher aber eine Kostendeckung der EinrichProduktivitäts tungen. Und sicher kann man die Er-steuerung stellung einer Dienstleistung im Bereich der Betreuung und Pflege auch nicht mit einer Güterproduktion, z. B. Prozessverlauf

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2

CITATION Pro20 \l 1031 (Bendel, 2020)

Einleitungund Begriffsdefinitionen

KAPITEL 1

einem Stuhl, einem Fernsehgerät oder einer Vase, vergleichen. Hier können konkrete Vorgaben, z. B. Maße, Farben oder technische Ausstattung, definiert und beliebig oft reproduziert werden. Aufgrund dieser konkreten Vorgaben kann auch das Ergebnis konkret überprüft und damit ein Standard bzw. eine Produktqualität definiert werden. Der Umgang mit Menschen und in einem von Menschen geprägten Umfeld ist dagegen weitaus komplexer und weniger flexibel. Das aber bedeutet nicht, dass der Prozess der Produktion in der Pflege und Betreuung, also die einzelnen Handlungen, nicht in klar definierter, stets gleichbleibender Abfolge, vollständig und unter Beachtung besonderer gesetzlicher Auflagen an Personal und Infrastruktur, neuerdings durch klare gesetzliche Regelungen im Bereich der Qualitätssicherung ergänzt, bzw. erfüllt werden müssten. Unterstellt man, trotz der Komplexität von Pflegeeinrichtungen, dass Industrie und Pflege jeweils ein ganz bestimmtes Ergebnis anstreben, hier eine qualitativ gute Pflege, dort eine qualitativ gute Ware, bleibt als zentrale Aufgabenstellung, – wie, – in welchem Umfang und – in welcher Qualität die vorhandenen Mittel, seien es Menschen oder Maschinen bzw. Hilfsmittel, so eingesetzt werden können, dass das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Und nur wenn beide Aspekte betrachtet werden, das Ergebnis der Aktivitäten und der Einsatz von Ressourcen, wird ein Unternehmen erfolgreich sein können. Mit dem hiermit vorgelegten Buch wollen die Autoren näher auf den Aspekt der Dienstleistungserstellung, also den Weg zu einer optimalen Dienstleistung (Prozessdefinition und -entwicklung), eingehen. Den Akteuren soll darüber hinaus zumindest ein Mittel an die Hand gegeben werden, diese Prozesse effektiv zu steuern (Prozesssteuerung). Die Interaktion beider Elemente im Rahmen eines effizienten Prozessmanagements und – ganz wesentlich - in Verbindung mit eindeutig definierten Zielen, bildet die Grundlage für einen sinnvollen, ausreichenden und steuerbaren Einsatz vorhandener Ressourcen. Optimiertes Prozessmanagement führt auf diese Weise zu einer effizienten Steuerung der Produktivität eines Unternehmens.

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Definition: Unter Management wird in diesem Buch sowohl der funktionale als auch der institutionelle Charakter des Begriffes verstanden. Management als funktionaler Begriff umfasst die Tätigkeiten der Vorbereitung, Planung, Entscheidung, Durchführung und Steuerung bzw. Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen. Der institutionelle Begriff umfasst die Personen bzw. den Organisationsbereich des Unternehmens, in dem unternehmerische Entscheidungen getroffen werden. Die Demografie in der Bundesrepublik Deutschland lässt keinen Zweifel mehr daran, dass immer mehr Pflegebedürftigen immer weniger Menschen gegenüberstehen, die pflegen können und wollen. Diese Entwicklung ist unauflösbar. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass diese wertvolle Ressource Mensch im Rahmen der Dienstleistungserstellung, gleich in welcher Funktion, mit einem hohen Anteil wertschöpfend tätig werden sollte. Definition: In diesem Buch definieren wir den Begriff der Wertschöpfung für Einrichtungen der Altenhilfe als Ergebnis aller Aktivitäten, die unmittelbar, also im direkten Kontakt, an und für alte und pflegebedürftige Menschen erbracht werden, und die zur Verbesserung der Lebensqualität im Alltag sowie zum Erhalt und soweit möglich zur Verbesserung des physischen und psychischen Wohlbefindens betreuter Menschen beitragen. Anders als in güterproduzierenden Betrieben mit klar definiertem Endzustand eines Produktes findet diese Wertschöpfung im Bereich der Pflege unter sich regelmäßig, ja sogar im Verlauf eines Tages sich verändernden Rahmenparametern statt. Was konkret bedeutet dies für Führungskräfte und Verantwortliche der Pflegeeinrichtung? An welcher Stelle genau und mit welchen Mitteln können die Pflegeeinrichtungen ansetzen, um all diese sich stets verändernden Einflüsse zu identifizieren? Welche Instrumente können entwickelt und eingesetzt werden, um die Pflegeeinrichtung flexibel, modern und wirtschaftlich erfolgreich zu steuern?

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Einleitungund Begriffsdefinitionen

Auf diese Fragen wollen wir in diesem Buch eingehen. Auch wenn der Schwerpunkt des Buches im Bereich der Steuerung von Prozessen liegt, sehen die Autoren als Schlüssel zum Erfolg eine Pflegeeinrichtung, die sich auszeichnen durch Folgendes

KAPITEL 1

– ein zeitgemäßes Management, – eine klar definierte und gesteuerte Organisation, – eine moderne Führung und damit ein moderner Einsatz der wichtigsten Ressource einer Pflegeeinrichtung, dem einzelnen Mitarbeiter. Der Begriff „modern“ bezieht sich dabei nicht nur auf Fragen der Führungsmethoden allgemein, sondern auch und vor allem auf den Einsatz technischer Mittel und Möglichkeiten als wesentlicher Bestandteil einer modernen Führung. Diese technische Mittel und Möglichkeiten sollen unter dem Begriff „Pflege 4.0“ näher betrachtet werden.

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Kapitel 2 // Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“ 2.1  Annäherung an einen Begriff

KAPITEL 2

Der Begriff „Pflege 4.0“ ist und bleibt in absehbarer Zeit wohl inhaltlich noch lange nicht ausformuliert, umrissen und definiert. Der Begriff steht für eine Entwicklung im Bereich der ambulanten und stationären Pflege, die zunehmend durch dynamisch sich entwickelnde Technologien beeinflusst, wenn nicht gar bestimmt wird. Pflege 4.0 kann und wird erheblich in alle Bereiche der Pflege eingreifen – durch die Möglichkeiten der digitalen Erfassung, Dokumentation und Auswertung pflegerischer Handlungen, – durch Assistenzsysteme, Hilfsmittel z. B. bei der Verrichtung schwerer körperliche Pflegemaßnahmen, oder passiv durch automatisierte Weitergabe von Informationen über den aktuellen Zustand des Pflegebedürftigen, – durch Mittel zur Kommunikation und Information nach innen und außen (z. B. zu Kostenträgern, Angehörigen, Ärzten oder Krankenhäusern) oder – durch therapeutische Roboter, die unmittelbar mit dem Pflegebedürftigen interagieren können. Pflege 4.0 setzt allerdings Organisationen voraus, die mit diesen Technologien routiniert umgehen können. Dazu gehören – geeignete, weil strukturierte Prozesse, die die Möglichkeiten der Technologien ausschöpfen, Definition: Unter „Pflege 4.0“ verstehen die Autoren die Summe aller Aktivitäten einer Organisation und deren Prozesse, die unter Einsatz moderner, digitaler Systeme und Technologien erbracht werden, um die Anforderungen aller Prozessbeteiligten gleichermaßen zu berücksichtigen und zu kultivieren.“ 3 3 David Thiele/Siegfried Loewenguth

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– die Befähigung der Mitarbeiter und deren uneingeschränkte Bereitschaft zum Einsatz dieser Technologien und – allem voran moderne Managementmethoden, die Technologie, Mitarbeiterkompetenz und Prozesse koordinieren und steuern können.

2.2  Organisation und Pflege 4.0 – Auflösung eines Spannungsfeldes Vollstationäre Pflegeeinrichtungen sind bei ihrer Dienstleistungserbringung in vielfältiger Weise Zielkonflikten ausgesetzt. Zielkonflikte entstehen innerhalb der Organisation durch unterschiedliche Interessenlagen und Befindlichkeiten der handelnden Personen, durch externe Anforderungen, z. B. gesetzliche Auflagen, durch Anforderungen der Kunden und deren Angehörige und nicht zuletzt aus betriebswirtschaftlicher Sicht durch den Zwang zur Wirtschaftlichkeit der Pflegeeinrichtung. Auch wenn es sicher weitere Elemente gibt, die sich auf die Organisationsgestaltung und -entwicklung auswirken, lassen sich unter den Bedingungen der Pflege 4.0 viele Zielkonflikte auf 3 wesentliche Aktionsbereiche reduzieren: Kunde, Mitarbeiter und Technologie. Die drei Aktionsbereiche sind in sich selbst hoch dynamisch und wirken sich ebenso dynamisch und sich gegenseitig beeinflussend, teils beschleunigend teils aber auch hemmend auf die Pflegeeinrichtung aus. Prioritäten wechseln dabei und passen sich den jeweiligen Erfordernissen an.

Technologie

Mitarbeiter

Kunde

Prioritätendreieck

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

2.3  Das Kanomodell 2.3.1  Beschreibung des Kanomodells

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KAPITEL 2

In den Siebzigerjahren hat der Japaner Noriaki Kano ein Modell entwickelt, mit dem er im Wesentlichen Fragestellungen zu Kundenanforderungen heute und in Zukunft erklären wollte. Seit seiner Vorstellung hat das Modell nicht an Aktualität verloren und ist im Gegenteil nicht nur aus der modernen Betriebswirtschaftslehre nicht mehr wegzudenken, sondern kann durchaus auch auf andere Fragestellungen angewendet werden. Das Modell geht von der Annahme aus, dass die Bemühungen von Unternehmen um Kundenzufriedenheit dauerhaften und bewussten Anstrengungen bedürfen. Ein Verharren auf einem bestimmten Niveau führt dazu, dass Unternehmen in der Wahrnehmung ihrer Kunden „veralten“, im Vergleich zum Wettbewerb also schwächer werden. Selbst wenn ein Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal außerordentliche Leistungen erbracht hat, werden diese Leistungen im Verlauf der Zeit als selbstverständlich vorausgesetzt, neue außerordentliche Leistungen werden erwartet. Bestandteile des Kanomodells sind Basismerkmale, Leistungsmerkmale, Begeisterungsmerkmale, Unerhebliche Merkmale sowie Rückweisungsmerkmale. Aus Sicht der Kunden stellen Basismerkmale ein Mindestmaß an Leistungen dar, die Pflegeeinrichtungen zu erbringen haben bzw. die sie zu erfüllen haben, z. B. gesetzliche Auflagen wie Mindestpersonalquote, Einhaltung von Hygienevorschriften etc. Die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen greifen im Rahmen ihrer Tätigkeit in teils massiver Weise in die Privat- und Intimsphäre ihrer Kunden ein. Eine hohe soziale Kompetenz der Mitarbeiter im täglichen Umgang mit den Pflegebedürftigen stellt daher ein im Grunde unabdingbares, wenngleich aus Kundensicht sehr subjektiv empfundenes Leistungsmerkmal für Pflegedienste dar. Entscheidungen von Pflegebedürftigen und Angehörigen werden bereits mit den ersten Gesprächen mit dem Kunden vorbereitet. Erkennbare Leistungsmerkmale entscheiden über die Zusage oder Absage und sind damit unabdingbare Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg einer Pflegeeinrichtung. Das bedeutet, dass nicht nur die tatsächlich pflegenden Mitarbeiter, sondern alle mit der Akquise und der sich anschließenden Pflege beschäftigten Mitarbeiter die Kriterien der Leistungsmerkmale erfüllen müssen.

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Begeisterung wird stets ausgelöst, wenn der Mensch in besonderer und unerwarteter Weise Positives erfährt. Im Umgang mit Pflegebedürftigen kann Begeisterung durch vermittelte Wertschätzung, z. B. eine persönliche Ansprache, einen höflichen Umgang, der die Lebensleistung eines Kunden widerspiegelt, etc. ausgelöst werden. Der scheinbar unausrottbare, einen anderen Menschen auf ungehörige Art und Weise vereinnahmende Satz „Wie geht es uns denn heute?“ gehört mit Sicherheit nicht dazu. Unerhebliche Merkmale führen weder zu Zufriedenheit noch, bei deren Fehlen, zu Unzufriedenheit bei den Pflegebedürftigen. So ist es für die Pflegebedürftigen in den meisten Fällen absolut unerheblich, wie die Mitarbeiter technisch ausgestattet sind oder wie im Einzelnen die erbrachten Leistungen dokumentiert werden. Wichtig ist allenfalls, dass sie dokumentiert werden und damit Rechnungen ordnungsgemäß erstellt werden können (Basismerkmal). Rückweisungsmerkmale führen durch ihr bloßes Vorhandensein zu Unzufriedenheit bei den betreuten Kunden. Schmutzige Kleidung, unangenehme Körpergerüche, können wesentliche Kriterien für oder gegen eine Fortführung eines Versorgungsvertrages sein. Auch ein forsches, sehr direktes oder sehr vereinnahmendes Wesen von Pflegekräften kann zu Ablehnung und Zurückweisung der Pflegeeinrichtung führen. Hier ändern sich in besonderer Weise die Anforderungen der Kunden und der Angehörigen. Die sogenannte Kriegsgeneration, die sich eher durch Bescheidenheit und Genügsamkeit auszeichnete, wird zunehmend durch eine Generation ersetzt, die konkrete Vorstellungen und Erwartungen an Leistungen hat und die eher mehr und nicht bezahlte zusätzliche Leistungen fordert.

2.3.2  Das Modell als Grafik Eine Grafik verdeutlicht die Zusammenhänge der einzelnen Merkmale: Die Achsen zeigen den Grad der Zufriedenheit (vertikale Achse) und den Erfüllungsgrad der einzelnen Merkmale auf. Fehlen Basismerkmale, führt dies zu Unzufriedenheit, sind sie vorhanden, trägt dies nicht zu einer höheren als der „normalen“ Zufriedenheit bei. Begeisterungsmerkmale führen bei ihrem Fehlen nicht zur Unzufriedenheit, erhöhen aber die Zufriedenheit, wenn sie vorhanden sind. Leistungsmerkmale erhöhen mit ihrem Vorhandensein und ihrer Ausprägung unmittelbar die Zufriedenheit, führen aber bei ihrem Fehlen auch genauso unmittelbar

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

Zufriedenheit

Begeisterungsmerkmale

sehr zufrieden, begeistert

Leistungsmerkmale

Erwartungen übertroffen

Erwartungen nicht erfüllt

Erfüllungsgrad der Anforderungen

KAPITEL 2

Basismerkmale Zeit

unzufrieden, enttäuscht

Kanomodell zu einer Unzufriedenheit. Im Bewusstsein aller Akteure muss sein, dass sich die Kunden im Verlauf der Zeit insbesondere im Bereich der Begeisterungsmerkmale an ein hohes Niveau gewöhnen und diese Merkmale früher oder später den Charakter von Basismerkmalen annehmen. Hier wird es bei Dienstleistungen darauf ankommen, dem Kunden regelmäßig zu vermitteln, was genau für ihn getan wird, wo die Vorteile für den Pflegebedürftigen liegen und warum bestimmte Leistungen durch gut ausgebildete Pflegekräfte erbracht werden sollten.

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2.3.3  Übertragung des Kanomodells 2.3.3.1  Der Blick aus Mitarbeitersicht Nicht nur Anforderungen der Kunden, auch Anforderungen der Mitarbeiter müssen heute mehr denn je in den Focus der Führungskräfte gestellt werden. Modernes Management setzt auf das Können, auf die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Mitarbeiter, auf die Übernahme von Verantwortung und die Bereitschaft, sich für die Entwicklung des eigenen Unternehmens einzubringen. Wie aber will ich einen Mitarbeiter führen, wie seine Leistung bewerten und mit ihm besprechen, wenn diesem nicht einmal vollständig klar ist, welche Aufgaben er hat? Wie kann ich erkennen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten ein Mitarbeiter tatsächlich hat? Und wie kann ich umgekehrt die Erwartungen des Managements transportieren, die es ohne Zweifel ja gibt und geben muss? An welchen Elementen der Mitarbeiterführung fehlt es? Z. B. davon, das Stellen- und Funktionsbeschreibungen, weil angeblich zu einengend, nicht vorliegen. Und auch wenn regelmäßig Jahres- oder Mitarbeitergespräche geführt werden, fehlen Instrumente, die die Leistung der Mitarbeiter über den gesamten Beobachtungszeitraum dokumentieren. Fehlt dann noch der regelmäßige Kontakt und wird das Jahresgespräch aufgrund von eingeholten Informationen aus dem Mitarbeiterkreis durchgeführt, kann von einer objektiven Bewertung nicht mehr gesprochen werden. Hinzu kommt, dass in immer schnellerer Abfolge unterschiedliche Verhaltensweisen der Generationen aufeinandertreffen. Der Generation eher genügsamer Mitarbeiter folgt eine zwar leistungsbereite, aber sehr deutlich ihre Arbeit hinterfragende Generation. Dieser wiederum folgt eine Generation, die Arbeit eher als Grundlage zur Finanzierung ihrer vielfältigen Freizeitaktivitäten sieht und die in eine Generation übergeht, die eine Arbeitswelt in der von ihren Eltern gelebten Form nicht akzeptiert und im Gegenteil konkrete und sehr individuelle bis egoistische Forderungen und Anforderungen an die Unternehmen stellt. Nicht zuletzt gilt insbesondere für Pflegeeinrichtungen der Sachverhalt, dass der Arbeitsmarkt zu einem Arbeitnehmermarkt geworden ist. Es besteht mehr Nachfrage nach Arbeitskräften als ein entsprechendes Angebot. Seit Jahren lässt sich dieser Sachverhalt beobachten, seit Jahren gibt es individuelle Lösungsansätze überwiegend privater Einrichtungen, das fehlende Angebot durch Kräfte aus dem Ausland zu kom-

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

KAPITEL 2

pensieren. Auch wenn dies gelingen sollte, entstehen damit weitere Probleme, ausgelöst, u.a. durch die nationalen und kulturellen Besonderheiten der ausländischen Mitarbeiter, die dann häufig wieder in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Alle diese Problemstellungen treten gleichzeitig und nicht konfliktfrei auf, sie müssen in angemessener Weise durch das Management aufgenommen und gelöst werden. Und auch hier kann das Kanomodell mit der Definition der unterschiedlichen Merkmale als Basis dieser Analyse herangezogen werden. Es ist sicher keine leichte Führungsaufgabe, Basismerkmale, Leistungsmerkmale etc. für den eigenen Pflegedienst oder die eigene Einrichtung zu definieren. Aber wird deine Aufgabe bearbeitet, entsteht nahezu zwangsläufig auch die Grundlage für einen ziel- und ergebnisorientierten Mitarbeitereinsatz, der auch die o. g. Zielkonflikte auflösen hilft.

2.3.3.2  Der Blick aus Sicht möglicher Technologien Die Welt der Pflege ist vor allem durch die Ereignisse rund um die durch das Virus COVID-19 ausgelöste Pandemie in ein besonderes Licht gestellt worden. Der breiten Öffentlichkeit ist bewusster denn je, dass sich Pflege und der Einsatz moderner Technologien in der Pflege drastisch verändern müssen und mit dieser Änderung auf der Grundlage des aktuellen Wissens und der technischen Möglichkeiten neuartige Verfahren und Instrumente entwickelt werden und auch zum Einsatz kommen müssen. Und: erst in der Krise zeigt sich die Effizienz eines Systems. Erst jetzt zeigen sich die Folgen eines nur unzureichend angegangenen Prozesses der Digitalisierung und Digitalen Transformation. Erst jetzt wird also sichtbar, wo die Ansatzpunkte zur Modernisierung liegen, nämlich in der – konsequenten und echten Digitalisierung aller Prozessschritte (extern) inkl. aller Zulassungs-, Rechnungs- und Genehmigungs­ verfahren seitens aller Prozessbeteiligten. – konsequenten digitalen Transformation aller Kommunikations- und Organisationsabläufe innerhalb der Unternehmen (intern). Auf staatlicher Ebenen müssen noch weit mehr Forderungen gestellt werden, z. B. Möglichkeiten zur Konsolidierung der dezentral entstehenden Daten, was wiederum eine Standardisierung der entstehenden Datensätze voraussetzt.

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Die Autoren verstehen unter Technologie die Wissensbasis, das „Knowhow“ zur Lösung bestimmter Problemstellungen. Als Technik verstehen die Autoren dagegen das vorhandene, gegebene Instrument, sei es eine Maschine oder auch eine Methode zur Problemlösung, z. B. die bereits zitierte Kano-Methode. Technologie und Technik wirken sich im Bereich der Pflege 4.0 in vielen Bereichen aus. Neben der zitierten digitalen Leistungserfassung und Dokumentation gibt es, einer Studie Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)4 folgend, die Bereiche – Telecare – Technische Assistenz und – Robotik. BEISPIEL : Die digitale Leistungserfassung ist das Ergebnis der technischen Möglichkeit, auf einfache Art und Weise, z. B. durch Einsatz eines Smartphones, Daten aufnehmen und speichern zu können. Diese Technologie der digitalen Erfassung und Speicherung von Daten benötigt also die entsprechende Technik, nämlich das Smartphone, das durch Eintippen oder durch einen digitalen Stift Daten erfassen und speichern kann. Technologie erlaubt die Bereitstellung immer besserer, schnellerer Erfassungssysteme, also einer immer besseren Technik. Darüber hinaus müssen die Pflegeeinrichtungen durch eine entsprechende Prozessorganisation jederzeit Anfragen von den mit Telecare betreuten Pflegebedürftigen annehmen können. Auch ist zu berücksichtigen, dass die fehlende unmittelbare Kommunikation bzw. persönliche Präsenz als störend empfunden werden kann. Die Technische Assistenz bzw. das Ambient Assisted Living (AAL) umfasst unterstützende, digitale Systeme, die es älteren, behinderten oder anderweitig eingeschränkten Menschen leichter machen, den Alltag selbstbestimmt bewältigen zu können. Auf Seiten der Pflegedienste/ Pflegeeinrichtungen hilft das AAL den Pflegekräften/Mitarbeitern, standardisierbare Routineaufgaben am Pflegebedürftigen schnell und ohne großen körperlichen Aufwand erledigen zu können.

4 Vgl. Dr. Merda, Schmidt, & Kähler, 2017

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KAPITEL 2

Die dafür freiwerdende Zeit ist keine Einsparung von Kosten, sondern ein Gewinn für die menschlich/emotionale Zuwendung, die der Kunde dringend benötigt. Der Einsatz von AAL setzt allerdings eine höhere Standardisierung und damit einhergehend auch Automatisierung von Prozessen voraus. Ambient Assisted Working (AAW) ermöglicht die individuelle Anpassung der Arbeitsumgebung an den Menschen. AAW kann in 4.0-Prozessen5 eingesetzt werden, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Führungskräfte und Beschäftigten zu unterstützen und ermöglicht die Umsetzung von Energieeffizienz durch den Einsatz ressourcenschonender Technologien (Software 4.0)6 . Der letzte Bereich, die Robotik, bildet auf vielen Ebenen Schnittstellen zu den AAL/AAW. Die Autoren unterscheiden bei der Robotik aktive und passive Systeme. Als aktive Systeme werden die Systeme verstanden, bei denen die bislang von Pflegekräften durchgeführten Tätigkeiten durch Roboter übernommen werden. Transport und Lagerung von Pflegebedürftigen werden dadurch erleichtert oder es werden Tätigkeiten ganz übernommen, z. B. das Darreichen von Getränken oder die Unterstützung bei der Esseneinnahme. Als passive Systeme werden die Systeme verstanden, die auf die artikulierten Bedürfnisse der Pflegebedürftigen aber auch Mitarbeiter reagieren, z. B. sogenannte soziale Roboter, die mit den Pflegebedürftigen interagieren, ihre Verhaltensweisen speichern und ihr Verhalten dementsprechend auf die betreute Person ausrichten können, dies sogar bis hin zur Stimmenerkennung. Basis hierfür ist die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI). Immer noch macht KI den meisten Menschen mehr oder weniger Angst, da mit ihrem Einsatz der Verlust ethischer und moralischer Grundsätze und Regeln unterstellt wird. Und dies zumeist aufgrund fehlenden Wissens um Möglichkeiten und Grenzen der KI. Der vernünftige, zweck- und zielorientierte Einsatz moderner Technologien setzt voraus, dass der Einsatzzweck klar erkannt und definiert wird. Dass die Grenzen aber auch die Möglichkeiten der eingesetzten Technik bekannt sind und dass durch umfassende Kenntnis der Mög5 U  nter 4.0-Prozessen werden hier alle Arbeitsprozesse verstanden, in denen cyber-physische Systeme (CPS) oder andere autonome technische Systeme (wie Messenger-Programme) beteiligt sind. 4.0-Prozesse sind in den Arbeitsprozessen bisher selten vollständig, aber in Ansätzen in allen Betrieben umgesetzt. CITATION Sti20 \l 1031 (Stiftung "Mittelstand-Gesellschaft-Verantwortung", 2020) 6 Unter Software 4.0 wird hier die Software verstanden, die cyber-physische Systeme (CPS) und andere autonome technische Systeme (wie Messenger-Programme) steuert (zum Beispiel Über künstliche Intelligenz, Algorithmen, semantische Technologien, Data Mining). Software 4.0 ist autonom und selbstlernend. CITATION Sti20 \l 1031 (Stiftung "Mittelstand-Gesellschaft-Verantwortung", 2020)

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lichkeiten moderner Technologien und ihrer Fortentwicklung Einsatzfelder zum Wohl der wertvollsten und in Zukunft wahrscheinlich auch am wenigsten verfügbaren Ressource Mensch identifiziert werden. Vorausgesetzt wird aber auch die genaue Kenntnis der Tätigkeiten und Prozesse, die in einem Pflegedienst/Pflegeeinrichtung täglich stattfinden. Nur so kann der vernünftige und zweck- bzw. zielorientierte Einsatz gewährleistet werden. Anders als in der Industrie, wo der Einsatz digital gesteuerter Prozesse und Robotik als Ziel die Einsparung von Lohnkosten durch Mitarbeiterreduktion haben könnte, steht in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft die „Digitale Transformation“ mehr für Qualitätssteigerung am Arbeitsplatz und Bett im Vordergrund. Erreicht werden soll eine höhere Kundenzufriedenheit durch: „Mehr Zeit für Pflege“. Der Zeitaufwand für Administration und Dokumentation soll zugunsten der eigentlichen Kernprozesse reduziert werden, wo immer es geht. Dieser Part der einsetzbaren Technologien muss vom Management und den Führungskräften verstanden werden und muss den Mitarbeitern vermittelt werden. Der Einsatz des Kano-Modells erlaubt auch hier eine deutliche Annäherung an die zitierten Anforderungen an Technik und Technologie.

2.3.4  Pflegeeinrichtungen in der digitalen Welt In der Zeit des Smartphones, des Smart-TV‘s, des Tablets etc. ist eine Dienstleistungserbringung ohne Einsatz digitaler Mittel eigentlich nicht mehr vorstellbar. Bemerkenswert ist jedoch, dass vor allem im Bereich der Altenhilfe, wo der Blick der Mitarbeiter auf die neueste Mail oder SMS nicht weniger selbstverständlich ist, wie in der Gesellschaft im Allgemeinen, die Ablehnung digitaler Assistenzsysteme bei der Leistungserbringung als zu komplex, zu aufwendig oder auch einfach nur unbequem immer noch verbreitet ist. Vielleicht ist das damit zu erklären, dass digitale Assistenzsysteme mehr als Kontrollsysteme, denn als echte Unterstützung gesehen werden, da jede Aktivität inhaltlich und zeitlich nachvollziehbar und damit transparent wird. Hier wird es zunehmend Aufgabe des Managements sein, sich gemeinsam mit den Mitarbeitern der Frage zu stellen, wie – unter Einsatz moderner Technologien – die Kernaufgabe Pflege besser und leichter wahrgenommen werden kann.

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

KAPITEL 2

Für eine unmittelbare Anwendung bieten sich sehr viele Möglichkeiten aus der digitalen Welt an. Im Schwerpunkt steht die digitale Erfassung und Dokumentation von Leistungen, deren Abrechnung und Auswertung, Tourenplanungen (auch vollstationär!) bzw. generell Dienstplanungen, das dv-gestützte Vertragswesen, im Formular vorbereitete und digital dokumentierte Kundengespräche und -kontakte etc. Die Entwicklung und der Einsatz solcher Systeme setzt allerdings aktives und konstruktives Handeln der Mitarbeiter und vor allem konkrete Kenntnis der im Pflegedienst bzw. der Pflegeeinrichtung gelebten Prozesse voraus. Denn nicht die Software sollte den Prozess bestimmen, sondern der Prozess die Gestaltung von Soft- und Hardware lenken. Wenn z. B. eine Pflegeeinrichtung bei der Tourenplanung mehr Zeit damit verbringen muss, die Anforderungen eines digitalen Planungssystems zu erfüllen und der Tourenplan mit Bleistift und Papier (Stecktafel) oder bestenfalls sogar mit einer selbst gestrickten Exceltabelle in kürzerer Zeit erstellt werden kann, wird diese Software zu Recht beiseitegelegt. Also gilt auch hier die Regel, zunächst den tatsächlichen Bedarf und die tatsächlichen Fähigkeiten und Kenntnisse „vor Ort“ zu analysieren und darauf aufbauend die digitale Unterstützung bereitzustellen. Geschieht dies in sinnvoller und umfassender Weise, ist der Weg in das System Pflege 4.0 grundsätzlich eröffnet. Pflege 4.0 soll dabei nicht als klar umrissener Begriff, sondern als Arbeitsbegriff für ein individuell zu gestaltendes und gestaltbares Arbeitsumfeld verstanden werden. Es sollen die Instrumente und technischen Möglichkeiten gesehen werden, die den Einrichtungen der Altenhilfe bereits heute zur Verfügung stehen oder die bereits heute erkennbar in überschaubarer Zukunft verfügbar gemacht werden können. Dabei stehen jedoch nicht nur Möglichkeiten der Unterstützung im Rahmen der Dienstleistungserstellung selbst, also der für die Betreuung und Pflege erforderlichen Prozesse, im Vordergrund. Mehr noch sind – die Möglichkeiten der Vernetzung von Informationen, – moderne Kommunikationswege, – moderne Verfahren der Dokumentation und – die Bereitstellung dokumentierter Daten zu betrachten. Den Autoren ist selbstverständlich bewusst, dass bestimmte Rahmenparameter der Arbeit am und mit dem alten Menschen, z. B. ungünstige Arbeitsbedingungen durch Schichtdienste, hohe körperliche und vor al-

Mit Kennzahlen effizient steuern

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lem psychische Belastungen etc., mit digitalen Systemen nicht aufgelöst werden können. Aber darum geht es ja nicht. Wichtig ist ausschließlich die Frage, wie diese technischen Möglichkeiten so erschlossen werden können, dass sie von den betroffenen Mitarbeitern nicht nur akzeptiert, sondern als wertvoll übernommen und regelmäßig angewendet werden.

