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German Pages [363] Year 2022
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2022 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847114307 – ISBN E-Lib: 9783737014304
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Mariusz Jakosz / Iwona Wowro (Hg.)
Mit Humor ist nicht immer zu spaßen An der Grenze von Spaß und Ernst
Mit 90 Abbildungen
V&R unipress
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Diese Publikation wurde im Rahmen des Programms »Doskonała Nauka« (Nr. DNM/SP/512403/2021) des Minister Edukacji i Nauki / Ministers für Bildung und Wissenschaft finanziell unterstützt. Diese Publikation wurde von der Schlesischen Universität in Katowice mitfinanziert. Diese Publikation ist peer-reviewed. (Begutachter: Prof. Dr. habil. Roman Sadzin´ski, Universität Łódz´ / Univ.-Prof. Dr. habil. Józef Jarosz, Universität Wrocław) © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Wo nicht anders angegeben, ist diese Publikation unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 4.0 lizenziert (siehe https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/) und unter dem DOI 10.14220/9783737014304 abzurufen. Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Rosen, »Subrisia« Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1430-4
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Inhalt
Iwona Wowro / Mariusz Jakosz Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung . . . . . . .
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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz / Krystyna Mihułka Ethnomemes – zwischen Komik und Diskriminierung? Theoretische Ausführungen mit Fokus auf Humor: seine Begrifflichkeit und sein Zusammenwirken mit Ethnostereotypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Winfried Ulrich Komik und Pointe in Kurztexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
Iwona Wowro Machos out, Softies nicht in! Männliche stereotype Rollenbilder im Wandel, dargestellt im Zerrspiegel von Ironie und Humor . . . . . . . . .
63
Mariusz Jakosz Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche im polnischen und deutschen Mediendiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
Ewa Z˙ebrowska Humor und Komik im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Joanna Szcze˛k Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit – Zu den deutschen Covid-19-Witzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Dominika Janus Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
. . . . . . . . . . . . . 153
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Inhalt
Anna Dargiewicz Was gibt es hier zu lachen? Zu Internet-Memes als Quelle des Humors am Beispiel von Corona-Memes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Waldemar Czachur / Marta Wójcicka Internet-Memes als eine multimodale Form humoristischer Weltaneignung. Eine Analyse am Beispiel deutscher und polnischer Memes zum Coronavirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Marcelina Kałasznik Humoristisch über Ärzte – das Bild des Arztes in Internet-Memes
. . . . 205
Jarochna Da˛browska-Burkhardt Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert. Eine pragmalinguistische Studie in der kulturanalytischen Linguistik . . . . . . 225 Anna Hanus »Noch niedriger können wir es nicht hängen« – einige Bemerkungen zum Humorgebrauch in Expertenfernsehdiskussionen zu literarischen Neuerscheinungen am Beispiel des »Literarischen Quartetts« . . . . . . . 247 Paweł Ba˛k Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Artur Dariusz Kubacki Humor in der beglaubigten Übersetzung. Über unbeabsichtigte Humoreffekte in Translaten von Anwärtern auf den Beruf eines vereidigten Übersetzers für Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Kai Witzlack-Makarevich Die Abenteuer des tschechischen Humors und des braven Soldaten Schwejk im polnischen Nachbarlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Joanna Pe˛dzisz Release your hands. It’s not the zombie-walk. Humor in der Versprachlichung der Bewegungsqualitäten im Tanzunterricht Autorinnen und Autoren des Bandes
. . . . . . 345
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz (Uniwersytet S´la˛ski, Katowice)
Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung Humour against All Odds! Humour Research Avenues
Abstract Humour permeates human life. It accompanies us when we feel good and bad because of its provable medical and psychological effects and its ability to influence our relationships with other people. As an omnipresent phenomenon, humour unites cultures and generations, coming in many different forms. Humour frequently stems from a mixture of verbal, non-verbal, extralinguistic, and intercultural factors. It is also one of the most original result-oriented communication forms as it principally aims at interacting with its recipient in order to elicit a specific reaction. The aim of the article is therefore to investigate the nature of humour, its types, functions, and characteristics, and its research possibilities. Keywords: humour, humour research, humour effects and functions Schlüsselwörter: Humor, Humorforschung, Wirkung und Funktionen von Humor
Der Mensch hat gegenüber den Widrigkeiten des Lebens drei Dinge zum Schutz: die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen. (Immanuel Kant) Wenn der Humor ernstgenommen wird, hört der Spaß auf. (Lionel Strachey)
1.
Definierbarkeit von Humor
Humor scheint die Menschen von jeher interessiert und fasziniert zu haben. Die Erfahrung des Humors oder die Fähigkeit, Vorkommnissen oder Begebenheiten eine komische Komponente abzugewinnen, stellt unbestrittenerweise einen unumstößlichen Bestandteil des menschlichen Wesens dar und untermauert sowohl die Universalität als auch die Sonderstellung dieser eigenartigen Erscheinung. Diesem sozialen und kulturellen Phänomen kann man in großer Variationsbreite fast überall begegnen, etwa im täglichen Miteinander, in Film,
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
Fernsehen, Büchern, Zeitungen und Gesprächen. Es besteht kein Zweifel, dass nicht ausschließlich die Alltäglichkeit und die Vielfalt seiner Formen den Humor so attraktiv für die Wissenschaft und Forschung machen. Was macht ihn also so faszinierend? Warum taucht er seit geraumer Zeit als beliebtes Objekt des kritischen Denkens (vgl. Brône 2010: 122) sowie als ein nahezu ubiquitärer Forschungsgegenstand der unterschiedlich ausgerichteten Forschung auf, der seit Jahrhunderten nicht immer eindeutig zu beschreiben ist. Dieses »gegen jede Beschreibung widerspenstige Phänomen« – wie ihn Jean Paul (1990: 90) treffend und scharfsinnig umriss – hat bislang sein Geheimnis eigentlich nicht preisgegeben. Trotz zahlreicher Humortheorien und mannigfaltiger Definitionsversuche bleibt die endgültige Einsicht in seine Spezifik immer noch versagt1. Das paradoxe und ambivalente Wesen, der übergreifende mehrdimensionale Charakter2 sowie die Unkalkulierbarkeit lassen schon nach einer kursorischen Be1 Die Erklärungsversuche, was Humor ist oder was ihn wirken lässt, kreisen zumeist um die Begriffe der Inkongruenz, Aggressivität, Überlegenheit und Entspannung, die sich in der Scherzkommunikation nicht ausschließen müssen, sondern strukturelle, kognitive oder funktionelle Fragestellungen zusammenlaufen lassen. Im Bereich der Humorentstehung und seiner Rezeption werden hauptsächlich klassische sowie moderne Theorien genannt wie: Aggressions-/Überlegenheitstheorien, Inkongruenz-, Entladungstheorien oder die semantische Scripttheorie (SSTH) und ihre Entwicklung zur Generellen Theorie des Verbalen Humors (GTVH), die auf unterschiedliche Aspekte (kognitive, soziale, psychologische) des Humors fokussieren und auf die Scriptopposition hinweisen, wobei Scripts/frames/Szenarien strukturierte (dynamische) in Verbindung zueinander stehende Konstrukte und organisierte Informationskomplexe über Sachen, Eigenschaften oder Handlungen/Handlungsabläufe mit Berücksichtigung der Ursache-Folge-Relation und sprachlich-kulturellen Kontexten darstellen (vgl. Raskin 1985, Attardo 1994). Als einer der Gründe dafür, dass es heute keine umfassende Theorie der Humorentwicklung gibt, sondern über hundert Konzeptionen oder Ansätze, die das Phänomen zu erfassen oder aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten versuchen, kann die Tatsache genannt werden, dass jeder Versuch, Humor zu definieren, weitgehend von Ziel und Situation seiner Verwendung abhängt (vgl. Attardo 1994: 4). Außerdem belegen seine zahlreichen Facetten die These, dass seine exakte Definition nicht in greifbarer Nähe ist und daher nur mehrere Zugriffe auf dieses Thema und ihre sinnvolle Kombination eine anschauliche Erfassung sowie sein umfassendes Verständnis herbeiführen können. Es gibt jedoch auch Stimmen, die eine »Theorie des Humors« fraglich finden: »Wichtiger wäre es wahrscheinlich, den Humor in die bestehenden Theorien der Persönlichkeit, des Handelns und der Motivation, der Problembewältigung […] u. a. zu integrieren« (Wicki 1992: 159). 2 Seine Mehrdimensionalität und Komplexität sind auch dadurch begründet, dass dem Humor viele benachbarte Begriffe oder nebengeordnete Größen nahe stehen, zwischen denen sich keine klare Trennschärfe herstellen lässt (vgl. bspw. die Begriffe von Komik, Lachen, Sinn für Humor oder Witz). Es ist aber zu bemerken, dass der Begriff Humor, obwohl selbst wenig konturiert, als Oberbegriff oder gemeinsamer Nenner fungiert (vgl. Lopez 2012: 116). Im Rahmen dieses Beitrags kann auf alle diese Humorerscheinungen aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Ebenso wenig möglich ist es auch, sich mit allen vorhandenen Definitionen oder Konzeptionen auseinanderzusetzen. Daher beschränken sich die angestellten Reflexionen oder Erwägungen auf eine allgemeine Darstellung ausgewählter Aspekte, um dadurch einen allgemeinen Überblick über den Humor, seine Beschaffenheit und For-
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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trachtung des Phänomens viele grundsätzliche, aber auch weiterführende Fragen aufwerfen, die nicht nur in der geisteswissenschaftlichen Forschung ihren Niederschlag finden. Davon zeugen Arbeiten, die die Forderung untermauern, dass Humor in seiner Gesamtheit undefinierbar ist, zumal er auch keinen Gesetzmäßigkeiten zu unterliegen scheint, die sein Gelingen garantieren. Auch seine zahlreichen Arten sind schwer einzuordnen, weil jede Gliederung unbefriedigend bleibt, sie »muss unbefriedigend bleiben, auch deshalb, weil sie kaum Erklärungskraft aufweist« (Löschmann 2015: 17). Aus diesen, aber auch anderen Gründen trotzt der Humor nach wie vor einer plausiblen Theorie und damit auch dessen exhaustiver Hinterfragung3. Seine wissenschaftliche Ergründung fällt infolgedessen eher fragmentarisch und unzulänglich aus, umso mehr als seine Besetzung von Kulturkreis zu Kulturkreis, von Situation zu Situation oder von Individuum zu Individuum divergiert. Nichtsdestotrotz bietet sie eine Grundlage für weitere Untersuchungen, macht essenzielle Eigenschaften von Humor bewusst und gibt Denkanstöße zu dessen vertieftem Verständnis. Das Wort Humor selbst ist lateinischen Ursprungs ((h)umor – ›Feuchtigkeit‹, ›Flüssigkeit‹), sodass eine der ersten Definitionen des Humors auf die antike Temperamentenlehre zurückgeht, indem sie sich auf die Ausprägung der Körpersäfte (humores) und ihre Bedeutung für den Körper bezieht, deren Ausgewogenheit nicht nur von guter Gesundheit, sondern auch von einem guten Sinn für Humor zeugen sollte (vgl. Wolf 1986: 24). Die Dominanz einer der Flüssigkeiten galt als Ursache für typologische Besonderheiten des jeweiligen Temperamentstyps. Terminologisch betrachtet, ist das Wort Humor jedoch relativ neuen Datums. In seiner gegenwärtigen Bedeutung, d. h. als »die heitere gelassene Gemütsverfassung inmitten aller Widerwärtigkeiten und Unzulänglichkeiten des Daseins« (Brockhaus 1984: 207) ist es erstmals in England im 17. Jahrhundert bezeugt. Während man mit dem Humorbegriff zuvor das geistige Vermögen oder Gemütslage, Temperament und Veranlagung bezeichnete, hat er in späteren Definitionen eine Verlagerung des Blickwinkels erfahren. Zum einen fasst man Humor als eine Erscheinung auf, die sich nicht nur schwer hypostasieren bzw. eher schlecht definitorisch erfassen lässt, sondern auch als Fähigkeit oder Eigenschaft des Menschen, als Disposition, dem Alltag und seinen Schwierigkeiten mit heiterer Gelassenheit oder gelassener Heiterkeit zu begegschungsmöglichkeiten bzw. -perspektiven zu geben. Daher können auch die daraus resultierenden Thesen keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität erheben. 3 Vgl. dazu: »Was ist Humor und was nicht? Diese Frage mag auf den ersten Blick leicht zu beantworten sein, denn Humor kennt ja jeder. Und doch macht vielleicht erst der Versuch einer Beschreibung deutlich, wie vielgestaltig, bunt, abwechslungsreich und nahezu unbezwingbar sich dieses Phänomen einer allumfassenden Definition entzieht. Humor zu umschreiben ist eine denkbar humorlose Angelegenheit, mehr noch – Humor ist offenbar all das, was abhanden kommt, wenn er definiert werden soll« (Siegel 2005: 17).
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
nen4. Zum anderen betrachtet man die gesamte Humorwelt als Mixtum Compositum, das einem verwirrenden Wirrwarr gleichzukommen scheint5. Man sieht ihn auch als ein Gefüge von verbalen, nonverbalen, extralinguistischen und interkulturellen Faktoren sowie als eine der ursprünglichsten Kommunikationsformen an, die ergebnisorientiert ist, weil Humor prinzipiell auf eine Interaktion und Reaktion des Empfängers abzielt. Sein Verständnis und seine beabsichtigte Wirkung setzen situations- und kontextabhängiges Wissen sowie sprachliche, kulturelle und soziale Kompetenz voraus.
2.
Spezifik und Wirkung von Humor
Die Relevanz von Humor als gesellschaftliches und kulturelles, so gut wie alle Lebenslagen umfassendes Phänomen ist unumstritten. Die Literatur zur Humorforschung ist an dem schwer zu hinterfragenden Phänomen gemessen entsprechend komplex und umfangreich. Als Ausdruck der geistigen Kapazität und Grenzüberschreitung ist er »ein System organisierter Anarchie des Denkens, Fühlens und Handelns. Dabei verhalten sich Humor und logisches, geordnetes Wissen zueinander wie Regellosigkeit und Regelhaftigkeit. Sie mögen sich nicht und sind doch aufeinander angewiesen. Ordnung braucht anarchistische Irritation ebenso wie Anarchie eine gewisse Ordnung […]« (Effinger 2005: 15). Eigentlich alles, was aus dem Rahmen fällt oder die Alltagslogik verletzt, stellt einen Nährboden für Erheiterung und humoristischen Diskurs dar. Auch seine zahlreichen (non-)verbalen Auslöser, die sich in einen anderen (etwa synästhetischen) Sinnbereich switchen lassen, wie u. a. Mimik, Gestik, unterschiedliche Wortspiele und Mehrdeutigkeiten6, witzige Bemerkungen, Logik der Verkehrung, Absurditäten, Übertreibungen, Parodien, widersinnige Handlungen, beabsichtigte Missverständnisse, Schabernack oder Groteske sowie viele weitere 4 Man muss aber darauf aufmerksam machen, dass eine solche Definition weder die objektbezogene Sichtweise noch bestimmte Humorarten oder -formen (vgl. bspw. Satire, Sarkasmus, Zynismus oder schwarzen Humor) miteinschließt. 5 Vgl. dazu eine bildhafte Reflexion, die aktuelle Überlegungen und Auffassungen von Humor fokussiert: »Ein begriffliches und phänomenales Tohuwabohu ließ die Welt des Humors erschaffen. Eine Welt, in der es wüst, nicht weil es leer, sondern in der es wüst, weil es voll war – an Bedeutungen –, und daher doch wieder leer – an Bedeutung. Eine Welt mit vielen Möglichkeiten. Eine Welt mit vielen Wirklichkeiten. Mit zu vielen« (Sindermann 2009: 16). 6 Zur Realisierung von Wortspielen wird nicht nur die Mehrdeutigkeit gebraucht, sondern eine Reihe von kreativen Wort- oder Strukturverwendungen. Der scherzhafte Gebrauch basiert auf Klangähnlichkeiten sowie auf unterschiedlichen semantischen Relationen wie Homographie, Homophonie, Homonymie, Paronymie sowie auf der Verwendung von stilistischen oder syntaktischen Mitteln wie Wiederholungen (von Syntagmen, einzelnen Wörtern und ganzen Sätzen), von Onomatopoetika, Reimen, von Augmentativa, Diminutiva oder Hyperbeln (vgl. Attardo 1994: 108–110).
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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Inkongruenzen, die dem gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse im Wege stehen, Ironie, seltsame Ausdrucks- und Erscheinungsformen, morphologisch-lexikalische Veränderungen oder Variationen an sprachlichen Entitäten sowie ungewöhnliche Metaphern oder Okkasionalismen weisen auf die Tatsache hin, dass man es mit einem einzigartigen und anspruchsvollen Forschungsobjekt zu tun hat. Eine komische Wendung, die sich in das übliche Schema nicht fügt, ruft alternative Interpretationen wach und führt den Überraschungseffekt herbei, was viele weitere Fragen in Bezug auf seine Beschaffenheit und Grenzen stellen lässt. Diese Inkompatibilitäten oder Regelverletzungen im Bereich der aufgrund der Beobachtung gewonnenen Erwartungen in Bezug auf ein Objekt können sich auf der Ebene der Struktur, des Inhalts sowie der Form manifestieren, was unterschiedliche Arten von Humor zu Tage treten lässt (vgl. Wowro 2018: 406). Als komplexes Phänomen mit Emergenzmehrwert, das durch ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren entsteht, kommt Humor einer wertvollen Ressource gleich, die kognitive, affektive und physiologische Aspekte einbezieht. Als Invariante bleibt jedoch, dass Humor fast immer eine Normabweichung, Originalität des Denkens sowie das Unerwartete inkludiert. Somit lotet er Grenzen dafür aus, was sozial oder sprachlich akzeptabel und normiert ist. Dieses Ungewöhnliche oder sogar Fremde, das von den gängigen (Verhaltens-)Normen verschiedener Art abweicht, wird zum Mehrwert und findet seinen Ausdruck in verschiedenen humoristisch gearteten Texten, die die Welt spezifisch aufzufassen, die auffallendsten Formen hervorzuheben und vor allem einen Distanzgewinn der umgebenden Wirklichkeit gegenüber zu erzielen ermöglichen. Die Art und Weise der Inhaltsvermittlung führt oft zum Erkennen der fehlenden Kompatibilität, dem Entdecken des Absurden oder Ausgefallenen sowie zur Enttarnung der Doppeldeutigkeiten, womit das Konventionelle verfremdet wird und die Stellungnahme zu der Wirklichkeit neue Dimensionen erfahren kann7.
7 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bedeutungssuche und ihre Dekodierung in humoristischen Texten keine einfache Zuordnung von dekodiertem Inhalt zu einem der Konzepte darstellen. Vielmehr ist es eine Relation zwischen den sprachlichen Elementen, dem Kontext, der Welterfahrung des Empfängers und der humoristischen Erkenntnis, die zwecks ihrer Verarbeitung auch spezifische Kompetenzen und eine alternative Denkweise erfordert, die vor allem die vorhandene Doppeldeutigkeit und sachliche oder sprachliche Pointe finden und entschlüsseln lassen (vgl. Wowro 2018: 410). So wird »[n]eben den notwendigen Sprachkenntnissen […] von den Rezipienten auch das Verstehen der weiteren Ausdrucksebenen verlangt, denn nur so können die beiden Bereiche – der sprachliche und der außersprachliche – zusammen richtig verstanden, entschlüsselt und interpretiert werden« (Sikorska-Bujnowicz 2013: 39).
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3.
Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
Funktionen von Humor
Die Einstellungen zum Humor und seiner Rolle waren im Laufe der Jahrhunderte in sich nicht einheitlich. Platon vertrat beispielsweise die Auffassung, dass eine ideale Gesellschaft keinen Platz für Komödie und Lachen habe. Anders als Platon verurteilte Aristoteles Humor und Spiel zwar nicht, wies ihnen aber lediglich die Rolle der Erfrischung und Erholung zu. Eine weitere Konkretisierung erfuhr diese Fragestellung in den darauffolgenden Jahrhunderten, in denen Humor und Lachen aus dem öffentlichen Leben eigentlich verbannt wurden8. Heutzutage gilt Humor als überlebenswichtig, denn ohne ihn wäre vieles unerträglich. Während Humorlose als griesgrämig und langweilig wahrgenommen werden, gelten Menschen mit Sinn für Humor als sozial attraktiver, weil das gemeinsame Lachen näherbringt und wie »ein sozialer Klebstoff« funktioniert (vgl. Titze 2009). Durch ihn werden Vorurteile wieder aufgegriffen, Tabus, Ängste oder menschliche Schwächen und Stereotype thematisiert. Seine axiologische Natur lässt hingegen gegen das Autoritäre und das Ernste kämpfen sowie das Werteweltbild modellieren und sich darin zurechtfinden. So sind ihm – von verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet – vielfältige Funktionen zuzuweisen, darunter die soziale, informative, appellative und regulierende Funktion. Darüber hinaus ist folglich weder sein psychologisches Potenzial zu übersehen, also vor allem die emotionalen, kognitiven, kommunikativen Funktionen, noch seine heilende Kraft. So lässt Humor eine Art gesellschaftliche Zusammengehörigkeit entstehen, er fördert ein Klima der Offenheit, schafft Distanz, wirkt entspannend und erfrischend, ermöglicht den Perspektivenwechsel und somit den Widrigkeiten zu trotzen, sensibilisiert für neuartige Zusammenhänge, womit er Kreativität und Entscheidungsprozesse wesentlich anregt, depressiven Verstimmungen entgegenwirkt und Hemmungen oder Konflikte löst. Außerdem hilft er generell, Tabuthemen anzusprechen, mit problematischen Situationen zurechtzukommen, Stress oder Aggression abzubauen. In Krisensituationen kann mit Hilfe des Humors das Gefühl der Einsamkeit und Hilflosigkeit maßgeblich reduziert werden. Seine Spezifik und positive Kraft werden auch im Bereich der Aphoristik und Metaphorik verdeutlicht, wo er zwar mit keinem Wunder- oder Allheilmittel gleichgesetzt wird, dafür jedoch in der Regel mit etwas Wertvollem, Kostbarem, »mit einer Perle aus der Tiefe, mit Salz der Erde, Lunge des Geistes« oder »mit Öl in der Lebenslampe« assoziierbar ist (vgl. Wowro 2018: 418–419). Daraus erhellt, dass Humor eine Erscheinung oder aber eine Eigenschaft darstellt, die zumeist 8 Beispielsweise entstanden im viktorianischen Zeitalter Abhandlungen über die Schädlichkeit des Humors und des Lachens. Sie stellten auch derartige Thesen auf, dass Humor durch falsche Erziehung und Kinderbehandlung zur Entfaltung käme. Selbst im 20. Jahrhundert gab es Ansätze und Autoren, die Humor verteufelten oder als Innovationsbremse und ein Hindernis bei jeglicher Entscheidungsfindung angesehen haben (vgl. dazu Morreall 1997: 3–4).
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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positiv konnotiert sei. Somit stellt Humor eine (Geistes-)Haltung oder Einstellung dar, die es erlaubt, Situationen oder Lebensereignisse wahr- bzw. hinzunehmen. Bildhaft ausgedrückt, wird er mit einem »Balancierschirm auf dem Seil über den Abgründen des […] Alltags« oder mit einem Polster assoziiert, »falls man doch mal abstürzt« (Effinger 2005: 22–23). Humor hat jedoch auch eine Kehrseite. Zu seinen negativ gekennzeichneten Folgen, die dann vorkommen, wenn Humor aggressiv wird, sich in Sarkasmus oder Zynismus verwandelt oder sich auf herabsetzende Weise gegen Out-Groups richtet, sind vor allem Schadenfreude und die asoziale Funktion zu zählen. In diesem Kontext kommt er als Ausdruck der Erniedrigung, des Auslachens, der Ablehnung, Diskriminierung oder Diffamierung vor, also demütigend, ungehobelt, feindselig, beschämend oder kontraproduktiv wirkt und zu Divergenzen oder Bloßstellung führt. Demzufolge scheint Humor ein Diskursmodus oder eine Strategie der sozialen Interaktion zu sein, wo die humoristische Kommunikation selbst keinesfalls immer harmlos ist, sondern eher im »Dienste ganz unterschiedlicher sozialer und psychologischer Motive steht« (Kotthoff 1996: 12).
4.
Humorforschung heute
In den letzten Jahrzehnten hat sich Humor als Forschungsgegenstand in Theorie und Praxis fest etabliert. Er ist ein Phänomen, das seit einigen Jahrzehnten ein unaufhörliches wissenschaftliches Interesse der interdisziplinär angelegten Forschung weckt. Die kognitive Wende in den 1970er Jahren hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Humorforschung eine regelrechte Konjunktur erlebte – da ist der Humor auch zum Gegenstand linguistischer Forschung geworden, die ihn als ein komplexes und sprachlich wie außersprachlich zu verortendes Phänomen betrachtete. Das Interesse galt prinzipiell den kognitiven Elementen und Denkprozessen, die die Humorgenerierung bzw. -perzeption ermöglichen, es ging hauptsächlich um den Zusammenhang zwischen dem Humorverständnis und der kognitiven Entwicklung (vgl. Wicki 2000: 174). Im Rekurs auf die Topik des Humorvollen kamen dann nicht nur Faszinationen zum Ausdruck, sondern es wurde auch auf etablierte Denkmodelle, Konzepte, Prinzipien, Spekulationen und Experimente sowie effiziente Einsatzmöglichkeiten verwiesen. Es ging dabei im Großen und Ganzen darum, den Begriff aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten sowie den Blick auf dessen Bestimmung zu öffnen. Bis heute zeigen sich dabei Psychologie und Medizin, aber auch Philosophie, Soziologie, Sprachund Literaturwissenschaft federführend, die die Vielschichtigkeit und Vielfalt der Erscheinungsformen von Humor unterstreichen und immer wieder neue Erklärungsmodelle und -versuche sowie zahlreiche Bezüge entstehen lassen, die die Omnipräsenz dieser objektiven Größe und eine Reihe seiner Wirkungen
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
deutlich herausheben. Für die aktuelle Humorforschung sind interdisziplinäre, sprachwissenschaftliche, stilistisch und interkulturell ausgerichtete Analysen von entscheidender Bedeutung. Viele von ihnen nutzen die Wissensressourcen, insbesondere die kognitiv-logischen Mechanismen9, als gewissen Maßstab oder Analysewerkzeug – nicht zuletzt für die weitere Erforschung von Witztexten und für die Hinterfragung der darin entstehenden humoristischen Effekte. Andere Schwerpunkte der zahlreichen Veröffentlichungen bilden Studien zu geschlechtssowie kultur- und regionalspezifischen Unterschieden sowie kommunikativen Aspekten des Humors. Dies ist insofern von Belang, als die bisherigen Erfassungsversuche eigentlich nicht auf ein konkretes Kommunikationsgeschehen zurückzuführen sind, sondern Humor oder Witze überwiegend in schriftlicher Form einer Analyse unterziehen. Es erweist sich jedoch, dass Analysen, in denen die Aufmerksamkeit den Humorerscheinungen in spontanen und natürlichen Situationen gilt, sinnvoll und vielversprechend zu sein scheinen, weil Humor hier nicht isoliert betrachtet, sondern unter Berücksichtigung interkultureller Aspekte, verschiedener Verhaltensmuster sowie anderer, die Interaktionen mitkonstituierender (auch außersprachlicher) Faktoren weiter erforscht werden kann10. Als Persönlichkeitsmerkmal mit hoher sozialer Gewichtung wird Humor heute als Kommunikationsstrategie angesehen, die alternative Betrachtungsweisen, also Neues im Vergleich zu bereits Vorhandenem schafft, wobei sie zu Erwartungsenttäuschungen führen mag, indem sie gewohnte kommunikative Strategien überschreitet und Konventionen durchbricht, was allerdings keine (sozialen) Sanktionen zur Folge hat. Als Modus der Kommunikation und Interaktion zugleich ergibt sich der Humor grundsätzlich aus den Differenzen zwischen Kommunikationssituationen und Verhaltensweisen der an ihnen Beteiligten und entfaltet seine weiteren Funktionen – wie sie Löschmann (2015: 32) aufzählt: »Ins Auge springen sofort die Unterhaltungsfunktion, ein Gespräch wird durch Humor gewürzt, belebt, erregt Aufmerksamkeit, überwindet Sto9 Im Rahmen der SSTH und ihrer erweiterten Auffassung (GTVH) werden zur Erklärung der Humorentstehung und -rezeption nicht nur logische Mechanismen (LM) als solche, die Aufschluss darüber geben, wie Scripts logisch im Text miteinander verbunden werden, unter die Lupe genommen, sondern auch die Scriptopposition (SO) selbst sowie weitere Faktoren wie die Situation (SI), die Zielscheibe (TA)/das Ziel, die Erzählform (NS) und die Sprache (LA) (vgl. Attardo 1994: 222). 10 Vgl. dazu bspw. die Arbeiten von Passi (1980), Raskin (1985), Groeben/Scheele (1986), Attardo/Raskin (1991), Heibert (1993), Attardo (1994), Chłopicki (1995), Kohvakka (1997), Kotthoff (1998, 1996), Gajda/Brzozowska (2000), Wicki (2000), Buttler (2001), Hartung (2002, 2006), Müller (2003), Gajda (2007), Geier (2007), Brzozowska (2008), Lercher/Middeke/Tittel (2008), Frittum (2009), Tomczuk-Wasilewska (2009), Kucharski (2009), Dimova (2009), Wilton (2009), Brône (2010), Wołowska (2011), Ueda (2013), Prütting (2016), Sedlaczek (2020), Wowro (2004, 2013, 2018).
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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ckungen, füllt Lücken, errichtet Brücken zur Fortführung des Gesprächs, schafft Möglichkeiten, sich als Gesprächspartner zu profilieren«. Ziel der Untersuchungen im Bereich der Scherzkommunikation, für die die jeweils in Frage kommende intertextuelle Folie sowie die Herstellung von nicht vorauszusehenden Zusammenhängen kennzeichnend ist, besteht darin, »den Prozess der Produktion und Rezeption von Komik in seinem Ablauf und in seiner sozialen Bedeutung für die Beteiligten so umfassend und adäquat wie möglich zu verstehen« (Kotthoff 1998: 93). Dies bezieht sich auch auf die durch die Massenmedien kreierte symbolische Informationswelt, in der mit vielen Formen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig gearbeitet wird, insbesondere auf die neuen Informationstechnologien, innerhalb derer das Internet zu einer neuen linguistischen »Realität« und zum herrschenden Diskurs wird, woraus zahlreiche humoristische Ressourcen emergieren, die mit ihrem Reichtum und Besonderheiten für die Humorforschung eine beinahe unerschöpfliche Quelle neuer Inspirationen und Erkenntnisse darstellen. Überdies wird Humor als »die möglichst unvoreingenommene Reflexion auf das Eigene (das wir zu kennen glauben) durch vergleichende Hinzuziehung des Fremden (das wir nach unserer Kenntnis interpretieren)« (Frahm 2008: 22), als eine Annäherungshandlung gegenüber dem Fremden wahrgenommen, indem er auf der einen Seite dem Andersartigen den Schrecken, potenzielle Gefährlichkeit und Undurchschaubarkeit nimmt11. Auf der anderen Seite lässt er über diese Kategorien und gesetzte Grenzen nachdenken, was zu der Aushandlung zwischen dem Eigenen und dem Fremden beitragen mag, wodurch die Abneigung oder Furcht gegen das Fremde vielleicht überwunden und schließlich integriert werden können. Die hier präsentierten Überlegungen vergegenwärtigen anschaulich, dass die Humorforschung auf unterschiedlichen Dimensionen erfolgt. Aus der Perspektive der Humorentwicklung wird Humor als Indikator der sozio-emotionalen Entwicklung, als kognitives Phänomen oder als personale Ressource betrachtet (vgl. dazu Wicki 2000: 175–176). Die weit abgesteckten Untersuchungen konzentrieren sich aber nicht nur auf die Quellen der Humorentwicklung, sondern auch auf seine Rezeption, auf die Spezifik und Vielfalt (auch Geformtheit) humoristischer Texte sowie auf seine Herkunft, die ihn weitgehend prägt, weil 11 Für die Zwecke des vorliegenden Beitrags wird nicht zwischen dem Fremden und dem Andersartigen unterschieden, zumal selbst in der einschlägigen Literatur die Begriffe Fremdheit, Verschiedenheit, Andersheit, Andersartigkeit oder Differenz synonym verwendet werden; auch die Umgangssprache unterscheidet nicht konsequent zwischen diesen beiden Kategorien. Auch in vielen sozialwissenschaftlich orientierten Publikationen sind wenige Erklärungsmodelle zu finden, die zwischen dem Fremden und dem Anderen eine klare Grenze ziehen können. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in einigen Ansätzen die Andersartigkeit/das Anderssein als eine Brücke zwischen dem Eigenen und dem Fremden aufgefasst wird (vgl. Grabias 2013, Wowro 2020).
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Humor hauptsächlich in vielen Fällen mit einem tiefen kulturellen Wissen verstanden werden kann. Daher müssen die rein logisch-linguistischen Versuche, ihn objektivieren zu wollen, leider scheitern. Demzufolge ist beispielsweise die heutige Witzforschung12 auf verschiedenen Ebenen (z. B. auf der soziolinguistischen, psycholinguistischen, linguistisch-semantischen, kognitionslinguistischen, politologischen, kulturellen, semiotischen, literaturwissenschaftlichen, didaktischen oder ästhetischen) angesiedelt, wo diese besonders typisierte und nach standardisierten Konstruktionsschemata etablierte Textsorte unterschiedlich beschrieben und klassifiziert wird, ohne jedoch endgültig ergründet worden zu sein. All das belegt die Tatsache, dass dieses anspruchsvolle Forschungsobjekt eine eingehende wissenschaftliche Behandlung nicht nur deshalb verdient, weil es hochfrequent ist und in allen erdenklichen Facetten in Erscheinung tritt, sondern vor allem deswegen, weil »Humor als Datentypus zur Veranschaulichung bzw. Überprüfung allgemein geltender Prinzipien der semantischen bzw. kognitiven Organisation [gilt]. Zum anderen befindet sich Humor auf der Schnittstelle zwischen sprachstrukturellen, kognitiven, soziokulturellen und emotionalen Faktoren, was dieses Phänomen zu einer besonderen Herausforderung […] macht« (Brône 2010: 392). Zu einer solchen Herausforderung wird der Witz auch durch die Vielfalt seiner Spielarten und Rollen, die sich in vielen Bereichen manifestieren – wie bspw. in der Gruppensolidarität, Unterhaltung, im ästhetischen Vergnügen oder in der Ausübung der sozialen Kontrolle, wo er einerseits als Mechanismus der Ausgrenzung, andererseits als Mechanismus der Vergemeinschaftung fungiert. Im Rahmen der breit gefächerten Humorforschung werden auch Anregungen geliefert, was im Humorbereich noch getan werden kann oder soll. Zu solchen Bereichen gehören beispielsweise Studien innerhalb der einzelnen Humorsparten, weitere konfrontative Analysen oder Arbeiten zum Humoreinsatz in der Fremdsprachendidaktik, wo er als Mittel der Effektivitätssteigerung angesehen wird und ein erfolgversprechendes Lernen in Aussicht stellt, indem er – abgesehen von seiner Unterhaltungs- und Auflockerungsfunktion – der Entwicklung von intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, insbesondere der Dekodierfähigkeit sowie der Gestaltung der lernfördernden Gruppendynamik dient (vgl. Löschmann 2015: 35–36). Darüber hinaus lassen sich über Humor »Zuwendung, Empathie, Ermutigung, Respekt, Toleranz, Engagement transportieren bzw. generieren. Da ›echter‹ Humor in hohem Maße sozial verbindend wirkt, kann er langfristig mithelfen, ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden zu entwickeln« (Löschmann 2015: 42). 12 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass eben Witze einen beachtlichen Teil der Humorforschung auf sich gezogen haben. Trotz ihrer Vielfalt bieten sie jedoch eine relativ stabile Form, die sie eingehenden Untersuchungen zugänglich macht, die mit großem Forschungsaufwand die Frage zu beantworten versuchen, woraus Witze ihren Humor beziehen (vgl. Kotthoff 1996: 9).
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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Obwohl Humor in letzter Zeit im Fremdsprachenunterricht Einzug gehalten hat, wird seine Rolle trotz aller Fortschritte immer noch unterschätzt – auch im Rahmen der Lehreraus- und -weiterbildung wird er eher stiefmütterlich behandelt, was einerseits staunen lässt, andererseits den Forschungsergebnissen in Bezug auf seine Rolle und Wirkung widerspricht (vgl. Löschmann 2015: 9–11). Während sich die Geringschätzung des Humors im Bereich der Fremdsprachendidaktik in der auffälligen Begrenztheit und Enge seines Einsatzes äußert, wird nicht seine Maximierung, sondern Optimierung im Dienste des Sprachenlernens postuliert, zumal er als Bestandteil der Kultur und der interkulturellen Kompetenz aus der heutigen Didaktik nicht wegzudenken ist (vgl. Löschmann 2015: 200). Es wird auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, neue tiefere Studien in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Humorgebrauch und Aufmerksamkeit oder hinsichtlich potenzieller negativer Auswirkungen auf den Unterricht zu führen.
5.
Abschließende Bemerkungen
Aus den gemachten Vorbemerkungen mag ersichtlich geworden sein, dass zunächst mit all dem, was an Humor unbegreiflich oder nicht fassbar erscheint, eine breite Basis gelegt ist, die viele Perspektiven für die Forschungslandschaft eröffnet, die Aufmerksamkeit spannt und sie auf fachübergreifende Forschungsnotwendigkeit richtet. Erfreulicherweise kommt eine eingehende Betrachtung oder Auseinandersetzung mit Humor, seinen Arten, Formen, Mechanismen und Rezeption seit einigen Jahrzehnten langsam, aber nachweislich voran, was einen ambivalenten Diskurs hervorruft. Einen Beitrag dazu will auch die vorliegende Publikation leisten, die einen kurzen, aber keineswegs umfassenden Überblick über die repräsentativen Theorien, Konzeptionen und neue Einsatzmöglichkeiten zu geben versucht. In diesem Band kommen (Sprach-)Wissenschaftler, Wissenschaftstheoretiker und Praktiker mit ihren Untersuchungen und Erkenntnissen zu Wort, um Humor, seine verschiedensten Erscheinungsformen und Wirkungsbereiche sowie benachbarte Phänomene zu untersuchen sowie den Facettenreichtum und die Einzigartigkeit des Begriffs zu betonen. In diesem Sammelband wurden Beiträge aufgenommen, die klar nachvollziehbare Forschungsergebnisse präsentieren, Einsichten über den Diskussionstand vieler Disziplinen gewähren sowie wissenschaftliches Wissen zu ausgewählten Aspekten und Perspektiven des Humors mit der empirischen Korpusanalyse verbinden. Die im Band versammelten Beiträge präsentieren unter anderem aktuelle soziolinguistische, kultur- und sprachwissenschaftliche Aspekte des Phänomens, stereotype Wahrnehmungen, interkulturelle Unterschiede in der Lachkultur sowie translatorische Fragestellungen.
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
Resümierend kann festgehalten werden, dass Humor und sein Verständnis eine lange Geschichte haben. Die Untersuchungen auf diesem Gebiet verlieren nicht an Aktualität, sondern gewinnen sogar an Intensität, Ausmaß, Frequenz und Frische, wahrscheinlich nicht nur deshalb, weil Humor ein treuer Begleiter des Menschen ist und jedem (bis auf Nörgler) täglich über den Weg läuft, sondern vor allem deswegen, weil er durch Übertreibungen, sogar Verzerrungen, lustige Anspielungen sowie neue Sichtweisen eröffnet und als Spiegel der Gesellschaft die Situationen reflektiert, so wie sie sind, und somit zur Selbstreflexion anregt. Diese und ähnliche Fragen stellen die Tatsache unter Beweis, dass man die Humorproblematik mit all ihren abwechslungsreichen Facetten nicht einfach aus der Diskursforschung ausklammern kann und will. Diese Prämisse verfolgt auch die vorliegende Publikation, die ihre Empfänger in die Welt des Humors, seiner Grenzen und Potenziale einlädt, um bekannte, aber auch neue Teilaspekte dieses Phänomens aufzuzeigen und weitreichendere Perspektiven zu eröffnen. Es wäre uns daher eine Freude, wenn die hier präsentierten Erörterungen zu verschiedenen Reflexionen führen und Denkanstöße zu weiterer Erforschung dieses Phänomens geben würden. Zum Schluss möchten wir uns sowie allen Leserinnen und Lesern dieses Bandes aufrichtig wünschen, dass bei der Kenntnisnahme oder Ergründung zahlreicher Aspekte, die mit Humor und seiner Erforschung zusammenhängen, weder Humor noch das Interesse daran abhanden kommen!
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Humor trotz(t) allem! Zu Dimensionen der Humorforschung
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Iwona Wowro / Mariusz Jakosz
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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza, Poznan´) / Krystyna Mihułka (Uniwersytet Rzeszowski, Rzeszów)
Ethnomemes – zwischen Komik und Diskriminierung? Theoretische Ausführungen mit Fokus auf Humor: seine Begrifflichkeit und sein Zusammenwirken mit Ethnostereotypen Ethno Memes – Between Comedy and Discrimination? Theoretical Considerations with the Focus on Humour: The Concept and Its Interaction with Ethnic Stereotypes Abstract This introductory paper discusses the problems which can be encountered during an attempt at a systematic analysis of the current approaches and popular concepts related to the notions of comedy and humour looked at from the interdisciplinary perspective. The authors examine the origins and functions of humour (the classical Incongruity Theory and the Superiority Theory), and interpret humour as both social and culture-specific phenomenon. Furthermore, it is underlined in the paper that humorous content originated in a particular cultural context, serves as a tool within a specific ethno-discourse and determines one’s own culture through a stereotypical treatment of the foreign one. However, the most important aim of this article is the examination of the concept of humour, its types and characteristics as well as its determinants in ethnic discourse. The results of this analysis may be of use in further explorations of humorous stereotypical contents expressed, among others, by means of ethno memes. Keywords: humour, stereotype, ethnic stereotype, the Incongruity Theory, the Superiority Theory, interculturality, ethno meme Schlüsselwörter: Humor, Stereotyp, Ethnostereotyp, Überlegenheitstheorie, Inkongruenztheorie, Interkulturalität, Ethnomeme
1.
Einführung
»Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden« (Johann Wolfgang von Goethe, »Die Wahlverwandtschaften« II, 4) – mit diesem Zitat bringt der berühmte Dichter zum Ausdruck, dass eine bestimmte Person durch ihren Sinn für Humor am besten ihre Persönlichkeitsmerkmale manifestieren kann. Überträgt man die bekannten Worte von
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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz / Krystyna Mihułka
Goethe auf eine Gemeinschaft, lässt sich schnell diese soziale Gruppe u. a. auf der Basis ihrer Fähigkeit/Disposition definieren, etwas mit heiterer Gelassenheit zu sehen sowie mit Freude und Lachen darauf zu reagieren. Da die Wurzeln des Humors bis in die Antike zurückreichen, ist zu berücksichtigen, dass mit der Zeit und mit dem sich wandelnden historischen, kulturellen und politischen Kontext auch die Ausdrucksform und der Inhalt des Humors einer Veränderung unterlagen. Das gilt auch heutzutage – der Humor entwickelt sich nämlich ständig weiter, unter anderem durch die Globalisierung und die Digitalisierung, und das wird höchstwahrscheinlich auch in Zukunft zu beobachten sein, wenn der Humor weiterhin so intensiv durch das Internet vermittelt wird und somit eine globale Reichweite hat. Daraus resultierend gibt es heutzutage verschiedene Arten von Humor. Als Beispiele fungieren hierbei: ethnische Formen (z. B. britischer Humor), Ereignisformen (schwarzer Humor), bildliche Formen (Karikatur, Meme), Darstellungen in Theater und Film (Komödie, Kabarett, Groteske) und Verhaltensformen (Albernheit). So viele existierende Anwendungsfelder beweisen, dass der Humor sich in vielen Formen und Bereichen äußern kann. In diesem Zusammenhang zeichnet sich dieses Schlüsselwort des vorliegenden Sammelbandes durch seine Mehrdeutigkeit und Vielfältigkeit aus, so dass es folglich zahlreiche, jeweils unterschiedliche Interpretationen und Verstehensvarianten zulässt. Auch wenn die Definitionen für Humor in der Fachliteratur äußerst vielfältig sind, bedeutet dies nicht, dass man humorvolle Inhalte für die fremdsprachliche Unterrichtspraxis willkürlich und ohne zuvor festgelegte Kriterien auswählen und einsetzen sollte. Diese Bemerkung gilt auch für Ethnomemes, die in den letzten Jahren bei den Humorproduzenten und -rezipienten besonders beliebt geworden sind und langsam den traditionellen Ethnowitz zu ersetzen scheinen. Da sie sich sehr großer Popularität unter den jungen Lernenden erfreuen, könnten sie als ein sehr wertvolles didaktisches Material fungieren. Anhand der Ethnomemes können die Fremdsprachenlernenden mit den Fremdbildern und mit dem Selbstbild sowie mit ihren signifikanten Merkmalen, wie mit den Ethnostereotypen, konfrontiert werden, um im Weiteren den Prozess ihrer Sensibilisierung für das Fremde und der Stärkung ihres Bewusstseins für das Eigene in Gang zu setzen. Im Hinblick auf die Ausdrucksform und den Inhalt selbst sind Ethnomemes als ein neues und wissenschaftlich noch nicht genug erforschtes Phänomen zu betrachten, wobei ihre tiefgründige Analyse zeigt, dass sie auf denselben Wurzeln wie ethnischer Humor ruhen (siehe dazu Brzozowska 2000: 31–33; AdamczakKrysztofowicz/Mihułka im Druck). Um jedoch Ethnomemes angemessen zu bestimmen, ausgewählte Ethnomemes einer formalen und inhaltlichen Analyse zu unterziehen und sie dann als didaktisches Material im Fremdsprachenunterricht einzusetzen, ist es notwendig, sich in erster Linie auf die theoretischen
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Ethnomemes – zwischen Komik und Diskriminierung?
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Grundlagen des ethnischen Humors, darunter der Ethnomemes, zu beziehen. Aus diesem Grunde sollte im ersten Teil des vorliegenden Beitrags (Abschnitt 2) eine möglichst präzise Systematik aktueller Ansätze und Konzepte zur Verortung der Begriffe Komik und Humor aus der interdisziplinären Perspektive in die theoretischen Überlegungen einbezogen werden. Im Rahmen dieses Teils werden folglich relevante Entstehungsmechanismen und Funktionen von Humor (die klassischen Komik- und Humortheorien) beleuchtet. Da Humor bis zu einem gewissen Grad als ein soziales sowie kulturspezifisches Phänomen gilt und für seine Rezeption oftmals kulturreflexives Vorwissen benötigt, wird es auch als solches im nächsten Teil (Abschnitt 3) des vorliegenden Beitrags behandelt. Ferner wird im letzten Teil des Textes (Abschnitt 4) darauf Rücksicht genommen, dass humorvolle Inhalte, die in einem spezifischen Kulturkreis entstehen, jeweils die aktuelle soziale, politische und kulturelle Situation der eigenen Kultur registrieren, als ein Instrument innerhalb des Ethnodiskurses und dementsprechend als Mittel zur Determinierung des Eigenen durch vergleichende stereotype Hinzuziehung des Fremden dienen können. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit, mit Arten und Merkmalen des Humors sowie seinen bestimmenden Faktoren im ethnischen Diskurs spielt eine besondere Bedeutung für die von den Autorinnen geplante weitere Untersuchung von humorvollen stereotypen Elementen, die durch die Ethnomemes veranschaulicht werden.
2.
Komik und Humor – Verortung der Begriffe
Komik und verwandte Ausdrücke wie etwa Komisches und Komödie gehen auf das griechische Wort ko¯mikós zurück, das ›scherzhaft‹ und ›zum Lustspiel gehörig‹ bedeutet. Komik wird als »eine ästhetische Kategorie definiert, die die Eigenschaften von Phänomenen, die zum Lachen führen können, und die Umstände, unter denen diese Reaktion auftritt, bestimmt.«1 Das Wesen der Komik besteht in der Aufdeckung eines überraschenden, plötzlichen Kontrasts/Widerspruchs von unerwarteten Merkmalen des beobachteten Phänomens. Bei der Definition der Komik wird nicht nur auf ihre Natur, sondern auch auf deren Darstellungsart verwiesen, was durch Bild und/oder Sprache erfolgen kann (vgl. Bertelsmann Universal Lexikon 2003: 480). Für Calpestrati (2020: 131) ist Komik eine menschliche, sich überwiegend in Lachen verwirklichende Äußerung, die als
1 https://encyklopedia.pwn.pl/haslo/komizm;3924483.html [Zugriff am 3. 11. 2020]. Alle Übersetzungen wurden von den Autorinnen des Beitrags vorgenommen.
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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz / Krystyna Mihułka
Verhalten, Sprechen oder Kunstprodukt2 zum Ausdruck gebracht wird. In Anlehnung an Balzter (2013) stellt Kindt (2017a: 2) fest, dass »Komik ein Oberbegriff für Belustigendes unterschiedlicher Ausprägung ist« und skizziert dabei ihre Spannbreite – »vom Witzigen über das Farce- und Nonsensehafte bis zum Satirischen oder Humoristischen« (vgl. dazu auch Leontiy 2017: 3). In Encyklopedia PWN3 geht man bei der Einordnung des Belustigenden noch präziser vor, indem innerhalb der Komik zwei grundlegende Bereiche differenziert werden. Dabei wird zwischen der elementaren, zur Heiterkeit führenden Situationskomik (z. B. Farcenkomik) und der auf wertende Reflexion zurückgreifenden Komik unterschieden – im letzteren Falle vorzugsweise kritik- bzw. spotthaltig: man denke etwa an Satire, Ironie, Groteske). Aus Platzgründen ist es unmöglich, Komik mit all ihren Facetten, Formen, Gattungen und Stilen zu behandeln. Deswegen wird das Augenmerk nur auf eine Form, nämlich auf Humor, gerichtet, dessen Hinterfragung für weitere Überlegungen von wesentlicher Bedeutung ist.4 Kotthoff (1998: 46) zufolge ist Humor als eine Haltung oder Gefühlslage zu verstehen, »in der man Witzigkeit und Komik würdigen kann und sich in einer Stimmung der Heiterkeit befindet.« Humor ist ein allgegenwärtiges, weit verbreitetes Element des menschlichen Lebens, denn er ist überall, in jedem Lebensbereich zu finden und begleitet die Menschen seit Anbeginn der Zeit. Humor ist zum Forschungsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen geworden, was eine interdisziplinäre Herangehensweise an das Konzept erfordert. Innerhalb der Geisteswissenschaften wird Humorforschung u. a. von Philosophen, Psychologen, einschließlich Sozialpsychologen, Pädagogen, Linguisten5 und Literaturexperten 2 Als Kunstprodukte werden außer literarischen Werken auch verschiedenartige Text-, Bild- und Textbildmontagen verstanden. 3 https://encyklopedia.pwn.pl/haslo/komizm;3924483.html [Zugriff am 3. 11. 2020]. 4 Mit der Erläuterung des Beziehungsgeflechts von Humor und Komik setzten sich u. a. Kotthoff (1998: 46), Brzozowska (2000: 13), Löschmann (2015: 16–17) und Kindt (2017a: 2) auseinander. 5 Kotthoff (2017: 112) unterscheidet in der linguistischen sich auf empirische Untersuchungen und theoretische Überlegungen stützende Humorforschung zwei Hauptbereiche. Der erste, ältere bezieht sich auf die Textsorte des standardisierten Witzes (der aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, auch als Teil umfangreicherer Formen, z. B. der Kabarett-Programme, analysiert wird) sowie auf die Auseinandersetzung mit dem Funktionieren von Pointen (siehe dazu z. B. Buttler 1974; Kotthoff 1998; Fleischer 2002; Zielin´ski 2004; Grochala 2007; Mihułka 2007, 2015; Brzozowska 2008; Karwatowska 2013; Wowro 2014; Kotthoff 2017). Der andere Bereich der Humorforschung befasst sich mit vielen Aktivitätstypen des Alltagshumors (vgl. dazu z. B. Kotthoff 2004; Chłopicki 2002, 2004, 2006 und Sammelbände von Kotthoff 1996, Karwatowska/Tymiakin 2013). Eine Hervorhebung verdienen auch Veröffentlichungen, deren Autoren/innen sich mit der Analyse des Humors in der Bildung (Sammelband von Dunaj/ Mrawska/Latoch-Zielin´ska 2014), einschließlich mit dem Einsatz der humoristischen Beiträge im Unterricht (vgl. z. B. Kozak 2014; Pomirska 2014), darunter im Fremdsprachenunterricht (siehe z. B. Schütz 1997; Middeke/Murdsheva 2008 sowie Sammelband von Löschmann 2015) beschäftigen.
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Ethnomemes – zwischen Komik und Diskriminierung?
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betrieben. Unterschiedliche Forschungsfelder und Perspektiven der Auseinandersetzung mit dem Problem führen dazu, dass je nach Disziplin die Interpretation des Humors unterschiedlich ausfällt. Im Allgemeinen wird Humor aus zwei Perspektiven untersucht, und zwar als Sinn für Humor und Produktion von / Reaktion auf Humor. Im ersteren Fall wird Humor situationsübergreifend betrachtet und tritt als ein festes Persönlichkeitsmerkmal des Menschen, als seine Disposition auf, »für das Komische oder einzelne seiner Ausprägungen empfindlich zu sein« (Kindt 2017b: 7).6 Humor wird also mit einem Gemütszustand, einer Stimmung (vgl. Kopalin´ski 2000: 219) gleichgesetzt. Ochwat (2015: 34) plädiert dafür, Sinn für Humor als ein mehrdimensionales Konstrukt anzusehen, das Verhaltensmuster, Fähigkeiten, komische Situationen zu kreieren, auszudrücken, zu verstehen und darauf zu reagieren, sowie Temperamentsmerkmale, Einstellungen und Strategien zum Umgang mit Stress umfasst. Sinn für Humor kann Wicki (2000: 174) zufolge entweder klassisch als Temperamentsdimension des Menschen7 oder als »(wohl weitgehend erworbene) Fähigkeit einer Person, (auch) widrigen Umständen eine lustige Seite abzugewinnen«, wahrgenommen werden (vgl. dazu auch Löschmann 2015: 15). In der zweiten Auffassung gilt Humor als »mündlich oder medial […] vermittelter Beitrag, der in eine mehr oder weniger vorgegebene sprachliche […] oder nicht-sprachliche Form […] geschlossen ist« (Wicki 2000: 174). Humor soll aber auf dieser Ebene wieder doppelperspektivisch als Produzieren/Präsentieren des Humors und Reaktion auf humorvolle Stimuli (Rezeption von Humor) behandelt werden. Bei Generierung des Humors treten solche Eigenschaften und Fähigkeiten in den Vordergrund, die die Menschen dazu bringen, solche verbalen und nonverbalen Handlungen mit Rücksicht auf die Erwartungen des Rezipienten und den Situationskontext auszuführen, die den Empfänger in eine angenehme, amüsante Stimmung versetzen und bei ihm Lachen auslösen können. 6 Humor begleitet den Menschen in seiner Entwicklung von der frühen Kindheit bis zur späteren Adoleszenz, wobei im Laufe des Lebens sich der Sinn für Humor je nach dem Stadium der menschlichen Entwicklung ändert. Es werden vier Hauptphasen bei der Entwicklung des Sinnes für Humor differenziert, und zwar: 1) die frühe Kindheit und Vorschulalter, 2) mittlere Kindheit, 3) Jugendalter und 4) Erwachsenenalter. Das Verständnis von Humor ist daher sowohl von den kognitiven Fähigkeiten des Menschen und seinem Sprachniveau abhängig als auch von der Determinierung durch soziale und kulturelle Faktoren im Laufe der Zeit (vgl. Wicki 2000: 176–181; Pomirska 2014: 217–219). 7 Humor stammt vom lateinischen Wort umor oder humor, das ursprünglich Feuchtigkeit oder Flüssigkeit, darunter auch Körperflüssigkeiten, bedeutete. Die antiken Ärzte waren der Meinung, dass die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Körperflüssigkeiten (Blut, Schleim, Galle, schwarze Galle) Gesundheit garantieren sollte. Das Ungleichgewicht zwischen ihnen verursacht aber die Verstärkung unterschiedlicher Persönlichkeitsmerkmale. So begann man Humor mit Menschen in Verbindung zu bringen, deren Temperament von der akzeptierten Norm abwich (vgl. Carroll 2018: 16).
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Die Reaktion auf die humoristischen Aktivitäten hängt wieder von einer ganzen Reihe von Merkmalen ab, wie: von den Ausdrucks- und Wirkungsformen des Humors, dem Kommunikationskontext, den kognitiven Möglichkeiten des Empfängers, seinem emotionalen Zustand, seiner Zugehörigkeit zur Lachkultur, seiner Humorauffassung sowie seinem Sinn für Humor. Sowohl das Produzieren als auch das Rezipieren des Humors können von den Menschen als rein subjektive Größen angesehen werden. Miller (2002: 53) zufolge, »gibt es anscheinend keine zwei Personen mit gleichem Sinn für Humor und gleicher Humorauffassung, denn beide sind für den einzelnen so einzigartig wie Papillarlinien«. Die bisher angestellten Überlegungen bestätigen die Konstatierung, dass es nicht leicht ist, Humor zu definieren.8 Jede definitorische Vorgehensweise sollte daher als ein Versuch der Begriffserläuterung und nicht als eine endgültige Begriffsbestimmung betrachtet werden. Die unternommenen definitorischen Ausführungen sollten jedoch nicht als vergeblich angesehen werden – ganz im Gegenteil, sie erlauben es, bestimmte Tendenzen und Denkrichtungen zu diagnostizieren, zu systematisieren und falls nötig, sie miteinander in Beziehung zu setzen sowie einzelne Komponenten des umfassenden Humorbegriffs ggf. aufs Neue zu sichten. Für die Zwecke dieses Beitrags wird auf drei von Chłopicki (2004: 15) vorgeschlagene Forschungsfelder des Humors Bezug genommen. Aus linguistischer Sicht versteht man Humor generell als »ein abstrahiertes und idealisiertes Merkmal, das im Sprachverhalten zum Ausdruck gebracht wird«; unter psychologischen und kognitiven Gesichtspunkten als »eine Eigenschaft des menschlichen Geistes, die sich nach außen hin durch Lachen äußert« oder als »eine innere Disposition eines Mitglieds einer bestimmten Gesellschaft, die er zumindest weitgehend mit anderen Mitgliedern dieser Gemeinschaft teilt und auf soziale Weise erlebt«. Die meisten Humorauffassungen knüpfen mehr oder weniger an die klassischen Komik-/ Humortheorien an, die im Weiteren behandelt werden. Humor ist untrennbar mit dem Belustigen verbunden, was bereits in der Antike die griechischen Philosophen nachzuweisen versuchten. In der Doktrin des Aristoteles sind zwei theoretische Grundpositionen zu unterscheiden, die von Buttler (1974: 11) wie folgt komprimiert werden: Zum einen ist die komische Reaktion eine Folge der Steigerung des Selbstwert- und des Überlegenheitsgefühls gegenüber dem jeweils anvisierten Objekt. Zum anderen ist der komische Effekt ein Kontrast, der in der Anordnung der beobachteten Phänomene selbst 8 Als problematisch erweisen sich nicht nur Versuche, den Humor zu definieren, sondern auch die eindeutige Einordnung der Humorarten, wovon zahlreiche Humortypologien zeugen. Eine der Vorgehensweisen der Klassifizierung von Humorarten präsentiert Löschmann (2015: 17– 21). Im Prinzip wird zwischen dem nonverbalen und dem verbalen Humor unterschieden, wobei in beiden Bereichen weitere Gliederungen vorgenommen werden.
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enthalten ist oder die Denkweise des Subjekts charakterisiert. Auf beide Säulen stützen sich die bekanntesten Komik-/Humortheorien, und zwar die Überlegenheitstheorie, auch als Superioritätstheorie (vgl. Dörner 2017: 26) oder Aggressionstheorie (vgl. Löschmann 2015: 29) bezeichnet, und die Inkongruenztheorie(n).9 Die Grundgedanken der antiken Philosophen wurden von den späteren Autoren aufgegriffen, fortgesetzt, verfeinert und auf den Stand gebracht – sie bilden das Fundament des aktuellen Theoriediskurses. Anschließend werden die beiden Theorien kurz gestreift, da sie bei der Erläuterung der Ethnomemes ausschlaggebend sind.
2.1
Komik-/Humortheorien mit Schwerpunkt auf Überlegenheitstheorie
Erste Ideen zu der Überlegenheitstheorie lassen sich auf viele antike Beiträge, vorzugsweise von Platon und Aristoteles, zurückverfolgen, die in ihren Überlegungen Humor mit einer Boshaftigkeit gegenüber den als minderwertig wahrgenommenen Menschen in Zusammenhang brachten. Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass wir gern über andere lachen, bei denen wir etwas negativ Auffallendes vorzufinden glauben. Denen gegenüber empfinden wir eine Art Überlegenheit (vgl. Arystoteles 1983: 14–15) oder zumindest das Erleichterungsgefühl, dass wir von solchen Unzulänglichkeiten nicht betroffen sind (vgl. Kindt 2017a: 3). Dieser Argumentationslinie folgte im 17. Jahrhundert der englische Philosoph Thomas Hobbes, der die Quelle der Belustigung in der »plötzlichen Freude« sah, die aus dem Erblicken einer Unzulänglichkeit, Deformation, Normabweichung bei einer anderen Person resultiert. Der Vergleich der dargestellten Person mit sich selbst kann für den Übermut sorgen, dass man besser ist als der andere, oder jedenfalls besser als die Person, mit der man sich konfrontiert (vgl. Hobbes 1954: 50). Im Mittelpunkt dieser Theorie steht das gesteigerte Selbstgefühl, das sich Lipps (1898: 15) zufolge »aus der Vorstellung einer
9 In der einschlägigen Literatur wird außer der Überlegenheits- und Inkongruenztheorie auch der Entlastungstheorie (als Entspannungs-, Entladung- oder Erleichterungstheorie bezeichnet) viel Beachtung geschenkt, deren Grundlage die Untersuchungen von Herbert Spencer und Sigmund Freud bildeten, die sich mit der Erläuterung der psychischen Funktionen des Lachens auseinandersetzten. Neben den Humoransätzen, die sich auf die philosophischen Ausführungen beziehen, sind auch andere Theorien hervorzuheben, die darauf abzielen, die intraund interindividuellen Unterschiede im Umgang mit / im Einsatz von Humor sowie seine positiven und negativen Manifestationen aufzuzeigen (vgl. Ochwat 2015: 35–38). Ausgewählte – sowohl aus der philosophischen als auch der psychologischen und soziologischen Sicht formulierte – Komik-/Humortheorien besprechen u. a. Buttler (1974: 11–23), Brzozowska (2000: 20–25), Miller (2002: 54–56), Chłopicki (2004: 15–18), Merziger (2005: 9–17), Löschmann (2015: 25–31), Dörner (2017: 26–28) und Carroll (2018: 18–63).
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Überlegenheit unserer selbst im Vergleich mit der Inferiorität anderer, oder der Inferiorität, die wir selbst vorher bekundeten, ergibt.« Kindt (2017a: 3) betont, dass mit der seit dem 18. Jahrhundert u. a. von Hutcheson oder Lessing verbreiteten Feststellung – Überlegenheit sei für Komik weder notwendig noch hinreichend – begonnen wurde, das Überlegenheitskonzept grundsätzlich als kontingenten Baustein zu einem integrativen Modell und nicht mehr als hinreichende Theorie zu betrachten. Obwohl der Umfang dieses Konzepts in den letzten Dekaden reduziert worden ist, ist es immer noch in den meisten Humorbeiträgen präsent, die den Vertretern anderer ethnischen Gruppen gewidmet sind und in denen man beweisen will, dass die in den humoristisch gearteten Handlungen auftretenden Figuren schlechter sind als wir selbst. In diesen Fällen wird »das Lachen oft durch eine hämische Boshaftigkeit gegenüber anderen Menschen gekennzeichnet: Wir stellen uns selbst auf eine höhere Stufe und setzen dadurch das lächerliche Gegenüber gleichzeitig herab. Die Komik generiert auf diese Weise […] soziale Unterschiede und kann Hierarchien auf Dauer stellen« (Dörner 2017: 26). Durch Selbstaffirmation und Stärkung des eigenen Überlegenheitsgefühls können gesellschaftsfeindliche Haltungen provoziert werden. Bei den ethnischen Gruppen kann diese Vorgehensweise zur Festigung der ethnischen, darunter nationalen, Stereotype und zur Vertiefung der Distanz und der Abneigung zwischen Angehörigen einzelner Gruppen beitragen. Nach Löschmann (2015: 29) werden »unter dem Deckmantel des Humors Andersseiende und -denkende diskreditiert.« Humor kann nicht selten als Vorwand für Rassismus und Diskriminierung dienen.10 Das Bemerken eines Symptoms der Andersartigkeit, das als Abweichung von der Norm (unangemessenes Verhalten einer Person, das der akzeptierten Norm nicht entsprechende Aussehen usw.) wahrgenommen wird, führt bei einem Vertreter einer anderen Gruppe zu gesellschaftlichen Bestrafungen, die nicht nur das Individuum, sondern die ganze Gruppe, der es angehört, betreffen. In diesem Fall wird eine Abweichung von der Norm als Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen angesehen, die doch eingehalten und geschützt werden sollten. Beim Verlachen hat man es also mit einer für das Überlegenheitsgefühl charakteristischen Reaktion zu tun.11
10 Diese theoretischen Überlegungen finden ihre Widerspiegelung in der Analyse der deutschen und polnischen Ethnomemes – siehe dazu Adamczak-Krysztofowicz/Mihułka (im Druck). 11 Außer Verlachen verweist Zipfel (2017: 68) auf die zweite mögliche Reaktion des Betrachters auf eine unwillentliche Normabweichung, nämlich auf das Mitlachen, das ihm zufolge »mit einem Solidaritätsgefühl verbunden sein kann.«
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2.2
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Komik-/Humortheorien mit Schwerpunkt auf Inkongruenztheorie
Die Feststellung von Dörner (2017: 27) – »komische Effekte entstehen auch in anderen Konstellationen als denen einer Herauf- und Herabsetzung« – steht im direkten Zusammenhang mit der Inkongruenztheorie, die bis in die Antike zurückreicht und deren breite Durchsetzung erst in der Aufklärung dank der Beiträge von Francis Hutcheson und James Beattie erfolgte. Das Komische bzw. die Ursache des Lachens sind ausdrücklich auf das Divergierende zurückzuführen, das als Basismerkmal von Humor bezeichnet wird. Eine Diskrepanz, und genauer das, was als eine Diskrepanz erkannt wird, gilt also im Rahmen dieses Ansatzes als der Gegenstand der Belustigung. Die Leitidee der Inkongruenztheorie liegt in der Überzeugung, dass die Belustigung die Folge der Wahrnehmung eines Missverhältnisses ist (vgl. Kindt 2017a: 3). Die Inkongruenz wird im Sinne von »Ambivalenz, Abweichung, Doppeldeutigkeit, Kontrast, Tabubruch, Unlogik, Unvereinbarkeit, Widersprüchlichkeit« (Löschmann 2015: 25) verstanden. Man erfährt also eine Diskrepanz dann, wenn man gleichzeitig oder unmittelbar aufeinanderfolgende Elemente eines Ganzen wahrnimmt, die im gegebenen Kontext gewöhnlich nicht gemeinsam vorkommen. Von Kotthoff (2004: 2) wird angemerkt, dass »sich der Sinn einer humorvollen Handlung […] auf einer anderen als der erwarteten Ebene herstellt.« Es besteht ein Kontrast zwischen einer Erwartung, die man im Zusammenhang mit einem Konzept hegt, und dem gegebenen Fall bzw. den konkreten Angelegenheiten, der/die dem Empfänger gegenübertritt/gegenübertreten. Das Komische entsteht aus dem Zusammentreffen von Inkompatibilitäten (vgl. Wicki 2000: 175; Kozak 2014: 271; Löschmann 2015: 25; Dörner 2017: 27). So wird man mit zwei Welten konfrontiert, d. h. mit einer Welt, die es gibt und mit einer anderen, wie sie nach jds. Vorstellung sein sollte. Der Sinn einer humoristischen Handlung liegt also im Unsinn.12 Auf »Erwartungstäuschungen und Brüche« lassen sich Dörner (2017: 27) zufolge viele (aber nicht alle) lustig wirkende(n) Situationen zurückführen, weil das Wesen der Belustigung eine Abweichung von einer bestimmten, zuvor anerkannten Norm ist (vgl. Caroll 2018: 28). Der Inkongruenz liegt demzufolge ein Vergleich zugrunde, denn nur durch das Vergleichen kann festgestellt werden, dass eine Diskrepanz vorliegt. Im Hinblick auf die Abweichung von der Norm soll laut Zipfel (2017: 66) zwischen unwillentlicher und willentlicher Normabweichung unterschieden werden. Im ersteren Fall wird die Inkongruenz nicht absichtlich vom Subjekt herbeigeführt. Im zweiten Fall hat man es dagegen mit einem bewussten, beabsichtigten inkongruenten Verhalten des Subjekts zu tun, das mit Absicht zur 12 Darauf verweist auch Freud (2012: 278), indem er schreibt: »was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht […] der komische Prozess«.
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Herstellung einer Diskrepanz beiträgt, um auf den Empfänger eine komische Wirkung auszuüben. Die Inkongruenz bezieht sich nicht nur auf semantische Relationen zwischen einzelnen Zeichen, sondern auch auf die kulturellen hochgradig situationsspezifischen Wissensbestände, die nicht selten nur aus der jeweiligen Situation zu verstehen sind (vgl. Wowro 2014: 230). Die von den Emittenten des Humors absichtlich hervorgehobenen Normabweichungen können unterschiedlicher Natur sein, aber ob sie von den Humorrezipienten als komisch wahrgenommen werden, hängt von einer breiten Palette von Merkmalen ab, die Löschmann (2015: 26–27) zwei Gruppen zuordnet: individuelle Bedingungen (z. B. Temperament, Interesse, Einstellung, Stimmung, Befindlichkeit, Motivation, Kompetenz in entsprechenden Kommunikationssituationen, Vertrautheit mit den entsprechenden Kontexten, dem Kulturkreis und der Lachkultur, den Hintergründen, Einstellungen, Befindlichkeit) und Situationsmerkmale (z. B. die Qualität der Beziehung zwischen den Kommunikatoren, die gemeinsame Basis zwischen den Gesprächspartnern, die räumlichen Verhältnisse). Anders ausgedrückt: Die Wahrnehmung einer Botschaft als lustig, komisch ist durch individuelle Dispositionen der Beteiligten, ihre Motivationen, ihre sozialen Beziehungskonstellationen, einschließlich der Zugehörigkeit zu einer Lachgemeinschaft sowie durch direkt mit dem Situationskontext zusammenhängende Faktoren bedingt.
3.
Lachkultur und Rezeption der humorvollen Beiträge
Humor ist als ein Phänomen zu verstehen, das zwar universell (er ist ein fester Bestandteil jeder Gemeinschaft), aber zugleich sehr typisch für eine Kultur sein kann, sodass sie dann zu Recht das Attribut ›Lachkultur‹ für sich in Anspruch nehmen kann. Lachkultur als eine Teilkultur »steht in einem beschreibbaren Verhältnis zu anderen kulturellen Teilbereichen. […] Sie kann sozial, regional oder national integriert sein und ist selbstverständlich historisch variabel vorzustellen« (Unger 1995: 18). Chlebda (2001: I) betont, dass humoristisch geartete Handlungen ihre Wurzeln im historischen, kulturellen und sozialen Hintergrund haben, der über Jahrhunderte hinweg die Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaft samt und sonders geprägt hat. Dies hat zur Folge, dass sprachlich und außersprachlich geprägte humorträchtige Verhaltensweisen spatio-temporal eingebunden sind. Lachen wird seit Freud als »sozialer Vorgang« betrachtet. Es existiert nicht isoliert, sondern immer innerhalb einer Gemeinschaft. Darüber hinaus beeinflusst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe die Art und Weise, wie ihre Mitglieder Humor wahrnehmen und warum sie über bestimmte Regelabwei-
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chungen lachen und über andere nicht (vgl. Wirth 2017: IX).13 »Sag mir, was dich zum Lachen bringt, und ich sage dir, woher du kommst« schreibt Chlebda (2001: I) und unterstreicht damit, dass anhand dessen, was bei jemandem Lachen auslöst, festgestellt werden kann, welcher Gruppe er angehört. »Was als komisch gilt, worüber gelacht wird, wer mit wem worüber lacht und lachen darf, gibt Auskunft über eine Gesellschaft oder eine Gruppe« – konstatiert Leontiy (2017: 5). Lachen ist also ein Phänomen, das innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft auftritt. Wenn wir zusammen lachen, geben wir unsere Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu erkennen, und wenn wir uns versammeln, um mitzulachen oder andere zu verlachen, stärken wir das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Vertrauensverhältnis. Dem Lachen kommt innerhalb jeder Gruppe eine zentrale »inkludierende und exkludierende« (Leonity 2017: 2) Bedeutung zu, um Zugehörigkeit und Ausgeschlossenheit zu markieren, um »ingroup und outgroup voneinander abzugrenzen« (Kotthoff 2004: 24). In Anlehnung an Dupréel (1928) und Dumas (1921) stellt Buttler (1974: 21) fest, dass Lachen ein Signal der Aufnahme eines Individuums oder einer sozialen Gruppe in eine größere Gemeinschaft oder aber ggf. dessen/deren Ausschlusses aus dieser Gruppe ist. Das Lachen einer Person ist ein Zeichen der Zustimmung für ein bestimmtes Verhaltensmuster, für bestimmte Regeln und Überzeugungen. Der »Wir-Gruppe« tritt immer eine »Sie-Gruppe« entgegen, die sich aus Mitgliedern zusammensetzt, die von den Normen abweichen, die im Rahmen der »Wir-Gemeinschaft« beachtet werden und die ihre Widerspiegelung im Humor finden (vgl. Carroll 2018: 86). Demzufolge kann Lachen Menschen integrieren, sie in Gruppen zusammenbringen, die sich durch die gleiche, ähnliche Wahrnehmung von Humor auszeichnen. Lachen kann aber nicht nur eine integrierte, sondern ggf. auch eine desintegrierende Funktion wahrnehmen und damit für Isolierung der Betroffenen sorgen. Es kann einen Menschen einsam machen oder ihn gar ausgrenzen. Kotthoff (2004: 1–2) hebt hervor, dass »nicht alle Leute das Gleiche goutieren, betreiben, witzig finden, einschalten«, weil Menschen verschiedenen Gruppenkulturen, je nach Alter, Geschlecht, Beruf, ethnischer und nationaler Herkunft etc., angehören. Außerdem muss das, was uns zum Lachen bringt, nicht unbedingt bei unserem Gegenüber Lachen verursachen, denn Humor wächst einerseits aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft, andererseits reicht er tief in die Bereiche der individuellen menschlichen Psyche hinein. Dies bringt Chlebda (2001: I) besonders plausibel auf den Punkt: »Sag mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist«. Im Folgenden wird weder die Darstellung 13 Leontiy (2017: 5) verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung akkulturalisierende Wirkung der Komik, die sich auf die Kontexte bezieht, in denen Menschen Signale des Komik-Verhaltens gleich verstehen und dieses Verständnis teilen.
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der das Lachen als eine individuelle Reaktion behandelnden Theorien noch die Besprechung individueller, Lachen auslösender Dispositionen des Menschen in den Fokus gerückt, sondern es wird die kollektive, kulturbasierte Wahrnehmung des Humors zur Diskussion gestellt. Die vielfältige Rezeption humoristischer Inhalte ist weitgehend auf die kulturelle Zugehörigkeit der Emittenten und Rezipienten des Humors zurückzuführen. Die Kultur als Orientierungssystem besteht nach Thomas (2003: 112) aus spezifischen Symbolen und wird in der jeweiligen Gesellschaft tradiert. Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft werden durch dieses Orientierungssystem beeinflusst, was die Zugehörigkeit der Mitglieder zu dieser Gesellschaft bestimmt.
Durch das Prisma der im Prozess der Enkulturation erlernten Werte, Normen, Regeln und Konventionen bewerten wir die Realität und schreiben allen von anderen Menschen unternommenen verbalen und nonverbalen Handlungen eine positive oder negative Bedeutung zu, je nach dem, inwieweit sie den anfallenden Kulturregeln entsprechen. Schon innerhalb ein und derselben nationalen Kultur kommt es zu Missverständnissen, denn jede Kultur besteht aus vielen sich gegenseitig durchdringenden Subkulturen, deren Werte die Weltwahrnehmung ihrer Mitglieder auch stark determinieren. Die Sache wird noch komplizierter, wenn es um den Rezeptionsprozess eines komiksensitiven Phänomens geht. Buttler (1974: 25–26) führt in diesem Zusammenhang drei aufeinander folgende Phasen an, und zwar 1) die sog. »Schock«-Phase, für die Überraschung, Desorientierung wegen der Neuartig- und Einzigartigkeit sowie vermeintlicher Bizarrerie des Komikobjektes charakteristisch sind; 2) die – womöglich wichtigste – »Aufklärungsphase«, die durch intendierte Hinterfragung dem Komikeffekt beizukommen versucht; 3) auf Komik zurückgehende Freude. Die Abweichung von der Norm ruft komische Effekte hervor, also man muss sich zuerst der Norm bewusst sein, um die Inkongruenz in den kulturspezifisch geprägten Formen der Komik zu erkennen. Laut Wirth (2017: IX) machen Handlungen und Äußerungen, die komisch wirken […], eben jene Regeln, die im Rahmen einer Kultur implizit als gültig vorausgesetzt werden, explizit. Mit anderen Worten: Was wir komisch, finden gibt Aufschluss über unseren kulturellen Deutungsrahmen.
Humor ist demnach nicht zuletzt auch intra- und erst recht interkulturell als Prüfstein für die Sensibilität den Betragensnormen gegenüber zu verstehen. Dementsprechend nimmt der Humor zugleich eine kulturvermittelnde Funktion wahr (vgl. Leontiy 2017: 5). Der Humor macht für gesellschaftliche Normen sensibel und kann notfalls zum Sicherheitsventil werden (vgl. Carroll 2018: 85).
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Ethnomemes – zwischen Komik und Diskriminierung?
4.
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Stereotype im Dienste des Humors
Stereotype als »Bilder im Kopf«, die ein geordnetes, mehr oder weniger beständiges Bild einer möglichen Welt anbieten, auf das wir uns eingestellt haben, beeinflussen als vorfabrizierte und reproduzierbare Handlungen und Sprechweisen unser Wahrnehmen, Denken, Beurteilen und Handeln (vgl. Lippmann 1922/1964: 71). Stereotype sind laut Popovic (1998: 209) das Resultat einer Vereinfachung komplexer Sachverhalte und vorschneller Generalisierung von Einzelerfahrungen. Sie bewirken, dass die Menschen dank der Vereinfachung, der Reduzierung komplizierter Erscheinungen auf einfache und eindeutige Botschaften »wissen«, wie sie sich auf die Wahrnehmung der umgebenden Welt »einstellen« sollen. Stereotype dienen also der Orientierung in der komplizierten Wirklichkeit, denn sie strukturieren nach Keller (1983: 149) die Komplexität der Erscheinungen, ordnen die Meinungen, Wertvorstellungen, Empfindungen und Verhaltensweisen des Individuums kognitiv ein. Sie nehmen also die Form eines logischen, aber nicht verifizierten Urteils an (vgl. Quasthoff 1998: 13). Bausinger (1988: 160) bezeichnet sie als »unkritische Verallgemeinerungen, die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen Veränderungen relativ resistent sind«. Eine besondere Rolle bei der eindeutigen und exakten Darstellung der Figuren in den komischen Phänomenen kommt den Stereotypen zu, denn dank ihnen lassen sich unkompliziert und sofort Vertreter einer konkreten Gruppe identifizieren. Chłopicki (2004: 25) verweist auf die Charaktereigenschaften der dargestellten Menschen als zentrale Elemente bei der Humoranalyse. Da das Lachen die menschliche Domäne ist, lachen wir in der Regel über Persönlichkeitsmerkmale und Verhalten von Menschen, indem wir sie mit dem einwandfreien, perfekten, idealen Selbstbild vergleichen. Die Verwendung von Stereotypen in komischen Phänomenen soll aus zwei Perspektiven, je nach dem Ziel ihres Einsatzes und ihren Funktionen, behandelt werden, wobei der einen Sicht die Kondensation des Kontextes zugrunde liegt und die andere im direkten Zusammenhang mit dem Auslösen der Lacheffekte steht. Die beiden genannten Perspektiven werden im Folgenden kurz erläutert. Da das charakteristische Merkmal von komischen Ausprägungen die Prägnanz der Botschaft ist, werden Stereotype vorwiegend eingesetzt, um die Figuren/Helden eines Witzes, Memes, Sketches etc. möglichst schnell darzustellen und dadurch den Kommunikationsprozess zu beschleunigen und zu erleichtern. Die Figuren werden also mit solchen Attributen ausgestattet, die es den Humorrezipienten ermöglichen, sie sofort in eine »entsprechende« Kategorie einzuordnen und ihnen weitere für diese Klasse »charakteristische« Eigenschaften zuzuschreiben. Menschen, die mindestens ein Merkmal gemeinsam haben (z. B. gleiche nationale Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Beruf), bilden in einem abstrakten
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Sinne eine Gruppe/Kategorie14, deren Mitglieder als einander ähnlich angesehen werden und aufgrund eines Stereotyps bestimmt sein können (vgl. Wintermantel 1994: 82). Wie Chłopicki (2002: 24) anmerkt, kondensiert die bloße Erwähnung des Namens einer bestimmten Nation (die Deutschen, die Polen) den gesamten stereotypen Kontext.15 Schaff (1981: 38–39) konstatiert, dass »es genügt, jemanden im richtigen Umfeld […] einen Juden, […] einen Türken, einen Polen zu nennen, um […] die entsprechenden Phobien oder in manchen Fällen positive Emotionen zu wecken, auch wenn die untersuchte Person mit den Vertretern der von ihr bewerteten Gruppe nie in Kontakt gekommen ist«.16 Durch die Kategorisierung werden einerseits allen diese Gruppe bildenden Menschen bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben, aber andererseits werden ihre anderen, meist positiven Eigenschaften ignoriert oder nicht bemerkt. An dieser Stelle ist es hervorzuheben, dass alle ethnischen Stereotype ambivalent sind. Laut Brzozowska (2008: 22) ist die Haltung gegenüber dem Fremden als eine Kombination aus Faszination und Abneigung zu betrachten. Sie wird sowohl aus positiven als auch in der Regel stärker betonten, negativen Meinungen zusammengesetzt. Es kann vorkommen, dass dasselbe Attribut, das den Angehörigen einer bestimmten ethnischen/nationalen Gruppe zugeschrieben wird, je nach der Kommunikationssituation einmal positiv und einmal negativ bewertet wird.17 Darüber hinaus werden Personen, die von der stereotypen Auffassung 14 Kategorisierungsprozesse sind nach Kurcz (1992: 38) Aktivitäten des menschlichen Geistes, die darin bestehen, isolierte Objekte intuitiv zu sortieren und entsprechenden Klassen (d. h. Kategorien/Sammelbegriffen) unterzuordnen. Eine Kategorie ist also eine Sammlung von Elementen, die eine oder mehrere Eigenschaften gemeinsam haben. 15 Der Name als sprachlicher Ausdruck hat eine denotative Bedeutung, aus der sich keine Merkmale ableiten lassen, die in dem Stereotyp, anhand dessen eine Personengruppe beschrieben wird, enthalten sind. Der Name der Deutsche/der Pole enthält also kein Bewertungsmerkmal. Wenn aber der Sprecher über ein begriffliches Stereotyp eines Deutschen/ eines Polens verfügt, dann ordnet er einem Deutschen/einem Polen bestimmte Merkmale zu, die nichts mit der denotativen, sondern mit der konnotativen Bedeutung des Wortes zu tun haben (vgl. Chlewin´ski 1992: 10). 16 Man kann einer Person fremder Herkunft (z. B. einem Deutschen), die man gar nicht kennt, aufgrund der Zuordnung zur »entsprechenden« Kategorie (»die Deutschen«) unzählige Attribute zuschreiben. Auf diese Weise entsteht ein zwar komplexes, aber zugleich sehr verzerrtes Bild von diesem Menschen, der nicht mehr als Individuum, sondern als Teil einer Gruppe wahrgenommen, und dadurch beurteilt wird. Dies bestätigen u a. die Ergebnisse der Untersuchung, die Mihułka (2012: 177–178; 193–350) unter polnischen Oberschullernern durchgeführt hat. Mehr als 90 Prozent der Probanden hatten keinen direkten Kontakt zu Personen deutscher Herkunft und sind noch nie in Deutschland gewesen. Dies hinderte sie nicht daran, ein umfassendes, aber gleichzeitig sehr stereotypes Deutschlandbild zu entwerfen. 17 Deutsche Ordnung wird meist als eine Tugend betrachtet und positiv beurteilt. Es passiert aber, dass diese Eigenschaft nicht mehr als Vorteil angesehen, sondern zum Nachteil wird, was der folgende polnische Ethnowitz veranschaulicht: »Was macht ein Deutscher, wenn er eine Fischdose öffnet? Zuerst ordnet er alle Fische an – Ordnung muss sein!«.
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abweichen, nur als eine Ausnahme betrachtet, die die Regel bestätigt (vgl. Mihułka 2010: 80). Dadurch wird die Überzeugung von der Richtigkeit und Gültigkeit des Stereotyps nur noch verstärkt, wodurch es weiter gefestigt wird. Die außergewöhnlich starke Trennung zwischen »Wir« und »Sie« spiegelt sich in ethnischen Stereotypen wider. Stereotype als gemeinsame und feste Bezugspunkte ermöglichen das Konstruieren der äußeren Welt und des Bildes von anderen Menschen, verstärken die Bindung zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft durch die Betonung des Zusammengehörigkeitsgefühls sowie akzentuieren die Wertegemeinschaft (vgl. Berting/Villain-Gandossi 1999: 26). Schaff (1981: 116) geht einen Schritt weiter und schreibt von der Verteidigung durch Stereotype »der von der Gesellschaft oder einer Gruppe akzeptierten Werte und Urteile, deren Internalisierung als verbindliche soziale Norm eine Voraussetzung für die Integration des Einzelnen in die Gruppe ist.« Die Verbindung der Elemente emotionaler und wertschätzender Haltung in dem Wir-Sie-Schema verursacht, dass häufig positive Meinungen in den Selbstdarstellungen, d. h. in Autostereotypen, vorherrschen. Im Falle der Fremddarstellung, also bei den Heterostereotypen, die sich auf fremde Gruppen beziehen, dominieren dagegen meist negative und diskriminierende Urteile über Andere (vgl. AdamczakKrysztofowicz 2003: 72–73, Błuszkowski 2005: 27; Mihułka 2010: 82–83). Carroll (2018: 86) bemerkt dabei, dass nicht alle, die von uns als »Sie« bezeichnet werden, mit einer gerechten Behandlung rechnen können, wenn sie zum Gegenstand humoristischer Beiträge gemacht werden. Die Überzeugung, dass man besser ist als die Anderen, auch wenn es nicht bewiesen werden kann, konsolidiert die ganze Gruppe und ermöglicht es ihren Mitgliedern, ihr negatives Verhalten gegenüber Angehörigen anderer Gruppen zu bekunden oder sogar zu rechtfertigen (vgl. Wintermantel 1994: 83; Adamczak-Krysztofowicz 2003: 73). Diesem Gedankengang folgt auch Fedorowicz (1999: 325–326), der darauf verweist, dass Ausländer als ideales Objekt einer stereotypen Darstellung gelten, weil jede Menschengruppe naturgemäß dazu neigt, sich auf Kosten bzw. durch Abwertung anderer aufzuwerten. Wenn wir uns über andere lustig machen, können wir uns besser fühlen, was schon im Rahmen der Überlegenheitstheorie zum Ausdruck gebracht wurde. Aber ob es moralisch vertretbar ist, ist eine andere Frage. Stereotype werden in humorvollen Ausprägungen eingesetzt, um einen komischen Effekt zu erzielen. Darüber hinaus verwendet man sie wegen der Ökonomisierung kognitiver Prozesse und der Vereinfachung der komplexen Realität, der schnellen Kategorisierung der Helden und ihrer Zuweisung zu einer sozialen oder ethnischen/nationalen Gruppe sowie ihrer kommunikativen Funktionen. Die bloße stereotype, also überzeichnete Darstellung der Figuren gilt als charakteristisches Element komischer Phänomene. Die spielerische Verzerrung der Stereotype stärkt die Signifikanz der Inhalte und der Lacheffekt scheint dadurch garantiert zu sein – beispielsweise bringen stereotype Internet-(Ethno-)Memes
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von unattraktiven deutschen Frauen oder deutschen Männern als Biertrinker und Wurstesser18 die polnischen Humorrezipienten meist zum Lachen.
Abb. 1: Beispielmeme »Uroda Niemek« (Übersetzung ins Deutsche: »Die Schönheit der deutschen Frauen als Strafe für den Zweiten Weltkrieg?«). Quelle: https://dziennikzachodni.pl/typo wy-slazak-typowy-polak-i-typowy-niemiec-memy-zdjecia-co-mowi-o-nich-internet/ga/896667/ zd/1951871 [Zugriff am 03. 05. 2021]
Abb. 2: Beispielmeme »Nikt: nic. Niemcy jak skon´cza˛ 16 lat« (Übersetzung ins Deutsche: »Niemand: nichts. Deutsche einige Sekunden, nachdem sie 16 werden«). Quelle: https://besty.pl /4004010 [Zugriff am 03. 05. 2021]
18 Die Beispiele wurden einem umfangreichen Ethnomemes-Korpus entnommen, der von den Autorinnen zusammengestellt wurde, um Polen- und Deutschlandbild in Ethnomemes einer formalen und inhaltlichen Analyse zu unterziehen (vgl. Adamczak-Krysztofowicz/Mihułka im Druck).
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5.
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Fazit
Der Humor als eine der facettenreichsten Erscheinungen der menschlichen Kommunikation ist ein äußerst bedeutsamer Teil der Menschheitsgeschichte seit der Antike. Da Humor ein soziales Phänomen ist, hängen komische Ausprägungen nicht nur von Individuen ab, sondern werden durch die kulturspezifischen Symbole, Stereotype und Codes sowohl bei ihrer Produktion als auch Rezeption determiniert.19 Wie in dem Beitrag erörtert, fungiert Humor als ein wichtiger Faktor beim Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen und wird aufgrund seiner Verwurzelung in Sprache, Schrift und Bild sowie seines hohen Vorkommens in modernen Massenmedien als grundlegendes Kommunikationsmedium/Kommunikationsmittel betrachtet. Leider fehlt es bislang an einer vollständigen und in sich geschlossenen Theorie dieses Phänomens, die als Basis für weitere empirische Forschung verwendet werden könnte. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass Humor, genauso wie Kultur20, nicht statisch ist, sondern sich dynamisch21 modifiziert und aktualisiert. Auch wenn der Humor sich einer allgemeingültigen wissenschaftlich-systematischen Beschreibung entzieht und in der Fachliteratur als ein »Mixtum Compositum« (Sindermann 2009, zit. nach Löschmann 2015: 15) bezeichnet wird, bedeutet dies nicht, dass man humorvolle Inhalte aus dem Internet22 in fremdsprachlicher Unterrichtspraxis ohne Reflexion glottodidaktischer Auswahlkriterien sowie geeigneter methodisch-didaktischer Prinzipien und Medien willkürlich einsetzen sollte. Die einleitende Erwägung der genannten Aspekte erforderte in dem vorliegenden Beitrag zum einen die theoretische Begründung der relevanten Schlüsselbegriffe Komik und Humor aus interdisziplinärer Sicht sowie ihre Veranschaulichung mit zwei Erklärungstheorien. Sie machte zum anderen die Erarbeitung von Grundlagen zur Rezeption des Humors im Allgemeinen und des Ethnohumors im Besonderen notwendig. Ausgehend davon wurde abschließend im letzten Teil des Textes der Zusammenhang von humorvollen Inhalten und Stereotypen unter besonderer Berücksichtigung der Ethnostereotype in den Fokus der Betrachtung gerückt.
19 Dies kann man beispielsweise an der Unübersetzbarkeit von bestimmten sprachspielerischen Witzen beobachten. 20 Mit der Zeit werden beide Phänomene, wie die Sprache, durch historisch-kulturelle sowie politisch-gesellschaftliche Ereignisse beeinflusst. 21 Das Wort »Humor« stammt von dem lateinischen Wort »(h)umor«, was »Flüssigkeit« bedeutet. Siehe dazu Anmerkung 7. 22 In Anbetracht dessen, dass das Internet mittlerweile als eine der Hauptplattformen bezüglich der Produktion und Distribution humoristischer Inhalte gilt, wird dessen Wichtigkeit und Einflusskraft in diesem Bereich auch in der Fachliteratur (vgl. u. a. Shifman 2007; Egner 2018; Moebius 2018) erkennbar.
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Dabei wurde die Fragestellung in den Blick genommen, wie sich Humor und Stereotype bedingen. Vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen des vorliegenden Beitrags sollte in den nächsten Arbeiten der Versuch unternommen werden, Applikationen für die Fremdsprachendidaktik zu ziehen, die in die Praxis des kulturreflexiven Fremdsprachenunterrichts mit humorvollen Internet-Elementen in (Ethno-)Memes übertragen werden könnten. Bevor relevante Kriterien einer geeigneten Auswahl von (Internet-)Memes im Allgemeinen und Ethnomemes im Besonderen sowie die Funktionen, Prinzipien, Phasen und Techniken ihrer multifunktionalen Behandlung in der kommunikativ-kulturreflexiven Dimension aus glottodidaktischer Sicht aufgearbeitet werden, bedarf es zusätzlicher Überlegungen zur Definierung und Herauskristallisierung von wichtigen Merkmalen und Charakteristika der Ethnomemes, die einerseits als ein neues Medium und andererseits als ein noch unerforschter Terminus nicht nur der Glottodidaktik/Fremdsprachendidaktik zu konstituieren sind. Dabei steht es noch zur Diskussion, ob überhaupt und wenn ja, inwieweit populäre und zugleich kondensierte Hauptquellen des Humors – Internet-Ethnomemes – geeignete und aufschlussreiche Lehrmittel für kulturreflexives Sprachlernen mit humorvollen Stimuli im Rahmen des Diskurses darstellen. Die Eruierung dieser Fragestellung erfordert weitere Untersuchungen.
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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz / Krystyna Mihułka
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Winfried Ulrich (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel)
Komik und Pointe in Kurztexten Comic and Punchline in Short Texts
Abstract After the definition of »Humor«, »Komik« and »Pointe« and the description of the theories of »Inkongruenz« and »Bisoziation« (Arthur Koestler) laughing is explained to be the reaction of the reader to incongruity in several types of short texts. The structure of several exemplary jokes, joking questions, cartoons, wellerisms, anecdotes and aphorisms are analysed. Very often ambiguity and polysemy are the characteristic properties of these texts causing typical missunderstandings and allusions. They are sources of amusement, of smiling and laughing of the text recipient. On the other hand especially paradox aphorisms often are difficult riddles and give food for deep thought. So the mentioned texts and topics are excellent learning objects in language lessons at school. Students can acquire and expand what is called »ambiguity tolerance«. Keywords: comic, punchline, bisoziation, joke Schlüsselwörter: Komik, Pointe, Bisoziation, Witz
1.
Humor und Komik
»Humor« ist ein schillernder Begriff. Man bezeichnet mit ihm im Deutschen zumeist eine bestimmte Haltung, eine menschliche Eigenschaft, eine Begabung, nämlich die Fähigkeit zu heiterer Gelassenheit in Situationen, in denen man mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat und/oder in denen das Scheitern droht. Man reagiert auf eigene und fremde Unzulänglichkeiten wie auch auf voraussehbares Unheil mit einem überlegenen Lächeln. So ist das geflügelte Wort entstanden: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Bei Wilhelm Busch verhilft der Humor sogar dazu, sich mit seinem unvermeidlichen Ende zu arrangieren:
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Winfried Ulrich
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim, er flattert sehr und kann nicht heim. Ein schwarzer Kater schleicht herzu, die Krallen scharf, die Augen gluh. Am Baum hinauf und immer höher kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist und weil mich doch der Kater frisst, so will ich keine Zeit verlieren, will noch ein wenig quinquillieren und lustig pfeifen wie zuvor. Der Vogel, scheint mir, hat Humor
Es kann mit Humor aber auch eine kognitive Leistung bezeichnet werden, nämlich die Fähigkeit, lustige Äußerungen zu produzieren und dadurch andere Menschen zum Lachen zu bringen. Auch dann kann es zu einer anerkennenden Charakterisierung der Person kommen: Der/die hat Humor! Unter einem »Humorbeitrag« kann man schließlich die Produktion und Präsentation solcher Äußerungen verstehen. Hervorgerufen werden Heiterkeit, Schmunzeln oder Lachen durch menschliches Verhalten und dessen Ergebnisse, durch »Komik«. Komik ist der lächerliche Widerspruch gegenüber einer Erwartungsnorm1, der plötzlich wahrgenommen wird. So wirkt der extrem dicke Mensch (wie auch der hagere) allein durch seine vom Normalfall abweichende körperliche Erscheinung komisch (z. B. die Körperkomik der Stummfilmtypen Dick und Doof). Auch die Torte im Gesicht steht für die Inkongruenz von Soll und Ist (Situationskomik), ebenso ein lustiger Versprecher (Sprachkomik). Der durch die Abweichung und Unvereinbarkeit hervorgerufene komische Kontrast oder Konflikt widersprüchlicher Prinzipien unterscheidet sich vom tragischen Konflikt dadurch, dass er nicht wie dieser Jammer und Mitleid, Furcht und Schrecken hervorruft (Katharsis als Reinigung der Affekte), sondern nicht ernst genommen, leichtgenommen werden kann (Lustgewinn durch Entlastung und befreiendes Gefühl). Denn Komik ist die Regelwidrigkeit in kleinen Dingen, und der komische Konflikt hat es stets mit etwas Unbedeutendem, Geringfügigem, Kleinem zu tun. Die menschliche Reaktion auf den komischen Konflikt beschreibt der Anthropologe Helmuth Plessner. Er deutet Lachen als hilfloses Verlegenheitshandeln, als elementare Reaktion auf Erscheinungen, die man nicht recht versteht, mit denen man nicht normal umgehen kann, die an sich »unmöglich« sind, gleichwohl existieren und zu einer ambivalenten Stellungnahme zwischen Ja und Nein, zwischen Angezogen- und Abgestoßensein zwingen. Man nimmt die Erscheinung hin, aber nimmt sie nicht ernst; man lacht und verliert so in gewisser Weise für einen Augenblick die Herrschaft über die Situation und über sich selbst. Nach der sogenannten Inkongruenztheorie besteht der Auslöser komischer Wirkungen aus Diskrepanzen, aus einem Missverhältnis zwischen zwei miteinander in Beziehung stehenden Erscheinungen, aus deren fehlender Verträg1 Das Komische besteht aus der »Kollosion mit irgendeiner Norm« (Plessner 1950: 116–117), Komik ist »Unverhältnis gegenüber der Norm« (Wellek 1949: 172).
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Komik und Pointe in Kurztexten
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lichkeit und Übereinstimmung. So entdeckt man auf dem folgenden Foto sofort, dass das Baby und die voll ausgebildete Zahnreihe im Oberkiefer nicht zusammenpassen. Die optische Wahrnehmung widerspricht der auf Lebenserfahrung beruhenden Erwartungsnorm, führt beim Betrachter zu einem komischen Konflikt und löst Heiterkeit aus.
Abb.1: https://www.pinterest.de/pin/575546027380636128/ [Zugriff am 13. 05. 2021]
Vereinfachend lässt sich das Verhältnis von Humor und Komik auf eine einfache Formel bringen: Humor ist, was man hat, Komik ist, was man belächelt.2
2.
Pointe und Textkohärenz
Als »Pointe« wird landläufig jede überraschende Wende in einem Text verstanden, oft als unerwarteter Schluss am Textende lokalisiert. Im Folgenden wird der Begriff enger gefasst. Als Pointe gilt nur die überraschende Wende, die auf der Überlagerung zweier zunächst nicht zusammenpassender, miteinander in Spannung stehender geistiger Vorstellungen von Gegenständen, Situationen, Sachverhalten (inkongruenter Konzepte) beruht. Eine solche Inkongruenz erschwert die Rezeption eines Textes, denn sie stört oder zerstört die Textkohärenz. Diese bildet den Zusammenhang aufeinanderfolgender sprachlicher Ausdrücke im Text und wird als innere Widerspruchsfreiheit und inhaltlich Stimmigkeit von einem normalen Text erwartet. Die Inkongruenz bewirkt dagegen Unklarheit der Textaussage, erzeugt beim Rezipienten einen Rätseleffekt. Erst wenn er den zunächst verdeckten, aber vorhandenen Zusammenhang zwischen den beiden in Spannung stehenden Konzepten entdeckt, hat er das Rätsel gelöst, hat er die Pointe voll erfasst und den Text verstanden. Die zunächst bestehende Inkongruenz weicht mit Hilfe eines semantischen Blickrichtungswechsels einer Kongruenz, wenn auch auf einer neuen Sinnebene. Dabei wird die Inkongruenz nicht völlig beseitigt. Sie bleibt im Hintergrund der Textrezeption erhalten. Inkongruenz und Kongruenz existieren nebeneinander. 2 Vgl. hierfür Kindt (2017: 7): »Humor ist eine Haltung, Komik das Resultat einer Handlung. Humor hat man, Komik macht man oder entdeckt man«.
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Abb. 2: F. K. Waechter in: ZEIT magazin 46/1976
Der kombinierte Bild-Sprach-Witz von F. K. Waechter führt anschaulich vor Augen, was Pointen konstituiert. Es geht stets um das »Zusammenpassen« bzw. das »Nichtzusammenpassen«. Zwei präsentierte Konzepte kollidieren miteinander wie die beiden Personen in der Abbildung, die vornehme, festlich gekleidete Dame der höheren Gesellschaft und der ungepflegte Landstreicher in seinen schäbigen Lumpen. Eine größere Diskrepanz erscheint kaum möglich. Deshalb lässt sich gut nachvollziehen und verstehen, dass andere Menschen meinen, die beiden würden nicht zusammenpassen. Das ist jedenfalls der erste Eindruck, den der Betrachter des Bildes gewinnt. Bei genauerem Hinschauen kommt er allerdings zu einer völlig anderen »Ansicht«: Die vorderen Körperprofile der gezeichneten Personen verlaufen genau parallel; beide Figuren könnte man bei gegenseitiger Annäherung wie die Teile eines Puzzles exakt zusammenfügen. Bei dieser Betrachtung passen beide Personen sehr wohl zusammen. Ein noch weitergehendes »Zusammenpassen« erscheint unmöglich. Wer erfasst, dass Zusammenpassen und Nichtzusammenpassen in diesem Fall keinen Widerspruch in sich bilden, sondern bei aller Spannung wohl verträglich sind, hat die Pointe des Witzes verstanden.
3.
Pointe und Komik
Pointe und Komik sind miteinander verwandt und verbinden sich häufig miteinander. Verbindendes Merkmal ist die Inkongruenz zweier Vorstellungen. Arthur Koestler hat dafür den Begriff der »Bisoziation« geprägt3: »Das Komische 3 Es geht beim komischen Effekt um »[…] das Erfassen einer Situation oder Idee L. in zwei in
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verknüpft in, mittels und kraft der Pointe auf plötzliche Art und dennoch ganz logisch Fremdes, Unzusammenhängendes, Unvereinbares. […] In der Pointe erfolgt eine überraschende Bisoziation von nicht zusammengehörigen Rahmen; in anderen Worten: mittels Kontrasten, Konflikten und Gegenbildlichkeit entstehen Doppel-, Mehr-, Vieldeutigkeiten und damit auch ein semantischer Mehrwert – ein unerwarteter Sinn tut sich plötzlich auf« (Müller-Kampel 2012, 26f.). Die Pointe stellt danach beim Textverstehen ein »Kipp-Phänomen« dar. Die im vorausgehenden Text aufgebaute Erwartung »kippt«, bricht jäh zusammen und wird schlagartig von Unerwartetem, aber Sinnvollem abgelöst. »Plötzlichkeit ist [dabei] eine grundlegende Bedingung des Komischen und damit Voraussetzung für das Lachen« – »diese Plötzlichkeit, mit der an der ›Pointe‹ die Erwartung getäuscht, die Wahrnehmung gebrochen oder das Verstehen abgelenkt wird; wo wir etwas kapieren und uns darüber lachend freuen« (Preisendanz 1970, 27). So erweist sich die Pointe als komischer Umschlag im Text.
4.
Textsorte Witz
Bei den Stichwörtern Pointe und Komik denkt man sofort an die Textsorte Witz. Beide Merkmale bilden die obligatorischen Konstituenten des Witzes. Das gilt sowohl für den Bildwitz als auch für den Sprachwitz. Beim Sprachwitz ist die Pointe in einen Erzählrahmen eingebaut, der ein minimales Handlungsgerüst abgibt, in dem zumeist eine Situation umrissen und Witzfiguren als handelnde Personen eingeführt werden. Beim »Bildwitz ohne Worte« ergibt sich die Komik allein aus der dargestellten Situation. Beim Bild-Sprach-Witz dagegen bildet die graphische Darstellung nur den »Kontext«, in den die sprachbasierte Pointe eingebettet ist. Die Pointe spitzt zu und bringt die Aussage »auf den Begriff«. Der Witz erweist sich als durch Sprache vergeistigte Komik. Um den vorliegenden Bildwitz zu verstehen, muss man zunächst den Zusammenhang der beiden Bildhälften erfassen: Der Bau eines Swimmingpools im Garten eines Hausbesitzers – der Bau eines Sprungbretts durch den Nachbarn, der den Pool über die Grenzmauer hinweg mitbenutzen will. Die Komik erwächst hier aus dem normwidrigen Verhalten des Nachbarn, der den in Entstehung befindlichen Pool auf dem Nachbargrundstück über die Mauer hinweg für eigene Zwecke nutzen will und sich bei seinen Vorbereitungen selbst vom zuschauenden Eigentümer nicht irritieren lässt. Das pfiffig-freche Handeln des Sprungbrettsich geschlossenen, aber gewöhnlich nicht miteinander zu vereinbarenden Bezugssystemen M1 und M2 […]. Das Ereignis L, in dem sich die beiden Systeme treffen, wird gleichzeitig sozusagen auf zwei verschiedenen Wellenlängen zum Schwingen gebracht. Solange dieser ungewöhnliche Zustand andauert, ist L nicht nur mit einem Assoziationssystem verbunden, sondern mit zweien ›bisoziiert‹« (Koestler 1966: 24–25).
