Miltons Urania: Poetik im Spiegel der lesbaren Welten [Reprint 2015 ed.] 9783050071350, 9783050027876

In John Miltons Gedicht "Paradise Lost", dem vielleicht größten und schwierigsten Text der englischen Literatu

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German Pages 301 [304] Year 1997

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Table of contents :
Einleitung
Formen der Übersetzbarkeit: Zum Prozeß der Similisierung und Dissimilisierung
Die Aufgabe des Übersetzers
Milton als Übersetzer
Sprachmetamorphosen
Die Sprache des Sublimen
Das biblische Sublime
Die Ikonoklasmen des Sublimen
Der unaussprechliche Gottesname
Shi’ur Koma – Die mystische Gestalt der Gottheit
Dantes Thronwagen
Macht und Illusion: Der Thronwagen auf der Bühne
Babylonische Einschmelzung
Bruno – Galilei – Milton
John Donnes Melancholie
Milton und Galilei
Quasi tellus altera
Formen der Lesbarkeit
Die Projektion einer neuen Welt
Pluralisierung der Welten
Pluralisierung der Sichtweisen: Kosmoshermeneutik und Multiperspektivität
Jenseits aller Phantasie
But nigh hand seemed other worlds, / Or other worlds they seemed
Destabilisierung der Formen: Idea am Abgrund des Chaos
Dunkle Gegenkräfte?
Idea
Bruno – Spenser: Spensers Idea–Zentren
Spensers Verwandlungsmaschine
Gardin of Adonis
An Huge Eternali Chaos
In the wide womb of the world - Chaosmächte und Materie bei Bruno
Il trapassar del segno
The womb of nature and perhaps her grave
Psyché – Pandora – Sin
A Goddess armed
Eine Schöpfung vor der Schöpfung: Das Wunderbare
Die dialektische Präsenz der Urania: Ein Hauchen auf den Spiegel des Universums
Die Figur gewordene Übersetzbarkeit der Kulturen und Traditionen
Specchio sanza macula de la maestà di Dio – Die Spiegelfigur
Die Paradiesesquelle im Rosenroman
Raison
Beatrice
Dantes Convivio
Der Eine und die Vielen
Omnia uniter und die vielen Namen bei Nikolaus
Similisierung und Figurwerdung bei Apuleius - Dea multinomia & deorum dearumque facies uniformis
Ikonologische Vernetzung, Überlagerung und Wandlung - Brunos Zeus am Götterhimmel der Renaissance
Memory is the world, though not really, yet so as in a looking glass
Manieristische Formen
Optionalität
Indistinct as water is in water– Bilder auf dem Rad der Wandlungen
Black Staid Wisdom's Hue: Miltons Melancholie
Dictamen Rationis: Im Hinblick auf Kant
Schechina
Die Spiegelachse
Die Gestalt in der Maschine
With mighty wings outspread
Ein Hauchen auf dem Spiegel des Universums
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildungen
Personenregister
Sachregister
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Miltons Urania: Poetik im Spiegel der lesbaren Welten [Reprint 2015 ed.]
 9783050071350, 9783050027876

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Martin Windisch Miltons Urania

Martin Windisch

Miltons Urania Poetik im Spiegel der lesbaren Welten

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Einbandgestaltung unter Verwendung von Raffaels »L'Astronomia«, Vatikan, Stanza della Segnatura.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Windisch, Martin: Miltons Urania : Poetik im Spiegel der lesbaren Welten / Martin Windisch. - Berlin : Akad. Verl., 1997 Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1993 I S B N 3-05-002787-8

© Akademie Verlag G m b H , Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen von W I L E Y - V C H . Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm I S O T C 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz und Repro: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: G A M Media G m b H , Berlin Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer« G m b H , Bad Langensalza Einbandgestaltung: Hans Herschelmann Printed in the Federal Republic of Germany

Das Buch lag dem Fachbereich Neuere Philologien der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main im Wintersemester 1992/93 als Dissertation vor. Die Gutachter waren Prof. Dr. Klaus Reichert (Frankfurt), Prof. Dr. Eckhard Lobsien (Frankfurt) und Prof. Dr. Horst Meiler (Heidelberg); der Tag der Disputation war der 9. Juli 1993. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die Ermöglichung der Drucklegung der Schrift durch ihre großzügig gewährte Druckbeihilfe; für einen zusätzlichen Druckkostenzuschuß danke ich dem Verein der Freunde und Förderer der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Dr. Gerd Giesler sage ich meinen herzlichen Dank dafür, daß er die Publikation des Buches im Akademie Verlag möglich gemacht und persönlich mit großem Engagement und Geduld begleitet hat. Über einen langen Weg voller Anregungen, konstruktiver Kritik und Kurskorrekturen hat Klaus Reichert die Arbeit freundschaftlich und geduldig betreut. Was ich ihm verdanke, spürt man hoffentlich auf den folgenden Seiten. Eckhard Lobsien und Horst Meiler waren zur rechten Zeit kritische Leser der Dissertation; Horst Meilers Heidelberger Gastfreundschaft bot wichtige Wegmarken und schärfte meinen Blick für die historischen Desiderate meiner Analyse. Prof. Dr. Peter Wende (Deutsches Historisches Institut London) hätte gerne einen Historiker aus mir gemacht, und ich habe viel bei ihm gelernt, wenn ich auch in manchem unbelehrbar geblieben bin. Prof. Dr. Horst Bredekamp (Berlin) und Prof. Dr. Aleida Assmann (Konstanz) haben das Buch nicht nur auf den Weg zum Verlag gebracht, sondern sie haben mich auch in daraus erwachsenen Folgeprojekten bestärkt und gefördert. Daß sich Aleida Assmanns Perspektive auf Milton von der meinigen grundsätzlich unterscheidet, wirkt sich auf den Konstanzer Gedankenaustausch äußerst produktiv aus. Meinen Eltern und meiner Schwiegermutter verdanke ich sehr viel. Die Widmung des Buches kann nur andeuten, wer immer für mich da war - mia celeste scorta. Und wußten wir einmal beide nicht weiter, und nicht nur dann, haben uns Saskia Helen und Hendrickje Catriona einen Weg gewiesen - e quindi uscimmo a riveder le stelle.

Für Manuela

Inhalt

Einleitung Formen der Ubersetzbarkeit: Zum Prozeß der Similisierung und Dissimilisierung Die Aufgabe des Ubersetzers Milton als Übersetzer Sprachmetamorphosen Die Sprache des Sublimen Das biblische Sublime Die Ikonoklasmen des Sublimen Der unaussprechliche Gottesname Shi'urKoma- Die mystische Gestalt der Gottheit Dantes Thronwagen Macht und Illusion: Der Thronwagen auf der Bühne Babylonische Einschmelzung Bruno - Galilei - Milton John Donnes Melancholie Milton und Galilei Quasi tellus altera Formen der Lesbarkeit Satans Schild: Die Projektion einer neuen Welt Pluralisierung der Welten Pluralisierung der Sichtweisen: Kosmoshermeneutik und Multiperspektivität . . Jenseits aller Phantasie But nigh hand seemed other worlds, / Or other worlds they seemed Destabilisierung der Formen: Idea am Abgrund des Chaos Dunkle Gegenkräfte? Idea Bruno - Spenser: Spensers Idea-Zentren Spensers Verwandlungsmaschine

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15 15 18 23 26 29 32 36 39 42 46 51 55 58 63 65 68 70 73 78 86 89 97 97 99 100 101

Inhalt

8 Gardin of Adonis An Huge Eternali Chaos In the wide womb of the world - Chaosmächte und Materie bei Bruno Il trapassar del segno The womb of nature and perhaps her grave Psyché - Pandora - Sin A Goddess armed Eine Schöpfung vor der Schöpfung: Das Wunderbare

...

Die dialektische Präsenz der Urania: Ein Hauchen auf den Spiegel des Universums Die Figur gewordene Übersetzbarkeit der Kulturen und Traditionen Specchio sanza macula de la maestà di Dio - Die Spiegelfigur Die Paradiesesquelle im Rosenroman Raison Beatrice Dantes Convivio Der Eine und die Vielen Omnia uniter und die vielen Namen bei Nikolaus von Cusa Similisierung und Figurwerdung bei Apuleius Dea multinomia & deorum dearumque facies uniformis Ikonologische Vernetzung, Uberlagerung und Wandlung Brunos Zeus am Götterhimmel der Renaissance Memory is the world, though not really, yet so as in a looking glass Manieristische Formen Optionalität Indistinct as water is in water - Bilder auf dem Rad der Wandlungen Black Staid Wisdom's Hue: Miltons Melancholie Dictamen Rationis: Im Hinblick auf Kant Schechina Die Spiegelachse Die Gestalt in der Maschine With mighty wings outspread Ein Hauchen auf dem Spiegel des Universums

107 110 113 119 122 130 138 147

157 157 165 169 172 177 182 191 191 198

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206 211 217 217 219 221 227 231 231 234 238 241

Literaturverzeichnis

243

Verzeichnis der Abbildungen

263

Abbildungen

265

Personenregister

289

Sachregister

295

Einleitung The task would be infinite, if we could establish no principle

until we had previously

unravelled

the complex texture of every image or description to be found in poets and orators. Edmund Burke

Unter den Formen der Selbstbehauptung, die die Achsenzeit der Frühen Neuzeit hervorgebracht hat, ragt Miltons großes Gedicht Paradise Lost als ein poetisches Kompendium zu den Möglichkeiten der Orientierung von Kunst, Wissenschaft, Religion und Philosophie heraus. In der Konstitution der Sprache und des Figurenapparates genauso wie in der figürlichen Bindung von Selbstbehauptung im vexierenden Denkbild der Musenfigur Urania summiert Milton die relevanten Traditionen und Möglichkeiten der Orientierung in einer sich beschleunigt verändernden Welt. Die dafür erfundene oder die sich im Prozeß dieses Bemühens selbst erfindende Sprache treibt dabei alternative Möglichkeiten der Weltgestaltung hervor. Hierdurch wird Miltons Dichtung relevant nicht nur für die philosophischen, ästhetischen, künstlerischen und dichterischen Traditionen, die von ihr geprägt wurden, sondern sie wird gleichzeitig zu einer Fundgrube für die heute so dringlich im Foucaultschen Sinne zu unternehmende Genealogie der Moderne: Die Anschauungsund Denkmöglichkeiten, die bei Milton im Hinblick auf den Umgang mit dem Fremden, die Spielräume von Toleranz, den Freiheitsbegriff und die Dialektik von Wahrheit ausgefächert werden, weisen über historisch gleichzeitige Entwürfe hinaus. Das Gedicht ist geradezu ein innovativer Sprengsatz, der, einmal gezündet, die Spuren der verschütteten Möglichkeiten und Alternativen der Frühen Neuzeit offenlegt. Nicht zuletzt kommt dabei die Prägekraft der unbegrifflichen, bildhaften Formen des Denkens ans Licht. Kaum treffender als mit einem Worte Walter Benjamins kann die Spannweite dieser Dichtung beschrieben werden: Eine »Syntax uferloser Sätze (der Nil der Sprache, welcher hier befruchtend in die Breiten der Wahrheit hinübertritt)«.1 Dieser Satz ummißt die Intention Miltons, Sprache in Analogie zu der bei Ovid aufgelesenen Fruchtbarkeit des Nils selbsterzeugend zu organisieren, so daß in ihr Wahrheit aufscheint, oder - wenn man es anders wendet - daß sich aus dem Sprachmaterial als einem Ab- und Urgrund der Schöpfung eine Gestalt der Wahrheit erhebt. Bei Milton ist es die Musenfigur Urania, die sich aus der Sprache und dem Figurenapparat als vexierendes Denkbild und als Emblem für den Selbstbehauptungswillen der Frühen Neuzeit herausschält. Einmal auf die Spur gesetzt, erscheint sie am Ende einer Traditionslinie der multiperspektivischen Form ana1 >Zum Bilde Prousts< (1929), Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 310; wörtlich auch in >Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Dichters< (1934), GS, Bd. II, S. 792.

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Einleitung

morphotischer Denkbilder der Selbstbehauptung, die von Shakespeare und Spensers großer Ikone über den mächtigen Leviathan des Thomas Hobbes reicht und noch für die Perspektivität der Leibnizschen Philosophie bestimmend ist. Für Milton ist die Metamorphose der Sprache die entscheidende dichterische Verfahrensweise. Durch den Prozeß der Metamorphose, das - wie Benjamin es genannt hat »Kontinuum von Verwandlungen« 2 erzeugt Milton eine radikal neue Sprache, in der sich bedeutungspotenzierte Einheiten so aneinandergefügt finden, daß der Bedeutungsüberfluß die Sprache zu einer nichtreferentiellen macht. Sie unterläuft beständig die Möglichkeit von Identität mit sich selbst. Durch die Latinisierung des Englischen, durch den übersetzerischen Rückgang auf hebräische Urworte, durch die Verwendung von dem Englischen an sich fremden - harten Fügungen erreicht Milton eine Erweiterung und Vertiefung der Eigensprache: Es ergeben sich ganz neue Gestaltungsformen, die das Englische aus sich heraus nie erreicht hätte. Die in dieser komplexen Sprache akkumulierten Bildvorstellungen überlagern sich in einer Weise der Uberdeterminiertheit und der Multiperspektivität, daß sie sich gegenseitig verdunkeln und negieren, oder - wenn man so will - ikonoklastisch durchgestrichen werden. Bildüberfluß und Übersteuerung führen zum Bildentzug. Ikonoklastisch, in Form einer ikonoklastischen Form der Enthierarchisierung, verfährt Milton auch mit den Gattungsgrenzen: Miltons Gedicht zieht sämtliche Kunstgattungen in den Sog des Formenwandels, wobei neben der epischen Tradition und dem Drama vor allem die Gesamtkunstwerke der höfischen Kultur, die Maskenspiele, zu nennen sind; im gleichen Maße stellt Milton aber auch die Ikonographie der Renaissancemalerei zur Disposition. Das beständige Uberschreiten der Gattungsgrenzen, der Aufbruch der Sprache zu neuen Sprach- und Bildwelten machen das in diesem wie in keinem anderen Gedicht thematisch werdende Ubertreten zum Gestaltungsprinzip des Gedichts selbst. Dem immer wieder dialektisch zu verstehenden Einschmelzungsvorgang, aus dem Miltons Sprache entspringt, unterliegen eine Vielzahl unterschiedlicher Prägekräfte: Das Renaissanceprojekt des Traditionenausgleichs, wofür Ficino, Pico della Mirandola und Bruno stehen, führt Milton zur generellen Ubersetzbarkeit von Kulturen und Traditionen, also zur Transformierbarkeit ganzer Systeme ineinander. Dahinter steht emblematisch das Brunosche Rad der Wandlungen als Inbild für die Metamorphorisierung alles Seienden: Alles durchläuft einmal alle Zustände und Formen. In der Konsequenz des Weltentwurfs der beständigen Entfaltung des Alls in den Emanationsformen des Alleinen liegt die Idee von der Pluralität der Welten und die Unendlichkeitsidee. Diese Brunoschen Prinzipien, zu denen erweiternd der prozessuale Charakter der Lese- und Rezeptionserfahrung von Kunstwerken kommt, sind in Miltons Gedicht allgegenwärtig. Dennoch sind sie von der bisherigen Forschung unberücksichtigt geblieben und im gleichen Maße ist der Einfluß Brunos auch in der Spenserforschung weitgehend übersehen worden. In der Spanne zwischen Spenser und Milton eröffnet sich so für die englische Literatur der Shakespeare- und der Miltonzeit eine neue bruneske Perspektive. 2 >Uber Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen«, GS, Bd. II, S. 151.

Einleitung

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Eng zusammen mit dem Brunoschen Formenwandel, wenn auch kunstgeschichtlich früher und unabhängig von Bruno entstanden, ist als weiteres Vorbild für die Miltonsche Verfahrensweise die manieristische Multiperspektivität von entscheidender Bedeutung. Durch den Wechsel des Blickpunktes und der Perspektive, durch den zwischen den Traditionen fluktuierenden Blick genauso wie durch die Verschmelzung divergierender Elemente werden an Dingen Aspekte sichtbar, die so zuvor nicht wahrgenommen werden konnten. Diese Form des manieristischen Blickes hinter die Formen der normalen Sichtbarkeit wird flankiert durch Miltons poetische Adaption der galileischen Kosmologie. Galileis empirische Astronomie eröffnet Milton die Möglichkeit einer poetischen Instrumentalisierung des Blickes durchs Teleskop mitsamt der Möglichkeit der poetischen Projektion der kosmischen Reise des Astronomen auf die Satanhandlung, die zur Perspektive des Gedichtes auf die neue Welt wird. Galileis Kosmoshermeneutik wird, auf dem Hintergrund der kosmologischen Spekulation Brunos, zum entscheidenden Impetus für die radikale Dehierarchisierung des Kosmos, auch des Sprachkosmos, für die Nivellierung von Oben und Unten, Groß und Klein etc. Die Seinskette wird zerbrochen, es entstehen völlig neue Formen der Vergleichbarkeit und der Lesbarkeit überhaupt. Was entsteht, ist eine neue Welt der Sprache. In ihr rücken die gegenseitige Ubersetzbarkeit von Kulturen und Traditionen, von irdischer in kosmische Erfahrung, von der einen Hermeneutik - beispielsweise der des Kosmos oder der der Theologie - in dichterische Verfahrensweisen noch einmal für die Frühe Neuzeit Dichtung, Wissenschaft, Theologie, Philosophie und bildende Kunst in einem großen Entwurf zusammen. Das dichterische Sprachspiel über die Pluralisierungsmöglichkeiten von Welten und Sichtweisen treibt dabei dialektisch die historisch anstehende Aufgabe der Selbstbehauptung heraus: Im Bewußtsein der Unendlichkeit möglicher Welten ist die Phantasie und die gesellschaftliche Anstrengung auf die Bewältigung der Problemlagen dieser einen Welt zu lenken; im Angesicht der Offenheit reiner Möglichkeiten muß Verantwortung für die Fehlbarkeit des jeweils Machbaren getragen werden. Der Figurenapparat des Gedichtes, der mit Satan, Adam und Eva, Gottvater und Christus, diversen Erzengeln, der Höllenmacht der gefallenen Engeln, einem Dichter und seiner Muse so überaus traditionell besetzt zu sein scheint, bricht in Wirklichkeit radikal mit der Tradition. Satan ist die theatralisch inszenierte Repräsentation des Dichtungsverfahrens selbst. Er ist die Dichterperspektive auf die neuen Welten, er ist Astronom, ist Galilei, ist Brunos Ingenium, das im Kopfe neue Welten erstellt und sie im unendlichen Raum durchmißt und er ist die inszenierte Leseerfahrung, die Milton in seinem Gedicht gleich mitliefert. Ortlos und auch nach der ursprünglichen Grenzüberschreitung beständig in Grenzsituationen, bündeln sich auf ihm die Erfahrungen der Paraphernalia des Sublimen, wie Burke sie aufgrund der Leseerfahrung des Miltonschen Gedichtes beschrieben hat. Die Leere, die sich im Abyssum genauso wie im Weltenraum vertieft, das Dunkle, das sich über den Höllenraum legt, das Indistinkte, Obskure, das Satan in den ungeformten Schattenlinien des Todes entgegentritt und in vielfältigen Abstufungen den Schwebe-

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Einleitung

zustand der Gestaltwerdung aus dem Ungestalteten schlechthin umschreibt. Dieser Satan ist eine Kippfigur, die eine Welt verloren hat und sie in manieristischer Manier aus dem Geiste neu schafft, die Figur gewordene Hybris und gleichzeitig der barocke Melancholiker des Benjaminschen Trauerspielbuches. Auf der einen Seite Kopf und Perspektive der poetischen Raumerzeugung, auf der anderen Seite die Figur, an der Milton die großen Raumentwürfe der Hölle oder des Abyssum als psychische Untiefen im Inneren erfahrbar macht. Den manieristischen Blick hinter die traditionellen Formen der Sichtbarkeit führt Milton in der Satanperspektive in das Rohmaterial des Schöpferischen schlechthin. Der poetische Durchgang durch das Abyssum ist ein Blick hinter die Formen, der Blick auf die Rückseite der Schöpfung. Für dieses Wenden des Innersten der künstlerischen Idea nach außen in der Repräsentation des »womb of nature and perhaps her grave« (2.911) bedient sich Milton der Verbildlichungen der Urmaterie bei Bruno und ihrer ersten großen poetischen Umsetzung im Spenserschen Adonisgarten. Das sprengt den in der Rezeptionsgeschichte von Paradise Lost stets als christlich hingenommenen Schöpfungsgedanken: Bei Bruno wie bei Spenser wie bei Milton ist Schöpfung ein grundsätzlich unabschließbarer Prozeß, aus dem auf der Ebene der Figuren genau so wie auf der Ebene des Similisierungsverfahrens beständig Neues entstehen kann - »infinite shapes of creatures there are bred, / and vncouth formes, which none yet euer knew«, wie es bei Spenser heißt. 3 Eine solche Figur ist die Sünde, wie im Drehen der Brunoschen Memoriaräder aus dem Geiste Satans herausgewürfelt. In ihr kongruieren die Schöpfungspotentialität des Abyssum und die des künstlerischen Ingeniums: im unvorgedacht Hervorgebrachten löst sich der Form-Materie-Dualismus auf. Auf einer Ebene ist sie die poetische Antwort auf die theologische Frage nach dem Ursprung des Bösen, auf einer anderen Ebene ist sie die Figur gewordene Irritation schlechthin und damit der Initiationspunkt einer Ästhetik der Irritation, wie sie sich in Descartes' Les Passions de l'Ame zu konturieren beginnt. Die rezeptionsgeschichtlich durchgängig als Allegoriegestalt aufgefaßte Sünde entpuppt sich bei näherem Zusehen als völlig gleichberechtigte Figur neben den übrigen epischen Gestalten. Ikonographisch instabil, ist sie Bestandteil eines dynamischen Figurenprozesses, in dem oppositional angelegte Figuren ikonographisch ineinander verschmelzen. Dies betrifft Eva genauso wie Urania, wobei etwa zwischen die Figuren der Sünde und der Eva die Kippfigur Pandora gespannt wird. Mehr noch: Die herausspiegelbaren Gegenaspekte tauchen an Eva wie an einer Figur in einem manieristischen Perspektivexperiment auf. In ihr erscheint Vanitas, Pandora, Dalila, aber eben auch Venus, Sapientia, Prudentia, Proserpina, wobei mythologischen Doppelfiguren wie Proserpina oder Pandora das Kippen des einen ins andere an sich bereits inhärent ist. Als Weisheitsgestalt und als figürliche Repräsentation der Idea-Entwürfe Satans fungiert die Minerva-Sünde als Komplementärgestalt zur Musenfigur Urania. Unterstrichen wird dies durch die Spiegelfunktion der Minerva-Sünde. Mit dem Schild als Spiegel, aber vor allem als Objekt des Blickes, hält sie Satan das Reflexionsmedium zur Selbsterkenntnis 3 Edmund Spenser, The Faerie Queene, hg. von A. C. Hamilton, III.vi.35.1-2.

Einleitung

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entgegen. Ihre Wandlung zur Mischgestalt, halb Frau, halb Schlange, greift nicht nur auf die Ikonographie des Sündenfalls mit dem in der Schlange am Baum duplizierten EvaAntlitz zurück sondern darüber hinausgehend auf die Ikonographie des antiken Mottos Veritas filia temporis: die Wandlung der Falsitas zur Schlangenfrau ist die Unterfolie zum Aufstieg der Veritas aus der Höhle. Die Transformationsprozesse, in die Milton den Figurenapparat einläßt und die die Figuren immer wieder in andere Aspekte kippen, in denen sie mit einer anderen Figur überlappen oder in dem einen oder anderen Aspekt gar in ihr aufgehen, kulminieren in der Musenfigur Urania ohne freilich in ihr zum Stillstand zu kommen. Im Gegenteil: Die anamorphotische Grundstruktur der Kippfiguren des Gedichtes laufen hier in einem emblematischen Vexierbild zusammen. Urania - das ist bei Milton nicht nur ein figürliches Vexieren zwischen der himmlischen Venus, Christus und dem Heiligen Geist, der Muse der Astronomie und der Sphärenmusik und dem Planeten Venus als Morgen-und Abendstern. Durch Galileis Venusbeobachtungen hat sie den Prozeß einer Transformation von einer Muse zum Inbild der Wahrheit der Astronomie durchlaufen. Diese Urania ist antik, jüdisch, christlich, dantesk, brunesk und galileisch zugleich. Sie ist die Figur gewordene Ubersetzbarkeit von Kulturen und Traditionen, aber auch von Astronomie und Dichtung. Aber Milton beläßt es nicht bei diesem Oszillieren der überblendeten Aspekte und Bedeutungen. Uber das Attribut des Spiegels läßt Milton Urania in den dynamischen Figurenprozeß seines Gedichtes überhaupt ein. Er vernetzt sie mit Eva und der Sünde, aber auch mit Spiegelgestalten der Tradition: mit der biblischen Weisheit, mit der Raison des Roman de la Rose, der Sapientia des Danteschen Convivio und der Beatrice der Divina Commedia, bei denen die Spiegelfunktion jeweils als Reflexionsmedium auf die dialektische Interrelation von Sagbarkeit und Unsagbarkeit erscheint. Im Gefolge des Apuleius steht Miltons Diversifikation der Namen und Erscheinungsformen der verborgenen Gottheit, in deren wandelbarer Gestalt Gegensätze vereint und damit gegensätzliche Erfahrungsbereiche ineinander übersetzbar gemacht sind. So ist Urania das Paradigma einer Kippfigur im Sinne Moshe Baraschs. Als ein figürliches Medium, das Optionen gleich präsent hält, fungiert Urania, und zwar nicht nur als oszillierende Figur, sondern darüber hinaus - aufgegangen in ihrem Attribut - als dynamisierende Spiegelachse des ganzen Gedichtes. Mit der Invokation zum siebten Buch, der einzigen, in der Urania bei ihrem Namen genannt wird, steht sie auf der Mittelachse zwischen den beiden großen Thronwagenbeschreibungen des Gedichtes, mit denen es an die beiden großen Traditionsstränge der Kabbala gebunden ist: die Ma'aseh Merkabah und die Ma'aseh Bereshit. Das apokalyptische Ende und der schöpferische Anfang der Geschichte sind damit in dialektischer Komplementarität um die Mittelachse des Gedichtes angeordnet, so daß im Ende der Anfang und im Anfang das Ende sichtbar werden. Wie in einer barocken Anamorphose erscheint der Thronwagen abwechselnd als eine Destruktionsmaschine und als eine Schöpfungsmaschine. Daß in diesem Gedicht die Dualismen unterlaufen und Gegensätze - Gut und Böse etwa - als bloße Anschauungsformen optional in multiperspektivisch organisierten Vexierbildern und damit in erkenntnistreibender Dialektik erscheinen, das wird in dieser zentralen Epiphanie mehr

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Einleitung

als sinnfällig. Zugleich pulsiert darin das Kraftzentrum der Zyklisierung der linearen Geschichte. Das mit eschatologischer Erwartung aufgeladene Motiv von mutabilitie und decay wird hier umgemünzt in die Erwartung beständiger Erneuerung und die Möglichkeit der Hervorbringung neuer Formen im Brunoschen Sinne. Die hierdurch geleistete Enteschatologisierung spannt Milton in den kosmischen Raumkoordinaten geradezu zur Illustration dessen aus, was Reinhart Koselleck mit dem schönen Worte bezeichnet, die Endzeit sei in Ubersee weggesegelt worden. Im größten kosmologischen Gedicht transformiert Milton den Antichristen zum Entdecker unendlicher Welten. In der spezifischen Relation auf das Dichtersubjekt erweist sich Urania, die figürliche Bindung dieser das Dichtungsverfahren und den Figurenapparat dynamisierenden Spiegelungsprozesse, als Selbstreflexionsmedium des ortlos gewordenen frühneuzeitlichen Subjekts. Sie wird zum Medium der Selbstbehauptung angesichts des möglichen Absturzes in den Abgrund des amorphen Chaos, dem im Reflexionsmedium Satan erfahrbar gemachten Abgrund im Menschen. Melancholie und Verzweiflung auf der einen, der Horizont ungeahnter neuer Möglichkeiten im Sinne des Brunoschen »formar altre nature, altri corsi, altri ordini con l'ingegno«4 auf der anderen Seite, sind in diesem Medium der Selbstreflexion gleich präsent. Im anamorphotischen Wechsel werden Himmel und Hölle, Transzendenz und Immanenz, Vernunft und Einbildungskraft, Stimmhauch und Spiegelbild, Astronom und Dichter projiziert. Die Gestalt der Urania bietet also Optionen der Selbstbehauptung, die in den Konstitutionsprinzipien des Gedichtes und in seinen Figuren durchlaufen und damit gleich präsent gehalten werden. Im Hinblick auf das Projekt einer Genealogie der Moderne erscheint mir dieses Offenhalten von Optionen und Sichtweisen als ein ganz wesentliches Moment an Miltons großem Gedicht und - wenn man an die unüberbrückbaren Divergenzen zwischen den Einzeldisziplinen heute denkt - geradezu als der poetische Entwurf einer unerledigten Aufgabe. Urania als Anamorphose, in der im Wechsel Kunst und Wissenschaft erscheinen, kann damit als Signum und Emblem der Frühen Neuzeit genommen werden.

4 Giordano Bruno, Spaccio de la Bestia trionfante, in: Giordano Bruno, Dialoghi Italiani II: Dialoghi Morali, hg. von G. Aquilecchia, S. 732.

Formen der Übersetzbarkeit: Zum Prozeß der Similisierung und Dissimilisierung

e quindi uscimmo a riveder le stelle1

Die Aufgabe des Ubersetzers Was Walter Benjamin im Hinblick auf Proust die »Syntax uferloser Sätze (de[n] Nil der Sprache, welcher hier befruchtend in die Breiten der Wahrheit tritt)« 2 genannt hat, das begegnet einem in Paradise Lost auf jeder Seite. Die Fruchtbarkeit (ihr Allusionsreichtum beispielsweise), die solche Syntax mit sich schwemmt, ist derart immens, daß kein Interpret der Wahrheit, die in der alles und alles anspielenden Narration verschlüsselt liegt, habhaft werden kann. Diese Erfahrung im Akt des Lesens lenkt auf das Medium, das da überschwemmt, auf die Sprache der Sätze. An ihnen scheint das wesentliche weniger jene Bedeutung, die - mit einer Intention auf die Wahrheit der Dinge - durch solche Sätze generiert würde, als vielmehr die in jedes einzelne Wort gesetzte Bedeutung, im Sinne Benjamins also die Uberladung mit Bedeutung, ohne selbst bedeutend zu sein. Das heißt, die mythologischen und biblischen Zitationen und Allusionen werden nicht referentiell genommen im Hinblick auf die Moral- und Wertewelten, aus denen sie geliehen sind, sondern einzig im Hinblick auf ihre sprachliche Gestalt selbst. Damit entsteht so etwas wie die Selbst-Referentialiät der nebeneinander gelegten, zum Teil überblendeten Schichten im Medium der Sprache. Folgt man dieser »Intention auf die Sprache«3 innerhalb der Benjaminschen Sprachessays, so erscheint Miltons Werk als eine Dichtung in der Intention auf die Ubersetzung, also als Dichtung, die tendenziell in der Form der Ubersetzung aufgeht. Die dichterische Darstellung paradiesischer Sprach- und Lebensverhältnisse im Medium nachparadiesischer Sprache setzt die poetische Verfahrensweise auf eine Reise an die Grenzen der Wiedereinholbarkeit der Paradiesessprache. Wie die Tangente dem Kreis nähert sich die Sprache des Dichters der Sprache des Paradieses, ohne mit ihr zur Deckung zu kommen. Dabei durchläuft die Sprache ein Kontinuum von Wandlungen, in dem der 1 Dante, Inferno, ΧΧΧΙλζ 139. 2 >Zum Bilde Prousts< (1929), Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 310, wörtlich auch in >Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Dichters« (1934), GS, Bd. II, S. 792. 3 Vgl. Benjamin >Die Aufgabe des Übersetzers«, GS, Bd. IV, S. 16: »Sie [die Aufgabe des Ubersetzers] besteht darin, diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, zu finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird.« Reichert, >Notiz über Milton«, Vielfacher Schriftsinn, S. 132 lenkt diesen Benjaminschen Ausdruck auf die Sprache Miltons.

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Formen der

Übersetzbarkeit

sprachliche Ausdruck wie in einem bedeutungspotenzierten Gemenge aus Vergleichen, Allusionen und Figurenkonstellationen keine Identität mit sich selbst findet. Restituierbar erscheinen die paradiesischen Sprachverhältnisse nach Benjamin nicht. Allerdings zeichnet sich in der Baudelaire-Vorrede zur >Aufgabe des Ubersetzers< die Möglichkeit ab, den Mitteilungscharakter der Sprache in einer Art der Nichtreferentialität aufzuheben. Darauf zielt der Benjaminsche Begriff der reinen Sprache: Allein wenn der Sinn eines Sprachgebildes identisch gesetzt werden darf mit dem seiner Mitteilung, so bleibt ihm ganz nah und doch unendlich fern, unter ihm verborgen oder deutlicher, durch ihn gebrochen oder machtvoller über alle Mitteilung hinaus ein Letztes, Entscheidendes. Es bleibt in aller Sprache und ihren Gebilden außer dem Mitteilbaren ein Nicht-Mitteilbares, ein, je nach dem Zusammenhang, in dem es angetroffen wird, Symbolisierendes oder Symbolisiertes. Symbolisierendes nur, in den endlichen Gebilden der Sprachen; Symbolisiertes aber im Werden der Sprachen selbst. Und was im Werden der Sprachen sich darzustellen, ja herzustellen sucht, das ist jener Kern der reinen Sprache selbst. Wenn aber dieser, ob verborgen und fragmentarisch, dennoch gegenwärtig im Leben als das Symbolisierte selbst ist, so wohnt er nur symbolisierend in den Gebilden. Ist jene letzte Wesenheit, die da die reine Sprache selbst ist, in den Sprachen nur an Sprachliches und dessen Wandlungen gebunden, so ist sie in den Gebilden behaftet mit dem schweren und fremden Sinn. Von diesem sie zu entbinden, das Symbolisierende zum Symbolisierten selbst zu machen, die reine Sprache gestaltet der Sprachbewegung zurückzugewinnen, ist das gewaltige und einzige Vermögen der Übersetzung. In dieser reinen Sprache, die nichts mehr meint und nichts mehr ausdrückt, sondern als ausdrucksloses und schöpferisches Wort das in allen Sprachen Gemeinte ist, trifft endlich alle Mitteilung, aller Sinn und alle Intention auf eine Schicht, in der sie zu erlöschen bestimmt sind. [...] Jene reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Ubersetzers. 4 Das ist im Grunde die Gegenbewegung zum Verlust der Sprachmagie. In der reinen, nicht mitteilenden, nicht referentiellen Sprache der Übersetzung leuchtet der Rückweg ins Sprachparadies auf, und zwar gerade in der dialektischen Negation aller Sprachmagie. Die Sprache der Übersetzung bewirkt dieses Aufscheinen der reinen Sprache durch den in der Übersetzung vollzogenen Wandlungsprozeß: »das Symbolisierende zum Symbolisierten selbst zu machen«, beschreibt Benjamin dies. Dahinter steht der Gedankengang der Erneuerung der Sprache durch einen brunesken Prozeß der Metamorphose: Um das echte Verhältnis zwischen Original und Übersetzung zu erfassen, ist eine Erwägung anzustellen, deren Absicht durchaus den Gedankengängen analog ist, in denen die Erkenntniskritik die Unmöglichkeit einer Abbildtheorie zu erweisen hat. Wird dort gezeigt, daß es in der Erkenntnis keine Objektivität und sogar nicht einmal

4 GS, Bd. IX S. 19.

Die Aufgabe des Übersetzers

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den Anspruch darauf geben könnte, wenn sie in Abbildern des Wirklichen bestünde, so ist hier erweisbar, daß keine Ubersetzung möglich wäre, wenn sie Ähnlichkeit mit dem Original ihrem letzten Wesen nach anstreben würde. Denn in seinem Fortleben, das so nicht heißen dürfte, wenn es nicht Wandlung und Erneuerung des Lebendigen wäre, ändert sich das Original. Es gibt eine Nachreife auch der festgelegten Worte. Was zur Zeit eines Autors Tendenz seiner dichterischen Sprache gewesen sein mag, kann später erledigt sein, immanente Tendenzen vermögen neu aus dem Geformten sich zu erheben.5 Diesen intentional unabsehbaren Wandlungs- und damit auch Zeugungsprozeß hat Benjamin auch in dem Essay >Uber Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen< beschrieben. »Mit dem erwähnten Verhältnis der Sprachen als dem von Medien verschiedener Dichte ist die Ubersetzbarkeit der Sprachen ineinander gegeben. Die Ubersetzung ist die Uberführung der einen Sprache in die andere durch ein Kontinuum von Verwandlungen. Kontinua der Verwandlung, nicht abstrakte Gleichheits- und Ähnlichkeitsbezirke durchmißt die Ubersetzung.« 6 Benjamin sieht also den tiefen sprachphilosophischen Sinn der Ubersetzung gerade in dem »Kontinuum von Verwandlungen«, das die Sprache in der Spannung zwischen der Sprache des Originals und der Sprache der Ubersetzung durchläuft: Aus dieser Spannung scheint die Sprache überhaupt dialektisch auf. Der von Benjamin im gleichen Gedankengang herausgestellte Abstand zu einer Auffassung der Übersetzung als Feld »abstraktefr] Gleichheits- und Ähnlichkeitsbezirke«, in dem statische Äquivalenz-Substitute an die Stelle der Sprachbezirke des Originals treten, verdeutlicht die Bedeutung des Ubersetzens für die Sprache der Ubersetzung. Anstatt eine selbst unverändert bleibende Materialmasse funktional gemachter Äquivalenzen zu sein, wird sie im Ubersetzungsvorgang einem Prozeß des Wandels und der Bereicherung unterworfen. Die Sprache des Originals und die Sprache der Ubersetzung werden dabei zu Sprachräumen, die sich gegenseitig durchdringen. In der Sprache der Ubersetzung treibt dies ganz neue Gestaltungsformen heraus, die die Sprache aus sich heraus nie erreicht hätte. Benjamin zitiert in der Baudelaire-Vorrede eine Passage aus Rudolf Pannwitz' krisis der europäischen kultur, die sich wie eine Beschreibung der Miltonschen Verfahrensweise liest. Die metaphrastische Einverleibung der Sprache der griechischen und lateinischen Tradition wird darin in dem tiefen Benjaminschen Sinn der Verwandlung der Sprache der Ubersetzung beschrieben: unsre Übertragungen auch die besten gehn von einem falschen grundsatz aus sie wollen das indische griechische englische verdeutschen anstatt das deutsche zu verindischen vergriechischen verenglischen, sie haben eine viel bedeutendere ehrfurcht vor den eigenen Sprachgebräuchen als vor dem geiste des fremden werks [...] der grundsätz5 6

GS, Bd. IV, S. 12 f. GS, Bd. II, S. 151.

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liehe irrtum des übertragenden ist dass er den zufälligen stand der eignen spräche festhält anstatt sie durch die fremde spräche gewaltig bewegen zu lassen, er muss zumal wenn er aus einer sehr fernen spräche überträgt auf die letzten elemente der spräche selbst wo wort bild ton in eins geht zurück dringen er muss eine spräche durch die fremde erweitern und vertiefen man hat keinen begriff in welchem masze das möglich ist bis zu welchem grade jede spräche sich verwandeln kann spräche von spräche fast nur wie mundart von mundart sich unterscheidet dieses aber nicht wenn man sie allzu leicht sondern gerade wenn man sie schwer genug nimmt.7 Die Aufgabe des Ubersetzers besteht also Pannwitz zufolge darin, Dynamik in die Sprache der Ubersetzung zu bringen (»sie durch die fremde spräche gewaltig bewegen zu lassen«) und im Medium der Sprache zugleich an deren äußerste Grenze (»er muss eine spräche durch die fremde erweitern und vertiefen man hat keinen begriff in welchem masze das möglich ist«) zu gehen und an deren Ursprung (»auf die letzten elemente der spräche selbst wo wort bild ton in eins geht zurück dringen«).8

Milton als Übersetzer Historisch ist nun nicht von der Hand zu weisen, daß Miltons Werk innerhalb der englischen Literaturgeschichte geradezu umrahmt wird von den großen Ubersetzungsprojekten schlechthin. Man denke nur an die Bibelübersetzung, die Ubersetzungen Ovids durch Golding und Sandys, die Homerübersetzungen Chapmans und dann, auf der anderen Seite der Milton-Zeitachse, an die Ubersetzungsprojekte Drydens und Popes. Der Einfluß dieser Übersetzungen auf die englische Literaturentwicklung war immens. Miltons Werk scheint mir in einzigartiger Weise die durch die Ubersetzungen des 16. und frühen 17 Jahrhunderts ausgelösten Entwicklungstendenzen symbiotisch aufzunehmen und gerade im entscheidenden, von Benjamin deutlich herausgestellten Punkt radikal zuzuspitzen. Bereits Addison bemerkte (im vierten seiner Essays über Paradise Lost9), in welcher Weise Milton das Englische benutzte, um griechisch, lateinisch und hebräisch zu schreiben.10 Das heißt, er beobachtete an Miltons Sprache die Wandlung des Englischen in einen Duktus des Sprechens, der nur durch die Uberschreibung oder Uberblendung des Englischen durch die jeweils andere Sprache erreichbar war. Im Grunde bedeuten freilich diese Prozesse des Uberschreibens oder Uberblendens, in denen die eigene Sprache das Medium der anderen wird, eine Wandlung der eigenen Sprache von innen heraus: die andere geht gewissermaßen durch sie hindurch und verändert sie dabei radikal. Die 7 GS, Bd. IV, S. 20. 8 Vgl. Reichert, »Im Hinblick auf eine Geschichte des Ubersetzens«, S. 199 f. zur »Entkolonialisierung der übersetzerischen Intention« (S. 200): »Es gilt, das Fremde als Fremdes wahrnehmen zu lernen, nicht es sich einzuverleiben.« 9 The Spectator, Nr. 285 (26. Januar 1712), in: Critical Essays from »The Spectator«, hg. von D. E Bond, S. 75-80. 10 Ibid., S. 77 f.

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Spur, die Addison zu diesem Sachverhalt gelegt hat, war möglicherweise zu vage. Sie gehört jedenfalls in der Miltonkritik zu den wenig beachteten interpretatorischen Einstiegsmöglichkeiten.11 Eine Arbeit über Milton als Übersetzer fehlt denn auch bislang. Ihren Reiz zöge sie gerade daraus, daß sich das Ubersetzen innerhalb des Miltonschen Oeuvre weitgehend im Medium genuin eigener dichterischer Werke vollzieht: Werken also, die von außen betrachtet keine übersetzerischen sind, sich jedoch in einem tieferen Sinne gerade als solche erweisen. Indem Milton die eigene dichterische Sprache immer wieder den Sprachformen der in Vergleichen und Allusionen inkorporierten Traditionen überläßt, überläßt er die eigene Sprache einem oft gar nicht mehr steuerbaren Prozeß der Veränderung. Wie Sprache in ihm wird, lenkt immer wieder zurück auf die Form der Ubersetzung, auf das Benjaminsche »Kontinuum von Verwandlungen«. Ein möglicher, die Form der Ubersetzung zunächst in ihrem engeren Sinne in Betracht ziehender Ausgangspunkt sind Miltons Psalmenübersetzungen. In den Übertragungen der Psalme 80 bis 88 liefert Milton mit seinen die eigene Ubersetzung begründenden Annotationen selbst einen Schlüssel zu zwei besonderen Verfahrensweisen der Ubersetzung. Zunächst die Zuspitzung der Übertragung durch die Verwendung von Grenzwörtern, mit denen Milton aus Wörtern und Wortfeldern etwas Neuartiges heraustreibt, das an der Grenzlinie der Wörter mitgemeint war. Das herausragende Beispiel dafür ist Miltons Version von Psalm 80,4, der in der James-Bibel lautet: »O Lord God of hosts, how long wilt thou be angry against the prayer of thy people?« Milton übersetzt: Lord God of Hosts, how long wilt thou, How long wilt thou declare Thy smoking wrath, and angry brow Against thy people's prayer.12 Miltons Annotation zu »smoking« bzw. zu »smoking wrath«, »Gnashanta«, lenkt auf das wesentliche Moment der benutzten Übersetzungsvariante: Milton geht hinter die ab-

11 Zu den Ausnahmen zählt die klassische Studie von Davis E Harding, The Club of Hercules, S. 114-134, in der es heißt: »It is the principal thesis of this chapter that Milton met the challenge by deliberately forcing the English language to do as much of the work of Latin as it could within reason be made to do. [...] No English poet has ever strained the bonds of language as Milton strained them. In his valiant effort to obtain something of the advantage of a Latin word order, Milton did not scruple when the need arose to defy the ordinary laws of grammar and syntax« (S. 124 / 126). In jüngerer Zeit hat sich Charles Martindale, »Unlocking the word-hoard: in praise of metaphrase« und ders,,]ohn Milton and the Transformation of Ancient Epic der syntagmatischen Aneignung des Lateinischen und Griechischen und der metaphrastischen Einverleibung des Wortschatzes (in Sinn und Laut), sowie den Formen des Einflusses von Homer, Vergil, Ovid und Lukan auf Milton gewidmet. Vgl. zudem Reichert, >Notiz über Milton< in Vielfacher Schriftsinn, S. 130-134. 12 Miltons dichterisches Werk wird durchgängig nach der Edition von John Carey und Alastair Fowler, The Poems of John Milton, zitiert. Die Kursivierung stammt von Milton, der die Ubersetzung dieser Psalmenreihe überschreibt: »Nine of the Psalms done into metre, wherein all but what is in different character, are the very words of the text, translated from the original.«

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strakte Bedeutung des Übersetzungswortes »anger« auf den Wurzelsinn zurück, in dem »ashanta« »Rauch« bedeutet. Hierin wird der Zorn Gottes ganz sinnlich aufgefaßt. Innerhalb seines Wortfeldes geht »ashanta« nun von dieser sinnlichen Bedeutung über in die - wohl zunächst übertragen verstandene - abstraktere Bedeutung Zorn; das heißt, in dem Wort »ashanta« überschreiten die darin enthaltenen Bedeutungen die Grenze zwischen der Sinnlichkeit und der Abstraktion bzw. machen sie als eine Grenzbewegung möglich. Ubersetzt nun Milton »ashanta« als »smoking«, so läßt er den Wurzelsinn des Wortes im Hebräischen direkt in seine Form der Übertragung eingreifen, und zwar im bewußten Gegensatz zu der abstrakteren Form in der James-Bibel. Das ist freilich erst der erste Schritt seines Übertragungsvorgangs. Als zusätzliche Übersetzungsmöglichkeit verwendet Milton das starke englische Wort für Zorn, »wrath«, so daß in seinem Vers der Wurzelsinn »Rauch« und die abstraktere Bedeutung desselben Wortes »ashanta« nebeneinander stehen; als Partizipium fließt »smoking« geradezu in »wrath« hinüber oder, anders gesagt, treibt es aus sich heraus, genau so, wie das wortgeschichtlich wohl zu denken sein wird. In dem Partizipium trägt so der Zorn Gottes die sinnliche Kategorie des Rauches noch bei sich, verweist auf seinen eigenen Ursprung zurück. Milton bietet hier also nicht nur übersetzerische Optionen an, sondern er begründet sie, untermauert sie historisch. Diese Optionen spiegeln die Spannung zwischen Sinnlichkeit und Abstraktheit wider, die in dem hebräischen Grenzwort »ashanta« selbst angelegt ist und in der James-Version, gegen deren Übertragung Miltons Psalmenübersetzungen gleichsam korrektiv angeschrieben sind, verlorengegangen war. Dieser Optionalität stellt Milton einen weiteren, durch Kursivierung gekennzeichneten Zusatz zur Seite: »and, angry brow«. Das prädikativ verwendete »angry« reagiert direkt auf das Übersetzungswort »anger« der James-Version und wird doch - vielleicht ein wenig polemisch - davon als Zusatz abgesetzt; ihm als einem abstraktiven Prädikativum wird das sinnlich greifbare »brow« beigegeben, das jedoch vom Hebräischen gar nicht gedeckt wird, also ein echter Zusatz ist. Milton führt in seiner Übertragung von Psalm 80,4 also Sprache im Werden vor, zunächst - um dies noch einmal zusammenzufassen - den Ursprung im Wurzelsinn, dann das Hervortreten der abstrakteren Bedeutung aus dem Wurzelsinn, zusätzlich die versinnbildlicht (»angry brow«) vorgetragene Rückwendung auf das Übersetzungswort der James-Version (»anger«), die gleichzeitig in einem strukturellen Geflecht mit den vorausgehenden Zusätzen steht (»and from thy cloud give light; thy dread; thy might; thy grace divine«) und selbst als Zusatz vom übersetzerischen Kern in der genialen Verbindung »smoking wrath« abgesetzt wird. Eine andere, bei weitem nicht so dichte, aber dennoch gelungene Funktionalisierung des gleichen Wortfeldes findet sich in Psalm 85,3: Thine anger all thou hadst removed, And calmly didst return, From thy fierce wrath which we had proved Far worse than fire to burn.

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Zu »thy fierce wrath« annotiert Milton: »Heb. The burning heat of thy wrath«. In der James-Bibel heißt die Stelle: »Thou hast taken away all thy wrath: thou hast turned thyself from the fierceness of thine anger.« Anders als im ersten Beispiel führt Milton hier Wurzelsinn und weitergehende Bedeutung im Wortfeld »ashanta« nicht in einer optionalen Doppelung zusammen, sondern verkürzt zunächst die annotierte wörtliche Übersetzung auf das wenig bildhafte »fierce wrath«, dessen Rückerinnerung an das ursprüngliche, sinnliche Rauchhafte des Zorns dann freilich ein Halbsatz gewidmet wird: »which we had proved / Far worse than fire to burn«. Man kann hier geradezu davon sprechen, daß Milton zunächst unter Auslassung des Wurzelsinnes »Rauch« die Wirkung des göttlichen Zorns beschreibt und dabei - ohne den Rauch zu nennen - in der Bildlichkeit des brennenden Feuers den Rauch als das anspielt, wohin das Feuer entweicht, zugleich aber auch den Rauch als Wurzelsinn-Ursprung des Zornes, der das lodernde Feuer verursacht. In beiden Beispielen wird deutlich, wie Milton das Wiederaufnehmen oder das Anspielen des Wurzelsinns dazu nutzt, der zur Abstraktion tendierenden Ubersetzung der James-Bibel eine plastischere Bildlicheit entgegenzusetzen. Die poetische Konstitution dieser jeweils sinnlicheren Variante durch ein direktes Eingreifen des Hebräischen auf die Sprache der Ubersetzung gerade in Grenzbereichen zu Abstraktion und Allegorisierung müßte in einer Untersuchung zur Bedeutung des Hebräischen in Paradise Lost einmal systematisch betrachtet werden. Im Zusammenhang der Thronwagenvisionen der Bücher 6 und 7 wird darauf zurückzukommen sein. An dieser Stelle soll die andere Seite der dann im Similisierungsverfahren von Paradise Lost ausgereiften semantischen Pluralisierung an zwei weiteren Beispielen beleuchtet werden, in denen sich Milton Übersetzungsvarianten als poetisch direkt und nebeneinander nutzbarer Optionen bedient. Eine findet sich in seiner Übertragung des 83. Psalms. Milton bemerkt zu Psalm 83,12 in seiner Übertragung: »Neoth Elohim bears both«, angesprochen ist die Wohnstätte Gottes, »Neoth Elohim«. Milton übersetzt: For they amidst their pride have said By right now shall we seize God's houses, and will now invade Their stately palaces. Dagegen lautet die gleiche Stelle in der James-Bibel: »Who said, Let us take to ourselves the houses of God in possession.« Auch hier nimmt also Milton die Uneindeutigkeit des hebräischen Originals zum Anlaß, über eine Optionalität des Ausdrucks hinaus zu einer parallelistischen Versdoppelung fortzuschreiten. Dies weist auf die Optionalketten in Paradise Lost voraus. Der 83. Psalm kommt dabei thematisch in den Umkreis des in der Thronwagenvision bildlich dargestellten Engelssturzes. (»2 For lo thy furious foes now swell / And storm outrageously, / And they that hate thee proud and fell / Exalt their heads full high. / 3 Against thy people they contrive / Their plots and counsels deep, / Them to ensnare they chiefly strive / Whom thou dost hide and keep. [...] 13 My God, O make them as a wheel / No quiet let them find, Giddy and restless let them reel / Like

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stubble from the wind. [...] 15 So with the whirlwind them pursue, / And with thy tempest chase; [...].«) Miltons dichteste Optionaldoppelung findet sich in seiner Übertragung des 88. Psalms. In 88,7 komponiert er aus den, seiner Annotation gemäß, zwei Übertragungsvarianten eine chiastische Konstruktion, mit der die Wendung von der Ursache auf die Wirkung subtil im Medium der Verse selbst veranschaulicht wird: Thou break'st upon me all thy waves, And all thy waves break me. Symptomatisch für die Bewegung der Psalmenübersetzungen in Richtung auf die Sprachgestalt von Miltons Gedicht scheint mir sein - dem Original wohl näher kommender - Verzicht auf Verben in den folgenden Versen des fünften Psalms (5,9): 13 »Their inside, troubles miserable; / An open grave their throat, their tongue they smooth.«14 In Paradise Lost verwendet Milton solche »harten Fügungen« häufig.15 Die übersetzerische Aneignung der Psalmen bedeutet freilich für Milton zur gleichen Zeit die Übertragung der Exilsituation des Psalmisten und seines Volkes auf die zeitgenössische Situation im revolutionären England, in dem 1648 der Bürgerkrieg noch immer die Lösung der politischen und religiösen Fragen verhindert.16 Die typologische Identifikation des eigenen Volkes mit dem Volk Israel, die dem puritanischen Gottesbund-Gedanken zugrunde lag, bot den Rahmen für eine Vereinnahmung von Form und Thematik der Psalmen für eigene Zwecke. Andererseits weist jedoch Miltons übersetzerische Adaption in eine andere Richtung: Sein Bemühen, vom Wurzelsinn her zu übersetzen, führt - zumindest in einzelnen Wörtern und Wortverbindungen - zu einer Manifestation des Hebräischen in der englischen Übertragung. Das heißt, Milton zielt bewußt auf das Hervortreten des Fremden im Eigenen.

13 Die Übertragung der Psalmenreihe 1 bis 8 stammt aus dem August 1653. 14 Vgl. die Ubersetzung der James-Bibel: »their inward part is very wickedness; their throat is an open sepulchre; they flatter with their tongue.« 15 Vgl. zur Tradition dieser dem Hebräischen nachgebildeten Sprachfügung Klaus Reichert, >Die Struktur des Hebräischen und die Sprache von Finnegans Wake< in Vielfacher Schriftsinn, S. 141 f. Die gegenüber der James-Bibel ebenfalls auffällige häufige Plazierung des Adjektivs hinter dem Substantiv, die Milton auch in Paradise Lost gern gebraucht, ist dagegen aus dem Lateinischen und den romanischen Sprachen so vertraut, daß dabei nicht notwendigerweise mit dem Versuch einer Angleichung des Englischen an die entsprechende hebräische Wortstellung zu rechnen, sondern eher an eine Vermittlung über das Lateinische zu denken ist. Beispiele dafür sind in Psalm 80: »... between the Cherubs bright/ Between their wings outspread«; »grace divine«; »river wide«; und im fünften Psalm: »mouth unstable«; »troubles miserable«. 16 Vgl. William B. Hunter, »Milton Translates the Psalms«; Margaret Boddy, »Milton's Translation of Psalms 80-88; Carolyn Ρ Collette, »Milton's Psalm Translations: Petition and Praise«, und zuletzt John Κ. Hale, »Why did Milton Translate Psalms 80-88 in April 1648?«. Hunter suggeriert - nach seinem ausschließlich innerenglischen Vergleich verschiedener in der ersten Hälfte des Siebzehnten Jahrhunderts konkurrierender Psalmübertragungen mit der Miltonschen - S. 490—494 einen Zusammenhang zwischen Miltons Ubersetzungen und dem 1650 erschienenen, neuen Scottish Psalter. Als Zustandsbeschreibung der inneren und äußeren Verfassung des Gottesvolkes im Exil wurden die Psalmen 80-88 in den 1640er Jahren als Einheit verstanden.