2.4 Folgen für ein modernes Management Folgt man dem bisher Gesagten, ergeben sich durchaus Fragen wie: – Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? – Wie sind die Anforderungen an den Manager und Leader ganz konkret? – Wie sieht dann Führung von morgen aus? Die Autoren gehen davon aus, dass eine nachhaltig erfolgreiche Behauptung auf dem Markt und unter den Bedingungen der Pflege 4.0 nur auf Basis eines veränderten Managementansatzes stattfinden kann. Erste und wesentliche Stufe der Umgestaltung auf ein Unternehmen der Pflege 4.0 ist der Transformierte Managementansatz Der Einsatz moderner Technologien setzt nicht nur deren Beherrschung beim Einsatz aktuell gelebter Prozesse voraus, sondern auch das Wissen um künftige Einsatzmöglichkeiten. Beides setzt jedoch ausgebildete, mündige und motivierte Mitarbeiter voraus. Und es setzt voraus, dass – jeder einzelne Mitarbeiter seine „Rolle“ im Unternehmen kennt und wahrnehmen kann, – dem einzelnen Mitarbeitern Aufgaben entsprechend ihrer Qualifikation, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten zugeordnet werden, – diese wiederum klar und umfassend definiert und kommuniziert werden müssen. Wer die Qualifikation für eine Tätigkeit mitbringt, soll sie auch eigenverantwortlich ausführen dürfen. Und mehr noch: Wer die Eignung zur Höherqualifikation erkennen lässt, soll auch höher qualifiziert werden. Dazu gehört Vertrauen – in beide Richtungen. Von den Mitarbeitern zum Management, vor allem aber auch umgekehrt. Unter Einsatz moderner Technologien können notwendige Entscheidungen schneller getroffen werden. Und sie können dort getroffen wer-

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

den, wo Problemstellungen entstehen. Und sie können von den operativ tätigen Mitarbeitern getroffen werden, die nicht zwingend in Führungspositionen sind. Das bedeutet aber auch den Verzicht auf stark ausgeprägte Hierarchien und zentrale Entscheidungsstrukturen. Hierarchien oder Organisationsbereiche müssen deshalb nicht aufgelöst werden, denn nach wie vor wird es allein schon unter Beachtung gesetzlicher Vorschriften Strukturen mit klaren Verantwortlichkeiten und Befugnissen in einer Pflegeeinrichtung geben müssen. Auch werden Unternehmensziele nach wie vor durch Führungskräfte verbindlich vorgegeben, die diese Ziele gegenüber den Kostenträgern und Behörden auch zu vertreten haben. KAPITEL 2

Welche Ziele werden in welcher Ausprägung nicht auf der Ebene des Managements allein entschieden? Hier setzt ein Prozess ein, der die Erfahrungen der operativ tätigen Mitarbeiter als Grundlage für eine Zielfestlegung einbindet. Führungskräfte der Zukunft sind in diesem Prozess Moderator und greifen hinterfragend und steuernd ein. Und dieser Prozess findet nicht nur einmal im Jahr statt, sondern fortwährend nach der aktuellen Entwicklung und einem sich verändernden Bedarf in kürzeren oder längeren Perioden. Derart abgesprochene Ziele in Verbindung mit verbindlichen Aussagen der Führungskräfte geben den Mitarbeitern das Gefühl, wichtige Bestandteile des Ganzen zu sein und am Erfolg aktiv mitwirken zu können. Alleinverantwortlich nicht, aber eben mitverantwortlich. Gefordert ist eine Führungskultur, die bei Mitarbeitern und Führungskräften Offenheit, Transparenz und vor allem die Bereitschaft zur Selbstorganisation voraussetzt. Werden diese Werte vorgelebt, gewinnen Führungskräfte nicht nur das Vertrauen ihrer Mitarbeiter, sie erzielen darüber hinaus eine hohe Motivation und am Ende auch die Bereitschaft zum Handeln. Die Anleitung, Befähigung und Fähigkeit der beteiligten Mitarbeiter zur Selbstorganisation wird zum elementaren Bestandteil des Unternehmens. Mitarbeiter sollen und dürfen ihr Handeln reflektieren, Fehler und Erfolge kommunizieren und daraus lernend das Unternehmen entwickeln. Führungskräfte der Zukunft müssen daher mit hoher sozialer Kompetenz in der Lage sein, Wertschätzung aussprechen und Motivation

Mit Kennzahlen effizient steuern

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generieren zu können. Dazu sollten sie eine ausgeprägte Kommunikations- und Konfliktstärke, ein lösungsorientiertes Führen mindestens genauso mitbringen wie fachliche Kenntnisse, z. B. juristische, betriebswirtschaftliche und organisatorische Kenntnisse. Führungskräfte der Zukunft wissen sehr genau, was operativ gefordert ist. Das Verstecken hinter vermeintlich wichtigen Aufgaben (Dienstplan/Tourenplan etc.) muss durch hohe Präsenz am Ort des Geschehens ersetzt werden. Nur so lernt eine Führungskraft seine Mitarbeiter kennen, lernt etwas über Stärken und Schwächen, über typische Verhaltensweisen und über vorhandenes fachliches und menschliches Potenzial. Und sie lernt sie in dem Umfeld kennen, in dem die eigentliche Kernaufgabe des Unternehmens wahrgenommen wird: bei den zu betreuenden Pflegebedürftigen. Und genau hier entsteht durch unmittelbare Kenntnis auch die Fähigkeit zu einer angemessenen Wertschätzung der Tätigkeit der Mitarbeiter, können Leistungen und Erfolge bewertet werden und darüber gesprochen werden. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation, der Mut Entscheidungen zu treffen und auch treffen zu können, die Fähigkeit das eigene Handeln und seine Auswirkungen erkennen zu können, kann entwickelt werden und durch geeignete Mittel unterstützt werden. Ein solches Mittel ist die Anwendung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen, wie sie nachfolgend zahlreich aufgeführt werden. Kennzahlen sind allerdings, und das sei bereits hier in aller Deutlichkeit herausgestellt, nur ein Mittel. Ein Mittel von einigen, dem transformierten Management zur Verfügung stehenden Mitteln. Will ein Management diesen Weg gehen, sind mehrere Stufen zu durchlaufen. Die Änderung einer Unternehmenskultur funktioniert nicht alleine durch die Bekundung der Absicht. Management und Mitarbeiter müssen ihre Sichtweise auf das bislang Gelebte verändern. Mögliche Stufen einer Änderung hin zu einer integral-evolutionären Organisation können, der Grafik entnommen werden. Erster und wichtigster Schritt auf diesem Weg ist die Transparenz des täglichen Geschehens. Die Implementierung von Kennzahlensystemen kann ein bedeutendes Hilfsmittel sein, Transparenz herzustellen, Transparenz über alle vorhandenen Zahlen, Daten und Fakten. Gemeint ist damit nicht die unbedachte und ungefilterte Offenlegung von Daten. Transparenz bedeutet das Aufzeigen logischer Zusammenhänge von Zahlen, Daten und Fakten und deren Bezug auf Aufgaben und Ziele der Organisation, die sich konkret in Arbeitsprozessen abbilden lassen.

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Pflegeeinrichtungen unter den Bedingungen „Pflege 4.0“

Empowerment Befähigung Transparenz

KAPITEL 2

Stufen zum Empowerment Wesentlicher zweiter Schritt ist ein aktiver Prozess der Befähigung von Mitarbeitern. Befähigung bedeutet in erster Linie die Vermittlung von Wissen und Methoden, Entscheidungen treffen zu können. In Bezug auf Kennzahlen bedeutet Befähigung, diese in ihrer Aussagekraft verstehen und sie dem eigenen Arbeitsprozess zuordnen zu können, denn dort und nur dort entstehen die Kennzahlen einer Organisation. Ziel der Befähigung ist es nicht zuletzt auch, Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Ergebnissen anhand eingesetzter Kennzahlen erkennen zu können. Ein darauf aufbauender Schritt ist das Empowerment, also die Entwicklung der Mitarbeiter, auch oder gerade unter Einsatz von Kennzahlen, eigenständig in die Arbeitsprozesse positiv steuernd eingreifen zu können. Voraussetzung hierfür ist allerdings nicht nur das Wissen um die Auswirkung von Änderungen der Arbeitsprozesse, gesteuert durch Kennzahlen, sondern auch die Befugnis, eigenständig diese Änderungen herbeiführen zu können. Dies wird eine weitere und bedeutende Herausforderung für viele Führungskräfte werden, da subjektiv zumindest im operativen Bereich Kontrolle abgegeben werden muss. Empowerment ist also Aufgabe für Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen. „Die Frage ist nicht, wie man bessere Regeln formuliert, sondern wie man Teams unterstützen kann, damit sie die beste Lösung finden. Wie kann man die Möglichkeiten der Teammitglieder stärken, sodass sie möglichst wenig richtungsgebende Anweisungen von oben brauchen?“ Jos de Blok

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Kapitel 3 // Ziele und ihre Definition „Wir leben in einer Welt vollkommener Mittel und verworrener Ziele.“ Albert Einstein

3.1  Was ist ein Ziel?

KAPITEL 3

Will man das bisher Gelesene erfolgreich umsetzen, muss konkret definiert werden, was man in welcher Zeit und in welcher Ausprägung erreichen will. Den Erfolg der Umsetzung will man messen und, sollte Optimierungspotenzial erkannt werden, die Umsetzung anpassen. Es müssen also Ziele gesetzt und verfolgt werden. Ziele lassen sich aber nicht immer klar und eindeutig festlegen. Die Zukunft bzw. ein künftiges Ergebnis erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Und nur selten werden Systeme oder auch Prozesse so gestaltet, dass auch gut definierte Ziele uneingeschränkt oder auch konfliktfrei erreicht werden können. DEFINITION: Für die Autoren ist ein Ziel, ein in der Zukunft liegender, angestrebter Zustand, den eine Pflegeeinrichtung für einen kurz-, mittel- oder langfristigen Zeitraum definiert hat. Das bedeutet konkret, dass – Ziele stets in der Zukunft liegen, – von einem angestrebten Zustand, nicht jedoch einem Prozess gesprochen wird, – es unterschiedliche Zeitbezüge für Zieldefinitionen gibt. Grundsätzlich ist eine Pflegeeinrichtung frei, den Zeitbezug von Zielen nach kurz, -mittel- und langfristig festzulegen. Manche Ziele kann man in sehr kurzer Zeit erreichen, andere dagegen brauchen viel Zeit für die Umsetzung. Auch kann man langfristige Ziele in kurz- oder mittelfristi-

Mit Kennzahlen effizient steuern

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ge Ziele bzw. in Teilziele herunterbrechen, um so den Erfolg des langfristigen Ziels insgesamt gewährleisten zu können. Kurzfristige Ziele, mit einem Zeithorizont von wenigen Tagen bis max. 6 Monaten, sind regelhaft mit vorhandenen Ressourcen und einem überschaubaren Aufwand an materiellen und personellen Ressourcen umsetzbar. Mittelfristige Ziele binden über einen längeren Zeitraum vorhandene Ressourcen oder es müssen externe Ressourcen herangezogen werden. Auslöser für mittelfristige Ziele sind zumeist Veränderungen der Rahmenparameter, z. B. neue Gesetze, Änderung der Infrastruktur, Änderung der Personalausstattung etc. Langfristige Ziele nutzen vorhandene interne und externe Ressourcen, um z. B. neue Geschäftsfelder und damit verbundene Strukturen und Prozesse zu entwickeln oder bestehende Strukturen an zu erwartende neue Rahmenparameter anzupassen. Wird von einem Ziel als einem in der Zukunft liegenden Zustand gesprochen, muss dieses Ziel auch eindeutig sein. Es muss also aus der Zieldefinition eindeutig erkennbar sein, wie dieser angestrebte Zustand aussehen muss. Denn nur so kann ein Ziel auch als „erreicht“ bewertet werden. Der Weg zu diesem Ziel ist immer eine Folge von Handlungen, also Prozessen, die, von einem nicht zufriedenstellenden Anfangspunkt ausgehend, durch Herbeiführen von Veränderungen zu dem angestrebten Zielzustand führen soll.

Mitarbeiter und Management kennen die Ziele und die Anforderungen, die sich daraus für Mitarbeiter und Management ergeben

Die Ziele sind im Team der Fachkräfte erarbeitet und festgelegt worden

Jeder Mitarbeiter kennt seine Ziele und weiß, welche Ziele zu welchem Zeitpunkt erreicht werden müssen Der Mitarbeiter wird befähigt und ist befugt, das Erreichen der Ziele in eigener Verantwortung zu regeln. Die Mittel hierzu sind ihm zur Verfügung zu stellen. Ziele sind messbar zu gestalten, die Zielerreichung erfolgt auf Basis messbarer Kriterien, Willkür wird ausgeschlossen.

Bedingungen Pflege 4.0

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Ziele und ihre Definition

Unter den Bedingungen der Pflege 4.0 werden Zieldefinition und Zielerreichung neu strukturiert und damit der bereits zitierte transformierte Managementansatz gelebt. Ziele unter den Bedingungen der Pflege 4.0 sollten die in der Grafik aufgeführten Kriterien erfüllen. Die Instrumente der Pflege 4.0 können erheblich dazu beitragen, dass Ziele in jedem Fall verschwendungsarm erreicht werden können. Kennzahlen und Kennzahlensysteme sind dabei von entscheidender Bedeutung. Sie liefern die Zahlen, um daraus die richtigen kausalen Schlüsse ziehen zu können. Sie helfen dabei, Ziele nicht nur zu definieren, sondern vor allem auch zu erreichen. Die ständige Ausrichtung am Ziel gelingt nur dann präzise, wenn durch Kennzahlen der Weg dahin immer und immer wieder nachjustiert werden kann.

3.2  Wie werden Ziele definiert? KAPITEL 3

Wird also als Ziel vorgegeben, dass – – – –

die künftigen Teambesprechungen strukturierter ablaufen sollen, Mitarbeitergespräche besser vorbereitet werden sollen, der Angehörigenkontakt optimiert werden soll, Kommunikation und Information transparenter gestaltet werden soll,

kann man allenfalls von Absichtserklärungen sprechen, bei denen jede Messbarkeit und jeder Ansatzpunkt zur Umsetzung fehlen. Es besteht ein hohes spezifisch Maß an Interpretationsmöglichkeiten, bei denen Mitarbeiter und Führungskräfte durchaus zu unterschiedlichen Ergebnismessbar sen kommen können. Mit der SMART-Methode richtig definierte Ziele sind immer akzeptiert Ein Ziel sollte so genau und konkret wie möglich sein. Beispiel: „Unsere Angerealistisch hörigen werden mit Beginn am 01.04. monatlich über die aktuellen Entwicklungen in unserer Einrichtung per Mail oder, terminiert wenn dies nicht möglich ist, per Brief informiert“. Smart-Ziele

S

M A R T

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Wichtig ist die Nennung eines Mengengerüstes, einer Zeitangabe oder eines sonstigen messbaren Kriteriums. Statt „der Angehörigenkontakt soll optimiert werden“ kann ein Datum und eine konkrete Maßnahme, also „per Mail oder per Brief “, gesetzt werden. Ziele, die als inakzeptabel angesehen werden, haben wenig Aussicht auf Erfolg. Beispiel: „Angehörigenbriefe sind handschriftlich zu verfassen“ wird in der heutigen Zeit sowohl bei Schreiber wie auch beim Empfänger auf wenig Verständnis stoßen. Zeitgemäß sind andere Kommunikationsmittel. Die englische Bezeichnung dieses Kriteriums lautet „achievable“, also erreichbar. Akzeptanz, Erreichbarkeit und das folgende Kriterium „realistisch“ sind in einem engen Zusammenhang zu sehen. Realistische Ziele werden leichter akzeptiert und motivieren deutlich stärker, das angestrebte Ziel auch erreichen zu wollen. Würde im Beispiel der Angehörigeninformation statt monatlich wöchentlich gesetzt, könnte dies zu Blockaden führen. Nicht alle Ziele können zeitlich konkret festgelegt werden, bei anderen dagegen ist die zeitliche Vorgabe im Grunde Bestandteil des Ziels, z. B. bei Umsatzzahlen je Periode. Trotzdem sollte bei einer Zieldefinition immer versucht werden, Prozesse zeitlich zu fassen, mit einem Startzeitpunkt (und sei es auch nur der Hinweis „ab sofort“) und Endzeitpunkt. Es ist also ein einfaches Kriterium. Ziele mit der Methode SMART zu definieren, bedeutet nicht, dass mit Gewaltakten jedes Kriterium erfüllt werden muss. Es ist ein Hilfsmittel. Die SMART-Methode stellt sicher, dass bei Zieldefinitionen alle Aspekte beachtet werden und Zieldefinitionen nicht ins Leere laufen. Werden Ziele unter den Bedingungen der Pflege 4.0 definiert, werden einzelne Kriterien, z. B. „akzeptiert“ und „realistisch“, bereits durch Einbindung der Mitarbeiter, also der operativen Ebene, erfüllt sein! Dreh- und Angelpunkt einer jeden Zieldefinition ist immer wieder die Messbarkeit: Woran kann ich messen bzw. prüfen, dass das Ziel tatsächlich erreicht wurde? Welche konkreten Zahlenwerte, Termine, Vergleichswerte kann ich nutzen? Und genau hierzu kann ein geeignetes Kennzahlensystem beitragen.

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Ziele und ihre Definition

Kapitel 4 // Qualität in der stationären Pflege

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 4

Die wesentliche Anforderung an ambulant oder stationär durchgeführter Pflege ist die Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen. Was bisher nur über ein vergleichsweise einfaches Pflegenotensystem durch den MDK überprüft wurde, erfolgt seit dem 1. November 2019 auf der Basis eines wissenschaftlich entwickelten Qualitätssystems, das dem seit 2017 genutzten Instrument der Pflegebegutachtung weitgehend entspricht. Um den Anforderungen des neuen Prüfsystems gerecht zu werden, müssen stationäre Pflegeeinrichtungen erhebliche Vorarbeiten leisten, die ohne digitale Assistenz nahezu nicht mehr zu leisten sind. Auch wenn in vielen Veröffentlichungen zu lesen ist, dass der Pflegedokumentation weniger und dem Nachweis der Einhaltung von Qualitätsstandards und Qualitätsindikatoren mehr Bedeutung zukommt, gilt doch auch der Sachverhalt, dass im Zweifel auf eine Dokumentation zurückgegriffen werden muss. Konkret bedeutet die gesamte Entwicklung für alle stationären Pflegeeinrichtungen, dass auf den Einsatz digitaler Assistenzsysteme nicht mehr verzichtet werden kann. Für die meisten Pflegeeinrichtungen stellt sich damit die unaufschiebbare Aufgabe der Anpassung und zumeist vollständigen Überprüfung der bisherigen Prozesslandschaft. Das neue Prüfsystem ist in der Lage zu erkennen, ob die sicher in vielen Einrichtungen vorhandenen Pflegestandards auch im Sinne einer garantierten, regelmäßigen und gleichbleibenden Pflegequalität zum Einsatz kommen. Im Focus der künftigen Qualitätssicherung steht die Unterstützung der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung des Alltagslebens, bei der Pflege sozialer Kontakte und bei besonderen Bedarfs- und Versorgungssituationen, z. B. der Überleitung im Rahmen von Krankenhausaufenthalten. Gerade dieser letzte Punkt ist ein auch aus eigener Erfahrung der Autoren regelhaft kritischer Punkt, zum Nachteil der betreuten Senioren und zumeist verbunden mit erhöhter und im Grunde unnötiger Arbeitsbelastung von Pflegekräften in der Pflegeeinrichtung und im Krankenhaus. Weiterhin geht es bei den Prüfungen des MDK um eine bedarfsgerechte Versorgung bei krankheits- und therapiebedingten Anforderungen der Pflegebedürftigen.

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Es gibt einen Punkt bei diesem neuen Prüfverfahren, der von besonderer Bedeutung ist. Die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen müssen in den als Bestandteil des Prüfverfahrens durchzuführenden Fachgesprächen in der Lage sein, die jeweils für einen Pflegebedürftigen erbrachten Versorgungsleistungen fachlich begründen zu können. Den Einrichtungen wird es damit künftig schwerfallen, sich in vereinfachender Weise auf das Vorhandensein von Pflegestandards zu berufen. Entscheidend wird es sein, dass vorhandene Pflegestandards flexibel auf individuelle Anforderungen der Pflegebedürftigen übertragen werden können. Diese Transferleistung muss von den Pflegekräften erbracht werden können. Bei der Entwicklung und Etablierung von Standards wird es also darauf ankommen, diese so zu gestalten, dass die in dem Standard beschriebene Pflegeleistung auf den Großteil der betreuten Pflegebedürftigen angewandt werden kann. Pflegerische Leistungen die, z. B. bei einer Dekubitusbehandlung zu erbringen sind, können in ca. 90  % aller Fälle standardisiert erbracht werden und erfüllen dennoch das Kriterium der „Individualität“ in Bezug auf den behandelten Senior, da Symptome und damit zu ergreifenden Maßnahmen vergleichbar sind. Die Standards müssen jedoch in öffnender Weise so angelegt sein, dass mögliche Abweichungen vom Standard und bei Anwendung des Standards eintretende mögliche Risiken beschrieben werden. Auch diese außerordentlichen Versorgungssituationen müssen durch pflegerische Maßnahmen abgedeckt werden können, um das Kriterium der Individualität zu erfüllen. Mit dem neuen Prüfsystem wird den Einrichtungen mittelbar eine Definition für den Begriff „Pflegequalität“ vorgegeben. Für die einzelnen Qualitätsbereiche stellen die Indikatoren mit ihren Qualitätsaussagen, den zugeordneten Leitfragen und den Bewertungsaussagen konkrete Qualitätsebenen dar, die als Mindestanforderungen zu erfüllen sind. Die schwierigste Aufgabe der Einrichtungen wird es sein, diese MindestanStruktur - Infrastruktur der Einrichtung - Ausstattung und Ausrüstung - Personalausstattung und Ausbildung - Organisationsstruktur

Prosess - Ablauf der Pfege und Betreuung - Interaktion mit Pflegebedürftigen und Angehörigen - Reaktion auf Änderungen der Pfleranforderung

Ergebnis -P  flegezustand (Erhalt und Verbesserung) -Z  ufriedenheit des Pflegebedürftigen und der Angehörigen -T  eilnahme am öffentlichen Leben

Qualitätsbereiche

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Qualität in der stationären Pflege

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 4

forderungen an vorhandene Ressourcen und gegebene Infrastruktur anzupassen. Auch wenn der jetzt gesetzlich vorgegebene Weg einen außerordentlichen starken kundenorientierten Ansatz ausweist, nämlich die Fähigkeit einer Einrichtung, die Anforderungen des Kunden zu erfüllen, wird es auch künftig darauf ankommen, einen einrichtungsbezogenen Ansatz, nämlich die Gestaltung von Prozessen und Standards, und einen wertorientierten Ansatz, nämlich die Wirtschaftlichkeit, also ein angemessenes Preis-Leistungsverhältnis, zu erreichen und zu halten. Das Management einer Einrichtung wird in Bezug auf die zu erstellende Ergebnisqualität im Bereich der Pflege nur erfolgreich sein, wenn Planung und Organisation der Prozesse, ein geeigneter Personaleinsatz und eine zeitgemäße Personalführung unter Berücksichtigung der gegebenen Infrastruktur gesteuert und nicht zuletzt auch kontrolliert, d. h. regelmäßig überwacht wird. Der Gedanke greift ein Qualitätsmodell auf, das der amerikanische Professor für Public Health, Avedis Donabedian 1966 veröffentlicht hat. Donabedian unterteilt die Qualität einer Einrichtung des Gesundheitswesens in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Das neue Prüfverfahren des MDK erfordert durch seine hohe Kundenorientierung eine Anpassung des Modells. Der Begriff Qualität wird in dieser Betrachtung durch den Begriff Potenzial ersetzt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Festlegung der Ebene einer Qualität, also eines zu erreichenden Standards durchaus sehr subjektiv erfolgen kann und nichts über die Fähigkeit einer Einrichtung aussagt, aus den vorhandenen Mitteln der Struktur auch optimale Prozesse zu generieren. Dies ist bei der Betrachtung von Potenzialen eher möglich. Gleichwohl bleibt die Aussage, dass eine gegebene Strukturqualität eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine gute Prozessqualität ist. D. h. auch eine in Teilen mangelhafte Struktur ist und darf keine Begründung für eine schlechte Prozessqualität sein. Die Bewertung eines Potenzials (immer in Verbindung mit zu gestaltenden bzw. gelebten Prozessen) erlaubt Anpassungen dahingehend vorzunehmen, dass Prozesse den Anforderungen entsprechen oder sie übertreffen. Die gleiche Logik gilt dann auch für die Betrachtung der Prozessqualität in Bezug auf die Ergebnisqualität. D. h. Prozesse müssen überhaupt definiert sein, um Ergebnisse zu erreichen. Ob aber ein gutes Ergebnis resultiert, hängt von der tatsächlichen Qualität der Prozesse ab.

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Übersetzt man das zuvor Gesagte, geht es darum, das Erreichen der Soll-Vorgaben einer Einrichtung auch nach dem neuen Prüfsystem des MDK zu gewährleisten. Ein Instrument, die erbrachte Pflegedienstleistung zu beurteilen, Abweichungen zu erkennen und gegen diese Abweichungen Maßnahmen zur Korrektur einzuleiten bzw. umzusetzen, ist der Einsatz von Kennzahlen, und genau das sind die Indikatoren des neuen Prüfsystems: Kennzahlen. Allerdings reichen diese Kennzahlen nicht aus, um die Gesamtleistung der stationären Einrichtungen erfassen und wirtschaftlich erfolgreich führen zu können. Durch das neue Prüfsystem werden viele Aspekte, die bislang als wesentliche Begründung für die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in Pflegediensten bzw. -einrichtungen herangezogen wurden, per se aufgenommen. Solche Aspekte waren z. B.:

Potenzialqualität der Mitarbeiter Spezifizierungspotenziale

Potenzialqualität der Infrastruktur

• Infrastruktur der Einrichtung • Ausstattung und Ausrüstung

• Fachkräfteanteil • Ausbildungsstand • Weiterbildung

Integrationspotenziale • Fähigkeit zur Beteiligung • Informationsverhalten

Kontaktpotenziale • Freundlichkeit • Umgang mit Pflegebedürftigen

Potenzialqualität des Pflegebedürftigen

Prozess

• Ablauf der Pflege und Betreuung • Interaktion mit Pflegebedürftigen und Angehörigen • Reaktion auf Änderungen der Pflegeanforderung

Interaktivitätsverhalten • Sozialverhalten • Weiterempfehlung

Ergebnis

• Pflegezustand (Erhalt und Verbesserung) • Zufriedenheit des Pflegebedürftigen und der Angehörigen • Teilnahme am öffentlichen Leben

Prozess Einflussfaktoren

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Qualität in der stationären Pflege

– Wettbewerbsvorteil gegenüber Einrichtungen ohne QM-System, – Nachweis des tatsächlichen Aufwands der Einrichtung durch gut dokumentierte Prozesse, – Kostenreduzierung durch gut organisierte Prozesse, – Nachweis der Qualität bei eventuellen gerichtlichen Auseinandersetzungen, – Nachweis der Einhaltung gesetzlicher Auflagen, – Erhöhung der Transparenz bei der Erbringung der Pflegedienstleistungen, – Eingehen auf Anforderungen und Forderungen der Pflegebedürftigen, – … Bei genauer Betrachtung dieser Aspekte in Bezug auf das neue Prüfsystem erübrigt sich nach Auffassung der Autoren die Etablierung eines alternativen QM-Systems. Das neue System bietet den Einrichtungen eine einmalige Chance,

KAPITEL 4

– vor allem unter Einsatz digitaler Erfassungssysteme und moderner Assistenzsysteme, – durch Reorganisation der Prozesslandschaft und – durch Einsatz moderner Managementsysteme, die vor allem die Selbstorganisation der unmittelbar mit der Erbringung der Pflegeleistungen beauftragten Mitarbeiter stärkt, einen hohen, wettbewerbsfähigen und auch wirtschaftlichen Qualitätsstand zu erreichen. Bei einer solchen Reorganisation dürfen jedoch, bei aller Konzentration auf das neue Prüfsystem, Prozesse im administrativen und finanzwirtschaftlichen Bereich oder die Auswirkung pflegerischer Prozesse auf diese Bereiche nicht vernachlässigt werden. Und es darf vor allem nicht unberücksichtigt bleiben, was geschieht, wenn Qualitätsdefizite erkannt wurden und auf welchem Weg erkannte Defizite an das Management und an die verantwortlichen Mitarbeiter herangetragen werden, z. B. durch ein Beschwerdemanagement. Zusammenfassend kann festgestellt werden: – Nur durch den Einsatz von Kennzahlen kann die Einhaltung zuvor definierter Qualitätsstandards (unter Bezug auf das vorangehende Kapitel handelt es sich konkret um Zieldefinitionen) überprüft und gesteuert werden.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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– Bei der Etablierung des neuen Prüfsystems müssen administrative und finanzwirtschaftliche Prozesse zusätzlich integriert werden. – Erfolgsfaktoren für die Umgestaltung bleiben uneingeschränkt die Verantwortungsbereitschaft und Bereitschaft zur Selbstorganisation des Managements und der Mitarbeiter. – Die Umgestaltung muss von allen Beteiligten und Betroffenen gewollt und akzeptiert sein, alle müssen an der Umsetzung beteiligt sein und der Nutzen muss für alle erkennbar sein. – Das bedeutet Verzicht auf ein reines Top-Down-Verfahren, sondern setzt auf die Nutzung der vorhandenen Fachkompetenzen aller Mitarbeiter voraus.