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Abb. 3: Hör zu 25/1971
bauers überrascht und verblüfft den Poolbauer wie den Betrachter des Cartoons. Letzterer vermag ihm aber schmunzelnd eine gewisse Anerkennung für seinen skurrilen Einfall nicht zu verweigern. Erscheint die Komik im reinen Bildwitz dagegen allein, ohne in einer Pointe zugespitzt zu werden, ohne dass sich aus dem Unsinn ein Sinn ergibt, so kann man wohl lachen, hat es aber nicht mit einem Witz zu tun:
Abb. 4: Jals in Hör zu 24/1976
In den kombinierten Bild-Sprach-Witzen arbeiten beide Kommunikationsmittel zusammen und übernehmen dabei jeweils eine spezifische Funktion. Komisch ist hier bereits die bizarre Bildhälfte des Witzes: Der Sprung aus der in Brand geratenen Wohnung mit dort verbliebener Ehefrau endet nicht im Sprungtuch der Feuerwehr, sondern in den Armen der schönen Nachbarin. Auf den Begriff bringt die komische Aussage aber erst die durch Wortkreuzung aus Seitensprung und Sprungtuch gebildete Pointe. In diesem Fall genügt ein einziges Wort zur Pointenbildung. In anderen Fällen ist mehr Sprachaufwand erforderlich (siehe Abbildung 6). Der Bildkontext macht erst einmal deutlich, dass der Büstenhalterabsatz einer Firma offensichtlich stark rückläufig ist (Kurve auf Diagramm an der Wand) und dass die Werbetruppe der Firma sich auf einer Verkaufsschulung beraten lässt, wie der Absatz erhöht werden kann. Komisch, weil völlig an den üblichen Des-
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Komik und Pointe in Kurztexten
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Abb. 5: Von Grove in Hör zu 19/78
Abb. 6: Quick 9/1973
sous vorbei, ist bereits die Demonstrationspuppe mit einem BH-ähnlichen Kleidungsstück am Po. Aber auch hier bringt erst die Sprache mit der Pointe die komische Aussage auf den Punkt: Analog zum BH wird ein Kürzel PH für Pohalter gebildet. Damit wird auf die Tatsache angespielt, dass manche Frauen mit der natürlichen Festigkeit ihres Pos ähnlich unzufrieden sind wie mit der ihrer Brüste und vielleicht bereit wären, ihre Figur auch an dieser Stelle mit einem
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stützenden Kleidungsstück optisch aufzuwerten. Der Ausdruck Umsatz verdoppeln weist verstärkend auf die ähnliche Funktionsweise beider Kleidungsstücke hin. Mit seiner Wortwahl anzudrehen macht der Verkaufsleiter allerdings deutlich, dass er nur geschäftlich hinter der abstrusen Idee steht, sie ansonsten wohl für eine Modetorheit hält, für die Frauen vielleicht zu gewinnen sind. Der reine Sprachwitz kommt ohne Bildkontext aus und bettet seine Pointe in einen narrativen Handlungskontext ein, der für sich genommen bereits komisch sein kann, aber nicht sein muss. Mit diesem Kontext wird beim Rezipienten sukzessive eine Erwartungshaltung aufgebaut, jedoch wird die Erwartung nicht erfüllt. Stattdessen kommt es zu einem Bruch im Textaufbau, der mit der abrupt auftretenden Inkongruenz der Konzepte Verblüffung auslöst und eventuell auch kurzzeitiges oder anhaltendes Nichtverstehen. Nur wer die Pointe erfasst, kann den Bruch im Text beseitigen und die zerstörte Textkohärenz wiederaufbauen. Dazu muss er freilich oft den voranstehenden Kontext daraufhin überprüfen, ob er auch anders verstanden werden kann als beim ersten Hören bzw. Lesen. Die dem Bruch vorausgegangenen Informationen werden dann neu geordnet und zusammengesetzt, bis sie mit der überraschenden Information zusammenpassen. Ein Jesuit und ein evangelischer Pastor disputieren miteinander über die Vorzüge ihrer Bekenntnisse. Nach einiger Zeit sagt der Jesuit: »Lassen wir doch diesen unnützen Streit. Schließlich dienen wir doch beide demselben Herrn, Sie auf Ihre Art und ich auf die Seine«.
Das letzte Wort kommt unerwartet. Die bekannte Redewendung »Jeder auf seine Art« lässt den Text auf einen anderen Abschluss zulaufen: Sie auf Ihre Art und ich auf meine. Ein solcher Text wäre stimmig, ohne Bruch, aber eben auch ein Text ohne Pointe und damit kein Witz. Das Wort Seine dagegen sprengt die aufgebaute Erwartungshaltung, beseitigt die innere Stimmigkeit, führt zum Bruch im Textaufbau. Erst nach kurzem Besinnen ergibt sich, dass das unpassende Wort nicht einfach unsinnig ist, sondern zu einer neuen, zusätzlichen Aussage des Textes führt. Aus dem vermeintlichen Unsinn entsteht plötzlich Sinn. Aus dem zunächst unpassenden wird ein durchaus in den Kontext passendes Wort, vorausgesetzt der Rezipient bleibt nicht auf der Stufe verständnislosen Achselzuckens stehen, sondern kommt zur »Erleuchtung«, löst das Rätsel des Textes: Dann entdeckt er nämlich, dass es sich bei der Wahl des Wortes Seine entweder um eine freudsche Fehlleistung, um einen Versprecher handelt, der die wahre Einstellung des Jesuiten aufdeckt, oder der Jesuit benutzt dieses Sprachspiel bewusst, um den Pastor zu ärgern. Jedenfalls entpuppt sich seine vermeintliche Toleranz und Bescheidenheit plötzlich als geistliche Arroganz und Rechthaberei: Der Pastor dient auf seine menschliche, unvollkommene Art, der Jesuit dagegen
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auf die Art des Herrn selbst. Dieser Textinhalt stellt den »semantischen Mehrwert« da, der sich aus der Pointe ableiten lässt. Der Angestellte Lehmann rennt im Großraumbüro auf und ab und jammert: »O Gott, hab’ ich Kopfschmerzen! Diese Kopfschmerzen! Ich verlier noch meinen Verstand.« Da wird es dem Chef zu bunt und er sagt: »Lehmann, wenn Sie krank sind, gehen Sie nach Hause. Aber hören Sie auf, hier herumzurennen und zu prahlen!«
Das letzte Wort prahlen passt nicht in den Kontext, bildet eine inkongruente Vorstellung, sprengt den vorher aufgebauten Bezugsrahmen. In diesen würden vom Hörer/Leser erwartete Verben wie jammern, stören u. a. hineinpassen. Aber prahlen? Gibt der Angestellte denn an? Das immerhin behauptet der Chef mit seiner Bemerkung. Sinn macht das nur, wenn man Lehmanns Worte noch einmal genau prüft und plötzlich feststellt: einen Verstand verlieren kann ja nur jemand, der einen solchen besitzt. Wenn der Chef das Verlieren als Prahlen bezeichnet, spricht er Lehmann den Besitz eines Verstandes ab. Die scheinbare Inkohärenz des Textes, seine Rätselhaftigkeit (»Was kann der Chef damit meinen?«) sind aufgehoben, der Text ist in sich stimmig geworden.
5.
Ambiguität, Missverständnis und Anspielung
Fast alle Witze spielen bei der Pointenbildung mit semantischen Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten, mit Ambiguität und Polysemie. Einzelwörter, Wortverbindungen, Sätze, Texte und Sprachhandlungen beginnen semantisch zu schillern oder kippen gar plötzlich in eine andere Lesart. Die kommunikativen Folgen sind Unverständnis, Missverständnis oder Anspielung. Sie treten bereits in Dialogen zwischen Witzfiguren auf oder werden erst bei der Rezeption eines Witzes vom Hörer oder Leser entdeckt. Die Typen des Missverständniswitzes und des Anspielungswitzes stellen zusammen das Hauptkontingent aller Sprachwitze. Beim Missverständniswitz beruht die Pointe auf der Spannung zwischen Gemeintem und Verstandenem. Dabei ist die Mehrdeutigkeit vom Sprecher nicht gewollt, wird von ihm oft nicht einmal bemerkt. Die Verständigung misslingt. Ursache des Missverständnisses ist oft ein unbekannter (Fremdwort) oder mehrdeutiger Ausdruck (Wort, Wortverbindung, Satz). Nicht immer ist zu erkennen, ob es sich um ein echtes oder um ein nur vorgetäuschtes Missverständnis handelt. Ferdinand ist mit seiner Frau im Urlaub und geht ins Theater. Nach ein paar Minuten beugt sie sich zu ihm hinüber: »Die Akustik ist ganz schlecht hier.« Der Ferdinand sitzt einen Moment still. Dann flüstert er zurück: »Ja, jetzt riech ich’s auch.«
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»Ohne Flaschenzug schaffen Sie das nicht«, sagt ein Herr wohlwollend zu zwei Arbeitern, die sich abmühen, einen riesigen Steinblock zu bewegen. »Das wissen wir auch«, ist die brummige Antwort, »aber die Pulle ist leider leer.« »Wir können nur hoffen, in diesem Prozess mit einem blauen Auge davonzukommen.« – »Meinen Sie, dass es eine Schlägerei gibt?« »Mein Verlobter hat mir zum Geburtstag ein kleines Spanferkel geschenkt.« – »Das sieht ihm ähnlich!« – »Wieso, haben Sie es schon gesehen?«
Es kann statt eines einzelnen sprachlichen Ausdrucks eine ganze Sprachhandlung, ein Sprechakt falsch verstanden werden. Insbesondere die damit verbundene Intention des Sprechers kann uminterpretiert werden. So wird beim folgenden Beispiel eine Beschwerdehandlung mit einer Entschuldigungshandlung verwechselt: Erkundigt sich der Mieter aus dem Parterre: »Haben Sie denn gestern Abend nicht gehört, wie ich an die Decke geklopft habe?« – »Doch, aber das macht nichts. Bei uns war es auch sehr laut.«
Im Gegensatz zum Missverständnis ist die Anspielung immer gewollt. Sie ist keine misslingende Form der Verständigung, sondern eine besonders kunstvolle. Mit einer ersten vordergründigen Aussage oder Bedeutung zielt man auf eine zweite, verdeckte. Auf sie kommt es gerade an. Erst sie enthält die Pointe des Witzes. Somit ist der Doppelverständniswitz ein Musterbeispiel für indirekte Aussagen, für den versteckten Hinweis, den Wink oder Fingerzeig. Lachen kann der Witzrezipient aus Freude über die gelungene Form, in der etwas verschwiegen und doch ausgesagt wird. Gelacht wird aber auch aus Schadenfreude, auf Kosten desjenigen, der durch den Nebensinn der Aussage verspottet, entlarvt, hereingelegt wird. »Es war wirklich sehr nett bei euch«, sagt die Schwiegermutter beim Abschied zu den jungen Eheleuten, »aber um euer Haus herum sieht es noch reichlich kahl aus.« – »Das liegt nur daran, dass die Bäume noch zu jung sind«, erklärt der liebenswürdige Schwiegersohn, »aber ich hoffe, dass sie reichlich Schatten spenden, wenn du wieder kommst!« »Einmal rasieren! Ich sehe aus wie ein Stachelschwein.« – »Die Stacheln werden wir gleich weghaben!« Nachdem die beiden lange auf das wogende Meer der Tanzenden hinabgeblickt haben, sagt der Ehemann versonnen: »Komisch, dass immer die größten Idioten die schönsten Frauen haben!« Umarmt ihn seine Frau: »O du Schmeichler!«
Eine Variante des Anspielungswitzes ist der Enthüllungs- oder Entlarvungswitz. Bei ihm ist die Anspielung nicht gewollt, geschieht unabsichtlich und trifft mit der »Spitze« nicht den Gesprächspartner, sondern den Sprecher selbst, rückt ihn in ein schlechtes Licht. Die Pointe geht sozusagen nach hinten los. Durch »Selbstüberlistung« enthüllt der Sprecher eigene Schwächen, stellt sich in unfreiwilliger Komik bloß. So macht man sich lächerlich, wenn man die Mehr-
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Komik und Pointe in Kurztexten
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deutigkeit der eigenen Worte übersieht und gar nicht merkt, welch unangenehme Rückschlüsse auf die eigene Person sie zulässt, ja geradezu provoziert. Eine Frau hat auf den Grabstein ihres Mannes folgende Worte setzen lassen: »Ruhe in Frieden – bis wir uns wiedersehen.« »Liebling«, sagt der junge Mann zärtlich zu seiner Frau, »ich glaube, im ganzen Ort gibt es nur eine einzige Frau, die ihrem Mann treu ist …« – »Wirklich? Wer soll das denn sein?«
Enthüllt wird die Naivität, ja die Dummheit einer Person, die ihre eigenen Worte mit deren Implikationen nicht verstanden, bestehende Zusammenhänge nicht erfasst hat. »Idioten, sind das Tiere?« – »Quatsch, Menschen wie du und ich.« An der Tür eines kleinen Textilgeschäfts hängt ein Schild: Wegen Krankheit meiner Frau bleibt mein Hosenladen 14 Tage geschlossen.
Im Irrenwitz gibt sich die Idiotie durch unsinnige Umdeutungen von Sachverhalten zu erkennen. Für die Pointenbildung ist dabei das Verhältnis von Realität und Umdeutung wichtig. Auch die Idiotie folgt dabei einer gewissen Logik. Der Unsinn enthält einen Sinn, nämlich eine innere Folgerichtigkeit. So lacht man dann zwar über die »Kurzschlüssigkeit« des Denkens, kann den Torheiten aber eine gewisse »Schlüssigkeit« und Folgerichtigkeit nicht absprechen, ihnen schmunzelnd eine gewisse Sympathie nicht versagen: Ein Irrer wird nach ausgiebigem Wassergenuss von einem menschlichen Bedürfnis gequält und will die Toilette aufsuchen. »Sei so gut«, sagt der andere, »und geh für mich mit!« Das will der erste auch tun. »Na«, fragt der zweite, als er wiederkommt, »warst du auch für mich?« – »Ach, wie dumm!« entgegnet der erste und schlägt sich vor den Kopf. »Das habe ich glatt vergessen. Aber ich hole es sofort nach.« Er geht wieder hinaus, kommt aber nach einer Weile ganz ärgerlich zurück und sagt: »Du blöder Kerl, du musstest ja gar nicht!« Martin sucht den Nervenarzt auf. »Wo fehlt’s denn?« fragt dieser. – »Fehlen tut mir nichts. Ich bin bloß nervös. Wissen Sie, ich hatte eine schwere Kindheit. Mein Zwillingsbruder … wenn der was ausfraß, kriegte ich die Dresche. Machte ich einen Botengang, kassierte er das Trinkgeld. Hatte ich ein Mädchen, so verlobte er sich mit ihr. Das kostet Nerven, Herr Doktor!« – »Verstehe. Man müsste Sie räumlich von Ihrem Bruder trennen.« – »Nicht mehr nötig. Herr Doktor. Ich habˈ mich nämlich jetzt gerächt. Neulich bin ich gestorben, und ihn habˈ ich beerdigen lassen.«
6.
Textsorte Scherzfrage
Mit dem Witz über die Merkmale Komik und Pointe eng verwandt ist die Scherzfrage. Auf eine narrative Einbettung mit mehr oder weniger umfangreichem Sprachaufwand, nämlich mit Einführung von Situation und handelnden
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Figuren wird verzichtet. Die Textsorte beschränkt sich darauf, eine Frage zu stellen und eine zunächst unpassende, dann aber durchaus passende Antwort zu geben: Wie vermehren sich Mönche und Nonnen? – Durch Zellteilung.
Komik entsteht bei diesem Beispiel allein schon durch die Frage, durch die in ihr enthaltene Zusammenstellung sich eigentlich gegenseitig ausschließender Vorstellungen: Mönche und Nonnen sind ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Keuschheitsgelübde abgelegt, der praktizierten Sexualität entsagt haben, sodass es gar nicht zur Befruchtung einer Eizelle mit anschließender Teilung kommen kann. Mönche und Nonnen dürfen sich also gar nicht durch Fortpflanzung vermehren. Die geistige Zuspitzung aber, die Pointe ergibt sich erst aus der Polysemie des Antwortkompositums: Zellteilung als ›Teilung von Körperzellen‹ wäre ein zwar bei diesen Personen nicht zu erwartender, aber biologisch ganz normaler Vorgang. Die mitassoziierte Zellteilung als ›Teilung einer Klosterzelle‹ dagegen wäre eine unerhörte, im Widerspruch zu den Ordensregeln stehende, wenngleich gut vorstellbare und menschlich verständliche Handlung. Was passiert, wenn ein Engel in den Misthaufen fällt? – Er bekommt Kotflügel. Welches Brot kann man nicht zum Frühstück bekommen? – Das Abendbrot. Was ist ein Sattelschlepper? – Ein Cowboy, der sein Pferd versoffen hat! Wie nennt man einen Mann, der Geld aus dem Fenster wirft? – Einen Scheinwerfer! Was ist ein eisenhaltiges Abführmittel? – Handschellen. Was sagt man, wenn ein Spanner gestorben ist? – Der ist weg vom Fenster! Was steht auf dem Grabstein einer Putzfrau? – »Die kehrt nie wieder.« Was ist Elektrizität? – Morgens mit Hochspannung aufstehen, mit Widerstand zur Arbeit gehen, den ganzen Tag gegen den Strom schwimmen, geladen nach Hause kommen, an die Dose fassen und einen gewischt kriegen!
Die überraschende Bisoziation beruht häufig auf einer Umbiegung der konventionellen Bedeutung eines Kompositums. Die beiden Komponenten werden zu einer Alternativbildung zusammengefügt (Kotflügel, Abendbrot, Sattelschlepper), oder ein mehrdeutiger (Abführmittel) bzw. homonymer Bestandteil (Scheinwerfer) bewirkt eine semantische Neubildung. Semantisch umgebogen werden aber auch Wortverbindungen als Redewendungen (weg vom Fenster sein, nie wiederkehren). Eine andere Form der Scherzfrage folgt der Einleitung »Wussten Sie schon …?« Die Technik der pointierenden Bisoziation ist die gleiche. Komplexe, aus mehreren Wortbildungsmorphemen bestehende Wörter werden semantisch umgebaut. Dabei wird mit Polysemie gespielt (Laufbahn, Hocker, brechen, haften, schwer, Brust), aber auch mit Homonymie (Wirbelsäule, Mädchen) oder gar einer Pseudoetymologie (Posaunen).
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Komik und Pointe in Kurztexten
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Wussten Sie schon, – dass die Beamtenlaufbahn kein Sportplatz ist, den man in Deutschland extra für fest besoldete Staatsdiener reserviert hat, – dass ein Barhocker kein Dauergast in einem Nachtclub ist, – dass eine Brechstange nicht dafür da ist, dass Seekranke sich auf dem Schiff an ihr festhalten können, – dass eine gesetzliche Haftpflicht bei Zahnprothesen nicht besteht, – dass man mit Schwerhörigkeit keineswegs eine besonders starke Form der Hörigkeit bezeichnet, – dass ein Brustkorb keine archaische und ein Brustkasten keine hypermoderne Variante des klassischen Büstenhalters ist, genau so wenig wie Brustbeutel eine besonders naturnahe und unter Naturschützern bevorzugte Variante, – dass eine Wirbelsäule keinen sich rasch drehenden Teil eines Gebäudes darstellt, – dass Mädchen nicht unbedingt kleine Maden und Posaunen so gut wie nie finnische Dampfbäder sind???
7.
Textsorte Sagwort
Jedes Sagwort (auch: Wellerismus) basiert auf einem bekannten Sprichwort, das einem Sprecher in den Mund gelegt wird, der ihm in einer ungewöhnlichen Verwendungssituation eine zweite Bedeutung verleiht. Der Zusammenprall beider Konzepte bewirkt Komik und führt zu einer Ironisierung der im Sprichwort eigentlich tradierten Lebenserfahrung.
Abb. 7: Röhrich (1977: 23)
»Zeit ist Geld«, sagte der Ober, da addierte er das Datum mit. »Guter Rat ist teuer«, sagte der Rechtsanwalt und gab schlechten. »Scherben bringen Glück«, sagte der Glaser und warf den Leuten die Scheiben ein. »Wer die Wahl hat, hat die Qual«, sagte der Scheich und wurde monogam. »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht«, sagte der Quizmaster und gab dem Kandidaten einen Fernseher.
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Die überraschende Wende der Pointe geht bei manchen Beispielen auf eine vom Original abweichende Bedeutung des Sprichworts zurück: So referiert Zeit einerseits auf eine ›Zeitspann‹, nach der geleistete Arbeit oder z. B. auch Telefoneinheiten abgerechnet werden, andererseits auf einen bestimmten Tag als ›kalendarische Zeitangabe‹. Wenn guter Rat teuer ist, bleibt man ›ratlos‹, weiß sich nicht zu helfen. Der Akzent liegt dabei auf teuer im Sinne nur schwer oder kaum zu erhalten. Das Sagwort akzentuiert dagegen den guten Rat und stellt ihm den schlechten Rat gegenüber. In anderen Fällen bleibt die Bedeutung des jeweiligen Sprichworts erhalten, seine Anwendung in einer unpassenden und doch passenden Situation verleiht ihm den Nebensinn: So werden die Scherben im Sprichwort eben nicht wie im Sagwort absichtlich und zielbewusst produziert. Dem Scheich wird die Wahl unter seinen Haremsdamen wohl nur zur Qual werden, wenn er durch deren große Zahl überfordert ist. Den Gewinn eines Fernsehers als Strafe zu bezeichnen, deutet an, dass der Quizmaster Fernsehsendungen und damit auch seine eigene für kaum erträglich hält. Und der Igel, der die Kleiderbürste wegen ihrer Borsten für eine stachelige Igelin hält, ist eben kein Mensch, kann sich aber wie dieser auf verzeihliche Weise irren.
8.
Textsorte Anekdote
Wie der Witz ist die Anekdote ein kurzer Erzähltext. Und in den meisten Fällen weist er wie der Witz Komik und Pointe auf. Das Besondere der Textsorte ist der Bezug auf ein bestimmtes historisches Ereignis, mit dem eine bekannte Persönlichkeit charakterisiert werden soll. Dabei muss das als überlieferte ausgegebene Ereignis nicht wirklich stattgefunden haben. Es muss nur möglich und glaubwürdig erscheinen und als repräsentative Momentaufnahme einen eigentümlichen und ungewöhnlichen Charakterzug der Persönlichkeit hervortreten lassen. Bei einem Festessen hatte Bismarck die Gattin eines ausländischen Diplomaten als Tisch-dame. Die etwas arrogante Dame bemängelte an der deutschen Sprache, dass sie oft mehrere Ausdrücke für dieselbe Sache enthalte. Darauf Bismarck: »Verzeihen Sie, Gnädigste, dass ich anderer Meinung bin. So ist z. B. Ihr Gemahl ein Gesandter, aber kein geschickter.« Max Liebermann zu einer Kundin, die ihr Portrait bemängelte: »Ich habe Sie ähnlicher jemacht, als Sie sind!« Niemand hat die egozentrische Vitalität Theodore Roosevelts besser charakterisiert als sein Sohn Theodore. »Mein Vater«, sagte er einmal, »möchte bei jeder Hochzeit die Braut und bei jeder Beerdigung die Leiche sein.«
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Komik und Pointe in Kurztexten
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Ein Kritiker hatte Max Reger fürchterlich verrissen. Reger schreibt ihm einen kurzen Brief. »Sehr geehrter Herr! Ich sitze hier im kleinsten Raum meines Hauses und lese Ihre Kritik. Noch habe ich sie vor mir … hochachtungsvoll Max Reger.«
Die Pointenbildung kann auch bei einer Anekdote an der Mehrdeutigkeit eines Ausdrucks ansetzen. Diese kann bereits strukturell im lexikalisierten Wortschatz gegeben sein: gesandt/geschickt. Sie kann aber auch erst durch eigenwilligen Sprachgebrauch geschaffen werden: Das Portrait ist der Kundin wohl nicht äußerlich besonders ähnlich, bringt aber eine ›Wesensähnlichkeit‹, vorhandene Charakterzüge deutlicher zum Ausdruck als ihr tatsächliches Aussehen. Dies führt zu der scheinabsurden Formulierung ähnlicher als Sie sind. Dass jemand, der bei jedem Ereignis gern im Mittelpunkt stehen und die Hauptperson sein möchte, bei jeder Hochzeit die Braut sein möchte, mag noch nachvollziehbar sein. Dass er aber bei jeder Beerdigung die Leiche sein möchte, also gestorben sein, ist ein absoluter Verstoß gegen alle Vernunft und Werte. Diese Charakterisierung Roosevelts ist von makaber überspitzter Komik. Anders als beim schwarzen Humor wird der Tod hier aber eher verharmlost, muss in der irrealen Übertreibung nicht ernst genommen werden. Die Anekdote über Max Reger nutzt die Pointentechnik der Anspielung. Man muss den Zusammenhang von kleinsten Raum meines Hauses und noch habe ich sie vor mir begreifen, um zu verstehen, was mit dem Papier kurz darauf geschehen wird und was Reger seinem Kritiker damit sagen will.
9.
Textsorte Aphorismus
Im Unterschied zu Witz und Anekdote ist der Aphorismus kein narrativer Text, sondern besteht meist aus einem einzigen isolierten Satz, gibt sich als Spruchweisheit, als Sentenz zu erkennen. Und er hat einen namentlich bekannten Autor. Dieser setzt sich mit überraschenden, eigenwilligen bis eigensinnigen Behauptungen nonkonformistisch von landläufigen Meinungen und überlieferten Grundsätzen mit allgemein anerkannter Geltung ab. Dabei bilden diese aber den Hintergrund seiner Behauptungen. Mit ihnen will er scharfzüngig, spöttisch und angriffslustig brillieren, formal mit einer pfiffigen Formulierung, inhaltlich mit dem Anspruch, subjektive Lebenserfahrung mit Überzeugung (Weisheit) sowie objektives Wissen (Wahrheit) zu repräsentieren. Allerdings verschmäht er dabei Begründungen für seine Behauptungen oder gar Beweise. Ganz ohne solche will er dem Leser einen Denkanstoß geben, ihn zur Reflexion provozieren. Wer ganz Ohr ist, hört nicht. (Martin Heidegger)
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Winfried Ulrich
Was soll das heißen? Mit der Redewendung ganz Ohr sein bezeichnen wir gewöhnlich ein ganz besonders aufmerksames Hinhören. Wie kann also derjenige, der das tut, nicht hören? Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst. Oder sollte die Reduzierung einer Person auf ihr Hören wichtige Persönlichkeitsmerkmale ausblenden, ohne die ein richtiges Hören (und Verstehen?) nach Überzeugung des Philosophen gar nicht möglich ist? Die Interpretation des Spruches bleibt offen. Das Beispiel zeigt aber deutlich, wie die Bisoziation zweier Vorstellungen und Aussagen in der Pointe des Aphorismus zum Paradox gesteigert wird. Der Anstoß zum Nachdenken ist dabei nicht unbedingt von Komik begleitet, ist längst nicht immer auch ein Anstoß zum Lachen oder Schmunzeln. Es gibt Leute, denen der Anstand nicht fehlt – den sie nicht besitzen. (Gerhart Hauptmann) Wahrheit ist die Lüge, die lange Beine hat. (Fritz Grünbaum)
Auch diese Beispiele sind pointiert, jedoch ohne Komik. Die paradoxe Gegenüberstellung von nicht besitzen und trotzdem nicht fehlen aktualisiert die Zweideutigkeit von fehlen. Und die paradoxe Deklarierung der Wahrheit als Lüge spielt auf das Sprichwort an: Lügen haben kurze Beine. Wird die Wahrheit etwa auch, nur später, als Lüge entlarvt? Auf manche vermeintliche Wahrheit mag das ja zutreffen. Die Anspielung auf das Sprichwort stellt ein indirektes Zitieren dar. In vielen Fällen geschieht das explizit. Und der Autor ergreift die Gelegenheit, sich von der Aussage des Originaltextes selbstbewusst zu distanzieren: Liebe deinen nächsten wie dich selbst. Denn: Jeder ist sich selbst der nächste. (Karl Kraus) Man will ja gern seinen Nächsten lieben, aber doch nicht den Nächstbesten! (Karl Heinrich Waggerl) Selbstliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze. (Oscar Wilde)
Karl Kraus zitiert das christliche Gebot der Nächstenliebe und stellt es dann durch Konfrontation mit einem bekannten Sprichwort auf den Kopf. Durch die Kausalverknüpfung mit der Konjunktion denn treibt er die ironische Distanzierung auf die Spitze. Dagegen scheint Waggerl zunächst bereit zu sein, dem Gebot zu folgen, distanziert sich dann aber von ihm durch den Kunstgriff einer Gegenüberstellung von Nächstem und Nächstbestem. Oscar Wilde bezieht sich nur noch indirekt auf das Gebot der Nächstenliebe und direkt auf ihr verbreitetes Gegenteil: die Selbstliebe. Ihr kann er, ganz unchristlich, etwas Positives abgewinnen, indem er sich auf die zweite Komponente des Kompositums stützt und eine nie endende Liebe feiert. Mit dieser Wendung ruft er immerhin einen Hauch von Komik hervor, der den Leser schmunzeln lässt. Das gilt auch für die seltsame Vorstellung, eine einzelne Person könne als Zwilling geboren werden:
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Komik und Pointe in Kurztexten
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Jeder Mensch wird als Zwilling geboren, als der, der er ist, und als der, für den er sich hält. (Martin Kessel)
In vielen Aphorismen nimmt die Komik aber neben der Pointe einen zentralen Platz ein. Der überraschende, oft groteske Einfall wirkt lächerlich, weil er weit entfernt ist von den üblichen Einschätzungen und Urteilen, die unsere reale Erfahrungswelt bestimmen. Dabei fordert die spielerische Brillanz, mit der sich eigentlich widersprechende Konzepte zusammengezwungen werde, vom Rezipienten Anerkennung, wenn nicht Bewunderung. Der verfluchte Kerl, rief sie, hat mich in gesegnete Umstände gebracht! (Karl Kraus) Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel muss fürs Leben halten. (Kurt Tucholsky)
In gesegnete Umständen sein ist gegenüber der ebenfalls gebräuchlichen wertneutralen Wendung in anderen Umständen sein eine sehr positiv bewertende Beschreibung für den Zustand der ›Schwangerschaft‹. Das Attribut gesegnet weist schließlich darauf hin, dass es sich bei diesem Zustand um ein Geschenk des Himmels, um die Gnade einer höheren Macht handelt. Dazu passt es eigentlich nicht, dass der Verursacher dieses Zustandes von der Schwangeren als verfluchter Kerl bezeichnet wird. Es passt aber doch, wenn man bedenkt, dass tatsächlich manche Frau gegen ihren Willen geschwängert worden ist. Nur würde eine davon Betroffene normalerweise nicht von gesegneten Umständen sprechen. An der Stelle offenbart sich der komische Normverstoß der Sentenz. Beherzigenswert ist die Empfehlung, immer auf Qualität zu achten. Und auch die Begründung, dass etwas Erworbenes lange Zeit, im Extremfall sogar fürs Leben halten soll, zeugt von einer klugen und positiven Lebenseinstellung. Die Begründung kippt aber ins Groteske, sobald sie auf den Gegenstand Sarg angewendet wird. Sinnlos ist das aber auch nicht, denn in der Tat braucht man den Sarg erst am Lebensende. Die Welle, die an Land will, tut nur so. (Hans Peter Keller) Wer das Jucken ein Übel nennt, der denkt gewiss nicht ans Kratzen. (Friedrich Hebbel) Die Leiter wird ja immer kürzer! klagte der Narr beim Aufwärtssteigen. (Gerd W. Heyse)
Eigenwillige Betrachtungsweisen alltäglicher Erscheinungen kennzeichnen diese Aphorismen. Man kann eben alles von zwei Seiten betrachten und dann unter Umständen auch Ungereimtheiten und Widersprüche ausmachen. Die Bewegung einer einzelnen auf das Ufer zulaufenden Welle könnte einen Beobachter schon auf den Gedanken bringen, ihr Ziel sei das Land. Das dem nicht so ist, lehrt die Erfahrung. Keller aber bleibt halb und halb bei seinem Eindruck und unterstellt der Welle eine Täuschungshandlung. Das ist bizarr und erheiternd zugleich. Hebbel gewinnt dem unangenehmen Jucken einleuchtend eine positive Seite ab. Und Heyse beschreibt das Besteigen einer Leiter aus der Perspektive
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Winfried Ulrich
eines Narren, der mit seiner eigenwilligen Auffassung kaum Zustimmung bei anderen Menschen finden wird, dabei aber auch nicht unrecht hat. Es gibt Frauen, die nicht schön sind, sondern nur so aussehen. (Karl Kraus) Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung. (Oscar Wilde) Man kann seinen Gang veredeln durch Hinken. (Joachim Günther) Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. (Unbekannter Verfasser) Richard Wagners Musik ist viel besser als sie klingt. (Mark Twain)
In manchen Aphorismen bleibt der herbeigeführte komische Widerspruch in sich selbst unaufgelöst. Der Autor hat offensichtlich seine Freude daran, den Leser dadurch zu verblüffen, dass er eine Aussage mit ihrer Negation verbindet und beides nebeneinander bestehen lässt. Der Leser mag rätseln, ob das nur ein sinnloser Spaß sein soll oder ob es doch einen verborgenen Sinn gibt. Bei Karl Kraus ist die Lösung noch verhältnismäßig leicht zu finden. Das Adjektiv schön ist eben zweideutig. Es bezieht sich zumeist, aber nicht nur auf das Aussehen, die äußere Erscheinung einer Person. Der Ausdruck Schöne Seele macht deutlich, dass die Schönheit sich auch auf den Charakter, auf Anmut und Würde einer Person beziehen kann und dann eher die Bedeutung ›liebenswürdig‹ annimmt. Bei Oscar Wild ist es schon schwerer, dem Widerspruch einen Sinn abzuringen. Soll der Satz ein Geständnis sein, bei dem der zweite Teil die Behauptung des ersten Teils widerruft: Ich muss zugeben, dass ich Versuchungen (leider?) nicht widerstehen kann? Einem solchen Bekenntnis würde sich wohl mancher Leser schmunzelnd anschließen. Hinken gilt nicht gerade als besonders gewandte und elegante Form der Fortbewegung auf Beinen. Wie kann man dadurch seinen Gang veredeln? Ein ›lahmes Gehen‹ kommt im Allgemeinen ja auch nicht freiwillig zustande, sondern wird durch schmerzhafte Körperverletzungen wie Verstauchungen oder Brüche von Fuß und Bein erzwungen. Oft braucht man dann sogar eine Krücke als Stütze. Veredeln hieße ›verfeinern, vervollkommnen, mit erwünschten Eigenschaften ausstatten‹. Es muss schon ein seltsamer Gang sein, dessen Qualität sich durch Hinken anheben lässt. Die Klage, dass etwas auch nicht mehr das ist, was es mal war, ist stets rückwärtsgewandt und vergangenheitsverliebt. Im Aphorismus wird sie aber auf die Zukunft umgeleitet, was logisch und sprachlich eigentlich nicht möglich ist. Ein Sinn ergibt sich aber, wenn man davon ausgeht, dass die Zukunftserwartungen früher einmal optimistischer und hoffnungsvoller waren als in einer düster erscheinenden Gegenwart. Musik besteht aus künstlerisch geordneten Tönen. Sie erklingt und wird gehört, gefällt dem Hörer oder missfällt ihm. Welche Qualität kann sie unabhängig von ihrem Klang haben? Überschreitet Mark Twain nicht die Grenze zum Unsinn? Will er sich über die ja durchaus kontroverse Diskussion über Wagner lustig machen? Auch dafür kann man ja komische Widersprüche nutzen. Oder sollte Mark Twain auf eine mögliche Tiefendimension Wagnerscher Musik anspielen, die bei einem
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Komik und Pointe in Kurztexten
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oberflächlichen Hinhören verborgen bleibt (psychologische Wirkung durch Ausdruck von »Gedachtem« und »Gefühltem«, Leitmotivtechnik, Neuerungen in der Harmonik?)? Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wer nicht arbeitet, soll speisen. Wer aber gar nichts tut, der darf tafeln. (Friedrich Nietzsche)
Nietzsche greift zunächst ein aus der Bibel stammendes geflügeltes Wort auf: »Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen« (2. Thess. 3,10). Paulus wollte damit die Gemeindeglieder in Thessaloniki zur Arbeit anhalten, damit sie für sich selber sorgen können und anderen nicht zur Last fallen. Nietzsche aber dreht diese Forderung sozialkritisch in ihr Gegenteil um. Er nutzt den Bedeutungsunterschied von essen, speisen und tafeln, um festzustellen, dass die Menschen, je reicher sie sind, desto weniger einer Arbeit nachgehen müssen und dafür noch durch einen immer luxuriösen Lebenswandel belohnt werden.
10.
Didaktischer Ausblick
Die Beschäftigung mit den in diesem Beitrag angeführten Textsorten in der Schule, im Sprach- und Literaturunterricht bewegt sich zwischen Spaß und Ernst, zwischen fröhlichem Lachen und intensivem Nachdenken. Dabei spielt der Komik und Pointe konstituierende Zusammenstoß zweier scheinbar unvereinbarer Vorstellungen, spielt die Entdeckung der Bisoziation eine zentrale Rolle. Mit Hilfe genauer Textanalyse sollen die Schüler lernen, sich mit sprachlichen und sachlichen Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten auseinanderzusetzen, wie sie im täglichen Leben und in der gewöhnlichen zwischenmenschlichen Kommunikation häufig vorkommen. Sie erweitern auf diese Weise nicht nur ihre Sprachkompetenz. Auch ihre Persönlichkeitsentwicklung macht große Fortschritte, wenn sie akzeptieren, dass manches im Leben nicht eindeutig und klar ist und dass man trotzdem damit zurechtkommen muss. Die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen, gilt in der Psychologie heute als wichtiges Persönlichkeitsmerkmal. Die Untersuchung von Komik und Pointe kann zum Aufbau und Ausbau von »Ambiguitätstoleranz«4 beitragen.
4 Vgl. Ulrich (1995) und Ulrich (2018).
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Winfried Ulrich
Bibliografie Kindt, Tom (2017): Humor. In: Wirth, Uwe (Hrsg.): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: J. B. Metzler, S. 7–11. Koestler, Arthur (1966): Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft. Bern / München / Wien: Scherz. Müller, Ralph (2003): Theorie der Pointe. Paderborn: mentis Verlag. Müller-Kampel, Beatrix (2012): Komik und das Komische: Kriterien und Kategorien. In: LiTheS = Zeitschrift für Literatur und Theatersoziologie, Institut für Germanistik der Universität Graz, 7, S. 5–39. Plessner, Helmuth (1950): Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. 2. Auflage. Bern / München: Francke. Preisendanz, Wolfgang (1970): Über den Witz. Konstanz: Universitätsverlag. Röhrich, Lutz (1977): Der Witz. Figuren, Formen, Funktionen. Stuttgart: Metzler. Ulrich, Winfried (1977): Semantische Turbulenzen. Welche Kommunikationsformen kennzeichnen den Witz? In: Deutsche Sprache, Heft 4, S. 313–334. Ulrich, Winfried (1978): Der Mißverständniswitz. Erscheinungsformen mißlingender Kommunikation, dargestellt an einer ausgewählten Textsorte. In: Muttersprache, Heft 2, S. 73–92. Ulrich, Winfried (1979): Kommunikationsanalyse mit Hilfe des Witzes. In: Diskussion Deutsch, 45, S. 73–90. Ulrich, Winfried (1980): Der Witz im Deutschunterricht. Braunschweig: Westermann. Ulrich, Winfried (1995): Förderung der Ambiguitätstoleranz. Zum Umgang mit sprachspielerischen Texten in der Sekundarstufe 1. In: Deutschunterricht 48, Heft 1, S. 2–11. Ulrich, Winfried (2010): Treffliche Pointen. Humor und Scharfsinn in Aphorismen, Cartoons, Anekdoten, Witzen. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Ulrich, Winfried (2011): Der verdeckte Fingerzeig – Die Anspielung als Form elaborierter Verständigung, aufgezeigt am Beispiel des Anspielungswitzes. In: Miscellanea Linguistica. Arbeiten zur Sprachwissenschaft. Hrsg. v. Wilfried Kürschner. Frankfurt am Main u. a., S. 249–257. – Auch in: tribüne 1/2009, S. 12–17. Ulrich, Winfried (2012): »Zeit ist Geld«, sagte der Ober, da addierte er das Datum mit. – Zur Vernetzung von Sagwörtern im mentalen Lexikon. In: Mazurkiewicz, Jolanta / Misiek, Dorota / Westphal, Werner (Hrsg.): Sprachkontakte und Lexikon. Festschrift für Ryszard Lipczuk zu seinem 65. Geburtstag. Hamburg: Dr. Kovacˇ, S. 171–181. Ulrich, Winfried (2013): Sprachwitze als Unterrichtsthema. In: Der Deutschunterricht, Heft 4, S. 56–67. Ulrich, Winfried (2018): Mehrdeutigkeit als zentrales Thema des Sprach-, Lese- und Literaturunterrichts. Förderung der allgemeinen Sprachkompetenz durch Erwerb von Ambiguitätskompetenz (mit 103 Arbeitsblättern in Form von Kopiervorlagen). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Wellek, Albert (1949): Zur Theorie und Phänomenologie des Witzes. In: Studium Generale, Heft 2, S. 171–182.
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Iwona Wowro (Uniwersytet S´la˛ski, Katowice)
Machos out, Softies nicht in! Männliche stereotype Rollenbilder im Wandel, dargestellt im Zerrspiegel von Ironie und Humor Machos out, softies not in! The Changing Image of Male Stereotypical Role Models in the Distorting Mirror of Irony and Humour Abstract This article attempts to present stereotypes regarding men on the basis of selected contemporary humorous (ironic) texts. The concept of stereotypes as being a set of connotative features identifying objects and phenomena within a community’s cultural and linguistic definition and their role in the perception and processing of information, is a starting point for the discussion. The following section presents the essence of humour and irony and the techniques they employ. The empirical section of the paper deals with a variety of formally analysed texts in terms of their subject-matter and the manner in which men are profiled in the selected humorous texts is discussed. The resulting observations and reflections provide a basis for further research into connotation in humorous texts, including irony and stereotypes, as well as in gender analysis. Keywords: man, humour, irony, stereotyp Schlüsselwörter: Mann, Humor, Ironie, Stereotyp
1.
Einleitende Bemerkungen
Bereits der kursorische Blick in allerhand Diskurse und deren Analysen erlaubt die Festhaltung, dass im Laufe der Forschung interdisziplinäre Ansätze über Männer und Männlichkeit immer noch relativ rar sind. Zahlreiche Schilderungen und Untersuchungen machten sich primär die Frau und die Weiblichkeit zu ihrem Gegenstand, während den Überlegungen zur Männerfrage eigentlich nie eine analoge oder vergleichbare Mehrdimensionalität, ähnliches Ausmaß und Format zuteilwurden (bspw. Wowro 2014a: 225f.). Vor diesem Hintergrund scheint die Frauenthematik in vielen Spielräumen oder Dimensionen weitaus mehr Terrain erobert zu haben, was den unterschiedlichen Stellenwert im Bereich der Gleichbehandlung von Mann-Frau-Problematik in Wissenschaft und Forschung eindeutig unter Beweis stellt. Auch im gesellschaftlichen Diskurs geht es häufiger um das Bild oder die Rolle der Frau mit einem spezifischen Fokus auf
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Iwona Wowro
Frauenrechte, von Männern ist als Analogon dazu relativ wenig zu hören. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, dass die sich seit über drei Jahrzehnten zuerst komplementär aus den feministisch ausgerichteten Diskursen herausentwickelnden Männer- und Männlichkeitsforschungsansätze zwar langsam und zögerlich, aber immerhin kontinuierlich, wenn auch nicht gleich ins Zentrum gestellt, aber dennoch sichtlich in der wissenschaftlichen Betrachtung und in der Öffentlichkeit in den Fokus geraten und auch immer häufiger in den Mittelpunkt einer kritischen Reflexion rücken (vgl. bspw. Volz/Zulehner 1998, Hollstein 1999, Ulin´ski 2001: 318, auch Szczepaniak 2005: 26f.).1 Angesichts dessen würde schon bei flüchtiger Sichtung das Vorhaben, selbst die Querschnittsbetrachtung der behandelten Männerproblematik zurückverfolgen zu wollen, ein undurchführbares sowie aussichtsloses Vorgehen bedeuten, zumal viele bestehende Untersuchungen zur Männerfrage oftmals die gleichzeitige Darstellung der Frauenproblematik umfassen. Aller Voraussicht nach scheint es jedoch möglich und denkbar zu sein, über die Grundannahmen der Genderforschung im Allgemeinen zu reflektieren, die unter anderem um die Beschreibung der Situation von Frauen und Männern und ihrer Rollen sowie um die Darstellung von Mechanismen der Differenzierung, Transformation und Geschlechterdifferenz bemüht ist (vgl. bspw. Chołuj 2007), sowie Stereotypenforschung, Ironie- und Humorerscheinungen zumindest ansatzweise in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Dann dürfte mit Sicherheit behauptet werden, dass man es mit einem Konglomerat von Besonderheiten zu tun hat, die zweifelsohne eine eingehendere Behandlung verdienen. Um diese Richtung zu verfolgen und den bestehenden Ungleichmäßigkeiten in der Geschlechterbetrachtung effektiv zu begegnen, wird in diesem Beitrag versucht, das Bild des Mannes anhand von zeitgenössischen humorvollen Texten zu rekonstruieren und bestimmte Generalien zu erkennen, die die Rekonstruierung des hier innewohnenden allgemeinen Stereotyps von »Mann« erlauben, das im Zerrspiegel des Humors und vor allem der Ironie gezeigt wird.2 Zu diesem Zweck werden verschiedene humorvoll geartete Texte 1 Davon zeugen zum Beispiel zahlreiche Publikationstitel neuesten Datums, vgl.: Held, Peter / Weiß, Martin / Charbonnier, Lars (Hrsg.) (2019): Mann sein in einer komplexen Welt. Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung für Männer; Halva, Boris (2019): Mannsbilder. Auf der Suche nach der neuen Männlichkeit; Süfke, Björn (2018): Männer; Schmuhl, Miriam (2016): Väter im Spannungsfeld zwischen männlicher Rollenerwartung und psychischer Erkrankung; Meuser, Michael (2010): Geschlecht, Macht, Männlichkeit; Butler, Judith (2008): Uwikłani w płec´; Eckes, Thomas (2010): Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen; Deida, David (2007): Der Weg des wahren Mannes: Ein Leitfaden für Meisterschaft in Beziehungen, Beruf und Sexualität; Szczepaniak, Monika (2005): Me˛skos´´c w opresji? Dylematy me˛skos´ci w kulturze Zachodu; Böhnisch, Lothar (2004): Männliche Sozialisation und viele andere. 2 Einige Gedanken und Beispiele in Bezug auf Männerdarstellungen sind dem Beitrag von Wowro (2014a) entnommen, wo die Reflexionen sowie stereotype Schilderungen über Frauen und Männer im Vergleich präsentiert wurden.
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Machos out, Softies nicht in! Männliche stereotype Rollenbilder im Wandel
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unterschiedlicher Form über Männer herangezogen, die mit ihren bildlichen, nicht selten überraschenden Darstellungsweisen und ausgefallenen Formulierungsmitteln für diese Thematik sowie die zeitgenössisch relevanten Phänomene stark sensibilisieren und zugleich einen gewissen Distanzgewinn in Aussicht stellen. Darüber hinaus bieten sie die Gelegenheit, bestimmte Eigenschaften von Männern, ihre Aktivitäten und Handlungsweisen nachzuvollziehen sowie eine Auskunft oder teilweise Erklärung von gegenseitigen Geschlechterrelationen zu geben. Das herangezogene Material weist einen Auswahlcharakter auf, daher erhebt es keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität. Der Präsentation der hier gesammelten Belege, die nach ihrer Form, Inhalt und Mechanismen der Humor- und Ironieevozierung zusammengestellt und kurz besprochen werden, werden einige Überlegungen über Stereotype sowie über die geltenden Männerklischees vorausgeschickt, die ein Mindestmaß an theoretischer Reflexion darstellen. Viele andere interessante Fragestellungen, die sich aus dem so umrissenen Kontext ergeben, wie bspw. die Genderdebatte, ihre Resonanz und Forschungsperspektiven, Veränderungen im Bereich der Rollenbilder sowie verschiedene Humor- und Ironietheorien oder ihre Erfassungsmöglichkeiten müssen aus Platzgründen leider außerhalb der Ausführungen bleiben. Es wird lediglich auf ausgewählte Aspekte hingewiesen, die den erwähnten Bereich betreffen und für die Zwecke dieses Beitrags ihren Nutzen erkennen lassen.
2.
Männerbilder und Männlichkeit im Wandel der Zeit3
Obwohl wir von Stereotypen umgeben sind, haben diese angeblich einen schlechten Ruf (Bartmin´ski 2007: 7), weil sie zu tendenziösem Denken verleiten (können). Der Geltungsbereich von Stereotypen ist sehr groß und signifikant, weil sie den Gegenstand unterschiedlich ausgerichteter Forschung bilden.4 Ei3 Dieses Kapitel stellt teilweise eine modifizierte Fassung der im Rahmen eines anderen Beitrags veröffentlichten Darlegungen zum Thema Stereotype dar (Wowro 2011: 304–313). 4 Z. B. der soziologischen, politologischen, psychologischen, ethnologischen, geschichtlichen, literaturwissenschaftlichen, didaktischen und linguistischen. In der Fachliteratur dieser Disziplinen verwendet man den Begriff Stereotyp synonym mit anderen Bezeichnungen wie »Vorurteil«, »Klischee«, »Schlagwort« u. a., obgleich es auch Ansätze gibt, einige dieser Bezeichnungen voneinander abzugrenzen. So plädiert man dafür, Vorurteile und Stereotype auseinander zu halten. Gründe hierfür werden darin gesehen, dass in erster Linie Vorurteile vorgefasste, meist negativ besetzte Urteile sind, bei denen emotionale Aspekte im Mittelpunkt stehen. Sie können eigentlich nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Nach Löschmann (2001: 150) sind Vorurteile eine Unterkategorie von Einstellungen und weniger affektiv bestimmt als Stereotype. Darüber hinaus sind es negative Orientierungen oder feindselige Haltungen, die die jeweilige Zielgruppe oder Zielperson eindeutig negativ einstufen. Demnach sind Stereotype eher als Annahmen, Vorurteile hingegen als Einstellungen anzusehen.
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Iwona Wowro
nerseits als etwas Überliefertes, d. h. durch die Familie, den Bekanntenkreis oder die Schule vermittelt, andererseits als etwas, was ständig neu generiert wird, leisten Stereotype einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Handeln des Individuums, weil sie in seinem Bewusstsein mit angeeigneten Begriffen verschmelzen und mit ihnen zu einer Einheit werden, was ihre Wirkung erheblich verstärkt (Schaff 1980: 91). Den ursprünglich aus dem Griechischen kommenden Begriff Stereotyp hat Lippmann (1922: 89) in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in die Psychologie eingeführt und ihn als pictures in our heads definiert. So sind Stereotype einseitige und schemaartige, im Kopf gespeicherte Bilder, die sich gleichzeitig sowohl auf eine Erscheinung als auch auf das Urteil über diese Erscheinung beziehen und somit noch vor der wirklichen Erfahrung entstehen. Diese vereinfachten, wertenden und im gesellschaftlichen Bewusstsein fungierenden Wirklichkeitsbilder entstehen nicht auf induktivem Wege, sondern auf der Basis von verzerrten Urteilen oder von dem nur unzureichenden oder sogar falschen Weltwissen und werden durch die Tradition im menschlichen Bewusstsein fixiert, wodurch sie nur schwer Veränderungen unterliegen (vgl. Löschmann 2001: 149). Ihr Wahrheitsgehalt entspricht nur teilweise den Tatsachen oder ist ganz tatsachenwidrig. Weitere Aspekte beziehen sich auf den nach Vereinfachung strebenden Charakter von Stereotypen, auf die übermäßigen Generalisierungen sowie auf ihre Resistenz gegen potenzielle Veränderungen. Als von einer Überzeugung getragene, negative oder positive5, von der Familie anerzogene oder eben durch das Milieu vermittelte Werturteile betreffen sie bestimmte Gruppen von Menschen und die zwischen ihnen bestehenden Relationen (vgl. Schaff 1980: 86), wo sie unterschiedliche Funktionen erfüllen.6 Stereotype entstehen auf der gesellschaftlichen Ebene und werden auch sozial geteilt, d. h. Mitglieder einer Gruppe (bspw. Frauen) schreiben ähnliche oder einheitliche Attribute einer anderen Gruppe (bspw. Männern) zu, woraus sich ein gemeinschaftliches, kulturell geteiltes Verständnis von den typischen Merkmalen der jeweiligen sozialen Kategorie bspw. des Geschlechts konstituiert (vgl. Eckes 2010: 178). So sind einerseits die (traditionellen) Rollenbilder auf die aus der alltäglichen Rollenverteilung resultierenden Geschlechterstereotype zurückführbar, andererseits werden sie durch die den Frauen oder Männern zu5 Auf ihre nicht unbedingt negative Färbung weist Löschmann hin. Seiner Auffassung nach sind Stereotype gewisse Abstraktionen, die als Bestandteil der inter- und intrakulturellen Kommunikation jeder Sprache und jeder Gemeinschaft innewohnen. Seiner Meinung nach sind Stereotype »[…] (über)generalisierte, grob vereinfachte, d. h. simplifizierte, einseitige und nicht selten affektbesetzte Etikettierungen von Individuen bzw. Klassen von Individuen, Zuschreibungen von bestimmten Eigenschaften also, von isoliert herausgegriffenen Gruppencharakteristika, die oft negativ gefärbt sind, aber es nicht sein müssen« (Löschmann 2001: 150). 6 Hauptsächlich sind ihnen ideative, soziale, sozial-integrative, pragmatische, kognitive und emotionale Funktionen zuzuweisen (mehr dazu vgl. bspw. Chlebda 1993: 329, Hentschel 1995: 16, Schaff 1980: 86, Quasthoff 1998: 17f.).
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Machos out, Softies nicht in! Männliche stereotype Rollenbilder im Wandel
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gewiesenen Rollen unterstützt (vgl. Eckes 1997: 17). Aufgrund von den zugeschriebenen und kulturbedingten Attributen ist jedoch die Vorstellung von dem, was und wie ein »richtiger Mann« sein soll, gesellschaftlich längst nicht mehr so klar definiert, obwohl das männliche Identitätsgefühl von klein auf geprägt wird. Hinter die Fassaden der aktuellen Männlichkeit gelangen zu wollen, bedeutet daher ein mühsames Unterfangen und riskantes Wagnis, sogar den Gang über dünnes Eis, umso mehr als die Ansprüche an den modernen Mann einerseits als überschwänglich, facettenreich und schwer fassbar, andererseits als problematisch und verschwommen einzuschätzen sind. Mit der allgemeinen Demokratisierung von Gesellschaften sowie infolge von Feminismus, Gleichberechtigung von Geschlechtern und gesellschaftlichem Aufstieg der Frau wurde die Vormachtstellung des Mannes in der Familie nach und nach in Frage gestellt. Das über Jahrhunderte hinweg geltende Bild eines einflussreichen Familienoberhauptes, dessen Stärke an die vermeintliche Schwäche der Frau gebunden war, begann mit der Zeit zu bröckeln (vgl. Matzner 2004: 154). Dazu gesellten sich auch weitere Faktoren wie die strukturell-gesellschaftlichen Veränderungen, prekäre Arbeitsverhältnisse und andere Formen oder Risiken der Lebensdestabilisierung. Vor diesem Hintergrund haben zwangsläufig die an Männer gestellten Erwartungen eine Änderung und Neuinterpretation erfahren. Die im Schwund begriffene klare Rollenverteilung mit ihren positiven und negativen Folgen für beide Geschlechter sowie die Revision patriarchalischer Haltungen oder Strukturen bildeten einen Ausgangspunkt für die Wahrnehmung und Entfaltung von neuen, nicht selten widersprüchlichen Kompetenzen und Anforderungen. Während einerseits das traditionelle Bild von Männlichkeit immer noch gilt, erscheinen auf der entgegengesetzten Seite allerdings neue Herausforderungen, die an den althergebrachten Rollenbildern wesentlich rütteln (vgl. Volz/Zulehner 1998: 23). Die Vorstellungen und Erwartungen bezüglich der zeitgemäßen Männlichkeit lassen die Männer nach wie vor im Beruf erfolgreich, mutig, risikobereit, zielstrebig, eigensinnig sowie unabhängig sein, Geld verdienen, Karriere machen, mit selbstbewusster Ausstrahlung auftreten sowie bei Frauen Erfolg haben, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Familie eine Versorger- und Beschützer-Rolle spielen, von sich selbst nicht viel reden und eher keine Gefühle zeigen oder ausdrücken. Auf der anderen Seite wird ihnen zugemutet, dass sie ihre Stärke beweisen, die vielmehr mit Härte und Emotionslosigkeit gleichzusetzen ist als mit Körperkraft. Gleichzeitig wird ihnen Empathie angesonnen, weil ihre Einfühlsamkeit die zwischengeschlechtlichen Relationen weitgehend zu beeinflussen scheint. Zum Mann-Sein gehören außerdem die Aushilfe im Haushalt, aktive Mitwirkung bei der Kindererziehung sowie Aufbau von einer intensiven Beziehung zu den Kindern, zumal die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes eine Zeit lang vernachlässigt wurde. Dieses allgemeine Spektrum greift noch um sich, wenn die Frauenper-
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spektive herangezogen wird, die weitere Aspekte und Bezüge zu Tage fördert. Nachdem alte Geschlechterrollen aufgebrochen worden sind, werden typisch männliche Charaktereigenschaften wie Stärke oder Emotionslosigkeit von Frauen nicht mehr auf dieselbe Weise eingeschätzt wie früher. So gehören aus der Frauenperspektive zum männlichen Rollenbild inzwischen die Emotionalität, die Preisgabe der Gefühle sowie das Pflegen sozialer Kontakte. Des Weiteren soll der Mann von heute zielstrebig, mutig, kraftvoll, aber zugleich kompromissbereit, kommunikativ, humorvoll sowie ein gefühlvoller Partner sein, der auch auf der sexuellen Ebene die Initiative ergreift, aber kein »Warmduscher« oder »Weichei«, weil der softe Typ bestimmt nicht das ist, wonach Frauen suchen. Es werden auch Aspekte hervorgehoben, die eine Gegenposition beinhalten. In den Augen von Frauen denken Männer nämlich nur an Sex, neigen zur Untreue, halten wahre Gefühle für Schwäche, gelten auch als aggressiver und konkurrenzorientierter. Auf der anderen Seite wollen die meisten Frauen immer noch, dass der Mann die Führung übernimmt, auch wenn sie sich Gleichberechtigung wünschen. All das führt zur Entstehung von einer »Mischmasch-Männlichkeit mit dem Ausleben der so genannten weiblichen Seite im Mann« und im Endeffekt zu einer »Schwammigkeit bei Männern, wie ihre Rolle als Mann aussieht und folglich, wie sie sich denn nun im Kennenlernen mit Frauen verhalten sollen« (www.n-tv.de, www.svz.de). Diese hier angerissenen Widersprüchlichkeiten lassen zweifellos erkennen, dass die Männlichkeit an Selbstverständlichkeit oder Eindeutigkeit weitgehend verliert, was am besten wie folgt auf den Punkt gebracht werden kann und zugleich den Zerfall von traditionellem Verständnis der Männlichkeit veranschaulicht: »Was gestern noch als männlich galt, ist heute verpönt – und auch wieder nicht« (Süfke 2018: 11). Mehr noch: Es herrsche heutzutage eine weitverbreitete »Mitleidslosigkeit« den Männern gegenüber sowie ein konsequentes ironisches Nicht-Ernstnehmen. Darüber hinaus tragen die Selbstbewusstheit von Frauen und Neudefinierung ihrer Rollen sowie ihre Selbstbilder dazu bei, dass der Mann »auf der Strecke bleibt« und sich bei weitem nicht neu definieren kann. Einige Soziologen betonen, dass man es heutzutage mit einer Revolution oder sogar mit Entgrenzung der Geschlechterverhältnisse zu tun habe, infolge derer sowie des Erwartungsdrucks Männer in eine gewisse Krise zu geraten scheinen, was sie zugleich als »gesellschaftlichen Problemfall outen lässt« (Böhnisch 2004: 51, auch Süfke 2018). Die sich wandelnden Rollenbilder und Lebensmuster, in die sich der Mann nun schwer fügen kann, weil sie ihn laufend mit gegensätzlichen Erwartungen konfrontieren, sind gemischt, instabil und verschiedenartig, so dass sie auch stellenweise einander ausschließen.7 Wie dem auch sei, stehen die Ambivalenzen der gegenwärtigen 7 Damit sich jedoch derartige Verhältnisse oder Bezüge nicht einbürgern, erheben sich auch Stimmen, die die Tatsache unterstreichen, dass die angebliche Krise oder der vermeintliche
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Mannfigur außer Frage, die mehr oder weniger kulturell verfestigten, unterschwelligen Mustern unterliegt und von einer neuen Unübersichtlichkeit oder neuem Zeitbewusstsein unbestreitbar betroffen ist (vgl. dazu Habermas 1985). Die obigen Reflexionen sensibilisieren auf der einen Seite für die Veränderung oder Neuordnung von Rollenbildern und Rollenverständnis, auf der anderen lassen sie auch eine Hoffnung »am Himmel der Männerdämmerung« erblicken (vgl. bspw. Krause 2010). Denn obwohl eindeutige förderliche Rollenvorbilder für heutige Männer eigentlich fehlen, mag paradoxerweise dadurch genug Raum geschaffen werden, diese neu zu besetzen (vgl. Held et al. 2019: 17, auch Hollstein 1999).
3.
Darstellung der Männerbilder in humoristischen Texten
Die hier angeschnittene Problematik von stereotypen Rollenbildern findet ihre Widerspiegelung in verschiedenartigen textuellen Manifestationen. Ihre spezifische Art stellen humorvoll geartete Texte dar, die zugleich ein besonderes und umfassendes Angebot an lustigen, lächerlichen, ironischen sogar bizarren Schilderungen enthalten, die generell Sachverhalte, Gewohnheiten, Routinen oder Verhaltensweisen im Alltag antasten und zugleich der Verspottung aussetzen. Als ein Beispiel für eine ungewöhnliche Wahrnehmung und Wertung sowie für geistreiche und originelle Ausdrucksinnovationen gelten ausgewählte humoristische Texte, die den Mann in unterschiedlichsten und überraschenden Dimensionen auftreten lassen.8 Die Schilderung der in den humoristischen Texten präsenten Männerbilder stützt sich auf ein umfangreiches Korpus9, in dem eine bemerkenswerte Typenvielfalt sowie Inhaltsreichtum festzustellen sind. So werden im empirischen Teil nicht nur die am häufigsten vorkommenden Motive, sondern auch die repräsentativsten sprachlichen (Kurz)Formen, in denen sich humorvolle, nicht selten ironische Inhalte niederschlagen, dargestellt. Spagat, »der den modernen Mann zu zerreißen droht« nun gern heraufbeschworen werden. In der Tat sei es allerdings die beste Zeit, ein Mann zu sein, denn »[n]och nie hatten Männer so viele Möglichkeiten und Chancen, ihr Leben zu gestalten, noch nie war die Auswahl der Lebensentwürfe und Rollenbilder so groß wie gegenwärtig« (Halva 2019: 5f.). 8 Obwohl derartige Texte unterschiedliche Formen annehmen können, werden sie in erster Linie mit dem Terminus »Witz(text)« gleichgesetzt. Dafür spricht die Tatsache, dass gerade Witze zu den repräsentativsten Beispielen im Bereich der Humorforschung gezählt und daher auch der häufigsten Betrachtung unterzogen werden (vgl. bspw. Sikorska-Bujnowicz 2013: 29f.). 9 Für die Zwecke der Analyse stützen wir uns auf Texte, die zahlreichen Internetseiten entnommen worden sind (siehe Internetquellen). Insgesamt wurden über 250 humoristische (Witz-)Texte sowie zugängliche Verzeichnisse von Kalt- und Warmduschersprüchen erfasst, in denen tausende von Belegen vorhanden sind. In den analysierten Beispielen steht der Mann entweder als Einzeldarstellungsperson im Mittelpunkt oder wird im Zusammenhang mit anderen Personen, insbesondere mit Frauen in Szene gesetzt.
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Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es aus Platzgründen nicht möglich ist, zum einen alle Formen und Inhalte vorzuweisen, zum anderen auch undenkbar, alle gesammelten Belege ganzheitlich zu präsentieren, zumal sich viele dort enthaltene Motive oft überschneiden. Daher vertreten die hier analysierten Belege nur einen Teil des Gegenstandsbereichs, dessen Eingrenzung ein Kompromiss zwischen dem vorgegebenen Rahmen des Beitrags und dem Anspruch darstellt, eine repräsentative Menge zu untersuchen.
3.1
Formale und inhaltliche Typenvielfalt
Eine der einfachsten Formen, in denen Humor und Ironie mit Erfolg wirken und sich die Männer zu ihren Verspottungsobjekten machen, stellen neben Einwortbezeichnungen des Mannes mit humoristisch-ironischer Färbung wie z. B. Romeo, Stecher, Macker, Erwählter, Göttergatte, Oller, Gespons, Tunte, Schwuchtel, Armleuchter, Flasche, Duckmäuser, Stümper, Schwerenöter, Macker u. ä. die so genannten Kalt- und Warmduschersprüche10 dar, die als verkürzte Sätze betrachtet werden können. Als autonome Einheiten entfalten sie ihr komisches Potenzial in einem Wort oder in einer das einzelne Wort imitierenden Form. Als unkonventionelle Sprachspielkreationen, wo die involvierte Ironie als eine Reflexion über menschliche (männliche) Eigenschaften zu betrachten ist, heben sie die »erwarteten« Charakterzüge oder Verhaltensweisen hervor, aber auch die unerwünschten oder diejenigen, die im Übermaß vorkommen, und unterziehen sie zugleich einer bissigen Verspottung. Daher wird hier der Mann polarisiert dargestellt, entweder als ein »Kaltduscher«, der als »echter Mann« kein Risiko scheut, unbekümmerte Lebensweise, Verwegenheit, Unverschämtheit und Hochmut, die Nichtbeachtung von ethischen Prinzipien oder moralischen Werten sowie die abwertende Behandlung der Frauen verkörpert und sie auch gerne offenbart oder eben einem Warmduscher gleichgesetzt, der als etikettierter Schwächling, »Schlaffi« oder sogar »Zivilisationsversager« durch fehlende Risikobereitschaft, Überempfindlichkeit, übermäßige Vorsichtigkeit und starke, sogar überspannte Befolgung der geltenden Normen oder Vorschriften, keine Entscheidungskraft, Naivität sowie eine gewisse Beschränktheit und Begriffsstutzigkeit gekennzeichnet ist (vgl. auch Wowro 2014b: 181–194). Generell ist hier die Tendenz zur Übertreibung beobachtbar, wo die dem Mann unterstellten Charakterzüge entweder überspitzt herausgehoben oder bissig verspottet und verhöhnt werden. Derartige Wortschöpfungen können auch als ein neuer Aus-
10 Zur Spezifik von Kalt- und Warmduschersprüchen vgl. Goncˇarova (2003), Wowro (2014b), auch Wowro (2018b, 2018c).
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druck von alten Klischees und Vorurteilen betrachtet werden und stellen diese mit ironischer Distanz dar (vgl. Goncˇarova 2003: 73)11: – – – – – – – – – – – –
Ozonlochpaniker Orkanangsthaber Spinnenängstler Frauen-Bekocher Sofaplatz-wegschnappen-Lasser Schlankwerdenwoller Nachtsnichtimdunklenschlaffenkönner »Lass-uns-gute-Freunde-bleiben«-Bettler »War-ich-gut«-Frager Nie-mit-nassen-Haaren-aus-demHaus-Geher Nach-Rezeptbuch-Kocher Frauenversteher
– – – – – – – – – – – –
Existenz-Versäufer Immer-Recht-und-nie-Schuld-Haber Sich-unwiderstehlich-Finder Sich-mit-den-Fingern-durchs-Haar-Fahrer Abseists-der-Pisten-Fahrer-und-damit-Lawinen-Auslöser Füße-auf-den-Tisch-Leger mit-dreckigen-Schuhen-in-die-WohnungKommer Vor-Radaranlagen-Gas-Geber Mit-Rolex-Prahler Frauen-als-Sklaven-Anseher Bierdosen-aus-dem-Fenster-Werfer Nichtaussprechenlasser
Längere Texte nehmen die Form von Rätselfragen oder Vergleichen an, die oft durch stereotypartige Darstellungen mit ironischem oder sogar beleidigendem Charakter geprägt sind. Nicht selten kommen sie in Satz- oder Frageformen vor, die aggressiven oder auch diskriminierenden Intentionen besonders ähneln: – Was ist der Unterschied zwischen Joghurt und einem Mann? – Joghurt hat Kultur! – Warum kommen nur 10 % aller Männer in den Himmel? Wenn alle reinkommen würden, dann wäre es die Hölle. – »Nein, Frau Meier, die Intelligenz hat unser Sohn von meinem Mann. Ich habe meine noch …« – Männer sind wie Zwiebeln – Man entfernt die Schale und was danach kommt, ist zum Heulen! – Männer sind wie Sprudelwasser – Aufbrausend und geschmacklos. – Männer sind wie Schokolade – Süß, weich und zielstrebig in Richtung Hüfte. – Wie zeigt ein Mann, dass er Zukunftspläne macht? Er kauft zwei Kisten Bier. – Was sagt ein Mann, der bis über die Gürtellinie hinaus im Wasser steht? »Das geht über meinen Verstand…«.
Unter den zusammengestellten Belegen gibt es sowohl kurze Mitteilungen, Fragen oder Dialoge als auch längere Schilderungen. Den repräsentativsten Teil bilden jedoch Texte, die die Form von Witzen annehmen und bestimmte Vertextungsmuster (bspw. Dialogform, narrative Form oder Rätsel) realisieren und die Interaktion konstituieren. Sie weisen auch komischen illokutiven Wert sowie eine fest bestimmte, prägnant ausformulierte Komposition auf. Überwiegend 11 Außerdem ist auf die Tatsache hinzuweisen, dass Sprüche dieser Art in einem breiteren Kontext funktionieren, wo eigentlich über alles, was sich mit den durch die Kultur, durch die Anwendung von stereotypgestütztem Wissen sowie durch die gesellschaftliche Ordnung sanktionierten Konventionen oder Werten verbindet oder sich daraus ergibt, spontan und beinahe hemmungslos ironisiert wird (vgl. Wowro 2017: 614).
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gipfeln sie in überraschender Pointe (vgl. Buttler 2001: 52f.), die mit innerer Dramaturgie durchsetzt und als »Ergebnis der doppelt angelegten Textstruktur und der Verstehensleistung des Hörers« (Hauser: 2005: 18) zu verstehen ist. Oft nimmt sie auch den üblichen Konventionen widersprechende Wendung an, womit sie einen Überraschungseffekt im Ablauf eines Geschehens darstellt und das Betroffene neu bewerten lässt: – Nach der Hochzeitsfeier begibt sich das junge Paar zum Hotelzimmer. Nervös fummelt der Mann an der Tür und versucht eine Ewigkeit, den Schlüssel in’s Schlüsselloch zu stecken. Seufzt die junge Frau: »Na, das fängt ja gut an.« – Der Ehemann kommt früher als geplant von der Dienstreise nach Hause. Als er aus dem Auto steigt, sieht er vor seinem Haus zwei Italiener herumstehen. Er geht er auf die Beiden zu und fragt misstrauisch: »Was geht hier vor?!« – Darauf dreht sich der eine Italiener um und sagt: »Nix vor! Erst Luigi, dann ich und dann du …!« – Kurzer Dialog zwischen Mann und Frau. Er: »Was schreibst Du da?« Sie: »Tagebuch.« Er: »Komm ich auch drin vor?« Sie: »Nein, nur Wichtiges.«
– Er fragt sie: »Woher hast du denn diese tolle Halskette?« – »Die fand ich in unserem Auto auf dem Rücksitz …« – Zwei Männer unterhalten sich: »Wohin guckst du zuerst, wenn du eine schöne Frau siehst?« – »Ob meine guckt.« – Ein Mann zu seinem Freund: »Stell dir vor, 58 % aller Frauen gehen fremd!« – Darauf der Freund: »Was nützt mir das? Ich brauche Namen, Adressen, Fotos!« – »Wenn Sie wieder einmal mit Ihrer Frau intim werden, dann ziehen Sie bitte die Vorhänge zu«, meint der Nachbar vorwurfsvoll, »gestern Abend konnten wir alle zugucken!« – »Sie sind ein Lügner«, meint der Angesprochene, »gestern war ich gar nicht zu Hause …«
Am Rande sind spezifische Erscheinungsformen zu nennen, in denen konventionelle Denkmuster in Frage gestellt werden. Derartige Formen stellen den Scharfsinn sowie Einfallsreichtum ihrer Autoren unbezweifelbar unter Beweis und ebnen zugleich den Weg für unkonventionelle Gedanken, Problemsensitivität und Originalität. Es sind zum einen gedichtartige Formen, denen ein besonderer Rhythmus sowie vorhandene Reime einen deutlichen und ausgefallenen Ausdruck verleihen, zum anderen sind auch solche vorhanden, in denen durch ein gewisses Querdenken sowie mit Hilfe von eher ungewöhnlichen Mitteln und zahlreichen Assoziationen auf stereotype »geschlechtsspezifische« Eigenschaften schlagfertig und frech Bezug genommen wird, indem bestimmte Merkmale oder Zuschreibungen selektiv, intuitiv und subjektiv bewertet werden:
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– So unnütz wie Unkraut, wie Fliegen und – WEITERBILDUNGSKURSE FÜR Mücken, MÄNNER Teil 1 Laufzeit: 6 Monate, Anso lästig wie Kopfweh und Ziehen im meldung: bis 01. Dezember bzw. 01. Juni. Rücken, Hinweis: Aufgrund der Komplexität und so störend wie Bauchweh und steht’s ein des Schwierigkeitsgrades dieser Kurse Tyrann, ist die Teilnehmerzahl auf 8 Teilnehmer das ist dieser Halbmensch, sein Name ist pro Kurs beschränkt. Mann. Thema 1 – WIE FÜLLE ICH DEN EISEr steht nur im Weg rum, zu nichts zu WÜRFELBEHÄLTER AUF. gebrauchen, Schritt für Schritt mit Overhead-Präsentation er ist immer am Meckern und ständig am Thema 2 – DIE TOILETTENPAPIERFauchen. ROLLE: WACHSEN DIESE AUF DEM Er ist auf der Erde, ich sag’s ohne Hohn, von Herrgott die größte FehlkonstruktiHALTER on. NACH? Diskussion am runden Tisch Ein Mann wär doch ohne Frauen verlo[…] ren, Thema 5 – SCHMUTZIGES GESCHIRR er wär ja ohne sie nicht mal geboren, UND BESTECK: KÖNNEN DIESE VON Erst durch unsere Hilfe wird mit viel BeSELBST IN DIE KÜCHENSPÜLE FLIEdacht GEN? so halbwegs ein Mensch aus diesem Beispiele auf Video Thema 6 – IDENTITÄTSVERLUST: DIE Schlappschwanz gemacht. FERNBEDIENUNG AN DIE BESSERE Ein Mann hält sich oft für unwiderstehHÄLFTE VERLIEREN. lich, und glaubt schon ein Lächeln von ihm Telefonische Unterstützung und Selbstmacht uns selig, hilfegruppen stolziert durch die Gegend wie ein Hahn Thema 12 – WIE BEKÄMPFE ICH VERauf dem Mist GESSLICHKEIT: SICH AN GEBURTSund merkt dabei gar nicht, wie dumm er TAGE, HOCHZEITSTAG, JAHRESTAGE doch ist. UND WEITERE WICHTIGE TERMINE Mit dem Maul sind sie stark, da können ERINNERN SOWIE ANZURUFEN, sie prahlen, WENN MAN SICH VERSPÄTET. Celebrale Schocktherapien und vollständoch wehe der Zahnarzt bereitet mal dige Lobotomien werden angeboten13. Qualen, dann sind sie doch alle – verzeiht den Vergleich – wie ein Korb voller Fallobst, so faul und so weich12 – Schlauer Mann + schlaue Frau = Romanze Schlauer Mann + dumme Frau = Affäre Dummer Mann + dumme Frau = Schwangerschaft Dummer Mann + schlaue Frau = Shopping
12 www.kampfschmuser.de/t/maenner-2-gedichte.18968/. 13 www.breitenbuecher.de/gimmick/business/weiterbildung.htm.
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Die zusammengestellten Belege bieten auch einen allgemeinen Überblick über die aufgegriffene Thematik14, die in die humorvollen Texte über männliche Repräsentationstypen Eingang findet. Sie ist relativ breit gefächert, knüpft an viele Aspekte aus dem Inhaltsbereich der Geschlechterstereotypenforschung an15 und umfasst sowohl kleine alltägliche Probleme oder Herausforderungen als auch existenzielle Fragestellungen. Die Analyse der hier vorhandenen Rollenbilder oder Rollenkonzepte lässt in bestimmten Themenkomplexen stereotype Muster, in anderen hingegen die Prägung durch fortschrittliche Darstellungsformen sowie durch individuell- und erfahrungsbedingte Handlungen wiedererkennen. So gehört zu den häufig aufgegriffenen Fragestellungen der weibliche oder männliche Ehebruch, der mal explizit ausgedrückt, mal nur präsupponiert, aber zumeist verharmlosend und beschönigend geschildert wird. Nichtsdestotrotz veranschaulicht dieser und seine prägnanten Ausprägungen weitere Probleme, die der Treulosigkeit zugrunde liegen und die Ehe als eine gute Partnerschaft nicht richtig und langfristig funktionieren lassen. Als Gründe, die die Frau oder den Mann das Treueversprechen brechen lassen, werden grundsätzlich Langeweile, die nicht erfüllten Erwartungen im Bereich des Sexuallebens, Abenteuerlust, die Nichteinhaltung der Höflichkeitsgebote, Unzuverlässigkeit und Mangel an gegenseitigem Respekt sowie fehlende emotionale Intelligenz seitens des Mannes ausgewiesen: – Ein Partygast zu einem anderen: »Sehen – Paul zu Otto: »Wenn ich mit deiner Frau Sie die reizende Blondine? Das ist meine schlafen würde, wären wir dann verFrau. Und neben ihr, die Brünette, das ist wandt?« – Darauf Otto: »Nein, aber meine Geliebte.« – »Merkwürdig«, meint quitt!« der andere, »bei mir ist es genau umge- – Der Ehemann zu seiner Frau: »Wenn du’s kehrt.« endlich ’mal lernen würdest, wie man – Rainer fragt seinen besten Freund: »Sag richtig bügelt und kocht, dann könnten mal. Hast du schon mal mit meiner Frau wir das Geld für die Haushälterin sparen.« – Darauf sie: »Und wenn du’s endgeschlafen?« – »Nein! Um Gottes Willen! lich ’mal lernen würdest, wie man’s Wie kommst du denn darauf ?« – »Solltest richtig macht, dann könnten wir uns auch du aber. Ist viel besser als deine.« den Gärtner sparen.«
Auch die Ehe selbst als Hauptbeziehungskonzept ist ähnlich besetzt. Aus den Analysebeispielen lässt sich ermitteln, dass sie grundsätzlich negativ (bspw. als Liebestöter, Anleitung zum Unglücklichsein oder als »Gefängnis«) konnotiert 14 An dieser Stelle muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die meisten humorvollen Texte über Männer die gleichzeitige Darstellung der Frauenproblematik beinhalten, was die Gegenüberstellung von typischen oder stereotypen Eigenschaften beider Geschlechter ermöglicht, zumal sich beide Stereotype auch zu verbinden und zu ergänzen scheinen. 15 Zu den wichtigsten Inhaltsebenen, denen sich die Geschlechterstereotypenforschung widmet, gehören physische Eigenschaften, Charakter- oder Persönlichkeitseigenschaften sowie das Rollenverhalten in Bezug auf den Beruf und die Familie (siehe Alfermann 1996: 15).
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und prinzipiell mit unausweichlichem Schicksal oder wachsender Angst vor dem Ehejoch assoziiert wird, das insbesondere dem Manne zu schaffen zu machen und ihm wenig Raum zum Atmen zu geben scheint. Daher löst sie nicht selten bei verheirateten Männern Unzufriedenheit oder Unruhe, bei unverheirateten hingegen Furcht und Ungewissheit aus. In vielen humoristischen Texten wird der (verheiratete) Mann als Pantoffelheld, als hoffnungsloser und überdrüssiger Ehemann, sogar als ein wahres Opfer dargestellt, den die Ehe einschränkt und wenig Verständnis erhalten lässt. Auch hier begegnen wir neben wortwörtlichen Ehebruchs-Darstellungen solchen, in denen er nicht expliziert, sondern nur zu verstehen gegeben oder allegorisch geschildert wird: – Kommt eine Frau nach ihrem Tod in den Himmel und fragt Petrus, ob sie ihren verstorbenen Mann treffen könne. Dieser kann im Computer keinen Eintrag finden, weder bei den Seligen, noch bei den Heiligen. Petrus: »Sagen Sie, wie lange waren Sie verheiratet?« – »Über 50 Jahre«, antwortet die Frau stolz. – »Ach so, dann werden wir ihn bei den Märtyrern finden.« – Zwei Männer an der Bar. »Ach, ja«, sagt der eine, »da murmelt man ein paar Worte auf dem Standesamt, und schon ist man verheiratet!« – »Tja«, meint der andere, »und dann murmelt man ein paar Worte im Schlaf, und schon ist man geschieden!« – Zwei Freunde unterhalten sich: »Wie ging gestern der Krach mit deiner Frau aus?« –»Ha, auf den Knien kam sie angekrochen!« – »Und was hat sie gesagt?« – »Ewig kannst du nicht unter dem Tisch bleiben, du Feigling!«
– Ein Reporter fragt auf der goldenen Hochzeit den Mann: »Haben Sie in den 50 Jahre Ehe irgendwann einmal an Scheidung gedacht?« – »An Scheidung nicht, aber an Mord.« – »Mein Mann starb acht Tage nach unserer Hochzeit!« – »Dann hat er ja nicht lange gelitten!« – Das kürzeste Märchen: Es war einmal ein Prinz, und er fragte die Prinzessin: »Willst Du mich heiraten«, worauf sie mit »Nein!« antwortete. Und der Prinz lebte danach viele Jahre glücklich. Er ging fischen, jagen, jeden Tag Golf spielen, er trank viel Bier und schlief mit jeder Frau, die er aufgabeln konnte. – Ende. – Kommt ein Mann schwer verletzt ins Krankenhaus. Die Schwester fragt: Sind Sie verheiratet? Antwort: Ja, aber die Verletzungen sind von einem Unfall!
Wie es anhand der präsentierten Belege deutlich geworden sein dürfte, wird Männern zugemutet, dass sie die Initiative ergreifen, gleichzeitig aber immer den richtigen Ton treffen. Darüber hinaus wird in vielen Darstellungen auf die sexuelle Ebene angespielt, wo der (Ehe-)Mann generell als Versager und Loser gezeigt wird, der seine Wünsche, Bedürfnisse oder Prioritäten sowie die der Frau weder richtig wahrnehmen noch ordnen oder miteinander abstimmen kann. In der Rolle des Geliebten tritt er hingegen meistens als Macho und Aufschneider mit übertriebener sexueller Aktivität, vermeintlichen »Heldentaten« und sonstigem Imponiergehabe mit dem Ziel auf, auf das weibliche Geschlecht eine anziehende und beeindruckende Wirkung auszuüben und zu einem »Prestigeobjekt« zu avancieren. Andere verbreitete und mit dem Mann verbundene Motive
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betreffen das familiäre Zusammenleben oder Erziehungsfragen, die wegen vorkommenden Fehlverhaltens den Mann zumeist in ein schlechtes Licht rücken lassen und seine Unbeholfenheit, Unvernünftigkeit, sogar Einfältigkeit auffällig unterstreichen: – Jörg steigt aus seinem neuen Porsche. Sein bester Freund fragt, wie er zu dem Superwagen gekommen sei. »Erst stand ich als Anhalter an der Autobahn. Schließlich kam diese Frau mit dem Porsche. Sie hält an, ich steige ein, und am nächsten Rastplatz fährt sie runter und zieht ihr Höschen aus.« – »Und weiter.« – »Sie sagte, du kannst jetzt von mir haben, was du willst. … Da habe ich mir natürlich den Porsche genommen.« – »Hast recht. Wer weiß, ob dir das Höschen überhaupt gepasst hätte!« – Der Vater badet zum ersten Mal seine beiden Söhne. Sagt der eine: »Komisch, Mutti macht das immer ganz anders.« -»Wie denn?«, erkundigt sich der Vater. »Die zieht uns vorher immer erst Schuhe und Strümpfe aus.« – Bei-Mami-Wascher – Mit-40-noch-bei-den-Eltern-Wohner
– »Was ist denn hier los?«, fragt der Ehemann. – »Siehst du?«, sagt die Ehefrau zu ihrem Liebhaber. »Ich habe dir doch gesagt, er ist dumm.« – Die Hausfrau steht, einen Vibrator hinter ihrem Rücken versteckend, an der Haustür. »Schatz, was ist los?! Warum kommst du heute schon so früh nach Hause und warum weinst du?« – »Ich bin gefeuert, man hat mich im Betrieb durch eine Maschine ersetzt.« – Geständnis in der Hochzeitsnacht: »Ich–ich habe Asthma«, stottert die junge Frau. Erleichtert atmet er auf: »Ein Glück, mein Schatz. Ich dachte schon, Du pfeifst mich aus …« – Worin unterscheidet sich ein Mann von einem PC Dem PC musst du alles nur einmal sagen. – Mit-angezogener-Handbremse-Fahrer
So sehen wir den Mann auf eine parodistische Art und Weise als Person mit keinerlei oder höchstens illusorischer Einflussnahme geschildert, deren Rolle, Autorität und Bedeutung heruntergespielt werden. Es gibt jedoch auch einige Beispiele, in denen der Mann in einer Herrscherrolle auftritt (auftreten will), sich nicht an die Regeln des Zusammenlebens hält, seine Dominanz und respektloses Verhalten zeigt und die Frau einerseits in ihrem negativen Selbstbild zu bestärken, andererseits mit seiner falsch verstandenen »Männlichkeit« zu überwältigen versucht: – »Gibt es Fälle von Geisteskrankheit – Ein Mann sitzt vor dem TV und ruft in die in der Familie?« Küche zu seiner Frau: »Ey, bring mal das Bier« Patientin: »Ja, mein Mann – er bildet Sie: »Wie heißt das kleine Wort mit den 2 ›t‹« sich ein, er sei Herr im Haus.« Er: »Überlegt kurz: Aber flott!«
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– Ein Mann fährt im Aufzug. Irgendwo steigt eine Frau zu und sie fahren weiter. Plötzlich bleibt der Aufzug stecken. Die Frau schaut ihn verführerisch an, leckt sich langsam die Lippen, zieht Bluse und BH aus und haucht: »Los, mach, dass ich mich wie eine richtige Frau fühle!« – Der Mann überlegt kurz, knöpft sein Hemd auf und … schmeißt es auf den Boden: »Hier! Waschen und bügeln!«
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– Frauen-Nachpfeifer – Frauen-als-Sklaven-Anseher – Ich-könnt-jede-Frau-haben-Sprücheklopfer – Der Hausherr kommt in die Küche und sagt er gönnerhaft lächelnd zu seiner Frau: »Aber Herzilein, an deinem Geburtstag brauchst du doch nicht zu spülen. Mach es morgen!«
Humor und Ironie evozierende Mittel und Mechanismen
Humorerzeugende Mittel oder Mechanismen, die in humoristisch gearteten (Witz-)Texten16 ihre Anwendung finden, sind verschiedenartig und lassen sich daher nicht eindeutig definitorisch festlegen. Hauptsächlich werden sie jedoch mit der paradoxen Pointe und einer für diese Textsorte typischen Scriptopposition assoziiert, die es ermöglichen, die Verarbeitungsprozesse auf der nonbona-fide-Ebene einzuleiten (vgl. Raskin 1985: 99). Die Evozierung von komischen Effekten kommt häufig auch mittels anderer Faktoren zustande. Zu den Techniken, die in Witztexten humoristische Effekte entstehen und wirken lassen, gehört prinzipiell das so genannte Enttarnen des »doppelten Bodens«, das durch zahlreiche verschiedenartige Inkongruenzen, Zwei- oder Mehrdeutigkeit, satirische Übertreibungen, stilistische Gestaltung der Witzcharaktere und die verwendete Sprache bewirkt werden kann. Es handelt sich auch um pragmatische Umstände, (bei denen vor allem der Sinn für Humor sowie die Kreativität und Intelligenz des Empfängers von Belang sind, die als Fähigkeit zum Verstehen des Humors begriffen werden), die verwendete Sprache, das Ziel (Gegenstand der Verspottung), die Situation (Kontext), den logischen Mechanismus (u. a. falsche Analogie, der Holzweg, die Ignoranz des Selbstverständlichen), stilistische Paradoxe, satirische Übertreibung, das Wortspiel, Modifizierung von festen Wortverbindungen, Worthäufungen, Wiederholungen und Situationskomik (vgl. Kotthoff 2010: 82, Kotthoff 1997: 123, Awdiejew 1992: 280, Attardo/Raskin 1991: 330, Buttler 2001: 52f., auch Wowro 2018a: 38ff.). Außerdem werden die verblüffenden Effekte durch Anspielungen und stilistische Mittel wie Parallele, Antithese, Anapher sowie durch kontextuell-semantische Modifikationen erreicht (vgl. Wowro 2012: 648). In Anlehnung an die Lippmannsche Erfassung von 16 Darunter sind sowohl die so genannten Sprach- als auch Sachwitze zu verstehen, in denen entweder die Sprache selbst oder alles Außersprachliche, das den situativen Kontent ausmacht, als Mittel des Humoristischen gelten (vgl. Sikorska-Bujnowicz 2013: 30–31, auch Buttler 2001).
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Stereotypen werden Stereotypisierungen in Bezug auf Männer dargestellt, die bestimmte, vereinfachende, emotional wertende und im gesellschaftlichen Bewusstsein vorkommende Generalisierungen auslösen. Diesen zumeist negativen Bildern wohnt eine gute Portion Humor und Ironie inne, die unterschiedlich umgesetzt werden. So spiegelt sich in vielen von ihnen die triviale und ironische Art und Weise der Darstellungen sowie Verharmlosungen der Männerrolle im öffentlichen, aber vor allem im Familienleben, wider: – Männer sind wie Autos: wenn man nicht – Männer sind wie Jeans – entweder blau aufpasst liegt man darunter. oder steif. – Männer sind wie Horoskope: sie sagen – Eine graue Zelle kommt per Zufall in das dir, was du tun sollst und irren sich Gehirn eines Mannes. Alles ist dunkel, leer und ohne Leben. »Hu, hu!« ruft die meistens. graue Zelle. Keine Antwort. »Hu, hu!« – Männer sind wie Kühlboxen – Fülle sie wiederholt die graue Zelle. Da erscheint mit Bier und sie begleiten dich überall plötzlich eine andere graue Zelle und hin. fragt: »Was machst du denn alleine hier? – »Meinen zukünftigen Mann stelle ich mir Komm mit, wir sind alle unten!« so vor: Er muss gut aussehen, gern plaudern, über alles im Bilde sein, nicht trin- – Männer sind wie Hunde – Beide haben ken, nicht rauchen und abends immer zu eine unbegründete Angst vor dem Hause sein!« – »Offen gesagt: Was du Staubsauger, sind übermäßig fasziniert brauchst ist kein Mann, sondern ein vom Schoß einer Frau und misstrauen Fernsehgerät!« dem Briefträger.
Auch der sprachliche Humor (Sprachwitz) kommt zu Wort und nimmt oftmals die Form des Wortspiels an, das sehr häufig in der Mehrdeutigkeit des Wortes, in der Gleichheit oder Ähnlichkeit der Lautung von Wörtern mit divergierenden Bedeutungen bestehen oder auf der graphischen Ebene situiert werden kann, mit der Folge, dass eine Ambiguität sowie unerwartete Sinnzusammenhänge entstehen. Die Doppeldeutigkeit sprachlicher Einheiten oder Relationen realisiert sich durch ein Zusammenstoßen von Bedeutungen und deren führenden Faktoren, von denen die einen in dem jeweiligen Kontext aktualisiert, die anderen hingegen neutralisiert werden und vollzieht sich meistens auf dem Wege von Wortwörtlichkeit zur Übertragung. Als Mittel des Humors sind hier neben der Mehrdeutigkeit selbst überwiegend die aufkommenden Missverständnisse und deren Schärfe anzusehen, die auf den nicht unmittelbar entzifferten Kontext sowie das überraschende Ende zurückgehen, was einerseits zum Nachdenken anregt, andererseits zu Schematisierung, Klassifikation, Zuschreibung und Kategorisierung führt:
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– »Mein Kind, ich verstehe dich nicht. Warum willst du den jungen Nachbarssohn nicht heiraten? Seine Vergangenheit ist tadellos und seine Zukunft ganz vielversprechend …« – »Das mag sein, Papa. Aber seine Gegenwart ist mir unerträglich.« – Ein verliebtes Pärchen unterhält sich: »Ach, Liebling, schenk mir doch ein Kind.«, haucht sie. Er entsetzt: »Aber Schatz, Kinder werden doch nicht geschenkt, sondern geboren!« »Okay, dann bohr mir bitte eins…« – »Mensch, du bist ja heute so gut gelaunt.« »Ja, ich habe für meine Frau endlich ein Reitpferd bekommen.« – »Das freut mich für dich, das war wirklich ein guter Tausch!« – Was ist ein Mann im Salzsäurefass? Ein gelöstes Problem.
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– Hast du etwas gegen Männer? – Leider nichts Wirksames. – Was haben Männer und Waschmaschinen gemeinsam? – Wenn du sie anmachst, drehen sie durch. – Männer sind wie silberne Armbänder – Die leicht behämmerten passen sich am besten an! – »Du warst also bei meiner Frau … Und sicher hatte sie nichts an?« – »Doch, das Radio!« – »Ich meine angezogen.« – »Doch, die Knie.« – Kind sitzt in der Badewanne, Mutter kommt rein: »Mama, wo ist denn der Waschlappen?« »Ach, der ist nur mal kurz runter, Zigaretten kaufen!« – Männer sind wie Kristall – Manche sehen wirklich gut aus, aber man kann sie immer durchschauen.
Auch Humor auf der Wortbildungsebene ist stellenweise im analysierten Bestand nachweisbar und beruht zumeist in der künstlichen Anhäufung, Segmentierung des Wortes oder realisiert sich durch das Parodieren oder Verballhornen von grammatischen Regeln, festen Wortverbindungen oder sprichwörtlichen Redensarten, die, in einem ungewöhnlichen Kontext verwendet, eine Imitation auf formaler Ebene oder eine inhaltliche Veränderung darstellen. Die Mittel, zu denen dieses Parodieren greift und komische Wirkung erzielt sowie Stereotypisierungen entlarvt, sind unter anderem Addition, bei der bestimmte Elemente hinzugefügt und Omission, wo Bestandteile der ursprünglichen Form ausgelassen werden. Weitere Mechanismen stellen Substitution (Austauschen von einzelnen Elementen), Inversion (Umstellung der Reihenfolge), Kontamination (Vermengung oder Vermischung von zwei Redensarten), Einfügen in einen spezifischen Kontext17 oder Anwendung einer produktiven Wortbildungsregel, die mittels vorhandener sprachlicher Mittel die Entstehung eines komplexen Wortes bewirkt, aber zugleich aufgrund von falschen Analogieschlüssen zur Erzeugung von lexikalischen Neuerungen oder Sonderformen (Neologismen, Ad-hoc-Bildungen) führt. Das Verstehen der intendierten komischen Zusammenhänge, Inhalte oder Informationen ist von dem kulturellen Hintergrund und
17 Die genannten Mechanismen zur Erzeugung von komischen Effekten korrespondieren mit der Klassifikation der Sprachspiele von Koller, der folgende Arten von Sprachspielen aussondert: Syntagma-interne und Syntagma-externe Sprachspiele, Anzeige der wörtlichen Bedeutung des Redensart-Syntagma durch zusätzliche lexikalisch/graphische Mittel sowie Redensartenspiele in kritischer Funktion (mehr dazu vgl. Koller 1977: 190–195).
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gemeinsamen sowie sprachlichen (Grund-)Wissen sowie vom Allgemeinwissen aus verschiedenen Bereichen abhängig18: – Sie fragt auf der Party einen jungen Mann: »Was sind Sie von Beruf ?« – »Generalvertreter.« – »Das trifft sich gut, mein Mann ist General!« – Haarkurer – Minigolfer – Migräne-Simulator – Nach-Rezeptbuch-Kocher – Kuschelrocker – Warum bricht eine Mauer zusammen, wenn sich ein Mann daran lehnt? – Der Klügere gibt nach!
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Fettnäpfchen-Treter Rasenmähentuner Süßholzraspler Sofaplatz-wegschnappen-Lasser Vorm-Bandscheibenvorfall-begeisterter-Wasserskrifahrer-gewesen-Seiender – Frauen-durch-Unparteilichkeit-beeindruken-Woller – Immerdenkürzerenzieher – Früher-mal-fast-in-der-Regionalligagespielt-Habender
Die Suche nach Analogien macht sich auch in den übertragenen oder metaphorischen Schilderungen und Vergleichen bemerkbar, wenn auf außersprachliche Sachverhalte Bezug genommen und eine Neuinterpretation eröffnet wird. Derartige Darstellungen sind expressiv konnotiert und enthalten eine Evaluierung des Denotats. Damit sind sie nicht neutral, sondern enthalten (Vor-)Urteile oder Bewertungen von bestimmten Männertypen sowie deren Handlungs- oder Verhaltensweisen. Sie veranschaulichen bestimmte soziokulturelle Phänomene, geltende Wertsysteme sowie Wertorientierungen und deren Geltung oder Wandel. Den emergierenden Bedeutungen liegen verschiedene Konzepte zugrunde, die eine ironische Lesart konstituieren, die sich generell aus dem Zusammenspiel aus dem kulturellen Zusammenhang, dem Kontext sowie den jeweiligen Bedeutungsmerkmalen des sprachlichen Zeichens ergibt (vgl. dazu Wowro 2017: 625): – Er streichelt ihr über den Körper und – »Machst du deiner Frau noch Geschensagt: »Ich liebe deine Berge und Täler.« – ke?«, fragt der eine Angler den anderen. – Sie: »Und wenn im Tal nicht bald geackert »Wieso sollte ich?! Gibst du einem Fisch wird, dann wird das Land verpachtet!« einen Wurm, den du bereits gefangen hast?«
18 Vgl. dazu: »Bei der Dekodierung der in den Witzen jeder Art versteckten Inhalte und Informationen und bei ihrer Interpretation spielt das Allgemeinwissen des Rezipienten eine enorm große Rolle. Es wird das Grundwissen aus verschiedenen Bereichen als Voraussetzung für das Verstehen der geschaffenen humoristischen Texte verlangt. Die Autoren bedienen sich dabei eines breiten Spektrums von Motiven, Figuren und Themen. Die sprachlichen und außersprachlichen Mittel verhelfen ihnen dabei zur Bildung und dann zur Präsentation einer fiktiven Realität, unabhängig davon, wer oder was ausgelacht wird« (Sikorska-Bujnowicz 2013: 145).
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– »Na, wie waren die Flitterwochen mit deinem Mann?« – »Wie ein Besuch im Supermarkt.« – Wie meinst du das?« – »Alles, was ich haben wollte, musste ich mir selbst besorgen.« – Sie: »Ihr Ziel ist es also, mein Herz zu erobern?« – Er: »Eigentlich liegt mein Ziel etwas tiefer.
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Milchbubi Schlappschwanz Blaumacher Badewannenkapitän Schaukelpferd-Jockey Peepshow-Casanova Warmduscher/Kaltduscher
Im Falle von Sachwitzen realisiert sich der Humor generell durch die Verbindung des Sprachlichen mit dem Außersprachlichen. So entsteht eine Art Witzigkeit, bei der humoristische Situationen im Vordergrund stehen, in denen sich die auftretenden Figuren gegen Tabus auflehnen oder mit ihren Verhaltensweisen gegen Regeln und Normen verstoßen. Dem situativen Kontext werden sprachliche Mittel angepasst, die weitere Kontexte, Assoziationen oder nicht vorauszusehende Zusammenhänge wachrufen (vgl. auch Sikorska-Bujnowicz 2013: 31). So schöpft die Komik aus sprachlichen Mitteln und kontextueller Einbettung zugleich, die bestimmte Inhalte oder Erfahrungen aus dem alltäglichen Zusammenleben oder zwischengeschlechtlichen Umgang präsupponieren. So wird einiges (z. B. Streit, Seitensprung, Sex u. a.) nicht explizit genannt, sondern nur angedeutet, was auch mitdenken und vielerlei Aspekte mitverstehen lässt. Mit Indikatoren für die bestimmte Referenz und der Anspielung auf bereits vorhandenes (geltendes) Allgemeinwissen wird die Inhaltsdekodierung herbeigeführt, die die stereotypen und Männern unterstellten Attribute unbarmherzig offenlegt: – Der Ehemann kommt abends müde von – Sie: »Und, schmeckt dir das Essen?« – Knurrt er: »Suchst du etwa schon wieder der Arbeit nach Hause. Seine Frau meckert: »Der Wasserhahn ist noch immer Streit?« kaputt. Kannst du ihn nicht endlich re- – Sagt er: »Frau Fischer, ich würde gerne parieren?« – Er: »Bin ich Klempner!« – mit ihnen Fischeln!« Darauf sie: »Aber ich Am nächsten Abend. Sie: »Die Lampe im heiße doch gar nicht Fischer, ich heiße Wohnzimmer ist kaputt, kannst du die doch Vogel!« Erwidert er beschämt: »So direkt wollte nicht endlich reparieren?« – Er: »Bin ich ich es ja nun auch wieder nicht sagen!« Elektriker!« Eines Tages kommt nach Hause und staunt, denn der Wasserhahn – Er lädt sie zum Picknick ein. – Sie: »Gern. Aber vorher möchte ich noch etwas esfunktioniert und die Lampe ist auch sen.« wieder ganz. Ganz erstaunt fragt er: »Wieso gehen denn der Wasserhahn und das Licht wieder?« – »Unser Nachbar hat alles repariert.« – »Was wollte er denn dafür haben?« – Sie: »Entweder einen Kuchen backen oder mit mir schlafen.« – »Und da hast du ihm einen Kuchen gebacken …« – »Bin ich Bäcker?!«
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Als eine nicht zu übersehende Form der Generierung von humoristischen Effekten ist auch das Stilmittel der Ironie zu nennen, die im analysierten Korpus zweifelsohne ein zentrales Merkmal darstellt. Viele humorvolle Texte sind von ihr stark durchsetzt, jedoch ist hier anzumerken, dass die Komplexität ihrer Form und Wirkung es fast unmöglich macht, zu prognostizieren, was Ironie eigentlich entstehen und wirken lässt.19 Die Störung der Text- und Konversationsmaximen, aus der Ironie ihre Kraft schöpft, das Gegenteil des Gemeinten, negative Wertungen sowie Manipulationen im Bereich der Aufrichtigkeit (die simulierte Unaufrichtigkeit) (vgl. bspw. Lapp 1992: 146, auch Hartung 1998: 167, Hartung 2002) oder Tadel durch falsches Lob sowie Loben durch vorgetäuschten Tadel stellen ihre häufigsten Erscheinungsformen dar. Ironische Aussagen weisen auch immer einen doppelten semantischen Boden auf, weil ihnen eine wörtliche und eine nicht wörtliche Bedeutung zugrunde gelegt werden können. Die ironische Kennzeichnung ergibt sich hier meistens aus Anspielungen auf die allgemeingültigen Normen, die auf Differenzen zwischen Erwartbarem und wirklich Vorfindbarem referieren. Darüber hinaus machen inhärente Erwartungswidrigkeiten sowie die Schlüssigkeit der Argumente, die in den ironischen Darstellungen nicht geradlinig festgestellt werden können, als auch Scheinkonklusionen einen ironischen Ton und Text aus, in dem seine konklusive Struktur Widersprüche aufweist (vgl. Kohvakka 1997: 71). Am Rande soll auch angemerkt werden, dass Ironie oft durch bestimmte Markierungen signalisiert werden kann, die ironische Aussagen identifizieren lassen (vgl. bspw. Wowro 2014a: 230).20 So 19 Selbst »das Kennenlernen ihrer allgemeinen Struktur [gibt] keine hundertprozentige Garantie […], den ironischen Inhalt richtig wahrzunehmen. Das folgt u. a. daraus, dass die Ironie performative Funktionen in der Sprache erfüllt, die entweder außerhalb des Bereiches des tropologischen Feldes liegen, oder mit ihm in einer engen Beziehung stehen […]. Daher kommt die These auf, dass bei der Analyse der ironischen Bedeutungspolarisierung eine wesentliche Rolle neben dem semantischen Aspekt auch die Folgerungsprozeduren auf der Ebene der Pragmatik spielen« (Z˙urawlew 2008: 32). 20 Als Ironiesignale sind bestimmte Merkmale einer ironischen Mitteilung aufzufassen, die »eine wörtliche Rezeption stören und […] das intendierte Verstehen sicherstellen sollen« (Hartung 2002: 31). Hierbei sei allerdings anzumerken, dass sprachliche und außersprachliche Signale das ironische Verständnis zwar erleichtern mögen, aber nicht ohne weiteres voraussagen können, was bestimmte Äußerungen ironisch macht (vgl. Wowro 2018b: 124f.). Anzumerken sei an dieser Stelle noch die Tatsache, dass in der heutigen Ironieforschung in Bezug auf die Existenz von Ironiemarkierungen zwei gegensätzliche Ansätze vorzufinden sind. Die einen unterstreichen die Existenz von einem »ironischen [Sub]Kode«, der die ironische Interpretation ermögliche, die anderen machen hingegen darauf aufmerksam, »dass Ironie eben nicht signalisiert wird, d. h. nicht explizit markiert sein muss, weil sie einerseits über gemeinsame Wissensbestände oder aktuellen Gesprächsverlauf erkennbar wird, andererseits ihr Charme eher darin bestehe, sich nicht allzu deutlich und transparent kenntlich zu machen« (Wowro 2018b: 125). Darüber hinaus scheint Ironie umso ironischer zu wirken, »je vollständiger sie auf Ironiesignale zu verzichten weiß«, am besten sei es, wenn sie in einem »Null-Signal« (Alleman 1970: 20) gipfelt.
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gehören neben mimischen, gestischen und intonatorischen Modulationen zu den Indikatoren, die bestimmte Textstellen als nicht wörtlich zu nehmen markieren, unter anderem kühne Metaphern, überlange Formulierungen, Kontraste, Übertreibungen, Aussagewidersprüche sowie die Unwahrscheinlichkeit der Darstellungen, die nicht selten ad absurdum führen. Erkennbar gemacht wird Ironie auch mit Hilfe von bestimmten Ironie-Techniken, zu denen hauptsächlich Inkongruenzen verschiedener Art (auf syntaktischer oder lexikalischer Ebene vorkommen, z. B. Inversionen, Umstellungen der Wortfolge, Wiederholungen, die Verwendung von unpassenden Ausdrücken u. a.) zu zählen sind (vgl. u. a. Wolff/Müller 1995: 458).21 Zum Tragen kommt sie insbesondere in Warm- und Kaltduschersprüchen, wo in der ein Wort parodierenden Form aufgrund der unerwarteten Affinität auf Kontraste und offensichtliche Unsinnigkeiten im täglichen Lebensbereich hingewiesen wird: – – – – – – –
Auf-Stau-Zuraser Vor-Radaranlagen-Gasgeber Igelstreichler Oregano-Schmuggler Kellerfenstersturz-Selbstmörder Uhu-als-Gleitmittel-Nutzer Ein Mann hat beim Urlaubbuchen keine Probleme: Der Chef sagt ihm wann und die Frau sagt ihm wohin. – »Warum gehst du nicht nach Hause?« – »Weil meine Frau böse auf mich ist!« – »Warum ist sie mit dir böse?« – »Weil ich nicht nach Hause komme!«
– Ebbetaucher/Flachtaucher/ Planschbeckentaucher – Mit-Feuerzeug-in-Tank-Leuchter – Hosenträgerträger – Handtuch-im-Trockner-Trockner – Baumhaus-am-Boden-Bauer – Unterwasser-Abtrockner – Ein Mann hat es nicht leicht im Leben: Wenn er geboren wird, gratuliert man der Mutter, heiratet er, bewundert man die Braut, wird er Vater, bekommt die Frau die Blumen und stirbt er, verjubelt die Witwe seine Rente.
Die omnipräsente Ironie sowie unerwartete Pointen erhellen Kontraste oder Widersprüche, die sich zu einer Einheit oder zu einem unerwarteten Ganzen zusammenfügen und verschiedene Assoziationen hervorrufen, die einerseits auf normale oder alltägliche, andererseits groteske und irrwitzige Situationen oder Ereignisse anspielen, denen der spöttische Unterton in Bezug auf das Aussehen, die Handlungsweise oder Charakterzüge des Mannes leicht zu entnehmen ist:
21 Zu weiteren Ironietechniken und -signalen sowie deren Unterscheidungskriterien oder Klassifizierungsmöglichkeiten vgl. beispielsweise Groeben/Scheele (1986: 169), auch Wołowska (2011: 226f.) und Wowro (2018b).
