Methodo scientifica pertractatum: Mos geometricus und Kalkülbegriff in der philosophischen Theorienbildung des 17. und 18. Jahrhunderts 9783110844900, 9783110039429


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German Pages 178 [180] Year 1972

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Zur Herausbildung der „Mathematischen Methode“ im Zusammenhang der Entwicklung des Begriffs der Methode
II. Descartes’ Begriff der Methode im Verhältnis zu seiner Konzeption einer „Mathesis Universalis“
ΙII. Zur Auffassung des „Mos Geometricus“ und der „Mathesis Universalis“ in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
IV. Das Verhältnis von mathematischer Methode und „Mathesis Universalis“ in der Philosophie von Leibniz
V. „Methodus Scientifica“ und „Mathesis Universalis“ in der Methodenlehre Christian Wolffs
VI. Johann Heinrich Lamberts Konzeption einer Wissenschaftlichen Grundlehre
Literaturverzeichnis
Sachregister
Namenregister
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Methodo scientifica pertractatum: Mos geometricus und Kalkülbegriff in der philosophischen Theorienbildung des 17. und 18. Jahrhunderts
 9783110844900, 9783110039429

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Hans Werner Arndt Methodo scientifica pertractatum

W G DE

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 4

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1971

Methodo scientifica pertractatum Mos geometricus und Kalkülbegriff in der philosophischen Theorienbildung des 17. und 18. Jahrhunderts von Hans Werner Arndt

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1971

ISBN 3 11 00 3942 7 Library of Congress Catalog Card Number 72-81543 © 1971 by Walter de G r u y t e r & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung · J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · K a r l J . Trübner * Veit & C o m p . , Berlin 30, Genthiner Straße 13. P r i n t e d in G e r m a n y Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in f r e m d e Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: Druckwerkstätten Oskar Zach o H G , Berlin 31

Vorwort Die Einwirkung des Gedankens einer „mathesis universalis" auf die philosophische Reflexion und Theorienbildung verbindet unsere Epoche mit dem Zeitalter der Aufklärung. Die speziellen Bedingungen, unter denen dieser Gedanke auf die theoretische Philosophie des 17. und 18 Jahrhunderts wirkte, ließen ihn damals scheitern in der Gestalt, die er anzunehmen versuchte, und lassen ihn uns heute, wie schon in anderer Weise Kant, als einen dogmatischen Traum erscheinen. Nichtsdestoweniger vollzog sich unter seinem Einfluß in den konstruktiven philosophischen Theorien der Aufklärung eine Hinwendung zur methodischen Sicherung und Systematik der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis, auf welche die wissenschaftstheoretisdien Bemühungen auch unserer Zeit bezogen bleiben. Der Aufweis und eine Diskussion der Bedingungen, unter denen die Entfaltung eines ersten systematischen Wissenschaftsbegriffes in der Neuzeit stand, mag zudem geeignet erscheinen, die im folgenden behandelten philosophischen Systembildungen ihrer Grundstruktur wie der sie tragenden Motivationen nach zu erschließen — und so den Gedanken der „mathesis universalis" als einer „clavis", auf den sie ihrer Zielsetzung nach bezogen ist, auf jene selbst anzuwenden. Die Beschäftigung mit der hier behandelten Thematik geht zurück auf Untersuchungen zur Philosophie der Aufklärung, die ich unter Anleitung von Jean Hyppolite und meines Göttinger Lehrers Josef König durchgeführt habe. Die vorliegende Arbeit ist eine in einzelnen Punkten bereicherte Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommer 1969 vom Senat der Universität Mannheim angenommen wurde. Ihre abschließende Redaktion wurde wesentlich gefördert durch das freundliche Interesse, das Harald Delius während meiner Mannheimer Assistentenzeit an ihrem Zustandekommen nahm, sowie durch die lehrreichen Hinweise, durch die er und Rainer Specht auf ihre jetzige Gestalt Einfluß nahmen. Mannheim 1971