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Die grundlegende Studie von D. S. Katz zum Philosemitismus und der Diskussion um die Rückführung der Juden nach England macht deutlich, daß Milton durch Moses Wall, John Dury und Oliver Cromwell direkt mit dem Zentrum dieser Anstrengungen vernetzt war. In seiner theologischen Hauptschrift, De Doctrina Christiana, versammelt Milton neunzehn biblische Belegstellen für »the calling of the entire nation not only of the Jews but also of the Israelites.«17 Auf eine direkte Einflußnahme Miltons lassen freilich die bis heute bekannten Dokumente nicht schließen. Möglicherweise sind die Spuren, die er diesbezüglich hinterließ, tatsächlich in seinem sensiblen Umgang mit dem Hebräischen und - wie ich unten anzudeuten versuche - in seinen poetischen Aneignungen kabbalistischer Vorstellungen und Verfahrensweisen zu suchen und zu verfolgen.

Sprachmetamorphosen Die Verwandlung der Sprache durch die Aneignung anderssprachiger Strukturen hat an Paradise Lost bereits Addison beschrieben, und zwar als ein Erheben der eigenen Sprache zu den Formen der fremden Sprachen. Bodmer bezeichnet es als ein Mittel, die Sprache aufzustützen.18 Another way of raising the language, and giving it a poetical turn, is to make use of the idioms of other tongues. Virgil is full of the Greek forms of speech, which the critics call Hellenisms, as Horace in his Odes abounds with them much more than Virgil. I need not mention the several dialects which Homer has made use of for this end. Milton, in conformity with the practice of the ancient poets, and with Aristotle's rule has infused a great many Latinisms, as well as Grecisms, and sometimes Hebraisms, into the language of his poem,... [die hier folgenden Beispiele werden unten angeführt]... Under this head may be reckoned the placing the adjective after the substantive, the transposition of words, the turning the adjective into a substantive, with several other foreign modes of speech, which this poet has naturalized to give his verse the greater sound, and throw it out of prose.19 Addisons Beispiele sind den Büchern 1.335-33^ 2.404—409,11.376-377 entnommen. Das erste Beispiel ist besonders fruchtbar, denn es verwirklicht tatsächlich das lateinische Idiom neque non am (oder im) Englischen: »Nor did they not perceive the evil plight / In which they were, or the fierce pains not feel« (1.335-336). Das Beispiel aus dem zweiten 17 Complete Prose Works, Yale Edition, Bd. 6, S. 617; vgl. David S. Katz, Philo-Semitism and the Readmission of the Jews to England 1603-1655, insbesondere S. 144 und 154; vgl. auch Frances Yates' konzises Kapitel >The Return of the Jews to England* in Occult Philosophy, S. 183 ff. Yates legt, S. 186, eine - möglicherweise unbewußte - Verbindung zwischen Paradise Regained und dem zeitgenössischen Messianismus nahe. Zuletzt hat sich Jason E Rosenblatt, Paradise Lost and Torah, grundlegend zu Miltons Verhältnis zum Judentum geäußert; dort ergeben sich für den hiesigen Zusammenhang jedoch keine näheren Anhaltspunkte. 18 Bodmer, Critische Abhandlung von dem Wunderbaren, S. 2 5 7 19 The Spectator, Nr. 285 (26. Januar 1712), in: Critical Essays from »The Spectator«, S. 77 f.

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Buch verdeutlicht nicht nur die von Addison genannte Substantivierung des Adjektivs, sondern zeigt zugleich, wie Milton Prädikationen aneinanderreiht, ohne sie wirklich zusammenzufügen: Who shall tempt with wandering feet The dark unbottomed infinite abyss And through the palpable obscure find out His uncouth way, or spread his airy flight Upborne with indefatigable wings Over the vast abrupt, ere he arrive The happy isle;... (2.404-410) Einem durch Miltons Verfahrensweise bereits sensibilisierten Leser wird nicht verborgen bleiben, daß in dem Vers »The dark unbottomed infinite abyss« jedes der drei prädikativ verwendeten Wörter die Möglichkeit birgt, ein Substantiv zu sein. Milton schafft dadurch eine Gegenbewegung zur Aufschiebung des Substantivs »abyss«. Die potentielle Verwandlung jedes der drei vorausgehenden Adjektive bewirkt eine Zäsur; »the dark«, »the unbottomed«, the »infinite« bedeuten jeweils bereits - jedenfalls in jeweils einem seiner Aspekte - das Abyssum. Indem Milton in diesem Sinne das Abyssum viermal hinter sich selbst spannt, erreicht er eine ungeahnte semantische Vertiefung. Die in diesem Vers lauernde substantivische Potentialität der Adjektive wird durch Miltons Substantivierung der Adjektive »obscure« und »abrupt« in den folgenden Zeilen nochmals unterstrichen. Die besonderen Ausprägungen der auch für Addisons Beispiele charakteristischen Latinisierung des Englischen sind in der Miltonforschung noch nicht systematisch untersucht worden. Einen, wenn auch verdeckten, Hinweis auf die Virgilsche Aufschiebung von Satzgliedern und die dadurch entstehende Uberdehnung der Sinnbezüge über weite Versstrecken gibt Milton in seiner der zweiten Edition des Epos vorangestellten Notiz über die Versform: »which [the true musical delight] consists only in apt numbers, fit quantity of syllables, and the sense variously drawn out from one verse into another«. Als Beispiele seien hier nur das Principium mit dem aufgeschobenen »sing« und das aufgeschobene »erring« in 1.740-747 genannt. Eine zugespitzte Form des Aufschubs in einem Simile findet sich beispielsweise in dem berühmten Vergleich paradiesischer Ö r t lichkeiten 4.268-287 Milton schiebt den Halbsatz »might with this Paradise / O f Eden strive« (274-275) eher zufällig an dieser Stelle ein; die Fortsetzung der not-nor-nor-Konstruktion über weitere elf Zeilen im Anschluß an den rückbindenden Zwischensatz zeigt die über die ausgenutzte Länge der Similisierungskette hinaus beliebig erweiterbare Uberdehnungspotentialität an. Den Gegenstand der sprachlichen Systemüberlagerung und der Latinisierung des Englischen bei Milton umreißt Reichert: Milton bereits unterläuft jede Identität des sprachlichen Ausdrucks mit sich selbst, als wäre solche Identität nicht mehr möglich nach der Vertreibung aus dem Paradies.

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Indem er Sprache verwendet, verweist er auf sie. Jeden der beliebig vielen Stile, die er benutzt, macht er lesbar als zitierten: er hat keinen. Am markantesten zeigt sich dieses Nichtidentische der Sprache an seiner Überblendung verschiedener Sprachstrukturen. Wenn wir bei Chaucer noch spüren, daß das Angelsächsische und das Normannische nicht durchaus zusammengehen, aber verzweifelt unterwegs sind zu einem möglichst spurlosen Ausgleich, so ist dieses Auseinanderklaffen bewußt wiederholt, in willentlichem Schöpfungsakt, von Milton, wenn er dem inzwischen voll entwickelten Englischen das Lateinische aufpreßt. Zwei Systeme überlagern einander, ohne zur Deckung zu kommen: schreibt er englisch unter Benutzung syntaktischer Strukturen des Lateinischen, oder schreibt er lateinisch unter Benutzung englischer Wörter? 20 Die - im Benjaminschen Sinne - >Fremdheit der SprachenNotiz über Milton< in Vielfacher Schriftsinn, S. 132.

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Die Sprache des Sublimen Auch in der Burkeschen Analyse spielen die Fremdheit der Wörter und Teile untereinander und die Unangemessenheit der sprachlichen Verfahrensweisen im Hinblick auf ihren Gehalt eine zentrale Rolle. Im Gange der wirkungsästhetischen Ausrichtung seiner Untersuchung reflektiert Burke nur indirekt auf die Referentialität der Miltonschen Dichtung. Burke verhüllt diese Reflexion gewissermaßen in dem der Abhandlung zugrundeliegenden Vergleich zwischen Dichtung und Malerei und deren tendenzieller Zuordnung zum Schönen und zum Erhabenen. Insofern kann Burkes Abhandlung - so wie auch die von ihr beeinflußte Laokoon-Schrift Lessings - als Auseinandersetzung mit der gegenseitigen Übersetzbarkeit der Bildvorstellungen und der Bildkonstitution der Künste und mit ihrer ästhetischen Wirkung verstanden werden. Kant hat diese Überlegungen zu einer systematischen Darlegung über die Grenzen der Übersetzbarkeit von Einbildungskraft und Vernunft in der Analytik des Erhabenen geführt und die Unangemessenheit und Fremdheit der Vorstellungen der Einbildungskraft gegenüber den Gehalten, also den Ideen der Vernunft, aufgezeigt. Er liefert damit gewissermaßen den allegorischen Schriftsinn dessen, was sich bei Milton im Medium der Sprache der Dichtung vollzieht. Die Benjaminsche Reflexion auf die Intention auf die Sprache, die in der Miltonrezeption Addisons und Burkes eine weitaus größere Rolle gespielt hatte, scheint bei Kant ausgesetzt. Es wird zu zeigen sein, in welcher Weise dennoch Miltons Gedicht auch für die Kantsche Analytik von maßgeblicher Bedeutung war. Rezeptionsgeschichtlich ist es verblüffend, daß bereits Addison, wenn auch noch ambivalent21, und dann Burke ganz vorbehaltlos den Akzent auf die Sprache Miltons legen. Burke zeichnet damit den Weg zu einer Analyse der Similisierungsstruktur in Paradise Lost, die von einer Bedeutungsanalyse der in den Similes und Allusionen zusammengebrachten »Werte«, wie sie die Miltonkritik weitgehend bestimmt, absieht und den Akzent auf Miltons Umgang mit dem Undarstellbaren schlechthin legt. Burkes Beispiele

21 Addisons nüchterne und wertfreie Analyse, die zugleich die von Milton vor dem produktiven Hintergrund der epischen Tradition vollführte Innovation der sprachlichen Möglichkeiten erfaßt, wird begleitet von einer vom Standpunkt eines traditionellen Dekorum-Verständnisses geführten Kritik. Miltons Sprache sei »often too much laboured, and sometimes obscured by old words, transpositions, and foreign idioms.... to which I may further add, that Milton's sentiments and ideas were so wonderfully sublime, that it would have been impossible for him to have represented them in their full strength and beauty, without having recourse to these foreign assistances. Our language sunk under him, and was unequal to that greatness of soul, which furnished him with such glorious conceptions. ... The last fault which I shall take notice of in Milton's style is the frequent use of what the learned call technical words, or terms of art.« (Nr. 29^ 9. Februar 1712, Critical Essays from »The Spectator«, S. 87 f.) Ein anderer Aspekt seiner Kritik trifft die Vermengung des christlichen Gegenstandes mit heidnischen Fabeln auf der Ebene der Allusion (ibid., S. 87). Dies widerspricht freilich der Gesamttendenz der Addisonschen Interpretation, Miltons Erzählung als reines Phantasieprodukt zu sehen, die Figuren also als reine Denkbilder. So heißt es: »Milton's characters, most of them, lie out of nature, and were to be formed purely by his own invention. ... Adam and Eve, before the Fall, are a different species from that of mankind, who are descended from t h e m ; . . . » (Nr. 279 vom 19. Januar 1712, Critical Essays from »The Spectator«, S. 71).

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im zweiten Teil seiner Abhandlung sind Miltons Gestalt des Todes und die erste große Beschreibung Satans in der Hölle. Miltons Technik zur Darstellung schrecklicher Dinge nennt Burke eine »judicious obscurity«. In der Sprache der Maler beschreibt er Miltons Ausführung dieser Figur, die im Sinne der Philosophical Enquiry gerade das Exemplum ultimum einer ausschließlich der Dichtung vorbehaltenen Similisierungskonstellation ist: »His description of Death in the second book is admirably studied; it is astonishing with what a significant and expressive uncertainty of strokes and colouring he has finished the portrait of the king of terrors, [zit. Paradise Lost 2.666-73]... In this description all is dark, uncertain, confused, terrible, and sublime to the last degree.«22 Die Unbestimmtheit, in der Milton die Figur beläßt, ist für Burke also gerade das Entscheidende. Nun ist die Todesgestalt das Extrem einer indistinkten Figur, die zwischen dem Nichts und dem Geschöpflichen vexiert und vielleicht am ehesten in Analogie zur manieristischen Reflexion auf die Figurwerdung aus den Schatten begriffen werden kann.23 Figürlich stabiler erscheint dagegen die Gestalt Satans, deren Beschreibung in 1.589-599 Burke als zweites Beispiel anführt. Die Satangestalt, dies sollte vorausgeschickt werden, dient Milton überhaupt als herausragendes Reflexionsmedium für die Sublimitât des Gedichtes. Wie im einzelnen zu zeigen sein wird, gestaltet Milton Satan gewissermaßen als ein vexierendes Ideazentrum, man könnte auch sagen als eine Maschinerie zur topografischen Raumkonstitution in Psyche und Landschaft, das in gleichem Maße die Dinge mit dem Blick des himmelsverlustigen Melancholikers und mit dem ambivalenten und ambitiösen Gestus des Sublimitätsabenteurers belegt. In der Satanfigur scheint so auch die Kopplung der Erfahrung des Erhabenen an die Hybris mit zu lesen zu sein. Burke gibt darauf im Abschnitt >Ambition< einen Hinweis: »Now whatever either on good or upon bad grounds tends to raise a man in his own opinion, produces a sort of swelling and triumph that is extremely grateful to the human mind; and this swelling is never more perceived, nor operates with more force, than when without danger we are conversant with terrible objects, the mind always claiming to itself some part of the dignity and importance of the things which it contemplates. Hence proceeds what Longinus has observed of that glorying and sense of inward greatness, that always fills the reader of such passages in poets and orators as are sublime.«24 Insofern, als ein erheblicher Teil der Erfahrungsräume in Miltons Gedicht in Satans Perspektive konstituiert wird (man denke an den Höllenraum, die Begegnung mit der Todesgestalt, den Ausblick ins Chaos, die Erfahrung des Vakuums im Chaos, die Reise zu neuen Sternen, den Entwurf des paradiesischen Raumes), fokussiert Milton in der Satanfigur die Evokation des Sublimen in einer Innenperspektive auf die im Gedicht gestalteten Räume. Hier erscheint also Satan als das Kantsche Subjekt, das in der Ambivalenz von Schauder und Lust den Kosmos durchlebt. Zur gleichen Zeit zieht die Figur selbst, aus der Außenperspektive des Lesers,

22 A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, hg. von J. T. Bollitori, S. 59; Hervorhebungen M. W 23 Vgl. dazu Thomas Da Costa Kaufman, The Mastery of Nature, S. 68-78. 24 Philosophical Enquiry, S. 50 f.

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diese für das Gefühl des Erhabenen charakteristischen Ambivalenzen auf sich. Auf diese Erfahrung setzten die Satan-begeisterten Romantiker und projizierten die eigene Imagination in einem Akt der Identifikation auf das Weltenräume konstituierende Subjekt Satan im Gedicht, was zur Fortschreibung seiner heterokosmischen Landschaften in der Romantik führte. In einem nicht ohne weiteres verständlichen Argumentationssprung verbindet Burke das Porträt Satans (Paradise Lost 1.589-599) mit den Vernunftideen der Ewigkeit und der Unendlichkeit; tatsächlich sieht er den Bezugspunkt in der Undarstellbarkeit beider: »The ideas of eternity, and infinity, are amongst the most affecting we have, and yet perhaps there is nothing of which we really understand so little, as of infinity and eternity We do not any where meet a more sublime description than this justly celebrated one of Milton, wherein he gives the portrait of Satan with a dignity so suitable to the subject.« 25 Anders als später Kant, trennt Burke noch nicht stringent zwischen den Leistungen der Vermögen der Einbildungskraft und der Vernunft, so daß sich in dem Unvermögen, Ewigkeit und Unendlichkeit zu »verstehen«, das Unvermögen der Einbildungskraft, sich eine Vorstellung davon zu bilden, und das Unvermögen der Vernunft, zu dergleichen Ideen zu gelangen, treffen. Burkes Argumentation impliziert, daß er dies auch auf Miltons Porträt von Satan übertragen wissen will. Seine Analyse der unübertroffen »erhabenen Beschreibung«, die in Burkes Augen mit einer dem Gehalt eines Satanporträts adäquaten Würde verfährt, weist in ihrem Kern auf die im Sinne einer Unbestimmtheit verstandene »Obskurität«, die Burke als Charakteristikum der dichterischen Bildlichkeit überhaupt herausstellt: Here is a very noble picture; and in what does this poetical picture consist? in images of a tower, an archangel, the sun rising through mists, or in an eclipse, the ruin of monarchs, and the revolutions of kingdoms. The mind is hurried out of itself, by a croud of great and confused images; which affect because they are crouded and confused. For separate them, and you lose much of the greatness, and join them, and you infallibly lose the clearness. The images raised by poetry are always of this obscure kind; though in general the effects of poetry, are by no means to be attributed to the images it raises; ... 2é Burke unterläuft mit dieser Interpretation den paradoxerweise von der Miltonforschung immer wieder beschrittenen Weg der inhaltlichen Analyse der separierten Simile-Bestandteile - und dies, obgleich in der von ihm erörterten Bildamalgamation sogar der Kernbegriff seiner Analyse dichterisch vorgebildet ist: »and th'excess / Of glory obscured«. Burke scheint für eine Nivellierung der - im weitesten Wortsinne - allegorischen, also übertragenen Bedeutungen der Segmente im Hinblick auf den moralischen, typologischen etc. Gehalt des Satanporträts zu plädieren. Das heißt, mit seiner ästhetischen Fragestellung nach der Evokation des Erhabenen verläßt er von vornherein die Ebene 25 Ibid., S. 61. 26 Ibid., S. 62.

Die Sprache des Sublimen

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dieser Segmentbedeutungen im Konstitutionsgefüge der Satanfigur. Ebensowenig Gegenstand dieser Analyse ist die unendliche Anzahl möglicher Bedeutungen dieser Satanfigur für den Sonnenaufgang im Nebel und die Unheil verheißenden Lichteffekte und Wandelbarkeitsbedeutungen des Mondes für das Schicksal von Völkern und Monarchen. Diesen Aspekt erläutert Burke noch deutlicher im implizit Satan-durchtränkten Abschnitt zu >MagnificenceVom Sublimerà in Vielfacher Schriftsinn, S. 213, und ders., »Milton's Sublime«.

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Formen der

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radezu zur Schnittstelle dieser beiden Linien werden konnte. Seine Beispiele aus Hiob und insbesondere das im >MagnificenceDer Sinn der Tora in der jüdischen MystikWeisheitNichts< entsprang.«

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Formen der

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sechsten Buches: »Over their heads a crystal firmament, / Whereon a sapphire throne, inlaid with pure / Amber, and colours of the showery arch« (6.757-759). N u r wenige Verse später wiederholt Milton diese poetische Manifestation der Sefira im gleichen Großbild: »He on the wings of cherub rode sublime / O n the crystalline sky, in sapphire throned.« 48 In der Thronwagendarstellung zu Beginn der Schöpfungserzählung entfaltet nun Milton den Sefiroth-Baum in der Mehrzahl seiner Teile.49 Die in den Versen Ζ192-196 hintereinandergereihten Messias-Attribute lassen sich größtenteils auf einzelne Sefira beziehen bzw. zurückführen, deren Namen sie direkt übersetzen: »omnipotence« auf Gevurah, »radiance« auf Tifereth, »crownfed]« auf Kether, »majesty divine« mí Hod, »sapience« auf Chochma und »love immense« auf Chessed, möglicherweise »Father« auf Zaddik (»the righteous one«). Christus selbst, hier also »Son«, wird als zweite Sefira repräsentiert, also in Chochma, der Weisheit. Gleichzeitig könnte »Son« im Hinblick auf den Aspekt des Urmenschen, Adam Kadmon, in der sechsten Sefira Tif'ereth (Schönheit oder Pracht) oder Rahamim (Erbarmen) ausgelegt werden. 50 Das Großbild des Schöpfungsvollzugs erlaubt - wenn man diese kabbalistische Lesart weiterführt - zusätzlich, den Schöpfungsakt über dem Abyssum ebenfalls als einen dynamischen Vorgang innerhalb des Sefiroth-Baumes zu lesen. Hierdurch kämen zwei weitere Sefira, Bina (»intelligence«) und Malchuth (»kingdom«) oder Schechina, ins Spiel. Scholem spricht von der »radical transformation of the doctrine of creatio ex nihilo into a mystical theory stating the precise opposite of what appears to be the literal meaning of the phrase. From this point of view it makes no difference whether Ein-Sof itself is the true ayin [»nothing«, »nothingness«] or whether this ayin is the first emanation of Ein-Sof. [...] Since the early kabbalists allowed no interruption of the stream of emanation from the first Sefirah to its consolidation in the worlds familiar to medieval cosmology, creatio ex nihilo may be interpreted as creation from within God himself.«51 Scholem nennt dies trefflich den »Abgrund in Gott«, der mit der unendlichen Fülle Gottes koexistiert und in der Schöpfung bewältigt wird. 52 Schöpfung wird also als dynamischer Vorgang innerhalb des Emanationsprozesses vorgestellt. Die beiden großen Schöpfungsbilder in Paradise Lost, das invokatorisch eingebundene des ersten Buches und das des siebten Buches, können als poetische Darstellungen des Emanationsprozesses aufgefaßt werden. Das in beiden verwendete Zeugungsbild kann vor dem Hintergrund der von Scholem beschriebenen organischen Emanationssymbolik gelesen werden: 48 Die zwischen diese beiden Thronmanifestationen der Sefira gespannten Abstrakta lassen sich - einmal abgesehen von Victory - in Bezug zu den abyssischen Mächten des zweiten Buches setzen, welche dadurch die Form ihrer Genese im nachhinein aufgeschrieben bekommen; vgl. dazu das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit. 49 Vgl. Scholem, Kabbalah, S. Ill: »Emanation in its totality is the >Celestial Chariot< and individual components are >parts of the Chariot< [...].« 50 Vgl. Scholem, Kabbalah, S. 105 ff., sowie Mystische Gestalt, S. 30 ff. Zur Urgestalt des Menschen in der mystischen Urgestalt der Gottheit, Adam Kadmon, vgl. weiter unten. 51 Kabbalah, S. 94; vgl. dazu auch Zur Kabbala und ihrer Symbolik, S. 135 ff. 52 Zur Kabbala und ihrer Symbolik, S. 137; vgl. dazu auch Scholem, »Schöpfung aus Nichts und Selbstverschränkung Gottes«, in: ders.: Uber einige Grundbegriffe des Judentums, S. 53-89.

Shi'ur Koma

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The organic symbolism equates the primordial point with the seed sown in the womb of »the supernal mother«, who is Binah. »The palace« is the womb which is brought to fruition through the fertilization of the semen and gives birth to the children, who are the emanations. [...] References to male and female appear not only in the symbolism of father and mother, son and daughter, Hokhmah and Binah, Tiferei and Malkhut, but also in the striking use of sexual imagery which is a particular characteristic of the Zohar and Lurianic Kabbalah. The use of such phallic and vaginal images is especially prominent in the description of the relationships between Tiferei and Yesod on the one hand and Malkhut on the other. 53 Hinter der geometrischen Bildlichkeit innerhalb der zweiten Darstellung, also dem U m schreiben der Schöpfung mit einem Zirkel, stünde in dieser Lesart die mitunter auch in Licht- und Wassersymbolik gefaßte Vorstellung der Expansion des primordialen Punktes (der zweiten Sefira, Hokhmah) in einem Kreis in der dritten Sefira {Binah), was auch im Bau eines Palastes verbildlicht wird und an die oben angeführte Se/zVoiÄ-Bildlichkeit im zweiten Buch denken läßt. Der gleiche Emanationsvorgang wird auch in der Symbolik einer aus dem Nichts hervorspringenden Quelle ausgedrückt, die in der dritten Sefira in Form eines Flusses fließt, der sich entsprechend der Emanationsstruktur in die übrigen Sefira verzweigt und schließlich von dort in »dem großen See« der letzten Sefira (Malchuth oder Schechina) zusammenkommt. 5 4 Im Sohar wird die Wassersymbolik zusätzlich in eine Lichtsymbolik eingebettet: »From the mystery of Ein-Sof a flame is kindled and inside the flame a hidden well comes into being. The primordial point shines forth in being when the well breaks through the ether. It is as if all possible images were assembled together in this description.« 55 Diese Emanationsvorstellungen könnten Modell für Miltons Lichtinvokation im dritten Buch gewesen sein, für die freilich andererseits auch eine Vielzahl anderer Vorlagen in Betracht kommt. 5 6 Poetisch eingebunden sind ja die im Gedicht als Christusattribute erscheinenden Sefiroth im dynamischen Similisierungsprozeß der göttlichen Vater-Sohn-Relation. Wir haben oben bereits das triadische Spiegelungsverhältnis gestreift, das auf der Grundlage von Genesis 1.26 der Similisierungsprozeß zwischen G o t t und der menschlichen Ebenbildlichkeit ( D e m u t h Adam) und deren nochmaliger Spiegelung in Christus ist. Dieser Similisierungsvorgang ist auch in der zweiten Variante der Schi'ur Koma-Vorstellung präsent, in der die Sefiroth unter der Gestalt des Urmenschen {Adam Kadmon) auftre57 ten, die der Gestalt des irdischen Adam entspricht. Einen unmittelbaren Anhaltspunkt

53 Kabbalah, S. 110. 54 Eine mögliche Verbindung dieses Bildes mit dem »sea of glass like unto crystal« vor dem Thron Gottes (Rev. 4,6) und dem »sea of glass mingled with fire« (Rev. 15.29) mag Milton in 3.483,3.518-19 und 7619 im Sinn gehabt haben. 55 Scholem, Kabbalah, S. 109 f. 56 Vgl. dazu das Kapitel >Light< in Michael Liebs grundlegendem Poetics of the Holy, S. 185 ff. Für Miltons mögliche Bezugnahme auf kabbalistisches Schrifttum vgl. vor allem sein Kapitel >PresenceDas Problem der harmonischen Proportion in der Architektur*). 65 Vgl. Rebecca W Smith, »The Source of Milton's Pandaemonium«; ebenso William A. McClung, »The Architecture of Pandaemonium«; sowie James A. Freeman, »The Roof was Fretted Gold«; vgl. dagegen freilich Roland Mushat Frye, Milton's Imagery and the Visiual Arts, S. 133 ff; sowie A m y Lee Turner, »Milton and the Arts of Design«, S. 99 f. 66 Vgl. hierzu John G. Demaray, Milton's Theatrical Epic. The Invention and Design of »Paradise Lost«, S.35. 67 Τ he Masque of Queens, 3 2 7 - 3 4 3 , in: Ben Jonson, The Complete Masques, hg. von Stephen Orgel, S. 134. Vgl. die Zeichnungen von Inigo Jones in Stephen Orgel / Roy Strong (Hg.), The Theatre of the Stuart Court, Bd. 1, S. 130 und 138. Vgl. zusätzlich Ben Jonsons Maskenspiel Oheron, The Fairy Prince, 97 ff. zu dem in einer Höhle sichtbar werdenden Palast des Oberon (in Orgels Edition S. 163) zusammen mit den Zeichnungen in The Theatre of the Stuart Court, Bd. 1, S. 210-217 68 Britannia Triumphans, 4 8 9 - 5 1 0 , in: Orgel / Strong (Hg.), The Theatre of the Stuart Court, Bd. 2, S. 666; vgl. die Zeichnungen zum Palace of Fame ibid., S. 677 ff.; vgl. zum gesamten Maskenspielkomplex bei Milton, John G. Demaray, Milton's Theatrical Epic, S. 16-39, insbesondere S. 31 ff.; weiterhin Demarays frühere Studie Milton and the Masque Tradition.

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Formen der

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kenspiele (in den Folios von 1616 und 1640) zur Verfügung, in der Jonson - zum ersten Mal in der Geschichte des Theaters - ausführliche Darstellungsbeschreibungen und damit Selbsterklärungen eines Dramatikers zur Aufführungspraxis gab. Darüber hinaus entfaltet Jonson in dieser Edition Formen mythologischer Einschmelzungen, die nicht nur grundlegend für seine Texte waren, sondern auch auf einem hohen Niveau zeigen, wie selbstverständlich dem 17 Jahrhundert der Variantenreichtum und die Wandelbarkeit der mythologischen Uberlieferung und ihrer Rezeption und Aneignung waren. 69 Nun bedeutet die Adaption der Möglichkeiten des Gesamtkunstwerkes Maskenspiel in Paradise Lost an sich bereits die Aneignung genuiner Gattungsüberschreitung: die Landschaftsmalerei auf den Kulissen, die allegorisch-ikonologischen Figuren, der Figurenwandel, Schauspiel, Musik (bis hin zur musikalischen Repräsentation der Sphärenharmonie) usw sind darin bereits zu einer Gesamtkunstform verschmolzen. Dies führt im Maskenspiel zu einer Ubersimilisierung oder Ubersteuerung der Bilder, die, auf mehreren Ebenen übereinander gelagert, einzeln keine Bedeutung mehr tragen. Unter der Wucht dieser Bildpotenzierungen geht in letzter Konsequenz die königliche Macht, die repräsentiert werden soll, als Signifikat verloren - die Gesamtkunstform repräsentiert gewissermaßen selbstreferentiell nur mehr sich selbst. Die Maskenspiele durchlaufen darin einen der beschriebenen Sprachbewegung in Paradise Lost vergleichbaren Prozeß. Durch ihre höfisch-repräsentative Funktion als Illusionsbildung wird das Gesamtkunstwerk Maskenspiel unmittelbar politisch und gesellschaftlich wirksam. 70 Die Adaption dieser Form bedeutet also einen Griff ins Zentrum auch der Macht und damit ins Zentrum ikonoklastischen Interesses. Letzterem eröffnen die Maskenspiele durch die kontrapunktische Doppelstruktur in Maske und Antimaske gewissermaßen bereits an sich selbst ein Modell, das Milton bis in kleinste Details ausnutzt und, wie wir sehen werden, insbesondere in oppositionalen Figurenkontellationen bis hin zur Inkorporation oppositionaler Strukturen in ein und derselben Figur verfeinert. Mit dem Bau des Pandaemoniums macht Milton so die Bühne frei für eine epische Narrativik, die durchgängig auch als ein in kosmischen Dimensionen inszeniertes Maskenspiel lesbar ist. Höhepunkt und Kraftzentrum dieses Aufzugs sind die beiden Thronwagenvisionen im Zentrum des Gedichtes als Überhöhung und zugleich als Relativierung aller Triumphzüge des Festspielwesens. Milton denkt dabei als konsequenter Ikonokiast weniger an die - an der Oberfläche der epischen Handlung freilich durchgestaltete - Wiedereinsetzung Gottes auf den von absolutistischen Illusionären erheischten Weltenthron als vielmehr an eine Gottesmaschinerie »wheel within wheel undrawn, / It self instinct with spirit« (6.751-752), die im Grunde eine bruneske Gedächtnismaschinerie zur Erstellung neuer Welten ist. Miltons Similisierungen können als die ersten, kleinen Produkte aus dieser Produktionsstätte angesehen werden.

69 Dieses gegenüber beispielsweise den Ovidannotationen von Sandys weitaus spannendere Material bedürfte im Hinblick auf Milton einer systematischen Aufarbeitung.

70 Vgl. Roy Strong, Splendour at Court und Stephen Orgel, The Illusion of Power.

Babylonische

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Einschmelzung

Babylonische Einschmelzung Fassen wir die bis hierhin betrachteten Verfahrensweisen zusammen, so ergibt sich ein N e t z interagierender Gestaltungsformen, die sich - wie gerade das letzte Beispiel zeigt unter dem Begriff des Ikonoklasmus subsumieren lassen. Die von Milton entwickelten ikonoklastischen Formen der Enthierarchisierung - zu denen die Latinisierung des E n g lischen genauso zu rechnen ist wie die Aufhebung unterscheidbarer Literaturformen oder die Einebnung der Gattungsgrenzen - stehen im eklatanten Gegensatz zu der für die Dichtungspraxis seiner Zeit typischen Einhaltung des Dekorum und müssen in ihrem ganzen Ausmaß als Revolution an der Sprache gesehen werden. Als Beispiel mag das dienen, was man die Metakonstitution des Paradieses (gegenüber und mit den Traditionen) nennen könnte. Im Verlauf seiner ekphrasischen Paradiesesbeschreibung lagert Milton über die bereits geleistete Deskription eine ex negativo similisierende Uberbietungsreihe: N o t that fair field O f Enna, where Proserpine gathering flowers Her self a fairer flower by gloomy Dis Was gathered, which cost Ceres all that pain To seek her through the world; nor that sweet grove O f Daphne by Orontes, and the inspired Castalian spring, might with this Paradise O f Eden strive; nor ...

(4.268-275)

Die Funktion dieser «or-Konstruktion, die hier stellvertretend für viele steht, ist vielfältig. Vordergründig setzt Milton mit ihr das christliche Paradies, von dem sein Epos handelt, ab von allen topologisch in den Paradieseskontext fallenden mythologischen Plätzen. 7 1 In der poetischen Explikation solcher Dissimilisierung freilich setzt er damit 71 Bei dieser vordergründigen Interpretation bleibt die Miltonkritik auf dem Boden der christlich verstandenen biblischen Thematik des Großgedichtes stehen. Die im Text da und dort erzählerisch ausgestreuten Beteuerungen der alleinigen Authentizität biblischer gegenüber allen mythologischen Uberlieferungen werden beim Wort genommen und nicht als rhetorischer Bestandteil einer poetischen Übersimilisierung erkannt, deren Signifikat ausgefallen ist, so daß die Frage nach der Wahrheit der Geschichten irrelevant und gegenstandslos wird. Dies gilt sogar für einen solch aufgeklärten Interpreten wie John Martindale, John Milton and the Tramformation of Ancient Epic, der trotz seines feinen interpretatorischen Gespürs für die Formen der Antikerezeption bei Milton die selbst nicht nur im rhetorischen, sondern ebenso im theologischen'Kontext sich aufdrängende Dialektik der Negationsreihen unbeachtet läßt. So heißt es bei ihm S. 175 über die hier in Frage stehende paradiesische Similisierungskette: »Ostensibly Milton's lines constitute an example of what is called >outdoingPerfect< Paradise and the Landscapes of Italy«, S. 33, macht in diesem Zusammenhang die Manuskript-Bemerkung von Addison stark: »Milton would never have been able [...] to have laid out his Paradise had he not seen the gardens of Italy« Vgl. weiter Amy Lee Turner, »Milton and the Arts of Design«; R. M. Frye, Milton's Imagery and the Visual Arts, S. 23-31; sowie Mario A. Di Cesare (Hg.), Milton in Italy. 82 Vgl. Due Lezioni all' Accademia Fiorentina circa la Figura, Sito e Grandezza dell'Inferno di Dante, in: Le Opere (Edizione Nazionale), Bd. IX, S. 31 f.

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individuo si contempla un mondo, un universo; dove per Giove governatore è significato il lume intellettuale che dispensa e governa in esso, e distribuisce in quel mirabile architetto gli ordini e sedie de virtudi e vizii.83 »Disponiamoci, dico, prima nel cielo che intelletualmente è dentro di noi«, heißt es an einer anderen Stelle im Spaccio über die anvisierte Bewußtseinsreform.84 »Se cossi, o dei, purgaremo la nostra abitazione, se cossi renderemo novo il nostro cielo, nove saranno le costellazioni ed influssi, nove l'impressioni, nove fortune; perché da questo mondo superiore pende il tutto, e contrarli effetti sono dependenti da cause contrarie.«85 Zugespitzt und zur logischen Konsequenz weitergetrieben findet sich diese MikrokosmosMakrokosmos-Relation in Brunos Gedächtnistraktaten: »... er versuchte, sie, die Dinge, dem menschlichen Geist erfahrbar zu machen, indem er sie in eine erinnerungsfähige Ordnung, gleichsam eine Erfahrungsbewegung stellte, indem er mithin nichts geringeres unternahm, als ein Universum im Kopf zu erschaffen oder das Universum im Kopf nachzuschaffen, neuzuschaffen.«86 Mit gleicher Emphase wie im Spaccio beschreibt Bruno die Vorstellung vom Mikrokosmos in De gli Eroici Furori: »Come intendi che la mente aspira alto? verbi grazia, con guardar sempre alle stelle? al cielo empireo? sopra il cristallino? - Non certo, ma procedendo al profondo della mente, per cui non fia mistiero massime aprir gli occhi al cielo, alzar alto le mani, menar i passi al tempio, intonar l'orecchie de simulacri, onde più si vegna exaudito; ma venir al più intimo di sé, considerando che Dio è vicino, con sé e dentro di sé più ch'egli medesimo esser non si possa; come quello ch'è anima de le anime, vita de le vite, essenza de le essenze: atteso poi che quello che vedi alto o basso, o incirca (come ti piace dire) degli astri, son corpi, son fatture simili a questo globo in cui siamo noi, e nelli quali non più né meno è la divinità presente che in questo nostro, o in noi medesimi.«87 Ernster sei, so Reichert, »die Vorstellung vom Mikrokosmos, dem All in uns, nie ge83 Spaccio, hg. Aquilecchia, S. 560; Ubers. Kuhlenbeck, S. 24: »Zeus ist die Seele, der Menschengeist, der sich in diesen ewig wechselnden Strom der Materie versetzt sieht. Ebenderselbe wird zugleich als Lenker und Beweger des Himmels aufgefaßt, um dadurch anzudeuten, daß sich in jedem Menschen, in jedem Individuum eine innere Welt darstellt, ein Mikrokosmos, in dem Zeus, der Lenker, das Licht des vernünftigen Willens repräsentiert, welches in ihm, in diesem wunderbaren Staat herrscht und regiert und die Rangstufen und Sitze der Tugenden und Laster verteilt.« 84 Hg. Aquilecchia, S. 611; Ubers. Kuhlenbeck, S. 69: »Reinigen und säubern wir, sage ich, zunächst den unsichtbaren Himmel, der geistig in uns selber ist...« 85 Spaccio, hg. Aquilecchia, S. 612; Übers. Kuhlenbeck, S. 69 f.: »Wenn wir so unsere Behausung gereinigt und unseren Himmel neu gemacht haben, dann, o Götter, werden auch neue Konstellationen und neue Einflüsse besserer Gestirne und neue Eindrücke und bessere Geschicke bringen; denn von dieser oberen Welt ist das Ganze abhängig, und entgegengesetzten Ursachen folgen entgegengesetzte Wirkungen.« 86 Reichert, >Joyce und Bruno< in Vielfacher Schriftsinn, S. 209; vgl. auch ders., »Joyces Memoria«, S. 343 ff. 87 De gli Eroici furori, II.i.4, hg. Aquilecchia, S. 1087; Übers. Bacmeister, S. 135 f.: »Cesarino: Was meinst du damit, daß der Verstand nach Höherem strebt? Zum Beispiel, indem er zu den Sternen aufschaut? Zum Empyreum? Über den Kristallhimmel hinaus? - Maricondo: Sicherlich nicht, sondern indem er in die Tiefe des Verstandes eindringt. Dazu braucht er nicht die Augen weit zum Himmel hin zu öffnen, die Hände in die Höhe zu heben, die Schritte zum Tempel zu lenken, die Ohren der Statuen vollzutönen, damit er besser erhört werde. Sondern er muß in das Innerste seiner selbst eindringen, in dem

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nommen worden - bis zu Harvey nicht, der den anatomischen Beweis für die Analogie erbringen wollte. [...] Wir brauchen nicht aus uns herauszugehen, um zu erkennen - zu einem geliebten Objekt oder zum Anblick des Himmels - , sondern wir brauchen nur in uns selber hineinzuschauen und vermögen dort die Welt zu finden.« 88

John Donnes Melancholie Die im Brunoschen Spekulieren mit Bildern enthaltenen Möglichkeiten von Welterstellung haben - auch wenn dies meist nicht beachtet wird - der Literatur der so spät verlaufenden englischen Renaissance und daneben vor allem dem Festspielwesen und den höfischen Maskenspielen ganz neue Formen der Figurenkonstitution und der Handlungsstrukturierung eröffnet. Nicht untersucht ist, in welcher Weise die poetische U m setzung von Brunos Wandlungslehre etwa bei Spenser oder in den Maskenspielen der Stuart-Zeit das zu unterlaufen beabsichtigt, was -wiederum beispielsweise bei Spenser als mutabilitie and. ifecvzj-Thematik den Text wie ein roter Faden zu durchziehen scheint. Das ständige Herausspringen neuer Figuren und Handlungsstränge weist genauso wie der stete Ausgleich des Bösen durch das Auftreten des oppositionalen, doch komplementär zu denkenden Guten in diese Richtung. Die gegenseitige Überblendung der verschiedenen Darstellungsebenen im Maskenspiel als ein anderer Aspekt des Formenwandels zielt schon aufgrund der repräsentativen Funktion dieses Gesamtkunstwerks auf eine Negation des decay, wenn auch freilich die Ubersteuerung der Bilder und damit die Form der Illusionsbildung gerade auf die darunter verdeckten Krisensymptome deuten. Die große Zäsur des Jahres 161089 mit der Veröffentlichung von Galileis Sidereus Nuncius bringt neue Aspekte in die mutabilitie and New Astronomy< and English Literary Imagination«; »Milton and the Telescope«.

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The Sunne is lost, and th' earth, and no mans wit Can well direct him where to looke for it. And freely men confesse that this world's spent, When in the Planets, and the Firmament They seeke so many new; they see that this Is crumbled out againe t'his Atomis. 'Tis all in pieces, all cohaerence gone; All just supply, and all Relation: Prince, Subject, Father, Sonne, are things forgot, For every man alone thinkes he hath got To be a Phoenix, and that there can bee None of that kinde, of which he is, but hee. (205-218; Hervorhebung M. W) Im Kontext der decayóorstellung als eines negativen Erwartungshorizontes bedeutet Galileis Beschreibung der lunae facie, fixis innumeris, lácteo circulo, stellis nebulosis und schließlich der quatuorplanetis circa Iovis Stellam disparibus intervallis den Donneschen Versen zufolge geradezu bereits die Erfüllung dieser Erwartung. Paradox begleitet wird dies von einer radikalen Ausweitung des räumlichen Erwartungshorizontes (When in the Planets, and the Firmament / They seeke so many new), der freilich im Gegensatz zu den in der gleichen nautischen Metaphorik beschriebenen kolonialistischen Entdeckungen historisch nicht einlösbar ist. Im Sidereus Nuncius ist es ja gerade die Erschließbarkeit einer neuen Welt durch die sich im Fernrohr abzeichnende Similarität des Mondes und der Planeten - die exemplarisch für das Stellare überhaupt stehen - mit den irdischen Gegebenheiten, die für Galilei so etwas wie die Selbstbehauptung und Zuversicht der neuen Wissenschaft auslöst. Im Gegensatz dazu, so wird es jedenfalls gesehen, folgert John Donne aus der Nivellierung der kategorialen Differenz zwischen Erde und Himmelswelt den Zerfall der sozialen, politischen, religiösen und philosophischen Bindekräfte in der Welt. Das heißt, Donne als der wohl überhaupt erfindungsreichste englische Dichter, was Vergleiche und Paradoxa angeht, scheut - so wird An Anatomy of the World gemeinhin interpretiert - zurück vor der mit der Astronomie - und dem neuzeitlichen wissenschaftlichen Denken überhaupt einherkommenden universalen Relativierung, die sich als Vergleichbarkeit von allem mit allem, als Nivellierungsschlag gegen das poetische Dekorum genauso wie gegen die Hierarchien in Kirche, Staat und Gesellschaft auswirkt. Wenn Welterkenntnis und Weltverlust für Donne demnach zwei Seiten des gleichen Prozesses sind, der an sich unaufhaltbar ist, so weist er inmitten der erstarrten Urlandschaft der entseelten Welt seines Gedichtes auf einen Ausweg in ein inneres Paradies: »For there's a kind of world remaining still, / [ . . . ] And though she have shut in all day, / The twilight of her memory doth stay; / Which, from the carcasse of the old world, free, / Creates a new world; and new creatures be / Produc'd: The matter and the stuffe of this, / Her vertue, and the forme our practise is« (67-78). Eingehüllt in die Ironisierung der

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astronomischen Leistungen, findet sich darüber hinaus in Donnes langem Abgesang auf die Welt ein Gedanke, der so auch mehrfach in seiner lateinisch und englisch verfaßten, im Januar 1611 veröffentlichten Prosaschrift Ignatius His Conclave auftaucht. Dabei deutet die Metaphorik der nun greifbar werdenden Herrschaft über die Himmelswelt auf die Faszination, die von dieser - in dem kategorial erweiterten räumlichen Erwartungshorizont der neuen Welt in den Bereich des Machbaren kommenden - Vorstellung ausging. For of Meridians, and Parallels, Man hath weav'd out a net, and this net throwne Upon the Heavens, and now they are his owne. Loth to goe up the hill, or labor thus To goe to heaven, we make heaven come to us. We spur, we raine the stars, and in their race They're diversly content t'obey our pace. (278-285) In der ironischen Prosaschrift91 ist der gleiche Gedanke in einem nautischen Bild konkreter an die Arbeit des Astronomen mit dem Fernrohr gekoppelt: »he may draw the Moone, like a boate floating upon the water, as neere the earth as he will«. 92 Faszinierender noch als dieses mächtige Bild ist allerdings an der Passage, in der es vorkommt, Donnes - im Schwünge der Ironie sich einstellende - Hellsicht im Hinblick auf die Anziehungskraft, die Galileis Lehre auf den späteren Papst Urban VIII. ausüben würde. Mit Kardinal Barberini wurde Galilei erst während seiner zweiten Romreise von März bis Juni 1611 bekannt. Barberini verfaßte Oden auf die Galileischen Entdeckungen. Zwei Monate nach der Wahl Barberinis zum Papst erschien im Oktober 1623 Galileis Ii Saggiatore mit der Widmung an den neuen Pontifex. Jedoch bereits im Januar 1611 war in Ignatius His Conclave zu lesen: I will write to the Bishop of Rome: he shall call Galilaeo the Florentine

to him; who by

91 Nicolson, »The >New Astronomy< and English Literary Imagination«, S. 454, beschreibt den Duktus der Schrift überaus treffend: »Here is Donne, symbol again of his century, ironically turning the artillery of his laughter sometimes against astronomers, again against those who laugh at or distrust astronomers, most of all against those fearful souls - like himself in some of his moods - who fear the effect of the new astronomy upon religion and philosophy« 92 Vgl. für diesen Bildkomplex Bruno, La Cena de le Ceneri, Erster Dialog, hg. Aquilecchia, S. 33: »... le rende non men presenti che si fussero proprii abitatori del sole, de la luna ed altri nomati astri, dimostra quanto siino simili o dissimili, maggiori o peggiori quei corpi che veggiamo lontano a quello che n' è appresso ed a cui siamo uniti ...« (Ubers. Fellmann, Aschermittwochsmahl, S. 92: »Er [der Nolaner] bringt ihnen die Sonne, den Mond und die anderen bekannten Gestirne so nahe, als wohnten sie selbst darauf, und er zeigt, inwieweit die Körper, die wir in der Ferne sehen, unserer Erde gleichen oder sich von ihr unterscheiden und inwieweit sie erhabener oder niederer sind als diese.«) Am Ende des in seiner Länge geradezu auf Milton vorausweisenden Satzes sagt Bruno über die zum Stern erhobene Erde: »... e non pensar oltre lei essere un corpo senza alma e vita, ad anche feccia tra le sustanze corporali.« (Ubers. Fellmann: »Auf daß wir nicht länger glauben, sie sei ein Körper ohne Seele und Leben und gar der Bodensatz unter den körperlichen Substanzen.«) Gegen einen solchen Satz gelesen, wird deutlich, wie Donne die der Erde von der Astronomie verliehene neue Beseeltheit geradezu auf den Kopf stellt.

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this time hath throughly instructed himselfe of all the hills, woods, and Cities in the new world, the Moone. And since he effected so much with his first Glasses, that he saw in the Moone, in so neere a distance, that hee gave himselfe sastisfaction of all, and the least parts in her, when now being growne to more perfection in his Art, he shall have made new Glasses, and they received a hallowing from the Pope, he may draw the Moone, like a boate floating upon the water, as neere the earth as he will. And thither (because they ever claime that those imployments of discovery belong to them) shall all the Jesuites bee transferred, and easily unite and reconcile the Lunatique Church to the Romane Church; ...93 Die Anspielung auf das kolonialistische Entdeckertum der Jesuiten zeigt deutlich, wie die Navigationsmetaphorik zustande kommt. Im selben Zusammenhang stehen die Verse in To the Countesse of Bedford (»T'Have written then«): »We' have added to the world Virginia, 'and sent / Two new starres lately to the firmament.« Poetisch macht sich Donne die neue Vergleichbarkeit von Himmel und Erde auch zunutze, wenn es in der Anatomy heißt: »And in these Constellations then arise / New starres, and old doe vanish from our eyes: / As though heav'n suffered earthquakes, peace or war, / When new Towers rise, and old demolish't are« (259-262) - vielleicht sind dies sogar Verse, vor deren Hintergrund Miltons Himmelskrieg-Darstellung zu lesen ist. In den Zeilen an Countess Bedford klingt die Transformation der Metaphorik von Navigation und Entdeckertum in die Metapher der Schaffung von Welten an, die entdeckt werden. Donne gestaltet sie an Kopernikus - als einem der Protagonisten des Ignatius His Conclave zur großen Metapher des Schöpfertums der Astronomen, das nun an die Stelle aller anderen Schöpfungsvorstellungen tritt. I am he, which pitying thee who wert thrust into the Center of the world, raysed both thee, and thy prison, the Earth, up into the Heavens; so as by my meanes God doth not enjoy his revenge upon thee. The Sunne, which was an officious spy, and a betrayer of faults, and so thine enemy, I have appointed to go into the lowest part of the world. Shall these gates be open to such as have innovated in small matters? and shall they be shut against me, who have turned the whole frame of the world, and am thereby almost a new Creator? 94 Die dem Charakter Kopernikus in den Mund gelegte Erhebung der Erde in stellaren Rang relativiert Donne andernorts in einem Brief, was zeigt, daß er ein Gespür für die Konsequenzen der neuen Astronomie hatte oder sogar ein genauer Leser war: »Copernicus in the Mathématiques hath carried earth farther up from the stupid center; and yet hath not honoured it, because for the necessity of appearances, it hath carried heaven so much higher from it.«95 Möglicherweise spielt Donne in der Eröffnung des Auftritts 93 John Donne, Ignatius His Conclave, hg. von T. S. Healy, S. 81. 94 Ibid., S. 15. 95 T. S. Healy zitiert diese Briefpassage in seiner Annotation zu S. 15, Zeile 2, in Ignatius His S. 109.

Conclave,

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von Kopernikus an der Höllenpforte, ironisch auf den Kopf gestellt, auf die Weltseele seines Anatomy-Geàichtts an, wenn der vehement um Einlaß Bittende ausruft: »Are these shut against me, to whom all the Heavens were ever open, who was a Soul to the Earth, and gave it motion?«96 Mir scheint, daß die imaginative Innovation, die sich in diesen Beispielen abzeichnet, in eine andere Richtung weist als der im Anatomy-Gcàìcht unternommene Versuch, in der poetischen Enfaltung der Negation des überkommenen Korrespondenzsystems einen nostalgischen Aufschein der entzogenen Präsenz der Weltseele zu geben. In den ersten Sätzen der Ignatius-Schrift klingt unter der gewohnten Ironie die Möglichkeit eines ganz anderen Themas an, dessen Ausführung allerdings - wie sich darin auch andeutet - die Adaption der galileischen Kosmoshermeneutik zur Voraussetzung gehabt hätte, also die unendliche Vermehrung der Äquivalenzen zwischen der selbst zum Stern gewordenen Erde und den stellaren Welten um sie herum bei gleichzeitigem Ausfall eines stabilen Mittelpunkts als Hauptreferenten. I will relate what I saw. I was in an Extasie, and [...] had liberty to wander through all places, and to survey and reckon all the roomes, and all the volumes of heavens, and to comprehend the situation, the dimensions, the nature, the people, and the policy, both of the swimming Hands, the Planets, and of all those which are fixed in the firmament. Of which, I thinke it an honester part as yet to be silent, then to do Galileo wrong by speaking of it, who of late hath summoned the other worlds, the Stars to come nearer to him, and give him an account of themselves. Or to Keppler, who (as himselfe testifies of himselfe) ever since Tycho Braches death, hath received it into his care, that no new thing should be done in heaven without his knowledge,97 Auf dem Niveau der Anatomy of the World erweist sich Galileis Sidereus Nuncius für Donne als Auslöser oder vielleicht auch nur als Metapher für die Auslösung einer pessimistischen Folgenrechnung im Hinblick auf das neuzeitliche naturwissenschaftliche Denken insgesamt. Als Metapher steht die Schrift im Grunde für die Beschleunigung des Erwartungshorizontes des decay, die aus einem breit angelegten Ursachenbündel resultiert. Die in dem großen Gedicht aus ihrem Namen gefallene Welt zieht in vielen Einzelheiten die Benjaminschen Deutungen der barocken Allegorität auf sich. In Donnes allegorischem Tableau liegt tatsächlich die facies hippocratica der Geschichte als erstarrte Urlandschaft dem Betrachter vor Augen. Die Geschichte in allem was sie Unzeitiges, Leidvolles, Verfehltes von Beginn an hat, prägt sich in einem Antlitz, nein in einem Totenkopfe aus. [...] Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen

96 Ignatius His Conclave, S. 13. 97 Ignatius His Conclave, S. 7

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ihres Verfalls. Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt. 98 Bei Donne markiert die Vorstellung von der exilierten Weltseele die Differenz im Ubergang vom Leben zum Tod. Die nostalgisch aufscheinende Negativität ihrer Präsenz bedeutet für die Welt, daß sie nicht sterben kann. Je tiefer sich Donnes anatomischer Prozeß in die Physis der Welt eingräbt, desto bedeutungsvoller werden die aus jeder Bindung herausgefallenen Bruchstücke im Hinblick auf die mit keinem Namen benennbare shee, da sie der Name der Bedeutung schlechthin ist: soviel Todverfallenheit, soviel Bedeutung. Lediglich als Abwesende kann sie im tiefsten Sinne allegorisch präsent werden. Die Bruchstücke und das anatomisch Zerstückelte werden unter dem Blick des Melancholikers an sich völlig bedeutungslos und allegorisch aufgeladen nur mit der Bedeutung, die ihnen der Melancholiker gibt. Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert. Das heißt: eine Bedeutung, einen Sinn auszustrahlen, ist er von nun an ganz unfähig; an Bedeutung kommt ihm das zu, was der Allegoriker ihm verleiht." Diese Bedeutung ist in Donnes Gedicht die shee als reine Bedeutung im Prozeß der Allegorie. Das heißt, in ihr scheint die Donnesche Verfahrensweise der allegorischen Entseelung und der allegorischen Zerstückelung, also der Prozeß des Dichtens unter dem Blick der Melancholie, als so etwas wie eine nostalgische Bedeutung auf.

Milton und Galilei Ein Blick in Galileis Sidereus Nuncius (1610) und seinen sehr viel umfangreicheren Dialogo Sopra I Due Massimi Sistemi Del Mondo (1632) zeigt, in wieweit die in diesen Schriften auseinandergesetzte Kosmoshermeneutik als ein Modell für Miltons Similisierungsverfahren in Betracht kommt. Die mannigfachen Überschneidungen zwischen Galileis diskursiver Entfaltung seiner Fernrohrbeobachtungen zu einem Weltsystem und Brunos spekulativer Kosmoshermeneutik - dies sei vorweg gesagt - machen dabei deutlich, in welch hohem Maße Bruno Galileis empirisch abgesichertes System spekulativ vorwegnimmt. Den heuristischen Gewinn einer detaillierten Galilei-Analyse, der durch dieses antizipatorische Moment der zudem viel leichter poetisch umsetzbaren Schriften Brunos in Frage steht, sehe ich gerade in der darin möglich werdenden Bestätigung des in der Miltonforschung nicht untersuchten Einflusses Brunos auf Milton. Insofern nämlich die Galileische Kosmoshermeneutik Strukturmomente in Miltons poetischer Verfahrensweise unerklärt läßt, 98 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd. I, S. 343. 99 Ibid., S. 359.