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Qualität in der stationären Pflege

Kapitel 5 // Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen 5.1  Motivation für den Einsatz von Kennzahlen

KAPITEL 5

Folgt man den Ausführungen der vorangehenden Kapitel, sieht man sich einem zunehmend komplexer werdenden Umfeld im Gesundheitswesen ausgesetzt. Die Fragestellung, für die in diesem Sektor agierenden Unternehmen darf allerdings nicht darauf hinauslaufen, wie man dieser Komplexität ausweichen kann. Vermeidungsstrategien oder eine „Vogel-Strauß-Politik“ führen zwangsläufig in die Unwirtschaftlichkeit. Unternehmen, die sich den kommenden Anforderungen nicht in ausreichendem Maße und vor allem nicht rechtzeitig stellen, werden ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Gefordert sind daher Fragestellungen, mit welchen Instrumenten und mit welchen Formen sowohl der Ablauf- auch der Aufbauorganisation die im Gesundheitswesen agierenden Unternehmen auf die sich abzeichnenden Herausforderungen reagieren können. Bildlich gesprochen benötigen modern geführte Unternehmen einen breit gefächerten Strauß an Instrumenten, aus dem heraus genau diejenigen Instrumente eingesetzt werden, die für die jeweilige konkrete Fragestellung oder auch Problemsituation die höchste Relevanz haben. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen in der Lage sein, auf sich ergebende Fragestellungen oder Problemsituationen Antworten finden und Entscheidungen treffen zu können. Ein solches Instrument ist der Einsatz von Kennzahlen und Kennzahlensystemen. Definition: Als Kennzahl wird im weiteren Verlauf dieses Buches eine Zahl verstanden, die in vereinfachter Form messbare oder gemessene Sachverhalte der betrieblichen Tätigkeit darstellt. So ist bereits die Anzahl der Mitarbeiter einer ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtung, geleistete Arbeitsstunden pro Woche oder Monat, usw. jeweils eine – in diesem Fall absolute - Kennzahl. Ob und in-

Mit Kennzahlen effizient steuern

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wieweit solche „einfachen“ Kennzahlen wirklich sinnvoll sind, wird in den folgenden Abschnitten näher erläutert. Die Kombination solcher Kennzahlen oder auch nur die Aneinanderreihung einzelner Kennzahlen ergeben dann Kennzahlensysteme. Auch hier werden in den folgenden Kapiteln die Grundsätze sinnvoller Kennzahlensysteme näher erläutert. Was kann das Instrument Kennzahl bzw. Kennzahlensystem nun wirklich dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern anbieten? Zunächst einmal soll: – Durch Sammlung, Aufbereitung und Auswertung von Informationen, die im Verlauf der betrieblichen Prozesse entstehen, ein quantitatives und qualitatives Abbild des Unternehmens hergestellt und damit das Unternehmen für alle Mitarbeiter förmlich transparent gemacht werden – Die in der komplexen Prozesswelt von Einrichtungen des Gesundheitswesens entstehenden Informationen strukturiert und in sinnvoller Weise verdichtet werden – Durch Konzentration auf die für den jeweiligen Verantwortlichen der Prozesse tatsächlich relevanten Fragestellungen, die komplexe Prozesswelt bewusst, abgestimmt und zielorientiert vereinfacht werden – Die Möglichkeit geschaffen werden, Führungskräfte und Mitarbeiter zeitnah und unkompliziert zu informieren. Ein gut strukturiertes Kennzahlensystem und die für den jeweiligen Aufgabenbereich geeignete Auswahl möglicher Kennzahlen erlaubt darüber hinaus aber auch – wesentliche Problemfelder und Schwachstellen, aber auch Stärken des Unternehmens rechtzeitig zu erkennen, – Entscheidungen für betriebliche Korrekturen und Entwicklungen vorbereiten und treffen zu können, – Planungen und Ziele vorzunehmen und deren Einhaltung überprüfen zu können.

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

5.2  Voraussetzungen für die Einrichtung von Kennzahlensystemen Kennzahlensysteme werden vielfach als Ergebnis bzw. als Teil von Qualitätsmanagementsystemen, z. B. Balanced Scorecard, EFQM7 etc. beschrieben. Sicher stimmt die Annahme, dass mit Einführung eines solchen Systems klare Strukturen als Voraussetzung für Kennzahlensysteme entstehen. Es ist auch nicht anzuzweifeln, dass ein geeignetes QM-System wesentliche Grundlage für einen unternehmerischen Erfolg eines Pflegedienstes ist und dass im Rahmen der Etablierung von QM-Systemen der Focus aller Beteiligten auf die Prozesslandschaft des Pflegedienstes gelegt wird. Je nach QM-System werden auch unterschiedliche Aspekte betrachtet, z. B. eine Kundenorientierung, Finanzperspektive oder Prozessorientierung, die Qualifikation von Mitarbeitern etc. Die Einführung eines Kennzahlensystems jedoch in Abhängigkeit zur Einführung eines QM-Systems zu stellen, würde unnötigerweise Hindernisse aufbauen, die bei guter Vorarbeit von Mitarbeitern und Management eines Pflegedienstleisters gar nicht existieren. Konzentriert man sich auf die im vorherigen Kapitel aufgeführten Punkte, wird vorausgesetzt, dass

KAPITEL 5

– alle relevanten Daten umfassend erfasst und aufbereitet werden, – die erfassten und aufbereiteten Daten gelesen, interpretiert und zueinander in Relation gesetzt werden, – die Ersteller von Kennzahlen, zumeist Controller, und Anwender bzw. Entscheider das tatsächliche Informationsbedürfnis des Unternehmens insgesamt oder die der einzelnen Organisationsbereiche kennen, – Entscheidungen getroffen werden können und dürfen. Alle diese Voraussetzungen sind bei entsprechender Vorgehensweise auch ohne dahinterliegendes QM-System zu erfüllen. Und spätestens hier wird deutlich, welche Bedeutung eine sinnvolle Kombination der Anwendung technischer, überwiegend digitaler Systeme zur Erfassung und Auswertung von Leistungen mit einer hohen Fach- und Entscheidungskompetenz der Anwender für Einrichtungen des Gesundheitswesens hat und zunehmend haben wird. 7 European Foundation for Quality Management

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Es wird aber auch deutlich, wie wichtig mindestens die drei nachfolgend aufgeführten Aspekte im Unternehmen werden: – Kenntnis der im Unternehmen ablaufenden Prozesse – Sammlung und Aufbereitung von Informationen, die sich aus den Prozessen ergeben – Entwicklung der Entscheidungskompetenz, steuernd und optimierend in die laufenden Prozesse eingreifen zu können und zu wollen. Konkret bedeutet dies aber auch, dass Kennzahlensysteme so aufgebaut werden, dass flexibel auf die positive oder negative Entwicklung der Pflegeeinrichtung reagiert werden kann. Dass also durchaus im Rahmen der Jahresauswertungen für Folgeperioden Schwerpunkte der Betrachtung neu gesetzt werden und damit auch andere Kennzahlen in den Vordergrund treten können.

5.3  Prozessorientierung in modernen Unternehmen In den vorangehenden Kapiteln wurde deutlich darauf hingewiesen, dass aufgrund vielfältiger künftiger Aspekte, die eher nach Funktionen oder (Plan-)Stellen ausgestalteten Organisationsformen in ambulanten oder stationären Einrichtungen erhebliche Nachteile gegenüber prozessorientierten Organisationsformen aufweisen. Funktional aufgestellte Unternehmen folgen hinsichtlich der Aufbauorganisation dem klassischen Liniensystem. Das bedeutet, dass einerseits klare, hierarchisch aufgebaute Strukturen vorliegen, Entscheidungen können schnell von „oben nach unten“ durchgereicht und auch durchgesetzt werden, da in der „Linie“ auch Befugnisse und Kompetenzen eindeutig regelbar sind. Andererseits verhindert diese vertikale Form der Organisation, dass Informationen auf den verschiedenen Ebenen des Unternehmens im Unternehmen auch horizontal laufen. Da grundsätzlich stets die Linie verfolgt werden muss, kann dies zu langen Laufzeiten von Informationen und Entscheidungen führen, es können Informationsverluste durch die Verdichtung der Informationen auftreten („stille Post-Problem“), die Ausbildung von Spezialisten und Spezialbereichen kann zu Kompetenzverlusten im Unternehmen führen, wenn es hier zu z. B. personellen Änderungen kommt. Auch führt eine kate-

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

gorisch gelebte Linienorganisation sehr schnell in eine nicht gewollte Überorganisation des Unternehmens bzw. in eine Bürokratie. Die Arbeit in einer Linienstruktur fordert Mitarbeitern aller Ebenen eine hohe Disziplin und die Fähigkeit ab, sich Anweisungen der jeweils vorgesetzten Ebene zu fügen. Eigeninitiative, Kreativität und konstruktive Mitarbeit im eigenen Aufgabenbereich sind, wenn überhaupt, nur wenig gefordert oder auch gewollt. In der realen Arbeitswelt wird eine stringente Linienorganisation gerne dadurch umgangen, dass horizontale Informationskanäle eröffnet werden („kleiner Dienstweg“) und damit die Zielsetzung der Linienorganisation nämlich Klarheit und Transparenz der Organisation unterlaufen wird. Die unten stehende Grafik zeigt nun ein sehr vertrautes Bild stationäre Einrichtungen. Diese sind überwiegend in einer vergleichbaren Linienorganisation strukturiert. Alle oben genannten Nachteile dieser Form der Aufbauorganisation sind daher grundsätzlich möglich und können die tägliche Arbeit am eigentlichen Kunden der Einrichtungen, dem alten Menschen, der auf Hilfe angewiesen ist, in negativer Form beeinflussen.

KAPITEL 5

Organigramm vollstationär

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Die Betreuung und Pflege von Menschen erfordert allerdings eine Betrachtungsweise, die den zu betreuenden Menschen und die von ihm geforderten bzw. für ihn zu erbringenden pflegerischen und sonstigen Leistungen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Zur Erbringung dieser Leistungen sind viele einzelne Tätigkeiten in sinnvoller Weise, über mehrere Organisationsbereiche und Organisationsebenen hinweg, also funktions- und ressortübergreifend, so aneinander zu reihen, dass für den betreuten Menschen nach erbrachter Leistung in objektiver Weise eine Verbesserung entsteht. Eine solche Abfolge einzelner Tätigkeiten und Leistungen ist in der betriebswirtschaftlichen Terminologie ein Prozess. Wird ein solcher Prozess – in sachlich logischer Reihenfolge und – unter Einhaltung bestimmter vorgegebener Regeln erbracht, sollte er in unserem Fall dem alten Menschen, also allgemein gesprochen dem Kunden, einen messbaren Nutzen bringen. Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, stellt dieser messbare Nutzen eine Wertschöpfung dar. Jeder Prozess beeinflusst und verändert einen gegebenen Zustand, eine Ausgangsgröße, einen gegebenen Bedarf usw. Die Beeinflussung und Veränderung erfolgt durch Aktivitäten handelnder Personen in einer bestimmten Art und Weise, den unmittelbaren Einsatz von Hilfsmitteln oder auch durch mittelbaren Einsatz finanzieller Mittel und stellt einen Endzustand her.

INPUT

Wertschöpfung

Informationen Gegenstand Zustand

A1

A2

A3

A…

Wertschöpfung

An

Informationen Gegenstand Zustand

OUTPUT

Grafisch lässt sich dies wie folgt darstellen:

Prozess

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Der Input eines Prozesses kann bestehen aus – einer reinen Informationslage (z. B. neue gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Behandlung und Pflege eines Seniors), – einem Gegenstand oder Artikel (z. B. einem Lebensmittel, das seniorengerecht zubereitet und verabreicht wird), – einem Zustand, (z. B. einer Erkrankung, der mit pflegerischen Maßnahmen begegnet wird). Die Aktivitäten in einem Prozess werden vor allem in Einrichtungen der ambulanten und stationären Pflege durch eine Kombination menschlicher Leistungen, unterstützt durch Sachmittel, z. B. Fahrzeuge, Hilfsmittel, Heilmittel, DV-Hardware und Software etc., unter Anwendung geeigneter Methoden, erbracht. Und kein Prozess findet isoliert statt. Stets werden Prozesse durch Rahmenparameter, z. B. – gesetzliche Auflagen, – eingeschränkte personelle oder finanzielle Ressourcen, – fachliche Qualifikationen als Voraussetzung oder Einschränkung, – infrastrukturelle Gegebenheiten, – zeitliche oder inhaltliche Vorgaben, – usw. beeinflusst. KAPITEL 5

Prozess und Einflüsse

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Abschließend ist davon auszugehen, dass kein Prozess initiiert wird, ohne dass damit ein bestimmter Zweck, eine bestimmte Aufgabe oder ein Ziel definiert bzw. vorgegeben wurde (siehe Abb. Seite 50). Berücksichtigt man all diese Punkte, erweitert sich die obige Darstellung eines Prozesses wie folgt: Bei genauer Analyse des Schaubildes lässt sich erkennen, dass alle Elemente des Prozesses in irgendeiner Form erfassbar und quantitativ oder qualitativ bewertbar und messbar sind. So können die Arbeitsstunden, die durch Menschen in diesem Prozess eingebracht werden, erfasst werden. Werden Sachmittel, z. B. Heilmittel oder Lebensmittel, eingesetzt, können diese nach Menge, Qualität oder Preis messbar gemacht werden. Einzelne Aktivitäten können nach Dauer oder Mittel- bzw. Ressourceneinsatz messbar gemacht werden. Können aber Input- und Output-Größen bewertet und damit gemessen werden, kann auch die Differenz zwischen Input und Output, also die eigentliche Wertschöpfung des Prozesses, gemessen werden. Schon die Dauer zwischen Beginn und Ende des Prozesses stellt eine messbare Größe dar. Sind die messbaren Größen bekannt, werden sie also erfasst und als Information bereitgestellt und können sie nach Art und Umfang bewertet werden, sind sie überwiegend auch beeinflussbar und steuerbar. Auch wenn es durch z. B. Umwelteinflüsse, durch Einschränkung von Ressourcen etc., Störungen im Prozessablauf geben sollte, kann wiederum das Maß der Beeinflussung durch entsprechende Analyse messbar und damit der Prozess steuerbar gemacht werden. THESE: Jede messbare Größe stellt eine Kennzahl dar und umgekehrt bezieht sich jede Kennzahl auf eine messbare Größe im Prozessgeschehen eines Unternehmens. Nur was gemessen werden kann, kann auch gesteuert, d. h. beeinflusst, werden. Und umgekehrt ist Steuerung eines Prozesses nur möglich, wenn messbare Kriterien geschaffen werden. Abschließend lassen sich folgende wesentliche Aussagen in Bezug auf einen Prozess und damit auf eine prozessorientierte Unternehmensorganisation festlegen:

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Prozesse

generieren in vielfältiger Weise Kennziffern (Kosten, Qualitäten, Zeiten) sind messbar und steuerbar (Kosten, Qualitäten, Zeiten) haben stets ein definiertes Ziel (Plangrößen, Qualitäten) binden Ressourcen (Menschen, Sachmittel, Zeiten) sind stets auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet (interne und externe Kunden)

KAPITEL 5

Überträgt man die oben genannten Grundsätze auf eine einzelne Einrichtung der ambulanten oder stationären Pflege und verfolgt man den Weg eines Heimbewohners oder Kunden von Beginn an, also in prozessorientierter Denkweise, stößt man früher oder später auf ein gravierendes Hindernis. Um z. B. einen Heimbewohner oder einen neuen Kunden in eine Betreuung und Pflege aufzunehmen, sind nachvollziehbar nicht nur pflegerische Leistungen oder Kenntnisse erforderlich. Vielmehr werden auch spezielle administrative Tätigkeiten und Kenntnisse einzusetzen sein, Anforderungen eines Heimbewohners in Bezug auf seine Bewegungsfähigkeit müssen beachtet werden und ggf. müssen Hilfsmittel beschafft werden, seine Bedürfnisse hinsichtlich besonderer Verpflegung müssen eruiert, weitergeleitet und damit erfüllt werden, die Kontaktaufnahme zu Ärzten oder Behörden muss geregelt sein, Angehörige müssen betreut werden usw. Wir haben es also mit einer Vielzahl von Teilprozessen zu tun, die auch von unterschiedlichen Organisationsbereichen einer Einrichtung und regelhaft durch Spezialisten in diesen Organisationsbereichen oder einzelnen Funktionen zu erbringen sind. Und genau hier treffen Funktion, die nicht zuletzt aufgrund gegebener gesetzlicher Regelungen auch Voraussetzung ist, und Prozess aufeinander. Ein optimales Gesamtergebnis wird aber nur dann erreicht, wenn alle Teilprozesse reibungsfrei ineinandergreifen. Wie aber kann dieser scheinbare Widerspruch aufgelöst werden? Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass – jeder Beteiligte an einem Prozess seinen eigenen Beitrag, also seine eigene Aufgabe nach Inhalt und Ablauf kennt und – seine Rolle im Gesamtprozess einordnen kann.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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So gesehen ist jeder Mitarbeiter, der eine Aufgabe im Gesamtprozess wahrnimmt, als Verantwortlicher für einen Teilprozess, den er in seiner Dimension, also den messbaren Kriterien (Kennzahlen) kennt, ein Prozesseigner. Der Gesamtprozess wird also durch Teilprozesse mit unterschiedlichen Prozesseignern zusammengesetzt und wird nur dann seine geforderte Wertschöpfung erreichen, wenn die Prozesseigner die Vorgängerprozesse und Nachfolgerprozesse kennen und sich der Konsequenz eines eigenen fehlerhaften Prozesses bewusst sind. Aufgabe von übergeordneten Funktionen einer Einrichtung ist es also in unserer prozessorientierten Denkweise – die Teilprozesse zu koordinieren und sie zu einem harmonischen Gesamtprozess zusammenzufügen, – bei der Erbringung von Teilleistungen (Teilprozessen) auf die vereinbarte und erforderliche Qualität der Leistung zu achten, – und ggf. im Sinne des Gesamtprozesses hier steuernd und korrigierend einzugreifen. Eine wesentliche Führungsaufgabe im funktionalen Sinn einer Einrichtung ist es hierzu – die erforderlichen Teilprozesse an Mitarbeiter mit einer entsprechenden Qualifikation zu übertragen, oder – Mitarbeiter so zu qualifizieren, dass erforderliche Teilprozesse verantwortlich übernommen werden können.

5.4  Die Steuerung von Prozessen Alle im vorangehenden Kapitel angeführten Aspekte setzen voraus, dass Input und Output-Daten der zu erbringenden Teilprozesse bekannt sind, also Kennzahlen vorliegen. Vor allem eine Steuerung von Prozessen ist ohne konkrete Daten – also Kennziffern – über erforderliche Inputgrößen und erwartete Outputgrößen nicht möglich. Sind Prozesse nach Inhalt und Qualität beschrieben und implementiert, sind grundsätzlich auch die Input- und Outputgrößen sowie die Differenz dieser beiden Größen als weitere Kennziffer definiert. Eine

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Prozesseigner / Prozessteam Evaluierung

SOLL- / ISTAbgleich

INPUT

OUTPUT

Prozess

Kunde / Patient / Heimbewohner Schema Prozesssteuerung

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

Steuerung folgt nunmehr den einfachen Regeln eines Abgleichs zwischen diesen Größen. Die Outputgröße wird mit einer Zielvorgabe verglichen (SOLL-/ IST-Abgleich). Werden Abweichungen festgestellt, werden diese Abweichungen analysiert und ein neuer Wert als Input vorgegeben. Am Beispiel eines Aufnahmegespräches lässt sich das wie folgt darstellen: Input für den Prozess Aufnahmegespräch ist ganz banal die Anwesenheit der aufnehmenden Pflegekraft (die hierfür entsprechend geschult werden muss), der/die aufzunehmende Kunde/Kundin (die über das Ansinnen informiert sein muss), ggf. Angehörige (die ebenfalls über das Ansinnen informiert sein müssen) sowie alle erforderlichen Dokumente. Ziel des Gespräches, also der gewünschte Output ist die lückenlose Erfassung aller Bedarfe des potenziellen Kunden sowie alle erforderlichen administrativen Maßnahmen in Form unterzeichneter Dokumente etc. Stellt sich nach dem Aufnahmegespräch heraus, dass z. B. eine Einzugsermächtigung des neuen Kunden fehlt, muss zuerst in diesem unmittelbaren Fall nachgesteuert werden, für künftige Aufnahmegespräche, also künftige Prozesse, muss jedoch geprüft werden, wie eine solche Lücke vermieden werden kann. Hier ist zu analysieren, ob die Doku-

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mente nicht vollständig mitgeführt wurden, ob die Unterzeichnung schlicht vergessen wurde, ob die Daten beim Kunden nicht vorlagen und nachgereicht werden sollten usw. Welche Ursachen es auch immer gab, eine Analyse des unzureichend ausgeführten Prozesses führt zu Anpassungen, um künftig genau diese Lücke nicht wieder entstehen zu lassen. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass eine Steuerung betrieblicher Prozesse und damit auch eine Steuerung der Qualität der zu erbringenden Leistungen nur über geeignete Kennzahlen möglich ist. Auch wenn diese Kennzahlen lediglich, wie in unserem Beispiel mit den Kriterien „erfüllt“ oder „nicht erfüllt“ erhoben werden, stellen sie Indikatoren für einen Erfolg oder Misserfolg dar.

5.5  Eine Kennzahl allein garantiert noch keinen Erfolg Kennzahlen sind also das verdichtete und damit vereinfachte Ergebnis der betrieblichen Prozesse eines Unternehmens. Aber: Eine Kennzahl ist lediglich ein quantitativer oder qualitativer Wert, der für sich allein betrachtet keinen oder einen nur geringen Informationswert besitzt. Die Umsatzhöhe einer Pflegeeinrichtung sagt allein betrachtet nichts aus über das Verhältnis von Kosten zu diesen Erlösen, allgemein also über die Wirtschaftlichkeit der Pflegeeinrichtung. Hierfür sind weitere Informationen erforderlich, mindestens jedoch der Vergleich der Umsatzhöhe mit den Kosten der Pflegeeinrichtung, z. B. Personalkosten, Sachkosten. Gibt es mehrere Pflegeeinrichtungen, z. B. bei einem Träger, ist bei einem Vergleich sicher weniger die Umsatzhöhe, sondern mehr dessen Wirtschaftlichkeit in Form eines ausgewiesenen Gewinns von Bedeutung. Der Vergleich könnte sich in diesem Fall also nur auf das Kriterium „Gewinn“ im Ablauf eines betrachteten Zeitraums konzentrieren. Und so wie betriebliche Prozesse in vielfältiger Weise ineinandergreifen oder sich gegenseitig beeinflussen, müssen auch die jeweils aus diesen Prozessen entstehenden Kennzahlen miteinander kombiniert oder in ein Verhältnis gesetzt werden, um zu einem gewünschten Informationsgewinn zu kommen, z. B. ob und in welcher Weise eine Pflegeeinrichtung effizient arbeitet oder nicht.

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Auch nach Etablierung eines Kennzahlensystems ist nicht die Kennzahl an sich, sondern das Wissen um die Entstehung von Kennzahlen und vor allem das Wissen über Ursache-Wirkungszusammenhänge im betrieblichen Ablauf von elementarer Bedeutung. Auch hieraus resultiert erneut die Erkenntnis, dass ohne die Fähigkeit von Mitarbeitern, Kennziffern zu lesen, deren Entstehung zu kennen und Zusammenhänge betrieblicher Abläufe deuten zu können, auch der Einsatz von Kennzahlen und Kennzahlensystemen sinnlos ist.

5.6  Arten von Kennzahlen

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

Bei der Betrachtung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen sollte nicht zuletzt die Frage beantwortet werden, welche Arten von Kennzahlen es gibt, durch wen und wie sie eingesetzt werden und welche Kennzahlen für welche Funktionen geeignet sind. Für die in jedem Unternehmen entstehenden Kennzahlen können in mehrfacher Hinsicht Unterscheidungen bzw. Zuordnungen getroffen werden. So kann zwischen betriebswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen, qualitativen, bilanzwirtschaftlichen Kennzahlen, Kennzahlen der Logistik, projekt- und funktionsorientierten Kennzahlen, monetären und nicht monetären Kennzahlen usw. unterschieden werden. Im Vordergrund steht dann ein bestimmter Einsatzzweck, ein Unternehmensbereich, ein einzelnes Projekt oder eine strategische Ausrichtung mit entsprechender Zielvorgabe. In jedem vorgenannten Fall gilt jedoch die Zuordnung von Kennzahlen in absolute und relative Kennzahlen, die wiederum weiter untergliedert werden können. Eine absolute Kennzahl ist z. B. die wöchentliche Arbeitszeit einer Pflegekraft gemäß Tarifvertrag, z. B. 40 Stunden. Diese tarifvertragliche Arbeitszeit wiederum setzt sich aus Rüstzeiten, Organisationszeiten, Pflegezeiten etc. zusammen. Das Verhältnis zwischen z. B. 20 Stunden je Woche für Pflegezeiten in Bezug auf die tarifvertragliche Wochenarbeitszeit bildet den relativen Anteil von 20/40 Stunden je Woche oder die Hälfte der möglichen Arbeitszeit je Woche. Werden relative Kennzahlen gebildet, die aus ein und derselben Größe, z. B. Kosten, Umsatz, Stunden etc. abgeleitet werden, liegen Gliederungszahlen vor. Unser obiges Beispiel des Zeitanteils Pflegezeit zu tarif-

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Kennzahlen strategische absolute

relative

Einzelwerte (Pflegesatz)

Summen

Gliederungszahlen (Anteil Personalkosten an Gesamtkosten)

(Anzahl Heimbewohner)

Differenzen

Beziehungszahlen

(Umsatz je Heimbewohner)

(Heimauslastung)

Mittelwerte

Indexzahlen

(Entwicklung Personalkosten im Vergleich zu einem Basisjahr)

(Pflegegradmix)

operative Schema Kennzahlen

vertraglicher Arbeitszeit von 20/40 oder 50  % ist eine solche Gliederungszahl. Werden verschiedene Größen miteinander in Beziehung gesetzt, entstehen Beziehungszahlen. Beispiel: Gesamtumsatz im Verhältnis zur Pflegezeit Gesamtumsatz im Verhältnis zur Anzahl aller Mitarbeiter Indexzahlen setzen einen Ausgangswert zu einem bestimmten Basiszeitpunkt voraus. Aus Werten, die zu nachfolgenden Zeitpunkten erhoben werden, und deren Abweichung zum Basiszeitpunkt wird dann der Index berechnet. Dieser Index spiegelt die zeitliche Entwicklung der betrachteten Größe wider, die negativ, positiv oder neutral sein kann. Da-

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

bei kann der gesamte betrachtete Zeitraum mit mehreren Werten oder auch die einzelnen Werte betrachtet werden.

Vorperioden

Aktuelle Periode - Gegenwart

Kontrolle

Umsetzung / Steuerung Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul

KAPITEL 5

Beispiel: Die Entwicklung der Personalkosten über 3 Jahre, die für jedes Jahr oder als Gesamtindex über drei Jahre betrachtet werden können. Und auch hier muss unmittelbar der Hinweis auf die Aussagekraft eines solchen Index gegeben werden, der an sich erst dann wesentliche betriebswirtschaftliche oder organisatorische Informationen liefert, wenn er z. B. in Bezug auf den im gleichen Zeitraum erwirtschafteten Umsatz oder den Gewinn gesetzt wird. Eine weitere wesentliche Zuordnung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen ist die nach operativen und strategischen Zielen eines Pflegedienstleisters. Mit operativen Kennzahlen werden überwiegend die aus einem SOLL- /IST-Vergleich entstandenen Ergebnisse der laufenden betrieblichen Tätigkeit abgebildet. Dabei ist wiederum weniger der absolute Wert SOLL oder IST relevant, sondern die erkannte Abweichung, ob positiv oder negativ. Mit operativen Kennzahlen werden also die Prozesse der laufenden Periode (z. B. das laufende Wirtschaftsjahr) oder auch der Teilperiode (z. B. der laufende Monat, das laufende Quartal etc.) gesteuert, sie beziehen sich auch auf operative Ziele, also auf die Gegenwart bezogene Ziele. Diese wurden z. B. bei der Budget- oder Finanzplanung für das laufende Wirtschaftsjahr festgelegt. Strategische Kennzahlen beziehen sich dagegen auf zukünftige Perioden und sind das Ergebnis der Definition strategischer, also künftiger Ziele, oder besser auf Ziele, die nur langfristig, d. h. über den Zeitraum mehrerer Perioden erreicht werden können.

Künftige Perioden Planung

Aug Sep Okt Nov Dez

Periodenübersicht

Mit Kennzahlen effizient steuern

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5.7  Anforderungen an Kennzahlen Der Einsatz von Kennzahlen zur Steuerung betrieblicher Prozesse erfolgt seinem Wesen nach zur Optimierung dieser Prozesse, mindestens jedoch zur Gewährleistung einer definierten Qualität des Prozesses. Was auch immer die Verantwortlichen eines Pflegedienstleisters mit einer solchen Optimierung erreichen wollen, und dies ist weit mehr als nur der wirtschaftliche Erfolg oder die Reduzierung von Kosten oder die Erhöhung von Gewinnen, Kennzahlen können durch eine ausgewogene und sinnvolle Anwendung zu dem erwarteten Erfolg beitragen. Sinnlose Statistiken in Form von Zahlenkolonnen oder bunten Diagrammen ohne Aussagekraft dagegen nicht. In jedem Fall müssen also bestimmte Voraussetzungen an die einzusetzenden Kennzahlen erfüllt werden. Erste und wesentliche Voraussetzung ist: Steuerbarkeit und Nachvollziehbarkeit Sollen Führungskräfte und Mitarbeiter ihre Aufgaben und Prozesse mit hoher Eigenverantwortung und anhand von Kennzahlen steuern, müssen sie diese nach Inhalt und Ausprägung verstehen und nachvollziehen können. Die Anwender von Kennzahlen müssen die Wirkungen ihres Handelns oder auch Nicht-Handelns kennen und verstehen. Nur so gelingt es auch, in Wahrnehmung der zitierten Eigenverantwortung, Schwerpunkte bei der Verfolgung von Kennzahlenwerten, ja sogar bei Kennzahlen an sich setzen zu können. Diese vielleicht höchste Hürde kann unter anderem dadurch überwunden werden, indem die für die Entstehung der Ausgangswerte für die Kennzahl verantwortlichen Mitarbeiter bei der Definition einbezogen werden. Zukunfts-, Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung Wie bereits ausgeführt, wird jede gut geführte Pflegeeinrichtung operative und strategische Ziele haben, die sich in Kennzahlen ausdrücken lassen. Ja mehr noch gilt der Grundsatz, dass alle eingesetzten Kennzahlen, sollen sie der Pflegeeinrichtung betriebswirtschaftlich, qualitativ oder motivatorisch wirklich nutzen, mit einem definierten unternehmerischen Ziel verbunden werden. Jede Kennzahl hat damit auch eine Zukunftsorientierung. Eine Kennzahl ohne Zielvorgabe stellt zwar grundsätzlich einen Wert an sich dar, der allerdings verfügt über keinerlei Aussagekraft und ist daher sinnlos.