Hans Werner Arndt

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Einleitung

1

I. Zur Herausbildung der „Mathematischen Methode" im Zusammenhang der Entwicklung des Begriffs der Methode . . . .

15

II. Descartes' Begriff der Methode im Verhältnis zu seiner Konzeption einer „Mathesis Universalis"

29

1. Überblick

29

2. Descartes' Gedanke einer „mathesis universalis"

30

3. Das Verhältnis des „modus scribendi geometricus" zur kartesischen Erkenntnislehre

49

III. Zur Auffassung des „Mos Geometricus" und der „Mathesis Universalis" in der zweiten H ä l f t e des 17. Jahrhunderts . . . .

69

IV. Das Verhältnis von mathematischer Methode und „Mathesis Universalis" in der Philosophie von Leibniz

99

1. „Ars iudicandi" und „ars inveniendi" in der Logik von Leibniz

99

2. Leibniz' Urteilslehre im Verhältnis zur „mathematischen Methode"

103

3. „Characteristica universalis" und „mathesis universalis" bei Leibniz

110

4. Der Systembegriff bei Leibniz

118

VIII

Inhaltsverzeichnis

V. „Methodus Scientifica" und „Mathesis Universalis" in der Methodenlehre Christian Wolffs

125

ι . „Mathematische Methode" und Aufbau der begrifflichen Erkenntnis in der Wolffsdien Philosophie

125

2. Wolffs Konzeption einer „ars inveniendi"

139

VI. Johann Heinrich Lamberts Konzeption einer Wissenschaftlichen Grundlehre

149

Literaturverzeichnis

161

Sachregister

166

Namenregister

169

Einleitung Die Bezeichnung einer philosophischen Theorie als einer „more geometrico demonstrierten" wird nach verbreiteter Überlieferung mit der Aufklärungsphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts verbunden. Im besonderen sind es hier diejenigen Lehren, die man gemeinhin mit dem Namen der „konstruktiv-rationalistischen" Systeme der Philosophie benennt — und die den Zeitraum von der kartesischen bis zu der durch Leibniz und Wolff geprägten vorkantischen Philosophie umfassen — , auf die der Versuch bezogen wird, die Darstellungsstruktur philosophischer Argumentation und den Vortrag philosophischer Lehren an einem strengen Ideal folgerichtiger Begründung zu messen. Die Wendung, durch welche sidi diese philosophischen Theorien als Theorien vom überlieferten Gedankengut früherer Jahrhunderte abheben, besteht wesentlich darin, daß sich bei ihnen der Begründungsgedanke als ein in der D a r s t e l l u n g der Theorie zu greifender auszuweisen hat und nicht lediglich als ein auf den Erkenntnismodus bezüglicher begriffen werden darf. Es ist der Gedanke, daß Uberzeugungskraft, Gewißheit und universaler Anspruch von Theorien, die sich als wissenschaftliche verstehen, auf dem deduktiven Zusammenhang beruhen, dessen sich ihre Darstellung fähig erweist. Es wäre verfehlt, die treibende Kraft der sich hier vollziehenden Herausbildung philosophischer Systematik und eines wissenschaftlichen Systembegriffes, der grundlegend für die moderne Entwicklung geworden ist, lediglich in dem Anreiz zu suchen, den eine Nachahmung des als mustergültig empfundenen, nur in wenigen Punkten verbesserten Aufbaues der euklidischen Elemente auszuüben vermochte, wenn diese auch die mathematische Grundschule dieser Zeit bildeten. Vielmehr war es das spannungsreiche und wechselvolle Verhältnis, in das auf der Ebene der Methodendiskussion die axiomatische Methode der Geometrie mit einem am algorithmischen Rechnen und den neuen algebraischen Methoden gewonnenen Kalkülbegriff trat, das bei aller Verstrickung der philosophischen und methodologischen Konzeption in ihren traditionsbedingten Abhängigkeiten eine sich stufenweise vollziehende Anhebung der philo-