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die sich durch Brunos Schriften decken lassen, kann der weithin unbestrittene, wenn auch nicht systematisch untersuchte Einfluß Galileis als tertium comparationis für den Einfluß Brunos dienen. Darüber hinaus bringt dies in den Blick, ob und in welcher Weise ein Werk wie Galileis Dialogo Ansätze zu einer Selbstreflexion enthält im Hinblick auf lebenspraktisch notwendige Neugierdebeschränkungen, wie sie bei Milton im Astronomiedialog zwischen Raphael und Adam diskutiert werden, und im Hinblick auf die ethischen Folgen und Möglichkeiten etwa der Unendlichkeitsidee oder der Pluralisierung der Welten, also den Themen der Projekte von Milton und Bruno. Die, wie Blumenberg dies genannt hat, »vertrackt reflektierte Optik« 100 Galileis, die dazu führt, daß Galilei beim Anblick des Mondes im Grunde nicht diesen, sondern die Erde als Stern im Weltraum sieht, verändert kategorial die Referentialität zwischen Unten und Oben, zwischen Himmel und Erde, ja letztlich wird den nominalistisch eingesetzten Begriffen Erde und Himmel ihre Referentialität überhaupt entzogen. Ist die Erde selbst ein Stern am Himmel, weder der Qualität noch der phänomenalen Erscheinung nach geschieden von dem Mond, den Planeten, dann ist im Grunde mit dem Verlust des Himmelsbegriffs selbst zu rechnen. 101 Meines Erachtens folgt nun Milton den Galileischen Schriften über diese globale Erschütterung von Unten und Oben hinaus, die - wie wir gesehen haben - bei Donne zur dichterischen Elegie auf den verlorenen Weltzusammenhang führt, insbesondere im Modus des Beschreibens: die Konstitution von Äquivalenzen und Analogien, wie sie zunächst traditionell überkommen scheint aus dem Fundus der Korrespondenzlehre von Mikro- und Makrokosmos 102 , wird nun kategorial neu geformt. Herausgenommen aus dem traditionellen Wertesystem, aus dem ja auch immer hierarchisch orientierten und

100 Galileo Galilei, Sidereus Nuncius, hg. von Hans Blumenberg, S. 22. 101 In welcher Weise Milton die Divergenz zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit von den Begriffen Himmel und Erde geradezu theatralisch inszeniert, ist an der gesamten Narration Raphaels ablesbar. Das »Schattenverhältnis« zwischen Himmel und Erde bei Betonung der Möglichkeit einer grundsätzlichen, strukturellen Ähnlichkeit zwischen beiden, ist vor dem Hintergrund der Galileischen Schriften gerade nicht die allegorische Explikation oder Transformation himmlischer Begebenheiten, denen keine Repräsentation adäquat ist, sondern die Übersetzung der Vergleichbarkeit irdischer und stellarer Begebenheiten in eine solcherdings im wörtlichen Sinne teleskopische Erzählung von einer anderen (möglichen) Welt. 102 Vgl. für die Sprünge und Brüche innerhalb der Korrespondenztheorie etwa Nohrnberg, The Analogy of »The Faerie Queene«, passim. Im Grunde arbeitet freilich bereits der Cusaner die Korrespondenzphilosophie durch. Cusa ist gewissermaßen der Erfinder dritter Wege. So schiebt er zwischen die beiden scholastischen Arten des Begreifens durch Begriff und Bild in der docta ignorantia ein drittes Erkenntnisverfahren, »des nichtbegreifenden und aus dem Nichtbegreifen hervorgehenden Begreifens des Unbegreiflichen« (Blumenberg, Epochenschwelle, S. 47). Anders als in den im weiten Sinne allegorischen Relationen eröffnet sich bei dem Cusaner ein neuartiger Sinn der Bildlichkeit. Seine übertragenen Darstellungen verweisen nicht im Sinne des übertragenen Schriftsinns auf einen statischen Sachverhalt sondern auf einen dynamischen Prozeß. Blumenberg, ibid., beschreibt dies trefflich: »Von dieser Art, daß sie einen bestimmten verborgenen Sachverhalt bedeuten oder gar offenbaren, sind die >Symbole< des Cusaners gerade nicht; sondern - wie ich mit der Bezeichnung als >Sprengmetaphorik< schon auszudrücken suchte - sie sind Figurationen einer Methode, Modelle, von denen sich eine Regel ableiten läßt, die in immer neuen Prozessen angewendet und wiederholt werden kann.«

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gerichteten Geflecht von Mikro- und Makrokosmos, ja im Grunde jenseits der bis dahin vorhandenen Möglichkeit einer solchen Ordnung, erfüllen nun Vergleiche eine gänzlich neue Funktion: Sie fungieren nicht mehr als stete Bestätigung des Abbildcharakters, genauer gesagt des (gegenüber dem Ideenreich) bloß Abbildhaften des Irdischen überhaupt, sondern sie werden zu gleichberechtigten Elementen eines Deskriptionsverfahrens, dessen Objekt Dinge sind, die gerade erst durch das Fernrohr sichtbar werden: die Ähnlichkeit der Phänomene auf dem Mond mit den topographischen Verhältnissen auf der Erde ist als neue Erfahrung so überwältigend, daß die vergleichende Beschreibung zunächst als die einzig adäquate erscheint. Erst in einem erweiternden Nachgedanken, der sich wie ein roter Faden durch den Dialogo zieht, komplizieren sich die Belange der Sichtbarkeit. Sobald ihre perspektivische Gebundenheit ins Bewußtsein rückt, wird die Vorstellbarkeit des Neuen unterlaufen von der überwältigenden Einsicht (oder ist es nur mehr eine Ahnung?), daß viele Dinge nicht nur jenseits der Sichtbarkeit, sondern jenseits aller Vorstellbarkeit bleiben werden (ma lontanissime dalla nostra immaginazione, ed in somma del tutto a noi inescogitabili).103

Quasi tellus altera Im Sidereus Nuncius transformiert Galilei die Vergleichbarkeit, indem er zur Beschreibung seiner Mondbeobachtungen die Erde als Vergleichs- bzw Referenzmodell heranzieht. Die von dem Text ausgehende Erschütterung rührt von der implizierten Nivellierung der himmlischen Sphäre selbst her. Der Mond, durch das Fernrohr besehen, sieht plötzlich so aus, ja ist so beschaffen wie die Erde. ex quo deinde sensata certitudine quispiam intelligat, Lunam superficie leni et perpolita nequaquam esse indutam, sed aspera et inacquali; ac, veluti ipsiusmet Telluris facies, ingentibus tumoribus, profundis lacunis atque anfractibus undiquaque confertam existere.104 103 Dialogo, Le Opere di Galileo Galilei (Edizione Nazionale), Bd. VII, S. 86. 104 Sidereus Nuncius, Le Opere di Galileo Galilei (Edizione Nazionale), Bd. Ill.i., S. 59 f.; Übers. Malte Hossenfelder, Sidereus Nuncius, hg. von Hans Blumenberg, S. 83: »Man erkennt dabei dann aufgrund sinnlicher Gewißheit, daß der Mond keineswegs eine sanfte und glatte, sondern eine rauhe und unebene Oberfläche besitzt und daß er, ebenso wie das Antlitz der Erde selbst, mit ungeheuren Schwellungen, tiefen Mulden und Krümmungen überall dicht bedeckt ist«. Im gleichen Sinne SideriusNuncius, a. a. O., S. 62 f.: »ex ipsarum autem saepius iteratis inspectionibus in eam deducti sumus sententiam, ut certo intelligamus, Lunae superficiem, non perpolitam, aequabilem, exactissimaeque sphaericitatis existere, ut magna philosophorum cohors de ipsa deque reliquis corporibus caelestibus opinata est, sed, contra, inaequalem, asperam, cavitatibus tumoribusque confertam, non secus ac ipsiusmet Telluris facies, quae montium iugis valliumque profunditatibus hinc inde distinguitur.« Ubers., a. a. O., S. 87: »Durch häufig wiederholte Untersuchungen dieser Flecken nun bin ich zu der Uberzeugung sicherer Erkenntnis gekommen, daß die Oberfläche des Mondes nicht glatt, regelmäßig und von vollkommener Rundung ist, wie es eine große Schar von Philosophen vom Mond selbst und von den übrigen Himmelskörpern geglaubt hat, sondern daß sie im Gegenteil uneben, rauh und ganz mit Höhlungen und Schwellungen bedeckt ist, nicht anders als das Antlitz der Erde selbst, das durch Bergrücken und Talsenken allenthalben unterschiedlich gestaltet ist.« Für die Ver-

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D i e traditionell a n g e n o m m e n e kategoriale Differenz z w i s c h e n der weit entfernt v o m göttlichen Schöpfer situierten E r d e mit all ihren U n z u l ä n g l i c h k e i t e n u n d den in der jeweiligen K r e i s f o r m u n d Lichtheit jeweils perfekten G e s t i r n e n w i r d kolossal e r s c h ü t t e r t von der E n t d e c k u n g , daß die O b e r f l ä c h e des M o n d e s genauso uneben ist, wie die E r d oberfläche mit ihren B e r g e n u n d Tälern. Galilei treibt die A d ä q u a t i o n ü b e r das i m F e r n r o h r sichtbar G e w o r d e n e hinaus u n d bezieht die unterschwellig das N e u e i m m e r schon antizipierende antiaristotelische astronomische Tradition mit ein: adeo ut, si quis veterem P y t h a g o r e o r u m sententiam exsuscitare velit, L u n a m scilicet esse quasi Tellurem alteram, eius pars lucidior t e r r e n a m superficiem, o b s c u r i o r vero aqueam, magis c o n g r u e repraesentet: mihi autem d u b i u m fuit n u n q u a m , terrestris globi a longe c o n s p e c t i atque a radiis solaribus perfusi, t e r r e a m superficiem clariorem, o b s c u r i o r e m vero aqueam, sese in c o n s p e c t u m d a t u r a m . 1 0 5 D a s , was z u r mentalen E r s c h ü t t e r u n g u n t e r d e m E i n d r u c k des Weltbildverlustes geführt hat, bedeutet freilich in einer dialektischen W e n d u n g die Heiligung der E r d e . So schreibt Galilei i m Sidereus sistema

Nuncius

mit Verweis auf seine F r a g m e n t gebliebene Schrift

De

mundi:

ubi, c o m p l u r i m u s et rationibus et experimentis, validissima solaris luminis e Terra reflexio o s t e n d i t u r illis, qui earn a Stellarum corea a r c e n d a m esse iactitant, e x eo potissim u m q u o d a m o t u et a lumine sit vacua; v a g a m enim illam ac L u n a m splendore s u p e r antem, non a u t e m s o r d i u m m u n d a n a r u m q u e f e c u m sentinam, esse d e m o n s t r a t i o n i b u s et naturalibus quoque rationibus sexcentis c o n f i r m a b i m u s . 1 0 6 gleichbarkeit von Erde und Mond und die Erhebung der Erde zum Stern bei Bruno vgl. La Cena de le Ceneri, hg. Aquilecchia, S. 33 f. und S. 101 ff. (Ubers. Fellmann, Ascbermittwochsmahl, S. 92 f. und 150 f.), und De l'infinito, universo e mondi, hg. Aquilecchia, S. 448-50 (Ubers. Kuhlenbeck, Unendliches All, S. 98 f.). 105 Sidereus Nuncius, Opere, Ill.i., S. 65; Ubers. Sidereus Nuncius, hg. Blumenberg, S. 91: »Will man daher die alte Ansicht der Pythagoreer wieder auffrischen, daß nämlich der Mond gleichsam eine zweite Erde sei, dann stellt sein leuchtenderer Teil die Landoberfläche, der dunklere die Wasseroberfläche angemessener dar. Ich habe jedenfalls nie bezweifelt, daß unsere Landoberfläche heller, die Wasseroberfläche dagegen dunkler aussehen werde, wenn die Erdhalbkugel aus großer Entfernung angeschaut wird und mit Sonnenstrahlen Übergossen ist.« Was unten als Perspektivbewußtsein und Komplizierung der Referentialität bezeichnet wird, klingt hier bereits an. Vgl. für diesen Zusammenhang auch die unten zitierten Ausführungen Galileis zu den Ubergängen zwischen Licht-Schatten-Wirkungen und realer Verschiedenheit. 106 Sidereus Nuncius, Opere, Ill.i., S. 75; Ubers. Sidereus Nuncius, hg. Blumenberg, S. 104 f.: »Dort wird mit sehr vielen Vernunft- sowohl als Erfahrungsgründen ein sehr kräftiger Widerschein des Sonnenlichts von der Erde nachgewiesen für diejenigen, die unentwegt behaupten, man müsse die Erde aus dem Reigen der Sterne fernhalten, vornehmlich deshalb, weil sie ohne Bewegung und Licht sei. Ich werde nämlich beweisen, daß sie sich bewegt und daß sie den Mond an Glanz übertrifft, nicht aber eine Jauche aus Schmutz und Bodensatz der Welt ist, und ich werde das auch mit Hunderten von Gründen aus der Natur untermauern.« Im gleichen Sinne Salviati in Dialogo, Opere (Edizione Nazionale), Bd.VII, S. 62: »Non vi pigliate già pensiero del cielo nè della Terra, nè temiate la lor sovversione, come nè anco della filosofia; perchè, quanto al cielo, in vano è che voi temiate di quello che voi medesimo reputate inalterabile e impassibile; quanto alla Terra, noi cerchiamo di nobilitarla e perfezionarla, mentre proccuriamo di farla simile a i corpi celesti e in certo modo metterla quasi in cielo, di dove i vostri filosofi l'hanno bandita.« Ubers. Emil Strauss, Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 40: »Seid

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Was Galilei im Sidereus Nuncius durch die vergleichende Deskription gewissermaßen einfach setzt, untermauert er im Dialogo methodisch in der Entfaltung einer, wenn man so will, systematischen Hermeneutik vom Kosmos, die sich an dem hierarchischen Modell des Aristoteles gleichsam aufrichtet, um dann im Prozeß seiner Destruktion auch das kleinste Partikel noch in den Strudel einer kategorial veränderten, enthierarchisierenden Hermeneutik hinabzuziehen. So schließt Salviati im Gange des ersten Tages: ... niuna delle condizioni per le quali Aristotile fa differire i corpi celesti da gli elementari avere altra sussistenza che quella ch'ei deduce dalla diversità de i moti naturali di quelli e di questi; in modo che, negato che il moto circolare sia solo de i corpi celesti, ed affermato ch'ei convenga a tutti i corpi naturali mobili, bisogna per necessaria conseguenza dire che gli attributi di generabile o ingenerabile, alterabile o inalterabile, partibile o impartibile, etc., egualmente e comunemente convengano a tutti i corpi mondani, cioè tanto a i celesti quanto a gli elementari ... 107 Und im Hinblick auf die infrage stehende - von Milton dann poetisch konsequent ausgenutzte - Hermeneutik spricht Simplicio gegen diese Einebnung der Wert- und Gattungsunterschiede zwischen Oben und Unten, Himmel und Erde völlig zu Recht die mahnenden Worte: Questo modo di filosofare tende alla sovversion di tutta la filosofia naturale, ed al disordinare e mettere in conquasso il cielo e la Terra e tutto l'universo.108 Milton stellt ganz in diesem Sinne den Kosmos poetisch zur Disposition, jenen wie die aristotelische Kosmologie hierarchisch geordneten Sprachkosmos der literarischen Tradition. Daß er dafür seine Narrativik über weite Strecken an die poetische Deskription des realen Kosmos bindet (oder sollte man sagen, daß er sie an diese übergibt?), scheint mir wie in einer Doppelbewegung begründet: Auf der einen Seite ist die Eröffnung der Möglichkeit der neuen Hermeneutik an das Galileische Thema gebunden, auf der anderen Seite drängt die neue Sprache nach jenem sublimen Gegenstand, an den sie womöglich überhaupt gebunden ist. doch nicht bange um Himmel und Erde und fürchtet ihren Untergang so wenig wie den der Philosophie. Denn was den Himmel betrifft, so ist die Furcht für ihn, den ihr selber für unveränderlich und unbeeinflußbar haltet, doch unbegründet; was aber die Erde betrifft, so ist es eine Veredelung und Vervollkommnung, wenn wir versuchen, sie als ähnlich den Himmelskörpern hinzustellen, sie gewissermaßen an den Himmel zu versetzen, von dem Euere Philosophen sie verbannt haben.« 107 Dialogo, Opere, VII, S. 61 f.; Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 39 f.: »[...] keine der Eigenschaften, durch welche Aristoteles die Himmelskörper sich von den elementaren unterscheiden läßt, ruhen auf einem anderen Grunde, als auf den Schlüssen aus der Verschiedenartigkeit der Ortsveränderungen bei diesen oder jenen. Bestreitet man also, daß die Kreisbewegung ausschließlich den Himmelskörpern zukomme und schreibt sie allen beweglichen Naturkörpern zu, so muß man folgerichtig auch die Attribute des Erzeugbaren und Unerzeugbaren, des Veränderlichen oder Unveränderlichen, des Teilbaren oder Unteilbaren in gleicher Weise allen Weltkörpern gemeinschaftlich ab- oder zusprechen, den himmlischen also ebenso gut wie den elementaren; [...].« 108 Dialogo, Opere, VII, S. 62; Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 40: »Diese philosophische Methode führt zur Üntergrabung aller Naturphilosophie, zur Verwirrung und Erschütterung von Himmel, Erde und Weltall.«

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Formen der Lesbarkeit Einen möglichen Weg der Transformation der Metapher von der Lesbarkeit der Welt zeigt im Dialogo der Aristoteliker Simplicius in dem Bemühen auf, die Autorität des Aristoteles zu retten. Simplicius: Aristotile non si è acquistata sì grande autorità se non per la forza delle sue dimostrazioni e della profondità de i suoi discorsi: ma bisogna intenderlo, e non solamente intenderlo, ma aver tanta gran pratica ne' suoi libri, che se ne sia formata un'idea perfettissima, in modo che ogni suo detto vi sia sempre innanzi alla mente; perchè e'non ha scritto per il volgo, nè si è obligato a infilzare i suoi silogismi col metodo triviale ordinato, anzi, servendosi del perturbato, ha messo talvolta la prova di una proposizione fra testi che par che trattino di ogni altra cosa: e però bisogna aver tutta quella grande idea, e saper combinar questo passo con quello, accozzar questo testo con un altro remotissimo; ch'e'non è dubbio che chi averà questa pratica, saprà cavar da'suoi libri le dimostrazioni di ogni scibile, perchè in essi è ogni cosa.109 Die Methode des Simplicius richtet sich gegen die Ablösung der mittelalterlichen Lesbarkeit der Welt im Buch der Bücher durch das Lesen im Buch der Natur im neuzeitlichen wissenschaftlichen Denken. Verstanden als Selbstbehauptung der Theologie und der allein über den Kanon authorisierter Bücher vermittelten Wissenschaftlichkeit, bedeutet sie eine Zuspitzung des Totalitätsanspruches dieser traditionellen Wissenschaften. Die seit den naturphilosophischen Kontroversen der Spätscholastik strategisch verfeinerten Techniken der Aristoteleslektüre können nun in der ersten Hälfte des 17 Jahrhunderts als Abwehr gegen die Aushebelung der aristotelischen Autorität etwa durch Bacon und vor allem durch Galilei verwendet werden. Die dabei angewandte Methode einer Kombinatorik, die unendlich viele Kombinationen beliebig gewählter Segmente zur Erstellung einer gewissermaßen in sich immer erweiterbaren Welt ermöglicht, kann wohl im Zusammenhang mit der schematisch-kombinatorischen Kunst des Raimundus Lullus (dem Erfinder der Gedächtnisräder) gesehen werden. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, wenn ein anderer Katalaner, der Humanist Raymund von Sabunde, in seiner von 1436 datierenden Theologia Naturalis, die in Montaignes Ubersetzung von 1568 »weltgängig« und 1661 von Comenius noch einmal lateinisch herausgegeben wurde, die Meta109 Dialogo, Opere, VII, S. 134; Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 113: »Aristoteles hat so großes Ansehen nur durch seine schlagenden Beweise, seine tiefsinnigen Untersuchungen erlangt. Nur muß man ihn verstehen, und nicht nur verstehen, sondern in seinen Schriften auch so bewandert sein, daß man eine vollkommene Ubersicht über sie hat, daß einem jedes seiner Worte stets vor der Seele schwebt. Denn er hat nicht für den großen Haufen geschrieben und sich nicht den Zwang angethan, seine Schlüsse nach elementarer Weise geordnet an den Fingern herzuzählen. Er bedient sich vielmehr bisweilen einer verworrenen Reihenfolge und bringt den Beweis einer Behauptung in einem Kapitel, das scheinbar von ganz etwas anderem handelt. Darum bedarf es eines großen Einblicks in das Ganze; darum muß man diese Stelle mit jener kombinieren, diesen Paragraphen mit jenem ganz entlegenen vergleichen. Es ist kein Zweifel, daß, wer diese Kunst versteht, aus seinen Büchern die Beweise für alles Erkennbare schöpfen kann; denn in ihnen ist alles enthalten.«

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pher von den beiden Büchern so erweiterte, »daß in dem Buch des Alls der Geschöpfe {liber universitatis creaturarum) jedes Geschöpf einen Buchstaben ausmacht:... quaelibet creatura non est nisi quaedam littera digito Dei scripta.«110 Genau dieser Gedanke könnte hinter der ironisch unterlegten Entgegnung des Sagredo stehen, die gewissermaßen den ursprünglichen Galileischen Standpunkt des unmittelbar lesbaren Buches der wahren Philosophie suggeriert und die Darstellbarkeit der ganzen Welt mittels der Buchstaben des Alphabets - also das Projekt der wissenschaftlichen Publizistik< (Leonardo Olschky) 111 Galileis - beschreibt: Sagredo: Ma, Sig. Simplicio mio, come l'esser le cose disseminate in qua e in là non vi dà fastidio, e che voi crediate con l'accozzamento e con la combinazione di varie particelle trarne il sugo, questo che voi e gli altri filosofi bravi farete con i testi d'Aristotile, farò io con i versi di Virgilio o di Ovidio, formandone centoni ed esplicando con quelli tutti gli affari de gli uomini e i segreti della natura. Ma che dico io di Virgilio o di altro poeta? io ho un libretto assai più breve d'Aristotile e d'Ovidio, nel quale si contengono tutte le scienze, e con pochissimo studio altri se ne può formare una perfettissima idea: e questo è l'alfabeto; e non è dubbio che quello che saprà ben accoppiare e ordinare questa e quella vocale con quelle consonanti o con quell'altre, ne caverà le risposte verissime a tutti i dubbi e ne trarrà gli insegnamenti di tutte le scienze e di tutte le arti, in quella maniera appunto che il pittore da i semplici colori diversi, separatamente posti sopra la tavolozza, va, con l'accozzare un poco di questo con un poco di quello e di quell'altro, figurando uomini, piante, fabbriche, uccelli, pesci, ed in somma imitando tutti gli oggetti visibili, senza che su la tavolozza sieno nè occhi nè penne nè squamme nè foglie nè sassi: anzi pure è necessario che nessuna delle cose da imitarsi, o parte alcuna di quelle, sieno attualmente tra i colori, volendo che con essi si possano rappresentare tutte le cose; chè se vi fussero, v.g., penne, queste non servirebbero per dipignere altro che uccelli o pennacchi.112 110 Zitiert nach Blumenberg, Die Lesbarkeit

111 Vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit

der Welt, S. 59.

der Welt, S. 76 f.

112 Dialogo, Opere, VII, S. 134 f.; Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 113 f.: »Aber, lieber Signore Simplicio, wenn Euch das Durcheinanderwürfeln des Stoffes nicht verdrießt und Ihr durch Vergleich und Kombination einzelner Splitterchen die Quintessenz zu erlangen vermeint, so will ich die Prozedur, die Ihr und Euere wackeren Kollegen mit dem Texte des Aristoteles vornehmt, mit den Versen Virgils oder Ovids anstellen, will einen Flicken daraus auf den anderen setzen und damit alle menschlichen Angelegenheiten und Geheimnisse der Natur erklären. Doch wozu brauche ich Virgil oder einen anderen Dichter? Ich besitze ein weit kürzeres Büchlein als den Aristoteles und den Ovid, worin alle Wissenschaften enthalten sind und wovon man mit geringster Mühe die vollkommmenste Ubersicht erlangen kann; es ist das Alphabet. Kein Zweifel, durch richtige Anordnung und Verbindung dieses und jenes Vokals mit dem und jenem Konsonanten kann man die zuverlässigste Auskunft über jeden Zweifel erhalten, kann die Lehren aller Wissenschaften, die Regeln aller Künste gewinnen; gerade wie der Maler bloß verschiedene Farben mischt, die getrennt auf der Palette liegen, von dieser ein bißchen und von jener ein wenig, und daraus Menschen, Pflanzen, Bauten, Vögel, Fische bildet, kurz alles Sichtbare nachahmt, ohne daß er auf seiner Palette Augen, Federn, Schuppen, Blätter oder Steine hätte. Ja es darf sogar keines der nachzuahmenden Dinge, noch auch Teile eines solchen sich wirklich bei den Farben befinden, wenn man damit alles soll darstellen können. Wären z. B. Federn dabei, so könnte man sie nur gebrauchen, um Vögel oder Federbüsche abzumalen.«

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Blumenberg hat in Die Lesbarkeit der Welt an Galileis Brief an Fortunio Liceti vom Januar 1641113 aufgezeigt, wie Galilei in einem Afterthought am Ende seines Lebens die schöne Metapher von dem in der Natur aufgeschlagen liegenden, für jedermann lesbaren Buch zurücknimmt in eine komplexere Formel der Lesbarkeit: »man müsse zuerst die Zeichen kennen und die Sprache verstehen, in der es geschrieben sei, um die Mitteilungen, die es enthält, entgegenzunehmen. Der faktische Verlauf ist, daß der Leser nicht bei seiner ursprünglichen Sprache bleiben kann, wenn er im Verständnis der Mitteilungen voranschreitet, sondern ständig Rückschlüsse auf Teile der Grammatik ziehen muß, die er bis dahin auf sich beruhen ließ.« 114 Einmal abgesehen davon, daß diese Beschreibung des Lesevorgangs geradezu im Hinblick auf den Lesevorgang von Paradise Lost und des Joyceschen Weltbuchs, Finnegans Wake, geschrieben sein könnte, greift sie - was Blumenberg hier nicht auseinandersetzt - die zwischen Simplicius und Sagredo in Frage stehende Repräsentierbarkeit des Weltganzen auf, die ja nur die andere Seite ihrer Lesbarkeit ist. »Wenn die Philosophie« - so schreibt Blumenberg weiter zu dem Brief an Liceti - »das in den Büchern des Aristoteles Enthaltene ist, wäre Liceti der größte Philosoph der Welt; er aber, Galilei, glaube, das Buch der Philosophie sei das, was uns ständig offen vor Augen steht, wenn es auch, da mit anderen Buchstaben als denen unserer Schrift geschrieben, nicht von allen gelesen werden kann.«115 Wenn dies die von einem gehörigen Maß an Resignation und Skepsis aufgrund der »Erkenntnis des Zusammenbruchs seiner auf Gemeinverständlichkeit bedachten wissenschaftlichen Publizistik« 116 dunkel gefärbte Stimmung des späten Galilei ist, so könnte sich von hieraus eine Verbindung zu den unerklärten Versen in Miltons Invokation zum siebten Buch ergeben: »yet not alone, while thou / Visit'st my slumbers nightly, or when morn / Purples the east: still govern thou my song, / Urania, and fit audience find, though few« (728-31; Hervorhebung M. W).

Satans Schild: Die Projektion einer neuen Welt Das Inbild des Neuen als eines neuen, poetisch zu beschreitenden Weges der Welterstellung in Analogie zu den Leistungen der Astronomie ist Satans Schild. Die prozessuale Herausbildung des Schildes als Schmiedearbeit, wie sie Homer am Schild des Achilles vorführt, wird von Milton methodisch abgelöst durch die Arbeit des Astronomen, der Länder und Geographien dadurch erfahrbar macht, daß er sie mit dem Teleskop entdeckt und sichtbar macht: his ponderous shield Ethereal temper, massy, large, and round, Behind him cast; the broad circumference Hung on his shoulders like the moon, whose orb 113 114 115 116

Opere, XVIII, S. 293-295. Lesbarkeit der Welt, S. 75. Ibid., S. 76. Olschky zitiert nach Lesbarkeit, S. 77

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Through optic glass the Tuscan artist views At evening from the top of Fesole, Or in Valdarno, to descry new lands, Rivers or mountains in her spotty globe. (1.284-91) Erst vor dem homerischen Hintergrund, der Schildbeschreibung im achtzehnten Gesang der Iliasxv und dem Mondvergleich im neunzehnten Gesang118, ergibt sich die ganze Wucht, mit der Satans Schild gegen die epische Tradition ansteht. Hephaistos schmiedet dem Schild des Achilles den gesamten Kosmos ein, die Schildschmiede wird zu einer Art Urstätte der Welterschaffung, die in die Breite der epischen Ekphrasis projiziert wird. Homer setzt tatsächlich einen Kosmos - von der Erschaffung des Himmels und der Erde, von den Sternen bis hinunter in die kleinste Alltagsbegebenheit - in Szene. Der Schild des Achill ist dieser Kosmos, als politisch-gesellschaftliches Programm des Helden. Daß dies weithin sichtbar, für jedermann erkennbar wie das strahlende Licht des Mondes sei, darauf spielt der Vergleich des Schildes im neunzehnten Gesang an. Miltons eigentliche Schildbeschreibung enthält außer der prädikativen Beteuerung der Schwere und Größe des Schildes keine Details. Das, was man das zentrale Inbild des Gedichtes überhaupt nennen könnte, gleichsam als ein piktoraler Schlüssel zu seinem Programm und Gehalt, setzt Milton - in einer für die Bedeutung der Similisierung im Gedicht bezeichnenden Weise - in einen Vergleich mit dem Mond in der Perspektive des Galileischen Blicks durch das Fernrohr. Die ungeheure Vergrößerung seiner Gestalt wird dabei lediglich suggeriert durch die Rückbindung des Simile an die Prädikationen der eigentlichen Schildbeschreibung {ponderous, massy, large). Das Kraftzentrum des Simile ist das Miltonsche Echo des Sprechaktes, der den Sidereus Nuncius wie ein roter Faden durchläuft: to descry new lands / Rivers or mountains in her spotty globe.119 Diese astronomische, gleichsam welterstürmende Programmatik führt nun ihrerseits über das Mondsimile hinaus, oder genauer, durch den Schild und das ihm anhängende

117 18.478 ff.; die E r s c h a f f u n g des K o s m o s darauf, 483—489: »Therein he w r o u g h t the earth, therein the heavens therein the sea, and the unwearied sun, and the m o o n at the full, and therein all the constellations wherewith heaven is crowned - the Pleiades, and the H y a d e s and the m i g h t y O r i o n , and the Bear, that m e n call also the Wain, that circleth ever in her place, and watcheth O r i o n , and alone hath no p a r t in the baths of O c e a n . « ( U b e r s . A.T. Murray, The Loeb Classical Library) 118 19.370 ff.: » A n d a b o u t his shoulders he cast the silver-studded s w o r d of bronze, and thereafter grasp e d the shield great and sturdy, w h e r e f r o m went f o r t h afar a gleam as of the m o o n . A n d as w h e n f o r t h over the sea there appeareth to seamen the gleam of blazing fire, and it burneth high u p in the m o u n tains in a lonely steading - but sore against their will the s t o r m - w i n d s bear them over the teeming deep afar f r o m their friends; even s o f r o m the shield of Achilles went u p a gleam to heaven, f r o m that shield fair and richlydight.« ( Ü b e r s . A.T. M u r r a y ) 119 Vor d e m H i n t e r g r u n d des Sidereus Nuncius erscheint die Fowlersche M u t m a ß u n g ( A n n o t a t i o n z u Paradise Lost 1.286-191), die d o p p e l t e Ortlichkeit (Fesole, Valdarno) sei p o e t i s c h eingelassen, u m eine K o r r e s p o n d e n z mit den auf d e m M o n d beobachteten Details (Bergen u n d F l ü s s e n ) u n d der E r d t o p o g r a p h i e herzustellen ( » t o s u p p l y terrestrial counterparts to the lunar Rivers or m o u n t a i n s « ) , mehr als naheliegend. E s entspräche g a n z d e m D u k t u s des Sidereus Nuncius, in der Beschreibung der M o n d t o p o g r a p h i e auf irdische Vorbilder z u rekurrieren.

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Mondsimile hindurch zu dem sich aufgrund des Similisierungsverfahrens selbst pluralisierenden Schöpfungsprozeß. Das bedeutet, daß die im Fernrohr sichtbar werdende neue Welt des Mondes gewissermaßen einem Rollenwechsel unterzogen und nun selbst zum Medium des Durchblicks wird; gewissermaßen im Vollzug der »vertrackt reflektierten Optik« verwirklichen sich die Symbolik und Topik von Mond und Schild in der poetischen Metapher des Sonnenspiegels Mond als Teleskoplinse.120 Geradezu als Metapher für die Vermittelbarkeit der neuartigen Sichtbarmachung und des mit ihr erst recht heraufziehenden Bewußtseins ihrer Grenzen und der resultierenden dialektischen Interrelation von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit macht der Mond - außerhalb des astronomischen Diskurses selbst - frühneuzeitliche Karriere auch noch einmal in Texten, die in mancher Hinsicht wie der Abgesang auf Formen des Diskurses erscheinen, die im Renaissance-Humanismus floriert hatten. Brunos Eroici furori- Dialoge können denn auch in diesem Punkt in Antizipation der Galileischen Mondbeobachtungen als Deskription einer Wahrheitssuche gesehen werden, die am fernen Objekt das Eigene erkennt und die fern geglaubte Transzendenz gewissermaßen nach unten vermittelt: durch Diana als Fernrohr und als Spiegel der Selbsterkenntnis. Miltons Kopplung des Mondsimile an die Figur und Handlung Satans bedeutet nun keineswegs ein poetisches Verdikt über die neue Astronomie und Brunos Pluralitätsgedanken. Vielmehr nutzt Milton die Figur Satans in diesem Punkt als idealen Exponenten des manieristischen Künstlers, der den Verlust von Welt durch den Gewinn alternativer Welten im Innern und in deren Projektion ins imaginäre Äußere zu kompensieren versucht, also in diesem Punkt (was betont werden muß, da Satan auch in dieser Hinsicht vielgesichtig ist) in bewußter Abkehr vom Donneschen Typus des Melancholikers zu verstehen ist. Wenn der melancholische Sprecher der Anatomy of the World eine Welt durch die vom Sidereus Nuncius ausgelöste Erschütterung verloren meint, so findet umgekehrt der 120 Bei Galilei läßt sich ablesen, daß wissenschaftsgeschichtlich ausgerechnet in dem Moment, da die Vergleichbarkeit von Erd- und Mondoberfläche durch die Teleskopbeobachtungen erwiesen war, die traditionelle Sicht vom Mond als Spiegel - Spiegel des Sonnenlichtes, Spiegel des stellaren Lichtes, Spiegel des Kosmos überhaupt - zurückweicht. Das ist paradox: daß die Spiegelfunktion ausgerechnet in dem Moment, da sie für die Ortsbestimmung des Menschen im Kosmos interessant wird, im Gewand des traditionellen Konzeptes aufgegeben wird. Vgl. hierzu auch die lange Galileische Diskussion der glatten, geschliffenen Spiegelbeschaffenheit des Mondes gegenüber seiner rauhen Oberfläche in Dialogo, Opere, VII, S. 93 ff. (Ubers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 72 ff.). Die interessanteste Wendung darin ist die Hypothese eines Uberganges des Himmelskörpers in den Stand der Unsichtbarkeit für den Fall seiner vollkommenen Geschliffenheit. Innerhalb des Galileischen Weltsystems wird so der Mond zum Paradigma jener Gratwanderung zwischen der vollkommenen Sichtbarkeit in der Lichtfülle und der Dunkelheit einer Unsichtbarkeit, wie sie für die Präsentationsfrage der Urania wesentlich wird. Die dichterische Figur, die hier zum Vergleich herangezogen werden kann, ist die hermaphrodite Venus bei Spenser. Ihre Verschleierung (vgl. Dame Nature) ist lediglich eine Metapher für den materialischen Ubergang ins Unsichtbare: »For neither pretious stone, nor durefull brasse, / Nor shining gold, nor mouldring clay it was, / But much more rare and pretious to esteeme, / Pure in aspect, and like to christall glasse, / Yet glasse was not, if one did rightly deeme, / But being faire and brickie, likest glasse did seeme« (The Faerie Queene, IVx.39.4-9). Hamilton bemerkt ganz richtig, daß in der Spenserschen Syntax überhaupt offen bleibe, ob sich die Materialbeschreibung auf die Statue selbst oder auf den Altar bezieht, auf dem sie aufgestellt ist. Ihre Verhüllung »with a slender veile« wird in den Stanzen 40 und 41 geschildert.

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real welt- bzw himmelsverlustige, gefallene Lucifer die Topographie einer neuen Welt seinem Schild programmatisch aufgesetzt. Daß dies gerade die Welt des Mondes in galileischer Perspektive, also gleichsam als einer zweiten Erde ist, das spiegelt nicht nur die Vehemenz der Galileischen Wirkungsgeschichte, sondern vor allem Miltons unbewußte Übernahme und produktive Wendung von Galileis »vertrackt reflektierter Optik« (Blumenberg). Satan trägt den Mond programmatisch auf dem Rücken, als koloniales Ziel seiner Entdeckungsreise durch Chaos und Kosmos. Was er entdeckt, das ist ein »neuer« Stern im Weltraum, die Erde. Die Einlösung dieser »Mondprogrammatik« bei seinem Eintritt in das Paradies übersetzt Satans astronomisch-astronautische Erfahrung (die ja auch die Erfahrung der Leere der unendlichen Räume ist) von neuem in die Sprache des Melancholikers, der den Verlust einer Welt bei sich und den Gewinn an Bedeutung im Sinn trägt.

Pluralisierung der Welten Aus der Projektion des Mondsimile auf die Satanhandlung und die Darstellung des Paradieses gewinnt Milton die großen Themen und Bildkomplexe seines Gedichtes. In der nautischen Metaphorik, die für die kosmischen Reisen Satans und Raphaels bestimmend ist, spielt er die Möglichkeiten des Fernrohrs und deren Übernahme in die poetische Perspektive voll aus. Damit holt Milton die im Donneschen Zusammenhang bereits angesprochene Analogisierung zwischen weltentdeckender Seefahrt und der Erschließung neuer kosmischer Räume durch das Fernrohr literarisch ein.121 Die metaphorische Erhebung des Astronomen zum Schöpfer der Welten, die er entdeckt, wird poetisch verlängert im Bild des Dichters als Astronom. Damit schlüpft der Dichter in die Rolle der frühneuzeitlichen Fortschreibung des Hephaistos. Der dichterische Weltenschöpfer löst in der Umsetzung der Brunoschen Vorstellung von der Pluralität der Welten den für die Milton-Zeit im Vergleich zur Kontroverse über verschiedene Weltmodelle wichtigeren und weitergehenden Gedanken poetisch ein. Dabei kann es für Milton nicht ohne Gewicht gewesen sein, daß Spenser als großer epischer Vorläufer, wohl unter dem Einfluß Brunos, den Pluralitätsgedanken geradezu zur Strukturachse seines Großgedichtes machte. In The Faerie Queene geht der Impetus für die topographische Allegorität von der Denkmöglichkeit der Pluralität der Welten aus. Im Proömium zum zweiten Buch versichert sich Spenser der Glaubhaftigkeit seiner 121 Vgl. dazu nochmals die oben angeführten Beispiele aus Donnes Ignatius His Conclave und im Gefolge Bacon, Novum Organon, Il.xxxix. Natürlich auch bereits Dante, bei dem die nautische Metaphorik in Anspielungen auf die Argonautensage (Paradiso II. 1-18 und X X X I I I . 9 4 ff.) und das salomonische Weisheitsbuch 5.10 (»Like a ship that cuts through heaving waves - leaving no trace to show where it has passed, no wake from its keel in the waves.«) als Umrahmung der Paradiso-Vision fungiert. Vgl. für den gesamten Komplex Piero Boitanis spannende Studie >L'aqua che ritorna equale: Dante's sublime< in seinem The tragic and the sublime in medieval literature, S. 2 5 0 - 2 7 8 . Die E r schließung neuer Welt- und Erfahrungsräume findet bei Dante im Anschluß etwa auch an Apollonius ihre in dieser F o r m erste sprachliche Gestalt.

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allegorischen Projektion des happy land of Faery im Bezug auf die Entdeckung Perus, des Amazonas und Virginias. Das heuristische Problem besteht für den großen Allegoriker genau in der gleichen Weise, wie später für Galileis Sagredo im Hinblick auf die Entdeckung der Jupiter monde, der Saturntrabanten sowie der unermeßlich vielen Sterne in dem, was über Jahrhunderte als bloßer Sternennebel angeschaut worden war.122 Yet all these were, when no man did them know; Yet have from wisest ages hidden beene: And later times things more vnknowne shall show. Why then should witlesse man so much misweene That nothing is, but that which he hath seene? What if within the Moones faire shining spheare? What if in every other starre vnseene Of other worldes he happily should heare? He wonder would much more: yet such to some appeare. (II.Proem 3) Spenser versetzt also die Erwartbarkeit des happy land of Faery auf die Ebene der zeitgenössischen Entdeckungshorizonte, die die Möglichkeit einer Bewohntheit des Mondes und anderer Welten als Kernbestandteile des Brunoschen Pluralitätsgedanken mit umschließen. Bei Spenser ist tatsächlich zu beobachten, wie diese philosophische Spekulation einerseits in Analogie zur Pluralisierung der Kontinente eingesetzt wird und wie sie andererseits als Metapher für die imperiale Einlösbarkeit der Wunschprojektion Faerie Lond fungiert. Galilei streift den Pluralitätsgedanken im Dialogo nur an drei Stellen 123 , und zwar zunächst lediglich unter dem Aspekt, ob auf dem Mond Leben möglich und vorstellbar sei. Das freilich hat mit Brunos Pluralität der Welten in der Konsequenz der Unendlichkeitsidee nur wenig gemein. Brunos De l'infinito, universo e mondi entfaltet diesen Zusammenhang durchgängig, der zugleich die heuristische Prämisse für alle seine übrigen Konzepte - Memoriasysteme, Liebeskonzept, Neukonzeption der Ethik - ist. »... e diciamo che son terre infinite, son soli infiniti, è etere infinito; o secondo il dir di Democrito ed Epicuro, è pieno e vacuo infinito; l'uno insito ne l'altro. E son diverse specie 122 Vgl. Dialogo, Opere, VII, S. 396: »... adunque i quattro pianeti Medicei e i compagni di Saturno vennero in cielo quando noi cominciammo a vedergli, e non prima? e così le altre innumerabili stelle fisse non vi erano avanti che gli uomini le vedessero? le nebulose erano prima solamente piazzette albicanti, ma poi noi co'l telescopio l'aviamo fatte diventare drappelli di molte stelle lucide e bellissime?«. Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 385: »Die vier Mediceischen Gestirne also und die Begleiter des Saturn standen wohl erst dann am Himmel, als wir anfingen sie zu sehen und nicht zuvor schon? und die neuen unzähligen Fixsterne waren wohl nicht vorhanden, bevor die Menschen sie erblickten? Die Nebelflecke waren zuerst bloß weißliche Stellen, mittels des Fernrohrs erst haben wir sie zu Haufen von leuchtenden, wunderschönen Sternen umgestaltet.« 123 Dialogo, S. 85 ff., S. 125 f., sowie S. 393 ff. (Übers. Dialog, S. 64 ff. und S. 105 f., sowie S. 383 ff.) im Kontext der Unermeßlichkeit des Alls. Ich komme darauf in einem anderen Zusammenhang am Ende dieses Kapitels näher zu sprechen.

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finite, le une comprese da le altre, e le une ordinate a le altre. Le quali specie diverse tutte se hanno come concorrenti a fare un intiero universo infinito, e come ancora infinite parti de l'infinito, in quanto che da infinite terre simili a questa proviene in atto terra infinita, non come un solo continuo, ma come un compreso dalla innumerabile moltitudine di quelle.« 124 Die Bewohntheit dieser Welten steht für Bruno ganz außer Frage, »denn unmöglich kann ein vernünftiger oder einigermaßen geweckter Verstand sich einbilden, jene unzähligen Welten, die sich entweder ebenso oder noch prächtiger bezeugen als diese, die entweder Sonnen sind, oder denen eine Sonne nicht weniger herrliche und befruchtende Strahlen zusendet [ . . . ] daß, sage ich, alle diese Welten von ähnlichen oder besseren Bewohnern beraubt seien.« 1 2 5 Das, was bei dem in einem ganz anderen Klima schreibenden Leibniz zur unerträglichen Irritation, ja, zum Skandalon der Vernunft wird, welches z u m Zwecke der Selbstbehauptung vernünftig und zureichend ausgeschlossen werden muß, spricht Bruno ganz offen aus: daß es Weltkörper von besserer Beschaffenheit geben könne, »die ihren Bewohnern mehr Glückseligkeit gewähren«. 1 2 6

124 De l'infinito, universo e mondi, hg. Aquilecchia, S. 411 und passim, vgl. aber insbesondere auch S. 433-35, S. 449 f., S. 462 f. und S. 532. Ubers. Kuhlenbeck, Unendliches All, S. 67 »Wir behaupten, daß es unendlich viele Erden, unzählige Sonnen und einen unendlichen Äther gibt, oder, mit Demokrit und Epikur zu reden, es gibt ein unbegrenztes Volles und Leeres, eines in dem anderen; und es gibt verschiedene begrenzte Arten, die eine umfaßt von der andern und eingeordnet in die andre, und alle diese verschiedenen Arten vereinigen sich, um ein unbegrenztes Weltall zu bilden. So sind auch die Teile des Unendlichen unendlich, insofern als aus diesen zahllosen unter sich ähnlichen Erden in der Tat eine unendliche Erde erwächst, nicht zwar als eine zusammenhängende Masse, sondern nur als logischer Inbegriff der ungezählten einzelnen Erden.« Für die übrigen angegebenen Stellen vgl. in Kuhlenbecks Ubers. S. S. 99, S. 111 f. und S. 164. Vgl. auch in La Cena de le Ceneri, hg. Aquilecchia, S. 33 f. und S. 145 f.; (Übers. Fellmann, Aschermittwochsmahl, S. 92 f. und S. 198). 125 Ibid., S. 112. 126 Aschermittwochsmahl, S. 93. Im dramatisierten Schluß der Theodizee wird Leibnizens Denkbewegung am sinnfälligsten. Der Grundgedanke - wie er in § 53 der Monadologie konzis gefaßt ist (»Or, comme il y a une infinité des Univers possibles dans les Idées de Dieu et qu'il n'en peut exister qu'un seul, il faut qu'il y ait une raison suffisante du choix de Dieu, qui le determine à l'un plustôt qu'à l'autre.«) - wird hier in der topischen Allegorität der in Pyramidenform angeordneten Gemächer im Palast der Lose des Lebens durchgespielt. Von Jupiter wird dem Theodorus geheißen, sich an seine Tochter Pallas Athena zu wenden, um von ihr so etwas wie das Schöpfungsgeheimnis zu erfragen. Im Tempel der Göttin schlafend, sieht Theodorus einen Palast von unvorstellbarem Glanz und von ungeheurer Größe. Pallas tritt zu ihm: »§ 414 (Bd. 2, S. 260/262) [...] Vous voyez ici le palais des destinées dont j'ai la garde. Il y a des représentations, non seulement de ce qui arrive, mais encore de tout ce qui est possible; et Jupiter en ayant fait la revue avant le commencement du monde existant, a digéré les possibilités en mondes, et a fait le choix du meilleur de tous. [...] Ces mondes sont tous ici, c'est-à-dire en idées. [...]§ 415 (S. 262/264) Là-dessus la déesse mena Théodore dans un des appartements: quand il y fut, ce n'était plus un appartement, c'était un monde, [...] Il y avait un grand volume d'écriture dans cet appartement; Théodore ne peut s'empêcher de demander ce que cela voulait dire. C'est l'histoire de ce monde où nous sommes maintenant en visite, lui dit la déesse: c'est le livre de ses destinées.« So schlägt denn Theodorus das Schicksal des Sextus nach, gelangt weiter in die übrigen Räume, die in Pyramidenform aufeinander stehen, bis er sich schließlich in ihrem obersten Gemach in der wirklichen Welt wiederfindet. Das Auffälligste hieran ist, daß Leibniz nach der ganzen Denkarbeit der Theodizee, deren systematische Programmatik ja in einer gewissermaßen gesamtperspektivischen Aufklärung der »notions embarrasseés« (Préface, Bd. 1, S. 12) und der Befreiung der Vernunft aus den zwei »labyrinthes

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Diesem spekulativen Schwung Brunos nähert sich Galilei vorsichtig in einem Gedankenaustausch zwischen Salviati und Simplicius am dritten Tag des Dialogo, und zwar bezeichnenderweise, indem er eine Verbindung zwischen der Eindämmung menschlicher Hybris und der Vorstellung einer Weltenpluralität herstellt. Bezeichnend ist auch, daß den Kontext dieses Gedankengangs die einzige Stelle im Dialogo bildet, an der Galilei auf die Unendlichkeit des Alls zu sprechen kommt, und zwar - was ein drittes Mal bezeichnend ist - in der subjektivistischen Wendung der Unermeßlichkeit und der Unfaßbarkeit des Alls für die Vorstellung des Menschen. Bei Bruno sind dies ja zwei wohl unterschiedene Dinge: auf der einen Seite die spekulative Idee der Unendlichkeit und auf der anderen Seite das Unvermögen der menschlichen Einbildungskraft, sich in Ansehung der unermeßlichen Weite des Weltenraums eine sinnliche Vorstellung davon zu bilden. So heißt es bei Bruno: »È altissimo per l'aspirazione dell'eroico desio che trapassa di gran lunga gli suoi termini; ed è altissimo per l'appetito intelletuale, che non ha modo e fine di gionger numero e numero; è bassissimo per la violenza fattagli dal contrario sensuale che verso l'inferno impiomba.« 127 Weniger Kantisch unterlegt, dafür jedoch szenisch das Bild des nächtens tätigen Astronomen evozierend, findet sich der gleiche Gedanke in den Zwiegesprächen vom Unendlichen All und den Welten, wo Bruno die Unendlichkeitsidee einem neuen Naturbegriff unterlegt: »perché l'occhio del nostro senso, senza veder fine, è vinto das spacio immenso che si presenta; e viene confuso e superato dal numero de le stelle che sempre oltre ed oltre si va moltiplicando; di sorte che lascia indeterminato il senso e costrenge la raggione di sempre giùngere spacio a spacio, regione a regione, mondo a mondo.« 128 Daneben bindet Bruno an dieser Stelle die für seine Philosophie fameux« (ibid.) besteht, auf eine unbegriffliche Denkform rekurriert, die das Gesamtsystem im Denkbild einer Pyramide zusammenbringt. Der durch die Architektur verbürgte Ausschluß aller anderen Möglichkeiten im Aufstieg durch die Gemächer der Pyramide veranschaulicht, daß es unter der Spitze der Pyramide, in der sich die Sonne bündelt, nur eine Welt geben kann. Das Geheimnis des zureichenden Grundes bleibt freilich in der unendlichen Lesbarkeit des einen, göttlichen Weltbuches verschlossen. Damit hält Leibniz letztlich an der Optionalität der Partialperspektiven fest, die in seinem Werk immer wieder im Denkbild der Anamorphose vergegenwärtigt werden (vgl. etwa Theodizee, § 147, Bd. 1, S. 458/460, die Analogie der »inventions de perspective«; ebenso Theodizee, § 35^ Bd. 2, S. 175; vgl. das Bild der multiperspektivierten Stadt, Monadologie, § 57, in: Kleine Schriften zur Metaphysik, S. 464, und § 60, ibid., S. 464-466). Leibniz widersteht der Versuchung, in einer Art klassizistischer Gegenbewegung gegen den Manierismus die Geltung konkurrierenden Sichtweisen einer philosophisch eingeholten göttlichen Gesamtperspektive zu opfern. Eine solche Metaperspektive wird zwar immer wieder angespielt, doch sie wird nie absolut gesetzt. Leibniz bleibt damit seiner ausgiebigen Beschäftigung mit Fragen der Perspektivität und der erkenntnistheoretischen Funktion der Optik verpflichtet. So stellt Leibnizens Monadologie ein für Fragen diskursiver Konsensbildung hochaktuelles Pluralisierungsmodell dar. In ihm werden Täuschung und Illusionsbildung funktional eingebunden, in ihm eröffnet die Multiperspektivität Spielräume für eine nicht durch Ausschließungsmechanismen sondern durch die Geltung konkurrierender Sichtweisen und Toleranz funktional gedachte Wahrheit. 127 De gli Eroici furori, S. 980; Ubers. Bacmeister, S. 44: »er ist hoch oben durch das Streben der heroischen Sehnsucht, die seine Grenzen bei weitem übersteigt; er ist hoch oben durch den Trieb der Vernunft, der ohne Maß und Ende Zahl an Zahl reiht; er ist tief unten durch die Gewalt, die ihm von dem entgegengesetzten Trieb des Gefühls angetan wird, der bleischwer zur Hölle zieht.« 128 De l'infinito, universo e mondi, S. 532; Übers. Kuhlenbeck, Unendliches All, S. 164: »wenn sie [die

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zentrale Relation von Unendlichkeits- und Pluralitätsidee in den Traditionszusammenhang von Lukrezens großem Lehrgedicht ein, in dem ja im unendlichen Raum die vielen Welten geradezu aus der Materie herausgetrieben werden. Salviatis Unterredung mit Simplicio nun stellt im Dialogo einen Höhepunkt dar, da hier der Astronom, der seit zwei Jahrzehnten Nacht für Nacht durch den Weltenraum reist, gewissermaßen vom Versagen jeglicher menschlichen Hermeneutik in Anbetracht der Unermeßlichkeit des Weltalls spricht. Salviati fragt Simplicio, ob dessen Gesinnungsgenossen »in ihrem Geiste eine Vorstellung von derjenigen Ausdehnung haben, welche sie ihrer Unermeßlichkeit wegen dem Weltall als unmöglich absprechen«. Was ihn, Salviati, anlange, so glaube er das nicht. ... e mi pare che, sì come nell' apprension de' numeri, come si comincia a passar quelle migliaia di milioni, l'immaginazion si confonde nè può più formar concetto, così avvenga ancora nell'apprender grandezze e distanze immense; sì che intervenga al discorso effetto simile a quello che accade al senso, che mentre nella notte serena io guardo verso le stelle, giudico al senso la lontananza loro esser di poche miglia, nè esser le stelle fisse punto più remote di Giove o di Saturno, anzi pur nè della Luna. [...] tanto è impotente il nostro senso a distinguere le distanze grandi dalle grandissime, ancor che queste in fatto siano molto migliaia di volte maggiori di quelle. E finalmente io ti domando, oh uomo sciocco: Comprendi tu con l'immaginazione quella grandezza dell' universo, la quale tu giudichi poi esser troppo vasta? se la comprendi, vorrai tu stimar che la tua apprensione si estenda più che la potenza divina, vorrai tu dir d'immaginarti cose maggiori di quelle che Dio possa operare? ma se non la comprendi, perchè vuoi apportar giudizio delle cose da te non capite?129 Im Kontext nun dieses Versagens der menschlichen Einbildungskraft gegenüber der Unermeßlichkeit des Kosmos, kommt in Galileis Dialog auch die Möglichkeit anderer Welten zur Sprache. Galilei verknüpft diese verdeckt angestellte Erwägung mit dem Thema der menschlichen Hybris: »Troppo mi par che ci arroghiamo, Sig. Simplicio, mentre

Natur] uns bei Nacht den überwältigenden Anblick des Sternenhimmels beut, wo das Auge die Unermeßlichkeit selber empfindet und unsern Verstand nötigt, immerfort Raum auf Raum, Gegend auf Gegend, Sternenwelt auf Sternenwelt folgen zu lassen.« 129 Dialogo, Opere, VII, S. 394; Ubers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 383 f.: »Wie bei der Auffassung der Zahlen, sobald man zu Tausenden von Millionen gelangt, die Einbildungskraft irre wird und sich kein Bild mehr machen kann, ebenso, glaube ich, geschieht es auch bei der Auffassung von Ausdehnungen und Entfernungen, so daß dem Verstände etwas ähnliches widerfährt wie der sinnlichen Anschauung: denn wenn ich in einer heiteren Nacht nach den Sternen blicke, so beträgt für meine sinnliche Wahrnehmung ihre Entfernung einige wenige Miglien, die Fixsterne scheinen mir nicht im mindesten weiter entfernt als Jupiter oder Saturn, ja nicht einmal als der Mond. [...] So unfähig sind unsere Sinne, große Entfernungen von den allergrößten zu unterscheiden, wiewohl diese in Wahrheit vieltausendmal jene übertreffen. Darum frage ich dich schließlich, du thörichter Mensch: Begreifst du mit deinem Geiste die Größe des Weltalls, die du für allzu gewaltig ausgiebst? Und wenn du sie begreifst, wirst du glauben mögen, daß deine Fassungskraft weiter reicht als die göttliche Allmacht? Wirst Du zu behaupten wagen, daß du dir Größeres vorzustellen vermagst, als Gott auszuführen imstande ist? Begreifst du sie aber nicht, was willst du urteilen über Dinge, die du nicht fassest?«

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vogliamo che la sola cura di noi sia l'opera adequata ed il termine oltre al quale la divina sapienza e potenza niuna altra cosa faccia o disponga: [...] Son certo che niente si lascia indietro dalla divina Providenza di quello che si aspetta al governo delle cose umane; ma che non possano essere altre cose nell'universo dependenti dall'infinita sua sapienza, non potrei per me stesso, per quanto mi detta il mio discorso, accomodarmi a crederlo: [...]« 1 3 ° Implizit kommt also bei Galilei der Pluralitätsgedanke als Medium einer Eindämmung der menschlichen Hybris in Betracht, die das gesamte Schöpfungswirken in der Unermeßlichkeit des Alls auf den Menschen hin auslegt. Innerhalb des Dialogo ist dies, soweit ich sehe, die einzige Passage, die auf eine ethische Dimension hinweist. Der gesamte Kontext, in dem Salviati diesen Hybris-Vorbehalt gegenüber dem Aristoteliker und Kirchenmann Simplicio auseinandersetzt, ist im Hinblick auf den Astronomiedialog zwischen Adam und Raphael lesbar, wenn auch Grant McColley nachweisen konnte, daß Milton darin über weite Strecken die aus den vierziger Jahren des 17 Jahrhunderts datierenden Schriften des Bischofs John Wilkins (des späteren Schriftführers der Royal Society und Autors eines wichtigen Werkes zur Universalsprache131), The Discovery of a World in the Moone (1638/40) und Discourse That the Earth May Be a Planet, or, A Discourse Caoncerning a New Planet (1640) und die Erwiderung von Alexander Ross (dem Autor des synkretischen Mystagogus Poeticus), The New Planet no Planet: or, The Earth no wandering Star (1646) paraphrasierte.132 Bevor wir jedoch auf diesen Dialog und Miltons Version der Pluralität der Welten kommen, muß in Galileis Dialogo die Zunahme an Komplexität der zunächst - auf dem Niveau des Sidereus Nuncius - einfachen Similaritätsbeziehung zwischen den Gegebenheiten auf der Erde und denen der stellaren Welt verfolgt werden.