58

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Beispiel: Der Pflegegradmix einer Pflegeeinrichtung beträgt 2,98. Ohne den Bezug auf noch mindestens eine weitere Kennzahl, verliert diese Zahl ihren Sinn. Das wäre zum einen der zu erreichende Zielwert, hier z. B. 3,32, und im besten Fall noch ein Benchmarkwert der Einrichtungen des Trägers, der bei 3,28 liegt. Zielwerte sind das Ergebnis vorangehender Planungen oder besser noch Auswertungen und Anpassungen von Kennzahlen der Vergangenheit, konkret der Vorperioden. Durch Bezug auf diese Kennzahlen vor allem aber auch durch die Analyse der erreichten Ergebnisse der Vorperioden haben Kennzahlen auch eine Vergangenheitsorientierung. Eindeutigkeit und periodische Vergleichbarkeit

KAPITEL 5

Die Herkunft der Daten zur Bildung einer Kennzahl und die Perioden der Erhebung von Kennzahlen müssen eindeutig definiert sein, um eine Vergleichbarkeit auch über mehrere Perioden (Monat, Halbjahr, Jahr etc.) gewährleisten zu können. Auch müssen die Basisdaten einer Kennzahl vollständig erhoben werden, um eine grundsätzliche Aussagekraft zu erhalten. Beispiel: Bei der Ermittlung von Kosten für exam. Pflegekräfte in einer vollstationären Pflegeeinrichtung müssen auch die Anteile der PDL mit berechnet werden. Geschieht dies nicht regelmäßig, oder wird es generell nicht vorgenommen, ist diese Kennzahl, und alle anderen Kennzahlen, in denen Einsatzzeiten oder -daten der PDL, gleich in welcher Form, zur Ermittlung einer Kennzahl herangezogen werden, nicht mehr aussagekräftig, ja sinnlos. Messbarkeit Um Abweichungen des betrieblichen Geschehens erkennen und darauf reagieren zu können, müssen Kennzahlen messbar gemacht werden. Oder aber andersherum: Eine Kennzahl, die nicht gemessen werden kann, kann auch nicht gesteuert werden. Das bedeutet auch, dass Kennzahlen immer in Werten, z. B. „Euro“, „Stunden“, „Anzahl = Menge“, „Prozente bzw. Prozentanteile“ oder in Kombinationen solcher Werte angegeben werden müssen. Beispiel: Die beliebte Forderung mancher Führungskräfte „wir müssen besser werden“ ist allenfalls ein Appell, nicht jedoch eine zielorientierte Führungshilfe. Besser ist es, konkrete Hinweise zu geben wie: „der Umsatz soll sich um 2,5 % erhöhen“.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Aufbereitung und Darstellung Die Intensität der Nutzung von Kennzahlen als Hilfsmittel zur Steuerung von Prozessen wird entscheidend geprägt durch die Art der Aufbereitung und Darstellung der Kennzahlen. Wesentliche Informationen müssen auf den ersten Blick erkannt und verstanden werden. Hier gilt der Grundsatz: weg von Zahlenkolonnen und hin zur übersichtlichen Grafik. Nicht der Wert an sich ist wichtig, sondern Abweichungen müssen hervorgehoben werden. Bei der Festlegung von Zielwerten ist daher auch die Konzentration auf einen einzigen, absoluten Wert sehr kritisch zu sehen. Hier besteht die Gefahr, dass bei der Auswertung recht kategorisch ein „erreicht“ oder ein „nicht erreicht“ gesehen wird und möglicherweise der Focus auf eine unnötige Intensität bei Korrekturmaßnahmen gelegt wird. Besser ist es, Bereiche zu definieren, die einen Alarmbereich, Übergangsbereich und Zielwertbereich aufzeigen. Der Zielwertbereich erlaubt bis zu einem bestimmten, für jede Kennzahl gesondert festzulegende Größe (z. B. Abweichung in  %) durchaus Unterschreitungen (bei z. B. Erlösen) oder Überschreitungen (z. B. bei Kosten). Erst wenn dieser Zielwert über- oder unterschritten wird, kann von Problemen gesprochen werden, die einer Lösung bedürfen. Einen vergleichbaren Korridor legt man als sogenannten Alarmwert fest, der dann aufgrund festgestellter gravierender Probleme unverzügliches Handeln erforderlich macht. Mit einer solchen Festlegung ist die Darstellung von Kennzahlen z. B. als Ampel möglich, aus der auf einen Blick der Grad der Abweichung und damit auch der Handlungsbedarf abgeleitet werden kann. Weitere Hinweise zur Darstellung können dem Kapitel Reporting entnommen werden. Zielbereich

Keine Probleme Zielwert ist erreicht und übertroffen

Übergangsbereich

Es gibt Probleme, die jedoch unterperiodisch durch die Prozesseigener gelöst werden können. Über bzw. Unterschreitung des Zielwertes um 5  % – 7,5  %*

Alarmbereich

Gravierende Probleme mit Auswirkung auf andere Organisationsbereiche, die einen Eingriff der GF notwendig machen. Über- oder Unterschreitung des Zielwertes um 15  %*

Zielwert Alarmwert

*Für jede Kennzahl gesondert zu definieren

Zielwertbereiche/Korrekturmaßnahmen

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

5.8  Die Definition von Kennzahlen Bei der Festlegung von Kennzahlen ist nicht nur der zugeordnete Name oder ein festzulegender Wert entscheidend, sondern es sind zusätzliche Informationen über diese Kennzahl erforderlich, wie z. B. Herleitung der Kennzahl, soweit sie nicht im eigenen Verantwortungsbereich liegen, Hintergrundinformationen bei abweichenden Werten, Information über den Prozesseigner bzw. Verantwortlichen der Kennzahl etc. Diese Angaben sollten ausnahmslos mit den Führungskräften und Mitarbeitern erhoben werden, die in der Pflegeeinrichtung für die Steuerung anhand der Kennzahlen verantwortlich sind. Für die jeweiligen Pflegeeinrichtungen entsteht durch die Ermittlung der Hintergrunddaten eine Matrix, die regelmäßig, mindestens jedoch jährlich angepasst werden muss. Als Beispiel einer solchen Matrix mit Angabe weiterer (Hintergrund-) Informationen soll nachfolgende Aufstellung dienen. Sie erhebt nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und muss im Bedarfsfall erweitert oder verkürzt werden.

KAPITEL 5

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Kennzahl

Signifikante Bezeichnung einer Kennzahl

Umsatz je Kunde (Gesamt)

Messbarkeit

Genauer Rechenweg und Angabe der Bestandteile der Kennzahl

alle Erträge aus Pflege, Hauswirtschaft und Betreuung dividiert durch Anzahl der Kunden

Erhebung

Angabe, aus welchen Daten­ systemen die Bestandteile der Kennzahl herangezogen werden

Erträge aus FiBu – zusätzlich Kundenlisten (Debitoren)

Häufigkeit 1

Angabe der Perioden, in denen die Kennzahl erhoben wird

Monatlich,

Häufigkeit 2

Angabe, wie die erhobene Kennzahl aggregiert werden kann

Vierteljährlich, Halbjährlich, Jährlich

Perspektive

Angabe eines allgemeinen Ziels, das mit der Kennzahl erreicht werden soll aus Sicht der Kunden

Übernahme weiterer Pflegeleistungen zur Entlastung des Kunden und der Angehörigen

Mitarbeiter

Reduzierung der betreuten Kunden durch Übernahme weiterer Leistungen

Finanzen

Reduzierung der Kosten durch optimierte, weil reduzierte Fahrten zum Kunden

Prozesse

Konzentration der Mitarbeiter auf weniger Kunden und damit engerer Kundenkontakt

Ist-Wert

Aktueller Wert der Kennzahl als Ergebnis einer Vorperiode in der höchsten Aggregationsform

Ziel

Steigerung des Umsatzes je Allgemeines Ziel, Steigerung bei Qualitätskennzahlen, betreute Kunden Reduzierung bei Kostenkennzahlen

Zielwert

Konkretes Ziel, das mit der Kennzahl überprüft werden soll

Maßnahmen bei Abweichungen

Angabe konkreter Maßnahmen, die bei einer Abweichung ergriffen werden können

Verantwortliche Angabe des verantwortlichen Eigners der Kennzahl Stellen

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Erhöhung der Kunden­ gespräche (Erstgespräch) Verstärkte Werbemaßnahmen PDL

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Denkbare Erweiterungen können sich z. B. beziehen auf: – die Verantwortlichkeit bei der Datenerhebung, – die Verantwortlichkeit bei der Erstellung von Kennzahlen­ übersichten, – zusätzliche Angaben über Gremien oder Personen, die im Falle des Nichterreichens eines Zielwertes zur Entscheidungsfindung herangezogen werden müssen, – die Adressaten, an die Kennzahlen berichtet werden, d. h. bei wem sich der Kennzahlenverantwortliche für die Zielerreichung zu verantworten hat, etc.

5.9  Für wen sind Kennzahlen gedacht?

KAPITEL 5

Der lange Weg von der Darstellung betrieblicher Prozesse hin zur Definition von Kennzahlen hat bislang einen wesentlichen Aspekt noch nicht konkret benannt, auch wenn er indirekt sehr wohl angesprochen wurde: Für wen sind Kennzahlen eigentlich gedacht? Wenn Kennzahlen ein Abbild der betrieblichen Prozesse sind und sich aus der betrieblichen Tätigkeit ableiten lassen, wird sich zuallererst der Bereich bzw. die Funktion mit Kennzahlen befassen müssen, bei dem die Daten des Unternehmens auflaufen bzw. ausgewertet werden. In den meistern Betrieben ist dies die Funktion des Controllers.

Der Controller Ein Controller verantwortet betriebliche Ergebnisse nicht. Seine Aufgaben liegen im weitesten Sinne – – – –

in der Analyse der entstandenen Zahlen, im Abgleich der Zahlen mit der Unternehmensstrategie, im Aufzeigen von Potenzialen und Schwachstellen und in einer diesbezüglichen engen Interaktion mit der Unternehmensleitung und den die Zahlen verursachenden Organisationsbereichen.

Den Autoren ist bewusst, dass nicht jede Einrichtung oder jeder Träger einen Mitarbeiter in der ausschließlichen Funktion eines „Controllers“ einsetzt. Jede Einrichtung aber wird einen Mitarbeiter mit den oben ge-

Mit Kennzahlen effizient steuern

63

nannten Aufgaben betraut haben, der damit die Funktion des Controllings übernommen hat. Durch eine intensive Interaktion wird sichergestellt, dass der Controller nicht nur über die richtigen Kennzahlen oder ein den Unternehmenszielen angepasstes Kennzahlensystem verfügt. Es ermöglicht dem Controller auch zu erkennen, in welchen Bereichen Handlungsbedarf entstanden ist, wo Unternehmensziele in Gefahr sind und – im besten Falle – wo angesetzt werden muss, diese Risiken zu minimieren. Seine Aufgabe ist es dagegen nicht, Entscheidungen über mögliche Maßnahmen zu treffen oder die für die Generierung von Kennzahlen verantwortlichen Mitarbeiter mit Vorgaben über mögliche Maßnahmen zu überziehen. Allerdings ist ein Controller aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Gesamtübersicht über die Zahlenwerte derjenige, der im Gespräch mit Entscheidern, sei es die Unternehmensführung oder der Verantwortliche „vor Ort“, wesentliche Impulse und Hintergrundinformationen geben kann, geeignete Maßnahmen zu entwickeln und ggf. neue Zielwerte zu erarbeiten. Bereits hier ist klar, dass bei Einsatz eines Kennzahlensystems mit hoher Wahrscheinlichkeit nur der Controller einen Überblick über alle im und für die Pflegeeinrichtung definierten Kennzahlen hat, zumindest nur bei ihm alle Kennzahlen generiert und dann selektiv an den Entscheider und weitere Adressaten weitergeleitet werden. Aber: die Definition von Kennzahlen und die Festlegung, welche Kennzahlen wann und wo zum Einsatz kommen, ist und bleibt eine gemeinschaftliche Aufgabe. Eine Aufgabe in der die Unternehmensführung oder der für ihn als z. B. Stabsstelle arbeitende Controller nicht weniger Verantwortung übernehmen als die Mitarbeiter, die ihren Bereich anhand der definierten Kennzahlen steuern sollen. Nur durch dieses gemeinschaftliche Vorgehen kann bereits im Rahmen der Entwicklung seitens der Unternehmensführung erkannt werden, ob die Anwender bzw. Adressaten der Kennziffer diese auch verstehen und nachvollziehen können. Entscheider, Anwender und Adressat Geeignete Kennzahlen sind Basis und Voraussetzung für den Entscheider in einer Pflegeeinrichtung, schnell einen entstandenen Handlungsbedarf erkennen und in angemessener Weise entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. In einer konservativen Auslegung des Begriffes ist ein Entscheider grundsätzlich mit der Unternehmensleitung oder der Leitung

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

der Pflegeeinrichtung gleichzusetzen. Folgt man aber dieser Auslegung des Begriffes, werden in einer Pflegeeinrichtung Entscheidungen eher auf der Ebene der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen als auf der Ebene der operativen oder qualitativen Kennzahlen getroffen werden. Betrachtet man dagegen Pflege unter den Bedingungen der Pflege 4.0, muss der Begriff Entscheider losgelöst werden von der Funktion einer Unternehmensführung, denn auch an der „operativen Basis“, also bei den unmittelbar mit der Pflege befassten Mitarbeitern, sind regelmäßig Entscheidungen zu treffen, wenngleich auch unter anderen Voraussetzungen. Besser ist es also, von einem Anwender oder einem Adressaten einer Kennzahl zu sprechen. Anwender in einer Pflegeeinrichtung werden mit mindestens den Kennzahlen „versorgt“, die sie zur Steuerung ihres Bereiches unabdingbar benötigen. Aus einem definierten Katalog möglicher Kennzahlen, geführt durch den Controller, werden also nur die Kennzahlen eingesetzt bzw. ausgewählt, die zur Steuerung des Verantwortungsbereiches erforderlich sind oder die im Verlauf der betrieblichen Tätigkeit voraussichtlich der Steuerung bedürfen. Die Steuerung vollstationärer Pflegeeinrichtungen zählt aufgrund der Art der Dienstleistung, nämlich Pflege zumeist alter Menschen, zu den Unternehmen, die nur selten mit regelmäßig denselben Kennzahlen arbeiten können. Je nach Art der Abweichung oder dem Bereich der Veränderung oder der veränderten Rahmenparameter werden Controller, Entscheider und Anwender die geeigneten wesentlichen Kennzahlen festlegen. Sollte jetzt die Frage auftauchen, ob diese Vorgehensweise nicht im Widerspruch zu den vorangehenden Ausführungen steht, muss die Antwort lauten: Nein. Werden bei der Analyse von Kennzahlen Abweichungen erkannt, die sich aus betrieblichen Problemen ergeben oder sich darauf auswirken können, muss eine erste Maßnahme sein, wie diese Abweichung beherrscht werden kann. Das kann durchaus mit einer neuen Schwerpunktsetzung für den Anwender bzw. den Entscheider einhergehen. Und diese Änderung wiederum wird mit Kennzahlen gesteuert und beobachtet. Bei den nunmehr zum Einsatz kommenden Kennzahlen müssen lediglich die zuvor geschilderten Anforderungen erfüllt werden. Unabhängig vom Führungsstil oder der Managementmethode wird damit aus einem Anwender regelmäßig auch ein Entscheider. Entscheidungen treffen zu können setzt nicht nur eine entsprechende Erfahrung voraus, sie erfordert vor allem Mut. In jedem Fall muss daher verhindert

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werden, dass Anwender mit einer Systematik konfrontiert werden, die eine schlechte Kennzahl mit einer schlechten Leistung gleichsetzt. Betriebliche Ergebnisse hängen im Normalfall nicht von der Leistung einer einzelnen Person ab, sondern sind das Ergebnis komplexer Prozesse mit vielfachen Einflussfaktoren. Abweichungen von einem Zielwert können auch durch unrealistische Festlegung von Zielwerten an sich entstehen oder der Markt, d. h. die Struktur der Kunden der Pflegeeinrichtung hat sich deutlich verändert usw.

5.10  Die Aufbereitung von Kennzahlen – das Reporting Betriebliche Prozesse finden laufend statt. In jeder Minute des Pflegealltags einer vollstationären Pflegeeinrichtung sind Entscheidungen zu treffen, werden durch Aktivität betriebswirtschaftliche Ressourcen eingesetzt, wird man mit den Konsequenzen vorangehender Entscheidungen konfrontiert und muss neu entscheiden. Es entsteht, wie weiter oben beschrieben, ein permanenter Regelkreis, der anhand von Kennzahlen strukturiert und damit beherrschbar werden soll. Allerdings zeigt die alltägliche Normalität in Pflegeeinrichtungen, dass diese Regulierungen für bestimmte, regelmäßig wiederkehrende Handlungen durch Routineaktivitäten ersetzt werden, es treten vermeintliche Erfahrungswerte an ihre Stelle. Und leider werden dabei fast regelmäßig Erfahrungswerte aus Ausnahmesituationen als „Normwerte“ herangezogen, zum Nachteil der Pflegeeinrichtung. Hier müssen dem Anwender durch eine geeignete Darstellung die aus den Abweichungen resultierenden Konsequenzen aufgezeigt werden, die auf den ersten Blick und bei einer einmaligen Betrachtung nicht erkennbar sind. Beispiel: Die Leistung aus dem Leistungskatalog „Waschen“ wird bei einem Kunden selten unter den gleichen Bedingungen stattfinden. Je nach Tagesform des Kunden wird es Änderungen geben, die eine Pflegekraft berücksichtigen muss und auch wird. Gibt es nun Änderungen dahingehend, dass regelmäßig der eigentlich vorgegebene und nach objektiver Bewertung auch realistische Minutenwert überschritten wird, ist die Einzelleistung zwar gut beherrscht, die Auswirkung der Summe dieser zeitlich überdehnten Einzelleistungen führt jedoch langfristig zu Schwierigkeiten, konkret zur Unterfinanzierung der Leistung besagter

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Pflegekraft und damit zu einem eigentlich vermeidbaren wirtschaftlichen Schaden der Pflegeeinrichtung. Hier greift nun das Berichtswesen, in der Betriebswirtschaft üblicherweise als „Reporting“ bezeichnet, unterstützend ein. Richtig vorbereitet und eingesetzt, liefert das Reporting, bzw. die im Reporting aufbereiteten Daten, genau die Grundlagen, aufgrund derer im Unternehmen faktenbasierte und keine willkürlichen Entscheidungen getroffen werden können. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die im Reporting aufgeführten Daten im Sinne der strategischen Ziele des Unternehmens – die richtigen und qualitativ verwertbaren Informationen liefern – geeignete und verständliche Auswertungen des betrieblichen Geschehens aufzeigen und damit auch die korrekten Schluss­ folgerungen möglich sind – die Informationen verständlich und im Umfang ausreichend dargestellt werden und – die Informationen zeitnah und vor allem an die Organisations­ bereiche weitergeleitet werden, die für das Entstehen der Daten Verantwortung tragen.

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

Bei diesen Punkten kommt vor allem dem letzten Aspekt eine besondere Bedeutung zu. Aufbereitete Informationen über die betrieblichen Aktivitäten und ihre Ergebnisse gehören dorthin, wo agiert wird. Und sie gehören sehr zeitnah dahin, damit möglichen Fehlentwicklungen mit ausreichender Zeit begegnet werden kann. Beispiel: Die Erlös- und Kostenentwicklung in einer Pflegeeinrichtung driftet seit Jahresbeginn Monat für Monat auseinander. Die verantwortliche PDL erfährt von dieser Fehlentwicklung in einem Gespräch mit dem Träger der Pflegeeinrichtung, das aufgrund dieser Fehlentwicklung im Juni des Jahres anberaumt wurde. Nicht nur, dass die Pflegedienstleitung nicht regelmäßig, d. h. mindestens monatlich über die Ergebnisse ihrer Tätigkeit informiert wurde, ein Gespräch im Juni gibt der PDL darüber hinaus nur noch 6 Monate Zeit, gegenzusteuern und doch noch ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Anhand der nachfolgenden Grafik soll diese Situation noch einmal dargestellt werden. Die durchgezogenen Linien zeigen die Plangrößen Kosten und Erlöse auf. Im angenommenen Fall wird, auf das Gesamtjahr gesehen, erst im

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August die Gewinnzone erreicht. Im Juni wird die PDL darauf aufmerksam gemacht, dass die Erlöse nicht dem Plan entsprechen. Die Grafik zeigt dies in der gestrichelten Linie mit den stärker hervorgehobenen Punkten, die, bleibt es bei der bisherigen Entwicklung, unweigerlich zu einem Verlust führen wird. Steuert man nun erst im Juni nach, wird deutlich, welche Anstrengungen die Pflegeeinrichtung unternehmen muss, um doch noch in einen Bereich zu kommen, in dem zumindest Verluste vermieden werden (gestrichelte Linie mit den kleineren Punkten).

Erlöse Plan Drohender Verlust Korrektur Kosten Plan

Erlöse IST

Jan

Feb

Mar

Apr

Mai

Jun

Jul

Aug

Sep

Okt

Nov

Dez

Darstellung Steuerungsbedarf bei Planabweichung Ist diese Annahme realistisch? Realistisch ist doch, dass einer Fehlentwicklung, die bereits mit dem Monat Januar analysiert wird, mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden kann und mit hoher Wahrscheinlich doch noch – unser Bespiel angenommen - die Gewinnzone erreicht werden kann. Voraussetzung ist, dass die gewählten Plan-Daten als Zielvorgabe realistisch, also erreichbar sind. Anstelle der Erlöse und Kosten für das Gesamtunternehmen können durchaus auch einzelne Kostenarten mit Plan und IST verglichen werden oder es können Zahlen nur für einen Teilbereich der Pflegeeinrichtung miteinander verglichen werden. Entscheidend ist, dass frühzeitiges

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Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Erkennen von Abweichungen Zeit gibt, durch geeignete Maßnahmen dennoch die Jahresziele erreichen zu können. Es mag sein, dass besondere Kraftanstrengungen ein durch die Fehlentwicklung über sechs Monate entstandener dringender Handlungsbedarf im Einzelfall sogar die drohende Krise verhindern helfen. Es besteht allerdings die große Gefahr, dass durch eine solche Kraftanstrengung die fehlerhaften Prozesse oder Aktivitäten, die überhaupt diesen Handlungsbedarf ausgelöst haben, nicht wirklich erkannt oder geändert werden. Ein Rückfall in einer Folgeperiode ist damit nicht ausgeschlossen. Frühzeitiges Erkennen dagegen und vor allem die Einbindung der Sach- und Fachkenntnis der handelnden Mitarbeiter erlaubt es auch, die Ursache von Fehlentwicklungen anzugehen und die damit verbundenen Prozesse an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Im schlimmsten Fall müssen die Jahresziele korrigiert werden und auch dies geschieht dann aufgrund konkreter, nachvollziehbarer und plausibler Daten. Was nun bedeutet „zeitnah“?

KAPITEL 5

Prozesse finden tagtäglich statt. Also wäre es durchaus logisch, wenn die zur Steuerung der Prozesse eingesetzten Kennzahlen auch täglich zur Verfügung stehen könnten. Moderne DV-Systeme8 sind bei entsprechendem Einsatz digitaler Erfassungssysteme zweifelsfrei in der Lage, unverzüglich alle erfassten Daten in ein zuvor definiertes Kennzahlensystem zu übertragen und jedem, der sich mit dem DV-System auseinandersetzt oder Zugang zu ihm hat, mit Informationen zu versorgen. Aber: das Erfassen, Sammeln und tägliche Auswerten der erfassten Daten ist für den Bereich der Dienstleistungen und vor allem für den Bereich der Pflege bedürftiger Menschen nicht wirklich als Steuerung geeignet. Hier sind längere Zeiträume erforderlich, um z. B. durch eine Tagesform der betreuten Menschen entstehende Ausnahmen nicht als Regel zu bewerten und möglicherweise nicht angemessene Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Denn erst wenn sich im Rahmen einer regelmäßigen Auswertung herausstellt, dass sich solche Ausnahmen zur Regel entwickeln, sich in Bezug auf die strategische Vorgabe, also dem Ziel, das mit einem Prozess erreicht werden soll, dauerhaft Abweichungen ergeben sollten, entsteht Handlungsbedarf, gleich aus welchem Grund sich diese Abweichungen ergeben. 8 Datenverarbeitungssystem

Mit Kennzahlen effizient steuern

69

Ein im Bereich der Dienstleistung sinnvoller Zeitraum für Kennzahlenauswertungen ist ein Monat, im Verlauf des Jahres verdichtet im Quartal, Halbjahr und Volljahr. Der monatliche Auswertungszeitraum ermöglicht zudem, dass wesentliche Faktoren bei der Kennzahlenentstehung grundsätzlich im Monatsrhythmus erhoben werden, z. B. Erlöse, also Rechnungen an die Kunden, Kosten für das eingesetzte Personal oder Fahrzeuge etc. bei den Auswertungen einbezogen werden können. In der ambulanten und stationären Pflege lassen sich normalerweise auch jahreszeitlich bedingte Abweichungen bei den einzelnen Kennzahlen nachweisen. So wird jede Einrichtung die Erfahrung gemacht haben, dass sich in den dunklen Herbstmonaten Pflege anders gestalten kann, als dies im Sommer der Fall ist. Dies sind dann nicht planbare Abweichungen auf der „Kundenseite“. Im Sommer dagegen ergeben sich möglicherweise bedingt durch die Ferienzeit und in Abhängigkeit zur Personalbesetzung Änderungen im Bereich der Personalkosten, wenn z. B. einzelne Mitarbeiter befristet Mehrarbeit leisten, um abwesende Mitarbeiter kurzzeitig zu ersetzen. Auch wenn diese Änderungen grundsätzlich als „nicht planbar“ bewertet werden, so gilt diese Aussage in den meisten Fällen lediglich für den Grad der Abweichung, nicht aber für die Abweichung selbst. Die Betrachtung der Kennzahlen über einen längeren Zeitraum und im Vergleich längerer Zeiträume hinweg zeigt genau diese Tendenz auf, auch wenn der konkrete Grad der Abweichung nicht oder nur annähernd definiert werden kann. Für die Festlegung von Kennzahlenzeiträumen könnte eine Systematik wie in der Grafik beschrieben grundsätzlich sinnvoll sein. Bei der Aufbereitung von Kennzahlen sollte immer eine PLAN-Zahl, das eigentliche Ziel, im Vergleich zur IST-Kennzahl herangezogen werden. Sinnvoll – vor allem in Bezug auf die oben genannten „nicht planbaren“ Abweichungen – sind Vergleiche mit den Vorjahreszahlen, immer vorausgesetzt, dass diese Vorjahreszahlen nicht gleichzeitig und vereinfachend als PLAN-Zahlen gesetzt werden. Sinnvoll ist, diese Zahlen in absoluter Form sowie bei dem Vergleich in Form einer absoluten und relativen Form, also als Prozentwert, darzustellen. Ein Periodenvergleich kann zwar in monatlichen, quartalsweisen oder halbjährlichen Rhythmus erfolgen, die Aussagekraft dieses Vergleichs wird allerdings gleichermaßen verdichtet und die Kennzahl damit als Steuerungsinstrument unbrauchbar.

70

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen



Laufendes Jahr

Vorjahr

Plan

Vorjahr Plan

IST

Vorjahr IST

Plan - Ist

Okt

Dez

Periodenvergleich Jan

Feb

Mar

Apr

1. Quartal

Mai

Jun

2. Quartal

1. Halbjahr

Jul

Aug

Sep

3. Quartal

Gesamtjahresvergleich

Nov

4. Quartal 2. Halbjahr

Periodenvergleich KUMUL – Year to Date (YTD) Jan

-

letzte Erfassungsdperiode

Forecast – Prognose für die verbleibenden Perioden im laufenden Jahr

Übersicht Periodenvergleiche im Controlling

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

Sinnvoll sind dagegen auch Vergleiche der bislang im Jahr erreichten Ergebnisse bis zum Zeitraum der letzten Erfassung, z. B. ein Zeitraum von Januar bis August. Ein ganz wesentlicher Aspekt in der Präsentation von Kennzahlen ist die Darstellung einer sogenannten Prognose. Mit der Prognose soll dem Adressaten ein konkreter Hinweis gegeben werden, wie sich der betrachtete Organisationsbereich entwickeln wird, wenn ein Eingreifen unterbleibt. Dieser, leider nur sehr selten eingesetzte Aspekt ist eine wesentliche Aussage und Hilfestellung für einen Anwender, für den absolute und vielleicht auch relative Perioden-Zahlen weniger aussagekräftig sind. Ermittelt werden diese Prognosezahlen, die sich immer auf den Jahreszielwert beziehen, in dem man die bis zum Betrachtungszeitraum erreichten IST-Zahlen mit den verbleibenden PLAN-Zahlen kombiniert. Folgt man nun dem Grundsatz, dass jeder Adressat einer Kennzahl genau die Informationen erhalten soll, die ihm auf den „ersten Blick“ notwendige Informationen vermitteln und diese Informationen durch

71

genauso schnell erfassbare weitere Kennzahlen verdichtet werden sollen, stellt sich die Frage nach der Darstellung selbst. Würde man den Regeln der obigen Darstellung unreflektiert folgen, wäre das Ergebnis eines Reports wohl eher ein Zahlenfriedhof, so wie es leider in vielen Pflegeeinrichtungen – und nicht nur in diesen Unternehmen – die Norm zu sein scheint. Es werden Zahlenreihen nebeneinandergestellt, die zwar der Logik des Vergleichs von PLAN- und IST-Zahlen folgen, die sich aber meist entweder auf den unmittelbar zurückliegenden Zeitraum beziehen oder sogar nur die verdichtete Information aller Einzelzeiträume bis zu diesem aktuellen Zeitraum. Sind nun mehrere Kennzahlen gleichzeitig im Report erfasst, ergibt das eine Fülle an Informationen, die zwar korrekt ist, die aber in den meisten Fällen nur durch die Mitarbeiter gelesen werden können, die eine hohe Affinität zu Zahlen an sich haben und sich auch die Zeit nehmen können, Änderungen und auch Auswirkungen zu analysieren und danach Maßnahmen zu ergreifen. Und spätestens hier greift der Grundsatz: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Am Beispiel der Erlöse einer stationären Pflegeeinrichtung mit 173 Betten lassen sich die oben genannten Grundsätze grafisch wie folgt darstellen: Betrachtet wird die Entwicklung der Erträge für einen Zeitraum von Januar – Juli 2019. Das Jahresziel ist in der oberen waagerechten Linie dargestellt, die geplante monatliche Entwicklung als stetig von Januar bis Dezember ansteigende Linie. Die tatsächliche Entwicklung von Januar bis Juli ist auf der helleren darunter liegenden Linie abzulesen, die tatsächlichen Monatswerte sind als Rauten unten im Diagramm erkennbar. Wie sich die Erlöse entwickeln, wenn bis zum Jahresende die PLAN-Zahlen eingehalten werden, lässt sich an den Punkten auf der oberen Linie für den Jahreszielwert ablesen. So lange sich diese Punkte in dieser Erlösdarstellung unterhalb der oberen Linie befinden, wird das geplante Ziel voraussichtlich nicht erreicht werden. Kombiniert man nun die Grafik mit den monatlichen PLAN- und IST-Werten und ermittelt die Abweichungen absolut und relativ als Prozentwert, ergibt sich ein schnell lesbares und erfassbares Bild des tatsächlichen Geschehens. Die Angabe der Abweichungen in Prozentwerten erlaubt dann für jede Kennzahl, die weiter oben dargestellten Korridore für den Zielwert und Alarmwert – ggf. durch Einfärben der Werte sofort aufzuzeigen. Am genannten Beispiel lässt sich auch leicht erkennen, dass eine Kennzahl allein nicht wirklich aussagekräftig ist. Bei den dargestellten

72

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Musterdarstellung Cockpit – Erlösentwicklung

KAPITEL 5

Zahlen ergibt sich fast automatisch die Frage, ob nicht auch gleichzeitig z. B. die Personalkosten zurückgegangen sind. Folgt man dem System dieser Darstellung, lassen sich auf einer einzigen DIN A4-Seite bis zu vier gleiche Grafiken mit weiteren Informationen kombinieren: Bei genauer Betrachtung dieser Beispielzahlen lässt sich leicht erkennen, dass zwischen Kosten und Erlösen ein deutlicher Zusammenhang besteht, denn geringeren Kosten stehen auch geringere Erlöse gegenüber, was die weiter oben gestellte Frage auf einen Blick beantwortet. Offensichtlich wurde insbesondere im Bereich der Sachkosten gespart, wobei die Sachkosten nur einen geringen Teil der Gesamtkosten ausmachen und die Auswirkung auf die Gesamtsituation dementsprechend auch niedrig ist. Die Gewinn- und Verlustrechnung lässt erahnen, dass das betrachtete Jahr wohl recht gut abgeschlossen werden wird. Die Grafiken zeigen jedoch auch andere Aspekte auf, die in dieser Form durchaus nachzufragen sind: – aus welchem Grund wird z. B. im Monat Januar ein Negativergebnis „eingeplant“?