2

Einleitung

sophiscfaen Theorienbildung auf das Niveau ihres methodischen Anspruches bewirkte und zur Entfaltung des philosophischen Systembegriffes führte. Das überwiegende Gewicht, das in dieser Auseinandersetzung der „demonstratio more geometrico" zukam, läßt sich schon daran ermessen, daß man von ihr allgemein und verallgemeinernd als von der „methodus mathematica" sprach. Dagegen bilden die methodologischen Vorstellungen, zu denen der sich allmählich herausbildende Kalkülbegriff führte, nur einen partiellen, allerdings wesentlichen Aspekt dessen, was man unter der „mathesis universalis" verstand. In der methodischen Konzeption des „mos geometricus" und des Kalkülbegriffes stehen sich in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts erstmals in der Geschichte des europäischen Denkens zwei Auffassungen wissenschaftlichen Begründens gegenüber, deren Vergegenwärtigung und wechselseitige Bezogenheit im Stadium ihrer ersten Konfrontation lehrreich für die heute geführte Diskussion einer Grundlegung methodischen Denkens1 sein kann: a) ein sich der natürlichen, durch terminologische Festlegung präzisierbaren Sprache bedienendes aufweisendes Begründen, für welches die sprachliche Darstellung wesentlich der Führung und Kodifizierung von Einsichten in anschauliche bzw. empirische Gehalte und deren Bedingungszusammenhänge dient, und b) eine ihrer Konstitution nach zunächst ganz anders geartete Weise wissenschaftlichen Begründens, die sich analog zu Arithmetik und Algebra einer künstlichen Symbolsprache als Wissenschaftssprache bedient, bei welcher der Vorgang des Begründens von Aussagen allein der Vorgabe bestimmter Grundsymbole sowie der Bildungs- und Umformungsregeln der aus diesen Grundsymbolen zusammengesetzten Symbole bzw. Aussagen bedarf und die sich, nach einer Formulierung J . H. Lamberts, 1

In der Diskussion um das wechselseitige Verhältnis beider Begründungsformen liegt historisch erstmals die Beziehung eines semantischen Folgerungsbegriffs auf den Begriff einer syntaktischen Ableitung vor. V g l . P. Lorenzens Gegenüberstellung von geometrischer A x i o m a t i k und algebraischem Algorithmus, in „Methodisches D e n k e n " , in R a t i o " , 7 / 1 , F r a n k f u r t / M . 1 9 6 $ , S. 1. Eine Beziehung auf die intuitionistisdie, formalistische und Frege-Russellsche Grundlegung der Mathematik v e r mittelt ζ. B. H e y t i n g , Α . , „Intuitionism", 2. verb. Aufl. Amsterdam 1 9 6 6 , hier die im 1. K a p . enthaltene „Disputation". Z u inhaltlicher und formaler Argumentation vgl. auch Kambartel, F., „ E r f a h r u n g und Struktur, Bausteine zu einer Kritik des Empirismus und Formalismus", F r a n k f u r t / M . 1 9 6 8 , bes. K a p . 4 — 6 ; Lorenz, K , „Elemente einer Sprachkritik, eine Alternative zum Dogmatismus und Skeptizismus in der analytischen Philosophie, F r a n k f u r t / M . 1 9 7 0 , Teil 1 , K a p . 2 — 3 .