Pluralisierung der Sichtweisen: Kosmoshermeneutik und Multiperspektivität Galileis vergleichende Deskriptionsmethode, wie sie sich im Sidereus Nuncius abzeichnet, täuscht ein wenig darüber hinweg, daß mit der teleskopischen Revolution der Ver130 Dialogo, Opere, VII, S. 394 f.; Ubers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 384 f.: »Zuviel maßen wir uns an, scheint mir, Signore Simplicio, wenn wir meinen, einzig die Sorge um uns erschöpfe das Wirken der Weisheit und Macht Gottes, darüber hinaus thue und ordne sie nichts. ... Ich bin überzeugt, daß die göttliche Vorsehung bei der Lenkung der Menschengeschicke das, was man von ihr erwarten kann, nicht ungethan läßt. Daß aber darum nicht noch andere Ausflüsse ihrer unendlichen Weisheit im Weltall vorhanden sein könnten, möchte ich nach den Eingebungen meiner Vernunft mich nicht bequemen zu glauben;...« 131 John Wilkins, An Essay towards a Real Character and a philosophical language (1668); vgl. Barbara J. Shapiro, John Wilkins 1614-1672. An Intellectual Biography. 132 Wie Fowler richtig bemerkt (Annot. 8.117-122), sind die von McColley gezogenen Schlußfolgerungen auf Miltons Standpunkt in der Kontroverse und auf eine etwaige polemische Stoßrichtung des Astronomiedialogs gegen die Royal Society äußerst fragwürdig; vgl. auch Allan H. Gilbert, »Milton and Galilei«. Der ganze Komplex bedürfte vor dem hier skizzierten Bruno-Galilei-Hintergrund einer neuen Aufarbeitung.

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gleichbarkeit lediglich ein allererster Schritt getan ist. I n i h m w i r d das sichtbar G e w o r dene vergleichend benannt: Berge u n d Täler, Wasser u n d L a n d , Wald u n d B e r g h ä n g e etc. dienen als Vergleichsobjekte. Beschrieben ist damit i m G r u n d e n o c h nichts, die M o n d p h ä n o m e n e sind lediglich in eine »als o b « - B e z i e h u n g gesetzt. D i e für die frühe Schrift charakteristische Sicherheit Galileis, ein P h ä n o m e n m i t einer d e m irdischen R e f e r e n z bereich e n t n o m m e n e n B e n e n n u n g z u belegen, scheint in den Jahren bis z u r N i e d e r s c h r i f t des Dialogo

einem stärkeren Perspektivbewußtsein gewichen zu sein: 1 3 3 Galilei rechnet

n u n stärker mit der Möglichkeit perspektivischer Täuschung. D e r Blick d u r c h das Teleskop ist an die gegebenen Lichtverhältnisse gebunden, die sich nicht künstlich - wie in einem E x p e r i m e n t - ändern lassen. G e n a u s o w e n i g kann der A s t r o n o m die D i n g e h e r u m d r e h e n , v o n der anderen Seite o d e r aus einer anderen Perspektive betrachten. D a d u r c h wird der gesamte Referenzbereich fragwürdig. J e n a c h der a n g e n o m m e n e n M ö g lichkeit ergeben sich für die B e s c h r e i b u n g unterschiedliche O p t i o n e n : D i c o dunque che quando in n a t u r a non fusse altro che u n m o d o solo p e r far apparir due superficie, illustrate dal Sole, u n a più chiara dell'altra, e che questo fosse per esser u n a di terra e l'altre di acqua, bisognerebbe necessariamente dire che la superficie della L u n a fosse p a r t e terrea e p a r t e aquea; m a p e r c h è vi sono più m o d i conosciuti da noi, che p o s son cagionare il m e d e s i m o effetto, ed altri p e r avventura ne p o s s o n essere incogniti a noi, p e r ò io non ardirei di affermare, questo più che quello esser nella L u n a . G i à si è veduto di sopra c o m e una piastra d ' a r g e n t o bianchito, col t o c c a r l o col brunitoio, di c a n 133 Tendenziell ist freilich der Zusammenhang von Perspektive und Täuschung auch bereits im Sidereus Nunàus zu finden. Vgl. Opere, Ill.i., S. 69 f.: »adeo ut compertum indubitatumque sit, apparere illas ob veram partium dissimilaritatem, non autem ob inaequalitates tantum in figuris earundem partium, umbras ex variis Solis illuminationibus diversimodo moventibus: quod bene contingit de maculis aliis minoribus clariorem Lunae partem occupantibus; in dies enim permutantur, augentur, imminuuntur, abolentur, quippe quae ab umbris tantum eminentiarum ortum ducunt. [...] Sic in terra multorum ac frequentium montium iuga secundum planam superficiem disposita apparent, si prospiciens procul fuerit et in pari altitudine constitutus. Sic aestuosi pelagi sublimes undarum vertices secundum idem planum videntur extensi, quamvis inter fluctus maxima voraginum et lacunarum sit frequentia, adeoque profundarum, ut sublimium navigiorum non modo carinae, verum etiam puppes, mali ac vela inter illas abscondantur.« Ubers. Sidereus Nuncius, hg. Blumenberg, S. 95 und S. 97: »(95) [...] so daß es gewiß und unzweifelhaft ist, daß sie so erscheinen wegen einer wahren Verschiedenheit der Teile und nicht nur wegen Ungleichheiten in den Formen dieser Teile, die bei unterschiedlicher Beleuchtung durch die Sonne veschiedenartig Schatten werfen. Das aber ist sehr wohl bei den anderen, kleineren Flecken der Fall, die den helleren Mondteil bedecken; denn sie verändern sich von Tag zu Tag, wachsen, werden kleiner und verschwinden, da sie ja ihre Entstehung nur den Schatten der Erhebungen verdanken. [...] (97) So scheinen auf der Erde die Kämme vieler und dicht beieinander liegender Berge auf einer Ebene zu liegen, wenn der Betrachter weit entfernt ist und auf gleicher Höhe steht. Und so scheinen die hohen Wellenkämme des wogenden Meeres eine einzige Ebene zu bilden, obgleich zwischen den Wellen Schlünde und Täler in sehr großer Häufigkeit und von solcher Tiefe sind, daß von hohen Schiffen nicht nur die Rümpfe, sondern auch die Hecks, Masten und Segel darin verschwinden.« Bruno diskutiert diese Perspektivfragen in La Cena de le Ceneri bereits ausführlich, so im dritten Dialog, S. 91-103 (Ubers. Fellmann, Aschermittwochsmahl, S. 141-151). Galileis Briefwechsel mit Lodovico Cigoli und seine Studien zu den Sonnenflecken, Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti, Rom 1613 (Opere, V, S. 71-249), handeln ausführlich von den Perspektivfragen »in scorcio« und »in faccia«; vgl. Martin Kemp, The Science of Art, S. 93-98.

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dido si rappresenta oscuro; la parte umida della Terra si mostra più oscura della arida; ne i dorsi delle montagne, le parti silvose appariscono assai più fosche delle nude e sterili; ciò accade, perchè tra le piante casca gran quantità di ombra, ed i luoghi aprici son tutti illuminati dal Sole; e questa mistione di ombre opera tanto, che voi vedete ne i velluti a opera il color della seta tagliata mostrarsi molto più oscuro che quel della non tagliata, mediante le ombre disseminate tra pelo e pelo, ed il velluto piano parimente assai più fosco che un ermisino fatto della medesima seta: sì che quando nella Luna fossero cose che imitassero grandissime selve, l'aspetto loro potrebbe rappresentarci le macchie che noi veggiamo; una tal differenza farebbero s'elle fusser mari; e finalmente non repugna che potesse esser che quelle macchie fosser realmente di color più oscuro del rimanente, chè in questa guisa la neve fa comparir le montagne più chiare. Quello che si vede manifestamente nella Luna è che le parti più oscure son tutte pianure, con pochi scogli e argini dentrovi, ma pur ve ne son alcuni: il restante più chiaro è tutto pieno di scogli, montagne, arginetti rotondi e di altre figure; ed in particolare intorno alle macchie sono grandissime tirate di montagne. 134 Salviatis Überlegungen zur Beschreibung der Mondoberfläche stehen innerhalb des Dialogo exemplarisch für Deskriptionsversuche, die die Möglichkeit perspektivischer Verzerrung und Täuschung und das Fehlen eines verläßlichen Referenzrahmens berücksichtigen. Das heißt, die zunächst als revolutionäre Neuerung aufgenommene Vergleichbarkeit von Erde und Mond kompliziert sich in dem Augenblick, da bewußt wird, daß die empirischen Beobachtungen durch das Fernrohr an eine überaus beschränkte, ausschnitthafte »als ob«-Fensterperspektive auf die Wirklichkeit gebunden sind. Solange also ein Mondberg nur vergleichend (oder gar metaphorisch?) so genannt wird, solange bleiben auch die Bezeichnungen als Senken oder Täler oder Ebenen auf dem Mond frag134 Dialogo, Opere, VII, S. 124 f.; Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 104 f.: »[...] wenn es in der Natur nur eine einzige Art und Weise gäbe, um zwei von der Sonne beleuchtete Oberflächen verschieden hell erscheinen zu lassen, nämlich die, daß die eine aus Land, die andere aus Wasser besteht, so läge allerdings die Notwendigkeit vor, auf der Oberfläche des Mondes Land und Wasser zu unterscheiden. Da uns aber mehrere Ursachen bekannt sind, die dieselbe Wirkung hervorbringen können, und möglicherweise noch andere uns unbekannte vorhanden sind, so möchte ich mich nicht erkühnen, ein entscheidendes Urteil betreffs des Mondes abzugeben. Wir haben bereits früher gesehen, wie eine matte Silberplatte durch Behandlung mit dem Polierstahl ihr weißes Aussehen in ein dunkeles verwandelt. Feuchtes Erdreich erscheint dunkeler als trockenes; auf Bergabhängen sehen bewaldete Stellen weit finsterer aus als nackte und unfruchtbare, was daher rührt, daß zwischen die einzelnen Bäume viel Schatten fällt, während die unbewachsenen Stellen allenthalben von der Sonne erhellt sind. Diese Beimischung von Schatten bewirkt, daß z. B. bei dem geblümten Sammet die Farbe der geschnittenen Seide infolge der zwischen die einzelnen Haare verteilten Schatten viel dunkler scheint als die der ungeschnittenen, ebenso glatter Sammet tiefer gefärbt als aus derselben Seide gewebter Ermesintaft. Wären daher auf dem Monde Gegenden nach Art unserer Wälder, so würden sie möglicherweise das Ansehen der von uns wahrgenommenen Flecken haben können; aber auch wenn diese Meere wären, würde ein ähnlicher Farbenunterschied die Folge sein; endlich ist es nicht ausgeschlossen, daß die Flecken wirklich eine dunkelere Farbe besitzen als das Übrige, ähnlich wie der Schnee den Bergen eine hellere Farbe verleiht. Soviel steht fest, daß die dunkeleren Teile des Mondes Ebenen sind, in welchen nur wenige Felsen und Dämme auftreten, ohne daß sie jedoch ganz fehlten. Die anderen helleren Partien sind über und über mit Felsen, Bergen, kreisförmigen und anders gestalteten Wällen bedeckt; besonders finden sich rings um die Flecken gewaltige Bergzüge.«

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würdig. Im Kontext seiner Erwägungen zum Wegfall des Weltmittelpunkts135 bringt Galilei diese Relativität der teleskopischen Beobachtungen auf den Punkt: »[...] dico che questo grande, piccolo, immenso, minimo, etc., son termini non assoluti, ma relativi, sì che la medesima cosa, paragonata a diverse, potrà ora chiamarsi immensa, e tal ora insensibile, non che piccola.«136 Die Sicherheit der im Sidereus Nuncius exemplarisch gewordenen Beschreibbarkeit der Kosmostopographie durch die sprachliche Similisierung mit topographischen Eigentümlichkeiten der Erde erfährt hier also so etwas wie eine dialektische Wendung. Anstelle der einfachen Similaritätsbeziehung tritt ein ganzes Bündel von Optionen. Was die teleskopische Perspektive nicht zu leisten vermag, ist die Uberprüfung von Phänomenen aus verschiedenen, konkurrierenden Perspektiven: die Dinge sind nicht von allen bzw. experimentell wählbaren Seiten einsehbar. Paradoxer weis e mündet diese Einschränkung in dem Versuch, das Phänomen gerade in einer Form der verbalen Multiperspektivität zu beschreiben. Diese Benennungs- und Beschreibungsversuche erscheinen dann an der deskriptiven Oberfläche gerade als multiperspektivische Sichtweise: als gäbe es nicht nur eine Realität, sondern viele, je nachdem, aus welcher Perspektive man die Phänomene betrachtet. Das heißt, im Medium der Beschreibung des aufgrund perspektivischer Unzulänglichkeit nicht treffend Beschreibbaren erscheint dasselbe, als sei es unter den Blick des manieristischen Künstlers geraten, der an der einen Wirklichkeit andere Wirklichkeiten, auf der Vorderseite eines Dings seine Rückseite entdeckt und so malt, daß aus verschiedenen Perspektiven im selben Bild verschiedene Gesichter oder Gestalten oder Landschaften sichtbar werden. Soweit ich sehe, ist dieser paradoxe Bezug zwischen dem gänzlich zentralperspektivisch operierenden Medium Fernrohr und der manieristischen Multiperspektivität noch nicht hergestellt worden. Er stellt sich, dies muß betont werden, nur über die Ebene der sprachlichen Deskription des Bildes im Teleskop her, also in der diskursiven Entfaltung der astronomischen Beobachtungen, wie Galilei sie - damit zugleich als Erfinder der wissenschaftlichen Publizistik (wie dies gesehen wird) - im Dialogo liefert. Aber vielleicht kann man noch weiter gehen und den Prozeß der Sichtbarmachung in der Teleskoplinse selbst auf die Kunst der Anamorphosen oder Perspectives beziehen. Wenn Galilei im Sidereus Nuncius beschreibt, wie in der Milchstraße oder auch im Nebel Sterne sichtbar werden - im Dialogo heißt es noch plastischer: »ma poi noi co'l telescopio l'aviamo fatte diventare drappelli di molte stelle lucide e bellissime 137 - , dann entspricht dies in der Struktur des Vorgangs genau der Sichtbarmachung des Gestaltlichen durch Perspektivgläser in den Anamorphoses Scientifiques von de Caus oder Niceron.138 Die 135 Vgl. Dialogo, Opere, VII, S. 39 f. (Ubers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 16); vgl. weiter zur Sonne als Mittelpunkt., S. 57 f. (Übers. Dialog, S. 35 f.), zur Voraussetzung des Mittelpunkts als heuristische Prämisse, S. 60 (Ubers. Dialog, S. 38), sowie S. 61: »[il centro dell'universo], il quale non sappiamo dove sia, nè se sia, e che quando pur sia, non è altro ch'un punto imaginario ed un niente senza veruna faculta« (Übers. Dialog, S. 39). 136 Dialogo, Opere, VII, S. 396 (Salviati); {Dialog, S. 386). 137 Dialogo, Opere, VII, S. 396. 138 Vgl. Jurgis Baltrusaitis, Anamorphoses ou Perspectives Curieuses und ders., Anamorphoses ou magie artificielle des effets merveilleux.

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topographischen Entdeckungen auf der Mondoberfläche lassen sich auf die anamorphotischen Landschaftsdarstellungen beziehen, wie sie Baltrusaitis in seinen grundlegenden Studien zur Kunst der Anamorphose versammelt. Galilei selbst hätte der hier vorgeschlagenen Analogiebildung auf dem Niveau seiner um 1600 entstandenen Marginalien zu Tasso 139 , zu denen er sich noch zwei Jahre vor seinem Tod ausdrücklich bekennt, nicht zugestimmt. Darin bezieht Galilei Tassos Allegorie - nach einem Gang durch dessen A n leihen bei den Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance 140 - ausdrücklich auf die manieristische Kunst der Anamorphose: Die schönste und zugleich bezugsreichste Beschreibung einer solchen curious kinde of perspective steht in dem berühmt gewordenen dichtungstheoretischen Brief des großen Staatstheoretikers Thomas Hobbes an Sir William Davenant: »I beleeve, Sir, you have seen a curious kinde of perspective, where he that looks through a short hollow pipe upon a picture containing divers figures sees none of those that are there painted, but some one person made up of their parts, conveyed to the eie by the artificial cutting of a glass.« (>The Answer of Mr. Hobbes to Sir Will. D'Avenant's Preface before GondibertMarginalien< in Sidereus Nuncius, hg. von Hans Blumenberg, S. 255: »Wenn ich mich anschicke, die Ritter mit ihren Taten und Abenteuern wie überhaupt alle Begebenheiten in diesem Werk näher zu betrachten, scheint es mir gerade so, als betrete ich die Studierstube irgendeines wunderlichen Männleins, das sie zu seinem Ergötzen mit Dingen ausgeschmückt hat, die [ . . . ] fremdartig wirken, in Wahrheit aber wertloses Zeug sind: ein versteinerter Krebs, ein eingetrocknetes Chamäleon, [ . . . ] einige kleine Skizzen von Baccio Bandinelli oder Parmigianino [...].« 141 Considerazioni al Tasso, Opere, I X , S. 129 f.; Ubers. >Marginalien< in Sidereus Nuncius, hg. Blumenberg, S. 265: »Tatsache ist, daß Ihr diese Längen im Interesse Eurer Allegorie eingeschoben habt, daß Ihr diese und jene Philosophie und eine ganze Enzyklopädie der Wissenschaften darstellen wolltet. Aber Ihr müßtet doch wissen, Tasso, daß die Fabeln und Fiktionen der Dichter dem allegorischen Sinn dergestalt dienen sollen, daß in ihnen auch nicht der Schatten eines Zwanges sichtbar werde; sonst wirken sie kümmerlich, gezwungen, an den Haaren herbeigezogen und verfehlt. Sie gleichen dann jenen Bildern, die, betrachtet man sie aus einem bestimmten Winkel, eine menschliche Figur zeigen; sie sind indes perspektivisch so gemalt, daß sie, beschaut man sie wie üblicherweise von vorn, nur ein konfuses und ungeordnetes Gemisch von Linien und Farben zeigen, aus dem man selbst Flüsse, gewundene Pfade, öde Strände, Wolken oder höchst seltsame Phantasiegebilde nur mit Mühe herauslesen kann.«

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o del Parmigiano«. 1 4 2 Galileis eigene zeichnerische Praxis scheint i h m freilich eine M ö g lichkeit der V e r m i t t l u n g gezeigt z u haben. D e r a n a m o r p h o t i s c h e P r o z e ß des »in scorcio« u n d »in faccia« 1 4 3 in der C a m e r a helioscopia u n d die den P e r s p e k t i v g l a s - A n a m o r p h o s e n entsprechende radikale G e s t a l t v e r ä n d e r u n g bzw. S i c h t b a r m a c h u n g des Gestaltlichen im F e r n r o h r 1 4 4 f ü h r e n Galilei nicht n u r z u p e r s p e k t i v t h e o r e t i s c h e n R e f l e x i o n e n s o n d e r n auch z u der p r o d u k t i v s t e n W e n d u n g seiner >vertrackt r e f l e k t i e r t e n O p t i k c E r w i r d selbst z u m manieristischen Künstler. D a s sinnfälligste Beispiel f ü r M i l t o n s poetische U m s e t z u n g v o n Galileis o p t i o n a l e r D e s k r i p t i o n s m e t h o d e i m H i n b l i c k auf die M o n d t o p o g r a p h i e ist die g r o ß e Beschreibung der S o n n e i m d r i t t e n Buch: T h e r e lands the f i e n d , a s p o t like w h i c h p e r h a p s A s t r o n o m e r in the sun's lucent o r b

142 Considerazioni, S. 69. Vgl. zu dem Gesamtzusammenhang der Galileischen Einschätzung der Künste die Studien von Erwin Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts; »Galileo as a Critic of the Arts. Aesthetic Attitude and Scientific Thought«; sowie »More on Galileo and the Arts«; und den Beitrag von Alexandre Koyré, »Attitudes esthéthique et pensée scientifique« (in deutscher Ubersetzung unter dem Titel » Kunst und Wissenschaft im Denken Galileis. Eine Antwort auf Panofsky« in Koyré, Galilei. Die Anfänge der neuzeitlichen Wissenschaft, S. 70-83). Panofsky und Koyré beziehen Galileis polemisch gemünzte Abneigung gegen den Manierismus (von dem sich im Hintergrund die Kunst der Hochrenaissance und die Dichtung Ariosts deutlich abheben) auf Galileis Schweigen über Keplers erstes und zweites Gesetz, also auf die eigentümliche Verdrängung der Ellipse. So heißt es bei Koyré, Galilei, S. 78: »Man könnte also vielleicht sagen - auch wenn Panofsky es nicht sagt - ja, man könnte auch ohne >vielleicht< sagen, daß Galilei gegen die Ellipse die gleiche unüberwindliche Abneigung gehegt hat wie gegen die Anamorphose, und daß ihm die Keplersche Astronomie als manieristisch erschienen ist.« Blumenberg, Sidereus Nuncius, hg. ders., S. 251 f., faßt Galileis ästhetische Position prägnant zusammen: »Die Art, wie Galilei Tasso bis ins Detail kritisiert, charakterisiert ihn selbst in seiner dem Piatonismus verwandten, eidetisch gebundenen Anschauungstypik: daß der reine Kreis die Urform der physischen Bewegungen und nicht der Grenzfall der Ellipse, deren Brennpunkte unendlich nahe aneinanderrücken, sein kann, wird ihn an Keplers erstem Gesetz mit verständnislosem Befremden vorübergehen lassen. So bleibt ihm auch verschlossen, daß in Tassos Befreitem Jerusalem die manieristische Verformung der Sprache, also das Medium des dichterischen Ausdrucks und nicht die vermittelte Anschauung dem Leser zum unmittelbaren Bezug seiner ästhetischen Einstellung dargeboten wird. [ . . . ] Der ästhetische Primat der Malerei im Sinne des Horazischen ut pictura poesis bestimmt Galileis Poetik genauso, wie die Anschaulichkeit der Phänomene des Fernrohrs seiner kopernikanischen Uberzeugung Evidenz und öffentlichen Anspruch verschafft.« Zu fragen ist freilich, ob die Interpretationen von Panofsky, Koyré und Blumenberg tatsächlich den Kern der Galileischen Kunstauffassung treffen. Galileis Mondzeichnungen (vier Darstellungen im Sidereus Nuncius und weitere sieben in Florenz befindliche Tuschezeichnungen) und seine Zeichnungen von der Bewegung der Sonnenflecke (Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro acddenti, Rom 1613, Opere, \ζ S. 143-182 und Appendix, S. 433 ff.) zeigen ihn als Perspektivpraktiker und als herausragenden Künstler, der die Techniken der Anamorphose und den Umgang mit der Camera helioscopia souverän beherrscht. Vgl. zu den Mondzeichnungen Ewen A. Whitaker, »Selenography in the Seventeenth Century« und zuletzt auch Peter Frieß, Kunst und Maschine, S. 121-124. Martin Kemp, The Science of Art, S. 93-98, geht auf die wissenschaftliche und künstlerische Relation zwischen Galilei und Lodovico Cardi da Cigoli ein. 143 So Galilei in seiner Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti, Opere, V, S. 122 und 132 f.; vgl. seinen Brief an Lodovico Cardi da Cigoli vom 26. Juni 1612, Opere, XI, S. 340-343. 144 Vgl. dazu noch einmal Dialogo, Opere, VII, S. 396: »le nebulose erano prima solamente piazzette albicanti, ma poi noi co'l telescopio l'aviamo fatte diventare drappelli di molte stelle lucide e bellissime?«

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Through his glazed optic tube yet never saw The place he found beyond expression bright, Compared with aught on earth, metal or stone; Not all parts like, but all alike informed With radiant light, as glowing iron with fire; If metal, part seemed gold, part silver clear; If stone, carbuncle most or chrysolite, Ruby or topaz, to the twelve that shone In Aaron's breastplate, and a stone besides Imagined rather oft than elsewhere seen, That stone, or like to that which here below Philosophers in vain have thought, In vain,... (3.588-602) Dies ist die größte Verdichtung der Ubereinstimmungen zwischen den Similisierungsverfahren Galileis und Miltons. Das Inbild dafür piaziert der Dichter an den Anfang dieser Deskription der Sonnenoberfläche: der Astronom und sein Fernrohr als Medien der Bilderöffnung stehen selbstreflexiv für die Möglichkeiten der in den folgenden Versen poetisch einzulösenden Beschreibung. Es ist nach dem Mondsimile die zweite dichterische Manifestation Galileis. Erst bei der dritten, die im Sinne der >vertrackt reflektierten Optik< die Erde aus der Perspektive des angelinischen Astronauten Raphael zeigt und damit Galilei nach seiner Präsenz in der Hölle und hier auf der Sonne als einem als-obHimmel in der Perspektive Satans auf sein heimatliches Element, die Erde, zurückführt, erhält er seinen eigentlichen Namen zurück. Zur gleichen Zeit hebt Milton das jetzt zu Beschreibende, vielleicht in Anlehnung an Dantes nochmalige Uberbietung jeder erreichten nova vista, über das hinaus, was der Astronom bereits entdeckt hat. Der Landeplatz (»spot«) Satans auf der Sonne ist als ein astronomisch-poetisches Pun gleichzeitig einer der von Galilei seit 1612 ausführlich beschriebenen Sonnenflecken, die zeitgenössisch als eine Form des decay auf der Sonne angesehen wurden. Die dichterisch behauptete Amplifikation der Sicht des Astronomen, die in der Entdeckung dieses besonderen Fleckchens bestehe (das als dunkler Fleck auch noch in der zweiten Ortsbezeichnung »place« mitzudenken ist), wird geradezu oxymoronisch aufgeladen, wenn es heißt: »The place he found beyond expression bright«. Ich sehe diesen Bildkomplex in Anspielung auf die Beschreibung der göttlichen Lichtfülle in der Wolke vorher im gleichen Buch. Hinzu kommt, daß die Similisierung des nächsten Verses, »Compared with aught on earth, metal or stone«, daran erinnert, daß Galileis gewissermaßen angestammte Similaritätsrelation die zwischen Mond und Erde ist, der Dichter sich also mit der Konstitution einer ex-negativo-Vergleichbarkeit zwischen Sonne und Erde über den Astronomen erhebt. Unterlaufen wird dies jedoch sogleich durch die Paradoxie des Vergleichs mit Gegebenheiten auf der Erde aus der Perspektive Satans, die diesem als kosmischem Navigator in Richtung des neuen Sterns nicht vertraut sein können. Die in den

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darauffolgenden Versen paradigmatisch durchgespielte Optionalität wird dadurch von vornherein auf eine Art Meta-Ebene gesetzt: dies ist sozusagen die reine Optionalität, wenn das vielleicht stabilisierende Element in einer Optionalkette von vornherein ausfällt. Die vier folgenden Verse lösen dabei gleichzeitig die oben zitierte Deskriptionsmethode Galileis exemplarisch ein, bei Uneindeutigkeit alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen (»Not all parts like, but all alike informed / ... / If metal, part ... part / If stone ...«). Dabei ist freilich entscheidend, daß Milton nun, gewissermaßen bei der praktischen Durchführung optionalen Beschreibens, die Intensivierung der astronomischen Perspektive gleichzeitig zu einem Sprung auf die Ebene des >prophetic use of simile< (Murrin) benutzt (»as glowing iron with fire«; »carbuncle most or chrysolite, / Ruby or topaz«; weiter dann 606 ff.: »What wonder then if fields and regions here / Breathe forth elixir pure, and rivers run / Potable gold ...«) und mit den magischen Steinen auf Aarons Brusttasche genauso wie mit dem Stein der Weisen in einen gänzlich anderen Kontext lenkt. Die hermetische Dimension, die die Arbeit des Astronomen dadurch erhält - zu denken wäre etwa an eine Anspielung auf die Monas bieroglyphica des John Dee - , kann durch den Namen Galileis nicht gedeckt werden: er wird zur Metapher für Bruno, der das magische Universum noch mit dem astronomischen zusammensah.

Jenseits aller Phantasie Die radikale Relativität des Teleskopbildes führt Galilei in letzter Konsequenz zu einer alle Bezugssysteme - also jede Form der Referentialität - nivellierenden Kosmoshermeneutik. Die figürliche Bindung dieses Gedankengangs präsentiert Galilei, wenn die Gesprächspartner des Dialogo die Frage der Bewohntheit des Mondes diskutieren. Dort treten Gestalten jenseits aller Gestaltlichkeit auf: Der spekulative Aufschwung dieser Erwägungen führt Galilei über die beschriebene Relativität und Referenzlosigkeit - wie durch einen Sprung auf eine andere Ebene - hinaus zu den Konstitutionsbedingungen undenkbarer Phantasiegestalten. Salviati schließt aus, daß auf dem Mond den irdischen ähnliche Dinge erzeugt würden - »ma, se pur ve η' è, fussero diversissime, e remote da ogni nostra immaginazione«.145 An früherer Stelle im Verlaufe des ersten Diskussionstages146 umreißt Galilei ausführlich so etwas wie den Freiraum der Imagination für die Ausdenkbarkeit außerirdischen Lebens und die Grenzen dieser Ausdenkbarkeit. Dort werden jenseits des literarischen Topos147 der Fahrten zum Mond und seiner Bewohnbarkeit die perspektivischen und die imaginativen Voraussetzungen der Vorstellungen von anderen Welten umrissen und problematisiert. Galilei kann dabei auf den beiden darunterliegenden Stufen der Vergleichbarkeit aufbauen. Sowohl Salviati als auch Sagredo negieren die einfache Ähnlichkeit zwischen der Evidenz irdischer Lebewesen und 145 Dialogo, Opere, VII, S. 125; Übers. Dialog, hg. Sexl / Meyenn, S. 105. 146 Dialogo, S. 85 ff.; Übers. Dialog, S. 64 ff. 147 Vgl. die beiden Werke von M. H. Nicolson zum Thema, A World in the Moon und Voyages to the Moon.

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der Vorstellbarkeit solcher auf dem Mond. Insofern unterlaufen sie das dem Simplicius in den Mund gelegte Verdikt über den »pensiero, o favoloso, o empio«, »che nella Luna ancora fussero uomini, che godesser de' suoi frutti«. 148 Gleichwohl halten sie an der gedanklichen Möglichkeit fest, die, wenn überhaupt ausdenkbar, so jenseits des von der Phantasie Leistbaren liegt. Che nella Luna o in altro pianeta si generino o erbe o piante o animali simili a i nostri, o vi si facciano pioggie, venti, tuoni, come intorno alla Terra, io non lo so e non lo credo, e molto meno che ella sia abitata da uomini: ma non intendo già come tuttavolta che non vi si generino cose simili alle nostre, si deva di necessità concludere che niuna alterazione vi si faccia, nè vi possano essere altre cose che si mutino, si generino e si dissolvano, non solamente diverse dalle nostre, ma lontanissime dalla nostra immaginazione, ed in somma del tutto a noi inescogitabili. E sì come io son sicuro che a uno nato e nutrito in una selva immensa, tra fiere ed uccelli, e che non avesse cognizione alcuna dell'elemento dell'acqua, mai non gli potrebbe cadere nell'immaginazione essere in natura un altro mondo diverso dalla terra, pieno di animali li quali senza gambe e senza ale velocemente camminano, e non sopra la superficie solamente, come le fiere sopra la terra, ma per entro tutta la profondità, e non solamente camminano, ma dovunque piace loro immobilmente si fermano, cosa che non posson fare gli uccelli per aria, e che quivi di più abitano ancora uomini e vi fabbricano palazzi e città, ed hanno tanta commodità nel viaggiare, che senza niuna fatica vanno con tutta la famiglia e con la casa e con le città intere in lontanissimi paesi; sì come, dico, io son sicuro che un tale, ancorché di perspicacissima immaginazione, non si potrebbe già mai figurare i pesci, l'oceano, le navi, le flotte, e le armate di mare; così, e molto più, può accadere che nella Luna, per tanto intervallo remota da noi e di materia per avventura molto diversa dalla Terra, sieno sustanze e si facciano operazioni non solamente lontane, ma del tutto fuori, d'ogni nostra immaginazione, come quelle che non abbiano similitudine alcuna con le nostre, e perciò del tutto inescogitabili, avvengachè quello che noi ci immaginiamo bisogna che sia o una delle cose già vedute, o un composto di cose o di parti delle cose altra volta vedute; chè tali sono le sfingi, le sirene, le chimere, i centauri, etc.149 148 Dialogo, S. 85; Übers. Dialog, S. 64 f. 149 Dialogo, S. 85 f.; Ubers. Dialog, S. 65: »Daß der Mond oder ein anderer Planet Kräuter, Bäume und Tiere ähnlich den unseren hervorbringt, daß dort Regen, Winde, Gewitter hausen wie rings um die Erde, weiß ich nicht und glaube ich nicht; noch viel weniger, daß er von Menschen bewohnt ist. Nur verstehe ich nicht, warum man notwendig schließen soll, daß, sobald dort keine den irdischen ähnliche Dinge erzeugt werden, überhaupt keine Erzeugung auf ih stattfindet, daß nicht andere Dinge dort sein können, die sich verändern, entstehen, sich auflösen, die nicht nur von den unsrigen verschieden, sondern auch unserer Phantasie völlig entrückt und für uns geradezu unvorstellbar sind. Gleichwie sicherlich jemand, der in einem ungeheuren Walde geboren und unter Raubtieren und Vögeln aufgewachsen ist, der aber niemals das Element des Wassers hat kennen lernen, unmöglich eine Vorstellung davon haben kann, daß es in der Natur eine andere Welt giebt, verschieden von der Erde, angefüllt mit Tieren, welche sich ohne Beine und ohne Flügel geschwind bewegen und zwar nicht bloß über die Oberfläche hin, wie die vierfüßigen Tiere über die Erde, sondern durch alle Höhen und Tiefen; die nicht nur sich bewegen, sondern an jeder beliebigen Stelle sich ausruhen können, ohne sich zu bewegen, was die Vögel in der Luft nicht zu thun imstande sind; daß ferner dort auch Men-

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Sagredo klärt hier gewissermaßen den heuristischen Rahmen, damit zugleich den Referenzrahmen für die Imagination auf diesem Gebiet. Wenn, so ließe sich sein Gedankengang im Hinblick auf Miltons spezifische Leistung zusammenziehen, jenseits des Erfahrbaren Gebilde und Gestalten durch die Einbildungskraft erstellt werden sollen, die selbst noch das als Phantasiegebilde Bezeichenbare transzendieren, dann ist dies nicht mehr mit den Mitteln von Vergleich und Komposition (Konstruktion) des aus der Erfahrung Vertrauten, sondern einzig durch die radikale Ausnutzung der oben so benannten, dialektisch aufzufassenden Multiperspektivität zu erreichen. Es ergibt sich das Heterogene per se, das, was Burke als erhabene Obskurität bezeichnet und was die reinen Phantasiegestalten in Miltons Gedicht beschreibt: »The mind is hurried out of itself, by a croud of great and confused images; which affect because they are crouded and confused. For seperate them, and you lose much of the greatness, and join them, and you infallibly lose the clearness.«150 Wie wir gesehen haben, ist dies zugleich eine Beschreibung der Sprache des Propheten Hesekiel. Konstituierbar sind solche Geschöpfe nur durch das, was man die poetische Resultante der oben dargelegten, dialektisch gewendeten und in letzter Konsequenz negierten Vergleichbarkeit nennen könnte. Nur wenn die Geschöpfe die Einschmelzung konkurrierender, divergierender Sichtweisen, also multiperspektivische Vexierbilder sind, werden sie den Bedingungen gerecht, unter denen Sagredo außerirdische Geschöpfe unvorstellbar macht. Sie müssen die Komposita der Sphinxe, Sirenen, Chimären, Kentauren etc. transzendieren. Miltons denkbildhafte, reine Phantasiegestalten sind genau dies - »living creatures new to sight and strange« (4.287). Vielleicht dachte Galilei an die Gestalten im Danteschen Paradiso oder an das Reich der Platonischen Ideen (was durch die - wohl so aufzufassende - Anspielung auf die Platonische Höhle im »selva immensa« nahegelegt würde). Möglicherweise dachte er sogar auch an das, was er an Tasso so vehement kritisiert hatte, das plötzliche Heraustreten von »stranissime chimere«151 aus einem gleichsam anamorphotisch strukturierten Bewußtsein. Die allenfalls ahnende Spekulation Galileis wird im rezeptionsgeschichtlichen Vorgang bei Milton wiederum abgelöst durch die produktive Spekulation Brunos. Aus seiner >Maschine im Geist< und im Drehen an den Rädern seiner ars combinatoria konnten eben solche völlig neuartigen Figuren herausgewürfelt werden.152 Bildlich gesehen wohnen, die Paläste und Städte bauen, die ganz bequem ohne Ermüdung mit Kind und Kegel, Haus und Hof in die entferntesten Länder reisen können; gleichwie sicherlich jemand in dieser Lage, und habe er die mächtigste Einbildungskraft, niemals Fische, Ocean, Schiffe, Flotten, eine bewaffnete Seemacht sich vorstellen könnte, ebenso und in noch höherem Grade kann es auf dem Monde, der so weit von uns entfernt ist und möglicherweise aus einem von der Erde ganz verschiedenen Stoffe besteht, Substanzen geben und können dort Vorgänge sich abspielen, die nicht nur weit von unserem Vorstellungskreise, sondern völlig außerhalb desselben liegen, weil sie nicht die geringste Verwandtschaft mit irdischen Verhältnissen aufweisen und darum völlig unausdenkbar sind. Muß ja doch jedes Phantasiegebilde entweder ein schon wahrgenommenes Ding wiedergeben oder eine Verbindung von früher wahrgenommen Dingen und Teilen sein, wie die Sphinxe, Sirenen, Chimären, Centauren u.s.w.« 150 Edmund Burke, A Philosophical Enquiry, S. 62. 151 Considerazioni al Tasso, Opere, IX, S. 130; Ubers. >MarginalienJoyce und Bruno< in Vielfacher Schriftsinn, S. 209 ff.; ders. »Joyces Memoria«, S. 343 ff.; und Yates, The Art of Memory, S. 239 ff.

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sprachen, fungieren sie bei Bruno zur Besiedlung der anderen Welten im Universum wie im Universum im Kopf. Es scheint, als habe Milton auch hier die Arbeit des Astronomen innerhalb der Naturgesetze überblendet durch die Arbeit an einer anderen Natur, mit der - wie Bruno es sieht - die demuth adam erst wirklich eingelöst wird: E soggiùnse che gli dei aveano donato a l'uomo l'intelletto e le mani, e l'aveano fatto simile a loro, donandogli facultà sopra gli altri animali; la qual consiste non solo in poter operar secondo la natura ed ordinario, ma, ed oltre, fuor le leggi di quella; acciò, formando o possendo formar altre nature, altri corsi, altri ordini con l'ingegno, con quella libertade, senza la quale non arrebe detta similitudine, venesse ad serbarsi dio de la terra.153

But nigh hand seemed other worlds, / Or other worlds they seemed Die poetische Umsetzung des Pluralitätsgedankens, den er geradezu zum generativen Prinzip seines Gedichtes macht, ist bei Milton beides zugleich: die Einlösung des »großen Projekts eines Ausgleichs von Heidentum, Judentum und Christentum« 154 und die Einlösung des imaginativen Wagnisses, die Arbeit des Astronomen als ein Navigieren im Universum auf den Prozeß des Dichtens zu projizieren. Unter dem spekulativen Pluralitätsgedanken braust die Abgründigkeit nicht nur der Unendlichkeit des Alls, sondern auch des Schöpfungsgedankens. Marjorie Nicolson 155 hebt hervor, was es für Milton oder Pascal bedeutet haben muß, im Teleskop die unermeßliche Weite und im Mikroskop die winzige Kleinheit des Universums wie des Menschen zu sehen: »an experience which to our age is so much taken for granted that only with difficulty can we think ourselves back to the situation of that first generation of men who by experience of the telescope, and of its descendant, the microscope, sometimes in one night saw the crashing-down of the >flaming ramparts of the world< when They viewed the vast immeasurable Abyss, Outrageous as a sea, dark, wasteful, wild (7 209-10).« 153 Lo Spaccio de la Bestia trionfante, hg. Aquilecchia, S. 732; Ubers. Kuhlenbeck, Vertreibung, S. 181: »Die Götter haben dem Menschen Verstand und Hände gegeben und ihn nach ihrem Bilde erschaffen, indem sie ihm eine höhere Fähigkeit verliehen als den anderen Geschöpfen und diese höhere Fähigkeit besteht eben darin, daß er nicht bloß nach der Natur und deren gewöhnlichen Regeln handeln kann, sondern auch über die Gesetze der Natur hinaus. So gestalten die Menschen oder können wenigstens gestalten eine zweite Natur, andere Ereignisse und neue Ordnungen vermöge der Geisteskraft und der Willensfreiheit, ohne welche der Mensch nicht so zu sagen der G o t t der Erde im Sinne der erwähnten Ebenbildlichkeit zu sein vermöchte.« 154 Reichert, Fortuna, S. 132. 155 »The Telescope and Imagination«, S. 235. Vgl. für Sublime«, S. 221: »Galileo's telescope - whether perhaps the greatest disturbance: that there really were beyond common visibility, even though they of the earth as indescribable abstractions.«

den gleichen Zusammenhang Reichert, »Milton's or not Milton actually looked through it - was were things that could be seen even though they might appear to the eye accustomed to the things

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Auf die gleiche Situation spielt Milton in dem anderen poetisch gestalteten abyssischen Ausblick an: Before their eyes in sudden view appear The secrets of the hoary deep, a dark Illimitable ocean without bound, Without dimension, where length, breadth, and highth, And time and place are lost;... (2.890-894) In diesem, nach Satans Schild zweiten astronomischen Schlüsselbild werden die stabilisierend wirkenden und Orientierung gebenden Kategorien aufgebrochen. Positioniert am Höllenrand, evoziert Milton damit die Ortlosigkeit des Menschen angesichts des bewußt werdenden Nicht-Raumes jenseits des nicht künstlich intensivierten Gesichtssinns. Das Abyssum ist gewissermaßen das Medium, durch das der Pluralitätsgedanke hindurchgetrieben werden muß, um bei den neuen Welten anzulangen. Die Pluralisierung der Welten verläuft im Gedicht auf mehreren Ebenen gleichzeitig. So metaphorisiert Milton in Raphaels Vorrede zur Erzählung vom Himmelskrieg den Himmels· und Welt(en)begriff. Die Kriegsepisode im »Himmel« ist - worauf Raphaels Vorrede hinweist und was sich vor dem Hintergrund der Galileischen Similaritätserwägungen aufdrängt - die poetische Projektion des englischen Bürgerkriegs in eine andere Welt. Sie ist jedoch gleichenzeitig auch etwas ganz anderes: Erinnert sei an die oben bereits angesprochenen Verse John Donnes, »And in those constellations there arise / New starres, and old do vanish from our eyes: / As though heav'n suffred earth-quakes, peace or war, / When new Townes rise, and olde demolish'd are.«156 Gegen diesen poetischen Hintergrund hebt sich der inthronisierte Messias als einer der neuen Sterne ab, während der gefallene Lucifer ein vom Himmel verschwundener Stern ist, was in den beiden folgenden Zeilen im Kriegsjargon der aufgerichteten und gefallenen Bollwerke und der erdbebenhaft bewegten Berge durchgespielt wird, der für die Bildlichkeit von Miltons Himmelskriegsepisode durchgängig konstitutiv ist. Ebenfalls narrativ vermittelt durch Raphael sind die expliziten Thematisierungen der Pluralität der Welten im großen Schöpfungsbild des siebten Buches. So heißt es 7188-91: »in stead / O f spirits malign a better race to bring / Into their vacant room, and thence diffuse / His good to worlds and ages infinite«, und wenige Verse später: »to let forth / The king of glory in his powerful Word / And Spirit coming to create new worlds« (7 207-209). Geschlossen wird dieser Kreis der Pluralitätsbilder vom großen Jubelgesang am Ende des Schöpfungsbuches: Witness this new-made world, another heaven From heaven gate not far, founded in view On the clear hyaline, the glassy sea; Of amplitude almost immense, with stars Numerous, and every star perhaps a world Of destined habitation; but thou know'st 156 An Anatomy of the World, 259-262 (Hervorhebungen M. W.).

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Their seasons: among these the seat of men, Earth with her nether ocean circumfused, Their pleasant dwelling-place. (7 617-625) Hier zeigt sich noch einmal exemplarisch die poetische Umarbeitung des Weltbegriffs selbst: Die Schöpfung der »new-made world« ist die Schöpfung überhaupt, das unendliche All mit seinen stellaren Systemen, »and every star perhaps a world / Of destined habitation«. Auf einem davon seien die Menschen zu Hause (»among these the seat of men«). Eine andere strukturelle Ebene innerhalb der Gesamtperspektivierung von Paradise Lost durch das Teleskop stellen diejenigen Passagen dar, in denen - wie am Sonnenbeispiel oben bereits gezeigt - Satan und Raphael zu Astronomen am Fernrohr werden, die das visuelle Durchmessen der Räume gleichzeitig in kosmosnavigatorische Handlung transformieren. Beispiele dafür sind die strukturell analog gestalteten Kosmosbilder in 3.555-571 und in 5.257 ff.: Round he surveys, and well might, where he stood So high above the circling canopy O f night's extended shade; from eastern point O f Libra to the fleecy star that bears Andromeda far off Atlantic seas Beyond the horizon; then from pole to pole He views in breadth, and without longer pause Down right into the world's first region throws His flight precipitant, and winds with ease Through the pure marble air his oblique way Amongst innumerable stars, that shone Stars distant, but nigh hand seemed other worlds, Or other worlds they seemed, or happy isles, Like those Hesperian gardens famed of old, Fortunate fields, and groves and flowery vales, Thrice happy isles, but who dwelt happy there He stayed not to inquire:... (3.555-571; Hervorhebung M. W) Die Vielheit der Welten, die Milton hier durch die chiasmische Wendung but nigh hand seemed other worlds, / Or other worlds they seemed, or happy isles thematisch forciert, wird bezeichneñderweise in der repetitiven oder-Struktur in den mythologischen Vergleich der hesperidischen Gärten gesetzt, deren Früchte Milton 4.249 ff. in die Deskription des Paradieses einbringt. Dieses Detail weist auf den größeren Zusammenhang zwischen der Pluralität der Welten und der poetischen Entfaltung des Paradieses, auf den gleich zurückzukommen ist. Die chiastisch strukturierten Verse lösen exemplarisch das Zusammenlaufen der eingangs angesprochenen zwei Pluralitätsvarianten ein. Die philo-

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sophische Pluralitätsidee nimmt gewissermaßen die mythologische Vorstellung in sich auf und läuft zur gleichen Zeit optional durch sie hindurch. Dies könnte als ein versteckter Hinweis auf die Uberlagerung der begrifflichen und der unbegrifflichen Denkformen bei Bruno gesehen werden, die in Miltons Gedicht - wenn man beispielsweise an die langen Dialoge über die Willensfreiheit denkt - präsent bleibt. Die angelinische Parallelstelle des fünften Buches bringt mit der ersten namentlichen Nennung Galileis den Astronomen auf die Erde zurück und suggeriert dabei die Urszene der im Sidereus Nuncius beschriebenen Mondbeobachtungen: From hence, no cloud, or, to obstruct his sight, Star interposed, however small he sees, Not unconform to other shining globes, Earth and the garden of God, with cedars crowned Above all hills. As when by night the glass Of Galileo, less assured, observes Imagined lands and regions in the moon: Or pilot from amidst the Cyclades Delos or Samos first appearing kens A cloudy spot. Down thither prone in flight He speeds, and through the vast ethereal sky Sails between worlds and worlds,... (5.257-268; Hervorhebung M. W.) Entgegen üblichen Interpretationen, in der als Einschränkung erscheinenden Wendung »less assured« und »imagined lands« eine poetische Absage an die Realität solcher Wahrnehmung durch das Fernrohr zu sehen, denke ich, daß Milton hier auf die fragende, forschende, experimentierende Grundhaltung Galileis anspielt. Er rekonstruiert den Augenblick der ersten Mondbeobachtung durch das Fernrohr als einen tastenden, fragenden Blick. Was Galileo sieht, ist selbstredend kein Produkt der Einbildungskraft, sondern Milton fängt hier in der Dichte zweier Verse die Ablösung der spekulativen Imaginierung einer möglichen Welt im Mond - wie sie sich poetisch etwa bei Ariosto, Rabelais etc. findet - und deren Evidentwerden im Teleskop ein: »observes / Imagined lands and regions in the moon« - das also, was bis dahin Produkt der Imagination war, bekommt durch die Beobachtungen Galileis empirische Evidenz. Im Ausblick Raphaels wird die Erde mitsamt dem paradiesischen Garten Gottes in die gleiche teleskopische Perspektive gesetzt, in der sich auch Satan der neuen Welt nähert. Die sich ergänzenden oppositionalen Achsen des Gedichtes laufen darin also zusammen. Zugleich wird die an den Similisierungen beobachtete Relativität von Paradies, Sündenfall und biblischer Geschichte durch diese Perspektive gewissermaßen noch einmal von außen her bis hin zur völligen Optionalität zugespitzt: Die Begebenheiten in dieser Welt könnten sich in jeder der auf dem Wege liegenden anderen möglichen Welten ebenfalls zutragen. Daß Satan seine kolonialistischen Absichten gerade auf der Erde zu verwirklichen sucht, ist im Grunde zufällig.

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Aber die teleskopische Perspektive prägt Miltons Paradieseslandschaft auch in einem tieferen Sinne im Hinblick auf den intendierten Ausgleich von Traditionen. Man könnte vielleicht sogar sagen, daß sich für Milton mit dem Medium des Fernrohrs erst die Möglichkeit eröffnet hat, dieses Projekt dichterisch zu verwirklichen. Die Projizierbarkeit des Traditionenausgleichs in einen kosmischen Denkraum ohne Mittelpunkt und Hierarchie lieferte die Grundlage für die poetisch durchgespielte Relativität alles darin Gedachten. Die Vorstellung von einer Unendlichkeit des Raumes, in der »spacio a spacio, regione a regione, mondo a mondo«157 aufeinander folgen, dient als Muster für das Fortschreiten der Miltonschen Similisierungen in die Länge und Breite, ins Uferlose also, so daß die Verse geradezu den Raum, den sie narrativ durchmessen, zu überbrücken suchen - gewissermaßen als Projektion des von Sünde und Tod über das Abyssum gespannten Brückenbauwerks in die Unendlichkeit des Alls und auf die Arbeit des Dichters. Die als o¿-Relation der dichterischen Verfahrensweise zu den Bildern im Auge des Astronomen hinter dem Fernglas, die in der bei Donne und Bacon geläufigen Metapher der Navigation durch das All vorgeprägt ist, dient als Medium der radikalen Relativierung und wohl auch, im politischen Klima der Restauration, als Legitimationsrahmen für den Prozeß der Einschmelzung auch solcher Traditionen, die nicht toleriert wurden. Unter dem doppelten Mantel eines dem Anschein nach christlichen Themas und der Ubersetzung der Kosmoshermeneutik der Astronomen in die Sprache der Dichtung schuf sich Milton einen nicht zensierbaren Freiraum unbedingter Optionalität. Dieser Sprung auf eine andere Ebene der darstellerischen Möglichkeiten und zu einer Form nichtkolonialistischer Vereinnahmung könnte im Vergleich zu den Reiseberichten des 16. und 17 Jahrhunderts mit ihren, den Miltonschen ähnlichen Similisierungsverfahren158 weiter ausdifferenziert werden. Vor dem Hintergrund der vielen noch nicht untersuchten Bezüge zwischen Miltons Aneignung mythologischer und biblischer Bilder und der Projektion der gleichen Bilder auf die kolonialistisch vereinnahmten Räume in diesen Reiseberichten könnte sich die der Kosmoshermeneutik abgeschaute Optionalität nicht nur als Sprungfeder, sondern zugleich einmal mehr als Vehikel der poetischen Einlösung des Traditionenausgleichs erweisen. Das war Spenser, der noch viel unmittelbarer im Kontext der literarischen Berichte der seefahrenden Entdecker dichtet, in dieser Form noch nicht greifbar - trotz Bruno. Auf der anderen Seite stehen die dunklen Implikationen des Blicks durch das Fernrohr, die sich in den abyssischen Ausblicken des Gedichtes manifestieren und den Schöpfungsgedanken selbst berühren. Die innerhalb des Gedichtes als Ersatz für die gefallenen Engelscharen diskutierte Schöpfung ist - das haben wir an der Thematisierung des Pluralitätsgedankens im Bildkomplex »Schöpfung« gesehen - die Schöpfung des unendlichen Alls, das die unendlich vielen möglichen Welten in sich aufnimmt oder aus sich generiert. Der Himmel, in dem sich Krieg und Satansturz zutragen, rutscht selbst in den 157 De l'infinito, universo e mondi, hg. Aquilecchia, S. 532. 158 Vgl. zur Funktion der »similitudes« in der Narrativik der Kolonialisten Mary B. Campbell,

Witness and the Other World, S. 177 f., 224-31,249-54 (speziell zu Raleigh).