Mit Kennzahlen effizient steuern

73

Musterdarstellung Cockpit „Kosten-Erlöse“ – wie lässt sich der geplante „Absturz“ der GuV-Werte im Monat November erklären? – ….. Die gewählte Darstellung und das oben genannte Beispiel beziehen sich der Einfachheit halber auf betriebswirtschaftliche Zahlen, stellen also den wirtschaftlichen Erfolg in den Vordergrund. An Stelle von Erlösen oder Kosten könnten ebenso gut andere, z. B. qualitative, Kriterien stehen, wobei die PLAN- und IST-Werte dann eben nicht in Euro, sondern in   % auf der Grafik dargestellt werden. Diese Informationen mögen zwar nur einen mittelbaren Bezug auf einen betriebswirtschaftlichen Erfolg heben, bieten dafür aber einen Überblick über das in einer Einrichtung grundsätzlich vorhandene Leistungspotenzial, das bei geeigneter Planung zur Sicherung des Erfolges der Pflegeeinrichtung ausgeschöpft werden könnte. Die Konzentration auf unmittelbare oder mittelbare betriebswirtschaftliche Kennzahlen ist sicher dann sinnvoll, wenn es in einer Pflegeeinrichtung erfahrungsgemäß, z. B. in Bezug auf die Auslastung, die Verteilung der Heimbewohner auf Pflegegrade, die Personalbesetzung etc., eine vergleichsweise Stabilität gibt.

74

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Grafische Darstellung Entwicklung nach Pflegeraden absolut Verfasser

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

Ist dies nicht der Fall, gibt es also z. B. eine hohe Fluktuation bei examinierten Fachkräften, muss der Focus auf andere Sachverhalte, z. B. auf die Zusammensetzung der Pflegegrade, gelegt werden, bieten sich andere Darstellungsformen an, bei denen dann ggf. auch andere Betrachtungszeiträume zugrunde gelegt werden können oder sogar müssen. Als Beispiel soll die Belegungsentwicklung einer Pflegeeinrichtung herangezogen werden. Bei dieser Darstellung mit absoluten Zahlenwerten erkennen wir zwar Veränderungen im Jahresverlauf, nicht jedoch die Entwicklung der einzelnen Pflegegrade und ihr Verhältnis zueinander. Geht man nun einen Schritt weiter und will wissen, ob und in welcher Höhe bei der Veränderung der Belegung eines Pflegegrades durch Anpassung der anderen Pflegegrade reagiert wird, bieten sich Darstellungen mit relativem Bezug an. Dabei werden die Ausgangsgrößen z. B. der IST-Wert für den Monat Januar als 100 %-Werte dargestellt und die im Verlauf des Jahres ergebenden Abweichungen werden in ein Verhältnis zu genau diesen 100   % gesetzt. An Stelle der Ausgangsgröße für den Monat Januar kann auch der PLAN-Wert eingesetzt werden, soweit dieser für eine gesamtes Jahr eine feste Größe haben sollte. Aus der Grafik lässt sich erkennen, dass die gesamte Auslastung von knapp über 82 % im Verlauf des Jahres auf annähernd 100 % gestiegen ist. Diese Auslastungssteigerung ist überwiegend im Pflegegrad 1 vorgenommen worden und nur geringfügig in den anderen Pflegegraden.

75

Grafische Darstellung Entwicklung nach Pflegegraden relativ

Auch hier sind diese Kurven nur Indikatoren für eine Entwicklung, die mit einer anderen Kennzahl, z. B. der erforderlichen Anzahl an Vollzeitkräften, erst richtig an Bedeutung gewinnt. Mit diesen Kurven lässt sich zwar feststellen, dass trotz Auslastungssteigerung durch die Konzentration auf den Pflegegrad 1 der zusätzliche Bedarf an erforderlichen Pflegekräften verhältnismäßig moderat ausfällt, allerdings ist dies eine entscheidende Aussage im Zusammenhang mit z. B. einer hohen Fluktuation oder bei Problemen im Bereich der Personalbesetzung.

5.11  Kennzahlen in mehreren Dimensionen Standen bisher Grundsätze von Kennzahlen bzw. Kennzahlensystemen im Vordergrund, soll nachfolgend ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Auswahl von Kennzahlen in den Vordergrund gestellt werden. Wie bei dem Schaubild des Wertschöpfungsprozesses erkennbar, werden zur Erstellung der Dienstleistung „Pflege“ nicht nur reine Sachmittel in einer bestimmten Qualität eingesetzt, sondern überwiegend auch Menschen in einer regelhaft per Gesetz vorgegebenen Anzahl und mit einer adäquaten Ausbildung, die Leistungen (einzelne Aktivitäten) erbringen, bei denen das Ziel bzw. Ergebnis als Menge grundsätzlich definiert werden kann.

76

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 5

In Auswertung dieses Sachverhaltes entsteht bei der Betrachtung der Dienstleistungserstellung eine Mehrdimensionalität, die weit über die bisher vorgenommene Betrachtungsweise für Kennziffern, nämlich der Bewertung des Mitteleinsatzes nach Zeit und Menge, also einer reinen betriebswirtschaftlichen Betrachtung, hinausgeht. Vielfach wird in der Fachliteratur als Ausgangsbasis zur Definition von Kennzahlensystemen gerade wegen der entstehenden Mehrdimensionalität, die Etablierung von Managementsystemen, z. B. Balanced Scorecard oder Qualitätsmanagement-Systeme wie z. B. EFQM vorausgesetzt. Die Autoren vertreten dagegen die Ansicht, dass auf die Etablierung solcher Systeme verzichtet werden kann, wenn bei der Definition der Ziele des Unternehmens und der sich daran anschließenden Definition der Prozesslandschaft eine besondere Sorgfalt aufgewendet wird. Jedes der oben genannten Management- oder QM-Systeme erfordert seinerseits Aufmerksamkeit und Reflexion und damit Zeitaufwand bei der Einhaltung, Überwachung und Anpassung. Daher sollte grundsätzlich die Frage nach dem konkreten Nutzen dieser Systeme gestellt werden. Die Konzentration auf ausreichende und sinnvolle Kennzahlen tatsächlich gelebter Prozesse, diese dann durchaus in mehreren Dimensionen, reicht nach Auffassung der Autoren für eine umfassende und auch qualitativ hochwertige Entwicklung der Organisation aus. Neben der Bewertung des Einsatzes von Sachmitteln können als eine weitere Dimension z. B. die Fähigkeiten, Fertigkeiten der Mitarbeiter oder die Bedingungen der Leistungserbringung und Auswirkung der Arbeitsbedingungen auf den einzelnen Mitarbeiter als wesentliches Element der Leistungserbringung betrachtet werden. Mit nur eindimensionaler Betrachtungsweise sind die Kennzahlen zwar betriebswirtschaftlich einwandfrei, jedoch ohne motivierte, konstruktiv agierende und reflektierende Mitarbeiter wird eine Dienstleistung nicht dauerhaft am Markt erfolgreich sein können. Kennzahlen dieser Dimension zeigen unmittelbar auf, wie es um die Stimmung, die Performance und somit die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens steht. An diesen Kennzahlen wird am Ende auch wesentlich die Führungskraft gemessen. Vor allem die intrinsisch-motivatorischen Kennzahlen erhalten dann eine besondere Bedeutung, wenn Aussagen darüber erwartet werden, wie es dem Unternehmen/Coach gelungen ist, die inneren Stärken der Mitarbeiter anzusprechen und zu entwickeln. Als mindestens dritte Dimension sollte eine Bewertung des Erfolges erbrachter Pflegedienstleistungen festgelegt werden. Mindestens jedoch

77

sollte die Betrachtung, ob die zu erbringenden Leistungen regelhaft bzw. entsprechend ggf. gesetzlich vorgegebener oder eigener definierter Standards erbracht werden, Bestandteil eines Kennzahlensystems sein. Hierzu zählt nicht zuletzt auch die Erfassung der Kundenzufriedenheit. Als Kunde dürfen hier nicht nur der betreute bzw. zu pflegende Mensch gesehen werden, sondern auch Angehörige und weiter gefasst auch Behörden, Ärzte etc. Kurz- und mittelfristig haben diese Kennzahlen bzw. die dahinterstehenden Prozesse einen erheblichen Einfluss auf die betriebswirtschaftlichen Prozesse in den jeweiligen Unternehmen. Die Qualität am Klienten/Bewohner ist am Ende der Spiegel der beiden oben gesamten Kennzahlendimensionen. Zusammengefasst: Basis allen Handelns sind die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Sie spiegeln die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter, Teams und des Unternehmens als Ganzes wider. Diese sind wichtig, um heute und auch morgen die Gehälter zahlen zu können und auch sonst den Verpflichtungen des Unternehmens zuverlässig nachkommen zu können. Mit diesen Kennzahlen lassen sich Kosten, Gewinne, Fahrtzeiten, Erlöse je Pflegegrad (PG), aber auch Renditen und andere Informationen, zuverlässig feststellen. Die qualitativen Kennzahlen geben Aufschluss über die Leistungsfähigkeit der am Kunden erbrachten Arbeit durch den Mitarbeiter. Eine typische qualitative Kennzahl ist die Anzahl der Wunden, Kontrakturen, Mangelernährungen, Beschwerden usw.. Diese sind dann wichtig, wenn Sie für Ihr Unternehmen gewisse sinnvolle Rückschlüsse daraus ziehen möchten. Da Sie stets in der Beratungspflicht sind, ist es wichtig, Zahlen, Daten und Fakten dann zu erheben, wenn diese für Sie eine Relevanz besitzen. So sind Beschwerdekennzahlen immer dann von Bedeutung, wenn Sie diese dazu nutzen, den Kundenanliegen auf den Grund zu gehen. Letztendlich geben die motivatorischen Kennzahlen Aufschluss über z. B. den Zustand des Betriebsklimas, die möglichen Auswirkungen dieses Klimas auf das Betriebsergebnis, den Wirkungsgrad der Zusammenarbeit der Pflegekräfte mit Mitarbeitern der Administration etc. Werden also Kennzahlensysteme in einer Pflegeeinrichtung gebildet, sollten stets alle drei genannten Dimensionen berücksichtigt werden.

78

Grundlagen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

Werden die ersten beiden Rubriken (betriebswirtschaftliche- und qualitative Kennzahlen) in Zukunft vermehrt von KI unterstützt, ist der Bereich der motivatorischen Kennzahlen bzw. der richtigen Unternehmensführung stark auf (richtiges) menschliches Engagement angewiesen. Hier ist konkret Führungskompetenz gefordert.

KAPITEL 5

Mit Kennzahlen effizient steuern

79

Kapitel 6 // Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege 6.1  Einführung Sollen Kennzahlen für ein Unternehmen festgelegt werden, sind, der in den vorangehenden Kapiteln aufgeführten Argumentation folgend, als erster Schritt alle die Prozesse, die wesentlich zur Zielerreichung des Unternehmens erforderlich sind oder die diese Zielerreichung behindern können, zu eruieren und z. B. entsprechend des in Ziffer 5.7 aufgeführten Schemas klar zu beschreiben. Dementsprechend muss also das Management einer vollstationären Pflegeeinrichtung als erste und wichtigste Aufgabe die Frage beantworten, – welche Ziele konkret mit dem Unternehmen erreicht werden sollen, – wie, mit welchen Mitteln und in welcher Quantität und Qualität des Mitteleinsatzes diese Ziele erreicht werden können und – welche Hindernisse oder Schwierigkeiten die Erreichung dieser Ziele beeinflussen können.

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Verfügt die Pflegeeinrichtung über ein allgemeines Leitbild bzw. eine Vision, ist davon auszugehen, dass daraus die Strategie bzw. die strategischen Ziele ableitbar sind, aus denen sich wiederum Strukturen und Prozesse ergeben. Ist dies nicht der Fall, wird es erste und wichtigste Aufgabe des Managements sein, strategische und/oder operative Ziele zu definieren. Grundlage solcher Definitionen sind einerseits die ganz konkreten, aktuell aus den betriebswirtschaftlichen Auswertungen ableitbaren Zahlen. Andererseits können vor allem motivatorische oder qualitative Kennzahlen auf der Grundlage einer Befragung von Mitarbeitern und Kunden oder durch konkrete Auswertung gesetzlicher Auflagen definiert werden. Nachfolgend sollen einige typische Kennzahlen für stationäre Pflegeeinrichtungen vorgestellt werden. Die Etablierung dieser vorgeschlagenen Kennzahlen reicht aus, eine Pflegeeinrichtung in den bereits genannten Dimensionen operativ und strategisch zu steuern. An

81

dieser Stelle verweisen wir erneut und nachdrücklich darauf, dass die gleichzeitige Etablierung und regelmäßige Anwendung aller vorgeschlagenen Kennzahlen nicht wirklich sinnvoll sind. Optimierung durch Reduzierung, konkret durch Konzentration auf festgestellte Problembereiche und damit auf erkannte oder vermutete Risiken für den Unternehmenserfolg, das ist hier als vornehmste Managementaufgabe gefordert. Auch machen wir darauf aufmerksam, dass die von den Autoren gewählte Reihenfolge nicht als Rangfolge zu werten ist. Welche Priorität eine Kennzahl erhält, ergibt sich, wie weiter oben ausgeführt, aus dem Erfordernis, Prozesse zu steuern. In 2019 wurden neue Richtlinien erlassen, wie Pflegeeinrichtungen künftig durch den MDK geprüft werden sollen. Wie bereits in Kapitel 4 ausgeführt, erzwingt dieses neue Prüfverfahren die Einführung von Kennzahlen in verschiedenen Bereichen der Betreuung und Pflege. Da diese Kennzahlen/ Indikatoren in den entsprechenden Veröffentlichungen zum Prüfverfahren sehr konkret und ausführlich angesprochen werden, soll in diesem Buch nicht näher darauf eingegangen werden. Und nicht zuletzt machen die Autoren darauf aufmerksam, dass für die nachfolgend aufgeführten Kennzahlen grundsätzlich keine Benchmarks angegeben werden. Hiermit soll vermieden werden, dass die aufgeführten Kennzahlen als Handlungsanweisung oder Bestätigung der eigenen Arbeit verstanden werden und damit die Analyse der individuellen Problemstellung, ausgehend von der ebenfalls individuellen Zielsetzung der Pflegeeinrichtung, unterbleibt. Die Autoren möchten dem interessierten Leser ein Hilfsmittel an die Hand geben, das eigene Leistungsportfolio durch den Einsatz einzelner Kennzahlen überprüfen und steuern zu können.

82

Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

6.2  Typische Kennzahlen für vollstationäre Pflegeeinrichtungen 6.2.1  Übersicht Motivatorisch

Qualitativ

Dimension der Kennzahl Betriebswirtschaftlich

Kennziffer

6.2.2.

Kostendeckung/Kostendeckungsgrad

 X

 

 

6.2.3.

Umsatzrendite

 X

 

 

6.2.4.

Debitorenlaufzeit (Liquidität/Cash-Flow)

 X

 

 

6.2.5.

Auslastung der Einrichtung



 

 

6.2.5.1. Auslastung allgemein

 X

 

 

6.2.5.2. Auslastung nach Belegungstagen

 X

 

 

6.2.5.3. Leerstandstage (Exkurs)

 X

 

 

6.2.5.4. Auslastung nach Pflegetagen

 X

 

 

6.2.5.5. Auslastung nach Berechnungstagen

 X

 

 

6.2.6.

Break-Even-Point

 X

 

 

Pflegegradmix

 X

 

 

Belegungsmanagement (Exkurs)



 X

 

6.2.9.

Erlös-Anteile wichtiger Leistungsarten im Bereich Pflege gemessen an den gesamten Erlösen als Indikatoren (Grundformel)

 X

 

 

6.2.10

Sachkostenanteile wichtiger Sachkosten an den Gesamtkosten oder den gesamten Sachkosten

 X

 

 

6.2.11.

Personalintensität (Personalkosten-Quote)



 

 

6.2.12.

Stellenanteil Dienstarten



 

 

6.2.13.

Mehrleistungsquote

 X

 

 

6.2.14.

Pflegefachkraft-Quote

 X

 

 

6.2.15.

Flexibilisierungsquote

 X

 

 

6.2.16.

Verhältnis Erstgespräche zu Vertragsabschlüssen

 

 X

 

6.2.17.

Anzahl durchgeführter Pflegevisiten

 

 X

 

6.2.18.

Fluktuation

 

 

 X

6.2.19.

Verweildauer (Mitarbeiter/Bewohner)

 

 

 X

6.2.20.

Bewerberquote

 

 

 X

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

6.2.7. 6.2.8.

83

Motivatorisch

Qualitativ

Dimension der Kennzahl Betriebswirtschaftlich

Kennziffer

6.2.21.

Mitarbeiterzufriedenheit

 

 

 X

6.2.22.

Arbeitsunfähigkeitsquote-AU-Quote

 

 

 X

6.2.23.

Anzahl der Verbesserungsvorschläge (KVP)

 

 



6.2.24.

Anzahl der Beschwerden/Fehler

 

 

 X

Kennzahlenübersicht

6.2.2  Kostendeckung / Kostendeckungsgrad Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Mit der Kennzahl „Kostendeckung“ bzw. „Kostendeckungsgrad“ wird das Verhältnis zwischen den Gesamterlösen einer Pflegeeinrichtung und allen für die Erwirtschaftung dieser Erlöse entstandenen Kosten verstanden. Das Verhältnis Kosten zu Erlösen als Prozentwert ausgedrückt ist der Kostendeckungsgrad. Formel =  Gesamterlöse × 100 Gesamtkosten Liegt der Kostendeckungsgrad über 100 %, erzielt die Pflegeeinrichtung einen Gewinn, liegt er darunter, ist ein Verlust entstanden. Eine Möglichkeit der Analyse dieses Verhältnisses ist die „Break-Even-Analyse“, bei der über einen zu bestimmenden Zeitraum, sinnvollerweise für das laufende oder im Rahmen der Finanzplanung das folgende Wirtschaftsjahr, Kosten und Erlöse in ihrer Entwicklung dargestellt werden. Die Daten zur Ermittlung der Kennzahl können der BWA (Betriebswirtschaftlichen Auswertung) der Pflegeeinrichtung entnommen werden. Wie in der Grafik aufgezeigt, sollten diese Daten monatlich ausgewertet und als Grafik aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. Bedeutung und Nutzen Auch wenn diese Kennzahl eine, bezogen auf die gesamte Tätigkeit der Pflegeeinrichtung, recht grobe Darstellung ist, ist sie gleichwohl ein

84

Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Verlustzone

Gewinnzone

Erlöse Kosten Break-Even-Point

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12 Perioden

Grafische Darstellung Break-Even-Point

KAPITEL 6

wichtiger Indikator für deren Wirtschaftlichkeit. Dies vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei einer Gesamtkostenbetrachtung für einen bestimmten Zeitraum sowohl fixe Kosten9 der Pflegeeinrichtung als auch variable10 Kosten in die Kalkulation einfließen. Die grafische Darstellung zeigt auf, dass zu Beginn einer Betrachtungsperiode (z. B. laufendes Wirtschaftsjahr) durch den Fixkostenanteil im allgemeinen Verluste generiert werden, die, regelmäßige, unterperiodische (Monatswerte) Kostendeckungsgrade über 100 % vorausgesetzt, erst im Verlauf der Betrachtungsperiode zu einem „Break-Even“ führen. Werden bei der Ermittlung des Kostendeckungsgrades die Kennzahlen der Planung den IST-Kennzahlen gegenübergestellt (und damit unter Beachtung der Regeln in den vorangehenden Kapiteln mindestens 2 Kennzahlen eingesetzt), lassen sich auf einen Blick Tendenzen und Handlungsbedarfe deutlich erkennen.

9 F ixe Kosten einer Pflegeeinrichtung sind alle Kosten, die unabhängig von einer Leistungserbringung entstehen, z. B. Raummieten, techn. Geräteausstattung, Kfz etc. Sie sind prospektiv planbar. 10 ßVariable Kosten entstehen in Abhängigkeit zur Leistungserbringung, z. B. Benzinkosten. Personalkosten können in Pflegeeinrichtungen grundsätzlich auch als variable Kosten betrachtet werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Pflegeeinrichtung in Bezug auf die vertraglich gebundenen Mitarbeiter sehr flexibel, ggf. auch durch Einsatz von Zeitarbeitskräften, auf Auslastungsschwankungen reagieren kann.

Mit Kennzahlen effizient steuern

85

EXKURS LEISTUNGSPLANUNG Bei der Kennzahl „Kostendeckung“ werden Kosten und Erlöse gegenübergestellt. Einige Kosten sind problemlos erfassbar und unvermeidbar, z. B. Raummieten, Mietnebenkosten oder Versicherungen (sogenannte Fixkosten), andere dagegen sind von der Menge erbrachter Leistungen (variable Kosten) abhängig. Für beide Kostenarten kommt der Leistungsplanung, im stationären Bereich ist dies die Auslastungsplanung der Einrichtung unter Berücksichtigung des Pfleggradmix, eine wesentliche Aufgabe zu. Voraussetzung für eine erfolgreiche Leistungsplanung ist es allerdings, dass der für die genannte Auslastung erforderliche Sachmittel- und Personaleinsatz nach Menge und Umfang und damit auch kostenmäßig mit einem hohen Prozentwert an Sicherheit bekannt ist. Ist dies der Fall, kann die Einrichtung mit einer höheren Flexibilität vor allem auf Auslastungsschwankungen reagieren.

6.2.3  Umsatzrendite Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Kennzahl „Umsatzrendite“ weist den Erfolg der wirtschaftlichen Tätigkeit zum Stichtag, z. B. am Ende einer Betrachtungsperiode, aus. Ähnlich wie die Kennzahl „Kostendeckung“ werden bei dieser Kennzahl Kosten und Erlöse gegenübergestellt, bei der Umsatzrendite allerdings lediglich das ordentliche Betriebsergebnis. Beim ordentlichen Betriebsergebnis werden ausschließlich die tatsächlich für den betrieblichen Zweck der Pflegeeinrichtung entstandenen Erlöse und Kosten berücksichtigt. Beteiligungserlöse an anderen Gesellschaften, Verkauf von Grundstücken oder Gebäuden, Zinserträge oder Zinsaufwendungen, sonstige außerordentliche Erträge und Aufwendungen oder Steuern etc. würden den tatsächlichen Erfolg der Einrichtung aus seiner Kerntätigkeit verfälschen. Bedeutung und Nutzen Bei der Ermittlung der Umsatzrendite einer Pflegeeinrichtung werden ausschließlich die Kosten und Erlöse aus der Kerntätigkeit der Einrichtung, Betreuung und Pflege, herangezogen. Damit erhält die Einrichtung eine konkrete Aussage darüber, ob und in welchem Umfang diese Kerntätigkeit wirtschaftlich erfolgreich ist oder nicht. Diese Kennzahl mag

86

Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

für kleinere Einrichtungen, die nur wenig außerordentliche Kosten und Erlöse haben, von geringerer Bedeutung sein, allerdings ist sie vor allem für die Gesellschafter einer Einrichtung, soweit sie nicht mit dem Betreiber identisch sind, durchaus von hoher Bedeutung.

6.2.4  Debitorenlaufzeit (Liquidität / Cash-Flow) Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Im Rahmen der Buchführung einer Pflegeeinrichtung werden die Heimbewohner als Debitoren bezeichnet, die Pflege- oder Betreuungsleistungen erhalten. Bis zur Bezahlung der hierzu erstellten Rechnungen gelten diese als Schuldner und es bestehen Forderungen ihnen gegenüber. Mit der Kennzahl „Debitorenlaufzeit“ wird bestimmt, wie viele Tage es im Durchschnitt dauert, bis die Kunden (Debitoren) ihre Rechnung bezahlen. Formel =  Forderungen aus Leistungen × 360 = Debitorenlaufzeit in Tagen Gesamtleistungen Bedeutung und Nutzen

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Die Kennzahl „Debitorenlaufzeit“ ist insbesondere hinsichtlich der Liquidität, konkret der Zahlungsfähigkeit, der Einrichtung interessant. Die Einrichtung muss regelmäßig Löhne und fixe Kosten wie Mieten, Abschlagszahlung für Energie, Leasinggebühren etc. bezahlen, ist also umgekehrt auf die regelmäßige Bezahlung der erbrachten Leistungen angewiesen. Soweit mit den Kunden vertraglich z. B. ein Bankeinzug vereinbart wurde oder erbrachte Leistungen unmittelbar mit den Kostenträgern abgerechnet werden, entstehen hier naturgemäß weniger Probleme. In allen anderen Fällen können durch säumige Kunden erhebliche finanzielle Engpässe für die Einrichtung und z. B. durch Kreditaufnahmen auch wirtschaftliche Schäden entstehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in Bezug auf die Abrechnung mit Kostenträgern eine angemessene Debitorenlaufzeit gegeben ist und es überwiegend bei den Heimbewohnern, die privat versichert sind, sogenannte Selbstzahler, zu Forderungsausfällen kommen kann. Die insgesamt im Rahmen der Abrechnung mit Kostenträgern und Selbstzahlern entstehenden Risiken können in Verbindung mit z. B. einer Kennzahl „Erlösanteil Selbstzahler“ oder „Erlösanteil nach Kostenträgern bzw. Leistungsart“ nä-

87

her gefasst und bewertet werden. Nur der guten Ordnung halber sei angemerkt, dass in diese Kennzahl lediglich Forderungen einbezogen werden können, die auch als solche geltend gemacht wurden. Nicht erfasste, bzw. nicht geltend gemachte Forderungen (weitere Kennzahl!) sind hier nicht berücksichtigt. Die Kennzahl erlaubt durch regelmäßige Anwendung einen Vergleich über mehrere Monate oder Jahre und gibt Hinweise, inwieweit sich das Zahlungsverhalten der Kunden oder aber das Forderungsmanagement der Pflegeeinrichtung ändert. Dies ist wiederum Voraussetzung für ein aktiv betriebenes Forderungsmanagement. Für monatliche Betrachtungen dieser Kennzahl sollten die durchschnittlichen Forderungen und Umsatzerlöse der jeweils letzten 12 Monate, also im Sinne eines rollierenden Systems, genutzt werden.

6.2.5  Auslastung der Einrichtung 6.2.5.1  Auslastung allgemein Eine Schlüsselkennzahl für Pflegeeinrichtungen ist die Steuerung der Auslastung der vorhandenen Kapazität der Einrichtung. Ausgangspunkt hierfür ist die absolut mögliche Kapazität, umgerechnet in Tage eines betrachteten Zeitraums, regelhaft ist dies das Wirtschaftsjahr. Verfügt eine Einrichtung über 100 Betten, sind in einem Nichtschaltjahr bei 365 Tagen insgesamt 36.500 Pflegetage als Gesamtkapazität der Einrichtung möglich. Bedingt durch z. B. Todesfälle oder Umzüge von Heimbewohnern wird eine Einrichtung auch bei bestem Bewohnermanagement kaum eine Auslastung von 100 % erreichen. Daher bleibt die Berechnung des Auslastungsgrades allgemein lediglich eine Bezugskennzahl, die z. B. im Rahmen der Pflegesatzverhandlung als absoluter Ausgangswert herangezogen werden kann. Bei den Berechnungen der nachfolgenden Kennzahlen ist grundsätzlich der im Versorgungsvertrag festgelegte Auslastungsgrad als Gesamtkapazität heranzuziehen. Die Differenz dieser vertraglichen Festlegung und der möglichen Maximalkapazität kann jedoch als zusätzliches Potenzial der Einrichtung gesehen werden. Bei allen nachfolgenden Kennzahlen zur Einrichtung sind gesetzliche Auflagen, z. B. die Vorgabe Verteilung Einzelzimmer zu Doppelzimmer, aber auch einrichtungsinterne Strukturen, z. B. eingestreute Betten Kurzzeitpflege oder Kurzzeitpflegestation etc., zu berücksichtigen, da sich die-

88

Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

se Regelungen und Strukturen erheblich auf die tatsächliche Belegung und die Fähigkeit zur Neubelegung bei Ausfällen von Heimbewohnern auswirken können. Wie im Kapitel 5 ausgeführt, gewinnen die nachfolgenden Kennzahlen erst an Bedeutung, wenn sie in einen mindestens zeitlichen Vergleich, regelhaft monatlich, gestellt werden. Nur so lassen sich z. B. Auslastungen im Jahresabgleich erkennen und damit z. B. weiterführende Personalplanungen ableiten. Gerade in Bezug auf mögliche Personalplanungen sind auch Vergleich über mehrere Perioden sinnvoll, um z. B. für die Einrichtung typische Ausfallsituationen erkennen und darauf reagieren zu können.