Einleitung

3

zur Aufgabe macht, „die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen zu reducieren" 1 . Mos geometricus und Kalkülbegriff haben unter der Einwirkung der aristotelischen Beweistheorie die Konzeption der strukturellen Beschaffenheit philosophischer Theoriebildung seit der kartesisdien Philosophie maßgeblich bestimmt. Der Gedanke der ihnen zugrundeliegenden Gleichartigkeit, der in Descartes analytischer Geometrie eine erste wirksame Konkretisierung gefunden hatte, ist erst von Leibniz in seiner theoretischen Tragweite erahnt worden. Zwar galten Geometrie und Arithmetik seit dem Altertum als diejenigen Wissenschaften, deren Aussagen der höchste Grad an Gewißheit zukam. Doch erst im 17. Jahrhundert kam der Gedanke zu voller Ausgestaltung, daß sich diese Gewißheit auch in anderen Bereichen menschlicher Erkenntnis mittels einer Anwendung der vom Gegenstande der Mathematik zu lösenden Darstellungsform mathematischer Erkenntnis verwirklichen lasse. In der aristotelisch-scholastischen Tradition verhinderten vor allem zwei Festsetzungen, daß der Gedanke dieser allgemein gefaßten Ubertragbarkeit formuliert wurde: die Festsetzung, daß die mathematische Erkenntnis auf den Bereich des Nicht-Stofflichen begrenzt sei, und jener andere, daß der Gegenstand der Untersuchung seine eigene Methode fordere®. In der Absicht dieser Untersuchung liegt es nicht, darzulegen, wie diese dogmatischen Festsetzungen in der Naturphilosophie des Spätmittelalters und der Renaissance erschüttert wurden4. Vielmehr soll die allmähliche Herausbildung einer an mathematischen Begründungsformen orientierten Methodenkonzeption nach zwei Seiten untersucht werden, die einander ergänzen, aber sachlich zu unterscheiden sind: 1. im Hinblick auf die Frage der Loslösbarkeit der methodischen Prinzipien der mathematischen Verfahrensweise vom Gegenstande der 1

Lambert, Joh. Heinr. ( 1 7 2 8 — 7 7 ) , „Neues Organon oder Gedanken über die E r forschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterstheidung von Irrthum und Schein", Ausg. „Philosophische Schriften", Hildesheim 1 9 6 5 , Bd. 2, S. 2 $ . ' V g l . Aristoteles, „ P h y s i k " , 193 1 3 2 j — 1 9 4 * 1 2 und „ M e t a p h y s i k " , I 0 2 J 1 1 30 — 1 0 2 6 » i o im Hinblick auf die erste der hier nur grob skizzierten Thesen. Z u r G e -

4

bundenheit der Methode an die N a t u r ihres Gegenstandes vgl. ζ . B. Aristoteles, „ D e a n i m a " , 4 0 2 » und Aristoteles, „Nikomadiische E t h i k " , 1094b. Z u den A n f ä n g e n einer mathematischen Naturwissenschaft in der Physik des 1 4 . Jahrhunderts, z . B . bei Thomas Bradwardine (ca. 1 2 9 0 — 1 3 4 9 ) und Nicolas v o n Oresme (gest. 1 3 8 2 ) vgl. die Darstellung von Dijksterhuis, E., „ D i e Mechanisierung des Weltbildes", Berlin 1 9 5 6 , S. 209 ff., ebenso wie die Arbeiten von Anneliese Maier zur Naturphilosophie des Spätmittelalters.