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relativierten Status der einen Welt unter möglichen anderen ab. Insofern die Darstellung des Himmelskriegs auch als große Metapher für die Veränderlichkeit der stellaren Welt, also für mutabilitie and decay draußen im Universum, steht, unterläuft Milton den Schöpfungsgedanken selbst. Die Lesbarkeit des unendlichen Alls besteht in letzter Konsequenz in der abgründigen Vorstellung, daß es die Geburts- und Schädelstätte der Welt sei - The womb of nature and perhaps her grave. Gerade die in diesem Bild - wie Reichert es beschrieben hat - zum Ausdruck kommende »essential uprootedness of human existence«159 lenkt auf die ethische Intention hinter Miltons Gedicht. Ein Aspekt ist der Traditionenausgleich, der auf eine große Toleranzformel hinausläuft. Einen anderen könnte man die ethische Folgenrechnung nennen, die Milton den frühneuzeitlichen technologischen Entwicklungen gegenüber aufmacht: Now at this imminent rise of technological progress it was Milton who envisioned its negative aspects. His devils are technologists of the highest order. They produce unheard of wonders of technological progress, but they do this only in order to effect man's fall and destruction. It reads like an anticipation of the space rocket when it is said of Satan that he »Springs upward like a pyramid of fire / Into the wild expanse« (2.1013 f.), and it reads like the installation of interstellar air traffic when it is said that Sin and Death »Paved after him a broad and beaten way / Over the dark abyss, whose boiling gulf / Tamely endured a bridge of wondrous length / From hell continued reaching th'utmost orb / Of this frail world; by which the Spirits perverse / With easy intercourse pass to and fro / To tempt or punish mortals,...« (2.1026-1032).160 Als eindämmendes Moment analog dem Hobbesschen Staat und als Metapher für seine Ethik sieht Reichert Miltons Gott. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang innerhalb des - wie wir gesehen haben - im Gedicht nicht nur thematisch werdenden, sondern es über weite Strecken strukturierenden Pluralitätsgedankens auf einen weiteren Punkt im ethischen Bereich gedeutet werden. Am Ende des Astronomiedialoges konstatiert Raphael: Of other creatures, as him pleases best, Wherever placed, let him dispose: joy thou In what he gives to thee, this Paradise And thy fair Eve; heaven is for thee too high To know what passes there; be lowly wise: Think only what concerns thee and thy being. Dream not of other worlds, what creatures there Live, in what state, condition or degree, Contented that thus far hath been revealed

159 Reichert, »Milton's Sublime«, S. 220. 160 Ibid., S. 222.

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Not of earth only but of highest heaven. (8.169-178; Hervorhebung M. W ) Die ethische Anweisung im Hinblick auf die Lebenspraxis wird hier geradezu eingerahmt von der Pluralitätsidee, also wenn man so will, von der imaginativen Leistung des Gedichtes selbst. In sie hinein wird die ethische Ermahnung gestellt, an das Nächtsliegende zu denken und die das Gedicht vorwärtstreibende curiositas einzudämmen. Wenn Milton die so getroffenen Neugierdebeschränkungen überhaupt übertragen wissen will auf die reale Welt, so reflektieren sie gewissermaßen den lebensweltlichen Gewinn aus der eigenen dichterischen Leistung. Durch die in Denkbildern verfahrende dichterische Spekulation über die Begebenheiten in der höchsten aller möglichen anderen Welten, dem Himmel als einem exemplum ultimum, wird gewissermaßen der Phantasiewert, aber auch der heuristische Wert einer kosmischen Spekulation - nicht einer empirischen Astronomie! - poetisch eingeholt. Völlig falsch wäre es, dies als eine Absage Miltons an die Leistungen der Astronomie anzusehen. Miltons Skepsis bezieht sich allenfalls auf die mentalen Folgen der astronomischen Ausweitung des Kosmos. An dem Punkt, an dem die Spekulation über die Vielheit der Welten beginnt, von den ethischen Belangen auf dem eigenen Planeten abzulenken, könnte Miltons Gedicht geradezu als Damm zur Begrenzung solcher Spekulation gedacht sein. Das heißt, daß Milton gerade auf der Brunoschen Kopplung der Unendlichkeits- und Pluralitätsidee auf der einen und dem ethischen Reformprojekt etwa des Spaccio auf der anderen Seite insistiert. Als ein spekulatives Wagnis der Phantasie, eine Herausforderung an die Sprache, ein Durchprobieren der Möglichkeiten von Sprache in der Erstellung möglicher anderer Welten, die als Grenzwelten angelegt sind und aus der Perspektive des Menschen gleichfalls als Repräsentationen eigener Grenzsituationen aufgefaßt werden können, lenkt Miltons Gedicht letztlich auf ein ethisches Anliegen zurück: daß der Mensch über der kosmischen Spekulation seine eigenen Belange nicht vergesse. Es ist die dichterische Freisetzung gesellschaftlicher Energien durch die poetische Einlösung eines Sprachspiels, gerichtet auf die Möglichkeit einer Vielheit von Welten. Damit holt Milton, um es bildlich auszudrücken, die Idee der Pluralität vom Himmel und projiziert sie auf die Lebenspraxis. Vermittelnd dazwischenstehend, löst sein Gedicht den Ausgleich zwischen den Traditionen poetisch ein. Der mit der Miltonschen Telescopage (Benjamin 161 ) im Hinblick auf Bruno und Galilei geleistete Rezeptionsvorgang kann dabei selbst noch einmal wissenschaftsgeschichtlich nutzbar gemacht werden, indem man ihn zur gleichen Zeit rückwärts liest: Bei Galilei sind die Taue, die bei Bruno das Universum der Astronomie und das des Kopfes an die ethischen Belange binden, bereits weitgehend gekappt. Der bei Bruno systemgenerierend wirkende Pluralitätsgedanke - die verschiedenartigen Entwürfe von Gedächtnissystemen belegen dies exemplarisch - , der in der Programmformel des formar altre nature, 161 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. V, S. 588 [Ν 7a,3] »Telescopage der Vergangenheit durch die Gegenwart«; vgl. dazu im zweiten Kapitel den Abschnitt zu Bodmers Critiscber Abhandlung von dem Wunderbaren.

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altri corsi, altri ordini con l'ingegno am konzisesten gefaßt ist, wird unmittelbar auf die Lebenspraxis hin gedacht. Schlagendster Beleg dafür ist der Spaccio-DìÀog. Bei Galilei evoziert die Frage nach der Bewohntheit anderer Welten eine vielleicht am ehesten Platonisch lesbare Antwort: diese Geschöpfe sind so jenseits von allem Bekannten und Denkbaren angesetzt, daß es sich bei ihnen um ein Reich der Ideen handeln könnte. Über eine lebensweltliche Vermittelbarkeit derselben sagt Galilei freilich nichts; gleichwohl deutet er - wie wir sehen konnten - im Dialogo die Möglichkeit an, die in der Unermeßlichkeit des, auch mit dem Teleskop nur bruchstückhaft erschließbaren, Alls erahnbare Weltenvielheit als Korrektiv gegen die Hybris des Menschen einzusetzen. Milton greift diesen Gedankengang im Astronomiedialog auf. Blickt man weiter, so zeigt das Beispiel von Leibniz, daß bei ihm der Pluralitätsgedanke sogar ausdrücklich negiert werden muß, damit ein ethischer Gewinn aus ihm gezogen werden kann. Die Differenzen, die sich hier abzeichnen, resultieren durchaus auch aus der Form, in der über die - bei Bruno sollte man eher sagen: mit der - Pluralität der Welten spekuliert wird. Brunos Erweiterung des philosophischen Diskurses um >unbegriffliche Denkformen» And the sea was no more«: Chaos vs. creation< in ihrem Remembering and Repeating. Biblical Creation in »Paradise Lost«, S. 8 - 3 2 . 4 So zusammenfassend beispielsweise bei Michael Lieb, The Dialectics of Creation. Patterns of Birth & Regeneration in »Paradise Lost«, S. 16-34. 5 So übersetzt Bodmer Paradise Lost 9.166 »imbrute«: » O schändliche Erniedrigung! ich, der noch kürzlich mit G o t t um den höchsten Sitz streiten durfte, sehe mich jezo genöthiget, in ein Vieh einzuschrumpfen, und dieses Wesen, das nach dem göttlichen höchsten Ansehen gestanden war, nun eingefleischt, und viehisch, mit Thierschleim zu vermischen« (9.163-167). Bodmer führt diese Passage unter den >Gemählden der unsichtbaren Dinge< in seinen Critischen Betrachtungen über die Poetischen Gemähide der Dichter, S. 584, an.

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Idea Für das Idea-Konzept in der Geschichte der englischen Renaissanceliteratur besteht ein deutliches Forschungsdesiderat. Zuletzt manifestiert es sich noch einmal in Heningers monumentaler Studie Sidney and Spenser. The Poet as Maker aus dem Jahre 1989, in der Giordano Bruno nicht einmal erwähnt wird. Der Artikel von Douglas Brooks-Davies in der 1990 erschienenen Spenser Encyclopaedia gesteht ein, daß »on the face of it the possibility of a connection between them seems strong«. Allerdings entsteht im weiteren der Eindruck, als gelte es, den etwaigen Einfluß Brunos auf Spenser so gering wie möglich zu halten. So heißt es beispielsweise, »the many apparent similarities between their works are likely to be the result of coincidence of common sources«, bevor dann am Ende des Artikels ein punktueller Einfluß des Spaccio-D'iAogs erwogen wird.6 Eine Neuorientierung der literaturwissenschaftlichen Interpretationspraxis in dieser Frage, die ja die Beziehungen zwischen der englischen Renaissanceliteratur und der manieristischen Kunstauffassung insgesamt berührt, hätte weitreichende Folgen für die lange Traditionslinie von Spenser auf Milton. Der von Panofsky und in seinem Gefolge von Hocke und Evans für die Kunsttheorie aufgearbeitete Idea-BegrifP scheint mir im Blick auf die englische Renaissanceliteratur nicht in ausreichendem Maße bedacht zu sein. Zwar wird den Bezügen etwa zwischen Sidneys Poetologie und Zuccaros Haupttraktat durchaus Rechnung getragen, doch geschieht diese ut-pictura-poesis-Spurensuche gerade auf Kosten des im Sidney-Spenser-Kreis einflußreichsten Theoretikers, des »Philosophen des Manierismus« 8, Giordano Brunos. Wenn es bei Sidney etwa heißt: »Only the poet, disdaining to be tied to any such subjec-

6 The Spenser Encyclopaedia, S. 118. Ebenso bezeichnend ist, daß Angus Fletcher in seiner monumentalen, aus dem Jahre 1964 datierenden Studie Allegory. The Theory of a Symbolic Mode Bruno nicht erwähnt, obgleich er mehrfach Bezug auf Cassirer - wenn auch nicht auf Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance - nimmt. Cassirers Ausführungen zum allegorischen Denkmodus bei Bruno hätten Fletcher nicht nur einen in seiner Studie völlig fehlenden Diskursbereich des Allegorischen nahelegen, sondern darüber hinaus der großen verbindenden Achse zwischen den von ihm thematisch ausgefächerten Aspekten der Allegorie, seiner fortlaufenden Analyse von Spensers The Faerie Queene, eine ganz andere Wendung geben können. 7 Vgl. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie; Gustav René Hocke, Die Welt als Labyrinth. Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur; R. J. W Evans, >Prague Mannerism and the Magic Universes S. 2 4 3 - 7 4 in seinem Rudolf II and His World. Zum literarischen Analogon vgl. neben der bereits erwähnten Studie von S. K. Heninger, Sidney and Spenser. The Poet as Maker, Eugene Ν . Tigerstedt, »The Poet as Creator: Origins of a Metaphor«; Lothar Cerny, Beauty and the Use Thereof. Eine Interpretation von Sir Philip Sidneys »Arcadia«; John M. Steadman, >Epic Design and Divine Idea< in Epic and Tragic Structure in »Paradise Lost«, S. 121-141; ders., i n v e n tion and Design: Idea and Form< in The Lamb and the Elephant. Ideal Imitation and the Context of Renaissance Allegory, S. 146-179; sowie Raymond Waddington, >An Unnatural Perspective: Ovid's Banquet of Sense< in seinem The Mind's Empire, S. 113-151, worin geradezu exemplarisch die Beziehung zwischen Dichtung und manieristischer Kunst aufgezeigt wird. 8 Dagobert Frey, Gotik und Renaissance, S. 104. So geht beispielsweise G. Shepherd in seiner Edition der Sidneyschen Apology for Poetry mit einer Nebenbemerkung über Bruno hinweg (S. 63 f.), um dann ausführlich über die Analogien zwischen den Auffassungen Sidneys und Zuccaros zu handeln.

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tion, lifted up with the vigour of his own invention, doth grow in effect into another nature, in making things either better than Nature bringeth forth, or, quite anew, forms such as never were in Nature, as the Heroes, Demigods, Cyclops, Chimeras, Furies, and such like: so as he goeth hand in hand with Nature, not enclosed within the narrow warrant of her gifts, but freely ranging only within the zodiac of his own wit«9 - dann ist nicht einzusehen, wieso für diesen Gedanken einer Transformation der Naturgegebenheiten bzw der Neuhervorbringung des bis dahin Ungeschöpften nicht Bruno Pate gestanden haben soll. Ja, um es anders zu wenden, es scheint geradezu undenkbar, daß innerhalb des intellektuellen Zirkels um Sir Fulke Greville und Sir Philip Sidney, in dem auch Spenser und Bruno - der zwei seiner in London entstandenen Dialoge, De gli Eroici furori und Spaccio de la Bestia trionfante, Sidney widmete - verkehrten, die die dichterischen Möglichkeiten revolutionierenden Lehren Brunos keine Aufnahme gefunden haben.

Bruno - Spenser: Spensers Idea-Zentren Reichert hat am Beispiel des neuplatonischen Liebeskonzepts aufgezeigt, wie Brunos Vorstellungen Eingang bei Shakespeare gefunden haben.10 Vieles spricht dafür, daß beispielsweise auch Shakespeares Wandlungsbilder11 im Hamlet (III.ii.366 ff.) und in Antony and Cleopatra (IVxiv.1-10) und der Maskenaufzug im Tempest (IVi.148 ff.) aus einem Bewußtseinshorizont entstanden, in dem sowohl Brunos Transformationslehre, als auch die naturphilosophisch und von den Theorien der Optik und Experimenten der Wunderkammern herrührenden Wandelbarkeitslehren ohne weiteres präsent waren. Diesselben Wandelbarkeitsvorstellungen sind in Spensers Faerie Queene allgegenwärtig und strukturbildend; sie werden allerdings in der Forschung überhaupt nicht beachtet bzw nicht auf Brunos sechs Jahre vor den ersten drei Büchern der Faerie Queene publizierten Spaccio-Dialog bezogen. Spenser, der erste nach Brunoschen Prinzipien verfahrende Dichter der englischen Renaissance, präsentiert die Metamethode seines Großgedichtes gleich zu Beginn im ersten Gesang. Red Cross Knight gelangt durch das Labyrinth des Wandernden Waldes zu einer spätestens seit Ovid mit dem Nil assoziierten Stätte der Wandlungen und der Hervorbringung des Unerwarteten, des Phantastischen.12 Die Figur des Irrtums im Zentrum 9 An Apology for Poetry, hg. von Geoffrey Shepherd, S. 100; weiter heißt es dann S. 101 : »Neither let it be deemed too saucy a comparison to balance the highest point of man's wit with the efficacy of Nature; but rather give right honour to the heavenly Maker of that maker, who having made man to His own likeness, set him beyond and over all the works of that second nature: which in nothing he showeth so much as in Poetry, when with the force of a divine breath he bringeth things forth far surpassing her doings, with no small argument to the incredulous of that first accursed fall of Adam: since our erected wit maketh us know what perfection is, and yet our infected will keepeth us from reaching unto it.« 10 Reichert, Fortuna, S. 144 ff. und S. 182-193. 11 Vgl. zu diesen auch das Urania-Kapitel, S. 219 ff. 12 Das Nil-Simile (es ist das erste lange Simile in The Faerie Queene überhaupt) steht in The Faerie Queene I.i.21; vgl. dazu hier, S. 102 ff. und 107 f.

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des Labyrinths - das ist Spensers Urbild des Generierens von Bedeutung. Brunesk aufgehoben, sind Gut und Böse, das Richtige und der Irrtum hier keine absoluten Größen und Gegensätze, sondern lediglich Formen, die der Wandlung unterliegen. Das gilt für die Figur des Irrtums selbst, dessen Fruchtbarkeit in der analogen Stelle im Gardin of Adonis aufgehoben wird, genau so wie für die durchgängig parallele allegorische Doppelstruktur des Gedichtes insgesamt. Der Adonis-Garten und die Mutabilitie-Gesänge sind danach nur die signifikantesten Markierungen für die Metamorphosenlehre, vor deren Hintergrund Spenser dichtet. In seinem Großgedicht arbeitet er mit einer Pluralisierung von analogisch aufgebauten Schöpfungszentren, die er auf die unterschiedlichen Stränge innerhalb des Erzähllabyrinths verteilt. Dies entspricht der Gesamtstruktur einer allegorischen Fragmentarisierung und Desintegration des Idea-Gedankens bei einer gleichzeitigen Bindung an die schöpferische Interrelation zwischen dem Dichter und den Elisabethfigurationen. Man könnte geradezu von einer topischen Maschinisierung der künstlerischen Idea sprechen. Beispiele solcher Schöpfungszentren sind das Haus der Alma als »Kraftwerk«13 der Memoria und als Verwandlungsmaschine, der Tempel der Venus als Bündelung des Energiepotentials der Transformationskraft der Liebe, der Adonis-Garten als Konzentration und Vorratskammer der Metamorphosenkraft der Wandlungen. Durch die jeweiligen Gegenbilder in den diabolischen, antimaskischen Oppositionalerzählungen unterstreicht Spenser - ganz brunesk - den Prozeßcharakter, in dem das dichterische Landschafts- und Figurenmaterial von diesen Kraftzentren her ausgeformt wird.

Spensers Verwandlungsmaschine Neben dem Adonis-Garten, der mit seinem Chaosbild im Zentrum als Urstätte der poetischen Aneignung der Brunoschen Lehre des Wandels angesehen werden kann, gibt es so meine These - in Spensers Gedicht einen architektonischen Kulminationspunkt, der die generativen Prinzipien der Brunoschen Idea-Lehre in einem großen Bild versammelt: die Beschreibung des Castle of Alma in II.ix.22. Seit dem 17. Jahrhundert ist es das meistdiskutierte Bild in The Faerie Queene überhaupt. Bei allen Unterschieden in der Deutung, hat sich vor allem aufgrund der narrativen Einbindung des Zentralbildes in einen Gang durch die einzelnen Körperfunktionen herauskristallisiert, im Haus der Alma eine Repräsentation des menschlichen Körpers und seiner Seele zu sehen. Mit seiner detaillierten Beschreibung des menschlichen Mikrokosmos würde Spenser also hier die Summe der Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre architektonisch auslegen. Dunkel bleibt die Stanze, in der die Gesamtansicht dieser Figur beschrieben wird: The frame thereof seemd partly circulare, And part triangulare, O worke diuine; Those two the first and last proportions are, 13 Reichert, Joyces Memorias S. 343.

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The one imperfect, mortali, fœminine; Th'other immortali, perfect, masculine, And twixt them both a quadrate was the base, Proportioned equally by seuen and nine; Nine was the circle set in heauens place, All which compacted made a goodly diapase. (II.ix.22) Weitgehend konsensfähig innerhalb der Spenserforschung ist die schematisierende Interpretation Hamiltons im Hinblick auf den geometrisch-architektonischen Entwurf des menschlichen Körpers und darüber hinaus im Hinblick auf einen den geometrischen Figuren allegorisch zuordenbaren Seelenapparat. The simplest physical explanation is that »circulare« refers to the head, the »quadrate« to the body, and »triangulare« to the lower body with legs aside. [...] Further, the circle and triangle refer to spirit and matter, or soul and body. The »quadrate«, a rectangle or square, is the trunk of the body. Symbolically, these three figures refer to the three souls in man: the circle to the rational soul, the quadrate to the sensible, and the triangle to the vegetable. [...] The quadrate contains the four bodily humours which connect soul and body.14 Wie allerdings die Zusammenfügung dieser Elemente als Gebäude vorzustellen ist, bleibt offen.15 Möglicherweise versteckt Spenser in der vorausgehenden Stanze einen Hinweis auf einen mit dem Similisierungsverfahren des Gedichtes zusammenlaufenden Aspekt der Figur. Es heißt dort über die Baumaterialien der Mauer: »Not built of bricke, ne yet of stone and lime, / But of thing like to that /Egyptian slime, / Whereof king Nine whilome built Babeli towre« (4-6). Spenser erinnert hier daran, daß das in der Vulgata verwendete Ubersetzungswort für adamah in Gen. 2.7, de limo terrae, also dünner Schlamm, zusammen gesehen werden kann mit dem Mörtelschlamm, mit dem nach Gen. 11.3 die gebackenen Steine zum Turm von Babel zusammengefügt werden (»And they had brick for stone, and slime had they for morter«). Dadurch ergibt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Körperkonstitution, auf die das Bauwerk der Stanze 22 anspielt, und der Konstitution des Bauwerks selbst. Freilich kommt noch etwas anderes hinzu: »/Egyptian slime« (nach der auf Rosemund Tuve basierenden Annotation Hamiltons eine Anspielung darauf, daß Babylon ein Name für Kairo sei) evoziert die Nilassoziationen der Fruchtbarkeit, wie sie I.i.21 zuerst im Kontext der Errour-Episode und später im Kontext der Geburt von Belphoebe und Amoret gestaltet werden: »As when old father Ν ι lu s gins to swell / With timely pride above the Aegyptian vale, / His fattie waues do fertile slime outwell, / And ouerflow each plaine and lowly dale: / [...]« (I.i.21). Aus dem 14 Spenser, The Faerie Queene, hg. von A. C. Hamilton, S. 251. 15 Vgl. auch etwa Yates, Occult Philosophy, S. 97: »The actual figure which Spenser is here describing is difficult to determine [...].«

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zurückbleibenden Schlamm entstehen neuartige, gewissermaßen im Schöpfungsplan nicht vorgesehene Geschöpfe.16 Es scheint also denkbar, daß Spenser bemüht ist, über das Baumaterial17 eine Verbindung zwischen der allegorischen Fertilität des Nils - die sich in einem unermeßlichen Potential des noch Schöpfbaren, Formbaren, Gestaltbaren zeigt - , dem in die Sprachverwirrung mündenden babylonischen Turmbau und der Bedeutung des Castle of Alma herzustellen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß die Form des Gebäudes so zu denken ist, daß sie eine Art Produktivität oder transformatorische Potenz der Seele symbolisiert. Dazu muß die Darstellung des Kopfes und der Vernunftseele herangezogen werden (II.ix.44 ff.), die in dem in Uberbietungsreihen präsentierten Turm am Ende des narrativ-deskriptiven Ganges durch das Castle of Alma steht (»That all this other worlds worke doth excell, / And likest is vnto that heauenly towre, / That God hath built for his owne blessed bowre« II.ix.47.3-5). Hier wohnen »three honorable sages / The wisest men, I weene, that liued in their ages« (478-9). Der erste, Phantasies, wird beschrieben als ein Melancholiker in einer manieristischen Kunst- und Wunderkammer. Er sagt die Zukunft voraus. Der Raum des zweiten, »a man of ripe and perfect age« (54.2), des Prudentia-Aspekts der Gegenwart, hängt voller Bilder der Staatskunst, der Künste und Wissenschaften und der Philosophie. Im dritten Raum sitzt Eumnestes, ein Mann »of infinite remembrance« (56.1), inmitten historischer Dokumente, die - in paradoxer Wendung gegenüber der Memoria-Personifikation - dem decay preisgegeben sind (»That were all worme-eaten, and full of canker holes«; 579). Eumnestes hat einen Gehilfen, der ihm verlegte Dinge herbeiholt (»when things were lost, or laid amis«; 58.6): es ist Anamnestes. Diese die Vermögen der Vernunftseele repräsentierenden Räume und Gestalten umschließen also das Ganze der Welt: Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Darin scheinen mir nun zwei Details einen entscheidenden Fingerzeig für die Interpretation der Architektur des Castle of Alma zu geben. Eumnestes und Anamnestes sind gewissermaßen die als Fortführung von De anima verstandene aristotelische Schrift De memoria et reminiscentia. Im Mittelalter wurde sie als ältestes Beispiel für die in Ad Herennium herausgebildete künstliche Gedächtniskunst betrachtet: But the most important of the four allusions, and the one which most influenced the later history of the art of memory comes in the De memoria et reminiscentia. The great scholastics, Albertus Magnus and Thomas Aquinas, with their proverbially acute minds perceived that the Philosopher in his De memoria et reminiscentia refers to an art of memory which is the same as that which Tullius teaches in his Second Rhetoric (the Ad Herennium). Aristotle's work thus became for them a kind of memory treatise, to be conflated with the rules of Tullius and which provided philosophical and psychological justifications for those rules.18 16 Vgl. dazu unten im Kontext des Adonisgartens III.vi.35: »Infinite shapes of creatures there are bread,/ And vncouth formes, which none yet euer knew, / [ . . . ] . « 17 Vgl. zum Zusammenhang von Sündenfall und Turmbau Reichert, Vielfacher Schriftsinn, S. 198 ff. 18 Frances Yates, The Art of Memory, S. 46.

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Wenn nun nicht von der Hand zu weisen ist, daß in der Struktur der Faerie Queene ständig neue Figuren und Episoden hinzukommen, die in keiner Weise vorhersehbar sind, also gewissermaßen der Steuerung entglitten, sich geradezu automatisch selbst generieren - so wie Spenser dies in seinen Nil-Similes als generatives Prinzip seines Gedichtes überhaupt andeutet - , Spenser also das Drehen der Räder der Brunoschen MemoriaLehre19 poetisch durchführt, dann würde er im letzten Raum seines Castle of Alma zurück zu den Wurzeln der Lehre gehen, gewissermaßen zur Memoria der Memoria. Den innovativen Aspekt, also das Herausspringen neuer, noch nie gedachter Figuren wie die sich aus dem Nilschlamm generierenden infinite shapes [...] and vncouth formes, which none yet euer knew, die wie selbstverständlich ihren Platz in der zeitgenössischen Naturlehre hatten 20 - , bringt Spenser in der Kunst- und Wunderkammer21 des Phantastes unter: »Infinite shapes of things dispersed thin; / Some such as in the world were neuer yit, / Ne can deuized be of mortali wit« (II.ix.50.3-5). Vor diesem Hintergrund möchte ich eine Neuinterpretation der dunklen Stanze 22, also der architektonischen Grundfigur des Castle of Alma, vorschlagen. Die berühmte Zeichnung des Leonardo da Vinci, die einen sowohl in einem Quadrat als auch in einem Kreis stabil stehenden Menschen zeigt (Abb. 3), deutet eine Möglichkeit an, die Darstellung des menschlichen Körpers mit Hilfe der Proportionslehre zu geometrisieren.22 Sie steht beispielsweise auch noch hinter Matthäus Merians Titelkupfer zu Fludds Utriusque Cosmi Majoris von 1617 (Abb. 4), der letzten großen Summa der Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre. Aus Leonardos Zeichnung ergeben sich der Kreis und das Quadrat als ineinander gestellte Grundfiguren, das Dreieck wird in der Stellung der Schenkel bzw. der Arme angedeutet. Diese Darstellung gibt eine Vorstellung davon, wie die drei geometrischen Grundfiguren, gewissermaßen als Abstraktion von dem menschlichen Körper, den sie beinhalten, im Castle of Alina ineinander gebaut gedacht sein könnten. In Brunos Werken finden sich nun zahlreiche graphische Darstellungen (Abb. 5), die mit dem Problem der Quadratur des Kreises befaßt sind und die geometrischen Grundfiguren in immer neuen Konstellationen zueinander durchspielen.23 Solche Figuren, möglicherweise mit der Zeichnung Leonardos im Hintergrund, könnten hinter Spensers - die Anordnung der geometrischen Figuren zueinander ja völlig offen lassenden - Stanze 22 stehen: der Kreis, das Quadrat und das Dreieck also ineinander gebaut als eine zwischen den Figuren vexierende Architektur. Sinn macht dies freilich erst, wenn man es mit dem 19 A m schönsten beschrieben findet sie sich bei Reichert, »Joyces Memoria«, S. 343 ff.; bei Yates, The Art of Memory, die Bruno-Kapitel 9,11 und 13, sowie in ihrem Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, S. 192-206, S. 3 0 7 - 3 1 2 und S. 3 2 5 - 3 3 7 2 0 Vgl. Paula Findlen, »Jokes of Nature and Jokes of Knowledge«. 21 Der spielerisch-metamorphotischen Interrelation von Natur- und Kunstform und ihrem Potential für das radikal Neue ist zuletzt Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, S. 5 2 - 7 6 und passim, nachgegangen. 22 Vgl. zur Proportionslehre, E r w i n Panofsky, >Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der StilentwicklungDe tribus informibus, et infigurabilibus«Argument Heroic Deem'd«: The Genres of the Satanic Heroic Modes S. 55 ff. und >«Semblance of Worth, not Substance«: The Discursive and Lyric Genres of the Damneds S. 79 ff. in ihrer zusammenfassenden Studie »Paradise Lost« and the Rhetoric of Literary Forms. Hermann Rapaport, >Milton's Epic Trauerspiel· in seinem Milton and the Postmodern, S. 2 3 - 5 6 und Christopher Kendrick, >Satan, epic, and allegorical tragedy: predestinary ethos as desire< in seinem Milton: a study in ideology and form, S. 148-178, sind der von Terry Eagleton, Walter Benjamin, S. 3 ff. (>The Baroque Allegory) gewissermaßen zur Untersuchung aufgegebenen Applizierbarkeit des Trauerspielbuches auf Paradise Lost nachgegangen, wodurch jeweils Satan zum Reflexionsmedium der Dichtung wird. Bei Rapaport ist er der Trauerarbeit leistende Melancholiker, bei Kendrick eher der Träger der Haupt- und Staatsaktionen des barocken Trauerspiels. Eine zentrale Funktion kommt Satan, durch dessen Perspektive Hölle und Kosmos erschlossen werden, auch bei der Konstitution des paradiesischen Landschaftsraumes zu. Vgl. dazu insbesondere Eckhard Lobsien, Landschaft in Texten, S. 2 6 - 2 9 ; zuletzt auch Monika Gomille, Prudentia in Miltons »Paradise Lost«, S. 38—43. 67 Vgl. Diane Kelsey McColley, »Subsequent or Precedent? Eve as Milton's Defense of Poesie«; dies., »Eve and the Arts of Eden«. 68 Vgl. Monika Gomille, Prudentia in Milton's »Paradise Lost«.

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Insbesondere an der Figur des Satan zeigt sich dabei, wie das christlich-theologische Interpretationsmißverständnis die strukturellen und figürlichen Belange des Epos verdeckt hat. Wenn Satan meist als das figürliche Gegenbild des Dichters aufgefaßt wird, der selbst eine im - durch Urania versinnbildlichten - Glauben aufgehobene Form der Sündigkeit repräsentiere, so verdeckt dies nicht nur die Zentralität der Gehalte der an Satan poetisch ausgestalteten Ortlosigkeit für das Gedicht insgesamt, sondern verstellt vor allem den Blick auf die figürliche Dynamik des Epos. Gerade die innerhalb der Maske-AntimaskeStruktur in oppositionaler Spiegelbildlichkeit ausgestalteten Figuren, wie Satan gegenüber dem Dichter und die Sünde gegenüber Urania, sind als komplementäre Momente im Prozeß der figürlichen Ausdifferenzierung gedacht. Das heißt, keine der Figuren ist eine stabile Größe, sondern sie alle fungieren im Hinblick auf die Verortung und Selbstbehauptung des im Dichter repräsentierten Subjekts.

The womb of nature and perhaps her grave Milton spielt die von Blumenberg so eingehend beschriebene Ortlosigkeit des Menschen im Gefolge der kopernikanischen Wende und der paradoxen Abgründigkeit gerade der Sichtbarmachung des Kleinsten und des Größten in der Figur Satans poetisch durch.69 Satan durchlebt die Brunosche Unendlichkeitsidee in all ihren Konsequenzen, vom Griff nach den Sternen bis zum Fall in immer neue Untiefen. Wie in einem Sog zieht dabei die Figur die Verse, die davon erzählen, zum Äußersten der Darstellbarkeit und darüber hinaus. Into this wild abyss, The womb of nature and perhaps her grave, Of neither sea, nor shore, nor air, nor fire, But all these in their pregnant causes mixed Confusedly, and which thus must ever fight, Unless the almighty maker them ordain His dark materials to create more worlds, Into this wild abyss the wary fiend Stood on the brink of hell and looked a while, Pondering his voyage; for no narrow frith He had to cross. (2.910-920) Mit diesen geradezu ins Abyssum überhängenden Versen umschreibt Milton das Innehalten nicht nur der risikobereiten Figur, sondern auch des dichterischen adventurous song vor dem Schritt oder dem Sprung in das gänzlich Ungewisse und Unbekannte. Als Geburts- und als Schädelstätte der Schöpfung, als Seinsmasse, aus der neue Welten generiert werden können, um dann womöglich irgendwann in sie zurückzufließen, ist dies 69 Vgl. hierzu Reichert, »Milton's Sublime«, S. 219 ff.

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das dunkle Gemenge der Schöpfungspotentialität, das Innerste des Schöpfbaren. Die Verse nehmen die in Vers 890 begonnene Beschreibung des Abyssum neu auf, die ab Vers 894 dem Aufzug der allegorischen Chaosmächte gewidmet wird. Before their eyes in sudden view appear The secrets of the hoary deep, a dark Illimitable ocean without bound, Without dimension, where length, breadth, and highth, And time and place are lost; (2.890-894) Der von Milton angesprochene Verlust der Kategorien von Raum und Zeit im Anblick des Abyssum umreißt die dichterische Repräsentationsaufgabe, die hier auf dem Spiel steht. Gleichzeitig wird das Spannungsgefüge zwischen dem unbeschreibbaren, als Mischung aus chaotischem Nichts und materialischer Urstätte ausgelegten Abyssum, das Gegenstand der Beschreibung sein sollte, und der skizzenhaften allegorischen Verwirklichung dieser Beschreibung eröffnet. Die funktionale Ordnung, die Milton durch die allegorischen Gestalten ins Abyssum bringt, wird folgerichtig sogleich überlagernd negiert, wenn es von dem »wild abyss« heißt: »Of neither sea, nor shore, nor air, nor fire, / But all these in their pregnant causes mixed / Confusedly«. Doch zuvor halten die allegorischen Ordnungskräfte Einzug: where eldest Night And Chaos, ancestors of Nature, hold Eternal anarchy, amidst the noise Of endless wars, and by confusion stand. For Hot, Cold, Moist, and Dry, four champions fierce Strive here for mastery, and to battle bring Their embryon atoms; [...] (2.894-900) Chaos umpire sits, And by decision more embroils the fray By which he reigns: next him high arbiter Chance governs all. (2.907-910) Der Ausblick ins Abyssum vexiert so zwischen einem - bei Ovid aufgelesenen - chaotischen Elementenflux und seiner allegorischen Stabilisierung in den Gestalten Night, Chaos, Anarchy und Chance. Das tumultuarische Gemenge (für das Milton an dieser Stelle die Bezeichnung Chaos - im Gegensatz zu ihrer Verwendung beispielsweise in der ersten Invokation, »how the heavens and earth / Rose out of chaos« - vermeidet) erhält mit diesen Figuren den allegorischen Anschein von hierarchischer Geordnetheit. Das abyssische Chaos wird selbst zur Figur, man könnte sagen, das Chaos wird in der Figur des Chaos gebannt, die freilich nicht zur Deckung kommt mit dem als Chaos-Abyssum Bedeuteten: Die Differenz zwischen dem bannenden Namen und den dahinter sich auftuenden Abgründen reißt in der Erweiterung des abstrakten Begriffs zur allegorischen

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Figur erst eigentlich auf. 7 0 Die Paradoxie dieser Bannung des Unrepräsentierbaren in den allegorischen F o r m e n der Begriffsnamen und Figuren kongruiert in mancher H i n sicht mit Blumenbergs Version vom E i n b r e c h e n des Namens in das C h a o s des U n b e nanntenc E s ist ein einzigartiges Paradigma der >Arbeit am MythosChaos< viel-

leicht allzu sehr mit, was aus M y t h e n und Kosmogonien vertraut ist, als wären diese Fossilien der Menschheitsgeschichte. Wie spät auch immer schon sein mag, was wir durch die überlieferten N a m e n zu fassen bekommen, es ist ein Stück zu Gestalt und Gesicht bringender Bewältigung eines uns entzogenen Zuvor. Was geschaffen wird, läßt sich >Appellationsfähigkeit< nennen. 7 1 Bezeichnenderweise illustriert Burke das abyssischste der Evokationskriterien des Sublimen -privation

- durch die Chaos und Phlegethon-Invokation auf dem Weg des Aeneas

mit der cumäischen Sibylle durch den Höllenschlund, also in einer Passage, in der die B e nennung selbst mit der Repräsentationsfrage verkoppelt wird, ja die Appellation der dunklen Mächte im invokatorisch-rhetorischen D u k t u s der Verse die Darstellung erst greifbar und möglich machen soll. 7 2 Milton, der sich der Darstellbarkeit auf dem Niveau 70 In der Chaos-Figur schafft Milton die Paradoxie von Leere, Dimensionslosem, Chaotischem usw. auf der einen und Figurhaftigkeit, Bannung des Unbegrenzten in einer Figur auf der anderen Seite. Dies verhält sich ganz ähnlich wie bei Freud, der mit der Konstitution eines psychischen Apparates Ordnung in das Chaos der Psyche bringt. Auch Freud baut ein allegorisches System, durch das einzelne Vorgänge greifbar werden, nach topischen, nach dynamischen und nach ökonomischen Gesichtspunkten auf. Fletcher, Allegory, S. 279 ff., führt die Analogien zwischen Allegorie und Psychoanalyse vornehmlich am Beispiel der Faerie Queene vor. Dadurch kreisen die Parallelen um Formen von Zwang und Neurose als typische Merkmale von allegorisch, also reduktionistisch geprägten Charakteren. Sie verhalten sich tatsächlich wie Neurotiker. Entgehen läßt sich Fletcher dabei die entscheidende Analogie auf der jeweiligen Metaebene der allegorischen und der psychoanalytischen Methode. In beiden entstehen konstellative Apparate, in denen sich einzelne funktional geordnete Teile prozessual aufeinander beziehen. Durch die festspielhafte Eigenheit der Faerie Queene, also die utopische Zuordenbarkeit aller Gestaltungen und Handlungen auf Körper und Person einer allegorisch-projektiv ausgetragenen Herrscherinnen-Gestalt, erscheint die Großnarration insgesamt als eine Durchleutung des psychischen Apparates einer solchen projektiv entworfenen Gestalt. In Miltons Gedicht erreicht die dialektische Relation von Innen und Außen, Psyche und Weltenraum ihren kaum noch steigerungsfähigen Höhepunkt. In diese Dialektik gesetzt, generieren Psyche und Welt gegenseitig Welten: Die Psyche generiert poetisch sichtbar gemachte (äußere) Welten, die sich in ihrer poetischen Entfaltung gerade als psychische Innenräume entpuppen. Den figürlichen, allegorischen Konnex dieser dialektischen Beziehung bildet dabei die Gestalt der Sünde, von der unten ausführlich die Rede sein wird. 71 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 22. 72 Burke, Philosophical Enquiry, hg. von James T. Boulton, S. 71; Burke zitiert aus Vergils Aeneis: »Di, quibus imperium est animarum, Umbraeque silentes / Et Chaos et Phlegethon, loca nocte tacentia late, /[...]« (VI.264-9). Burke liest diese Invokation im Hinblick auf die nach seiner Auffassung hierin von Vergil erreichte Verdichtung der Privationsformen Vacuity, Darkness, Solitude und Silence in dem »mouth of hell« angemessenen - »images of a tremendous dignity« und darüber hinaus im Hinblick auf die Funktion der Invokation selbst: »where before he unlocks the secrets of the great deep, he

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Uranias versichert und Satan als poetisches Reflexionsmedium und Perspektivachse des Gedichtes fungieren läßt, kann seine Fassung der Invokation der Chaosmächte in die Satanhandlung selbst verlegen und läßt den im Abyssum Geknechteten am Hof des Chaos vorstellig werden. 73 Die an Miltons abyssischem Bild beobachtete Uberlagerung des in abstrakten Namen appellierbar Gemachten durch eine vergleichende, in ihrem Gehalt durch Negation und Aufhebung der Zeit-Raum-Kategorien erweiterte Bildlichkeit, die im Bodmerschen Sinne von dem »Großen« und dem »Ungestümen in der Materialischen Welt« genommen und zu den »Gemählden des Großen« und des »Ungestümen« 7 4 zu rechnen ist, findet sich in der Beschreibung des materialischen Urmeeres im siebenten Buch bestätigt: and from the shore They viewed the vast immeasurable abyss Outrageous as a sea, dark, wasteful, wild, U p from the bottom turned by furious winds And surging waves, as mountains to assault Heaven's highth, and with the centre mix the pole. (7.210-215) Beide Deskriptionsarten werden von innen heraus noch einmal revidiert durch Satans Episode im Vakuum zu Beginn seines Fluges durch das Abyssum. Der Sturz in die »vast vacuity« unterhöhlt dabei nicht nur die Ovidsche Bildlichkeit von der brodelnden Materie, indem Satan nun eher in ein Hesiodsches großes Klaffen, in den gähnenden Abgrund fällt 75 ; dies kann von Milton natürlich auch als Bindung des Nichts an die Erfahrung gemeint sein: erst das satanische Experiment bringt das Nichts als Innenseite des tosenden Materiemeeres zu Bewußtsein. Milton unterläuft gleichzeitig den dennoch durchgehaltenen Versuch, die Durchquerung des Abyssum mit den darstellerischen Mitteln der Barock- und Maskenspielbühnen zu absolvieren: At last his sail-broad vans He spreads for flight, and in the surging smoke Uplifted spurns the ground, thence many a league As in a cloudy chair ascending rides Audacious, but that seat soon failing, meets

seems to be seized with a religious horror, and to retire astonished at the boldness of his own design«. 73 Vgl. zu den Chaosmächten Walter Clyde Curry, »Milton's Chaos and Old Night«; vgl. zu Satan im Abyssum und vor den Chaosmächten weiterhin Michael Lieb, >The Dark World< in The Dialectics of Creation, S. 16-34. 74 Vgl. Bodmer, Kritische Betrachtungen über die Poetischen Gemähide der Dichter, S. 211-281. 75 Zum Hesiodschen Chaosbegriff vgl. den ausführlichen Kommentar in Wests Edition der Theogonie, S. 192f. Das antike Chaosmißverständnis, wie es sich auch bei Ovid findet, arbeitet Gigon, Ursprung der griechischen Philosophie, S. 28 ff. heraus. Vgl. auch die Diskussion in der jüngsten mir bekannt gewordenen Chaos-Studie, Norbert Bolz, Chaos und Simulation. Vgl. zu den im Miltonschen Chaosbegriff zusammenlaufenden Traditionslinien A. B. Chambers, »Chaos in Paradise Lost«.

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A vast vacuity: all unawares Fluttering his pennons vain plumb down he drops Ten thousand fathom deep, and to this hour Down had been falling, had not by ill chance The strong rebuff of some tumultuous cloud

Instinct with fire and nitre hurried him As many miles aloft: [...] (2.927-938; Hervorhebungen M. W ) In dem Elementarsumpf (»boggy Syrtis, neither sea, / Nor good dry land«), in den Satan dann gerät, vermengen sich nicht nur die Elemente, sondern es werden darin die Distinktionen überhaupt nivelliert. Das Medium, die Mittel und die Art der Fortbewegung werden indistinkt - sowohl aus der Perspektive der satanischen Selbstwahrnehmung als auch aus der des Betrachters: so eagerly the fiend O'er bog or steep, through straight, rough, dense, or rare, With head, hands, wings or feet pursues his way, And swims or sinks, or wades, or creeps, or flies: (2.947-950) Milton verlängert diese Konfusion zusätzlich in den auditiven Bereich: Irgendwoher aus dem Dunkeln dröhnt ein chaotisches Geräuschcluster - die Stimmen und Geräusche der Chaosmächte: »At length a universal hubbub wild / Of stunning sounds and voices all confused / Borne through the hollow dark assaults his ear / With loudest vehemence« (2.951-954). Dieser kurze Blick in die narrative Innenseite des Abyssum zeigt, wie Milton den in dem ersten Ausblick vom Höllentor beschriebenen Verlust der Kategorien Zeit und Raum in Satans Versuch der Bewältigung der Ortlosigkeit durchspielt. 76 Satan ist gänzlich den 76 Ich sehe die von Milton hier an Satan vorgeführte Ortskonfusion und ständige Positionsveränderung in Analogie zur Ikonographie des Engelssturzes. Milton liefert mit Satan im Abyssum einen Bildkomplex, der in seiner eigentlichen Darstellung des Engelssturzes ausgeblendet bleibt: [...] to the bounds And crystal wall of heaven, which opening wide, Rolled inward, and a spacious gap disclosed Into the wasteful deep; the monstrous sight Strook them with horror backward, but far worse Urged them behind; headlong themselves they threw Down from the verge of heaven, eternal wrath Burnt after them to the bottomless pit. Hell heard the unsufferable noise, hell saw Heaven ruining from heaven and would have fled Affrighted; but strict fate had cast too deep Her dark foundations, and too fast had bound. Nine days they f e l l ; confounded Chaos roared,

And felt tenfold confusion

in their fall

Through his wild anarchy, so huge a rout Encumbered him with ruin: hell at last Yawning received them whole, and on them closed,

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hier herrschenden Gewalten überlassen, dem Zufall, der eine mit Schießpulver geladene Wolke mitsamt Satan in die Höhe jagt, der Leere des Abyssum, dem Lärm, der Orientierung ermöglicht. Die Versammlung der dunklen allegorischen Mächte, mit denen sich Satan einen theatralisch inszenierten Wortwechsel liefert, bedeutet auch hier einen Wechsel der Repräsentationsebene: die allegorisch stabilen Figuren scheinen eine Ortsbestimmung zu ermöglichen. Narrativ fungieren sie ökonomisierend, da das Walten dieser (Nicht-)Kräfte durch ihre figürliche Bannung aufgehoben wird: Sie bieten Satan ein Bezugssystem. Milton umgeht damit allerdings eine weitere narrative Einlösung der Begriffe, die sie als Namen tragen. Die Dichotomie der angesprochenen zwei Repräsentationsarten läßt sich freilich in der Konsequenz der aus dem vorigen Kapitel vertrauten teleskopischen Wahrnehmung Satans genausogut dahin wenden, daß der Einzug der Abstraktionen in das Abyssum gerade nicht einen Wechsel auf die Ebene überkommener allegorischer Personifikationen bedeutet, sondern daß hier Dinge in der Tiefe des Abgrundes bzw. in der Weite des Universums sichtbar geworden sind, die gleichwohl so fremd und unbeschreibbar bleiben, als seien sie bloße Abstraktionen. In diesem Sinne beschreibt Reichert die Irritation, ja die Bedrohlichkeit, in der die im Fernrohr sichtbar werdenden Dinge erscheinen: »that there really were things that could be seen even though they were beyond common visibility, even though they might appear to the eye accustomed to the things of the earth as indescribable abstractions.« 77 In der poetischen Umsetzung dieser Form der Sublimitât des Bildes hinter der Fernrohrlinse entstehen so die übermächtigen »Supergestalten« des Gedichtes einesteils dramatisch inszeniert, als seien sie die sichtbar werdenden Agierenden in einer anderen Welt, andererseits bleiben sie völlig abstrakt: »[...] the superfigures of Satan, Death, Chaos etc. and God and his Son are essentially on a par: they are beyond Hell their fit habitation fraught with fire Unquenchable, the house of woe and pain. Disburdened heaven rejoiced, and soon repaired Her mural breech, returning whence it rolled. ( 6 . 8 5 9 - 8 7 9 ; Hervorhebungen M. W.) Die allegorische Topographie ist hier klar geordnet: was der Himmel verliert, fällt der Hölle zu. Das Chaos verdaut gewissermaßen die neuen Gegebenheiten. Neben diesen räumlichen Koordinaten sind auch die zeitlichen genau bestimmt: zehn Tage fallen die Engel. Lediglich die auch im zweiten Buch allegorisch auftretende Gestalt Confusion weist hier auf die F o r m des Sturzes. A m deutlichsten wird in Rubens' (Münchner) Darstellung des Höllensturzes der Verdammten (Abb. 6) die Dynamik der rotierenden Abwärtsbewegung in eine Dynamik der Verwandlung ausgestaltet: allenthalben kommen die im Entstehen begriffenen Schlangenschwänze zum Vorschein. Innerhalb der Gesamtkomposition werden in dieser Dynamik die einzelnen Körper bis hin zur Konturlosigkeit ineinander verschränkt, so daß der Gesamteindruck zu einem abyssischen Durcheinander tendiert. Auf der ebenfalls in der Alten Pinakothek befindlichen Darstellung Engelsturz (Abb. 7) geraten die rebellischen Engel in einen ebensolchen dämonisch-elementaren Sog der Verwandlung. Das gleichsam rotierende Gemenge aus Körpern und Köpfen formt sich in der Senkrechten unterhalb des Erzengels Michael figürlich aus zwischen einem Schlangenschwanz und einem vor Entsetzen verzerrten Antlitz. Rubens akzentuiert hier deutlich die Dynamik von Bewegung und Metamorphose. 77 Reichert, »Milton's Sublime«, S. 221; Kenneth Borris, »Allegory in Paradise Lost: Satan's Cosmic Journey«, übergeht dagegen die durch die neuen Wissenschaften veränderte Darstellungsproblematik.

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good and evil, the laws of which applying only to the human sphere, they are transcendent beings that live in the icy sphere of ideas, fully clad in the magnificence of inapproachability« 7 8 Im Gesamtgefüge des höllisch-abyssischen Großbildes läuft die Reibung zwischen den Repräsentationsarten darauf hinaus, daß das, was noch wie eine allegorische Form aussieht, in Wirklichkeit in etwas Neues übergeht. An den Begriffsnamen und Figuren vollzieht sich die Transformation der Allegorie durch das, was man den Blick hinter die Formen in der Konsequenz der Sichtbar- und Erfahrbarmachung des Unbannbaren nennen könnte - gewissermaßen als Innenperspektive der Form. Figürlich am weitesten geht Milton damit in den Gestalten des Todes und der Muse Urania. Die radikalste, geradezu bombastische Ausgestaltung des poetischen Ausrollens einer abgründigen Innenseite ist das abyssische Großbild mit seiner Innenansicht des Chaos gleichsam als Blick auf die Rückseite der Schöpfung. Die Erfahrbarmachung der Ortlosigkeit in Satans Bewegung durch den Abgrund muß nun natürlich noch einmal rückwärts gelesen werden im Hinblick auf das abyssische Bild, das sich Satan am Rand der Hölle auftut. Satan ist ja unter den Figuren in Paradise Lost diejenige, die in dem langen Prozeß der Identitätssuche ständig den Spiegel vorgehalten bekommt: in Christus-Messias bei der theatralisch inszenierten Inthronisation in die Similitudo-Relation zu Gott, in der weisheitlichen Sündengestalt, in der Höllentopographie, in Beelzebub, in der Schattengestalt des Todes, in der Sonne, in der paradiesischen Landschaft, in der Liebes- und Ebenbildlichkeitsbeziehung zwischen Adam und Eva, schließlich in Eva am Baum der Erkenntnis. Eine Schlüsselfunktion in diesem Prozeß der kontinuierlichen Selbstbespiegelung und charakterlichen Ausdifferenzierung kommt allerdings dem Ausblick in das Abyssum selbst zu. In ihm liegt die abgründige Selbsterkenntnis, die mit dem Schrecken an der Grenze zum Nichts einhergeht - »The womb of nature and perhaps her grave«. Die Evokation dieses Schreckens forciert Milton in der Darstellung des Engelssturzes am Ende des sechsten Buches, ohne daß dort freilich die Dramatik und aufgeladene Dynamik des Geschehens eine nähere Beschreibung des aufgetanen Abgrundes zuließen: [...] to the bounds And crystal wall of heaven, which opening wide, Rolled inward, and a spacious gap disclosed Into the wasteful deep; the monstrous sight Strook them with horror backward, but far worse Urged them behind; [...] (6.859-864) Wenn im vorigen Kapitel davon gesprochen worden war, daß Satan als herausragendes Reflexionsmedium für die Sublimitât des Gedichtes dient, dann ist der Anblick des Abyssums die Urszene dieser Sublimitât. In ihm kongruieren die bei Burke zentralen 78 Reichert, »Milton's Sublime«, S. 220.

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Evokationsmomente der terror, obscurity, privation, vastness, infinity und darkness, während im betrachtenden Subjekt die unmittelbare Reaktion der Angst und des Entsetzens ausgelöst wird, die Burke zunächst durchaus existentiell auffaßt. Erst in der Reflexion auf die eigene Größe gelangt das Subjekt zu einem abgehobenen Standpunkt »when without danger we are conversant with terrible objects« - von dem aus das Sublime rein ästhetisch erfahrbar wird. 79 Die Bewegung der Satanfigur geht gerade in die umgekehrte Richtung. Vom Engel, der nichts zu fürchten hat, stürzt er hinab zum menschlichen Subjekt, das entsetzt vor der Abgründigkeit des Universums, aber auch des eigenen Ichs steht. Der wirkliche Schrecken, der Satan dadurch als Erfahrungshorizont greifbar wird, verdichtet die Sublimität des Gedichtes in der Doppelperspektive der Abgründigkeit als satanisches Erleben und als Leseerfahrung. Klaus Reichert hat in einem richtungsweisenden Vortrag zum Erhabenen bei Milton das abyssische Bild in diese Perspektive gerückt, gewissermaßen als Schlüsselbild für die historische Situierung von Programm und Themen des Epos, genauso wie für seine aus den ersteren evolvierende und von Burke im nachhinein im Hinblick auf Paradise Lost als ästhetische Kategorie »erfundene« Sublimitât: The Fall of Man may be nothing else but the grandiose metaphor for the essential uprootedness of human existence. It is an expression of the severest crisis that had shaken Christianity in its very foundations since its inception: it had dispossessed man of his prominent position in creation. [...] [zit. Paradise Lost 2.890-919] This is an image that carries all the paraphernalia of the sublime, an image of terror and pain and imminent danger. It is an image the keywords of which - Chaos, Night, Anarchy, Chance - do not relate to some primordial state before creation as they do in Ovid on whom Milton drew for this passage, but they relate, rather, to a state that is still with us, surrounds us, is in our midst and may break loose at any moment. It is an anticipation of what may be lying in wait for us: Chaos and Night, »The womb of Nature and perhaps her grave«.80 Narrativ bestätigt wird die auch hier implizierte Umwertung der Satanfigur zum Reflexionsmedium des Lesers beispielsweise in Satans paradiesischem Höllensoliloquium, das zugleich Satans kompakteste Fassung eines figürlich gebundenen Abyssum ist. Die Marlowesche Teufels-Selbsterkenntnis nimmt den Höllenraum nach innen und vertieft ihn nach unten unendlich weit: »Which way I fly is hell; my self am hell; / And in the lowest deep a lower deep / Still threatening to devour me opens wide, / To which the hell I suffer seems a heaven« (4.75-78). Satan zieht hierin die Erfahrungen des Engelssturzes, der 79 Burke, Philosophical Enquiry, S. 50; vgl. den im ersten Kapitel bereits diskutierten Abschnitt »Ambition*, Enquiry, S. 50 f., sowie den Abschnitt >TerrorOf the Sublimes S. 39 f. 80 Reichert, »Milton's Sublime«, S. 220f; zur Genese der ästhetischen Kategorie vgl. Reichert, >Zum Sublimens in Vielfacher Schriftsinn, S. 213: »[...] die ästhetische Kategorie mag erfunden worden sein, um sein Epos mit einer Theorie auszustatten - ein Eindruck, der vielleicht nicht von der Hand zu weisen ist, wenn man Burke liest.«

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Höllentopographie und der Schau des eigenen Selbst im Abyssum mit der Selbsterkenntnis im Spiegel der Sonne zusammen und evoziert die Bilder des satanischen Selbstverlustes, die zuvor breiter entfaltet wurden, in kompakterer Form. Hölle und Chaos als Innenräume werden thematisiert etwa von Belial: »for who would lose, / Though full of pain, this intellectual being, / Those thoughts that wander through eternity, / To perish rather, swallowed up and lost / In the wide womb of uncreated night, / Devoid of sense and motion« (2.146-151). Eine Außensicht auf das Abyssum perspektiviert die Frage Beelzebubs nach dem opferbereiten Heroen: »Who shall tempt with wandering feet / The dark unbottomed infinite abyss / And through the palpable obscure find out / His uncouth way« ( 4 0 4 ^ 0 7 ) . Satan antizipiert in seiner Antwort (die auf die entsprechende Christus-Rede des dritten Buches vorausweist) den existentiellen Selbstverlust im Abyssum: »These passed, if any pass, the void profound / O f unessential night receives him next / Wide gaping, and with utter loss of being / Threatens him, plunged in that abortive gulf.« 81 In diesen Beispielen zeigt sich Miltons Verfahrensweise des Kippens des Außen - wie der Topographien der Hölle, des Abyssum und des Paradieses - in die Innerlichkeit, aus der heraus solche Topographien auf dem Niveau des dichterischen Prozesses als Illusionsräume erst hervorgehen. Nach der gewaltigen Höllenbeschreibung der ersten beiden Bücher zeigt sich dies am nachdrücklichsten in deren Verinnerlichung im erkennenden Eingeständnis, daß Satan selbst die Hölle sei und diese ein Abyssum. Dies wirkt sich dann auch noch einmal rückwirkend wie ein Sog auf die Deskription der Hölle aus, indem es die satanische Perspektivierung des Höllenraumes forciert, wie sie vom Erwachen des wahrnehmenden Subjektes auf dem Feuermeer aus gestaltet wird. Die kompakteste Fassung des internalisierten Abyssum in Miltons Gedicht überhaupt steht in Adams post-lapsarischem Soliloquium im zehnten Buch: 0 conscience! Into what abyss of fears And horrors hast thou driven me; out of which 1 find no way, from deep to deeper plunged! (10.842-844)

Psyché - Pandora - Sin Diese Dialektik von Innen und Außen spielt Milton an Satan auf allen Ebenen durch. Dieser ist Protagonist des Dramas und gleichzeitig Reflexionsmedium des Lesers. Er trägt den Abgrund in sich und schöpft aus diesem Abgrund Welten, indem die drei 81 In seinem Reisebericht resümiert Satan die Erfahrung folgendermaßen: »Long were to tell / What I have done, what suffered, with what pain / Voyaged the unreal, vast, unbounded deep / O f horrible confusion, over which / B y Sin and Death a broad way now is paved / To expedite your glorious march; but I / Toiled out my uncouth passage, forced to ride / The untractable abyss, plunged in the womb / O f unoriginal Night and Chaos wild, / That jealous of their secrets fiercely opposed / M y journey strange, [...]« (10.469—479).