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– »Hast du dich etwa von deiner Freundin getrennt, nur weil sie jetzt eine Brille trägt?« – »Im Gegenteil! Sie hat sich von mir getrennt, nachdem sie die Brille bekommen hatte!« – Vielobstundgemüseesser – Frauenwünscheerfüller – Computerspiel-Held – Nach-Komplimenten-Fischer
– Im Bett. Er rutscht zu ihr rüber und flüstert zärtlich: »Ach, wäre es schön, wenn du geil wärst!« – Knurrt sie zurück: »Ach, wäre es geil, wenn du schön wärst!« – Füße-auf-den-Tisch-Leber – Sich-unwiderstehlich-Finder – Nichtaussprechenlasser – Im-Kino-betont-laut-Lacher
Auch Spuren von »schwarzem Humor«22 sind in dem gesammelten Bestand beobachtbar. Humor dieser Prägung verhöhnt, verachtet und hebt das Spannungsverhältnis zwischen Grauen und Lachen hervor. Er ist auch als eine kritische Instanz zu betrachten, die die gängigen Vorstellungen in Frage stellt (vgl. auch Henninger 1966: 29). Die ungewöhnlichen, aber in ihrer Logik doch nachvollziehbaren Schilderungen richten sich gegen bestehende Konventionen und lösen eine Störung im Bereich der Erwartungshaltung aus. Das Dargestellte wirkt in seiner Verkehrtheit zwar abwegig, scheint aber durchaus wahrscheinlich oder durchführbar zu sein, weil hier keine inkompatiblen Elemente vorhanden sind, sondern eher eine Folgerichtigkeit (Hellental 1989: 48ff.). Als seine häufigsten Erscheinungsformen sind Zynismus, Frivolität, Doppelzüngigkeit und Heuchelei zu erwähnen, in denen eine Verharmlosung thanatologischer Fragen erkennbar ist, bei der die Finalität des Todes in den Hintergrund gerät oder ignoriert wird: – Der Mann einer Frau ist gestorben. Nach der Trauerfeier bittet sie das Bestattungsunternehmen, ihr die Urne mit nach Hause zu geben. Zögernd willigt man ein und die Frau geht nach Hause. Dort stellt sie die Urne auf den Küchentisch und holt eine Sanduhr aus dem Schrank. Sie öffnet die Urne, füllt die Asche in die Sanduhr, dreht diese herum und spricht, während die Asche durch das Glas rieselt: »So, mein Lieber, ab heute wird gearbeitet..« – Eine Frau warf ihren Mann aus dem Fenster? Schlagzeile auf dem Titelbild der Zeitschrift »SCHÖNER WOHNEN«. – Kommt ein Mann in die Drogerie und verlangt 10 tiefschwarze Kondome. Auf den erstaunten Blick des Drogeristen erläutert er: »Ach, wissen Sie, meine Frau ist vorgestern verstorben und meine Freundin meinte ….«.
– Ein anständiger Mann stirbt mit 40, damit seine Frau noch was vom Leben hat. – Was muss eine Frau tun, wenn ihr Mann im Garten zickzack läuft? – Weiterschießen. – Ein todkranker Millionär liegt sterbend im Bett und röchelt seiner Frau ins Ohr: »Was soll nur aus dir werden, wenn ich sterbe?« – Sie hält seine Hand, tätschelt seinen Kopf und sagt sanft: – »Jetzt stirbst du erstmal – und dann sehen wir weiter.« – Großbrand-mit-Füßen-Austreter – Autobahn-zu-Fuß-Überquerer – Stahlseil-Bungee-Springer
22 Vgl. auch Wowro (2013).
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Für die Entstehung einer spielerischen Atmosphäre sorgen auch Humor und Ironie evozierende Beispiele, in denen unverhohlen auf stereotype Männereigenschaften und Unterstellungen angespielt wird. Deutlich kommt hier aufgrund bestimmter Merkmale ein umfassendes Inventar einer durch die Sichtweise vereinfachenden verfestigten Vorstellungen, Überzeugungen sowie Bewertungen, stellenweise auch die generelle Haltung ausdrückenden Vorurteilen zum Tragen, die sich als verhaltensdeterminierend erweisen und eine Reihe von Konsequenzen nach sich ziehen. Derartige Texte parodieren und verballhornen andere bekannte Formen oder Textsorten wie z. B. die Gesetztexte und Paragraphen, die zur besseren Bezugnahme in verschiedene Unterkomponenten aufgeteilt werden (Nummern, Absätze und Sätze). Die parodierenden Texte genügen den für die jeweilige Textsorte geltenden Kriterien, z. B. in Bezug auf den verwendeten Wortschatz, Textmuster, Textmerkmale, die gesamte Organisation des Textes sowie die Art der Themenentfaltung, sie werden auch unter in einer einheitlichen Form gehalten und weisen eine hierarchische logische Struktur auf. So bezieht sich jeder Paragraph auf einen Themenbereich und jeder einzelne Absatz entwickelt nur einen Gedanken und thematisiert auf amüsante und spaßige Art und Weise einen Argumentationsschritt oder eine Grundthese. Die folgenden Sätze in dem jeweiligen Absatz erläutern dann die Hauptaussage, indem Ursachen und Wirkungen oder Konsequenzen diskutiert, Analogien verwendet oder aussagekräftige Beispiele herangeführt werden, die oft mit einer direkten witzig formulierten Anrede enden, die zugleich als ein Ratschlag zu verstehen ist. Ironie wirkt hier vor allem auf der semantisch-logischer sowie pragmatischer Ebene, indem sie sich kausallogischer Unvereinbarkeiten (darunter Widersprüche zu generellem Wissen oder Behaupten absurder Dinge), starker Über- bzw. Untertreibungen in Bezug auf geltende Stereotypisierungen sowie Widersprüche aufgrund von allgemeinen Werten oder Normen bedient (vgl. auch Wowro 2014a): Artgerechte Haltung von Männern Auf Grund des § 32 Abs. 4 des Artenschutzgesetzes BGBI Nr. 584/1973, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBI Nr. 430/1985, wird im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz verordnet: Artikel 1 Allgemeine Bestimmungen Sich einen Mann zu halten ist bei weitem nicht mehr so problemlos wie zu Großmutters Zeiten, und es erhebt sich die Frage, ob sich die Haltung eines Mannes überhaupt noch lohnt. Ein brauchbares Exemplar sollte mindestens zwei der nachfolgend genannten Voraussetzungen erfüllen.
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§ 1 Grundlegende Eigenschaften Abs 1 Er sollte nützlich sein (handwerkliche Fähigkeiten, fleißig im Haushalt und im Bett gut zu gebrauchen) Abs 2 Er soll herzeigbar sein (d. h. sein Aussehen sollte kein Mitleid erregen) Abs 3 Obige Punkte können außer Acht gelassen werden wenn § 2 zutrifft. § 2 Er ist reich! § 3 Anschaffung Gehen Sie bei der Auswahl Ihres Männchens sorgfältig vor und lassen Sie sich genügend Zeit um sich von seinen tatsächlichen Fähigkeiten zu überzeugen. Bedenken Sie, daß das Männchen stets versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen, danach aber häufig in sein altes Rollenverhalten zurückfällt. Oft offenbaren sich versteckte und offensichtliche Mängel erst später. In der letzten Zeit steigt die Zahl der ausgesetzten Männchen rapide an. Viele Exemplare streunen orientierungslos herum oder suchen Zuflucht bei anderen Frauen. Das Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 3 sollte daher sorgfältig geprüft werden. Empfehlenswert ist die Anschaffung eines bereits ausgebildeten Mannes (siehe auch § 5). So sind zum Beispiel auf dem Second-Hand-Markt oftmals brauchbare Exemplare zu finden. Sie zeichnen sich meist durch eine ausgezeichnete Ausbildung und eine genügsame Lebensweise aus. Aber Vorsicht vor mehrfach gebrauchten Exemplaren. Aufgrund der vielen Pflegestellen neigen sie zu zeitweiligem Gedächtnisverlust und können sie sich dann weder an Ihr Heim noch an ihr Frauchen erinnern. § 4 Ernährung Der Mann ist ein Allesfresser. Um Mangelerscheinungen vorzubeugen sollte man Ihm neben dem Dosenfutter ab und zu frisches Gemüse oder Salat vorsetzen. Alkohol sollte nicht grundsätzlich verboten werden, da er ihn sich sonst zusammen mit anderen Artgenossen anderweitig beschafft. Für Süßigkeiten gilt im wesentlichen das Gleiche. Vorsicht vor Überfütterung. Bedenken Sie, daß ein fetter Mann schnell unbeweglich wird und damit im Bett und im Haushalt nicht mehr so leistungsfähig ist. § 5 Artgerechte Haltung Was die Unterbringung angeht so ist der Mann relativ anspruchslos. Im allgemeinen genügen ein Bett und ein Fernseher. Bei Vorhandensein eines Computers kann eventuell auf den Fernseher verzichtet werden. Man sollte Ihn nicht den ganzen Tag einsperren, da er sonst depressiv wird, das Essen verweigert und bald eingeht. Für die allgemeine Beweglichkeit und eine regelmäßige Sauerstoffzufuhr hat sich Gartenarbeit bestens bewährt. Außerdem sollte man ihn möglichst einmal täglich ins Freie führen, damit er etwas Auslauf hat. Denken Sie daran, ihn immer an der langen Leine zu lassen. […]
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§ 7 Männerkrankheiten Der Mann im allgemeinen neigt zu Übertreibungen. Eine Veranlagung zum Hypochonder ist quasi angeboren. Bei Erkältung ist leichte Bettruhe vollkommen ausreichend. Aufrichtiges Bedauern des Erkrankten kann den Heilungsverlauf positiv beeinflussen. Sollte tatsächlich eine ernste Erkrankung vorliegen, empfiehlt es sich einen Arzt hinzuzuziehen. Manche Männchen neigen zu übermäßigem Haarausfall. Dies beeinträchtigt ihre Leistungsfähigkeit meist nicht und ist daher unbedenklich. […] § 9 Fortpflanzung Männer sind das ganze Jahr über läufig und verhalten sich auch dementsprechend. Ein in diesem Zusammenhang geäußerter Kinderwunsch ist mit Vorsicht zu genießen, da er oft nur als Mittel zum Zweck dient23.
Ironische Umsetzungen von Stereotypen sind auch sehr deutlich in humoristischen Texten zu erkennen, die als Selbstwertgefühl steigernde und nicht der Komik entbehrende Quasi-Ratgeber oder Ratschläge für Männer gelten können. In solch gearteten Darstellungen werden überspitzt zahlreiche »alltagstaugliche« Tipps für denkbare Lebenslagen gegeben; viele von ihnen gehen jedoch mit Absicht weit unter die Gürtellinie. Insbesondere wird hier unverblümt auf den »richtigen« Umgang und wechselseitige Beziehungen zur Frau angespielt und dabei zugleich maßlos ironisiert. So werden aus einer Gegenperspektive gewünschte oder von weiblichem Geschlecht erwartete und Männern zuzuschreibende Eigenschaften und Verhaltensweisen vermehrt dem Spott und Hohn ausgesetzt. Die vorkommenden Ironisierungen und stereotype Denkhaltungen finden ihren Ausdruck in deren Abwertung durch simulierte Aufwertung des Gegenteils und sind durch das Oszillieren zwischen dem Ernstnehmen und Nicht-Ernstnehmen gekennzeichnet: Regeln, um ein Mann zu sein 1. Ruf nicht an, niemals !!! […] 2. Lüge!!! 3. Immer dran denken: Du bist ein Mann. Deshalb, egal was ist, es ist nicht dein Fehler. 4. Sei so vieldeutig wie möglich. Wenn Du nicht antworten willst, Rülpsen tut es auch. 5. Frauen mögen es, ignoriert zu werden. Es erregt sie. 6. Sag ihr, dass Du anrufst. Danach, siehe Nummer 1. 7. Wenn (Gott behüte!) Du doch mit einer Frau telefonieren musst, benutzte nur einsilbige Worte und Geräusche.[…]
23 http://www.paffrath.biz/texte/fuer_die_frau/haltung_eines_mannes.htm [Zugriff am 20. 10. 2021].
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8.Trag keine zusammenpassenden Klamotten. Die Leute würden denken, deine Freundin hat sie rausgesucht, und das würde deine Chancen beim Anmachen zerstören. 9. Bestreite alles, wirklich alles. 10. Gefühle? Welche Gefühle?24
4.
Schlussbemerkungen
Die hier präsentierten Überlegungen sowie Beispiele reflektieren unter wertender Bezugnahme die heutigen männlichen Rollenbilder sowie die widersprüchlichen Anforderungen, die an den Mann gestellt werden. Sichtbar ist hier ein gewisses Umdeuten der Männerrolle, stellenweise die Männerabwertung oder -aufwertung, zum anderen auch die Tatsache, dass das klassische Männerbild sowie Modelle der männlichen Dominanz langsam aufweichen. Stattdessen erfolgt die Formung von neuen, eine Abkehr von einseitigen Hierarchiemodellen nehmenden Männlichkeitstypen, die der Annahme Rechnung trägt, dass heutzutage unterschiedliche Männlichkeiten gelebt bzw. realisiert werden. Darüber hinaus geben die im vorliegenden Beitrag vorgestellten Ansätze hauptsächlich Aufschluss darüber, wie Texte und Worte wirken und was sie bewirken können. Sie lassen nämlich erkennen, dass Worte und Texte einen weiten Bogen spannen, von Themenvorgabe und deren Umsetzung bis hin zum kreativen sowie spöttischen Umgang mit der Mannfigur, die heutzutage als »problematisches Geschlecht« wahrgenommen werden kann. Denn in Bezug auf die althergebrachten Rollenbilder scheint das Männerbild ins Wanken zu geraten und sich in einem Konflikt zwischen Macho und Softie zu befinden. Das führt auch dazu, dass bestimmte männliche Eigenschaften, die zuvor als positiv oder negativ betrachtet wurden, jetzt nur noch als verschwommen und umstritten gelten. In dem hier analysierten Bereich von humoristischen Texten gibt es wenige Darstellungen, die den Mann als aktiv, erfolgreich, dominant oder sachlich abbilden würden. Stattdessen werden Männer stellenweise in untergeordneten Positionen inszeniert, als Ehemänner und Väter, die nicht immer souverän und erfolgreich sind, die im Alltag auch schwach sein können. So wie die Männlichkeit selbst unterschiedlich ausgestaltet werden kann, so ist der hier gezeigte Humor ebenfalls mannigfaltig. In vielen Beispielen kommen eine provokante Humorart und an Groteske oder Parodie grenzende Töne zum Ausdruck. Die Schilderungen sind durch eine emotionale Ladung geprägt und reichen von komischen Einwortbezeichnungen über einfältige Geschichten bis zu skurrilen Darstellungen, die mit Hilfe von verschiedenen Kontexten die Männlichkeit und das Mannsein zum 24 http://www.paffrath.biz/texte/fuer_den_mann/so_versteht_man_maenner.htm [Zugriff am 20. 10. 2021].
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Ausdruck zu bringen versuchen sowie zu Reflexionen anregen. Die Exemplifikationen sind Belege dafür, dass im Bereich der humorvollen Texte zur Männerfrage vor allem Witze, Rätselfragen und metaphorische Vergleiche, aber auch eher unkonventionelle, andere Textsorten parodierende Formen oder Wortspielkreationen, einen besonderen Platz einnehmen. Ihre hohe Frequenz sowie die formale Vielfalt veranschaulichen die Spezifik dieser Art von Humor, der über alle Konventionen hinausgeht, die Normen durchbricht und nicht selten gegen Ethik oder Moral verstößt. Wie die meisten Textexemplare auch zeigen, schwebt durchgängig die Ironie erkennbar mit, die mit ihrer Doppelschichtigkeit (meist negative) Wertungen der Männerfiguren und deren Verhaltensweisen oder Stellungnahmen nur indirekt verbalisiert, um dem wirklich Gemeinten auf die Spur zu kommen sowie mit Hilfe des situativen Hintergrunds von hemmenden Schranken der herkömmlichen Denkweise zu befreien. Der Zustand der Schwebe lässt auch erkennen, dass die präsentierten Männerprofile verschiedene subjektive Denkweisen und Deutungsmuster beinhalten, wo vor allem überraschende, Humor erzeugende Inhaltszuschreibungen anschaulich und zulänglich repräsentiert sind. Wie auch immer kann der Lauf der Dinge wahrscheinlich nicht mehr aufgehalten werden. Somit wird der heutige Mann auf den Prüfstand sowie vor ein markantes Entscheidungsdilemma gestellt, entweder den zahlreichen, gegenwärtigen, sich fortwährend wandelnden Erwartungen gerecht zu werden oder sich vor ihnen doch abschirmen zu wollen. Eine der Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit dieser Streitfrage stellen humorvoll geartete Texte dar, die die verschiedenartigen Auffassungsmöglichkeiten des Mannseins oder der Männlichkeit aufzeigen und somit den Weg zur weiteren Erforschung der Männerfrage vor allem in der Kombination von diskrepanten Kriterien und Klischees, darunter auch von scheinbar unvereinbaren humorvollen Elementen, bahnen können und damit alternative Schilderungen ermöglichen, konkrete Anhaltspunkte vorlegen sowie die Antwortsuche auf die von Herbert Grönemeyer in seinem gleichnamigen Song thematisierte, altbekannte Frage »Wann ist ein Mann ein Mann?« vorantreiben können.
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Mariusz Jakosz (Uniwersytet S´la˛ski, Katowice)
Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche im polnischen und deutschen Mediendiskurs The Humorous Potential of Stereotypes about Germans in Polish and German Media Discourse Abstract The paper presents the relationships between humour and national stereotypes as linguistic worldview components. The author discusses humorous elements in selected media discourse stereotypical images of Germans. Such elements reinforce the stereotypes, the majority of which are passed down from generation to generation in an unchanged form, and facilitate their spread. The analysis covers stereotypes about Germans relating to their appearance, personality traits, eating habits, and traditions. The research corpus consists of various Polish and German internet sources, including articles, caricatures, comic books, and jokes. All of them are part of the public discourse, thanks to which one can identify typical thinking and world understanding patterns in a given culture. Keywords: humour, stereotype, Germans, jokes, media, linguistic worldview Schlüsselwörter: Humor, Stereotyp, Deutsche, Witze, Medien, sprachliches Weltbild
1.
Einleitende Bemerkungen
Humor und Stereotype spielen eine wichtige Rolle sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Kontext, wobei wir uns dessen häufig nicht bewusst sind. Stereotype Vorstellungen als Bestandteile des sprachlichen Weltbildes beeinflussen wesentlich die Wahrnehmung der uns umgebenden Realität und können diese sogar verzerren. Sie werden jedermann via Familie und/oder Umgebung (auch durch Medien) übermittelt, was zur Folge hat, dass die Meinungen oder Vorlieben eines Individuums auf eine bestimmte Art und Weise durch Stereotype beeinflusst werden können. Indem sie auf Menschen einen Einfluss ausüben, tragen sie dazu bei, wie wir in der Gesellschaft handeln, andere betrachten und von anderen wahrgenommen werden (vgl. Bartmin´ski 1998: 64– 65). Stereotype Vorstellungen als Elemente und Erzeugnisse der weit gefassten Kultur werden auch komisch umgesetzt, was nicht selten in den Medien zu beobachten ist. Dies kann nämlich dazu führen, dass die Aussagekraft von Stereotypen gemildert – oder ganz im Gegenteil – verstärkt wird. Obwohl diese
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Erscheinung sehr vielschichtig ist und sich nur schwierig eindeutig definieren lässt, sind deren zahlreiche – und häufig – positive Funktionen in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens wie Psychologie oder Didaktik nicht zu bestreiten. Im vorliegenden Beitrag wird das Ziel verfolgt, die beiden Phänomene – Humor und Stereotype – in Verbindung zu bringen, indem die ausgewählten stereotypen Vorstellungen über Deutsche und deren humoristische Umsetzung im polnischen und deutschen Mediendiskurs dargestellt werden. Zu analysieren ist, inwiefern die Stereotypisierungen über Deutsche im Hinblick auf vier Facetten, nämlich Image, Charaktereigenschaften, Essgewohnheiten und Traditionen, in Erscheinung treten. Das Untersuchungskorpus besteht aus polnisch- und deutschsprachigen Internetquellen unterschiedlichster Art, darunter sind Beiträge, Karikaturen, Cartoons und Witze, die den öffentlichen Mediendiskurs1 konstituieren, der »die kultur- und mentalitätsspezifischen Handlungs- und Wissensmuster einer Gemeinschaft« (Czachur 2011: 64) verdeutlichen lässt.
2.
Wechselwirkungen zwischen Humor und Stereotypen
Die Wahrnehmung der jeweiligen Kulturgemeinschaft setzt die Kenntnis der in unserem Bewusstsein verfestigten Stereotype voraus, die für das richtige Verstehen, Entschlüsseln und Interpretieren der vermittelten Inhalte unentbehrlich sind (vgl. Bartmin´ski 1998: 65–66; Sikorska-Bujnowicz 2016: 90–91). Unter Stereotypen versteht man »schematisierte, auf relativ wenige Orientierungspunkte reduzierte […] Vorstellungen über spezifische Wesens- und Verhaltensmerkmale anderer Menschen oder Menschengruppen« (Hillmann 2007: 860–861). Kulturelle Inhalte, die durch Stereotype überliefert werden, können durch Humor eine hohe Signifikanz erreichen, »[…] um damit der Ernsthaftigkeit des Themas aus dem Weg zu gehen und den Aspekt der Unterhaltsamkeit stärker in den Fokus zu rücken« (Moebius 2018: 8). Im Sinne von Zijderveld (1976: 21) wird Humor als (Wort)spiel mit kulturellen Sinnzusammenhängen angesehen, das sich auf sprachliche, logische, emotionale oder einfach alltägliche Aspekte beziehen kann. Darauf macht auch Frahm (2008: 24) wie folgt aufmerksam: Humor lässt sich nicht als sprachliches Phänomen isolieren mit dem Hinweis, er sei mit einem Signifikat namens »nationaler Kulturraum« identisch – umso weniger, als viele Witze und Anekdoten mühelos Sprach- und Landesgrenzen überwinden und von den 1 Der Diskurs ist erst dann öffentlich, wenn er in der breiten Öffentlichkeit (vor allem durch den Einsatz unterschiedlicher (Massen-)Medien, Bürgerinitiativen, direkte Wahlkampagne usw.) zustande kommt und sich auf die relevanten gesellschaftspolitischen Themenbereiche bezieht (vgl. Spitzmüller 2005: 72, Czachur 2011: 65–66).
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Rezipienten nach einer Weile behandelt werden wie ihr eigenes kulturelles Besitztum. (Frahm 2008: 24)
Aus den bisherigen diskursanalytischen Studien ergibt sich, dass den Stereotypen, wenn sie humoristisch umgesetzt werden, eine vielschichtige Bedeutung zukommt, was zur Originalität von Karikaturen, Witzen und Memes deutlich beiträgt: »Durch Inkongruenzen, Hyperbolisierung, Umkehrungen und Kontrastierungen können Stereotype so teils unterlaufen, teils aber auch verstärkt werden« (Moebius 2018: 1). Zu beachten ist, dass mit dem Verstehen des Humoristischen noch weitere Bereiche zusammenhängen, ohne die kein Humor auskommen würde: Wissen über die Sprache, über die Kultur und das Kontextwissen. Das Spielen mit Sinnzusammenhängen folgt bestimmten, stilistisch sehr vielfältigen Regeln, die in den verschiedenen komischen Formen ihren Niederschlag finden (z. B. Ironie, Witz usw.). Der Einsatz des Humoristischen bewirkt, dass bestimmte Nationen und ihre Mentalität übertrieben dargestellt werden. Dadurch können humorvoll vermittelte Inhalte nicht nur destruktive, sondern auch konstruktive Wirkung entfalten. Einerseits werden die Nachteile der Mitglieder einer Gemeinschaft belächelt oder verunglimpft, andererseits ermöglichen sie den Rezipienten, alles, was das Fremde und Unbekannte anbetrifft, zusammenzustellen und als Quelle der Informationen über die jeweilige Nation zu betrachten (vgl. Sikorska-Bujnowicz 2016: 91; Middeke/Murdsheva 2018: 225–226). Dadurch wird das Kulturwissen erweitert, was mit der kognitiven Rolle der Stereotype zusammenhängt. Außerdem werden die Wahrnehmung einer anderen Nation und die Einstellung ihr gegenüber durch humoristische Umsetzung der stereotypen Inhalte wesentlich beeinflusst.
3.
Das Bild der Deutschen im polnischen und deutschen Mediendiskurs
Den Forschungsgegenstand des analytischen Teils bilden die humorvollen Erscheinungsmöglichkeiten des Stereotyps der Deutschen in verschiedenen Lebensbereichen. Die Analyse erfolgt unter Berücksichtigung der ausgewählten Domänen im Sinne von Bartmin´ski (1998: 72–81), d. h. das Aussehen der Deutschen, deren Persönlichkeit, Essgewohnheiten sowie Traditionen (meist bekannte Produkte, Politik- bzw. Wirtschaftsbereiche, Nationalsport usw.). Diese Domänen spielen eine wichtige Rolle für die Sprachbenutzer und ermöglichen es, die verschiedenen Sichtweisen und die typischen Denkkonzepte zu präsentieren.
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Aussehen der Deutschen
Das Augenmerk richtet sich zuerst auf die stereotype äußerliche Betrachtung der Deutschen. Das Aussehen sagt viel über Menschen oder sogar über die ganze Gemeinschaft. Im öffentlichen Diskurs gelten Deutsche z. B. als eine Mischung von gutaussehenden, großen, blauäugigen, blonden Männern und von unattraktiven Rotköpfen mit Sommersprossen. Die Frauen haben in der Vorstellung vieler Menschen meistens blonde Zöpfe.2 Man nimmt an, dass eine typische deutsche Frau eine Mischung aus Angela Merkel und Claudia Schiffer ist, d. h. eine Frau ist entweder eine schlanke, blauäugige, blonde Claudia Schiffer oder eine eher männlich aussehende, unattraktive und immer noch blonde Angela Merkel.3 Es gibt auch charakteristische oder stereotype Kleidung in einer entsprechenden Farbe, die mit einer bestimmten Nation verbunden werden können. Eine der Assoziationen bezüglich der typisch deutschen Kleidung betrifft die bayerische (Volks)tracht. Obwohl sie vor allem in Bayern getragen wird, wird sie als typische Kleidung aller Deutschen angesehen und gehört zu ihrem stereotypen Aussehen. Mit der Tracht ist auch das Bier untrennbar verbunden, die sofort Assoziationen über das Oktoberfest entstehen lässt. Auf den Abbildungen werden meistens ältere Männer mit einem dicken Bauch, einer braunen Lederhose, Hosenträgern, einem weißen oder karierten Hemd, einem braunen Hut sowie mit einem Bierkrug in der Hand dargestellt:
Abb. 1: https://pl.depositphotos.com/7927281/stock-illustration-cartoon-man-wearing-a-leder hosen.html [Zugriff am 12. 11. 2020]
2 https://nonsa.pl/wiki/Niemcy [Zugriff am 10. 10. 2020]. 3 https://www.welt.de/partnerschaft/article11835346/Die-deutsche-Frau-gross-blond-schoen-u nsexy.html [Zugriff am 10. 10. 2020].
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Das Alter des dargestellten Mannes kann mit der alternden Gesellschaft und mit dem demographischen Wandel in Deutschland, aber auch mit der deutschen Bindung an die Tradition verbunden sein. Inzwischen ist die bayerische Tracht aber auch bei jungen Leuten sehr beliebt. Deutsche Frauen werden im polnischen Diskurs als hässlich bezeichnet, wovon einige Witze zeugen, die ihr stereotypes Aussehen thematisieren. Sie werden etwa mit Kühen verglichen und dadurch entwürdigt, was folgende Beispiele veranschaulichen mögen: – Co to znaczy, gdy krowa jest ładniejsza od kobiety? – Po prostu przekroczyłes´ granice˛ na Odrze.4 – Jak odróz˙nic´ niemiecka˛ kobiete˛ od niemieckiej krowy? – Po kolczykach.5 Ciekawostka: na 10 niemieckich kobiet, 12 jest brzydkich.6 – Jak to jest, z˙e w Niemczech produkuja˛ tyle dobrych samochodów? – Jak sie˛ ma takie z˙ony, czyms´ trzeba sie˛ zaja˛c´.7
Es kommen aber immer häufiger auch solche Abbildungen vor, die dieses Stereotyp anders verarbeiten. Dargestellt werden u. a. attraktive Frauen mit großem Busen und mehreren Maßkrügen Bier in der Hand, das beim Oktoberfest ausgeschenkt wird:
4 – Was bedeutet es, wenn eine Kuh hübscher als eine Frau ist? – Du hast gerade die Grenze an der Oder überquert (übersetzt von M.J.). http://tylkohumor.pl/949,co-to-znaczy-ze-krowa-je st-ladniejsza-od-kobiety?-przekroczyles-granice-na-odrze [Zugriff am 03. 12. 2020]. 5 – Wodurch unterscheidet man eine deutsche Frau von einer deutschen Kuh? – Durch die Ohrringe (übersetzt von M.J.). http://tylkohumor.pl/950,jak-odroznic-niemiecka-kobiete-od -niemieckiej-krowy?-po-kolczykach [Zugriff am 03. 12. 2020]. 6 Lustige Tatsache: Von 10 deutschen Frauen sind 12 hässlich (übersetzt von M.J.). http://press mania.pl/proste-odpowiedzi-na-antypolska-kampanie-w-niemieckich-mediach/ [Zugriff am 03. 12. 2020]. 7 – Wie kommt es dazu, dass in Deutschland so viele gute Autos produziert werden? – Wenn man solche Ehefrauen hat, muss man sich mit etwas befassen (übersetzt von M.J.). http://tylkohumo r.pl/947,dlaczego-w-niemczech-robia-tak-dobre-samochody?-majac-takie-zony-trzeba-sie-cz yms-zajac [Zugriff am 03. 12. 2020].
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Abb. 2: https://www.flickr.com/photos/foto_db/18971491928 [Zugriff am 13. 12. 2020]
In Bezug auf die Kleidung kann außerdem festgestellt werden, dass die deutschen Bürger als geschmacklos und schlecht gekleidet dargestellt seien. Als typisch deutsch gilt die Kombination von Badeschlappen oder Sandalen und Socken. »Deutsche, nehmt die Socken aus den Sandalen!«8 lautet ein Artikeltitel, der dieses Stereotyp bekräftigt:
Abb. 3: https://debeste.de/16861/Darauf-hat-der-Deutsche-gewartet [Zugriff am 20. 11. 2020]
Die Socken mit Sandalen, lockere T-Shirts und kurze Hosen machen das typische Erscheinungsbild der Deutschen während des Urlaubs sowie an heißen Som-
8 https://www.welt.de/debatte/kolumnen/article106392273/Deutsche-nehmt-die-Socken-ausden-Sandalen.html [Zugriff am 14. 11. 2020].
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mertagen aus und stehen stellvertretend für den schlechten deutschen Kleidungsstil:
Abb. 4: https://www.howily.info/2016/05/der-typische-deutsche-urlauber.html [Zugriff am 30. 11. 2020]
Diesbezüglich sind auch viele Anekdoten und Witze im Umlauf: Fremdschäm-Alarm! Bei Sandalen mit weißen Socken und der Liegenreservierung hört auch bei den Landesgenossen der Spaß auf: 35 % finden das Outfit ihrer Mitreisenden, 28 % den Reservierungswahn einfach nur peinlich.9 35 % der Männer tragen im Urlaub die grässliche Sandalen-Socken-Kombi. Mit diesem Schuhwerk begeben sie sich dann auf dem schnellsten Weg zum Pool, um ihr Territorium abzustecken.10 Noch rätselt eine Gruppe Wissenschaftler über die Herkunft von Ötzi. 1) Österreicher kann er nicht sein, man hat Hirn gefunden. 2) Italiener kann er auch keiner sein, er hatte Werkzeug dabei. 3) Vielleicht ist er ein Schweizer, weil er vom Gletscher überholt wurde. 4) Aber wahrscheinlich ist er Deutscher, denn wer geht sonst mit Sandalen ins Hochgebirge …11
9 https://rp-online.de/leben/reisen/ratgeber/der-typisch-deutsche-urlauber_bid-13703155#6 [Zugriff am 15. 11. 2020]. 10 https://rp-online.de/leben/reisen/ratgeber/der-typisch-deutsche-urlauber_bid-13703155#3 [Zugriff am 15. 11. 2020]. 11 http://witze.net/%c3%b6tzi-witze [Zugriff am 04. 11. 2020].
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Charaktereigenschaften der Deutschen
Unter den den Deutschen zugewiesenen Charaktereigenschaften scheint die Ordnung am wichtigsten zu sein. Darauf verweisen die bekannten deutschen Sprüche: »Ordnung muss sein«, »Ordnung erhält die Welt«, »Ordnung hat Gott lieb«.12 In Deutschland funktioniert immer alles wie gewohnt. Wenn etwas sorgfältig, gründlich und pünktlich gemacht werden muss, kann man damit die Deutschen beauftragen. Sie sind auch in der Selbstbetrachtung sehr gut organisiert und sogar leicht pedantisch oder gar penibel, was auf dem unten präsentierten Bild erkennbar ist:
Abb. 5: https://de-de.facebook.com/heuteshow/photos/heute-show-pr%C3%A4sentiert-die-un bequeme-wahrheit-von-dorthe-landschulz-ein-tag-ein-/10153263835655986/ [Zugriff am 11. 12. 2020]
Die deutsche Ordnung ist überall auf der Welt bekannt und nicht selten ein Gegenstand der komischen Betrachtung. Sogar in Polen äußern sich ältere Menschen – historischen Reminiszenzen mit Rechnung tragend – sehr oft scherzhaft darüber: Panie, za Niemca to był porza˛dek (Stasiuk 2007: 90).13 – Co robi Niemiec jak otworzy puszke˛ rybna˛? – Najpierw wszystkie układa. Porza˛dek musi byc´.14
Zur Veranschaulichung kann ebenfalls eine humorvolle Aussage einer Polin zitiert werden: 12 https://www.dw.com/de/die-deutsche-ordnung/a-16340846 [Zugriff am 04. 11. 2020]. 13 Zu Zeiten eines Deutschen herrschte Ordnung (übersetzt von M.J.). 14 – Was macht ein Deutscher, wenn er eine Fischdose öffnet? – Er ordnet alle Fische zuerst. Es muss Ordnung sein (übersetzt von M.J.). https://www.forumowisko.pl/threads/kawaly-o-nie mcach-posmiejmy-sie.84372/ [Zugriff am 19. 11. 2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Früher oder später sieht sich jeder Ausländer mit der deutschen Ordnungsliebe konfrontiert. Schon die bunten Felder, die man beim Anflug auf den deutschen Flughafen erblickt, sehen anders aus als in anderen Gegenden der Welt – sogar die Landschaft ist in Deutschland ordentlicher.15
Die deutsche Ordnung und die daraus resultierende Genauigkeit sind der nachstehenden Abbildung zu entnehmen:
Abb. 6: https://www.toonpool.com/cartoons/Deutsche%20Genauigkeit_259122 [Zugriff am 18. 11. 2020
Solche Eigenschaften wie Präzision und Genauigkeit sind auch auf der nächsten Abbildung erkennbar: Zu sehen ist ein italienisches und ein deutsches Paar – das Letztere küsst sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Davon zeugen vor allem die angegebenen Messungen der Distanz zwischen dem deutschen Mann und der deutschen Frau:
15 http://literarische.de/16-2/kowaluk-.htm [Zugriff am 19. 11. 2020].
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Abb. 7: https://donchisciotteannozero.wordpress.com/2014/12/11/litalia-oggi-vista-dalla-germa nia/ [Zugriff am 15. 12. 2020]
Auffallend sind zudem im Vergleich zu den Italienern das anständige Verhalten, die ordentliche Kleidung und die Zurückhaltung des deutschen Paares. Mit der deutschen Ordnung ist auch die strenge Bürokratie verbunden, was in dem folgenden Witz zur Sprache kommt: Ein Deutscher und ein Amerikaner wetten, wer schneller ein Haus bauen kann. Nach 4 Wochen telegrafiert der Ammi: »Noch 14 Tage und ich bin fertig!«. Antwortet der Deutsche: »Noch 14 Formulare und dann fang ich an!«16
Deutsche bezeichnen sich selbst als pflichtbewusst und erfüllen ihre beruflichen Aufgaben mit einer gewissen Genauigkeit und Sorgfältigkeit und am Abend haben sie Zeit, um ihr Lieblingsgetränk, das Bier, zu trinken. Da die Deutschen so fleißig sind, werden sie in manchen Witzen als kranke, aber noch arbeitende Rentner dargestellt. Deshalb scheint die Disziplin eine der typischen Eigenschaften der Deutschen zu sein: Wie unterscheiden sich ein britischer, ein französischer und ein deutscher Rentner? Der Brite liest zum Frühstück seine Times, dann geht er in den Golfclub. Der Franzose trinkt zum Frühstück ein Glas Wein, dann geht er zum Tennis. Der Deutsche nimmt seine Herztropfen und geht zur Arbeit.17
Deutsche halten sich sehr stark an die Regeln und geben selbst zu, dass sie an der roten Ampel stehen bleiben, auch wenn kein Auto kommt:
16 http://www.witzdestages.net/witze/deutsche-witze/ [Zugriff am 15. 11. 2020]. 17 https://deine-mutter-witze.net/rentner-witze.html [Zugriff am 15.112.2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Die Deutschen verhungern lieber vor einer kaputten Ampel als bei Rot zu fahren.18 Deutscher läuft nachts um 3 Uhr eine Straße entlang. Deutschland setzt rote Ampel ein. Es ist sehr effektiv. Deutscher ist verwirrt und bleibt vor leerer Straße stehen.19
Des Weiteren werden die Deutschen als pünktliche Menschen betrachtet, deshalb ist in Deutschland vom Prinzip her alles pünktlich wie bei einem Uhrwerk. Ein deutsches Sprichwort sagt: »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige«20: Pünktlich wie die Könige, so sind wir Deutschen. In seiner sechsten Kolumne widmet sich Peter Zudeick einer deutschen Tugend: der Pünktlichkeit. […] Darauf sind wir nun ganz besonders stolz: Auf die Pünktlichkeit. Pünktlich wie ein Uhrwerk – das sind wir Deutschen durch und durch. Wir haben das Uhrwerk zwar nicht erfunden, aber entscheidenden Anteil an der großartigen Entwicklung, dass Menschen wie Uhrwerke funktionieren. […] »Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen Pünktlichkeit«, sagt der Volksmund.21
Die Deutschen nehmen die Termine ernst und erwarten, dass andere auch dieses Prinzip befolgen. Sie sind sogar überpünktlich, was auf folgenden Bildern zu sehen ist:
Abb. 8: https://de.toonpool.com/cartoons/Deutsche%20Tugend%20P%C3%BCnktlichkeit_2629 15 [Zugriff am 05. 12. 2020]
18 https://www.zeit.de/2018/12/strassenverkehr-rote-ampel-defekt-ueberfahren-stimmts?utm_ referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.pl%2F [Zugriff am 05. 11. 2020]. 19 https://www.zeit.de/2018/12/strassenverkehr-rote-ampel-defekt-ueberfahren-stimmts?utm_ referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.pl%2F [Zugriff am 05. 11. 2020]. 20 https://www.wortbedeutung.info/P%C3%BCnktlichkeit_ist_die_H%C3%B6flichkeit_der_K %C3%B6nige/ [17. 12. 2020]. 21 https://www.dw.com/de/der-deutsche-und-die-p%C3%BCnktlichkeit/a-16398754 [Zugriff am 06. 12. 2020].
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Abb. 9: http://www.hrs.com/pl/blog/po-godzinach/etykieta-w-biznesie-miedzynarodowym.html [Zugriff am 23. 11. 2020]
Nach Ansicht vieler Deutscher funktioniert das Konzept der Pünktlichkeit leider nicht immer. Zum Beispiel beklagen sie sich über die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn. Der folgende Spruch klingt für Deutsche widersprüchlich: »Pünktlich wie ein deutscher Zug«.22 Sie machen sich besonders über die Deutsche Bahn lustig, worauf diese Witze hinweisen: Auf der Strecke findet die Bundespolizei einen Mann im Gleis liegen. – Was machen Sie hier? – Ich will mir das Leben nehmen! – Und wozu haben Sie die Tüte mit belegten Brötchen bei sich? – Denken Sie vielleicht, ich will verhungern, bis ein Zug kommt!23 Wo bleiben die Witze über die Deutsche Bahn? Kommen die später oder fallen sie aus?24 Dürfen die Mitarbeiter der Deutschen Bahn eigentlich mit dem Zug zur Arbeit fahren oder müssen sie pünktlich sein?25
Die Unpünktlichkeit der Bahnen wird auch zeichnerisch zutreffend dargestellt:
22 https://www.gutefrage.net/d/frage/vorurteile-gegenueber-laender [Zugriff am 11. 12. 2020]. 23 http://bahnerbluesblog.blogsport.de/2015/09/16/deutsche-bahn-witze/ [Zugriff am 11. 12. 2020]. 24 https://www.pinterest.pt/pin/203225001915474187/?amp_client_id=CLIENT_ID(_)&mweb_ unauth_id=%7B%7Bdefault.session%7D%7D&simplified=true [Zugriff am 02. 12. 2020]. 25 https://mademyday.com/161 [Zugriff am 02. 12. 2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Abb. 10: https://de.toonpool.com/cartoons/Deutsche%20Bahn%20P%C3%BCnktlichkeit_2625 81 [Zugriff am 11. 12. 2020]
Aus dem bisher Dargestellten ergibt sich, dass es viele positive Eigenschaften gibt, die den Deutschen zugeschrieben werden können, aber sie haben auch negative Seiten. Die meist von Anderen wiederholte negative deutsche Eigenschaft ist der Mangel am Sinn für Humor. Zwar gibt es Ausnahmen, aber sie bestätigen nur die Regel, dass die Deutschen wenig lachen und weniger Spaß am Leben haben, weil sie das Leben nur planen, organisieren, statt es einfach zu genießen: Der richtige Deutsche weiß Risiken einzuschätzen, versichert sich, soweit es geht, und bereitet sich auf alles vor, wofür es keine Versicherung gibt. [… ] Spaß hat seinen Ort und seine Zeit, und die muss im Voraus festgelegt und im Kalender vermerkt werden. Alles andere ist Leichtsinn und Chaos. Setz dich also hin und mach einen Plan für den Tag, dann für die Woche, dann für den Monat. Und dann buch deine Urlaube bis 2017. Um die Sache zu vereinfachen, fahr einfach immer an denselben Ort. Wie wär’s mit Mallorca? Alle anderen Deutschen fahren auch dorthin, also muss doch irgendwas dran sein.26
Das Leben ohne Plan wird als Chaos und Leichtsinn bezeichnet. Die Deutschen leiden darunter, weil sie als ernste und seriöse Nation betrachtet werden, die keine Witze erzählen kann und auch die Welt zu ernst nimmt: Inne narody maja˛ poczucie humoru, a Niemcy na powaz˙nie trenuja˛ swoje mie˛s´nie słuz˙a˛ce do s´miechu.27
Über die deutsche Humorlosigkeit werden auch Witze erzählt, die diesen Charakterzug noch hervorheben:
26 https://www.heftig.de/tipps-zum-deutsch-werden/ [Zugriff am 10. 11. 2020]. 27 Andere Nationen haben Sinn für Humor, und die Deutschen trainieren ernsthaft ihre Muskeln zum Lachen (übersetzt von M.J.). https://www.tygodnikprzeglad.pl/niemieckie-chi chy-chachy/ [Zugriff am 10. 11. 2020].
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– Wie lautet der Titel des kürzesten Buches der Welt? – Tausend Jahre deutscher Humor.28 Deutscher Humor ist ein echter Schlankmacher! Man muss meilenweit laufen bis man ihn findet!29 – Wie sieht die europäische Hölle aus? – Deutscher Humor, englisches Essen und französische Technik.30
Ein anderes negatives Stereotyp besagt, dass die Deutschen weltweit als geizig gelten. Sie werfen ungern etwas weg, wenn es noch zu gebrauchen ist: Sie benutzen die Zahnpasta bis zum letzten Milligramm, machen immer das Licht aus und verwenden einen Teebeutel mindestens zweimal. Diese übertriebene Sparsamkeit betrifft alle Dinge im Leben des Deutschen und wird auf der folgenden Abbildung auf humorvolle Art und Weise dargestellt:
Abb. 11: https://www.toonpool.com/cartoons/Sparsam_170560 [Zugriff am 04. 12. 2020]
Während die Deutschen von anderen Menschen als geizig angesehen werden, betrachten sie sich selbst als sparsam: Eins vorweg zur Klarstellung: Der Deutsche ist sparsam, aber nicht geizig. Geiz ist die Kehrseite der Gier, und sowas möchte der Deutsche sich nicht anhängen lassen.31
28 https://www.morgenpost.de/politik/article205635289/Kanzlerin-in-der-Schweiz-Grueezi-Fra u-Merkel.html [Zugriff am 10. 11. 2020]. 29 https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_dieter_hallervorden_thema_humor_zitat_2042.html [Zugriff am 24. 11. 2020]. 30 http://die-besten-witze.blogspot.com/2011/09/kurze-lustige-witze-uber-deutsche.html [Zugriff am 24. 11. 2020]. 31 https://www.dw.com/de/die-deutsche-sparsamkeit/a-16368438 [Zugriff am 08. 12. 2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Die deutsche Sparsamkeit wird mit der Vorsorglichkeit assoziiert, was die deutschen Sprichwörter bestätigen, darunter: »Spare in der Zeit, dann hast du in der Not« oder »Sparsamkeit und Fleiß machen Häuser groß«.32 Unter den negativen deutschen Charaktereigenschaften werden auch der Pessimismus und das ständige Gejammer genannt. Die Deutschen machen sich im übertriebenen Maße Sorgen, denken zu viel über Probleme nach und jammern zu viel, statt das Leben hier und jetzt zu genießen. Auf die Neigung der Deutschen zum Jammern verweist folgender Witz: Wissenschaftler haben einen besonderen Teil des Gehirns entdeckt, der nur bei Deutschen vorkommt. Der Jammerlappen.33
Einen wichtigen Einfluss auf die Wahrnehmung der Deutschen übt ebenfalls die Geschichte aus. Die Zahl derjenigen, die die Kriegszeit bewusst erlebt und sie noch im Gedächtnis haben, wird immer kleiner, aber trotzdem werden die Deutschen stets mit dem Zweiten Weltkrieg, Hitler und Nazis assoziiert. Eine solche Vorstellung der Polen über die deutsche Bevölkerung bestätigen folgende Aussagen und Witze, die auf die schwierigen Beziehungen aufgrund der NSVerbrechen in Polen (insbesondere in Auschwitz) anspielen: Dla wielu Polaków Niemiec to ktos´ zły, morderca, wojna i szwabska kula.34 Ten dziewie˛tnastowieczny »Land der Dichter und Denker« zamienił sie˛ w »Land der Richter und Henker«, bo kaz˙dy Niemiec to ukryty nazista.35 – Dlaczego Niemcy nie radza˛ sobie z powodziami? – Bo nie moz˙na ich rozstrzelac´!36 Niemiec mówi do Polaka: Mój dziadek tez˙ zgina˛ł w Os´wie˛cimiu! – Tak??? – Tak, potkna˛ł sie˛ i spadł z wiez˙y wartowniczej.37
32 https://www.dw.com/de/die-deutsche-sparsamkeit/a-16368438 [Zugriff am 08. 12. 2020]. 33 https://www.pinterest.es/pin/337418197068602041/ [Zugriff am 16. 12. 2020]. 34 Der Deutsche ist für viele Polen ein schlechter Mensch, ein Mörder, ein Krieg und eine schwäbische Kugel (übersetzt von M.J.). https://wyborcza.pl/magazyn/7,124059,21031084,nie mcy-nienawidzimy-i-zazdroscimy.html [Zugriff am 16. 12. 2020]. 35 Dieses »Land der Dichter und Denker« aus dem 19. Jahrhundert wurde zum »Land der Richter und Henker«, weil jeder Deutsche ein versteckter Nazi ist (übersetzt von M.J.). https:// wydarzenia.interia.pl/tylko-u-nas/news-,nId,818497,nPack,5 [Zugriff am 01. 12. 2020]. 36 – Warum können Deutsche Überschwemmungen nicht bewältigen? – Weil sie nicht erschossen werden können! (übersetzt von M.J.). https://komixxy.pl/12643/Dlaczego-Niemcy nie-radza-sobiez-powodziami- [Zugriff am 01. 12. 2020]. 37 Der Deutsche sagt zum Polen: Mein Großvater ist auch in Auschwitz gestorben! – Ja??? – Ja, er stolperte und fiel vom Wachturm (übersetzt von M.J.). http://erikmalchow.de/wp-content/up loads/2014/12/Dowcipy-o-Niemcach.pdf [Zugriff am 06. 12. 2020].
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Na spotkaniu niemieckiej rodziny dziadek ogla˛da z wnuczkiem stare fotografie. Wnuczek co chwile˛ pyta o jaka˛´s osobe˛ na zdje˛ciu. Wnuczek: »A kto to jest?«. Dziadek: »To jest wujek Hans«. W.: »A to?«. Dz.: »To jest ciocia Helga«. W.: »A ten pan na trybunie w mundurze z takim s´miesznym wa˛sikiem?« Dz.: »To jest bardzo zły człowiek. Uczynił bardzo, bardzo duz˙o złego na s´wiecie«. W.: »Dziadku, a to chyba Ty maszerujesz z podniesiona˛ re˛ka˛? Chyba cos´ krzyczysz?« Dz.: »Tak, tak… Hola, hola, zły człowieku, hola, hola!«.38
Aus den obigen Witzen geht ein durchweg negatives Bild der Deutschen hervor. Sie werden als inhumane, schuldunbewusste, aktive Täter während des Zweiten Weltkriegs beschrieben. Solch eine negative Betrachtungsweise der Deutschen und ihres Landes führt dazu, dass die Deutschen aus polnischer Sicht als eine der verhasstesten Nationen wahrgenommen werden.39 Sie werden auch als langweilige, routineverfallene und nicht kreative Menschen betrachtet, die durch Kaltherzigkeit gekennzeichnet sind: Niemcy nie nadawali sie˛ do przyjaz´ni. […] Niemcy byłyby znacznie przyjemniejszym krajem, gdyby nie było w nim Niemców (Stasiuk 2007: 29).40
Da die Deutschen vom Standpunkt der Geschichte als autoritär und überheblich gelten, wird auch die deutsche Sprache so konnotiert. Im Deutschen klingt, so die gängige Meinung41, alles hässlich, roh oder sogar aggressiv. Deshalb sei es eine perfekte Sprache für Soldaten. Die deutschen Wörter werden in ihr übertrieben energisch, verzerrt und aggressiv ausgesprochen. Diese Betrachtungsweise des Deutschen wird auch auf der folgenden Abbildung veranschaulicht, auf der es mit anderen Sprachen verglichen wird:
38 Bei einem Treffen einer deutschen Familie schaut sich der Großvater mit seinem Enkel alte Fotos an. Der Enkel fragt immer wieder nach einer Person auf dem Bild. Enkel: »Wer ist das?« Opa: »Das ist Onkel Hans«. E.: »Und das?«. O: »Das ist Tante Helga«. E.: »Und der Mann auf der Tribüne in Uniform mit so einem lustigen Schnurrbart?« O: »Das ist ein sehr schlechter Mann. Er hat sehr, sehr viel Böses in der Welt getan«. E: »Opa, und hier bist du und marschierst mit einer erhobenen Hand? Du schreist etwas?« O: »Ja, ja … Holla, holla, du böser Mann, holla, holla!« (übersetzt von M.J.). https://www.webfun.pl/na-spotkaniu-niemieckiej -rodziny-dziadek-oglada-z-wnuczkiem-stare-fotografie-wnuczek-co-chwila-pyta-o-jakas-os obe-na-zdjeciu-a-kto-to-jest-to-jest-wujek-hans-a-to-a-to-jest-ciocia-helga-a-ten-pa/ [Zugriff am 06. 12. 2020]. 39 https://www.dw.com/pl/barometr-polska-niemcy-ro%C5%9Bnie-sympatia-niemc%C3%B3 w-do-polak%C3%B3w/a-53658372 [Zugriff am 19. 11. 2020]. 40 Die Deutschen waren nicht für eine Freundschaft geeignet. […] Deutschland wäre ein viel schöneres Land, wenn es keine Deutschen gäbe (übersetzt von M.J.). 41 Siehe z. B.: https://www.deutschlandfunk.de/der-klang-der-deutschen-sprache-wie-eine-sch reibmaschine.1184.de.html?dram:article_id=307163 [Zugriff am 10. 03. 2021].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Abb. 12: http://www.gutefrage.net/frage/wie-hoert-sich-deutsch-an-wenn-man-die-sprache-nic ht-versteht [Zugriff am 17. 12. 2020]
Resümierend lässt sich sagen, dass die Deutschen besonders auf Grund ihrer Zuverlässigkeit, guter Organisation der Arbeit und des Fleißes geschätzt werden. Sie gelten als eine pflichtbewusste und sehr auf die Arbeit konzentrierte Nation, was auch verursacht, dass sie als sehr seriöse Menschen – ganz und gar ohne Sinn für Humor – wahrgenommen werden.
3.3
Essgewohnheiten der Deutschen
Die Essgewohnheiten sowie die Produkte, die in verschiedenen Ländern gegessen werden, sind unterschiedlich und zeigen, inwieweit die jeweiligen Nationen gesund leben und welche Gerichte für sie typisch sind. Da die Küche jeder Nation über ihren Lebensstil informiert und zum Teil ihrer Kultur gehört, wird diese Facette in der vorliegenden Analyse mit berücksichtigt. Die erste Assoziation mit der deutschen Küche besagt, dass sich die Deutschen von Bratwurst, Kartoffeln, Sauerkraut und Bier ernähren. Dies legt den Schluss nahe, dass die deutschen Gerichte fettig, kräftig und herzhaft sind sowie in großen Portionen serviert werden. Die Deutschen sind Biergenießer und trinken stereotypengemäß Bier zu jeder Zeit, vor allem gern und viel: Die Deutschen sind ein Volk der Biertrinker. […] Allerdings ist das Biertrinken in Deutschland immer noch überwiegend Sache der Männer: Von ihnen bekennen sich 86 Prozent zum Bier, bei den Frauen sind es nur 42 Prozent. Biermixgetränke hingegen mögen nur 42 Prozent der Männer und 31 Prozent der Frauen. Insgesamt hat der Bierkonsum der Deutschen leicht abgenommen.42
Es werden zahlreiche Witze zum Thema Bier erzählt: Ein Mann sitzt in einer Gaststätte. Da kommt der Kellner und meint aufgeregt: »Da kam ein Anruf, ihrer Frau geht’s schlecht, gehen sie schnell nach Hause!« Der Mann antwortet: »Nun ja, ich nehme aber noch ein helles Bier.« Einige Minuten später kommt der 42 https://www.sueddeutsche.de/leben/studie-ueber-klischees-typisch-deutsch-1.1000335 [Zugriff am 18. 11. 2020].
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Kellner erneut: »Es sieht nicht gut aus, sie sollten zu ihrer Frau, der geht’s wirklich schlecht und sie braucht ihre Hilfe.« Der Mann antwortet erneut: »Ich trink noch ein Helles.« Ein paar Minuten später kommt der Kellner: »Es tut mir leid, ich muss ihnen mitteilen, dass ihre Frau verstorben ist.« Darauf meint der Mann traurig: »Naja, dann nehme ich noch ein dunkles Bier.«43 Hänschen sitzt bei seinen Hausaufgaben: »Du Papa. Was ist das für ein Satz: ›Es ist kein Bier im Haus?‹« Stöhnt der Vater auf: »Das ist kein Satz – das ist eine Katastrophe!«44 – Wie bringt man einen Deutschen zum Bellen? – »Da vorne gibt’s Freibier« – »WO! WO! WO! WO! WO!«45
Auch dieser Spielreim verweist auf die Vorliebe der Deutschen zum Bier:
Abb. 13: https://debeste.de/12090/Wo-ich-geh-und-steh [Zugriff am 14. 11. 2020]
Außerdem ist die Vielfalt an Brotsorten für Deutschland kennzeichnend. Die bekannteste deutsche Brotspezialität ist die Brezel, die vor allem mit Bayern assoziiert wird, woher sie auch ursprünglich stammt. Die Brezeln, die etwa beim Oktoberfest verkauft werden, werden mit Deutschland verknüpft und daher auf vielen Abbildungen dargestellt:
43 https://witze.woxikon.de/bierwitze [Zugriff am 06. 12. 2020]. 44 http://witze.net/bier-witze [Zugriff am 10. 10. 2020]. 45 https://www.supernature-forum.de/threads/witze-%C3%BCber-deutsche.85754/ [Zugriff am 20. 12. 2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Abb. 14: https://de.dreamstime.com/stock-abbildung-bayerischer-mann-mit-bier-und-brezel-i mage42096718 [Zugriff am 14. 11. 2020]
Da der Fleischkonsum in Deutschland sehr hoch ist, werden die Deutschen ironisch als »Wurstesser« und »Fleischesser« bezeichnet: Was ist für dich typisch deutsch? […] Immer Wurstesser und Biertrinker.«46 Die Deutschen ernähren sich von Bratwurst, Bier und Kartoffeln. Der Ausdruck »Kartoffelmutter« [soll] im Film »Türkisch für Anfänger« ein Schimpfwort für Deutsche sein.47
Die Deutschen lieben jede Art von Wurst, aber die populärste sind Currywurst und Bratwurst, die oft mit Sauerkraut (da rührt auch der amerikanische Spitzname für Deutsche her: Krauts) und Kartoffeln gegessen wird. Außerdem gibt es auch lustige Geschmacksrichtungen der Deutschen, hier: die deutsche Schokolade »Ritter SPORT« mit Leberwurstgeschmack:
Abb. 15: https://www.ritter-sport.de/blog/2011/09/07/ritter-sport-fakes-neue-falschungen-im-w eb-2/# [Zugriff am 22. 12. 2020]
46 https://blog.pasch-net.de/pasch-global/archives/1157-Typisch-Deutsch!.html [Zugriff am 20. 12. 2020]. 47 https://www.travelbook.de/fun/was-ist-typisch-deutsch-5-klischees-im-test-deutsche-tugen den-image-international [Zugriff am 20. 12. 2020].
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Mariusz Jakosz
Heutzutage sieht man überall die kulinarischen Einflüsse anderer Länder, vor allem aus der Türkei, weil es viele Einwanderer sowie Gastarbeiter türkischer Abstammung in Deutschland gibt. Döner Kebab wird immer häufiger mit Deutschland in Verbindung gebracht. Der Dönerboom ist in Deutschland ein Objekt vieler Witze und weist auf die Kommunikationsprobleme mit nichtdeutschen Bürgern mit Migrationshintergrund hin: – – – – – – – –
Einen Döner bitte. Mit alles? Den Dativ, bitte. Gib’s hier nisch. Ok, mit allem. Allem ist nicht da, hat heute frei. Es heißt aber MIT ALLEM!!! Was labasch du, heißt hier König Kebap!48
Zu verweisen ist noch in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse einer Umfrage, in der die Ausländer nach typischen deutschen Speisen gefragt wurden. Zur Veranschaulichung werden einige Antworten zitiert. Der Amerikaner äußert sich folgendermaßen: »Ich habe immer an Wurst denken müssen. Wurst und Bier – und Schnitzel«. Der Vietnamese hat ähnliche Empfindungen und zwar: »Deutsches Essen heißt für mich viel Schwein, Brot und Wurst – es schmeckt alles«. Eine Person aus Mannheim mit türkischen Wurzeln verweist auf die Einflüsse anderer Länder: »Sie schnappen sich alles Mögliche aus verschiedenen anderen Kulturen zusammen; Italienisch, Türkisch, Japanisch. Unter deutschem Essen kann ich mir nichts Großes vorstellen. Aber wenn ich daran denke, was ein Deutscher wahrscheinlich isst, fällt mir als erstes Kartoffeln, Bratwurst, Spätzle und Spargel ein«. Der Franzose stellt im ähnlichen Sinne fest: »Aber wenn ich jetzt an deutsche Küche denke, fällt mir irgendwie zuerst Kebap ein (lacht)«. Die obigen Aussagen bestätigen, dass es viele Stereotype über die deutschen Essgewohnheiten gibt, die je nach Nation variieren.49
48 https://www.facebook.com/MedizinDaF/photos/dativ-d%C3%B6ner-s-auch-youtube-d%C3 %B6ner-lied-mit-215351-aufrufen-film-kebab-mit-alles-d/2361375670848071/ [Zugriff am 09. 12. 2020]. 49 https://www.pizzeria.de/Lifestyle-Magazin/200-Weisswurst_und_Sauerkraut___Klischees_u eber_die_Cuisine_Allemagne [Zugriff am 09. 12. 2020].
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Ausgewählte Traditionen der Deutschen
Die letzte Facette im öffentlichen Bereich betrifft ausgewählte Eigenarten, die Bestandteile sozialer Leistungen und des kulturellen Erbes Deutschlands bilden. Dazu gehören u. a. meist bekannte Produkte bzw. Errungenschaften, Politikbzw. Wirtschaftsbereiche, Nationalsport usw. Sie sagen viel über die Kultur und Lebensweise einer Gruppe oder einer Gemeinschaft aus und fungieren als eine Art der Unterscheidung zwischen den Nationen. In diesem Unterkapitel wird deshalb der Schwerpunkt auf die mit Deutschland am meisten assoziierten Besonderheiten gelegt. Weltbekannt sind die deutschen Automarken, die höchste Qualität aufweisen und als zuverlässig und perfekt gelten: Na dobra˛ sprawe˛ całe miasto [Stuttgart] nalez˙y do Merca. […] Mercedesy jez˙dz˙a˛ do kon´ca i z˙yja˛ najdłuz˙ej ze wszystkich aut. […] To dobry pomysł: zbudowac´ cos´, co jeszcze sie˛ przydaje, gdy włas´ciwie jest juz˙ bezuz˙yteczne (Stasiuk 2007: 11).50 Lewym pasem grzeja˛ merce, beemki i porszaki. Inne fury w ogóle sie˛ tam nie pchaja˛. Takie sa˛ zasady i kaz˙dy zna swoje miejsce. […] Nie moz˙na dobrze poznac´ kraju, nie poznaja˛c jego automobilistów (Stasiuk 2007: 39).51
Zur Veranschaulichung kann noch folgendes polnisches Mem(e) präsentiert werden, in dem darauf angespielt wird, dass die deutschen Autos in sehr gutem Zustand verkauft und dann von den Polen gerne gekauft werden:
Abb. 16: https://memy.pl/mem/22883/Niemiec_plakal_jak_sprzedawal52 [Zugriff am 19. 11. 2020]
Des Weiteren fällt vielen Menschen in Bezug auf Deutschland spontan die Fußball-Nationalmannschaft ein, die viele Erfolge erzielt hat, u. a. als dreimaliger 50 Tatsächlich gehört die gesamte Stadt [Stuttgart] zu Mercedes. […] Mercedes fahren bis zum Ende und leben am längsten von allen Autos. […] Es ist eine gute Idee, etwas zu bauen, das immer noch nützlich ist, wenn es tatsächlich nutzlos ist (übersetzt von M.J.). 51 Mercedes, BMV und Porsches heizen die linke Spur auf. Die anderen Karren fahren hier überhaupt nicht. Dies sind die Regeln und jeder kennt seinen Platz. […] Man kann ein Land nicht gut kennen lernen, ohne seine Autofahrer kennen zu lernen (übersetzt von M.J.). 52 Der Deutsche weinte, als er es verkaufte (übersetzt von M.J.).
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Weltmeister. Über die deutsche Mannschaft und ihre Spielweise werden aber auch oft folgende scherzhafte Aussagen getroffen: Fußball ist ein Spiel, bei dem 22 Spieler hinter einem Ball herjagen und am Ende gewinnt immer Deutschland.53 Elf donnernde Panzer, die gnadenlos jeden Gegner überrollen.54
Mit Deutschland wird zudem das Problem der Senioren assoziiert. Die Bevölkerung in Deutschland wird als eine »alternde Gesellschaft« bezeichnet. Die Förderung der Senioren durch den Staat ist auf einem sehr hohen Niveau. In anderen Ländern sagt man häufig, dass Senioren eine hohe Rente bekommen, Zeit für Entwicklung ihrer Hobbys haben und viel reisen. Sie scheinen gesund und aktiv zu sein. Die große Aktivität der Senioren bringt folgendes Bild auf eine humorvolle Art und Weise zum Ausdruck:
Abb. 17: https://www.out-in.ch/blog/2018/5/15/nochmals-durchstarten-1 [Zugriff am 19. 11.2020]
Ein weiteres Stereotyp ist die große Akzeptanz der Deutschen für die Freikörperkultur, die in der DDR-Zeit sehr verbreitet war. Die Deutschen gelten als freizügig und praktizieren Nudismus sehr gern, auch im Urlaub an den Orten, wo FKK tabu ist. Das folgende Bild verdeutlicht diesen Trend:
53 https://www.phrasen.com/fussball-ist-ein-spiel-bei-dem-22-spieler-hinter-einem-ball-herja gen-und-am-ende-gewinnt-immer-deutschland [Zugriff am 22. 11. 2020]. 54 https://11freunde.de/artikel/die-neue-angst/419211[Zugriff am 22. 11. 2020].
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Abb. 18: http://lustich.de/community/forum/30885-Alle-auf-Beobachtungsposten/ [Zugriff am 14. 12. 2020]
Die Deutschen betrachten sich selbst als umweltbewusst. In Deutschland wird alles fein säuberlich sortiert und getrennt entsorgt. Alles richtet sich nach ökologischen Gründen und der Müll wird wiederverwertet. Er wird überall, nicht nur in den Haushalten, sondern auch in öffentlichen Gebäuden getrennt gesammelt. Das deutsche Umweltbewusstsein wird auf dem folgenden Bild unterstrichen:
Abb. 19: https://www.toonpool.com/cartoons/M%C3%BClltrennung_174635 [Zugriff am 14. 12. 2020]
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Abb. 20: http://www.toonsup.com/cartoons/muelltrennung+2 [Zugriff am 14. 12. 2020]
Wenn es sich um die in Deutschland gefeierten Feste handelt, so ist der Kölner Karneval besonders bekannt, der auch als die »Fünfte Jahreszeit« bezeichnet wird. In dieser Zeit findet man auf den Straßen verkleidete, lächelnde und meist mehr oder weniger betrunkene Menschen:
Abb. 21: https://zh-cn.facebook.com/FeuerwehrGrossbuellesheim/photos/unser-heutiges-kost% C3%BCm-feuerwehrmann-und-feuerwehrfrau-wie-schon-silvester-haben-/586571865038148/ [Zugriff am 15. 12. 2020]
Der übermäßige Alkoholkonsum im Karneval wird in folgenden Witzen auf eine humorvolle Art und Weise thematisiert:
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Ein Polizist hält einen Karnevalisten mit dem Auto an und fragt: Haben Sie noch Restalkohol? Der Jeck antwortet: Nein, wir haben alles auf getrunken.55 Die Frau zu ihrem Mann: Schlimm, Du bist an Karneval nur noch betrunken. Der Mann antwortet: Sei still, es ist Strafe genug, dass ich dich doppelt sehen muss.56
Neben dem Karneval ist außerdem das Oktoberfest als das größte Bierfest der Welt bekannt, das jedes Jahr in München stattfindet. Die Menschen tragen oft traditionelle, bayerische Kleidung und es wird meistens Blasmusik gespielt. An die Kleidung knüpft das Wortspiel im folgenden Witz an: Ein Engländer sitzt beim Oktoberfest neben einem Münchner. Fragt der Engländer: »Are you smoking?« Der Münchner: »Na, a Lederhosn.«57
Der nächste Witz verdeutlicht, wie beliebt das Oktoberfest ist: Fragt ein Junge einen Bayern: »Wie sagt ihr zum Oktoberfest?« Sagt der Bayer: »Wiesn. Und du?« Der Junge: »Ich sage nichts. Ich gehe einfach dran vorbei.«58
Das Oktoberfest wird in erster Linie mit einem hohen Bierkonsum assoziiert: Jeder möchte einmal Teil des größten Volksfestes der Welt werden und so reisen einige Menschen Hunderte Kilometer, um zusammen mit anderen Menschen zu schunkeln, trinken und essen.59 Niemieckie s´wie˛to narodowe polegaja˛ce na z˙łopaniu przez Niemców piwa do upadłego.60
Da Deutschland ein Sozialstaat ist und Einwanderungs- sowie Asylpolitik betreibt, wurde es zu einem traditionellen Einwanderungsland. Die Menschen, die nach einer neuen Heimat in Deutschland suchen, kommen vor allem aus Syrien, dem Irak, der Türkei, Afghanistan, Nigeria und dem Iran, aber auch aus Rumänien und Bulgarien.61 Die Zahl der Zuwanderer steigt kontinuierlich an und der Staat ergreift Integrations- und Förderungsmaßnahmen, die zahlreiche weitere Einwanderer
55 https://www.deinemutterwitze.com/karnevalswitze/ [Zugriff am 15. 12. 2020]. 56 https://www.deinemutterwitze.com/karnevalswitze/ [Zugriff am 15. 12. 2020]. 57 https://blog.burhoff.de/2019/10/sonntagswitz-noch-laeuft-das-oktoberfest-also-oktoberfest witze/ [Zugriff am 15. 12. 2020]. 58 https://www.2glory.de/die-10-besten-wiesn-witze-zum-oktoberfest-2016/6285/ [Zugriff am 26. 11. 2020]. 59 https://www.gladrags.de/magazin/alles-was-man-ueber-das-oktoberfest-wissen-muss [Zugriff am 26. 11. 2020]. 60 Ein deutscher Nationalfeiertag, an dem die Deutschen Bier bis zur Besinnungslosigkeit saufen (übersetzt von M.J.). https://nonsa.pl/wiki/Oktoberfest [Zugriff am 26. 11. 2020]. 61 https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/flucht/zahlen-zu-asyl/265710/demografie [Zugriff am 18. 12. 2020].
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anlocken. Im polnischen Diskurs wird behauptet, dass die Einwanderer billige Arbeitskräfte sind: Zatrudnia˛ Turków, Słowian i Azjatów do prowadzenia własnego kraju, a sami nareszcie odpoczna˛ – bo co by nie mówic´, napracowali sie˛ w dziejach najbardziej ze wszystkich Europejczyków. Wie˛c odpoczynek im sie˛ nalez˙y (Stasiuk 2007: 53).62
Deutschland wird ironisch die »neue Türkei« genannt. Solch eine Betrachtungsweise Deutschlands ist mit der Flüchtlingskrise und der starken Zuwanderung seit 2015 verbunden. Es gibt in Deutschland immer mehr Frauen in Burkas, was auf dem folgenden polnischen Mem dargestellt wird:
Abb. 22: https://www.blasty.pl/6653/berlin-rok-2025 [Zugriff am 19. 12. 2020]
Multikulturalismus wird durch die Behörden gefördert, womit manche Bürger nicht immer zufrieden sind. Den Migranten wird oftmals vorgeworfen, dass sie auf Kosten des Staates leben und nicht arbeiten. Diese Ansicht veranschaulichen folgende Witze: Ein afrikanischer Asylant spaziert durch Nürnberg. Er spricht die erste Person an, die er auf der Straße trifft, schüttelt ihr die Hand und sagt: »Danke lieber Deutscher, dass Sie mich in Ihrem Land aufnehmen und Unterstützung, Unterkunft und Krankenversicherung geben«. Der Angesprochene guckt verdutzt und antwortet: »Ich bin kein Deutscher, ich bin Albaner«. Der Afrikaner geht weiter und spricht eine weitere Person an: »Danke dafür, dass ich in Ihrem schönen Deutschland sein darf«. Der Angesprochene sagt: »Sie irren sich, ich bin Ägypter«. Wieder geht er weiter und spricht erneut eine Person an: »Danke für Ihr schönes Deutschland«. Wieder war die Antwort ganz ähnlich: »Hmm…? Aber ich bin doch Rumäne«. 62 Sie werden Türken, Slawen und Asiaten beschäftigen, damit sie ihr eigenes Land regieren, und die Deutschen werden sich endlich ausruhen – denn was auch immer es ist, sie haben unter den Europäern am härtesten in der Geschichte gearbeitet. Sie verdienen also Ruhe (übersetzt von M.J.).
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Dann sieht der Afrikaner eine nette ältere Dame und fragt. »Sind Sie Deutsche?« »Nein, ich bin Türkin«. Die Stirn kratzend fragt er die Türkin: »Seltsam … wo sind denn all die Deutschen?« Daraufhin blickt die ältere Dame kurz auf ihre Uhr und meint: »Wahrscheinlich arbeiten«.63 Kommt ein Flüchtling nach Deutschland und trifft auf eine gute Fee. Fee zum Flüchtling: »Du hast drei Wünsche frei!« Flüchtling: »Als erstes möchte ich ein Haus, ein Auto, genug Geld und keine Sorgen haben«. Schwupps! Und sein Wunsch geht in Erfüllung. Flüchtling: »Außerdem möchte ich, dass alle meine Verwandten hier in Deutschland leben und ihnen soll es genauso gut gehen wie mir«. Schwupps! Und auch dieser Wunsch geht in Erfüllung. Flüchtling: »Als letztes wünsche ich mir, Deutscher zu sein«. Schwuppdiwupp sind Haus, Auto und Geld wieder weg. Da beklagt sich der Flüchtling: »Wo ist mein Haus, mein Auto, mein Geld und alles geblieben?« Fee: »Du bist doch jetzt Deutscher – da musst du für alles arbeiten!«64
Die große Anzahl der Migranten, die u. a. türkischer Abstammung sind, sowie die Einstellung der Deutschen ihnen gegenüber, werden deutlich in folgenden Witzen zur Sprache gebracht: In einem Zugabteil sitzen ein Chinese, ein Amerikaner, ein Türke und ein Deutscher. Plötzlich steht der Chinese auf, öffnet das Fenster und wirft eine Handvoll Reis hinaus. Auf die Frage, was dies soll, entgegnet der Chinese: »Wil habben sovill Leis in China, da machen das bissel Leis nix aus.« Dann wirft der Amerikaner ein Bündel Dollarnoten hinaus und sagt: »Wir aben sou vail Dollar in USA, sou that’s Peanuts«. Da schaut der Türke den Deutschen ängstlich an und sagt: »Du jetz nix kommen auf krasse Idee?!«65 Ein paar Türken sitzen im Bus und feiern, dass es jetzt schon 4 Millionen Türken in Deutschland gäbe. Da dreht sich eine alte Frau um und sagt: »Es gab auch mal 6 Millionen Juden in Deutschland!«66
63 https://vic.bg/Witze/ein-afrikanischer-asylant-spaziert-durch-n%C3%BCrnberg-er-sprichtdie-erste-person-an-die-er-auf-der-stra%C3%9Fe-trifft-sch%C3%BCttelt-ihr-die-hand-und -sagt [Zugriff am 25. 11. 2020]. 64 http://witze.net/feen-witze [Zugriff am 28. 12. 2020]. 65 http://witze.de/witze-deutsche?top [Zugriff am 12. 12. 2020]. 66 https://vic.bg/Witze/ein-paar-t%C3%BCrken-sitzen-im-bus-und-feiern-dass-es-jetzt-schon4-millionen-t%C3%BCrken-in-deutschland-g%C3%A4be [Zugriff am 30. 11. 2020].
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Schlussbetrachtungen
Aus der durchgeführten Analyse ist zu schließen, dass Stereotypisierungen in allen untersuchten Lebensbereichen vorkommen und durch textuelle bzw. visuelle Komponenten gestützt werden. Die Betrachtung der Deutschen unter Berücksichtigung der ausgewählten Domänen lässt ein umfassendes und vielseitiges Bild rekonstruieren, das es erlaubt, die Stimmungen und Einstellungen gegenüber der deutschen Nation zu erkennen. In Publikationen, Abbildungen, Karikaturen, Cartoons und Witzen kommen sowohl positive als auch spöttische, ironische und beleidigende Stereotypenwiderspiegelungen vor. Was die öffentliche Resonanz anbelangt, so bestätigen die angeführten Beispiele vor allem, dass die Deutschen – wie alle anderen Nationen – über ihre eigenen Besonderheiten, Spezialitäten und Merkmale verfügen. Hervorhebung verdient z. B. ihre Vorliebe für Ordnung, Tourismus und Bierkonsum. Im kollektiven Bewusstsein anderer Gemeinschaften gelten die Deutschen sowohl als diszipliniert, pünktlich, sorgfältig als auch als humorlos und geizig, obwohl sie sich selbst eher als sparsam betrachten. Evoziert werden darüber hinaus Eigenschaften wie Arbeitsamkeit, Pflichtbewusstsein sowie Pessimismus, ständiges Jammern sowie Neigung zur Bürokratie. Was die typischen Speisen betrifft, wird Deutschland vor allem mit Bratwurst, Sauerkraut, Kartoffeln und Bier assoziiert. Häufig genannt werden auch deutsche Autos, Fußball-Nationalmannschaft, alternde Gesellschaft, Einwanderer bzw. Asylanten, Freikörperkultur sowie solche Feste wie Karneval und Oktoberfest. Die Analyse liefert Belege dafür, dass solche stereotypen Vorstellungen von Deutschen, von ihren Eigenschaften und Verhaltensweisen sehr lebendig sind und sowohl im polnischen als auch deutschen Mediendiskurs auf eine humoristische Art und Weise zum Ausdruck gebracht werden. Durch die Verbindung von Humor und Stereotypen werden die deutsche Nation und ihre Mentalität nicht einfach nur dargestellt, sondern sie werden verzerrt und überzeichnet. Durch den Einsatz von stilistischen Mitteln wie Hyperbolisierung (Übertreibung), Zuspitzung und Umkehrung kommt solchen kulturellen Inhalten eine hohe Eindeutigkeit zu. Nicht zu vergessen ist dabei, dass manche Witze die Grenzen des guten Geschmacks sehr leicht und schnell überschreiten. Humor kann aber ein wirksames, wenn auch oft unterschätztes Mittel sein, mit dessen Hilfe viele Stereotype und Vorurteile zu bekämpfen sind. Humorvoll geprägte Darstellungen können nämlich zu kritischen Reflexionen anregen, wodurch sich die stabilen, emotional gefärbten stereotypen Bilder in unseren Köpfen verifizieren oder variieren lassen.
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Das humoristische Potenzial von Stereotypen über Deutsche
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Mariusz Jakosz
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Ewa Z˙ebrowska (Uniwersytet Warszawski, Warszawa)
Humor und Komik im Internet Humour and Comics on the Internet
Abstract The paper is intended to be a short introduction to the theory of humour and comics. As the key theory for the article is chosen the theory of incongruence or contrast however modern investigators pay much attention to the laughter as emotional expression. Focusing on Semantic Script-based Theory of Humour of V. Raskin and S. Attardo, the author of this paper analyses practices and forms of humour used in social media. Keywords: humour, comics, incongruence, text and picture, social media Schlüsselwörter: Humor, Komik, Inkongruenz, Text und Bild, soziale Medien
1.
Einleitung
Humor ist kein einheitliches Phänomen, hat viele Facetten und wird seit Jahrhunderten zum Forschungsgegenstand von Vertretern unterschiedlicher Disziplinen, wie Philosophie, Ästhetik, Psychologie, Literaturwissenschaft, Soziologie, Linguistik u. a. Je nach der ausgewählten Forschungsperspektive rückt jeweils ein anderer Aspekt in den Fokus der Untersuchung. In dem wissenschaftlichen Diskurs über Humor treten weitere, eng verwandte Begriffe auf, die teilweise schwer zu differenzieren sind. Es sind dies: Lachen und Komik, aber auch Heiterkeit, Spaß und Ironie. In der englischsprachigen Sekundärliteratur wird beispielsweise keine spezielle Unterscheidung von Lachen, Komik und Humor vorgenommen. Der englische Begriff humour erstreckt sich auf die ganze semantische Breite des Terminus Lachen. In diesem Sinne äußert sich W. Fry, Begründer der Wissenschaft vom Lachen (= Humorphysiologie), dazu folgendermaßen: I am arbitrarily utilizing this word – as other words such as »comedy«, »the ludicrous«, »wit« have been used by other authors – throughout this book to indicate all phenomena associated, in an essential manner, with that elusive emotion variously named amusement, amused pleasure, humor, fun, merriment, joviality, etc. (Fry 1963: 3)
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Methodologisch gesehen ist die Vorgehensweise, bei der Definition und Bestimmung der für die jeweilige Disziplin grundlegenden Begriffe auf ihren Gebrauch im Alltag zurückzugreifen, einerseits umstritten, andererseits jedoch gemeinhin anzutreffende wissenschaftliche Praxis. Beispielsweise behauptet der amerikanische Wissenschaftsphilosoph E. Nagel (1961: 12), dass wissenschaftliches Wissen ein geordnetes und gut organisiertes Alltagswissen sei, das auf dem gesunden Menschenverstand basiert. Auch der Sozialphilosoph und Anthropologe H. Plessner (1982: 218), der sowohl zum Lachen als auch zum Weinen gründlich geforscht hat, vertritt diese Meinung, verzichtet auf präzise Termini und benutzt Wendungen aus der Umgangssprache. Man muss sich jedoch dabei der potentiellen Gefahr dieses Vorgehens bewusst sein und einen möglichst kritischen Abstand bei der Entlehnung der Begriffe aus der Gemeinsprache wahren, indem man letztendlich auf gut fundierter Wissenschaftssprache basiert, klare Fragestellungen formuliert und ggf. Alltagsbegriffe präzisiert. Der letzte Schritt besteht in der Aufstellung von Theorien, die den bestimmten Wirklichkeitsausschnitt erklären und beschreiben, in unserem Fall sind es Komik- bzw. Humortheorien.
2.
Komik und Ästhetik
Das Komische ist eine der wichtigsten ästhetischen Kategorien, die in vielen Genres realisiert wird – und zwar mit dem Ziel, Lachreaktion für eine somatischpsychische Entladung einer Spannung hervorzurufen. Die Geschichte dieser Kategorie reicht bis in die griechische Antike zurück. Aristoteles widmete sich in seiner Poetik der Tragödie und der Komödie. Das Wesen des Komischen liegt im Kontrast zwischen der Vorstellung und der Realität, zwischen dem Erwarteten und dem Vorhandenen sowie zwischen dem Kontext und dem Detail. In der Literaturwissenschaft und in der Ästhetik unterscheidet man drei Arten der Komik: situative Komik, wenn belustigende Szenen dargestellt werden; sprachliche Komik/Wortkomik, die auf Sprachspielen, Mehrdeutigkeit oder auf dem Widerspruch zwischen der Äußerung selbst und dem Kontext beruht und Charakterkomik (vgl. Greiner 2017: 30–34). Die Produktion des komischen Genres ist einerseits vom Wunsch des Publikums nach einem – wenn möglich – gar zwerchfellerschütternden Lachen diktiert, was als Lackmustest für die intendierte Komik verstanden werden kann. Andererseits ist der Genre-Autor verpflichtet, den Erwartungsrahmen eines komischen Genres zu erfüllen. Es sind dafür besondere (literarische) Vorgehensweisen verantwortlich, die mündlich bzw. schriftlich tradiert sind, wie bspw. Komödie, unterhaltsame Lyrik, Aphorismen, Satire, Limericks, Burlesken, Parodie und inzwischen auch bestimmte Filmgattungen und Theaterdarstellungen,
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wie Komödie, Posse, Kabarett, Farce, Groteske und darüber hinaus vorzugsweise mündliche Formen wie z. B. Witze, Anekdoten. In der wissenschaftlichen Forschung hat man sich vor allem auf die in der Literatur etablierten Gattungen konzentriert – mitsamt spezieller Tricks und Techniken zur Heraufbeschwörung komischer Effekte, wie Wortspiele, Ironie, Sarkasmus etc. Die althergebrachte literarische Tradition hat wesentlich zur Vervollkommnung der komischen Genres beigetragen, die ohnehin im Laufe der Zeit verschiedene Modifizierungen erfahren haben. Bestimmte Fixpunkte, die für eine Spannungssteigerung sorgen sollen, bleiben allerdings erhalten – darunter etwa exordium, expositio, complicatio und die Pointe (vgl. Calpestrati 2020: 132) – und zwar nicht nur auf gekonntes Witzeerzählen beschränkt. Der Begriff Komik lässt sich als eine menschliche Ausdrucksform, d. h. ein bestimmtes Verhalten, eine Sprachäußerung bzw. auch als ein Kunstartefakt auffassen, die durch belustigende Attribute ausgelöst wird und sich im physischen Prozess des Lachens niederschlägt. Komik hängt jedoch mit den perzeptiven bzw. kognitiven Prozessen des Rezipienten sowie mit seinen individuellen und kulturellen Erfahrungen zusammen (vgl. Kindt 2017: 2ff.). Die amüsierenden Eigenschaften werden zuerst vom Rezipienten erkannt, um bei ihm im Anschluss eine Reaktion des Lachens hervorzurufen. Im Metzler Literatur Lexikon werden kontroverse Ansatzpunkte betont, wenn es um die Ontologie der Kategorie der Komik geht. Das Komische erweist sich auf der einen Seite als identisch mit dem Lächerlichen und weist eine typisch menschliche und soziale Natur auf. Auf der anderen Seite ist sie neben anderen Kategorien wie die des Schönen, Hässlichen oder Tragischen auf dem Gebiet der Ästhetik zu verorten. Sehr oft wird das Komische zusammen mit dem Tragischen als Konflikt widersprüchlicher Prinzipien begriffen (vgl. Schweikle 1990: 243). In vielen neuzeitlichen Komiktheorien ergibt sich die Komik aus einer überraschend wahrgenommenen Inkongruenz. An dieser Stelle werden auch der weit gefasste Kontrast, Diskrepanz, Antagonismen, Oppositionen, Divergenzen, Dichotomien und Konflikte genannt (vgl. Deupmann 2007: 390). In den skriptsemantischen Modellen ist von oppositionellen Skripts die Rede. Die Komik entsteht dann, wenn sie aufeinandertreffen und sich überschneiden, wobei – wie oben angedeutet – diese Opposition vom Publikum bzw. vom Rezipienten aufgelöst werden muss. In der »Semantic Script-based Theory of Humor«, in der allgemeinen Theorie des verbalen Humors und der ontologisch-semantischen Theorie des Humors ist die Inkongruenz der Schlüsselbegriff. Begründer dieser drei Theorien zum Komischen und zum Humor sind V. Raskin und sein Schüler S. Attardo. Komik und Humor werden hier auf Grundlage axiomatischer und universaler Regeln kategorisiert. Unter dem Begriff ›script‹ meinen wir ein semantisches Feld, ein bestimmtes Schema. Es ist eine kognitive, aktionale, emotionale oder sonstige Makrostruktur, die für ein konkretes Wort (oder auch Bild)
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charakteristisch ist. Wenn wir eine Wortbedeutung entschlüsseln, rufen wir bestimmte Skripts ab. Beispielsweise gehören zum Skript ›Wohnung‹ im Deutschen obligatorisch Flur, Küche, Bad/Toilette, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer usw. und nicht obligatorisch Balkon, Terrasse, Garten usw. In den komischen bzw. humoristischen Ausdrucksformen kommen V. Raskin nach folgende oppositionelle semantische Skripts vor: »good/bad, life/death, non-obscene/obscene, money/no-money, high stature/low stature« (Raskin 1985: 113), die sich dann überschneiden und einen komischen Effekt hervorrufen. In den weiteren Theorien nennen V. Raskin und S. Attardo (1991: 293ff.) noch zusätzliche Ebenen: den logischen Mechanismus (logische Regeln bei der Umschaltung von Skript zu Skript), die Situation, die Zielscheibe (eine Person oder eine Sache mit charakteristischen Zügen), die narrative Strategie (die Gattung), die Form und Struktur der Ausdrucksform. Die häufigsten Formen und Techniken des Komischen, die sowohl im literarisch-ästhetischen als auch im populär-alltäglichen Bereich auftreten, sind vielfältig. Dziemidok (2011: 65ff.) nennt unter anderem: – Übertreibung: Hyperbolisierung einiger Merkmale; es kann sich um das Aussehen (Gesichtszüge, Figur, Kleidung), Verhalten (Sprechweise, Gestik, Mimik), Situationen und Charaktereigenschaften handeln; – übertreibende bzw. satirische Karikatur: negative Merkmale werden hervorgehoben und vergrößert (s. o.); – Parodie: kombiniert die Nachahmung des Originals mit Betonung seiner charakteristischen Merkmale und mit ihrer Übertreibung manchmal bis zum Absurden; – Verkleinerung: das ursprüngliche Objekt wird in ein anormales Phänomen umgewandelt; – Travestieren: Übertragung von wertvollen, respektablen, heiligen Eigenschaften in eine ihnen nicht angemessene Form, d. h. ihre Demütigung, Erniedrigung und Vulgarisierung; – herabsetzende Karikatur: Verwendung weitgehender Vereinfachungen, die das Wesen der Dinge (Person, Gegenstand u. a.) verzerrt, indem man die sekundären Merkmale hervorhebt und wesentliche weglässt; – Verletzung der nicht umkehrbaren Abfolge von Phänomenen, z. B. umgekehrte Reihenfolge von Fotos; – Witz: beruht auf einem überraschenden Zusammenhang und Assoziation von verschiedenen Elementen, gliedert sich in Einleitung, Überleitung und Pointe; oft werden hier Wörter mit doppelter Bedeutung benutzt; – Scherz/Spaß: nicht ernst gemeinte Äußerung, Handlung, die Heiterkeit erregen soll; – Spott: abwertender Vergleich, mit dem Ziel das Opfer zu verletzen und auszulachen;
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– Ironie: verdeckter Spott, in dem der verborgene Sinn dem wörtlichen Sinn widerspricht und man auf diese Weise das Gegenteil von dem meint, was gesagt wird; ihre Prinzipien sind Distanz, Nachahmung, kritische Verstärkung; – Sarkasmus: bösartige Ironie; – Rätsel, Worträtsel, Wortspiel; – eine lustige Anmerkung, die sich auf eine bestimmte Person oder Sache bezieht, z. B. Sie ist eine perfekte Gesprächspartnerin – die beste, vor der ich je geflohen bin; – Anekdote: kurze, witzige Geschichte, die z. B. eine Persönlichkeit, eine soziale Gesellschaftsschicht u. Ä. gelungen und treffend charakterisiert – humoristischer Kommentar. In der Alltagskommunikation lassen sich heutzutage neben den oben genannten mündlichen Formen wie lustige Geschichten, Witze, Anekdoten, auch neue Ausdrucksformen des Komischen in den sozialen Medien erkennen. Sie sind nicht nur sprachlich, sondern auch bildlich gestaltet. Gemeinsames Ziel dieser kommunikativen Handlungen ist es, die ästhetische Kategorie der Komik zu realisieren und sie mitzuteilen, beim Empfänger seinen Sinn für Humor anzusprechen und schließlich bei ihm Lachen auszulösen.
3.
Humor
Die triadischen Begriffe Lachen-Komik-Humor sind in der theoretischen Reflexion durchaus schwer voneinander zu trennen. Dies trifft insbesondere auf Komik und Humor zu. So wie bis jetzt noch keine allgemeingültige Lachtheorie und Komiktheorie entwickelt wurde, gibt es auch keine einheitliche Humortheorie. Laut Duden (2009: 806) bezeichnet man mit dem Begriff Humor eine Eigenschaft einer Person, eines Gegenstandes bzw. einer Situation, die mit sprachlichen bzw. künstlerischen Äußerungsmitteln ausgedrückt wird. Im engeren Sinne wird der Humor als eine bestimmte menschliche Fähigkeit aufgefasst, die es ermöglicht, auf bestimmte Dinge, Situationen der Gefahr, der Krise oder des Scheiterns gelassen zu reagieren. Die humorvolle Reaktion beruht auf der unzulänglichen Verhaltensweise, auf der sprachlich formulierten Unangemessenheit bzw. auf der Vertretung eines scheinbar nebensächlichen Standpunktes. Das alles wird mit Absicht inszeniert, die Gefahr herunterzuspielen. Die Erschwernis erweist sich als Luxus, das Unerträgliche und Unangenehme als Errungenschaft usw. Der Humor als eine Denkform ›des Trotzdem‹ richtet sich generell nicht gegen Dritte.
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Ähnlich versteht R. Martin (2003: 313f.) den Humor, d. h. einerseits als den momentanen Zustand eines Individuums, der mit einer physiologischen und emotionalen Reaktion auf eine bestimmte Situation zusammenhängt. Der Humor bezieht sich dabei auf einen konkreten Anlass (z. B. im Fall von Witzen, Comedy-Filmen), auf den mentalen Prozess, der für das Verstehen des Humorwesens verantwortlich ist und schließlich auf eine Reaktion in Form von Freude und Lachen. Andererseits versteht R. Martin (2004: 2ff.) unter Humor einen festen Bestandteil einer Persönlichkeit, eine besondere Fertigkeit und Aktivität eines Menschen, den man als Sinn für Humor bezeichnet. Es ist ein mehrdimensionales und komplexes Konstrukt, das Folgendes umfasst: Verhaltensmuster (u. a. Fähigkeit, Witze zu erzählen), Fähigkeiten und kreative Aktivitäten, komische Situationen und Inhalte zu schaffen, auszudrücken, zu verstehen und darauf zu reagieren sowie Temperamenteigenschaft, Einstellung zum Leben und Strategien zur Stressbewältigung, kognitive Einschätzung eines belustigenden Anlasses, affektive Reaktion darauf (Lächeln, herzliches und freies Lachen), Erinnerung an lustige Geschichten und Situationen, Fähigkeit, Humor für soziale Zwecke zu verwenden, positive Einstellung zur Komik, Vorlieben für bestimmte Humortypen. Generell gilt, dass Humor ein komplexes, facettenreiches und kulturell bedingtes Phänomen ist (vgl. Ochwat 2015: 36). Oft kann sich der Humor als eine milde Selbstironie realisieren, die eine Form der Verarbeitung und des Kommentars eines Defizits an eigener Person oder Größe ist. A. Koestler beschreibt mit dem Begriff der Bisoziation den geistigen Prozess des Humors. Zwei widersprüchliche Bezugsrahmen werden zusammengebracht, die normalerweise nicht zu verbinden wären: »the perceiving of a situation or idea in two selfconsistent but habitually incompatible frames of reference« (Koestler 1966: 35).
4.
Text und Bild als Äußerungsformen des Komisch-Humoristischen
Wenn wir uns an die obigen Worte von A. Koestler und an seinen Begriff der Bisoziation anlehnen, eignen sich Text-Bild-Kommunikate (vgl. dazu Z˙ebrowska 2013: 182ff.) sehr gut zur Vermittlung von humoristischen Inhalten. Vom Prinzip her gehören sie anderen Bezugsrahmen an und lösen unterschiedliche Verarbeitungsprozesse aus, was kognitionspsychologische sowie neuropsychologische Untersuchungen beweisen. Texte bestehen aus einzelnen sprachlichen Zeichen, die einen symbolischen Charakter haben und linear gelesen werden. Sie bedürfen dabei einer Dekodierung und somit einer geistigen Leistung sowie einer sukzessiven Rekonstruktion. Für Texte als sprachliche Äußerungen und auch für das
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abstrakte Denken ist die linke Gehirnsphäre verantwortlich. Das Bildangebot dagegen entlastet diese anstrengenden, mentalen Prozesse. Das natürliche Sehen und die Bildbetrachtung dagegen finden in denselben neuronalen Arealen statt, und zwar in der rechten Gehirnhälfte (vgl. Ballstaedt 2005: 63). Bilder werden holistisch, komplex und in Bruchteilen von Sekunden wahrgenommen und dann mühelos im Gehirn verarbeitet. Nach der getrennten Verarbeitung fallen dann visuell-bildliche und sprachliche Informationen in der mentalen Repräsentation des Rezipienten zusammen. »Wie die mentale Mischung für eine konkrete Sehfläche im Langzeitgedächtnis ausfällt, das kann nur schwer vorhergesagt werden« (Ballstaedt 2005: 67). Wie U. Schmitz pointiert: »Der Sinn geht […] gerade aus dem Zusammenschluss zweier Elemente hervor, die ›eigentlich‹ nicht zusammenpassen« (Schmitz 2011: 33). Wichtig ist, wie sie sich aufeinander beziehen und welche metaphorischen Übertragungen aus ihrem Kontakt entstehen. Dem Text-Bild-Kommunikat wird die Bedeutung wechselweise und dynamisch zugewiesen. Das Verstehen hat einen prozessualen Charakter und besteht aus Teilverständnissen und Umdeutungen, die sich integrativ verbinden (vgl. Bucher 2011: 135). Nach der Auffassung von R. Barthes sind Bilder »messages without a code« (1982: 43–45); ihre Ikonizität erweist sich als entscheidend für den Prozess des Verstehens. Dieser erfolgt ganzheitlich. Die wahrgenommene Gestalt wird an mentale Modelle, an die in der Umwelterfahrung gewonnenen Muster, ›scriptes‹, ›frames‹ und Wissensbestände angepasst (vgl. Stöckl 2011: 51). Viele psychologische Experimente beweisen die Gedächtnis- und Wirkungsstärke von Bildern sowie ihre direkte Emotionsverbundenheit, was wiederum ihr Behalten und Abrufen beeinflusst. Sprachliche Äußerungen sind dagegen gedächtnis- und wirkungsschwächer und dabei nicht direkt emotionsverbunden (vgl. Stöckl 2011: 48). Das Bedeutungspotential von Bildern ist also viel stärker als das der sprachlichen Äußerungen. Bilder sind vage, unterdeterminiert und semantisch offen. Hilfreich dabei ist der Kontext, den sprachliche Begleittexte, Welterfahrung, enzyklopädisches Wissen sowie das Wissen über Stile und Genres schaffen und der zur Aktivierung und zur Erschließung der Bedeutung beiträgt. H. Stöckl (2011: 50) verwendet den Terminus »Bedeutungsüberschuss«. Text-Bild-Kommunikate sind eine der beliebtesten Ausdrucksformen in den sozialen Medien. Sehr verbreitet sind sog. Memes, in denen Text und Bild integriert werden, mit dem Ziel, einen bestimmten Effekt hervorzurufen, in unserem Falle Rezipienten zum Lachen zu bringen. Internetnutzer verhalten sich aktiv und werden zu Ko-Autoren, somit sind sie aktiv als Mitgestalter im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stellen ihre Texte, Postings, Beiträge, kurze Filme usw. ins Netz, steuern sie bei, modifizieren, was danach kommentiert wird und wodurch es zum realen Austausch kommt. Das Netz wird also zum sozialen Netz, Kommunikationsmedien zu Social Media. Die wichtigste Innovation beruht darauf,
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dass dabei eine wirkliche Benutzerinteraktion und ihre gemeinsame Beteiligung an dem Kommunikationsangebot möglich sind. Die benutzerfreundliche Oberfläche ermöglicht, dass jeder mitmachen und eingreifen kann, um die vorhandenen Informationen zu erstellen, zu bearbeiten und zu veröffentlichen.
5.
Exemplarische Analyse
Das Lachen kann eine Antwort und eine Reaktion in einer Krisensituation sein, hilft dem Menschen, sich in für ihn unerwarteten, ambivalenten oder nicht klar strukturierten Lebenslagen und Grenzsituationen zurechtzufinden. Wenn die gewohnten menschlichen Orientierungshilfen, wie es Verstand und Vernunft sind, versagen, kann der Mensch mit Lachen reagieren (vgl. Plessner 1982: 227). Demnach erweist sich das Lachen als Befreiungs- und Hilfsmittel, als Übersprungshandlung. Durch die Lachreaktion gewinnt der Mensch seine gewöhnliche Position, seine rationale Fähigkeit zum Denken und zum Verhalten zurück. Der lachende Mensch verstärkt somit seine Integrität als Person, als geistiges Wesen. Im Jahre 2020 fühlten sich Menschen auf der ganzen Welt hilflos angesichts der herrschenden Pandemie. In dieser neuen Situation, mit der alle zurechtkommen mussten, kreierten Internetnutzer in den sozialen Medien vermehrt humoristische Kommentare, Kommunikate, Postings und Memes. Der Humor und die intendierte Komik, die dann das Lachen auslösen, sind als eine Art der Stressbewältigung aufzufassen. Stützen wir uns auf die oben präsentierte semantische Skripttheorie, wird Lachen oft durch nicht zusammenpassende Situationen/Elemente hervorgerufen, die in einen gemeinsamen Zusammenhang gesetzt werden. In vielen neuzeitlichen Komiktheorien ergibt sich die Komik aus einer überraschend wahrgenommenen Inkongruenz.
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Humor und Komik im Internet
A.
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Beispiel
Abb. 1: »Die Regierung hat den Covid-Kalender präsentiert«.
Das obige Meme stammt aus dem öffentlichen Facebook-Profil KULTOWE ROZMOWY (Sorry, z˙e nie w temacie…). Das Meme macht einen realistischen Eindruck. Dargestellt wird die Pressekonferenz des Ministerpräsidenten Polens Mateusz Morawiecki. Im Begleittext darunter heißt es: »Die Regierung hat den Covid-Kalender präsentiert. Ab heute bis zum Heiligen Abend wird jeden Tag eine neue Einschränkung bekannt gegeben.« Das Ganze ruft einen komischen Effekt hervor. Die Komposition basiert auf dem Prinzip der Inkongruenz, auf der Zusammenstellung von widersprüchlichen Elementen, die eigentlich nicht zusammenpassen. Der Ministerpräsident wird mit seriösen, unangenehmen, manchmal unerwarteten Informationen assoziiert. Hier präsentiert er zufrieden einen Adventskalender, der ein ganz anderes Skript hervorruft, und zwar Weihnachten verbunden mit guten Gefühlen, Erwartung, Geschenken, Familie usw. Im Text bekommen wir einen witzigen Kommentar mit dem Ad-hocKompositum: Covid-Kalender. Beim Leser werden nach der sukzessiven Lektüre dieses kurzen Textes ganz andere mentale Bilder hervorgerufen als bei der Bildbetrachtung und zwar Krankheit, Angst, Ungewissheit. Der gesamte Sinn und der komische Effekt ergeben sich aus der holistischen Botschaft und aus dem Widerspruch der Bestandteile.
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Ewa Z˙ebrowska
136 B.
Beispiel
Abb. 2: »Wenn Du zu lange im Home Office warst…«
Dieses Meme stammt aus dem öffentlichen Facebook-Profil Lustige Bilder zum Lachen und stellt einen distanzierten, leicht ironischen, humoristischen Kommentar zur Quarantäne dar. Es war nicht leicht, sich an die eingeführten Maßnahmen von Regierungen zu gewöhnen. Der Zwang für längere Zeit zu Hause zu bleiben, war schwer zu akzeptieren und überforderte viele Menschen. Das wahre Leben, soziale Kontakte, Schule, Studium, auch die Arbeit fanden virtuell statt. Die Autoren dieses Kommunikats haben, genau wie die Autoren im vorherigen Beispiel, nach dem Prinzip der Inkongruenz gegriffen. Das Gras wächst normalerweise in der Natur und so wird das entsprechende Schema aktiviert. Wenn es jedoch beispielsweise auf den verlassenen Gebäuden wächst, ist es ein Zeichen dafür, dass sie seit Jahren verlassen und unbewohnt sind. Das wachsende Gras auf der Tastatur überrascht den Rezipienten und visualisiert die lange Zeit, die seit dem letzten Bürobesuch vergangen ist. Außerdem ist die Tastatur nicht ganz neu, was diesen Eindruck noch verstärkt. Im Begleittext lesen wir »Wenn Du zu lange im Home Office warst…«. Der komische Effekt ist erreicht worden.
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Humor und Komik im Internet
C.
137
Beispiel
Abb. 3: »Wilson arbeitet gerade von Zuhause«.
In diesem Beispiel haben wir es mit einem Meme aus dem öffentlichen FacebookProfil Best of Aussies Doing Things zu tun. Es bezieht sich auf denselben Wirklichkeitsausschnitt, und zwar auf die Quarantäne und auf die Arbeit von Zuhause. Das Prinzip der Komposition ist gleich: Zwei Teile werden zusammengebracht, die eigentlich nicht passen. Der Hund Wilson sitzt vor dem Computerbildschirm, was als ungewöhnlich klassifiziert werden kann. Er sieht sich ein kurzes Video mit einer Schafherde an. Der Kommentar oben schreibt dem Ganzen den eigentlichen Sinn zu: »Wilson arbeitet gerade von Zuhause«. Wie die Erfahrung gezeigt hat, hat sich Home Office nicht in allen Fällen bewährt und die so durchgeführte Arbeit nicht dieselbe Leistung und Qualität gebracht, wie unter den gewöhnlichen Umständen. In der ganzen Botschaft wird dadurch humoristisch der Unsinn des Home Office visualisiert, indem zwei widersprüchliche Elemente zusammengestellt wurden.
6.
Fazit
In allen dargestellten Beispielen haben die Autoren mit Hilfe von Memes ihre Kreativität gezeigt, komische und humoristische Szenen, Inhalte und Botschaften zu schaffen. Sie bestehen jeweils aus einem Bild und dem Begleittext. Das Prinzip des Humors beruhte auf dem Kontrast von oppositionellen Elementen. In der ersten Verstehensphase hat der Rezipient bestimmte Assoziationen und Erwartungen, nach der Detailauswertung bemerkt er die Inkongruenz von Elementen, ordnet die widersprüchlichen Informationen und zum Schluss erkennt er die Pointe. Kurz gesagt: Der Sinn steckt also im Unsinn.
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Humor und Komik im Internet
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Joanna Szcze˛k (Uniwersytet Wrocławski, Wrocław)
Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit – Zu den deutschen Covid-19-Witzen Laughter is the best medicine, Even during the Pandemic – To the German Covid-19 Jokes Abstract The unexpected pandemic made it necessary to deal with situations that we had not dealt with before. Coping attempts can take many forms, and one of the strategies used in this situation is jokes, which fall under the category of black humor. The article attempts to analyze the so-called Pandemic Jokes – Jokes about the Covid-19 pandemic. The aim is to indicate the thematic motifs in this genre of the text on selected examples in German. The empirical material was collected from German-language websites presenting jokes. Keywords: laughing, jokes, German, Covid-19 jokes, pandemic Schlüsselwörter: Lachen, Witze, Deutsch, Covid-19-Witze, Pandemie
1.
Einführende Bemerkungen
Lachen ist gesund – besagt ein bekanntes Sprichwort, mit dem auf die heilsame Wirkung des Lachens angespielt und zugleich auf eine enge Beziehung zwischen beiden Größen eingegangen wird. Die Vorteile des Lachens sind seit Langem bekannt. Sie werden auch in der Heiltherapie erfolgreich genutzt und im Rahmen der Gelotologie – gegründet von William F. Frey (1964) – behandelt. Es geht dabei um die Auswirkungen des Lachens auf physiologische und psychische Prozesse, die im Rahmen der breit verstandenen Lachtherapie im menschlichen Körper erfolgen. Die uns umgebende Wirklichkeit gibt uns schon manche Gründe fürs Lachen, obwohl wir uns dessen oft nicht bewusst sind. Man braucht nämlich immer einen Anlass zum Lachen. Deswegen ist Lachen, verstanden als »psycho-physiological response to humor that involves both characteristis physiological reactions and positive psychological shifts« (Bennett und Lengacher 2006: 62, Hervorhebung durch die Autorin), responsiven Charakters. Es erfolgt nämlich als eine Reaktion auf einen bestimmten Stimulus und ist daher zugleich ein Teil der Sequenz, die nach Martin (2001) folgende Komponenten umfasst: Stimulus (= Humor), die
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emotionale Reaktion darauf (= Erheiterung, Freude, Fröhlichkeit) und einen behavioralen Ausdruck (= Lachen). Im vorliegenden Beitrag werden die Stimuli fürs Lachen analysiert. Es handelt sich um eine neue thematische Gattung der Witze, die als Frucht der Covid-19Pandemie angesehen werden können. Humor ist, wenn man trotzdem lacht ist eine bekannte Aussage von Otto Julius Bierbaum (1865–1910) und die Pandemie wird demgemäß als der unzureichende Grund verstanden, um alles – hier die Lebensgefahr im Angesicht der Covid-19-Pandemie – ernst zu nehmen. Die aufgrund der Covid-19-Pandemie entstandenen Witze werden als Evokation bestimmter Strategien betrachtet, mit dieser Lage fertig zu werden. Das empirische Material umfasst gewählte Covid-19-Witze, die den deutschsprachigen Internetseiten1 entnommen wurden. Die Fragestellung betrifft die Art, wie in der Textsorte Witz mit dem Thema Pandemie umgegangen wird. Es wird dabei ein Versuch unternommen, die Typologie der in den Covid-19-Witzen vorkommenden Motive zu erstellen und auf dieser Grundlage die Strategien zu ermitteln, dieser schwierigen Lebenslage – hier Pandemie –beizukommen.
2.