6.2.5.2  Auslastung nach Belegungstagen Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Berechnung des Auslastungsgrades nach Belegungstagen erfasst alle Tage der Einrichtung, die vertraglich gesichert Heimbewohnern zur Verfügung gestellt werden. Ob der Heimbewohner anwesend ist oder nicht, wird bei der Berechnung dieses Auslastungsgrades nicht berücksichtigt. Die Formel lautet: Formel =  Vermietete Tage = Belegungstage × 100 Gesamtkapazität der Einrichtung Bedeutung und Nutzen

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Der Auslastungsgrad nach Belegungstagen ist ein Indikator für zwei mögliche Faktoren. Einerseits gibt diese Kennzahl einen Hinweis auf den Bekanntheits- oder Beliebtheitsgrad der Einrichtung, andererseits kann sie einen deutlichen Hinweis auf den Wirkungsgrad eines vorhandenen Belegungsmanagements geben, wenn es denn überhaupt ein solches Management gibt. Gerade der letztgenannte Faktor ist in vielen Einrichtungen ein deutlicher Schwachpunkt. Selten wird eine Einrichtung nicht über sogenannte Wartelisten verfügen, vor allem wenn eine Etablierung der Einrichtung am örtlichen Markt gegeben ist und der Bedarf entsprechend hoch ist. Belegungsmanagement bedeutet allerdings nicht, wie oft erlebt, das Abarbeiten der Wartelisten. Vielmehr muss die Einrichtung bei Wegfall von Heimbewohnern so nachbelegen, dass weitere Aspekte,

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z. B. Anzahl der vorhandenen Pflegekräfte, Zuordnung zu Wohnbereichen etc. zuerst beachtet werden. Daher ist hierfür der Einsatz weiterer Kennzahlen unabdingbar. Auch für die Erhöhung des Bekanntheitsgrades der Einrichtung lassen sich Maßnahmen ergreifen, sei es regelmäßige Präsenz in Lokalanzeigern, unmittelbare Kontaktaufnahme mit Krankenhäusern oder Ärzten oder auch regelmäßige Öffnung der Einrichtung im Rahmen von „Feiertagen“. Der Auslastungsgrad nach Belegungstagen erlaubt der Einrichtung einen direkten oder indirekten Vergleich der in der gleichen Region vorhandenen Einrichtungen, mithin also einen Marktvergleich bzw. ein Ranking.

6.2.5.3  Leerstandstage (Exkurs) Eine umgekehrte Kennzahl zur Auslastung nach Belegungstagen ist die Kennzahl „Leerstandstage“, die konkret die Zahl der Tage angibt, an denen Heimplätze hätten vermietet werden können. Mit dieser Kennzahl können in Verbindung mit den Tagespflegesätzen konkrete Berechnungen über das in der Einrichtung vorhandene wirtschaftliche Potenzial vorgenommen werden.

6.2.5.4  Auslastung nach Pflegetagen Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Auslastung nach Pflegetagen erfasst alle Tage, an denen der Heimbewohner tatsächlich anwesend war, und setzt sie in ein Verhältnis zur Gesamtkapazität der Einrichtung. Formel = 

Anwesenheitstage/Pflegetage Gesamtkapazität der Einrichtung

× 100

Bedeutung und Nutzen Die Berechnung der Pflegetage wird zu dem niedrigsten Auslastungsgrad der Einrichtung führen und damit zur absoluten Untergrenze der Auslastung. Die Kennzahl ist dann wiederum Ausgangsbasis weiterer Berechnungen, z. B. des Personal-Solls der Einrichtung. Bei der Auswertung dieser Kennzahl ist jedoch zu berücksichtigen, dass gerade die Tage der Abwesenheit von Heimbewohnern, z. B. auf-

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

grund von Krankenhausaufenthalten, nur schwer steuerbar sind und in einem engen Zusammenhang mit dem Pfleggradmix bzw. der Auslastung nach Pflegegraden zu sehen sind. Dennoch können bei einer Betrachtung über z. B. mehrere Wirtschaftsjahre, typische Auslastungsschwankungen (Herbst und Frühjahr) identifiziert werden und bei z. B. der Personalbesetzung angemessen berücksichtigt werden.

6.2.5.5  Auslastung nach Berechnungstagen Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Bei der Berechnung der Auslastung nach Berechnungstagen werden die Abwesenheitstage der Heimbewohner um die per Vertrag geregelten virtuellen Anwesenheitstage des Bewohners, z. B. bei Krankenhausaufenthalten 3 volle Kalendertage nach Einweisung in das Krankenhaus, erhöht. Die Formel lautet Berechnungstage Formel =  Gesamtkapazität der Einrichtung× 100 Bedeutung und Nutzen

KAPITEL 6

Auch wenn die Formel einfach erscheint, setzt dies jedoch eine entsprechende administrative Vorarbeit und korrekte und vollständige Erfassung der Berechnungstage voraus. Dennoch ist diese Kennzahl die für die Berechnung der Wirtschaftlichkeit der Einrichtung bedeutendste Kennzahl, die in Verbindung mit den Tagespflegesätzen die tatsächliche Erlössituation der Einrichtung aufzeigt. Bei der Erstellung von Finanz- und Wirtschaftsplänen, z. B. zur Ermittlung des Break-Even-Punktes der Einrichtung, sollte daher bevorzugt diese Kennzahl als Indikator für die Erreichung des wirtschaftlichen Ziels der Einrichtung herangezogen werden.

6.2.6  Break-Even-Point Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Bedeutung des Break-Even-Punktes (oder kurz Break-Even) für ein Unternehmen wurde bereits in Ziffer 6.2.1 angesprochen. Bei der Berechnung des Break-Even werden alle in einer Periode (grundsätzlich das

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Wirtschaftsjahr) generierten Erlöse den entstandenen Kosten sowohl in einer Finanzplanung und in einer IST-Rechnung gegenübergestellt. Für Senioreneinrichtungen kann der Break-Even in zweifacher Hinsicht eingesetzt werden. So z. B. bei der Frage, ab welcher Anzahl an Heimbewohnern bei vorhandenen bzw. bekannten Kosten eine neu im Markt zu etablierender Einrichtung in die Gewinnzone kommen wird. Für etablierte Einrichtungen wird der Break-Even im Rahmen der Erstellung und Steuerung der jährlichen Wirtschafts- bzw. Finanzplanung herangezogen. Für die Berechnung der Erlöse werden hierzu als Ausgangskennziffer die geplanten Berechnungstage, multipliziert mit den Tagespflegesätzen eingesetzt. Diese Berechnungstage stellen im betriebswirtschaftlichen Sinn die Leistungsplanung der Einrichtung dar, die mit einer entsprechenden Ressourcenplanung, d. h. Sachmittel und Personal und damit mit Kosten verbunden ist. Typischerweise wird in Pflegeeinrichtungen der Break-Even sehr spät im Jahr erreicht. Eine Reaktion nach diesem Zeitpunkt würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf das laufende Wirtschaftsjahr auswirken. Daher wird die dringende Empfehlung ausgesprochen, die Entwicklung der Zahlen der Einrichtung von Beginn des Wirtschaftsjahres an zu ermitteln und mit einem geeigneten Diagramm zu verfolgen (vergleiche hierzu Kapitel 5). Die Steuerung des Break-Even einer Pflegeeinrichtung ist naturgemäß von höherer Komplexität als die bei einer reinen Produktion von z. B. Einzelprodukten. In der Pflegeeinrichtung muss z. B. die Kostenund Erlöskurve in Abhängigkeit zu den Berechnungstagen nach Pflegegraden gesehen werden, die höchst variabel sein können und ein angemessenes und effektives Belegungsmanagement und Personalmanagement voraussetzen. Daher sollte grundsätzlich eine Steuerung des Break-Even immer mit Instrumenten vorgenommen werden, die die Auswirkung bei Belegung mit unterschiedlichen Pflegegraden auf die Kosten- und Erlössituation aufzeigen kann. So sollte bei dem Ankauf einer Steuerungs-Software gerade dieser Aspekt der Simulation von Belegungssituationen berücksichtigt werden.

6.2.7  Pflegegradmix Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Kennzahl Pflegegradmix gibt der Einrichtung einen Hinweis, wie im Durchschnitt die Heimbewohner in Pflegegrade eingestuft sind, und,

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

eine entsprechende Zeitreihendarstellung vorausgesetzt, wie sich diese Zusammensetzung im Verlauf eines Betrachtungszeitraums entwickelt. Hierzu werden die Pflegegrade aller Bewohner addiert und durch die Anzahl der Patienten dividiert. Formel = 

Summe der Pflegegrade × 100 Anzahl der Heimbewohner

Bedeutung und Nutzen

KAPITEL 6

Diese absolut einfach zu ermittelnde Kennzahl ist eine wichtige Voraussetzung für eine verursachungsgerechte Ermittlung des tatsächlichen Pflege- und Betreuungsbedarfs der Einrichtung. Aus ihr können bei korrekter und regelmäßiger Anwendung der Kapazitätsbedarf (Personalund eingeschränkt Sachmittel) abgeleitet werden. Diese Kennzahl gibt auch Hinweise darauf, wie lange eine Einrichtung einen Heimbewohner tatsächlich wird betreuen können. Hier ist anzunehmen, dass ein Pflegebedürftiger in einem höheren Pflegegrad entsprechend weniger lange in der Einrichtung verbleibt und auch mehr Tage durch Krankenhausaufenthalte verzeichnen wird. Ein hoher Pflegegradmix setzt entsprechend viele Pflegebedürftige im hohen Pflegegrad voraus. Eine Auslastungsplanung mit einem hohen Pflegegradmix birgt grundsätzlich die Gefahr, dass im Verlauf des Jahres durch Ausfälle von Heimbewohnern mit hohem Pflegegrad nicht adäquat nachbesetzt werden kann und damit Erlösausfälle entstehen. Hier, wie bei anderen Kennzahlen, ist das Heranziehen weiterer Kennzahlen, konkret die aktuelle Personalbesetzung nach VZK und unterteilt in Fachkräfte und Hilfskräfte bzw. die Etablierung eins Belegungsmanagements unabdingbar.

6.2.8  Belegungsmanagement (Exkurs) Weniger eine Kennzahl als vielmehr die Voraussetzung für die Steuerung der Auslastung einer Einrichtung ist ein Belegungsmanagement vor allem für größere Einrichtungen außerordentlich sinnvoll. Die Neubelegung von Heimbetten, sei es durch Ausfälle oder aber durch Ausgleich einer suboptimalen Auslastung sollte und darf nicht auf der Grundlage eines Zufallsprinzips beruhen oder sich auf die Abarbeitung einer ggf. bestehenden Warteliste beschränken.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Als Basis für ein funktionierendes Belegungsmanagement kann die Leistungsplanung der Einrichtung (vgl. hierzu Break-Even) herangezogen werden, der wiederum Berechnungstage und hier geplante Bewohnerzahlen in unterschiedlichen Pflegegraden zugrunde gelegt werden. Ergebnis dieser Planungen ist nicht zuletzt eine Personalbesetzung und ein Sachmittelaufwand für eine laufende Wirtschaftsperiode. Als Durchschnitt für stationäre Einrichtungen gilt ein Verhältnis zwischen diesen beiden Kostenarten von ca. 65 % Personalkosten zu 35 % Sachkosten. Ein hoher Anteil der Sachkosten sind fixe Kosten, also im Verlauf der Periode nicht änderbare Kosten, wobei diese Kosten durch den einheitlichen Einrichtungspflegesatz unabhängig vom Pflegegrad refinanziert werden können. Anders sieht es jedoch bei den Personalkosten aus. Aufgrund gesetzlicher Auflagen und Richtlinien hinsichtlich der erforderlichen Personalstärke im Pflegebereich, die je nach Bundesland unterschiedlich sind, geht mit der Änderung der Pflegegradzusammensetzung gleichzeitig auch eine Änderung der Personalstärke und damit der refinanzierten Personalkosten einher. Sind also die Personalkosten mit einem hohen Pflegegradmixes kalkuliert worden, muss die Einrichtung bei der Neubelegung versuchen, diesen Pflegegradmix zu halten oder sogar – geringfügig – zu überschreiten. Geringfügig deshalb, weil eine gravierende Überschreitung zwangsläufig zu einer höheren Personalstärke führt, also Nachbesetzungen vorgenommen werden müssen, die bei einer „Normalisierung“ des Pflegegradmix dann entweder wieder zu einer Entlassung von Mitarbeitern führen kann oder aber es werden Anteile der Personalkosten nicht durch Erlöse refinanziert. Beide Situationen können nicht im Interesse der Einrichtung sein. Ein Belegungsmanagement, unterstützt durch die Möglichkeiten der digitalen Welt von Pflege 4.0, kann die Einrichtung unterstützen, durch Simulation der Neubelegung mit unterschiedlichen Szenarien die entsprechenden Auswirkungen zu erkennen und danach in optimierter Weise handeln zu können. Auch im umgekehrten Fall, nämlich der Unterschreitung des Pflegegradmix kann und wird auf Dauer zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen dann führen, wenn die Einrichtung nicht durch Anpassung der Personalstärke auf diese Unterschreitung reagiert. Auch das kann und wird nicht im Interesse der Einrichtung sein, vor allem wenn die Einrichtung regional so verortet ist, dass sie zu Mitbewerbern in Konkurrenz um Pflegekräfte steht. Aus verschiedenen aktuell veröffentlichten Statistiken können unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf das Angebot an Betten und den tat-

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

sächlichen Bedarf herausgelesen werden. Vielfach wird sogar von einem Überangebot an Pflegebetten im Vergleich zum tatsächlichen Bedarf gesprochen. Unberücksichtigt bleibt dabei der tatsächliche Bedarf an pflegerischen Leistungen, die sich in der Zahl der „Pflegebedürftigen“ ausdrückt und die durch ambulante und stationäre Einrichtungen gedeckt werden muss. Bei dieser Betrachtung sieht der „Markt“ für eine stationäre Pflegeeinrichtung ganz anders aus. Mit einem geeigneten Belegungsmanagement und adäquaten Marketingmaßnahmen kann eine stationäre Einrichtung erfolgreich den Wettbewerb um bislang ambulant versorgte Pflegebedürftige aufnehmen.

6.2.9 Erlös-Anteile wichtiger Leistungsarten im Bereich Pflege gemessen an den gesamten Erlösen als Indikatoren (Grundformel) Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Diese Kennzahl setzt einzelne, wichtige Erlösarten in ein Verhältnis zu den gesamten Erlösen der Einrichtung. Typische Erlösarten einer Pflegeeinrichtung sind Erlöse aus – – – – – –

vollstationärer Pflege, Kurzzeitpflege, soweit vorhanden Tagespflege, zusätzliche Betreuung und Aktivierung gemäß §43 SGB XI, Unterkunft und Verpflegung sowie aus dem Investitionsbeitrag. Erlöse aus Erlösart X × 100 Gesamterlöse

KAPITEL 6

Formel = 

Die Formel kann erweitert werden, indem die Erlöse aus pflegerischen Leistungen einzelnen Pflegegraden zugeordnet wird. Bedeutung und Nutzen Hier wie in bei anderen Kennzahlen bietet der Erlösanteil an den Gesamterlösen einen nur groben Überblick über die Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit. Erst in Verbindung mit weiteren Kennzahlen, nämlich der Zuordnung von Kosten auf z. B. die oben genannten typischen Erlösarten, gewinnt man eine weiterführende Erkenntnis über z. B. die

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Übersicht Kostenrechnung Wirtschaftlichkeit pflegerischer Bereiche, z. B. Kurzzeit- und Tagespflege. Dies setzt natürlich die entsprechende korrekte Zuordnung der Kosten sowie eine sinnvoll etablierte Kosten- und Leistungsrechnung der Einrichtung voraus. EXKURS KOSTENRECHNUNG Bei der Kostenrechnung als Teil der Kosten- und Leistungsrechnung werden alle entstehenden Kosten einer Einrichtung in sogenannten Kostenarten, z. B. Personalkosten, Kosten für den med. Bedarf, Mieten, Betriebsnebenkosten etc., erfasst. Damit wird die Fragestellung, „welche Kosten sind entstanden“, beantwortet. Im nächsten Schritt werden diese Kostenarten sogenannten Kostenstellen, z. B. Wohnbereiche, Küche und Restaurant etc., zugeordnet. In diesem Schritt wird die Frage beantwortet: „Wo sind diese Kosten entstanden?“. Im dritten Schritt werden die Kosten demjenigen, z. B. einem Heimbewohner bzw. dem Ereignis, z. B. einem Tag der offenen Tür, zugeordnet, für den diese Kosten ent-

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

standen sind, dem sogenannten Kostenträger (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Kostenträger, der z. B. auch für die Pflegekasse bei der unmittelbaren Refinanzierung der Pflegebeiträge verwendet wird), Damit wird die Frage beantwortet, „für wen sind diese Kosten entstanden“. Die Schwierigkeit bei der selbst für kleinere Einrichtungen nicht ganz einfachen Vorgehensweise liegt in der korrekten Zuordnung der Kosten auf dem Weg zu dem jeweiligen Kostenträger. Dies setzt zwar Feinarbeit voraus, die sich aber in jedem Fall durch entsprechende Erkenntnis, wo eigentlich in der Einrichtung typische Kostenfallen versteckt sind, belohnt wird.

6.2.10 Sachkostenanteile wichtiger Sachkosten an den Gesamtkosten oder den gesamten Sachkosten Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Kennzahl kann sowohl das Verhältnis der einzelnen Sachkosten zueinander (Variante 1) oder aber im Verhältnis zu den Gesamtkosten (Variante 2) darstellen. Die jeweiligen Kostenanteile werden hierzu durch die gesamten (Sach-)Kosten einer Betrachtungsperiode dividiert. Formel =  Sachkosten (z. B. Med. Bedarf) Sachkosten GESAMT KAPITEL 6

Bedeutung und Nutzen Die Verwendung der Kennzahl und die Ermittlung der entsprechenden Anteile ist in einigen Bundesländern grundlegende Voraussetzung für die Vorbereitung und Durchführung von Pflegesatzverhandlungen. Hierzu wird z. B. in Nordrhein-Westfalen oder Bayern eine Matrix verwendet, in der die entsprechenden Kostenarten, zusammengefasst in Gruppen auf die Bereiche Pflege, Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten, aufgeteilt sind. Die Zahlen lassen sich aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung der Einrichtung leicht herauslesen, immer vorausgesetzt, dass die Kosten bei der vorgeschriebenen Buchung nach der Pflegebuchführungsverordnung auch korrekt verbucht wurden. Das

Mit Kennzahlen effizient steuern

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ist nach der Erfahrung der Autoren leider nicht immer der Fall und führt im Einzelfall zu fehlerhaften Zuordnungen von Kosten beim Ausfüllen der Kostenmatrix für die Pflegesatzverhandlung. Für das Bundesland Bayern kann eine Kostenmatrix wie folgt aussehen: Wird gemäß der Pflegebuchführungsverordnung korrekt gebucht, lässt sich diese Matrix nicht nur leicht befüllen. Mit geringfügigen Erweiterungen kann sie als Basis für die Ermittlung der Kennzahlen Kostenanteile herangezogen werden. Da in die Matrix Gesamtjahreswerte einzutragen sind, muss sie allerdings noch auf Monatswerte übertragen werden. Der Einsatz der Kennzahl Sachkostenanteile, gleich ob Variante 1 oder Variante 2 macht vor allem dort Sinn, wo Einsparpotenzial durch z. B. Optimierung des Einkaufs, Standardisierung von Produkten, z. B. Handschuhe, oder bei Trägern Bündelung von Umsatzvolumen, z. B. Rahmenverträge mit Leasingfirmen, erkannt oder vermutet wird und erschlossen werden soll. Bei den o. g. Ausführungen wird vorausgesetzt, dass die in der Einrichtung entstehenden Kosten weiteren Leistungsbereichen, nicht zum Kerngeschäft gehörenden Leistungsbereichen, z. B. Essen auf Rädern, Schulversorgung, Kioskbetrieben und sonstigen Dienstleistern wie Friseur, Hausmeisterdienste für Betreutes Wohnen etc., im Rahmen der Kostenstellenrechnung zugeordnet werden und die Kennzahl für jede einzelne Kostenstelle ermittelt wird. Da bei stationären Einrichtungen der Prozentanteil einzelner Sachkosten im Vergleich z. B. zu den Personalkosten eher gering sein dürfte, ist sehr intensiv zu prüfen, ob der Aufwand, in diesem Bereich Ersparnisse erreichen zu wollen, den finanziellen Erfolg tatsächlich rechtfertigt. Bei der Annahme eines Sachkostenanteils für z. B. Lebensmittel i.H.v. ca. 8 % – 12  % würden selbst bei einer sehr ambitionierten Ersparnis von 10 % dieser Sachkosten lediglich 0,8  % auf die Gesamtkosten erreicht werden. Um wie viel mehr könnte man bei intensiver Prozessoptimierung im Bereich des Personaleinsatzes erreichen, da erfahrungsgemäß der Personalkostenanteil sehr hoch ist und bereits deutlich niedrigere Prozentwerte bei Optimierungsmaßnahmen den gleichen wirtschaftlichen Erfolg zeitigen. Umgekehrt stellt der regelmäßige Einsatz der Kennzahl bzw. deren Entwicklung bezogen auf einzelne Sachkosten auch einen Indikator dar, ob die Einrichtung die entstandenen Kosten eben nicht nur als etwas Negatives oder Belastendes sieht. So können Kosten, die z. B. im Rahmen der Personalentwicklung durch Aus-, Fort- und Weiterbildung als

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Kostenmatrix Bayern

KAPITEL 6

Investition gesehen werden, die wiederum langfristig zu einer höheren Fachkompetenz und damit höheren Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter führen. Die Investition in eine zeitgemäße Ausstattung der Mitarbeiter, z. B. in digitale Erfassungssysteme, können erheblich zur Zeitersparnis beitragen und sollten als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Hier dient der Gebrauch der Kennzahl in Verbindung mit weiteren, qualitativen oder motivatorischen Kennzahlen, mit denen konkret die angesprochene Zeitersparnis oder höhere Fachkompetenz erfasst werden, zur Auswertung und Kontrolle der getätigten Investition.

6.2.11 Personalintensität (Personalkosten-Quote) Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Kennzahl „Personalintensität“ zeigt den Anteil an den Gesamtkosten oder auch an den Umsatzerlösen einer Pflegeeinrichtung auf, der für den Einsatz vertraglich mit der Einrichtung gebundenen Mitarbeitern aufgewendet werden muss. Hierzu müssen die gesetzlich vorgegebenen oder vertraglich vereinbarten Nebenkosten und, im weiteren Sinne,

Mit Kennzahlen effizient steuern

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auch Kosten, die für die Rekrutierung, Ausbildung, Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern entstehen, hinzugerechnet werden. Nicht zu den Personalkosten zählen Kosten für Leiharbeitskräfte, die den Sachkosten zugeordnet werden müssen. Bedeutung und Nutzen Stationäre Einrichtungen weisen naturgemäß mit ca. 65 % einen hohen Personalkostenanteil auf und sind daher anfällig für gesetzliche bzw. tarifvertragliche Änderungen oder Leistungsschwankungen. Alternative hierzu ist das Ausweichen auf Leiharbeitskräfte, woraus sich bei einer korrekten Verbuchung dieser Kräfte eine Reduzierung der Personalkosten und Erhöhung der Sachkosten ergibt. Und genau hier liegt in vielen Fällen ein Problem für diejenigen Einrichtungen, die gerne und häufig auf Leiharbeitskräfte, gleich in welchem Bereich, zurückgreifen. Auch wenn die Kosten für Leiharbeitskräfte als Sachkosten gebucht werden müssen, sollte grundsätzlich eine Umrechnung auf Vollzeitstellen im Rahmen einer regulären Einstellung vorgenommen werden. Flexibilität wird hier regelmäßig durch erhöhte Kosten bezahlt.

6.2.12 Stellenanteil Dienstarten Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Anzumerken ist, dass es aufgrund der Uneinheitlichkeit in unserem Land nicht möglich ist, jede Kennzahl dezidiert für jedes Bundesland hier aufzuführen. Auch werden Stellenschlüssel nicht in jedem Fall je Bundesland bundeslandeinheitlich vereinbart. Die angegebenen Zahlenwerte sind Richtwerte, die an Aktualität einer stetigen Veränderung unterliegen. Die für Sie zutreffenden Pflegepersonalschlüssel können Sie aus Ihren aktuellen Vergütungsvereinbarungen (z. B. LQM/LQV) entnehmen. Wir werden hier am Beispiel von: 1. 2. 3. 4.

100

Bayern NRW Brandenburg Berlin

Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

aufzeigen, wie sich diese Kennzahlen zusammensetzen können. Hier am Beispiel der Pflegekräfte. Sie könnten an dieser Stelle auch die Dienstarten: Heimleitung, Hauswirtschaft, Betreuung einsetzen. vollstationär Bayern

Brandenburg

Pflegegrad 1

1:6,70

Pflegegrad 1

1:4,21

Pflegegrad 2

1:3,71

Pflegegrad 2

1:3,28

Pflegegrad 3

1:2,60

Pflegegrad 3

1:2,89

Pflegegrad 4

1:1,98

Pflegegrad 4

1:2,25

Pflegegrad 5

1:1,79

Pflegegrad 5

1:1,76

Nordrhein-Westfalen

Berlin

Pflegegrad 1

1:8,00

Pflegegrad 1

1:7,25

Pflegegrad 2

1:4,66

Pflegegrad 2

1:3,9

Pflegegrad 3

1:3,05

Pflegegrad 3

1:2,8

Pflegegrad 4

1:2,24

Pflegegrad 4

1:2,2

Pflegegrad 5

1:2,00

Pflegegrad 5

1:1,8

Die Berechnung erfolgt anhand der Stellenschlüssel wie folgt am Beispiel Bayern: 80 Bettenhaus mit einer Belegung von: Pflegegrad 2: 24 Pflegegrad 3: 32 Pflegegrad 4: 18 Pflegegrad 5: 6 KAPITEL 6

Pflegegrad 2: 24 = 6,469 VK 3,71 Pflegegrad 3: 32 = 12,307 VK 2,60 Pflegegrad 4: 18 = 9,090 VK 1,98 Pflegegrad 5: 6 = 3,351 VK 1,79 Gesamtmitarbeiterzahl in VK: 34,568 VK

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Bedeutung und Nutzen Diese Zahlen sind für die punktgenaue Steuerung einer vollstationären Einrichtung wesentlich. Sie stehen mit dem notwendigen Pflegegradmix in unmittelbarem Zusammenhang. Sie dienen Ihnen als Einrichtungsleiter/Pflegedienstleiter zur Zieldefinierung und Zielerreichung. Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat. Die Konsequenz aus diesen Daten ist nicht die Entlassung von Mitarbeitern, sondern die Anpassung des Pflegegradmixes an die personelle und pflegerische Situation. Das bedeutet, in Zeiten des Mitarbeitermangels ist es möglich, den Pflegegradmix so abzusenken, dass die zur Verfügung stehenden Mitarbeiter wieder zu dem Pflegegradmix passen. In der Praxis ist das nicht immer so gegeben. Eine gewisse Elastizität gibt es an dieser Stelle schon. TIPP Es ist zu berücksichtigen, dass bei der Errechnung des Personalbedarfes die Fehlzeiten (Arbeitsunfähigkeit, Urlaub, Fortbildungen) bereits enthalten sind (Nettoarbeitszeit). Hier müssen Sie individuell ermitteln und ggf. abziehen. Es bleibt an dieser Stelle wertungsfrei, ob die Personalbemessungen und die Nichtanrechnung von durchschnittlichen (bundeseinheitlichen) Fehlzeiten richtig oder falsch sind, ob es auskömmlich oder nicht ist; die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht so abschneidet, wie es von seiner internationalen Stellung hergesehen werden müsste. Hier ist eindeutig „Luft nach oben“!

6.2.13 Mehrleistungsquote Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Kennzahl setzt die in einer Betrachtungsperiode geleisteten Mehrarbeitsstunden, also die Stunden, die Mitarbeiter über die vertraglich geregelte Arbeitszeit hinaus Leistungen erbracht haben, in das Verhältnis zu den vertraglich zu leistenden Arbeitsstunden. Formel =  Anzahl Mehrarbeitsstunden Anzahl Regelarbeitsstunden

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Bedeutung und Nutzen

KAPITEL 6

Diese Kennzahl kann auf eine ungeplante Leistungsausweitung und damit Überschreitung der eigentlichen Leistungsgrenze der Pflegeeinrichtung hinweisen, gibt aber andererseits auch konkrete Hinweise auf die tatsächliche Mehrbelastung oder sogar Überlastung der Mitarbeiter. Werden dauerhaft, also auch außerhalb der typischen, ferien- und feiertagsbedingten Engpässe, hohe Mehrleistungswerte verzeichnet, deutet dies auf die Notwendigkeit einer Anpassung der Mitarbeiterzahl hin. Diese Kennzahl lässt Aussagen über Mitarbeitermotivation und somit deren Leistungsbereitschaft zu. Um auch bei dieser Kennzahl die Aussagekraft zu erhöhen, sollten die Leistungsbereiche, in denen tatsächlich Mehrarbeit entsteht, eruiert und dementsprechend individualisiert gehandelt werden. Vor allem sollten alle Hinweise aufgenommen und analysiert werden, die auf einen mitarbeiterbedingten Engpass, z. B. hoher Krankenstand, schlechte Urlaubsplanung, Fluktuation etc., und damit Belastung der verbleibenden Mitarbeiter hindeuten. Hierzu können und sollten nicht zuletzt auch motivatorische Kennzahlen, also Kennzahlen aus dem Bereich der Personalführung, mit herangezogen werden. In einigen Bereichen des Gesundheitswesens beliebt, betriebswirtschaftlich jedoch nicht zwingend sinnvoll, ist die Nutzung der Mehrarbeitszeit zur willkommenen Einkommenserhöhung einzelner Mitarbeiter, die jedoch am Ende die Flexibilität der Pflegeeinrichtung einschränkt. In solchen Fällen sollte auch mit Widerständen der bisherigen Mitarbeiter bei Neueinstellungen gerechnet werden, da diese Neueinstellungen subjektiv als Nachteile empfunden werden, obwohl sich Pflegeeinrichtung objektiv gesehen optimiert. In jedem Fall ist die Kennzahl in einer Zeitreihe zu ermitteln, die sinnvoller Weise mit weiteren Kennzahlen für die gleichen Perioden in Bezug gesetzt werden solltet, z. B. die in den betrachteten Perioden erbrachten Leistungen oder aber die in der betrachteten Periode erbrachten Leistungsstunden. Mehrleistungen werden grundsätzlich immer dann entstehen, wenn der Nachfrage nach Leistungen kein Angebot in Form von Leistungsstunden der Mitarbeiter gegenübersteht. Liegen umgekehrt Mehrstunden vor, so muss es zwingend entweder – eine Ausweitung der Nachfrage geben oder aber – ein reduziertes Angebot an Leistungsstunden durch z. B. Urlaube, Krankheiten etc.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Vergleich Leistungsstunden, Mehrstunden mit Umsätzen

Wird also die Kennzahl Mehrleistungsquote herangezogen, sollte sie regelmäßig mit den beiden genannten Kennzahlen, optimaler Weise als grafisch dargestellte Zeitreihe, in Bezug gesetzt werden. Eine solche Grafik lässt auf einen Blick erkennen, ob die Mehrleistungsquote als Kurve ähnlich verläuft, wie die Kurve der beiden anderen betrachteten Kennzahlen. Das Diagramm stellt mit der gestrichelten Linie die tatsächlich erbrachten Leistungsstunden der Pflegeeinrichtung dar, die gepunkteten Linie weist den damit erzielten Umsatz aus. Die durchgezogenen Linie dagegen zeigt die Mehrleistungsquote in % auf. Bemerkenswert bei dieser (überzeichneten) Darstellung ist, dass Leistungsstunden und Erlöse zunächst weitgehend parallel verlaufen, der Nachfrage steht also ein entsprechendes Angebot gegenüber und die Mehrleistungsquote ist auf niedrigem Niveau. In der Periode 5 gibt es eine geringe Leistungsausweitung, dargestellt in einer grünen Spitze, der mit einer höheren Mehrleistungsquote begegnet wird. Ob jedoch die Mehrleistungsquote in dieser Höhe gerechtfertigt ist, muss durch eine genauere Monatsbetrachtung geklärt werden. Möglicherweise gab es in der Periode 5 z. B. Pfingstferien oder Krankheitsausfälle. In der Periode 6 gibt es ein hohes Leistungsangebot, aber eine geringe Nachfrage, daher auch eine geringe Mehrleistungsquote. Auch hier sollte die Höhe der Quote überprüft werden, da sie bei kritischer Betrachtung immer noch zu hoch zu sein scheint.