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großen Topographien des Gedichtes in seiner Perspektive entfaltet werden. Er trägt das Böse im Geist, und die Sünde tritt ihm als Figur entgegen. Dabei führt seine generative Funktion im Hinblick auf die Landschaftsräume in letzter Konsequenz zum Verschmelzen mit dem Dichter-Subjekt selbst, genauso wie mit dem Leser. In aller Radikalität ist Miltons Gedicht mit seinen kosmischen und Landschaftsräumen die poetische Exposition der menschlichen Psyche. Damit gibt Milton dem Brunoschen Universum im Kopf eine Wendung in tiefere Schichten, für deren Repräsentation freilich gerade die Prinzipien von Brunos ars combinatoria in Betracht kommen. Das schlagenste Beispiel ist die Gestalt der Sünde, die Satan Schlüsselszenen im Wortsinn liefert, wie oben am Höllentor: »Thus saying, from her side the fatal key, / Sad instrument of all our woe, she took« (2.871-872). Die mächtigen Tore, einmal aufgeschlossen und aufgesprungen, lassen sich nicht mehr schließen: »She opened, but to shut / Excelled her power« (2.883-884). Die Sünde am Höllentor, wie sie zusammen mit dem Tod und den weiteren inzestuösen Nachkommen und natürlich mit Satan in das Abyssum schaut (»Before their eyes in sudden view appear / The secrets of the hoary deep [...]«), steht, gewissermaßen verdoppelt, sich selbst gegenüber. Als Figur gewordenes Innenleben von Satan, als seine in Gestalt der Pallas Athena aus seinem Kopf zur Welt gesprungene Psyche ist sie selbst das Abyssum, das sich vor ihren Augen auftut. Zur gleichen Zeit legt die Schlüsselsymbolik mit dem Offnen der Tore einen Bezug auf Pandora nahe, deren Büchse hier ins Abyssische vertieft erscheint. Zusammengedacht konnte Milton beides in Spensers Ubersetzung der Ruines of Rome von Du Bellay finden, wo die Figur der Pandora in ein Chaosbild transformiert wird. Du Beilay verwendet in seinem Pandora-Rom-Bild die Pandora-Figur in ihrer Ambivalenz: 19 All that is perfect, which th'heauen beautifies All that's imperfect, borne below the Moone; All that doth feede our spirits and our eies; And all that doth consume our pleasures soone; All the mishap, the which our daies outweares, All the good hap of th'oldest times afore, Rome in the time of her great ancesters, Like a Pandora, locked long in store. But destinie this huge Chaos turmoyling, In which all good and euill was enclosed, Their heauenly vertues from these woes assoyling, Caried to heauen, from sinfull bondage losed: But their great sinnes, the causers of their paine, Vnder these antique ruines yet remaine. Die Achse dieser Verse, Rom - Pandora - Chaos bildet das Ursprungs- bzw. Sammelbecken der Entwicklungsmöglichkeiten der Welt, aber auch deren Vergänglichkeit. Pandora-Chaos ist hier das Zentrum, aus dem die Gesamtheit des Guten und des Bösen

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generiert, in dem also potentiell alle Entwicklungsmöglichkeiten enthalten sind. Das Schicksal fördert aus dieser chaotischen Vermengung sowohl das tugendreiche Gute hervor (es steigt, der Wahrheit gleich, zum Himmel empor: »Their heauenly vertues from these woes assoyling, / Caried to heauen, from sinfull bondage losed«) wie auch das Sündige, das unter den Trümmern des vergänglichen Rom begraben wird. In dieser ambivalenten, doppelten Entwicklungsmöglichkeit unterscheidet sich dieser chaotische Potentialzustand der Rom-Pandora von dem drei Stanzen später angesprochenen »Chaos wombe«, in das die aus ihm hervorgegangene Welt am Ende der Zeiten zurückfließt: So when the compast course of the vniuerse In sixe and thirtie thousand yeares is ronne, The bands of th' elements shall backe reuerse To their first discord, and be quite vndonne: The seedes, of which all things at first were bred, Shall in great Chaos wombe againe be hid. 82 Milton adaptiert diesen Bildgehalt für die Projektion der Sündengestalt in den Bildraum außerhalb der Höllentore: »Before their eyes in sudden view appear / The secrets of the hoary deep [...] / - [...] Into this wild abyss, / The womb of nature and perhapy her grave, / [...].« Die im Abyssum ins Unendliche dimensionierte Gebärstätte wird, was ihre Metaphorik angeht, in Paradise Lost von dem monströsen zyklischen Gebärbild der Sünde (2.777-802) antzipiert, hinter dem eine weitere Spensersche Vorlage steht: das Zentralbild in seinen Ruines of Time. Spenser verschmelzt darin die Bildgehalte der Frau We/i-Darstellungen mit denen der Roma Prima Pandora und prägt eine bei Milton sowohl im Sünden- wie im Chaoskontext fortgeschriebene Metaphorik des Gebärens und des gegenläufigen Prozesses aus: I was that Citie, which the garland wore O f Britaines pride, deliuered vnto me By Romane Victors, which it wonne of yore; Though nought at all but ruines now I bee, And lye in mine owne ashes, as ye see: Verlame I was; what bootes it that I was Sith now I am but weedes and wastfull gras? O vaine worlds glorie, and vnstedfast state O f all that liues, on face of sinfull earth, Which from their first vntill their utmost date Tast no one hower of happines or merth, But like as at the ingate of their berth, They crying creep out of their mothers woomb, So wailing backe go to their wofull toomb. 83 82 Aus der 22. Stanze, Verse 9-14, Spenser, Poetical Works, hg. von Smith / de Selincourt, S. 512. 83 Verse 36-49. Spenser, Poetical Works, hg. von Smith / de Selincourt, S. 472.

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Milton gestaltet diese Bildlichkeit aus in die Zyklizität des Monströsen schlechthin, wenn es über die Ausgeburten der Sünde und des Satans heißt: »for when they list into the womb / That bred them they return, and howl and gnaw / My bowels, their repast; then bursting forth / Afresh with conscious terrors vex me round, / That rest or intermission none I find« (2.798-802). Bezeichnenderweise verwendet Milton die gleichen Bilder für die Beschreibung der Arbeit der ersten Technologen im Umkreis von Mammon (1.670-674; 1.684-690). Neben diesen, alle in den Umkreis des generativen Ur- und Abgrundes, The womb of nature and perhaps her grave, gehörenden Bildvorstellungen ergeben sich bei Milton andere beziehungsstiftende Momente zwischen Sünde und Pandora, die über die Gestalt der Eva vermittelt werden.84 Das dabei entstehende Relationsgeflecht ist symptomatisch für Miltons Figurentwurf, spiegelt aber gleichzeitig den von Wittkower treffend als Migration of Symbols bezeichneten Figurprozeß der Renaissance überhaupt.85 Die Uberlagerung von Figuren aufgrund gleicher allegorischer Sinngehalte, vor allem aber die Gemeinsamkeit und der Austausch von Attributen sind transformatorische Potenzen hinter diesem Wandel. Dazu kommt natürlich der Variantenreichtum der mythologischen Überlieferung, in dem Figuren nicht festgelegt sind, sondern sich in variablen Rollen bewegen. Die beiden Panofsky zeigen dies an Pandora, die so, wie sie dann auftritt, im Grunde eine Erfindung der Renaissance ist. 86 Die Ambivalenz der Figur führt dazu, daß sie in die unterschiedlichsten Zusammenhänge gestellt werden kann. So heißt es etwa in Spensers Pandora-Adaption in The Teares of the Muses, und zwar im Gesang der Polyhymnia: »Most peereless Prince, most peerelesse Poetresse, / The true Pandora of all heauenly graces, / Diuine Elisa, sacred Emperesse« (577-579). 8 7 Diese Verse gehören in einen von den beiden Panofsky beschriebenen Kreis von Herrschaftsgedichten, die die an sich ambivalente Figur als uneingeschränktes Herrscherlob einsetzen.

84 Miltons Eva ist - neben Urania - die herausragende Spiegelgestalt des Gedichtes, auf die wie auf einen Drehspiegel die figürlichen Bildlichkeiten der mythologischen und der biblischen Traditionen fallen. So erscheint Eva in immer neuer Perspektive und umgekehrt werden an ihr die sie so konstituierenden Bildgehalte verändert und gleichzeitig ineinander transformierbar gemacht. Insofern kann Eva geradezu als eine die Brunoschen Prinzipien verwirklichende Kirchersche Metamorphosenmaschine angesehen werden, wie sie in Kirchers Ars Magna Lucis et Umbrae, S. 840-915, beschrieben und in zahlreichen Abbildungen illustriert wird (Abb. 1 ). Vgl. für diese figürliche Dynamik der Miltonschen Eva: Judith E. Browning, »Sin, Eve, and Circe: Paradise Lost and the Ovidian Circe Tradition«; Richard J. DuRocher, >From Proserpina to Pyrrha: Ovidian Faces of Eve in Paradise Lost< in seinem Milton and Ovid; Kenneth J. Knoespel, »The Limits of Allegory: Textual Expansion of Narcissus in Paradise Lost«; Stevie Davies, The Idea of Woman in Renaissance Literature, S. 186-247; Mary Nyquist, »Textual Overlapping and Dalilah's Harlot-Lap«; vgl. zum Gesamtzusammenhang Marina Warner, Monuments and Maidens. The Allegory of the Female Form, S. 213 ff. (>The Body in Allegoryeine Meuterei, ein Komplott stiften, sich verschwörenblasen, wehen, hauchen, atmen, leben, einhauchenHauch, Lufthauch, das Einatmen der Luft, das Atemholen, der Atem, der Lebenshauch, das Leben, der Geist, die Seele, die hohen Gedanken, im Guten und Bösen, hochstrebender, kühner, unternehmender Sinn, Ubermut, Stolz, die Gesinnung, der Unwille, die Erbitterung, der Hauch der Begeisterung, Geistesaufschwung, der EnthusiasmusSin< and >Sign< in Paradise Lost«; vgl. auch Rapaport, Milton and the Postmodern, S. 2 6 - 3 3 ; im Hinblick auf die satanische Zeichenproduktivität heißt es dort S. 31 f.: »What the emblem that introduced us to the allegory of Sin and Death reveals is not, therefore, the origin of an allegorical moment, that moment in which Sin springs from the head of Satan like Athena, but an origin, a moment in a chain of moments that regresses infinitely into the past and looks forward, is a portent for, an infinite progress into the future. N o w this view of the emblematic picture and of the allegory in general in book 2 contradicts the usual assumption that an allegory must ultimately have a transcendental meaning, a thing that it points to, for Milton opposes to a terminal meaning, a >machine of replications a >literary machines a s Deleuze would have it, whose meaning is its process, its mode of literary productivity What we are forced to look for is, not something within the allegory that is represented, not sin, not death, not evil, not the Fall, but allegory itself, language as technics. That this process of language, this literary machine, is itself a machine of replication that is antitotalitarian, and from a Renaissance perspective antiallegorical, is quite significant.«

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Destabilisierung

der

Formen

eigene Seele, psyché, zu lesen, was dem Wortsinne nach auch heißt, es sei das Lesen des eigenen Hauchens, Atmens auf dem Spiegel der Selbsterkenntnis. Heute würden wir sagen, Satan schaut in seine eigene Psyche, wie in dem Bild am Rand des Abyssum. Die Interrelation dieser beiden Figuren (zusammen mit dem später hinzutretenden Trinitätsschatten in Gestalt des Todes) macht einen weiteren Bedeutungskomplex des Signalwortes conspiracy aus: sie sind die Oppositionsfiguren zu Gottvater und Sohn. Unmittelbar vor der poetischen Inszenierung des Offnens der Höllentore apostrophiert die Sünde ihren Vatergeliebten Satan überaus anspielungsreich im Hinblick auf die himmlische Konstellation Sapientia, Urania, Gott. Sich selbst nennt sie »Inhabitant of heaven, and heavenly-born« (2.860). Von Satan sagt sie: Thou art my father, thou my author, thou My being gavest me; whom should I obey But thee, whom follow? Thou wilt bring me soon To that new world of light and bliss, among The gods who live at ease, where I shall reign At thy right hand voluptuous, as beseems Thy daughter and thy darling, without end. (2.864-870; Hervorhebung M. W) Die Verwendung des Wortes voluptuous in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der Strukturierung der Satan-Sünde-Beziehung führt unmittelbar in den Kontext des neuplatonischen Liebeskonzepts.111 Im Hinblick auf Urania als komplementär zur Sünde gestalteter Musenfigur spielt voluptuous auf Ficinos Voluptas Urania an. Edgar Wind erklärt: »Um zu betonen, daß himmlische Lust das höchste Gut sei, beschloß Ficino das zehnte Buch seines Epistolarium mit den Apologi de voluptate. Indem er sie Martinus Uranius widmete, machte er spielerisch von dem Namen Uranius Gebrauch, um die höchste voluptas als himmlisch zu charakterisieren: >Cum vero amor nihil desideret aliud quam voluptatem, merito decimus hic liber, consecratus amori, finem in voluptate facit. Voluptate, inquam, id est, coelesti, quandoquidem haec Uranio dedicatur.Veritas Filia TemporisDie Wahrheit - Tochter der Zeit?Errour< and the Renaissance«, S. 159-173, und »Paradise Lost: Milton's >SinTaste and the Pleasures of the Imagination und seiner Rezeption des Miltonschen Gedichtes besteht.119 Gegen die Kritik Addisons und Voltaires an den Gestalten Sünde und Tod hat John Steadman ganz richtig die Argumente der Renaissance-Poetologen Mazzoni und Castel118 Vgl. zusammenfassend Joseph H . Summers, The Muse's Method, S. 3 2 - 3 9 ; Robert C . Fox, »The Allegory of Sin and Death in Paradise Lost«; Philip Gallagher, >»Real or Allegorica: The Ontology of Sin and Death in Paradise Lost«; Steven Knapp, Personification and the Sublime. Milton to Coleridge, S. 51 ff.; Stephen M. Fallon, »Milton's Sin and Death: The Ontology of Allegory in Paradise Lost«; Samuel S. Stollman, »Satan, Sin, and Death: A Mosaic Trio in Paradise Lost«; Leslie E. Moore, Beautiful Sublime. The Making of »Paradise Lost«, 1701-1734, passim; vgl. auch Mark Turner, Death is the mother of beauty. Mind, Metaphor, Criticism, S. 78-104. 119 Ein Beispiel wäre die Koinzidenz des Kleinsten und des Größten in F o r m der unendlichen Gestaltungspotentialität der kleinsten Partikel in der Natur: »Nay, we might yet carry it farther, and discover in the smallest particle of this little world, a new inexhausted fund of matter, capable of being spun out into another universe« (Nr. 4 2 0 vom 2. Juli 1712, Critical Essays from >The Spectatorsia lecito a'poeti nel senso litterale fingere cose impossibili, per che nell' allegorico poi habbiano somma veritàinhumanitybabylonische Einschmelzung< der Traditionen sichtbar wird: diese Urania ist antik und jüdisch und christlich, dantesk und brunesk man, Milton's Biblical and Classical Imagery, S. 92, angeführten erweiterten Ausgabe der Ripaschen Iconologia: Della pin che novissima Iconologia di Cesare Ripa Perugino ... ampliata dal Sig. Cav. Gio. Zaratino Castellini Romano, Padua 1630, gestiftete Beziehung zwischen Urania und Poesia. 8 Vgl. Paradiso VIII und Convivio II. 9 Vgl. Dialogo, Opere, VII, S. 356 ff.; Übers. Dialog, S. 348 ff.

Die Figur gewordene

Übersetzbarkeit

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zugleich. Sie ist also die Figur gewordene Übersetzbarkeit von Kulturen und Traditionen. Natürlich entspricht eine Interpretation in diese Richtung weder dem - weithin als Konsens angesehenen - christlichen Vorbehalt in der Milton-Forschung noch dem rhetorisierenden Muster des in den vergangenen zehn Jahren dominierenden Poststrukturalismus. Das mehrfache Moment des Aufschiebens bzw. Verdrängens, also die Verdrängung eines genannten Namens, die Situierung des Gesanges in der Überhöhung (above the Olympian hill I soar, / Above the flight of Pegasean wing), die Verneinung des Namens gegenüber seiner Bedeutung, die Konstitution dessen, was der Name bedeutet ex negativo (Nor of the Muses nine, nor on the top / Of old Olympus dwell'st), die salomonische Einsetzung der himmlisch Geborenen in eine Zeit vor aller Schöpfung (Before the hills appeared, or fountain flowed), schließlich die Differenzierung der Musengestalt gegenüber der Sapientia-Schwester, bei der offensichtlich der Name den bedeuteten Sinn trifft - dies sind (hier in der Form eines displacement vorgetragene) Beispiele der Überrhetorisierung Miltonscher Dissimilisierung. Vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Gewichtung der Rhetorik, der Emanzipation der Metonymie gegenüber der Metapher sowie des displacement als rhetorischem Mittel (das ja beispielsweise bereits Longinus ausführlich diskutiert10) zur Aufschiebung des Sinnes wurden Miltons Invokationen zum Paradigma eines metonymischen displacement schlechthin erklärt.11 Dieser Zugang leistet zumindest zweierlei: Erstens spitzt er den hermeneutischen Umgang mit den Invokationen auf die Frage zu, ob denn Milton überhaupt darauf aus ist, seine Muse auf eine Bedeutung (meaning) festzulegen, oder ob er vielmehr das, wofür der Urania-Name substituierend eintritt, ganz bewußt jenseits einer ikonologisch rekonstruierbaren Metaphorik in einer metonymisch ad infinitum verschobenen, unausmachbaren Bedeutung intendiert - hier wäre also Urania nur mehr Zentrum oder Schnittstelle sich zufällig überschneidender metonymischer Linien und keine Figur im eigentlichen Sinne. Darunter könnte Urania etwa als Leerstelle für einen verdrängten Eigen- und Autorennamen John Milton aufscheinen, wie dies in den letzten Jahren in der feministischen Milton-Forschung herausgestellt worden ist.12 Zweitens drängt dieser Zugang darauf - was bisher noch nicht geleistet ist - , die Invoka10 Longinus, Die Schrift vom Erhabenen, hg. von Renata von Scheliha, X X I I , S. 77 ff. 11 Exemplarisch sei hier die Studie von Guillory, Poetic Authority, S. 120 ff. genannt, in der auch die strukturelle Verwandtschaft zwischen der Metonymie und dem unaussprechbaren Gottesnamen in Betracht gezogen wird: »Metonymy becomes the necessary trope of invocation, reminding us of the unsettling fact that the names of the gods are aboriginally conceived to be substitutions for one unspoken 'original' name. It is as though this name were 'literal' and all the others displacements or figures. The name of the muse, however, becomes literal in not being spoken; the poet speaks in tropes but the prophet restores the literal name by not speaking it, by calling our attention to the very displacements of language« (S. 120). 12 Vgl. Virginia R. Mollenkott, »Some Implications of Milton's Androgynous Muse«; Eleanor C o o k , »Melus versus Logos, or why doesn't God sing: some thoughts on Milton's wisdom«; Janet E. Halley, »Female Autonomy in Milton's Sexual Poetics«; N o a m Flinker, »Courting Urania: The Narrator of Paradise Lost Invokes His Muse«.

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Die dialektische

Präsenz der Urania

tionen mit den Konstitutionsprinzipien des Gedichtes zu verknüpfen, also mit den Verfahrensweisen zur Similisierung und Dissimilisierung, die sowohl die rhetorische Struktur des Gedichtes bestimmen, als auch den Schlüssel zu Miltons Verständnis und Zugriff auf die vielfältigen Traditionen - jüdische, christliche, mythologische, ikonographische, neuplatonische etc. - liefern. A n der Gestalt der Urania kann so das Verhältnis zwischen rhetorischer Analyse und ikonologischer Rekonstruktion allgemeiner betrachtet werden. Das Miltonsche Paradoxon einer ikonoklastischen Verfahrensweise, die wie in einem Bildkatalog die gesamte ikonographische Tradition der Renaissance 13 durchläuft, also gewissermaßen im Bild das Bild unterläuft, zieht die ganz unterschiedlichen Perspektiven der Undarstellbarkeit der Präsenz, die in den vergangenen Jahren vor allem im Poststrukturalismus diskutiert wurden, geradezu auf sich. Ein Beispiel wäre der über die rabbinische Tradition vermittelte Begriff der Spur (als reiner Differenz) bei Derrida. 1 4 Den heuristischen Rahmen dieser Diskussion der Darstellungsproblematik bildet allerdings die ästhetische Kategorie des Sublimen in ihrer Lyotardschen Fassung. Wir haben im vorigen Kapitel im Zusammenhang mit dem Vexieren zwischen Satanfigur und Dichtersubjekt im Hinblick auf den 13 Wenn Milton in der Konstitution der Bildräume und der Figuren seiner Dichtung die Ikonographie der Renaissancekunst poetisch adaptiert und sein Großgedicht geradezu zu einem Bildkatalog der Renaissancemalerei ausgestaltet, so geschieht dies stets in einer paradoxen ikonoklastischen Wendung gegen die Bildlichkeit dieser Kunst. Dies ist zunächst daraus zu ersehen, daß Miltons Similsierungsverfahren in manieristischer Manier stets mehr als eine Wirklichkeit präsentiert, d. h., Situationen in vergleichbaren bzw. nicht vergleichbaren anderen Sichtweisen und Kontexten aufgehen läßt und dadurch eine manieristische Optionalität und Mehrgesichtigkeit bzw. Multiperspektivität von Situationen, Handlungen und Figuren erzeugt. Darüber hinaus liefert Milton mit den in seinem Gedicht aufgenommenen Sujets eine Art Urgeschichte der Ikonographie. Für die besondere Ausprägung eines Ikonoklasmus der englischen Renaissancedichtung (vgl. dazu die Studien von Kenneth Gross, Spenserian Poetics. Idolatry, Iconoclasm, and Magic, James R. Siemon, Shakespearean Iconoclasm, sowie Ernest B. Gilman, Iconoclasm and Poetry in the English Reformation) kommt freilich ein weiterer, entscheidender Aspekt hinzu, der auch in Roland Mushat Fryes monumentalem Werk zur ikonographischen Tradition in Miltons Epen (Milton's Imagery and the Visual Arts) nicht verfolgt wird. Fryes systematische, gegen Eliots Thesen gerichtete Widerlegung der Nonvisualität der Miltonschen Dichtung mit Hilfe von zahllosen direkten und indirekten Bezugnahmen auf die ikonographische Tradition und die »painterly language« bringt eine Menge zuvor unberücksichtigter Details zum Vorschein und weist das Gedicht als jenen Bildkatalog der Renaissancemalerei aus. Allerdings führt Frye diese Ergiebigkeit seines ikonographischen Sammeins und die darauf gegründeten Bedeutungsverschiebungen in seinen subtil geleisteten Interpretationen der Miltonschen Gedichte nicht zu einem ikonologischen Interpretationsverfahren weiter. Das heißt, Frye läßt sich die für die Malerei der Renaissance so überaus wichtige Relation zwischen Bildprogramm und Bild weitgehend entgehen. Meines Erachtens läßt sich aber gerade durch ein ikonologisches Zurückgehen auf die Bildprogramme der ikonoklastische Impetus des Miltonschen Dichtungsverfahrens offenlegen. Legt doch Milton sein gesamtes Gedicht als Exposition des Idea-Gedankens an, und zwar auf allen denkbaren figürlichen und narrativen Ebenen, vom Gotteszentrum über die Musengestalt und die sündige Idea bis hin zur scheinbar völligen Negation des Idea-Gedankens im gleichsam selbstläufigen Similisierungsfluß seines Gedichtes. Damit werden die gestalterische Aufgabe und die dahinter stehende Programmatik bzw. theoretische Reflexion nicht nur an die Repräsentation des Gottesnamens, sondern auch an den Schöpfungsgedanken und dessen Vollzug gekoppelt. 14 Vgl. zur Bedeutung der rabbinischen Tradition für Derrida, >Edmond Jabès und die Frage nach dem Büchs S. 102-120, und »Ellipses S. 443—450, in Die Schrift und die Differenz; vgl. auch Susan Handelman, The Slayers of Moses und dies., »Jacques Derrida and the Heretic Hermeneutic«.

Die Figur gewordene

Übersetzbarkeit

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poetischen Weltentwurf bereits gesehen, wie die divergierenden Versionen des Nostalgisch-Erhabenen (»it allows the unpresentable to be put forward only as the missing contents«) und des Eigentlich-Erhabenen, »which [...] puts forward the unpresentable in presentation itself«, in Paradise Lost gleichzeitig präsent sind.15 Thematisch sind Verlust und Nostalgie allgegenwärtig. Für die dichterische Vefahrensweise ist jedoch der Blick hinter die Formen, auf die Rückseite des poetischen Schöpfungsprozesses bestimmend, gewissermaßen als Darstellung der Undarstellbarkeit der Darstellung. Miltons UraniaInvokation ist genau dies. In der thematisch-nostalgischen Konsequenz des Gedichtes hätte Milton sie als Donnes entschwundene Weltseele gestaltet, die namenlos als eine »shee« durch das Anatomy-GtÒxcht geistert: but 'tis more misery, That thou hast lost thy sense and memory 'Twas heavy then to heare thy voyce of mone, But this is worse, that thou art speechlesse growne. Thou hast forgot thy name, thou hadst; thou wast Nothing but she, and her thou hast o'repast. [...] Her name defin'd thee, gave thee forme, and frame, And thou forgetst to celebrate thy name. [...] But long shee'ath beene away, long, long, yet none Offers to tell us who it is that's gone. (27-42) Donne konturiert seine undarstellbare Figur (»unpresentable«) durchweg als »missing contents« einer Welt, die unter dem Blick des Anatomen das von Hippocrates beschriebene Gesicht, fades hippocratica, zeigt. Sie ist im Übergang vom Leben zum Tode - die erstarrte Urlandschaft des Benjaminschen Trauerspielbuches also. Andere Beispiele wären Spensers Daphnaida oder die Urania der Sidneyschen Arcadia. Milton forciert die Dialektik der Präsenz Uranias noch über ihre Vexierbildhaftigkeit und das Moment des displacement hinaus. Die Schlußwendung der Urania-Invokation, »if all be mine, / Not hers who brings it nightly to my ear«, versammelt einesteils die prozeßhafte Dynamik der rhetorisch negierenden Verunsicherung der Präsenz in der Ruhe einer - wenn auch dichterisch nicht gestalteten, nur suggestiv vorstellbaren Szene, die Caravaggios ursprünglicher Fassung des Hl. Matthäus mit dem Engel (Abb. 18) nahekommt.16 Andererseits scheint das, was man den Zweifel an der inspirativen Authentizität des Gedichtes nennen könnte, jenes nagende »if all be mine«, die aus dem 15 Vgl. dazu Reicherts Diskussion, »Milton's Sublime«, S. 222 f. 16 Milton könnte dieses Bild (seit 1815 in Berlin, 1945 zerstört), das sich im Palazzo der bedeutenden Kunstsammler Giustiniani in Rom befand, von seiner Italienreise her bekannt gewesen sein. Caravaggios ursprünglich als Altarbild für die Contarelli Kapelle in San Luigi dei Francesi ausgeführte Darstellung wurde aufgrund ihrer Sinnlichkeit und Intimität von den Auftraggebern als zu realistisch

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abschließenden Vers sprechende Bestimmtheit ihrer Präsenz gerade wieder zu unterlaufen. Die Präsenzproblematik einer poetisch evozierten Figur hat Milton auch in einem seiner weniger bekannten Gedichte durchgespielt: In seinem Sonnett X X I I I aus dem Jahre 1658 drängt die Gestalt seiner jung verstorbenen zweiten Frau visionär oder wie im Traum zu poetischer Manifestation und wird in eine dialektische Relation zu der zunächst impliziten, im letzten Vers dann ausdrücklich gemachten Blindheitsthematik gestellt. Methought I saw my late espoused saint Brought to me like Alcestis from the grave, Whom Jove's great son to her glad husband gave, Rescued from death by force though pale and faint. Mine as whom washed from spot of childbed taint, Purification in the old Law did save, And such, as yet once more I trust to have Full sight of her in heaven without restraint, Came vested all in white, pure as her mind: Her face was veiled, yet to my fancied sight, Love, sweetness, goodness in her person shined So clear, as in no face with more delight. But O as to embrace me she inclined I waked, she fled, and day brought back my night. In den gleichen Blindheitskontext fällt das Oxymoron »human face divine« in einer >oderWhat is an Image?< in: Iconology: Image, Text, Ideology, S. 31 ff. Mitchells Gedankengang gründet sich auf Maimonides' Auslegung von Gen. 1,26, die freilich quer zur sonstigen Tradierung im Judentum steht. Maimonides übersetzt Zelem, also »plastisches Bild«, gerade mit »Bild im Sinne von Ähnlichkeit, Vorstellung etc.«; »Ähnlichkeit« wäre korrekterweise die Ubersetzung von Demuth. Polemisch dagegen schreibt etwa

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in der letzten Zeile des angeführten Satzes aus der Lichtinvokation angedeutet, wenn das Dichtersubjekt von der für ihn ausgelöschten sinnlichen Lesbarkeit der Welt (»And wisdom at one entrance quite shut out«) spricht, die durch eine Lesbarmachung mit den Augen des Geistes substituiert werden soll. Dies führt auf eine Doppelung der Weisheit hinaus, analog etwa den beiden Veneren. Man hat versucht18, die invokatorische Urania-Sapientia-Relation aus den Proverbien herzuleiten im Sinne einer dort angeblich zu findenden Doppelgestalt, deren einer Aspekt Sophia und deren anderer Aspekt Phronesis wäre, was allerdings vom Hebräischen her unhaltbar ist.19 Es gibt jedoch einen anderen Anhaltspunkt für die Identifikation Uranias in der Tradition der Tora, der uns noch einmal - wie schon im ersten Kapitel im Verlauf der Thronwageninterpretation - in den Kontext der Kabbala führt, aus dem heraus auch die invokatorische Zuordnung der Uraniagestalt im Hinblick auf Sapientia und Gott verständlicher wird. Davon soll am Ende dieses Kapitels die Rede sein.

Specchio sanza macula de la maestà di Dio - Die Spiegelfigur Hier soll uns zunächst eine strukturelle Eigentümlichkeit der Urania-Invokation beschäftigen. Es kann kein Zufall sein, daß Milton die einzige namentliche Invokation seiner Muse auf der Mittelachse seines Gedichtes zwischen den beiden Thronwagenbildern piaziert. Die spiegelbildliche Gegenläufigkeit von apokalyptischem Weltende und schöpferischem Weltanfang in diesen beiden Großbildern, das Sichtbarwerden des Anfangs im Ende und des Endes im Anfang, was strukturell noch dadurch verdoppelt wird, daß am Anfang des Gedichtes aus der ältesten Vergangenheit und dem tiefsten Gedächtnis geschöpft wird (»thou from the first / Wast present [...] what in me is dark / Illumine, what is low raise and support«; 1.19-23) und am Ende des Gedichtes die Zukunft beginnt (»The world was all before them, where to choose / Their place of rest, and providence their guide«; 12.646-7), deutet auf eine Strukturierung der beiden Gedichthälften um eine Spiegelachse. Nun zählt zu den Attributen der auf dieser Achse namentlich Gestalt gewinnenden Muse Urania, wie wir aus Ripas Iconologia wissen, auch der Spiegel: »URANIA. Tien con la destra mano una tavola bianca, appoggiata alla coscia, & con la sinistra un specchio.«20 Scholem, Mystische Gestalt, S. 30 f.: »So beginnt Maimonides nicht zufällig sein philosophisches Hauptwerk, den Führer der Verwirrten, damit, den Sinn des Schlüsselwortes Zelem auf den Kopf zu stellen, seiner Meinung nach freilich auf die Füße.« 18 Vgl. Fletcher, Rabbinical Readings, S. 93 ff. und im Gefolge Steadman, >Urania: Wisdom and Spiritual Exegesis< in seinem Milton's Biblical and Classical Imagery, S. 102-113. 19 Darauf hat mich Klaus Reichert hingewiesen. Fletchers und Steadmans These könnte allenfalls auf dem Niveau der Ubersetzung der James Bible, die vielfach mit »Wisdom and Understanding« übersetzt, durchgehalten werden. Für den Hebräisch lesenden Milton kommt dies freilich nicht in Frage. 20 Cesare Ripa, Iconologia (1611), S. 374; Hervorhebungen M. W

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Der Spiegel ist gleichermaßen das Attribut der invokatorischen Komplementärfigur der Weisheit, so daß das Attribut gewissermaßen gegenüber dem Vexieren von Name und Bedeutung der Urania oder, wenn man so will, gegenüber dem invokatorischen Unterlaufen des Namens stabil bleibt. Dies könnte bereits ein Hinweis darauf sein, daß die Urania-Figur als figürlich in der Spiegelachse gebunden zu sehen ist, die Muse der Astronomie also gleichsam in ihrem Attribut aufginge. Das Bild der Diktatszene mit dem Dichter und seiner Muse, die dem Dichtersubjekt ja lediglich dem Namen nach und dann als vernehmbare Stimme greifbar scheint, würde so ikonoklastisch gewendet in das paradoxe Bild des blinden Dichters mit dem Spiegel der Selbsterkenntnis, was dann brunesk verinnerlicht als Szene der Introspektion zu sehen wäre. Diese Lesart wird von der Figurenkonstellation des Gedichtes gestützt. Das markanteste Beispiel ist die Figur der Sünde, die als minervasche Weisheitsfigur Satan den Spiegel der Selbsterkenntnis vorhält, der ihn in narzißtische Selbstverliebtheit im Medium der sündigen Ebenbildlichkeit und in inzestiöse Liebe verstrickt. Dieser Figur gewordene Weisheitsspiegel der Sünde ist im Umfeld Satans über das gesamte Gedicht ausgestreut. Die großen Topographien des Gedichtes sind im Hinblick auf Satan als Landschaftsspiegel der Selbsterkenntnis gestaltet: die Hölle (in der Beelzebub den Spiegel zusätzlich figürlich bindet), der paradiesische Landschaftsraum mit den gestaltlichen Manifestationen göttlicher Ebenbildlichkeit, die Sonne. Eine besondere Funktion kommt, das haben wir gesehen, dem Mond-similisierten Schild Satans als ein Spiegel des Guten zu, in dem die neue Schöpfung sichtbar wird. Der Mondschild ist gleichzeitig eine poetisch explizit gestaltete Ubersetzung des Spiegels in das Fernglas des Astronomen. Durch den Spiegel als Teleskoplinse wird die kosmische Navigation von Satan initiiert. Wenn unter diesen Beispielen die oppositionale Komplementärfigur der Urania, die Gestalt der Sünde im Hinblick auf ihre Spiegelfunktion hervorragt, so spielt Milton das Spiegelmotiv analog dazu an Eva durch. Milton verdichtet dabei den im satanischen Umfeld als Landschaftsspiegel fungierenden Paradiesesraum in spiegelnden Wasserflächen. In der langen Paradiesesbeschreibung ab 4.205 ff. findet sich dafür ein Beispiel, in dem nicht nur Uranias Spiegelattribut landschaftlich manifest wird, sondern zugleich die zwei Formen des gestaltlichen Vexierens der Urania aufscheinen: zum einen der - hier durch das gemeinsame Attribut vermittelte - Ubergang in eine andere Figur, zum anderen Venus, die zwischen Präsenz und Absenz vexiert: »mean while murmuring waters fall / Down the slope hills, dispersed, or in a lake, / That to the fringed bank with myrtle crowned, / Her crystal mirror holds, unite their streams« (4.260-263). Hier kulminiert die Paradiesesbeschreibung in der luziden Venus-Gestalt, die gleichsam aus dem Landschaftsgemälde hervortritt, ohne tatsächlich präsent zu sein. Der weitere Kontext der zitierten Verse, in dem - angefangen mit Pan und den Grazien - die Paradieseslandschaft von einem ganzen Reigen mythologischer Figuren besiedelt wird, weist Venus nachgerade ihren Platz an und bestätigt damit die Form einer ungenannten Präsenz, in der die Göttin in der Landschaftsdeskription aufgeht.21 Das auch hier stabile Attribut kann dadurch um so leichter im 21 Als Bezugspunkt in der liierarischen Tradition kommt in diesem Zusammenhang Spensers Garten-

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Hinblick auf Urania gelesen werden oder etwa im Hinblick auf Eva-Prudentia. 2 2 Als Venus-Spiegel antizipiert der Spiegel in der Landschaft die später erzählte Spiegelgeschichte der Eva, die ja durch den Einspruch der Stimme Gottes in eine dann zunächst noch ein zweites Mal mißglückende Eheinitiation umgelenkt wird und darin auf die Bedeutung des Spiegels als eines Ehespiegels anspielt. Die im Hinblick auf die Sündenanfälligkeit der Eva mitlaufenden Konnotationen als eines Spiegels des Narziß oder der Vanitas werden auch hier - und zwar nicht erst aufgrund einer Lacanschen Milton-Lektüre - durch die Virulenz des Spiegels als Urania- und Sapientia-Attribut überlagert. 23 Dies architektur im Umkreis des Tempels der Venus in Betracht, wo von einem figürlichen Zentrum aus Natur gestaltet wird. Venus, in Paradise Lost nicht namentlich genannt, aber sowohl in Urania als auch in den Paradiesesbeschreibungen präsent, ist wie Adonis ein solches formgebendes Kraftzentrum. In der Deskription des Venus-Gartens und des Tempels verwendet Spenser zahlreiche Negationen (vgl. etwa IVx.22 und 30). Spenser beschreibt Formen einer spielerisch gestaltenden Natur (vgl. etwa die Wendung nach der Nennung der »False Labyrinthes« in IVx.24: »All which by nature made did nature seife amaze«), die dann - im Gebet an die Göttin Venus - auch mit dem bereits aus dem Proömium zum dritten Buch bekannten Attribut dädalischer Kunstfertigkeit versehen wird: »Then doth the daedale earth throw forth to thee / Out of her fruitfull lap aboundant flowers« (45.1-2). In Analogie zur Schöpfungsperpetuierung im Adonis-Garten heißt es dann weiter über die schöpferische Tätigkeit der Venus: »So all the world by thee at first was made, / And dayly yet thou doest the same repayre« ( 4 Z 1 - 2 )· Das figürliche Zentrum des Gartens und des Tempels - die Statue der Venus - entspricht in der Ambivalenz zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit durchaus der Präsenzproblematik der Urania. Die materialische Transparenz von Idol und Altar beleuchtet die Problematik der Repräsentierbarkeit der figürlich gestalteten Idee. Aufgehalten werden die Ambivalenzen der Negationen und Unbeschreibbarkeiten (vor allem in der neununddreißigsten Strophe) paradoxerweise durch die Verschleierung, die wiederum selbst mehr Rätsel aufgibt, als daß sie das gestaltliche Geheimnis lüftet. Diese in Stanze 41 poetisch ausgespielte Rätselhaftigkeit wird umgebogen in die - zunächst noch als Mutmaßung vorgebrachte (»But for, they say, she hath both kinds in one, / Both male and female, both vnder one name«; 41.6-7) - hermaphrodite Personifikation des Schöpfungsprinzips: »She syre and mother is her selfe alone, / Begets and eke conceiues, ne needeth other none« (41.8-9). In Analogie zu der in der Figur des Adonis gefaßten Dialektik von Vergänglichkeit und Beständigkeit des Wandels repräsentiert die Venus-Gestalt die transformatorische Potenz der Liebe (vgl. etwa die Strophen 44-47 des Gebetes an die Venus). Der Schwebezustand der Präsenz des Adonis - »Father of all formes« - wird in der Idolgestalt der Venus figürlich weitergeführt. Die Transparenz der Statue (»Pure in aspect, and like to christall glasse, / Yet glasse was not, if one did rightly deeme, / But being faire and brickie, likest glasse did seeme« 39.7-9), das Eingehen ihrer schöpferisch-transformatorischen Wirkkräfte in die Gartenarchitektur der Natur, also die Projektion ihrer Präsenz auf dichterische Landschaftsgemälde, in denen sie nicht eigentlich zur Erscheinung kommt, weisen voraus auf Miltons Ausstreuung der Attribute und der Wirkweisen der Muse über die Deskriptionen des Paradieses. 22 Vgl. zu Prudentia Monika Gomille, Miltons Prudentia. Untersuchungen zurpoetologischen Programmatik. Der Urania-Figur schenkt Gomille keine Beachtung. 23 Der Aufbau der gesamten Spiegelszene kann geradezu als direkte poetische Umsetzung der plotinischen Reflexion auf körperliche Schönheit und Spiegelbildlichkeit gelesen werden (Plotinus, Enneaden, 1.6.8, übers. A. H. Armstrong, Bd. 1, S. 257): »When he sees the beauty in bodies he must not run after them; we must know that they are images, traces, shadows, and hurry away to that which they image. For if a man runs to the image and wants to seize it as if it was the reality (like a beautiful reflection playing on the water, which some story somewhere, I think, said riddlingly a man wanted to catch and sank down into the stream and disappeared) then this man who clings to beautiful bodies and will not let them go, will, like the man in the story, but in soul, not in body, sink down ito the dark depths where intellect has no delight, and stay blind in Hades, consorting with shadows there and here.«

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ist einmal in der Folge des Miltonschen Figurentwurf zu verstehen, in dem sogar die Figur der Sünde ambivalent gestaltet ist und diese Ambivalenz den konstellativ in Relation zu ihr stehenden Figuren, vermittelt. Insofern eröffnet die Spiegelepisode den Figurkomplex Eva-Sapientia, der im Bild der Eva mit der Schlange vor dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen dadurch verdichtet wird, daß Baum und Frucht als weisheitsspendend apostrophiert werden: »O sacred, wise, and wisdom-giving plant, / Mother of science« (9.679 f.), später als »of operation blest / To sapience« (9.796 f.) und schließlich: »thou open'st wisdom's way, / And giv'st access, though secret she retire« (9.809 f.). Hinzu kommt die rhetorische Erhebung Evas zur »Queen of this Universe« (9.684), gekoppelt an das Transformationsvermögen der Frucht, »not only to discern / Things in their causes, but to trace the ways / O f highest agents, deemed however wise« (9.681-683). All dies sind Prädikationen der biblischen Weisheitsgestalt und zugleich Programmworte der neuzeitlichen Wissenschaft, die gewissermaßen durch die oberste Schicht der Sündenfallrhetorik hindurch wahr werden. Für das wissenschaftliche Klima des 17 Jahrhunderts am greifbarsten wird dies in 9.807-810: »Experience, next to thee I owe, / Best guide; not following thee, I had remained / In ignorance, thou open'st wisdom's way, / And giv'st access, though secret she retire.« Auf der Figurenachse des Gedichtes rutschen diese weisheitlichen Implikationen durch die Urania-Gestalt in den Evaschen Paradiesesspiegel. Eva ist ja nicht nur - gewissermaßen nach unten - komplementär zur Sünde zu denken, sondern eben auch nach oben zu Urania. Dabei haben wir bereits gesehen, wie diese Positionsbestimmungen, an denen Wertvorstellungen hängen, im Medium des Brunoschen Wandlungsrades relativiert und damit letztlich - wenn man dies zu Ende denkt - nivelliert werden. Deutlicher wird dies noch, wenn man die in einem komplementären Prozeß oppositional vorgestellten Figuren durch ihr Spiegelattribut überblendet denkt, so daß in der Sünde, die ja zunächst Minerva ist, Urania-Sapientia erscheint und umgekehrt die Spiegelfigur Urania, die ja ganz ikonoklastisch gestaltlos gestaltet ist, minervisch-göttliche Gestalt annimmt und dadurch zur Sünde gegen das mosaische Bildnisverbot wird. Die solcherart quasi herausspiegelbaren Gegenaspekte tauchen an Eva wie an einer Figur in einem manieristischen Perspektivexperiment auf. In ihr erscheinen Vanitas, Pandora, Dalila, aber eben auch Venus, Sapientia, Prudentia, Proserpina, wobei mythologischen Doppelfiguren wie Proserpina oder Pandora das Kippen des einen ins andere bereits inhärent ist. Milton erreicht diese Form der Multiperspektivität durch die similisierende Uberlagerung der biblischen, der mythologischen, der ikonologisch-allegorischen usw. Traditionen. Das Beispiel des Danteschen Thronwagens, flankiert von der Urania-Invokation und der zunächst verborgenen, dann aus der Thronwagenmaschine heraustretenden Beatrice, im ersten Kapitel hat gezeigt, wie dezidiert Milton ganze Bildkomplexe aus der literarischen Tradition seinem eigenen Gedicht unterlegt, spiegelt und ausgestaltet. Für den paradiesischen Eva-Spiegel kommt eine solche Vorlage in Betracht, die sich wiederum durch weitere strukturelle Parallelen zu einem größeren Bildkomplex zusammenfügt.

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Die Paradiesesquelle im

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Rosenroman

Der Rosenroman wird geradezu umrahmt von den Bildern zweier paradiesischer Quellen. Die eine löst die Geschichte aus, die andere hält ihr die Wahrheit entgegen. Die erste, im Anfangsteil des Guillaume de Lorris, ist die Quelle des Narziß (1537 ff.), in der wie in einem Spiegel der Garten erscheint. Auf ihrem Grund liegen zwei Kristalle als eigentliche Spiegelzentren. Ihre Kraft reicht zur Repräsentation auch des kleinsten Dinges im Garten. Allerdings: Der Spiegel teilt den Garten in zwei Hälften, eine Gesamtsicht ist nur durch einen Wechsel des Betrachterstandpunktes möglich. Das wesentliche freilich ist das magische Moment dieses Spiegels, weshalb er miroers perilleus genannt wird. Jedes in diesem Spiegel erblickte Ding kann Liebe und Begierde auf sich ziehen und den Menschen von innen heraus aufzehren. So ergeht es dem Erzähler mit dem Rosenstrauch, um den die weitere Handlung aufgebaut ist. Gegen Ende des Romans wird in dem von Genius verlesenen Brief der Natur dieser Narziß-Quelle ein dunklerer Text unterlegt, der auf den trügerischen Schein der Quelle ohne Eigenwasser und der Edelsteine ohne eigene Leuchtkraft abzielt. Das Gegenbild ist die wahre Paradiesesquelle, deren Beschreibung (20479) mit den Worten beginnt: »Niemals sahen wir eine solche Quelle, denn sie quillt aus sich selbst hervor« (N'onc tel fontaine ne veïsmes, / Car ele sourt de sei meïsmes). Das Kraftzentrum dieser Quelle ist der göttliche Karfunkel, der rund ist und zugleich drei Ecken hat (20530), er leuchtet heller als die Sonne. Er ist der absolute Ruhepunkt gegenüber allem Wechsel der Welt. Die Besonderheit dieser visio Dei auf dem Grund der Paradiesesquelle konstituiert freilich Jean de Meun erst durch die Uberlagerung der Gottesschau durch den Blick in die Quelle als einen Spiegel der Weisheit: Si ra si merveilleus poeir Que cil qui la le vont voeir, Si tost con cele part se virent E leur faces en l'eve mirent, Toujourz, de quelque part qu'il seient, Toutes les choses dou parc veient, E les quenoissent proprement, E aus meïsmes ensement; E puis que la se sont veü, Jamais ne seront deceü De nule chose qui puisse estre, Tant i devienent sage maistre. (20567-20578) 24 24 Ubers. Karl August O t t : » U n d er hat des weiteren eine so wunderbare Kraft, / daß diejenigen, die ihn dort betrachten gehen, / sobald sie sich in seine Richtung wenden / und ihr Gesicht in dem Wasser spiegeln, / beständig, an welchem O r t sie auch seien, / alle Dinge in dem Park sehen / und sie richtig erkennen / und auch sich selbst in gleicher Weise; / und nachdem sie sich dort gesehen haben, / werden sie niemals mehr / durch irgendetwas getäuscht, / so kluge Meister werden sie dort.«

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In diesem Spiegel sind also die Gesamtsicht auf das Paradies und die Erkenntnis der Dinge und des Selbst verbürgt. Literaturgeschichtlich markiert diese Darstellung der Gottesschau auf der einen Seite und des vollkommenen Weisheitsspiegels auf der anderen Seite den wenig später von Dante vollzogenen Sprung auf eine völlig neue Ebene der Darstellung. Dante nähert in den letzten dreißig Versen der Divina Commedia die Selbsterkenntnis und die Gotteserkenntnis in einer simultanen, dynamisch aufgeladenen Darstellung einander an: dort erscheint das Ebenbild in dem triadischen göttlichen Lichtkreis als Transformation einer geometrischen Figur in ein Bildnis oder als der Prozeß der Genese des einen aus dem anderen bei simultaner Präsenz beider. Gleichwohl liegt die Darstellung des Rosenromans fraglos auf Dantes Weg des »veder voleva come si convenne / l'imago al cerchio, e come vi s'indova«.25 Innerhalb des Rosenromans gibt es nun zu dieser Verwendung des Spiegelmotivs im Bereich der menschlichen Erkenntnis, die letztlich an die visto Dei gekoppelt ist, eine Analogie auf der Ebene des göttlichen Wissens. Der Spiegel wird dort als Inbild der göttlichen, ganzheitlichen Perspektive verwendet, in der das göttliche Vorherwissen mit der Konstitution der Ebenbildlichkeitsrelation im Spiegel zusammenfallen. Damit erscheint der Spiegel als Medium der ersten Differenz, die den gesamten Schöpfungsprozeß auslöst. E de toujourz l'a il veüe Par demontrance veritable A son miroer pardurable, Que nus, fors lui, ne set polir, Senz riens a franc vouleir tolir. Cil miroers c'est il meïsmes, De cui comencement preïsmes. [...] C'est la predestinación, C'est la prescience devine, Qui tout set e riens ne devine; [...] (17466-17486)26 Im Hinblick auf Miltons Similisierungsverfahren, ist dies die poetische Verbildlichung der ersten Similitudo-Relation im göttlichen Weisheitsspiegel, die den gesamten Schöpfungsprozeß lostritt. Die Ebenbildlichkeit, das göttliche Vorherwissen, Anfang und Ende fallen im Spiegel Gottes in eins. Die ins Unendliche laufende Kette der poetisch durchlaufenen similisierenden Spiegelungen nimmt hier ihren Anfang. Das Bild zeigt zu25 Dante, Paradiso, X X X I I I , 137-138. 26 Übers. Ott: » [ . . . ] / und seit immer hat er es / durch wahrhaftige Erscheinung / in seinem ewigen Spiegel gesehen, / dem niemand außer ihm Glanz geben kann, / ohne jedoch den freien Willen irgendwie zu beeinträchtigen. / Jener Spiegel, das ist derselbe, / von dem wir den Anfang nahmen. / [ . . . ] / Das ist jene Vorherbestimmung, / das ist die göttliche Vorhersehung, / die alles weiß und nichts erraten muß, / [...].«

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gleich, wie nah dieser Prozeß an Gott entlang läuft: er ist das Durchlaufen der Differenz eines Spiegelbildes. Mit Benjamins Ubersetzungsbild gesagt, ist dieser Prozeß die Tangente der unendlichen Annäherung der Schrift und vielleicht der Geschichte an den Kreis Gottes. Bei Milton sehe ich die im ersten Kapitel beschriebene Urszene dieser Differenz in der Sohn-Vater-Similitudo-Relation noch minimiert in dem Großbild im Zentrum des Gedichtes, wo die eine Gottesvision die jeweils andere hervorspiegelt und in der Spiegel-, achse dazwischen alles auf einmal sichtbar wird. Milton könnte aus dem Rosenroman auch die Anregung bezogen haben, den Wissenschaftsdiskurs seiner Zeit poetisch umzusetzen. Bei Jean de Meun ist es gerade die Faszination des Spiegels mit seinen unendlich variantenreichen Möglichkeiten, die ihn veranlassen, die Erfindungen und Spekulationen der Optik und Perspektivlehre seiner Zeit wiederzugeben. Uberraschend daran ist, daß darin das Fernrohr und das Mikroskop antizipiert werden, also hier Dinge bereits literarisch verarbeitet werden, die zur Zeit Miltons gewissermaßen die Höhe der Wissenschaft ausmachen. Hinzu kommt, daß Jean de Meun die im arabischen Schrifttum beschriebenen Perspektivexperimente - beispielsweise mit Zerrspiegeln - nicht nur literarisch inkorporiert, sondern auch zu Reflexionen über die ontologische Problematik der darin erscheinenden Bilder ausnutzt und von dort aus regelrecht zu Formen der Erweiterung von Wirklichkeit durch illusionistische Räume und Figurenkompositionen in den Spiegeln gelangt. Genau dies faszinierte Miltons Zeitgenossen. Die Publikationen Kirchers und seine katoptrischen Museen, in denen man zum Beispiel die Metamorphosenlehre in der brunesk erweiterten Ovidtradition mitsamt der Monsterkunde der Renaissance am eigenen Leibe ausprobieren konnte (Abb. 1), stehen exemplarisch für diese Faszination mit der Multiperspektivik. Milton hat also im Rosenroman die gesamte Bandbreite der literarischen Transformationen des Spiegelattributes - vom göttlichen Weisheitsspiegel bis zur Konvergenz von Spiegel und Traum (wie er sie an Eva durchspielt), von der Similitudo-Relation bis zum Spiegel als Fernglas - literarisch vorgeprägt vorgefunden.27 Gerade der letzte Punkt, die poetische Projektion der technischen Möglichkeiten der Fernsicht in Form der astronomischen Durchmessung des Raumes auf die Ebene des Vorherwissens und der - alle Ursachen und Wirkungen umfassenden - Gesamtsicht Gottes 28 mit den sich dabei erge27 Im Rosenroman (18044 ff.) wird der Spiegel, wie er in der Optik des ägyptischen Physikers Alhazen (Ibn al-Haitham) verwendet wird, in Antizipation sowohl des Mikroskopes als auch des Fernrohres diskutiert: »Lors pourra les causes trouver, / E les forces des miroers, / Qui tant ont merveilleus poers / Q u e toutes chose très petites, / Letres grailles, très loing escrites, / E poudres de sablón menues, / Si granz, si grosses sont veiies, / E si près mises aus miranz, / [ . . . ] « (18044-18051). Hier und in den gegebenen Beispielen (sie beginnen mit der Spekulation, wie Mars und Venus es hätten anstellen müssen, um unentdeckt zu bleiben) zeichnet sich so etwas ab wie die Rekonstitution einer - alle Ursachen und Wirkungen umfassenden - Gesamtsicht, die letztlich auf die optische Wiedereinholung des göttlichen Vorherwissens hinausliefe. 18153 ff. diskutiert Jean de Meun andere Formen der Erweiterung von Wirklichkeit, beispielsweise die illusionistischen Erweiterungen der Wirklichkeit durch Zerrspiegel (18173 ff.) zusammen mit der ontologischen Problematik der so erzeugten Formen: » O u teus ydoles ont leur estre: / O u es miroers ou defores« (18260 f.). 28 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die von Roger Bacon dargestellte Relation zwischen der gött-

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Die dialektische

Präsenz

der

Urania

benden kategorialen Divergenzen und Dissimilisierungen, kann bei Milton in direkter Aufnahme der Tradition des Rosenromans gelesen werden.