Funktionen von Humor und Witz zur Zeit der Pandemie
Es ist die längst bekannte Tatsache, dass man in der Situation der (Lebens)bedrohung versucht, »der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen« (Duden 2007, Hervorhebung durch die Autorin). Menschen haben nämlich Sinn für Humor und können etwas mit Humor tragen und sind auch dazu fähig, in einer schwierigen Situation den Humor nicht zu verlieren. Diese definitorische »Fähigkeit und Bereitschaft, auf bestimmte Dinge heiter und gelassen zu reagieren«2 erwies sich und erweist immer noch als eine wirksame Strategie zur Zeit der Covid-19-Pandemie. Man kann bekanntlich auf eine hohe Ergiebigkeit im Bereich sprachlicher Manifestationen dieser Strategie hinweisen. Zahlreiche Memes, lustige Bilder, witzige Filme und Witze sind nur einige Beispiele dafür, wie stark die Pandemie die Kreativität der Sprachbenutzer prägt – die Spuren, die folglich im Vokabular einer jeden Sprache hinterlassen werden3, seien dabei offensichtlich. 1 Siehe Quellen am Ende des Beitrags. 2 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Humor_Stimmung_Frohsinn [Zugriff am 6. 01. 2021]. 3 Vgl. hierzu https://www.deutschlandfunk.de/folgen-der-pandemie-wie-corona-die-deutschesprache.1148.de.html?dram:article_id=481524 [Zugriff am 6. 01. 2021] sowie Aktuelle Stellungnahmen zur Sprache in der Coronakrise auf der Seite des IDS in Mannheim unter https:// www1.ids-mannheim.de/sprache-in-der-coronakrise/ [Zugriff am 6. 01. 2021].
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Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit
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»Schlechte Zeiten sind gute Witze-Zeiten« lautet der Titel des Gesprächs mit Peter Wittkamp bei SWR24, mit dem man auf den engen und doch immer noch als paradox empfundenen Zusammenhang verweist: in der Not sucht man nach erstaunlichen Mitteln und Wegen, auf eine bestimmte Art und Weise damit umzugehen. Man fängt u. a. an, darüber zu lachen. Eine solche Vorgehensweise schlägt sich in den Funktionen der Witze nieder, zu denen in erster Linie »Ausgleich von Spannungen« (vgl. Ulrich 1980: 63) gehört, worauf schon Freud (1905: 81, Hervorhebung durch die Autorin) wie folgt hingewiesen hat: der Witz befriedigt elementare Triebe des Menschen, hat Ventilfunktion für ausgestaute Triebregungen. Das Lachen über den tendenzlosen, den ›harmlosen‹ Witz […] setzt angeblich die spielerische Lust des ›Rest-Kindes‹ im Erwachsenen frei, die seit der Kindheit verdrängt ist. Das Lachen über den tendenziösen Witz – vor allem den feindseligen und den obszönen – ist dagegen ein wahrer Ausbruch befreienden Lachens.
Auch in neueren Untersuchungen zu den Funktionen von Witzen kann man eine Bestätigung für solche funktionalen Aufgaben dieser Textsorte finden. Sawtschenko (2000: 16) erstellt einen Katalog davon im untersuchten Korpus, darunter z. B. eine Unterhaltungsfunktion, die in dem Bestreben besteht, den Hörer/ Leser zum Lachen zu bringen, eine ornamental-illustrative Funktion, die ihren Ausdruck in der Situation findet, »wenn der Witz eine Situation ›auf der Punkt bringt‹, d. h. er illustriert und entwickelt den von einem Kommunikanten geäußerten Gedanken« oder eine therapeutische Funktion, die damit verbunden ist, dass »witzige Texte schlechte Laune zerstreuen, von trüben Gedanken befreien und das eigene Befinden verbessern.« Und gerade diese letzte Funktion scheint im Kontext der Covid-19-Witze besonders relevant zu sein. Ziv (1984: 26– 37) erwähnt auch die sog. Wehrfunktion (pl. funkcja obronna), die es möglich macht, mit schwierigen Situationen, die außer der Kontrolle des Menschen liegen, z. B. Tod, Krankheit, fertig zu werden.
3.
Covid-19-Witze als eine Kategorie der Katastrophe-Witze
Covid-19-Witze oder »Corona-Witze sind die kreative Bewältigung einer schwierigen Zeit.«5 Auf der anderen Seite werden aber in den Corona-Witzen dieselben Mechanismen genutzt, die typisch für Witze überhaupt sind.
4 Vgl. https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/wie-geht-humor-in-der-coronakrise-sc hlechte-zeiten-sind-gute-witze-zeiten-100.html [Zugriff am 6. 01. 2021]. 5 Vgl. https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/forscher-corona-witze-sind-kreative-bewaeltigungeiner-schwierigen-zeit-13718625.html [Zugriff am 6. 01. 2021].
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Witz ist »eine kurze, Lachen erregende Erzählung, die in einer Pointe gipfelt« (Röhrich 1977: 5). Auf den Charakter der Lachen hervorrufenden Situationen verweist Sawtschenko (2000: 15, Hervorhebung durch die Autorin) wie folgt: Der Witz ist eine humoristische Miniatur mit einem überraschendem Schluss (Pointe), die in der Dialog- bzw. Polylogform die aus dem Alltagsleben entnommenen Situationen (real sowie nicht real) oder menschliche Handlungen beschreibt, die einen komischen Charakter haben oder beachtenswert sind.
Im Falle der vorliegenden Studie gilt natürlich die Covid-19-Pandemie als ein Stimulus – die dem Alltagsleben entnommene Situation. In der einschlägigen Literatur werden Witze unterschiedlich typologisiert (vgl. hierzu u. a. Ulrich (1980), Fischer (1889), Lipps (2005) oder Brzozowska (2008)). Darunter findet man auch eine Kategorie der Witze, die von Kuipers (2008: 367) »disaster jokes« (dt. Katastrophe-Witze) genannt werden und an sich als Ausdruck des schwarzen Humors gelten. Ihr Wesen wird folgendermaßen charakterisiert: »Black or sick humor, for instance in disaster jokes, has often been explained as a way to cope with unpleasant experiences, both individually and collectively, and more generally to distance oneself from negative emotions such as fear, grief, or shame«6. In Anlehnung daran merkt Hodalska Folgendes an: »Badacze zjawiska zwracaja˛ uwage˛, z˙e teraz coraz cze˛´sciej mamy do czynienia z mediatyzacja˛ humoru, ludzie przekazuja˛ sobie tres´ci humorystyczne nie tylko w kontaktach bezpos´rednich, ale bardzo cze˛sto za pos´rednictwem mediów, a to doprowadziło do pojawienia sie˛ nowych form humorystycznych […]. Jedna˛ z nich sa˛ internetowe z˙arty z katastrof, które po raz pierwszy na wielka˛ skale˛ pojawiły sie˛ w cyfrowej przestrzeni po atakach terrorystycznych 11 wrzes´nia 2001 roku«7 (Hodalska 2020b: 348). In Bezug auf die Covid-19-Pandemie schreibt Hodalska (2020b: 13, Hervorhebung durch die Autorin) Folgendes: Z˙arty z pandemii i koronawirusa pomagaja˛ w nawia˛zaniu i utrzymywaniu relacji. Nie ma w nich agresji ani poniz˙enia […]. Nawet, jes´li w bohaterach memów odbiorcy widzieli siebie, było to powodem do s´miechu pełnego wyrozumiałos´ci, zwłaszcza, z˙e podobne zachowania, jak te be˛da˛ce przedmiotem z˙artów, były udziałem ludzi na całym ´swiecie. To równiez˙ sprawiało, z˙e korona-humor budził s´miech uzdrawiaja˛cy – tak go 6 Diese Funktion von disaster jokes wird u. a. auch bei Dundes (1987) und Morrow (1987) genannt. 7 Dt. »Die Forscher weisen darauf hin, dass wir immer häufiger es mit der Mediatisierung des Humors zu tun haben. Menschen geben humoristische Inhalte einander nicht nur in direkten Kontakten weiter, sondern auch mit Hilfe von Medien. Das hat zur Entstehung von vielen neuen humoristischen Formen geführt […]. Eine von solchen sind Internetwitze über Katastrophen, die zum ersten Mal im großen Maße nach den Terroranschlägen vom 11 September 2001 im digitalen Raum aufgetaucht sind.« – Übersetzungen aus dem Polnischen hier und im ganzen Beitrag von der Autorin.
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Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit
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okres´lili respondenci, a w ich słowach wybrzmiewały echa prac psychologów, którzy analizowali terapeutyczne działanie humoru oraz socjologów, którzy koncentrowali sie˛ na tym, jak s´miech moz˙e słuz˙yc´ zbiorowemu catharsis8.
Und gerade im Zusammenhang mit der erwähnten Katharsis-Wirkung der Corona-Witze merkt sie auch einen Unterschied zwischen den echten KatastropheWitzen und den Corona-Witzen an: »Korona-humor jest czarnym humorem, ale tylko cze˛´sciowo wpisuje sie˛ w kategorie˛ disaster jokes. Owszem, jest reakcja˛ na medialne doniesienia o epidemii. Najprawdopodobniej jest tez˙ mechanizmem obronnym pomagaja˛cym w radzeniu sobie ze stresem.«9 (Hodalska 2020a: 14, Hervorhebung durch die Autorin).
4.
Thematik der Covid-19-Witze in Deutschland
Covid-19-Pandemie hat Menschen in der ganzen Welt vielen bisher unbekannten Situationen ausgesetzt und zu unterschiedlichen, oft ungewöhnlichen und von dem normalen Alltagsleben abhebenden Verhaltensweisen gezwungen. Es wurden und werden viele Schutzmaßnahmen und Einschränkungen eingeführt, die weitgehend von der bisherigen Lebensweise abweichen. Und gerade diese Maßnahmen finden ihren Niederschlag in der Thematik der Corona-Witze in Deutschland. Man findet nämlich folgende Teilthemen10: Social Distancing, Hamsterkäufe, Isolation, Quarantäne, Homeoffice, Corona-Masken, Urlaub in Quarantäne u. a. Hodalska (2020: 16f.), die 470 Witze dieser Art in Polen analysiert hat, nennt folgende Themenbereiche: Schutzmasken, Toilettenpapier, Polizisten und Strafen, Politik und Politiker, Desinfektion, Masseneinkäufe, Sacrum und Religionspraktiken, das Zu-Hause-Hocken, Online-Unterricht, Beziehungen zu den Nächsten, Online-Arbeit, Haustiere, Beleibtheit als Folge der Quarantäne, China 8 Dt. »Witze über Pandemie und Corona-Virus helfen, Kontakte aufzunehmen und zu pflegen. In solchen Witzen gibt es keine Aggression und keine Demütigung. […] Sogar, wenn man in Helden der Mems sich selbst sieht, war das ein Anlass zum verständnisvollen Lachen, zumal ähnliche Verhaltensweisen, wie diese, die Gegenstand der Witze waren, typisch für Menschen in der ganzen Welt waren. Das hat auch verursacht, dass Corona-Humor heilendes Lachen hervorgerufen hat – so haben das die Befragten formuliert, und in ihren Worten konnte man Einfluss der Werke von Psychologen erkennen, die therapeutische Wirkung von Humor analysiert haben, sowie der Werke von Soziologen, die sich darauf konzentriert haben, wie das Lachen zum kollektiven Katharsis verhelfen kann«. 9 Dt. »Corona-Humor ist schwarzer Humor, aber er schreibt sich nur teilweise in die Kategorie disaster jokes. Er ist eine Reaktion auf mediale Berichterstattung über Pandemie. Höchstwahrscheinlich ist er auch ein Wehrmechanismus, die einem dazu verhilft, mit dem Stress fertig zu werden.« 10 https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/internet-witze-zu-corona-humor-ist-wenn-man-tr otzdem-lacht,RuiJ1Sa [Zugriff am 6. 01. 2020].
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und Chinesen, Husten und Niesen, Sommerferien in der Pandemiezeit, unzugängliche Leistungen (Frisör) u. a. m.
5.
Deutsche Covid-19-Witze – Analyse des Materials
Das Analysematerial wurde den deutschen Internetseiten entnommen, auf denen man die Kategorie Corona-Witze / Coronavirus-Witze / Covid-19-Witze ermitteln kann11. Im Folgenden wird ein Versuch unternommen, anhand des empirischen Materials Motive zu ermitteln, welche die Grundlage für die diese Kategorie der Witze bilden. In jedem Falle werden das Hauptmotiv und Beispiele dazu angegeben. Es handelt sich um folgende thematische Kategorien: 1. Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus: a. Abstandhalten, wobei darunter unterschiedliche Methoden genannt werden, die ohne besondere Anstrengung verursachen sollen, dass von einem Abstand gehalten wird, z. B.: Gegen den Coronavirus esst ihr am besten täglich drei Knoblauchzehen. Es wirkt zwar nicht gegen den Virus, aber der Abstand von einem Meter wird definitiv eingehalten.12 b. Der gesunde Menschenverstand, z. B.: Sagt gerade ein Virologe im Fernsehen: »Die beste Waffe im Krieg gegen den Coronavirus ist der gesunde Menschenverstand!« …wir sind verloren! Die meisten von uns sind unbewaffnet!!! c. Quarantäne, z. B.: Coronavirus hat nun auch in meiner Straße ein erstes Opfer gefordert: der 49-jährige Erwin M. hat erfahren, dass er mit seiner Frau für 14 Tage in Quarantäne muss – er erschoss sich unverzüglich. d. Desinfektion, z. B.: Habe kein Desinfektionsmittel mehr bekommen. Nehme jetzt Restalkohol. oder Zwei Freunde unterhalten sich. Fragt der ei ne: »Wie schützt du dich gegen das Coronavirus?« Antwortet der andere: »Mit Pfefferspray! Wenn Du dir damit die Hände einreibst, fasst du dir ga rantiert nicht ins Gesicht!« e. Maskentragen, z. B.: Polizeipräsident: »Wir haben jetzt einen Weg gefunden, die Gesichtsmasken zu wechseln.« Polizist: »Die Amerikaner haben uns doch gerade tausende Masken gestohlen« Polizeipräsident: »Macht nichts. …Müller wechselt mit Schmitt…Schmitt mit Mayer… Mayer mit …, darunter auch diverse Ausreden gegen Maskentragen, z. B.: Eine große Nase ist keine Ausrede dafür, keine Maske zu tragen. Ich trage schließlich auch Unterhosen.« f. Corona-Impfung, darunter: 11 S. Quellenverzeichnis am Ende des Beitrags. 12 Alle Beispiele werden in der Originalschreibung angeführt.
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Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit
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– Angst davor, z. B.: Max wird zum Arzt geschickt, die Mutter möchte dass er gegen den Coronavirus geimpft wird. Max fragt: »Was kostet die Coronaimpfung, Herr Doktor?« Der Arzt nennt den Preis. »In Ordnung«, sagt Max und zieht sein Sparschwein aus der Schultasche. »Ich biete Ihnen das Doppelte, wenn Sie mich nicht impfen.« oder: Der kleine Sepp muß zur COVID-19 Impfung (Coronavirus Impfung) »Na, Sepperl, weißt du denn auch, wogegen ich dich geimpft habe?« fragt der Arzt »Ja sicher – gegen meinen Willen!« – Reihenfolge beim Impfen, z. B.: Bitte nicht die Ärzte und Pflegekräfte zuerst impfen! Wenn‹s schief geht sind wir im Arsch! Nehmt zuerst Politi ker und Journalisten! Symptome der Ansteckung: a. Husten: »Eine Frau in der U-Bahn zu einem stark hustenden Mann: ›Corona?‹ – ›Nein, Marlboro.‹« (Unsinnige) Hamsterkäufe und Warenmangel: a. Übermäßiges Kaufen von bestimmten Waren, darunter auch Ethnowitze: »Was hamstern in der Corona-Krise die Italiener, die Franzosen und die Österreicher? – Die Italiener Rotwein, die Franzosen Kondome und die Österreicher Klopapier.« b. Übermäßiges Kaufen von Klopapier, z. B.: Der Coronavirus wird falsch behandelt. Es muss sich hier um eine Durchfallerkrankung handeln. Warum sonst brauchen die Leute so viel Klopapier? c. Klopapier als Mangelware, z. B.: Ostern. »Chef, Schokolade läuft im Geschäft zurzeit ganz schlecht.« »Okay Frau Müller, dann machen wir folgendes Angebot: …beim Kauf von 5 Osterhasen gibt es eine Klopapierrolle gratis« d. Unsinniges Kaufen von Klopapier, z. B.: Ich habe 30 Klopapier-Rollen eingefroren, soll bis zum Sommer reichen! oder Mama, wann ist die Coronakrise vorbei? Sei still und iss dein Klopapier!!! e. Kämpfe beim Einkaufen von bestimmten Waren, z. B.: Es gibt wieder neue Coronavirus-Opfer: drei getramppelte Rentner im Supermarket vor dem Makkaroni-Regal. Bau der sog. temporären Covid-Krankenhäusern von Chinesen; darunter wird zugleich auf stereotype Wahrnehmung von Chinesen eingegangen, z. B. auf ihre fleißige und schnelle Arbeit, wie im nachstehenden Beispiel: Eilmeldung: Die Baufirma, die das Krankenhaus in Wuhan gebaut hat, hat sich bereiterklärt, den Berliner Flughafen fertigzustellen. Sie haben zwei Termine vorgeschlagen: Dienstagnachmittag oder Mittwochvormittag. Durchführung in Corona-Tests und deren Ergebnisse, wobei in diesem Falle oft an bekannte Persönlichkeiten und deren Charakteristika angespielt wird, wie z. B. in folgenden Witzen über Donald Trump: Der Corona-Test von
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Donald Trump war negativ. Klar, oder gab es bei ihm schon mal was Positives? oder Das einzige Positive am heutigen Tag war mein Corona-Test. 6. Krankenbehandlung vom ärztlichen Personal und Personalmangel, z. B.: Telefon, Kranker wählt die Corona-Zentrale; Corona-Zentrale: »Bitte wählen Sie die 1 wenn Sie an Corona erkrankt sind.« Kranker: Wählt die 1; CoronaZentrale: »Sie werden in den nächsten 14 Tagen mit einem freien Mitarbeiter verbunden……………………………legen Sie nicht auf.« 7. Stärke des Corona-Virus; es werden hier Vergleiche mit bekannten und starken Personen gezogen, wie etwa mit Chuck Norris, die stärker als der Virus selbst sind, z. B.: Chuck Norris hatte Kontakt mit dem Corona Virus! Das Corona Virus muss jetzt für 14 Tage in Quarantäne. 8. Haltbarkeit des Coronavirus; dabei werden auch Stereotype von Chinesen thematisiert, wie z. B. die schlechte Qualität der in China produzierten Waren, wie z. B. im folgenden Witz: Der Corona-virus hält nicht lange:made in china. oder falsche Qualität, z. B.: Zum Glück kommt das Coronavirus aus China…, stellt euch mal vor, es wäre original! 9. Dauer der Pandemie, z. B.: Wenn wir dann zurück blicken auf Corona, werden wir uns lachend in den Armen liegen und sagen: »Da waren vlt. verrückte 12 Jahre!« 10. Verbreitung des Virus: Treffen sich die Spanische-Grippe und der CoronaVirus auf ein Bier. Sagt die Spanische-Grippe: »Ich habe 20 Millionen geschafft.« Sagt der Corona-Virus: »Vor 100 Jahren gab es noch kein Fernseher und Handy.« Man findet in dieser Gruppe auch Anspielungen auf bestimmte Stereotype, z. B.: »Was haben das Coronavirus und die Pasta gemeinsam? – Die Chinesen haben es erfunden, die Italiener verbreiten es auf der ganzen Welt.« oder den Ursprung des Virus, z. B.: Ein Löwe, ein Bär und ein Schwein stehen auf dem Weg. Sagt der Löwe: »Wenn ich brülle, hat der ganze Dschungel Angst!« Prahlt der Bär: »Das ist doch gar nichts! Wenn ich brülle, hat der ganze Wald Angst!« Sagt ein Chinese: »Ist ja beides gut! Aber wenn ich huste, hat die ganze Welt Angst!« 11. Folgen von Coronavirus: a. wirtschaftliche Krise infolge des Lockdowns, z. B.: Zwei in der CoronaKrise frustrierte Gastwirte unterhalten sich. Der Eine: »Hast Du Dir auch schon eine Pistole gekauft?« Der Andere: »Wovon denn?« b. Tod, darunter viele Versuche, durch Ironie und Distanz mit dieser Thematik fertig zu werden, wie etwa in den folgenden Witzen: Habe Corona in mein NAVI eingegeben. Navi: »Nach 500 m haben sie ihr Ziel erreicht. Der Friedhof liegt auf der rechten Seite.«, oder: Dank Corona habe ich jetzt meine Traumfrau mit den Maßen 90–60–40 gefunden. 90 Jahre alt, 60 Millionen auf den Konto und 40 Grad Fieber. oder: Wie nennt man es, wenn man einen 80-Jahre alten Mann mit auf eine Corona-Party nimmt?
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Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit
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Antwort: Aktive Sterbehilfe. oder katastrophale Bilder der Zukunft: In the year 2525: Kind: »Mama, wieso leben wir denn hier im Urwald«, Mutter: »Ja, meine kleine Corona vor 500 Jahren lebten hier Menschen, die fast alle an einem Virus gestorben sind und für jeden Toten wurde damals ein Baum gepflanzt.« In dieser Gruppe der Corona-Witze finden sich auch Anspielungen auf Religion: Wenn ich an Corona sterbe, möchte ich in Jerusalem begraben werden. Dort ist die Wahrscheinlichkeit einer Auferstehung am höchsten. c. Homeoffice / Heimarbeit, z. B.: Dank Corona bin ich auch im HomeOffice. Der Verkehr heute Morgen war fürchterlich. Dirk, Angestellter. oder: Haus total verwüstet!!! Abrissunternehmer hatte Heimarbeit verordnet. d. Reiseeinschränkungen, darunter: – Änderung / Einstellung der Urlaubspläne, z. B.: Nach einhergehender Diskussion in der Familie fahren wir dieses Jahr aufgrund der CoronaKrise nicht in den Urlaub. Meine Frau kümmert sich auch zuhause um meine Palme. – Besondere Regeln während des Urlaubs, z. B.: Camping-Regeln: morgens Fieber messen, mit Abstand frühstücken, mit Maske im CampingShop einkaufen, mit Schwimmnudel baden gehen, grillen und saufen verboten, 22 Uhr Nachtruhe. e. Onlinebanking: Endlich habe ich durch die Corona-Krise auch Onlinebanking. Jetzt kann ich mir rund um die Uhr ansehen, dass ich kein Geld habe.
6.
Schlussfolgerungen
Die oben präsentierten Corona-Witze zeigen nur einen geringen Teil deren hoher Produktivität samt Kreativität der Sprachbenutzer zur Zeiten der Pandemie. Der Phantasie der Menschen scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu werden. Man greift nämlich zu bekannten Motiven, passt alte und bekannte Witze an die aktuelle Situation an, reagiert mit Witz und Humor auf die sich schnell ändernde Lage. Man kann hier daher auf den folgenden Zusammenhang hinweisen: die pandemische Situation provoziert viele zum kreativen Umgang mit der Sprache, dessen Folge u. a. Witze sind, die in gewisser Hinsicht diese Lage dokumentieren. Bei Hodalska (2000b: 18) gelten sie als »depozytariusze zbiorowej pamie˛ci zarazy« (dt. »Depositäre des kollektiven Pandemiegedächtnisses«). In dem oben angeführten Katalog der Aspekte, die in den Corona-Witzen thematisiert werden, findet man fast alles, was die Pandemie-Zeit betrifft. Es ist erstaunlich, wie schnell Sprachbenutzer auf die sich doch dynamisch ändernde
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Joanna Szcze‚k
Wirklichkeit reagieren. Ein Beispiel dafür sind u. a. Witze über Impfungen gegen Coronavirus. In den angeführten Witzen findet man alte Motive, z. B. Tiere, denen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden, einen Katalog an stereotypen Vorstellungen von anderen Völkern, religiöse Motive u. a. Besonders interessant scheinen dabei Ethnowitze zu sein, darunter Witze über Chinesen, in denen man auf alte Stereotype anspielt. Es handelt sich dabei sowohl um positive Wahrnehmung der Chinesen, z. B. deren Fleiß und Schnelligkeit, als auch um deren negative Charakteristika, z. B.: schlechte Qualität der Waren, die von Chinesen produziert werden, was im Kontext mit Corona-Virus und dessen angeblicher Herkunft aus China paradoxerweise als eine positive Erscheinung gewertet werden kann. Es finden sich auch viele Witze, in denen bekannte Persönlichkeiten vorkommen, und auf deren Eigenschaften und Verhaltensweisen angespielt wird, wie Chuck Norris oder Donald Trump. Dabei geht es im Grunde genommen darum, die Pandemie-Situation dazu zu nutzen, nicht über CoronaVirus zu sprechen, sondern die stereotype Wahrnehmung von diesen Personen zu bestätigen, indem man ihre Verhaltensweisen und Reaktionen mit dieser Situation konfrontiert. Eine ganz besondere Gruppe bilden Corona-Witze, in denen der Tod als wahre oder künftige Folge des Corona-Virus betrachtet wird. Man versucht hier, es auf lustige Art und Weise zu trivialisieren, um mit dieser realen Bedrohung einen Modus Vivendi zu finden oder diese sogar zu umgehen zu suchen. Im Kontext der oben angeführten Beispiele scheint der Witz – hier CoronaWitz – als Medizin, das goldene Mittel zu sein, das dazu eingesetzt wird, mit dieser schwierigen Lebenslage fertig zu werden. In Anlehnung an ihre Untersuchung nennt Hodalska (2000a: 339) Corona-Witze im Hinblick auf ihre Funktionen zu Recht »tarcza antydepresyjna« (dt. Antidepressionsschild), was ebenfalls im Lichte des hier präsentierten Materials einmal mehr ihre volle Bestätigung findet.
Bibliografie Quellen https://schlechtewitze.com/coronavirus [Zugriff am 14. 05. 2021]. https://www.gute-witze.at/ [Zugriff am 14. 05. 2021]. https://vic.bg/Witze/coronavirus-witze-corona-witze [Zugriff am 14. 05. 2021].
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Lachen ist die beste Medizin, auch zur Pandemiezeit
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Sekundärliteratur Bennett, Mary Payne / Lengacher, Cecile (2006a): Humor and Laughter May Influence Health: II. Complementary Therapies and Humor in a Clinical Population. In: Evidencebased complementary and alternative medicine: eCAM, 3 (2), S. 187–190. Brzozowska, Dorota (2008): Polski dowcip etniczny. Opole: Wydawnictwo Uniwersytetu Opolskiego. Duden (2007): Das Herkunftswörterbuch. Mannheim et al.: Dudenverlag, Lemma Humor. Dundes, Alan (1987): Cracking Jokes: Studies of Sick Humor Cycles and Stereotypes. Berkeley: Ten Speed Press. Fischer, Kuno (1889): Über den Witz., o. O. Bodalska, Magdalena (2020): Korona-humor jako forma komunikacji i »tarcza antydepresyjna«. In: Cies´likowa, Agnieszka / Płaneta, Paweł (Hrsg.): Od modernizacji do mediosfery. Meandry transformacji w komunikowaniu. Kraków: Instytut Dziennikarstwa, Mediów i Komunikacji Społecznej Uniwersytetu Jagiellon´skiego. Hodalska, Magdalena (2020b): Internetowe z˙arty z pandemii koronawirusa w »zbiorowej pamie˛ci zarazy«. In: Kultura, Media, Teologia, 41, S. 7–37. Kuipers, Giselinde (2008): The sociology of humor. In: Raskin, Victor (Hrsg.): The Primer of Humor Research. Berlin / New York, S. 365–402. Lipps, Theodor (2005): Komik und Humor, o. O. Martin, Rod A. (2001): Humor, Laughter, and Physical Health: Methodological Issuses and Research Findings. In: Psychological Bulletin, 127, 4, S. 504–519. Morrow, Patrick D. (1987): Those sick Challenger jokes. In: Journal of Popular Culture, 20, S. 175–184. Röhrich, Lutz (1977): Der Witz. Stuttgart: J. B. Metzler. Sawtschenko, Juri (2000): Der Witz als Genere der kleineren Formen. Aachen: Shaker. Ulrich, Winfried (1980): Der Witz im Deutschunterricht. Braunschweig: Hahner V.-G. Ziv, Avner (1984): Personality and sense of humor. New York: Springer Pub. Co.
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Dominika Janus (Uniwersytet Gdan´ski, Gdan´sk)
Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes Irony and Joke in Polish Coronamemes
Abstract Avalanche of memes about Covid-19 is one of reactions on the Internet concerning the pandemics. The aim of this article is firstly to answer to the question how irony defined as indirect expressive speech act is present in the analyzed coronamemes. The second question to be answered is: what is the aim of irony as a means of expression leading to a comic effect. Namely, why one makes jokes about such serious problems like virus, illness or even death. The research corpus consists of 50 coronamemes which present prototypical textual-iconic compositions (Image Macros) coming from satirical Internet forums such as Imageboards Chamsko and Wiocha and Facebook page Sekcja Gimnastyczna. Keywords: meme, coronameme, irony, joke Schlüsselwörter: Internet-Meme, Corona-Meme, Ironie, Witz
1.
Einführung
1.1
Zur Meme-Definition
Es besteht kein Zweifel, dass die Covid-19-Pandemie als prägendes Ereignis des Jahres 2020 einzuschätzen ist. Eine der Formen, mittels derer auf eine neue Situation und mit ihr verbundene Ereignisse referiert wird, sind Internet-Memes. Als Kultur-, Text-, Internet- bzw. Online-Phänomene (vgl. Bülow/Johann 2019) bezeichnete Texte, die »mittlerweile eine wichtige Textform der Alltagskommunikation in den Sozialen Medien« (Bülow/Johann 2019: 7) geworden sind, geben sie nämlich »einen humorvollen, sarkastischen, skurrilen oder anderweitig bemerkenswerten Kommentar«1 zu aktuellen Umständen ab.
1 https://memestudies.wordpress.com/?fbclid=IwAR1z_n42BODGaUJI2llyyFvPB9-i6YXO26bq k2g1TjKZlFK1ZxQ9rnZv440 [Zugriff am 19. 10. 2020].
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Dominika Janus
Der Terminus Meme selbst wird divergierend definiert. In dem vorliegenden Beitrag wird auf die Herkunft des Begriffs2 sowie dessen exhaustive Definition verzichtet. Unter Internet-Memes werden hier nach Osterroth (2015: 33) »Sprache-Bild-Texte, deren Bedeutungsentfaltung durch kollektive (oft hyperbolisierte) Semiose stattfindet« verstanden. Der Forscher betont: »Die Grundlage jedes Memes ist stets ein Bild, entnommen aus der (Pop-)Kultur. Dieses wird mit sprachlichen Anteilen ergänzt, die teilweise zum Ursprung des Memes gehören (z. B. eine Filmszene), das Bild aber teilweise auch völlig neu transkribierbar machen« (Osterroth 2019: 44). Er verweist ferner auf die interaktive Dimension von Memes, die damit zusammenhängt, dass ein Sprache-Bild-Text erst dann zu einem Meme wird, wenn er von vielen Empfängern modifiziert und weitergeleitet wird. Als prototypisches Internet-Meme gilt ein Image Macro, d. h. »ein Bild mit darübergelegtem Schrifttext, der dem dargestellten Motiv einen zusätzlichen Sinn oder Affekt verleiht« (Moskopp/Heller 2013: 73; zit. nach Krieger/Machnyk 2019: 121). Bei Image Macros geht es also um multimodale3 Texte, in denen sprachliche und bildliche Elemente verknüpft sind und die einen prototypischen Aufbau aufweisen (vgl. Krieg-Holz/Bülow 2019: 91). In Bezug auf eine gegenseitige Abhängigkeit der bildlichen und der sprachlichen Ebene stellen Bülow/ Merten/Johann (2018: 11) Folgendes fest: »Die bildlichen Elemente evozieren das Auftreten bestimmter Sprachstrukturen, sie legen eine spezifische Verbalbetextung nahe, der verbale Bestandteil grenzt im Gegenzug das Spektrum an möglichen Lesarten ein.« Wenn es sich um die Struktur von Image Macros handelt, gilt hier als Grundlage ein unbewegtes Bild, das von schriftlichen Anteilen begleitet wird. Der sprachliche Teil, der sich im oberen Bereich des Bildes befindet, dient der »Eröffnung eines bestimmten semantischen Frames« (Osterroth 2015: 31). Der unten positionierte Teil enthält wiederum »ein[en] Twist oder die Pointe des Memes« (Osterroth 2015: 31). Bei thematischen Memes kann jedoch diese Struktur verändert werden. Der sprachliche Bestandteil befindet sich dann beispielsweise nur im oberen oder im unteren Bereich des Bildes (vgl. Bülow/Merten/Johann 2018: 2; Krieg-Holz/Bülow 2019: 91).
2 Dazu in Dawkins (1976), der den Terminus Meme prägte. 3 »Multimodalität bzw. multimodale Phänomene entstehen dabei aus der Interaktion verschiedener semiotischer Kodes (Kress und van Leeuwen 2001: 1f.).«, zit. nach Bülow/Merten/ Johann (2018: 12). Zur Multimodalität auch in Stöckl (2010).
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Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
1.2
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Zur Ironie in Internet-Memes
Auf den Zusammenhang zwischen Textfunktion und Ironie bzw. Witz4 verweist Osterroth, der überdies die Zugehörigkeit zur Textsorte Meme selbst als einen Ironiemarker5 ansieht: Memes können in der Kommunikation […] sehr variabel genutzt werden, um bestimmte Funktionen zu erfüllen. Diese Funktion hängt oft eng zusammen mit Ironie und Witz. Wenn Nutzer unernst oder ironisch gebrochen kommunizieren wollen, kann dies mit Memes sehr einfach erreicht werden, da die Textsorte zumindest andeutet, dass der Sender es nicht vollkommen ernst meint. (Osterroth 2019: 52)
Der Forscher (2019: 56) betrachtet Memes als ironische, expressive Sprechakte und beruft sich bei dieser Feststellung auf Schwarz-Friesel (2009), die wiederum Ironie für einen indirekten expressiven Sprechakt hält. Die Aufgabe der Ironie bestehe – so Schwarz-Friesel (2009) – v. a. darin, die emotive (negative oder positive) Einstellung des Sprechers zu einem bestimmten Thema auf einem indirekten Weg zu vermitteln. Die Forscherin lehnt damit die prototypische Definition der Ironie (vgl. auch Meibauer 22001: 28) ab, laut derer »der Sprecher mit einem ironischen Sprechakt das Gegenteil von dem meint, was er sagt, und dass mit Ironie in der Regel eine negative Bewertung vermittelt wird, die über eine konversationelle Implikatur vom Hörer zu erschließen ist« (Schwarz-Friesel 2009: 223). Für die Rekonstruktion des kommunikativen Sinns einer ironischen Äußerung sei also nach Schwarz-Friesel (2009: 230) nicht die kognitive Implikatur, sondern eine beim Hörer auszulösende Emotions-Implikatur, grundlegend. Weidacher (2019: 183) betont in diesem Zusammenhang, dass Ironie einer Äußerung »in einer Diskrepanz zwischen dem Gesagten und der divergenten Einstellung gegenüber dem Inhalt der Aussage […], die implizit kommuniziert werden soll« ihr Wesen hat. Die Annahme, Internet-Memes gelten als ironische, expressive Sprechakte, bedeutet also einerseits, dass ihre Emittenten eine humorvolle Ebene intendieren. Andererseits soll dieses Potenzial an Humor zugleich von Rezipienten identifizierbar sein. Osterroth formuliert diese Wechselrelation folgendermaßen: »1. Der Meme-Benutzer möchte, dass seine Einstellung erkannt wird. […] 2. Der Meme-Benutzer markiert, dass er seine Äußerung humorvoll meint. […] 3. Dies gelingt nur, wenn der Meme-Benutzer es mit einem kompetenten Rezipienten zu tun hat« (Osterroth 2019: 56). Der letzte Punkt bezieht sich auf das Problem der Ironieakzeptanz, was wiederum mit der emotionalen (vgl. Schwarz-Friesel 2009: 4 Der Unterschied zwischen Witz bzw. Humor und Ironie kann folgendermaßen erklärt werden: »Ironie [ist] keine Form von Humor, sondern eine Ausdrucksweise, zu deren Wirkungen auch die Erheiterung zählen kann, aber nicht muß […]« (Hartung 2002: 167). 5 Zum Terminus Ironiemarker in Wowro (2018: 127).
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230) bzw. sozialen Intelligenz (vgl. Osterroth 2019: 57) zusammenhängt. Es handelt sich dabei v. a. darum, dass ein Meme nur dann ein gelungener ironischer Sprechakt sein kann, wenn er von einem kompetenten Empfänger interpretiert wird.
2.
Analyse
2.1
Ziel und Korpus
Das Ziel der Analyse besteht in erster Linie darin, darzulegen, auf welche Art und Weise in den extrahierten Corona-Memes, als indirekte expressive Sprechakte, Ironie realisiert wird. Ironie wird dabei als Ausdrucksweise verstanden, die im Fall von Memes durch Wechselspiel von Sprache und Bild zu einem komischen Effekt führt. Darüber hinaus sollte der Frage nachgegangen werden, warum man ernsthafte Themen wie Virus, Pandemie, Krankheit und sogar Tod mit Witz begegnet und wozu der schwarze Humor6 dient. Es ist beispielsweise in diesem Kontext zu entscheiden, ob Ironie auch als eine Reaktion auf Bedrohung und Gefährdung anzusehen ist. Das untersuchte Korpus bilden 50 polnische Internet-Memes zur CoronaPandemie, die zwischen dem 26. 10. 2020 und 10. 11. 2020 gefunden wurden. Die extrahierten Corona-Memes entstammen zum größten Teil den Imageboards Chamsko und Wiocha sowie der Facebookseite Sekcja gimnastyczna, die alle einen satirischen Charakter haben. Bei der Auswahl der Memes war das thematische Kriterium – die Pandemie-Thematik – ausschlaggebend. Es wurden dabei ausschließlich statische Memes, die sprachliche Textbestandteile enthalten, berücksichtigt. Es handelt sich jeweils um Vertreter des Typs Image Macro, d. h. Einheiten, bei denen die Thematisierung eines Ereignisses ausschließlich durch Wechselbezüge der beiden Teile – der sprachlichen und der bildlichen zugleich – erfolgt. Wenn es um Bilder geht, enthalten die zu untersuchenden Memes Ausschnitte aus bekannten Filmen (z. B.: »Die Ritter der Kokosnuß«), Fernsehserien (z. B.: »Alternatywy 4«), Fernsehprogrammen (z. B.: »Zrób to sam«, »Studio Lotto«, »Die Muppet Show«), und anderen Medienmaterialien. Als bildliche Elemente gelten auch Fotos v. a. von Menschen.
6 Es handelt sich dabei um Humor, »bei welchem gemeinhin ernste Themen wie Krankheit, Verbrechen o. Ä. durch groteske Übertreibung oder verharmlosende Darstellung ins Lächerliche gezogen werden« (https://www.dwds.de/wb/schwarzer%20Humor [Zugriff am 12. 11. 2020]).
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Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
2.2
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Zur Ironie und Witz in den ausgewählten Corona-Memes
In diesem Abschnitt soll die Frage beantwortet werden, wie die Ironie als Ausdrucksweise in den ausgewählten Memes realisiert wird. Wenn es sich um die sprachliche Ebene handelt, wird u. a. auf Ironiemarker verwiesen, die hier nach Wowro (2018: 127) als »bestimmte, nicht obligatorische »sichtbare« Merkmale, die dem Rezipienten die Möglichkeit oder sogar Gewissheit geben (sollen), eine ironische Äußerung von einer nicht ironischen intuitiv als solche zu erkennen« verstanden werden. Darüber hinaus soll jeweils das Bedeutungspotenzial eines Bildes bestimmt werden. Einer detaillierten Analyse werden die ausgewählten Corona-Memes unterzogen, die die Krankheit Covid-19, die mit ihr verbundenen Artefakte und Umstände sowie die massive Zunahme an Todesfällen im Zusammenhang mit dem Coronavirus thematisieren. Ihre Identifikation ist mittels der Thema-Lexeme (z. B.: cmentarz [Friedhof], znicz [Kerze], zmarli [Verstorbene], zwłoki [Leiche], umrzec´ [sterben], (nie) doz˙yc´ [(nicht mehr) am Leben sein], karawan [Leichenwagen], trumna [Sarg], respirator [Beatmungsgerät]) möglich.
Abb. 1: »Widze˛ przed Toba˛« (https://memy.jeja.pl/235165,widze-przed-toba-swietlana.html) 7
Abb. 2: »Zaraz wiosna« (https://www.wykop.pl/tag/schopenhauer/; Autor: Pepe_Roni) Abb. 3: »Za rok be˛dziecie sie˛ s´miac´« (https://oaza-memow.pl/m/meme_YpWQ7IoDjPK Q6HiGUHj9XHEEo)
Die extrahierten Corona-Memes, die die Fotos Arthur Schopenhauers zum bildlichen Hintergrund haben, weisen alle die Form eines klassischen Image Macros auf. Es sei anzumerken, dass Schopenhauer, der sehr oft zum Protagonisten der Internet-Memes wird, als Philosoph des Pessimismus für die Pandemie-Thematik besonders geeignet ist. Der semantische Frame wird im ersten Meme (Abb. 1) mit einer Konstatierung Widze˛ przed Toba˛ ´swietlana˛ przyszłos´´c [›Ich sehe eine strahlende Zukunft vor dir‹] eröffnet. Als Twist des Memes dient wiederum eine Feststellung to chyba znicze… [›es sind wahrscheinlich Kerzen…‹]. Der ironische Effekt resultiert hier aus dem Wortspiel und der Spannung zwischen den Bedeutungsfacetten des Adjektivs ´swietlany. In der Kollokation 7 Alle Meme-Belege wurden zwischen dem 26. 10. 2020 und 10. 11. 2020 heruntergeladen.
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´swietlana przyszłos´c´ bedeutet dieses Adjektiv nämlich ›optimistisch‹8. Durch die Kollokation mit dem Nomen znicze, das in der Pointe des Memes erscheint, wird diese Bedeutung jedoch aktualisiert und in sein Gegenteil umgesetzt. S´wietlany bezieht sich hier auf ´swiatło, d. h. das Licht der Kerzen, die für einen Verstorbenen auf dem Friedhof für Verstorbene angezündet werden, und deutet damit auf eine pessimistische Leseart hin. Im Fall des Memes auf der Abbildung 2 weist der sprachliche Anteil (Zaraz wiosna, a ja mam newsa / wszyscy umrzemy na koronowirusa [›Es ist bald Frühling und ich habe News / wir werden alle am Coronavirus sterben‹]) eine Reimstruktur auf, was das komische Potenzial zusätzlich verstärkt. Die Pointe enthält das Verb umrzec´ (dt. sterben), das hier offensichtlich in Opposition zu der in normalen Umständen zu erwartenden und mit dem Frühling assoziierten Kollokation budzic´ sie˛ do z˙ycia (dt. zum Leben erwachen) steht. Wenn es um das dritte Schopenhauer-Meme geht (Abb. 3), wird hier der Frame durch die Konstatierung Za rok be˛dziecie sie˛ ´smiac´ z tego wirusa [›In einem Jahr werdet ihr über dieses Virus lachen‹] eingeleitet. Das Ironische des Memes besteht im Zusammenstoß dieser Feststellung – das Coronavirus sei nichts Gefährliches, etwas, das nächstes Jahr schon vorbei sein werde, also bagatellisiert werden könne – und der Pointe. Durch die Aussage Oczywis´cie nie wszyscy [›Natürlich nicht alle‹] wird nämlich eine pessimistische Vision (Schopenhauer!) dargestellt, dass die Covid-19-Pandemie viele Menschen töten wird.
Abb. 4: »Lubie˛ facetów« (https://jbzd.com.pl/obr/1312951/jak-ja-ich-szanuje)
Das nächste Corona-Meme (Abb. 4) basiert sprachlich auf einem Mini-Dialog zwischen einer jungen Frau und einem jungen Mann (A: Lubie˛ facetów, którzy sa˛ przewiduja˛cy i zawsze mys´la˛ do przodu. [›Ich mag Kerle, die weitblickend und immer einen Schritt voraus sind‹.] B: Mam szes´c´ karawanów i 700 trumien na 8 https://sjp.pwn.pl/slowniki/s´wietlany.html [Zugriff am 16. 11. 2020].
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Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
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magazynie. [›Ich habe sechs Leichenwagen und 700 Särge auf Lager‹.] A: Co? [›Was?‹] B: Co? [›Was?‹]). Das Gespräch wird mit einem Foto des sich unterhaltenden Paares illustriert. Das Ironische dieses Dialogs liegt in der Diskrepanz zwischen der zu erwartenden und der wirklichen Reaktion des Manns auf einen Wunsch der Frau, einen weitblickenden Lebenspartner zu haben. Sie rechnet nämlich nicht mit der Antwort ihres Gesprächspartners, die suggeriert, dass ein vorausschauender Mensch in der Corona-Zeit eine Bestattungsfirma führen sollte.
Abb. 5: »Wynos´cie zmarłych« (https://www.facebook.com/SekcjaGimnastyczna/photos/a.61427 2132073797/1578552375645763/)
Das Corona-Meme (Abb. 5), dem als bildliches Element eine Szene aus der Komödie der britischen Comedy-Gruppe Monty Python »Die Ritter der Kokosnuß« zugrunde liegt, betrifft die Präsidentschaftswahl 2020 in Polen. Der erste Durchgang war von der Regierung für den 10. Mai – ohne besondere Rücksicht auf die Pandemie zu nehmen – geplant, was einen heftigen Streit besonders seitens der Opposition und der Öffentlichkeit auslöste. Der schriftliche Anteil des analysierten Memes, das zu der Zeit entstand, als es noch nicht sicher war, dass die Wahl schließlich verschoben wird, hat die Form einer Imperativkonstruktion: Wynos´cie zmarłych i głosujcie w wyborach! Es handelt sich dabei um eine Anspielung auf den Aufruf Wynos´cie swoich zmarłych (eng. Bring out your dead), den in der Komödie der britischen Comedy-Gruppe der Totensammler an die Stadtbewohner richtet. Diesmal fordert der Protagonist, der als Vertreter der Regierungslinie anzusehen ist, dazu auf, die Toten hinauszutragen und mit abstimmen zu lassen. Das Ironische an diesem (politischen) Meme hängt damit zusammen, dass sein Emittent hier indirekt seine kritische Meinung gegenüber der Haltung der regierenden PiS-Partei, die Präsidentschaftswahl um jeden Preis zu organisieren, ausdrückt. Das Corona-Meme (Abb. 6), das das Foto des Präsidenten Polens Andrzej Duda enthält, ordnet ihm als Zitat einen Quasi-Kinderreim: Ja jestem Pan TikTok / Załatwie˛ wam mnóstwo zwłok [›Ich bin Herr Tik-Tok / Ich werde euch viele Leichen besorgen‹] zu. Bei der Interpretation dieser Konstruktion, besonders der
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Dominika Janus
Abb. 6: »Ja jestem Pan Tik-Tok« (https://www.wykop.pl/wpis/48390327/cenzoduda-heheszki-pol ska-gimbynieznajo-pdk/; Autor: Kempes)
Kontamination Pan Tik-Tok, bedarf es einer Erörterung von ein paar Anspielungen. Das Meme bezieht sich erstens darauf, dass Duda während des Wahlkampfs zum aktiven Nutzer der Tik-Tok-Plattform für Jugendliche wurde und mit dem Aufnehmen kurzer Videos anfing. Laut den Kommentatoren sollte der Schritt das Image des Präsidenten, der eine Wiederwahl anstrebte, aufwärmen und einen Kontakt zu jungen Wählern herstellen. Zweitens wird hier auf das ehemalige Fernsehprogramm für Kinder »Tik-Tak« hingewiesen, in dem eben Pan Tik-Tak [Herr Tik-Tak] als eine der Hauptfiguren auftritt. Mit der dem Präsidenten Duda zugeschriebenen Aussage, er besorge viele (Corona-)Leichen, nimmt der Autor dieses politischen Memes auf die von der PiS-Regierung verfolgte und vom Präsidenten unterstützte Politik hinsichtlich der Covid-19-Pandemie kritisch Bezug. Es wird nämlich ironisch suggeriert, dass Regierende die Kontrolle über die Epidemie verloren hätten, so dass eine massive Zunahme an Todesfällen zu befürchten sei. Der komische Effekt dieser Aussage wird durch die Verwendung des Reims zusätzlich verstärkt.
Abb. 7: »W dzisiejszym odcinku« (https://www.facebook.com/SekcjaGimnastyczna/photos/176 9706286530370) Abb. 8: »Doste˛p do respiratora« (https://chamsko.pl/104766/Juz_niedlugo)
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Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
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Das nächste Corona-Meme (Abb. 7) enthält das Foto von Adam Słodowy, dem ehemaligen Autor des Fernsehprogramms »Zrób to sam« [›Mach es selbst‹], das in der Zeit der Polnischen Volksrepublik Furore machte. Słodowy stellte darin vor, wie Werk- oder Spielzeuge aus leicht verfügbaren Abfällen bzw. Rohstoffen (z. B. ein Stück Sperrholz oder Blechdose) hergestellt werden können. Das Programm hat an Popularität gewonnen, weil in der damaligen Zeit viele Produkte nicht verfügbar waren. Der sprachliche Anteil des analysierten Memes (W dzisiejszym odcinku przedstawie˛ pan´stwu / jak samemu zbudowac´ respirator. [›In der heutigen Folge zeige ich Ihnen, wie Sie ein Beatmungsgerät selber bauen können‹]) kann ohne diesen historischen Kontext, aber auch ohne das Hintergrundwissen zur aktuellen Situation in Polen kaum erheiternd wirken. Es geht nämlich darum, dass in Bezug auf Verfügbarkeit der Beatmungsgeräte zwei extrem unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Laut der polnischen Regierung gebe es viele Respiratoren, die noch nicht im Einsatz sind. Nach Meinung der Journalisten herrsche jedoch in polnischen Krankenhäusern ein unübersehbarer Mangel an Beatmungsgeräten. Die Aussage, die Słodowy zugeschrieben wurde, ist als eine Ablehnung der optimistischen Einstellung der PiS-Regierung zu interpretieren. Der Meme-Autor kritisiert damit – mittels Ironie – die Aktivitäten des polnischen Staates in Bezug auf die Gesundheitssicherheit. Das gleiche Motiv – der Mangel an Respiratoren – thematisiert auch das Meme auf der Abbildung 8, das eine Szene aus dem Fernsehprogramm »Studio Lotto« enthält. Laut diesem Meme bedeuten gezogene Lottozahlen nicht Geld, sondern einen Zugang zu einem Beatmungsgerät (Doste˛p do respiratora wygrali pacjenci o numerach 4, 47, 345 i 675 [›Den Zugang zum Beatmungsgerät gewannen Patienten mit Nummern 4, 47, 345 und 675‹]). Der Emittent dieses Corona-Memes ironisiert dadurch ein ernsthaftes Problem des polnischen Gesundheitssystems und drückt seine kritische Haltung gegenüber dem Optimismus der Regierung aus.
Abb. 9: »Nie, nie planujemy zamykac´ cmentarzy« (https://chamsko.pl/104687/Cmentarze)
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Der Produzent des politischen Corona-Memes auf der Abbildung 9 schreibt dem amtierenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki eine Aussage zum Thema der Schließung von Friedhöfen zu Allerheiligen zu. Laut Morawiecki sollten Friedhöfe zu dieser Zeit wegen der Corona-Pandemie nicht geschlossen, sondern geöffnet werden. Der Emittent ironisiert diese Äußerung, was durch ein Wortspiel signalisiert wird. Es handelt sich nämlich darum, dass die Kollokation otworzyc´ cmentarze, die hier antonymisch zu zamykac´ cmentarze verwendet wird, doppeldeutig ist. Sie kann zwar darauf verweisen, dass die Tore der Friedhöfe geöffnet werden und damit Positives meinen. In der Aussage vom polnischen Ministerpräsidenten geht es aber darum, dass neue Friedhöfe gegründet werden, was offensichtlich massive Zunahme an Todesfällen, also Negatives, impliziert. Ein zusätzliches Humorpotential resultiert daraus, dass hier das Foto von Mateusz Morawiecki das Wissen über diesen Politiker und seine Rolle in der politischen Landschaft Polens aufruft. Der polnische Ministerpräsident gilt nämlich als derjenige, der sich selbst und der von ihm geleiteten Regierung alle möglichen Leistungen zuschreibt.
Abb. 10: »Ojcze, czy parafia jest przygotowana« (https://www.wiocha.pl/1615925,Kosciol-goto wy; Autor: thomaass)
Auf einer Doppeldeutigkeit und Spannung zwischen Positivem und Negativem beruht auch der ironische Effekt des Memes auf der Abbildung 10, das ein kurzes Gespräch zwischen einer alten Dame und dem Pater Tadeusz Rydzyk wiedergibt:
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A: Ojcze, czy parafia jest przygotowana na koronawirusa? [›Pater, ist die Pfarrei auf das Coronavirus vorbereitet?‹] B: Tak! Dokupiłem hektar cmentarza [›Ja! Ich habe einen Hektar des Friedhofs angeschafft‹]. Das ironische Potenzial dieser Äußerung liegt darin, dass eine positive Antwort eigentlich Negatives (Platz für neue Gräber, ergo neue Todesfälle) bedeutet. Nicht ohne Bedeutung für das Ironische des untersuchten Memes ist auch das bildliche Element. Das Foto von Tadeusz Rydzyk ruft hier nämlich sofort das Wissen über den Gründer und Direktor von »Radio Maryja« auf, der für seine Business-Aktivitäten bekannt ist.
Abb. 11: »W obecnych okolicznos´ciach« (https://www.facebook.com/SekcjaGimnastyczna/photo s/a.614272132073797/1771975602970105/) Abb. 12: »Ja panu powiem tak« (https://www.facebook.com/SekcjaGimnastyczna/photos/a.61427 2132073797/1761497700684562/)
Derselbe Ausschnitt aus der Fernsehserie »Alternatywy 4« – es geht um eine Szene der Unterhaltung zwischen Professor Da˛b-Rozwadowski und Majewski vel Gwizdecki – liegt den zwei extrahierten Corona-Memes (Abb. 11 und 12) zugrunde. In den beiden Fällen hat der sprachliche Anteil die Form des Gesprächsfragments, wovon die Phrase prosze˛ pana [›Herr‹] zeugen kann. Im ersten Meme (W obecnych okolicznos´ciach, prosze˛ pana, proponowałbym w tym roku nie ´spiewac´ »Last Christmas«. [›Unter den gegenwärtigen Umständen, Herr, würde ich vorschlagen, in diesem Jahr »Last Christmas« nicht zu singen‹.]) beruht die Ironie auf der Gegenüberstellung zweier Bedeutungen des englischen Adjektivs last, das im Titel des weltbekannten Weihnachts-Songs der britischen Band Wham erscheint. Auf der einen Seite bedeutet die Phrase last Christmas – und um diese Bedeutung geht es im Lied – ›letztes Jahr an Weihnachten‹. Auf der anderen Seite kann diese Phrase auch auf ›letztes Weihnachten vor dem Tod‹ hindeuten und eben um diese Interpretation handelt es sich in dem analysierten Corona-Meme. Im zweiten Meme (Ja panu powiem tak, prosze˛ pana. Polska nie jest w z˙ółtej strefie, tylko w czarnej dupie. [›Ich sage Ihnen so, Herr. Polen ist nicht in einer gelben Zone, sondern in einem schwarzen Arsch‹.]) wird der Witz mittels Ironie erzeugt, indem man zwei umgangssprachliche Phraseologismen (darunter ein vulgärer) mit Farbenbezeichnungen als Komponenten: byc´ w z˙ółtej strefie (wörtlich: in einer gelben Zone sein; ›sich in einem der vom Gesundheitsminis-
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terium eingerichteten Bezirke befinden, in denen die maßvollen Einschränkungen eingeführt wurden‹) und byc´ w czarnej dupie (wörtlich: in einem schwarzen Arsch sein; ›in einer hoffnungslosen Lage sein‹) zusammenstellt. Dies ermöglicht wiederum eine Kontrastierung zweier Perspektiven auf die aktuelle, mit der Pandemie verbundene Situation in Polen. Es geht nämlich um eine offizielle Perspektive und eine andere Sichtweise, die in der Alltagskommunikation präsent ist und die eine Unwirksamkeit staatlicher Maßnahmen hervorhebt.
Abb. 13: »Jakie masz plany na sylwestra?« (https://www.facebook.com/AnonimowyInternauta /photos/a.1796472883961401/2747196912222322/)
Die visuelle Ebene des nächsten Memes (Abb. 13) bildet ein Ausschnitt aus dem Fernsehprogramm »Die Muppet Show«. Es handelt sich um eine Szene, wo die zwei älteren Herren Statler und Waldorf ein Ereignis von der Loge aus beobachten und ironisch kommentieren. Diesmal fragt der eine den anderen nach den Silvesterplänen 2020: A: Jakie masz plany na sylwestra? [›Was hast du für Silvester vor?‹]. B: Doz˙yc´. [›Noch am Leben zu sein‹.]. Die Ironie wird hier durch den offenkundigen Widerspruch zwischen einer zu erwartenden Antwort (z. B. zur Silversterparty gehen) und der gegebenen Antwort (am Silvesterabend noch am Leben sein) erreicht.
3.
Fazit
Nach Marx/Weidacher (2014: 143) kann unter einem Internet-Meme »die humoristische/sarkastische Reaktion der Internetgemeinde auf ein (mediales) Ereignis« verstanden werden. Die analysierten Memes sind demgemäß als eine der Antworten des Hybridmediums Internet auf die vom Coronavirus verursachte Situation zu betrachten. Was zum memetischen Erfolg beiträgt, ist gewiss ihr komisches Potenzial. Der Witz resultiert wiederum aus der Ironie, die im extrahierten Material unterschiedlich realisiert wird.
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Die mit der Ironie zusammenhängende, expressive Funktion der analysierten Corona-Memes ergibt sich aus dem Zusammenspiel des Bildes mit der Beschriftung. Die bildlichen und sprachlichen Elemente werden nämlich jeweils aufeinander bezogen. Wenn es sich um die sprachliche Ebene handelt, werden das Ironische und dadurch das Humoristische v. a. dank dem Wortspiel erreicht. Der witzige Effekt beruht dann oft auf der Doppeldeutigkeit des gebrauchten Wortes und der Spannung zwischen Positivem und Negativem (z. B. ´swietlana (przyszłos´c´), last (Christmas), otworzyc´ (cmentarze)). Die Ironie resultiert auch aus der Diskrepanz zwischen dem Zu-Erwartenden und dem Gesagten (z. B. A: Lubie˛ facetów, którzy sa˛ przewiduja˛cy i zawsze mys´la˛ do przodu. B: Mam szes´c´ karawanów i 700 trumien na magazynie.; A: Jakie masz plany na sylwestra? B: Doz˙yc´.). Als sprachliche Mittel des Humoristischen gelten in den untersuchten Sprach-Bild-Texten auch Kontaminationen (z. B.: Pan Tik-Tok), umgangssprachliche, manchmal vulgäre Phraseologismen (z. B.: byc´ w z˙ółtej strefie; byc´ w czarnej dupie) und Fremdwörter (z. B.: last). Auch Zitate (z. B.: Wynos´cie zmarłych) und Reimstrukturen (z. B.: Zaraz wiosna a ja mam newsa / Wszyscy umrzemy na koronawirusa; Ja jestem pan Tik-Tok / Załatwie˛ wam mnóstwo zwłok) verstärken das komische Potenzial der analysierten Corona-Memes. Das Ironische wird – wie schon erwähnt wurde – nicht nur durch die sprachlichen Ironiemarker, sondern auch mittels der Zusammenwirkung der Beschriftung mit dem Bild realisiert. Nur als Ausnahme gelten nämlich im untersuchten Material die Memes, in denen der Hintergrund lediglich eine illustrierende Funktion hat (z. B. Abb. 4). In den meisten Fällen ruft das bildliche Element den Kontext des Internets-Memes auf, ohne den es nicht (ganz) verstanden werden könnte (z. B. Abb. 8, Abb. 9). Die in den analysierten Memes vorhandenen Ironie und Witz haben ihren tieferen Sinn. Der Humor gibt nämlich eine Möglichkeit, sich kritisch vom Thema der Covid-19-Pandemie zu distanzieren. Das Lachen hilft auch dabei, ein psychisches Gleichgewicht angesichts der potenziellen tödlichen Krankheit aufrechtzuerhalten: »In schwierigen, belastenden Zeiten können lustige Worte sehr auflockernd und entspannend wirken – man ist nicht alleine mit der Situation und es gibt Hoffnung. Humor ist ein Ventil, mit dem man sich den eigenen Druck erleichtern kann.«9. Der schwarze Humor ist damit als eine Abwehrreaktion auf Bedrohung und Gefährdung anzusehen. Da Corona-Memes bezüglich der aktuellen Situation und Meinungsbildung als relevante Kommunikationsform fungieren, kann vermutet werden, dass dank ihnen das mit der Pandemie verbundene Stressniveau mindestens zu einem gewissen Grad abgemildert wird.
9 https://www.hdm-stuttgart.de/view_news?ident=news20200404125927 [Zugriff am 23.11. 2020].
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Zu Ironie und Witz in polnischen Corona-Memes
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Anna Dargiewicz (Uniwersytet Warmin´sko-Mazurski, Olsztyn)
Was gibt es hier zu lachen? Zu Internet-Memes als Quelle des Humors am Beispiel von Corona-Memes What’s so funny about that? Internet Memes as a Source of Humour in the Times of the Pandemic Abstract For many people, online memes have already become an integral part of everyday communication on the Internet and thus also a part of the discourse taking place there. They take up various topics, including serious but rarely discussed, tabooed and/or sensitive issues. One such subject is the problem of the pandemic caused by the coronavirus SARSCoV-2. Metaphorically speaking, the coronavirus currently spreading around the world turned out to be so infectious that it boosted the creativity of millions of meme lovers. Research into the selected content of WhatsApp and Instagram has shown that the memes from the corona time are a very popular way of distancing oneself from the overwhelming reality. By referring to the virus and its consequences in a humorous way, the languageimage texts (Sprache-Bild-Texte – cf. Osterroth 2015: 33) become a sort of enclave or safe haven, enabling their recipients to briefly step out of everyday reality. Keywords: memes, humour, corona time, pandemic, coronavirus memes, laughter Schlüsselwörter: Memes, Humor, Coronazeit, Pandemie, Corona-Memes, Lachen
Humor ist die äußerste Freiheit des Geistes. Wahrer Humor ist immer souverän.1
1.
Einleitung
Internet-Memes sind für viele Menschen bereits ein fester Bestandteil der alltäglichen Kommunikation im Internet geworden und damit auch ein Teil des sich hier abspielenden Diskurses. Sie werden vorzugsweise durch viralen Marketing verbreitet. Memes werden nicht nur zu dem Zwecke verwendet, uns zum Lachen
1 Morgenstern, Christian: Stufen. Eine Entwicklung in Aphorismen und Tagebuchnotizen (Christian Morgenstern: München 1871–1914 Meran).
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zu bringen, sondern darüber hinaus immer häufiger auch für unterschiedliche politische Zwecke genutzt. Memes greifen unterschiedliche Themen auf. Darunter auch solche, die latente, tabuisierte, marginalisierte, ernste oder heikle Probleme betreffen. »All diese Themen werden in Memes mittels Humor aufgegriffen. Dadurch werden Dinge deutlicher benannt als im Ernst, klarer und überspitzt dargestellt. Gleichzeitig können aber auch ganz unterschiedliche Meinungen zu einem Thema zum Ausdruck gebracht werden. Memes liefern also andere, vielleicht sogar tiefere Einblicke« (Moebius 2018: 21) in bestimmte unsere Wirklichkeit betreffende Probleme. Der vorliegende Beitrag setzt sich zum Ziel, das Problem der Internet-Memes als Quelle des Humors am Beispiel der Memes aus der Zeit der Corona-Pandemie zu erörtern und dadurch zu einer noch präziseren Deutung des inspirierenden und von Wissenschaftlern bereits mehrmals aufgegriffenen Memephänomens beizutragen.
2.
Zum Begriff des Memes
Dem Begriff Meme (Plural: Memes) begegnet man seit einiger Zeit im Internet. In verschiedenen Sprachen klingt der Terminus ähnlich: mem2 im Polnischen, meme im Englischen, mème im Französischen, mem im Schwedischen, mem im Tschechischen. Die 27. Duden-Ausgabe (2017) verzeichnet den Begriff Meme noch nicht, im Online-Duden jedoch ist Meme (auch Mem, das) mit folgender Definition versehen: »(interessantes oder witziges) Bild, Video o. Ä., das in sozialen Netzwerken schnell und weit verbreitet wird«3. Die Definition des Memes von Wikipedia fällt folgendermaßen aus: Unter dem Begriff Meme ([…] Mehrzahl Memes) werden verschiedene Manifestierungen eines Kulturphänomens zusammengefasst, das sich durch das Verbreiten kleiner Medieninhalte mit einer meist humoristischen, aufheiternden oder manchmal auch satirischen und entsprechend gesellschaftskritischen Aussage kennzeichnet. Der Begriff kommt direkt aus dem Englischen für Mem, das einzelne sich perpetuierende Bewusstseinsinhalte bezeichnet. […] Memes tauchen in Form bewegter und unbewegter Bilder, Text, Video oder auch Audio auf, sie sind also nicht an einen bestimmten Medientyp gebunden. Memes werden meist über Internetplattformen wie Imageboards oder Videoportale, Chaträume, Internetforen, Messenger-Dienste, Soziale Netzwerke,
2 https://sjp.pwn.pl/sjp/mem;5579327.html: »chwytliwa porcja informacji, zwykle w formie krótkiego filmu, obrazka lub zdje˛cia, na którym umieszczono jakis´ tekst, rozpowszechniana w Internecie« [Zugriff am 31. 10. 2020] – eine einprägsame Information, meist in Form eines kurzen Films, eines Bildes oder einer Fotografie, auf dem ein Text platziert ist, der im Internet verbreitet wird (Übersetzung A.D.). 3 https://www.duden.de/rechtschreibung/Meme [Zugriff am 31. 10. 2020].
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E-Mail oder auch in physischer Form von Person zu Person weitergereicht und wandern daher unter teilweise anarchischen Zuständen immer weiter. Dabei werden sie in einigen Fällen weitermodifiziert oder mit anderen Inhalten kombiniert. Durch ihre virale Verbreitung in der Netzkultur werden Memes auch als Internetphänomen beschrieben.4
Die Urfassung des Meme-Begriffs – in Anlehnung an Gen – stammt von Richard Dawkins (1976). Nach ihm sind Memes Replikatoren kultureller Evolutionsprozesse, die als Informationseinheiten im Gehirn gespeichert sind: »Examples of memes are tunes, ideas, catch-phrases, clothes fashions, ways of making pots or of building arches« (Dawkins 1976: 206). Das neodarwinistische MemeKonzept von Dawkins wurde zum Ausgangspunkt für die Definierung der Internet-Memes, bei denen es um kulturelle Informationen geht, die sich ähnlich wie in der Genetik durch die Weitergabe von Mensch zu Mensch (vorwiegend durch Imitation) vervielfältigen (vgl. Johann 2018: 3). Dabei unterliegen sie – wenn auch nicht immer – einer Veränderung durch die Internetuser*innen. Inzwischen greifen verschiedene Disziplinen das Memekonzept auf, präzisieren es und entwickeln es weiter. In den sozialen Medien ist der Memebegriff überaus populär geworden und gilt als »eine Sammelbezeichnung für ganz verschiedene Phänomene, die sich auf Twitter, Facebook und anderen Plattformen verbreiten« (Johann 2018: 3). Davison (2012: 126) konstatiert folgendermaßen die Definierungsversuche des Memebegriffs: »The term ›meme‹ can mean almost anything.« Diese Feststellung öffnet ein unbegrenztes Feld für die Erforschung dieses Phänomens sowie seiner Wirkung durch die Wissenschaftler. Für Marx und Weidacher (2014: 143) ist »[e]in Internet-Meme […] die humoristische/ sarkastische Reaktion der Internetgemeinde auf ein (mediales) Ereignis«. Ihnen wird allerdings vorgeworfen, dass ihre Definitionen dem diffusen oder evolutionären Charakter der Memes nicht immer Rechnung tragen. Somit bleiben häufig die Memeexplikationen abstrakt und oberflächlich. Die diesem Beitrag zugrundeliegende Definition des Memes stützt sich vor allem auf die Definitionen von Shifman (2014a) und Osterroth (2015). Shifman (2014a: 41) definiert Internet-Memes als eine Gruppe digitaler Einheiten, die: a) gemeinsame Merkmale des Inhalts, der Form und/oder der Haltung aufweisen, b) mit dem Bewusstsein ihrer Koexistenz geschaffen werden und c) über das Internet durch viele Benutzer in Umlauf gebracht, imitiert und/oder transformiert werden. I define an Internet meme as: (a) a group of digital items sharing common characteristics of content, form, and/or stance, which (b) were created with awareness of each
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Meme_(Kulturph%C3%A4nomen) [Zugriff am 31. 10. 2020].
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other, and (c) were circulated, imitated, and/or transformed via the Internet by many users. (Shifman 2014a: 41)
Shifmans Definition ist anwendungsorientiert und bezieht sich nicht auf das inhaltliche Volumen des Memes. Osterroth (2015: 33) schenkt dem semiotischen Charakter von Internet-Memes Beachtung. Dadurch ergänzt er Shifmans Auffassung des Memebegriffs um einen sehr wichtigen Aspekt, nämlich um das visuelle Konzept. Internet-Memes vereinen optimal die bildliche und die sprachliche Kommunikation. Es steht längst außer Zweifel, dass die bildliche Kommunikation in den sozialen Medien deutlich an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Marx/Weidacher 2014: 177), wofür auch die Memes einen greifbaren Beweis darstellen. In dem Visuellen der Memes ist ihre Anziehungskraft verborgen. Memes sind nach Osterroth (2015: 33) eine Kombination aus Sprache und Bild. Sie sind »Sprache-Bild-Texte, deren Bedeutungsentfaltung durch kollektive (oft hyperbolisierte) Semiose stattfindet« (ebda). Für Osterroth sind Bilder der Popkultur, der Politik oder des Alltags, die von den Memegestaltern neu- oder reinterpretiert werden, Bestandteile der Memes (vgl. dazu auch Johann 2018: 5). Darüber hinaus ist nach Osterroth (2015: 28–31) wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Sprache-Bild-Texte, von ihm auch selbst Sprache-Bild-Konglomerate genannt (Osterroth 2020: 116), eine modellhafte Struktur aufweisen. Als Basis des Memes gilt das Bild, das von den Nutzenden mit zwei sprachlichen Bausteinen versehen wird. Den ersten Baustein, der meistens der Beginn eines »bestimmten semantischen Frames« ist, findet man im oberen Bereich des Bildes. Der zweite findet sich im unteren Bereich des Bildes und bildet meistens die Pointe. In den Sprache-Bild-Memes ist das Bild eine Art Schablone, eine Grundlage, die vor allem durch sprachliche Modifikationen uneingeschränkt um-, weiter- bzw. neukontextualisiert werden kann. Es gibt allerdings nicht nur sprachliche Modifikationen, es wird auch gern auf Fotomontagen zurückgegriffen. Sowohl das Bild als auch die textuellen Teile des Memes bilden eine Basis für seine Interpretation – man muss sie als komplexes Ganzes wahrnehmen. Der soziale und kulturelle Lebensbereich lässt sich zweifelsohne durch die wichtigsten Zeichensysteme – Sprachzeichen und Bilder – am besten vermitteln und begreiflich machen (vgl. Klemm/Stöckl 2011: 7). Durch Inkongruenzen, Gegensätze, Hyperbolisierung, Umkehrungen, Zuspitzungen, Kontrastierungen und Humor können wir in den Memes die Vorstellungen über die uns umgebende Welt auf sehr vielfältige Art und Weise und obendrein ausdrucksstark widerspiegeln. Memes eignen sich perfekt dazu, umgehend über die Wirklichkeit implizit oder explizit zu reflektieren.
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Zu Internet-Memes als Quelle des Humors am Beispiel von Corona-Memes
3.
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Humoristische Aussagen der Memes
Eines der Ziele der Memes ist es, die Menschen zum Lachen zu bringen. Sie dienen der Unterhaltung, wobei sie allerlei Themen anreißen, auch die sensiblen und die ernsten, die unsere Gesundheit, Sicherheit oder unsere Rechte betreffen. Humor ist ein konstitutives Element der Memes und er wird ins Zentrum der hier angelegten Untersuchung der Corona-Memes gerückt. Humor ist vornehmlich auf die Menschenwelt begrenzt. »Es gibt keine Komik außerhalb dessen, was wahrhaft menschlich ist« (Bergson 1972: 12, kursive Hervorhebung laut Original). Laut Zijderveld (1976: 21) ist Humor »ein Spielen mit kulturellen Sinninhalten«, wobei sprachliche, logische, emotionale oder einfach alltägliche Aspekte aufgegriffen werden. Damit bestimmte kulturelle Inhalte durch Humor an Bedeutung gewinnen, wird nach stilistischen Mitteln wie Übertreibung, Zuspitzung, Überspitzung und Umkehrung gegriffen. Dabei werden die jeweiligen Inhalte auf solche Art und Weise modifiziert, dass sie möglichst eindeutig von den Rezipienten interpretiert werden können. Für Berger (1998: 3ff.), der seine Ausführungen über den Humor und das Komische auf die Theorie von Alfred Schütz (1982) stützt, ist Humor eine Sinnprovinz, die ein kurzes Heraustreten aus der Alltagsrealität ermöglicht. Es ist eine Art Abstandnehmen von dem Realen. Es gibt im Leben der Menschen viele Gelegenheiten, aus dem Alltag auszubrechen, allerdings ist das nur ein vorübergehender Zustand, nach dem der Mensch in die Alltäglichkeit zurückkehrt. Der Mensch wird somit quasi mit zwei Welten konfrontiert, die sich aber nicht vollauf decken. Berger hebt weiter hervor, dass die Voraussetzung für das Heraustreten aus dem Alltag eine geteilte Wirklichkeitskonstruktion ist, d. h. ein gemeinsam geteilter Wissensvorrat über die dominante Alltagswelt, welcher Voraussetzung für das Verstehen von humoristischen Bemerkungen ist. Ohne das Wissen über die Alltagswelt, über das aktuelle Geschehen in der nächsten Umgebung, im eigenen Land, in der Welt ist man nicht imstande, die Anspielungen, die sich beispielsweise in den Memes verbergen, zu erkennen und zu entschlüsseln. Die Hauptfunktion des Humors besteht darin, den Menschen die eigene Vorstellung von der Wirklichkeit in einer spielerischen Weise darzulegen. Humor regt dazu an, die oft unbewussten Inhalte der Alltagserfahrung sowie ihre Lage in der dominanten Alltagswelt zu überdenken. Dieses Überdenken ist sehr wichtig, da es zur kritischen Reflexion über die gegenwärtigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und auch religiösen Verhältnisse führt. Die Wirkung von Humor wird oft marginalisiert und damit unterschätzt. Man ist sich dessen nicht bewusst, wie vorteilhaft es ist, Sinn für Humor zu haben. Dank der Reflexion, die beispielsweise durch in Memes versteckte humoristische Andeutungen hervorgerufen wird, kommt es nicht selten zur einleuchtenden Veranschaulichung bzw. zur Einstellungs-, Wahr-
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nehmungs-, Meinungs- oder Verhaltensänderung einem Phänomen gegenüber. Memes besitzen ein durchaus großes persuasives Potenzial eben durch ihren humoristischen Hintersinn, und sie sollten auch als solche beachtet und besprochen werden (vgl. Hartmann 2017: 32). »Humor als menschliche Fähigkeit, etwas mit ›heiterer Gelassenheit‹ zu sehen, hat eine zentrale Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen, ist als psychologisch und sozial relevantes Phänomen eine der facettenreichsten Erscheinungen menschlicher Kommunikation« (Hoffmann/Lercher/Middeke/Tittel 2008: III). Es ist etwas Außergewöhnliches, Phänomenales, etwas, was existenzielle Bedeutung hat, denn »nichts vermochte einen Menschen in solchem Maße instand zu setzen, Distanz zu schaffen zwischen irgendetwas und sich selbst, als eben der Humor« (Frankl 1994: 164). Im humoristischen Kontext erscheint Kritik an den Erscheinungen der uns umgebenden Wirklichkeit weniger verletzend. Humorverpackte Kritik wird größtenteils in einer entspannten Atmosphäre vorgebracht, was einen unschätzbaren Einfluss auf die kritikbedingte Reaktion hat. Man gewinnt dadurch einen gesunden Abstand zu dieser Kritik und unterbindet überemotionale Reaktionen. Sie wird auch mit mehr Gelassenheit aufgenommen, was allerdings nicht bedeutet, dass man sie nicht annimmt und nicht über sein Verhalten reflektiert. Humor- und Scherzaktivitäten bilden nicht nur einen signifikanten Teil der Alltagskommunikation, sondern sind auch ein kulturelles Phänomen, das einen hohen Stellenwert in der interpersonellen und interkulturellen Verständigung hat sowie Eingang in die literarische Kommunikation findet (vgl. Miller 2002: 57). Das begründet seine große Wirkungskraft und seine allgemeingültige Geltung. Was passiert, wenn Humor und sensible bzw. heikle Themen in Memes aufeinandertreffen? Wird dann immer noch gelacht? Ja, aber warum wird doch gelacht?
4.
Zur Analyse der Corona-Memes
Seit mehreren Monaten kämpft die Welt gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2. Es werden in allen Ländern strenge Auflagen eingeführt, die helfen sollen, die Infektionskurve von Corona abzuflachen. Sowohl die Pandemiesituation als auch die Anordnungen, an die sich die Menschen halten sollen, beeinflussen beträchtlich unseren persönlichen und beruflichen Alltag und sind Ursache für vielerlei Krisen und Probleme. Um Abstand von der erdrückenden Wirklichkeit zu nehmen, wird zu unterschiedlichen Mitteln gegriffen, wozu auch der Humor zu zählen ist, der eng mit dem Lachen verbunden ist. Lachen hilft häufig in schwierigen Situationen, was auch wissenschaftlich bewiesen ist. Es ist bekannt, dass beim Lachen Endorphine freigesetzt werden, wodurch die Ausschüttung des
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Stresshormons Adrenalin unterdrückt wird. Diese kurzfristigen Veränderungen im Hormonhaushalt können so stark sein, dass sie sogar zur Linderung von Schmerzen führen. Auch das Immunsystem wird durch das Lachen angeregt, was ebenfalls medizinisch bewiesen ist: Es werden dabei Antikörper gebildet, die unser Körper zum Schutz vor Bakterien und Viren nutzt. Somit hat Lachen wenigstens drei positive Auswirkungen auf unseren Körper: die Abwehrkräfte werden gestärkt, der Stresspegel sinkt und der Hormonschub verursacht Glücksgefühle.5 Dank des Lachens kann man sich folglich von der erdrückenden Wirklichkeit distanzieren – d. h. zumindest für einen Moment dem Alltag entfliehen. Die Memes eignen sich perfekt dazu, einfach mal durchatmen zu können und jemanden zum Lachen zu bringen. Das sich gegenwärtig weltweit ausbreitende Coronavirus inspirierte Millionen von Meme-Liebhabern, etwas Neues zu schaffen. Die durchgeführte WhatsAppund Instagram-Recherche hat bestätigt, dass die Memes in der Coronazeit eine äußerst populäre Quelle des Abstandnehmens von der überwältigenden Wirklichkeit sind. Obwohl das Coronavirus etwas Angstträchtiges ist, sind wir imstande, über die Corona-Memes zu lachen, die vor allem das Problem der sich ständig wechselnden, meistens immer härter werdenden Corona-Auflagen und die damit verbundenen und daraus folgenden Situationen thematisieren. Die Recherche hat bestätigt, dass es unzählige Memes gibt, die die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöste Pandemie problematisieren. Aus der Unzahl von betrachteten Corona-Memes wurden die 17 interessantesten herausrecherchiert, von denen die Autorin des vorliegenden Beitrags 11 Memes auswählte, anhand derer im Folgenden beschrieben wird, auf welche Art und Weise diese auf allen sozialen Medien »herumgeisternden« kleinen aufheiternden Sprache-Bild-Texte (vgl. Osterroth 2015: 33) über das Virus und seine Folgen berichten und uns durch den darin versteckten Humor ein kurzes Heraustreten aus der Alltagsrealität ermöglichen. Die meisten untersuchten Memes zum Virus stammen aus dem Instagram-Profil corona_memes_covid196. Das Profil ist mit dem für die Pandemiezeit charakteristischen Profilbild versehen: selbst Leonardo da Vincis Mona Lisa versteckt sich darauf hinter einer Gesichtsschutzmaske. Mit einer Prise Humor versteht jeder diese witzige Parodie, die durch ihr auffallendes Motiv an die Corona-Maskenpflicht in geschlossenen Räumen erinnert. Sogar die im Louvre ausgestellte wundervolle und schon seit mehreren Jahrhunderten bewunderte Mona Lisa kann – wenn überhaupt – während der Pandemie nur mit Maske bestaunt werden. Das Coronavirus, ein Erreger, der uns derzeit zum Zweikampf herausfordert, hat zur Modifikation der Ikone geführt. Wie es eben 5 Vgl. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/lachen/pwieistlachenwirklichges und100.html [Zugriff am 31. 10. 2020]. 6 https://www.instagram.com/corona_memes_covid19/ [Zugriff am 31. 10. 2020].
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das Virenschutzkonzept vorsieht, trägt Mona Lisa eine medizinische Maske. Eines der berühmtesten Bilder der Welt wird dadurch zum Zeichen der Pandemie. Die Verdeckung des außergewöhnlichen Lächelns von Mona Lisa, das vor allem über das Einzigartige des Werkes von da Vinci entscheidet, hat einen symbolischen Wert. Das geheimnisvolle Lächeln darf jetzt nicht bewundert werden. Das weltberühmte Kunstwerk erinnert uns an die Prioritäten dieser Zeit: Hände waschen – Abstand halten – Maske tragen. Es sind drei wichtige Dinge, die dazu beitragen, sich selbst und andere vor Covid-19, der durch ein Coronavirus verursachten Krankheit, zu schützen. Heute wird sogar der Kunst eine andere Rolle zugeteilt – Unterstützung im Kampf gegen die Corona-Pandemie durch Erinnerung an die Grundregel dieses Kampfes.
Abb. 1 – Mona Lisa in Maske – Quelle: Internet7
Das nachstehend zu untersuchende Meme ist schon ein richtiger Sprache-BildText. Das weltberühmte Kunstwerk Leonardo da Vincis wurde umbenannt, und die Dame mit dem rätselhaften Blick wird mit einer Gasmaske dargestellt. Aus der Mona Lisa wurde die CORONA LISA.
7 https://www.instagram.com/corona_memes_covid19/ [Zugriff am 31. 10. 2020]/ https://czlow iek.info/czy-maski-chronia-przed-zakazeniem-sars-cov-2/monalisa-w-masce/ [Zugriff am 21. 05. 2021].
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Abb. 2: Corona Lisa – Quelle: Instagram8
Nichts ist so, wie es vor der Pandemie war. Alles ist anders – sogar die Kunst. Die geheimnisvolle Dame sieht in der Gasmaske seltsam aus, aber auch wenn man darüber lacht, wird man den Gedanken nicht los, dass wir uns in der Coronazeit befinden – einer Zeit, in der nichts mehr normal ist, wie es früher war. Durch die witzige Einbeziehung der Kunstikone Mona Lisa in den Kampf gegen die Pandemie kommt die Hoffnung zum Ausdruck, trotz Quarantäne und der ganzen Absurdität der aktuellen Situation die Menschen mindestens ein wenig zum Lächeln zu bringen. Für die Gestaltung der Memes werden Motive ganz unterschiedlicher Natur verwendet. Oft werden dafür kulturelle Inhalte aufgegriffen und zum Gegenstand komischer Betrachtungen gemacht (vgl. Abb. 1 und 2). Sie werden zu diesem Zweck im unernsten Modus spielerisch verändert (vgl. Zijderveld 1976: 25ff.), wofür die Mona Lisa-Memes einen offenkundigen Beweis darstellen. Überdies verwendet man zur Gestaltung der Sprache-Bild-Konglomerate (vgl. Osterroth 2020: 116) Ausschnitte aus bekannten Filmen, Serien oder Zeichentrickfilmen. Es sind meistens Schlüsselstellen im Plot, besonders witzige oder tragische Momente, an die sich die Menschen problemlos, spontan und ohne viel nachzudenken erinnern. Sie dienen als Vorlage, die in einem humoristischen Kontext überarbeitet wird, damit sie auf alltägliche Situationen übertragen werden kann. »Hier wird Signifikanz also mithilfe der popkulturellen Referenz gewonnen und aufgrund der Rekontextualisierung in alltägliche Situationen ein humoristischer Gewinn erzielt« (Moebius 2018: 4). Anhand des untersuchten Korpus lässt sich allerdings schlussfolgern, dass sich die meisten Corona-Memes auf Alltagssituationen zurückführen lassen, Situationen, die allen Meme-Rezipienten bekannt sind, in deren situativen Rahmen sie sich direkt hineinversetzen können, 8 https://www.instagram.com/p/B9q1-AvKwm7/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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wodurch die Meme-Anspielung sofort und unproblematisch erkannt werden kann. Somit sieht die Reiseroute des Corona-Urlaubers folgendermaßen aus:
Abb. 3: Reiseroute 2020 – Quelle: Instagram9
Obwohl man traurig ist, dass der ›Urlaub 2020‹ kein richtiger Erlebnis- und Traumurlaub sein kann/konnte, kann man darin einen Grund zum Lachen finden. Ein Bild-Text-Meme mit klarer Botschaft: man kann sich nur solch eine Reise leisten, die in den herrschenden Pandemieverhältnissen realisierbar ist. Aus Verzweiflung, dass man keinen Abstand von der Wirklichkeit durch den richtigen Fernurlaub (Flugurlaub in ein fremdes Land) nehmen kann, versucht man durch das lustige Meme aus der Wirklichkeit herauszutreten und sich dadurch – wenn auch nur für eine kurze Weile – von der Realität zu distanzieren. Diese Distanz muss man sich unbedingt schaffen, damit die menschliche Psyche diese omnipräsente coronabedingte Belastung aushalten kann. Zur Wahl hat man Snapchat, Instagram, Twitter, YouTube, Netflix … – immerhin eine ganze Palette von Möglichkeiten, auch wenn es ein Teufelskreis ist. Der Vorteil dieser Flugreise ist unverkennbar: man kann sie zu Hause unternehmen. Die Homereise kann allerdings auch unerwartet enden:
9 https://www.instagram.com/p/B-HuGprHwKH/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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Abb. 4: Homereise – Quelle: Instagram10
Hier wird aus Verzweiflung gelacht, denn während der Frühlingsquarantäne 2020 haben sich die Menschen Vieles vorgenommen. Man dachte damals, dass man sich endlich erholen, seine Lieblingsfilme und -serien auf Netflix anschauen, anderen spaßbringenden Tätigkeiten nachgehen sowie die liegengebliebene Arbeit im Haushalt nachholen kann. Diese anfängliche Euphorie hat jedoch relativ schnell nachgelassen. Die folgenden Tage der Quarantäne haben gezeigt, dass sich die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu Hause schnell erschöpfen und schon bald Langeweile eintritt, wodurch die Energie und der Antrieb zum Wirken verlorengehen. Der symbolische 13. Tag der Quarantäne zeigt auf ironische, halt zum Lachen bringende Art und Weise, dass das, wovon man im Alltag oft träumt, d. h. lange Erholung, Entspannung, das Nichtstun, doch nicht das Wesen der menschlichen Existenz, des menschlichen Seins ist. Der Mensch braucht seine Alltagsroutine. Der gewohnte Alltag wird in solchen Situationen geradezu wieder herbeigesehnt, denn er bringt neue Ideen, neue Herausforderungen und Abwechslung mit sich. Die häusliche Quarantäne ist eine Schutzmaßnahme, die dazu beitragen soll, die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen und die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Sie engt aber auch den Menschen in seiner Freiheit ein und beschränkt seine Wirkungskraft. Isolation und soziale Distanzierung während der Corona-Krise führen dazu, dass die Menschen ihrer Kreativität auf unterschiedliche Art und Weise freien Lauf lassen. Die Räumlichkeiten der Wohnung/des Hauses werden so umbenannt, dass sie dem Wortklang nach an populäre Urlaubsziele erinnern. Trotz 10 https://www.instagram.com/p/B-W1WgCHvO4/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 15. 11. 2020].
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des Bewusstseins, dass man den exotischen Urlaub, auf den man das ganze Jahr über gewartet hat, vergessen kann, kann man über die lustig klingenden Namen der Wohnungs-/Hausräume lachen. Dank dieser originellen Bezeichnungen schafft man sich eine gesunde Distanz und nimmt Abstand von der CoronaRealität.
Abb. 5: Urlaubsziele 2020 – Quelle: private WhatsApp-Konversation
Es gibt viele Möglichkeiten, die Zeit zu Hause mehr oder weniger sinnvoll zu verbringen. Die der Reihe nach eingeführten und wieder abgeschafften CoronaAuflagen sind eine unerschöpfliche Quelle für die Meme-Gestalter. Eine der u. a. in Bayern11 und in Brandenburg12 eingeführten Auflagen bezieht sich auf Treffen und Feiern, die im privaten Umfeld stattfinden sollen. Daran durften je nach der jeweils aktuellen Verordnung mitunter höchstens 10 anwesende Personen zeitgleich teilnehmen. Durch das nachstehende Meme macht man sich darüber lustig.
11 https://www.onetz.de/deutschland-welt/bayern/bund-laender-treffen-10-personen-ab-6-jun i-moeglich-id3032172.html [Zugriff am 15. 11. 2020]. 12 https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/04/brandenburg -corona-massnahmen-lockerung-ausgang-kontakt-erlaubt.html [Zugriff am 15. 11. 2020].
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Abb. 6: Hier ist die Polizei – Quelle: Instagram13
Es ist eine ironische Anspielung auf die Kontaktbeschränkungen. Der CoronaBezug ist sofort spürbar, auch wenn hier kein einziges Element an das Coronavirus erinnert. Vermutlich war die 10-köpfige Gesellschaft zu laut und man hat sich nicht an die Vorschriften der Hausordnung gehalten, weshalb die Polizei informiert wurde. Den Polizeibeamten wird aber der Zugang ins Haus verwehrt, und zwar mit der Erklärung, dass dies ein Verstoß gegen die Corona-10-Personen-Regel wäre. Um darüber lachen zu können, muss man natürlich die sich ständig ändernden Corona-Auflagen kennen, auf dem Laufenden sein, da man ansonsten den humoristischen Hintersinn des Memes nicht enträtseln kann. Auf humoristische Art und Weise wird den Regierenden vorgehalten, dass die Corona-Maßnahmen nicht selten absurd und widersprüchlich, im Vergleich mit anderen vollkommen unlogisch seien14. Der erste Lockdown im Frühling hat dazu geführt, dass von vielen Menschen (oft in Panik) Vorräte angelegt wurden. Verkaufsschlager waren vor allem Lebensmittel, aber auch Wein, Medikamente oder Zigaretten. In vielen Ländern – auch in Deutschland – wurde vermehrt Toilettenpapier gehamstert. Das Toilettenpapier und auch alle anderen Hygienemittel, wie etwa Seife oder Desinfektionsmittel, wurden zu Defizitwaren. So beschäftigen sich zahlreiche Memes auch mit dem Toilettenpapier und bringen ihre Betrachter zum Lachen. Gleich danach, als man Schlange stand, um die begehrte Ware zu erwerben, war man imstande, über den Gesellschaftstrend zu lachen, was in schwierigen, belastenden Zeiten auflockernd und entspannend wirkt. In den Memes wird das Toilettenpapier u. a. zum exklusiven Geschenk erhoben:
13 https://www.instagram.com/p/CG0qTpJhDHE/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020]. 14 Vgl. dazu z. B. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-massnahmen-warum-wide rspruechlichkeit-okay-ist-a-8c293bad-9543-4560-a936-1fff9a03fe42 [Zugriff am 15.11. 2020].
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Abb. 7: Geschenk – Quelle: private WhatsApp-Konversation
Weitere Themen, die gerne von den Gestaltern der Corona-Memes aufgegriffen werden, sind die verhängten Ausgangssperren, die Zukunft mit dem Virus oder das geforderte »Social Distancing«. Soziale Distanz zu schaffen ist oberste Priorität im Kampf gegen das aktuell auf der Welt grassierende Coronavirus. Die Meme-Gestalter können uns jedoch durch ihre witzigen Wortspiele aus der Realität herausreißen und uns trotz der bedrückenden Probleme zum Lächeln bringen. Soziale Kontakte müssen eingeschränkt werden, wenn man allerdings – was das folgende Meme widerspiegelt – nur von asozialen Personen umgeben ist, hat man nichts zu befürchten. Gleichzeitig soll dieses Meme wohl auch eine kritische Einschätzung des Arbeitsstils in Großunternehmen sein.
Abb. 8: Soziale Kontakte – Quelle: Instagram15 15 https://www.instagram.com/p/CG-pCjyj-vJ/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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Die Corona-Memes erinnern uns auch daran, wie fest uns der Alltag im Griff hat. In der schwierigen Pandemie-Zeit muss man zu Hause bleiben, von Zuhause aus arbeiten und lernen. Trotz alledem muss man normal leben, lernen, arbeiten. Obwohl uns das Virus schwer zusetzt und unser Zuhause zu unseren Büros, Schulen und Universitäten wurde, müssen wir normal leben. Verändert hat sich einzig und allein, dass man vor der Pandemie das Haus verlassen konnte, um seinen Alltag zu leben, was danach häufig untersagt war. Unser Zuhause ist jetzt der Hauptort unserer Alltagstätigkeiten. Man ist hier gleichsam im Homeoffice gefangen und fühlt sich der Situation ausgeliefert. Um der häuslichen Monotonie zu entkommen und die Alltagsroutine nicht zu vergessen, ist es also ratsam, alle Tätigkeiten des gewöhnlichen Alltags auch zu Hause zu verrichten, um die Normalität aufrechtzuerhalten. Daran erinnern uns die sich über dominante Alltagssituationen lustig machenden Memes, die uns helfen, die angespannte Situation zu überstehen.
Abb. 9: Alltag – Quelle: Instagram16
In der Zeit der Corona-Pandemie wird man täglich mit Todeszahlen und drastischen Entwicklungskurven konfrontiert. Man hat Angst um die eigene Gesundheit sowie die Gesundheit und das Leben von Familienmitgliedern und Freunden. Oft ist man ratlos und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Memes – wie das nachstehende – können unsere Gespanntheit lösen und Stress, der oft Erkrankungen nach sich zieht, mindestens für eine kurze Weile erfolgreich ver16 https://www.instagram.com/p/B94k9iXK0-4/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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gessen lassen. Obwohl man von eigenem Alter nicht gerne spricht, kann man über das Telefon-Meme lachen. Die Anspielung auf das Alter ist hier sofort erkennbar. Nur Menschen in einem gewissen Alter – die zu der Corona-Risikogruppe gehören, für die die Infizierung mit dem Coronavirus schlimme Folgen haben kann – können sich wirklich noch an einen solchen Telefonapparat erinnern. Man betrachtet dieses Meme mit einem gesundheitsspendenden Lachen, obwohl man sich dessen bewusst ist, dass das Virus besonders für ältere Menschen gefährlich sein kann.
Abb. 10: Corona-Selbsttest – Quelle: Instagram17
Durch die zahlreichen humoristischen Anspielungen soll weder das Thema degradiert noch jemand lächerlich gemacht werden. Die für die virtuelle Kommunikation typischen Sprache-Bild-Texte stellen nichts mehr als einen Versuch der Auflockerung der angespannten Situation dar. 2020 ist ein Jahr, in dem in Tokio die Olympischen Sommerspiele 2020 stattfinden sollten. Wegen der sich seit dem Frühjahr 2020 weltweit ausbreitenden COVID-19-Pandemie wurde die Olympiade auf das Jahr 2021 verschoben. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Olympische Spiele außerhalb des althergebrachten üblichen 4-Jahres-Rhythmus angesetzt wurden. Eines der olympischen Symbole sind die olympischen Ringe, die 1913 von Pierre de Coubertin entworfen wurden. Fünf verschlungene Ringe in Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot auf weißem Fond symbolisieren die Universalität der olympischen Idee und die durch dieses Ereignis vereinten Kontinente sowie das friedliche Zusam17 https://www.instagram.com/p/B-eTs6VHuP1/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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mentreffen von Menschen aus aller Herren Länder. Laut Pierre de Coubertin, dem Schöpfer der olympischen Flagge, stellt sie die fünf Erdteile dar, die in dem olympischen Kampf vereint sind, und ihre sechs Farben symbolisieren die Farben unterschiedlicher Nationalfahnen der Welt. Nun ist aber auch dieses Symbol der internationalen Verbundenheit und der Einheit von der grassierenden Pandemie gezeichnet. Anstatt sich – wie im Falle der Olympiaspiele – zu vereinen, schließen die Staaten und Kontinente zur Zeit ihre Grenzen und sperren sich voneinander ab, um der Verbreitung des tödlichen Virus vorzubeugen. Die getrennten Olympiaringe – die auf einem der untersuchten Memes zu sehen sind – symbolisieren diese Unverbundenheit, den fehlenden Kontakt, was derzeit eben besser und sicherer für die Welt ist, wodurch hier die Einheit der Welt widergespiegelt wird. Die gemeinsame Entscheidung über das Verschieben dieses Weltereignisses ist Ausdruck großer Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Weltbürger. Die getrennten Olympiaringe sehen ungewöhnlich aus. Man hat den Eindruck, dass in die ästhetisch verbundenen bunten Ringe Chaos eingedrungen ist. Das Bild bringt so manch einen Betrachter zum Schmunzeln, von vielen wird es gelikt, viele bringt es zur Reflexion über das aktuelle Weltgeschehen. Lasst uns hoffen, dass sich die Ringe in einem Jahr wieder verschlingen und dass alles wieder zur Normalität zurückkehrt.
Abb. 11: Tokyo 2020 – Quelle: Instagram18
18 https://www.instagram.com/p/B-g-nAanRRa/?utm_source=ig_web_copy_link [Zugriff am 31. 10. 2020].
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Resümee
Humor- und Scherzaktivitäten machen einen beträchtlichen Teil der Alltagskommunikation aus. Immer mehr Studien beweisen, dass Lachen gesund ist. Es ist eine kostenlose Medizin, die frei von Nebenwirkungen und allen zugänglich ist. Die Auswirkungen des Lachens auf die somatische und psychische Gesundheit untersucht ein neues wissenschaftliches Fachgebiet, die Gelotologie. Hier gelangt man zu immer interessanteren Ergebnissen: Lachen unterstützt Heilungsprozesse im Körper; das Gehirn bremst beim Lachen die Produktion von Stresshormonen wie Adrenalin und Kortison; während des Lachens wird Serotonin – das Glückhormon – intensiv ausgeschüttet, so dass man sich besser, glücklicher fühlt; Lachen stärkt die Immunabwehr. Außer den physiologischen Auswirkungen des Lachens lenken die Wissenschaftler ihre Aufmerksamkeit auf Faktoren, die einen positiven Einfluss auf die menschliche Psyche haben: gemeinsames Lachen während des Jubelns nach einem Sieg in sportlichen Wettkämpfen ist ein offensichtliches Zeichen des friedlichen Miteinanders. Wenn man aber die heilsame Wunderwirkung des Lachens wirklich nutzen will, muss man bewusst Reize suchen, die zum Lachen anregen.19 Die Memes können zweifellos als solche Reize aufgefasst werden. In der die Psyche belastenden und oft zu Depressionen und Angststörungen führenden pandemischen Wirklichkeit existieren die Memes wie Enklaven innerhalb der Alltagswelt. Obwohl die Reaktionen der Menschen auf diese humorvolle Verquickung von Text und Bild unterschiedlich sein können, wird durch sie der Ernst der pandemischen Lage nicht verkannt. Die nur bestimmte Aspekte der Pandemie aufgreifenden lustigen Memes sollen das Problem nicht degradieren oder jemanden auslachen. Sie spenden der unter den Folgen der Pandemie leidenden Gesellschaft neue Abwehrkräfte, Auflockerung der angespannten Situation. Kurz und gut: sie sollen uns helfen, nicht zu verzweifeln! Ihr humoristischer Hintersinn wirkt wie ein Ventil, das den Druck begrenzen oder regeln kann. Natürlich reagiert jeder auf eigene Art und Weise auf die auf die online wie offline gebrachten Bilder. Es kann nicht behauptet werden, dass alle Memes jedermann sofort zum Lachen bringen. Allerdings muss man Berger (1998: 217) beipflichten, dass die Memes die nunmehr gewohnte Erfahrung des Alltags abwechseln. Das Komische darin erscheint wie ein Refugium, das unerwartet wie gerufen kommt (vgl. Berger 1998: 217), wodurch die für die gesunde Psyche und den gesunden Körper erforderliche Distanz geschaffen werden kann. Und diese Distanz muss es – wenn auch nur für kurze Momente – geben. Die Komik ist wie eine Waffe, mit der wir gegen die niederschlagende Wirklichkeit ankämpfen. 19 Vgl. https://www.welt.de/wissenschaft/article876622/Warum-Lachen-gesund-und-gluecklic h-macht.html [Zugriff am 18. 11. 2020].
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Waldemar Czachur (Uniwersytet Warszawski, Warszawa) / Marta Wójcicka (Uniwersytet Marii Curie-Skłodowskiej, Lublin)
Internet-Memes als eine multimodale Form humoristischer Weltaneignung. Eine Analyse am Beispiel deutscher und polnischer Memes zum Coronavirus Internet Memes as a Multimodal Form of Humorous Cultural Appropriation. An Analysis of Selected German and Polish Memes on the Coronavirus Abstract The aim of this paper is to reflect on selected covid memes as a multimodal form of world appropriation. The primary research question is how and for what purpose the coronavirus and the pandemic have at all come to be the subject of memes and what worldviews they happen to activate. Against this general background, some of the specific characteristics of Internet memes will be briefly discussed and mechanisms of humour generating, as found in the examined memes, will be explained. Furthermore, the context for the emergence of numerous covid memes will be revealed in order to analyze the multimodal effects of the comic in covid memes on the basis of some German and Polish examples. Keywords: Corona pandemic, internet memes, humour, comedy, multimodality Schlu¨ sselwo¨ rter: Corona-Pandemie, Internet-Memes, Humor, Komik, Multimodalität
1.
Einleitung
Das Virus COVID-19 veränderte radikal das individuelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche und auch politische Leben in unseren Gesellschaften1. Als große Gefahr für unsere Gesundheit und zugleich als große Unbekannte sorgte es auch für die Entstehung, Verbreitung und Etablierung zahlreicher Memes. Die Memes trugen auch zum öffentlichen Diskurs über die Pandemie bei, weil sie die Möglichkeit schufen, die Corona-Krise auf eine partizipative Art und Weise in (auch sprachübergreifenden) Online-Gemeinschaften zu kommentieren (vgl. Pulos 2020). Da aber Internet-Memes kulturelle und soziale Artefakte darstellen, mit denen humoristische Effekte erzeugt werden können und die dabei auch über ein 1 Ein Beleg dafür, wie diskursfördernd die Corona-Pandemie war, sind auch die Ergebnisse der Aktionen zu den Wörtern des Jahres in unterschiedlichen Ländern. Mehr dazu: Ronja, Walter u. a. (2021).
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großes Potenzial verfügen, durch die virale Verbreitung in einer Diskursgemeinschaft kollektive Bedeutung zu erzeugen, wurden sie – so unsere These – zu einem wichtigen gesellschaftlichen Mittel der humoristischen Weltaneignung. Vor diesem Hintergrund fragen wir in dieser Arbeit danach, 1) welche Aspekte von Coronavirus und Pandemie, die – objektiv gesehen – nicht Gegenstand von Komik darstellen, in Internet-Memes verspottet oder lächerlich gemacht werden sowie, 2) mit welchen multimodalen Praktiken die humoristischen Effekte in den Corona-Memes erzeugt werden. Bevor wir versuchen, die obigen Fragen zu beantworten, gehen wir kurz auf die Spezifik der Internet-Memes ein und erläutern ihr Potenzial, humoristische Effekte zu erzeugen (Kapitel 2). Im dritten Kapitel wird der Kontext für die Entstehung zahlreicher Covid-Memes beleuchtet. Im vierten Abschnitt versuchen wir anhand einiger deutscher und polnischer Beispiele die oben formulierten Fragen beantworten zu können. Auch wenn in dieser Arbeit deutsche und polnische Memes analysiert werden, so wird hier kein deutsch-polnischer Vergleich angestrebt.
2.
Internet-Memes aus der Perspektive der Humorforschung
Zunächst ist Folgendes festzuhalten: Der Begriff ›Internet-Meme‹ steht für ganz verschiedene Phänomene, die die User in ihren Online-Gemeinschaften auf Twitter, Facebook und anderen Plattformen verbreiten. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung unserer Arbeit betrachten wir Internet-Memes als multimodale Minitexte (vgl. Hausendorf 2009; Schmitz 2018; Wójcicka 2019; Czachur 2020), deren humoristische, satirische und auch oft gesellschaftskritische Bedeutung/ Funktion »durch kollektive (oft hyperbolisierte) Semiose« erfolgt (Osterroth 2015: 33) und sie damit eine gesellschaftliche Form der humoristischen Weltaneignung anbieten. Im Sinne von Dawkins gewinnen die Internet-Memes ihre Bedeutung im dynamischen und netzspezifischen Prozess der Variationsbildung, Koventionalisierung, Modifikation oder Transformation, die dann in Online-Gruppen über Internet sowie soziale Medien geteilt, verbreitet und damit auch kulturell tradiert werden. Ein memefähiges Artefakt (Bild) wird von Usern mit technischen Hilfsmitteln zu einem Bild-Makro, das durch wiederholtes Teilen in einer oder mehreren Online-Gemeinschaften semiotisiert wird, indem ihm sprachliche Elemente hinzugefügt werden. In diesem Prozess »löst [Sprache] […] die bildliche Polysemie nicht gänzlich auf, nimmt allerdings großen Einfluss auf den Sinnbildungsprozess bei der Rezeption. Der sprachliche Meme-Bestandteil
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kontextualisiert, er deutet die bildlich konstruierte Szene als eine spezifische und spielt mit der Erwartungshaltung, dem Vor- und Weltwissen der Internet-User« (Bu¨ low/Merten/Johann 2018: 11). Im weiteren Schritt kommt es zu Konventionalisierung, sodass Memes auch in den Meme-Generatoren für alle Benutzer*innen verfügbar sind. Als letzte Stufe in diesem komplexen Prozess gilt die Variationsbildung, wenn infolge der Konventionalisierung das Bild- bzw. Sprachelement verändert werden kann (vgl. Osterroth 2020: 119). Dies bezieht sich auch auf die Memes zum Coronavirus. Inhaltlich und funktional gesehen, greifen die Internet-Memes ein bestimmtes Ereignis aus dem politischen, kulturellen, wirtschaftlichen oder sozialen Leben wie z. B. die Pandemie auf und kommentieren es aus einer konkreten Perspektive u. a. mit dem Ziel, mittels multimodaler Sinnelementen humoristische Effekte zu erzeugen2. Die Erzeugung humoristischer Effekte3 in den Internet-Memes erfolgt vor allem durch den Einsatz der mutlimodalen Praktiken4 zur Herstellung von Widersprüchen bzw. Gegensätzen. Sie werden dadurch erzielt, dass der zweite Textteil den ersten in einer unerwarteten Weise sprachlich oder visuell fortsetzt, d. h. über ein bildliches Element wird oben ein Setup als Textteil gesetzt, das bestimmte Erwartungen hervorruft, die im unteren Teil des Memes in einem zweiten Textteil oder in dem Bild selbst gebrochen werden. Das mittels Memes erzeugte Komische besteht also darin, die Lächerlichkeit der politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Verhältnisse sichtbar zu machen und damit eine kritische Bewertung der Prozesse oder Sachverhalte vorzunehmen (vgl. Wawrzyniak 1999: 239; Szczepaniak 2002; Poprawa 2012; Jakosz 2019). Die humoristischen Effekte erlauben es auch, ganz im Sinne der Entlastungstheorie, Menschen zum Spielen oder/und zum Lachen zu bringen, um somit die schwer akzeptierbare Wirklichkeit in Frage zu stellen und eine gewisse Distanz zu gewinnen. Damit leisten die Memes auch einen Widerstand und erzeugen alternative Öffentlichkeiten (vgl. Hauser/Opiłowski/Wyss 2019). Diese Art des multimodal organisierten humoristischen ›Kommentierens‹ wird hier als perspektivierte Setzung von Wirklichkeit, also als Aneignung der 2 In dieser Hinsicht könnten die Internet-Memes hinsichtlich ihrer Funktionen und Sinnproduktion mit der Karikatur verglichen werden (vgl. Lüger 2017). 3 Wir verwenden die Begriffe »Komik« und »Humor« hier synonym, aber wir sind uns dessen bewusst, dass Komik von Dingen und Humor von Menschen herrührt (vgl. Trzynadlowski 1992: 82). Nach Eco (1986) besteht der zentrale Unterschied zwischen Humor und Komik darin, dass Komik auf dem Evozieren von Gegensätzen, Humor hingegen auf der gefühlsmäßigen Erfassung dieser Gegensätze beruht. Humor wäre demnach die Gefühlslage, die einen dazu befähigt, Komik zu erkennen (vgl. Kaindl 2008: 121). 4 Die multimodalen Praktiken werden als die systematische, absichtliche und zielgerichtete Koordination verschiedener semiotischer Ressourcen definiert, mit dem Ziel eine bestimmte Bedeutung in einem multimodalen Text, hier in Internet-Memes zu erreichen und damit auch unterschiedliche kommunikative Funktionen zu realisieren (vgl. Pappert/Czachur 2019).