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Zunächst gar nicht nachvollziehbar ist die hohe Quote in der Periode 8, da es keine wirklich nennenswerte Leistungsnachfrage gibt, die Mehrleistungsquote dagegen den höchsten Wert seit Jahresbeginn aufweist. Das genannte Beispiel sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sollen noch einmal deutlich aufzeigen, dass mit Kennzahlen lediglich Indikatoren entwickelt und etabliert werden, konkrete und für die Optimierung relevante Daten jedoch durch genauere Analyse der Basisdaten gewonnen werden müssen. Und weiterhin zeigt das Beispiel deutlich auf, dass nur durch die Kombination mehrerer Kennzahlen miteinander mögliche organisatorische oder wirtschaftliche Risiken aufdeckt und ggf. sogar der Hebel, mit denen diese Risiken minimiert werden können, identifiziert werden kann.

6.2.14 Pflegefachkraft-Quote Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die Pflegefachkraftquote stellt die in Pflegeeinrichtungen gebundenen Pflegefachkräfte mit ihren arbeitsvertraglich geregelten Stunden in ein Verhältnis zu den insgesamt arbeitsvertraglich geregelten Stunden aller Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung und der des gesetzlichen Anspruches. Der Gesetzgeber regelt dazu je nach Bundesland diese Kennzahl. Anbei das Beispiel aus Nordrhein-Westfalen:

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Gesetz zur Änderung des Wohn- und Teilhabegesetzes (NRW) Vom 11. April 2019 (4) Sofern kein Personalbemessungssystem im Sinne von Absatz 3 Satz 2 vorliegt, müssen jeweils mindestens die Hälfte der mit sozialen beziehungsweise pflegerischen betreuenden Tätigkeiten beauftragten Beschäftigten Fachkräfte sein. Die Berechnung erfolgt anhand der Vollzeitäquivalente und, soweit vorhanden, auf der Grundlage der in den Vereinbarungen nach Absatz 3 festgesetzten Personalmengen. Sofern über diese Vereinbarungen hinaus Personal eingesetzt wird, ist gesondert darzulegen, wie die fachliche Anleitung, Beratung und Aufsicht der durch dieses Personal ausgeübten Tätigkeiten gewährleistet wird. Im Übrigen bleibt dieses zusätzliche Personal bei der Berechnung der Fachkraftquote außer Betracht. Die zuständige Behörde kann für einen Zeitraum von drei Monaten geringfügige Unterschreitungen der Quote nach Satz 1 dulden, solange keine Mängel auftreten, die auf eine unzureichende Fachkraftpräsenz

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zurückzuführen sein könnten und die fachliche Anleitung, Beratung und Aufsicht der Beschäftigten gewährleistet ist. So oder so ähnlich sind die Vorschriften in allen Bundesländern formuliert. Das Verhältnis kann in Form des reinen Stundenvergleichs erfolgen oder aber durch Hochrechnung in Vollzeitkräfte. Anzahl Fachkräfte (VZK) Formel =  Anzahl Mitarbeiter Gesamt (VZK) Bedeutung und Nutzen Ausgehend von der Tatsache, dass die vollstationäre Pflegeeinrichtung, relativ bundeslandeinheitlich, bestimmte Leistungen nur durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte erbringen darf, kommt der Kennzahl ein besonderes Gewicht bei der Leistungsplanung der Pflegeeinrichtung zu. Grundsätzlich gibt es wenig Spielraum in Bezug auf die Fachkraftquote. Die Praxis zeigt jedoch erhebliche Flexibilitäten, die sich der jeweiligen regionalen Pflegefachkraftverfügbarkeit und somit der gelebten Realität vor Ort anpassen können. Die Anzahl und Menge der Fachkräfte wird aus den meist individuell verhandelten Pflegeschlüsseln berechnet. Siehe dazu das Kapitel 6.2.12. Wenn die Ausnahme zur Regel wird! Die Fachkraftquote in der vollstationären Pflege ist seit einigen Jahre umstritten. Haben doch viele Unternehmen aber auch die Politik erkannt, dass eine starre Festlegung von 50 % examinierten Fachkräften die Pflegequalität aber auch die Kundenzufriedenheit (sowohl Mitarbeiter als auch Bewohner) nicht wesentlich verbessert. Im Gegenteil, diese unflexiblen Regelungen, die nicht dem realen Bedarf vor Ort gerecht werden, setzen sowohl die Unternehmen als auch die zuständigen Behörden (z. B. Heimaufsichten) unter Druck. Auf der einen Seite werden es zunehmend mehr hochbetagte und somit pflegebedürftige Menschen und auf der anderen Seite sind nicht signifikant mehr examinierte Pflegekräfte auf dem Markt, die diesem gesetzlich verifizierten Bedarf entsprechen würden. So bleibt nur eine Möglichkeit, die Ausnahme wird zur Regel. Mehr und mehr können diese 50 % nicht eingehalten werden und die zuständigen Behörden müssen diese Unterschreitungen akzeptieren, wenn die Versorgung der Pflegebedürftigen nicht kurzfristig gefährdet sein soll. Immer vorausgesetzt, die Pflegequalität steht nicht zur

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Disposition. Die Stimmen mehren sich, die fordern, dass die Fachkraftquoten flexibel den tatsächlichen Bedarfen angepasst werden müssen. Bedarfe sind spezielle behandlungspflegerische Leistungen, die zwingend eine examinierte Fachkraft voraussetzen. Wie auch immer der Weg in Zukunft aussehen wird, es werden sicherlich flexibilisierte Fachkraftquoten kommen müssen.

6.2.15 Flexibilisierungsquote Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Die „Flexibilisierungsquote“ oder „Flexibilisierungsreserve“ zeigt das Verhältnis der Anzahl aller in einer Pflegeeinrichtung beschäftigten Mitarbeiter zur kalkulatorisch ermittelten Anzahl der Vollzeitkräfte. Hierzu werden in einem ersten Schritt die arbeitsvertraglich geregelten Stunden aller Mitarbeiter addiert und durch die jeweils gültigen tarifrechtlichen Arbeitsstunden (je Woche oder Monat oder Jahr) dividiert. Dies ergibt die maximal mögliche Anzahl an Vollzeitkräften. Danach gilt die Formel: Anzahl aller Mitarbeiter Formel =  Anzahl der kalkulatorisch ermittelten Vollzeitkräfte Beispiel

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Die Pflegeeinrichtung beschäftigt insgesamt 15 Mitarbeiter mit einer Gesamtstundenzahl/Woche von 398 Stunden. In dem für die Pflegeeinrichtung geltenden Tarifvertrag sind 38,5 Wochenstunden vereinbart. Bezogen auf die Gesamtstundenzahl ergibt das eine kalkulatorische Anzahl an Vollzeitkräften i. H. v. 10,33 VZK. Die Flexibilisierungsquote beträgt demnach 15./. 10,33 = 1,45. Die Kennzahl gibt einen konkreten Hinweis auf die bei einer Pflegeeinrichtung vorhandene Flexibilität in Bezug auf den Mitarbeitereinsatz. Je näher diese Kennzahl als Quote an einen Wert von 1 kommt, umso weniger flexibel kann eine Pflegeeinrichtung auf Auslastungsschwankungen oder umgekehrt auf Personalausfälle reagieren. Anders ausgedrückt bindet eine ausschließliche Anstellung von Vollzeitkräften die Pflegeeinrichtung, da sich z. B. arbeitsrechtliche oder vertragliche Regelungen, Personalausfälle, Urlaubsregelungen etc. erheblich auf die Leistungserbringung auswirken können.

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Umgekehrt ermöglicht eine hohe Quote auch hinsichtlich der Mitarbeitermotivation, z. B. bei der wöchentlichen Dienstplangestaltung, der Urlaubsplanung etc., eine höhere Flexibilität und trägt mittelbar zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit bei. Eine allgemeingültige Vorgabe für eine Quote kann es aus unterschiedlichen Gründen nicht geben. Auch wenn grundsätzlich davon ausgegangen werden muss, dass die Quote für Pflegefach- und -hilfskräfte höher als die für reine Betreuungs- oder Hauswirtschaftskräfte ist, da der Abruf von Leistungen im Pflegebereich stärker als im hauswirtschaftlichen Bereich schwanken kann, darf dies nicht als allgemeingültige Aussage getroffen werden. Basis und Voraussetzung der Bewertung einer solchen Quote sind weiterführende Analysen der abgerufenen Leistungen nach Leistungsart, Fluktuation bei den betreuten Patienten und damit der Leistungsabruf etc. Auch gilt nicht der Grundsatz, dass eine sehr hohe Quote zwingend vorteilhaft sein muss. Eine solch hohe Quote bedingt gleichzeitig einen höheren Wechsel von Mitarbeitern bei der Betreuung der betreuten Patienten und kann damit einer Kundenzufriedenheit zuwiderlaufen. Aus der Sicht der Administration wird der Aufwand der Führung und Verwaltung von Mitarbeitern eingeschränkt, aber auch die Dienstplangestaltung erhöht und führt zu ggf. unerwünschtem Mehraufwand für die Leitung einer Pflegeeinrichtung. Werte ab 1,4 – 1,7 können jedoch als Erfahrungswert der Autoren als angemessen bewertet werden. Kann eine niedrige Flexibilisierungsquote, gleich aus welchem Grund, nicht verhindert werden, sollten moderne Arbeitszeitregelungen, z. B. Jahresarbeitszeitkonten etabliert werden, um so die geforderte Flexibilität in Bezug auf den Mitarbeitereinsatz mittelbar zu erreichen.

6.2.16 Verhältnis Erstgespräche zu Vertragsabschlüssen Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Es handelt sich um eine Mischkennzahl. Sie lässt sowohl Rückschlüsse auf betriebswirtschaftliche Auswirkungen zu als auch auf motivatorische Wirkungen. Sie gibt Einblick in die Motivation des Mitarbeiters, Erstgespräche erfolgreich zur strategischen Weiterentwicklung der Pflegeeinrichtung zu

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

nutzen. Mitarbeiter mit hoher Motivation und kommunikativer Präsenz haben erfahrungsgemäß eine höhere Vertragsabschlussquote im Rahmen von Erstgesprächen, als eher zurückhaltende. Anhand dieser Kennzahl ist es möglich, Schulungs- und Fortbildungsbedarf bzw. Coachings, ableiten zu können. Wir reden an dieser Stelle nicht über Defizite, sondern über Potenziale, die es gemeinsam zu heben gilt. Der Kontext ist immer Spaß an der Tätigkeit zu haben und auch zu verstehen, dass soziale Dienstleistungen nichts mit Geschenken oder kostenlosen Leistungen zu tun haben. Wir reden immer über ein faires „Geben und Nehmen“! Sogenannte Erstgespräche gibt es mehr als am Ende verwertbare Vertragsverhältnisse. Dabei ist es von Bedeutung, zu erfassen, wie viele Beratungsgespräche es gegeben hat und in welcher Höhe, wie viele Vertragsverhältnisse daraus tatsächlich entstanden sind. Auch hier ist der Schluss zu ziehen: – Performance der Beratungsmitarbeiter, – Abschlussquote gesamt im Verhältnis zur Anzahl der Interessenten, – Soll-Umsatz je Vertragsabschluss als Zieldefinition im statistischen Mittel. Entscheidend zu erkennen ist, dass jedes Gespräch Geld kostet. Jeder Mitarbeitereinsatz ist mit einem Geldwert (Gehalt zzgl. weitere Kosten) hinterlegt, der auf der anderen Seite im Unternehmen verdient werden muss! Somit ist es legitim, einem Erstgespräch eine Erwartung entgegenzusetzen. Da auch dem besten Berater nicht jedes Gespräch gelingt, ist hier der Durchschnitt (das Mittel) von größerer Aussagekraft. Die Zielformulierung wird auf einen Durchschnitt gerechnet, der sich aus der Vielzahl der Beratungsgespräch berechnet.

KAPITEL 6

Formel: – Performance der Beratungsmitarbeiter: Beratungserfolg im Mittel = 100 x Erlöse aus Erstgespräch IST Erlöse aus Erstgespräch SOLL – Performance ded Beratungsmitarbeiters 100 x Erlöse IST Mitarbeiter Performance MA IST = im Verhältnis Erlöse alle Mitarbeiter IST Performance alle MA IST  im Mittel  Entscheidend ist hier, wie die Zielvorgaben lauten und wie erfolgreich die Mitarbeiter im arithmetischen Mittel sind. Wie hoch sind die statistischen Streuungen um diesen Mittelwert? Der Rest ist eine Managemententscheidung und die daraus resultierenden Mitarbeiterentwicklungsmaßnahmen.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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– Abschlussquote gesamt im Verhältnis zur Anzahl der Interessenten Quote = 100 x Abschlüsse m. Vertrag Anzahl der Interessenten Wichtig hierbei ist die Anzahl der Interessenten im Nenner. Auch aus Interessenten können Klienten werden, ohne dass ein aufwendiges Gespräch vorangegangen ist. Der richtige Erstkontakt beginnt mit dem Abnehmen des Telefonhörers! Hierauf sollte aufgebaut werden! – Soll Umsatz je Vertragsabschluss als Zieldefinition im statistischen Mittel Das Ziel ist in jedem Unternehmen der wichtigste Punkt! Welche Belegungsquote ist minimal wichtig und wie sieht es mit dem Pflegegradmix aus? Es gibt zwei Möglichkeiten der Betrachtung von Erfolg im Zusammenhang mit Erstgesprächen bzw. den Verträgen, die daraus resultieren. Die Zieldefinition nach Pflegegraden bedeutet: Wie viele Pflegegrade in welcher Höhe wurden für die Pflegeeinrichtung im Rahmen von Erstgesprächen akquiriert? Wo liegen die Zielvorgaben? Die Zieldefinition in Prozent der SOLL-Möglichkeit zur Abrechnung – Klar ist, dass zum Beispiel bei einem definierten Interessentenstamm auch eine gewisse Anzahl an sogenannten Nachrückern generiert werden muss. Aus diesem Pool kann die Soll-Klientenanzahl relativ stabil gehalten werden. Über die Steuerung der Pflegegrade im Interessentenpool sind auch Erlösverwerfungen nach unten relativ gut abzufedern. Dann erfolgen eben nicht nur die Interessentengespräche, sondern auch die direkten Erstgespräche mit einer Zielplanung im Voraus.

6.2.17 Anzahl durchgeführter Pflegevisiten Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl: Pflegevisiten (PV) gehören eindeutig zu den qualitativen Kennzahlen(MKPI). Ihnen kommt in dem Gesamtkontext des Pflege 4.0 Kennzahlensystem eine besondere Bedeutung zu. Die Schlussfolgerungen, die das Management aus diesen Kennzahlen als Rückmeldung über die Stabilität des Gesamtsystems generieren kann, sind vielschichtig. Vor allem sagt diese Kennzahl etwas über das Funktionieren des Qualitätsmanagements an sich aus.

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Fragen wie: – Wie viele PV´s sind in einem definierten Zeitraum abgearbeitet worden? – Wie waren die Betrachtungsprioritäten (Welche wurden gemacht und welche nicht und warum?) bei nicht 100 % Erfüllungsquote? – Welche Schlüsse wurden aus den PV´s gezogen und wie wurden diese umgesetzt? – Wie praxistauglich sind die Formulare, die für eine PV eingesetzt werden? Es geht nicht allein um die Menge der umgesetzten Pflegevisiten, sondern um die Qualität und die richtige Priorität. Wichtiger Aspekt dabei ist die Risikoerfassung durch die Pflegekräfte. Erst wenn Risken erfasst und die Risikoeinschätzung quantifiziert ist, kann auch effektiv definiert werden, welche PV´s durchzuführen sind und welche nicht oder später (ABC-Analyse). Die ABC-Analyse gibt in Verbindung mit der Risikoerfassungsliste die Sicherheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dies geschieht durch eine Aufteilung in drei Prioritätenbereiche: A = sehr wichtig oder dringlich (Hochrisikoklienten) B = wichtig oder dringlich (Risikoklienten) C = weniger wichtig oder dringlich (Nichtrisikoklienten) Entscheidend dahinter ist die Aufteilung, welche Punktwerte am Ende zu einer A, B oder C Einstufung führen. Lesen Sie dazu mehr in Kapitel 5.2.1.4. Die Vorgaben für die Einstufungen geben die Expertenstandards sehr gut vor. Hier spielt auch die pflegefachliche Einschätzung eine entscheidende Rolle. Formel: KAPITEL 6

Erledigungsquote = 100 x Ist Anzahl PV´s Soll Anzahl PV´s Erlediungsquote Hochrisiko = 100 x Ist Anzahl Hochrisiko PV´s Soll Anzahl Hochrisiko PV´s Bedeutung und Nutzen Diese pflegefachliche und führungsrelevante Differenzierung und Strukturierung von Verantwortung und Prioritäten ist es, was Pflegekassen und vor allem Träger und Vorgesetzte sehen wollen. Niemand kann immer alles zu 100  % schaffen, das ist auch nicht notwendig.

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Notwendig ist es aber, das richtige zur richtigen Zeit zu tun! Herr des Geschehens sein!

6.2.18 Fluktuation Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl: Die Fluktuationsquote ist eine eindeutig motivatorische Kennzahl. Anhand dieser Kennzahl lässt sich auch die direkte Auswirkung auf die betriebswirtschaftlichen und qualitativen Kennzahlen verdeutlichen. An kaum einer Stelle wird der Führungsprozess so deutlich sichtbar wie an dieser! Anhand der Fluktuationsquote lassen sich Personalbewegungen innerhalb eines Unternehmens sinnvoll darstellen. Dabei macht es für den zu betrachtenden Unternehmensbereich keinen Unterschied, ob die Personalfluktuation extern oder intern stattgefunden hat. Auch eine Versetzung in einen anderen Betriebsteil ein und desselben Unternehmens ist eine Fluktuation für den Standort, Betriebsteil oder die Abteilung. Somit macht es Sinn, mindestens zwei Fluktuationsquoten zu messen: 1. Standortspezifisch/Abteilung 2. Unternehmensweit Daraus ergeben sich dann mit den Zeitlinien im Kontext und dem branchenüblichen Benchmark sehr aussagekräftige Daten. Eine weitere Unterscheidung dieser Kennzahlen ist in der folgenden Betrachtung bzw. Differenzierung zu machen: 1. Natürliche Fluktuation (Ruhestand, Todesfälle, Wegzug etc.) 2. Unternehmensinterne Fluktuation (Versetzung) 3. Unternehmensfremde Fluktuation (Kündigung seitens Mitarbeiter oder Unternehmen). Die sogenannte Frühfluktuation wird dabei gesondert betrachtet. Sie ist ein weiteres Indiz für eventuell nicht effektive Einarbeitungsprozesse oder andere ungünstige Rahmenbedingungen. Hier stellen sich Fragen wie: – Wie ist der Einarbeitungsprozess organisiert? – Wie viel Zeit wird der Einarbeitung in der Organisation eingeräumt?

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

– Gibt es einen echten „Feel Good Manager”, der sich um die Belange auch der neuen Mitarbeiter kümmert? – Wie schnell reagiert das Unternehmen auf Unstimmigkeiten in der Einarbeitung? (Reaktionszeitmessung) Diese Fragen stehen in direktem Zusammenhang mit der Frühfluktuation und bedürfen der genauen Analyse im Unternehmen. Warum? Das sehen Sie im Beispiel weiter unten im Text. Formeln: Es gibt zwei gängige Wege die Fluktuation zu berechnen. Beide haben ihre Berechtigung und beide sind sinnvoll. Die Autoren beschreiben in der Folge beide, Sie entscheiden, was genau Sie davon für sich als das Gültige ansehen. 1. BDA-Formel Fluktuationsrate = 100 x freiwillige Abgänge ∅ Personalbestand Diese Formel berücksichtigt nicht die in dieser Periode erzielten Einstellungen. Diese können die Höhe der Abgänge reduzieren. Die qualitative Aussage über die Führungsqualitäten zum Beispiel wird davon verwaschen. Die Mitarbeiter, die gegangen sind, hatten ihre Gründe und da macht es bei dieser Betrachtungsweise wenig Sinn, diese begründeten Weggänge mit Neuzugängen, die die Verhältnisse im Unternehmen nicht kennen, gegenzurechnen. Schlussfolgernd können wir festhalten, geht es um Messung von Erfolgen bei Changeprozessen inkl. Rückschlüssen auf Führungsverhalten, dann ist diese BDA Formel eher geeignet. KAPITEL 6

2. Schlüter Formel Fluktuationsrate = 

100 x freiwillige Abgänge (Personalbestand Anfang Periode+Zugänge)

Sehr schnell ist zu sehen, dass bei dieser Betrachtungsweise eine weitere Ebene eingezogen worden ist, um die Unschärfe zwischen der Stichtagsbetrachtung (Personalbestand) und der Zeitraumbetrachtung (Personalzugänge) auszugleichen. Das bedeutet, dass diese Formel die Möglichkeit bietet, die Einstellungen (Personalgewinnung) dem Personalbestand zuzurechnen, bevor ich diese in das Verhältnis zu den freiwilligen Ab-

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gängen setze. Das Ergebnis ist die reine Personalfluktuation, die am Ende des betrachteten Zeitraumes übrig bleibt. Der Pflege 4.0 Ansatz an dieser Stelle ist, sich auf keinen Fall an Marktdaten zu orientieren und sich damit zu beruhigen, dass das Unternehmen im Schnitt liegt. Das ist nicht agil! Der Veränderungsprozess beginnt an dieser Stelle mit dem Ziel: 0  % Fluktuation! Jeder Mitarbeiter, der Ihr Unternehmen aus den obig genannten Gründen (nicht natürliche Fluktuation) verlässt, ist ein unersetzlicher Verlust für Sie! Von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen! „Unzufriedenheit ist der erste Schritt zum Erfolg.“ Oscar Wilde Aus diesem Grund sollte diese Kennzahl regelmäßig erfasst und ausgewertet werden. Die daraus folgenden Maßnahmen und Konzepte sind wesentlicher Bestandteil des Leaderships agiler Unternehmen. Die Fluktuationsrate ist mit der Arbeitsunfähigkeitsquote gemeinsam die agile Kernaufgabe modernen Leadership. Beispiel: Haben Sie sich gefragt, was der Weggang eines Mitarbeiters Ihr Unternehmen kostet? Wie viel es wirklich kostet? Es gibt unterschiedliche Studien dazu, im Großen und Ganzen kommen alle zu den gleichen Ergebnissen. Ca. 120  % des Bruttojahresgehaltes eines Mitarbeiters müssen Sie kalkulieren, wenn er Sie als Unternehmen verlässt. Das sind bei einer examinierten Pflegefachkraft im Schnitt ca. 50.000 – 55.000€. Die Frage an Sie: Wie viele Mitarbeiter haben Sie im vergangenen Jahr aus Gründen verlassen, die nicht zu dem Punkt 1 (siehe oben) zählen? In unserem Beispiel gehen wir einmal davon aus, Ihr Unternehmen beschäftigt 1000 Mitarbeiter im Bereich der Pflege. 16 Mitarbeiter haben Sie aus Gründen verlassen, die nicht mit Krankheit, Tod oder Umzug zusammenhängen. Berechnen wir die Fluktuationsrate einmal beispielhaft: 1. BDA Formel: 1,62  % = 100 x 16 984

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

2. Schlüter Formel Bei dieser Formel wird auch die Einstellungsquote berücksichtigt. Sie beläuft sich auf 6 Neueinstellungen in dem Betrachtungszeitraum. 1,61  % = 100 x 16 (984+6) Erläuterung: Die Summe des Verlustes für das Unternehmen beläuft sich auf schätzungsweise: 800.000€. Diese Summe fällt zumeist nahezu unabhängig von der Einstellungsquote an. Der Verlust eines eingearbeiteten und prozesssicheren Mitarbeiters kann nicht sofort und nahtlos durch einen neuen Mitarbeiter aufgefangen werden. Es kann hilfreich sein, sich einmal die Frage zu stellen: – Wie viele Investitionen haben Sie im vergangenen Jahr in die Mitarbeiterzufriedenheit getätigt? In Euro bitte! – Wie viele Euro hätten Sie sparen können, wenn Sie, anstatt Ersatzbeschaffungen zu tätigen, sie lieber in die Mitarbeiterzufriedenheit investiert hätten?

Mit Kennzahlen effizient steuern

KAPITEL 6

Festzuhalten ist auch hier, es ist so viel preiswerter, sich um die Mitarbeiter, die in Ihrem Unternehmen beschäftigt sind, anständig zu kümmern, als sehr viel Geld darin zu investieren, neue zu beschaffen. Ein guter Feel Good Manager im Unternehmen kostet Sie zwischen 40.000 und 60.000€/Jahr. Er muss gewisse Eigenschaften mitbringen und ein hohes Maß an Organisationsfähigkeit, Empathie und psychologischem Wissen mitbringen. Wenn Sie es somit schaffen, Ihre Fluktuationsquote auch nur um 50  % zu senken, dann sind dies Einsparungen von ca. 400.000€ im Jahr. Wenn Sie davon auch nur die Hälfte in den Feel Good Manager und seine Aktivitäten investieren, dann reden wir von einem Budget von ca. 200.000€. Die anderen 200.000€ werden zum Beispiel in einen Mitarbeiterpool investiert, der für eine spürbare Entlastung der Mitarbeiter sorgt, dadurch das Dienstpläne garantiert sind und ein Einspringen auf ein absolutes Minimum reduziert wird.

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6.2.19 Verweildauer (Mitarbeiter/Bewohner) Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Eng verbunden mit der Fluktuation ist die Verweildauer im Unternehmen. Sie ist ebenfalls als motivatorische Kennzahl zu betrachten. Gründe für eine mehr oder weniger hohe Verweildauer gibt es so viele, wie es Mitarbeiter in einem Unternehmen gibt. Trotzdem gibt es aus der übergeordneten Sicht Schwerpunkthemen, die die Verweildauer beeinflussen. In der Folge finden Sie Gründe für eine positive Beeinflussung der Verweildauer aufgelistet: – – – – – – – – – –

Gehalt Urlaub Aufstiegsmöglichkeiten Entfaltungsfreiheiten Zufriedenheit Arbeitsklima Vorgesetzte Verbindlichkeit Stabilität Keine Über- oder Unterforderung

Sie können diese Liste für sich beliebig fortsetzen und ergänzen! Allein die Verweildauer hängt davon ab, ob und wie es die Unternehmensleitung schafft, Bedingungen zu etablieren, die es den Mitarbeitern leicht machen, im Unternehmen zu bleiben. Der Kampf gegen die inneren Kündigungen, Frustrationen und damit Leistungsschwankungen ist einer der wichtigsten in einem Unternehmen. Es ist so wichtig, die Daten zur durchschnittlichen Verweildauer im Unternehmen zu erheben und im Rahmen Ihres Personalkonzeptes und der Unternehmenskulturentwicklung zu berücksichtigen. Wobei auf die Unternehmenskultur eine hohe Priorität fällt. „Culture eats strategy for breakfast.“

Peter Drucker

Formel: Kurzzeichen: g= Verweildauer eines einzelnen Mitarbeiters im Unternehmen in Jahren z= Summe der Mitarbeiter gesamt

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

(g+g+g+g+…) z

= ∅ Verweildauer

Haben Sie diese Zahl, ist es entscheidend, diese nicht in einen Benchmark extern zu setzen, sondern bevorzugt intern. Teilen Sie diese Zahlen in die folgenden schlussfolgernden Rubriken auf:

Unternehmensbenchmark

Erläuterung:

Abteilung/Station/Wohnbereich Fachbereiche Einrichtungen/Standorte

Unternehmensbenchmark-Bereiche

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KAPITEL 6

Warum ist das so? So wie bei Menschen ist es auch bei Unternehmen sehr unterschiedlich mit den Bedingungen, Gründen und Anforderungen. Aus diesem Grund ist man gut beraten, diese Kennzahlen zunächst intern einzusetzen und herauszufinden, welche Beeinflussungsparameter zunächst im eigenen Unternehmen dafür verantwortlich sind, dass die Fluktuation besonders hoch oder auch nicht hoch ist. In jedem Fall muss diese Kennzahl qualifiziert betrachtet und bewertet werden. Ist das Unternehmen groß genug, liegen ausreichend Daten vor. Die Kennzahl ist die eine Seite der Betrachtung, die andere ist die Auswirkung der Erkenntnisse und deren Folgehandlungen. Das bedeutet, gibt es im Unternehmen weiterhin Gründe für eine Fluktuation? Geben Sie Mitarbeitern die Veranlassung, sich anderweitig zu orientieren? Wurde in der Folge alles getan, damit Mitarbeiterzufriedenheit und Vertrauen sich entwickeln konnten. Die Fluktuation ist ein Indikator für eben diese Zufriedenheit der Mitarbeiter.