Raison Es kommt jedoch noch ein anderer Aspekt Punkt hinzu, in dem all dies noch einmal figürlich gebunden wird, um von dort gleichsam direkt in die Gestalt Uranias überzugehen. In der literarischen Tradition gibt es nur ganz wenige Frauengestalten, denen eine Führungsrolle zugebilligt wird. In Piatos Symposion ist es Diotima, die über die Mittlerrolle des Eros zwischen Gott und Mensch belehrt und die beispielsweise in Ficions Widmungsbrief zu seinem Symposion-Y^ommentar zu einer dantesken Beatrice-Figur ausgeformt wird. Gegen den Hintergrund der »mühseligen Liebesfahrt« (faticoso viaggio di amore) und des »Irregehen in diesem finsteren Walde« (lo sviarsi per questa selva oscura) hebt sich die Figur der Diotima ab, der das »heilbringende Manna« (Salutifera Manna) einst vom Himmel herabgesandt ward, die der »heilige Geist der göttlichen Liebe« begeistert habe (Il santo spirito, Amore divino, il quai spiro Diotima ...)P Bei Vergil ist es die cumäische Sibylle, die Aeneas den Weg durch die Hölle weist, woran Milton erinnert, wenn es in der Lichtinvokation nach den zwei Höllenbüchern heißt: »Taught by the heavenly Muse to venture down / The dark descent, and up to reascend, / Though hard and rare« (3.19-21). Bei Apuleius nimmt die Göttin Isis den in einen Esel verwandelten Lucius in ihren Schutz, so daß er nicht nur seine menschliche Gestalt zurück erhält, sondern gleichzeitig als Priester in das Mysterium der Isis eingeführt wird. Boethius tritt die Gestalt der Philosophia gegenüber, und bei Dante ist es Beatrice, die wie ein vergessenes Traumbild aus dem Thronwagen steigt und wie ein zu Gott aufsteigender Spiegel der Ebenbildlichkeit Dante durch das himmlische Paradies geleitet. Im Rosenroman schließlich ist es die Gestalt der Raison, die eine solche Führungsrolle übernimmt. Sie ist eine Weisheitsfigur, dargestellt ohne Spiegelattribut, das jedoch - wie wir gesehen haben - über den Text ausgestreut liegt. Sie fungiert als Lehrmeisterin des Ich-Erzählers und zugleich als das Figur gewordene dichterische Reflexionsmedium auf Sagbarkeit und Unsagbarkeit und damit gewissermaßen als Korrektiv gegen das Vexieren des Romans zwischen höfischer Parodie auf den Unsagbarkeitstopos und Parodie auf den höfischen Unsagbarkeitstopos. Die Folie dafür ist ihre Version der Kastration des Saturn durch Jupiter: Joustice, qui jadis regnot, Ou tens que Saturnus regne ot, lichen Gnade und der Lichtsymbolik und überhaupt den mittelalterlichen Zusammenhang von Optik und Theologie; hierzu Lindbergs Einleitung, S. 19, in: Pecham, Perspectiva Communis, hg. von David C. Lindberg. Bei Pecham findet sich natürlich auch ein Kompendium der zeitgenössisch als Gemeingut anzusehenden Spiegellehre, deren wichtigste Quelle der auch im Rosenroman angeführte Alhazen (Ibn al-Haitham) ist. 29 Ficino, Über die Liebe oder Piatons Gastmahl, hg. E R. Blum, S. 6 ff.

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C u i J u p i t e r c o p a les coilles, Ses fiz, c o n se fussent andoilles, ( M o u t o t ci d u r fill e a m e r ) , P u i s les gita d e d e n z la mer, D o n Venus la deesse issi, [...] Raison

(5535-5541)30 t r i t t auf d e n Plan, als d e n I c h - E r z ä h l e r die S e h n s u c h t n a c h der R o s e n a h e z u z e r -

reißt: L o r s est de sa t o r devalee, Si est t o t d r o i t a m o i venue. E l ne fu j e u n e ne chenue, N e fu t r o p h a u t e ne t r o p basse, N e fu t r o p graille ne t r o p grasse, L i ueil qi en s o n chief estoient C o n deus estoiles reluisoient; Si o t o u chief u n e c o r o n e : Bien resembloit haute persone. A s o n s e m b l a n t e a s o n vis P e r t qu'el f u faite en parevis, C a r N a t u r e n e seüst pas U e v r e faire de tel c o m p a s . Sachiez, se la lettre ne m e n t , Q u e D e u s la fist d e m a i n e m e n t , A sa s e m b l a n c e e a s'image, E li d o n a tel avantage Q u ' e l e a p o o i r e seignorie D e garder o m e de folie, P o r quoi il soit teus qu'il la croie. (2976-2995)31

30 Übers. Ott: »Gerechtigkeit, die früher regierte, / zu der Zeit, als Saturn die Herrschaft hatte, / dem Jupiter, sein Sohn, die Hoden abschnitt, / wie wenn es Wurstzipfel wären / (ein harter und grausamer Sohn war das), / und der sie dann ins Meer warf, / woraus die Göttin Venus hervorging, [...].« 5697 ff. trägt der Ich-Erzähler die Kritik an ihrem verbal unhöfischen Verhalten vor, ohne bereits den Verstoß explizit zu benennen, was dann 6928 ff. folgt: »Si ne vous tieng pas a courtoise / Quant ci m'avez coilles nomees, / Qui ne sont pas bien renomees, / En bouche a courteise pucele; / Vous, qui tant estes sage e bele, / Ne sai con nomer les osastes, / Au meins quant le mot ne glosastes / Par quelque courteise parole, / Si com preudefame en parole.« 31 Ubers. Ott: »Da ist sie von ihrem Turm heruntergestiegen /und geradenwegs zu mir gekommen./ Sie war nicht jung und nicht ergraut, / weder zu groß, noch zu klein, / nicht zu mager und nicht zu dick, / die Augen in ihrem Antlitz / glänzten wie zwei Sterne; / und auf dem Haupt trug sie eine Krone: / Sehr wohl schien sie eine hochgestellte Person zu sein. / Ihrem Aussehen und ihrem Gesicht nach / scheint es, daß sie im Paradies geschaffen wurde, / denn die Natur hätte ein Werk / von solcher Regelmäßigkeit nicht schaffen können. / Wisset, wenn die Schrift nicht trügt, / daß Gott sie selbst nach seinem /

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Als Weisheitsgestalt, die auf der Erde wirkt, ist sie von ambivalenter Genealogie. Sie soll im Paradies geschaffen worden sein (2986-2988); besonders hervorgehoben wird ihre Ab- und Ebenbildlichkeit mit Gott (2989-2991). Raison selbst spricht 6959 den Schöpfergott als Vater an {mes peres)02. Wichtiger als diese Hervorhebungen hinsichtlich ihres Ursprungs, die sie zunächst nicht als ein himmlisches, sondern eher als ein dem paradiesischen Ideal entsprechendes Geschöpf auszeichnen, ist ihre sich in der Auseinandersetzung über die Rede von Saturns Hoden herauskristallisierende Funktion im Schöpfungs- und Benennungsakt. In der ersten Auseinandersetzung über ihre unhöfische Sprache antizipiert der IchErzähler - ohne sich freilich dessen bewußt zu sein - das später von Raison selbst im Kontext von ursprünglicher Schöpfung und Paradiesessprache angeführte Moment der Vorgeschöpftheit der Wörter. Gegenüber dem höfischen Schein zeichnet sich gewissermaßen die Legitimität der Wörter durch ihre Aufgehobenheit in der Sprache des Namens ab. Diesen Aspekt einer Sprache jenseits der höfischen Konventionen, in der alle Dinge ihren Namen gemäß ihrer Funktion innerhalb des göttlichen Schöpfungsplanes hätten, entfaltet die lange Widerrede der Raison 6943 ff.: Sie könne die Dinge, bis hin zum Bösen, sehr wohl bei ihrem Namen nennen. Raison bezieht die Aussprechbarkeit der Namen auf den göttlichen Ursprung der Dinge: N'encor ne faz je pas pechié Se je nome les nobles choses Par plain texte, senz metre gloses, Que mes peres en paradis Fist des ses propres mains jadis [...] (6956-6960) 3 3 Mit göttlicher Befugnis sei Raison daran gewöhnt, die Dinge bei ihrem eigentlichen Namen zu nennen - ohne Umschreibungen zu machen: Par son gré sui je coustumiere De paler proprement des choses Quant il me plaist, senz metre gloses. (7078-7080) Dieses paler proprement des choses bezieht sich nun zwar auf den paradiesischen Akt, alle Dinge zu benennen, behauptet dabei jedoch nicht, göttliche Namen für die Dinge zu Gleichnis und Abbild schuf / und ihr den Vorzug verlieh, / daß sie Macht und Gewalt besitzt, / den Menschen vor Torheit zu bewahren, / falls er so beschaffen ist, daß er ihr vertraut.« 32 Vgl. auch 7072 ff. 33 Hier schließt sich die Lobesrede auf die Funktionalität der Hoden im Gang der Welt zur Fortpflanzung der Arten an. Raisons längere Entgegnung auf des Ich-Erzählers Beschimpfung, sie sei eine »törichte Dirne« (fole ribaude) zeigt deutlich, daß die Sagbarkeit im Sinne der Vernunftgestalt gebunden ist an das Kriterium der Wahrheit (oder, Benjaminisch gewendet, an den Namen). Die wahre Sprache schließt die gemeine Schmähung aus. Dinge zu sagen, die zu verschweigen seien, sei eine allzu große Teufelei (7035 f.). Nach Ptolemäus sei einzig in der Rede von Gott die Zunge nicht zu zügeln (7037 ff.).

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repräsentieren. Im Grunde insistiert Raison auf der im biblischen Schöpfungsbericht als Aufgabe Adams dargetanen Namensgebung. Hier, in der allegorischen Dichtung des Rosenromans, in der die Vernunft selbst spricht, sind diese Namen die den Dingen von der Vernunft gegebenen Namen: Aneéis m'oposes Que, tout ait Deus faites les choses, Au meins ne fist il pas le non, Ci te respon: espeir, que non, Au meins celui qu'eles ont ores; Si les potil bien nomer lores Quant il prumierement cria Tou.t le monde e quanqu'il i a; Mais il vost que nons leur trouvasse A mon plaisir e les nomasse Proprement e comunement, Pour creistre nostre entendement; E la parole me dona, Ou mout très precieus don a. [...] Se je, quant mis les nons aus choses Que si reprendre e blasmer oses, Coilles reliques apelasse E reliques coilles clamasse, Tu, qui si m'en morz e depiques, Me redeïsses de reliques Que ce fust laiz moz e vilains. (7083-7096 und 7109-7115)34 Die Vernunftgestalt hält die Namen für die genauen, treffenden Bezeichnungen der Werke Gottes (nomer / Proprement les euvres mon pere; 7124 f.). Lediglich die mangelnde Gewohnheit, die Dinge genau zu benennen und damit bei ihrem Namen zu nennen, halte die französischen Frauen davon ab, die Hoden Hoden zu nennen. Am Ende des Rosenromans wird gleichsam die Potenz solcher uneigentlichen Benennungen auf die Spitze getrieben: Mit Pilgerstab und Pilgersack nähert sich dort der träumende Ich-Er34 Übers. Ott: »Vielmehr, mir entgegnest, / daß Gott, wenn er auch alle Dinge geschaffen hat, / doch die Namen nicht gemacht hat, / so antworte ich Dir: vielleicht nicht, / zumindest jene nicht, die sie jetzt haben; / E r konnte sie sehr wohl benennen, damals / als er am Anfang die ganze Welt / schuf und alles, was es in ihr gibt; / doch wollte er, daß ich die Namen für sie fände / nach meinem Gutdünken und sie genau / und allgemein bezeichnete, / um unsere Einsicht wachsen zu lassen; / und er schenkte mir die Rede, / in der ein sehr wertvolles Geschenk liegt. [ . . . ] Wenn ich, als ich den Dingen ihre Namen gab, / die Du so sehr zu beanstanden und tadeln wagst, / die Hoden als Reliquien bezeichnet / und die Reliquien Hoden genannt hätte, / dann würdest Du, der Du mich deshalb so sehr angreifst und stichelst / mir von den Reliquien / ebenso sagen, das sei ein häßliches und gemeines Wort.«

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zähler der Schießscharte zwischen den beiden Pfeilern, die eine unvergleichlich schöne Statue trägt.35 Als kritisches Substrat kristallisiert sich so etwas wie das Dilemma der höfischen Sprache und Kultur heraus: Das Ansinnen, die Dinge in einer höfischen Sprache zu umschreiben, die eigentlichen Namen der Dinge zu umgehen, ist im Grunde nichts anderes als ein Zeichen für die Verdrängung der Dinge selbst. Nicht die - im Sinne des Ich-Erzählers - vorgeblich häßlichen Namen, sondern die »häßlichen« und von daher vermeintlich unaussprechbaren Dinge stehen zur Disposition. Diese Art einer vom Dichter als Kritik an der zeitgenössischen höfischen Dekadenz verstandenen Sprachkritik führt im Mund der Vernunftgestalt zur Besinnung auf die Paradiesessprache. Verstanden wird dies auch als eine Rekonstruktion der eigentlichen Namen und Wörter in einem historischen Kontext der allegorischen Uberladung der Dichtung.36 Die besondere Führungsrolle der Raison besteht dabei darin, daß sie als weisheitliche Benennerin der Dinge eine weibliche Aneignung der Rolle Adams bei der Namengebung erreicht. In ihrer sprachkritischen Funktion unterläuft sie die, parallel dazu auch vom Realismus des Romans unterlaufenen, höfischen Klischees und Konventionen, die die Handlung weitgehend bestimmen. Sie eröffnet damit so etwas wie die Möglichkeit einer Gegenlektüre des Romans und lenkt dadurch auf die Dinge hinter den Namen, also auf die wahren Namen der Dinge. Dies ist auch als Gegenbewegung der Sprache gegen die höfische Allegorie zu verstehen. Milton scheint mir dieses in Raison figürlich gebundene Sagbarmachen des Unsagbaren, wenn auch in einem ganz anderen historischen und thematischen Kontext, auf die Führerinnengestalt Urania zu applizieren, die ja durch ihren bedeutungsvexierenden Namen als Figur einer beständigen Irritation das biblische Thema des Gedichtes kontinuierlich unterläuft. Gerade im puritanischen Kontext, in dem Miltons Gedicht zunächst und bis heute gelesen wird, kann Urania gewissermaßen als das Einfallstor für Gegenlektüren in ganz verschiedene Richtungen angesehen werden. Die Intention auf die Sprache, die durch die Divergenz von Namen und Bedeutung der Urania an herausgehobenem Platz angezeigt wird, ist eine dieser Gegenlektüren, die die Rolle der Raison als Führerin fortschreibt.

35 21346 ff. Für die Verfahrensweise des epischen Vergleichs höchst bedeutsam ist der zur digressiven Narration ausgestaltete Vergleich der silbernen Statue mit der des Bildhauers Pygmalion, der von Venus die Verlebendigung der von ihm selbst in Elfenbein geschnitzten Frauenstaue erbittet und erreicht (20798 ff.). 36 Auf der Metaebene dieser Sprachkritik kann dann freilich die Gestalt der Raison die eigene mythologische Rede von der Kastration des Saturn durch Jupiter noch einmal allegorisch wenden. Dieses Stück allegorischer Hermeneutik beginnt: »Si dist l'en bien en noz escoles / Maintes choses par paraboles / Qui mout sont beles a entendre; / Si ne deit l'en mie tout prendre / A la letre quanque l'en ot« (7153-7157). Auch die eigene Rede von den Hoden habe einen anderen Sinn (autre son) gehabt. Raison bindet den Sinn ihrer mythologischen Geschichte an die allegorische Mythendeutung der Dichter. Die allegorisch verhüllte Wahrheit wird im Rosenroman mehrfach thematisiert: zunächst 2060 ff.; aufgegriffen ab 19491, wo Genius den Brief der Natur zu verlesen beginnt; Höhepunkte sind schließlich das Christus-Lamm im Park (20253) und der Vergleich des schönen, runden Parks mit dem viereckigen Garten (20267 ff.), der einem Vergleich zwischen Wahrheit und Märchen gleichkomme.

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Beatrice Die Autorin des Standardwerkes zu Dante und Milton, Irene Samuel37, macht im Schlußwort ihres Buches auf das Fehlen einer vergleichenden Untersuchung zur Similisierungsstruktur beider Werke aufmerksam38 und spricht damit unbewußt das entscheidende Defizit ihrer eigenen Studie an: das parallel reading der beiden Gedichte fördert eine große Anzahl situativer, figürlicher und Wortwahlechos zu Tage, bleibt dabei jedoch vor den entscheidenden Fragen nach der Darstellungsproblematik und ihrer poetischen Bewältigung stehen. Dabei zeigt sich bei Stichproben, wie der im ersten Kapitel vorgeschlagenen, wie genau Milton Dante gelesen und ganz bewußt Bildkomplexe zusammen mit den ihnen unterliegenden (Dis-)Similisierungsverfahren übernommen und erweitert hat. Im vorliegenden Kontext muß ich mich auf einige Aspekte der Beatrice als Spiegelfigur beschränken und will anzudeuten versuchen, in welcher Weise Dantes dichtungstheoretische Prosaschrift Convivio die Gestaltung der Urania beeinflußt haben kann. Eine der Schwierigkeiten besteht dabei in der Allgegenwart des neuplatonischen Liebeskonzepts in der englischen Renaissance auch des 17. Jahrhunderts. Die höfischen Maskenspiele belegen dies. Im letzten Kapitel ist ja angedeutet worden, daß sich in der Beziehung zwischen Satan und Sünde so etwas wie eine Parodie der neuplatonischen Liebe abzeichnet. Die komplementär-oppositionalen Figurenkonstellationen des Gedichtes legten es nun nahe, auch in der Figur der Urania nach Anhaltspunkten einer neuplatonischen >Matrix der Aneignung< (Luce Irigaray)39 zu suchen. Ein direkter Einstieg scheint sich jedoch in der poetischen Gestaltung der Figur nicht zu bieten, da Urania als ein Objekt des Blickes nicht greifbar ist - es sei denn, man ginge beispielsweise von einem unmittelbaren Sprung auf die Ebene des Picoschen Angelic Mind aus.40 Andererseits 37 Dante and Milton. The Commedia and Paradise Lost. 38 Ibid., S. 272 f. 39 Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts, S. 192. Der Kontext, in dem Irigaray die Wendung gebraucht, führt thematisch unmittelbar in den Urania-Komplex. Der Abschnitt ist überschrieben mit >Koré: jungfräuliches Mädchen - Pupille des AugesStrömens< der Stimme, in der sich die Bilder der Urteile reflektieren.« Und wie im Hinblick auf das dichterische Subjekt formuliert, heißt es S. 192: »Der Mann hat also hier noch nicht die Fülle des >Seins< in sich, vielmehr werden ein ganzes theoretisches - geometrisches, mathematisches diskursives, dialogisches usw. - Instrumentarium, eine ganze philosophische Technik und sogar eine künstlerische Praxis aufgewendet, um ihm daraus eine Matrix der Aneignung herzustellen. Und das, was er bereits als >natürlich< bezeichnet, als zu »natürliche wird trans-formiert - zer-rissen, zer-spalten - durch seine Spekulation.« 40 Vgl. Picos Benivieni-Kommentar: In ihrem Höhepunkt beschreibt Pico die Transformation des Angelic Mind von der die göttlichen Ideen Liebenden in die mit den göttlichen Ideen erfüllten Geliebten. Kommentar S. 144 zu Gedicht S. 174 (Übers. Sears Jayne): Thus the light of the Ideas descending into the Angelic Mind first illuminates it, but not perfectly Then from that light there arises in the Angelic Mind the heat of a burning desire, an inextinguishable thirst to satisfy itself at the source of the said light. [...] That desire, that is, this love, transforms her from a lover into the beloved.

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freilich kann Milton gewissermaßen hinter die neuplatonische Liebeslehre der Renaissance auf Dantes theoretische Explikation des Zusammenhangs von den Stufen der Liebe und der Sagbarkeit des Unsagbaren im Convivio zurückgegriffen haben. Zugleich hat sich ihm Dantes poetische Matrix der Aneignung in Gestalt der Beatrice zur Stiftung eines literarischen Traditionszusammenhangs im Hinblick auf weibliche Figuren in einer Führungsrolle angeboten. In bezug auf Urania ist an Beatrice wie an der weisheitlichen Geliebten der Gedichte, die im Convivio - erstmals als weltliche Dichtung und noch dazu als volkssprachliche - den Interpretationsprinzipien des mehrfachen Schriftsinns unterzogen werden, wesentlich, daß sie als Figuren nach und nach in ihrem Attribut des Spiegels aufgehen. Als Spiegel Gottes, wie er biblisch im Salomonischen Sapientia-Buch beschrieben wird (7,26), strahlt ihr Lichtglanz so intensiv, daß die Sicht genauso wie der Intellekt geblendet werden (abbaglia).41 Im Convivio führt Dante dies zur Erörterung der Darstellbarkeit der Transzendenz (saperchianza), die als eine der theoretischen Fundierungen des Similisierungsverfahrens beider Dichter gelesen werden kann. In der Divina Commedia führt dies beim Aufstieg durch die Himmel zu der auch für Milton ikonoklastisch lesbaren Dialektik von der Blindheit und einer jeweils gesteigerten Sehkraft als einem Sehen in der Transzendenz. Das Dantesche Dichter-Ich durchläuft dabei einen permanenten Wandlungsprozeß. Eingeleitet wird er mit der Verwandlung des Glaukos im ersten Paradiso-Gesang, deren poetische Gestaltung ein Beispiel für Dantes Aneignung nicht nur einer mythologischen Figur, sondern des dahinter stehenden Wandlungsprinzips selbst ist: Nel suo aspetto tal dentro mi fei, quai si fe' Glauco nel gustar dell'erba che il fe' consorto in mar degli altri dei. Trasumanar significar per verba non si porìa; però l'esemplo basti a cui esperienza grazia serba. (Pd. I, 67-72) Die in die mythologische Geschichte des Glaukos übersetzte Erfahrung des Ich-Erzählers in der Wiederbegegnung mit Beatrice 42 , also in einem dramatisch gestalteten Moment an der Schwelle zu einem kategorial neuen Erfahrungsbereich, zeigt exemplarisch eine Funktion der Beatrice-Gestalt als Medium der Verwandlung, ja geradezu als Verwandlungsmaschine. Dante benutzt hier nicht nur die Figur des Glaukos zur Demonstration des durch Wandel von innen heraus erreichten Sprungs auf eine andere Ebene, sondern er gewinnt darüber hinaus der Sprache ein Produkt des Wandlungsprozesses ab: 41 In Enciclopedia dantesca, Bd. 1, S. 9, >abbagliareanything< inasmuch as he sees and distinguishes the other things, as said above, since he sees himself as the cause of them all. O h most noble and most excellent heart which is enamoured of the spouse of the Emperor of heaven, and not only spouse, but sister and most beloved daughter.« 54 Ubers. Wicksteed, S. 204 f.: » [ . . . ] philosophy is a loving exercise of wisdom and this exists supremely in God, since in him is the highest wisdom, und the highest love and the highest actuality, which may not be elsewhere save in so far as it proceeds from him.«

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der göttlichen Ebenbildlichkeit, d. h., daß der Dichter in der Spiegelfigur Uranias zunächst in steter Uberblendung das eigene und das Antlitz Gottes schaut. Diesen spiegel- und ebenbildlichen Transformationsprozeß bezeichnet Dante nach einigen Lesarten55 als recreatione / creatione, wenn auch in der hier benutzten Edition von »la qualitade de la redazione« (III.xiv.3) die Rede ist. Die lichtmetaphorische Übertragung der göttlichen Stärke geschehe im Fall der angelinischen Wesen (»le Intelligenze«) direkt, bei den übrigen Wesen mittels des durch diese reflektierten Lichtes (»ne l'altre si ripercuote da queste Intelligenze prima illuminate«; III.xiv.4). Auf diese Weise also gelangt die göttliche Kraft in Gestalt des angelinischen Wesens der Philosophie auf den Menschen: »E però è manifesto che la divina virtù, a guisa [che in] angelo, in questo amore ne li uomini discende« (III.xiv.9). Auf diesem allegorischen Niveau greift Dante noch einmal auf, was er im siebten Kapitel interpretiert hat: »Ché il suo parlare, per l'altezza e per la dolcezza sua, genera ne la mente di chi l'ode uno pensiero d'amore, lo quale io chiamo spirito celestiale, però che là su è lo principio e di là su viene la sua sentenza« (III.vii.12).56 Hier nun verschiebt sich die Interpretation zu dem wichtigen Punkt der Erzeugung des spirito celestiale: » Quivi dov 'ella parla, si dichina [un spirito da ciel... ], cioè, dove la filosofia è in atto, si dichina un celestial pensiero, nel quale si ragiona questa essere più che umana operazione [...]« (III.xiv.ll) 57 Der Liebesgedanke, den Dante als »himmlische Eingebung« (man könnte natürlich im Hinblick auf Milton auch mit »Hauch« übersetzen) bezeichnet, wird in der ersten Interpretation - analog der Erzeugung des internalisierten Eros von den Worten der Gestalt im Geist des Dichters erzeugt. Im zweiten Fall verzichtet Dante auf diese Zeugungsmetaphorik. Der celestial pensiero erscheint hier unmittelbar. Die leichte Verschiebung, die bei Dante den Sprung vom Liebesdiskurs zum Weisheitsdiskurs indiziert (was freilich zwei Seiten desselben Prozesses sind), scheint mir im Hinblick auf die beiden Varianten in der Inspirationsszene in Miltons neuntem Buch lesbar: If answerable style I can obtain Of my celestial patroness, who deigns Her nightly visitation unimplored, And dictates to me slumbering, or inspires Easy my unpremeditated verse. (9.20-24) Dantes erste Interpretation ist die oberste Schicht des bereits angeführten Bildes des im inneren Diktat begriffenen Eros. Hier ist die Liebesgestalt zugleich draußen und drinnen: Sie spricht draußen und zeugt innen den Liebesgedanken, der - in Ergänzung des 55 Vgl. die Annotation S. 454 zu III.xiv.3. 56 Übers. Wicksteed, S. 176: »For her speech, by its loftiness and by its sweetness, begets in the mind of him who hears it a thought of love (which I call a celestial spirit, because its origin is from above, and from above cometh her teaching [...]).« 57 Übers. Wicksteed, S. 213: »Where she speaketh there cometh down, that is to say, where philosophy is in act a >celestial thought< comes down, which argues that she is a more than human activity«

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einen Bildes durch das andere - zur innen sprechenden Liebe aufwächst. Dante kann nicht zufällig an dieser Stelle den Ausdruck spirito celestiale (im Gedicht heißt es un spirito da ciel) erklärend hinzugesetzt haben. Er beinhaltet die drei Aspekte des Ubergangs von der Gestalt draußen zum Eros im Inneren: den Atemhauch der himmlischen Gestalt, der gleichzeitig der in der Gestalt von der Transzendenz in die Immanenz wechselnde Idee-Entwurf des Gedankens ist, dann zweitens den erzeugten Liebesgedanken im vernehmenden Subjekt und schließlich die Geistgestalt Eros im Inneren. Miltons erste Variante nimmt dieses changierende Bild der zugleich draußen und drinnen wirkenden Liebesgestalt - vielleicht unter dem Eindruck von Brunos faszinierender Vorstellung des beständigen Kippens der Transzendenz in die Immanenz - auf und unterlegt ihm gleichzeitig das in sich stabile Bild des Danteschen scriba amoris. Dantes zweite Interpretation sieht von einer Vermittlung des celestial pensiero ab; hier geht der himmlische Gedanke unmittelbar in den irdischen über - wie in Miltons unpremeditated verse. Die inspirierende Gestalt vermittelt sich dabei nicht nach innen. Milton kann in der analogen zweiten Variante freilich nicht umhin, spirito herüberzuziehen, um die Möglichkeit zu suggerieren, daß der gesamte Inspirationsvorgang in einem kaum wahrnehmbaren Atemhauch besteht. Den Höhepunkt des Convivio, was die Problematisierung poetischer Darstellbarkeit anbelangt, erreicht Dante freilich erst im Wechsel des Mediums, vom Auditiven zum Visuellen. Diese Erörterung läuft auf das Bild der Salomonischen Weisheitsfigur als Spiegel Gottes zu, der genauso unschaubar wie undarstellbar ist. Dante bewegt sich damit unmittelbar in der Thematik nicht nur der Bilder, sondern auch der dichterischen Selbstreflexion auf die Unsagbarkeit des Paradiso. Den ersten Schritt bildet dabei die dem Visuellen im Unterschied zur unmittelbaren Präsenz von Pneuma und Stimme eigene Dialektik von Präsenz und Absenz, Verhüllen und Offenbaren. Dante sieht gerade in dem verborgenen Rest eines Abwesenden, in der nie auszuschließenden Differenz, das treibende Moment der Weisheitsliebe: »dove è da sapere che lo sguardo di questa donna fu a noi così largamente ordinato, non pur per la faccia, che ella ne dimostra, vedere, ma per le cose che ne tiene celate desiderare ad acquistare« (III.xiv.13).58 Daß das offene, sichtbare Gesicht gerade das Verlangen nach dem verborgen gehaltenen Körper weckt, das visuell Anwesende also gerade auf das trotzdem verhüllt und dem Auge abwesend Bleibende aufmerksam macht, bildet den Hauptunterschied zur Anwesenheit des Stimmhauchs. Diese Differenz zwischen der Geheimnisenthüllung durch das weisheitliche Antlitz und das am Gesamtkörper Verborgene ist nun hier wie in der Beatrice-Figur in das Antlitz selbst verlegt als Differenz zwischen der unverschleierten Offenbarung der Augen und der unter einem Schleier verdeckten Allusion im Lächeln der Philosophia. »E qui si conviene sapere che li occhi de la Sapienza sono le sue demonstrazioni, con le quali si vede la veritade certissimamente; e lo suo riso sono le sue persuasioni, ne le quali si dimostra la

58 Ubers. Wicksteed, S. 214: » [ . . . ] where it be known that the power to look upon this lady was granted to us in such ample measure, not only in order that we might see the countenance which she reveals to us, but that we may long to aquire the things which she keeps concealed«.

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luce interiore de la Sapienza sotto alcuno velamento« (III.xv.2.) 59 Im Hinblick auf den vermittelten Gegenstand, nämlich die paradiesische Glückseligkeit und deren poetische Repräsentation, ist die Struktur der angesprochenen Verschleierung durchaus essentiell. Sie bedeutet für die poetische Darstellung den Wechsel zu einer allusionsreichen, similisierend und zugleich allegorisch und analogisch verfahrenden Form. 6 0 So generiert sich aus dem Verhüllungscharakter des Lächelns die Similisierungs-Dissimilisierungsstruktur des Danteschen Gedichts. Das allegorische Kraftzentrum des Convivio ist Dantes Zitat aus Sapientia 7, 26: »Essa è candore de la etterna luce e specchio sanza macula de la maestà di Dio« (III.xv.5). Hier rückt er die Figur der Weisheit als Spiegel und das Erblinden (abbagliare) des Dichters genauso wie das des Philosophen in der Schau der Ideen im Weisheitsdiskurs zusammen. Wenn Dantes Gedicht der ikonoklastische Prozeß der Verbildlichung der Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit Gottes, der Ewigkeit oder der Urmaterie - wie Dante es hier aufzählt - ist, so geht er im Grunde noch darüber hinaus, indem er den Intellekt an ihrer Undenkbarkeit scheitern läßt. 61 Poi, quando si dice: Elle soverchiavi lo nostro intelletto, escuso me di ciò, che poco parlar posso di quelle, per la loro soperchianza. Dov'è da sapere che in alcuno modo queste cose nostro intelletto abbagliano, in quanto certe cose affermano essere, che lo 'ntelletto nostro guardare non può, cioè Dio e la etternitate e la prima materia; che certissimamente si veggiono e con tutta fede si credono essere, e per[ò] quello che sono intender noi non potemo [e nullo] se non co[me] sognando si può appressare a la sua conoscenza, e non altrimenti. (III.xv.6) Dies läuft auf eine geradezu cusanische Negativität der Erkenntnis des Unendlichen hinaus, die ihr Analogon in einem das poetische Verfahren Dantes noch stärker radikalisierenden Dissimilisierungsverfahren hat.

59 Übers. Wicksteed, S. 217: »And here it is right to know that the eyes of wisdom are her demonstrations, whereby the truth is seen most certainly, and her smile is her persuasions, whereby the inner light of wisdom is revealed behind a certain veil; [...].« 60 Vgl. den zusammenfassenden Schlußpassus der ausführlichen Annotation zu dieser Danteschen Differenzierung, Vasoli / de Robertis, S. 470: »Dante quindi intende dire che la Sapienza, mentre di permette di vedere con gli occhi della dimostrazione certa ed evidente, ci lascia intravedere, in forma allusiva e immaginativa (il riso), altre verità che la nostra mente non è capace di apprendere in modo evidente, ma delle quali può essere soltanto >persuasaoderMy other hälfe the coincidence of opposites in Paradise Lost«, in der es freilich bei dem Bezug auf ein Zitat aus De visione Dei bleibt, das Norford S. 21 kommentiert: »Both here and in De docta ignorantia Nicholas seems preoccupied with the opposites involved in the problems of perception and knowledge [...] As far as I know, he does not explicitly extend his vision to the relationship between good and evil in the world.« Das Interesse Norfords gilt im weiteren den Miltonschen Paarungen männlich-weiblich, Geist-Materie, Gut-Böse, die der Autor als in Gott aufgehoben darstellt; damit liefert er eine vergleichsweise traditionelle Interpretation im Sinne der felix culpa. 63 De docta ignorantia, I.i (S. 9). 64 Ibid., I.iii. (S. 15). 65 Ibid., I.iv. (S. 16).

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cum sit omne id quod esse potest. E t quoniam maximum est huiusmodi, manifestum est minimum máximo coincidere. 6 6 Diese von Milton im Figurentwurf seines Gedichtes wohl im Gefolge ihrer praktischen Nutzbarmachung in Brunos universalem Transformationsprinzip aufgegriffene und poetisch durchgestaltete Koinzidenz der Gegensätze erscheint beim Cusaner daneben auch an der Wurzel des Begriffes der göttlichen Vorsehung (Quomodo contradictoria

dei

Providentia

unit). Hierin ist Brunos in der Materie eingeschlossene Potentialität der

Wandlungen alles Seienden gewissermaßen in der Totalperspektive Gottes aufgehoben: »ita dei providentia infinita complicat tarn ea quae evenient quam quae non evenient, sed evenire possunt, et contraria [ . . . ] . « 6 7 Die figürliche Bindung der Similisierungs- und Optionalitätspotenitalität in Urania akzentuiert diese - natürlich auch in den Himmelsdialogen der Gottesaspekte durchgespielte - Zusammenschau des Ungleichzeitigen, des Gegensätzlichen, des Seienden mit dem Potentiellen etc. Vor diesem Hintergrund ist die Muse geradezu das Medium zur Lesbarmachung der »göttlichen Einfaltung«, also des in G o t t Zusammengewickelten ( » . . . manifestum est deum esse omnium complicationem, etiam contradictoriorum, tunc nihil potest eius effugere providentiam«), und zur gleichen Zeit - aufgrund der Brunoschen Umbesetzungen und Umarbeitungen - ein Medium zum Lesbarmachen sowohl der Wandelbarkeitspotentialität der Materie als auch des in der Unendlichkeitsidee Eingefalteten. 6 8 66 Ibid., I.iv. (S. 16); Ubers. Paul Wilpert, S. 17: »Die größte Gleichheit, die gegenüber keinem eine andere und verschiedene ist, übersteigt alles Begreifen. [...] Wie [das Größte] nicht größer sein kann, so kann es aus demselben Grunde nicht kleiner sein, ist es doch alles, was es sein kann. Das Kleinste aber ist das, dem gegenüber ein Kleineres nicht möglich ist. Da nun das Größte von der oben geschilderten Art ist, so ist einsichtig, daß das Kleinste mit dem Größten zusammenfällt.« 67 I.xxii. (S. 90). 68 Ibid., I.xxii. (S. 88). Leibniz wird den Gedanken der Einfaltung später monadologisch weiterdenken. Die Brunosche Wendung des Lesbarmachens der göttlichen Vorsehung könnte meines Erachtens als das Lesbarmachen der Potentialität des Formenwandels in der Materie bezeichnet werden, das natürlich jenseits des dem Auge sichtbar Werdenden als Abfolge der verschiedenen Phasen der Emanation der göttlichen Monade in der sich entfaltenden Schöpfung zu denken ist. Die in Paradise Lost wiederholt unternommene Analogisierung zwischen dem messianischen Schöpfergeist und der Dichtermuse kann in diesem Sinne möglicherweise als Versuch der poetischen Auflösung der Form-Materie-Antinomie angesehen werden. In dem Maße nämlich, in dem die Gestalten und Formen der Materie ein optisches Problem sind, bedarf es eines Mediums, durch das hindurch die Gestaltungen und Formungen dennoch sichtbar werden. Schöpfung und Klarsicht, Perspicuitas, laufen - zumindest im Hinblick auf die poetische Visualisierung - auf dasselbe hinaus. Wenn die schöpferische Muse das in der complicatio in Gott Eingefaltete, aber auch das in der Materie Verworrene bzw. allegorisch Eingewickelte sichtbar macht, dann liegt die Formgebung scheinbar in ihrer Perspektive, in Wirklichkeit aber sind die dann sichtbar werdenden Formen der göttlichen Einfaltung bzw. der betrachteten Materie inhärent. Das heißt nun nichts anderes, als daß die Schöpfung selbst dichterisch zur Metapher für die Sichtbarmachung, die richtige Perspektive wird. Miltons poetische Einholungen der biblischen Schöpfungsnarrationen sind in diesem Sinne nichts anderes als metaphorische Umschreibungen des Sichtbarkeitsproblems. (Dies hat - wie wir gesehen haben - bereits John Donne im Sinn, wenn er in Ignatius Galilei als Schöpfer der Welten bezeichnet, die er mit dem Fernrohr entdeckt.) Hier zeigt sich die kategoriale Veränderung, die das Idea-Konzept durch die Sichtbarmachung des zuvor unsichtbaren Kleinsten und Größten erfährt. Vgl. für eine Analyse der Philosophie des Cusaners in perspektivtheoretischer Sicht G. Boehm, Studien zur Perspektivität, S. 137 ff. und S. 182 ff.

Der Eine und die Vielen

193

Für unseren Zusammenhang der Inkongruenz von Namen und Bedeutung sind über das bis jetzt Skizzierte hinaus die drei Schlußabschnitte des ersten Teils der De docta ignorantia-Schrift am ergiebigsten. Die Einsicht in die Unfaßbarkeit der Wahrheit und die daraus resultierende methodische Einstellung der Unwissenheit laufen auf die Ausformulierung einer Theologia negativa hinaus als - wenn man dies im Hinblick auf Urania literarisch nutzbar machen will - eines Modells der dissimilierenden Approximation an das Undarstellbare. Notwendigkeit und Logik der Theologia negativa ergeben sich für den Cusaner aus der Unzulänglichkeit jeder affirmativen Aussage über Gott. Deutlich wird dies am Beispiel der Unangemessenheit der Gottesnamen, in dem sich Nikolaus von Cusa auf Hermes Trismegistos bezieht: »Quoniam deus est universitas rerum, tunc nullum nomen proprium est eius, quoniam aut necesse esset omni nomine deum aut omnia eius nomine nuncupari [.. .].« 69 Die Deutung Gottes als omnia uniter oder als unitas setzt letztlich einen verstandesmäßig nicht einholbaren Begriff einer absoluten Einheit voraus, zu der kein Gegensatz (etwa der Vielheit) gebildet werden kann: »Hoc est nomen maximum omnia in sua simplicitate unitatis complicans, istud est nomen ineffabile et super omnem intellectum.«70 Vor diesem Hintergrund heißt es dann bei Nikolaus von Cusa über die vielen heidnischen Namen für die Gottheit: Quae quidem omnia nomina unius ineffabilis nominis complicationem sunt explicantia. Et secundum quod nomen proprium est infinitum, ita infinita nomina talia particularium perfectionum complicai. Quare et explicantia possent esse multa et numquam tot et tanta, quin possent esse plura. Quorum quodlibet se habet ad proprium et ineffabile, ut finitum ad infinitum.71 Edgar Wind hat die Verbindung zwischen dem Gott des Cusaners, der »vor den Augen aller Weisen verborgen ist«, und der verborgenen Gottheit der heidnischen Mysterienreligionen hergestellt.72 Das strukturell Verbindende, die Diversifikation der Namen und Erscheinungsformen als logisches Korrelat zu der Verborgenheit des Einen, kann, so denke ich, auch im Hinblick auf die Urania-Invokation und das Miltonsche Similisierungsverfahren insgesamt gelesen werden. So heißt es bei Wind: »Doch weil das höchste Eine somit unsichtbar ist, müssen seine sichtbaren Manifestationen vielfältig sein: poetische Vielfalt ist die logische Folge der radikalen Mystik des Einen.«73 Das im 69 I.xxiv. (S. 96); Ubers. Wilpert, S. 97: »Da G o t t die Gesamtheit der Dinge ist, so gibt es keinen ihm eigenen Namen, müßte doch sonst G o t t mit jeglichem Namen benannt werden oder alles mit seinem Namen.« 70 I.xxiv (S. 98); Ubers. S. 99: »Das ist der größte Name, der alles in der Einfachheit seiner Einheit umgreift. Dies ist der unaussprechliche Name, der über alle Vernunfteinsicht geht.« 71 I.xxv. (S. 106); Ubers. S. 107: »Alle diese Namen sind indes nur Ausfaltungen der eingefalteten Fülle des einen unaussprechlichen Namens. U n d weil dieser eigentliche Name unendlich ist, deshalb schließt er in sich eine unendliche Zahl solcher Namen von einzelnen Vollkommenheiten. So können der ausfaltenden Bezeichnungen viele sein und doch nie so viele und so umfassende, daß ihre Zahl sich nicht vermehren ließe. Jeder von diesen Namen verhält sich zum eigentlichen und unaussprechlichen Namen wie Endliches zum Unendlichen.« 72 >Der Verborgene GottoderoderoderNie war ein Grieche je von Bosheit freiDer Wandel des Minerva-Bildes in der Renaissance< in Allegorie und der 'Wandel der Symbole in Antike und Renaissance, S. 246-270; vgl. darin daneben insbesondere Gelegenheit, Zeit und Tugend< (S. 186 ff.) und »Geduld und Gelegenheit: Die Geschichte eines politischen Emblems< (S. 207 ff.). Genauso ist an den von Panofsky, Studien zur Ikonologie, S. 110 f. beschriebenen Vorgang der >Pseudomorphose< zu denken: »[...] bestimmte Renaissancefiguren wurden mit einer Bedeutung versehen, die, trotz ihrer antikisierenden Erscheinung, in ihren klassischen Urbildern nicht vorhanden gewesen waren, obwohl sie sich in der klassischen Literatur häufig angedeutet hatte. Dank ihrer mittelalterlichen Vorläufer war die Renaissancekunst oft imstande, in Bilder zu übersetzen, was die Kunst der Antike für nicht darstellbar gehalten hatte.« Die Bedeutung der mittelalterlichen Tradition für die Manuale des 16. Jahrhunderts (Giraldi, Conti, Cartari) stellt auch Seznec, The Survival of the Pagan Gods, heraus; er verfolgt die Herausbildung der neuen Götterfiguren im Prozeß der ikonologischen Vernetzung dann weiter bis auf Ripa. Vgl. zum Gesamtkomplex auch Gombrich, Symbolic Images, und Reichert, Fortuna, S. 13 ff. und passim.

Der Eine und die Vielen

207

natura differente da quella«.104 Hier wird also die Doppelheit der optional gereihten Götternamen gewissermaßen zu einer mythologischen Bestätigung der astronomischen Spekulation über die Vergleichbarkeit von Erde und Mond genutzt (wie Bruno sie am deutlichsten in La Cena de le Ceneri betreibt und die ja erst im Galileischen Fernrohr evident wurde). Die der Darstellungsweise der Brunoschen Philosophie zentrale Optionalität, die bestimmend für die Struktur der Dialoge ist und im Grunde eine Öffnung gegenüber verschiedenerlei Traditionen und gleichzeitig deren Transformation bedeutet, kreist gewissermaßen um ein undarstellbares Drittes, das auch im philosophischen Diskurs lediglich in seinen Schatten- und Spiegelbildern repräsentiert werden kann. Aber es sind vor allem zwei andere, für die Brunosche Philosophie noch spezifischere Merkmale, die für das hier interessierende Austauschprinzip in Betracht kommen: zum einen die radikale Zuspitzung des Austauschprinzips in der Möglichkeit realer Wandlung eines Dings in ein anderes, so also auch einer Gottheit in eine andere; zum zweiten die programmatische Umsetzung dieser Möglichkeit in seinem großen ethischen Reformprogramm. Im Spaccio entwirft Bruno ein Modell für die Neuordnung des Götter- und Sternenhimmels, in dem aufgrund von Urteilssprüchen Gestalten substituiert werden. Diese Neuordnung des Himmels bedeutet dabei in einer Doppelbewegung der Wendung des Innen nach Außen und des Außen nach Innen eine große Bewußtseinsreform als Neuordnung jenes Himmels, »che intellettualmente è dentro di noi«.105 Darüber hinaus bedeutet sie - wie am Ende des ersten Kapitels bereits angedeutet wurde auf einer anderen Ebene eine strukturelle Umbesetzung oder Umwertung des Götterhimmels. Der mythologische Kosmos wird gewissermaßen um eine ganze Schicht vermehrt: »Was in der Renaissance hinzutritt, ist der mythologische Fundus zur Bildung unbegrifflicher Denkformen. Das hat etwa Cassirer am Beispiel Giordano Brunos und Lorenzo Vallas beschrieben: Es heißt: >Der antike Mythos erhält jetzt eine neue Rolle zugewiesen: er wird zum Vehikel der logischen DenkarbeitGeistauswendigen< Gedächtnisses. Die Invokation zum dritten Buch mit dem Bild einer Implantierung innerer Augen könnte in Anlehnung an Merians Titelradierung der Ars Memoriae (Abb. 23) in Robert Fludds Utriusque Cosmi, Maioris scilicet et Minoris, Metaphysica, Physica, atque Tecbnica Historia gemeint sein.128 Fludds inneres Auge (Oculus Imaginationis) blickt auf die vier korrespondierenden Bilder vom Turm zu Babel, Tobias mit dem Erzengel Raphael, einem Schiff auf wogender See sowie dem Jüngsten Gericht mit dem Höllenschlund, in den die Verdammten eintreten. Das größere Zentralbild stellt einen Obelisken dar. Frances Yates enthält sich im Hinblick auf die Anordnung und Bedeutung dieser Bilder jeder weiteren Spekulation. Mir scheint es möglich, sie alle in Paradise Lost unterzubringen, was als Hinweis darauf zu verstehen wäre, daß Milton diese Darstellung gekannt und für eine mnemotechnische Verfahrensweise nutzbar gemacht hat. Der Turm von Babel steht für Sünde, Exilierung (aus dem Paradies) und das Herausfallen aus dem Namen Gottes, worin Thema und Sprachverfahren des Gedichtes gebündelt wären.129 Die Führungsrolle des Erzengels Raphael, wie sie im zweiten Bild gegenüber Tobias zutage tritt, ist in Miltons Gedicht die zentrale narrative Strukturachse. Miltons Raphael kann dabei gera-

125 Yates, The Art of Memory, S. 104; vgl. dazu auch Reichert, »Joyces Memory«, S. 334 f. 126 Monika Gomille, Prudentia in Miltons PL, S. 25 f.; und dies., »Gedächtnisbilder der Klugheit (Prudentia) in humanistischer Tradition«. 127 Walter J. Ong, »Logic & and the Epic Muse: Reflections on Noetic Structures in Milton's Milieu«, behandelt S. 247 ff. unter Bezugnahme auf Frances Yates den ramistischen Memoria-Komplex und bindet dann diese Vorüberlegungen unter dem Aspekt »Epic as Knowledge Storage and Retrieval« (S. 256 ff.) in gattungsgeschichtliche Überlegungen zu Paradise Lost im Hinblick auf die Konstitution eines logischen Systems ein: » [ . . . ] the logical universe, certainly as conceived by Ramus and Milton's age generally, purports to carry within itself a full explanation of itself« (S. 265). Mnemotechnische Strukturen in Miltons Gedicht verfolgt Ong nicht. 128 Bd. II: De [...] Microcosmi Historia, I.II.iii; Frances Yates, The Art of Memory, S. 315, behandelt Matthäus Merians Titelblatt, enthält sich dort freilich ausdrücklich jeder Spekulation über die Bedeutung vornehmlich des Obelisken als Zentralbild dieses Memoria-Bildes. 129 Vgl. Reichert, >Vom Turmbau zu Babel< in Vielfacher Schriftsinn, S. 198 ff.

Memory is the world

215

dezu als Spiegelfigur der Muse Urania angesehen werden. 1 3 0 Fludds drittes Bild, das Schiff auf der tosenden See, ist in der Gestaltung der satanischen Navigation im Gedicht inkorporiert, mit der Milton die gesamte Bandbreite der Bedeutungen von Schiffahrtsmetaphorik (etwa auch selbstreflexiv auf das Gedicht gemünzt im Gefolge Dantes 1 3 1 ) evoziert. Die Darstellung des Jüngsten Gerichts gehört in der Epiphanie des sechsten Buches mit dem Höllensturz der gefallenen Engel zu den Zentralbildern in Miltons Gedicht. D e r Fluddsche Obelisk muß wohl als Hinweis auf die Bedeutung des Hermeticum

Corpus

und des Asclepius für die Memoria-Lehre verstanden werden. In der ägyp-

tischen Symbolik bedeutet er den Sitz und die Uroffenbarung des universalen Sonnengottes A t u m - C h e p r i . Z u Miltons Zeit versuchte beispielsweise Athanasius Kircher in seinen beiden Schriften Obeliscus

Pamphilius

und Oedipus Aegyptiacus

daß H e r m e s Trismegistos die gesamte Lehre der Hermetica

nachzuweisen,

in Hieroglyphen auf den in

der Nachfolge des Steines der Uroffenbarung stehenden Obeliscus

Heliopolitanus

ge-

schrieben habe. 1 3 2 Zusammengesehen mit der in der Nachfolge Ficinos fortgeführten Einschmelzung der Traditionen im Medium des Asclepius und des Corpus

Hermeticum,

also der Rückführung der ägyptischen, der platonischen und der jüdisch-christlichen Lehre auf einen gemeinsamen U r s p r u n g - was ja auch das Projekt Brunos war - , könnte Milton den Obelisken als Symbol der Offenbarungs- oder Inspirationsachse seines G e dichtes gelesen haben. Die Plazierung in der Mitte entspräche der Urania-Mittelachse des Gedichtes, in der sich die Bilder kreuzweise spiegeln: Sünde, Turmbau, Ausstreuung 130 Wir haben gesehen, wie Milton entlang der Mittelachse des Gedichts den Wechsel von der messianischen Destruktionsmaschinerie in die göttliche Schöpfungsmaschinerie gestaltet, wie entlang dieser Achse das Gedicht vom himmlisch-transzendenten Gegenstand zum »irdischen« der Welterschaffung wechselt; damit ist diese Achse die Zentralachse der Ausdifferenzierung der Gottesaspekte: der Ausdifferenzierung seiner Relation zur Schöpfung, der Ausdifferenzierung der messianischen Funktionen im apokalyptischen Weltvollzug und im Prozeß einer Welt, die zuallererst geschaffen werden muß, um die Möglichkeit eines messianischen Wirkens in der Welt zu eröffnen. Entlang dieser Achse vervielfältigt sich die oben für das Verhältnis zwischen Gottvater und Gottsohn beschriebene Similitudo-Spiegel-Relation mehrfach und manifestiert sich auch in figürlichen Fokussierungen. Raphael als Vermittler des »measuring things in heaven by things on earth« ist die Bindefigur im Erzählrahmen, die gewissermaßen auch die Mittelachse übersetzerisch überbrückt. Die Raphael-Erzählung treibt im Wechsel von der Erzählung von Himmelskrieg und Engelsturz den Schöpfungsbericht gleichsam aus dem Verfahren der Adäquation heraus. Die Uberwindung der kategorialen Differenz in einer sinnlichen Darstellung des Ubersinnlichen (»By likening spiritual to corporal forms«) führt in letzter Konsequenz zur Schöpfung der irdischen Welt selbst bzw. zur Erzählung von dieser Schöpfung, die zunächst als ein Wechsel auf dem Menschen näher liegende Gegenstände verstanden wird: »But since thou hast vouchsafed / Gently for our instruction to impart / Things above earthly thought, which yet concerned /Our knowing, as to highest wisdom seemed, / Deign to descend now lower, and relate / What may no less perhaps avail us known, / How first began this heaven which we behold / Distant so high [...]« (7.80-84; Hervorhebungen M. W). Diese im Bild des Absteigens des epischen Berichts begriffene Zuwendung zu den irdischen Gegenständen - die im Rahmen des Curiositas-Topos im achten Buch weiter behandelt wird - wird in der wiederum in der Mitte der Thronwagenvisionen piazierten Urania-Invokation vorweggenommen. Der Anruf »Descend from heaven Urania«, der im Duktus und in vielen Details von den kursivierten Versen des vorliegenden Zitates wiederaufgenommen wird, piaziert so die Muse Urania auf der hier als Spiegel beschriebenen Zentralachse des Gedichtes, von der Raphael in Funktion und Gestalt abgespiegelt wird. 131 Vgl. Piero Boitani, The Tragic and the Sublime in Medieval Literature, S. 250 ff. 132 Vgl. Yates, Bruno, S. 416 ff.

216

Die dialektische

Präsenz

der

Urania

über die Welt im ersten Bild links oben, in dem gewissermaßen thematisch der Impetus für eine >auswendige< Wiederaneignung der Welt qua Memoria gegeben ist, rechts unten das Weltenende als Gericht über die Sünde, rechts oben das Sinnbild der Ortlosigkeit des Menschen mit der komplementären Darstellung des Aufgehobenseins in der Begleitung eines angelinischen Führers links unten. Die Gesamtstruktur des Gedichtes mit den durchgängigen oppositionalen Korrespondenzen zwischen den Handlungsebenen - also die Spiegelung von Himmel und Hölle auf der Paradiesesachse und dem beschriebenen Spiegelungsprozeß entlang der Mittelachse - kann bei Milton als Rahmen für untereinander referentielle Schauplätze dienen. Auf der Ebene der Figuren kommt das ständige Heraustreiben der Gegenfiguren in Betracht, wobei das Beispiel der Sünde deutlich in die Richtung eines spekulativen Gedächtnisses des Brunoschen Typs weist, der ars combinatoria also. Wenn Reichert die >Metamethode< dieses spekulativen Gedächtnistyps, wie sie sich unter dem sigillum >Daedalus< in Brunos Triginta Sigilli einstellt, beschreibt, dann liest sich dies wie eine genaue Deskription von Miltons poetischer Verfahrensweise, dem Fluxus der Similisierungen und Dissimilisierugen als unpremeditated verse: Kurz, der Künstler sollte ein einziges Thema haben, das aber so angelegt sein muß, daß es die ganze Welt enthalten kann, die aus diesem Thema durch unzählige Operationen generiert wird, die durch das sigillum >Daedalus< ermöglicht werden, das heißt dadurch, daß die Methoden aller anderen Siegel hereingenommen werden. >Daedalus< ist die Metamethode, die Methode der Methoden. Das Instrument oder Werkzeug, das Bruno zu benutzen empfiehlt, muß so konstruiert sein, daß es erlaubt, vielfältige Formen so zu ermöglichen, daß man wegen der Dynamik oder dem Affekt, der dem Instrument innewohnt, von einer Form zur nächsten geradezu getrieben wird, wie von radikalisierten imagines agentes. Kein einziges Bild - das heißt Form plus Materie bleibt, was es war, weil es permanent seine Bedeutung verändert, indem es Teil stets wechselnder Kontexe wird, wie bei der Drehung der Scheiben oder Räder. Träfe man nur die richtigen Kombinationen, so scheint es, dann liefe alles von selbst und würde Dinge autopoetisch hervorbringen, die sich mit Hilfe der Imagination oder logischen Schlußfolgerns niemals hätten ergeben können, weil sie sich magisch-mechanisch herleiten und einen Schimmer des göttlichen Bewußtseins, das hinter den Erscheinungen tätig ist, durch die Siegel aufscheinen lassen.133 Milton, so kann man sagen, verbildlicht die Maschinerie dieser Metamethode in den beiden Zentralbildern seines Gedichtes, den göttlichen Thronwagen, »wheel within wheel undrawn, / It self instinct with spirit.« Sie sind das Kraftzentrum von Miltons Version des formar altre nature, altri corsi, altri ordini con l'ingegno, des Credos des Philosophen des Manierismus< m , Giordano Brunos. Urania, die Gestalt in der Maschine, ist zugleich die erste Figur, die herausgewürfelt wird. 133 Reichert, »Joyces Memoria«, S. 345. 134 Dagobert Frey, Gotik und Renaissance, S. 104.