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Wirklichkeit verstanden, denn es handelt sich dabei um einen Kampf um eine interessengeleitete Bedeutungsaushandlung. Die Weltaneignung wird zu einem kommunikativ und multimodal organisierten sowie wissenserzeugenden und wissensevozierenden Prozess, der im Rahmen von bestimmten diskursiven Weltbildern5 erfolgt. Wissen wird in dem Zusammenhang als kollektiv anerkannte Ressource, als kollektiv geltendes Überzeugungssystem verstanden. Durch die regelhafte Anordnung sprachlicher wie visueller (multimodaler) Sinnelemente, mit denen ein bestimmtes Ereignis, ein Sachverhalt oder eine Person perspektivisch kommentiert wird, werden Faktizitäten hergestellt, gerechtfertigt und distribuiert (vgl. Spitzmu¨ ller/Warnke 2011: 46; Felder 2013; Rybszleger 2016). Da für die Internet-Memes die Zirkulation samt den Variationen und Transformationen grundlegend ist, läuft der Aneignungsprozess jeweils dynamisch und zugleich auch weltbildorientiert ab, besonders dann, wenn es sich um politisch motivierte Internet-Memes handelt. Um es zusammenzufassen: Internet-Memes werden in dieser Arbeit definiert als multimodale Minitexte, die in Online-Gemeinschaften geteilt werden und mit denen humoristische Effekte als Sinnproduktion im Rahmen von bestimmten Weltbildern erzielt werden, um damit die schwer akzeptierbare Wirklichkeit in Frage zu stellen und eine gewisse Distanz zu gewinnen.
3.
Kontext: Corona, Pandemie und Lockdown als Auslöser der Memes
Der weltweite Ausbruch der Corona-Pandemie (COVID-19), einer neuen Krankheit, die wegen der hohen Infektiosität eine große Gefahr für die Bevölkerung darstellt(e), führt(e) in vielen Ländern der Welt zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie des Privatlebens zahlreicher Bürger. Diverse Staaten, darunter Polen und Deutschland, beschlossen restriktive Lockdown-Maßnahmen. Besonders in den ersten Wochen der Pandemie gingen 5 Der Begriff der Weltbilder steht in dem Zusammenhang für multimodal konstruierte und diskursiv erzeugte Deutungsmodelle und Ordnungsvorstellungen, durch die die Welt und die Menschen in den Internet-Memes sinnstiftend erklärt und verstanden werden sollen. Somit stellen Weltbilder perspektivisch organisierte und auch ideologisch motivierte Wissensrahmen dar, »die selbst nicht mehr begründet werden, sondern vor deren Hintergrund vielmehr Handlungen […] begründet werden« (Spieß 2011: 137). Daher haben wir es mit einem reziproken Verhältnis zu tun. Als Instrumente der Weltaneignung prägen die Weltbilder einerseits die Anschauungen und Überzeugungssysteme größerer oder kleinerer Gruppen über die Wirklichkeit und die Menschen. Andererseits fungieren sie als kollektive Wissensformationen, die die Grundlage für die interessengeleitete Aktualisierung und Neuformatierung der Sichtweisen auf die Wirklichkeit und die Menschen bilden (vgl. Czachur 2011; Pappert/Czachur 2019: 105).
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die Vorräte in den Geschäften zur Neige, von Lebensmitteln wie Nudeln über Toilettenpapier, Seife und Desinfektionsmittel bis hin zu Gesichtsmasken. Dienstleistungsbranchen wie Tourismus, Gastronomie oder Unterhaltungs- und Kultureinrichtungen stellten den Betrieb ein (und kamen nahezu zum Erliegen), Schulen und Universitäten wurden geschlossen und Kontaktbeschränkungen sowie Ausgangssperren für die Bevölkerung verhängt. Die Arbeit und der Schulunterricht wurden nach Hause ins Home-Office bzw. Home-Schooling verlegt. All dies regte die Aktivität der Bürger in den sozialen Medien an, die neue und äußerst ungewöhnliche Situation mittels humoristischer Internet-Memes zu ›kommentieren‹. Diese außerordentlich große, sprachübergreifende Produktivität dieser Memes ist auch ein Beleg dafür, dass die neue, unbekannte und skurrile Wirklichkeit mithilfe der Memes lächerlich gemacht konnte und damit auch in Frage gestellt werden sollte, um sie sich aus anderer Perspektive neu aneignen zu können. Die neue Perspektive manifestiert sich darin, dass die humoristischen Memes als Bewältigungsstrategie, als kollektiver Abwehrmechanismus einerseits Distanzierung, Beruhigung und Erleichterung, und anderseits auch Solidaritäts- und Gemeinschaftsbildung ermöglichen (vgl. Martin 2007; Ostrower 2018)6. Im Folgenden soll anhand einiger Beispiele aus Polen und dem deutschsprachigen Raum illustriert werden, welche pandemiespezifischen Themen/Aspekte zum Gegenstand der Memes gemacht wurden, mit welchen multimodalen Praktiken humoristische Effekte erzeugt werden und welche Funktionen diese Memes dabei erfüllen.
4.
Herangehensweise und Korpus
Die sog. Corona-Memes sind im Zuge der Corona-Pandemie entstanden und wurden in den Online-Gemeinschaften verbreitet. Somit könnte man diese Memes auch als Krisen-Memes bezeichnen, denn sie funktionieren, wie wir oben gezeigt haben, anders als andere Memes (vgl. Coombs 2010: 22). Die KrisenMemes entstehen meistens als Reaktion auf die Absurdität der Krise, auf die seltsame Art und Weise, wie eine Krisensituationen auf die Bürger wirkt und wie die Politiker sowie andere Entscheidungsträger mit der Krise umgehen, aber auch als eine menschliche Reaktion auf das Unbekannte und Beängstigende. Ohne die Krise, in unserem Fall die Corona-Pandemie, würden diese Memes 6 https://thefunnybeaver.com/21-funny-corona-memes/ https://www.insider.com/coronaviru s-memes-people-joking-about-covid-19-to-reduce-stress-2020-3; https://www.theatlantic.co m/international/archive/2020/04/humor-laughter-coronavirus-covid19/609184/; https://www. deadlinedetroit.com/articles/25078/covid_jokes_aren_t_quarantined_%E2%80%92_see_wha t_9_people_post_for_comic_relief [Zugriff am 13. 09. 2021].
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weder existieren noch sich so großen Beliebtheit erfreuen, wie es 2020 der Fall war. Die Corona-Memes als humorvolle Reaktionen auf diese weltweite Pandemie erwuchsen also unabhängig von Standort, Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht und/oder ideologischen Präferenzen. Vor dem Hintergrund der täglich steigenden Zahl von Infizierten und Todesopfern, der Ineffizienz der Gesundheitssysteme sowie erzwungener Ausgangsbeschränkungen, Quarantäne, aber manchmal auch grober politischer Ungeschicklichkeit reflektieren die Internet-Memes die Erfahrungen der Menschen und wurden so, wie wir bereits dargestellt haben, zu einem wichtigen Mittel der humoristischen Weltaneignung. Für die Zwecke der Analyse haben wir ein Korpus mit 80 Internet-Memes (40 in deutscher und 40 in polnischer Sprache) zusammengestellt, die im Zeitraum von März bis Oktober 2020 in beiden Ländern im Umlauf waren. Uns interessierten allerdings nur solche Internet-Memes, die multimodal organisiert waren, d. h. der Sinn sich aus dem Zusammenspiel der Sprache und des Bildes ergab. Ohne eine quantitative und vergleichende Untersuchung durchzuführen, konnten wir feststellen, dass in der ersten Zeit der Pandemie vor allem das Kaufverhalten Thema zahlreicher Corona-Memes waren. Weitere Themen waren der Verlauf sowie die Folgen der verhängten Ausgangssperren, Home-Office und Home-Schooling, übermäßiges Essen und Übergewicht, die erwartete Bevölkerungszunahme, aber auch das geforderte »Social Distancing« sowie die länderspezifischen Aussagen von bestimmten Politiker*innen (vgl. Pulos 2020; Dynel 2021). An einigen Beispielen der deutschsprachigen und polnischen Corona-Memes möchten wir exemplarisch aufzeigen, wie mittels multimodaler Praktiken in den Covid-Memes das Humoristische evoziert und damit auch die Wirklichkeit perspektivistisch konstituiert wird. Um diese Fragen beantworten zu können, werden wir die ausgewählten Memes hinsichtlich der drei Kriterien analysieren. Es handelt sich um die strukturelle Musterhaftigkeit, die multimodale Kohärenz sowie die kommunikative Funktionalität der jeweiligen Memes (vgl. Wójcicka 2019). Die strukturelle Musterhaftigkeit der Internet-Memes wird als eine syntaktische Kategorie verstanden und bezieht sich auf die Konstellation der sprachlichen und bildlichen Komponenten, wie der eröffnende sprachliche Teil oben, das Bild als Hintergrund sowie der zweite sprachliche Teil, meist ein Twist oder die Pointe des Memes unten. Die multimodale Kohärenz ist für den Sinnzusammenhang relevant und er wird hier als semiotischer Prozess verstanden, in dem humoristische Bedeutungen im Wechselspiel der sprachlichen und bildlichen Elemente durch die Kategorisierung und Selektierung von Sinnelementen erzeugt werden. Die multimodal organisierte Kohärenzstiftung wird allerdings im Rahmen von bestimmten diskursiven Weltbildern (vgl. Czachur 2011) realisiert und gilt als ein
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Prozess, der hauptsächlich auf der Intertextualität sowie Interbildlichkeit basiert (vgl. Opiłowski 2016) und damit einen (neuen) Sinn erzeugt. Auch aus diesem Grund können mit den Internet-Memes unterschiedliche kommunikative Funktionen realisiert werden, die wir ausarbeiten werden.
4.1
Exemplarische Analyse deutscher und polnischer Memes
Die ersten zwei zu kommentierenden Corona-Memes beziehen sich auf das schädliche Kaufverhalten von Panikka¨ ufer*innen in der Pandemie, das zu unnötiger Warenknappheit in den Geschäften führte. Neben einigen Lebensmitteln wie Nudeln, Mehl, Hefe, Zucker sowie Desinfektionsmittel wurden vor allem die Hamsterkäufe von Toilettenpapier in Polen und in Deutschland zum Gegenstand zahlreicher Memes.
Abb. 1: Hamsterkäufe von Toilettenpapier in Polen7
Abb. 2: Hamsterkäufe von Toilettenpapier in Deutschland8
Die obigen Memes (Abb. 1 und 2) zeigen zwei Gründe für den Hamsterkauf von Toilettenpapier. Das polnische Meme (Abb. 1) behandelt es scherzhaft als Zeichen eines anderen Krankheitsverlaufs als in anderen Ländern, wie aus der verbalen Ebene hervorgeht. In der Einführung steht die als These formulierte Aussage, dass sich das Coronavirus bei den Polen anders als bei den Italienern oder Chinesen auswirkt. Damit wird eine Spannung aufgebaut, die sich in der überraschenden Erklärung auflöst, dass bei den Chinesen und Italienern 7 https://m.demotywatory.pl/4981568 [Zugriff am 13. 09. 2021]. 8 https://debeste.de/120592/Die-deutsche-Festung-gegen-den-Virus [Zugriff am 13. 09. 2021].
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Schnupfen, Husten und Fieber als Symptome gelten, bei den Polen dagegen Durchfall. Damit wird der Bezug zum Thema des Bildes hergestellt. Somit dient das Bild als eine Illustration, führt aber auch in das Thema – Mangel an Toilettenpapier in Geschäften – ein, auch wenn es nicht verbalisiert wird. Im deutschen Meme (Abb. 2) wird dagegen das Klopapier als Heilmittel gegen Covid-19 behandelt, man kann daraus eine Festung zum Schutz vor der Pandemie bauen. In beiden Memes führt das Bild das Thema und der Text das Rhema ein. Der multimodale Text ist also ein humorvoller Kommentar zum sozialen Verhalten der Menschen, das der Situation nicht angemessen ist. Diese Memes verspotten die sozialen Skripte, die die sozialen Gruppen in der Vergangenheit (in Polen während der kommunistischen Zeit) im Zusammenhang einer ganz anderen Bedrohung entwickelt haben, und deren unreflektierte Übertragung auf den Zustand der Pandemie. Die Pandemie-Zeit wird als eine Zeit des Mangels an grundlegenden Mitteln konzeptualisiert. Ein weiteres Thema, das in den Covid-Memes eine wichtige Rolle gespielt hat, war die durch den Lockdown bedingte Aufforderung bzw. Anordnung der Regierungen, von zu Hause aus zu arbeiten. Somit wurde die Fernarbeit bzw. das Home-Office in beiden Ländern in den Memes aufgegriffen.
Abb. 3: Home-Office für Bademeister9
Abb. 4: Bademeister10
Dieses Phänomen wird in den beiden Memes (Abb. 3 und 4) veranschaulicht, die die Paradoxa der pandemiespezifischen Einschränkungen aufzeigen. Die Aufforderung zur Fernarbeit/Home-Office gilt nicht für jeden Beruf und für jede 9 https://kekememes.de/picture/home-office-fur-bademeister-153e98bX7 [Zugriff am 13. 09. 2021]. 10 https://memisko.pl/obrazek/1841/zostanwdomu [Zugriff am 13. 09. 2021].
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Situation. Die Komik beruht hier auf der Groteske, auf der Konstruierung des Widerspruchs zwischen der Aufforderung der Regierungen und der Praxis, dem Alltag bestimmter Berufsgruppen. In diesem Fall leiten die verbalen Elemente das Thema ein, nämlich die Fernarbeit der Bademeister, und die ikonischen Elemente das Rhema, d. h. ein Beispiel für die mögliche Umsetzung der Fernarbeit. Damit wird auch die Absurdität verdeutlicht, vor allem in der polnischen Variante, in der ein Dialog zwischen der Regierung (»Arbeitet von zu Hause«) und den Bademeistern (Ein tüchtiger Bademeister sitzt vor der Badewanne auf einem Hochstuhl) inszeniert ist. Neben Hamsterkauf und Fernarbeit wurde in den Memes auch das Verhalten der Menschen in der Pandemie als einer Zeit zahlreicher zwischenmenschlicher Kontakteinschränkungen lächerlich gemacht.
Abb. 5: Die Leute in der Quarantäne11
Abb. 6: Die Leute in der Quarantäne12
Die Memes (Abb. 5 und 6) zeigen soziales Verhalten, das der Pandemiesituation nicht angemessen ist. Sie basieren auf einem Vergleich des Verhaltens vor und während der Pandemie. Der Text hat eine delimitative Funktion, er kündigt den Inhalt an, den das Bild vermittelt. Zwischen ihnen besteht ein komplementäres Verhältnis: Einige Inhalte werden verbal realisiert (z. B. die Ankündigung, die Hinweise auf den situativen Kontext sowie auf die Zeit) – andere bildlich (das 11 https://memisko.pl/obrazek/1768/ludzie-normalnie-i-podczas-kwarantanny/ [Zugriff am 13. 09. 2021]. 12 https://debeste.de/124676/Die-Leute-normalerweise-W-hrend-der-Quarant-ne [Zugriff am 13. 09. 2021].
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Verhalten der Menschen). Die verbalen Elemente aktivieren die denotative Bedeutung und erfüllen damit auch eine einführende und kommentierende Rolle, während die visuellen Elemente die konnotative Funktion wahrnehmen. Ihre Kombination macht es möglich, die Gegensätze im sozialen Verhalten herauszustellen und sie gleichzeitig lächerlich zu machen, wobei hier durch die Bewusstmachung des unverantwortlichen menschlichen Verhaltens auch didaktische Zwecke erzielt werden. Genau dies wird auch in den nächsten Covid-Memes deutlich, die das Tragen von Schutzmasken zum Gegenstand haben.
Abb. 7: Maske richtig tragen13
Abb. 8: Maske richtig tragen14
Auch die obigen Memes kommentieren das soziale Verhalten während einer Pandemie. Mit den verwendeten Mitteln wird die überraschende Analogie zwischen dem Tragen einer Maske und dem Tragen von Unterwäsche verdeutlicht und die Inkongruenz zwischen dem normalen Zweck eines Objekts und seiner realen Verwendung durch die Menschen aufgezeigt. Beide Codes – Wort und Bild – treten in einer simultanen Relation auf, sie sind räumlich miteinander verbunden, sie bilden eine graphisch-perzeptive Einheit, sie ergänzen einander. Der verbale Code gilt als eine Art textueller Rahmen, er kündigt den Inhalt in den Bildern an. Das Bild ist der zentrale Teil des Memes – sowohl syntaktisch als auch semantisch. Das Bild, besser gesagt: die beiden Bilder von einem Mann mit einer Maske und in Unterwäsche tragen den eigentlichen Inhalt des Memes und sind letztlich auch ohne Worte verständlich. Die sprachliche Ebene unterstreicht die Analogien, führt allerdings keine neuen Inhalte ein. Es handelt sich um eine Relation, die als Elaboration bezeichnet wird. Das Komische entsteht hier durch den Vergleich einer Nase, die unter einer 13 https://demotywatory.pl/4997472/Nos-poprawnie-maske [Zugriff am 13. 09. 2021]. 14 https://kekememes.de/picture/ist-so-als-wenn-du-i-wurdest-du-die-deine-q13Mu2Pe7 [Zugriff am 13. 09. 2021].
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Maske hervorschaut, mit dem Glied eines Mannes, das unter seiner Unterwäsche hervorschaut. So wie eine derart getragene Unterhose ihre Funktion nicht erfüllt, ist eine Maske, die die Nase nicht bedeckt, nutzlos. Durch die Gegenüberstellung wird dieses Verhalten lächerlich gemacht, als sinnlos, ziellos, illusorisch hingestellt. Das letzte sprachliche Element ist die Aufforderung, die Maske richtig zu tragen. Das Humoristische, das hier auf dem Vergleich von bildlich aktivierten Assoziationen beruht, soll unangemessenes Verhalten in der Pandemie lächerlich machen. Der ikonische Code hat in diesen Memes eine humoristische Funktion, während der verbale Code eine didaktische Funktion aufweist. Beide Elemente erfüllen eine persuasive Funktion, nämlich eine Veränderung der sozialen Einstellungen und des Verhaltens.
5.
Zusammenfassung
Mit der exemplarischen Analyse ausgewählter Corona-Memes aus Polen und Deutschland sollte vor allem eruiert werden, welche Aspekte von Coronavirus und Pandemie in den Internet-Memes karikiert wurden, wie in den CoronaMemes humoristische Effekte erzeugt werden und im Rahmen welcher Weltbilder die Weltaneignung erfolgt. Die Covid-Memes, die einen durchaus sprach- und kulturübergreifenden, ja sogar universellen Charakter aufweisen, haben nicht das Virus selbst, sondern das soziale Verhalten der Menschen in der Pandemie zum Gegenstand. Die Krankheit selbst, ihr Verlauf und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit werden in den Memes weggelassen, verschwiegen, ganz im Sinne der These über die magische Funktion der Sprache (vgl. Kajfosz 2021). Der Ansatz knüpft an Annahmen der pragmatischen und konstruktivistischen Sprachtheorien an, die besagen, dass mit Sprache gehandelt wird und dass Sprache wirklichkeitskonstituierende Wirkung hat. In dem Zusammenhang wird Sprache zum Instrument der »Erzeugung von kollektiver Selbsttäuschung« im Sinne der »TarnkappenRhetorik« (vgl. Antos 2014: 96; auch Antos 2021). Wer Sprache verwendet, setzt auch Kräfte in Bewegung (vgl. Leeuw 1978: 448). Denn etwas zu benennen bedeutet auch, es zu beherrschen, es sich anzueignen. Wie Biegeleisen (1927: 241) immer wieder betonte: Ein ausgesprochenes Wort beschwört den Benannten und derjenige, der etwas bzw. jemanden benennt, erhält Macht über denjenigen, der benannt wird. Deshalb werden in der Volkskultur böse Geister und bestimmte Tiere, die mit ihnen in Verbindung gebracht werden, z. B. Hasen, Wölfe, nicht beim Namen gerufen. Das Weglassen von Covid-19 in Internet-Memes kann mit der unterbewussten Verdrängung der Bedrohung in Verbindung gebracht werden. Was sprachlich bzw. multimodal nicht konstruiert wird, existiert auch im kollektiven Wissens-
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vorrat einer Gemeinschaft nicht. Wie wir gesehen haben, konzentrieren sich die Corona-Memes daher nicht auf die mit der Krankheit selbst verbundenen Aspekte, sondern auf die Aspekte mit Bezug auf das soziale Verhalten als Reaktion auf die Pandemie, wie z. B. die Quarantäne, die Fernarbeit usw. In den CoronaMemes wird das Prinzip der Überlegenheit angewandt: Sowohl die Schöpfer der Memes als auch seine Empfänger können sich gegenüber dem komischen Subjekt, das das lächerliche Verhalten eines Teils der Gesellschaft darstellt, ebenso wie auch z. B. gegenüber den Politiker*innen, die die Pandemie nicht in den Griff bekommen, überlegen fühlen. Das Subjekt stellt sich selbst so dar, als könnte es nicht anders, jede Erscheinungsform der Seuchensituation nur kritisch zu bewerten. Die Corona-Memes bringen daher die Eigenschaften der menschlichen Natur zum Vorschein, die im Alltag verborgen sind oder von einer sozialen Gruppe nicht wahrgenommen werden, z. B. eine gewisse Trotzreaktion – wir wollen immer das, was wir nicht haben können. Sie beleuchten soziale Eigenschaften, wenn wir z. B. in einer bedrohlichen Situation kulturelle Skripte aktivieren, die aus der Vergangenheit bekannt sind, unabhängig davon, ob sie in der gegebenen Situation nützlich sind (z. B. Hamstereinkauf von Toilettenpapier). Die Memes zeigen auch den Prozess der Gewöhnung an die Pandemie-Situation – von der anfänglichen Ausgangsperre bis hin zur formalen Einhaltung der Regeln, was durch Beispiele im Zusammenhang mit dem falschen Tragen einer Maske veranschaulicht wird. Mit humoristischen Memes wird also die Bedrohung degradiert und auch eine Distanz zu den widersprüchlichen staatlichen/amtlichen Medienbotschaften hergestellt. Diese Distanz – erzielt mithilfe von Übertreibungen in Memes (z. B. eine Festung aus Klopapier), der Tabuisierung der Krankheit selbst, aber auch durch die Herstellung von absurden Vergleichen und Gegensätzen – soll im Sinne der Entlastungstheorie ein Gefühl der vermeintlichen Sicherheit vermitteln. Diese so konstruierte Distanz lenkt von der Gefahr ab und ermöglicht es, sich auf lächerliche soziale Verhaltensweisen zu konzentrieren. Aus diesem Grund gelten Corona-Memes als komplexita¨ tsreduzierendes und zugleich perspektivierendes Mittel der humoristischen Weltaneignung. Die Komik, die in Corona-Memes erzeugt wird, erfüllt unterschiedliche Funktionen. Die Memes, in denen die staatlichen Medienbotschaften lächerlich gemacht und die Widersprüche und Gegensätze aufgezeigt werden, haben eine kognitive Funktion, denn sie sollen zum Nachdenken über die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit bestimmter Prozesse und Sachverhalte anregen. Sie erfüllen darüber hinaus appellative Funktionen, wenn sie den verängstigten und verwirrten Zuschauern eine gewisse Portion Humor und Satire darbieten. Wenn etwa unverantwortliches soziales Verhalten (z. B. das unsachgemäße Tragen von Masken) lächerlich gemacht wird, haben sie ebenfalls eine didaktische Funktion. Gleichzeitig bringen sie durch Übertreibung ein Gleichgewicht in die Welt des
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Informationschaos, besonders zu Beginn der Pandemie. Wenn sich die Memes satirisch auf Handlungen der Politiker beziehen (z. B. Home Office für Bademeister), erfüllen sie eine meinungsbildende Funktion. Sie beeinflussen gesellschaftliche Bewertungen und Einstellungen, indem sie parodieren und mit einem Augenzwinkern Kritik üben. Dabei helfen die Memes, sich in einer neuen gesellschaftlichen Realität, in der nichts mehr nach den bisher bekannten und anerkannten Regeln funktioniert, zurechtzufinden und diese neue – sich ständig neu bildende – Ordnung zu bändigen, also die alternative Welt anzueignen.
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Marcelina Kałasznik (Uniwersytet Wrocławski, Wrocław)
Humoristisch über Ärzte – das Bild des Arztes in Internet-Memes Humorous about Doctors – The Image of the Doctor in Internet Memes Abstract The impulses that make one laugh can be very different and appear in different situations. The focus of this article is on Internet memes about doctors, which are used as a form of representation of the humour that affects the medical profession. Internet memes were chosen for the analysis because they are a relatively new, but at the same time rapidly becoming a popular phenomenon, the function of which is to convey certain content in a humorous or ironic manner. The aim of the article is to show which characteristics of the medical profession and which aspects of this work are presented humorously in Internet memes. Then an attempt is made to uncover the mechanisms with which the laughing effect is achieved. Keywords: Doctors jokes, internet memes, picture of doctor, humour Schlüsselwörter: Ärzte-Witze, Internet-Memes, Bild des Arztes, Humor
1.
Einführung
Lachen gehört zu natürlichen Verhaltensweisen des Menschen und zeichnet sich durch eine gewisse Polyfunktionalität aus. Worüber gelacht wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z. B. vom sprachlichen Wissen und Hintergrundwissen, von der Kultur, von den individuellen Eigenschaften eines Menschen usw. Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht der Humor über Ärzte in Form von Internet-Memes. Sie stellen ein relativ neues Phänomen dar (vgl. Johann/Bülow 2019: 13), dessen Funktion oft darin besteht, zum Lachen zu bringen, auf bestimmte Inhalte auf eine humorvolle Art und Weise aufmerksam zu machen oder sie ironisch und amüsant zu verpacken (vgl. Osterroth 2019: 52– 53, Leiser 2019: 239). Da es sich hierbei um multimodale Formate handelt, ergibt sich der witzige Effekt meist aus der Verschränkung von Sprache und Bild. Die Auswahl dieser Textsorte1 zur vorliegenden Analyse reiht sich in die aktuellen 1 Zu Internet-Memes als Textsorte vgl. Krieg-Holz/Bülow (2019).
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Tendenzen der linguistischen Humorforschung ein. Das Interesse der anfänglich auf Witze konzentrierten linguistischen Humorforschung verlagerte sich nämlich auf weiteren Etappen der Entwicklung dieser Forschungsrichtung auf andere »Aktivitätstypen des Alltagshumors« (Kotthoff 2018: 302). Diese werden unter Berücksichtigung pragmatischer und interaktionslinguistischer Ansätze theoretisch begründet und empirisch untersucht. Im Weiteren wird angenommen, dass Internet-Memes trotz ihrer besonderen Form, Gestaltungs- und Verbreitungsweise als Scherzaktivitäten betrachtet werden können, die folgendermaßen definiert werden: Sie [Scherzaktivitäten – M. K.] leben geradezu davon, mit etablierten Standards, Normen aller Art und Mustern zu spielen und zu ungewöhnlichen Assoziationen einzuladen, Erwartungen zu brechen, dann aber doch ›Sinn im Unsinn‹ herzustellen, wie Freud (1905/1985: 45) es genannt hat. (Kotthoff 2018: 302)
Eine Besonderheit von Memes ist, dass sie »grundsätzlich als eine Reaktion von Internetusern auf Ereignisse, Themen und Fakten aufzufassen« (Jarosz 2020: 50) sind. Wie es Jarosz (2020: 50–51) weiter ausführt: Sie [Memes – M. K.] spiegeln rezipierte Vorstellungen über die Welt, in der wir leben, auf eine sehr vielfältige, oft unerwartete, dafür fast immer auf eine kritische, witzige oder sogar sarkastische Weise wider. Dieses sekundäre Weltbild zeichnet sich durch einen weit gefassten Subjektivismus aus, der von zwei weiteren Komponenten, Humor und Stereotypen, die fest im Inhalt verankert sind, unterstützt wird.
In diesem Zusammenhang wird im Folgenden darauf abgezielt, anhand des Korpus deutscher Internet-Memes das damit vermittelte stereotype Bild des Arztes zu rekonstruieren. Das Ziel der Untersuchung ist zu zeigen, welche Merkmale des Arztberufes, welche Eigenschaften von Ärzten und welche Aspekte ihrer Arbeit humoristisch aufgearbeitet und interpretiert werden. Ferner wird versucht, die Frage zu beantworten, inwieweit die analysierten Sprache-BildGefüge als eine glaubwürdige Wissensquelle über den Arztberuf sind. Die Analyse verfolgt ebenfalls das Ziel, die Frage zu beantworten, wie der komische Effekt zustande kommt.
2.
Zum Phänomen Internet-Memes
Internet-Memes sind, wie bereits angedeutet, eine relativ junge Erscheinung, deren Verbreitung mit der Entwicklung des Internets und sozialer Medien verbunden ist (vgl. Johann/Bülow 2019: 13, 17). Obwohl es sich um ein verhältnismäßig neues Phänomen handelt, lassen sich in der Fachliteratur bereits viele
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Begriffserklärungen2 ermitteln, die einerseits die Mehrdimensionalität dieser Erscheinung widerspiegeln und andererseits auf die Notwendigkeit hindeuten, diese interdisziplinär und multimodal zu untersuchen. Osterroth (2015: 33) beschreibt Internet-Memes als »[multimodale] Sprache-Bild-Texte, deren Bedeutungsentfaltung durch kollektive (oft hyperbolisierte) Semiose stattfindet«. Der hohen Popularität von Internet-Memes liegt die Entwicklung von Web 2.03 zugrunde, die sich u. a. durch solche Merkmale wie Multimodalität, Intermedialität, aber auch Interaktivität, Vernetzung und Partizipation4 auszeichnet. In diesem Sinne entwickelt sich das Internet von einer reinen Informationsquelle zu einem Medium, an dessen Gestaltung sich alle Internetnutzer beteiligen können und das im Wechselverhältnis verschiedener Modi entsteht (vgl. Kilian/Hass/Walsh 2008: 4).5 Im Web 2.0 bekommen die Internetnutzer einerseits die Möglichkeit, Internet-Memes selbstständig mithilfe von Meme-Generatoren zu erstellen und diese via soziale Medien zu teilen. Andererseits ist es möglich, auf memetische Inhalte, die von anderen verbreitet werden, Bezug zu nehmen, zu reagieren und sie zu adaptieren (vgl. Merten/Bülow 2019: 196). Was die Gestaltung von Internet-Memes angeht, können sie aus verschiedenen Komponenten bestehen und die Form von Zeichen, Bildern oder Videos annehmen (Ciorli 2017: 1, in: Osterroth 2019: 43). Iluk (2014: 184) stellt diesbezüglich Folgendes fest: »In der Internet-Kultur zählt man zu Memes neben Kurzfilmen, Musikvideos, Animationen auch Bilder oder Fotos mit variierenden Auf- und/oder Unterschriften, die von Internetnutzern selbst erstellt und ins Netzt gestellt werden«. Im Folgenden wird die Aufmerksamkeit auf einen spezifischen Typ von Internet-Memes gerichtet, d. h. auf Image Macros. Dabei handelt es sich um »multimodale Texte, in denen sprachliche und bildliche Elemente verknüpft sind« (Krieg-Holz/Bülow 2019: 90). Image Macros charakterisieren sich durch eine prototypische Struktur, die sich gewöhnlich aus zwei sprachlichen Bestandteilen und einem statischen Bild zusammensetzt (vgl. Krieg-Holz/Bülow 2019: 91). Über dem Bild befindet sich die erste sprachliche Komponente, das Setup, mit dem ein semantischer Frame eröffnet wird (vgl. Osterroth 2015: 31, in: Krieg-Holz/Bülow 2019: 91). In Bezug auf das Bild lässt sich beobachten, dass es häufig Protagonisten mit auffällig ausdrucksstarker Mimik, Gestik oder Körperhaltung darstellt (vgl. Merten/Bülow 2019: 209). Unter 2 Zum Überblick über verschiedene Definitionsversuche von Internet-Memes vgl. Johann/ Bülow (2019: 16–17). 3 Zur Begriffserläuterung vgl. Runkehl (2012: 9). 4 Zu den Merkmalen von Web 2.0 vgl. Kilian/Hass/Walsh (2008), Pe˛dzisz (2017). 5 In diesem Kontext treten die folgenden Bezeichnungen auf, die das Wesen von Web 2.0 charakterisieren: »digitale Partizipationskultur« (Merten/Bülow 2019: 195), »Architektur des Mitwirkens« (Hinchcliffe 2006: o. S.), »Medium der Beteiligung« (Randow 2007, in: Merten/ Bülow 2019: 195).
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dem Bild ist die zweite sprachliche Komponente zu finden, d. h. die Punchline, die die Pointe enthält. Schematisch lässt sich der typische Aufbau von Image Macros wie folgt darstellen:
Sprache (Setup) Bild Sprache (Punchline)
Schema 1: Prototypischer Aufbau von Image Macros (Bülow/Merten/Johann 2018: 2, Osterroth 2015: 31, in: Krieg-Holz/Bülow 2019: 91)
Die schematische Darstellung der Struktur von Image Macros präsentiert ein Muster, dem häufig beim Erstellen von Internet-Memes gefolgt wird. Die bisherigen Analysen zeigen allerdings, dass hinsichtlich der Gestaltung von Image Macros ein gewisser Spielraum gelassen wird, weshalb das hier vorgestellte Schema auch variieren kann. Die Interpretation von Image Macros verdeutlicht, dass die beiden Elemente – Sprache und Bild – »eine holistische Gestalt« (Merten/Bülow 2019: 201) bilden. Es wird angenommen, dass sich die Gesamtbedeutung von Image Macros nicht aus einer einfachen semantischen Addition der Elemente – Sprache und Bild – ergibt. Vielmehr handelt es sich um einen emergenten Mehrwert, der sich aus dem Zusammenwirken der einzelnen Modalitäten ergibt (vgl. Merten/Bülow 2019: 201). Im Zusammenhang mit Internet-Memes ist nunmehr die Frage nach den Gründen deren Generierung und Nutzung von Bedeutung. Leiser (2019: 239– 242), die sich mit Nutzermotiven für politische Internet-Memes befasst, hat anhand von Umfrageergebnissen festgestellt, dass sich die Motive für die Verwendung von Internet-Memes um die folgenden Bereiche gruppieren: Unterhaltung, Self-Expression und Verbundenheit. Das Unterhaltungsmotiv stellt sich als relevant heraus, weil die spielerische Art der Aufbereitung schwieriger Themen diese zugänglicher macht (vgl. Leiser 2019: 239). Die Unterhaltung verbindet sich allerdings auch mit der Wissensvermittlung und -aneignung. Die Untersuchung von Leiser (2019) zeigt folglich, dass Internet-Memes Nutzer dazu veranlassen, »sich zusätzliches Wissen anzueignen« (Leiser 2019: 239). Der Meinungsaustausch mit anderen über Themen, die als interessant und aktuell empfunden werden, führt dazu, dass man sich im Voraus gründlich informieren
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möchte. Die zweite Gruppe von Nutzermotiven subsumiert Leiser (2019: 240) unter der Kategorie Self-Expression, wobei sie feststellt, dass diese besonders mit Erstellen und Teilen von Internet-Memes zusammenhängt (vgl. ebd.). Aufgrund der unkomplizierten Vorbereitung und Verbreitung von Internet-Memes können sie als Instrumente angesehen werden, mit denen man öffentlich seine Meinung zu einem bestimmten Thema zum Ausdruck bringen kann. Mit der letzten Kategorie von Motiven – der Verbundenheit – wird zum einen darauf verwiesen, dass Internet-Memes »gemeinschaftlich ausgehandelt werden« (Leiser 2019: 241) und somit »ein kommunales Verständnis für ein Konzept oder eine Situation« schaffen (ebd.). Zum anderen wird damit verdeutlicht, dass Internetnutzer mithilfe von Internet-Memes miteinander interagieren. Die Memes werden folglich geteilt, kommentiert, geliked usw. Leisers Auflistung (2019) der anhand der Umfrage ermittelten Nutzermotive kann noch um zwei Motive ergänzt werden. Internet-Memes werden oft dazu eingesetzt, um die Öffentlichkeit auf ein bestimmtes Thema aufmerksam zu machen und auf diese Art und Weise – häufig durch eine lustige oder ironische Aufbereitung – Impulse für die Diskussion darüber zu geben.
3.
Internet-Memes über Ärzte – Analyse des Materials
Das der Analyse zugrunde liegende Korpus von 20 Internet-Memes wurde unter Einbeziehung eines thematischen Kriteriums zusammengestellt. Untersucht werden nachfolgend Internet-Memes über Ärzte, die zwei Quellen entstammen. Erstens handelt es sich um die mehrsprachige Webseite Bored Panda6, die leichte und unterhaltsame Inhalte veröffentlicht. Zweitens sind die zusammengestellten Internet-Memes der Facebook-Seite Krankenhaus-Memes7 entnommen.
3.1
Einblicke in das Bild des Arztes in Internet-Memes
Bei der Analyse der Memes zeigen sich verschiedene Themen, auf die referiert wird, und verschiedene Situationen mit oder von Ärzten, die karikiert dargestellt werden. Die Auswertung des Materials ergibt sieben Kategorien, die im Folgenden genauer beschrieben werden.
6 Vgl. https://www.boredpanda.com/?utm_source=google&utm_medium=organic&utm_cam paign=organic [Zugriff am 31. 10. 2020]. 7 Vgl. https://www.facebook.com/memeskrank/?ref=page_internal [Zugriff am 31. 10. 2020].
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3.1.1 Empathiemangel von Ärzten Die erste unterschiedene Gruppe von Internet-Memes (Abb. 1–3) bilden solche, auf denen Ärzte im Moment des Gesprächs mit ihren Patienten abgebildet werden. Die sprachlichen Komponenten der Internet-Memes nehmen jeweils die Form kurzer Dialoge zwischen Arzt und Patient an und betreffen die Besprechung von Untersuchungsergebnissen oder die Mitteilung der Diagnose, die auf eine ernsthafte, lebensbedrohliche oder tödliche Krankheit referiert. Den Rahmen für den komischen Effekt im ersten Meme (Abb. 1) bildet die Frage des Arztes nach dem Sternzeichen der Patientin, die einen Bruch mit der Vorstellung von einem Arzt-Patient-Gespräch bedeutet und dadurch eine gewisse Spannung aufbaut. Die Antwort der Patientin lässt erst die Intention und Andeutung des Arztes verstehen. Die Komik entsteht daher durch die parallele Verwendung zweier Bedeutungen des Wortes Krebs8 in dieser Gesprächssituation und durch die Aktualisierung der Bedeutung von Krebs im medizinischen Kontext. Im zweiten Internet-Meme (Abb. 2) möchte sich der Patient bei dem Arzt nach den Ergebnissen seiner Untersuchung informieren. Die Frage des Patienten wird mit dem Satz Ich sterbe vor Neugier abgerundet. Der Sarkasmus dieses Beispiels entfaltet sich durch die Verwendung des Verbs sterben in seiner grundsätzlichen Bedeutung9 durch den Arzt. Der Patient hingegen verwendet es im übertragenen Sinne (›übermäßig neugierig sein‹). Der sarkastische Effekt ergibt sich hierbei somit aus der Konfrontation der wörtlichen und metaphorischen Bedeutung des Verbs sterben. In dem dritten Meme (Abb. 3) verschreibt der Arzt seinem Patienten Tabletten für den Rest seines Lebens, wobei der Patient merkt, dass es in der Flasche nur drei davon gibt, was von dem Arzt mit der lakonischen Antwort Ganz genau bestätigt wird. Betrachtet man diese Gruppe von Internet-Memes, lassen sie sich als Escheinungsformen von schwarzem Humor einstufen. Dabei wird schwarzer Humor als »die sarkastische Betonung des Absurden [verstanden], die uns lachen lässt, damit wir nicht weinen müssen« (Robinson 2002: 80). Bei den präsentierten Internet-Memes handelt es sich um die Tabuthemen Krankheit und Sterben, die normalerweise bei Menschen Furcht entfesseln und sie in Schrecken versetzen. Ihre Darstellung scheint allerdings so absurd zu sein, dass sie lächerlich sind. Aus den drei Beispielen für Internet-Memes ergibt sich außerdem das Bild eines emphatielosen Arztes, der offen eine gewisse Gleichgültigkeit dem Patienten und seinem Zustand gegenüber zeigt, was im Widerspruch zum Ethos des ärztlichen Berufes steht. Außerdem wird mit den Memes darauf hingedeutet, auf 8 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Krebs [Zugriff am 29. 05. 2021]. 9 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/sterben [Zugriff am 02. 11. 2020].
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Humoristisch über Ärzte – das Bild des Arztes in Internet-Memes
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welche Art und Weise Diagnosen übermittelt werden und Gespräche mit Patienten geführt werden. Der allgemeine Mangel an Mitleid manifestiert sich nicht nur an den ironischen Antworten der Ärzte in den kurzen Dialogen mit ihren Patienten, sondern wird auch deutlich durch die visuelle Komponente von Internet-Memes unterstützt. Anhand der Mimik von Ärzten kann festgestellt werden, dass die Arzt-Patienten-Gespräche in lockerer Atmosphäre verlaufen, was im Gegensatz zu ihrem Inhalt steht. Die Diskrepanz zwischen der bildlichen Komponente und dem eigentlichen Thema des Gesprächs verstärkt die Auswirkung dieser Memes.
Abb. 1. Meme Sternzeichen10
Abb. 2. Meme Ich sterbe vor Neugier11
Abb. 3. Meme Tabletten für den Rest des Lebens12
3.1.2 Ironische Haltung von Ärzten den Patienten gegenüber Auch in der nächsten Gruppe von Internet-Memes werden Ärzte im Moment des Gesprächs mit Patienten abgebildet, wobei diesmal eine ironische Haltung des Arztes seinem Patienten gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. Das vierte Bild (Abb. 4) stellt einen Arztbesuch von Eltern mit ihrem Kind dar, der wegen Hautausschlag stattfindet. Der Arzt sieht so aus, als ob er mit dem Zeigefinger über den Rücken des Kindes streichen würde. Die Unterzeile des Internet-Memes ist die Aussage des Arztes, die lautet: Wenn man die Masern verbindet, ergibt es »Meine Eltern sind Idioten«. Mit diesem Satz wird die Dia10 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/funny-doctors-medical-m emes-1014–5b508dd3ebd10__700ger-5b6800ce4ed2c__700.jpg [Zugriff am 31. 10. 2020]. 11 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-141-5b5715a5e6274__700ger-5b64658a91e15__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020]. 12 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-144-5b571ba942259__700ger-5b67f8753a53e__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020].
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gnose des Arztes zum Ausdruck gebracht, wobei diese in den Hintergrund rückt. Zentrale Bedeutung kommt dem Satz »Meine Eltern sind Idioten« zu, mit dem die kritische Haltung des Arztes den Eltern gegenüber geäußert wird. Indirekt bewertet der Arzt die vorausgesetzte Impfscheu der Eltern negativ. Um dies als Rezipient nachvollziehen zu können, muss das Wissen der Empfänger über die Infektionskrankheiten aktiviert werden. Das Visuelle in diesem Meme ist ein wichtiger Bedeutungsträger. Der auf dem Bild rot hervorgehobene Ausschlag des Kindes wird mit einer Malvorlage für das Spiel Punkte verbinden assoziiert, was den Anfang des geäußerten Satzes kontextualisiert. Im Falle des fünften Internet-Memes (Abb. 5) handelt es sich um ein Gespräch des Arztes mit einem übergewichtigen Patienten. Dem witzigen Effekt liegt wiederum die Mehrdeutigkeit des Lexems laufen zugrunde. Der Patient setzt das Verb laufen im Sinne von ›sich entwickeln‹, ›sich verbreiten‹ ein und der Arzt gebraucht es in seiner grundsätzlichen Bedeutung ›sich fortbewegen‹. Aus den dargestellten Beispielen ergibt sich ein Bild eines seinen Patienten kritisch eingestellten Arztes. Dem liegt zugrunde, dass Patienten selbst Entscheidungen treffen, die konkrete gesundheitliche Folgen haben. Sie wollen aber ihre Fehler im eigenen Verhalten sowohl vor sich selbst als auch vor dem Arzt nicht eingestehen.
Abb. 4. Meme Masern13
Abb. 5. Meme Übergewicht14
13 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-4-5b48939e9b321__700ger-5b6450f6acdda__700.jpg [Zugriff am 31. 10. 2020]. 14 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-100-5b4d903b1ee2c__700ger-5b645db47537d__700.jpg [Zugriff am 31. 10. 2020].
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3.1.3 Ärzte geben sich keine Mühe, Krankheiten zu heilen Die nächste Gruppe von Internet-Memes stellen solche dar, mit denen zum Ausdruck gebracht wird, dass sich Ärzte keine Mühe geben, Krankheiten zu heilen und dass sie sich im Prozess der Heilung nicht angemessen engagieren. Das letzte dieser Gruppe zugeordnete Meme verdeutlicht zusätzlich die Habgier von Ärzten. Im sechsten Meme (Abb. 6) erklärt der Arzt dem Patienten, dass er eine gebrochene Rippe hat, indem er auf das Röntgenbild hinweist. Im Weiteren teilt der Arzt dem Patienten mit, dass seine Rippe mit Photoshop repariert wurde. Die Komik, die durch die dargestellte Situation entsteht, wird dadurch verstärkt, dass statt des in diesem Kontext erwarteten Verbs operieren an dieser Stelle das ähnlich klingende Verb reparieren erscheint. Im siebten und achten InternetMeme (Abb. 7, 8) zeigen die Patienten, wo sie Schmerzen haben. Die Ärzte finden schnell eine Lösung, indem sie den Bedarf nach der ärztlichen Behandlung abschieben. Dadurch zeigen sie, dass sie das Problem der Patienten nicht ernst nehmen und nicht vorhaben, sich um ihre Heilung zu kümmern. Der Patient wird deprimiert. Im neunten Meme (Abb. 9) wird wiederum die schnelle Abfertigung des Patienten dargestellt, wobei zusätzlich der finanzielle Aspekt hinzukommt. Der Komik in allen dieser Gruppe zugeordneten Memes liegt der Überraschungseffekt zugrunde, der darin besteht, dass die erwartete Behandlung nicht stattfindet und der Patient schnell abgefertigt wird. Dieser Verblüffungseffekt wird durch die in angenehmer Atmosphäre gehaltenen Bilder unterstützt (Abb. 6–8). In dieser Gruppe der Internet-Memes handelt es sich um situative Komik, die mit bestimmten Erwartungen an Ärzte und ihre Tätigkeiten zusammenhängt. Die Konstellation der Akteure, ihrer Aussagen und die auf diese Weise entstandene Situation lassen beim Rezipienten Assoziationen mit einem Arztbesuch/Krankenhausaufenthalt entstehen, wobei die verblüffenden Antworten der Ärzte mit den allgemeinen Vorstellungen über die Ärztearbeit und über das ärztliche Ethos inkongruent sind. Die Kategorie der vier Internet-Memes präsentiert somit eine kritische und negative Haltung gegenüber dem Unterlassen der Behandlung durch Ärzte. Angeprangert wird, dass sich Ärzte nicht ernsthaft um die Gesundheit ihrer Patienten kümmern, sondern sie schnell loswerden wollen.
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Abb. 6. Meme Röntgen15
Abb. 7. Meme Schmerzen16
Abb. 8. Meme Weh17
Abb. 9. Quelle: Meme Chefarzt18
15 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/funny-doctors-medical-m emes-1008-5b507773b69e1__700ger-5b646d39519f6__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020]. 16 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-127-5b509a1fc7dcc__700ger-5b67fa14819c5__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020]. 17 https://www.memedroid.com/memes/detail/1869916 [Zugriff am 25. 10. 2020]. 18 https://www.facebook.com/Krankenhaus-Memes-383443708728214/photos/85693576471233 7 [Zugriff am 29. 05. 2021].
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3.1.4 Ärzte-Handschrift Mit diesem zehnten Meme (Abb. 10) wird auf das Stereotyp angeknüpft, dass Ärzte eine unleserliche Handschrift haben und ihre Notizen in vielen Fällen ein Rätsel sind. Bei diesem Meme kommt sowohl der visuellen als auch der sprachlichen Komponente eine große Rolle als Bedeutungsträgern zu. Das Sprachliche erlaubt nämlich, das Blatt Papier als Rezept zu betrachten, während das Visuelle die Handschrift präsentiert.
Abb. 10. Meme Schrift19
3.1.5 Patientenbetreuung durch Ärzte Den Hintergrund für das elfte Internet-Meme (Abb. 11) bildet das Bild von zwei lachenden Krankenschwestern. Die sprachlichen Elemente – das Setup und die Punchline – verdeutlichen, dass die eine Krankenschwester der anderen über ein Gespräch mit dem Patienten berichtet. Der witzige Effekt ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Verschränkung des Bildes der über das ganze Gesicht lachenden Krankenschwestern mit dem Text, der andeutet, dass der Patient 19 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/funny-doctors-medical-m emes-1009-5b507a949fe53__700ger-5b67fe9d3cf34__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020].
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absichtlich angelogen wurde und der Arzt überhaupt nicht beabsichtigt, zu ihm zu kommen. Im zwölften Internet-Meme (Abb. 12) wird wiederum darauf hingedeutet, dass Ärzte andere Handlungen vorziehen, als Patienten zu heilen. Dem komischen Effekt liegt der Text aus der Punchline zugrunde, in dem zwei Wörter langsam und Notfall vorkommen, deren Bedeutungsspektren sich auszuschließen scheinen. Beim Notfall im medizinischen Kontext handelt es sich um eine schwierige Situation, in der schnell und dringend reagiert werden sollte. Notfallstation in einem Krankenhaus ist insbesondere für lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen vorgesehen, was sowohl die planmäßige Annahme von Patienten als auch die langsame Vorgehensweise unmöglich macht.
Abb. 11. Meme Krankenschwestern20
Abb. 12. Meme Notfall21
3.1.6 Ärztliche Tätigkeit und ihr Einfluss auf andere Bereiche des Lebens Eine weitere Gruppe von Internet-Memes präsentiert, wie Ärzte verschiedene Handlungen ausführen, die nicht mit ihrem Job verbunden sind. Allerdings nimmt man an, dass der Beruf des Arztes einen Einfluss auf die Art und Weise der Ausführung bestimmter alltäglicher Tätigkeiten hat. Die beiden Memes werden mit einer wie-Phrase als Oberzeile eröffnet. Die Antwort auf die Frage nach der Art und Weise liefert das Bild bzw. die Bilder. Die Themen der Internet-Memes bilden Selfies (Abb. 13) und Musikhören (Abb. 14). Diese zwei Alltagsbeschäftigungen werden mithilfe bestimmter Geräte ausgeführt (Handy / MP3-Player), die allerdings mit anderen für den Arztberuf typischen Instrumenten (Röntgen, Stethoskop) ersetzt oder kombiniert werden. Der witzige Effekt ergibt sich im Falle beider Internet-Memes aus der Verwendung überraschender Lösungen, die 20 https://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/Funny-Doctors-MedicalMemes-146-5b57200d537ac__700ger-5b68002e4ba65__700.jpg [Zugriff am 25. 10. 2020]. 21 https://www.facebook.com/Krankenhaus-Memes-383443708728214/photos/83911106316147 4 [Zugriff am 29. 05. 2021].
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auf den Bildern zu sehen sind. Daher ist die Rolle von Bildern bei der Bedeutungskonstituierung der Ganzheit nicht zu übersehen.
Abb. 13. Meme Selfies22
Abb. 14. Meme Musikhören23
3.1.7 Der ärztliche Alltag in den Augen von Medizinern Die letzte Gruppe von Internet-Memes bilden solche, die die Reaktionen von Ärzten in verschiedenen kommunikativen mit ihrer Arbeit verbundenen Situationen darstellen. Aus der sprachlichen Gestaltung der Memes ergibt sich, dass sie von Ärzten für Ärzte erstellt wurden. Alle sechs nachfolgenden InternetMemes lassen sich als sog. when-Memes24 auffassen. Die Antwort auf die Frage, was passiert, wenn eine Situation eintritt, liefert in diesem Falle (wie bei der vorigen Gruppe der wie-Memes) das Bild. Was den Inhalt der Internet-Memes angeht, verdeutlichen alle dieser Gruppe zugeordneten Beispiele, dass der Arztberuf ein besonders schwieriger ist. Im fünfzehnten Internet-Meme (Abb. 15) kann man auf dem Bild Sylvester Stallone in seiner Rolle als Rambo erkennen, wobei diese fiktive Gestalt kein Gewehr in der Hand hält wie auf dem Originalbild, sondern einen hochgestreckten Damen zeigt (Zeichen für »alles ist in Ordnung« / »gut«). Durch die Verwendung dieses Helden der Popkultur in diesem Meme wird das vorausgesetzte Hintergrundwissen der Rezipienten über die Handlung des Actionfilms aktiviert, wodurch die Arbeit des Arztes mit dem Kampf gegen Schicksalsschläge assoziativ verbunden wird und somit der Arztberuf als eine schwere Arbeit konzeptualisiert wird. Im nächsten Internet-Meme (Abb. 16) handelt es sich um mögliche Reaktionen von 22 https://encrypted-tbn0.gstatic.com/images?q=tbn%3AANd9GcT00hi4TJhue4Pob4BQ9upU C1s5g1mLOFFYzg&usqp=CAU [Zugriff am 25. 10. 2020]. 23 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/561482164231233 [Zugriff am 25. 10. 2020]. 24 Vgl. hierzu Lou (2017).
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Ärzten auf den Dienstplan, wobei auf den Bildern Untersuchungen (Blutdruckmessen und Inhalation) sowie Anzeichen für verschiedene Beschwerden (Hals- und Herzschmerzen) präsentiert werden. Das nächste Internet-Meme (Abb. 17) stellt einen schick aussehenden Hund dar, der hierbei den Arzt symbolisiert. Er muss heute aber nicht arbeiten, sondern kann die ganze Situation ruhig aus einer sicheren Entfernung beobachten und seinen freien Tag genießen. Das nächste präsentierte Internet-Meme (Abb. 18) stellt den Schauspieler Hugh Laurie dar, der die Rolle des exzentrischen und eigenwilligen Dr. House in einer amerikanischen, international bekannten Fernsehserie spielte. Das Thema des Internet-Memes betrifft einen sich heutzutage immer häufiger abzeichnenden Trend, dass sich Patienten im Vorfeld eines Arztbesuches auf eigene Faust im Internet über ihre Symptome informieren und auf dieser Grundlage versuchen, eigenständig eine Diagnose zu stellen. Die Mimik der Fernsehserien-Figur präsentiert die Einstellung von Ärzten zu solchen Patienten. Ein weiteres InternetMeme (Abb. 19) bildet Robin Williams in seiner Rolle als Alan Parrish in dem Abenteuerfilm »Jumanji« ab. Das Bild des Mannes, der 26 Jahre zuvor in das Titelspiel gesaugt wurde und sein Leben seither im Dschungel verbracht hat, symbolisiert den Mediziner, nachdem er sich eine kurze Pause gegönnt hat und eingeschlafen ist. Im letzten dieser Gruppe zugeordneten Meme (Abb. 20) sieht man einen unsicher das Wasser betretenden Vogel, der in diesem Falle für den Arzt nach dem Urlaub steht. Auf diese Art und Weise wird darauf angeknüpft, dass Mediziner beim Betreten des Krankenhauses verunsichert werden und nicht wissen, was auf sie zukommt. Diese Gruppe von Internet-Memes zeichnet sich dadurch aus, dass sie insbesondere durch die Bilder als humoristisch wirken können.
Abb. 15. Meme Nachtdienst25
Abb. 16. Meme Dienstplan26
Abb. 17. Meme Freier Tag27
25 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/a.459607851085332/471435173235933/ [Zugriff am 25. 10. 2020]. 26 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/a.466638277048956/486304545082329/ [Zugriff am 25. 10. 2020].
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Abb. 18. Meme Internetrecherche28
3.2
Abb. 19. Meme Pause29
219
Abb. 20. Meme Nach dem Urlaub30
Text-Bild-Relationen in Internet-Memes
Bei Internet-Memes handelt es sich um Sprache-Bild-Gefüge, wobei die verwendeten Bilder grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt werden können (vgl. Weidacher 2019: 174–175): – die sog. Stock Character Macros, d. h. Bilder, die immer wieder für die Erstellung von Memes zu unterschiedlichen Themen gebraucht werden, z. B. Abb. 9, 12, 15, 18, 19, 20; – thematische Bilder, die direkt mit der angesprochenen Thematik des Memes (hier mit dem Arztberuf) zusammenhängen, z. B. Abb. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 11, 16, 17. Untersucht man Internet-Memes, so erweisen sich aufgrund ihrer Struktur die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Bild und speziell im Kontext dieser Analyse die Frage als bedeutend, welchem von diesen Bedeutungsträgern die größte Rolle bei der Erzeugung des komischen Effekts zukommt. Nöth (2000) unterscheidet fünf Arten der Text-Bild-Beziehungen, wobei die Beispiele aus dem Korpus von Internet-Memes nur die zwei folgenden Typen dokumentieren: 27 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/a.459607851085332/471059219940195 [Zugriff am 25. 10. 2020]. 28 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/a.466638277048956/472932866419497/ [Zugriff am 31. 11. 2020]. 29 https://www.facebook.com/383443708728214/photos/a.383774762028442/806157949790119/ [Zugriff am 29. 05. 2021]. 30 https://www.facebook.com/memeskrank/photos/a.466638277048956/474841772895273/ [Zugriff am 29. 05. 2021].
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– Redundanz – das Bild ist unterwertig, aber es ergänzt den Text, z. B. Abb. 1, 2, 3, 6, 7, 8, 9, 12; – Komplementarität – der Text und das Bild ergänzen einander und sind erforderlich, um die Gesamtbotschaft zu verstehen, z. B. Abb. 4, 5, 10, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20. Aus der Zuordnung der Memes zu zwei Typen der Bild-Text-Beziehungen ergibt sich, dass bei der ersten Gruppe die Bilder keine entscheidende Funktion bei der Übermittlung der Gesamtbotschaft erfüllen. Durch die visuellen Komponenten kann sich der Rezipient die Situation besser vorstellen, was die Gesamtaussage der Memes verstärkt. Bei vielen der Internet-Memes ist das Bildliche und das Sprachliche zueinander komplementär und der Verzicht auf eines dieser Elemente würde zu Schwierigkeiten bei der Erschließung der Botschaft führen.
4.
Schlussfolgerungen
Im Rahmen der Analyse konnten einige thematische Typen von Internet-Memes unterschieden werden. Die in den Kapitel 3.1.1–3.1.6 besprochenen InternetMemes stehen einerseits, inhaltlich gesehen, im Widerspruch zum ärztlichen Ethos, nach dem Ärzte sich mit Heilung von Krankheiten befassen und eine entsprechende Beziehung mit seinen Patienten aufbauen. Den Annahmen entgegen sind Ärzte als Helden der Memes empathielos und ihrer Arbeit abgeneigt sowie ihren Patienten kritisch oder gleichgültig eingestellt. Andererseits kommen in dem Korpus Internet-Memes vor, mit denen stereotype Eigenschaften (z. B. unleserliche Handschrift) oder Verhaltensweisen von Ärzten sowie die in ihrer Arbeit gebrauchten Attribute (Röntgengerät, Stethoskop) humorvoll dargestellt werden. Im Unterkapitel 3.1.7. wird eine andere Gruppe von InternetMemes ausgesondert, und zwar solche, die von Ärzten für Ärzte vorbereitet werden. Sie lassen auf eine humoristische Art und Weise in den Alltag der Ärzte einblicken. Diese Kategorie vertreten beispielsweise wenn-Memes, die bestimmte Situationen aus dem ärztlichen Alltag darstellen. Was die sprachlichen Mechanismen angeht, die einen humoristischen oder sarkastischen Effekt erzeugen, handelt es sich vor allem um die Polysemie der im Meme verwendeten Wörter (Abb. 1, 2, 4, 5,), um Ähnlichkeit im Klang von Wörtern (Abb. 6) oder den Gebrauch von Metaphern. Die Internet-Memes erfüllen einige Funktionen in der Netz-Kommunikation, wobei bei den hier untersuchten Beispielen für Memes die unterhaltende und die selbstdarstellende Funktion im Vordergrund stehen. Dem Komischen in den Internet-Memes liegen verschiedene Praktiken der Darstellung eines Themas zugrunde. In Bezug auf das Korpus der Untersuchung kann festgestellt werden,
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dass sich der witzige Effekt, wie bereits angedeutet, in den meisten Fällen daraus ergibt, dass man bestimmte Erwartungen und Vorstellungen von der Kommunikation zwischen Arzt und Patient hat. Die Arzt-Patienten-Gespräche folgen bestimmten Konventionen, die die Art der Kommunikation und die Rollenzuweisung betreffen. In den Internet-Memes wird von diesem Muster abgewichen, indem Ärzte Patienten ihre Diagnose auf tödliche Krankheiten auf eine sarkastische Art und Weise vermitteln oder indem Ärzte überhaupt keine oder von den Erwartungen abweichende Behandlungsmethoden vorschlagen. Der Vorstellungskontrast zwischen den Erwartungen und den in Internet-Memes dargestellten Situationen wird dabei nicht nur mithilfe von Sprache erzeugt, sondern auch mit bildlichen Elementen. Die auf den Bildern präsentierten, positive Emotionen ausstrahlenden Ärzte stehen in einem eindeutigen Widerspruch zu Inhalten der Arzt-Patienten-Gespräche. Die Inkongruenz zwischen dem Sprachlichen und Bildlichen verstärkt den Überraschungs- und Verblüffungseffekt. Das Komische in den Internet-Memes ist außerdem damit verbunden, dass sie Ärzte in solchen Situationen porträtieren, die im wirklichen Leben unvorstellbar wären. Außerdem wird der komische Effekt in Internet-Memes damit erzielt, dass man zwei ganz unterschiedliche, miteinander überhaupt nicht verbundene Themen zusammenstellt. Dabei geht das eine mit dem Arztberuf einher, während das andere einen ganz anderen Interpretationsrahmen hervorruft. In den Internet-Memes werden außerdem sprachliche Mechanismen genutzt, mit denen gewöhnlich das Funktionieren von Witzen erklärt wird. Somit machen sie sich die Mehrdeutigkeit von Wörtern und Wortverbindungen zunutze und spielen mit Metaphern. Mithilfe dieser Mechanismen kann das ärztliche Verhalten humorvoll kommentiert werden (vgl. Merten/Bülow 2019: 223). Im Kontext der Internet-Memes über Ärzte ist ihre unterhaltende Funktion von besonderer Bedeutung. Ärzte werden nämlich mit Krankheit assoziiert und die Krankheit kann als Tabuthema angesehen werden. So wird mit den Internet-Memes der Wunsch des Senders zum Ausdruck gebracht, das Gespräch über Krankheit von einem ernsten Niveau »auf eine emotionale Ebene des Humors zu [heben]« (Schwarz-Friesel 2009: 230, in: Osterroth 2019: 56). So kann der damit verbundene emotionale Stress reduziert werden. Die zweite Funktion, die im Zusammenhang mit den Internet-Memes über Ärzte verbunden ist, ist die Funktion der Selbstdarstellung. Eine Reihe ermittelter Internet-Memes kann als selbstbezüglich betrachtet werden. Mit diesen Memes stellen die Ärzte selbst ihren Beruf und ihre Arbeit auf eine distanzierte und witzige Art und Weise dar. Dabei entsteht zwischen den Internetnutzern, die diese Memes teilen und kommentieren, ein Gemeinschafts- und Solidaritätsgefühl. Internet-Memes stellen hierbei ein Mittel zur Interaktion mit gleichgesinnten Internetnutzern dar.
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Insgesamt lässt sich feststellen, dass Internet-Memes über Ärzte den Arztberuf »auf der Ebene der Sprache, des Bildes oder durch Wechselbezüge der Ebenen« (vgl. Johann/Bülow 2019: 21) thematisieren. Humor wird dabei in den InternetMemes über Ärzte als eine »kommunikative Strategie« (vgl. Merten/Bülow 2019: 210) angewendet, um bestimmte Verhaltensweisen von Ärzten zu evaluieren, Einstellungen dem Arztberuf gegenüber deutlich zu machen und durch die Versetzung von Ärzten in fiktionale Szenen den Arztberuf zu karikieren. Außerdem kann mit der Sammlung von Internet-Memes die These bestätigt werden, dass Humor ein »Gruppenphänomen« (Merten/Bülow 2019: 210) ist. Wie man nämlich sehen kann, handelt es sich bei vielen Internet-Memes um Text-BildGefüge, die von Ärzten und für Ärzte erstellt werden.
Bibliografie Primärliteratur https://www.boredpanda.com/?utm_source=google&utm_medium=organic&utm_camp aign=organic [Zugriff am 31. 10. 2020 und 29. 05. 2021]. https://www.facebook.com/memeskrank/?ref=page_internal [Zugriff am 31. 10. 2020 und 29. 05. 2021].
Sekundärliteratur Bülow, Lars / Merten, Marie-Luis / Johann, Michael (2018): Internet-Memes als Zugang zu multimodalen Konstruktionen. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 69, S. 1–32. Ciorli, Marco (2017): »One Does Not Simply Send Memes«. Performativity of Internet Memes in Synchronous Mediated Communications. Trient: University of Torento. Freud, Sigmund (1905/1985): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Der Humor. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag. Hinchcliffe, Dion (2006): The State of Web 2.0. http://www.co-bw.com/Web_2_The%20Sta te%20of%20Web%202.htm.htm [Zugriff am 30. 10. 2020]. Iluk, Jan (2014): Memes in der polnischen Debatte um den Dreiteiler unsere Mutter, unsere Vater. In: Antos, Gerd / Opiłowski, Roman / Jarosz, Józef (Hrsg.): Sprache und Bild im massenmedialen Text: Formen, Funktionen und Perspektiven im deutschen und polnischen Kommunikationsraum. Wrocław / Dresden: Atut / Neisse Verlag, S. 181–192. Jarosz, Józef (2020): Das Bild Dänemarks in Internet-Memes. In: Cieszkowski, Marek / Pociask, Janusz (Hrsg.): Text- und Diskurswelten in der massenmedialen Kommunikation. (= Studien zur Medien- und Kulturlinguistik 2). Berlin: Peter Lang, S. 49–70. Johann, Michael / Bülow, Lars (2019): Politische Internet-Memes: Erschließung eines interdisziplinären Forschungsfeldes. In: Bülow, Lars / Johann, Michael (Hrsg.): Politische
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Humoristisch über Ärzte – das Bild des Arztes in Internet-Memes
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Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2022 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847114307 – ISBN E-Lib: 9783737014304
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Jarochna Da˛browska-Burkhardt (Uniwersytet Zielonogórski, Zielona Góra)
Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert. Eine pragmalinguistische Studie in der kulturanalytischen Linguistik The Risqué Humour in the 18th-Century Album Amicorum. A Pragmalinguistic Study in Cultural Analytic Linguistics Abstract This cultural linguistic study focuses on two inscriptions in an Album Amicorum in which the people collected autographs by friends. A multilingual friendship book from Güstrow from the second half of the 18th century, which is in the private possession of one of the descendants, is examined. Handwritten messages with signatures and drawings constitute authentic tokens of humour. The constitution and milieu-specific differentiation of the object and the medium of collection is traced with reference to cultural and social contexts and the history of mentality. Special emphasis is given to the aspects relating to textuality and pragmatics. Keywords: album amicorum, humour, cultural-analytical linguistics, language-historical study, Lower Silesia Schlüsselwörter: Album Amicorum, Humor, kulturanalytische Linguistik, sprachhistorische Untersuchung, Niederschlesien
1.
Einleitende Bemerkungen zum Untersuchungsgegenstand
Im Zentrum des vorliegenden Beitrags stehen Stammbucheinträge, d. h. eigenhändige Widmungen aus dem Umfeld des Stammbuchbesitzers in einem eigens zu diesem Zweck angelegten Album. Stammbücher kommen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zuerst unter Wittenberger Studenten, v. a. bei den Anhängern der Reformation in Mode. Mit der Zeit breiten sie sich jedoch sozial, konfessionell und regional aus (vgl. Da˛browska-Burkhardt 2020: 262). Den Untersuchungsgegenstand bilden zwei Inskriptionen aus dem Album amicorum von George Friedrich Pirscher, der am 4. Februar 1747 in Sommerfeld, dem heutigen Lubsko in Polen, das Licht der Welt erblickte (vgl. Pirscher 1770). Sein Geburtsdatum lässt sich der Todesanzeige im »Grünberger Wochenblatt« Nr. 16 vom 19. April 1828 entnehmen. Aus dem Nachruf erfährt man, dass George Friedrich Pirscher, der Grünberger Apotheker, am 13. April 1828 im Alter von
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Jarochna Da˛browska-Burkhardt
81 Jahren 2 Monaten und 9 Tagen an »Altersschwäche« verschieden ist (vgl. Grünberger Wochenblatt vom 19. 04. 1828). Das in Leder bezogene Album amicorum von G. F. Pirscher in den Abmessungen 16,5 cm x 21 cm, das sich heute im Privatbesitz eines Nachfahren Pirschers befindet und mir freundlicherweise zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt wurde, enthält ca. 150 Blätter, von denen sich auf 103 Seiten textuelle und/oder bildliche Notate befinden. Der braune lederne Einband weist auf der Vorderseite mittig platziert die Initialen des Besitzers G. F. P. auf, auf der Rückseite steht ebenfalls golden eingeprägt das Jahr 1770, das als Beginn der Laufzeit des Stammbuchs angesehen wird. Beide Notate befinden sich wie auf einem Schild, umgeben von reichen goldenen Verzierungen, die von pflanzlichen Elementen dominiert sind. Die letzten Eintragungen im Stammbuch stammen aus dem Jahr 1778, so dass die erfasste Laufzeit fast 8 Jahre beinhaltet. Pirscher legt somit sein Stammbuch als 23-jähriger Mann an. Die häufigsten Inskriptionen im Stammbuch sind Text-Bild-Eintragungen, in denen beide semiotischen Systeme verbunden werden. Neben diesen Einträgen konnten aber auch Seiten ermittelt werden, die eine saubere Trennung von Text und Bild aufweisen. Unter den belegten Seiten fallen auch solche auf, die noch keine abgeschlossenen Eintragungen mit gerade begonnenen Bleistiftskizzen sind und offensichtlich die Vorbereitungsetappe für einen Eintrag festhalten. Insgesamt befinden sich vier solche Stellen im analysierten Stammbuch. G. F. Pirscher legte sein Stammbuch am 24. September 1770 in Güstrow an. Die datierenden und lokalisierenden Passagen befinden sich so, wie man das üblicherweise aus anderen Alben kennt, auf der ersten Seite des Stammbuchs. An dieser Stelle wendet sich Pirscher in einem auktorialen Peritext mit einer expliziten Bitte an seine Freunde, ihre Namen in das Büchlein einzufügen. Er schreibt: »Ihr Freunde! die Ihr mir das beste Schicksall gönnt; Ihr Freunde! die mein Herz noch Eure Freundschaft kennt; Erlaubt daß ich dis Buch in Eure Hände gebe, damit der Ruhm von Euch auch beÿ der Nachwelt lebe […]« (Pirscher 1770: 1).
Den Eingangstext unterzeichnet er nicht nur mit seinem Namen, sondern fügt ihm die Information zu seiner Profession hinzu, die lautet: »der Apotheker Kunst befließene […], aus Sommerfeld in der Lausitz gebürtig« (Pirscher 1770: 1). Die Analyse seines Stammbuchs lässt annehmen, dass der Lebensmittelpunkt von Pirscher v. a. in den Jahren 1770–1777 Güstrow ist. In dieser Stadt sammelt er über 50 Inskriptionen, wobei ihre Gesamtanzahl sich fast auf 80 beläuft. Offensichtlich nutzt Pirscher seinen Aufenthalt im Mecklenburgischen Gebiet dazu, eine Befähigung zur Eröffnung einer eigenen Apotheke zu erlangen, da diese Tätigkeit erst nach einer mehrjährigen Arbeit als Apotheker-Gehilfe ausgeführt werden durfte (vgl. Da˛browska-Burkhardt et al. 2019: 85). Weitere Inskriptionen benennen Eintragsorte aus der Mecklenburgischen Region: Rostock,
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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Wa[h]ren, Bützow und Vielist. Im Jahr 1778 ändert sich der regionale Bezug des Stammbuchs wesentlich. Die mecklenburgischen Eintragsorte ersetzt 1778 Grünberg in Niederschlesien. Insgesamt werden im letzten Jahr der Stammbuchlaufzeit sieben Inskriptionen zu Papier gebracht, wobei nur eine einzige aus Güstrow stammt und weitere sechs aus Grünberg in Niederschlesien. Zu diesem Zeitpunkt stellt Grünberg mit Sicherheit den Lebensmittelpunkt von G. F. »Pirscher aus Somerfeld« dar, weil er bereits im September 1775 die bekannte Apotheke am Grünberger Ring »für 3035 Rthl. erkauft« (vgl. Schmidt 1922: 643) und somit einer der Grünberger Apotheker ist. Die folgende Analyse konzentriert sich wegen des begrenzten Seitenumfangs auf nur zwei Inskriptionen aus dem Stammbuch von George Friedrich Pirscher, in der die Verbindung von Text-Bild-Beziehung im Kontext der Vermittlung von Humor eine wichtige Rolle spielt. In diesem kulturanalytisch konzipierten linguistischen Beitrag definiere ich den Begriff Humor in Anlehnung an Bremmer und Roodenburg als »jede durch eine Handlung, durch Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oder durch Musik übertragene Botschaft, die darauf abzielt, ein Lächeln oder ein Lachen hervorzurufen« (vgl. Bremmer/Roodenburg 1999: 9). Untersuchungsrelevant erscheint hier die Frage, auf welche Art und Weise das Phänomen Humor in zwei Stammbucheinträgen aus dem 18. Jahrhundert zum Ausdruck gebracht wird. Die pragmalinguistisch durchgeführte Analyse untersucht die beiden multimodalen Inskriptionen auf ihre semantischen und humorhaltigen Komponenten hin. Da in Anlehnung an Tienken Stammbücher »soziale Sinnresourcen« darstellen (Tienken 2017: 360), liegt das Erkenntnisinteresse der kulturanalytisch ausgerichteten Linguistik darin: bereits bekannte kulturelle Phänomene oder Entwicklungen im Spiegel von Sprachgebrauch und Sprachgebrauchsveränderungen bestätigt zu finden. Eigentliches Ziel einer kulturanalytischen Linguistik ist es jedoch, über die Analyse von Sprachgebrauch auf kulturelle Phänomene oder Veränderungen aufmerksam zu werden, die nicht bereits auf der Hand liegen (Linke 2011: 40).
Das zentrale Motiv der Stammbucheinträge bildet das Bekunden der persönlichen Verbundenheit konkreter Personen dem Stammbuchbesitzer gegenüber. Im Album amicorum lassen sich die meisten Einträge dank der dedizierenden Paratextteile zeitlich und lokal präzise festlegen. Darüber hinaus kann man manchen Inskriptionen ebenfalls Informationen zum sozialen Status, Geschlecht, Alter bzw. zur affektiven Nähe des Inskribenten zum Stammbuchbesitzer entnehmen. In diesem Sinne bilden Stammbücher eine einmalige Quelle, die Einblicke in die Weltanschauung, Moden, Mentalität und letztendlich auch den Humor, der in dem jeweiligen Milieu, in einer konkreten Epoche herrscht, ermöglichen (vgl. Da˛browska-Burkhardt 2021: 65, im Druck).
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228
2.
Jarochna Da˛browska-Burkhardt
Zielsetzung und theoretisch-methodologische Vorüberlegungen
Bei der Untersuchung von Texten mit intendierten komischen Effekten ist eine linguistische Analyse aus vielerlei Hinsicht spezifisch. Vor allem geht es um die Festlegung der genuinen Konstellation zwischen Semantischem und Pragmatischem an einem derartigen Eintrag. Die gängige methodologische Prämisse, pragmatische Faktoren seien gemeinhin den semantischen hierarchisch überlegen, ist zwar aus theoretischer Sicht kaum zu tangieren, muss aber methodologisch gesehen stets in Frage gestellt werden, wenn man eine angemessene Erklärungsadäquatheit anstrebt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es ist immer ratsam, das »semantische« Potential sprachlicher Ausdrücke – unabhängig von der jeweiligen Textsorte und ihrer kommunikativen Intention – voll auszuschöpfen, bevor pragmatische Erklärungen bemüht werden. Andernfalls können sich »pragmatische Vorentscheidungen« als spekulativ entpuppen, da sie auf jeden Fall nicht die Präzision strukturell-semantischer Ansätze erreichen können. Auf der anderen Seite sind die Argumente aus der Semantik gerade bei den hier analysierten Texten und deren Bestandteilen nicht selten insuffizient, wenn nicht gar defizitär, da sie die diskursiven Strategien nicht mitberücksichtigen und insbesondere sich über die Akteure und deren Intentionen hinwegsetzen. Im Beitrag wird daher der Frage nachgegangen: »Wer überträgt welchen Humor in welcher Weise an wen, wo und wann« (vgl. auch Bremmer/Roodenburg 1999: 9). Die Teilfrage »in welcher Weise?« ist dabei vorwiegend linguistisch bzw. semantisch, während alle anderen Fragen vor allem pragmatisch-diskursiver Natur sind. Da amüsante Äußerungen mit bestimmten kommunikativen Situationen verbunden sind, ist Humor in der Regel »nicht in der Semantik einzelner Wörter begründet«, sondern beruht »auf wort- und satzübergreifenden Zusammenhängen im Diskurs« (vgl. Schubert 2014b: 19). Untersuchungsrelevant sind hier der situative Kontext, Intentionen sowie Erwartungen der Kommunikationsteilnehmer. Es bietet sich nach Kotthoff an, dass im Analysefokus nicht nur die Frage »Was ist hier witzig?«, sondern »Was ist hier witzig für wen?« steht (Kotthoff 2017: 117).
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
3.
Konzeptuelle und linguistische Aspekte des Humor-Phänomens
3.1
Der Humor-Begriff
229
Das komplexe Phänomen Humor stellt bereits seit grauer Vorzeit den Gegenstand zahlreicher interdisziplinär ausgerichteter Untersuchungen dar. Im Fokus des folgenden Beitrags steht der Einsatz von Humor in historischen Texten, der anhand einer pragmalinguistisch-kulturanalytischen Analyse von zwei Stammbucheinträgen aus dem 18. Jahrhundert untersucht wird. Stellt man die Frage, was unter dem Begriff Humor im Allgemeinen verstanden wird, kommen viele Verhaltensweisen in Betracht, die vom »Ausspruch zum Versprecher, vom Streich zum Wortspiel, von der Farce zur Albernheit« reichen (vgl. Bremmer/Roodenburg 1999: 9). Humor wird üblicherweise als eine individuelle Eigenschaft gehandhabt, die darin besteht, dem Komischen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Nach Kindt geht es hier um »eine gelassene Haltung gegenüber den Unzulänglichkeiten des Lebens«, die als Voraussetzung für diese Aufgeschlossenheit gilt. Darüber hinaus wird unter Humor ebenfalls »eine bestimmte Ausprägung des Komischen« verstanden, die in einer »dem Spott entgegengesetzte[n], wohlwollende[n] Komik« zum Ausdruck kommt (vgl. Kindt 2017a: 7). Humor als individuelle Eigenschaft von Menschen ist in erster Linie durch die Eigenart der jeweiligen Persönlichkeit geprägt. Einzelne Sprachbenutzer fällen somit Urteile darüber, was lustig, amüsant oder lachhaft für sie ist, sodass ein humorvoller Text bei einigen Rezipienten Lachen hervorrufen kann, bei anderen dagegen nicht (vgl. Dynel 2011: 1). Somit kann das Verständnis dessen, was Humor ist, von Person zu Person beträchtlich variieren. Dies betrifft sowohl die Vorliebe für bestimmte Themen oder aber Abneigung gegen sie, genauso wie die Fähigkeit, bestimmte Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und sie als komisch einzustufen (vgl. Martin 1998: 58f.). In dem »Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache« von Friedrich Kluge wird der Begriff Humor als ›Sinn für Spaß‹ beschrieben (Kluge 1989: 320). Die ursprüngliche lateinische Bedeutung basiert auf der Auffassung der mittelalterlichen Medizin, in der das Wort eigentlich ›Feuchtigkeit‹ bzw. ›Flüssigkeit‹ bedeutet, aber auch ›Körpersäfte‹ umfasst, deren Mischung je nach Verhältnis Temperamente wie cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch und melancholisch hervorruft. Die den Bezug zur Feuchtigkeit ansprechenden vier Körpersäfte sind Blut, Schleim sowie gelbe und schwarze Galle. Das Lexem Humor mit der Bedeutungsspezialisierung ›Laune‹, ›Temperament‹ bzw. ›gute Laune‹, die in Folge der richtigen Körpersäftemischung entstehe, wurde über das Englische im 18. Jahrhundert ins Deutsche übernommen (vgl. Kluge 1989: 320). Sollten die
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genannten Körpersäfte im Ungleichgewicht stehen, werde darin oft die Krankheitsursache gesehen (vgl. Schimon 2012: 4). Im Allgemeinen wird Humor als positives Empfinden aufgefasst und Lachen als vorteilhafte Ausdrucksbewegung beschrieben. Aus diesem Grunde bescheinigt man ihm in Medizin – vorzugsweise in der Psychiatrie, Psychotherapie und Verhaltenstherapie – heilsame Wirkung. Die Volksweisheit »Humor und Lachen sind die beste Medizin« ist weit verbreitet, sodass Leufgen den Humoreinsatz in allen medizinischen Bereichen postuliert (vgl. Leufgen 2014: 15). Mehrere Studien zeigen auf, dass Lachen zur Verringerung eines zu hohen Blutdrucks führt, Stress abbaut, immunstärkende Effekte aufweist (vgl. Schimon 2012: 11) sowie schmerzlindernd und durchblutungsfördernd wirkt (vgl. Vögele 23. 01. 2020). Zusammenfassend kann man sagen, dass Humor als Fähigkeit gilt, bei Anderen ein Lachen hervorzurufen – und meist auch mitzulachen. Als humorvoll werden Menschen attribuiert, die den Witz erkennen, andere zum Lachen bringen bzw. lustige Sachverhalte humorvoll ausdrücken. Die 24-bändige »BROCKHAUS Enzyklopädie« definiert diesen Begriff als »heitere Gelassenheit gegenüber den Unzulänglichkeiten von Welt und Menschen und den Schwierigkeiten des Alltags« sowie »die für die Grundgestalt des Komischen aufgeschlossene Form der Wahrnehmung und Kommunikation« (vgl. BROCKHAUS 1996ff., Bd. 10: 320). Zweifellos verbindet man Humor mit der Fähigkeit zu lachen, die als ererbte menschliche Ausdrucksbewegung zum Repertoire der anthropologischen Universalien gehört, weil der Lachvorgang allen Kulturen bekannt ist. Es kann ausgesprochen unterschiedlich gelacht werden, weil Beweggründe, die das Lachen veranlassen, Themen, über die gelacht wird, Situationen, in denen man lacht, und soziale Funktionen des Lachens in hohem Maße divergieren. Gelacht werden kann sowohl über sich selbst als auch über Andere und man lacht nicht gleichartig. Manchmal ist das Lachen freundlich, ein anderes Mal höhnisch, ab und an hemmungslos, dann wiederum verstohlen. Einmal lacht man herzhaft, in einer anderen Situation jedoch ängstlich, einmal höflich, dann wiederum verletzend. Diese Auflistung könnte man natürlich weiterführen (vgl. Da˛browska-Burkhardt 2010: 1). Betrachtet man das Phänomen »Humor«, werden in Anlehnung an Ritchie (2004) besonders oft drei große Theorien angeführt. Die erste hat ihren Ursprung in der Soziologie und bezieht sich auf das Gefühl der Feindseligkeit, indem sich der Lachende dem Verlachten gegenüber als überlegen fühlt. Demnach korrespondiert diese Anschauung mit dem absichtlichen Sich-Lustig-Machen über einen Menschen bzw. eine Personengruppe und steht mit Gefühlen der Schadenfreude, bzw. den Kommunikationsmitteln wie Hohn und Spott in Verbindung (vgl. Schubert 2014a: 8). Mächtige Individuen oder auch ganze Gruppen amüsieren sich dann auf Kosten von anderen und bringen sie dabei in Bedrängnis (vgl. Kotthoff 2010: 62). Diese Arten des Gelächters, die mit dem Ex-
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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klusionseffekt zusammenhängen, wurden in der Literatur des Mittelalters identifiziert und in Verbindung mit Gewalt, die gegenüber unterschiedlichen Randgruppen wie z. B. Blinden, Bettlern oder Nichtsesshaften praktiziert wurde, beschrieben (vgl. Röcke 2005: 61ff.). In diesem Kontext spricht man vom sog. »aggressiven Moment des Humors«, der heutzutage beispielsweise im politischen Kabarett oder in politisch unkorrekter Weise bestimmte Personengruppen ins Visier nimmt und feststehende gesellschaftliche Normen bzw. Tabus bricht (vgl. Schubert 2014a: 8). Weiterhin muss man an dieser Stelle die Entspannungstheorie erwähnen, die auf psychoanalytischen Erkenntnissen basiert und vor allem mit Sigmund Freud in Verbindung gebracht wird. Lachen wird hier als Ventil verstanden, um geistigseelische Spannungen und innere Hemmungen zu lösen und auf diese Weise zur psychischen Erleichterung zu führen. Freud stellt in diesem Kontext fest, dass Witz, Komik und Humor »Methoden darstellen, um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verlorengegangen ist« (vgl. Freud 1999 [1905]: 249). Die dritte Theorie bezieht sich auf das Phänomen der Inkongruenz. Bereits im 18. Jh. führt Francis Hutcheson in »Thoughts on Laughter« (1758) diesen Begriff ein, um das Lachen als »die Reaktion auf eine Wahrnehmung von Widersprüchlichkeit« zu beschreiben (vgl. Berger 2014: 24). Immanuel Kant betont ebenfalls in seiner »Kritik der Urteilskraft« (1790), dass »lebhaftes erschütterndes Lachen« durch etwas »Widersinniges« erregt wird und zum Lachen verleitet (vgl. Kant 1977 [1790] §54: 141). Der Grundgedanke dieser Auffassung besteht darin, dass ungleiche oder sogar konträre Themen überraschend und ungewöhnlich in Verbindung gebracht werden und geistreiche sowie unerwartete Pointen hervorrufen. Die originelle Auflösung der zuvor aufgebauten Kongruenz führt somit zur Entstehung von Humor (vgl. Dynel 2011: 3). Menschen reagieren dann sehr oft mit Lachen ganz »spontan auf Umweltqualitäten des erheiternd und amüsant Überraschenden«, weil ihnen Inkongruenzen ins Auge fallen (vgl. Voss 2017: 47). Bei der Betrachtung des Themas Humor muss man mindestens kurz die Frage der Komik ansprechen. Attestiert wird diese Eigenschaft »Gegenständen (Äußerungen, Personen, Situationen, Artefakten etc.)«, die eine belustigende Wirkung besitzen (vgl. Kindt 2017b: 2). Man kann sagen, dass Komik und Humor eng zusammenhängen, wobei Gernhardt besonders treffend die beiden Phänomene abgrenzt: »Humor ist eine Haltung. Komik das Resultat einer Handlung. Humor hat man. Komik macht oder entdeckt man« (vgl. Gernhardt 2008: 14).
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232 3.2
Jarochna Da˛browska-Burkhardt
Zum Humor in der Sprachwissenschaft
Das Untersuchungsobjekt Humor ist für verschiedene Disziplinen relevant. Für die Linguistik bildet er eine kommunikative Strategie, die u. a. zu persuasiven Zwecken z. B. in der Werbung oder in der Politik eingesetzt werden kann (vgl. Schubert 2014a: 9). Kotthoff zeigt, dass der konversationelle Humor ein kreativer und ganzheitlicher Prozess ist, der »heuristisch arbeitet und mit einem gewissen Grad an Vagheit gut zurechtkommt« (Kotthoff 1998: 2). Da Kommunikation auf Grundlage typisierter Erwartung funktioniert, um humoristische Effekte zu erzielen, weicht man von prototypischen Mustern ab. Der überraschende Switch kann z. B. durch ein Trigger-Element ausgelöst werden, indem beispielsweise sprachliche Mehrdeutigkeit ausgespielt wird, die wiederum eine Metapher auflöst (vgl. Kotthoff 2017: 112). Da die gezielte Verwendung des Humors als komplexes Handlungsmuster gilt, mit dem Grenzen überschritten und traditionelle Normen verletzt werden können, spielt sein angemessener und situationsadäquater Einsatz, »um seine erwünschte Wirkung zu entfalten«, eine wichtige Rolle (Schubert 2014a: 9). Jahrelang spielte aus der linguistischen Perspektive die Inkongruenzerfahrung, die auf dem Vorstellungskontrast basiert, die Hauptrolle in der Humorforschung (vgl. Attardo 1994; Raskin 1985; Wenzel 1989). Kotthoff bemerkt, dass dann Komik »intrinsisch auf der Textebene verortet« bleibt, d. h., es wird nur im Text selbst nach Hinweisen zur Interpretation des Witzigen gesucht (Kotthoff 2017: 114). Aus diesem Grund erscheint es unabdingbar, von der Kontextsemantik auszugehen, in der das Weltwissen und das Sprachwissen interagieren und Komik in der Gesamtsituation und der Beziehungsgeschichte samt den Werten und moralischen Normen, auf welche angespielt wird, verortet werden müsste (vgl. Kotthoff 2017: 114). Die Analysen von Kotthoff beweisen bereits 1998, dass alle Witze in ihrem Korpus mit unerwarteten Anspielungen auf völlig nebensächliche Bedeutungskomponenten arbeiten (vgl. Kotthoff 1998). Im Humor erweisen sich nämlich gerade Anspielungen als zentral (vgl. Kotthoff 2017: 114).
3.3
Zum Humor in historischen Texten
Humor ist ein Phänomen, das untrennbar mit einem bestimmten, auch sprachlichen, Kulturkontext zusammenhängt. Aus diesem Grund ist seine Erforschung nicht nur in der sozialen und regionalen, sondern auch in der historischen Dimension starken Schwankungen unterworfen (vgl. Schubert 2014a: 10). Unter dem diachronischen Aspekt sind Untersuchungen zum »Humor« sowohl methodologisch als auch praktisch schwierig durchzuführen. Unter-
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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schiedliche Sprach- und Kulturkompetenzen verursachen, dass die zeitgenössischen Forscher sowie Rezipienten der Werke aus der Vergangenheit oft nicht im Stande sind, intendierten Humor zu erkennen beziehungsweise humoristische Elemente in den beabsichtigt ernsten Darstellungen zu sehen. Die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes erfordert somit die Berücksichtigung mehrerer interdisziplinärer Aspekte, um sich dem Thema »Humor in historischen Texten« zu nähern. Zweifellos differenzieren sich »im Zuge der soziokulturellen Entwicklung und proportional zum Ausbau der kognitiven, sozialen und affektiven Fähigkeiten« Lachanlässe und Lachauslöser (Voss 2017: 47). Im Lachen manifestieren sich nämlich die gesellschaftlichen Befindlichkeiten (vgl. Haibl 2001: 235). In dem bereits erwähnten Beitrag von Röcke wird u. a. das im Mittelalter immer wieder vorkommende Auslachen von Blinden, Verkrüppelten und anderweitig Behinderten thematisiert, das aus der heutigen Perspektive eine völlig befremdliche Vorstellung ist. Im Mittelalter kommt es ebenfalls vor, Arme und Bettler mit verächtlichem Gelächter zu begegnen (vgl. Röcke 2005: 61). Historisch erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang deutschsprachige satirische Zeitschriften im beginnenden 20. Jahrhundert. In dieser Zeit werden ihre Leser mit antisemitischen Witzen bzw. Karikaturen konfrontiert (vgl. Haibl 1997: 44ff.). Zu nennen sind hier repräsentativ der Berliner »Kladderadatsch«, das österreichische »Kikeriki« oder das parteieigene Satireorgan der NSDAP »Die Brennessel«. Den Rezipienten dieser Blätter werden weit verbreitete antisemitische Stereotype der hässlichen und gierigen jüdischen Geschäftsmänner mit Hakennase, die für Akkulturation stehen, präsentiert (vgl. Haibl 2001: 233). Der in den satirischen Blättern zum Ausdruck kommende Humor muss somit »als zeitgenössische Interpretation der Zeitumstände« begriffen werden (Haibl 2001: 235), der man heutzutage kein Forum bieten würde. Der zeitlich versetzte Rezeptionsrahmen der Komik macht deutlich, dass die heutigen Leser den historischen Humor nicht ohne Weiteres erkennen können, weil hierfür das zu jener Zeit herrschende Welt- und Sprachwissen manchmal schwer interpretierbar und somit nicht sofort nachvollziehbar ist. Die folgende Analyse der Stammbuchinskriptionen aus dem 18. Jh. sollte übereinstimmend mit der dem Beitrag zugrundeliegenden Humor-Definition einen Einblick in Botschaften gewähren, die bei Rezipienten ein Lächeln bzw. Lachen hervorrufen konnten.
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4.
Jarochna Da˛browska-Burkhardt
Humor in Stammbucheinträgen
Im Zentrum der pragmatischen Analyse stehen zwei multimodale Inskriptionen aus dem Stammbuch von G. T. Pirscher, die Einblicke in den Einsatz von Humor im Jahr 1777 gewähren. Das beziehungskonstitutive Potenzial der Stammbuchinskriptionen ergibt sich nicht nur aus dem Eintragungsakt selbst, sondern auch aus der »permanent vollzogenen Einordnung in einen Zusammenhang« (Tienken 2017: 380). Bereits beim ersten Umblättern des Stammbuchs fällt ins Auge, dass die beiden Inskriptionen den gleichen Aufbau besitzen. Sie sind zweiseitig angelegt und repräsentieren im Stammbuch von Pirscher eine seltenere doppelseitige Eintragsvariante, deren Anzahl weniger als 10 im analysierten Album beträgt. Die meisten Stammbuchinskriptionen beschränken sich auf eine einzige Seite und bilden eine Gruppe von fast 70 Eintragungen. Die im Folgenden analysierten zwei Inskriptionen kennzeichnet bereits auf den ersten Blick eine große Ähnlichkeit. Sie befinden sich im Stammbuch zwar nicht direkt nebeneinander, sondern werden von 7 Blättern bzw. von 14 Seiten getrennt, wirken aber in ihrer Aufmachung wie Zwillingseinträge. Als Erstes fällt dem Rezipienten die saubere Trennung von Text und Bild ins Auge. Die Präsentation beider semiotischen Zeichensysteme ist jeweils ganzseitig, aber ihr Gegenüberliegen sorgt dafür, dass kein Zweifel an ihrer Zusammengehörigkeit aufkommt. Die Frage nach den eingetragenen Personen konnte während der Vorbereitung dieses Beitrags geklärt werden. Es handelt sich um ein Ehepaar mit dem Namen Flittner, das in Güstrow lebte. Die erste Inskription bringt Herr Christian Jakob Flittner (Seiten 184–185), die zweite seine Ehefrau Anna Sophia Flittrerin, geb. Behrns (Seiten 200–201) zu Papier.
4.1
Die Inskription von Christian Jakob Flittner
Abb. 1: Eintrag von Christian Jacob Flittner im Abb. 2: Eintrag von Christian Jacob Flittner im Stammbuch von G. F. Pirscher, S. 184. Stammbuch von G. F. Pirscher, S. 185.
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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Der Eintrag von Christian Jacob Flittner befindet sich im Stammbuch auf den Seiten 184 und 185. Der Inskribent unterzeichnet seinen Eintrag an dieser Stelle zwar ausschließlich mit den Initialen seiner Vornamen, dafür aber mit dem vollständig ausgeschriebenen Nachnamen »Flittner«. Da sich im analysierten Stammbuch auf der Seite 260 ebenfalls ein Eintrag von Christian Jacob Flittner aus dem Jahre 1774 befindet, den er mit vollen Vornamen unterzeichnet und mit weiteren lokalisierenden Angaben wie: gebürtig zur Grim[men] in Schwedisch Pommern versieht, kann man aufgrund des Vergleichs der beiden Unterschriften feststellen, dass es sich hier um ein und dieselbe Person handelt. Aus dem Begräbnisbuch an der Güstrower Pfarrkirche aus den Jahren 1787– 1836 erfährt man, dass der 63-jährige Christian Jacob Flittner, Notar und Rathsdiener am 24. März 1802 an Brust- und Nervenfieber verstorben ist und 6 Tage später, am 30. März 1802, beerdigt wurde (vgl. Begräbnisbuch an der Pfarrkirche Güstrow 1787ff.: 112). Sein Geburtsjahr ist somit das Jahr 1739 bzw. 1740. Flittner trägt seine zweiseitige Inskription am 10. März 1777 in Güstrow ein. Rechts befindet sich eine ganzseitige kolorierte Federzeichnung, links ein Text, der von einer Kartusche umrahmt ist. Auf der Abbildung 2 sind eine Frau und zwei Männer zu sehen, die Federball spielen. Alle Beteiligten haben in ihren Händen je einen Schläger und in der Luft befindet sich ein farbiger Federball. Auf den ersten Blick glaubt man es mit einer Genreszene zu tun zu haben, in der die Dominanz der Abbildfunktion herrscht, indem eine Vergnügungsaktivität der Spieler wiedergegeben wird. Betrachtet man aber den auf der benachbarten Seite platzierten Text, wird klar, dass der konkret dargestellte Sachverhalt allegorisch Abstraktes vermittelt (siehe Abb. 1). Er lautet: Der Frauenzimmer Lust, ist gleich dem Feder=Ball, Zu treiben uns herum, Belachend unsern Fall. Güstrow d 10 t: Martÿ 1777.
ChJ Flittner
Ch. J. Flittner bedient sich in seiner Inskription einer spezifischen semantischen »Ladung« des verwendeten visuellen Motivs, des Federballs. Mit ihm spielt der Eintragende sarkastisch auf das Thema der Geschlechterverhältnisse an. Er polarisiert in dem Textbestandteil seiner Inskription einerseits das Frauenzimmer, andererseits uns = die Männer. Mit der sinnträchtigen Doppeldeutigkeit des Herumtreibens und des Hinfallens von Federball und Mann wird humoristisch
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Kritik an gesellschaftlichen Gegebenheiten geübt. Sarkastisch wird auf das Verhalten einer Frau angespielt, die sich abwechselnd, wie auf dem Bild gezeigt, mit zwei Männern amüsiert und nach Lust und Laune einen durch den anderen ersetzt. Der im Eintrag thematisierte Sachverhalt des Belachens deutet an, dass in der Inskription lediglich Spott und Hohn auf das weibliche Geschlecht ausgeschüttet wird. Diesseitsbezogene und belustigende Inhalte werden hier spöttisch transportiert, indem das Sich-Verlassen-Können auf eine Frau in Frage gestellt bzw. bestritten wird. Zwischen dem Text und der Illustration besteht das Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit und allegorisierender Ausdeutung. Hätte man die Illustration ohne den Text betrachtet, hätte man annehmen können, dass es sich an dieser Stelle um ein schlichtes Genre- bzw. Sittenbild handelt, das ausschließlich Gepflogenheiten einer bestimmten Epoche exemplarisch illustriert. Das Verfahren der Allegorese zu Zwecken komischer Typisierung fügt aber den dargestellten Motiven eine neue Sinndimension zu. Aus der heutigen Forschungsperspektive weiß man (vgl. Schnabel 2003: 77), dass in Stammbuchinskriptionen sehr wohl Referenzen auf persönliche Lebenssituationen auftauchen (vgl. Schnabel 2003: 77). Aus diesem Grund kann man nicht ausschließen, dass der von Ch. J. Flittner dargestellte Sachverhalt offenkundig als besonders erwähnenswert erscheint, weil er möglicherweise auch autobiographische Züge trägt und eine wichtige Rolle im Leben des Stammbuchbesitzers und des Eintragenden gespielt haben könnte. Es ist somit möglich, dass eine solche Andeutung innerhalb des inneren Kommunikationssystems zwischen dem Schreiber und dem Adressaten mit konkreten Personen zusammenhängen, so dass es mit diesem Eintrag bei Pirscher ein Erinnerungsvorgang initiiert werden kann, weil Assoziationen bzw. damit verknüpfte Inhalte aufgerufen werden können (vgl. Schnabel 2003: 473). In einem solchen Fall wird der Angesprochene die auf ihn zugeschnittene Information problemlos entschlüsseln können. Christian Jacob Flittner ist zum Zeitpunkt des Stammbucheintrags ein 38jähriger Mann. Er ist mit der 17 Jahre jüngeren, 21-jährigen Frau Anna Sophia verehelicht (Mecklenburg-Schwerin Volkszählung, 1819: 1049). Inwieweit die Vermutung, dass der Altersunterschied zwischen den Eheleuten den Inhalt dieses Eintrags mitbestimmt und der Wahrheit entspricht, bleibt aus evidenten Gründen rein spekulativ.
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
4.2
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Die Inskription von Anna Sophia Flittnerin geb. Behrns
Abb. 3: Eintrag von Anna Sophia Flittnerin geb. Abb. 4: Eintrag von Anna Sophia Flittnerin geb. Behrns im Stammbuch von G. F. Pirscher, Behrns im Stammbuch von G. F. Pirscher, S. 200. S. 201.
Von der Aufmachung her gestaltet sich die Inskription von Anna Sophia Flittnerin, geborene Behrns, in völliger Übereistimmung mit dem Eintrag von Ch. J. Flittner und wird nur 8 Tage nach der Inskription ihres Gatten, d. h. am 18. März 1777, in das Stammbuch eingetragen. Auch in diesem Fall begegnen wir, diesmal auf den Seiten 200 und 201, einer ganzseitigen Abbildung auf der rechten Seite und auf der linken einem mittig platzierten Text, der von der gleichen Kartusche wie beim Ehemann umrahmt ist. Bei der Gestaltung beider Inskriptionen muss es sich um denselben Bildschöpfer und / oder Schreiber des Textes gehandelt haben, weil sowohl der Schriftduktus als auch die Komposition der Abbildungen gleich ist. Die Rückführbarkeit von beiden Eintragstexten und Bildern ist jedoch bei dem heutigen Forschungsstand nicht gegeben, weil sie auch eher als Zufallsprodukte angesehen werden müssen. Aus diesem Grund weiß man auch nicht, ob das Ehepaar Flittner bei der Gestaltung der beiden Inskriptionen auf Dienste eines geübten Poeten und Künstlers gegen Bezahlung zurückgriff oder sich einer praktischen Vorlage für den Textteil und für die Gestaltung der Illustration bediente. Praktisch auszuschließen ist es aber, dass einer der beiden Eheleute diese Inskriptionen gestaltet hat, weil ihre Unterschriften und Zueignungsformeln einen ziemlich unruhigen und keinen markanten Duktus im Gegensatz zu den poetischen Eintragsbestandteilen verraten. Zur Person der Eintragenden findet man einige interessante Daten in der »Mecklenburg-Schwerin Volkszählung« aus dem Jahr 1819 (vgl. MecklenburgSchwerin 1819: 1049). Sie wird in dem Schriftstück als Anna Sophia Flittner geb. Behrens verzeichnet, die am 22. October 1756 in Rostock zur Welt kam, lutherischen Glauben bekennt und inzwischen eine Witwe ist. Der zitierten Volkszählung entnimmt man, dass Anna Sophia Flittner unter einem Dach mit der ledigen
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am 10. October 1762 in Rostock geborenen Catharina Elisabeth Behrens lebt, die ebenfalls lutherisch ist und seit 18. Jahren in Güstrow wohnt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Schwester der Inskribentin, die kurz vor dem Tod des Schwagers Christian Jacob Flittner (1802) nach Güstrow umzieht. Auf derselben Seite des Schriftstückes erscheint der Eintrag über die dritte Frau, die offensichtlich die Tochter der Inskribentin ist: Sophia Dorothea Behrwald, geb. Flittner. Sie kam in Güstrow am 24. März 1777 zur Welt und sollte inzwischen ebenfalls verwitwet sein (vgl. Mecklenburg-Schwerin 1819: 1049). Diese Lebensdaten sind insoweit interessant, als sie einen Einblick in eine Lebensphase von Anna Sophia Flittner gewähren, in der sie den Stammbucheintrag tätigt. Die Inskription entsteht nur 6 Tage vor der Geburt ihrer Tochter Sophia Dorothea, sodass Anna Sophia zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift hochschwanger gewesen sein musste. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass am Ende des 18. Jahrhunderts Fraueninskriptionen in den Alba amicorum noch eine relative Seltenheit bilden. Schnabel betont, dass Frauen bis ins 18. Jahrhundert von der Stammbuchsitte »praktisch durchgehend ausgeschlossen« waren (Schnabel 2003: 572). Im Stammbuch von Pirscher machen ihre Einträge erwartungsgemäß einen verschwindend kleinen Teil aller Inskriptionen aus – weniger als 10 %. Darüber hinaus sind die sich im Stammbuch verewigenden Frauen fast ausnahmslos Ehefrauen der im Album bereits eingetragenen Männer. Die Inskription von Anna Sophia Flittner gestaltet sich folgendermaßen: Auf der kolorierten Federzeichnung sind drei Personen zu sehen, nämlich zwei zeitgemäß gekleidete junge Frauen, die auf dem Gras sitzen, und daneben ein stehender junger Mann, der zwar einen Spaten in der Hand hält, aber primär in die Konversation mit einer der beiden Damen vertieft ist (siehe Abb. 4). Auf einer Decke zwischen den Frauen liegt Gemüse, drei Karotten und zwei Kürbisse sind zu sehen. Außerdem hält eine der Frauen eine Karotte in der Hand und spricht mit dem Mann, während die andere geistesabwesend blickt. Betrachtet man die Zeichnung, glaubt man mit einem Genrebild konfrontiert zu sein, dem vordringlich eine »Auszier-Funktion« bzw. die »ästhetische Wirkung« zukommt. Der auf der gegenüberliegenden linken Seite stehende Vierzeiler fungiert lediglich als ausdeutende Verallgemeinerung des beherrschenden Bildmotivs und kann als seine Ergänzung betrachtet werden (siehe Abb. 3). Die schriftlichen Eintragsbestandteile lauten nämlich:
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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Der Gärtner steht beschämt Weil seines Feldes=Frucht So groß nicht ist; wie sie dis Frauenzimmer sucht. Güstrow den 18-ten Martÿ 1777.