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6.2.20 Bewerberquote Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Im direkten Zusammenhang mit der Fluktuationsquote in einem Unternehmen steht die Bewerberquote. Sie ist die direkte Interessenbekundung meist potenzieller Mitarbeiter an Ihrem Unternehmen. Diese Quote lässt für Sie als Führungskraft gleich mehrere Aussagen bzw. Schlussfolgerungen zu: – Wie gut ist der Sie umgebende Markt mit potenziellen Mitarbeitern versehen? – Wie hoch ist das Interesse an Ihrem Unternehmen? – Wie wird die Attraktivität Ihres Unternehmens nach außen gespiegelt? – Wie erfolgreich sind Sie mit der Umsetzung Ihrer Unternehmenskulturentwicklung? – Wie gut ist Ihre Vermarktungsstrategie (Stichwort: Tu Gutes und rede darüber!) – …. Der Markt ist hart umkämpft und es kommt auf jede Bewerbung an, die Sie bekommen können. Dieser Kampf um Mitarbeiter fängt an, die unterschiedlichsten Blüten zu tragen. So bekommen Bewerber in dem einen oder anderen Unternehmen allein für das Erscheinen zu einem Bewerbungsgespräch 500€ ausbezahlt. Von der dann tatsächlichen Einstellung reden wir da noch gar nicht. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, dass diese Art der Mitarbeiterrekrutierung weder nachhaltig noch dauerhaft sinnvoll erscheint. Zielführender ist es, sich sofort, ehrlich und authentisch auf den Weg der Unternehmenskulturentwicklung nach den Rahmenbedingungen von Pflege 4.0 zu begeben. Zum anderen seine Marketingstrategie drastisch zu überdenken und seine Innen- und Außenwirkung zu überdenken. Vielen Mitarbeitern geht es um langfristige und verbindliche Zufriedenheit mit stabilen Arbeitsbedingungen, die kann man nicht kaufen, sondern nur erarbeiten. Die Bewerberquote wird durch die quantitative Zählung aller fachgebietsbezogenen Bewerbungen ermittelt. Wobei es zwei Zahlen gibt: 1. Summe aller Bewerbungen unabhängig von der Art der Bewerbung 2. Summer aller fachgebietsbezogenen Bewerbungen

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Formel: Ist an dieser Stelle in Form der Summe der Bewerbungen nach Punkt 1 und 2 sortiert zu ermitteln. Diese Daten werden dann in einem zeitlichen Benchmark gesetzt. Hier ist es sinnvoll, mehrere Perioden zu betrachten. Die Bewerberquote der letzten drei Jahre ist dabei ausreichend. Jedoch auch der Benchmark unter Einrichtungen mit den gleichen Rahmenbedingungen ist fundamental wichtig. Er lässt Aussagen zur Flexibilität, Verständlichkeit, Führungskultur und Komplexität des Systems zu. Bedeutung und Nutzen: Die Bedeutung liegt in den Schlussfolgerungen, die aus den Erkenntnissen gezogen werden können. Dabei können Sie die folgenden Schlussfolgerungen zusammenfassend festhalten: – Ist Ihre Bewerberstrategie richtig? – Sind Ihre Maßnahmen zur Bewerberfindung die richtigen? – Sind die Aktivitäten zur Außendarstellung Ihres Unternehmens ausreichend? – Wie zufrieden sind Ihre Mitarbeiter? – ….

KAPITEL 6

Sie sehen, die Ergebnisse gehen stets direkt an die Führungsqualitäten der Führungskräfte. Es ist ein Fehler zu denken, man könne nichts tun. Man sei machtlos. Das ist so nicht richtig. Das Betriebsklima wird wesentlich von den dort arbeitenden Führungskräften mitbestimmt. Es sind nicht nur die übergeordneten Rahmenbedingungen, die Unternehmenskultur ausmachen. Andererseits wiederum sind die Rahmenbedingungen zur Unternehmenskultur sehr wesentlich, wenn es darum geht, die Richtung vorzugeben und gewisse Eigenschaften von Menschen zuzulassen oder eben nicht zuzulassen!

6.2.21 Mitarbeiterzufriedenheit Die beste Methode, um die Intelligenz eines Führenden zu erkennen, ist, sich die Leute anzusehen, die er um sich hat. Niccolò Machiavelli

Mit Kennzahlen effizient steuern

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Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl: Wir würden diesem treffenden Zitat noch das Wort „Fähigkeit“ hinzufügen wollen. Die Mitarbeiterzufriedenheit (engl.: job- oder employee satisfaction) ist ein komplexes Thema, welches als Kennzahl einiges an Aufwand bedarf, um sie richtig darstellen zu können. Betrachten wir zunächst die Mitarbeiterzufriedenheit an sich und halten fest, wie diese erzielt werden kann. Das 21. Jahrhundert bringt einige Neuerungen mit sich, die es vor wenigen Jahren in dieser Ausprägung so nicht gegeben hat. So finden wir die Situation vor, dass in unserer hochdiversifizierten Welt die Fachkräfte zum einen nicht mehr jeden Job annehmen müssen, der sich ihnen bietet, und zum anderen sich die Anspruchshaltung der Menschen grundlegend geändert hat. Aus der bereits erwähnten Work-Life-Balance ist die Life-Balance geworden. Allein dieser Wandel hat zur Folge, dass selten noch die Bereitschaft besteht, sich selbst für die Arbeit, den Träger, das Unternehmen so aufzuopfern, dass die eigenen Bedürfnisse, Motivationen oder Charaktereigenschaften vernachlässigt werden. Und das ist auch wirklich gut so! Ein Teil des schlechten Berufsimages in den Pflegeberufen kommt von eben diesen Anspruchshaltungen seitens vieler Träger und der sich selbst missachtenden Bereitschaft dieser Anspruchshaltung auch nachgeben zu wollen. Hier können wir auch den „Generationen-Clash“ ansprechen. Er findet im zwischen den älteren Generationen und der jungen Generation „Z“ statt. Eine Mitarbeiterzufriedenheit in dieser Generation hervorzurufen ist noch einmal eine völlig andere Herausforderung als bei den vorangegangenen Generationen. Dabei übertragen erfahrende Generationen ihre Erlebnisse sowohl positiv als auch negativ auf diese neue Generation, die jedoch ein anderes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein mitbringt. „Privilegien, die sich die Generationen erarbeitet haben, sind für die Generation „Z“ vom ersten Tag an selbstverständlich. Der Trend geht zu gut bezahlter Arbeit mit deutlich weniger als 40h/Woche! Hier ist es an der Zeit, Arbeitszeitmodelle wirklich neu zu denken. Der Ansatz der „lebensphasenorientierten Arbeitsorganisation“ ist dabei ein Weg in die richtige Richtung. Nach unserer Auffassung basiert die Mitarbeiterzufriedenheit auf drei wesentlichen Betrachtungsparametern: Wichtig ist, die Begrifflichkeiten Motivation und Bedürfnis einmal näher zu beleuchten. Eine Bedürfnisbefriedung ist ein Zustand, der in der Regel einen Mangel behebt oder doch zumindest einiges dafür tut, damit dieser behoben wird.

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Motivation

Bedürfnisse

Charaktereigenschaften

Die drei Ebenen, die den Menschen ausmachen Ein Motiv ist nicht unbedingt ein Bedürfnis bzw. Mangelbeseitigung, sondern die Erreichung von Zielen. Je nach dem wie, kann diese Zielerreichung extrinsisch und/oder intrinsisch motiviert sein. Die Motivation ist dabei einer der Faktoren, der uns antreibt. Die Frage muss hier gestellt werden: Was ist mein Grundmotiv, weswegen ich diesen Job/Arbeit/Aufgabe mache? So ist es richtig zu sagen, dass es hinter jedem Ziel auch einen ursächlichen Grund gibt, der einen Menschen motiviert, dieses Ziel auch erreichen zu wollen. Motivationsfaktoren können u.a. sein: Gruppenzwang Belohnung Interessen Neugierde Anerkennung Richtung/Struktur Erfolg Schwäche ….

KAPITEL 6

– – – – – – – – –

Zwei Arten von Motivation wirken auf Menschen ein: Extrinsische Motivationsfaktoren sind, Pflicht, Druck, Geld usw...

Mit Kennzahlen effizient steuern

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intrinsische Motivation

extrinsische Motivation

Motivationsarten Extrinsische Motivationsfaktoren sind oft nur von kurzer Wirkung. Die sogenannte Halbwertzeit ist eher gering. Wir möchten hierbei jedoch eher die nachhaltigen, sprich langfristigeren Motivationsfaktoren ansehen. Damit wären wir dann bei den intrinsischen Motivationsfaktoren. Diese wirken ebenso wie die extrinsischen auf den Menschen ein. Sie kommen jedoch von innen heraus. Aus sich selbst! Der Mitarbeiter ist in der Lage, sich selbst zu motivieren. Diesen Rahmen dazu schafft die Organisation, das Team, der Leader. An dieser Stelle sprechen wir über das Schaffen von Begeisterungsfaktoren. Begeisterung für eine Arbeit bzw. Tätigkeit, für einen Lebenszeitanteil, der mit ca. 1/3 bei vielen Menschen (8h/Tag), einen nicht unerheblichen Anteil ausmacht. So kann man Motivation auch so sehen:

Leistungsfähigkeit

Arbeitsmotivation

Arbeitsleistung

Mitarbeiterbedürfnis

Befriedigungsanreiz

Handlung/ Verhalten

Motivation als Faktor

Reden wir von Bedürfnissen, so gehen wir weg von inneren Beweggründen (Ziele), hin zu eher essenziellen Bedürfnissen, die anders als Motive

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

sind, dann müssen wir davon sprechen, herauszufinden, was Menschen eigentlich wollen und brauchen. Konkret, was Ihre Mitarbeiter wollen und brauchen. Dieses Herausfinden von Bedürfnissen ist die zentrale Aufgabe von Führungskräften in den nächsten Jahren. Zentral geht es um Mitarbeiterzufriedenheit! Den überwiegenden restlichen Teil der anstehenden Aufgaben übernimmt im digital transformierten Arbeitsraum die künstliche Intelligenz. Bedürfnisse sind, wie bereits beschrieben, eher Mangelbefriedigungen basierend auf eben einem solchen Mangel!

Selbstverwirklichung Individualbedürfnisse Soziale Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Physiologische Bedürfnisse

Bedürfnispyramide angelehnt an Maslow

KAPITEL 6

Um zielorientiert an der Mitarbeiterzufriedenheit arbeiten zu können, ist es wesentlich, zu wissen, auf welcher der Stufen der Mitarbeiter momentan steht. Der Standpunkt der Mitarbeiter wechselt je nach Lebenslage. An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass die lebensphasenorientierte Mitarbeiterführung sich eben genau an solchen Erkenntnissen orientiert. Dafür benötigen Sie Zeit und die Fähigkeit, den richtigen Moment für den Mitarbeiter zu finden, an dem Sie feststellen können, an welcher Stelle seiner Bedürfnisse Sie ihn abholen können. Dritter Schwerpunkt: Charaktereigenschaften. Grundsätzlich ist es möglich, sich aus unterschiedlichen Perspektiven den Charaktereigenschaften von Menschen zu nähern. Wir wer-

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- Vorsichtig - Präzise - Besonnen - Distanziert - wenig risikobereit - Sehr detalliert

- Persönlich - Hohe emotionale Kompetenz - Verbindend - Vertrauensvoll - Geduldig - fördernd

Blauer Typ

Roter Typ

Grüner Typ

Gelber Typ

- Risikofreudig - Schnell handelnd - Delegationsfähig - „ Jetzt“ orientiert - Entschlossen - Willensstark fordernd

- Redegewandt - Umgänglich - Offen - Begeisterungsfähig - Schnell voran - ungeduldig

Verschiedene Typen, angelehnt an Scheelen den dies durch den Ansatz von Frank M. Scheelen tun. Das 4-Farben-Modell. Wir halten dieses Modell für modern und aussagekräftig. Es ist einer der drei Betrachtungsebenen, die in einem modernen Unternehmen durchlaufen werden, damit Menschen zur richtigen Zeit, an der richtigen Stelle, die richtigen Dinge tun. Ein Fehler wäre es, diese Eigenschaften neben den Motiven und Bedürfnissen nicht zu beachten. Sie beeinflussen Arbeitszufriedenheit, wenn sie Berücksichtigung finden, erheblich bzw. wesentlich! Stellt sich an dieser Stelle dieses Kapitels die zwingende Frage: Wie messen wir das? Die Messung von Mitarbeiterzufriedenheit ist immer eine Mischkennzahl, die auf der Grundlage von Daten aus den vorangegangenen und nachfolgenden Kapiteln resultiert. Sie ist auch eine Schlussfolgerungskennzahl, die meist einen gewissen Interpretationsspielraum zulässt. Das ist in keiner Weise ein Problem, solange IST und SOLL Werte existieren und Referenz- und Benchmark-Daten gesammelt werden. Auch macht es in diesem Fall Sinn, die Daten in gleicher Form über einen längeren Zeitraum hinweg zu betrachten. Sie brauchen den Vergleich und Sie benötigen den Überblick auf die Gesamtsituation.

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Formeln: Wie eben beschrieben, geht es bei Mitarbeiterzufriedenheit mehr um das Sammeln unterschiedlicher Daten und deren Interpretation. So werden die folgenden Daten mit ihren Formeln hinzugezogen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Mitarbeiterfluktuation (siehe Kapitel: 5.2.1.18.) Bewerberquote (siehe Kapitel: 5.2.1.21.) Arbeitsunfähigkeitsquote (siehe Kapitel: 5.2.1.23.) Anzahl der Verbesserungsvorschläge (siehe Kapitel: 5.2.1.24.) Anzahl der intern gemeldeten Fehler (siehe Kapitel: 5.2.1.25.) Kununu-Bewertungen als Kennzahl (?) ….

Aus diesen Daten werden Ergebnisse gewonnen, die in Ihr eigenes Bewertungsschema eingegeben werden können. Bei jeder dieser Kennzahlen ist es wichtig, einen Stichtag zu definieren. Meist wäre dies das Ergebnis des letzten vollständigen Geschäftsjahres oder der Durchschnitt der zum Beispiel letzten drei Geschäftsjahre. Das ist Ihre Datenbasis. MERKE: Sie benötigen an dieser Stelle eine Stichtagsbetrachtung als Basis zukünftiger Betrachtungen. Das wäre im Kennzahlensystem die 100 % oder die Kennzahl 1,0.

KAPITEL 6

Im nächsten Schritt fügen Sie die Ergebnisse der obig genannten Einzelkennzahlen in eine Tabelle, die mit den Basisdaten gefüllt ist. Damit sehen Sie die Veränderung. Der Soll-Wert ist das Ziel. Dieses Ziel wird im Team definiert. Das Ziel muss bereinigt sein um nichtbeeinflussbaren Effekt und es muss „SMART“ sein. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 3.0.

6.2.22 Arbeitsunfähigkeitsquote-AU-Quote Die Arbeitsunfähigkeitsquote zeigt das Fehlen von Mitarbeitern an ihrem Arbeitsplatz. Sie ist der Ausdruck dafür, an welcher Stelle keine Wertschöpfung passiert, jedoch ein Geldabfluss in Form von Lohnfortzahlung zu leisten ist. Aber auch die Arbeitskraft (Know-How) entfällt

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für das Unternehmen und der Verlust beziffert sich weit höher als nur durch den finanziellen Abfluss in Form von Lohnfortzahlungsleistungen. Unter Umständen sind die nicht Lohnbestandteile die höheren Verlustquoten. Die AOK hält zu diesem Begriff fest: Arbeitsunfähigkeit liegt nach der Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses dann vor, wenn der Versicherte aufgrund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit verursacht, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung negative Folgen erwachsen, die eine Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. Die Daten für die Erhebung kommen zumeist aus Ihrer Personalabteilung. Sie können nach Lohnzahlungspflichtig und Nicht-Lohnzahlungspflichtig differenziert werden. Eine weitere Differenzierung sollten Sie als Führungskraft dann vornehmen. Was könnte der bekannte Grund für die Arbeitsunfähigkeit sein. Unfall oder andere nicht zu beeinflussenden Faktoren oder eher die von dem Unternehmen zu beeinflussende Faktoren, wie Unzufriedenheit, Über- oder Unterforderung, Mobbing, Stress, Teamklima usw. Juristisch betrachtet dürfen Sie diese Informationen nicht haben. Aus der Brille der menschlichen Interaktion haben Sie sehr oft diese Informationen, aus denen Sie zumindest im Innenverhältnis und im Kontext der ständigen Verbesserung durchaus Ihre Schlüsse ziehen können. Genau mit diesem Fokus ist es wichtig, dass Arbeitsunfähigkeit differenziert betrachtet wird. Wichtig zum einen sind die Daten, die einen Blick auf die lohnfortzahlungspflichtigen Arbeitsausfälle werfen. Sie sind die Ausfälle, die im besten Fall eine doppelte Lohnzahlung nach sich zieht. Die Arbeitsunfähigkeiten, die länger als sechs Wochen andauern, sind zwar nicht mehr Lohnfortzahlungspflichtig, reißen jedoch eine Lücke in die Dienstleistungserbringung. Zum einen sind alle Daten zu betrachten. Sie geben Auskunft über die grundsätzliche Höhe der Mitarbeiter, die nicht an ihrem Arbeitsplatz eingesetzt werden können. Im zweiten Schritt werden die beleuchtet, die noch Kosten nach sich ziehen und im dritten Schritt die, die unter Umständen hätten vermieden werden können.

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Kennzahlen im Bereich der vollstationären Pflege

Formel: 100 x VK mit AU = AU Quote gesamt VK gesamt

100 x VK m. LFZ = AU Quote LFZ VK gesamt

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Mit und ohne ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist es entscheidend zu wissen, was die Ursachen für Arbeitsausfall sein können. Arbeitsausfälle können durchaus eine direkte Verbindung zu Mitarbeiterzufriedenheit und vor allem Vertrauen haben. Arbeitsunfähigkeit steht im direkten Zusammenhang zu den Opportunitätskosten, die in jedem Unternehmen mehr oder weniger hoch anfallen. In dem Buch „Lean Management in der Pflege“ von dem Autor David Thiele wird dieser Thematik ein ausführliches Kapitel gewidmet. In diesem Buch ist es wichtig, den direkten Zusammenhang zwischen Arbeitsausfall und vermeidbaren Kosten zu ziehen. Haben Sie als Träger, Betreiber und/oder Führungskraft alles in Ihrer Macht Mögliche getan, um diesen Arbeitsausfall zu vermeiden? Die Opportunitätskosten stellen in dieser Betrachtungsweise das Delta zwischen der gewählten Entscheidung, zum Beispiel eines nicht ganz optimalen Gesundheitsmanagements für Ihre Mitarbeiter, und der optimalen Entscheidung dar, nämlich ein zielführendes optimales und sinnstiftendes Gesundheitsmanagement. Oder mit anderen Worten, wie oben beschrieben, wurde nachweislich alles Mögliche getan, um diesen Ausfall zu verhindern? Der rechnerische Soll-Wert im Rahmen der Arbeitsunfähigkeit liegt bei ca. 5 % (lohnfortzahlungspflichtig). Aus Ihrer persönlichen Erfahrung wissen viele von Ihnen, dass es dabei nicht immer bleibt. Dabei ist es interessant zu sehen, dass es nicht an Parametern wie Trägerschaft, Gehalt, Urlaub oder Gratifikationen liegt. Es liegt an anderen eher weichen Faktoren. Faktoren wie Respekt, Wertschätzung, Achtsamkeit und Entfaltungsmöglichkeiten am besten nach den Lebenssituationen.

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6.2.23 Anzahl der Verbesserungs­vorschläge (KVP) „Sie brauchen es nicht zu tun, überleben ist ja nicht zwingend vorgeschrieben." William Edwards Deming

Beschreibung und Ermittlung der Kennzahl Verbesserung ist ein Prozess, der in jedem Unternehmen meist bewusst jedoch auch nicht selten eher unbewusst betrieben wird. Im Kontext dieses Buches geht es um die direkte und bewusste Steuerung von Verbesserungsprozessen im Zusammenhang mit dem Qualitätsdenken und dem Marketingansatz im Allgemeinen. Warum Marketing? Deshalb, weil die Definition von Marketing wie folgt lauten kann: „Marketing bedeutet: Sämtliche geplanten und zielgerichteten Aktivitäten aller in und um ein Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter und Zulieferer, die der konsequenten Bedürfnisbefriedigung der Kunden dienen.“ Und somit wird deutlich, dass Verbesserung einen direkten Einfluss auch auf den Vermarktungsprozess einer Dienstleistung haben kann und sollte. Verbesserung ist als Bestandteil des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zu sehen (KVP oder Kaizen). Damit ist auch gemeint, dass Verbesserung ständig und immer stattfindet und nicht abgekoppelt von Ereignissen oder Wertschöpfung zu sehen ist. Wir unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen intrinsisch motivierter und extrinsischer Verbesserung. Extrinsische Verbesserung ist meist die, die auf einer Beschwerde bzw. auf einem konkreten Ereignis basiert. Sie zeigt eine Störung im Prozess an. Das bedeutet, dass es zunächst erst einmal so weit gekommen sein muss, dass es den Grund bzw. Anlass für eine Beschwerde gegeben hat. Somit ist dieser Teil immer vergangenheitsbasiert. Zuständig für diese Form der Verbesserung ist in erster Linie der Prozesseigner (Process Owner). Das kann in einer Pflegeeinrichtung die Teamleitung, Pflegedienstleitung oder Hauswirtschaftsleitung sein. Je nachdem, wie das Unternehmen organisiert ist. Intrinsisch motivierte Verbesserungen bedürfen keines konkreten Ereignisses. Sie sind essenzieller Bestandteil der kontinuierlichen Verbesserung. Meist ist diese Form der Verbesserung eher prospektiv angelegt. Fehler und mögliche Abweichungen zu entdecken, noch bevor sie entstehen, das ist die hohe Schule des Qualitätsmanagements und guter Unternehmensführung

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und Zeichen einer Unternehmenskultur, die auf Verbesserung und Wertschätzung basiert. Mitarbeiter, die sich nicht respektiert und wertgeschätzt fühlen, neigen eher nicht zu aktiver Mitarbeiter bei der Verbesserung von Leistungen. Somit kann man im Ergebnis sagen, dass intrinsische Verbesserungskennzahlen durchaus etwas mit Mitarbeiterzufriedenheit zu tun haben. Sie geben Auskunft über die Bereitschaft, etwas bessermachen zu wollen oder lieber nur Dienst nach Vorschrift zu machen. Kennzahlen sind ohne Zieldefinitionen, wie bereits einige Male erwähnt, nicht sinnvoll genug. So kann festgehalten werden, dass klare Zielvorgaben auch im Rahmen von Verbesserungen absolut notwendig und erfolgsnotwendig sind. Nur, wie viele Verbesserungsvorschläge sind ein gutes Ziel? Unsere Antwort und Botschaft an Sie: Das ist vollkommen egal. Wichtiger ist, überhaupt mit Zielen zu beginnen, sich überhaupt Gedanken über mach- und schaffbare Vorgaben zu machen, die auch SMART sind. Das „Jetzt“ und das „Loslaufen“ sind dabei die wesentlichen Begrifflichkeiten. Ein guter Anhaltspunkt dabei ist die Auszählung der Verbesserungsvorschläge aus den vergangenen drei Jahren. Haben Sie keine, dann sollte aus jeder Abteilung zumindest ein Verbesserungsvorschlag pro Woche kommen. Es gibt Unternehmen, die nach Lean Management arbeiten, da wäre das Ihr Ziel für jeden Mitarbeiter pro Woche! So könnten Sie festlegen, dass jedes Team, jede Einrichtung mindestens einen sinnvollen Verbesserungsvorschlag pro Woche vorschlagen und umsetzen soll. Dabei ist sowohl die Sinnhaftigkeit, Umsetzung, Dokumentation und der ersichtliche Nutzen von Bedeutung. Vorsicht an dieser Stelle, in nicht wenigen Unternehmen ist dies eine Zwangsveranstaltung. Das darf es nicht werden. Es sollte ein „Wollen“ vorhanden sein. Intrinsisch motiviert eben! Wenn es nur dürftige bis keine Ergebnisse gibt; wie ist das Dokumentationsverfahren? Wer dokumentiert? Wie wird dokumentiert? Wie barrierefrei ist der Zugang zu den Dokumenten und der Umsetzung mit diesen. Heißt, wie aufwendig oder einfach ist es, einen Verbesserungsvorschlag zu erfassen und nachzuverfolgen? Unser Hinweis: So einfach wie möglich. Es darf für den Mitarbeiter an der Basis kaum Aufwand bedeuten, einen Verbesserungsvorschlag einzubringen. Ansonsten wird es keine oder kaum welche geben.

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Formeln: Verbesserung zu messen kann auf unterschiedlichen Wegen stattfinden: 1. Anzahl der Ist-Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel. 2. Anzahl der intrinsischen Ist-Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel. 3. Anzahl der extrinsischen Ist-Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel. 4. Anzahl der umgesetzten Verbesserungen im Verhältnis zum Ziel. Bedeutung und Nutzen: 1. Anzahl der Ist Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel Diese Zahl sagt etwas über den Zielerreichungsgrad an sich aus und über das mehr oder weniger Funktionieren Ihres Qualitätsmanagements und im weiteren und übergeordneten Bereich auch etwas über die Motivation Ihrer Mitarbeiter. Sind diese bereit, Verbesserungen zu erkennen, festzuhalten und umzusetzen? Sie ist für den Anfang ausreichend und besser als keine Aussagen über Verbesserungen in Ihrem Unternehmen. Es macht auch Angaben über die Lebensfähigkeit Ihres Qualitätsmanagementsystems. 2. Anzahl der intrinsischen Ist Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel. Hier ersehen Sie die direkte Verständlichkeit und Barrierefreiheit Ihres QM-Systeme sowie die Motivation Ihrer Mitarbeiter, auch wirklich etwas an den Prozessen verbessern zu wollen, an denen sie direkt beteiligt sind. Aus diesem Grund wäre es von Bedeutung, diese Zahl herauszufinden und für sich auswertbar zu machen. Mindestens zwei Fragen können Sie sich dabei stellen: – Warum sind es so viele/wenige Verbesserungsvorschläge? – Was sollten wir tun, damit es mehr davon werden? „Der oberste Zweck des Kapitals ist nicht, mehr Geld zu schaffen, sondern zu bewirken, dass sich das Geld der Verbesserung des Lebens widmet.“ Henry Ford

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3. Anzahl der extrinsischen Ist Verbesserungsvorschläge im Verhältnis zum Soll Ziel. Auch hierbei handelt es sich um den Ausdruck von Barrierefreiheit und Motivation, aber auch dem Vertrauen der Kunden, dass die gegebenen Verbesserungen auch ernstgenommen und dass sie respektiert werden. Aus diesem Grund macht es Sinn, interne und externe (intrinsische/extrinsische) Verbesserungsvorschläge durchaus getrennt zu erfassen. 4. Anzahl der umgesetzten Verbesserungen im Verhältnis zum Ziel. Verbesserungsvorschläge zu bekommen und diese zu erfassen ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der gleichen Medaille ist es, diese Verbesserungen auch zeitnah zu bearbeiten und möglichst umzusetzen. Nur dann macht Verbesserung auch Sinn. Nicht jeden Verbesserungsvorschlag kann man gleich oder überhaupt umsetzen. Mache sind abwegig, nicht umsetzbar, unrealistisch, aber doch ein Indiz für eine notwendige Veränderung. Es ist nicht von Bedeutung, ob Sie jeden Verbesserungsvorschlag umsetzen, sondern wie Sie ihn handhaben und kommunizieren. Manchmal geht es nicht. Dann ist das unter Umständen auch in Ordnung. Wichtig ist es, dies angemessen zu Kommunizieren. Verbesserungsmanagement ist auch gleichzeitig Kommunikationsmanagement. Es geht sehr viel um respektiert werden. Für Ihre Mitarbeiter, Ihre Kunden aber auch Ihre Lieferanten. „Die Wahrnehmung des Kunden ist Ihre Realität.“ Kate Zabriskie

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6.2.24 Anzahl der Beschwerden/Fehler „Es gibt keine Staus auf der Extra Meile.“ Roger Staubach

Beschreibung und Bedeutung der Kennzahl Beschwerden sind die höchste Anerkennung, die ein Kunde Ihnen zollen kann. Der Kunde hat zwei Möglichkeiten, er geht nach draußen auf den Markt und beschwert sich über Ihre Dienstleistungen oder er kommt zu Ihnen und tut dies da. Letzteres ist ein Glücksfall. Sie bekommen eine Schwachstelle in Ihrem Prozess aufgezeigt und die

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Chance, diese zu beheben, bevor sie weiteren Schaden an Ihrem Unternehmen anrichten kann. Dieser Tatsache sollten Sie sich stets bewusst sein. In sozialen Dienstleistungen werden Beschwerden meist aus zwei Richtungen betrachtet: 1. Warum wurde der Kundenwille nicht umgesetzt? (Wobei zu klären ist, wer alles der Kunde ist!) Wir befinden uns in der Ursachenforschung. 2. Was hätte das Unternehmen tun müssen, damit dieser Fehler nicht auftritt? Gehen wir einen Schritt weiter, so finden wir auch an dieser Stelle das Potenzial, Mitarbeiterzufriedenheit messen zu können. Gibt es keine oder zu wenige Beschwerden, lässt dies Spielräume für Ursacheninterpretationen. Eine mögliche Ursache kann das komplizierte Verfahren sein. Eine andere kann sein, dass es ohnehin egal ist, weil zum Beispiel gar keine Ressourcen für deren Abstellung vorhanden sind. Fehler hingegen werden von vielen Unternehmen als interne Beschwerden gesehen. Der Einfachheit halber macht es Sinn, nur von Beschwerden zu sprechen. Ein Kreuz für intern/extern würde auch vollkommen genügen. Formeln Beschwerden zu messen kann auf unterschiedlichen Wegen stattfinden: 1. Anzahl der Ist Beschwerden im Verhältnis zum Soll Ziel 2. Anzahl der umgesetzten Beschwerden im Verhältnis zum Ziel Bedeutung und Nutzen Die Bedeutung ist, dass Beschwerden im Rahmen von Verbesserungsmanagement stets eine der höchsten Bedeutungen haben. Beschwerden sagen viel über die Funktionstüchtigkeit und Elastizität Ihres Qualitätsmanagements aus, so dass man die Bedeutung nicht genug betonen kann.

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Autoren David Thiele, sein Werdegang geht von der examinierten Pflegefachkraft bis zum Mitglied in der Geschäftsleitung eines Wohlfahrtsverbandes und einem privaten Pflegeheimbetreiber. Er ist tätig als Unternehmensberater, Interim-Manager, Fachbuchautor, Dozent und Referent und blickt auf 30 Jahre Pflegeerfahrung zurück. Seit 2020 betreibt David Thiele gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin einen ambulanten Pflegedienst, der nach integral-evolutionären-Organisationsstrukturen (hierarchielos) organisiert ist. Die ViVa Pflege GmbH zählt zu einem der ersten Pflegediensten in Deutschland, die hierarchielos und nahezu volldigital am Markt unterwegs sein wollen.

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Dipl.-Kfm. Siegfried Loewenguth ist Gesundheitsökonom (ebs) und hat langjährige Berufserfahrung in Führungspositionen in allen Bereichen des Gesundheitswesens. Unter anderem in Führungspositionen in Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Gesundheitswesen. Zuvor absolvierte er die Offizierlaufbahn mit Gerneralstabsausbildung. Er ist als Unternehmensberater für Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig und arbeitet mit dem Schwerpunkt der Organisations- und Prozessoptimierung.

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