Manieristische Formen

217

Manieristische Formen Optionalität Auch in der multiperspektivischen Verfahrensweise des Gedichtes auf den Ebenen der vergleichenden Bilder und der narrativen und deskriptiven Perspektivierung scheint Paradise Lost mitten im Manierismus zu stehen. Wenn der Dichter bei der Beschreibung des Paradieses in langen Options- und Negationsketten eine Ortlichkeit oder eine Figur zu charakterisieren sucht, höllische oder paradiesische Begebenheiten in immer anderen alludierenden Wendungen und Vergleichen mythologischen, biblischen oder auch historischen Kontexten zuzuordnen sucht - auch und gerade entgegen den tradierten, zum Teil kategorialen Wertunterschieden zwischen dem beigebrachten Deskriptionsmaterial - , dann tut er im Grunde nichts anderes als der manieristische Künstler, der mit mehr als einem Fluchtpunkt operiert und die Objekte von ganz verschiedenen Blickpunkten aus betrachtet, bis an ihnen zuvor nicht wahrgenommene Aspekte sichtbar werden. Mit Recht hat Reichert auf die Analogien zwischen dieser künstlerischen Verfahrensweise und der experimentellen und deskriptiven Methode der neuen Wissenschaften hingewiesen.135 Wir haben gesehen, wie Bruno in La Cena de le Ceneri von der Bedeutung des Betrachterstandpunktes und Perspektivfragen für die Astronomie handelt und die Galileischen Schriften - obgleich in seiner Auffassung von den Künsten ein ausgesprochener Manierismus-Gegner - voll von dieser Thematik sind. Ein anderes Beispiel sind die beiden Schlußbücher von Paradise Lost. Der Tod - auch dies eine manieristische Obsession - wird dort in immer neuen historischen Kontexten aufgezeigt, aus jeder Perspektive hat er ein neues Gesicht; und vor allem - und hierin zeigt sich der manieristische Hintersinn einer erst auf den zweiten Blick als solche erkennbaren memento mori-Figurenanordnung: dem betrachtenden Adam enthüllt sich die Janusköpfigkeit einer jeden visionären Szene erst auf den zweiten Blick. Dabei ist die an der Höllenpforte des zweiten Gesangs beschriebene Todesgestalt selbst ein anamorphoses Gebilde, das in dem, was eigentlich nur der Versuch einer Beschreibung zu nennen ist, in der Ambivalenz zwischen Gestalt und Ungestalt, zwischen Schatten und Substanz gestaltet ist. 136 Auch die immer neuen Zugriffe auf die Gestalt der Urania, man könnte sagen, die Versetzung der Inspirationsfigur an immer neue Örtlichkeiten (wie in einem Durchlaufen 135 »The Two Faces of Scientific Progress«, S. 22 f. 136 Auffällig sind dabei die Anklänge an die shadow-substance-Anamorphosen in Shakespeares Richard II, so insbesondere an das als Nukleus der anamorphotischen Struktur des Stücks zu betrachtende Zentralbild II.ii.14- ff. Im dritten Akt erscheint in Richards Königskrone das Gesicht des Todes als der dialektisch gewendete Aspekt des Königtums: »for within the hollow crown / That rounds the mortal temples of a king / Keeps Death his court, and there the antic sits, / Scoffing his state, and grinning at his pomp« (III.ii.160-163). Die von Milton wohl auch in Anspielung auf die zeitgenössische perspektivtheoretische Diskussion über Schattenprojektionen (vgl. etwa Thomas DaCosta Kaufman, The Mastery of Nature, S. 68-78) umrissene Gestalt des Todes trägt etwas auf dem Kopf, was vielleicht aus einer Perspektive auch als Königskrone gesehen werden kann: »what seemed his head / The likeness of a kingly crown had on« (Paradise Lost 2.672-673).

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Die dialektische Präsenz der

Urania

paradigmatisch möglicher perspektivischer Einstellungen) und auf stets andere Ebenen (etwa auch durch den kategorialen Wechsel zwischen der Sichtbarmachung neuer Welten und der Diktatmetapher), entsprechen durchaus der multiperspektivischen manieristischen Verfahrensweise.137 Die eingangs angesprochene Rhetorisierung der Invokationen kann im Kontext der visuell-optischen Horizonte des Manierismus - zu denken wäre etwa an die Anamorphose und an die Katoptrik - und im Kontext des Brunoschen Rades der Wandlungen als Grundbefindlichkeit alles Seienden auch als Versuch der sprachlichen Ubersetzung von solchen optisch-bildlichen Phänomenen beschrieben werden, die sich aufgrund ihrer Flüchtigkeit oder ihrer Wandelbarkeit oder ihrer an sich übersinnlichen Natur der sinnlich-bildlichen Darstellung entziehen. Dabei ist die Flüchtigkeit oder Wandelbarkeit der Erscheinungen im Grunde die sinnliche Approximation an die dahinterliegende, bildlich unfaßbare Idee und Wahrheit. Die visualisierbaren Implikationen der Brunoschen Lehre spielt zur Zeit Miltons Athanasius Kircher in seinen katoptrischen Museen voll aus. Als wichtigstes Instrument und ideales Medium für alle Arten der Metamorphose erweist sich dabei der Spiegel, dessen lange Tradition in all ihren Ambivalenzen sich nun museal versammeln ließ. Es gab dabei keinen unbeteiligten Beobachter, denn der Betrachter wurde selbst hineingezogen in die ontologischen Ambivalenzen seines Spiegelbildes: Vanitas, Veritas, Sapientia, Prudentia, sie alle konnte der Betrachter an sich selbst durchspielen. Und ganz brunesk konnte sich ein jeder jeder beliebigen Metamorphose unterziehen (Abb. 1). Wenn so die optisch-technisch-wissenschaftliche Entwicklung das Brunosche Denken einholt, so führt die Optikbegeisterung des 16. und 1Z Jahrhunderts - erinnert sei nur an die Perfektionierung der Camera obscura, den Abschluß der Keplerschen Netzhautstudien - insgesamt dazu, den Spiegelphänomenen in der Natur genauso wie in ihren literarisch-künstlerischen Repräsentationen größte Beachtung zu schenken: angefangen vom Alberti-Wort von der Erfindung der Malerei aus dem Geiste des Narziß über die Bedeutung des Planspiegels für die Erfindung der Zentralperspektive, über die künstlerische und literarische Fortschreibung von Naturphänomenen wie den Wolkenspiegeln138 oder den Lufterscheinungen bei bestimmten Augenleiden139, bis hin zur Ummünzung und Verinnerlichung des Sapientia-Spiegels (gerade in dem Augenblick, da die kosmischen Erfahrungsräume unendlich werden) zum Seelenspiegel als der großen philosophischen 137 Hier läßt sich auch eine Verbindung zwischen der zeichnerischen Praxis seit Leonardo und der dichterischen Optionalität herstellen. Die verschiedenen vom Künstler ausprobierten Posen, also das Spektrum durchgespielter Optionen, wie man sie seit der Renaissance auf Zeichnungen findet, heißen pentimenti. Es scheint mir naheliegend, daß hinter dem literarischen Optionalverfahren neben den übrigen Vorbildern - auch diese Gepflogenheit des zeichnerischen Experimentes steht. Für Miltons Verfahrensweise ergäbe sich darüber hinaus ein treffendes Sprachspiel zwischen diesen pentimenti und pentimento, also der Reue. Die Similisierungsstruktur als große Umschreibung des Gottesnamens, quasi als die vielen Umwege zu Gott aus der Feder des reuigen, gefallenen Menschen - dies korrelierte mit den zeichnerischen Wegen der Reue, den optionalen Linien auf dem Zeichenblatt. 138 Vgl. Baltrusaitis, Der Spiegel, S. 54 ff., mit zahlreichen Darstellungen von Wolkenspiegeln vom 15. bis zum 17 Jahrhundert. 139 Vgl. hierzu etwa auch die im Rosenroman, 18197-18208, erzählte aristotelische Überlieferung von

Manieristische Formen

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Metapher im Gefolge Brunos, die über Descartes bis hin zur Leibnizschen Monadologie reicht und erst von Kant abgelöst wird. 140

Indistinct as water is in water - Bilder auf dem Rad der Wandlungen Ein Beispiel für die zugleich antike wie zeitgenössische Präsenz der Brunoschen Metamorphosenlehre ist die - oben bereits erwähnte - ironisierende poetisch-invokatorische Durcharbeitung der platonischen Ideenlehre bei Aristophanes, Die Wolken, 1.263-352, mit ihren Ablegern bei Shakespeare. Nach den mehrfachen Invokationen und chorischen Erwiderungen der Wolken erklärt in Aristophanes' Text Sokrates dem Strepsiades die Natur der wandelbaren Wolken: »Have you ever looked up and seen a cloud resembling a centaur, or a leopard, or a wolf or a bull? [...] They take any form they like; [...]« (1.346-348). 141 Shakespeare nimmt dies - die Tonlage und den Sarkasmus des Aristophanes genau treffend - in Hamlet, III.ii.366 ff., auf (»Do you see yonder cloud that's almost in shape of a camel? [...] Methinks it is like a weasel. [...] O r like a whale. [...] Then I will come to my mother by and by [...]«) und wendet es in Antony and Cleopatra - dunkel unterlegt durch den auf den Tod weisenden Identitätsverlust, der in der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Wolkenerscheinungen repräsentiert wird - in die philosophische Ernsthaftigkeit der Brunoschen Metamorphosenlehre: »Eros, thou yet behold'st me? Ay, noble lord. - Sometime we see a cloud that's dragonish, / A vapour sometime, like a bear or lion, / A tower'd citadel, a pendent rock, / A forked mountain, or blue promontory / With trees upon't, that nod unto the world / And mock our eyes with air. Thou hast seen these signs; / They are black vesper's pageants. - Ay, my lord. - That which is now a horse, even with a thought / The rack dislimns, and makes it indistinct, / As water is in water« (IVxiv.1-11). Hier zeichnet sich dann auch bereits die düstere Kehrseite des faszinierenden, künstlerische Horizonte aufreißenden und den Künstler selbst zum Gott der Wandlungen emporhebenden Gedankens vom Gestaltenflux auf dem Metamorphosenrad ab: Sieht sich das ambivalent und fragil gewordene Ich erst einmal als bloße Erscheinung (»They are black vesper's pageants«) auf dem Rad der Wandlungen, so bedarf es nur noch einer winzigen Wendung, und es ist völlig verschwunden, indistinkt wie das Bild in einem leeren Spiegel (»and makes it indistinct, / As water is in water«). einem Mann, der infolge eines Augenleidens sein eigenes Gesicht vor sich hergehen sieht; vgl. dort weiter 18239-18246. 140 Vgl. etwa auch Glanvill, The Vanity of Dogmatizing, S. 18: »§ 1. It's a great question with some what the soul is. And unlesse their phancies may have a sight and sensible palpation of that more clarified subsistence, they will prefer infidelity it self to an unimaginable Idea. I'll only mind such, that the soul is seen, as other things, in the Mirrour of its effects, and attributes: But, if like children, they'll run behind the glass to see its naked face, their expectation will meet with nothing but vacuity & emptiness. And though a pure Intellectual eye may have a sight of it in reflex discoveries; yet, if we affect a grosser touch, like Ixion we shal embrace a cloud.« 141 Aristophanes, Clouds, hg. und übersetzt von Alan H. Sommerstein, S. 45.

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Die dialektische Präsenz der Urania

Shakespeare hat diese düstere Seite der Wandelbarkeit in zwei anderen dramatischen Kontexten ausdrücklich mit dem künstlerischen Schöpfergedanken verknüpft. So setzt der in Pomfret Castle eingekerkerte Richard II der realen Welt, die ihm zusammen mit seinem Königtum abhanden gekommen ist, eine illusionistische Theaterwelt entgegen: »I have been studying how I may compare / This prison where I live unto the world; / And, for because the world is populous / And here is not a creature but myself, / 1 cannot do it. Yet I'll hammer it out. / My brain I'll prove the female to my soul, / My soul the father; and these two beget / A generation of still-breeding thoughts, / And these same thoughts people this little world, / In humours like the people of this world, / For no thought is contented« (Vv.1-11). Die illusionistische Bevölkerung der Welt mit widerstreitenden Gedanken, aus denen gleichsam illusionistische Personen erwachsen, fungiert als ein Durchspielen und Erproben des eigenen Personseins und der eigenen Position in der Welt. Der Grund für die Illusion des Gedankenspiels liegt in dem doppelten Verlust von Ich und Welt, im Resultat ist das Gedankenspiel die Erschaffung einer Alternativwelt, eines »kingdom of the mind«, durch die Rollenprojektionen eines des eigenen Selbsts verlustig gegangenen Ichs in die Leere einer Illusionswelt: »Thus play I in one person many people, / And none contented. Sometimes am I king, / Then treasons make me wish myself a beggar, / And so I am. Then crushing penury / Persuades me I was better when a king; / Then am I king'd again, and by and by / Think that I am unking'd by Bolingbroke, / And straight am nothing. But whate'er I be, / Nor I, nor any man that but man is, / With nothing shall be pleas'd, till he be eas'd, / With being nothing« (Vv.31—41). Unter den religiös-theologischen Obertönen, die dieses Fazit aus der Rollenprojektion auch hat, also unterhalb einer christlichen Erwartung des Todes142, klingt hier die Doppelvorstellung von mutabilitie und decay an. Daß die Welt gegen Null laufe, eine ursprünglich bestehende Harmonie zerbrochen ist, spielt Shakespeare in dem Monolog nach dem Einsatz der Musik an der Königsfigur durch. Die zerbrochene Königsfigur wird zur personifizierten Uhr, die sich selbst die Stunde schlägt. Shakespeares nachdrücklichstes Beispiel für die Ambiguität des menschlichen Vermögens, Illusionswelten hervorzubringen, steht am Ende des Maskenaufzugs des Prospero im vierten Akt des Tempest: »These our actors, / As I foretold you, were all spirits, and / Are melted into air, into thin air: / And, like the baseless fabric of this vision, / The cloudcapp'd towers, the gorgeous palaces, / The solemn temples, the great globe itself, / Yea, all which it inherit, shall dissolve / And, like this insubstantial pageant faded, / Leave not a rack behind. We are such stuff / As dreams are made on; and our little life / Is rounded with a sleep« (IVi.148-158). Prospero münzt den Illusionscharakter des Maskenaufzuges zum Bild des Illusionscharakters der Welt um. Der maskenspielhafte Wechsel der Figuren und das abrupte Ende des Aufzugs stehen vergleichend für die Repräsentation der 142 »The better sort, / As thoughts of things divine, are intermix'd / With scruples, and do set the word itself / Against the word, / As thus: >Come, little onesIt is as hard to come as for a camel / To thread the postern of a small needle's eye«< (Vv. 11-17). (Die Schlegelsche Ubersetzung forciert diese Obertöne in den Anfangsversen über die Bevölkerung der Imaginationswelt.)

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Black Staid Wisdom's Hue

Beständigkeit des Wechsels der Welt zum Schlechteren. Die noch als Bodensatz der Welt betrachtete, noch nicht mit der Dignität eines Planeten ausgezeichnete Erde tendiert in dieser Motivik z u m völligen Verfall. 143 Jedoch ist auch in dieser gegen das Ende strebenden Wandelbarkeit ein Anklang von Verewigung. So heißt es in Ariel's Song,

Tempest

I.ii.399—405: »Full fadom five thy father lies; / O f his bones are coral made; / Those are pearls that were his eyes: / Nothing of him that doth fade / But doth suffer a sea-change / Into something rich and strange. / Sea-nymphs hourly ring his knell.«

Black Staid Wisdom 's Hue: Miltons Melancholie Die Ambiguität der Wandelbarkeit bis hin zur Unausmachbarkeit der Präsenz in der Urania-Figur muß auch vor dem Hintergrund dieser dunkel unterlegten Bilder auf dem Rad der Wandlungen gesehen werden. Nicht zufällig malt Milton gegen Ende seiner Urania-Invokation die Situation des Dichtersubjekts noch düsterer als in der Lichtinvokation z u m dritten Buch: »More safe I sing with mortal voice, unchanged / To hoarse or mute, though fallen on evil days, / On evil days though fallen, and evil tongues; / In darkness,

and with dangers compassed round, / And solitude; [...]«

(7. 2 4 - 2 8 ; Hervor-

hebungen M. W ) . Die Unentscheidbarkeit der Präsenz und die Unausmachbarkeit der figürlichen Identität Uranias sehe ich dabei innerhalb des Miltonschen Œuvre als radikale Fortentwicklung der Melancholie-Gestalt des Ii Penseroso.144

D o r t indiziert Milton bereits eine Auflösung

der allegorischen Stabilität der Melancholie-Gestalt. Auch einige Details weisen bereits 143 Vgl. Reichert, »Prospero als Leser Machiavellis«, S. 13 f., für die mutabilitie-Motivik in dieser Passage: »Es ist das barocke Vanitas-Motiv, das sich hier ankündigt, aber es ist zugleich eine letzte Fassung der > mutabili tieThe Occult Philosophy and Melancholy: Dürer and AgrippaWeisheit< sich differenziert. [...] Als obere Schechina oder Bina ist sie das Weibliche als voller Ausdruck der ungebrochenen Schöpferkraft, als etwas Empfangendes zwar, das aber spontan und ununterbrochen zum Gebärenden wird, da der Strom des ewig fließenden göttlichen Lebens in es eintritt. [...] ist die doch durchaus aktive Energie, in der das Verborgene nach außen tritt. In der Scheidung der Sefiroth-Welt in die drei oberen und sieben unteren, wie sie seit dem Buch Bahir schon allgemein rezipiert ist, steht sie ebenso am Rande der sieben Sefiroth, der Urtage, die sie aus sich entläßt und in denen sie ihre Kraft realisiert (die innere, theogonische Seite der Schöpfung!), wie die untere Schechina am Rande der äußeren Schöpfung in der Zeit des realen Sieben-Tage-Werkes der Kreation. [...] So ist denn der aktive Sinn der weiblichen Energie in Gott, die Kraft, mit der er sich ewig selbst gebiert und als Person in seinen Attributen hervortritt, als obere Schechina realisiert, ihr passiver Sinn aber als untere. [...] Denn in ihr [Malchuth] bricht sich der Strom des göttlichen Lebens und Lichtes im >dunklen Spiegels und diese Brechung eben ist es, die hier Schöpfung wird.« Indirekt bestätigt werden die im hiesigen Abschnitt vorgetragenen Thesen zu den vermittelnden und schöpferischen Aspekten der Schechina und zur Dialektik von Sehen und Hören in der jüngst erschienenen, groß angelegten Studie von Elliot R. Wolfson zu Vision und Imagination in der mittelalterlichen jüdischen Mystik, Through a Speculum that Shines, S. 3 0 6 — 3 S . 345-392 und passim. 177 Scholem, Mystische Gestalt, S. 35.

Schechina

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Nun ist, wie sich im angeführten Scholem-Zitat andeutet, Schechina gewissermaßen das Medium des Wirkens Gottes, also derjenige Gottesaspekt, in dem sich der Wechsel von der Transzendenz in die Immanenz vollzieht. »Es ist also, mit einem Wort, ihre Stellung im Übergang von der Transzendenz zur Immanenz, welche die Schechina bezeichnet.« 178 »>So wie seine Schechina oben ist, ist sie auch unten.< Das heißt: dieselbe Schechina ist es, die in der oberen Welt des Thrones und der Merkaba sich zeigt, wie die, die die untere Welt erfüllt.« 179 Dieser untere, weltimmanente Aspekt der Schechina deckt sich in seinem Gehalt und der Bildlichkeit, unter der er gefaßt wird, durchaus auch mit Urania. Schechina ist ein in der Bibel nicht vorkommender Ausdruck der talmudischen Literatur für das »Wohnen« Gottes - »seine sichtbare oder auch verborgene Anwesenheit an einem Platz, seine Gegenwart«. 180 Die Bildlichkeit, die mit dieser Vorstellung einhergeht, reicht von der Manifestation in einem überirdischen Lichtglanz bis zur Unbildlichkeit des bloßen Bewußtseins von der Präsenz Gottes. Unter den übrigen Bildvorstellungen sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem zwei wichtig: die »Flügel der Schechina«, unter denen sich die Gläubigen bergen, und das »Antlitz der Schechina«, das sie schauen. 181 Im Hinblick auf die poetische Figurwerdung der Schechina ist wesentlich, daß sie keine »abgesprengte und verselbständigte Figuration seiner [Gottes] moralischen Aspekte« (wie etwa Güte, Weisheit oder Strenge) oder gar eine Personifikation solcher Eigenschaften Gottes ist, sondern Gott selber, »insofern er an einem bestimmten Ort oder bei einem bestimmten Vorgang anwesend ist«. »Mit anderen Worten:« - so Scholem weiter »wir haben es mit einem in hyperbolischen Bildern umschriebenen Ausdruck für Gott selber zu tun, der am Rand oder Ubergang zur Hypostasierung steht.« 182 Gerade vor diesem Hintergrund entfaltet Miltons invokatorische Familienszene mit Gottvater, der Weisheit und ihrer Schwester eine selbstreflexive Eigendynamik. Ganz im Gegensatz zu Schechina ist ja die Weisheitsgestalt der Proverbien ein geschöpftes Wesen. Es handelt sich also um völlig verschiedene Formen von Gestalten: die eine ist eine Vergegenwärtigung Gottes, die andere ein Geschöpf Gottes, das freilich gleichzeitig auch als 178 Scholem, Mystische Gestalt, S. 159. 179 Ibid., S. 168. An dem gleichen Zitat zeigt Scholem, S. 168 ff., die bereits angesprochene zweite historische Interpretationsvariante auf, die auf eine Scheidung in Oben und Unten innerhalb des SefirothBaumes hinauslief, mit zwei Manifestationen der Schechina. Als obere Schechina gilt dort dann Bina, also die dritte Sefira, gewissermaßen die Chochma am nächsten stehende Schwester. 180 Ibid., S. 143. Michael Lieb hat in seiner Studie Poetics of the Holy. A Reading of »Paradise Lost« der Schechina ein umfangreiches Kapitel, >PresenceLufthaftigkeit< nahe, wobei die Luft als (metaphorisches) Symbol der Wahrhaftigkeit / Gerechtigkeit gemeint ist; tatsächlich wird die Ma'at >eingeatmetdie Atemluft für die Nase< usw., wird sie, allerdings m. W erst im Neuen Reich, oft mit Flügeln dargestellt« (S. 16 f.); vgl. dazu auch S. 169 über die Metaphern des Küssens und des Essens von der Ma'at für das Einatmen. Die Assmannsche Rekonstruktion des im Ma'at-Begriff enthaltenen Kulturverständnisses führt dabei auch zu einer Reihe anderer Parallelen. So ist Ma'at gewissermaßen die Göttin der Richtungsweisung, diejenige, die in Not und Bedrängnis Luft verschafft. »Ma'at ist das Kontinuum, das Diesseits und Jenseits verbindet« (S. 154). Innerhalb des ägyptischen Götterkreises erscheint sie in verschiedenen Rollen gegenüber Re: als Tochter, Gattin und Mutter (S. 160 ff.). Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang der vorliegenden Überlegungen zu Rezeptivität und Schöpfungswirken der Schechina ist die Konstellation »Ma'at vor Re«: »Ma'at ist die Göttin, mit deren Hilfe der Sonnengott den Kosmos in Gang hält. Sie verkörpert das >Gelingen< des Weltprozesses. Mythisch wird das in vielen Bildern ausgemalt, die Ma'at als die Tochter des Sonnengottes >vor Re< zeigen« (S. 177). Die von Othmar Keel, Die Weisheit spielt vor Gott, hergestellte Verbindung dieses Bildes mit der biblischen Weisheitsgestalt Hokhmah relativiert Assmann durch den Doppelaspekt des Bildes »Ma'at vor Re«. Zum einen erscheint sie darin an der Stirn des Sonnengottes als Uräus-Schlange als Zeichen seiner Königsherrschaft und als Herrschaftsinstrument, zum anderen ist sie seine Lebenssubstanz als das, was er küßt, ißt oder einatmet. »In dieser aktiven und passiven bzw. operativen und rezeptiven Bedeutung der Konstellation >Ma'at vor Re< finden wir den Zirkel von Tun und Ergehen wieder, der uns auch in anderen Zusammenhängen entgegengetreten war: die Vorstellung, daß die Tat zum Täter zurückkehrt« (S. 178).

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Sachregister Denkform, unbegriffliche, bildhafte 9, 34, 82, 92, 96, 99,207-211 Diana 116,204,206, 232 Dichtersubjekt 11,14,56,73, 85,97 f., 101,119-122, 153,162 f., 178-190,221-226,232,236,240-242 vgl. Selbsterkenntnis, Selbstreflexion Diktatszene 56,163 f., 166,184 f., 225,228,232, 240-242, Abb. 18 vgl. Inspiration Displacement 24,15} 161,163,225 Dissimilisierung vgl. Negation, vgl. Optionalität, vgl. Similisierung, vgl. Erhabenes, vgl. Undarstellbarkeit Dualismen, unterlaufene Allegorie 42,238,242 vgl. Allegorie Anfang-Ende 13 f., 30,42,105,170,234 vgl. Ma'aseh Bereshit, vgl. Ma'aseb Merkabah Chaos - Paradies 97 f. Eigenes - Fremdes 10,17 f., 22,25 f., 31 vgl. Grenzerfahrung, vgl. Kosmoshermeneutik Form (Geist) - Materie 12,104,106,108 f., 113-118, 142,146,192 Gut - Böse 13, 58,101,10^ 11^ 128,131 f., 140-143,147 Himmel - Hölle 14 Innen - Außen 130 f., 209 Irdisch - Himmlisch 97 f. Maske - Antimaske vgl. Maskenfestspiele, vgl. Oppositionalstrukturen Göttlich - Satanisch 97 f. Himmel - Erde, Oben - Unten vgl. Astronomie, vgl. Kosmoshermeneutik Transzendenz - Immanenz 14,236 f., 242 Vernunft - Einbildungskraft 14, 54,227-231 vgl. Oppositionalstrukturen, vgl. Anamorphose, vgl. Metamorphose Dynamik des Figurentwurfs vgl. Figuren, epische, vgl. Spiegelgestalten Ebenbildlichkeit 34,41, 89,128,142 f., 164-166, 170,172,174,187 f., 234 f. vgl. Demuth adam Echo 231 f. Einbildungskraft vgl. Imagination Ein-Sof 40 f. Elisabeth-Figurationen 101,133,212 Ellipse 84,194 Emanation 10, 39^2,106,235-237 Engelsturz 21,44,126-129,215, Abb. 6, Abb. 7

Sachregister Epische Figuren vgl. Figuren, epische Epische Tradition 10,48, 52 f., 70 f., 148 f., 151 vgl. Homer, Vergil, Dante im Personenregister Erhabenes, Sublimes 11,23-35, 6? 76, 83,124, 127-129,148, 150-156,162 f., 228-230,232 f. vgl. Undarstellbarkeit, Unsagbares Erinnerung 44,46, 5?181,213 f. vgl. Memoria, Mnemotechnik Eros 172,182 f., 188 f., 219 Errour 100-102,107-109,145-147 vgl. Falsitas, vgl. Sünde Ethik 11,28, 64, 71, 74-78, 82, 89,94-96,155 f., 207-211,227-231,233 Eva 11-13,26, 34 f., 43, 53, 94,120 f., 133 f., 136 f., 166-168,171,231 f. Falsitas 13,145-14? Abb. 9, Abb. 10 vgl. Schlangenfrau, vgl. Sünde, vgl. Veritas filia temporis Fernrohr vgl. Teleskop Festspielwesen vgl. Maskenfestspiele, vgl. höfische Kultur Fidessa, Duessa 221 Figuren, epische 11-14, 86-89,97 f., 10? 120-123, 133,141-143,147-155,157-168, 172-190,211 f., 216,221-226,232-235,241 f. vgl. Spielgelfiguren Fiktion 148,154 Form (Geist)-Materie-Dualismus 12,104, 106, 108 f., 113-118,142,146,192 Fremdes vgl. Eigenes - Fremdes unter Dualismen Furien 100 Gattungen, poetische 10,46-48, 50 f., 54 f., 58, 106 f., 210 Gebärmetaphorik 47,107-109,111,113-116,118, 122-139,144 f., 239 Gedächtniskunst vgl. Memoria, Mnemotechnik, vgl. Kombinatorik Gesamtkunstwerk 10,46-50, 58 Glaukos 178 f. Gott 11,30, 3 3 ^ 2 , 66,94, 97,106,115,127 f., 140 f., 144,155,160, 162,165,16? 169-172,174 f., 186 f., 191-194,205,215 f., 231-242 Geist Gottes, Heiliger Geist, Ruach Elohim 155,157 f., 172,179,182,238-242 vgl. Pneuma Gottesnamen 13, 36^3,119,143,161 f., 193 f., 196,214,218,223,238 Gottessohn 7,7,115,127 f., 139,142,144,14? 155,171 vgl. Christus, Messias vgl. Shi'ur Koma, vgl. Sefiroth

297 Gottesbund 22 Grazien 166 Grenzerfahrung, Grenzüberschreitung 10 f., 19, 26, 52, 76, 95,119-130,182,229,239 vgl. Ortlosigkeit, vgl. Hybris Griechisch, Gräzismen, Hellenismen 17 f., 23 Hebräisch, Hebraismen 10,18-23,165 Hekate 146,199,204 Helikon 196 Hephaistos 71,73 Hera 199, vgl. Juno Herakles 144 Hermes 35,136 Hesperiden 91 Himmel 31 f., 35 f., 56, 61,64 f., 138,154,179 f., 213,216,233 Himmelskrieg 61,90,93 f., 215 Höfische Kultur 31 f., 46-50,124 f., 172-176,210 f. vgl. Maskenfestspiele Hölle 11 f., 27,47,49, 56,62, 76, 90, 98,120, 128-130,132, 137, 144 f., 153, 166,172, 179,213, 215-21? 226,229 f. Hybris 12,17, 76-78,119 f. vgl. Grenzüberschreitung Idea 12,27, 97-10? 121,141, 143,145,148 f., 154, 162,16? 189,192,211 f., 218-220 Identität 10,16,24 f., 31,121 f., 128-130, 219-221, 226 Idolatrie 134,168,181,235 Ikonographie 10,12 f., 120,126,131-138,142, 158 f., 162,165,203 Ikonoklasmus 10,26-39,44 f., 47 f., 50 f., 134, 142,162,166,168,178, 190,233,235 Ikonologie 43, 53,161 f., 168, 206,208 literarische Ikonologie 43,162 Ilythia 144 Imagination 14,26,28 f., 38,46, 54, 76 f., 86-89, 92,95,106,148, 151,153-155,216,220, 227-231 Imitation 16? 198-205 Inspiration 9? 138-14? 157-165, 182-198,215, 21? 225,22? 231 f., 235-242, Abb. 18 vgl. Diktatszene, vgl. Dichtersubjekt Invokation 43 f., 119 f., 123-125,139,157-168, 196-205,211,213 f., 219,221-226,233 f., 236 f. Irritation 12, 75,12? 141 f., 176,235,238 vgl. Neues, Neuheit, Innovation Isis 54,109, 172, 198-206,227-229,232 f., Abb. 2 Israel (Gottesvolk) 22 f., 23 8-240 Italien 56,163, vgl. Rom, vgl. Vatikan

298 Japhet 136 Jesuiten 61,136 Judentum 22 f., 238-240 jüdische Mystik vgl. Kabbala Juno 144 f., 204, vgl. Hera Jupiter 45, 75,77,136,172, vgl. Zeus Monde des Jupiter 55, 74,159 Kabod 37,235 Kabbala 13,23,34 f., 39-43,165,195,231,233-242 vgl. Sefiroth, vgl. Shi'ur Koma christliche Kabbala 30 Karthago 48 Katoptrik 171,218 Kentauren 88,107 Keplersche Gesetze 84,194 Kippfiguren 12 f. vgl. Figuren, epische, vgl. Spiegelfiguren, vgl. Anamorphose Kirke 116 Klassizismus 76,83 Klio 144 Kolonialismus 59, 61, 73 f., 92 f., 205 Kombinatorik 68 f., 88 f., 106,115,131,141-143, 145 f., 148,194,216,235, Abb. 5, Abb. 8, Abb. 21, Abb. 22 vgl. Memoria, Mnemotechnik Körperbildlichkeit 101-10^ 124 Kosmologie vgl. Astronomie, vgl. Kosmoshermeneutik Kosmoshermeneutik 11, 62-96,159 f., 212 vgl. Astronomie Kreis 84,104-106 Quadratur des Kreises 104-106 Kunstkammer 82,100,103 f. Labyrinth 100 f. Landschaft 27 f., A7, 56, 81 f., 101,109,121,128, 131,135 f., 143,149,151,166 f., 232 Latinität, Latinisierung der Sprache 10,19,23-25,51 Lesbarkeit der Welt 11, 59, 68-70, 75 f., 94,119, 159,165,192,225 Leseerfahrung 10 f., 15,27 f., 70,119, 129 f., 155, 176 Lichtinvokation 41, 56,120,165,172,221 Lichtmetaphorik 36-42,56, 85,115,171 f., 179,223 Liebeskonzept, neuplatonisches 74,100,144, 177 f., 181 Lucifer 73, 90,160, vgl. Satan Luna 54, 203,206, Abb. 2 vgl. Isis, vgl. Mond Ma 'aseh Bereshit 13, 30,233-238 Ma'aseh Merkabah 13, 30 f., 46,233-238

Sachregister Ma'at 242 Magie 86,106,216 Maia 199 Mammon 133 Manierismus 11 f., 27, 72, 76, 81-84,99,103,115, 119, 121,162,168,212,217-221 manieristischer Künstler 72, 81,121,212 Maria 108,206,235 Mars 171 Maschine Gottesmaschinerie, Thronwagen 13,27, 32, 44,50,168,215,234 Gedächtnismaschine 50, 82, 88,101,141 f., 216, 235 Mensch in der Maschine 82, 216, 234 f. Metamorphosenmaschine, Bilderzeugungsmaschine 54, 82,101-113,171,178,218, Abb. 1, Abb. 8 Maschinisierung der Idea 101-113, 216 Sprachmaschinerie 32,143,216 Gebärmaschinerie vgl. Gebärmetaphorik vgl. Kombinatorik, vgl. Memoriaräder Maskenfestspiele 10, 32,46-50, 58,100,122,125, 17^ 210,220 f., 223 f. vgl. höfische Kultur Matelda 43 Materie 12, 57, 77,97 f., 106,111-119,122-130, 148,152,190,192,209,216 vgl. Form (Geist)-Materie-Dualismus Melancholie 12,14,27,58-63,72 f., 103,151,221-226 Memento mori 217 Memoria, Mnemotechnik 12, 50, 57, 68, 74, 88 f., 95,97,103-10^ 114,131,141-143,145 f., 165, 179 f., 194,213-216, Abb. 23 Memoriaräder 12,68, 104,106,142,145 f., 148, 194,216,235, Abb. 21, Abb. 22 Memoria-, Gedächtnismaschine 50, 82, 88, 101,141 f., 216,235 Gedächtnisräume 143,213 f. vgl. Kombinatorik Merkaba vgl. Ma 'aseh Merkabah Messianismus 23 Messias vgl. Christus, vgl. Gottessohn Metalepsis 52 Metamorphose 10,13,15-18,23-25,29, 54, 58, 98,100 f., 105-113,115,12^ 143,146 f., 171,178, 192,196-212,218-221,232 f., Abb. 1 vgl. Mutabilitie, vgl. Rad der Wandlungen Metis 139 Mikrokosmos-Makrokosmos 56-58,62, 64 f., 101,104,207-211, Abb. 3, Abb. 4 Mikroskop 89,153,171 Mimesis 106

299

Sachregister Minerva 12, 53,104-106,114 f., 138,142 f., 14} 166,168,199,204,206,235 vgl. Pallas Athena Mnemosyne 196 Mnemotechnik vgl. Memoria Momo 210 f. Mond 29,54, 59,60 f., 64-96, 199-206,224 Monsterkunde 109,143,171 Morgenstern 160,183, vgl. Venus Moses 35,53 Multiperspektivität 9-11, 13, 76, 78-96,110, 113, 162,168,171,209,217-219 vgl. Anamorphose Mutabilitie 14, 58-63,93 f., 101,109-111,11} 219-221 vgl. Metamorphose, vgl. Rad der Wandlungen Mysterien, heidnische 193,199 Mystik, jüdische, vgl. Kabbala Mythologie 15,26,46,48-54, 91-93,124, 131-139,142,144 f., 154 f., 158-160,162,166, 168,176,178 f., 196-211,21} 231 f., 234 Narziß 143, 166 f., 169,218,231 Natur 72, 80, 89,100,104,108 f., 116 f., 122,133, 142,146,154,159,16} 169,176,218,229 f. Navigation vgl. Schiffahrt Negation 23 f., 34, 37 f., 46 f., 51 f., 62, 85, 88, 10} 111,120,140 f., 160,162,16} 186,190 f., 193, 196,217-219,223,233,235,238 Neoklassizismus 147-156 Neues, Neuheit, Innovation 12,19,54, 58,62, 65,66, 70, 80, 88, 100,103 f., 106-109,111,115 f., 128,141 f., 145 f., 240 Neugierde 64,59 Neuplatonismus 74,100,106,109,144, 162,17} 205,221,227 f. vgl. Liebeskonzept, neuplatonisches Nichts 2} 31,34, 39-41,9} 114 f., 123-128,141, 148,154 Nil 9,15,100-104,107 f., 146,198 Obscurity 27-29,86-89 vgl. Erhabenes Olymp 157 f., 242 Oppositionalstrukturen 50,58,97 f., 101,10} 120, 122,166,168,239 vgl. Coincidentia oppositorum, vgl. Dualismen, vgl. Figuren, epische, vgl. Maskenfestspiele Optik, Geschichte der 64, 76, 82,100,171,192, 194, 218 vgl. Anamorphose, vgl. Astronomie, vgl. Sichtbarkeit Optionalität 13 f., 54,76,79 f., 81,84,86,92 f., 110, 115,162,191,195-20} 217-219,222,224 f., 241 vgl. Multiperspektivität, vgl. Anamorphose

Ortlosigkeit 14,58-62, 64,66, 94,121-130,226 Osiris 109,203,205 f. Oxymoron 34 f., 3} 85,164 Pallas Athena 75,105,131,135-139,142,144-14} 154 f. vgl. Minerva Pan 166,232 Pandaemonium 47-50,56 Pandora 12, 35, 131-138, 168,232 Pandrosus 137 Paradies 24 f., 2 } 34,4} 51, 56, 59, 73,91 f., 94, 9 } 119,128,130,134-136,143,153,166,169-176, 213 f., 21} 231,241 Paradiesessprache 15 f., 24 f., 172-176 Pegasus 158,242 Perspektive 10-12,2} 65 f., 75 f., 78-96,118 f., 121,125 f., 130,133,168-171,192,194 Perspectives vgl. Anamorphose Peru 74 Phaedria 221 Philosemitismus 23 Philosophia 172 (Boethius), 187 (Dante) Phoebus 200 Phronesis 165 Piatonismus 84, 88, 96 vgl. Piaton im Personenregister, vgl. Neuplatonismus Pluto 51 Pluralisierung, Pluralität 11,54, 72, 76,90,94 f., 101, 115 Pluralität der Welten 10 f., 54, 61, 72-78, 86-96, 111,115,120,130 f., 151-156,211,224,232 Pneuma 138-140,144,182,188 f., 226,231,233, 238-242 vgl. Geist Gottes unter Gott Poesia 121,159 f. Postmoderne 150 f. Poststrukturalismus 162,233 Proportionslehre 104 Proserpina 12,43, 51,168,200 f., 204-206,232 Proteus 107 Prudentia 12,121,167 f., 206,213 f., 218,232 Psyche, Psyché 12,2} 102 f., 124,130-14} 218, 226,239 Psychoanalyse 124, 143 f. Publizistik, wissenschaftliche 69 f., 81 Puritanismus 22 Pygmalion 176 Rad der Wandlungen (Bruno) 10 f., 54,109, 112 f., 121,168,195,218-221,232, Abb. 1 vgl. Metamorphose, vgl. Mutabilitie

300 Raphael 35,42, 64, 73, 78, 85, 90, 92, 94, M7,139, 186,214-216,232 Raison (Roman de la Rose) 13,172-176,235 Raum, poetischer 11 f., 14,17,27 f., 47, 55, 73, 77, 81,96,123,126,129-131,142 f., 148,162,171, 180,211,213 kolonialer Raum 47, 59, 74, 61, 73 f., 92 f. vgl. Reiseliteratur kosmischer Raum 59,70,73 f., 76 f., 81, 89-94, 180 vgl. Astronomie, vgl. Mond, vgl. Sonne, vgl. Pluralität der Welten, vgl. Unendlichkeit Red Cross Knight 100 Reinheitsgebot 35, 97 f. Reiseliteratur 11,47, 74,93,130 Relativität 52, 5? 86, 93,209-211 vgl. Dehierarchisierung, vgl. Multiperspektivität, vgl. Optionalität Restauration 93 Rezeption 10,12,19,26,29,14^ 206,221 Rhamnusia 204 Rom 45,49, 60,131 f., 158,163 f., 194 Palazzo Barberini 158,194, Abb. 17 Il Gesù 194 S. Andrea al Quirinale 194, Abb. 20 S. Andrea della Valle 194, Abb. 19 S. Ignazio 194 S. Luigi dei Francesi 163 f. S. Maria in Vallicella 194 vgl. Vatikan Roman de la Rose 13, 169-176, 218 f., 235 Romantik 28,120 Royal Society 78 Ruach Elohim 238-242 vgl. Geist Gottes unter Gott Samson 35,137 Sapientia vgl. Weisheit Satan 11 f., 14,27-29, 32, 35, 53, 70-73, 84-86, 90-92, 97 f., 119-131,133,142-144,14^ 149,151, 154, 160,162,17^211,215, 224,230,232,239 Saturn 77,172,222 Saturntrabanten 74 Schatten, Schattenprojektion 11,27, 66, 80,154, 20^ 210,217, 232 Schechina vgl. unter Sefiroth Schiffahrt 14,59-61, 73, 85, 89,93, 98,166,183, 215 Schild (Satans Schild) 12, 70-73, 90,143,166 Schlange 12, 98,12^ 13} 145-142 168 Schlangenfrau 13,117,145-147, Abb. 9-15 Scholastik 68 f. Schöpfung 9,12,30, 35,40-42,44, 56, 61, 72 f., 89-91,94, 97 f., 101,103,105-113,115 f., 120 f., 122 f., 142,146-148,152-156,159,162 f., 165-162

Sachregister 174 f., 192,211,213-215,229,233 f., 236, 239-242 vgl. Idea, vgl. Neues, Neuheit, vgl. Nichts, vgl. Nil Scylla 146 Schriftlichkeit 106 f., 143 Seefahrt vgl. Schiffahrt Sefiroth, Baum der 34 f., 39^t3,233-242 Bina 41,236 f. Chessed 40 Chochma 39-12,235 f., 238,242 Gevurah 40 Hod 40 Kether 40 Malchuth 41,236 Rahamim Schechina 40 f., 203,231-242 Tifereth 40 f., 240 Yesod 41 Zaddik 40 Selbstbehauptung 9 f., 27, 75,122,212,226 f., 230 f., 233 Selbsterkenntnis, Selbstreflexion 12-14, 97,119 f., 128-130,143 f., 166,218 f., 226 f., 233 Selbstverlust 130,219,226 vgl. Ortlosigkeit Shi'urKoma 19—42 vgl. Sefiroth Sibylle, cumäische 172 Sichtbarkeit 37, 54, 65, 72, 89,122,128,152 f. 186,189,192, 216,218,222 f., 231 f. vgl. Anamorphose, vgl. Astronomie, vgl. Optik Similisierung 9-98,109,118,121,157-165,168, 174-176,190,194,211 f., 218,232 vgl. Bildüberfluß, vgl. Ikonoklasmus, vgl. Kosmoshermeneutik, vgl. Negation, vgl. Optionalität, vgl. Ubersetzbarkeit, vgl. Undarstellbarkeit Sohar 41 Sol 45, 54,203 Sonne 28 f., 31, 61, 66,72, 75 f., 84-86,102 128, 166,169 Sonnenflecken 79,84-86 Sophia vgl. Weisheit Sphärenmusik 13, 158, Abb. 16 Sphinx 88 Spiegel 12 f., 54, 72,115,119,122,128,130,133, 132 143 f., 157,160,165-190,194,202,205,212, 215 f., 218 f., 226, 230-242 Spiegelachse 165-168,171,215 f., 230-242 Spiegelgestalten 133,13? 143,165-190,194, 215,230,232 Sprachmagie 16 Sternennebel 74

Sachregister Stimme 135, 166 f., 177,179,182,189,204 f., 226-228,231-233,235,241 f. Sublimes vgl. Erhabenes Sünde 12, 32,43,47, 93, 98,108,120,122,128, 130-149,166,168,177,214-216,232,235 Sündenfall 13,25, 52, 92,103,120,134,167 f., 230 f. vgl. Böses, Ursprung des, vgl. Falsitas, vgl. Schlange, Schlangenfrau, vgl. Veritas, Veritas filia temporis Systemüberlagerung 17 f., 24 f., 46 f., 50, 53-55, 58, 89,115,232 Talmud 23^ 239 Technologie 94, 133 Teleskop 11, 54, 59-61,63-65,70-74,78-86, 89, 91, 93,96,120,127,151-153,155,166,171,192,194,232 f. vgl. Astronomie, vgl. Sichtbarkeit Theben 49 Thronwagen 13,21, 30-33, 38-50,165,168,172, 215 f., 223 f., 233-235 Tobias 214 Tod 11,17, 32, 62 f., 93,110,127 f., 143 f., 147 f., 163,21^ 219 f., 229 Toleranz 9,23,76,94 Tora vgl. Bibel Urtora 39 schriftliche, mündliche Tora 239 Torah Keduma 39 Traditionenausgleich 10,51-55, 89,93-95,212,232 vgl. Systemüberlagerung, vgl. Übersetzbarkeit Transzendenz 14, 52,127 178,180,223,237 Traum 164,171 f., 201 f., 220,231 Très Riches Heures du Duc de Berry 146, Abb. 11 Typologie 22, 28, 32 Überbietung 51 f., 109, vgl. Negation Ubersetzbarkeit, Ubersetzung 10 f., 13,15-26, 37 39,44,47,53 f., 64,157-168,171,196,198-206,218 vgl. Kosmoshermeneutik, vgl. Systemüberlagerung, vgl. Traditionenausgleich Ubersimilisierung vgl. Bildüberfluß Unbegriffliche, bildhafte Denkform vgl. Denkform, unbegriffliche Undarstellbarkeit, Unsagbares 26-39,43 f., 55, 65,77, 86-89,122-130,142,147-156,162 f., 167 172-190,196,202,206 f., 210 f., 222-226,231-242 vgl. Erhabenes Unendlichkeit 10 f., 14,28 f., 54-56, 64,73-77, 89, 93,95,115,122,148,170,190-192,224,226,233 Universalsprache 78

301 Urania 9,11-14, 43 f., 55, 72,114,119-122,125, 128,142-145,147 154 f., 157-168,172,176-179, 181-189,192 f., 196, 203,211 f., 214-218, 221-242, Frontispiz, Abb. 18 vgl. Figuren, epische, vgl. Inspiration, vgl. Invokation, vgl. Dikatszene Uranos 158 Vakuum 27 Vanitas 12,143, 167 f., 218,221,232 Vatikan Cappella Sistina 146, Abb. 13, Abb. 14 S. Pietro in Vaticano 49 Stanza della Segnatura 146, 158 f., Frontispiz, Abb. 12 Venus 12 f., 72,101, 109, 134, 158,165-168,171, 173,182 f., 199-202,204-206,232 Tempel der Venus 101 Vergleich, epischer vgl. Similisierung Veritas, Wahrheit 9, 51, 72,116,132,138,145-147 154, 176,186,191,193,206,218,232 Veritas filia temporis 13,145-147 Abb. 9, Abb. 10 Vernunft 14,28, 54, 76 f., 142 f., 227-231,233 Vertumnus 107 Verwandlung vgl. Metamorphose Vexierbild vgl. Anamorphose Virginia 74 Vorsehung, göttliche 78,170-172,192,214 Wahrheit vgl. Veritas Wahrscheinlichkeit 147-156 Wandelbarkeit vgl. Metamorphose, vgl. Mutabilitie Weisheit 12 f., 39, 117 128,136-138,143 f., 158, 160 f., 165 f., 167 f., 170,172,174,176,178, 182-190, 206,218,221-226,232 f., 235-238 Weltbild 73 vgl. Astronomie, vgl. Pluralität der Welten Wissenschaften, neue 9,14, 59,68, 94-96,104, 108 f., 127,168,171,217 f., 232 vgl. Astronomie, vgl. Optik Wolkenbilder 37 197 f., 218-220 Wunderbares (Bodmer) 147-156 Wunderkammer vgl. Kunstkammer Zeit 110-113,123, 126,145 vgl. Chronos, vgl. Veritas filia temporis Zensur 93 Zeus 56 f., 110,136,139,206-211 vgl. Jupiter Zyklopen ' 100

Räume des Wissens Repräsentation, Codierung, Spur Herausgegeben von Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt 1997. 367 Seiten - 92 Abb. - 2 Tab. - Hardcover DM 9 8 - / öS 7 1 5 - / sFr 8 9 ISBN 3-05-002781-9 Die Beiträge dieses Bandes fassen die Ergebnisse des Symposiums „Darstellungsräume in den Wissenschaften", das im November 1993 am Institut für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte der Medizinischen Universität zu Lübeck stattfand, zusammen. Aus dem Inhalt: - Hans-Jörg Rheinberger/ Michael Hagner/ Bettina Wahrig-Schmidt: Repräsentation, Codierung, Spur - Horst Bredekamp: Zur Vorgeschichte von Thomas Hobbes' Bild des Staates - Gerhard Wolf: Gestörte Kreise. Zum Wahrheitsanspruch des Bildes im Zeitalter des Disegno - Wolfgang Schaffner: Operationale Topographie. Repräsentationsräume in den Niederlanden um 1600 - Michael Cahn: Die Rhetorik der Wissenschaft im Medium der Typographie. Zum Beispiel die Fußnote - Sybille Krämer: Kalküle als Repräsentationen. Zur Genese des operativen Symbolismus in der Neuzeit - Bettina Wahrig-Schmidt: Spur, Zeichen, Repräsentation. Politik und Wissenschaft bei Thomas Hobbes - Helmut Müller-Sievers: Über Zeugungskraft. Biologische, philosophische und sprachliche Generativität um 1800 - Thomas Schlich: Die Repräsentation von Krankheitserregern. Wie Robert Koch Bakterien als Krankheitsursache dargestellt hat - Friedrich Cramer: Emil Fischers Schlüssel-Schloß-Hypothese der Enzymwirkung. 100 Jahre danach - Bruno Latour: Der Pedologenfaden von Boa Vista. Eine photo-philosophische Montage - Hans-Jörg Rheinberger: Von der Zelle zum Gen. Repräsentationen der Molekularbiologie - Peter Galison: Die Ontologie des Feindes. Norbert Wiener und die Vision der Kybernetik - Gerhard Herrgott: Inter vali. Kinder- und Männerszenen von Robert Schumann - Michael Hagner: Zwei Anmerkungen zur Repräsentation in der Wissenschaftsgeschichte

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REINHARD MARGREITER

Erfahrung und Mystik Grenzen der Symbolisierung 1997. 648 Seiten Gb, DM 124,- / öS 9 0 5 - / sFr 1 1 0 ISBN 3-05-002960-9 In welchem Verhältnis stehen Erfahrung, Rationalität und Mystik zueinander? Auf diese Frage findet die neuere Philosophie - von der Aufklärung (Kant) bis zur Postmoderne (Derrida) - höchst unterschiedliche Antworten. Meist steht ein Gestus von Ausgrenzung einem Gestus von Vereinnahmung gegenüber: Mystik gilt entweder als das radikal Andere gegenüber Vernunft und Erfahrung oder als deren eigentliche Gestalt. Ausgehend von klassischen Mystiktexten (Meister Eckhart), von Begriffsgeschichte und Forschungslage, exponiert der Autor die Merkmale mystischer Erfahrung - AllEinheit, Ich-Entgrenzung, Transkategorialität - und analysiert sie im Kontext einer symbol- und medientheoretisch orientierten Phänomenologie. Erfahrung wird als autopoietischer Symbolisierungsprozeß dargestellt, Rationalität als dessen organisierende Struktur und Mystik als eine naturwüchsig angelegte Tendenz des Prozesses: als die Absicht eines - religiösen, ästhetischen, philosophischen - Symbolismus, selbstreferentiell die Gesamtrealität zu repräsentieren und dabei Repräsentation als solche aufzuheben. Dies führt zu einer Eigenparalyse, einem Zerbrechen des Symbolischen. Aus dem Inhalt: Einleitung: Mystik und Philosophie Erstes Buch: Prolegomena zu einer Theorie der mystischen Erfahrung 1. Fragen des methodischen Zugangs 2. Charakteristika der mystischen Erfahrung nach dem Zeugnis klassischer Mystiktexte 3. Positionen und Theorien der gegenwärtigen Mystikforschung Zweites Buch: Zur Phänomenologie und Theorie von Erfahrung und Mystik 1. Lebenswelt, Prozeß, Symbol und Medium: Grundzüge einer Theorie der Erfahrung 2. Das Ganze und die Grenzen der Erfahrung: Die Mystik-Diskussion in der neueren Philosophie 3.,Implosionen' des symbolisch-medialen Prozesses: Grundzüge einer Theorie der Mystik 4. Konsequenzen für den Philosophiebegriff: Die Einheit von philosophia mystica und philosophia rationalis

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Furcht und Faszination Facetten der Fremdheit Herausgegeben von HERFRIED MÜNKLER unter Mitarbeit von BERND Reihe: Studien und Materialien der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Die Herausforderung durch das Fremde" der Berlin-Brandenburgischen der Wissenschaften

LADWIG

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1997. 439 Seiten - 170 mm χ 240 mm Gb, DM 6 4 - / öS 4 6 7 - / sFr 5 8 ISBN 3-05-002975-7 Die Beiträge des Bandes beleuchten aus unterschiedlichen sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektiven das Fremde und den Fremden. Sie verdeutlichen die Ambivalenz dieses Phänomens, das den Menschen Furcht einflößt, sie aber auch fasziniert. Die große Bandbreite der Untersuchungen gibt einen Überblick über die Bedeutungsdimensionen und Facetten von Fremdheit in Vergangenheit und Gegenwart, in räumlich und kulturell fernen „Welten" wie in unserer eigenen Gesellschaft. Dabei kommen Gegenwartdiagnosen ebenso zur Sprache wie sozialanthropologische Grundeinsichten. Ein besonderes Augenmerk vieler Beiträge liegt auf der Phänomenologie des Fremden; einen weiteren Schwerpunkt bilden systemtheoretische Untersuchungen über Formen der Inklusion und der Exklusion von Fremden und Fremdem in geschichtstheoretischer Perspektive. Im Spiegel der Fremdheit lassen sich die Selbstbilder und Stilisierungen, die Erwartungen und Befürchtungen der jeweils eigenen Gruppe, Kultur oder Gesellschaft mit besonderer Deutlichkeit erkennen. Aus dem Inhalt: Herfried Münkler/Bernd Ladwig: Dimensionen der Fremdheit Rudolf Stichweh: Der Fremde: Zur Soziologie der Indifferenz Bernhard Waidenfels: Phänomenologie des Eigenen und des Fremden Justin Stagi: Grade der Fremdheit Alois Hahn: „Partizipative" Identitäten Horst Stenger: Deutungsmuster der Fremdheit Bernhard Peters: „Multikulturalismus" und „Differenz". Zu einigen Kategorien der Zeitdiagnose Rainer Münz: Europa und die großen Wanderungen des 20. Jahrhunderts Carsten Colpe: Synkretismus als Antwort auf die Herausforderung durch das Fremde Werner Röcke: Die narrative Aneignung des Fremden. Zur Literarisierung exotischer Welten im Roman des späten Mittelalters Jürgen Osterhammel: Gastrecht und Fremdenabwehr. Interkulturelle Ambivalenzen in der frühen Neuzeit

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