Hiermit empfielt sich eine (zur) Freundin Anna Sophia Flittnerin gb. Behrns
Die einzelnen Bildelemente der Genreszene werden erst durch den hinzugeschriebenen Text allegorisiert. Eine vergleichende Betrachtung beider Zeichensysteme lässt annehmen, dass man hier mit keiner rein illustrativen Abbildung konfrontiert wird, sondern mit einer symbolisch bzw. allegorisch ausdeutbaren Darstellung, die über sich hinaus verweist und »den Schlüssel zum Verständnis« bzw. »Hinweise auf weitere Bedeutungsebenen« liefert (Schnabel 2003: 105). Den präsentierten Bildmotiven kommt somit die eigentliche Bedeutungsträgerschaft zu, die in dem Text aufgenommen bzw. präzisiert wird (vgl. Schnabel 2003: 552). Aus diesem Grund müssen nichtexplizite Kontexte, die in den Bereich der Pragmatik gehören, zur Interpretation herangezogen werden. Man kann vermuten, dass der Leser bei diesem Eintrag es mit äußerst gewagtem Humor zu tun hat. Betrachtet man den volkskundlichen und sexualwissenschaftlichen Klassiker »Volkserotik und Pflanzenwelt« von Sigmar Schultze-Galléra, der 1908 unter dem Pseudonym »Dr. Aigremont« veröffentlicht wurde, wird das abgebildete Gemüse nicht so harmlos wahrgenommen, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Dr. Aigremont beschreibt 1908 die Pflanzenwelt, indem er alte und moderne, erotische und sexuelle »Gebräuche, Vergleiche, Benennungen, Sprichwörter, Redewendungen, Rätsel, Volkslieder« etc. darstellt. Zu den beschriebenen Pflanzen gehören auch Gemüsesorten: Mohrrüben und Kürbisse, die auf der Stammbuchillustration von Anna Sophia Flittner dargestellt werden. Über die Möhre schreibt Dr. Aigremont, dass sie »wegen ihrer Gestalt, die dem penis gleicht, als männliches Symbol« gelte (Aigremont Dr. 1908: 137) und »von altersher mit dem männlichen Gliede verglichen« werde. Bezeugen können das die nach Dr. Aigremont zitierten »rings in Deutschland verbreiteten zweideutigen Volksrätsel« (Aigremont Dr. 1908: 137). In diesem Zusammenhang sind auch seine Ausführungen bezüglich der Visualisierung von Karotten lesenswert: »Galante Bilder des 17. und 18. Jhdt. zeigen die Rübe als Symbol des penis, so konnte ich […] verschiedene Bilder sehen: junge Mädchen, die kokett lächelnd auf ihrem Schoße oder in ihrer Hand Rüben hielten« (Aigremont Dr. 1908: 138). Anna Sophia Flittner arbeitet offensichtlich mit einer unerwarteten sexuellen Anspielung auf die illustrierten Bedeutungskomponenten (Möhren), die auf der
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Illustration zuerst völlig nebensächlich erscheinen mögen, aber im Zusammenhang mit dem Text eine prominente oder sogar zentrale Stelle einnehmen. Die Vermutung einer solchen Auslegung könnte auch der zuerst als geistesabwesend interpretierbare Blick einer der Frauen sein, der bei näherer Betrachtung nur die untere Körperhälfte des Gärtners fixiert. Die Ausdeutung des allegorisch verschlüsselten Motivs ergibt sich erst aus der Betrachtung der Illustration zusammen mit dem Text, wobei der Sinn »der Vorgeformtheit des Sprachgebrauchs, seiner generellen Musterhaftigkeit zu verdanken« ist (Tienken 2015: 467), aber Sinnzuschreibungen sehr wohl veränderlich sein können (vgl. Tienken 2015: 466). Der im Stammbuch verwendete Code lässt sich mit Kenntnis zeittypischer Verhaltensweisen bzw. mentalitätsgeschichtlicher Sachverhalte entschlüsseln, obwohl er offensichtlich in nachfolgenden Jahrhunderten ebenfalls verstanden werden kann. Davon, dass man einer Möhre auch im 21. Jahrhundert weiterhin Zweideutigkeit bzw. eindeutige Obszönität zuschreibt, zeugen Belege, in denen eine Karotte »als deutliches« (Schaefer 2011: o. S.) oder »ein eindeutiges Phallussymbol« (Dittmann 2000: o. S.) thematisiert wird. 2015 ist u. a. diese problematische Zweideutigkeit dafür verantwortlich, dass von der »Verwendung von Gurken, Möhren, Spargel, Porree« in der Emoji-Welt nicht die Rede sein kann und »als Symbol für das männliche Geschlecht« die Aubergine »herhalten muss« (Kruse 2015: o. S.). In Bezug auf die Emojis-Auswahl kommt für die Karotte erst Mitte 2016 der Durchbruch. Die Situation ändert sich »für diejenigen, die eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen, als auf den Bildchen zu sehen ist« (Baller 2016: o. S.). »Der Stern« berichtet: »[…], Gurke, Möhre: Die Aubergine hat ab jetzt Konkurrenz« (Baller 2016 o. S.). In diesem Zusammenhang muss man unterstreichen, dass aus der heutigen Perspektive dieser unverblümt körperkommunikative Eintrag zwar verstanden wird, aber als Stammbuchinskription für einen Freund überrascht, weil er in dieser Epoche als atypisch für eine Fraueninskription gilt. Bis ins 18. Jahrhundert gelten nämlich als typische Merkmale der Fraueninskriptionen die Abwertung des irdischen Lebens, Ernsthaftigkeit, Gottesfurcht und der resignative Ton (vgl. Schnabel 2003: 320). Diese Kennzeichen lassen sich aber dem Eintrag von Anna Sophia Flittnerin nicht entnehmen. Im 18. Jahrhundert stellen hedonistische, erotische Texte bzw. auch Texte mit sexuellen Anspielungen in selbststilisierender Weise, die auch ironisch gemeint sein können, keine Seltenheit in Studentenalben dar (vgl. Schnabel 2003: 83). Frauen zählen aber als Senderinnen bzw. Empfängerinnen derartiger Texte, wie gesagt, nicht zu dieser Gruppe. Die hedonistisch ausgerichteten Texte in Studentenstammbüchern werden oft als Gegenkonzeptionen zu herrschenden Wertsetzungen verstanden (vgl. Schnabel 2003: 63), indem Studenten ihre moralische bzw. erotische »Unangepasstheit« zu religiösen und ernsthaften Sen-
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tenzen betont haben (vgl. Schnabel 2003: 434). Ob eine solche Gegenkonzeption wider herrschende Moralvorstellungen, die möglicherweise aus der Abwehrhaltung heraus entsteht, auch bei der hochschwangeren Anna Sophia Flittnerin eine Rolle spielt, lässt es sich an dieser Stelle nicht beantworten. Es kann somit auch sehr wohl sein, dass der auf den ersten Blick als belustigend eingestufte Inhalt eines Eintrags doch anders interpretiert werden müsste. Es ist schwer zu sagen, ob sich Anna Sophia Flittnerin mit ihren scherzhaften Verlautbarungen bezüglich der erotischen Thematik in der damaligen Gemeinschaft jenseits der Sittlichkeitsgrenzen bewegt. Der Eintrag kann sowohl als »augenzwinkernde Komplizenschaft« mit dem Leser, übermütige verbalerotische Umschreibung, letztendlich aber auch als sexuelle Anspielung in Wort und Bild verstanden werden (vgl. Schnabel 2003: 428). Keine Antwort bekommt man auch auf die Frage, ob dieser körperkommunikative Eintrag von den Zeitgenossen Annas moralisch geächtet bzw. soziokulturell markiert wird. Fakt ist, dass nach dem Tätigen dieses Eintrags von Anna Sophia Flittner das Sammeln der Inskriptionen von Pirscher erlahmt, weil danach nur noch zehn Einträge in den Jahren 1777 und 1778 dazukommen, in denen man vergebens nach ähnlichen Anzüglichkeiten sucht. Ganz im Gegenteil, es erscheint sogar ein ernsthafter religiös motivierter Eintrag aus dem Psalm 18, Verse 31. 32 (vgl. Pirscher 1770: 148), in dem Gottes Stärke und Kraft gepriesen werden. Als Leser wird man somit mit Texten konfrontiert, die Unterschiedliches thematisieren und somit sich entsprechend selbst darstellen. Einerseits steht wie bei Samuel Reiche die duldende Ausrichtung auf das Jenseits bzw. die Ergebung dem Willen Gottes gegenüber im Fokus. Christian Jacob Flittner und Anna Sophia Flittner hingegen geben sich betont scherzhaft, heben weltliche Vergnügungen hervor bzw. sprechen Liebe und Frivolität an. Als Mittel der Selbststilisierung und Selbstdarstellung bleibt bei den Stammbucheinträgen die Wahrheitsfrage oft unbeantwortet, weil die Inskriptionen nicht die Realität darstellen müssen, sondern »die Vorstellung, die der Schreiber anderen davon vermitteln möchte« (Schnabel 2003: 85). Der Stammbucheintrag wird nämlich für bestimmte handlungspraktische Zwecke benutzt, um in erster Linie die Erinnerung an die Inskribentin wiederzubeleben, d. h. eine »Initialfunktion für einen gedanklichen Vorgang« auszuüben und erst später, wenn überhaupt, zu belustigen (Schnabel 2003: 98).
5.
Fazit
Die Frage nach dem Einsatz von Humor im Pirscherschen Stammbuch wurde anhand der Analyse von zwei multimodalen Einträgen behandelt, die mit großer Wahrscheinlichkeit so angelegt wurden, um eine erheiternde Wirkung auszuüben. Eine wichtige Rolle spielen dabei die nichtexpliziten Kontexte, die in den
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Bereich der Pragmatik gehören und zur Interpretation herangezogen werden müssen, um einen Einblick in die spezifische Relation zwischen den Einträgern und dem Stammbuchbesitzer zu gewähren. Es handelt sich dabei um Informationen, die aus dem biographischem Kontextwissen der jeweiligen Personen resultieren und beispielsweise gemeinsame Aktivitäten, Interessen oder Erlebnisse der Genannten dokumentieren. Diese Angaben können uns Einsicht in die Vertrautheit des Einträgers mit dem Stammbuchbesitzer gewähren, indem der Adressat weiß, dass »das Gesagte nicht mit dem Gemeinten übereinstimmt, sondern an den ihm bekannten Überzeugungen des Einträgers zu messen ist« (Schnabel 2003: 82). So entstehen natürlich weitere Fragen, die leider nach dem bisherigen Forschungsstand unbeantwortet werden müssen: Ist vielleicht die fortgeschrittene Schwangerschaft der Inskribentin der Grund für ihren gewagten Humor? Wird dieser Humor in einer anderen Situation moralisch geächtet? Ist es die Gravidität, die der Frau etwas Schlüpfriges zu äußern gestattet? Ist der Eintrag des Ehemannes ein Passierschein für sie, etwas Zotiges preiszugeben? Will sie mit ihrem Eintrag ihrem Mann, der sich vor ihr im Stammbuch von Pirscher verewigt hatte, »eins auswischen«? Vielleicht ist aber auch Anna Sophia Flittnerin eine Frau, die sich nicht um herrschende Konventionen schert und übermütig einen körperkommunikativen Eintrag verfasst? Es ist natürlich auch möglich, dass die heutige Perspektive für die besondere Wahrnehmung des Inhalts dieser Inskription verantwortlich ist. Gemeinhin muss an dieser Stelle betont werden, dass die historischen Texte der heutigen Forschung nicht selten recht schwer – wenn überhaupt – überwindbare Grenzen setzen, wenn sie Spekulationen und Überinterpretationen auf ein Minimum reduzieren will. Karasek schreibt: »Viele Witze sind schlüpfrig, was nicht nur an die Flüssigkeit des Humors erinnert, sondern auch an das Ausrutschen auf dem doppelten Boden des Witzes, der ja, wenn er gut ist, das Zweideutige eindeutig macht und, indem er es verbessert, verschlimmert« (Karasek 2014: 30). In der Hoffnung, dass der doppelte Boden diesen Beitrag bisher getragen hat, sollten daher an dieser Stelle keine weiteren Belastungsproben unternommen werden.
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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Sekundärliteratur Aigremont Dr. [Schultze-Galléra, Sigmar] (1908): Volkserotik und Pflanzenwelt. Eine Darstellung alter wie moderner erotischer und sexueller Gebräuche, Vergleiche, Benennungen, Sprichwörter, Redewendungen, Rätsel, Volkslieder, erotischen Zaubers und Aberglaubens, sexueller Heilkunde, die sich auf Pflanzen beziehen. 1. Band. Halle a. S.: Hallescher Verlag für Literatur und Musik Gebr. Trensinger. Attardo, Salvatore (1994): Linguistic Theories of Humor. Berlin / New York: Mouton de Gruyter. Berger, Peter L. (2014): Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Übersetzt von Joachim Kalka. 2. Auflage. Berlin / Boston: Walter de Gruyter. Bremmer, Jan / Roodenburg, Herman (1999): Humor und Geschichte: Eine Einführung. In: Bremmer, Jan / Roodenburg, Herman (Hrsg.) Kulturgeschichte des Humors – Von der Antike bis heute. Darmstadt: Primus Verlag, S. 9–17. BROCKHAUS Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden (1996ff.): 20. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Leipzig / Mannheim: F. A. Brockhaus. Da˛browska-Burkhardt, Jarochna (2010): Nichts zu Lachen, in den deutsch-polnischen Beziehungen? Eine linguistische Fallstudie anhand von Bildern und Texten aus der deutschen und polnischen Presse der Jahre 2006–2007. In: TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 17, S. 1–13. Online: https://www.inst.at/trans/17Nr/1-9/1-9_d abrowska-burkhardt17%20.htm [Zugriff am 28. 02. 2021]. Da˛browska-Burkhardt, Jarochna (2020): Die Bedeutung der Stammbucheinträge als Ausdruck von »Freundschaft«. Eine kulturlinguistische Analyse am Beispiel eines Grünberger Stammbuches aus dem 18. Jahrhunderts. In: Buk, Agnieszka / Hanus, Anna / Mac,
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Jarochna Da˛browska-Burkhardt
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Gewagter Humor in einem Stammbuch aus dem 18. Jahrhundert
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Jarochna Da˛browska-Burkhardt
Wenzel, Peter (1989): Von der Struktur des Witzes zum Witz der Struktur. Untersuchungen zur Pointierung in Witz und Kunstgeschichte. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
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Anna Hanus (Uniwersytet Rzeszowski, Rzeszów)
»Noch niedriger können wir es nicht hängen1« – einige Bemerkungen zum Humorgebrauch in Expertenfernsehdiskussionen zu literarischen Neuerscheinungen am Beispiel des »Literarischen Quartetts« »You can’t lower your sights anymore« – Some Remarks on the Use of Humour in Expert Television Discussions on New Literary Publications as Illustrated by »Das Literarische Quartett« (The Literary Quartet) Abstract Humour is generally viewed as an expression of positive experiences and feelings, related to positive things and perceived accordingly. However, humour can be destructive and hurtful when used purposefully in a malicious way. Taking the legendary literary programme »Das Literarische Quartett« (The Literary Quartet), directed by Marcel Reich-Ranicki, as an example, the author of the article tries to find out whether, and if so, how and to what purpose humour is used in the TV expert discussion on new literary publications. What types of humour are revealed? For what purposes is humour used? Following this, the article deals with the question whether all the debaters use humour as a strategy to instruct the others, to criticise, to relax, to soften criticism or to irritate and possibly even insult others, and how the viewers in the studio receive such actions. Keywords: humour, aggressive humour, humour styles, critiquing, literary criticism, Marcel Reich-Ranicki Schlüsselwörter: Humor, aggressiver Humor, Humorstile, Kritisieren, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki
1.
Einleitendes
Humor wird grundsätzlich als Ausdruck positiven Erlebens und Empfindens aufgefasst, mit Positivem in Beziehung gebracht und entsprechend wahrgenommen, auch wenn sich Humor im Sinne von Otto Julius Bierbaum so verstehen lässt, dass wer humoristisch auf den Arm genommen wird, trotzdem
1 Die Äußerung wurde (von einem Teilnehmer) in der von mir untersuchten Folge des »Literarischen Quartetts« formuliert. Weitere Ausführungen zum Thema finden sich im Kapitel 4.
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Anna Hanus
lachen sollte2. Anders gewendet: Humor kann als eine Haltung zum Leben verstanden werden – als Fähigkeit sich selbst und/oder die bestehende Wirklichkeit gelassen und nicht zu ernst zu nehmen, um folglich den Absurditäten der Welt trotzdem heiter zu begegnen (vgl. bspw. Ruch 1998, Duden 2003). Humor kann ferner die Fähigkeit meinen, andere Menschen zum Lachen zu bringen (vgl. bspw. Duden 2003). Gelacht wird aber nicht selten auf Kosten anderer, die gar nicht das Ziel eines ›humoristischen Anschlags‹ sein sollten oder wollen, was nicht selten schwerwiegende Folgen zeitigt, ja zu psychischen Verletzungen führen kann. Auf einen grundsätzlich negativen Beigeschmack des Humors haben bereits Platon und Aristoteles (vgl. bspw. Räwel 2005: 11) hingewiesen. Sie haben Humor und das damit verbundene Lachen mit dem Gefühl der Selbstüberhebung sowie mit der Frage nach seiner moralischen und unmoralischen Seite in Beziehung gebracht. So wird bei Humor sowohl auf seine konstruktive als auch destruktive Kraft hingewiesen. Mit Humor lassen sich Konflikte entschärfen, problematische sowie peinliche Situationen lösen. Mit Humor kann aber destruktiv-verletzlich agiert werden, indem man ihn mutwillig anwendet. Humor sei ein Handwerk, behauptet der Komiker Otto Waalkes3. Geschickt angewendet, wirkt er blitzschnell und trifft präzise in ein Schwarzes, das Menschen zum Lachen bringt. Wie wird er aber von Literaturkritikern angewendet? Bedienen sich Kritiker überhaupt des Humors? Am Beispiel der legendären Literatursendung »Das Literarische Quartett«, geleitet von Marcel Reich-Ranicki, wird versucht zu ergründen, ob, und wenn wie und zu welchem Zweck der Humor in der TV-Expertendiskussion zu literarischen Neuerscheinungen angewendet wird? Welche humoristischen Spielarten treten zutage? Zu welchen Zwecken wird Humor dort gebraucht? Verteilen sich die humoristischen Anteile unter allen Diskussionsteilnehmern gleich? Verwenden alle Diskutanten Humor als eine Strategie, um die anderen zu belehren, zu kritisieren, zu entspannen, um Kritik abzuschwächen oder andere zu irritieren und womöglich sogar zu beleidigen? Wird der Humor im Studio auch den Zuschauern zuteil oder kommt er nur den Streitenden zugute? Wie sieht das entsprechende Verhältnis aus? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen.
2 Es handelt sich um den oft zitierten Spruch, der Otto Julius Bierbaum zugeschrieben wird »Humor ist, wenn man trotzdem lacht«, und der sich im Vorwort in sein letztes Buch »Yankeedoodlefahrt« (1909) findet. 3 Vgl. Felix Dachsel: Ein bisschen Spaß muss sein! In: ZEIT 37/2017. Online: https://www.zeit.de /2017/37/humor-jan-boehmermann-politik-moral?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.go ogle.com%2F [Zugriff am 15. 03. 2020].
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Bemerkungen zum Humorgebrauch in Expertenfernsehdiskussionen
2.
249
Spielarten und Funktionen von Humor
Mit Humor beschäftigt sich die Wissenschaft seit geraumer Zeit. Philosophen, Psychologen, Mediziner, Soziologen, Pädagogen sowie Sprach- und Literaturforscher setzen sich seit Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten mit dem Phänomen auseinander, indem sie versuchen, den Begriff Humor zu bestimmen, seine Reichweite abzustecken sowie seine unterschiedlichen Spielarten zu charakterisieren. Unzählige, immer wieder unternommene Versuche, die einzelnen, eng miteinander verbundenen Elemente des Begriffsrasters um Humor und Komik als Anlass zum Lachen/Lächeln zu definieren und voneinander abzugrenzen, bestätigen nur die Komplexität des Problems. Einigkeit darüber, wie der Begriff des Humors eindeutig zu verstehen bzw. zu hinterfragen ist, gibt es bisher nicht. Es ist umso schwieriger, eine brauchbare Klassifikation des Begriffs und seiner vielen Spielarten aufzustellen, weil viele Merkmale der humoristischen Spielarten einander überlappen und somit nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind. So gebrauchen Wissenschaftler die anfallenden Begrifflichkeiten recht willkürlich, mal synonymisch mal wieder abweichend (vgl. dazu auch SantanaLópez 2006: 36). Hier wird nicht angestrebt, ja nicht einmal versucht, dieser gelegentlichen Diffusion nachzugehen, um eventuell die definitorischen Dilemmata aus dem Wege zu räumen. Noch weniger zielt der Beitrag darauf ab, die Trennlinien zwischen Humor, Komik, Spott und Ironie aufzuzeigen. Um jedoch wenigstens eine Arbeitsdefinition des hier im Mittelpunkt stehenden Begriffs Humor anzubieten, wird auf zwei Grundrichtungen seiner Semantik hingewiesen. Humor wird einerseits als »heiter-gelassene Gemütsverfassung inmitten aller Widerwärtigkeiten und Unzulänglichkeiten des Daseins« (dtv Brockhaus Lexikon, Bd. 8, 1984: 207) verstanden – oder auch als Beobachtungs- und Interpretationsperspektive, die wirksam wird, wenn bestimmte Phänomene von uns als komisch rezipiert werden, was automatisch ein Lächeln oder Lachen auslöst/hervorruft (vgl. Schmidt 2008: 283). Anderseits versteht man unter Humor eine Eigenschaft von Menschen, das Witzige in der uns umgebenden Welt wahrzunehmen; ein solcher Mensch, so sagt man, besitze Sinn für Humor (vgl. Wowro 2017: 296). Der Duden bezeichnet diese Eigenschaft als die »Gabe eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen.« Je nach wissenschaftlicher Interessenlage wird der Terminus weiter spezifiziert und präzisiert. Meine Humorauffassung, die ich diesem Beitrag zugrunde lege, stützt sich auf die von Bremmer und Roodenburg (1999: 9) erarbeitete Definition. Sie verstehen Humor als »jede durch eine Handlung, durch Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oder durch Musik übertragene Botschaft, die darauf abzielt, ein Lächeln oder ein Lachen hervorzurufen.« Im folgenden Beitrag wird Humor demnach in
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Anna Hanus
einem möglichst umfassenden kommunikativen Bedeutungsrahmen genutzt und zwar als Kommunikationsinstrument, das von Kommunizierenden dazu gebraucht wird, Lachen hervorzurufen. Das Lachen ist die Wirkung von Humor, was von Kamper und Wulf (1986: 7) durchaus treffend als »eine Reaktion des Körpers, in der dieser sich gegen Vergeistigung, Rationalisierung und Abstraktion behauptet«, charakterisiert wurde. Der Lachende überlässt dabei »seinen Körper sich selbst; er verzichtet auf Kontrolle […]« (ebd.). Humor, verstanden als ergebnisorientiertes Kommunikationsinstrument, das Interaktion zwischen Sender und Empfänger voraussetzt bzw. darauf angelegt ist, lässt sich unterschiedlich anwenden. Ihm können verschiedene Funktionen zukommen oder aber zugeschrieben werden. Allgemein bekannt ist die wohlwollende Funktion des Humors, also die positive Beeinflussung psychischen sowie physischen Befindens (vgl. z. B.: Martin 2001; Fry 1995; Bruehl/Carlson/ McCubbin 1997; Tomczuk-Wasilewska 2009), darunter auch die Stress abbauende Funktion (vgl. Lazarus/Folkman 1984; nach: Martin 2003; Kupier/Martin/ Olinger 1993), seine edukative Funktion, sowie die rhetorische (vgl. Meyer 2000), wie z. B. im Falle der persuasiven Handlungen. Der funktionale Aspekt des Humors beschränkt sich aber nicht nur auf seine wohlwollende und erziehende bzw. rhetorische Funktion. Hier sei auch auf den negativen Charakter und die mögliche destruktive Auswirkung sowie die aggressive Form hingewiesen, die Humor annehmen bzw. hervorrufen kann. Zur Erforschung der unterschiedlichen Ausprägungen des Humors haben Forscher, die vor allem Humor über Fragebögen à la Humor-Styles-Questionnaire untersucht haben, einiges beigesteuert. Das von Rod Martin und seinen Mitarbeitern (2007) entwickelte4 Modell der Humorstile, das folglich Grundlage vieler empirischer Untersuchungen wurde und als eine gute Stütze bei der Analyse von humoristischen Spielarten betrachtet werden kann, »erweiterte die Dimension der Werturteile (positive/negative Intention) um die ‹Richtung› des Humors, der sich auf die Humorproduzenten selbst oder auf andere bezieht« (Hausendorf 2019: 32). Wichtig ist dabei, dass die Humorstile von Martin und seinen Mitarbeitern es möglich machen, sowohl die Perspektive des Humorproduzenten als auch die des Rezipienten in den Blick zu bekommen. Das genannte Konzept der Humorstile setzt sowohl einen positiven, d. h. wohlwollenden (vgl. Kleinaltenkamp et al. 2015: 151) oder konstruktiven (vgl. Hausendorf 2019: 32) Humor (auch adaptiver Humor genannt) voraus – genauso gut aber auch einen negativen bzw. verletzenden (vgl. Kleinaltenkamp et al. 2015: 151, auch destruktiver Hausendorf 2019: 32 oder nicht adaptiver Humor genannt), dem ein inter- und
4 Beschrieben wurde das Modell in: Rod, Martin (2007): The Psychology of humor: an integrative approach. San Diego: Elsevier Academic Press.
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intrapersonaler bzw. selbstbezogener und fremdbezogener Charakter eignet. In dem Konzept von Martin werden somit vier Typen von Humor unterschieden: – Humor im Dienste des eigenen Ego [self-enhancing humor], auch selbstaufwertender (vgl. Hausendorf 2019: 32) oder selbstfördernder Humor (vgl. Hausendorf 2019: 32) genannt (wohlwollend, selbstbezogen), dient zur Erhaltung der positiven Einstellung in jeder, auch schwieriger, stressiger Situation, – Der affiliative Humor [affiliative humor] (vgl. Hausendorf 2019: 32), auch verbindender Humor genannt (vgl. Hausendorf 2019: 32), (wohlwollend, fremdbezogen), dient dem Aufbau von zwischenmenschlichen Beziehungen. – Der selbstabwertende/masochistische Humor [self-defeating humor] (verletzend, selbstbezogen) dient dazu, soziale Billigung auf Kosten des eigenen Selbstwertgefühls zu erreichen. Er besteht darin, sich selbst zu erniedrigen, vor allem durch das Erzählen von spöttischen Geschichten über sich selbst. – Der aggressive Humor [aggressive humor] (verletzend, fremdbezogen) – charakteristisch sind für ihn der Gebrach von Spott, Hohn, Ironie, um das eigene Befinden zu verbessern/ sich in gute Laune zu versetzen, das Selbstwertgefühl zu stärken/steigern. Dieser Humor wird dazu benutzt, andere zu manipulieren und/oder durch Spott, Auslachen, Sarkasmus zu kritisieren. Die funktionale Typologie von Martin et al., die die Gerichtetheit von Humor im Kontext der zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen berücksichtigt, kann bei Analysen von öffentlichen Fernsehstreitgesprächen zur Anwendung gelangen und als eine durchaus brauchbare Stütze bei der Untersuchung von Verwendungszwecken und Funktionen von Humor dienen. Auch innerhalb der Linguistik wurden bereits Klassifikationsversuche der humoristischen Hauptspielarten vorgenommen. Eine ebenfalls durchaus brauchbare, oft zitierte und in mehreren Untersuchungen verwendete Typologie hat Klaus Moser (1990) vorgelegt, der sechs Varianten unterscheidet: »(1) Spöttischer Humor: Lachen über Schwächen (besonders über die Dummheit) anderer Personen, wobei moralische Schwächen ausgenommen werden. (2) Unmoralischer Humor: Lachen über widerwärtige Situationen oder Ausschweifungen. (3) Gewagter Humor: Lachen über Späße mit sexuellen Anspielungen. (4) Einsichtiger Humor: Lachen über plötzliche Einsicht, die sich in verwickelten Situationen einstellt. (5) Witziger Humor: Lachen über ein Spiel mit Gedanken oder Worten. (6) Humor bezüglich der Ungereimtheit von Situationen oder Gedanken: Lachen über lächerliche Situationen« (Moser 1990: 184–185).
Die verschiedenen Spielarten und Stile lassen sich in fast allen Bereichen menschlichen Agierens wiederfinden, da sie alle mit dem täglichen Kommuni-
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zieren aufs Engste verbunden sind. Welche Spielarten und zu welchen Zwecken werden aber von Kritikern in Streitgesprächen zu Literaturneuerscheinungen in Fernsehsendungen genutzt? Handelt es sich da um den Einsatz von Humor zum gemeinsamen Lachen oder eher zum Verlachen. Den Fragen versuche ich anhand der Sendung »Das Literarische Quartett« nachzugehen.
3.
Präzisierung des Untersuchungsobjekts und Vorgehensweise
Bücherbesprechungen und Literaturkritik assoziiert man grundsätzlich mit der sachlichen Beurteilung der künstlerischen Leistung eines Schriftstellers, Lyrikers und/oder Publizisten anhand eines Werkes, mit der Darstellung und Würdigung der schriftstellerischen Leistung und dem Hinweis auf Schwachstellen, die kritisch besprochen werden. Selbstverständlich handelt es sich stets um subjektive Urteile, die allerdings intersubjektiv nachprüfbar sein sollten. Humorvolle Urteile von Experten sind jedoch keinesfalls ausgeschlossen. Ein Paradebeispiel hierfür ist das für die Zeit der späten 1980er Jahre neuartige Konzept der Literaturvermittlung – die Literatursendung »Das Literarische Quartett«, entworfen und geleitet von Marcel Reich-Ranicki, ausgestrahlt vom ZDF vom 25. 03. 1988 bis zum 14. 12. 2001. Der Titel der Sendung kündigt das Aufeinandertreffen von vier Literaturkritikern an, die sich in einer Fernsehdiskussion mit aktueller Literatur im kritischen Austausch auseinandersetzten. Regelmäßige Teilnehmer der Runde waren der Initiator des Formats, Marcel Reich-Ranicki, seines Zeichens professioneller Literaturkritiker, der seine eigene Kolumne in der FAZ führte und langjähriger Chefredakteur des Literaturteils der FAZ war; dann Hellmuth Karasek, ebenfalls Literaturkritiker und Feuilletonist beim Spiegel sowie Sigrid Löffler, Feuilletonistin und Kulturkorrespondentin u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und Die Woche. Das Spezifische, Neuartige und Alleinstellungsmerkmal der Sendung wird in der Selbstaussage von Reich-Ranicki deutlich: »Wir werden über Bücher sprechen, und zwar, wie wir immer sprechen: liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich. Denn die Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritik, der Kritiker.«5 »Gibt es im ›Quartett‹ ordentliche Analysen literarischer Werke? Nein, niemals. Wird hier vereinfacht? Unentwegt. Ist das Ergebnis oberflächlich? Es ist sogar sehr oberflächlich« (Reich-Ranicki 1999: 538). Die Aufgabe der Sendung war es einerseits, eine aktuelle Literatur6 zu präsentieren, anderseits Kriterien zur Bücherwahl zu vermitteln, dabei aber vor allem unterhaltsam zu sein. Im Gegensatz zu herkömmlichen Literatursendun5 Zitat von Marcel Reich-Ranicki in »Das Literarische Quartett« vom 18. März 1993. 6 Allerdings waren Lyrik und Sachbücher aus der Runde ausgeschlossen.
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gen stand bei der Sendung die Objektivität, genauer: die objektive, intersubjektiv überprüfbare Kritikalität nicht im Vordergrund. Es ging nicht darum, unvoreingenommen über Neuerscheinungen zu informieren, sondern subjektive Leseeindrücke und Werturteile der einzelnen Kritiker zu vermitteln. Ein Mehrwert der Kritikrunde war die Hebung des Interesses des Durchschnittsbundesbürgers an der aktuellen Literaturproduktion. Die Sendung sollte und tat es: zur Leseförderung in der BRD beitragen. »Das Literarische Quartett« war von Reich-Ranicki dominiert. Charakteristisch waren seine kontroversen Thesen und apodiktischen Meinungen, die von ihm initiierten diskutablen, im Ausdruck scharfen Streitgespräche, seine rücksichtslosen Kritiken, ja nicht selten vernichtenden Verrisse. Seine Art, die Diskussion zu führen, sorgte für hunderttausende Zuschauer (vgl. Kuhl 2003: 81) 7 und oftmals ein lachendes, vergnügtes, jedenfalls sich gut unterhaltendes Publikum8. Bei einer solchen innovativen Mischform aus Kritik, Polemik und Unterhaltung erscheint es spannend, dem Unterhaltungsfaktor des in der Sendung verwendeten Humors auf die Spur zu kommen und zu ermitteln, wie er das Publikum oder vielleicht die Kritikerin und die Kritiker selbst zum Lachen provozierte? Die in dem Beitrag präsentierten Analysen beschränken sich auf Filmmaterial, das nur einer Folge der Sendereihe entnommen wurde. Aus Platzgründen ist es nicht möglich, Belege aus mehreren Ausgaben der Sendung vorzulegen und zu besprechen. Da jedoch die unten präsentierten Beispiele so ausgewählt wurden, dass sie für das gesamte Format repräsentativ sind, sollten die Analysen verallgemeinerbar sein. Schlussfolgerungen werden dagegen anhand der eingehenden Untersuchung von etwa 30 stichprobeweise exzipierten Sendungen formuliert. Analysiert wurde die 38. Folge von »Das Literarische Quartett«, zum Teil usurpatorisch von Marcel Reich-Ranicki ›dirigiert‹, übertragen am 24. 08. 1995 aus Salzburg. Die drei Stammkritiker waren damals noch Sigrid Löffler, natürlich Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek. In der Rolle des Gastexperten trat Karl Corino vom Hessischen Rundfunk (HR) auf. Zur kritischen Besprechung wurden folgende Werke gewählt: Theodor Fontane: Irrungen Wirrungen (neue Ausgabe, veröffentlich in der Reihe Berliner Frauenromane); Antonio Tabucchi: Erklärt Pereira; Dietrich Schwanitz: Der Campus; Jonathan Lynn: Mayday sowie 7 Laut Fernsehlexikon erreichten manche Folgen sogar die Einschaltquote von einer bis anderthalb Millionen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. Die durchschnittliche Zuschauerzahl lag laut Kuhl bei ca. 700.000 (vgl. Kuhl 2003: 81). 8 Die ersten sechs Folgen der Sendereihe »Das Literarische Quartett« wurden im Studio ohne Publikum aufgenommen; danach wurde es einem Publikum ermöglicht, bei Diskussionen des Quartetts live dabei zu sein. Seit Oktober 1989 wurde die Sendung in wechselnden Umgebungen vor Publikum aufgezeichnet (vgl. Kuhl 2003: 81).
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Anna Hanus
Günter Grass: Ein weites Feld. Das letzte Buch, das als erstes in der Sendung besprochen wurde, dominierte die gesamte 75 minütige Sendung (Das Buch wurde etwa 35.29 Minuten lang besprochen). Sogar bei der Besprechung von Fontanes Irrungen Wirrungen knüpften die Kritiker immer wieder an den Roman und seinen Autor an.9 Nicht ohne Grund. Der Roman, der Grass’ Skepsis der Wiedervereinigung Deutschlands gegenüber zum Ausdruck bringt, hat nicht nur Literaturkritiker, sondern auch die gesamte deutsche Öffentlichkeit in entschiedene Gegner bzw. Anhänger geteilt. Da hier angenommen wird, dass Humor Sprechhandlungen determinieren, die darauf abzielen, Lachen bei Rezipient*Innen auszulösen, wird im Folgenden der Fokus auf komplexen Sprechhandlungen liegen, die bei dem Publikum im Studio bzw. den Gesprächsteilnehmern eine unmittelbare Lach-Reaktion ausgelöst haben.
4.
Lachen erzeugende Passagen – eine Analyse
Der erste Beleg für ein Lachen im Publikum lässt sich am Ende der 15. Minute der Sendung verzeichnen: 15’ 45 Löffler: Also zwei Dinge würde ich dazu gerne sagen wollen. Das zentrale Bild für die historische Austauschbarkeit oder das ewige auf und ab der Geschichte ist dieser Paternoster, der in dem Gebäude der Ministerien das in dem heute oder heute nicht mehr aber jahrelang doch die Treuhandanstalt saß, das früher das Göringsche Luftfahrtsministerium war. Wir kennen es, dass in diesem Gebäude der Paternoster alle Machthaber der letzten Jahre und Regime auf und ab transportiert hat. Rohwedder …. Reich-Ranicki: Goering. Löffler: ….kommt auch vor. Löffler: Ja, das ist so zu sagen die zentrale Metapher. Karasek: Finden Sie da wirklich ein tiefes Bild, wenn man sagt: Das Leben geht auf und ab? [LACHEN IM PUBLIKUM] Löffler: Nein, nein, überhaupt nicht. Aber, ich sage, dass …. Reich-Ranicki: Das ist doch erbärmlich. Löffler: Moment mal. Das ist seine zentrale geschichtsrelativierende Metapher. Das möchte man dahingestellt sein lassen.
Für das Lachen im Publikum hat als erster Hellmuth Karasek gesorgt. Eine bildhafte Ausführung von Siegrid Löffler zur historischen Austauschbarkeit, die die Kritikerin für die »zentrale geschichtsrelativierende Metapher« von Grass 9 Angeknüpft wird an das Werk von Grass nicht ohne Grund. Grass nämlich verweist in seinem Buch auf Fontane und seine (wilhelminische) Zeit der Vereinigung Deutschlands im Jahre 1871 (1870/71).
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hält, quittiert er mit einer ironischen Frage, die letztendlich die Minderwertigkeit der Aussage von Löffler suggerieren soll. Die ironische Bemerkung von Karasek hat mit guter Wahrscheinlichkeit nicht das Ziel, das Publikum zu amüsieren; seine Aussage kann eher so interpretiert werden, dass er versucht, die Kompetenz seiner Mitstreiterin anzuzweifeln, ja zu verspotten. Jedenfalls spricht einiges dafür, dass der ›humorvolle‹ Kritiker Karasek Löffler mit seiner ironischen Erwiderung vorzuwerfen versucht, ihre Erkenntnisse wären flach10. Karaseks sich als Frage tarnende, spöttische Infragestellung seiner Ko-Kritikerin/Kollegin Löffler hat offensichtlich das Ziel der Herabsetzung der weiblichen Gegenstimme und zwar entsprechend der Typologie von Rod Martin unter Verwendung aggressiven Humors, der in dem Fall darauf abzielt, der Mitstreiterin eine unprofessionelle Äußerung vorzuwerfen und sie vor dem Publikum zu diskreditieren. Ein interessantes Beispiel für Humor, mit dem das Publikum im Studio zum Lachen verleitet oder provoziert wird, das aber auch die Mitstreitenden zum Lachen bringt, ist eine Passage, die durch eine komplexe Sprechhandlung11 von Marcel Reich-Ranicki dominiert wird: 21’ 07 K: Ich habe mich gefragt. Dem Zeitpunkt entgegen gelesen. Ich denke, ein Autor wie Günther Grass beschreibt den Tag der Wiedervereinigung. Das muss doch toll werden! Ob es jetzt hasserfüllt ist …. L: Warum? K: Ja aber es wird nichts beschrieben. Er redet…. R: Warum – ist doch klar warum, weil es ungeheure Show war. K: Von einem Erzähler erwartet man, dass der Erzähler eine böse Perspektive…. L: Warum erwartet man das? Herr Karasek… K: Weil das Buch als Jahrhundertereignis angekündigt wurde und ein Windei ist. L: Doch nicht von Herrn Grass! K: Na von wem denn sonst? Glauben Sie Herr Steidl hat es gemacht ohne Herr Grass danach zu fragen? L: Also, jetzt, glaube ich, müssen wir ein paar Sachen auseinander halten. Erstmal die Marketingstrategie des Verlages. Das ist die eine Sache. Die ist ja möglicherweise ganz nach hinten losgegangen. Das will ich dahingestellt sein lassen. Das Zweite ist, dass die Kritiker es sind, die seit vielen Jahren sagen, das größte deutsche Thema sei die Wiedervereinigung und dieses Großthema müsste doch endlich ein Großautor z. B. Grass angehen. Also das Großthema für den Großautor ….
10 Die Lektüre des Transkripts und der knappe Wortwechsel zwischen den Mitstreitenden können den Verdacht erhärten, es hier ggf. doch mit einer Vergewisserungsfrage zu tun zu haben. Wenn man aber auch Mimik, Gestik und den Tonfall berücksichtigt, hat man keine Zweifel mehr, dass es sich in diesem Fall doch um eine Verspottung und den Versuch der Anfechtung der Autorität von Siegrid Löffler handelt. 11 Mehr zum Thema Komplexe Sprechhandlungen und insbesondere zum Thema Kritisieren als komplexe Sprechhandlung in Hanus (2018).
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K: Also wir sind daran schuld, weil wir Herrn Grass eingeredet haben, dieses Buch zu schreiben! L: Moment, ja selbstverständlich! Weil natürlich, wenn das Großthema von einem Großautor zu einem Großroman verarbeitet wird, dann kommen nämlich die Großkritiker um dann dieses Buch wieder nieder zu machen. R: Verzeihen Sie …. L: Statt es hochgehoben zu haben. L: Das sind doch die Strategien, die ganze Zeit …. K: Grass ist groß genug, dass er nicht wie ein Papagei wartet, was die Kritiker sagen, um ein Buch zu schreiben. R: Ja, ja…. R: Alle dies Bücher: die Rätin, die Unkenrufe, Treffen in Telgte, waren nicht von der Kritik vorgeschlagen dem Grass. Er hat seine Themen, Gott sei Dank, so gewählt, wie er sie wählen wollte. Ein deutscher Autor, den ich aus Barmherzigkeit hier nicht nennen will, hat in einem Interview vor sechs, sieben Monaten gesagt. Man erwartet von mir immer wieder einen Roman. Der Mensch irrt sich. [LACHEN IM PUBLIKUM] Ich fürchte, ich fürchte den nächsten Roman dieses Autors. [LACHEN IM PUBLIKUM] Es ist ein Autor, dessen Bücher die letzten alle schauderhaft waren. [LACHEN IM PUBLIKUM] Und die Idee, er wird wieder mit einem Roman kommen, Er hat mich nur in Angst getrieben.
In der Passage nutzt Reich-Ranicki die Auseinandersetzung zwischen Löffler und Karasek zu möglichen Motiven der Entstehung des Romans von Grass dazu, den Streit schlagfertig zu pointieren und sich als derjenige in Szene zu setzen, der sowieso das letzte Wort hat. Reich-Ranicki nennt ein Beispiel eines seiner Erachtens miserablen Autors, der damit prahle, er wäre immer wieder um neue Romane gebeten worden – um mit seiner Anekdote auf den besprochenen Roman und seinen Autor anzuspielen. Die angeführte kurze witzige Geschichte soll eine direkte Analogie zu Grass in Form einer Metapher darstellen. Der von Anfang an deklarierte Widersacher der Leistung von Grass bedient sich, und zwar nicht zum ersten Mal, des Humors, um Grass abermals zu kritisieren, ihn dadurch öffentlich niederzumachen. Mit der Handlung scheint er auch dem eigenen »ich« zu schmeicheln im Sinne des selbstaufwertenden Humors nach Martin. Mit der autoritären Aussage will er seine Mitstreiter und sich selbst in der Überzeugung bestärken, dass er derjenige ist, der ein Kunstwerk von Schund am besten zu unterscheiden versteht. Daher sieht er sich auserwählt und verpflichtet, über andere zu urteilen, sie zu verreißen bzw. in den Himmel zu heben. Zu einer regelrechten Lachexplosion bringt das Publikum eine weitere sprachliche Auseinandersetzung, ebenfalls in der Sendung aus Salzburg: 22’ 55 R: Wie ist es möglich, dass er nichts erzählen kann? Keine Episode, keine Geschichte, nichts. Ich finde…. L: Ah, Herr Reich-Ranicki. Ich verstehe diese Erbitterung nicht. Es muss einem Autor auch erlaub sein sehr hoch einzusteigen nämlich mit einem, mit einem wirklich jungen Genie,
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wofür die Blechtrommel gewesen ist und dann diese Höhe nicht mehr zu erreichen, ohne dass die Kritiker es ihm andauernd vorhalten, als ob es…. R: Aber das hat nichts mit der Höhe …. L: Selbstverständlich hat es damit zu tun. Denken Sie doch an was weiß ich …. Der Richard Strauß hat einmal Salome und Elektra geschrieben. Er hat das dann seinen Lebtag….dann nicht mehr erreicht, wie danach erzeugt, wie der Rosenkavalier geschrieben. Aber würde ich nochmal sagen. R: Aber, zuerst einmal….Sie reden über eine der besten Opern dieses Jahrhunderts: Rosenkavalier. [LACHEN IM PUBLIKUM, LÖFFLER LÄCHELT AUCH] L: Das ist ein Machwerk. Rosenkavalier ist ein Machwerk R: Ich bitte Sie, schreiben Sie uns drei solche Machwerke. Also, ich bitte Sie. Ich meine, es muss ja alles seine Grenzen haben. [LACHEN IM PUBLIKUM]
In einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Löffler und Reich-Ranicki erregt die Reaktion des Kunst-, darunter auch Opernliebhabers auf Löfflers Äußerung bezüglich der Leistungen von großen Künstlern wieder eine richtige Lachsalve hervor. Mit einer bildhaften Metapher, in der sie die grassschen Romane mit Musikwerken von Strauß vergleicht, löst sie bei Reich-Ranicki regelrecht Empörung aus. Der Kritiker reagiert auf ihre »Herabwürdigung« des Rosenkavaliers schlagfertig und durchaus scharfzüngig. Im Gegenzug, in einer Art Protest, schlägt er Löffler vor, »drei solche Machwerke« zu schreiben. Die ironische Bemerkung, die als Inbegriff aggressiven Humors einzuordnen ist, mündet zum Schluss im Sarkasmus, als der Kritiker feststellt, alles habe seine Grenzen. ReichRanickis Äußerungen setzen sich offensichtlich zum Ziel, Löffler für mangelnden Sinn für gute klassische Musik und unzureichendes Fachwissen zu kritisieren. Erwähnenswert wäre darüber hinaus ein Schlagabtausch, ebenfalls zwischen Löffler und Reich-Ranicki: 24’ 39 L: Hängen wir doch das Buch ein bisschen niedriger. Wenn wir …. R: Noch niedriger können wir es nicht …. L: Moment! R: … hängen! [LACHEN IM PUBLIKUM] Das ist es schon, das muss man sagen, [LACHEN IM PUBLIKUM] das ist wertlose Prosa. Leid, unmessbar. Sonst nichts kann ich sagen. L: Wenn Sie das Buch von Jahrhundertereignis etwas niedriger hängen…. K: Dann bleibt es genauso ein schlechtes Buch, wie jetzt.
24’ 59 L: Wenn dieses Buch von Siegfried Lentz geschrieben wäre oder von Stephan Heim …. K: Dann wäre es nicht behandelt hier L: Dann würden Sie es dulden [LACHEN IM PUBLIKUM] und dann würden Sie es leben lassen. [LACHEN IM PUBLIKUM] K: Ah, dulden, dulden. Ich lasse …. L: Dann würden Sie es leben lassen ….
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R: Nein, ich kann etwas, was tot ist,… [LACHEN IM PUBLIKUM] K: ….nicht leben lassen: R: Ich kann etwas, was tot ist, nicht leben lassen. Was erwarten Sie? L: Sie haben es tot geredet [LÖFFLER LACHT]
Den ersten Lachausbruch löst in der Passage eine sarkastische Erwiderung von Reich-Ranicki aus. Sie bezieht sich auf den Vorschlag Löfflers, das Buch von Grass etwas niedriger zu hängen. Der Kritiker quittiert seine Empörung mit der Feststellung, dass noch niedriger hängen gar nicht geht, womit er die Leistung von Grass erneut herabwürdigt. Damit schließt er seine Liste der Beschuldigungen und Vorwürfe noch nicht ab. Er fügt noch in Form direkter Kritik abwertende Adjektive und die Feststellung hinzu, dass ein Niedrigerhängen dem Buch genauso wenig helfe. Die Art des aggressiven Humors trifft auf einen Vorwurf von Löffler, dass er (also Reich-Ranicki) bei einem Schriftsteller, der nicht so anerkannt sei, nicht so verbissen wäre. Die ironisch-sarkastische Feststellung in Form eines Vergleichs mit der Nennung von bestimmten Autoren, bei denen Reich-Ranicki gewiss nicht so hartnäckig wäre, trifft erneut auf ein herzhaftes Lachen der Zuschauer im Studio, das sich erneut nach der bildhaften, metaphorischen, witzig-ironischen Erwiderung von Reich-Ranicki zu dem letzten Buch von Grass, sowie der witzig-ironischen Erwiderung darauf seitens Löffler hebt. Zum Auslösen des Lachens trägt offensichtlich auch der Eindruck bei, Reich-Ranicki schäkere mit Löffler. Für Lachausbrüche im Publikum sorgt auch immer wieder mal Hellmuth Karasek, auch wenn er nicht zu den Hauptmitstreitenden gehört: 26’ 51 R: Mir wäre viel lieber, wenn Grass über seine Liebe zu seiner Frau geschrieben hätte. [RANICKI GRINST/LÄCHELT] Interessiert mich viel mehr als seine Ansicht über die Wiedervereinigung. [LACHEN IM PUBLIKUM] K: Na ja, aber das ist doch die grässliche Voraussetzung. Das Buch geht doch davon.., und die Widmung ist: Meiner Frau, die es mit F. hat. Er hat mal geträumt, dass seine Frau Fontane im Graten liest und ihn mit sich betrügt. Was für ein schauerlicher Traum, dass ein Autor auf seine Frau eifersüchtig ist, weil sie einen anderen Autor liest. Du sollst keinen Gott neben mir haben! Jetzt hat er seiner Frau zur Belohnung… hat er gesagt: Ich schreibe selber Fontane. Und daraus gekommen ist: Potz, Blitz, und jedes Mal sagt kolossal, redikühl [gemeint wird: radikal] – sagen die Leute. [LACHEN IM PUBLIKUM] Weil man früher so gesprochen hat. Das ist eine schlechte Parodie auf ein Zitzewitz-Witz so zu sagen. [LACHEN IM PUBLIKUM] Habe gestern wieder kolossal gut gegessen. Erlaube mir Kameraden zu fragen… [LACHEN IM PUBLIKUM] L: Herr Karasek, jetzt haben Sie schon die Träume des Günter Grass rezensiert. [LACHEN IM PUBLIKUM]
In der Passage ist die Attacke des aggressiven Humors voll im Gange. Grass wird mit doppelter Kraft angegriffen, zum Teil von Reich-Ranicki, der dann von Ka-
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rasek abgewechselt wird. Ironisch gescherzt wird stets über die künstlerische Leistung von Grass. Nicht mal sein privates Leben wird verschont. Den Höhepunkt der kritischen Ironie stellt aber das Scherzen über Grass’ missratene Nachahmung der Sprache aus der Zeit Fontanes dar. Sie wird mit den ZitzewitzWitzen verglichen und scherzhaft von Karasek verdreht, verunstaltet, ja deformiert. Gelacht wird aber noch zum Schluss, als Löffler bissig ironisch-sarkastisch feststellt, Karasek habe wohl sogar »die Träume von Günter Grass rezensiert«. Mit der Entwicklung des Streitgesprächs wird Reich-Ranicki immer offensiver. Er greift jetzt nicht nur Grass, sondern weitere Personen und Institutionen an, die den Autor in seiner Abwehr gegen Kritiker unterstützt haben. Mit der Steigerung der Intensität der von Reich-Ranicki gebrauchten ironisch-sarkastischen Kritik, die man in dem Fall auch als aggressiver Humor bezeichnen kann, steigt auch die humoristische Aufladung der Studioatmosphäre insgesamt. Reich-Ranicki wird immer scharfzüngiger und schlagfertiger: 28’ 10 R: Wir verbieten uns immer wieder bestimmte Themen zu berühren. L: Ich verbiete gar nichts, aber ich merke, dass Sie Grass etwas verbieten wollen. R: Gar nichts. Mich interessiert nur eine Sache, die ich auch erwähnen möchte. Es ist im Zusammenhang mit der Rezeption dieses Buches, ja zehn Tage dauert das de facto, was da vorher war, wollen wir gar nicht erwähnen, etwas passiert, was in der Geschichte der deutschen Literatur, meines Wissens, noch nie passierte. Etwas vollkommen Unglaubliches, Unerhörtes. Es erscheinen also sechs, sieben Kritiken, in großen Blättern, negative, beinahe alle. Das ist schon manch einem Autor, bedeutenden, passiert. Und jetzt kommt ein Gewerkschaftsfunktionär, der Sekretär der IG-Medien und erklärt, und zwar deutlich auf Wunsch des Verlages und wohl Grass: Unserem Mitglied, [REICH-RANICKI GRINST SARKASTISCH] dem Gewerkschaftsmitglied Grass geschieht ja ein Unrecht. [LACHEN IM PUBLIKUM] Die Kritiker behandeln…. Ein Gewerkschaftssekretär nimmt einen Schriftsteller in Schutz. Das… Damit geschieht Grass ein Unrecht. [LACHEN IM PUBLIKUM] K: Ich muss die Gelegenheit benutzen, ich muss die Gelegenheit benutzen [LACHEN IM PUBLIKUM] um etwas zu Politiker-Korrektheit zu sagen.
Noch einmal im Stile einer Anekdote parodiert er, im Jargon der Parteigenossen der noch bis vor kurzem existierenden DDR, wie die Gewerkschaftsleitung der IG-Medien den Genossen Grass vor den Hyänen-Kritikern zu schützen versucht. Es lacht jetzt nicht nur das Publikum, sondern auch Reich-Ranicki selbst, der sein Lachen nicht zu unterdrücken vermag, sooft er das Wort Unrecht ausspricht. Hier scheint Reich-Ranicki den Höhepunkt seiner ironisch-humoristischen Leistung erreicht zu haben. Das Publikum lacht eine Zeitlang weiter, ungeachtet dass Karasek bereits ein neues Thema angesprochen hat. Und das neue Thema bezieht sich eben auf die Gesprächspassage, die unten penibel transkribiert wurde:
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29’ 19 K: Ich bin Spiegelredakteur. Als man gegen …. Jetzt hat man eine willkommene Gelegenheit genommen und hat gesagt: Das Titelbild sei unmenschlich! Das Titelbild, ich habe es hier vor mir und kann es gerne zeigen, ist ein Bild, mit dem seit Jahren für das Literarische Quartett geworben wird. Das haben wir als Zitat benutzt, beim Spiegel. Und wir haben Herrn Reich-Ranicki auch gesagt, dass wir das so benutzen. So war es doch nicht wahr? R: Ja, aber ich wusste nicht, dass das gesagt wird. Ich allein drauf ….Ich dachte, ich bin zusammen mit Grass. Das ist mir alles völlig egal. Es ist Folgendes. Das Bild ist, soviel ich weiß, nachgeahmt einem Gemälde von Michelangelo. Da wird Moses gezeigt mit den beiden Tafeln in der Hand. Ich finde Michelangelo im Zusammenhang mit meiner Person nicht beleidigend. [LACHEN IM PUBLIKUM] Also. So ein schlechter Maler oder Bildhauer, weiß ich nicht…. Auch den Vergleich mit Moses ein bisschen hoch gegriffen. [LACHEN IM PUBLIKUM] K: Aber nur ein bisschen. R: Ja. Ein bisschen. Jetzt ist Folgendes. Man war, ich habe schon gehört, Leute sind empört, dass ich gegen dieses Titelbild nicht protestiert hätte. Ich denke nicht daran zu protestieren. Für mich ist nur eine einzige Frage von Interesse. Nämlich: Trägt dieses Titelbild dazu bei, dass mehr Leute, als ohne Titelbild, diese Nummer des Spiegel kaufen und meinen Artikel lesen. Wenn ja, dann bin ich froh, dass dieses Titelbild drauf ist. Das stört mich überhaupt nicht.
Die Kommentare Reich-Ranickis zum Titelbild der Spiegel-Ausgabe mit dem Artikel über das neue Buch von Grass, auf der der Kritiker abgebildet ist, sind unterhaltsam. Im ersten Moment macht Reich-Ranicki den Eindruck, dass sein Foto auf der Titelseite und was sonst da abgebildet wird, ihn gar nicht beschäftigt und dass er gar nicht richtig wisse, und immer noch nicht interessiert sei, was da denn abgedruckt wurde und was man damit beabsichtigt habe. Dann erweist es sich aber, dass der Kritiker den Inhalt der genannten Titelseite bis auf das kleinste Detail kennt und dass es ihm vielleicht doch gar nicht so gleichgültig ist, wo und in welchem Zusammenhang ein Foto von ihm abgedruckt wird. Dem Kritiker schmeichelt es offensichtlich, dass er wie Moses mit seinen Tafeln gezeigt wird, was er richtig witzig pointiert. Mit den beiden Aussagen bringt Reich-Ranicki ausnahmslos alle zum Lachen. Diese Art von Humor, den er hier erzeugt, gehört zu den wenigen Beispielen, in denen er nicht aggressiv angewendet wird, sondern das Selbstwertgefühl Reich-Ranickis stärken soll. Humorstil wird in der von Martin entwickelten Typologie als Humor im Dienste des eigenen Ego bezeichnet. Kennzeichnend für diesen Stil ist, dass er immer selbstbezogen ist; im Falle von Reich-Ranicki gilt, dass der Kritiker ihn immer mit dem gleichen Mechanismus anwendet, und zwar versucht er mit witzigen Äußerungen die ganze Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen und zu beweisen, dass nur seine Urteile richtig sind und nur er das Recht hat, das letzte Wort und das Schluss-
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urteil auszusprechen. Durch die Handlungen sorgt der Kritiker für die Erhaltung seiner positiven Einstellung und seines Selbstwertgefühls12.
5.
Auswertung der Analyse
Meine durchgeführten Analysen zum Humorgebrauch in Expertenfernsehdiskussionen zu literarischen Neuerscheinungen haben ergeben, dass professionelle Literaturkritik und Humor sich nicht ausschließen. Zumindest nicht, wenn man sich Sendungen der im ZDF ausgestrahlten Sendereihe zu literarischen Neuerscheinungen anschaut, in der der kontroverse Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki die erste Geige spielte. Ein erster Blick auf das Format lässt den Eindruck entstehen, es handle sich um eine angenehme, ›gut bekömmliche‹ Unterhaltungssendung. Und tatsächlich wurde »Das Literarische Quartett« (die besprochene Literatursendung quasi) als Unterhaltungsangebot für ein breites Publikum konzipiert. Es wurde allerdings zugleich beabsichtigt, (weniger literaturinteressierte) mit dem damals neuartigen Format dieser Kultursendung auch weniger literaturinteressierte Zuschauer zu gewinnen, sprich die Leselust unter den Bundesbürgern zu befördern. Daher wurde wohl, so legt es die Analyse nahe, die Sendung in eine unterhaltsame Form verpackt, das sachkritische Niveau der Literaturdiskussion etwas niedriger gehängt, sie selbst dafür in lockerem Ton abgehalten, damit die Zuschauer durch eine abgehobene Expertensprache oder den Jargon der literaturwissenschaftlichen Expertise nicht abgeschreckt würden. Das amüsante und unterhaltsame Sendungsformat lässt individualistische, originelle und extravagante sowie vor allem offensive Taktiken und Strategien der Argumentation zu. Da es kein detailliertes Szenario für die Sendungen gibt, besitzen die Kritiker*innen einen ziemlich großen Spielraum zum selbstständigen Agieren. Besonders unterhaltsam scheinen dem Publikum die Wortmeldungen, Erwiderungen und scharfen Interventionen von Hellmuth Karasek und Marcel ReichRanicki. Ihren Aussagen goutiert es und applaudiert dazu im Studio lautstark. Löffler versucht in ihren Ausführungen stets sachlich zu bleiben, logisch zu begründen und konstruktiv zu diskutieren. Der Gast kann so gut wie gar nicht sein oder ihr Fachwissen, seine oder ihre Eloquenz und womöglich seinen oder ihren Sinn für Humor beweisen, weil er oder sie kaum zu Wort kommt. Humor
12 Über Benehmen und Wesen von Reich-Ranicki hat sich besonders explizit Sigrid Löffler (2002: 27) in ihrer Zeitschrift Literaturen geäußert: »Im Falle Reich-Ranickis war das Fernsehen als Eitelkeitsmaschine seines Daseins Glück und Unglück. Es hat den Kritiker ReichRanicki zugleich unerhört popularisiert und beschädigt. Er ist heute prominenter als die meisten Autoren und Bücher, über die er sich äußert«.
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aber ist in einer Unterhaltungssendung ein wesentlicher Faktor, der mannigfaltig zum Ausdruck kommen kann und sollte. Eine eingehende Analyse des multimodalen Materials hat ergeben, dass Humor in der Sendung viele Gesichter hat, insbesondere im Sinne von Martin et al., dass er seine Wirkung auf den Menschen facettenreich entfaltet sowie als Werkzeug auf vielerlei Weise gebraucht wird und dabei nicht nur Unterhaltungszwecken dient, indem er etwa für Belustigung beim Publikum sorgt. In vielen Gesprächspassagen begleitet der Humor die kritischen Äußerungen. Er wird aber nicht mit dem Ziel eingesetzt, die Kritik durch Humor abzumildern oder zu kaschieren, sondern sie zuzuspitzen. In allen Fällen wird man mit dem Humorstil konfrontiert, der von Martin et al. (2007) als aggressiver Humor bezeichnet wird oder den Moser (1990) spöttischer Humor nennt, obwohl die Typologie von Martin viel präziser die in dem Untersuchungskorpus vorkommenden Phänomene klassifiziert. Die einzelnen Kritiker bedienen sich beinahe aller Spielarten des Humors, die sie im Dienste der Kritik ausnutzen können. Genannt seien Ironie, Spott, Sarkasmus, Satire, Parodie, scherzhafte aber herabsetzende Vergleiche und Metaphern sowie rhetorische Fragen. Überraschend ist hierbei, dass in der Beziehung mit den Zuschauern der aggressive Humor anscheinend für intensive Unterhaltungseffekte sorgt, die wiederum dem Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen dienen. Im Untersuchungskorpus konnten darüber hinaus Ereignisse verzeichnet werden, in denen Humor zur ›Selbstbeweihräucherung‹, d. h. zum Schmeicheln des eigenen Ego bzw. zur Steigerung des Selbstwertgefühls (vgl. Martin et al. 2007) verwendet wird. Besonders deutlich ist dies bei einer Person, nämlich Reich-Ranicki. Ein Paradebeispiel ist die Gesprächspassage, in er, der ›Literaturpapst‹, sich selbst mit Michelangelo und Moses in Beziehung setzt. In dem Fall tritt, wie es aus der von Martin et al. (2007) entwickelten Typologie hervorgeht, der Humor im Dienste des eigenen Ego oder der selbstaufwertende Humor auf den Plan. Die von Martin et al. (2007) entwickelten Humorstile erweisen sich als hilfreich bei der trennscharfen Einordnung und Distinktion der Spielarten des in der Sendung vertretenen Humors. Was zu Beginn der vorgenommenen Analyse nicht selbstverständlich war: In der Sendung werden fast alle Humorstile repräsentiert. Nicht vertreten ist lediglich der selbstabwertende Humor, was in einer Literatursendung, die dazu dient, das Werk von anderen kritisch zu besprechen und zu bewerten, verständlich ist. Das aber mag einen aufmerksamen Leser verwirren. In der Aufzählung und Beschreibung der einzelnen Humortypen ist nämlich der affiliative, verbindende Humor von Martin gar nicht als präsent in dem Untersuchungskorpus erwähnt worden. Mit dem Anführen von Beispielen für den (nämlich den affiliativen, verbindenden Humor) Typ von Humor wurde in dem Beitrag absichtlich gezö-
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gert, weil die Erklärung des Phänomens einer Darstellung der übrigen Spielarten von Humor erforderte. In dem Korpus wird auch der affiliative, bzw. verbindende Humor vertreten, und zwar in allen Beispielen, die ich im Beitrag finden konnte. Eine gewisse Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, dass jeder der bisher genannten Humorstile gleichzeitig einen anderen Typus/Stil von Humor anklingen/aufscheinen lässt, jedoch auf einer differenten Ebene, so dass sich die Humortypen überlappen: Je nach Perspektive, je nach Adressierung der jeweiligen Äußerung, kann Humor als aggressiver oder auch als affiliativer, verbindender Humor wahrgenommen und rezipiert werden. Das Publikum im Studio wird sowohl mit dem aggressiven als auch mit dem selbstaufwertenden Humor gut unterhalten und amüsiert. Daraus lässt sich schließen, dass die Kritiker, die sich des aggressiven Humors bedienen, eine Art Zuneigung der Zuschauer gewonnen haben: Es handelt sich somit um den affiliativen, verbindenden Humor. Im Publikum wird offensichtlich nicht darüber reflektiert, dass auf Kosen anderer gelacht wird. Die Zuschauer goutieren und applaudieren dem aggressiven Humor, der sich an, man möchte genauer sagen gegen die Mitstreitenden oder die Autoren der besprochenen Bücher richtet. Folglich lässt sich schlussfolgern, dass die gleiche Variante des Humors, der gleiche Humorstil, hier verstanden als Humortypus, auf zweierlei Weise rezipiert werden kann, je nachdem, ob sich der Humor als aggressiver Humor an bzw. gegen andere richtet oder man ihn nur mittelbar, also als nicht selbst betroffener Adressat rezipiert.
6.
Schlussfolgerungen
Fasst man die Ergebnisse schlussendlich zusammen, lässt sich festhalten, dass Humor in der analysierten Sendung, je nach eingenommener Perspektive, unterschiedlich betrachtet, aufgefasst und rezipiert werden kann, dass er in unterschiedlichen Funktionen auftritt und dass er instrumentell bzw. auxilliaristisch, d. h. als Werkzeug benutzt wird. Letzteres nicht nur von den im Studio streitenden Kritikern, sondern auch von den Machern der Sendereihe. Daher könnte man die Feststellung wagen, dass der Humor (im »Quartett«) auf zwei verschiedenen (differenten) Ebenen ausgeführt und (somit auch) ebenenspezifisch rezipiert wird. Berücksichtigt man das Konzept des Formats, soll die Sendung erstens Unterhaltungszwecken dienen, um auf amüsante Weise ein breites Publikum zu adressieren und zu ›bezirpsen‹ (anzusprechen) und zweitens eine Kontroverse anzuregen, um möglichst viele Zuschauer zur Lektüre der in der Sendung besprochenen Werke zu animieren. Die Sendung will möglichst viele Zuschauer für
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Literatur interessieren, ja gewinnen, also das Interesse am Lesen wecken und die Freude am Lesen (be)fördern. In der Kritikerrunde wird Humor, im Gegensatz zu den Zielen der Sendung, aber zugleich auch mehreren Zwecken zugeordnet. Sein Gebrach ist nicht gleichmäßig unter den Mitwirkenden der Runde verteilt. Von manchen wird er gern und oft gebraucht, andere vernachlässigen ihn oder bekommen kaum die Gelegenheit, humoristisch zu argumentieren. Es gibt Gesprächsteilnehmer, die offensiv und geschickt Humor verwenden (Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek) und es gibt jene, die kaum die Möglichkeit bekommen, Sinn für Humor zu beweisen bzw. sich humorvoll zu streiten, weil sie kaum Redegelegenheit bekommen, Humor für unangebracht halten oder schlicht keinen Sinn für Humor haben. In der Kritikerrunde dominiert der Humor in seiner aggressiven Ausprägung (als Ironie, die teilweise sogar zum Spott wird). So kann ihn die engagierte bis erregte Auseinandersetzung zum Lächerlichmachen, Abwerten und Verriss von Texten und ihren Autorinnen und Autoren verzehren. (Kunstwerken zur Kritik, Verspottung, Herabwürdigung bzw. Diskreditierung von Personen,) um so die Gesprächspartner zu irritieren, zu ärgern und sogar zu beleidigen. Es tritt allerdings – jedoch eindeutig seltener – auch der selbstaufwertende Humor hervor. In dieser Verwendungsweise dient er dem Schmeicheln des Selbst der Redner, die ihr Selbstwertgefühl steigern oder sich in der Runde durchsetzen bzw. behaupten wollen. Der im »Quartett« identifizierte Humor fungiert stets als der die Kritik verstärkende Faktor. Er dient entweder der Ausdrucksverstärkung von kritischen Äußerungen oder der Intensivierung, d. h. ›Würzung‹ der Position eines jeweiligen Mitstreitenden. Sein Ziel ist es, die anderen von der eigenen Position zu überzeugen und für die eigene Argumentationsweise zu gewinnen. Interessant ist dabei, dass in den analysierten Diskussionspassagen der Humor so gut wie nie zur Neutralisierung, Abschwächung, Milderung der Kritik verwendet wird. In der Sendung kann gleichzeitig die perlokutive Wirkung der einzelnen Sprachhandlungen verfolgt werden. Als Gegenzug zu den Handlungen können die spontanen Erwiderungen und Reaktionen der Mitstreiter gerechnet werden. In der Mehrzahl der untersuchten Fälle reagieren die Diskutanten meistens emotional und spontan. Sie fühlen sich von der Kritik getroffen, oft angegriffen, reagieren dabei oft einander ähnlich. Sie werden entweder aggressiver (etwa Reich-Ranicki und Karasek) oder erfinderischer und einfallsreicher (etwa Siegrid Löffler, die eher produktiv humoristisch argumentiert, d. h. an der Kritik der anderen und vor allem ihrem innovativen Gegen-Schlag-Humor wächst). Kurzum: Der von den Mitstreitenden gebrauchte Humor dient vorwiegend destruktiven Zielen. Der das Lachen im Publikum provozierende Humor will in erster Linie das Publikum amüsieren. Wie aber kann dies erreicht werden, wenn die Diskutanten vorwiegend einen aggressiven Humor gebrauchen? Dieser löst im »Quartett«
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spontane Reaktionen aus, so zum Beispiel Empörung, Ärger oder auch/sogar Aggression. Paradoxerweise bringt der gleiche aggressive Humor das Publikum und manchmal sogar die Streitenden selbst zum Lachen. Sie reagieren spontan auf mokante Winks und humorvolle Botschaften, wobei sie sich dessen nicht selten gar nicht bewusst zu sein scheinen, dass sie auf Kosten anderer lachen und dass ihr Humor für die von ihm betroffenen Personen verletzend sein mag, weil er ›schief‹, d. h. nicht selten ungerechtfertigt ist. Die Hauptsache scheint zu sein: Im Studio wird gelacht, die Zuschauer amüsieren sich, die Unterhaltungsfunktion der Sendung ist erfüllt. Die zweite, wohl wichtigere Funktion der Sendung wird ebenfalls realisiert: Das Publikum wirkt mit bei Zur-Wirkung-Kommen des selbstaufwertenden Humors. Das Publikum wird von der Argumentationsweise des selbstsicheren Reich-Ranickis überzeugt, von ihm angestiftet, seine Urteile zu übernehmen. Sein Ziel, dem Publikum ein bestimmtes Buch schmackhaft zu machen, wird erreicht. Schlussendlich wird zur Förderung des kritischen Denkens und des Lesens unter Bundesbürgern beigetragen. Als Fazit drängt sich deshalb die Schlussfolgerung auf, dass der auf der ersten Ebene als destruktiv beschriebene aggressive Humor zugleich in konstruktiver Funktion zum Einsatz gelangen kann. Mit der funktionalen Typologie von Martin et al, die die Gerichtetheit des Humors im Kontext der zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen berücksichtigt, konnten die markantesten und die am häufigsten auftretenden Humortypen identifiziert werden. Es konnte ermittelt werden, dass in der analysierten Fernsehsendung besonders oft Formen aggressiven Humors Verwendung finden: und zwar als Ironie, Sarkasmus, rhetorische Frage, Parodie und zweideutige Anspielung. Es ließ sich demonstrieren, dass diese Spielart des Humors auf zweierlei Weise rezipiert werden kann, entweder als Kritik und Angriff oder als Werkzeug zur Belustigung des Publikums und, dass die ausschließlich negative Wirkung des aggressiven Humors im Verständnis von Martin et al. bestritten werden kann.
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Bemerkungen zum Humorgebrauch in Expertenfernsehdiskussionen
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Paweł Ba˛k (Uniwersytet Rzeszowski, Rzeszów)
Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen Humour and Translation. The Characteristics and Translation of Polish Aphorisms Abstract In this article, some aphorisms by Stanisław Jerzy Lec, Wiesław Brudzin´ski and Waldemar Kania and their translations from Polish into German are subjected to a linguistically sound, translational examination. The aphoristic texts of these authors share a number of features, including laconicism, conciseness, and humorous punchlines. The analysis of the target language rendering of aphorisms is a continuation of analyses of translations of aphorisms. In the present paper, the aim is to shed light on which features of the Polishlanguage translation original are considered invariant characteristics in translation and whether humorous elements are among them. Keywords: aphorism, translations of aphorisms, laconicism, humorous punchlines Schlüsselwörter: Aphorismus, Übersetzung der Aphorismen, Lakonik, humoristische Pointe
1.
Vorbemerkungen zum Gegenstand der Betrachtung
Im vorliegenden Beitrag werden einige aphoristische Miniaturwerke von Stanisław Jerzy Lec, Wiesław Brudzin´ski, Waldemar Kania1 in der Übersetzung aus dem Polnischen einer linguistisch fundierten, translatorischen Betrachtung unterzogen. Die Lektüre der Aphorismen, von denen hier die Rede ist, bietet die Gelegenheit zu einer besonderen intellektuellen Begegnung. Diese literarischen Texte setzen einerseits ein facettenreiches Weltwissen voraus, d. h. das Wissen über Realien der Zeit, in der die Literatur entstanden ist. Andererseits lassen sie einen großen Spielraum zur Interpretation. Dem bekannten polnischen Germanisten und Aphorismusforscher Stefan Kaszyn´ski zufolge nimmt Stanisław Jerzy Lec neben großen Klassikern dieser literarischen Gattung wie Karl Kraus oder Arthur Schnitzler einen festen Platz in der Geschichte der Aphoristik ein (vgl. Kaszyn´ski 1 Die Übersetzungsanalyse der Aphorismen von Lec und Brudzin´ski stammen von Karl Dedecius. Autor der deutschsprachigen Translate der Denksprüche von Waldemar Kania ist Krzysztof Lipin´ski.
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Paweł Ba˛k
2005: 160). Die Kurzweisheiten von Lec regen zu einer intellektuell anspruchsvollen Reflexion über die Welt, den Staat, die Kunst und über den Menschen an. Die Aphorismen zeichnen sich durch Ambiguitäten, epistemischen und universellen Charakter der Botschaft aus (vgl. Krysztofiak/Kaszyn´ski 2004: 382– 389). Durch eine prägnante Form bieten die Aphorismen inhaltlich mehr, als es ihre sprachliche Gestalt suggerieren könnte.2 Besonders genial, einfallsreich und komprimiert formuliert sind die aphoristischen »Unfrisierten Gedanken« von Stanisław Jerzy Lec (1909–1966). Dem Schaffen von Lec stehen jedoch die Aphorismen der etwas weniger namhaften Autoren Wiesław Brudzin´ski (1920– 1996) und Waldemar Kania (1937–2013) in Prägnanz und Einfallsreichtum keineswegs nach. Ihr literarisches Werk zeichnet sich durch eine charakteristische Textstruktur und spezifische Poetizität des Humors aus. Durch die erhellend-amüsante, künstlerische Verbindung der lapidaren sprachlichen Gestalt mit dem Inhalt, der über die Grenzen der Ausdrucksform hinausgeht, sind sie mit dem Schaffen von Stanisław Jerzy Lec durchaus vergleichbar. Die Texte von Brudzin´ski und Kania weisen eine Reihe von Charakteristika auf, durch die sie zu Aphorismen Lec’scher Prägung avancieren. Im Zentrum dieser Merkmale sind humoristische Akzente zu erkennen. Allerdings bieten sie dem Leser mehr als nur Unterhaltung, d. h. auch den Anlass zu einer tiefergreifenden Reflexion über den Menschen in Interaktion mit der Umwelt, über das Leben, über soziale Entitäten und den ontologischen Status von Werten in einer Welt hinter dem Eisernen Vorhang.3 In den deutschsprachigen Ländern können die Aphorismen von Lec und von Brudzin´ski dank der übersetzerischen Arbeit von Karl Dedecius (1921–2016), dem »Zauberer von Darmstadt«,4 rezipiert werden. Die deutschsprachige Version der aphoristischen Texte von Waldemar Kania verdanken wir dem 2013 verstorbenen polnischen Übersetzer, Literatur- und Translationswissenschaftler Krzysztof Lipin´ski (1957–2013). Um die Wirkung der Texte und hierbei insbesondere das humoristische Potenzial der aphoristischen Pointen, Kontrastierungen und Wortspiele im Hinblick auf die Übersetzungsmöglichkeiten zu diskutieren, werden im Beitrag zunächst sprachliche Charakteristika der Texte beleuchtet. Dabei wird kurz auf 2 Dies ist u. a. via Präsupposition, auf Konversationen zurückgehende Implikaturen oder intertextuelle Bezüge möglich. Für das Lang-Gedachte im Kurz-Gesagten als Ausdrucksform plädiert Friedrich Nietzsche (vgl. dazu Gwozdz 2017: 176–177). 3 Die aus aktueller Perspektive nicht immer mögliche Einsicht in die Zusammenhänge der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann heute zu Interpretationsschwierigkeiten und einem durch Autoren nicht intendierten Framing führen. Mehr dazu in Ba˛k (2018). 4 Krzysztof Kuczyn´ski (1999) bezeichnete Karl Dedecius als Czarodziej z Darmstadt (›Zauberer aus Darmstadt‹). Dedecius übersetzte ins Deutsche vor allem die polnische Lyrik, u. a. die Gedichte der Nobelpreisträger: Wisława Szymborska und Czesław Miłosz.
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Erkenntnisse der Frame-Semantik (vgl. Fillmore 1977: 55–81, Busse 2009: 80–90), insbesondere auf die Begriffe Wissen und Erfahrung eingegangen, fernerhin auf Begriffe der Semantik und Pragmalinguistik (u. a. Metapher, Präsupposition sowie die Pragmatisierung der beiden letzteren Kategorien). Bei der Beleuchtung von Resultaten der Übersetzung der Texte ins Deutsche wird mit dem übersetzungswissenschaftlichen Terminus Transposition, allerdings in dessen weiterem Sinn gearbeitet (vgl. Vinay/Darbelnet 1958: 50, Albrecht 1973: 41, Schreiber 1993: 214 und Ba˛k 2010b: 139–140).5 In der einschlägigen Literatur wurde bereits auf die wichtigsten Merkmale des Aphorismus im Hinblick auf Probleme der Translation hingewiesen.6 Mit der Analyse der zielsprachlichen Wiedergabe aphoristischer Texte von Wiesław Brudzin´ski, Stanisław Jerzy Lec und Waldemar Kania setzt der vorliegende Beitrag den Diskurs zur Übersetzung von polnischen Aphorismen fort. Im vorliegenden Aufsatz soll beleuchtet werden, welche Merkmale der polnischsprachigen Übersetzungsvorlage bei der Translation als invariante Charakteristika gelten und ob zu ihnen auch humoristische Elemente gehören.
2.
Zum Aphorismus als Übersetzungsvorlage
Bevor wir uns den Übersetzungsmöglichkeiten der humoristischen Sinnsprüche zuwenden, erscheint es sinnvoll, zunächst die relevanten Merkmale dieser Textgattung zu beleuchten. Zu den Hauptcharakteristika der Aphorismen Lec’scher Prägung gehören v. a. (vgl. auch Ba˛k 2015): – bündige, prägnante Textform, – Ambiguitäten, Mehrdeutigkeit der Aussage lakonischer Formulierungen (homonymer oder polysemer Charakter der Semantik von Ausdrücken), – am Ende der Texte vermittelte Pointe, – moralisch-didaktischer Charakter von indirekt vermittelten Aussagen (oft moralisch-didaktische Lehre, Kritik, Tadel), – Indirektheit von Äußerungen, last, but not least: – Humor. 5 Es geht dabei um fakultative und obligatorische Modifizierungen, die der Übersetzer in seiner Arbeit anwenden kann bzw. muss (vgl. z. B. Vinay/Darbelnet 1958: 50, Ba˛k 2010b: 139–140). 6 Als Textgattung ist der Aphorismus Gegenstand von Analysen vieler Autoren, u. a. Fricke 1984, Orzechowski 1984, Balowski 1992, Spicker 2004, Baran´czak 2004, Krysztofiak/Kaszyn´ski 2004, Wowro 2018. Die Übersetzung der Aphorismen aus dem Polnischen ins Deutsche wurde bisher v. a. unter Heranziehung der Aphorismen von Stanislaw Jerzy Lec beleuchtet (vgl. Krysztofiak/ Kaszyn´ski 2004, Ba˛k 2007, 2015). In einem anderen Zusammenhang wurde jedoch auch die Übersetzung der Texte von Waldemar Kania (vgl. Ba˛k 2010a, 2010b, 2014) und Wiesław Brudzin´ski (vgl. Ba˛k 2018) diskutiert. Dort wurde jedoch nicht hinreichend das humoristische Potential der Texte akzentuiert.
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Paweł Ba˛k
Der für die Wirkung der Texte relevante Charakter von Humor ist mit anderen Texteigenschaften verbunden, insbesondere mit der Kontrastierung, der Pointe und Indirektheit der vermittelten Lehre.
2.1
Prägnanz und Humor
Die tautologische Verbindung von Kürze und Prägnanz, als ein wichtiges Attribut der Texte, hebt den Unterschied zwischen Kürze, dem rein formalen Merkmal, und der Prägnanz als semantischer Komponente hervor (vgl. dazu Ba˛k 2010a: 11– 12). Bei dieser Konstellation handelt es sich um eine innere, inhaltliche Komplexität, um die Angemessenheit und Treffsicherheit sowie die Wirkung der Pointe (vgl. auch Baran´czak 2004: 123). Dies mögen nachstehende ausgewählte sowie weitere im Beitrag angeführte Beispiele aus dem Schaffen von Brudzin´ski ((1), (2), (34), (58)), Kania ((3), (4), (32), (33)) und Lec ((5), (7), (41), (60)) veranschaulichen: (1) Trzeba miec´ poczucie taktu, ale i faktu. (B1967: 33) (1’) Taktgefühl ist gut, Faktgefühl ist besser. (BBBD1984: 270) (2) Mniejsze zło jest zwykle trwalsze. (B1967: 6) (2’) Die kleineren Übel sind meist von längerer Dauer. (BBBD1984: 267) (3) Rzeki słów płyna˛ do mielizn. (K: 71) (3’) Redeflüsse münden in seichte Stellen. (K: 71) (4) Wstan´ z kle˛czek, be˛dziesz wie˛kszy. (K: 24) (4’) Erhebe dich von den Knien. Du wirst dann größer. (K: 24) (5) Pomys´l, zanim pomys´lisz! (L1998: 80) (5’) Bedenke, bevor du denkst. (LvD1996: 49) (6) Zegar tyka. Wszystkich. (L1998: 82) (6’) Die Uhr schlägt. Alle. (LvD1996: 12) (7) Daj wyraz słowu! (L1998: 146) (7’) Gebt dem Wort Aus-Druck! (LvD1996: 346)
Aphorismen à la Lec sind wegen der Indirektheit der Ausdrucksweise humorund geistig anspruchsvoll zugleich, scharfsinnig und kritisch.7 Die Präsenz von Humor neben Ernst und Tadel schafft eine spezifische Atmosphäre, die durch Kontraste geprägt ist. Obwohl die hier besprochenen Texte oft primär mit dem Wortspiel assoziiert werden, strahlen sie keine heitere Unbekümmertheit aus. Mit nachstehenden Worten bestätigt dies auch Karl Dedecius, sehr bedeutender 7 Die Aphorismen von Brudzin´ski und von Kania werden hier wegen ihrer Charakteristika als Aphorismen Lec’scher Prägung bezeichnet. Es sind Beispiele für eine künstlerische Gattung und nicht für einen Sachtext (vgl. Orzechowski 1984, Balowski 1992, Krysztofiak/Kaszyn´ski 2004). Aus textlinguistischer Sicht wird der Aphorismus als »semantisch komprimierter Kurztext«, genauer gesagt als »selbständiger kurzer Kurztext« aufgefasst (Janich 2015: 43).
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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Botschafter polnischer Kultur, Übersetzer polnischer Literatur, darunter vieler Aphorismen: Der polnische Aphorismus dieses Jahrhunderts trägt einen Trauerflor an der spitzen Lanze seines Humors. Er ist weniger spielerisch als anderswo, weniger »brillant«, mehr seinsbezogen. Seinen Hintergrund bilden Galgen und Kreuze, Käfige und Ketten. Er ist bitterernst und schweren Mutes, auch wo er Leichtigkeit vorschützt. Aus der Diskrepanz zwischen dem, was er (manchmal harmlos) sagt, und dem, was er (oft makaber) meint, folgt die Katharsis (die »reinigende« Erschütterung). (Dedecius 1996, im Nachwort zu: LvD1996: 326)
Im Humor erblicken die Aphoristiker, nicht nur Lec, sondern auch Brudzin´ski und Kania eine adäquate Ausdrucksform, mit der sie sich mit der Welt auseinandersetzen könnten ((8)–(13)). (8) S´wiat nie rozbrojony s´miechem grozi wybuchem. (K: 25) (8’) Wenn die Welt nicht durch das Lachen entschärft wird, droht sie zu explodieren. (K: 25)8
Die Autoren (nachstehend Kania und Brudzin´ski) sind sich der Wirkungskraft, der Prägnanz und Ambiguitäten des Aphorismus bewusst. Dieses Bewusstsein kommt auch oft in ihren Aphorismen zum Ausdruck (vgl. in Ba˛k 2014): (9) Aforyzm musi bronic´ swojej skrótowos´ci jak niepodległos´ci. (K: 69) (9’) Ein Aphorismus muss Seine Lakonie verteidigen wie die Unabhängigkeit. (K: 69)9 (10) Wynaleziono słowa. Krzyk był zbyt jednoznaczny. (K: 43) (10’) Man erfand Wörter. Der Schrei war zu eindeutig. (K: 43) (11) Aforyzm: pomysł na cos´ wie˛kszego, który nie został zepsuty wykonaniem. (BIII1971: 56) (11’) Der Aphorismus ist ein Einfall zu etwas Größerem, durch keine Ausführung verdorben. (BBBD1984: 286) (12) Aforysta: producent soli attyckiej do cudzych potraw. (BIII1971: 80) (12’) Die Aphoristen sind Hersteller von attischem Salz für fremde Küchen. (BBBD1984: 286) (13) Aforysta – człowiek, który cieszy sie˛ jak dziecko, gdy uda mu sie˛ wymys´lic´ cos´, co najprawdopodobniej było juz˙ starym ludowym przysłowiem u Fenicjan. (B1967: 60) (13’) Aphoristiker: ein Mensch, der sich freut wie ein kleines Kind, wenn es ihm gelingt, etwas zu erfinden, was höchstwahrscheinlich schon die Phönizier als uraltes Sprichwort gekannt haben. (BBBD1984: 268)
Auch die kürzesten Aphorismen können mehr Inhalt vermitteln, als es die lexikalische Bedeutung der im Text enthaltenen Lexeme auszudrücken vermag. Die Darstellung von Sachverhalten als bekannt bzw. selbstverständlich, fernerhin 8 Als alternativ kann hier die folgende Übersetzung vorgeschlagen werden: ›Entschärft die Welt durch Lachen – sonst explodiert sie.‹ Vgl. für dieses Beispiel Ba˛k (2010a). 9 Dieses Beispiel wurde auch in Ba˛k (2014: 117) herangezogen.
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eine entsprechende Profilierung im Thema-Rhema-Gefüge10 schaffen einen Kontext, der über die Grenzen der Texte hinausführt. Die Aphoristiker legen Interpretationen nahe, die der Leser selbst rekonstruieren muss. Auch andere Stilmerkmale der Texte wie Mehrdeutigkeit, intertextuelle Bezüge und insbesondere der indirekte Charakter von Sprechakten lassen den Leser über den Text hinaus denken. Nicht ohne Grund lautet der Titel der Aphorismen von Kania »Mniej – znaczy wie˛cej: aforyzmy / Weniger ist mehr: Aphorismen«.
2.2
Indirektheit, Kontraste und Humor
Die Indirektheit der aphoristischen Aussage ist ein sehr wichtiges Charakteristikum dieser Texte. Die Rezeption der literarischen Miniaturen setzt beim Leser voraus, dass er nach dem Sinn der Äußerung zwischen den Zeilen sucht. Es handelt sich hier u. a. um die Suche nach der Bedeutung von experimentellen Metaphern, Präsuppositionen oder um die Entschlüsselung der aphoristischen Äußerung via auf Konversationsmaximen zurückgehende Implikatur.11 Indirekt werden hier verschiedene Aspekte angesprochen. In einem anderen Beitrag (vgl. Ba˛k 2015)12 wurde signalisiert, dass bei Lec die direkte Erotik, Vulgarität und insbesondere Obszönität fehlen (14). Kommen hier kontroverse oder sozusagen unanständige Sachverhalte vor, dann nur in mittelbarer Form durch Implikation, Präsupposition oder humoristisch metaphorische Andeutung: (14) Obrócic´ sie˛ do ludzi tyłem – mówia˛ »dwulicowy«. (L1998: 105) (14’) Sie nannten ihn doppelgesichtig. Dabei zeigte er ihnen nur den Hintern. (LvD1970: 82)
Dasselbe kann man in Bezug auf die Texte von Wiesław Brudzin´ski und Waldemar Kania sagen. Auch in dieser Hinsicht ähneln sich die Aphorismen aller drei Autoren: (15) Co człowieka najs´cis´lej ła˛czy z człowiekiem? Wstyd powiedziec´. (K: 75) (15’) Was verbindet den Menschen am engsten mit einem anderen Menschen? Es schickt sich nicht, davon zu sprechen. (K: 75) (16) Dowodem na istnienie duszy jest te˛sknota za innym ciałem. (K: 65) (16’) Ein Beweis für die Existenz der Seele ist die Sehnsucht nach einem anderen Körper. (K: 65) 10 Im deutschen Text also ist bei der zs-Rekonstruktion der Profilierung der Gebrauch des (bestimmten oder unbestimmten) Artikels besonders wichtig. 11 Vgl. auch Ba˛k (2018). 12 Die aphoristische, indirekte Ausdrucksweise in den Aphorismen von Waldemar Kania wurde in Ba˛k (2010b: 139–150) eingehender behandelt.
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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(17) Gdy zapachniały fiołki, rzekło łajno: »No cóz˙, działaja˛ tanim kontrastem!« (L1998: 51) (17’) Als Veilchen zu duften begannen, sagte der Kot: »Na und, sie bedienen sich des billigen Kontrastes!« (LvD1996: 18)
In einem anderen Zusammenhang (vgl. Ba˛k 2018: 127) wurde bereits konstatiert, dass der Aphorismus von Oppositionen, kontrastierenden Domänen und widersprüchlichen Themen lebt. Der humoristische Effekt der aphoristischen Pointe ist mit der Kontrastierung verbunden. Viele Gegenüberstellungen dienen u. a. dazu, negative Erscheinungen des öffentlichen Lebens sowie des Alltags hinter dem Eisernen Vorhang bloßzustellen. In den fünfziger, sechziger, siebziger oder achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts kann man die Haltung der Autoren gegenüber dem politischen System als mutig ansehen. Das offene, auch wenn gezwungenermaßen sprachlich verklausulierte, politische Engagement der Aphoristiker bildet den gemeinsamen Nenner in Aphorismen aller drei Autoren: (18) Swoje przemówienie zwykł rozpoczynac´: »Jez˙eli wolno mi wysta˛pic´ ze swoim zdaniem, to juz˙ Engels powiedział, z˙e… » (B1955: 364) (18’) (10’) Seine Ansprachen pflegte er anspruchsvoll zu beginnen: »Wenn ich meine Meinung äußern darf, so hat schon Engels gesagt, daß…« (BBBD1984: 286, PPL1997: 491) (19) Czasem historie˛ fałszuja˛ od razu ci, którzy ja˛ tworza˛. (B1964: 12) (19’) Nicht selten wird die Geschichte gleich von denen gefälscht, die sie machen. (BBBD1984: 281) (20) Ogłoszenie: »Krajowe rozczarowania wymienie˛ na zagraniczne«. (B1964: 61) (20’) Anzeige: Tausche inländische Enttäuschungen gegen ausländische. (BBBD1984: 265)
Besonders bekannt ist die politische Aussage der »Unfrisierten Gedanken« von Stanisław Jerzy Lec. (21) A biedny Hitler mys´lał, z˙e antysemityzm doczepic´ moz˙na jedynie do narodowego socjalizmu. (L1996: 22) (21’) Und der arme Hitler dachte, der Antisemitismus wäre allein Sache des Nationalismus. (LvD1996: 290) (22) Zmarli zmieniaja˛ bez trudu pogla˛dy polityczne. (L1996: 66) (22’) Tote wechseln mühelos die politische Ansicht. (LvD1996: 67) (23) Cos´ sie˛ psuje w pan´stwie dun´skim! O jak olbrzymia jest Dania! (L1998: 80) (23’) Etwas ist faul im Staate Dänemark! Oh, wie riesengroß ist Dänemark. (LvD1996: 23)
Waldemar Kania spricht die Zeit der Volksrepublik Polen sehr offen an. Seine Aphorismen konnten jedoch erst in den neunziger Jahren, d. h. nach dem Fall des Eisernen Vorhangs publiziert werden. Auch Kania wendet sich gegen das poli-
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tische System – dies jedoch auch auf eine humorvolle, oft ironische bzw. sarkastische Weise ((25), (26)):13 (24) Demokracja bez przymiotnika jest trudniejsza do identyfikacji. (K: 40) (24’) Demokratie ohne Adjektiv ist schwieriger zu identifizieren. (K: 40) (25) Jestes´my kowalami swego losu. Młot to potwierdził. (K: 43) (25’) Jeder ist seines Glückes Schmied. Der Hammer hat es bestätigt. (K: 43) (26) Mys´l pozbawiona hamulców – staje sie˛ czynem. (K: 43) (26’) Ein hemmungsloser Gedanke wird zur Tat. (K: 43)
Oppositionen und Kontraste dienen der humoristischen Wirkung der Aphorismen. Dabei kann es sich um die Gegenüberstellung von Antonymen handeln. (27) Bron´ starych miejsc pracy, a be˛da˛ jak nowe! (K: 15) (27’) Verteidige die alten Arbeitsplätze, und sie werden wie neu! (K: 15) (28) Z bagaz˙em cie˛z˙kich grzechów lekko przechodzi sie˛ przez z˙ycie. (K: 19) (28’) Mit der Last schwerer Sünden geht man leichter durchs Leben. (K: 19)
Die sprachlichen Gegensätze, die den Mechanismus der humoristischen Struktur der Aphorismen bilden können, werden in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Frame-Semantik betrachtet. Dieser Ansatz ist m. E. für die Beleuchtung des Funktionierens von aphoristischen Kontrasten aufschlussreich.14 Erstens beruhen wortspielerische Formulierungen auf einer Dichotomie von Begriffen, die innerhalb desselben Erfahrungsbereichs vorliegen. Zweitens handelt es sich bei den aphoristischen Gegensätzen oft um Gegenstände einer anderen Erfahrungsdomäne. Drittens ist für den Aphorismus eine unlogische, folgewidrige oder widersprüchliche Fortsetzung von Phrasen charakteristisch, deren Ergebnis eine humoristische Überraschung ist (vgl. Wowro 2018: 408–409). Alle diese drei Verfahren sind mit den Kategorien der interpretativen WissensSemantik, d. h. mit den Kategorien Erfahrung, Wissen und Erkenntnis zusammenzusehen. Der vorliegende Beitrag15 geht davon aus, dass die Bedeutung durch die Aktivierung von Wissensrahmen der Sprachbenutzer erfolgt, d. h. die Konstruktion der Bedeutung ist dank der Wissensbestände der Rezipienten möglich. Wissenskomponenten sind wiederum das Ergebnis der bisherigen Spracherfahrung durch Sprachgebrauch, insbesondere via Diskurse sowie die uns umgebende Welt. Die Aktualisierung von Bedeutung ist ein konkreter, individueller Inter13 Im 21. Jahrhundert kann die Aussage der Texte wegen des mittlerweile stark veränderten Kontextes ohne entsprechenden, aufschlussgebenden Interpretationsrahmen selbst für polnische Leser schwer verständlich sein. Die Interpretation der Texte kann heute zu Umdeutungen oder zum Framing führen (vgl. auch Ba˛k 2018). 14 Nachstehend werden diese Mechanismen nur kurz beleuchtet. Mehr dazu in Ba˛k (2018: 127). 15 Dies gilt auch für andere Arbeiten aus dem Bereich der Translatorik sowie aus dem Schnittstellenbereich Semantik-Pragmatik (vgl. Ba˛k 2018).
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pretationsakt und er erfolgt im Sinne der als Erweiterung der Valenztheorie (vgl. Tesnière 1959) begriffenen »interpretativen« Frame- oder Verstehens-Semantik (vgl. Fillmore 1977: 55–81, Busse 2009: 80–90). Diesem Ansatz zufolge kann man bei der Lektüre eines Satzes nicht nur seine morphosyntaktische Struktur16, sondern auch die semantische Ausfüllung erwarten.17 Wissensrahmen [sind] Strukturen des verstehensrelevanten Wissens, die einige zentrale Elemente enthalten, die aber offen sein können für unterschiedliche Ausfüllungen bestimmter anderer, typischerweise zum Rahmen gehöriger Elemente. Man spricht diesbezüglich von Leerstellen (slots), die mit unterschiedlichen Füllungen (fillers) ausgefüllt werden können […]. (Busse 2009: 84)
Der Frame-Semantik zufolge können für die Interpretation des Satzes erforderliche semantische Elemente als »automatisch verfügbar« gelten. Sie werden vom Sprachbenutzer »hinzugedacht« (vgl. Busse 2009: 83). Diese Erkenntnisse treffen auch auf den Mechanismus der aphoristischen Pointe zu. In den Texten Lec’scher Prägung kommen als Pointen Kontrastierungen oder unerwartete, überraschende Elemente vor. Neben Antonymen sind es oft Begriffe, die nicht in die semantische Struktur der Phrase passen, also nicht dem Wissensrahmen entsprechen, der mit dem Textanfang evoziert wird. Es sind auch Elemente, deren Präsenz – zumindest auf den ersten Blick – auf den Leser folgewidrig, unlogisch oder überraschend wirkt (29), (30), (31): (29) Pamie˛c´ mam dobra˛. Wszystko zapomniałem. (K: 55) (29’) Ich habe ein gutes Gedächtnis. Ich habe alles vergessen.18 (K: 55) (30) Umrzec´ z nudów – to zawsze jakas´ odmiana. (K: 28) (30’) Vor Langeweile zu sterben ist doch immer eine Abwechslung. (K: 28) (31) Umierał za prawde˛. I z tego z˙ył. (K: 32) (31’) Er war bereit für die Sache zu sterben. Und er lebte davon. (K: 32)
Der Mechanismus der aphoristischen Kontrastierung und der verblüffenden Pointe funktioniert u. a. auf diese Weise. Aphoristische Kontraste, mit denen man es in den analysierten Aphorismen zu tun hat, entstehen durch: – Heranziehung von widersprüchlichen Kategorien, die Objekte einer anderen, oft gegensätzlichen menschlichen Erfahrungsdomäne sind ((32), (35), (37),
16 Der »Satzrahmen« in der klassischen, sozusagen »grammatischen« Valenztheorie (vgl. Tesnière 1959). 17 Damit ist schon der »Wissensrahmen« der »interpretativen« Frame-Semantik gemeint (vgl. u. a. Fillmore 1977: 55–81, Busse 2009: 80–90). 18 In diesem Text spielt der Autor mit der Assoziation von pamie˛´c (›Gedächtnis‹) und zapamie˛t(yw)ac´ (›gutes Gedächtnis haben‹ bzw. ›im Gedächtnis behalten‹): Der Leser könnte hier z. B. die folgende Fortsetzung des Satzes erwarten: Pamie˛´c mam dobra˛. Wszystko zapamie˛tałem (›Ich habe ein gutes Gedächtnis. Ich habe alles behalten/ich habe mir alles gemerkt.‹).
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(38), auch Gegenstand der metaphorischen Projektion, schwarzer Humor s. ((39), (41), (42), (43)) oder – Zusammenbringen von konträren Elementen, die demselben Erfahrungsbereich angehören (31), (33), (34), (36)). (32) Błogosławił zacis´nie˛ta˛ pie˛s´cia˛. (K: 42) (32’) Er segnete mit geballter Faust. (K: 42) (33) Miłos´c´ jest wieczna. Włas´nie umarła. (K: 84) (33’) Die Liebe ist ewig. Sie ist eben gestorben. (K: 84) (34) Odkryto nowy la˛d? Nie, nowego odkrywce˛. (B1964: 30) (34’) Ist da ein neues Land entdeckt worden? Nein, ein neuer Entdecker. (BBBD1984: 284)
Es können gegensätzliche Begriffe sein, die in verbalisierter Form nebeneinander vorkommen ((30), (35),) oder – häufiger – gleichsam Satzrahmenschließung eine Art aphoristische Klammer durch die Pointe bilden ((36), (37)). (35) Pasterz: upodmiotowiony baran. (K: 60) (35’) Der Hirte: ein Schaf mit Selbstbewusstsein. (K: 60) (36) Zajmował sie˛ przeszłos´cia˛ innych – w trosce o swoja˛ przyszłos´c´. (K: 48) (36’) Er beschäftigte sich mit der Vergangenheit anderer. Aus Sorge um seine Zukunft. (K: 48) (37) Wolny rynek nalez˙y wprowadzac´, ale na smyczy. (K: 11) (37’) Die freie Marktwirtschaft soll eingeführt werden, aber an der Leine. (K: 11) (38) Pienia˛dz tez˙ rza˛dzi przez wybranych przedstawicieli. (K: 61) (38’) Auch das Geld regiert die Welt durch die gewählten Vertreter. (K: 39)
Kontraste entstehen zwischen einem vorgegebenen Begriff und einem im Hinblick auf ihn nicht vereinbaren Element (upodmiotowiony baran/Schaf mit Selbstbewusstsein). Humoristisch wirkt das Unerwartete, Überraschende. Beide kontrastierenden Elemente schließen oft einander aus. Wie oben angeführt, können es Sachverhalte, Kategorien, Eigenschaften oder Gefühle sein, die verschiedenen Erfahrungsbereichen angehören, oder es sind gegensätzliche Repräsentanten desselben Bereichs. Besondres auffallend sind bei Kania Überraschungseffekte, die als Galgenhumor bezeichnet werden können ((39), (40)): (39) Kat kochał prawde˛ az˙ do bólu. (K: 29) (39’) Der Henker liebte die Wahrheit bis zum letzten Schmerz. (K: 29) (40) Z˙ycie jest przewidywalne – rzekł kat z pe˛tla˛ w re˛ku. (K: 65) (40’) Das Leben ist vorhersehbar, sagte der Henker mit der Schlinge in der Hand. (K: 65)
Ähnliche Beispiele sind bei Lec und Brudzin´ski zu finden: (41) »Głowa do góry!« – rzekł kat zarzucaja˛c stryczek. (L1998: 107) (41’) »Kopf hoch« sagte der Henker, und warf ihm die Schlinge um den Hals. (LvD1970:10)
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(22) Zmarli zmieniaja˛ bez trudu pogla˛dy polityczne. (L1996: 66) (22’) Tote wechseln mühelos die politische Ansicht. (LvD1996: 67) (42) Zwiesił głowe˛ – mówili potem, z˙e skina˛ł na znak przyzwolenia. (B1964: 6) (42’) Er ließ den Kopf hängen. Die Zeugen behaupteten später, er habe Zustimmung genickt. (BBBD1984: 283) (43) Podcia˛gne˛li go w góre˛, aby go lepiej trafic´. (B1964: 7) (43’) Taktik: Sie ließen ihn steigen, um ihn besser treffen zu können. (BBBD1984: 280)
Die weitgehende Verwandtschaft der Aphorismen von Lec, Brudzin´ski und Kania ist untrennbar mit der Kategorie des Humors verbunden. Als Grundkonstituente des Aphorismus stellt sie zusammen mit anderen Charakteristika der Texte eine Herausforderung dar, vor die die kürzlich verstorbenen Übersetzer und bilaterale Botschafter der deutschen und polnischen Kultur Karl Dedecius und Krzysztof Lipin´ski gestellt wurden.19
3.
Von der Übersetzungsvorlage zum Translat
In Anschluss an die bisher artikulierten Erkenntnisse über die Übersetzung von Aphorismen (vgl. v. a. Ba˛k 2015 und 2018) sollen folgende Fragen nach den Invarianzverhältnissen bei der zielsprachlichen Wiedergabe der aphoristischen Texte gestellt werden: Welche Hierarchie von Textqualitäten wird von den Übersetzern aufgebaut? Welchen Status hat hier die Kategorie Humor? Welche Schritte erfordert die Translation, d. h. welches Herangehen an die Übersetzung wählen beide Übersetzer in ihrer translatorischen Werkstatt? Es wird auch das Problem der translatorischen Kreativität erörtert und diskutiert, ob die Übersetzung eine absolute Verpflichtung zum übersetzerischen Einfallsreichtum darstellen sollte. Es sei einmal mehr bekräftigt, dass der Humor eine neben anderen Charakteristika wichtige, beim Übersetzen zu beachtende Eigenschaft dieser Textgattung ist. Der Übersetzer muss jeweils eine Hierarchie von Stellenwert und Invariante herleiten. Er entscheidet darüber, welche Stilmerkmale für ihn relevant sind, welche von ihm bei der Übersetzung von Aphorismen mitberücksichtigt werden können, sollen oder müssen und mit welchen Verlusten dabei zu rechnen ist. Die Ergebnisse der durchgeführten Analyse der aphoristischen Texte ermöglichen es, einige Tendenzen bei der Translation festzustellen. Es sind: die direkte Übersetzung, obligatorische Transpositionen, d. h. durch interlinguale, 19 Ähnliche Probleme werden auch in einem anderen Zusammenhang unter Heranziehung der Aphorismen von Stanislaw Jerzy Lec (vgl. Ba˛k u. a. 2007, 2015) und von Waldemar Kania (vgl. Ba˛k 2010a, 2010b, 2014) diskutiert. Dort werden Ergebnisse der Analyse von weiteren Aphorismen präsentiert.
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sprachsystematische Asymmetrien erzwungene Veränderungen der Textgestalt, und fakultative Transpositionen, die man als Ausdruck des schöpferischen Engagements des Translators betrachten kann (vgl. auch Ba˛k 2010b: 139–150, 2018: 125, 130–131). Bevorzugung, Anwendung sowie Unterlassung von konkreten Übersetzungstechniken werden üblicherweise im Rahmen von Übersetzungsstrategien erörtert (vgl. Hejwowski 2004: 76, Albrecht 2012: 20–24). In den analysierten Texten aller drei Autoren findet man mehrere repräsentative Belege für einzelne Entscheidungen der Übersetzer. Einige dieser Beispiele werden nachstehend angesprochen.20 Im Beitrag wird in diesem Zusammenhang auch der Frage nachgegangen, ob man in der translatorischen Werkstatt der beiden Übersetzer jeweils von einer generellen Übersetzungsstrategie sprechen kann.
3.1
Direkte Übersetzung
Zwischen der polnischen und der deutschen Sprache kann man von einer metaphorischen Kongruenz sprechen, die man bereits auf der Ausdrucksebene beobachten kann. Sie bestätigt die These Weinrichs über die Harmonie der Bildfelder.21 Weinrich (1976: 287) erörtert die Metaphorik im Zusammenhang mit den wiederkehrenden Metaphern, die auf der Basis derselben Bildfelder (Konzepte) entstehen.22 (44) Nie firmuj tego, czego nie moz˙esz afirmowac´. (B1967: 44)23 (44’) Firmier nichts, was du nicht affirmieren kannst. (BBBD1984: 273) (45) Nowe z˙ycie zaczyna sie˛ od Wielkiego Wybuchu płaczu. (K: 87) (45’) Ein neues Leben beginnt mit dem Urknall des Weinens. (K: 87)
Die analysierten Texte zeigen, dass im Falle der meisten Übersetzungen die direkte Translation durchaus gute Resultate gestattet (vgl. dazu auch Ba˛k 2010b, 2015).24 Nicht selten erweist sich die Lakonik und Prägnanz der Texte in den
20 Für weitere Beispiele vgl. Ba˛k (2007, 2010a, 2010b, 2014, 2015 und 2018). Die Aphorismen à la Lec sind nicht nur für übersetzungskritische Untersuchungen an sich, sondern auch für eine tiefergreifende Reflexion zum Wesen der Translation und besonders zur Kreativität des Übersetzers prädestiniert (vgl. bei Ba˛k 2015). 21 Er formuliert die These über die Bildgemeinschaft, die den Sprechern der verbreitetsten Sprachen der Welt das Verständnis von Metaphern erleichtert (vgl. Weinrich 1976: 285–287). 22 Dies belegen die angeführten Beispiele für Metaphern-Wortspiele. Trotz der konzeptuellen Verwandtschaft von Sprachen sind jedoch von Sprache zu Sprache unterschiedliche Verbalisierungen von Konzepten möglich. 23 Eine ähnliche metaphorisch-experimentelle Phrase ist bei Stanislaw Jerzy Lec zu finden: (97) Deformuja˛ nas formuły. (L1998: 105), dt. Uns deformieren die Formeln. (LvD1996: 100). 24 Sie stellen eine überwiegende Zahl unter allen Translaten dar. Aus Platzgründen können hier nur einige Belege angeführt werden. Als Ausnahme sei die Übersetzung angeführt, in der die
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Übersetzungen von Dedecius (Aphorismen von Brudzin´ski und Lec) bzw. Lipin´ski (Aphorismen von Kania) trotz der wortspielerischen Kreativität der Autoren ohne bedeutsamen translatorischen Mehrwert leicht rekonstruierbar. Dies mögen mehrere Translate exemplifizieren: (46) Lepiej słuz˙yc´ dwóm panom niz˙ jednemu słudze. (B1964: 19) (46’) Besser, zwei Herren zu dienen als einem Diener. (BBBD1984: 266) (47) Jednostronnos´c´ mys´lenia to tez˙ specjalizacja. (B1964: 61) (47’) Einseitiges Denken ist auch eine Spezialisierung. (PP1981: 90) (48) Miłos´c´ ojczyzny nie zna granic cudzych. (LnK1976: 90) (48’) Vaterlandsliebe kennt keine fremden Grenzen. (LvD1996: 129) (49) Dwa czarne charaktery, a jak odmiennej barwy! (L1998: 103) (49’) Zwei schwarze Charaktere: aber wie unterschiedliche Farben! (LvD1996: 107) (50) Policzyłem groby. A gdzie reszta? (K: 61) (50’) Ich habe die Gräber gezählt. Wo ist der Rest? (K: 61) (51) Gdy stoisz nad grobem, to jeszcze nie jest tak z´le. (K: 79) (51’) Wenn du am Grabe stehst, ist es noch nicht so schlimm. (K: 79)
Kürze, jedoch auch Pointe, humoristische Kontraste, Widersprüchlichkeiten, Vieldeutigkeit und Disambiguierung von Wortspielen sind wichtige Qualitäten der Aphorismen, die die Invarianzverhältnisse in der Übersetzung beeinflussen (s. z. B. (75), (77), (82), (94)). Wenn sie in einem Text zusammentreffen, stellen sie den Übersetzer vor eine schwierige Entscheidung. Beide Übersetzer meistern jedoch die Herausforderungen und liefern überzeugende Translate: (52) Szcze˛s´cie istnieje. Było blisko. (K: 29) (52’) Das Glück existiert. Es war ganz nah. (K: 29) (53) Zgina˛ł uciekaja˛c. Kierunek był dobry. (K: 44) (53’) Er starb auf der Flucht. Die Richtung stimmte. (K: 44) (54) I koleje losu sa˛ upan´stwowione. (L1996: 66) (54’) Sogar unsere Schicksalsbahnen sind verstaatlicht. (LvD1970: 18) (55) Dbaj o siebie! Jestes´ własnos´cia˛ pan´stwa. (L1996: 83) (55’) Schone dich. Du bist Eigentum des Staates. (LvD1970: 48)
In den meisten derartigen Fällen ist eine gelungene Übersetzung auf Kosten eines der Textmerkmale möglich. Vorwiegend, allerdings nicht immer (z. B. in (52), (53), (55)) kommt es bei der Wahrung der rhythmischen Qualitäten der Texte zu einem, zumeist unbeträchtlichen Ausbau der Phrase ((2), (51), (54), (57)): (2) Mniejsze zło jest zwykle trwalsze. (B1967: 6) (2’) Die kleineren Übel sind meist von längerer Dauer. (BBBD1984: 267) (56) Najgorsze interesy robi sie˛ z ludz´mi bezinteresownymi. (B1967: 29) (56’) Die schlechtesten Geschäfte macht man mit den Selbstlosen. (BBBD1984: 267) Mehrzahl von Assoziationen verloren gehen muss: (98) Z˙yjemy w epoce łupanego atomu. (L1996: 214) als Wir leben im Zeitalter des gespaltenen Atoms! (LvD1996: 270).
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(57) Zaraz donosiciel! Po prostu lubi sie˛ spowiadac´ z cudzych grzechów. (B1964: 11) (57’) Warum denn gleich Zuträger! Er mag es einfach, fremde Sünden zu beichten. (BBBD1984: 285)
Trotz der zs-Erweiterung der Phrasen konnten sowohl Karl Dedecius als auch Krzysztof Lipin´ski durch direkte Übersetzungsverfahren sehr gute Ergebnisse bei der Übertragung der Aphorismen von Lec, Brudzin´ski und Kania erzielen. Dies funktioniert beispielsweise auch dort, wo sie in der Zielsprache die prägnante Form und die wortspielerischen Kontraste rekonstruieren mussten: (58) Nie ba˛dz´ podejrzliwy, nie doszukuj sie˛ wsze˛dzie sensu. (B1967: 41) (58’) Sei nicht so mißtrauisch. Wittere nicht überall einen Sinn. (BBBD1984: 269) (59) Zastrzyk optymizmu? Tak, ale nie w bola˛ce miejsce. (B1967: 16) (59’) Eine Optimismus-Injektion? Gut. Aber nicht in die wunde Stelle. (BBBD1984: 284) (60) Na pocza˛tku było Słowo – na kon´cu Frazes. (L1998: 52) (60’) Im Anfang war das Wort – am Ende die Phrase. (LvD1996: 17)
Dem eingangs diskutierten Merkmal der Aphorismen – der Kontrastierung – wird beinahe immer Rechnung getragen, auch wenn sich die as- und zs-Texte quantitativ etwas voneinander unterscheiden. (61) Po kaz˙dym ostatnim krzyku literatury oczekuje˛ zwykle jej ostatniego tchnienia. (L1998: 105) (61’) Nach dem letzten Schrei der Literatur erwarte ich gewöhnlich ihren letzten Atemzug. (LvD1970: 38) (35) Pasterz: upodmiotowiony baran. (K: 60) (35’) Der Hirte: ein Schaf mit Selbstbewusstsein. (K: 60) (63) Niestety, zdrowy rozsa˛dek jest bardzo chorowity. (K: 9) (63’) Leider ist der gesunde Menschenverstand sehr kränklich. (K: 9)
Hinsichtlich des schöpferischen Engagements des Übersetzers gehen die beiden Übersetzer nach dem Motto »So treu wie möglich, so frei wie nötig« vor und betrachten die Kreativität nicht als Wert an sich. Im Übersetzungsprozess kann beinahe jedes Charakteristikum des Textes die Invarianzverhältnisse beeinflussen. In diesem Beitrag kann nicht auf den gesamten Reichtum der Problematik beim Übersetzen der Aphorismen eingegangen werden.25 Als besonders wichtig erscheinen jedoch den Übersetzern, Karl Dedecius und Krzysztof Lipin´ski, humoristische Kontraste und überraschende Pointierungen. Letztere werden durch Gegenüberstellung antonymer Größen und durch Disambiguierung von mehrdeutigen Ausdrücken konstruiert. Dies exemplifizieren die oben herangezoge-
25 Besondere Aufmerksamkeit verdienen Aspekte der Intertextualität (intertextuelle Bezüge auf die polnische sowie Weltliteratur), abgewandelte Phraseologismen und Sprichwörter, die in einem anderen geplanten Beitrag angesprochen werden sollen. Vgl. für Intertextualität Rolek (2009: 233–249).
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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nen ((6), (7), (35), (60), (61), (63)) sowie die nachfolgenden Texte (nachstehend ((64), (65), (66)). (64) Stopniowanie luksusu: własny samochód, własna willa, własne zdanie. (B1964: 58) (64’) Steigerung des Luxus: eigenes Auto, eigene Villa, eigene Meinung. (BBBD1984: 281) (65) Prawo nie gwarantuje obiadu, ale gwarantuje przerwe˛ obiadowa˛. (B1964: 15) (65’) Das Gesetz garantiert zwar nicht das Mittagessen, aber die Mittagspause. (BBBD1984: 282) (66) Dla pewnos´ci cała˛ podróz˙ okre˛tem odbył w szalupie ratunkowej. (BIII1971: 17) (66’) Sicherheitshalber machte er die ganze Schiffsreise im Rettungsboot. (BBBD1984: 276)
Ähnlich wie im Falle von vielen anderen analysierten Aphorismen (vgl. auch in Ba˛k 2007, 2010a, 2010b und 2018) sind auch unter den hier diskutierten Texten Belege dafür zu finden, dass dem Übersetzer bei seiner Arbeit die »abendländische Bildkongruenz« (Weinrich 1976) im lexikalischen, besonders phraseologischen Bereich gelegen kommt.26 Zu Hilfe kommt den Übersetzern oft die Kongruenz im Bereich der Phraseologie. Diese Bildgemeinschaft (vgl. Weinrich 1976) betrifft weniger systemgramatische und morphosyntaktische als eher lexikalische, phraseologische sowie kulturelle Übereinstimmungen zwischen den indoeuropäischen Sprachen. Sie umfasst feste Wortverbindungen, die Wortbildung, Idiomatik und Parömiologie (vgl. Piirainen 2013: 19). Explizit kommt sie in Form von historischen, literarischen oder kulturellen Motiven par excellence ((18), (23), (68), (69)) zum Vorschein. Dank der abendländischen Kongruenz können Karl Dedecius und Krzysztof Lipin´ski viele Aphorismen auf dem Weg der direkten Übersetzung (re)konstruieren. Die Übersetzer müssen daher selten mit funktionalen Äquivalenten arbeiten und bedienen sich ggf. der Substitution bzw. Kompensation. Direkte Übersetzungsverfahren ermöglichen auch die Erhaltung von Pointen und sind oft gelungen, soweit sie nicht – wie es bei Zitaten von außerhalb Polens unbekannten Autoren der Fall sein kann – eine dynamisch-funktionale Rekonstruktion von intertextuellen Bezügen, abgewandelten Zitaten und Sprichwörtern erfordern.27 (67) Groz´niejszy od wilka w owczej skórze jest baran w wilczej. (B1955: 367) (67’) Schlimmer als ein Wolf im Schafspelz ist ein Schaf im Wolfspelz. (PPL1997: 493) (68) Biada Judaszowi, który pocałował nie tego, co potrzeba. (B1967: 61) (68’) Wehe dem Judas, der einen Falschen küßt. (BBBD1984: 265) (69) Fałszywy Mesjasz, fałszywy Judasz i, co najgorsze, fałszywe 30 srebrników. (B1967: 21) 26 Mehr zur Kongruenz im metaphorischen und phraseologischen Bereich bei Weinrich (1976: 286), Ba˛k (2007: 96–98) und Piirainen (2013: 19–20). 27 Vgl. für Kritik von Übersetzungen anderer Aphorismen von Waldemar Kania, die aphoristisch abgewandelte Sprichwörter sind, in Ba˛k (2010a).
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(69’) Der Messias war falsch, der Judas war falsch, und das schlimmste ist: die dreißig Silberlinge waren es auch. (BBBD1984: 271)
Kongruenzen zwischen der polnischen und der deutschen Sprache betreffen nicht nur die Ausdrucksseite, sie sind oft tiefer, d. h. im konzeptuellen Bereich zu suchen. Es handelt sich dabei um die ontologischen und Orientierungsmetaphern, in lexikalisierter bzw. nichtlexikalisierter und nonverbaler Form. Die konzeptuell-metaphorische, oft phraseologisierte Behälter- bzw. Raum-Metaphorik wird denn sowohl von Stanisław Jerzy Lec,28 Wiesław Brudzin´ski als auch von Waldemar Kania sehr gern einer wortspielerischen Pragmatisierung29 unterzogen: (70) Niektórzy kapłani sztuki wola˛ kazac´ w pustym kos´ciele – z uwagi na lepsza akustyke˛. (B1964: 69) (70’) Manche Priester der Kunst ziehen es vor, in leeren Kirchen zu predigen: wegen der besseren Akustik. (BBBD1984: 270) (71) Mówia˛, z˙e mało zaz˙ywamy ruchu. A codzienne obchodzenie przepisów? (B1964: 46) (71’) Man sagt, wir bewegen uns wenig. Und das tägliche Umgehen der Gesetze? (BBBD1984: 284)
Metaphern sind universal, sie sind verschiedenen Sprachbenutzern eigen. Die Metapher ist mentaler Kategorisierungsmechanismus und Mittel der Erkenntnis. Dank des universalen Charakters der Metaphorik sind auch bewusst konstruierte Wortspiele, denen konzeptuelle Metaphern zugrunde liegen, also sozusagen pragmatisierte Metaphern, bei verschiedenen Autoren ähnlich. In den Aphorismen à la Lec ist die Präsenz solcher Wortspiele beinahe voraussehbar. Da die Kongruenz von Bildfeldern (Weinrich 1976) den Übersetzern bei ihrem translatorischen Auftrag entgegenkommt, konnten sich viele der hier untersuchten Texte in der Übersetzung als besser rekonstruierbar erweisen ((70), (71)). (72) Zło jest w nas, ale miewa wychodne. (K: 38) (72’) Das Böse wohnt in uns, aber ab und zu hat es Ausgang. (K: 38) (73) Po zburzeniu przedmurza poszerzaja˛ sie˛ horyzonty. (K: 17) (73’) Schleift man ein Bollwerk, erweitert sich der Horizont. (K: 17) (74) Nicos´c´ ma niczym nieograniczone horyzonty. (K: 35) (74’) Die Horizonte des Nichts sind durch nichts begrenzt. (K: 35) 28 Weitere Belege für die konzeptuelle Metaphorik in Aphorismen sind in Ba˛k (2015, 2018) zu finden. 29 Mehr zur Pragmatisierung von Metaphern in Ba˛k (2018: 128). Die Metapher ist als semantische Kategorie ein zentraler Begriff der kognitiven Linguistik (vgl. Lakoff/Johnson 1980) und auch der kognitiven Übersetzungswissenschaft (vgl. u. a. Tabakowska 1993). In der Diskussion zur Metapher ist die Betonung des Unterschieds zwischen der Domäne nichtintentionaler Kategorien – der Semantik – und dem Bereich des sprachlichen Handelns – der Pragmatik sinnvoll und aufschlussreich.
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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Die Analyse der Aphorismen von Stanisław Jerzy Lec, Wiesław Brudzin´ski und Waldemar Kania liefert sehr viele Beispiele für Wortspiele, denen konzeptuelle Metaphern zugrunde liegen. Hinsichtlich des humoristischen Potenzials eröffnen solche Metaphern einen Spielraum für diverse drastische Entmetaphorisierungen im Rahmen von Galgenhumor-Wortspielen. Beispiele für so konstruierte aphoristische Texte kann man bei allen drei Autoren finden: (75) Były dwie moz˙liwos´ci: albo stana˛c´ na gruncie ich zasad, albo zawisna˛c´ nad nimi. (L1998: 103) (75’) Es gab zwei Möglichkeiten: entweder sich auf den Boden ihrer Grundsätze zu stellen, oder über ihnen zu hängen. (LvD1996: 112) (42) Zwiesił głowe˛ – mówili potem, z˙e skina˛ł na znak przyzwolenia. (B1964: 6) (42’) Er ließ den Kopf hängen. Die Zeugen behaupteten später, er habe Zustimmung genickt. (BBBD1984: 283) (76) Ile pomników na s´wiecie przypada na głowe˛ ludnos´ci? A ile głów na jeden pomnik? (B1964: 29) (76’) Wie viele Denkmäler gibt’s in der Welt pro Kopf der Bevölkerung? Und wie viele Köpfe pro Denkmal? (BBBD1984: 29) (77) Jes´li straciłes´ głowe˛, przynajmniej zachowaj twarz. (K: 72) (77’) Hast du den Kopf verloren, verlier nicht auch noch das Gesicht. (K: 72) (78) Wznosza˛c sie˛ – zapamie˛taj powrotna˛ droge˛. (K: 33) (78’) Wenn du dich erhebst, vergiss nicht den Weg zurück. (K: 33) (79) Ustrój zawinił, idee˛ powieszono. (K: 49) (79’) Das System war schuld, gehenkt wurde die Idee. (K: 49)
Es handelt sich in solchen Fällen um metaphorische Wendungen als Gegenstand eines kreativen, wortspielerischen Umgangs der Autoren mit der Sprache. Es sind Metaphern, die nicht nur semantische Charakteristika, sondern auch Objekte einer Pragmatisierung sind.30 In dieser Hinsicht ähneln sich viele der besprochenen literarischen Miniaturen von Brudzin´ski, Lec und Kania. In solchen Wortspielen bedienen sich die Autoren wie auch Übersetzer der Texte einer Demetaphorisierung bzw. Etymologisierung (vgl. Krupka 1976: 68). Als gewisser translatorischer Mehrwert kann jedoch in (42) eine Ergänzung oder – nachstehend in ((83), (85), (86), (90)) – Vereinfachung der aphoristischen Phrase beobachtet werden. Dabei berücksichtigen Dedecius und Lipin´ski die grammatischen (morphosyntaktischen) und stilistischen Möglichkeiten der Zielsprache, um die anderen wichtigen Charakteristika der Texte wie Kürze, rhythmisch-prosodische Merkmale und Pointen wiederzugeben.
30 Solche wortspielerisch-metalinguistischen Operationen mit Hilfe von Metaphern sind wegen des intentionalen Gebrauchs der Metapher an der Schnittstelle von Semantik und Pragmalinguistik anzusiedeln (vgl. Ba˛k 2018: 128). In nichtliterarischen, öffentlichen, politischen Diskursen fungieren pragmatisierte Metaphern u. a. als Euphemismen bzw. Dysphemismen.
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Paweł Ba˛k
Die Kongruenz von Sprachen hat Grenzen. Die Übersetzung von einigen Texten zeigt, dass der Übersetzer über morphosyntaktische Unterschiede von Sprachen stolpern kann, wenn er die Unterschiede in der Verbalisierung von Konzepten in verschiedenen Sprachen nicht wahrnimmt. Die Übersetzer der hier untersuchten Texte lassen jedoch keine gravierenden Verluste hinsichtlich der für die Textgattung relevanten Charakteristika, insbesondere des Humors zu. Geringfügige Veränderungen der Textstruktur manifestieren sich v. a. darin, dass zielsprachliche Texte ausgebaut ((41), (80), (81), (89)), Einbußen in der Pointe bzw. andere Modifizierungen in Kauf genommen werden ((2), (82), (98)).
3.2
Obligatorische Transposition
Die sprachsystematisch bedingten, grammatisch-lexikalischen Veränderungen, d. h. solche Eingriffe in die Textgestalt, welche vom Übersetzer angewendet werden müssen, werden – ähnlich wie in Ba˛k (2015, 2018) – als obligatorische Transpositionen angesehen. Wie bereits angedeutet, manifestieren sich solche Übersetzungslösungen beim Übersetzen von Aphorismen insbesondere in der Texterweiterung. Obwohl es hier wegen formaler interlingualer Unterschiede zu einem Textausbau kommt, wirkt sich dies nicht (bzw. nicht wesentlich) auf die humorvolle Aussage der Aphorismen aus.31 In ihrer Herangehensweise an die Translation wie in ((32), (33), (80) und (81)) berücksichtigen die Übersetzer auch die rhythmisch-stilistischen Merkmale der Texte und hierbei insbesondere den humoristischen Überraschungseffekt durch die Pointe ((41) und (82)). (80) Szczury, które opus´ciły okre˛t, maja mu za złe, z˙e nie tonie. (B1964: 59) (80’) Ratten, die das Schiff verlassen haben, nehmen es ihm übel, wenn es nicht versinkt. (BBBD1984: 283, PPL1997: 494) (81) Aby zgrzytac´ ze˛bami, trzeba miec´ na dentyste˛. (B1955: 367) (81’) Um mit Zähnen zu klappern, muß man sich einen Zahnarzt leisten können. (PP1981: 89) (41) (5) »Głowa do góry!« – rzekł kat zarzucaja˛c stryczek. (L1998: 107) (41’) »Kopf hoch« sagte der Henker, und warf ihm die Schlinge um den Hals. (LvD1970: 10)32 31 An dieser Stelle wird aus Platzgründen nicht auf Aspekte der analytischen und synthetischen Sprachstrukturen und die damit verbundene Asymmetrie zwischen dem Polnischen und Deutschen eingegangen. Es sei hier angemerkt, dass die Strukturen der deutschen Syntax meistens analytischer als im Polnischen sind. 32 Die Belege (41) und (82) wurden einer genaueren Betrachtung in Ba˛k (2015) unterzogen. Thematisch knüpfen derartige Aphorismen an die Tradition des schwarzen Humors im Schaffen von Stanisław Jerzy Lec an, in dem lexikalisierte Metaphern und Phraseologismen wortspielerisch abgewandelt werden. Auf diese Weise setzt sich der Autor mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts auseinander.
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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(82) (6) Miał umysł otwarty, niestety na przestrzał. (L1998: 105) (82’) Sein Verstand war offen. Leider durch und durch. (LvD1996: 218)
Die Pointe als überraschender, aussagekräftiger Abschluss des Satzes wird von den Übersetzern als relevantes Charakteristikum angesehen. Asymmetrien zwischen den Sprachen sind denn für die Übersetzer Anlass zu Modifizierungen. Auch im Bereich der Pointe kommt es häufiger zu einer Intensivierung als zur Abschwächung ihrer Wirkungskraft (82). Wegen sprachsystematischer Differenzen (zumeist morphosyntaktischer Natur) ist also in manchen Fällen die direkte Übersetzung ohne Formveränderungen nicht möglich. Dies ist zwar keine neue, aber wichtige Erkenntnis (vgl. auch Ba˛k 2010a). Zwischensprachliche Nichtübereinstimmungen können selbstverständlich in so kurzen literarischen Formen wie Aphorismen auffällig zutage treten.33 Wie bereits exemplifiziert, bewirken Unterschiede zwischen den Sprachen oft die obligatorische Transposition. Sie ist vorwiegend grammatischer Natur und im Grunde genommen ist sie nicht als schmerzhafter Eingriff in die Textgestalt zu empfinden. Der Transfer der Aphorismen in die deutsche Sprache motiviert jedoch den Übersetzer zu einer Suche nach Lösungen, in denen einzelne Textmerkmale als mehr oder weniger relevante Charakteristika der Texte abgewogen werden. In einem anderen Beitrag über die Übersetzung der Aphorismen von Kania werden Unterschiede zwischen den Sprachen als »motivierende Differenzen« betrachtet (Ba˛k 2010b: 144). Als besonders motivierende Herausforderung nehmen Karl Dedecius und Krzysztof Lipin´ski vor allem sprachliche Experimente, Wortspiele und die Pointe wahr.
3.3
Fakultative Transposition
Bei einigen Translaten zeigen sich sowohl Karl Dedecius als auch Krzysztof Lipin´ski recht kreativ. Die Übersetzer betrachten dabei insbesondere die Prägnanz der Texte als relevantes Stilmerkmal, das für die humoristische Wirkung der Texte mitverantwortlich ist. In seinen Übersetzungen ist z. B. Krzysztof Lipin´ski bemüht, dass die Prägnanz der übersetzten Aphorismen trotz sprachsystematischer Unterschiede nicht hinter den Ausgangstexten zurückbleibt ((83), (84)). Er meistert dadurch des Öfteren sogar lakonischere Aphorismen als der Autor des Originals selbst ((85), (86)): (83) Rozum istnieje po to, aby było co obraz˙ac´. (K: 72) (83’) Der Verstand ist dazu da, um beleidigt zu werden. (K: 72) 33 Dies veranschaulichen einige andere Belege in Ba˛k (2010a, 2010b).
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Paweł Ba˛k
(84) Dobre prawo w złych czasach trzeba nowelizowac´. (K: 87) (84’) Ein gutes Recht in schlechten Zeiten verlangt nach einer Novelle. (K: 87) (85) Zło cze˛sto godzi sie˛ byc´ mniejszym złem dla dobra sprawy. (K: 88) (85’) Das Übel will manchmal kleiner werden. Für die Sache. (K: 88) (86) Pierwsza miłos´c´ dopiero zaczyna nauke˛ liczenia. (K: 74) (86’) Mit der ersten Liebe lernen wir zu zählen. (K: 74)
Eine wichtige Beobachtung mag in diesem Zusammenhang die Feststellung sein, dass die Kreativität des Übersetzers auch darin bestehen kann, auf radikale Eingriffe und insbesondere auf den Ausbau der Textstruktur zu verzichten, um eine mögliche Vereinfachung der Phrase zu erzielen. Dies kann gute Resultate ermöglichen – wie bei der Übersetzung der Aphorismen von Lec (90) und Brudzin´ski ((87), (88)): (87) Miec´ zawsze racje˛ to wielki nietakt towarzyski. (B1955: 365) (87’) Recht haben, ist sehr taktlos. (PPL1997: 493) (88) Nie nalez˙y stawiac´ bramy triumfalnej nad brzegiem przepas´ci. (BIII1971: 22) (88’) Baut keine Triumphbogen am Rande des Abgrunds. (BBBD1984: 22)
Die Kreativität des Übersetzers manifestiert sich nicht nur im lexikalischen Bereich. Sie betrifft u. a. die Deixis, die Thema-Rhema-Relationen, die Kategorie des Numerus, den Artikelgebrauch und hier die Dichotomie der Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Die Letzteren betreffen den Umgang mit Artikelwörtern. Mit der Einführung der Pluralformen zu den Wegweisern und die Aphoristen ((89) und (12)) generalisiert Dedecius beispielsweise die Aussage der Aphorismen Brudzin´skis und eröffnet damit einen größeren Interpretationsspielraum. (89) Najtrudniej dotrzec´ do drogowskazu. (B1964: 77) (89’) Am schwersten ist der Weg zu den Wegweisern zu finden. (BBBD1984: 267)34 (12) Aforysta: producent soli attyckiej do cudzych potraw. (BIII1971: 80) (12’) Die Aphoristen sind Hersteller von attischem Salz für fremde Küchen. (BBBD1984: 286)
Profilierungen unter Zuhilfenahme von Artikelwörtern werden oft als weniger spektakulär angesehen und in der Reflexion über die literarische Übersetzung kaum beachtet. Sie können vom Betrachter auf den ersten Blick als übersetzerische Treue (Wörtlichkeit) wahrgenommen werden. Nicht anders gestaltet sich dies im Falle des – in einem anderen Zusammenhang besprochenen (vgl. Ba˛k 2015: 58) – Aphorismus von Stanisław Jerzy Lec: (90) Niektóre charaktery sa˛ niezłomne, ale rozcia˛gliwe. (L1998: 79) (90’) Charaktere sind unzerbrechlich aber dehnbar. (LvD1996: 24)
34 Als translatorischer Mehrwert ist an der Übersetzung auch die Wiederholung des Morphems zu beobachten (vgl. Ba˛k 2018: 132).
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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Der Verzicht auf den sich beinahe automatisch als Übersetzungsäquivalent aufdrängenden unbestimmten Artikel ›manche‹ zugunsten des Nullartikels mag aus der Perspektive eines polnischen Muttersprachlers als Auslassung, Fehleingriff oder Verlust erscheinen. Obwohl es den Linguisten als Binsenwahrheit erscheinen könnte, ist dieses Nullmorphem jedoch ein wichtiges Ausdrucksmittel. Hinsichtlich der Qualität der Äquivalenzverhältnisse ist es (oft) eine bessere Lösung als die durch prosaische Wörtlichkeit (und interlinguale Interferenz) suggerierte Übersetzung – hier als ›manche Charaktere‹. Solche Übersetzungsoperationen sollten m. E. insbesondere in der Übersetzungsdidaktik berücksichtigt und besprochen werden. In (90) hilft das Mittel dabei, eine noch größere Bündigkeit des Textes als das Original zu erzielen. Auch beim Aphorismus (90) von Brudzin´ski ermöglicht es der Übersetzer, durch die Form des unbestimmten Plurals (Kritiker), die lapidare Form des Satzes beizubehalten. Es wird auch stärker der indefinite Charakter der Bedeutung vom Substantiv betont, was mit der Aussage des Textes korrespondiert (im Original steht krytyk in singularischer Form). Das Nomen steht hier in Spitzenstellung wie anaphorische Elemente und Deixis: (91) Krytyk, jak ksia˛dz, z˙yje zarówno z narodzin, wesela, jak i z pogrzebu pisarza. (B1967: 8) (91’) Kritiker leben wie Geistliche: von der Geburt, von der Hochzeit und vom Begräbnis (der Autoren). (BBBD1984: 268)
Einen weiteren, wichtigen Bereich, im Rahmen dessen die fakultative Transposition vorgenommen wird, stellt die Thema-Rhema-Gliederung dar.35 Durch entsprechende Umstellung von Elementen wird des Öfteren die Aussage profiliert. Profilierungen dieser Art bestehen darin, dass bestimmte Inhalte ausgeblendet werden und andere – wie nachstehend im Falle der Infinitivkonstruktion ihn an Verdienste zu erinnern in ((92’)) – exponiert, beleuchtet und hervorgehoben. In diesem Zusammenhang werden auch die rhythmisch-stilistischen Spezifika der Texte beachtet. (92) Co za nietakt! Znowu mu przypomniano zasługi, które juz˙ dawno odpokutował. (B1964: 51) (92’) Wie taktlos! Ihn an Verdienste zu erinnern, die er längst gebüßt hat. (BBBD1984: 266)
Der thematisch-rhematische Bereich eröffnet den Übersetzern Karl Dedecius ((38)) und Krzysztof Lipin´ski (93) Perspektiven zur Entfaltung ihrer Kreativität. Besonders deutlich ist dies bei der Übertragung der lapidaren Aphorismen von Kania: 35 In der einschlägigen Literatur finden translatorische Operationen in diesem Bereich leider kaum Beachtung.
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Paweł Ba˛k
(38) Pienia˛dz tez˙ rza˛dzi przez wybranych przedstawicieli. (K: 61) (38’) Auch das Geld regiert die Welt durch die gewählten Vertreter. (K: 39) (93) Posiadanie dwóch ra˛k w okresie bezrobocia jest pewna˛ przesada˛. (K: 28) (93’) In der Zeit der Arbeitslosigkeit zwei Hände zu haben, ist eine gewisse Übertreibung. (K: 28)
Ein klassisches, in der Literatur relativ oft36 analysiertes und viel zitiertes Beispiel für die kreative Übersetzung von humorvollen Aphorismen ist last, but not least der Text: (94) Sumienie miał czyste. Nie uz˙ywane. (L1998: 105)
Wegen des kreativen Herangehens von Karl Dedecius an die zs-Wiedergabe dieses Aphorismus verdienen es die zwei Sätze, als Musterbeispiel angeführt zu werden und insbesondere auch in der Translationsdidaktik besprochen zu werden.37 Der Autor nimmt hier einen wortspielerischen Wechsel von der metaphorischen zur wörtlichen Bedeutung vor, was als Beispiel für die Pragmatisierung der Metapher par excellence betrachtet werden kann. Das Wortspiel betrifft die Verwendung des (prädikativen) Attributs czyste (›rein‹) in Bezug auf sumienie (›das Gewissen‹). Im darauf folgenden ergänzenden Satzäquivalent nie uz˙ywane (›nicht benutzt‹/›nicht gebraucht‹) gewinnt das Attribut rein jedoch die Bedeutung des Verbum proprium (›sauber‹) zurück. In der Wortfolge Sumienie miał czyste kann der Leser im Akkusativobjekt sumienie (›das Gewissen‹) in der Erstposition, eine Anschlussfunktion wahrnehmen, d. h. der Satz stellt eine Art Fortsetzung einer anderen Aussage dar. Er wirkt wie ein Teil oder Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhang, den es hier freilich nicht gibt.38 Sumienie (›Gewissen‹), gilt in der Phrase nicht als Rhema (das Novum), sondern als Thema der Äußerung.39 Eine hinsichtlich der Lexik worttreue Übersetzung als: (94’’) ›Er hatte ein reines Gewissen, ein unbenutztes‹ lehnte Dedecius nach Modifizierungsversuchen ab.40 Im endgültigen Wortlaut tritt das Lexem Gewissen in die 36 Mit der Übersetzung dieses Aphorismus befassten sich bereits Baran´czak (2004), Krysztofiak/ Kaszyn´ski (2004) und Ba˛k (2015). 37 Den Text und seine Arbeit an der Übersetzung kommentierte Karl Dedecius selbst in einem Interview für den Norddeutschen Rundfunk (Talk auf 4, NDR 4 (20. 2. 1998), vgl. dazu auch Ba˛k (2015: 58–59). 38 Darin ist der Sinn des Paradoxons »Wenige ist mehr« von Waldemar Kania zu suchen. Die Aphorismen bieten trotz seiner Kürze eine Fülle an Inhalt. 39 Die neutrale Wortfolge der polnischsprachigen Phrase könnte so lauten: ›Miał czyste sumienie‹ (›[Er] hatte ein reines Gewissen‹). Für pragmatisch-kommunikative und strukturelle Spezifika der polnischen und deutschen Phrase (Thema-Rhema-Gliederung) aus kontrastiver Sicht vgl. Engel (1999: 527–531). 40 Seine Entscheidung begründet Karl Dedecius im zuvor erwähnten Interview Talk auf 4, NDR 4 (20. 2. 1998). Eine aufschlussreiche Analyse dieses Translats findet man in Krysztofiak/ Kaszyn´ski (2004: 386). Auch die philologische Übersetzung von Peter Krupka: (94’’’) Sein
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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Spitzenstellung, der Text überrascht mit seiner Rhythmik, der prägnanten Form und zugleich geistreichen Pointe. (94’) Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie. (LvD1996: 105)
Die gesamte Phrase (94’) kann im Vergleich zum Original als dessen kongeniale Übersetzung angesehen werden. Mit seiner Übersetzung konnte Dedecius die Verflachung zum unpoetischen Satz ›Er hatte es nie benutzt‹ erfolgreich vermeiden. Die lakonische Form geht in den Aphorismen mit einigen anderen Eigenschaften einher. Sie scheint manchmal hinter anderen Textmerkmalen zurückzutreten. Der Übersetzer beachtet sie in der Komplexität der aphoristischen Poetizität, die sich aus vielen Merkmalen zusammenfügt. Ihr individuelles Gewicht wird von Dedecius41 (94), (95), (96) im Rahmen einer translatorischen Bilanzierung bewertet. Wie wichtig für die Beibehaltung der humoristischen Kontrastierung in der Translation die übersetzerische Kreativität bei der Gestaltung der thematischrhematischen Struktur des Textes ist, können auch die Beispiele42 (95)–(95’)– (95’’) und (96)–(96’)–(96’’) aus der translatorischen Werkstatt von Lipin´ski exemplifizieren: (95) Reprywatyzujmy nierentowne domy wariatów! (BIII1971: 34) (95’) Laßt uns die unrentablen Irrenhäuser reprivatisieren! (BBBD1984: 270) (95’’) Reprivatisieren wir unsere unrentablen Irrenhäuser. (PPL1997: 494) (96) Czasem jest o wiele wie˛cej kamieni milowych niz˙ mil. (B1967: 30) (96’) Es gibt zuweilen mehr Meilensteine als Meilen. (BBBD1984: 269) (96’’) Zuweilen gibt es mehr Meilensteine als Meilen. (PPL1997: 494)
Die direkte Übersetzung, für die sich der Übersetzer konsequent in den neuesten Versionen der Übersetzung ((95’’) und (96’’)) entscheidet, scheint das Resultat einer sorgfältig überdachten, schlüssigen translatorischen Abwägung zu sein. Die Kreativität des Übersetzers manifestiert sich in der ständigen Suche nach immer besseren Übersetzungslösungen, die die hier angeführten Übersetzungsversionen dokumentieren. In der Alternativenkonstellation: direkt versus indirekt spiegelt sich die Dichotomie von Methoden der üblicherweise als treu, wörtlich bezeichneten direkten und der kreativen, freien, d. h. indirekten Übersetzung wider. Bei der Möglichkeit der Wahl zwischen direkten und indirekten Übersetzungsverfahren zeigen sich Dedecius und Lipin´ski als Übersetzer, Gewissen war rein. Er hatte es nie benutzt. (LnK1976: 91) wäre hier keine gleichwertige Alternative. 41 Dedecius verfasste und veröffentlichte einige Übersetzungsversionen der Aphorismen von Brudzin´ski. 42 Die Beispiele (95) und (96) wurden bereits als seltene Belege für die ständige Suche nach besseren Übersetzungslösungen in Ba˛k (2018: 133) angesprochen.
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Paweł Ba˛k
die – wie bereits signalisiert – dem alten Denkspruch folgen: »So treu wie möglich, so frei wie nötig« und in der neueren Übersetzungsfassung lieber direkt(er) vorgeht. Der Verzicht auf die indirekte Übersetzung zugunsten der direkten Wiedergabe ermöglicht den Übersetzern durchaus adäquate Ergebnisse.
4.
Schlussbemerkungen
In Übereinstimmung mit dem bisher Gesagten sowie mit den bisherigen Erkenntnissen über die Translation, v. a. über die Übersetzung von Aphorismen (vgl. u. a. Baran´czak 2004: 123, Krysztofiak/Kaszyn´ski 2004, Ba˛k 2007, 2010a, 2010b, 2015 und 2018) kann man den Einsatz von Wörtlichkeit, der direkten Übersetzungsverfahren sowie der als freie Übersetzung verstandenen Kreativität durchaus als adäquat bewerten. Die Analyse zeigt, dass auch die direkte zielsprachliche Wiedergabe sehr gelungene Resultate ermöglicht, u. a. die Beibehaltung der Kontraste, Widersprüche, der aphoristischen Pointe und vor allem des Humors. Bei der Prägnanz der humorvollen, aphoristischen Form kommt es auf die innere, inhaltliche Komplexität, Angemessenheit, Treffsicherheit und verblüffende Pointen an. Sehr oft krönen die Aphoristiker ihre Texte mit einem überraschenden Schlusswort, wodurch die Texte humoristischen oder ironischen Charakter gewinnen. Die beiden Übersetzer beachten dieses Charakteristikum und geben es – gleich, ob bei direkter oder kreativer Übersetzung – wieder. Dies passiert nicht selten auf Kosten der Struktur der Phrase, die angesichts der unterschiedlichen Charakteristika zwischen beiden den Sprachen oft ausgebaut werden muss. Die Vielfalt an Merkmalen, die die Mehrdimensionalität und Poetizität des Aphorismus ausmachen, suggeriert eine Vorsicht bei der Beurteilung von Entscheidungen der Übersetzer. Bei der Bewertung von Übersetzungen wurde hier versucht, eine zu strenge Fokussierung auf eines der Charakteristika und auch Generalisierungen zu vermeiden. Anhand der Analyse der Übersetzung der Aphorismen von Stanisław Jerzy Lec, Wiesław Brudzin´ski und Waldemar Kania kann man feststellen, dass im Übersetzungsprozess im Grunde genommen jedes Charakteristikum der Texte die Invarianzverhältnisse regeln kann. Eine konstruktive Übersetzungskritik berechtigt uns bei der Bewertung nicht zu einer Beschränkung auf eine der Qualitäten. Eventuelle Verluste, die bei der Übersetzung in diesem Bereich möglich sind, werden anderswo kompensiert, insbesondere durch Konstruktion der prägnanten Rhythmik, der Kontraste oder Wortspiele. Als wichtiges Merkmal der analysierten Übersetzungen ist die Vielfalt von Herangehensweisen an die übersetzten humoristischen Texte. Es wird in diesem Zusammenhang nicht von generellen Strategien der beiden Übersetzer gespro-
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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chen. Die Übersetzer müssen immer im Hinblick auf die jeweilige Übersetzungsaufgabe eine Hierarchie der Merkmale des Textes festlegen, Mittel und Entscheidungen abwägen. Karl Dedecius und Krzysztof Lipin´ski treffen Entscheidungen, die immer individuellen Charakter haben und sich nicht in ein Schema hineinzwängen lassen. Dies zeugt nicht nur von einem sensiblen Umgang mit den Ausgangstexten, sondern belegt auch die Kreativität dieser genialen Übersetzer.
Abkürzungen as zs
ausgangssprachlich zielsprachlich
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294
Paweł Ba˛k
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Humor und Translation. Charakteristik und Übersetzung polnischer Aphorismen
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Andere Quellen Interview »Talk auf 4«, für NDR 4 am 20. 2. 1998.
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Artur Dariusz Kubacki (Uniwersytet Pedagogiczny im. Komisji Edukacji Narodowej w Krakowie, Kraków)
Humor in der beglaubigten Übersetzung. Über unbeabsichtigte Humoreffekte in Translaten von Anwärtern auf den Beruf eines vereidigten Übersetzers für Deutsch Humour in Certified Translations. Unintentional Humorous Effects in the Translations of Candidates for Sworn Translators of German Abstract The article provides an analysis of unintentional humorous effects in the translations of candidates for sworn translators of German. Its first part describes how the examination to become a sworn translator is organized in Poland and the examination assessment criteria. Next, the author presents humour as a linguistic and translation phenomenon: he refers to the definition of humour in Polish and German dictionaries, presents the views of Polish academics on the translation of humour, gives the definition of unintentional humour for the purposes of the article and explains how unintentional humour is perceived by foreign researchers. The second part of the article contains an empirical analysis of numerous errors producing unintentional humorous effects committed by candidates for sworn translators of German during the written stage of the examinations that took place between 2010 and 2020. The errors generally result from the lack of factual knowledge or linguistic incompetence. Keywords: humour, unintentional humour, certified translation Schlüsselwörter: Humor, nicht-intentionaler Humor, beglaubigte Übersetzung
1.
Vorbemerkungen
Zum Verfassen dieses Beitrags hat mich meine langjährige Erfahrung als Gutachter1 von Prüfungsarbeiten der Kandidaten2 für den Beruf des vereidigten Übersetzers für Deutsch motiviert. Viele Leser werden sich sicherlich für das
1 In den Jahren 2007–2013 war ich als Prüfungsbeauftragter tätig und seit 2013 bis dato bin ich Mitglied der Staatlichen Prüfungskommission für die Durchführung der Prüfungen zum vereidigten Übersetzer für Deutsch im Justizministerium in Warschau. Bislang habe ich mehr als 800 schriftliche Translate benotet.
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Artur Dariusz Kubacki
Thema des Artikels interessieren und sich die Frage stellen, ob die beglaubigte Übersetzung humoristische Elemente enthalten kann, und wenn ja, welche. Lassen wir uns daran erinnern, was eine beglaubigte Übersetzung ist. Es handelt sich um eine besondere Art der schriftlichen Fachübersetzung, die von einem vereidigten Übersetzer angefertigt, gestempelt und unterschrieben wird. Die im Beitrag angeführten Beispiele für Fehler, die einen unbeabsichtigten Humor hervorrufen, stammen aus den Übersetzungen von Fach- und Sachtexten im Staatsexamen, dessen Bestehen eine Conditio sine qua non für die Erlangung der beruflichen Befähigung ist. Humor erscheint hier – wie Doni Tamblyn (2009) es formulierte – als eine kreative Handlung, die nicht die erwarteten Ergebnisse bringt. Die humoristischen Effekte in der Übersetzung ähneln weitgehend dem Humor in Schulheften. In der einst beliebten polnischen Wochenzeitschrift Przekrój gab es eine Spalte mit einer Menge von Fehlern der Schüler oder deren sprachlichen Ungeschicklichkeiten, die von Lehrern bei Hausaufgaben, Klassenoder sogar in den Abiturarbeiten entdeckt wurden. Ebenso sammelte ich Fehler und Unzulänglichkeiten der Prüflinge, die bei der Bewertung der Arbeiten ein Schmunzeln hervorriefen. Bei ausführlicher Besprechung der Fehler im zweiten Teil des Beitrags versuche ich zu zeigen, dass sie aus Mangel an Sachwissen bzw. sprachlicher Inkompetenz der Berufsanwärter resultierten. Einige von ihnen können als sog. kritische Fehler angesehen werden, die die Chancen auf ein positives Prüfungsergebnis deutlich verringern.
2.
Staatsexamen zum vereidigten Übersetzer in Polen
Die moderne Welt verlangt von uns, dass wir unsere beruflichen Qualifikationen ständig perfektionieren. Daher entscheiden sich viele Absolventen nach ihrem Hochschulabschluss (meist nach dem Abschluss des Studiums der Germanistik oder Angewandten Linguistik) für eine Staatsprüfung zum vereidigten Übersetzer, deren Bestehen sie befähigt, als vereidigter Übersetzer für das Sprachenpaar Deutsch-Polnisch tätig zu sein. Der staatlich geprüfte Sprachmittler hat weitgehende Befähigungen, insbesondere kann er die offizielle Übersetzung polnisch- und deutschsprachiger Urkunden übernehmen und diese in den Rechts- und Wirtschaftsbereich einführen. Die Erlangung dieser Befähigung ist natürlich mit der Erhöhung seiner Chancen auf Aufträge verbunden (vgl. Prokop 2015: 230).
2 Soweit in diesem Aufsatz personenbezogene Bezeichnungen in männlicher Form (Kandidat, Prüfling, Übersetzer, Leser usw.) genannt sind, werden diese aus Gründen der besseren Lesbarkeit verallgemeinernd verwendet und beziehen sich auf beide Geschlechter gleichermaßen.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
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Ein Kandidat für die Stelle eines vereidigten Übersetzers muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, darunter Fremdsprachenkenntnisse auf dem C2-Niveau und ausgezeichnete Kenntnisse der Muttersprache vorweisen. Darüber hinaus sollte er sowohl in der Fremd- als auch in seiner Muttersprache über ein gutes Fachvokabular verfügen, insbesondere im Bereich von Recht, Wirtschaft und Finanzen, sowie fachliche Grundkenntnisse in demjenigen Bereich haben, aus dem der zu übersetzende Text kommt. Eine Überprüfung der terminologischen Kenntnisse lässt sich nicht vermeiden, da in der Prüfung immer wieder Texte mit Fachvokabular, z. B. juristischem oder amtlichem Wortschatz, vorkommen. Die Prüfung beginnt mit einem schriftlichen Teil, der aus der Übersetzung von zwei Texten aus dem Deutschen ins Polnische und zwei Texten aus dem Polnischen ins Deutsche besteht. Grundsätzlich muss einer der Texte, der in beide Richtungen übersetzt wird, zur Kategorie der Fachtexte (Gerichtsschriftstück oder juristisches bzw. amtliches Schreiben) gehören, während der andere Text meist zur Kategorie der allgemeinen Sachtexte gehören sollte. In der Praxis werden als Fachtexte solche angesehen, die für das Zivil-, Straf- oder Wirtschaftsrecht repräsentativ sind, während es sich bei allgemeinen Sachtexten meist um kurze Pressetexte zu aktuellen gesellschaftspolitischen oder wirtschaftlichen Themen handelt, mit deren Hilfe die allgemeinen Übersetzungsfertigkeiten eines Kandidaten getestet werden können.3 Im schriftlichen Teil können maximal 200 Punkte erreicht werden, wovon 150 Punkte zum Bestehen dieses Teils notwendig sind. Leider ist das nicht einfach, wovon eine Erfolgsquote von weniger als 50 % zeugt. Für diejenigen, die die erforderliche Punktzahl erreichen, wird ein mündlicher Teil organisiert. Da muss der Kandidat zwei Texte ins Deutsche übersetzen, die von einem Prüfer vorgelesen oder von einer Aufnahme abgespielt werden – es handelt sich dabei um eine konsekutive Verdolmetschung. Dann muss der Kandidat zwei schriftliche Texte aus dem Deutschen ins Polnische verdolmetschen – dies ist eine Prima-vista-Übersetzung. Ein positives Ergebnis in beiden Prüfungsteilen ist gleichbedeutend mit dem Bestehen der gesamten Prüfung, in der mindestens 150 von 200 zu vergebenden Punkten zu erreichen sind. Die jährliche Erfolgsquote für die Staatsprüfung im Sprachenpaar Deutsch-Polnisch liegt maximal bei 25 %. Es ist erwähnenswert, dass in der schriftlichen Prüfung keine Hilfsmittel zugelassen sind, mit Ausnahme von Wörterbüchern, Glossaren, Lexika und Enzyklopädien, die von den Prüflingen selbst mitgebracht werden (nur in Papierform). In der mündlichen Prüfung hingegen sind keine Hilfsmittel erlaubt. Die schriftliche Prüfung dauert vier Stunden und die mündliche – etwa vierzig Minuten. 3 Charakteristik der Texte aus den schriftlichen und mündlichen Prüfungen – siehe Kubacki (2012: 202–204).
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Artur Dariusz Kubacki
Es werden die Übersetzungs- und Sprachfertigkeiten des Kandidaten bewertet. Als Übersetzungsfertigkeit gelten die inhaltliche Seite der Übersetzung (Übereinstimmung des im Translat vermittelten Inhalts mit dem Inhalt des Originals), die terminologische Korrektheit in der Übersetzung (fachsprachliche Terminologie und Phraseologie) und, nur im Falle der schriftlichen Prüfung, die formale Seite der Übersetzung (praktische Kenntnisse der formalen Grundsätze zur Anfertigung beglaubigter Übersetzungen). Zu den Sprachkenntnissen gehören insbesondere korrekte Zeichensetzung, Rechtschreibung, Grammatik, nicht fachsprachliche Lexik und Stilistik. Im Falle der Verdolmetschung gelten die gleichen Bewertungskriterien wie für die Übersetzungen, mit Ausnahme der formalen Seite. Hinsichtlich der Sprachkenntnisse werden in der mündlichen Prüfung die grammatikalische, lexikalische (nicht fachsprachliche Lexik) und stilistische Richtigkeit sowie die phonetische und intonatorische Korrektheit, die Diktion und der flüssige Ausdruck bewertet (vgl. Kubacki 2018: 16f.). Um die Erwartungen der akademischen Kreise und der Branchenverbände für Übersetzer und Dolmetscher zu erfüllen, hat der Justizminister im Jahre 2018 mit der Änderung der Verordnung über die detaillierte Vorgehensweise bei der Durchführung der Prüfung zum vereidigten Übersetzer eine Kategorie kritischer Fehler eingeführt, die ich im Bulletin des Lubliner Dolmetscher- und Übersetzerverbands (Biuletyn LST) ausführlich beschrieben habe (vgl. Kubacki 2018b). Aus dem Wortlaut der Verordnung ergibt sich, dass, wenn ein Kandidat einen Fehler begeht, der eine wesentliche Verletzung der Bedeutung des Originals verursacht, d. h. einen so genannten kritischen Fehler begeht, ihm für jeden solchen Fehler maximal zehn Punkte in der Kategorie Übersetzungsfertigkeit abgezogen werden können. Wie die schriftlichen und mündlichen Arbeiten von Anwärtern auf diesen Beruf in der Praxis bewertet werden, kann in den Büchern der Prüfer des Englischen Jan Gos´cin´ski und Marek Kuz´niak (2016, 2020) nachgelesen werden.4
3.
Humor als sprachliches und translatorisches Phänomen
3.1
Definition des Humors
Der amerikanische Philosoph, Film- und Kunsttheoretiker Noël Caroll (2014: 6) stellt bezüglich des Humors Folgendes fest:
4 Leider gibt es keine solchen Bücher auf dem Markt in Bezug auf das Sprachenpaar Polnisch– Deutsch.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
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In any case, humour is a pervasive feature of human life. We find it everywhere – at work and at play, in private and public affairs. Sometimes we make it ourselves; often we pay others to create it for us, including playwrights, novelists, film-makers, stand-up comics, clowns, and so.
Dieser Liste der »Humor-Schöpfer« von Caroll können allerdings noch Übersetzer hinzugerechnet werden, die die humoristischen Effekte des Originals in der Übersetzung bewusst oder unbewusst wiedergeben können. Das Wort Humor5 kommt aus dem Latein und bedeutet so viel wie Flüssigkeit, Feuchtigkeit einschließlich Körperflüssigkeiten. Wie der vorgenannte Humorforscher Caroll (2014: 5) feststellt, behaupteten bereits die Ärzte in der Antike, dass die Gesundheit vom Gleichgewicht zwischen den vier Körperflüssigkeiten (Humoren) abhängt: Blut, Schleim (Phlegma), Galle und schwarze Galle. Das Ungleichgewicht zwischen diesen Flüssigkeiten führt zur Bildung verschiedener Persönlichkeitstypen: ein Übermaß an Blut macht jemanden zum Sanguiniker, ein Übermaß an Galle prägt einen Choleriker, ein Übermaß an Schleim ist für einen Phlegmatiker typisch und ein Übermaß an schwarzer Galle macht einen Menschen zum Melancholiker. Kay Peter Jankrift (2005: 25ff.) bezeichnet dies als sog. Vier-Säfte-Lehre. Auf diese Weise wurde die Humortheorie von Hippokrates zum Ansatz bei der Verbindung von Humor mit einer Person, deren Temperament in spezifischer Weise von der Norm abweicht. Solche Personen galten als lächerlich und wurden als Exzentriker bezeichnet. Sowohl polnische als auch deutsche Sprachwörterbücher definieren Humor auf ähnliche Art und Weise. Das Słownik je˛zyka polskiego, herausgegeben von Mieczysław Szymczak (1983: 758), definiert Humor auf dreierlei Weise:6 (1) »die Fähigkeit, die komischen Seiten/das Komische des Lebens zu sehen, meist mit Nachsicht und Milde behandelt«, (2) »die Darstellung von etwas auf eine lustige Art«, (3) »ein vorübergehender Gemütszustand; gute Laune«. Jan Malczewski (1985: 64) versteht Humor als »eine Fähigkeit, in Situationen, Ereignissen, Äußerungen usw. Komisches wahrzunehmen«, und die Nowa encyklopedia powszechna PWN (2004: 670) betrachtet Humor als eine ästhetische Kategorie, die sich – als eine Form der Komik – darin äußert, dass Phänomene als geeignet gefasst werden, einen zum Lachen zu bringen, und – im Gegensatz zur Satire – meist mit Nachsicht und Milde behandelt werden. Humor ist ein Zeichen für eine
5 Ich teile die Ansicht von Iwona Wowro (2015: 54), dass die Termini Humor und Komik als unterschiedliche ästhetische Kategorien zu betrachten sind, verzichte aber – wie sie es in ihrer interessanten Untersuchung über Humor in der Übersetzung tut – auf die obige terminologische Unterscheidung und zitiere nur die Meinungen einiger polnischer Wissenschaftler zu den gegenseitigen Beziehungen zwischen den beiden Begriffen. 6 Alle Übersetzungen der Zitate – soweit nicht anders angegeben – stammen vom Autor des Beitrags.
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Artur Dariusz Kubacki
kontemplative und philosophische Einstellung zur Welt, die freundlich und eher optimistisch ist. In ähnlicher Weise wird das Lexem Humor im Duden Deutsches Universalwörterbuch (1996: 741) auf dreierlei Weise definiert als: (1) »Gabe eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen«, (2) »sprachliche, künstlerische o. Ä. Äußerung einer von Humor bestimmten Geisteshaltung, Wesensart« und (3) »gute Laune, fröhliche Stimmung«. Wie die Humorforscherin Agata Re˛bkowska (2016: 50) treffend feststellt, wird Humor in verschiedenen Wissenschaftsbereichen unterschiedlich definiert, denn es ist ein Unterschied, Humor als ästhetische Kategorie oder als psychologische Fähigkeit einer Person zu definieren. Aus den oben zitierten Definitionen wird deutlich, dass Humor einerseits ein sehr verbreitetes, andererseits ein äußerst komplexes und vielschichtiges Phänomen ist, dessen übergeordnetes Ziel die Unterhaltung der Zuschauer, also die Realisierung der Unterhaltungsfunktionen in der Sprache ist (vgl. Wowro 2015: 60). Im Hinblick auf den begrenzten Rahmen dieses Beitrags verzichte ich darauf, die relevanten Theorien des Humors in der Linguistik zu diskutieren. Ich meine damit u. a. strukturelle, pragmatische, intersemiotische, sozio- und ethnolinguistische Theorien sowie semantische Skripttheorien, in denen der Humor aus verschiedenen Perspektiven analysiert wird, und verweise in diesem Zusammenhang auf eine synthetische Studie von Re˛bkowska (2016: 67–86). Im nächsten Kapitel möchte ich nur den Humor in der Übersetzung näherbringen und mich dabei besonders auf den ungewollten Humor in der Übersetzung konzentrieren, weil ich der Meinung bin, dass diese Informationen bei der empirischen Analyse von unbeabsichtigten Humoreffekten, die in den fehlerhaften Übersetzungen der Kandidaten für den Beruf des vereidigten Übersetzers aufgetreten sind, auch hilfreich sein können.
3.2
Humor in der Übersetzung
Das Problem der Übersetzung von Humor ist seit Langem ein Anliegen von Übersetzungstheoretikern und -praktikern, und ihre Meinungen zu diesem Thema sind geteilt. Einige Wissenschaftler sind der Auffassung, dass das Phänomen des Humors durch seine Nichtübersetzbarkeit gekennzeichnet ist (vgl. z. B. Wojtasiewicz 1996: 76–77, Lipin´ski 2004: 173), während die andere Gruppe der Gelehrten die Ansicht vertritt, dass es besonders schwierig ist, Humorelemente zu übersetzen (vgl. z. B. Fast 1991: 19). Der bereits zitierten Humorforscherin Agata Re˛bkowska (2016: 86) zufolge möchte ich auf die klassische Einteilung des Humors hinweisen. Dabei wird
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
303
zwischen einem sprachlichen (verbalen) und einem referenziellen (außersprachlichen) Humor unterschieden, wobei der erstere auf der phonischen und/ oder grafischen Repräsentation eines humoristischen Elementes beruht. Wie Iwona Wowro (2015: 58) schreibt, »ist im ersten Fall die sprachliche Beschreibung der Situation, im zweiten Fall – die Situation selbst lustig«. Sie bemerkt treffend, dass der sprachliche Humor meist auf lexikalischer, phonologischer oder syntaktischer Mehrdeutigkeit beruht, während der außersprachliche Humor eher durch das Wissen über die Welt als durch die Kenntnis lexikalisch-grammatischer Strukturen bestimmt wird (vgl. Wowro 2015: 59). Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Unterscheidung von Humor berücksichtigt werden soll, ist, ob er gewollt (intentional) oder ungewollt (zufällig) erzeugt wird. Bei der Übertragung expressiver Texte, d. h. der Texte mit intentionalem Humor, ist der Übersetzer – wie Iwona Wowro (2015: 57) schreibt – gefordert, »erfinderisch zu sein und schöpferisch kreative Aktivitäten/Handlungen zu intensivieren«. Um den sprachlichen Humor in expressiven Texten zu verstehen und ihn dann adäquat zu übersetzen, muss der Sprachmittler entsprechende kognitive Prozesse in Gang setzen. Wie Wowro (2015: 57) in ihrer Analyse beweist, spielen dabei pragmatische Faktoren wie Weltwissen, Kommunikationssituation, Konnotationsbereich, stilistische Konvention und Funktion eine wichtige Rolle. Ebenso sind humorvolle Inhalte in Filmen und Computerspielen meist beabsichtigt und erfordern vom Übersetzer ein hohes Maß an übersetzerischem Geschick (vgl. Lesner 2018). Ein ungewollter Humor entsteht hingegen unbewusst und unerwartet, also durch ein unbeabsichtigtes Heraufbeschwören einer solchen Situation durch den Translator. Der Thematik der Übersetzung von humoristischen Texten wurde in der polnischen Fachliteratur viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es genügt, zwei Monografien zu nennen, die den Fragen des Humors / der Komik gewidmet sind: Die erste von 1997 wurde von Piotr Fast, und die zweite von 2008 wurde von Maria Filipowicz-Rudek und Jadwiga Konieczna-Twardzikowa herausgegeben. In weitaus geringerem Umfang haben sich Wissenschaftler mit der Kategorie des ungewollten Humors (eng. unintentional humour, dt. unintentionaler / unbeabsichtigter Humor) beschäftigt. Auf der Wikipedia-Webseite findet man unter dem Stichwort Humour in translation7 einige interessante Beispiele aus dem Chinesischen und Japanischen für Übersetzungsfehler, die unbeabsichtigte Humoreffekte hervorrufen. Zwei Forscher des ungewollten Humors aus Kuwait und Jordanien, Mohammed Farghal (2006) und Aladdin Al-Kharabsheh (2008), liefern eine Reihe konkreter Sprachelemente (lexikalischer und grammatikalischer Art), die den unbeabsichtigten Humor verursachen können. Als lexikalische Elemente betrachtet Farghal Ambiguität, nicht usuelle Kollokationen, le7 https://en.wikipedia.org/wiki/Humour_in_translation [Zugriff am 30. 12. 2020].
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304
Artur Dariusz Kubacki
xikalische (pragmatische) Lücken und morphophonologische Ähnlichkeiten, während er zu den grammatikalischen Elementen endophorische Referenzen (Mittel der Textkohäsion), Wortstellung und Modalität zählt. Aladdin Al-Kharabsheh ergänzt diese Kategorien um Rechtschreibfehler, unvollständige Übersetzungen, mangelnde Logik in der Übersetzung und fehlende semantische Präzision in der Zielsprache. Farghals Untersuchungen zum Humor werden durch Beispiele der Übersetzungen von Benachrichtigungen, d. h. Informationen auf öffentlichen Aushängen, veranschaulicht. Al-Kharabsheh stützt seine Analyse auf die Übersetzung von Ladennamen in Jordanien vom Arabischen ins Englische. In meinem Beitrag verstehe ich unter dem unbeabsichtigten Humor einen Nebeneffekt der Arbeit eines Fachübersetzers, der durch einen Übersetzungsfehler oder einen Sprachfehler im Translat entstanden ist. Die Lapsus des Übersetzers können einen ungewollten Humor verursachen, der seiner Form nach dem intentionalen Humor ähnelt, da jeder von ihnen eine Kombination aus spezifischen sprachlichen und kulturellen Merkmalen einer bestimmten Sprache ist. Die Übersetzungsfehler verfälschen die vom Autor des Originals beabsichtigte Bedeutung, was zu Absurdität und Lächerlichkeit führt und einen humoristischen Effekt erzeugt. Träger beider Arten von Humor sind Wörter und Phrasen oder manchmal sogar ganze Sätze. Ein Stolperstein kann fast überall entstehen, von der Rechtschreibung über die Phraseologie und das Vokabular bis hin zur Fehlinterpretation, die durch unzureichende Kenntnis des für die Übersetzung charakteristischen Fachgebiets verursacht werden können. Hinzuzufügen ist, dass sich die sprachliche Inkompetenz nicht nur auf die Fremd-, sondern auch auf die Muttersprache8 zurückzuführen ist. Damit die Analyse den Rahmen dieses Beitrags nicht sprengt, beschäftige ich mich lediglich mit den Übersetzungen ins Polnische.
4.
Empirische Analyse fehlerhafter Übersetzungen
Zum Gegenstand der Analyse wurden Beispiele für die Übersetzungsfehler aus den schriftlichen Prüfungen der Anwärter auf den Beruf des vereidigten Übersetzers für Deutsch herangezogen, die zwischen 2010 und 2020 im Justizminis8 Diverse Fehler und Unzulänglichkeiten bei der Fachübersetzung der Kandidaten für den Beruf des vereidigten Übersetzers für Deutsch und Englisch, die aus der mangelnden Kompetenz in ihrer Muttersprache (in diesem Fall in Polnisch) resultieren, wurden von Jan Gos´cin´ski und Artur D. Kubacki in der Publikation (2021) Je˛zyk polski jako wyzwanie egzaminacyjne. Charakterystyka błe˛dów kandydatów na tłumaczy przysie˛głych na egzaminie pisemnym [Polnisch als eine Prüfungsherausforderung. Beschreibung von Fehlern der Kandidaten in der schriftlichen Staatsprüfung zum vereidigten Übersetzer] näher diskutiert.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
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terium in Warschau stattfanden. Die Kandidaten übersetzten sowohl Fach- als auch Sachtexte ins Polnische und Deutsche. Analysiert wurden nur die Translate ins Polnische. Die Übersetzungsfehler umfassten Sach- und Sprachfehler, was der Einteilung von Zygmunt Te˛cza und Krzysztof Nycz (2013: 704) in ›klassische‹ Übersetzungsfehler (Fehlinterpretationen des Originals) und endogene ZSFehler (übersetzungsunabhängige Defizite im Translat) entspricht. Der Definition von Zygmunt Te˛cza (2010: 283) folgend, betrachte ich die Übersetzungsfehler als »Oberbegriff für sämtliche im Translat nachweisbaren und dem jeweiligen Übersetzer zuzuschreibenden Unzulänglichkeiten«.
4.1
Sachfehler
Die erste Gruppe der Defizite stellen Sachfehler dar. Unter dem Sachfehler ist zu verstehen, dass ein bestimmtes Wort oder ein bestimmtes Syntagma falsch übersetzt wurde und etwas anderes bedeutet als im Ausgangstext angegeben. Die Sachfehler betreffen den Inhalt des Textes. Manchmal spielt ein solcher Fehler keine große Rolle, aber es kommt vor, dass er große Auswirkung auf einen bestimmten Textabschnitt oder sogar den gesamten Text hat. Dann kann von einem kritischen Fehler (engl. fatal error) die Rede sein (vgl. Kubacki 2018: 4, Matulewska 2014: 108). Für einen derartigen Fehler kann der Prüfer bis zu zehn Punkte von den fünfzig zu vergebenden Punkten abziehen. Krzysztof Hejwowski (2004: 149) ordnet nachfolgende Fehler in diese Kategorie ein: a) metatranslatorische Fehler, z. B. ungerechtfertigte Auslassungen oder unnötige Hinzufügungen, zwei Versionen des Translats, Korrektur oder Nichtkorrektur des Originaltextes, zu viel oder zu wenig Metasprache des Übersetzers (z. B. Fußnoten), b) Fehlinterpretationsfehler, d. h. Fehler, die sich aus dem Missverständnis des Textes ergeben, z. B. Verwechslung von zwei verschiedenen Syntagmen oder Verbrahmen in der Ausgangssprache, Verkennung der Modalität des Textes, c) Realisationsfehler, z. B. Hyper- oder Unterübersetzung, Fehler aus Mangel an Allgemein- und Fachwissen des Übersetzers, zielsprachliche Fehler, d) syntagmatische Übersetzungsfehler, die aus unzureichender Analyse des Ausgangstextes und mangelnder Fähigkeit zur Suche nach Übersetzungsäquivalenten resultieren, z. B. Übernahme fehlerhafter Wörterbuchäquivalente, Lehnübersetzungen, falsche Freunde des Übersetzers, ungerechtfertigte Rekonstruktionen. Die aus dem Missverständnis des Originaltextes oder dem Weglassen bzw. Hinzufügen von etwas im Zieltext resultierenden Sachfehler können allerdings
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Artur Dariusz Kubacki
schwerwiegende Folgen in der beglaubigten Übersetzung haben (vgl. Kubacki 2012: 213). Pos. Ausgangseinheit 1. Gullydeckel
2.
Gullydeckelbande
3.
Eingangsstempel des Gerichts Beschlossen und verkündet [im deutschen Urteil]
4. 5. 6. 7. 8.
9. 10.
vorzeitige oder ordentliche Pensionierung [Schweiz] ordentliche Studierende [Österreich]
Fehlerhaftes Translat pokrywka
Korrekturvorschlag pokrywa wpustu kanalizacyjnego (ulicznego) / studzienki s´ciekowej banda pokryw s´ciekowych gang złodziei wykorzy/ banda włazów kanalistuja˛cych studzienki zacyjnych s´ciekowe w celu wejs´cia do okradanych obiektów emglemant sa˛du
prezentata sa˛du
decyzje i obwieszczenia
postanowiono i ogłoszono
przedwczesna lub zasłuz˙ona emerytura
wczes´niejsza emerytura lub emerytura powszechna osoba dopuszczona do studiów w trybie zwykłym
a) schludna studiuja˛ca b) porza˛dna studentka
Einantwortungsbeschluss [Österreich] Bitte diesen Ordnungsbegriff in allen Eingaben anführen. [Österreich]
decyzja o przysa˛dzeniu
nichtöffentliche Sitzung des Amtsgerichts Hierzu gehören akute Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung
niejawna siedziba sa˛du rejonowego Do tego nalez˙y ostra niemoz˙nos´c´ płacenia, groz˙a˛ca niemoz˙nos´c´ płacenia lub naddłuz˙enie.
Uprasza sie˛ hasło przyporza˛dkowuja˛ce wsze˛dzie podawac´.
postanowienie o stwierdzeniu nabycia spadku W korespondencji prosze˛ podac´ znak sprawy. posiedzenie niejawne sa˛du rejonowego W tej kategorii mieszcza˛ sie˛ niewypłacalnos´c´, zagroz˙enie niewypłacalnos´cia˛ czy tez˙ nadmierne zadłuz˙enie.
Tab. 1: Sachfehler durch Unkenntnis der Fachterminologie
Komische Effekte entstehen, wenn man durch Unkenntnis der Fachterminologie diverse Sachfehler begeht. Der Beleg (1) zeugt von einem Mangel an Präzision bei der Übersetzung des Fachbegriffs Gullydeckel. Der Übersetzer reduzierte die Übersetzung des Kompositums auf die Verkleinerungsform pokrywka [Deckelchen], ohne jedoch anzugeben, dass es sich um einen Kanaldeckel handelt. Im Beleg (2) kommt es zu einer absurden Übersetzung des Fachausdrucks, der bei der deutschen Strafverfolgungsbehörde üblicherweise zur Anwendung kommt,
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
um eine Gruppe von Dieben zu beschreiben, die durch die Abwasserschächte in Gebäude einschließlich Juweliergeschäfte eindringen (was übrigens im Text implizit ersichtlich war). Das Komische an der Übersetzung ist, dass der Translator gedankenlos den Namen der Bande kreierte, die aus Kanaldeckeln (Abwasserschächten) besteht. Im Beleg (3) verwendet der Übersetzer anstelle eines Fachlexems prezentata [Präsentatum] das Wort emglemant, das in der polnischen Sprache nicht existiert. Die Belege (4)–(8) beweisen die völlige Unkenntnis der Äquivalente der polnischen Rechtsterminologie für die in verschiedenen deutschsprachigen Ländern verwendeten Rechtstermini. Dadurch wirken die fachlich und sprachlich unbeholfenen Translate komisch. Im Beleg (9) entsteht der humoristische Effekt dadurch, dass der Übersetzer zwei Lexeme miteinander verwechselt hat: Sitzung – posiedzenie und Sitz – siedziba. Infolgedessen entstand ein nichtöffentlicher Sitz des Amtsgerichts. Im Beleg (10) hat die wortgetreue Übersetzung der Fachtermini aus dem Bereich Wirtschaft: akute/ drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu sprachlichen Ungetümen geführt, die ein Schmunzeln hervorrufen. Pos.
Ausgangseinheit
1. 2.
Kantonspital der in Rede stehende PKW
3.
Traum von der Existenzgründung dienstliche Angelegenheiten
4.
Fehlerhaftes Translat szpital w Kanton stoja˛cy w Redzie samochód osobowy marzenie egzystencjalne słuz˙bowe sprawy draz˙liwe
Korrekturvorschlag szpital kantonowy / szpital w kantonie … przedmiotowy (rzeczony) samochód osobowy / samochód osobowy, o którym mowa marzenie o załoz˙eniu działalnos´ci gospodarczej sprawy słuz˙bowe
Tab. 2: Sachfehler durch wortgetreue Übersetzung oder Hyperübersetzung
Auch wortgetreue Übertragungen von Wörtern aus dem nichtfachlichen Wortschatz stellen komische Effekte her. Dies wird durch die Belege (1)–(3) bestätigt. In ihrem Fall kann davon ausgegangen werden, dass sie entweder aus Unwissenheit oder aus Eile entstanden sind. In den Translaten (1) und (2) hat der Übersetzer fälschlicherweise angenommen, dass es sich um Toponyme wie Kanton und Reda handelt. Im Translat (3) stieß der Übersetzer auf einen Ausdruck, den er wahrscheinlich als selbstverständlich annahm, ohne die Bedeutung des Lexems Existenzgründung in einem Wörterbuch nachzuschlagen. Indessen handelt es sich um einen Termin. Andererseits hat der Übersetzer im Beleg (4) ein Wort hinzugefügt, das im Ausgangstext nicht vorhanden war. Diese ungerechtfertigte Hinzufügung führte zu einem lustigen Ausdruck draz˙liwe sprawy słuz˙bowe [heikle dienstliche Angelegenheiten], der für diese Art der Kollokation ungewöhnlich ist.
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Artur Dariusz Kubacki
Pos. Ausgangseinheit 1. Bohrinseln an die Küste schleppen 2.
Es gilt ja auch nicht als die feine englische Art Schiffe zu versenken statt zu verschrotten.
3.
Doch nachdem die große Spekulationsblase geplatzt ist, herrscht großer Katzenjammer.
4.
Man wird ihn (Asbest) mit frischem Fisch essen.
5.
Fehlerhaftes Translat Korrekturvorschlag próba scalenia wysp Bora- holowanie platform Bora wiertniczych do wybrzez˙a Nie ma czegos´ takiego jak Nie moz˙na równiez˙ pochwalac´ zatapiania fajny, angielski sposób statków zamiast przeratopic´ statki, zamiast je biania ich na złom. złomowac´. a) Jednak po załamaniu Jednakz˙e wskutek sie˛ ekscesów spekulanagłego pe˛knie˛cia ban´ki cyjnych panuje dotkliwy spekulacyjnej, zapanował kac. / wielki chaos. b) Jednakz˙e po tym, jak ban´ka spekulacji pe˛kła, panuje duz˙y kac. / c) Jednak po tym jak pe˛kł balonik spekulacji, pozostał płacz i zgrzytanie ze˛bów. Azbest je sie˛ wraz ze Azbest be˛dzie wchłanizdrowa˛ ryba˛. any dopiero podczas konsumpcji s´wiez˙ych ryb. Zostałem wysiedlony na Powinienem otrzymac´ mocy prawa kos´cioła. Re- władze˛ rodzicielska˛ nad ligia chrzes´cijan´ska stoi z Christianem, który wyratym w zgodzie. z˙a na to zgode˛.
Das Sorgerecht für Christian soll mir übertragen werden. Christian ist damit auch einverstanden. Tab. 3: Sachfehler durch Missverständnis des Ausgangstextes
Eine weitere Gruppe von Beispielen stellen Translate dar, bei denen der Übersetzer den Ausgangstext missverstanden hat, was zu einem humoristischen Effekt führt. Der Humor ist auf die wortwörtliche Übersetzung (2)–(4) zurückzuführen, und zwar als Ergebnis einer Fehlinterpretation des Originals. Die Belege (1) und (5) sind wohl am humorvollsten. Im Beleg (1) interpretierte der Übersetzer Bohrinseln als Toponym der Insel Bora Bora im Pazifischen Ozean, und im Beleg (5) verwechselte er den Vornamen Christian mit der Kirche / christlichen Religion und schuf so eine überraschende Geschichte über die »Vertreibung kraft des Kirchengesetzes«. Pos. Ausgangseinheit 1. 2.
Bundesrepublik Deutschland Einrichtung eines JIT
Fehlerhaftes Korrekturvorschlag Translat Republika Fe- Republika Federalna Niemiec deralna Polski procedura załoz˙enie wspólnego zespołu dochodzeniowo»Just In Time« s´ledczego (JIT = eng. Joint Investigation Team, dt. gemeinsame Ermittlungsgruppe)
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
(Fortsetzung) Pos. Ausgangseinheit 3.
Flop-Rate
Fehlerhaftes Translat wskaz´nik flop
Korrekturvorschlag wskaz´nik niepowodzen´ nowych produktów
Tab. 4. Kritische Fehler durch mangelndes Wissen des Übersetzers
In der Tabelle 4 wurden Beispiele für kritische Fehler gesammelt, die die Übersetzer aufgrund mangelnder Fachkenntnisse in einem bestimmten Bereich gemacht haben. So zeigt der Beleg (1), dass der Übersetzer die politischen Systeme Polens und Deutschlands nicht kennt, und die Beispiele (2) und (3), dass er Begriffe, die für die Wirtschaft und das Strafrecht typisch sind, nicht aus dem Kontext, in dem der Ausgangstext steht, übersetzen kann. Hinzuzufügen ist, dass die Ausgangstexte eine Erklärung der angegebenen Begriffe enthielten, aber der Übersetzer war allerdings nicht in der Lage, diese Referenz im Text auszunutzen.
4.2
Sprachfehler
Die Sprachfehler stellen eine weitere Quelle für Unzulänglichkeiten dar, aus denen humoristische Effekte bei Übersetzungen hervorgehen. Sie werden nach der Fehlertypologie von Andrzej Markowski (2012: 1553ff.) gruppiert. In die Kategorie der Sprachfehler zählt der Forscher inter- und intralinguale Fehler. In der ersten Gruppe befinden sich Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, in der zweiten – System- und Gebrauchsfehler, d. h. stilistische Fehler. Bei den Systemfehlern unterscheidet man grammatikalische, lexikalische und phonetische Fehler. Grammatikalische Defizite werden wiederum in Flexions- und syntaktische Fehler, lexikalische Defizite – in Wort- und Wortbildungsfehler sowie phraseologische Fehler unterteilt. Die phonetischen Fehler werden aus der Analyse ausgenommen, da die im Korpus gesammelten Beispiele nur dem schriftlichen Prüfungsteil entnommen sind. In den Tabellen 5–8 habe ich Belege für Sprachfehler aufgelistet und sie nach der Typologie von Andrzej Markowski in lexikalische, grammatikalische und orthografische Fehler gruppiert. Pos. Ausgangseinheit 1. Analysten
Fehlerhaftes Translat analis´ci
Korrekturvorschlag analitycy giełdowi
2. 3.
Verstorbener Missstände
4.
persönlich haftende Gesellschafterin (…) stellt den Scheidungsantrag
umarły nieszcze˛´sliwe stany rzeczy osobis´cie re˛cza˛ca społecznica (…) wysuwa wniosek o rozwód
zmarły nieprawidłowos´ci osobis´cie odpowiedzialny wspólnik (…) składa wniosek o rozwód
5.
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Artur Dariusz Kubacki
(Fortsetzung) Pos. Ausgangseinheit 6. erschienen bei Aufruf 7. 8.
Fehlerhaftes Translat wstawieni na sprawe˛ na podstawie wezwania (…), da er auch nachts (…), bo lubił tez˙ grac´ w zocken wollte hazard w nocy aus den Augen – aus byle z oczu, byle z umysłu dem Sinn
Korrekturvorschlag stawili sie˛ po wywołaniu sprawy (…), bo chciał tez˙ nocami uprawiac´ hazard co z oczu, to z serca
Tab. 5: Lexikalische und stilistische Fehler
Der Beleg (1) beweist den Mangel an sprachlichen und fachlichen Kenntnissen des Sprachmittlers. Er ist nicht in der Lage, das Wort analitycy [Analysten] nach den Grundsätzen der polnischen Wortbildung zu bilden, und weiß nicht, dass es sich bei diesem Fachausdruck um einen Börsenfachmann handelt. Die wortgetreue Übersetzung, die sich im Polnischen auf das Wort analny [anal] bezieht, erzeugt einen komischen Effekt. Bei den Belegen (2)–(3) handelt es sich um stilistische Fehler: Der erste besteht in der Verwendung einer Form, die nicht in den offiziellen Kontext passt, und der zweite zeigt die Verletzung des Verständlichkeitsprinzips: Anstelle eines eindeutigen Begriffs wird eine Wortgruppe mit unklarer Semantik gebildet. Der humoristische Effekt im ersten Fall wurde durch die Verwendung einer Form verursacht, die in einem Gesetzestext (Erteilung eines Erbscheins) aus stilistischen Gründen nicht vorkommen würde. Im zweiten Fall bringt einen die unpassende Wahl der Lexeme zum Lachen: die »Zustände werden unglücklich«. Der Beleg (4) enthält gleichzeitig zwei Fehler: einen stilistischen und einen sachlichen (Gesellschafterin bedeutet in diesem Zusammenhang eine Teilhaberin an einem Wirtschaftsunternehmen und keine Gesellschaftsdame). Die Unbeholfenheit des Nebeneinanderstellens der Wörter osobis´cie re˛cza˛ca [persönlich haftende] in Verbindung mit dem weiblichen Personennamen, der übrigens im Polnischen selten vorkommt, bewirkt einen komischen Effekt. Die Belege (5)–(8) gehören zur Gruppe der phraseologischen Fehler, die durch die Verwendung falscher Kollokationen entstanden sind. Im Beleg (7) hat der Übersetzer die falsche Form des Phraseologismus grac´ w hazard [wortgetreu: *Glücksspiele spielen] statt uprawiac´ hazard [wortgetreu: *Glücksspiele treiben] angewendet, was zu einer humorvollen Version der Wendung führte. Im Beleg (8) hat der Translator von einer Lehnübersetzung Gebrauch gemacht, indem er die einzelnen Elemente des Sprichwortes wörtlich ins Polnische übertrug und dazu die Partikel byle [bloß] hinzufügte. Dadurch entstand eine komische Fassung des Sprichwortes im Polnischen, die zur Verletzung der phraseologischen Wendung führt.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
Pos. Ausgangseinheit 1. Das Hauptzollamt Wien hat rechtlich erwogen. 2.
Fehlerhaftes Translat Główny Urza˛d Celny we Wiedniu rozstrzygł.
Vermögenswerte, die vom Wartos´ci maja˛tkowe, które zmarły nabyje Verstorbenen erworben werden
3.
Die erneute Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsschuldners hat ergeben, dass (…) Tab. 6. Grammatikalische Fehler
Wznowione sprawdzenie społecznych moz˙liwos´ci dłuz˙nika alimentacyjnego wykazała, z˙e (…)
Korrekturvorschlag Główny Urza˛d Celny w Wiedniu rozstrzygna˛ł zgodnie z prawem Składniki maja˛tku, które zmarły nabył Ponowne sprawdzenie sytuacji ekonomicznej dłuz˙nika alimentacyjnego wykazało, z˙e (…)
Die grammatikalischen Unzulänglichkeiten sorgen auch für komische Effekte im Polnischen. Die ersten beiden grammatikalischen Fehler gehören zur Gruppe der Flexionsfehler, die aus einer falschen Konjugation des Verbs resultieren. Im Beleg (3) liegt ein syntaktischer Fehler vor. Er beruht auf einer inkorrekten Verbindung des Subjekts mit dem Prädikat. Solche Fehler, obwohl sie die Semantik nicht anbetreffen, sind ein schlechtes Zeugnis für den Übersetzer, der aufgrund seiner Ausbildung (in der Regel ist er ein Philologe) und seines Berufs (er soll ein vom Staat ermächtigter Übersetzer sein) besonders sensibel für grammatikalische Fehler sein sollte. Und wahrscheinlich ist es die mangelnde Erfüllung der Erwartungen des Empfängers an den Übersetzer, die bei solchen Fehlern ein Lächeln (manchmal ein mitleidiges Lächeln) hervorruft. Pos. Ausgangseinheit 1. Katastergemeinde 2. Wohnung 3. 4.
Geschäftswert Diesen Aktivitäten widmete sie sich während der restlichen Wochenstunden.
Fehlerhaftes Translat gmina katasteralna mierzczkanie wartos´c´ tranzakcji
Korrekturvorschlag gmina katastralna mieszkanie wartos´c´ transakcji
Czynnos´cia˛ tym dedykowała sie˛ takz˙e podczas pozostałych godzin w tygodniu.
Czynnos´ci te wykonywała takz˙e podczas pozostałych lekcji w tygodniu.
Tab. 7. Orthografische Fehler und Tippfehler
Die obigen Rechtschreibfehler führen zwar nicht zu einer missverständlichen Kommunikation (außer vielleicht im zweiten Beispiel), aber sie sind ein Indiz für die Nachlässigkeit des Übersetzers sowie für eine unangemessene Methodologie während der Übersetzung. Sie entstanden wahrscheinlich eher aus Eile als aus mangelndem Wissen. Hätte der Übersetzer seinen Text vor der Abgabe noch einmal gelesen, wären solche Fehler wahrscheinlich nicht gemacht worden. Die humorvollen Effekte sind am deutlichsten in den Belegen (1) und (4) zu sehen. Im Falle von (1) bildet der Übersetzer – entweder durch das Kopieren einzelner
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Artur Dariusz Kubacki
Grafeme aus dem deutschen Bestimmungswort oder durch einen Tippfehler – das fehlerhafte Wort katasteralny, und im Falle von (4) kommen zwei Fehler auf einmal ans Tageslicht: Rechtschreibfehler (czynnos´cia˛) und phraseologischer Fehler (dedykowac´ sie˛). Abschließend möchte ich noch ein Beispiel für sprachliche Ungeschicklichkeit und mangelndes Wissen über die Beschreibung von Siegeln / Stempeln in den Ausgangstexten anführen. Die Grundsätze für die Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen verlangen vom Übersetzer, dass er den Inhalt des Siegels bzw. des Stempels übersetzt und dessen kurze Beschreibung vornimmt. Der Übersetzer beschreibt das Siegel / den Stempel in einer Fußnote, die meist kursiv geschrieben und in eckige Klammern gesetzt ist. Es ist jedoch nicht üblich, die grafischen Elemente des Siegels / Stempels genau zu charakterisieren. Eine detaillierte Schilderung des zu übersetzenden Dokuments ist ebenfalls nicht erforderlich. Die folgenden zwei Beispiele sollen diese Verstöße verdeutlichen, die neben den formalen Fehlern auch sprachliche Ungeschicklichkeit und mangelnde Logik beinhalten. Pos. Fehlerhaftes Translat 1. Opis piecze˛ci: Naste˛puje okra˛gła piecze˛c´ na obwodzie: Reiner Hubertus Bonse Notar in Muenster, wewna˛trz piecze˛ci jest wpisane godło przedstawiaja˛ce po lewej stronie konia, a u spodu gwiazdke˛ wpisana˛ w okra˛g.9 2.
Korrekturvorschlag [Odcisk okra˛głej piecze˛ci z herbem miasta pos´rodku. Tres´´c w otoku:] »Rainer-Hubertus Bonse, notariusz w Münsterze« [Ein Siegel mit dem Stadtwappen in seiner Mitte und folgender Umschrift:] Tłumaczenie z je˛zyka niemieckiego na Tłumaczenie pos´wiadczone z je˛zyka je˛zyk polski. Dokument składa sie˛ z dwóch niemieckiego stron w formacie A4 i jest to wyrok w [Beglaubigte Übersetzung aus dem sprawie rodzinnej. Na dokumencie widDeutschen] nieja˛ widoczne i niewidoczne piecze˛cie i podpisy.10
Tab. 8. Formale Fehler
Die humorvollen Effekte sind in der ungeschickten Beschreibung des Notarsiegels im Beleg (1) sichtbar. Abgesehen von einem Schreibfehler des Notarnamens verwendet der Übersetzer – mit Fokus auf die detaillierte Beschreibung des Siegels – falsche Kollokationen im Polnischen: naste˛puje okra˛gła piecze˛c´ [›Es folgt ein rundes Siegel‹], wewna˛trz piecze˛ci jest wpisane godło [›innerhalb des 9 *Beschreibung des Siegels: Es folgt ein rundes Siegel im Umkreis: Reiner Hubertus Bonse Notar in Muenster, innerhalb des Siegels ist ein Emblem eingetragen, das links ein Pferd darstellt, und unten ein Sternchen, eingetragen in den Umkreis. 10 *Übersetzung aus dem Deutschen ins Polnische. Das Dokument besteht aus zwei Seiten im A4-Format und stellt das Urteil in einer Familiensache dar. Das Dokument trägt sichtbare und unsichtbare Stempel und Unterschriften.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
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Siegels ist ein Emblem eingetragen‹], gwiazdka wpisana w okra˛g [›in einem Kreis ist ein Sternchen eingetragen‹], was die Beschreibung selbst lustig macht. Interessanterweise bleibt die wichtigste Information, um wessen Siegel es sich handelt, unübersetzt. Es fehlt ebenfalls an der relevanten Angabe, dass wir es mit einer beglaubigten Übersetzung zu tun haben. Die Beschreibung im Beispiel (2) ist ein Ausdruck des Übereifers des Übersetzers für die Charakteristik des zur Übersetzung vorgelegten Dokumentes. Der komische Effekt wird vor allem durch den Unsinn des Satzes beeinflusst, dass »das Dokument (…) unsichtbare Siegel und Unterschriften trägt«. Der Übersetzer meinte hier unleserliche Siegel und Unterschriften. Die Analyse der vorgenannten Sprachfehler beweist, dass es den Sprachmittlern, die als vereidigte Übersetzer tätig sein möchten, an Kompetenzen im Polnischen (sog. polonistische Kompetenz) also in ihrer Muttersprache fehlt. Jan Gos´cin´ski (2021: 10) untersuchte die Kompetenz der Muttersprachler am Beispiel von Übersetzungen im Sprachenpaar Englisch-Polnisch und kam zu der Schlussfolgerung, dass der Mangel an muttersprachlicher Kompetenz die Professionalität der Übersetzung erheblich mindert. Zu dieser Kompetenz zählt er die Fähigkeit, Äußerungen zu verstehen, die zu einem breiten Spektrum literarischer und Gebrauchsgattungen gehören; weiterhin die Fähigkeit, bestimmte Stile zu verwenden und Äußerungen verschiedener Gattungen zu konstruieren; die Kenntnis von Sprachregeln, die Verfügbarkeit über einen reichen Wortschatz sowie über das Sprachbewusstsein, d. h. die Fähigkeit, darüber zu reflektieren (Gos´cin´ski 2021: 12). Leider fehlen auch in den Lehrplänen der Translatorik für Germanisten oft Fächer, die die Entwicklung eines Sprachbewusstseins für das Polnische berücksichtigen würden. Ich teile daher voll und ganz die Ansicht von Jan Gos´cin´ski, dass daran systematisch gearbeitet werden sollte.
5.
Schlussfolgerungen
Die Analyse der im Korpus gesammelten Beispiele bestätigt, dass die Übersetzung von Fachtexten aufgrund unzureichender sachlicher und sprachlicher Kenntnisse des Übersetzers unbeabsichtigte Humoreffekte hervorrufen kann. Auch Prüfungsstress und Zeitdruck können komische Sach- und Sprachfehler verursachen. Die Übersetzung von Fachtexten hat zwar keine Unterhaltungsfunktion, aber der Humor kann sich so als ungebetener Gast durch die Hintertür einschleichen. Für die ungewollten Humoreffekte sind bei der Fachübersetzung u. a. folgende Faktoren verantwortlich: Lücken im deklarativen und prozeduralen Wissen, Störungen im logischen Denken und eine unzureichende Analyse des Ausgangstextes sowie kritischer Abgleich des Zieltextes mit dem Ausgangstext nach dem Übersetzungsprozess. Allerdings können solche Fehler
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Artur Dariusz Kubacki
schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, und dann hat niemand mehr etwas zu lachen.
Bibliografie Al-Kharabsheh, Aladdin (2008): Unintentional Humour in the Translation of Jordanian Shop Signs. In: Journal of Intercultural Communication, 17. Online: http://www.immi.se /intercultural/nr17/kharabsheh.htm [Zugriff am 30. 12. 2020]. Caroll, Noël (2014): Humour: A Very Short Introduction. Oxford: University Press. Farghal, Mohammed (2006): Accidental Humor in International Public Notices Displayed in English. In: Journal of Intercultural Communication, 12, Online: http://immi.se/inter cultural/nr12/farghal.htm [Zugriff am 30. 12. 2020]. Fast, Piotr (1991): O granicach przekładalnos´ci. In: Fast, Piotr (Hrsg.): Przekład artystyczny. Katowice: »S´la˛sk«, S. 19–27. Fast, Piotr (1997): Komizm a przekład. Studia o przekładzie nr 5. Katowice: »S´la˛sk«. Filipowicz-Rudek Maria / Konieczna-Twardzikowa, Jadwiga (Hrsg.) (2008): Mie˛dzy oryginałem a przekładem XIII. Poczucie humoru a przekład. Kraków: Ksie˛garnia Akademicka. Gos´cin´ski, Jan (2021): Kompetencja polonistyczna studentów przekładoznawstwa. In: Kubacki, Artur D. / Sowa-Bacia, Katarzyna (Hrsg.): Wybrane zagadnienia z glotto- i translodydaktyki 3. Kraków: Wydawnictwo Uniwersytetu Pedagogicznego w Krakowie, S. 9–23. Gos´cin´ski, Jan / Kubacki, Artur D. (2021): Je˛zyk polski jako wyzwanie egzaminacyjne. Charakterystyka błe˛dów kandydatów na tłumaczy przysie˛głych na egzaminie pisemnym. In: Bagłajewska-Miglus, Ewa / Vogel, Thomas (Hrsg.): Wege und Umwege zum Verstehen: Sprachmittlung und interkulturelle Mediation im Polnischunterricht / Róz˙ne drogi do zrozumienia: pos´rednictwo je˛zykowe i mediacja mie˛dzykulturowa w nauczaniu je˛zyka polskiego. Polnisch als Fremd- und Zweitsprache, Band 6. Düren: Shaker Verlag, S. 79–98. Gos´cin´ski, Jan / Kuz´niak, Marek (2020): Egzamin na tłumacza przysie˛głego. Tłumaczenie ustne. Je˛zyk angielski. Warszawa: C. H. Beck. Hejwowski, Krzysztof (2004): Kognitywno-komunikacyjna teoria przekładu. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe PWN. Jankrift, Kay P. (2005): Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. Kubacki, Artur D. (2012): Tłumaczenie pos´wiadczone. Status, kształcenie, warsztat i odpowiedzialnos´c´ tłumacza przysie˛głego. Warszawa: Wolters Kluwer Polska SA. Kubacki, Artur D. (2017): Kryteria oceny egzaminu na tłumacza przysie˛głego z perspektywy egzaminatora. In: Orbis Linguarum. Festgabe für Hubert Orłowski zum achtzigsten Geburtstag, 46, S. 469–482. Kubacki, Artur D. (2018a): Ocena regulacji ustawowych w odniesieniu do zawodu tłumacza przysie˛głego w Polsce. Próba podsumowania. In: Comparative Legilinguistics. International Journal for Legal Communication, 35, S. 7–37.
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Humor in der beglaubigten Übersetzung
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Kai Witzlack-Makarevich (Uniwersytet S´la˛ski, Katowice)
Die Abenteuer des tschechischen Humors und des braven Soldaten Schwejk im polnischen Nachbarlande The Adventures of the Czech Humour and the Good Soldier Sˇvejk behind the Polish Lines Zreszta˛ mam czasem wraz˙enie, z˙e po to włas´nie zostali wymys´leni Czesi. Z˙eby wprowadzac´ Polaków w dobry nastrój. Mariusz Szczygieł, Láska nebeská.1 Abstract This paper deals with one of the most successful Czech export products, beside beer from ˇ eské Budeˇjovice and cars from Mladá Boleslav: the Czech humour. Is there any Plzenˇ or C typical Czech humour or is it only a myth? First of all, we will analyze, how are the Czechs and their humour regarded from the Polish perspective. In this context in the center of our interest is a literary figure, which not only in Poland, but almost everywhere beyond the Czech Republic became the symbol of Czech humour: the good Soldier Sˇvejk and its translations. The Sˇvejk appeared about one hundred years ago and continues to dominate our view on Czechia and its people. But at the beginning we will have a short look at the stereotypes existing between the two western Slavonic neighbors and their relationship, which was not always easy and full of humour. Keywords: Poles, Czechs, stereotypes, language, Sˇvejk, translation Schlüsselwörter: Polen, Tschechen, Stereotype, Sprache, Schwejk, Übersetzung
1.
Einleitung
Im vorliegenden Beitrag soll es um einen der größten tschechischen Exportˇ eské Budeˇjovice (Budweis) und schlager – neben Bier aus Plzenˇ (Pilsen) oder C PKW aus Mladá Boleslav (Jungbunzlau) – gehen: den tschechischen Humor. Was macht den tschechischen Humor aus oder handelt es sich vielleicht nur um einen Mythos? Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei, wie die Tschechen und ihr Humor im Nachbarland Polen wahrgenommen werden. Dabei geht es vor allem
1 »Irgendwie habe ich manchmal den Eindruck, dass die Tschechen genau deshalb erfunden wurden. Um die Polen in gute Stimmung zu versetzen«.
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auch um eine literarische Figur, die außerhalb Tschechiens2 nicht allein in Polen wie keine andere zum Sinnbild des tschechischen Humors geworden ist und auch rund einhundert Jahre nach ihrem Erscheinen die Sicht auf Land und Leute prägt: den braven/guten Soldaten Schwejk. Einleitend seien zunächst einige Ausführungen zum Verhältnis und den (sprachlichen) Stereotypen zwischen den beiden Nachbarländern Polen und Tschechien vorausgeschickt, wo mit dem Humor nicht immer zu spaßen war bzw. ist.
2.
Polen und Tschechen und die Wahrnehmung des Anderen
Gegenseitige Vorurteile und Stereotype, ob positiv oder negativ, sind insbesondere zwischen Nachbarländern verbreitet. Eigentlich, so möchte man meinen, sollten sich Nachbarn durch ihre gewollten oder ungewollten Kontakte im Ergebnis eines nicht selten konfliktträchtigen Miteinanders besonders gut kennen (vgl. Pesˇina 2007: 134). Vorurteile wären damit dann keine Urteile mehr, die vorschnell ohne die Kenntnis des betreffenden Sachverhalts getroffen wurden, sondern Erfahrungswerte mit einer festen empirischen Basis. Tatsächlich zeugen diese oft jedoch nur von einer gegenseitigen Unkenntnis, die vom mangelnden Interesse an den Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze zeugt. Kroh (1992: 6) meint, die negativen Vorurteile zwischen Nachbarn seien unüberwindbar und bestünden auch dann fort, wenn die Gründe für ihre Entstehung schon lange der Vergangenheit angehörten. Sie ersetzen uns, so Kroh weiter, Wissen, Logik und Weltsicht und niemand sei von solchen Stereotypen gänzlich frei. Aber gerade deshalb lohne sich eine Auseinandersetzung mit ihnen. Die Nachbarn Polen und Tschechen bilden hier keine Ausnahme. So sei Jirˇí Grusˇas Czechy. Instrukcja obsługi (org. Gebrauchsanweisung Tschechien und Prag) ein überzeugender
2 Die Bezeichnung Tschechien wird heute offiziell synonym zur amtlichen Bezeichnung Tschechische Republik verwendet, schließt also die drei Landesteile Tschechien, Mähren und Schlesien ein. Im Deutschen findet sich insbesondere für die Zeit bis 1918 meist die Bezeichnung Böhmen, die die Länder der böhmischen Krone, also im 19. Jahrhundert das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren und Österreichisch-Schlesien, zusammenfasst, die heute im Wesentlichen die Tschechische Republik bilden. Für diese Bezeichnung gibt es im Tschechischen kein Äquivalent. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass zahlreiche Böhmen deutscher Nationalität waren, für die die hier getroffenen Aussagen nur eingeschränkt zutreffend sind. Um hierauf nicht permanent verweisen zu müssen und um einen ständigen Wechsel zwischen diesen beiden Bezeichnungen zu vermeiden, werden in diesem Beitrag auch dann die Bezeichnungen Tschechien bzw. Tschechen verwendet, wenn auf die historischen Länder der böhmischen Krone bzw. deren Bewohner referiert wird. Mit Tschechen sind alle Personen mit tschechischer Nationalität gemeint, unabhängig von ihrem Geschlecht (m/w/d). Das gleiche gilt auch für Polen, Deutsche und sämtliche weiteren Personenbezeichnungen.
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Beweis auf höchstem Niveau dafür, wie wenig die Polen über die tschechische Kultur und Literatur wissen (vgl. Kalicki 2018). Przeperski (2016: 224) konstatiert in diesem Zusammenhang eine tiefe Unkenntnis beider Seiten, wenn sie einander den Spiegel vorhalten. Und dieses bescheidene Wissen hat der Entstehung von Stereotypen Tür und Tor geöffnet. Václav Girsa, zwischen 1927 und 1935 Botschafter der Tschechoslowakei in Polen, sieht eine chinesische Mauer, die Prag und Warschau trennt (vgl. ebd.: 226). Und über diese Mauer hinweg entstanden häufig auch negative Vorurteile, die vor allem in Zeiten gespannter politischer Beziehungen den Diskurs auf beiden Seiten prägten, z. B. während der Auseinandersetzungen um die territoriale Zugehörigkeit des Teschener Schlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Auf polnischer Seite lagen diese Stereotype vor allem auf zwei Ebenen: der wirtschaftlichgesellschaftlichen (positiv) und der politisch-militärischen (negativ) (vgl. ebd.: 229). Auch der vermeintliche Hang der Tschechen, sich mit dem vermeintlich kleinerem Übel zu arrangieren, etwa als sie keinen größeren Widerstand gegen Hitler leisteten, ist ein ständiges Element des populären TschechenDiskurses bei den polnischen Nachbarn, was in dem folgenden polnischen Witz deutlich wird: Wie sieht eine Übung bei der tschechischen Armee aus? – Sich so schnell wie möglich ergeben und in der Hospoda (Kneipe) verstecken. So gebe es kein polnisches Haus, in dem nicht mindestens einmal über die ›heldenhaften‹ Tschechen gelacht wurde, die Hitler Prag ohne einen einzigen Schuss übergaben (vgl. Brakoniecki 2012). Das bis in die Gegenwart verbreitete polnische Vorurteil von den vermeintlich feigen und unehrenhaften Tschechen entstand vor allem an der russischen Front des Ersten Weltkrieges, als beide zusammen im Dienste der k. u. k. Armee standen. Als dann immer wieder tschechische Soldaten die Seiten wechselten,3 einmal sogar in Regimentsstärke mit Pauken und Trompeten, um dann zusammen mit den Russen zu kämpfen, schien das Tuch zwischen beiden Seiten endgültig zerschnitten. Insbesondere von Vertretern der katholischen Kirche in Polen wurden die Tschechen als Volk ohne Religion, Ehre, Treue sowie als rebellisch, heuchlerisch und kriminell eingeschätzt (vgl. Nawrocki 2000: 6). Damit standen sie in polnischen Augen für so ziemlich alles, was man selbst natürlich nicht war. Dass es in Polen auch Stimmen gab, die Gemeinsames betonen und einem Zusammengehen im beiderseitigen Interesse das Wort reden, zeigt das Beispiel des Historikers Stanisław Smolka, der Gott um ein dauerhaftes und gleichberechtigtes Bündnis mit den Tschechen [in der Habsburger Monarchie, KWM] bittet (vgl. Smolka 1898: 8). 3 Dies wird sehr anschaulich dargestellt in der sowjetisch-tschechoslowakischen Koproduktion Bol’sˇaja doroga/ Velká cesta (Der weite Weg) aus dem Jahr 1962, der die Biographie von Jaroslav Hasˇek zugrunde liegt.
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Weitere negative polnische Stereotype gegenüber den Tschechen entstanden in der Zeit, als sich zahlreiche österreichische bzw. deutsche Verwaltungsbeamte, die im 19. Jahrhundert nach Galizien oder Lodomerien kamen, beim genaueren Hinsehen bzw. Hinhören als Tschechen entpuppten. Diese wurden mit Verachtung als bimaki oder behmaki bezeichnet, aus denen die Polen »immer mehr auf die unterwürfige, verräterische Wesensart aller Tschechen« schlossen (Trepte 2011: 58). Über diese ›Meerschweinchen‹4 hieß es am 18. Mai 1848 in der Krakauer Zeitung Jutrzenka, sie verfügten über keinerlei Nationalität und seien eine Schande vor der Welt für die slawischen Tschechen. Doch wegen einiger Hundert, die allein auf den eigenen Vorteil bedacht seien und freiwillig den Dienst als Henker eines verbrüderten slawischen Volkes ausübten, solle man nicht alle Brüder von der Moldau verurteilen (vgl. Zˇacˇek 1958: 102f.). Der Tscheche als vermeintlich deutscher Slawe wird in der polnischen Literatur vor allem in dem humoristischen Roman Wielki ´swiat Capowic von Jan Lem aus dem Jahr 1885 durch den Protagonisten Wenzel Pretzlitscheck versinnbildlicht, auf dessen Namen die pejorativen Eponyme wencliczki und precliczki zurückgehen. Von Herrn Pretzlitscheck wird berichtet, dass er zwar eigentlich Tscheche ist, aber ein Tscheche jener Art sei gewöhnlich ein reinerer Deutscher als jeder Nachfahre Hermanns in direkter Linie (vgl. Lem 2010: 38f.). Doch Herr Pretzlitscheck musste eigentlich niemals preisgeben, zu welcher Nationalität er gehörte, denn überall war bekannt, dass er nur Deutsch und ein wenig Tschechisch spricht – und zwar gerade so viel, wie ein gewöhnlicher Sterblicher benötigt, um nicht Polnisch lernen zu müssen (vgl. ebd.: 16). Hier spielt Lem darauf an, dass man mit dem Tschechischen, wenn es denn sein muss, auch in Polen ganz gut zurechtkommt. Aleksander Kaczorowski geht in seinem Vorwort zu Jaroslav Hasˇeks O Podhalu, Galicji i… Piłsudskim. Szkice nieznane (vgl. Hasˇek 2013) seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von immerhin 9000 solcher precliczki aus. Diese wurden von den Polen mit Herablassung behandelt, einerseits wegen ihrer plebejischen Herkunft, andererseits wegen ihres Dienstes im Namen der österreichischen Teilungsmacht. Selbst wenn diese Staatsdiener anders als Lems Pretzlitscheck beteuerten, sich als Tschechen und Slawen zu fühlen, wurden sie wegen ihres gering entwickelten Nationalbewusstseins oder, was noch schlimmer war, ihrer vermeintlichen Russophilie geringgeschätzt (vgl. ebd.: 7). Da diese Tschechen zur Welt der polnischen Adelskultur kaum Zugang hatten und Galizien fast ausschließlich aus der Perspektive der leibeigenen Bauern und ihrer Dörfer sowie ärmlichen jüdischen Schtetl wahrnahmen, prägten sie durch ihre Berichte und Erzählungen in Tschechien das Bild von 4 Diese germanisierten Tschechen wurden von der übrigen Bevölkerung als Meerschweinchen (tschech. morcˇata) bezeichnet (vgl. Kroh 1992: 56).
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Galizien als armer und rückständiger Region, die alle polnischen Laster verkörperte (vgl. ebd.: 6f.). In den Augen der polnischen Adligen waren diese mehr oder weniger germanisierten Gesandten schwer durchschaubare Gestalten – halb Diener, halb Besatzer – die ihnen Wien vor die Nase gesetzt hatte. Ihre Bezeichnungen5 und Eigenschaften wurden schließlich auf alle Tschechen übertragen (vgl. Kroh 1992: 6).6 Ein fester Bestandteil des tschechischen Autodiskurses ist seit dem Münchner Abkommen von 1938 die Frage Bránit se, cˇi nebránit se? (Widerstand leisten oder sich ergeben?). Diese Frage ist in Polen beim besten Willen nur schwer verständlich. Im Hinblick auf die lange Reihe bewaffneter (wenn auch meist gescheiterter) Aufstände in der polnischen Geschichte erübrigt sich die Frage nach dem warum. Stefan Kisielewski meinte in diesem Zusammenhang 1946 unter dem Eindruck des gerade zu Ende gegangenen Krieges, der den Polen unvorstellbare Opfer abverlangt hatte, dass sich von allen Nationen die Psyche der Tschechen am markantesten von der polnischen unterscheide. Doch die politischen Werte und taktischen Fähigkeiten sowie das Temperament der Tschechen würden auch den Polen gut zu Gesicht stehen. Deren Psyche sei nämlich oft unvereinbar mit den Gegebenheiten, in denen sie leben müssen (vgl. Kisielewski 2018). Die tschechische (Leidens-)Geschichte wiederholte sich nur 30 Jahre nach dem Abkommen von München mit dem Einmarsch der ›fünf befreundeten Armeen‹ der Warschauer Vertragsstaaten7 bei der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968. Und wieder waren auch polnische Truppen beteiligt. Vor allem die Besetzung des sogenannten Olsa-Gebietes im Teschener Schlesien durch Polen mit Rückendeckung Hitlers nahmen die Tschechen nicht mit Humor und auch den Polen verging das anfängliche Lachen über diesen 5 Diese werden nicht mehr verwendet und sind weitestgehend unbekannt. Tschechen werden in Polen heute manchmal als Pepíki (Pepík ist die Kurzform des verbreiteten männlichen tschechischen Vornamen Josef) bezeichnet, das aber viel von seiner pejorativen Kraft eingebüßt hat. Surosz (2018) benutzt Pepiki etwa als Titel seiner Geschichte Tschechiens im 20. Jahrhundert. Das tschechische Äquivalent zur abfälligen Bezeichnung von Polen lautet Psˇonci bzw. im Singular Psˇonek und geht auf polnischen Nasal /a˛/ zurück. In der an Polen angrenzenden Region um Ostrava existiert ferner die Bezeichnung Antek, die jedoch kaum verwendet wird. 6 Kroh (ebd.) weist jedoch auch darauf hin, dass unter den Tschechen, die nach Galizien kamen, auch Kaufleute, Unternehmer, Vertreter der technischen Intelligenz, Ärzte, Lehrer, Förster oder Handwerker, darunter vor allem Brauer, waren. Diese hätten einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung dieses Landstrichs geleistet, was in der polnischen Geschichtsschreibung nicht ausreichend gewürdigt werde. 7 Im tschechischen Diskurs ist immer von ›fünf Armeen‹ die Rede – Sowjetunion, Polen, Bulgarien, Ungarn und DDR – obwohl die Nationale Volksarmee der DDR nicht unmittelbar an der Okkupation beteiligt war. Nur 30 Jahre nach dem Münchner Abkommen wollte die Führung des Warschauer Vertrags der Weltöffentlichkeit 1968 keine Bilder von einem erneuten Einmarsch deutscher Soldaten in die Tschechoslowakei präsentieren.
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militärischen Erfolg schnell, als sie nur ein Jahr später selbst Opfer deutscher (und sowjetischer) Expansionsbestrebungen wurden. Inzwischen bröckelt in Polen die Einsicht, dass die Beteiligung an der Teilung der Tschechoslowakei an der Seite Deutschlands ein Fehler und eine Sünde war, wie dieses Vorgehen Präsident Lech Kaczyn´ski in seiner Rede am 1. 9. 2009 auf der Westerplatte bezeichnete (vgl. hierzu Machewicz 2020). So rechtfertigt z. B. Kamin´ski (2014) den Einmarsch und weist die Schuld für das Scheitern des tschechoslowakischen Staates 1938 und eines möglichen polnisch-tschechoslowakischen Bündnisses gegen Hitlers Expansionsbestrebungen allein Prag zu, vor allem dem damaligen Staatspräsidenten (seit 1935) und früheren Außenminister (1918 bis 1935) Edvard Benesˇ. Der Mythos vom národ holubicˇí povahy, also der vermeintlichen Friedfertigkeit der Tschechen, wird von den polnischen Nachbarn immer wieder gern aufgegriffen. Etwa wenn Mariusz Szczygieł humorvoll die Frage aufwirft, ob denn ein Pole zum Tschechen werden könne. Das sei natürlich nicht so einfach, unter anderem, so der bekennende Tschechophile, müsse man dafür sorgen, dass sich die polnische Aggressivität innerhalb kurzer Zeit im tschechischen Bier auflöst (vgl. Szczygieł 2020b). In den letzten Jahren ist ein steigendes Interesse der Polen an ihren südlichen Nachbarn zu erkennen, das Girsas chinesische Mauer ins Wanken bringt. In soziologischen Umfragen zu den beliebtesten Ethnien rangieren die Tschechen regelmäßig ganz weit vorne. Bei einer Umfrage zum Ethno-Ranking im Jahr 2012 lagen die Tschechen in der Gunst der Polen sogar auf dem ersten Platz. Immerhin 58 % der Polen brachten ihnen Sympathie entgegen (vgl. Pawłowska-Salin´ska 2012). Das hat auch Auswirkungen auf die Stellung Tschechiens als Urlaubsland und fördert das Interesse an tschechischer Kultur. So habe der Regisseur Petr Zelenka in Polen Kultstatus und die Bücher von Bohumil Hrabal seien nirgends auf der Welt so populär wie in Polen. Ferner gebe es zahlreiche Internetportale, die sich ausschließlich dem Nachbarland widmen und verschiedene Verlage haben sich auf die Herausgabe von Übersetzungen aus dem Tschechischen spezialisiert (vgl. Grzesiczak 2019). Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf die Publikationen von Mariusz Surosz (u. a. Pepiki. Dramatyczne stulecie Czechów, Ach, te Czeszki) sowie den bereits erwähnten Mariusz Szczygieł (u. a. Gottland, Zrób sobie raj, Osobisty przewodnik po Pradze), in denen die polnischen Verfasser ihren Landsleuten deren südliche Nachbarn kenntnisreich näherbringen und die teilweise auch in tschechischer Übersetzung vorliegen.8 Die Prager Polonistin Lucie Zakopalová hält in diesem Zusammenhang fest, dass Polen derzeit eine Welle der Tschechophilie erlebe 8 Die tschechische Ausgabe von Gottland wurde bislang 21 Mal nachgedruckt und liegt inzwischen in der dritten verbesserten Auflage vor.
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(vgl. Zakopalová 2019: 10). Die Slawistin Joanna Czaplin´ska von der Universität Opole (Oppeln) meint, diese Sympathie beruhe auf den mentalen Unterschieden zwischen Polen und Tschechen. Die Polen seien von den Absurditäten fasziniert, in denen ihre Nachbarn lebten und leben, deren distanzierter Sicht auf die Welt sowie deren Fähigkeit, auch in ernsten Situationen den Humor nicht zu verlieren. Auf der anderen Seite zeigten die Tschechen wenig Interesse an der polnischen Kultur, polnische Filme würden etwa im Nachbarland kaum gezeigt9 (vgl. Czaplin´ska und Zapotoczny 2014). Diesen Einschätzungen zum positiven Bild der Tschechen in Polen widerspricht jedoch Walczak (2014: 130), nach dem bei den Polen in Bezug auf die tschechischen Nachbarn nach wie vor tradierte negative Stereotype gegenüber positiven überwiegen. Kritisch sieht die aktuelle Tschechien-Begeisterung seiner Landsleute der Journalist und Tschechien-Kenner Michał Zabłocki, der in To nie jest raj ein sehr düsteres und pessimistisches Bild des tschechischen Nachbarlandes zeichnet (vgl. Zabłocki 2019).10 Er würdigt zwar die Arbeiten von Surosz und Szczygieł, bemängelt jedoch deren historische Ausrichtung, während die Gegenwart nicht ausreichend berücksichtigt werde (vgl. ebd.: 8). Die polnische Tschechophilie, so Zabłocki weiter, sei schrecklich oberflächlich und basiere hauptsächlich auf Biersausen nach Prag an den Wochenenden, wodurch sie sich in nichts von den stag parties der Briten in Kraków (Krakau), Wrocław (Breslau) und Warszawa (Warschau) unterscheide (vgl. ebd.: 9).
3.
Sprachliche Missverständnisse und Vorurteile
Die Auseinandersetzung mit dem Tschechischen reicht in der polnischen Sprachgeschichte bis ganz zum Beginn der Schriftlichkeit zurück. Daj, ac´ ja pobrusze˛, a ty poczywaj (frei übersetzt: Lass mal gut sein, ich mahle das Korn schon, hau du dich erst mal hin) lautet der erste überlieferte Satz in polnischer Sprache (um 1270) und er wirft bis heute Fragen auf. Unbestritten ist inzwischen, dass es sich bei diesem aus heutiger Sicht modernen Mann um den schlesischen Tschechen Bogwał bzw. Boguchwał und nicht etwa um einen Polen handelte, der seine polnische Ehefrau auffordert, sich in der Hausarbeit etwas zurückzunehmen. Fraglich ist hingegen, ob er überhaupt Polnisch sprach und der erste polnische Satz nicht eigentlich ein tschechischer ist (vgl. Bralczyk 2015: 106).
9 Was natürlich nicht bedeutet, dass in Tschechen derzeit überhaupt kein Interesse an der polnischen Kultur besteht. Verwiesen sei etwa auf das Festival frischer polnischer Kultur Bardzo fajný (https://bardzofajny.cz). 10 Der Autor spielt hier auf die in Polen verbreitete Redensart vom czesky raj an, dem tschechischen Paradies.
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Stereotype manifestieren sich zwischen Polen und Tschechen vor allem deshalb in der Sprache, weil Polnisch und Tschechisch in vielen Fällen ein gegenseitiges passives Verständnis ermöglichen, auch ohne die Sprache des anderen aktiv zu erlernen (vgl. Walczak 2014: 122, für eine kontrastive Untersuchung des Polnischen und Tschechischen vgl. Lotko 2009) und damit häufig nicht als vollwertige und erlernenswerte Fremdsprachen betrachtet werden. Bei den beiden westslawischen Sprachen liegt dieses Verständnis irgendwo zwischen null und einhundert Prozent. Und zwischen diesen beiden Polen erstreckt sich ein weites Feld mit viel Raum für Missverständnisse, das der Entstehung sprachlicher Stereotypen Vorschub leistet (vgl. hierzu Lotko 1992 und Tkaczewski 2015). Einer der Klassiker der falschen Freunde – poln. szukac´ (dt. suchen) / tschech. ˇsukat (dt. bumsen/ficken/vögeln) – ist in beiden Sprachgemeinschaften eigentlich so weit bekannt, dass kein Pole bei einem Aufenthalt im Nachbarland in dieses Fettnäpfchen treten sollte. Dennoch kennt immer wieder jemand jemanden der jemanden kennt, dem (oder meistens der) es eben (angeblich) doch passiert ist. Der Plot ist immer ähnlich, ein Pole, meist eine Polin, beruflich in Tschechien unterwegs, sucht den Chef bzw. seltener die Chefin … Das Missverständnis geht allerdings nie so weit, dass es sich auf gleichgeschlechtlicher Ebene vollzieht, nie sucht ein Pole den Chef oder eine Polin die Chefin. Auch sucht nie jemand den Weg zum Bahnhof oder in die nächste Kneipe, was ja theoretisch auch möglich wäre. Bei Baluch (2018: 173f.) trug sich die Geschichte deshalb folgendermaßen zu: Ich kannte, so Baluch, noch zu Vorwendezeiten, einen Ingenieur, der in einer tschechischen Fabrik mit der Produktionsleiterin zusammenkommen sollte. Dass Leiterin auf Tschechisch vedoucí heißt,11 wusste er schon, auch wenn er es auf polnische Art aussprach. Und so nahm das Missgeschick seinen Lauf, als er fragte: Gdzie ta wasza wedouczi, bo ja ja˛ szukam, szukam cały dzien´? (Wo ist eure Leiterin, denn ich suche/ficke sie, ficke/suche den ganzen Tag?). Über diese falschen Freunde hinaus haben die Tschechen, so Trepte (2002: 60), »deutliche Spuren in der polnischen Sprache hinterlassen. Das betrifft Assoziationen und Redewendungen, die mit dem Wort ›czeski‹ verbunden sind.« Ehe für polnische Beobachter der Humor ihrer Nachbarn in den Fokus ihrer Betrachtungen rückte, galten die Tschechen in Polen als ehrenwerte und vertrauenswürdige Zeitgenossen. So führt Linde (1807: 567f.) in seinem Wörterbuch der polnischen Sprache unter dem Lemma CZESKI zunächst eine Wendung aus Mikołaj Rejs Zwierciadło (Der Spiegel, 1567/1568) an, wonach man sich einst in Polen ein czeskie słowo (tschechisches Wort) gab, um sich etwas fest und unwi11 Leiter übrigens auch, weshalb hier die Anrede pan/paní vedoucí (Herr/Frau Leiter/Leiterin) bzw. in einem sozialistischen Betrieb wie in diesem Fall soudruh/soudruzˇka vedoucí (Genosse/Genossin Leiter/Leiterin) obligatorisch ist.
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derruflich zu versprechen, da die Tschechen als besonders ehrliche Menschen betrachtet wurden. Wenig dazu passt Lindes Verweis auf den czeski kamien´ (tschechischer Stein), womit unechte Diamanten bezeichnet wurden. Denn die wertvollen Edelsteine wurden damals vor allem in Tschechien gefälscht. Beide Wendungen sind heute in Polen kaum mehr bekannt. Geläufig sind hingegen Ausdrücke wie czeski bła˛d (wörtlich: tschechischer Fehler, bezeichnet einen Zahlendreher/Tippfehler/Schussligkeitsfehler), czeski film (wörtlich: tschechischer Film, bezeichnet ein wirres und unverständliches Durcheinander) (zur Herkunft und genauen Bedeutung dieser beiden Wendungen vgl. Malinowski 2005a und 2005b) oder czeski metal bzw. piłkarz (wörtlich: tschechischer Metal bzw. Fußballer, bezeichnet den inzwischen etwas aus der Mode gekommenen guten alten Vokuhila). Eindeutig positiv konnotiert ist laut Tkaczewski (2015: 56) hingegen das czeske piwo (tschechisches Bier). Das geht soweit, dass polnische Restaurants und Kneipen tschechisches Bier anpreisen, ohne auf die Marke hinzuweisen. Denn Bier aus Tschechien, so die leichtgläubige Meinung, muss einfach gut sein. Im Tschechischen gibt es hierzu kaum gebräuchliche Äquivalente, genannt werden könnten etwa die manchmal pejorativ gebrauchten Ausdrücke polská kvalita (polnische Qualität) oder polský trhovec (polnischer Händler, ggf. auch Schieber). Letzterer wurde vor wenigen Jahren von einem großen Anbieter für Telefondienstleistungen aktiviert, um auf Kundenfang zu gehen: Ein tschechischer Skiläufer, verkörpert von dem bekannten Schauspieler Ivan Trojan, verirrt sich im polnisch-tschechischem Grenzgebiet und trifft dort auf einen als Tannenbaum verkleideten Händler, der neben allerlei Kram aus Fernost auch neueste amerikanische Mobiltelefone im Angebot hat. Da seins gerade einen Aussetzer hat, tauscht Trojan es gegen ein neues Modell ein. Dieses funktioniert natürlich nicht. Aber der gewiefte Pole ist längst über alle Berge, als der Betrug bemerkt wird. Alte Telefone tauschen sie besser bei uns, so die Botschaft des Spots. In Polen hatte man kein Verständnis für diesen tschechischen Humor und nach Protesten der polnischen Botschaft in Prag wurde die Werbung zurückgezogen. Damit erinnerte der Vorfall ein wenig an die Kartoffelaffäre um den damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczyn´ski und die linksalternative Berliner Tageszeitung aus dem Jahr 2006. Damals hatten polnische Staatsorgane, diesmal die Präsidialverwaltung, nur wenig Gespür für deutschen Humor (und das demokratische Gut der Pressefreiheit). Diese intervenierte allen Ernstes bei der Bundesregierung und leitete eine Strafverfolgung gegen den Autor der Kartoffel des Anstoßes ein. Mit dem Humor ist eben nicht immer zu spaßen! Der Vorfall löste eine neuerliche politische Krise zwischen Deutschland und Polen aus, sorgte in Europa für mehr oder weniger heiteres Kopfschütteln und bei der taz knallten die Sektkorken. Trotz redlicher Mühe der Redaktion wird dem Blatt nur selten solche Aufmerksamkeit zuteil.
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Einen der Grundsteine für sprachliche Stereotype aus polnischer Sicht legte Łukasz Górnicki in seinem Dworzanin polski (1556), in dem es sinngemäß heißt, das Tschechische sei an sich zwar schön, aber irgendwie ein wenig zu zart.12 Deshalb zieme es sich eines Mannes nicht. Diese Sicht verfestigte sich während des Barocks, als das früher in Polen als Prestigesprache wahrgenommene Tscheche abfällig als kindlich oder heiter abgetan wurde (vgl. Trepte 2011: 57). Für die Polen klängen »die Aussprache, die Intonation und die Betonung des Tschechischen […] belustigend« (ebd.). Das wird durch die vielen Wörter verstärkt, die zumindest im Schriftbild ohne Vokale auskommen, weil die Konsonanten /r/ und /l/ silbenbildend sein können. Der Klassiker für scheinbar vokallose Sätze ist Strcˇ prst skrz krk! (Steck den Finger durch den Hals!), der aktuelle Rekordhalter lautet: Blb vlk pln zˇbrnd zdrhl hrd z mlh Brd skrz vrch Smrk v cˇtvrtˇ srn Krcˇ. (Frei übersetzt: ›Nachdem ein dummer Wolf zu viel gesoffen hatte, flüchtete er stolz aus dem nebligen Brdy-Gebirge, über den höchsten Gipfel des Isergebirges, Smrk, bis ins Prager Stadtviertel Krcˇ, in dem es viele Rehe gibt‹.) (vgl. hierzu Kachlíková 2013).13 Auch sind viele Polen der Meinung, sie würden bereits Tschechisch sprechen, wenn sie statt der vorletzten wie im Polnischen stets die erste Silbe betonen. Vielleicht heißt es deshalb in dem bekannten Schlager von Andrzej Rosiewicz Najwie˛cej witaminy, dass ihn Tschechinnen immer zum Lachen brächten. Wenn er eine Tschechin heiratete, so Rosiewicz, dann würde er wohl vor Lachen sterben.14 Und ausgehend von dieser vermeintlich lustigen Sprache war der Weg nicht mehr weit, diese Eigenschaft auch auf deren Sprecher auszudehnen und diese als humorvoll wahrzunehmen und folglich den Tschechen einen besonderen Sinn für Humor zuzuschreiben. Die Theorie, dass gerade ein hoher Grad sprachlicher Verwandtschaft dazu führe, die Sprache des jeweils anderen lustig zu finden – schließlich fänden häufig Polen Tschechisch und Tschechen Polnisch lustig – entkräftet Martinek (2014: 27) mit dem Argument, dass Russisch schließlich auch eine mit dem Polnischen ver-
12 Nur wenige Jahre später heißt es in der Gramatiká cˇeská von Jan Blahoslav (1571), das Tschechische benötige diese hässlichen durch die Nase ausgesprochenen Laute nicht und die Polen würden sich durch dieses für uns unangenehme Näseln selbst ihre Sprache verschandeln, womit Blahoslav offensichtlich auf die polnischen Nasallaute anspielt. 13 Dort kann man diese und weitere Beispiele auch anhören. 14 Deutsche kommen in dem Lied auch nicht besonders gut weg: Deutsche Mädchen sind natürlich sauber / und eignen sich zur Ehefrau / Du hättest immer eine aufgeräumte Wohnung mit Balkon / Aber wie würdest Du Dich in diesem Haus fühlen / auch wenn es natürlich immer sauber ist / Wenn in der Küche dauernd jemand mit dem Kinde / Deutsch sprechen würde? Aber Rosiewicz zieht es zur Partnerinnenwahl gar nicht in die beiden Nachbarländer und er schweift auch nicht in die Ferne nach Schweden, Frankreich oder Russland, denn: Die meisten Vitamine / haben die polnischen Mädchen / Das ist die Wahrheit, das ist fakt / unserer Mädchen Anmut, Reiz und Takt / Wahrscheinlich gibt es auf der ganzen Welt / keine schöneren / Allein für ein einziges Lächeln / gäbe ich Chicago, Paris und die Krim her!
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wandte slawische Sprache sei, aber über das Russische lache in Polen nun wirklich kaum jemand.
4.
Tschechischer Humor: Polnische Fremdstereotype
Bei den polnischen Stereotypen über die tschechischen Nachbarn wird also häufig deren vermeintlich besonderer Humor genannt. Polnische Beobachter thematisieren den Humor bei den Tschechen in ihren Arbeiten immer wieder. Dabei brachten sie diesen zunächst häufig mit der vermeintlichen Nähe der Tschechen (und ihrer Sprache) zu den Deutschen in Verbindung. Diese Nähe der Tschechen zu den Deutschen wird im polnischen Tschechien-Diskurs immer wieder thematisiert (z. B. von Przeperski 2016: 226). So betrachtet Adam Mickiewicz die Tschechen in seinem Zyklus über die slawische Literatur als diejenigen Slawen, die den deutschen Geist am meisten verkörpern (vgl. Mickiewicz 1912: 15). In Edmund Chojeckis Abhandlung über Tschechien und die Tschechen gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts macht der Verfasser nicht den freien Geist sondern viele Krüge deutschen Bieres15 für den schweren Humor etwa eines Frantisˇek Jaromír Rubesˇ verantwortlich, der sich vor allem als Verfasser und Herausgeber humorvoller Geschichten, Novellen oder Lieder einen Namen gemacht hat (vgl. Chojecki 1847: 202). Nicht zuletzt unter dem Eindruck von Chojecki entstand innerhalb relativ kurzer Zeit in Polen das Bild von den mit einer großen Portion Humor gesegneten Tschechen. Und wie andere in den Augen der Polen negativen Seiten ihres Volkscharakters wie Ordnungssinn, Fleiß und Pünktlichkeit galt auch der tschechische Humor als eine Übernahme von den Deutschen (vgl. Stefan´ski 2009: 63). So beispielsweise auch Wiktor Czajewski in seiner Geschichte der tschechischen Literatur (1886). In den Ausführungen zur satirischen Poesie widerspricht er Karel Tieftrunk, der in Autoren wie Rubesˇ, Filípek und Hajnisˇ rein tschechische Humoristen sieht, die über einen dem Tschechischen eigenen Humor verfügen. Dem sei nicht so. Es sei für ihn als Ausländer zwar schwierig, einen einem bestimmten Volk eigenen Humor (dowcip czysto narodowy) zu bewerten, doch er sei sich ganz sicher, dass es sich hier um einen rein deutschen Humor handele. Genau wie über seine individuellen rassischen Eigenheiten (oryginalna rasowos´c´) verfüge jedes Volk zwar auch über einen eigenen Humor, doch in den Anfängen des tschechischen Humors sei 15 Das tschechische Bier stand bei den Bierfreunden zu dieser Zeit noch nicht so besonders hoch im Kurs. Fünf Jahre vor dem Erscheinen von Chojeckis Buch beriefen die Braumeister aus Plzenˇ (Pilsen) den Bayern Josef Groll in die Stadt, der den Grundstein für das heute weltberühmte Pilsner Urquell legte.
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das nicht zu erkennen (vgl. Czajewski 1886: 352). Ein eigenständiger tschechischer Humor komme eher in der Poesie zum Ausdruck (vgl. ebd.: 355). Heute gehört der Humor im polnischen Tschechien-Diskurs gewissermaßen zum Basisinventar, schließlich mache der Humor den größten Unterschied zwischen Polen und Tschechen aus, so Rafał Kowalski. Dessen Geheimnis, so der frühere Direktor des Drama-Theaters in Płock (Plock), liege in der Distanz zu sich selbst und zur Umgebung. Das fehle den Polen oft. So blickten die Tschechen manchmal mit etwas Humor auf das polnische Selbstverständnis vom zweiten auserwählten Volk, das sich als Hüter christlicher Werte und Messias der Völker aufspiele (vgl. Mokrowiecki und Kowalski 2012). Wenn das Nachbarland in der polnischen Presse thematisiert wird, ist ein Verweis auf dessen besonderen Humor gewissermaßen Pflicht, wie etwa in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza: »Tschechien ist ein Land mit einer überaus reichen Kultur, einem großartigen Gefühl für Humor und einer hervorragenden Küche.« (Gazeta Wyborcza/Zielona Góra vom 18. 5. 2018) Und den tschechischen Humor fördert man in Polen auch dann zutage, wenn er wirklich nur für wahre Insider zu erkennen ist. In den Ankündigungen zu Dariusz Majs Monodrama Nationalstraße nach dem gleichnamigen Roman von Jaroslav Rudisˇ aus dem Jahr 2013 (tschech. Národní trˇída / poln. Aleja Narodowa) wird vor allem immer wieder dessen czeski humor betont, nicht zuletzt durch Maj selbst in einem Interview (vgl. Hernes und Stachera 2018). Zu Tschechien gehört der Humor offenbar wie Bier, Knödel und natürlich der Schwejk einfach dazu, selbst wenn Rudisˇs »rauhe und melancholische Novelle«, so der Klappentext der tschechischen Ausgabe, dafür herhalten muss. Und dass der Barde Jaromír Nohavica bei seinen zahlreichen Konzerten in Polen meist auch als Botschafter des tschechischen Humors angekündigt wird, versteht sich natürlich von selbst. Und einige seiner Lieder sowie seine geistreiche Kommunikation mit dem Publikum in geschliffenem Polnisch verdienen dieses Prädikat ja auch tatsächlich. Auf die Frage, ob die Tschechen denn tatsächlich das humorvollste Volk auf Erden seien und was ihren Humor ausmache, antwortete Mariusz Szczygieł, dass viele Menschen bei Stichwort tschechischer Humor denken, dass sich die Tschechen dauern Witze erzählen. Aber darum gehe es gar nicht. Der tschechische Humor sei, so Szczygieł, eher eine Lebenseinstellung, die in der Übertragung humoristischer Momente in den Alltag bestehe (vgl. Szyman´ska und Szczygieł 2020). Oft wird der tschechische Humor anhand von Filmen oder TV-Serien festgemacht. Genannt werden in Polen immer wieder vor allem Filme wie der oscarprämierte Streifen Liebe nach Fahrplan (1966) von Regisseur Jirˇí Menzel (tschech. Ostrˇe sledované vlaky / poln. Pocia˛gi pod specjalnym nadzorem) oder
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der Neoklassiker Einzelgänger (2000)16 von David Ondrˇícˇek (tschech. Samotárˇi / poln. Samotni) sowie die Fernsehserien von Regisseur Václav Vorlícˇek. Doch auch diese seien kein Abbild des tschechischen Humors (vgl. Kot 2018). Wenn es einen Fachmann für tschechischen Humor gibt, dann kommt sicherlich der Regisseur Jan Sveˇrák in die engere Auswahl, dessen Film Kolja mit seinem Vater Zdeneˇk Sveˇrák in der Hauptrolle 1996 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt. In einem Interview mahnt er die Polen zu etwas Zurückhaltung. Der tschechische Humor werde in Polen vielleicht doch ein wenig überschätzt, so Sveˇrák (vgl. Szczerba et al. 2008).
5.
Tschechischer Humor: Tschechische Eigenstereotype
Selten liegen Eigen- und Fremdstereotype so eng beieinander wie bei der Frage des tschechischen Humors. Die Tschechen werden – wie bereits am polnischen Beispiel geschildert – nicht nur als humorvoll beschrieben, sie nehmen sich sehr häufig selbst als humorvoll wahr. Und wo vom tschechischen Humor die Rede ist, ist meist auch Jaroslav Hasˇeks Schwejk nicht weit. So titelte die Wochenzeitung Téma im Juni 2020 in großen Lettern: Násˇ praotec Sˇvejk (Unser Urvater Schwejk). Der Glaube an die Kraft des eigenen Humors mündete während der Protektoratszeit in die Geburt der Smeˇjící se bestie (Lachende Bestie), der im polnischen Diskurs der Kult um den bewaffneten Widerstand gegenübersteht, der im Zuge der aktuellen Neuausrichtung der polnischen Deutung der Vergangenheit verstärkt von den Z˙ołnierze wykle˛ci (verstoßene oder verfemte Soldaten) verkörpert wird (vgl. hierzu S´wider 2017). So heißt es bei Joanna Czaplin´ska, dass die Tschechen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit andere Mittel und Wege des Widerstands finden mussten. Während der Pole zum Säbel griff, tranken die Tschechen Bier und erdachten dabei Witze (vgl. Czaplin´ska und Zapotoczny 2014). Im Rahmen ihrer Untersuchung zum Ethno-Ranking fanden Jenícˇek und Paduszynski (2002: 46f.) heraus, dass die Tschechen sich vor allem als berechnend (29 %), intelligent (24 %), humorvoll (24 %) und »wie Schwejk« (22 %) wahrnehmen.17 Bezüglich des Humors (22 %) und »wie Schwejk« (21 %) entsprechen diese Angaben fast exakt der Sicht der Polen auf ihre Nachbarn.18 Auch
16 Den Film gibt es bislang nicht in einer deutschen Fassung. Bei Vorführungen des Originals wird in Deutschland meist dieser Titel verwendet. 17 Die Respondenten konnten zwischen etwa 40 Eigenschaften auswählen. 18 Vor allem sehen die Polen ihre Nachbarn laut dieser Studie, bei der jeweils 100 Personen vor allem in Wrocław (Breslau) und weniger Cieszyn (Teschen) sowie Praha (Prag) befragt wurden, als ordentlich (34 %), atheistisch (33 %) und freundlich (28 %). Die Eigenschaft
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Hampl (2016: 68) weist im Rahmen seiner Untersuchung zu tschechischen Autostereotypen in Literatur und Film auf die im sprachlich-kulturellem Code verankerte Bedeutung das Humors hin. In der Selbstwahrnehmung der Polen sowie der Sicht der Tschechen auf die Polen spielt Humor in der Untersuchung von Jenícˇek und Paduszynski (2002) hingegen keine Rolle. Hier besteht zwischen Polen und Tschechen weitestgehende Einigkeit: Die Tschechen werden häufig als humorvoll betrachtet und mit ihrem praotec (Urvater) Schwejk assoziiert, dem polnischen Humor wird in den gegenseitigen Betrachtungen kein besonderer Stellenwert beigemessen. Aber gibt es überhaupt einen genuin tschechischen Humor? Und falls ja, was zeichnet ihn aus? Für Eisenhammer (2020: 16) kann dieser am ehesten mit dem britischen Humor verglichen werden. Denn in beiden finde man eine Selbstironie, die z. B. Deutschen oder Amerikanern nur schwer zugänglich sei. Deshalb sei auch der Fliegende Zirkus von Monty Python in Tschechien so beliebt. Eines von dessen Mitgliedern, Michael Pale, lobte den tschechischen Humor bei einem Aufenthalt im Land dann auch über den grünen Klee. Nach den Briten hätten die Tschechen den größten Sinn für Humor, so Pale. Für einige Völker gebe es Grenzen, die auch beim Humor nicht überschritten werden. In Großbritannien und Tschechien bestünden solche Grenzen nicht (vgl. ebd.). An anderer Stelle heißt es sogar, dass der Brite den Tschechen den größten Sinn für Humor zuschreibt (vgl. Johnston 2019). Ein wichtiges Kennzeichen des tschechischen Humors scheint also die Fähigkeit, auch über sich selbst und die eigenen (vermeintlichen) Schwächen zu lachen, was in vielen Witzen zum Ausdruck kommt: Treffen sich drei Haie und berichten von ihrem Mittagessen. Meint der erste: Ich hatte einen Deutschen. Ganz in Ordnung, nur etwas schwer und fett. Darauf der zweite: Und ich einen Italiener, nur Haut und Knochen. Und schließlich der dritte: Ich hatte einen Tschechen, zartes Fleisch, kaum Fett, einfach ein Gedicht. Und vor allem … ohne Rückgrat! Jeder Tscheche weiß natürlich sofort, worauf hier angespielt wird und kann darüber lachen oder auch nicht (vgl. hierzu Tesarˇ 1989). Aber Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Im Zweifelsfall auch über sich selbst. Dieses sebemrskacˇství, das in etwa mit ›Selbstgeißelung‹ wiedergegeben werden kann und in solchen Anekdoten deutlich wird, ist neben Fußball und natürlich Eishockey in Tschechien gewissermaßen Nationalsport. Diese Verbindung zwischen tschechischem Humor und Selbstironie sieht auch Włodzimierz Kalicki in seiner Rezension von Grusˇas Gebrauchsanweisung (Kalicki 2018). Und in dieser größeren Distanz zu sich und der Welt unterscheide sich der tschechische Humor
ordentlich ist aus slawischer Sicht ansonsten eher den Deutschen vorbehalten, worauf auch die Verfasserinnen hinweisen.
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vom polnischen. Während sich der Pole über eine Situation aufrege, mache der Tscheche einen Witz daraus (vgl. Czaplin´ska und Zapotoczny 2014). Der Buchautor und Übersetzer Jirˇí Zˇácˇek stellt allerdings die Frage, ob überhaupt von einem genuin tschechischen Humor die Rede sein könne, schließlich hätten die Tschechen humoristische Impulse aus ganz verschiedenen Richtungen aufgenommen, etwa von Aristophanes, jüdischen Anekdoten, der italienischen Komödie, Shakespeare, Moliére oder Gogol. Dessen ungeachtet habe sich dieser Humor in den 1990er Jahren stark verändert, als die Tschechen auch um ihren Humor betrogen wurden. Von diesem seien, so Zˇácˇek, nur Hohn und Spott übriggeblieben. Und wo das Geld an erster Stelle stehe, sei ohnehin jeder Spaß vorbei. Aber schließlich sei es mit dem Humor wie mit der Regierung: Ein Volk bekomme immer nur das, was es verdient hat (vgl. Zˇácˇek 2003). Winterová (2020) sieht zumindest den politisch nicht korrekten maskulin geprägten Humor in Tschechien vor dem Aus. Angesichts der ihrer Auffassung immer weiter fortschreitenden Feminisierung der tschechischen Gesellschaft müsse man damit rechnen, dass dieser in nächster Zeit verschwinde. Die von Zˇácˇek konstatierte Krise des tschechischen Humors sieht Karel Oliva in einem Moment beendet, als die Tschechen im Oktober 2020 wieder einmal alles andere als einen Grund zum Lachen hatten und die Zahl der CoronaNeuinfizierten in dem vergleichsweise kleinen Land wesentlich höher als im achtmal größeren Deutschland war. Der in langen Jahren des Wohlstands verlorengegangene typische tschechische Humor sei genau in dieser schweren Stunde zurückgekehrt (vgl. Oliva 2020). Die lachende Bestie meldete sich etwa lautstark zu Wort, als sich Tschechiens Mister-Mundschutz, Gesundheitsminister Roman Prymula, oben ohne von einem Boulevardblatt nach dem Besuch eines Restaurants ertappen ließ, das er selbst im Zuge seiner strengen AntiCorona-Maßnahmen geschlossen hatte. Die Prager bewiesen Humor und vor dem Ort des Geschehens im Stadtteil Vysˇehrad entstand ein Pilgerort der Ironie, wo in Gedenken an die letzten Reste von Rechtschaffenheit und Anstand Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet wurden. Ein paar Weinflaschen und Bierbüchsen waren auch darunter. Keinen Spaß verstand Premier Andrej Babisˇ, der seinen Gesundheitsminister umgehend zum Rücktritt aufforderte.
6.
Der brave Soldat Schwejk als vermeintliche Verkörperung des tschechischen Humors und Volkscharakters
Die tschechische Eigen- und Fremdwahrnehmung ist wie gesehen eng mit der literarischen Figur des Soldaten Schwejk verknüpft. Seit seiner ersten Übersetzung 1929/1930 durch Paweł Hulka-Laskowski gilt Jaroslav Hasˇeks Schwejk in
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Polen als Verkörperung des tschechischen Humors.19 Kein tschechisches Buch entfaltete bei den polnischen Nachbarn, und nicht nur bei diesen, eine so große Wirkung wie Hasˇeks braver Soldat, worauf nicht zuletzt Jára Cimrman in seinen zahlreichen umfangreichen Arbeiten zu Hasˇeks Roman mehrfach hinwies (Cimrman 1967). Für Trepte (2011: 59) wurde der Schwejk »grenzüberschreitend zum Stereotyp des Tschechen schlechthin.« Dieser galt »im Gegensatz zum ›edlen‹, ›ritterlichen‹, ›heroischen‹ und ›galanten‹ Polen […] als ausgemachter Spaßvogel, Simulant oder Dummkopf […], der sich feige seinen Pflichten zu entziehen versuche, Konflikte vermied und generell Problemen aus dem Weg ging« (ebd.: 59). Auch für Kroh (1992: 6) diene Schwejk den Polen häufig als Inkarnation des tschechischen Volkscharakters. Die Tschechen werden häufig in eine enge Beziehung zum Schwejk gesetzt (Fremdstereotype) und kultivieren dieses Bild auch selbst (Eigenstereotyp). Nicht ohne Stolz sehen sie sich, wie es oft heißt, als ein Volk von Schwejks, was durch eine Reihe von Ableitungen wie dem Verb ˇsvejkovat, dem Adjektiv ˇsvejkovský oder den Substantiven ˇsvejkaní und ˇsvejkovina unterstrichen wird. Diese stehen meist für tschechischen Pragmatismus und fehlende höhere ethische Werte und Visionen, ohne dabei allerdings unbedingt viel mit der Romanfigur zu tun zu haben (vgl. Kroh 1992: 5). Laut Horák (2019) seien diese Schwejkismen vor allem unter Politikern beliebt, die diese losgelöst vom Roman für etwas benutzen, was ihrer Meinung nach für die typisch tschechische Gerissenheit und Durchtriebenheit steht, von der sie sich dann abgrenzen. Für Hanshew (2009: 10) »weisen sie [diese Wörter, KWM] auch auf ein eingeschränktes Verständnis der literarischen Figur hin oder gar eines, das im deutlichen Widerspruch zum Romanprotagonisten steht.« Und dieser missverstandene und den Tschechen dauernd im Nacken zu sitzen scheinende Schwejk hat offenbar überall seine Hände mit im Spiel. So fragt die Kolumnistin Jana Machalická, ob die Tschechen denn tatsächlich ein Volk von Feiglingen und Kollaborateuren seien, die sich immer und überall herausschwejken (vysˇvejkovat), oder ob andere Völker in dieser Frage auch nicht besser seien (vgl. Machalická 2020). Und ihr Kollege Petr Kamberský stellt die Frage, ob denn nun das Versagen der Regierung daran schuld war, dass Tschechien im Oktober 2020 die höchsten Zahlen an CoronaNeuinfizierten in Europa aufwies, oder nicht doch die schwejkende Bevölkerung (sˇvejkující lid) (vgl. Kamberský 2020), die sämtliche Regierungsmaßnahmen immer irgendwie umschwejkt (neˇjak osˇvejkuje) (vgl. Hudema 2020). Geläufig sind im Tschechischen auch Pseudoschwejkismen, etwa die bekannte Wendung
19 Erste humorvolle Geschichten Jaroslav Hasˇeks erschienen in Polen bereits Ende der 1920er Jahre.
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to chce klid (das braucht Ruhe/in der Ruhe liegt die Kraft/nur keine Eile), die dem literarischen Schwejk im Roman gar nicht über die Lippen kommen.20 Schwejk ist also im aktuellen tschechischen Diskurs omnipräsent und festigt damit eine Reihe von bestehenden Vorurteilen, zu denen nicht zuletzt die verbreitete Meinung zählt, dass die Tschechen ihren Klassiker tatsächlich auch gut kennen würden. Das ist, von den Verfilmungen und den Illustrationen von Josef Lada abgesehen, nicht der Fall, auch wenn es im Einzelfall durchaus zutreffen mag.21 So heißt es etwa in Jaroslav Rudisˇs Nachwort – »Zum Sˇvejk: Eine Pilgerreise böhmischer Art« – zur neuen deutschen Schwejk-Übersetzung von Antonín Brousek über seinen Vater: Wenn mein Vater schlafen geht, greift er auf dem Nachttisch. Dort liegt schon seit Jahrzehnten ein einziges Buch als weiterer Anker in seinem Leben, neben unserer Familie, der hospoda [etwa: Kneipe, Wirtshaus, KWM] und seiner Sammlung alter Radiogeräte, die er als Elektrotechniker zusammengetragen hat. »Ich könnte ohne das Buch nicht einschlafen«, sagt Vater. Das Buch sind Die Abenteuer des guten Soldaten Sˇvejk im Weltkrieg von Jaroslav Hasˇek. Dieser Roman ist Vaters Bibel. Er liest ihn in einem fort. […] Mal liest er ein paar Seiten. Mal ein ganzes Kapitel. Mal zwei oder drei. Mal überspringt er etwas. (Hasˇek 2016: 992f.)
Bier in der Kneipe und der Schwejk, den der Literaturkritiker Ondrˇej Horák als Bibel für Atheisten bezeichnet (vgl. Horák 2019), anstelle der Heiligen Schrift auf dem Nachttisch – so wollen die Deutschen die Tschechen am liebsten sehen. Weiterhin erfährt man bei Rudisˇ, dass es vielen der anschließend in einer kleinen Dorfkneipe im Industriegebiet Kladno (dt. Kladen) auftretenden Stammgästen ähnlich gehe. Und manche haben den Wälzer sogar auswendig gelernt! Wenn man ein wenig am Tschechen kratzt, kommt der Schwejk zum Vorschein. Jeder Tscheche erinnere sich, so Rudisˇ weiter, wann und wo er den Schwejk zum ersten Mal gelesen hat. Im Nachwort zu seiner Übersetzung relativiert Antonín Brousek allerdings: »Im Ausland wird Sˇvejk häufig für die spezifische Verkörperung des tschechischen Nationalcharakters gehalten. Viele Tschechen sehen das ganz anders« (ebd.: 979). Inzwischen ist die Opposition gegen das literarische Nationalheiligtum angeblich größer als es die Opposition gegen das kommunistische Regime jemals war (vgl. Szczygieł 2012b). So be20 So heißt es im Roman …a bude hu˚ˇr (…und es kommt noch schlimmer) von Jan Pelc: »Kdyzˇ má cˇloveˇk neˇco na dosah, nesmí speˇchat. Tím to jediné posere. To chce klid, jak ˇríkal Sˇvejk.« (Wenn man kurz vor dem Ziel steht, darf man nichts übereilen. Damit versaut man bloß alles. In der Ruhe liegt die Kraft, wie Schwejk sagte.) (Pelc 2007: 128). Der Roman liegt nicht in deutscher Übersetzung vor. Auf Polnisch erschien er unter dem Titel …be˛dzie gorzej in der Übersetzung von Jan Stachowski (1989/2014). 21 Der Verfasser muss an dieser Stelle einräumen, dass er keine diesbezüglichen empirischen Untersuchungen kennt bzw. solche selbst durchgeführt hat und an dieser Stelle allein seinen persönlichen Eindruck wiedergibt.
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mühten sich tschechische Militärs, nicht zuletzt mit Unterstützung von Präsident Havel, im Zuge des NATO-Beitritts der Tschechischen Republik, der Armee das Gespenst des Schwejks auszutreiben. In einer Rede anlässlich der zweijährigen Mitgliedschaft in dem Militärbündnis verkündete der damalige Präsident, dass man der Welt klar machen müsse, dass die Tschechen keine Schwejks mehr seien und über eine schlagkräftige und professionelle Armee verfügten. Doch schlussendlich setze sich die entwaffnende Magie des Schwejk immer gegen seine Gegner durch, auch weil die Mehrheit der Bevölkerung immer noch hinter ihm stehe (vgl. Cervinkova 2009: 364). In der polnischen Wahrnehmung der südlichen Nachbarn wirkt Hasˇeks Figur ebenfalls prägend. So ziert der Schwejk Bücher der Reihe Czeskie klimaty oder die Herausgeber der Zeitschrift für Fahrradliebhaber Szosa (Ausgabe 5/2019) illustrieren ihre Beiträge über Tschechien mit einem großen Schwejk auf einem Rennrad (und einem kleinen Maulwurf und einer kleinen Flasche Cola aus tschechischer Produktion). Der Schwejk hat sich also längst von der literarischen Vorlage unabhängig gemacht und ein Eigenleben mit Vorbildcharakter und als Bezugspunkt für Bewertungen entwickelt (vgl. Nawrocki 2000: 5). So dient er heute etwa auch dazu, den Polen den tschechischen Atheismus zu erklären (vgl. hierzu Pac 2006).
7.
Rezeption des Romans und seine Übersetzungen in Polen
Das Umfeld von Paweł Hulka-Laskowskis Übersetzung war in den 1930er Jahren alles andere als günstig.22 Auch deshalb hatte Hulka-Laskowski wohl zunächst Mühe, einen Verlag zu finden. Hinzu kam die damals vorherrschende »negative Einstellung der Polen zur tschechischen Literatur« (Hanshew 2009: 207). Ihre Ablehnungen sollten die Verlage bald bedauern, denn Hasˇeks Roman wurde für den Verlag Rój zu einem großen kommerziellen Erfolg (vgl. ebd.: 208). Abgesehen von einigen wenigen Kreisen war Polen während der Zweiten Republik (II Rzeczpospolita) weit entfernt von jeglicher Tschechophilie, wie sie heute in Polen anzutreffen ist. Im Gegenteil: In der Zwischenkriegszeit waren die politischen, wirtschaftlichen und emotionalen Beziehungen etwa wegen strittiger Grenzfragen gespannt und in der polnischen Presse dominierte in der Berichterstattung über die Tschechoslowakei ein aggressiver und sarkastischer Ton der eigenen Überlegenheit (vgl. Kroh 1992: 5). Wenn in der polnischen Legionärs22 Bereits 1929 erfolgte in Łódz´ (Lodz/Lodsch) die erste Adaption fürs Theater von Leon Schiller, 1930 folgten weitere in Poznan´ (Posen) durch Emil Zegadłowicz sowie Warszawa (Warschau) durch Marian Hemar. Ausländische Bearbeitungen, insbesondere die deutschen, waren bereits vor der Übersetzung durch Hulka-Laskowski in Polen bekannt. Zur Rezeption des Romans und Adaption seines Sujets in Polen vgl. Hanshew (2009: 205–249).
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literatur der 1920er Jahre ein Tscheche oder insbesondere ein tschechischer Soldat auftauchte, wurde dieser, so Kroh (vgl. ebd.: 5), als abstoßende Person dargestellt, etwa als Feigling, Betrüger und jemand, der nur seine eigene Haut retten will. Ehre, Moral oder andere höhere Eigenschaften gingen ihm ab. Und hierzu passte Hasˇeks Figur perfekt. Bis heute dient er den Polen als Symbol für Schlitzohrigkeit, aber auch für Drückebergertum und fehlende Ehre. Der brave Soldat baute damit keine Vorurteile gegenüber den Tschechen ab, sondern zementierte diese. In der Einleitung zu seiner Übersetzung des Schwejk meint Kroh, die antitschechischen Stereotype und die oberflächliche Lektüre des kontroversen Romans hätten eine eigenartige Mischung gebildet und die literarische Figur sei schnell zur Inkarnation des tschechischen Charakters aufgestiegen. Über dessen Witze lachte man gerne, gleichzeitig festigten diese jedoch antitschechische Vorurteile, ähnlich wie die jüdischen Witze im polnischen Kabarett der Zwischenkriegszeit (szmoncesy) entgegen der Intention ihrer Interpreten schließlich zu antisemitischen Witzen mutierten (vgl. Hasˇek 2009). Wie auch im Tschechischen gehören Ableitungen von Hasˇeks Romanhelden wie das Verb szwejkowac´ oder die Substantive szwejkomanija oder szwejkowanie zum festen Bestandteil der polnischen Sprache. Für Szczygieł (2012a) steht Letzteres für eine tschechische Lebenseinstellung und das Bemühen, um jeden Preis die eigene Haut zu retten. Für Kot (2018) steht szwejkowanie für die Art und Weise, auch mit den härtesten Schicksalsschlägen umzugehen. Noch vor rund 20 Jahren bemängelte Hanshew (2002: 2013): »Der Streit um den Stellenwert der Figur Sˇvejk als neuen Heldentypus, als modernen Don Quixote oder gar als Symbol des tschechischen Volkes, entbrannte unverzüglich und setzt sich bis zum heutigen Tag fort, während die Adäquatheit der Übersetzungen, durch die der Roman seinen Ruhm gewann, selten hinterfragt wird.« Dies galt zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch für die Übersetzung ins Deutsche. Doch nachdem dort die Übersetzung Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk von Grete Reiner23 aus dem Jahr 1926 fast ein Jahrhundert lang die Leser für den Schwejk begeisterte, liegt seit 2014 mit Die Abenteuer des guten Soldaten Sˇvejk im Weltkrieg eine Neuübersetzung von Antonín Brousek vor.24 An der ReinerÜbersetzung bemängelt Brousek insbesondere die Wiedergabe des Gemeintschechischen (obecná cˇesˇtina), das im Deutschen keine äquivalente Entsprechung hat, durch das so genannte Kleinseitner Deutsch (vgl. Hasˇek 2016: 981ff.), das »fehlerhafte Deutsch des tschechischsprachigen Kleinbürgertums des Prager Stadtteils Kleinseite und nicht etwa das Deutsch der deutschen Minderheit in Prag« (ebd.: 981). Dadurch wirke die Übersetzung »wie ein k. u. k. Komödienstadel« (ebd.: 982). Außerdem fehlten etwa kritische Anmerkungen zu den 23 Die Prager Jüdin wurde vermutlich im Frühjahr 1944 im KZ Auschwitz ermordet. 24 Neuübersetzungen liegen auf im Englischen (2000) oder Französischen (2018) vor.
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Deutschen, mit denen Reiner ihr Lesepublikum offenbar nicht verprellen wollte (ebd.: 983). Nun können die deutschsprachigen Leser wählen, ob sie am liebgewonnenen braven Soldaten von Reiners festhalten oder sich mit dem guten Soldaten aus der modernen »philologisch korrekte[n]« (ebd.) Neuübersetzung von Antonín Brousek anfreunden. In Polen begann die Diskussion über die Übersetzung von Hasˇeks Roman bereits einige Jahre früher. Dort liegen inzwischen bereits drei Übersetzungen vor, streng genommen sogar vier. Die Übersetzungsgeschichte beginnt wie erwähnt zu Beginn der 1930er Jahre mit Paweł Hulka-Laskowski25 und den Przygody dobrego wojaka Szwejka podczas wojny ´swiatowej (Die Abenteuer des guten Soldaten Schwejk im Weltkrieg), dem folgten Jahrzehnte später die Tarapaty (Schwierigkeiten)26 bzw. wenige Jahre darauf Dole i niedole dzielnego z˙ołnierza Szwejka podczas wojny ´swiatowej (Freud und Leid des tapferen Soldaten Schwejk im Weltkrieg) von Józef Waczków (1991)27 und schließlich legte Antoni Kroh 2009 die Losy dobrego z˙ołnierza Szwejka czasu wojny ´swiatowej (Die Schicksale des guten Soldaten Schwejk im Weltkrieg) nach. Die größte Schwierigkeit bei der Übersetzung des Schwejks ins Polnische oder auch Deutsche liegt darin, dass Hasˇek seinen Roman in weiten Teilen im sogenannten Gemeintschechischen verfasst hat, für das in keiner der beiden Sprachen ein gleichwertiges Äquivalent bereitsteht. Dieses ist eigentlich der informellen mündlichen Sprache im Westteil des Landes mit dem Zentrum Prag vorenthalten, findet aber seinen Weg immer öfter auch in die Literatur28 und wird von den in der Hauptstadt ansässigen Fernseh- und Rundfunkanstalten bis in den letzten schlesischen Winkel des Landes verbreitet. Aufgrund des Abstands zwischen dem Gemeintschechischen und der Standardvariante (spisovná cˇesˇtina) sowie deren unterschiedlicher Verwendungsbereiche diskutieren verschiedene Autoren in Bezug auf die Tschechische Republik die Möglichkeit, hier eine Diglossie oder zumindest eine diglossieähnliche Situation anzusetzen (vgl. hierzu Bermel ˇ mejrkova 2011). Hierauf geht auch Kroh in seinem Vorwort ein und 2010 und C verweist auf die zahlreichen phonetischen, grammatischen, syntaktischen oder lexikalen Abweichungen in Hasˇeks Roman vom Standardtschechischen. Für den Übersetzer bestehe hier die Gefahr einer umgangssprachlichen Überstilisierung, 25 Paweł Hulka-Laskowski ist Nachfahre tschechischer Protestanten, die nach der Schlacht auf dem Weißen Berg (1620) nach Polen flohen. Deren tschechische Herkunftssprache hatte sich im Laufe der Jahrhunderte jedoch so weit vom Tschechischen entfernt und dem Polnischen angenähert, dass Hulka-Laskowski das Tschechische als Fremdsprache erlernen musste (vgl. hierzu Martinek 2007). 26 Die Tarapaty erschienen 1983 in der Zeitschrift Literatura na S´wiecie und wurden im polnischen Rundfunk von dem Schauspieler Wojciech Siemion vorgetragen. 27 Auf diese Übersetzung kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu Hanshew (2009: 209f.). 28 Z. B. bei Jan Pelc, Jaroslav Rudisˇ, Petr Sˇabach oder auch Bohumil Hrabal.
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was seinem Vorgänger Waczków unterlaufen sei. Am nächsten sei dem Gemeintschechischen der schlesische Dialekt,29 vielleicht wage sich ja einmal jemand an eine Übersetzung ins Oberschlesische, fragt Kroh. Auch kulturelle Unterschiede und die Übertragung der zahlreichen Realien machen eine originalgetreue Übersetzung selbst in das dem Tschechischen vermeintlich so ähnliche Polnische unmöglich (vgl. Hasˇek 2009). Die Übersetzung von Paweł Hulka-Laskowski wird immer wieder kritisiert (vgl. hierzu Martinek 2014: 34), z. B. von Szczygieł (2020a), der sich in Szczygieł (2012b) trotz der beiden Neuübersetzungen allerdings noch auf diese Übersetzung stützte. Acht Jahre später heißt es dann bei ihm, dass es die Polen in den vergangenen 80 Jahren mit einem Verbrechen an diesem literarischen Meisterwerk zu tun gehabt hätten (vgl. Szczygieł 2020a: 123), das nun mit der Neuübersetzung durch Antonin Kroh beseitigt werde (vgl. ebd.: 124). Eine ähnlich scharfe Kritik formulierte der Literaturwissenschaftler Edward Madany bereits 1966, wenn er befindet: Wir erhielten einen anderen Sˇvejk, vielleicht einen gröberen, aber nicht so volkstümlich wie der des Originals, seine groteske Maske eines Idioten und schlauen Schelms bekam infantile, einseitig humoristische Züge und schließlich wurde Sˇvejk für durchschnittliche Rezipienten ein Synonym für einen Blödian und einen Drückeberger. Nicht nur der Übersetzer trägt Schuld an dieser Tatsache [. . .]. (zit. nach Hanshew 2009: 208)
Für Németh Vítová (2016: 113) handelt es sich bei der Arbeit von Hulka-Laskowski nicht um eine Übersetzung im eigentlichen Sinne. Vielmehr habe HulkaLaskowski versucht, die Stimmung des Romans in den Humor des Kabaretts zu überführen, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Polen großen Anklang fand. Erst Krohs Schwejk könne als Übersetzung bezeichnet werden, die sich am Original orientiert und zudem 328 Erläuterungen enthält. Damit rücke das Buch in die Nähe eines historischen Romans, während die polnische Leserschaft den Schwejk als humoristischen Roman betrachte. Krohs Übersetzung richte sich somit eher an Geisteswissenschaftler, Bibliophile oder unermüdliche Hobbyschwejkologen (vgl. ebd.: 114). Die Kritik beginnt schon beim Titel. Während Antonín Brousek in seiner deutschen Neuübersetzung nicht an den Abenteuern rüttelte, mussten diese in allen drei polnischen Neuübersetzungen weichen. Antoni Kroh hält sich strikt an das Original und überträgt die tschechischen osudy mit losy ins Polnische, entscheidet sich also für Schicksale. Im Vorwort zu seiner Übersetzung heißt es: Auch ohne ein Blick ins Wörterbuch sollte klar sein, dass Hunger, Gefangenschaft, der Schatten des Schaffots, die Verrohung des Menschen und der tau-
29 Die Bezeichnung des Schlesischen als Dialekt ist nicht unumstritten. Vgl. hierzu WitzlackMakarevich und Kamusella (2018).
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sendfache Tod auf den Schlachtfeldern nichts mit Abenteuern zu tun haben. Man denke nur an die Entrüstung, die ein Buch mit dem Titel Die Abenteuer der Polen aus den früheren polnischen Ostgebieten in den Lagern Sibiriens auslösen würde (vgl. Hasˇek 2009).30 Dem widerspricht Baluch (2018: 77), für den gerade die Abenteuer den Inhalt des Romans treffender charakterisieren als die Schicksale des Originals. Weiterhin kritisiert Kroh die Wiedergabe von tschech. voják (dt. Soldat) mit poln. wojak. Diese Bezeichnung hat im Polnischen zwar auch die Bedeutung Soldat, allerdings schwinge hier, so Kroh, ein ironischer und verächtlicher Ton mit, der mit der Idee des Romans nicht vereinbar sei (vgl. Hasˇek 2009). Auch hier hakt Baluch (2018: 78) ein und verteidigt Hulkas wojak. Neben voják gebe es nämlich im Tschechischen noch das Wort vojín, das etwa in Wendungen wie hrob neznámého vojína (Grab des unbekannten Soldaten) verwendet werde. Hulka habe also keinen Fehler begangen, sondern sich für eine von zwei Möglichkeiten entschieden. Zur Übersetzung von Kroh meint Baluch (2018: 79) zwar, dass diese eindeutig besser sei als alle ihre Vorgänger, doch was den Titel betreffe, so habe Kroh danebengegriffen. In Krohs Entscheidung gegen den dobry wojak sieht Baluch (vgl. ebd.: 80) vor allem die nachvollziehbare Marketingstrategie des Verlags, der eine neue Ware unter einem neuen Namen verkaufen wollte. Doch andererseits sollte man Markennamen nicht ändern, solange sich eine Ware gut verkauft. Und zu den von Szczygieł (2020a: 124) beschriebenen Grausamkeiten komme es außerdem erst im späteren Verlauf des Romans, während dem durchschnittlichen Leser vor allem die Teile eins und zwei (Im Hinterlande/An der Front) in Erinnerung blieben (vgl. Baluch 2018: 80). Ein wichtiger Kritikpunkt an der Hulka-Übersetzung sind ihre Abweichungen vom Original. Und vielleicht macht gerade das ihren Erfolg aus. Kaczorowski (2015) meint hierzu, dass es sich gar nicht um eine Übersetzung handele. Hulka-Laskowski habe den Schwejk auf Polnisch neu geschrieben. Und der polnische Schwejk sei vielleicht sogar besser als das tschechische Original.
30 Kroh verwendet den Beispieltitel: Przygody Kresowniaków w syberyjskich łagrach. Als Kresy werden im Polnischen die polnischen Ostgebiete bezeichnet, die 1945 zur Sowjetunion kamen und heute weitestgehend zur Ukraine und zu Weißrussland gehören. Nach der Besetzung dieser Gebiete infolge der Zusatzprotokolle zum Hitler-Stalin-Pakt durch die Sowjetunion 1939 wurden 1940/1941 über 300.000 der dort ansässigen Polen unter grausamen Bedingungen nach Sibirien und Kasachstan deportiert, wobei viele den Tod fanden (vgl. hierzu Kołodziejska-Fuentes 2020).
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Ausblick: Die Zukunft des dobry wojak im polnischen Nachbarlande
Ob sich der dzielny oder dobry z˙ołnierz schließlich gegen den dobry wojak durchsetzen kann, wird sich zeigen. Aber beide werden es nicht leicht haben. Neunzig Jahre nach ihrem Erscheinen gehört Hulka-Laskowskis Übersetzung zum Inventar der polnischen Sprache. Die größte polnische Buchhandelskette hat in den Regalen derzeit nur seinen dobry wojak im Angebot (den dobry z˙ołnierz bietet sie im Onlinehandel an). Abzuwarten bleibt auch, ob sich die polnischen Vereinigungen der Freunde des braven Soldaten Schwejk (Stowarzyszenia Przyjaciół Dobrego Wojaka Szwejka) oder Clubs der Liebhaber des braven Soldaten Schwejk (Kluby Przyjaciół Dobrego Wojaka Szwejka) einfach so umbenennen werden. Baluch (2018: 74) konstatiert, dass es Waczków und Kroh bislang nicht gelungen sei, in Polen den liebgewonnenen dobry wojak vom Altar zu stoßen. Aber die beiden Neuübersetzungen hätten zumindest unter Wissenschaftlern, Kritikern, Übersetzern sowie den zahlreichen Lesern und Liebhabern des Schwejk eine Diskussion in Gang gesetzt. Bereits vor beinahe 40 Jahren konstatierte Halina Janaszek-lvanicˇková, dass Hulka-Laskowskis Übersetzung für die Polen zu einer Art Bibel geworden sei (zit. nach Hanshew 2009: 211). Und auch an der Beliebtheit der Heiligen Schrift haben deren zahlreiche offenkundigen Übersetzungsfehler in Polen ja kaum rütteln können. Nicht zuletzt ist sich auch Antoni Kroh sicher, dass seine Neuübersetzung die Position des dobry wojak in Polen nicht erschüttern wird (vgl. Hasˇek 2009). Brakoniecki (2012) geht der Frage nach, warum die Polen dem dzielny wojak (Mischung aus den Titeln von Hulka-Laskowski und Waczków) eine so grenzenlose Liebe entgegenbringen, obwohl seine Landsleute in dem Roman alles andere als gut wegkommen. Denn diese stehen dort nicht für Eigenschaften wie Ritterlichkeit und Patriotismus, die sich die Polen gerne selbst zuschreiben, und ihre Sprache liefert immer wieder den Stoff für komische Situationen (Hlousˇková 1995, zit. nach Orłos´ 1996: 7). Der Verstand sage uns, so Brakoniecki (2012), dass die Polen den Schwejk eigentlich eher hassen sollten. Man solle jedoch den Rat des Publizisten Leszek Mazan befolgen, so Brakoniecki weiter, und über diesen unverbesserlichen Idioten einfach nur lachen, denn Idioten stehen unter besonderem Schutz. Aber hat der bekennende Schwejkophile Mazan seinen Schwejk wirklich auch richtig verstanden? Der ist nämlich alles andere als ein Idiot.
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Joanna Pe˛dzisz (Uniwersytet Marii Curie-Skłodowskiej, Lublin)
Release your hands. It’s not the zombie-walk. Humor in der Versprachlichung der Bewegungsqualitäten im Tanzunterricht Release your hands. It’s not the zombie-walk. Humour in the Verbalisation of the Movement Qualities in a Dance Class Abstract The statement Release your hands. It’s not the zombie-walk is an inspiration for the reflections presented in this paper. The focus is on the forms of expression and appearance of humor in dance class. The examples given in the case study include humor activities of contemporary dancers in dance class. The goal of the case study is to characterize these activities. Therefore, the following research questions are raised: 1. What are the humor activities of contemporary dancers? 2. Which verbal elements are used to express a humor activity? 3. What is the function of the humor activities used in dance class? 4. What intentions have contemporary dancers when they decide to use humor? 5. What kind of knowledge can the dance student reconstruct after the humor activities? 6. Which associations can evoke the humor activities of the dance teachers in the dance students? Keywords: movement qualities, dance class, humour, dance teacher Schlüsselwörter: Bewegungsqualitäten, Tanzunterricht, Humor, Tanzlehrende
1.
Vorbemerkungen
Die im Beitragstitel zitierte Aussage wurde von einem polnischen zeitgenössischen Tänzer während des Tanzunterrichts für Fortgeschrittene ausgesprochen und brachte die TeilnehmerInnen des Tanzunterrichts zum Lachen. Ohne Zweifel hat diese Aussage ihr Wirkungspotential. Sie bezieht sich auf ein konkretes Objekt – eine Bewegungsqualität, d. h. eine Spannung in den Armen und den Händen, die in der vorgeführten Bewegung entstanden ist (vgl. Pe˛dzisz 2020a: 230). Sie ist adressatenorientiert. Die Intention des Autors, der die Rolle eines Tanzlehrers übernimmt, wird von den TeilnehmerInnen als Tanzlernenden auch erkannt. Mit der Aussage zielt der Tanzlehrende darauf ab, die Aufmerksamkeit auf die Spannung zu fokussieren und die Tanzlernenden dazu aufzufordern, ihre Arme und Hände zu entspannen. Die Aufforderung führte dazu, dass die Arme
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und Hände leicht, aber zugleich koordiniert und im angemessenen Rhythmus schwangen. Mit der Negation it’s not a zombie-walk und dem Bezug auf Zombies, derer Koordination stark eingeschränkt ist, betont der Tanzlehrer die Natürlichkeit der Bewegung in der vorgeschlagenen Sequenz des zeitgenössischen Tanzes (vgl. Pe˛dzisz 2020a: 230). Die Reaktion der Tanzlernenden auf die Aussage des Tanzlehrenden umfasst deswegen zwei Dimensionen: a. Korrektur der Bewegung und Änderung der Bewegungsqualität und b. Lachen als Ausdruck des Spaß-Verstehens. Hervorhebung verdient die Tatsache, dass die Tanzlernenden ohne Probleme den intendierten Sinn der Aussage erschließen, denn der Tanzlehrende bezieht sich auf gemeinsames, geteiltes Wissen (vgl. Kotthoff 1998: 253) um die Figur eines Zombies und seiner Bewegungen sowie um das Ziel des Tanzunterrichts, an Bewegungsqualitäten in einer bestimmten Tanzsequenz zu feilen. Die zitierte Aussage des Tanzlehrenden soll als Inspiration für die im Folgenden präsentierten Ausführungen dienen, die den Fokus auf die Ausdrucksund Erscheinungsformen des Humors im Tanzunterricht richten. Das gemeinsame Lachen der Tanzlernenden als Ausdruck des Spaß-Verstehens wird zum Auswahlkriterium für die in der anstehenden Fallanalyse angeführten Beispiele. Demzufolge liegt der Schwerpunkt der hier dargestellten Überlegungen im Versuch, die Scherzaktivitäten der zeitgenössischen TänzerInnen im Tanzunterricht zu kennzeichnen. Im Weiteren werden deswegen die folgenden Forschungsfragen aufgeworfen: 1. Worauf beziehen sich die Scherzaktivitäten der zeitgenössischen TänzerInnen als Tanzlehrenden? 2. Mit welchen verbalen Elementen wird die Scherzaktivität zum Ausdruck gebracht? 3. Welche Funktion haben die im Tanzunterricht eingesetzten Scherzaktivitäten? 4. Welchen Absichten folgen die zeitgenössischen TänzerInnen als Tanzlehrende, wenn sie sich für die Scherzkommunikation entscheiden? 5. Welche Wissensbestände können nach den Scherzaktivitäten von den Tanzlernenden rekonstruiert werden? 6. Welche Assoziationen können die Scherzaktivitäten der Tanzlehrenden bei den Tanzlernenden hervorgerufen werden?
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Humor in der Versprachlichung der Bewegungsqualitäten im Tanzunterricht
2.
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Zum methodologischen Instrument
Anhand der acht Beispiele werden im Folgenden die Dimensionen der Scherzkommunikation der zeitgenössischen TänzerInnen spezifiziert, die nach Kotthoff 1 in den Analysen der Scherzaktivitäten berücksichtigt werden müssen: 1. das kommunikative Manöver, welches die Teilnehmenden durchführen, indem sie etwas Witziges produzieren (Wortspiel, Gedankenwitz, Anspielung, Aussprache, Grimasse…); 2. die Zielscheibe des Scherzes (ob vorhanden oder nicht und welcher Art); 3. das Thema der Scherzaktivität; 4. mögliche Motive der Humoristen; 5. die Art der Teilnahme am Gespräch im Hinblick auf das Rederecht; 6. die Zusammensetzung der Gruppe. Wie erwähnt, ist die Tatsache nicht ohne Bedeutung, dass beim Scherzen auf geteiltes Wissen Bezug genommen wird2, was zugleich eine Garantie für die Effizienz, das Verständnis und das Wechselspiel des Spaß-Machens und SpaßVerstehens ist. In der Fallanalyse wird es mehrmals darauf eingegangen. Kotthoff 3 unterscheidet folgende Scherzaktivitäten, die sich fast immer überlappen, und bestimmte hybride Formate können entstehen: 1. Wortspiele/Verfremdungen von Konventionen, 2. Witzige Bemerkungen, 3. Absurde Theorien, 4. Anekdoten, 5. Necken, 6. Frotzeln, 7. Pflaumen/Aufziehen/Schmäh, 8. Ironie und Selbstironie, 9. Absurde Phantasien, 10. Konversationelle Grotesken, 11. Konversationelle Karikaturen, 12. Konversationelle Parodien, 13. Narrative Witze, 14. Rätselwitze, 15. Sarkastische Aktivitäten, 1 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 15. 12. 2020], S. 5. 2 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 15. 12. 2020], S. 5. 3 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 15. 12. 2020], S. 5f.
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Scherze auf eigene Kosten, Sexuelles Witzeln, Sich-Mokieren, Spaßige Aufwertungen von Nichtigem und Banalem, Spaßige Anspielungen, Spaßiger Rollentausch, Spaßige Schilderungen, Spott, Verulken/Veräppeln, Verwischungen von Medien- und Realwelt, Schwarzer Humor, Blödeln, Running Gag, Lächerlich machen/Verarschen, Nonverbale Komik, zum Beispiel Grimassen.
Mit dieser Typologie lassen sich die Scherzaktivitäten der zeitgenössischen TänzerInnen identifizieren und es lassen sich ihre Struktur, ihr Inhalt und die Funktion erkennen. Bezüglich der Unterscheidung zwischen Frotzeln und Aufziehen greift Kotthoff (ebd: 81) auf andere Kategorien wie HÄNSELN, NECKEN, SICH LUSTIG MACHEN, (VER)SPOTTEN; STICHELN zurück, um die Hybridisierung der genannten Scherzaktivitäten hervorzuheben. Sie umfassen spielerische Attacken und Provokationen. Allerdings wird auf die Varianten ihrer Bedeutung in der Fachliteratur und in den Wörterbüchern nicht eingegangen. Kotthoff (ebd.) verweist auf sie und stellt fest: Während »Necken« prinzipiell eher als »harmlos, scherzhaft« eingeordnet wird, sind »Hänseln« und »Sticheln« weniger harmlose Aktivitäten. Bei »Sticheln« kommt der Aspekt »wiederholter Handlungen« hinzu; darüberhinaus unterscheidet es sich von »Necken«, »Frotzeln« und »Hänseln« dadurch, daß es nicht notwendigerweise »ein sich lustig machen« bzw. eine scherzhafte Komponente enthalten muß und eher als die anderen Aktivitäten über »Anspielungen« realisiert werden kann.
Allerdings muss angemerkt werden, dass die Spezifik der kommunikativen Situation Tanzunterricht, während dessen oft sensible Fragen wie die Körperbewegung beim Tanzen, die Möglichkeiten des Körpers in der Realisierung einer Tanzsequenz, Nähe, Distanz und der körperliche Kontakt mit Tanzlehrenden und -lernenden erörtert werden, die Nutzung spielerischer Attacken oder Provokationen ausschließt. Umso interessanter scheint die Frage danach, welche der genannten Scherzaktivitäten realisiert werden, ohne dass Gefahr gelaufen wird, einen der Beteiligten zu kränken.
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Humor in der Versprachlichung der Bewegungsqualitäten im Tanzunterricht
3.
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Teilnehmende Beobachtung als Forschungsmethode
Da die im Folgenden präsentierte Fallanalyse gewählte Aussagen der zeitgenössischen TänzerInnen während des Tanzunterrichts in den Blick nimmt und diese als Scherzaktivitäten der Tanzlehrenden fokussiert, handelt es sich um eine Analyse auf der Mikroebene (vgl. Marotzki 2012: 7). Die daraus resultierende qualitative Herangehensweise sieht die teilnehmende Beobachtung voraus, dank der anhand der verbalen, zum Lachen bringenden Handlungen der zeitgenössischen TänzerInnen in der Rolle der Tanzlehrenden in einer konkreten kommunikativen Situation und einem konkreten kommunikativen Kontext subjektive Erlebnisse, Empfindungen, Wahrnehmungen sowohl der Tanzlehrenden als auch der Tanzlernenden erfasst werden können. Die Forschung der kleinen Zahlen (vgl. ebd.) ermöglicht es demnach, die zeitgenössischen TänzerInnen als eine Gemeinschaft der Individuen anzusehen und den Verlauf der Sinnerzeugungsprozesse in der Gemeinschaft zu beleuchten. Die Verfasserin entschied sich für die teilnehmende Beobachtung und übernahm selber die Rolle einer Tanzlernenden, um die zeitgenössischen TänzerInnen in ihrem natürlichen Umfeld, im Tanzsaal während der Tanzworkshops zu erleben und wirken zu sehen. Um das Risiko des Hawthorn-Effekts4 zu vermeiden, wurde die teilnehmende Beobachtung verdeckt durchgeführt. Friebertshäuser (1997: 521) stellt fest, dass es von Vorteil ist. Die forschende Person wird in ihrer Rolle nicht wahrgenommen. Allerdings realisiert er seine Forschungsziele und agiert wie »ein Teil des Feldes«. Die teilnehmende Beobachtung setzt ein ständiges Wechselspiel der Teilnahme, der damit zusammenhängenden Nähe sowie der Distanz voraus, die durch die Beobachtung garantiert wird. Deswegen muss eine klare Trennung der Beschreibung der tatsächlichen Beobachtung und seiner Interpretation vorgenommen werden, damit ein möglichst objektives Ergebnis sichergestellt wird. Nach Bohnsack (2010: 131) muss zwar die forschende Person in der Lage sein, die Erlebnisprozesse derjenigen, die der Gegenstand der Forschung sind, erlebnismäßig nachzuvollziehen. Zugleich muss sie im Stande sein, zu objektivieren, um zu begrifflich-theoretischen Explikationen zu gelangen. Zusammengenommen wird damit ermöglicht, Distanz zu halten, über die Funktion der verbalen Handlungen der zeitgenössischen TänzerInnen zu reflektieren und die Motivation sowie ihre Absichten beim Einsatz der inhaltlichen und sprachlichen Elemente des Humors zu rekonstruieren.
4 Der Hawthorn-Effekt zeigt, dass Teilnehmer während der teilnehmenden Beobachtung ihr natürliches Verhalten verändern können, weil sie sich dessen bewusst sind, dass sie beobachtet werden. Online: https://corporatefinanceinstitute.com/resources/careers/soft-skills/hawthor ne-effect/ [Zugriff am 28. 12. 2020].
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Das Beobachtete wurde von der Verfasserin direkt nach dem Tanzunterricht protokolliert. Um die dem Handeln zugrundeliegenden Regeln und Intentionen festzustellen und wiederzugeben, wurde auf zwei grundlegende Fragen eingegangen: Nach welchen verbalen Handlungen der Tanzlehrenden lachen Tanzlernende? Warum lachen Tanzlernende nach bestimmten verbalen Handlungen der Tanzlehrenden? Die Fragen gehen dementsprechend dem »Was« und »Wie« des Humors nach und greifen den Zweck des Humors im Tanzunterricht auf.
4.
Fallanalyse
Die folgenden Beispiele gelten als Exemplifizierung des Humors, der verbal während des Tanzunterrichts zum Ausdruck gebracht wird. Hervorhebung verdient die Tatsache, dass der Humor kontextspezifisch und situationsbedingt ist. Das hat zur Folge, dass die sprachliche Dimension des Humors sowie seine inhaltlichen Elemente aus den kommunikativen Bedürfnissen resultieren und auf konkrete Adressaten – Tanzlernende – zugeschnitten werden, die sich in einem bestimmten Moment des Tanzunterrichtes befinden und konkrete Aufgaben zu realisieren haben. Zur Anonymisierung von personenbezogenen Daten (z. B. Vor- oder Nachnamen der Tanzlehrenden und -lernenden) werden die Abkürzungen Tlehr1, Tlehr2 und Tlehr3 für Tanzlehrende und Tlern für Tanzlernende verwendet. Beispiel Nr. 1 Tlehr1: catch yourself, ok! It’s not like Giselle, ok? It’s a different story. But like really be strong!
Tlehr1 bezieht sich eindeutig auf das romantische Ballett »Giselle«. Mit der Aussage It’s not like Giselle verweist Tlehr1 darauf, dass die Arme in der beigebrachten Tanzsequenz eine entscheidende Bewegung machen (But like really be strong). Demzufolge nimmt Tlehr1 Bezug auf die Probleme mit der Qualität der Bewegung, nämlich Stärke, Richtung und Reichweite der Bewegung der Hände. Die Tlern sollen sich entschieden umarmen, im Gegensatz zu den Ballett-TänzerInnen, die die Giselle-Rolle übernehmen und nicht selten mit den leicht gerundeten, vor der Brust gekreuzten bzw. verschränkten Armen und lockeren, eng aneinander liegenden Fingern dargestellt werden. Es ist anzunehmen, dass die Assoziationen, die die gekreuzten Arme der Giselle-Figur hervorrufen, die Tlern zum Lachen bringen. Der zeitgenössische Tanz wird als Gegenströmung zum klassischen Ballett betrachtet. Vorgeschriebene Positionen und standardisierte Bewegungsabläufe fungieren nicht als Modi, mittels derer das Lyrische und Romantische zum Ausdruck gebracht werden. Im zeitgenössischen Tanz wird das Künstliche zugunsten der Natürlichkeit der Bewegungen vermieden. Vor
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diesem Hintergrund kann die sprachliche Handlung von Tlehr1 als eine spaßige Anspielung betrachtet werden. Beispiel Nr. 2 Tlehr1: Najwaz˙niejsze sa˛ re˛ce, tu jest mnóstwo ra˛k i jak to skopiecie, to be˛dzie włas´nie wszystko wygla˛dac´ jak sianokosy, ok? dt. Am wichtigsten sind Hände, hier ist eine Menge von Händen und wenn ihr es vermasselt, dann wird alles wie Heuernte aussehen, O.K.? [Übersetzung der Autorin5]
Tlehr1 nennt mehrmals den Körperteil, der in der beigebrachten Tanzsequenz aktiviert werden muss (Hände). Die Tlern müssen ihre Hände auf eine entsprechende Art und Weise formen und die Bewegung mit den Händen soll eine konkrete Reichweite, Spannung, Tempo und Höhe haben. Sonst sieht die Bewegung so aus, als ob die Tlern mit der Sense mähten. Der Vergleich der Bewegung zur Heuernte begleitet die nonverbalen Handlungen von Tlerh1, d. h. die Armbewegungen, mit denen Tlehr1 Heuernte visualisiert. Sie werden als Kontrast zu der in der Tanzsequenz vorgeschlagenen Armbewegung vorgeführt, die auf einer bestimmten Höhe, mit entsprechender Spannung und in einem größeren Tempo realisiert wird. Im Beispiel Nr. 2 ist eine der Arten des Humors mit Biss zu erkennen – Frotzeleien6. In Anlehnung an Günthner (1996) weist Kotthoff 7 darauf hin, dass Frotzeleien »scherzhaft [provozieren] und mit Ironie, Übertreibung und provokanten Fiktionalisierungen [arbeiten].« Hervorhebung verdient hier die Tatsache, dass sich die Gefrotzelten in den spaßigen Rahmen positionieren und auch an der Frotzelei teilnehmen können. Das angeführte Beispiel Nr. 2 ist der Fall, in dem die Tlern den Unterschied zwischen den Qualitäten der von Tlehr1 vorgeführten Armbewegungen sehen und sofort verstehen, dass ihre Armbewegungen nicht selten wie beim Heuernten aussehen. Beispiel Nr. 3 Tlehr2: Wie˛c pomys´lcie, z˙e teraz w ten odcinek piersiowy kre˛gosłupa wpuszczacie oliwe˛. I ona sie˛ tam mie˛toli. dt. Denk daran, dass ihr jetzt in diese Brustwirbel Öl hineinlasst. Und es zerknautscht (sich) dort. [Übersetzung der Autorin]
Tlehr2 kreiert das Bild des Öls, dank dessen die Bewegung fließend ist, ununterbrochen und ohne Spannungen verläuft. Mit der Aussage Denk daran, dass ihr jetzt in diese Brustwirbel Öl hineinlasst werden die Klarheit der Bewegung 5 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Beispielaussagen wortgetreu von der Autorin des vorliegenden Beitrags übersetzt werden, um die inhaltliche und sprachliche Spezifik des Humors im Tanzunterricht wiederzugeben. 6 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 28. 12. 2020], S. 9. 7 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 28. 12. 2020], S. 9.
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(hineinlassen) und der Fokus in der Bewegung (die Brustwirbel) hervorgehoben. Mit dem Verb zerknautschen bestimmt Tlehr2 ihre Intensität. Mit dem umgangssprachlichen Gebrauch dieses Verbs, der ein Lachen hervorruft, wird eine neue Eigenschaft von Öl visualisiert, das in Wirklichkeit nicht existiert. Es wird als ein Stoff betrachtet, dessen Zustand durch die Aktivität der Muskeln um die Brustwirbelsäule variiert wird. Diese spaßige Schilderung stärkt ohne Zweifel die Vorstellung einer Qualität der Brustbewegung, die im Kontakt mit der dickflüssigen, ein bisschen fettigen Substanz erreicht werden kann. Zusätzlich wird mit dem Verb zerknautschen implizit auf das Werkzeug/Instrument verwiesen (die Brustwirbel), das diese Bewegungsqualität bewirkt. Eine gewisse Lässigkeit der verbalen Handlungen des Tlehr2, die durch den umgangssprachlichen Gebrauch des Verbs entsteht, beeinflusst zugleich die Leichtigkeit und Ungezwungenheit der von den Tlern vorgeführten Bewegungen. Beispiel Nr. 4 Tlehr2: S´wiadomie z ciekawos´cia˛ wysyłacie oliwe˛ w stawy biodrowe i kombinujecie, co jestes´cie w stanie z nimi pobajerzyc´. Super. dt. Bewusst mit Neugier schickt ihr das Öl in die Hüftgelenke und ihr tüftelt aus, was ihr damit anstellen könnt. Klasse! [Übersetzung der Autorin]
Mit der im Beispiel Nr. 4 kreierten Vorstellung des Öls in den Hüftgelenken verweist Tlehr2 auf die Aktivierung eines konkreten Körperteils, der eine bestimmte Qualität der Bewegung erlangen sollte. Wie im Beispiel Nr. 3 handelt es sich um die fließende, entspannte, reibungslose Bewegung. Die umgangssprachliche Aussage ihr tüftelt aus, was ihr damit anstellen könnt soll eine gewisse Nähe zu dem eigenen Körper schaffen. Die Tlern sollten ihren Körper als einen Partner betrachten, mit dem sie kommunizieren. Sie bauen eine Beziehung auf, die auf gegenseitigem Zuhören beruht. Das Interagieren mit den Hüften gilt als Personifizierung dieses Körperteils, woraus sich eine erneute Wahrnehmung des Körpers ergeben kann. Hinsichtlich dessen kommen im Beispiel Nr. 4 hybride Formate der Scherzaktivitäten vor, nämlich spaßige Schilderung und spaßiger Rollentausch. Die spaßige Schilderung bezieht sich auf die Personifizierung der Hüften. Der spaßige Rollentausch betrifft hingegen die Tatsache, dass die Tlern mit den Hüften wie mit alten Bekannten etwas anstellen sollen. Das mit Humor geschaffene Bild des Körpers, mit dessen einzelnen Elementen (Händen, Kopf, Armen, Beinen, Füßen, Fingern, Zehen, Hüften, Hals etc.) die Tlern befreundet sind, sie gut verstehen und hören, greift auf die Vorstellung des Körpers der zeitgenössischen TänzerInnen zurück, die ihn schätzen, dessen bewusst sind und ihm vertrauen. Beispiel Nr. 5 Tlehr2: wychodz´cie z osi symetrii, jakbys´cie chcieli, zobaczcie, sikna˛´c tu, do podłogi. I to was wywala (Tlehr2 robi off balance). Zobaczcie róz˙nice˛. Popatrzcie zanim zrobicie, bo
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wszyscy be˛dziemy robic´ razem. Sikam tu. Jak chce˛ sikna˛c´ tam, no to tyle, ale to mnie nie wywali z osi symetrii. Rozumiecie? Tam sikna˛łem, tu chce˛ sikna˛´c. dt. Ihr geht aus der Symmetrieachse heraus, guck mal, als ob der Kopf hier tröpfeln würde8, zum Boden. Und so fallt ihr um (Tlehr2 macht die off balance-Position). Der Kopf tröpfelt hier. Wenn der Kopf dort tröpfeln will, halte ich die Symmetrieachse nicht. Versteht ihr? Der Kopf ist dort getröpfelt, hier möchte der Kopf tröpfeln. [Übersetzung der Autorin]
Die evozierte Vorstellung des Tröpfelns sollte helfen eine konkrete Bewegung mit dem Kopf zu machen. Tlehr2 will demnach den konkreten Körperteil aktivieren, die Richtung und die Reichweite der Kopfbewegung veranschaulichen. Die Tatsache, dass wegen der off balance-Position die Symmetrieachse nicht gehalten wird, resultiert eben aus der Bewegung des Kopfes. Die Vorstellung des tröpfelnden Kopfes wird als eine ungewöhnliche Tätigkeit verstanden. Sie ist offenbar wirklichkeitsfern – gerade weil sie zur Visualisierung einer seltsamen Situation führt, die verkörpert werden soll. Anhand des sprachlich kreierten Bildes greifen die Tlern auf ähnliche Erfahrungen und Wissensbestände zurück. Sowohl das vorgestellte Bild des tröpfelnden Kopfes als auch die reale physische Realisierung dieser Tätigkeit führt den Tlern unkonventionelle Körper- und Bewegungskonzepte vor Augen, auf die im zeitgenössischen Tanz nicht selten eingegangen wird. In diesem Fall handelt es sich um die Erkennung der dynamischen Zusammenhänge zwischen Körper, Bewusstsein und Gedanken und ihre Verkörperung. Der Tlehr2 nimmt demnach Bezug auf Body-Mind Centering®. Beispiel Nr. 6 Tlehr2: Super. Sikamy teraz do przodu, jakbys´my chcieli sikna˛c´ w róg mie˛dzy podłoga˛ a ´sciana˛. Uwaga. Sik sie˛ odbywa. dt. Prima. Der Kopf tröpfelt nach vorne. Achtung! Das Tröpfeln findet statt. [Übersetzung der Autorin]
Mit der Aussage Der Kopf tröpfelt nach vorne deutet Tlehr2 auf die Richtung, die Reichweite und den Fokus der Bewegung hin. Mit dem Verb stattfinden und dem Ausruf Achtung! wird das Tröpfeln als das Geplante, Veranstaltete dargestellt, was das Komische und das Humoristische hervorhebt. Eine spaßige Schilderung als eine Scherzaktivität, auf die Tlehr2 in den Beispielen Nr. 5 und 6 zurückgreift, setzt das Spaß-Machen und das Spaß-Verstehen in Relation. Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Assoziationen, Wissensbestände, Kreativität und Phantasie (Kotthoff 1998) verläuft demnach eine gelungene Scherzkommunikation zwischen Tlehr2 und den Tanzlernenden.
8 Zwecks der Kontextualisierung und des besseren Verständnisses der Aussagen von Tlehr2 wird im Falle der Übersetzung der Beispiele Nr. 5 und 6 die Veränderung der propositionalen und stilistischen Bedeutung vorgenommen.
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Beispiel Nr. 7 Tlehr3: Zwróc´ uwage˛, czy twój wzrok jest z˙ywy. Czy nie jestes´ zombi. Innymi słowy zauwaz˙aj to, na co patrza˛ twoje oczy. S´wiadomie. dt. Merke, ob Du einen lebendigen Blick hast, ob Du nicht Zombie bist. Anders gesagt, pass darauf auf, was deine Augen angucken. Bewusst. [Übersetzung der Autorin]
Tlehr3 vergleicht der während der Bewegung entstehende leere Blick mit dem Blick von Zombies. Tlehr3 lenkt darauf die Aufmerksamkeit, dass die Wahrnehmung des Körpers, des Raumes und anderer Tanzlernender mit den Augen elementar in der von ihm vorgeschlagenen Tanzübung ist. Demzufolge tritt die bewusste Nutzung aller Sinne, u. a. auch die Nutzung des Blickes, im zeitgenössischen Tanz in den Vordergrund. Mittels des schwarzen Humors betont der Tlehr3 die Eigenschaften von Zombies als zum Leben erweckte Tote, die mit Horrorfilmen assoziiert werden. Sie sind willenlos, abstoßend und alle haben Angst vor denen. Angemerkt sei, dass das Wort Zombie auch umgangssprachlich verwendet werden kann und damit ein inaktiver und unselbständiger Mensch bezeichnet wird. Mit dieser Scherzaktivität bezieht sich der Tlehr3 höchstwahrscheinlich auch auf ein neutrales bzw. ausdrucksloses Gesicht, das konventionell geschulte TänzerInnen im westlichen zeitgenössischen Tanz auf der Bühne tragen (Lehmann 2010: 574), das aber inzwischen in Frage gestellt wird, weil in vielen Strömungen des zeitgenössischen Tanzes die Führung des Blickes bedeutungskonstruierend ist und die (Bewegungs-)Intentionen spezifiziert. Beispiel Nr. 8 Tlehr3: Wyjdz´ wyz˙ej. Rusz w przestrzen´. Nie siedz´ w swoim ogródku. Tu marchewka, tam szczypiorek. Poznaj inne ogródki. dt. Noch höher! Beweg dich in den Raum/ Geh in den Raum. Sitz nicht in deinem Gärtchen! Hier Möhrchen, dort Schnittlauch. Lerne andere Gärtchen kennen! [Übersetzung der Autorin]
Tlehr3 bezieht sich auf die Qualität der Bewegung und betont mit der Aussage Noch höher! Beweg dich in den Raum die Reichweite der Bewegung. Die Tlern sollen sich durch den Raum bewegen, um ihn als eine Ganzheit mit allen Sinnen wahrzunehmen und zu erleben. Der Vergleich der sparsamen Bewegungen der Tlern im Raum mit dem Handeln im eigenen Garten und der Aufruf Lerne andere Gärtchen kennen gilt als eine metaphorisch ausgedrückte Ermutigung, mehr Raum bei der Bewegung zu nutzen. Mit der Verwendung von Verkleinerungsformen wie Gärtchen oder Möhrchen wird noch eine zu kleine Reichweite der Bewegungen von Tlern hervorgehoben. Auch im angeführten Beispiel Nr. 8 ist ein hybrides Format einer Scherzaktivität zu erkennen. Das Wort Schnittlauch, sowie die Verkleinerungsformen Gärtchen und Möhrchen machen die spaßige Schilderung eines Bildes der Tlern
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aus, die sich in ihrem geläufigen und vertrauten, aber deswegen auch langweiligen Garten befinden. Die spaßige Anspielung bezieht sich dagegen auf die Verhaltensweise der Tlern. Tlehr3 deutet an, dass die Tlern spießig sind, sich auf die nächste Umgebung beschränken, andere nicht kennen lernen wollen und beschränkte Horizonte sowie Perspektiven haben. Mit der metaphorisch ausgedrückten Anspielung will Tlehr3 den Mangel an Aufgeschlossenheit der Tlern bezüglich der Raumbewegung betonen. Allerdings wird das negative Bild der Tlern, das mit der Anspielung kreiert wird, dank der genutzten sprachlichen Elemente wie Diminutivformen der Wörter Garten und Möhre geschwächt.
5.
Abschließende Bemerkungen
Wie Kotthoff bemerkt, sind Humor, Witz und Gelächter soziale Phänomene.9 Coser (1960/1988) weist hingegen auf ihre Funktion hin und stellt fest, dass die Situationskontrolle denen gehört, die witzig sind und andere zum Lachen bringen. Die Formulierung der witzigen Bemerkungen kann zum Umdefinieren einer Gesamtszene führen (vgl. ebd.). Die Analyse der hier angeführten acht Bespiele bestätigt ohne Zweifel diese Thesen. Es steht außer Zweifel, dass die in der Fallanalyse erkannten Formen von Scherz wie spaßige Schilderungen (Beispiel Nr. 3, 4, 5, 6, 8), spaßige Anspielungen (Beispiel Nr. 1 und 8), spaßiger Rollentausch (Beispiel Nr. 4), Humor mit Biss – Frotzelei (Beispiel Nr. 2), schwarzer Humor (Beispiel Nr. 7) von der sozialen Einflussnahme der Tlehr 1, 2 und 3 zeugen. Die identifizierten Scherzaktivitäten haben zum Ziel, die Rangordnung in der kommunikativen Situation Tanzunterricht zu bestätigen und gelten nicht zuletzt als Ausdruck der Hierarchie, die zwischen Tanzlehrenden und Tanzlernenden herrscht. Alle Formen von Scherz betreffen die Qualität der vorgeführten Bewegungen, die zugleich als Zielscheibe verstanden werden. Tanzlehrende positionieren sich dadurch als Personen, die über angemessene Kompetenzen und eine erforderliche Autorität verfügen, um die Mängel an Qualität einer Bewegung zu bemerken und sie zu korrigieren. Selbst die Lernsituation fördert die Rollenzuweisung und die damit zusammenhängende soziale Ordnung. Zugleich muss betont werden, dass die überwiegende Zahl der spaßigen Schilderungen in den angeführten Beispielen nicht zufällig ist. Die körperliche Visualisierung bzw. Illustrierung einer merkwürdigen, seltsamen Situation mit ihrem sprachlich kreierten Bild beeinflusst die Vorstellungskraft der Tanzlernenden, was zur Folge hat, dass die beschriebene Bewegung der Tanzlernenden 9 https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 28. 12. 2020], S. 19.
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Joanna Pe‚dzisz
nicht nachgeahmt, sondern zuerst aufgespürt und danach vorgeführt wird. Diese Vorgehensweise greift darauf zurück, dass im zeitgenössischen Tanz die künstlerisch gegebene Form der Nachahmung nicht selten in Frage gestellt wird und Bewegungen oder Bewegungssequenzen auf Grund der Vorstellungen über konkrete Situationen, (emotionale) Zustände oder physische Tätigkeit entstehen. Deshalb werden so oft im zeitgenössischen Tanz, Isadora Duncan zufolge, die Natürlichkeit der Bewegung10, natürlicher Ausdruck, Orientierung am Atemrhythmus, die innere Hingabe, Bewegungsschwung sowie die Arbeit mit der Erdanziehungskraft hervorgehoben (vgl. Evert 2003: 8). Angesichts dessen fördern die spaßigen Schilderungen die Entwicklung des Körperbewusstseins und das Verständnis einer Bewegung und ihrer Qualität, die mit allen Sinnen – also synästhetisch – wahrgenommen werden. Die zitierten Aussagen der Tlehr1, 2 und 3 sind als Anweisungen zu verstehen, die formale und hierarchische Ordnungen implizieren. Die scherzhafte Modalisierung dieser Anweisungen führt zum Umdefinieren und einer temporären Umkehr dieser Ordnungen. Die Tanzlehrenden greifen absichtlich auf eine solche Modalisierung zurück, um die Einstellung der Tanzlehrenden zur Lernsituation, zum Lernprozess und zu Tanzlernenden zu manifestieren. Sie ergibt sich aus dem Profil des Tanzunterrichtes. TänzerInnen als Tanzlehrende steuern und kontrollieren den Tanzlernprozess. Sie führen in die Thematik, Funktion und Ziele des Tanzunterrichts ein, stehen im Zentrum des Interesses, lenken die Aufmerksamkeit auf sich, beobachten die Tanzlernenden, erklären und schildern Körperbewegungskonzepte und -techniken des zeitgenössischen Tanzes, was im Übrigen den Vermittlungsformen des Frontalunterrichts ähnelt (vgl. Pe˛dzisz 2020b: 419). Tanzlehrende vermitteln aber ihr emotionales Engagement und versuchen Tanzlernenden individuelle Bewegungskonzepte beizubringen, die im Prozess der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Tanzstilen und Tanzschulen entwickelt, als Reaktion auf die Umwelt und die gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden werden oder sich aus den subjektiven Erlebnissen der TänzerInnen ergeben (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund bleibt der Tanzunterricht eine offene Form und Tanzlernende entscheiden selbst, ob sie auf die vorgeschlagenen Tanzkonzepte eingehen (vgl. Pe˛dzisz 2020b: 420). Scherzaktivitäten der Tanzlehrenden helfen mit dabei. Sie werden zu einem Format der Kommunikation im Tanzsaal, das als Förderfaktor für die (nötige) Modifizierung der Körperbewegungen, für Korrektur ihrer Qualitäten betrachtet werden kann und im Dienste der (körperlichen) Entspannung eingesetzt wird, um dem chi-
10 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Natürlichkeit im zeitgenössischen Tanz präsentiert Stefan Apostolou-Hölscher in seinem Band Vermögende Körper. Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik und Biopolitik aus dem Jahre 2015.
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nesischen Sprichwort Folge zu leisten: »Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne.«
Bibliografie Apostolou-Hölscher, Stefan (2015): Vermögende Körper. Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik und Biopolitik. Bielefeld: transcript. Bohnsack, Ralf / Nentwig-Gesemann, Iris (2010): Dokumentarische Evaluationsforschung. Theoretische Grundlagen und Beispiele aus der Praxis. Opladen: Verlag Barbara Budrich. https://corporatefinanceinstitute.com/resources/careers/soft-skills/hawthorne-effect/ [Zugriff am 28. 12. 2020]. Coser, Rose (1960/1996): Lachen in der Fakultät. In: Kotthoff, Helga (Hrsg.): Das Gelächter der Geschlechter. Humor und Macht in Gesprächen von Frauen und Männern. Konstanz: Universitätsverlag, S. 97–121. Evert, Kerstin (2003): DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien. Würzburg: Königshausen & Neumann GmbH. Friebertshäuser, Barbara (1997): Feldforschung und teilnehmende Beobachtung. In: Friebertshäuser, Barbara / Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim, München: Juventa Verlag, S. 503– 534. Günthner, Susanne (2006): Zwischen Scherz und Schmerz – Frotzelaktivitäten in Alltagsinteraktionen. In: Kotthoff, Helga (Hrsg.): Scherzkommunikation. Beiträge aus der empirischen Gesprächsforschung. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung, S. 81–107. Kotthoff, Helga (1998): Spaß Verstehen. Zur Pragmatik von konversationellem Humor. Tübingen: Niemeyer. Kotthoff, Helga: Lachkulturen heute. Humor in Gesprächen. https://hdms.bsz-bw.de/front door/deliver/index/docId/302/file/Humor3.pdf [Zugriff am 28. 12. 2020]. Lehmann, Nicole Manon (2010): Sama und die ›Schönheit‹ im Kathak. Nordindischer Tanz und seine ihn konstituierende Konzepte am Beispiel der Lucknow-ghara¯na¯. Berlin: LIT VERLAG Dr. W. Hopf. Marotzki, Winfried (2012): Einführung in qualitative Forschungsmethoden der Erziehungswissenschaft. Manuskript zur Vorlesung (Stand Juni 2012). Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg. Online: http://www.uni-magdeburg.de/iniew/files/u4/M-Manu skript.pdf [Zugriff am 20. 12. 2020]. Pe˛dzisz, Joanna (2020a): Zu Manifestationsformen von Emotionen der zeitgenössischen TänzerInnen. In: Linguistische Treffen in Wrocław, Vol. 17, 2020(1), S. 223–236. Pe˛dzisz, Joanna (2020b): »I want to see a big big? movement!« Zur Verbalisierung der Körper- und Bewegungskonzepte im Diskurs der zeitgenössischen TänzerInnen. In: Buk, Agnieszka / Hanus, Anna / Mac, Agnieszka / Miller, Dorota / Smykała, Marta / Szwed, Iwona (Hrsg.): Tekst. Dyskurs. Komunikacja. Podejs´cia teoretyczne, analityczne i kontrastywne. Text. Diskurs. Kommunikation. Theoretische, analytische und kontrastive Ansätze. Rzeszów: Wydawnictwo Uniwersytetu Rzeszowskiego, S. 417–427.
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Autorinnen und Autoren des Bandes
Sylwia Adamczak-Krysztofowicz, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan´, am Institut für Angewandte Linguistik, Lehrstuhl für Glottodidaktik und Untersuchungen zur Interkulturalität. Forschungsschwerpunkte: Fremdsprachendidaktik mit Schwerpunkt auf interkulturelles Lernen, interkulturelle Kommunikation, Aspekte der Hassrede, Begegnungspädagogik, integrative Hörverstehensentwicklung und neue Medien. Paweł Ba˛k, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Rzeszów (Polen). Forschungsschwerpunkte: Allgemeine und Kontrastive Linguistik, Linguistische Diskursanalyse, Translationswissenschaft, Schnittstelle Pragmalinguistik-Semantik, Relation Sprachsystem vs. Sprachgebrauch (Lakonik, Redundanz, Pleonasmus und Tautologie), Denken – Sprache – Sprachliches Handeln (v. a. Metapher und Euphemismus). Waldemar Czachur, Prof. Dr. habil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik an der Universität Warschau. Forschungsschwerpunkte: kontrastive Textlinguistik, kontrastive Diskurslinguistik, Semantik, linguistische Erinnerungsforschung, kollektives Gedächtnis und die Geschichte der deutschpolnischen Beziehungen. Anna Dargiewicz, Univ.-Prof. Dr. habil., Leiterin des Lehrstuhls für Deutsche Sprache an der Warmia und Mazury-Universität in Olsztyn (Polen). Sie studierte Germanistik an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, promovierte und habilitierte an der Warmia und Mazury-Universität in Olsztyn. Forschungsschwerpunkte: Syntax der deutschen Gegenwartssprache, Valenztheorie, Morphologie, Wortbildung, Fremdwortbildung, Hybridwortbildung, Semantik, Translatorik sowie kontrastive Linguistik.
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Autorinnen und Autoren des Bandes
Jarochna Da˛browska-Burkhardt, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zielona Góra. Forschungsschwerpunkte: Diskursanalyse, Politolinguistik, interkulturelle Kommunikation, Stereotypenforschung, Kulturlinguistik, Medienkommunikation und historische Soziolinguistik mit Fokus auf Analysen frühneuzeitlicher Städtechroniken und Stammbücher, Untersuchung verschiedener Aspekte der sprachlichen Kommunikation, die ethnisch, territorial und sozial determiniert sind. Anna Hanus, Univ.-Prof. Dr. habil., Professorin am Institut für Neophilologie der Universität Rzeszów (Polen); Leiterin des Lehrstuhls für Medienlinguistik; Mitbegründerin und Mitarbeiterin der Forschungs- und Bildungsstelle »Text – Diskurs – Kommunikation«; Redaktionsmitglied der Zeitschrift tekst i dyskurs – text und diskurs. Forschungsschwerpunkte: Medienlinguistik, Text- und Diskurslinguistik, Textsortenlinguistik, Kontrastive Textlinguistik, interkulturelle Kommunikation. Mariusz Jakosz, Univ.-Prof. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sprachwissenschaft (Fachrichtung: Germanische Philologie) an der Schlesischen Universität Katowice. Forschungsschwerpunkte: Bewerten, Stereotype und Vorurteile in der deutsch-polnischen Wahrnehmung, Politolinguistik, Phraseologie und frühes Fremdsprachenlernen. Dominika Janus, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Gdan´sk. Forschungsschwerpunkte: Textsortenlinguistik Phraseologie, Phraseograhie und Phraseodidaktik, Thanatologie. Marcelina Kałasznik, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanische Philologie der Universität Wrocław. Magisterstudium der Germanistik an der Universität Wrocław (2009–2011) und der Hochschule Zittau/Görlitz (2011–2012). Mai 2016 Doktorgrad im Bereich der Sprachwissenschaft an der Universität Wrocław aufgrund der Dissertation unter dem Titel »Das Wortfeld ›Bezeichnungen für bekannte Persönlichkeiten‹ im Fokus der linguistischen Forschung. Eine kontrastive deutsch-polnische Studie«. Forschungsschwerpunkte: Lexikologie, Wortbildung, Syntax, Übersetzen von Fachtexten. Artur Dariusz Kubacki, Univ.-Prof. Dr. habil., Professor am Neuphilologischen Institut, Abteilung Germanische Philologie der Pädagogischen Universität Krakau; seit 2014 Leiter des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft; staatlich vereidigter Übersetzer / Dolmetscher für Deutsch und Polnisch; Experte des polnischen Ministeriums für Nationale Bildung für den Berufsaufstieg von Fremdsprachenlehrern/Innen und für die Begutachtung von Lehrwerken für den
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Autorinnen und Autoren des Bandes
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DaF-Unterricht; Mitglied der Disziplinarkommission sowie des Staatlichen Prüfungsausschusses für vereidigte Übersetzer/Dolmetscher beim polnischen Justizministerium. (Mit-)Autor bzw. (Mit-)Herausgeber von 20 Büchern und mehr als 120 Aufsätzen und Rezensionen im Bereich Fachübersetzen/Fachdolmetschen und seine Didaktik unter besonderer Berücksichtigung der Übersetzung von Terminologie auf dem Gebiet Recht und Wirtschaft. Forschungsschwerpunkte: Translo- und Glottodidaktik, forensische Linguistik, Lapsologie. Krystyna Mihułka, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Rzeszów, am Institut für Germanistik, Lehrstuhl für Glottodidaktik und Interkulturelle Kommunikation, Forschungsschwerpunkte: Glottodidaktik, interkulturelles Lernen, interkulturelle Kommunikation, deutsch-polnische Beziehungen nach dem Jahr 1989 – gesellschaftliche Perspektive, Stereotype und Vorurteile (vor allem in den DACHL-Ländern und in Polen), Lehrerausbildung. Joanna Pe˛dzisz, Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Neuphilologischen Institut der Maria Curie-Skłodowska-Universität zu Lublin (Lehrstuhl für Angewandte Linguistik), 2007 promoviert, Titel der Dissertation: Provozierter Dissens als Kommunikationsstrategie am Beispiel der Polit-Talkshow von Sabine Christiansen im deutschen Fernsehen, Titel der Habilschrift: Profil des OnlineDiskurses in Blog-Interaktionen an der Schnittstelle zwischen theoretischem Konzept und empirischem Modell (2017). Forschungsschwerpunkte: Text- und Diskurslinguistik (Analyse der multimodalen Online-Diskurse, Diskurs der zeitgenössischen TänzerInnen), Gesprächsanalyse (Strategien der Kommunikation der zeitgenössischen TänzerInnen im Schöpfungsprozess), Didaktik des Simultandolmetschens (Controlling der Entwicklung der translatorischen Kompetenz). Joanna Szcze˛k, Univ.-Prof. Dr. habil., Dozentin am Institut für Germanistik der Universität Wrocław in Polen und Leiterin des Lehrstuhls für Angewandte Linguistik. Sie studierte Germanistik an der Universität Wrocław in Polen (1995– 2000) und promovierte 2004 im Bereich der Sprachwissenschaft. Habilitation 2015 am Institut für Germanistik der Universität Wrocław. Forschungsschwerpunkte: deutsch-polnische Phraseologie, Pragmalinguistik, Textlinguistik, Translatorik, Onomastik sowie Didaktik des DaF. Winfried Ulrich, Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult., Studium der Germanistik und Evangelische Theologie in Hamburg und Tübingen. Tätigkeiten als Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Kiel, als Studienreferendar und Studienassessor im Hamburger Gymnasialdienst, als Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik zuerst an der Pädagogischen Hochschule
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Autorinnen und Autoren des Bandes
Reutlingen, dann an der Pädagogischen Hochschule Kiel, Direktor des Seminars für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel, Direktor des Germanistischen Seminars der Universität Kiel. Prorektor und Rektor der Pädagogischen Hochschule Kiel; Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel, Gastprofessor an der University of Arizona in Tucson, der University of Queensland in Brisbane und der Monash University in Melbourne sowie den Universitäten Yamaguchi, Kagoshima und Hiroshima in Japan. Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universitäten Tallinn/Estland und Szeged/Ungarn. Wissenschaftlicher Leiter der Schleswig-Holsteinischen Universitäts-Gesellschaft. Verleihung der Universitätsmedaille der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschungsschwerpunkte: Didaktik der deutschen Sprache, Semantik, Lexikologie und Wortschatzarbeit, Wortbildung, Sprachwandel, Sprachspielerische Texte, Textsorte Witz. Kai Witzlack-Makarevich, Dr., studierte Slawistik, Politikwissenschaft und angewandte Sprach- und Übersetzungswissenschaft (Russisch/Polnisch) in Leipzig und promovierte im Fach Polonistik in Jena. Er ist DAAD-Lektor an der Schlesischen Universität Katowice. Iwona Wowro, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sprachwissenschaft (Fachrichtung: Germanische Philologie) an der Schlesischen Universität Katowice. Forschungsschwerpunkte: Sprachwissenschaft, Humor, Ironie, Stereotype und Vorurteile sowie allgemeine Probleme der Translation unter besonderer Berücksichtigung der Wiedergabe von humorvollen Äußerungen sowie deren Entstehung und Rezeption. Marta Wójcicka, Univ.-Prof. Dr. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Maria Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, am Institut für soziale und mediale Kommunikation. Forschungsschwerpunkte: Textlinguistik, linguistische Erinnerungsforschung, kollektives Gedächtnis und soziale Kommunikation. Ewa Z˙ebrowska, Prof. Dr. habil., Professorin für germanistische Linguistik an der Universität Warschau, Promotion 2000, Habilitation 2005; Prodekanin für wissenschaftliche Angelegenheiten an der Fakultät Angewandte Linguistik; in den Jahren 2015–2018 Präsidentin des Verbandes Polnischer Germanisten. Forschungsschwerpunkte: Textlinguistik und Medienlinguistik sowie Kommunikation in sozialen Medien.
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