4

Einleitung

Mathematik, wie sie in der Forderung einer Übertragung der „methodus mathematica" auf nicht-mathematisdie Gegenstandsbereiche zum Ausdruck kommt. Der hier angesprochene Problemkreis steht historisch vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Übertragung des axiomatischen Aufbaues der euklidischen Geometrie auf die Gesamtheit aller, insbesondere der philosophischen Wissenschaften, 2. im Hinblick auf den Versuch einer Ausdehnung des arithmetisdialgebraischen Kalkül-Begriffs auf die deduktive Gewinnung audi derjenigen Erkenntnis, die nicht Gegenstand der reinen Mathematik, d. h. der Geometrie, Arithmetik und Algebra ist. Analog zu einem „Calculus quantitatum", wie er in den mathematischen Disziplinen in der regelgerechten Ableitung von Aussagen vorlag, die sidi unter Verwendung einer geeigneten Symbolik mittels einer Umformung von Gleichungen vollzieht, sollte ein „calculus qualitatum" die Eindeutigkeit der mathematischen Symbolik (im Sinne der Vermeidung von Homonymität und der kontrollierbaren Begrenzung des semantisdien Gehalts) erhalten und die kalkülmäßige Herleitung von Aussagen gewährleisten. Dieser Kalkül sollte audi die außerhalb des Zugriffs der reinen Mathematik liegenden qualitativen Bestimmungen der Dinge zum Ausdruck bringen bzw. berechenbar machen. Die unter diesem Gesichtspunkt stehenden Bestrebungen des 17. und 18. Jahrhunderts machen den Gedanken einer „mathesis universalis" aus. Im Gedanken der „mathesis universalis" liegen jedoch zwei zu unterscheidende Aspekte vor. Je nadidem, ob der eine oder der andere bei den einzelnen Autoren überwiegt, erhält die theoretische Ausgestaltung des Gedankens der Universalmathematik in den philosophischen Methodenlehren des 17. und 18. Jahrhunderts ihre spezifische Prägung. Der eine Aspekt betrifft die Frage der Ubersetzbarkeit qualitativer Bestimmungen in quantitative und die in einer Dimensionstheorie vorzunehmende Bestimmung der Hinsicht, in der etwas meßbar ist. In dieser Fragestellung ist die Problematik einer angewandten Mathematik und einer mathematischen Naturwissenschaft enthalten5. Der andere Aspekt, der durchaus eigenständig auftritt und die Problematik des vorgenannten bisweilen gleichsam zu überspringen trachtet, betrifft die Frage der Möglichkeit einer adäquaten Symbolisierung für qualitative Bestimmungen, wodurdi diese mit Hilfe geeigneter Bildungsregeln und Umformungsregeln einem analog zu algebraischen Herleitungen konzipierten und in seinen Grund-

Einleitung

5

Symbolen und Regeln axiomatisch fundierten Kalkül unterworfen werden könnten. Dieser Aspekt umfaßt die Idee einer als „lingua universalis" oder „characteristica universalis" konzipierten Wissenschaftssprache und einer sidi ihrer bedienenden „ars inveniendi" oder „Erfindungskunst", in der sich nicht nur philosophische Argumentationen im Hinblick auf ihren Geltungsanspruch und ihre Folgerichtigkeit überprüfen ließen, sondern sich auch die kalkülmäßige Gewinnung inhaltlich bestimmter „veritates nondum cognitae" erzielen ließe. Die „ars inveniendi" würde so zur Gewinnung aller Folgerungen dienen, die sich auf rein syntaktischem Wege aus den zugrundegelegten Axiomen herleiten ließen. Audi die Forderung der Einheit wissenschaftlicher Methode als des Inbegriffs eines Regelsystems, wie er schon von der kartesischen Philosophie erhoben wurde, fällt unter diesen Aspekt. Im Hinblick auf die Thematik der folgenden Untersudiungen kommt eben diesem letztgenannten Aspekt der „mathesis universalis" eine stärkere Relevanz als dem erstgenannten zu, da es der ernsthafte Glaube an die Möglichkeit einer Verwirklichung seiner Zielsetzung war, der die strukturellen Grundlagen der philosophischen Theorienbildung beeinflußte. Sowohl die historische Bedingtheit beider Blickrichtungen — derjenigen einer Anwendung der „mathematischen Methode" in allen Erkenntnisbereichen und derjenigen einer „mathesis universalis" — wie auch ihre theoretische Tragweite ist sehr unterschiedlich. Nur der „mos geometricus" steht in einem direkten Zusammenhang mit den Ansätzen und der Entwicklung einer wissenschaftlichen Methodenlehre, wie sie sich seit der antiken Philosophie beobachten läßt. Die Entwicklung der methodologischen Konzeptionen seit dem Altertum, wie sie hier im I. Kapitel kurz skizziert wird, zeigt die Sonderstellung auf, die der „mathematischen Methode" nach ihrer allmählichen Ausgliederung aus der Gesamtheit der vom Altertum her unterschiedenen Methoden und 5

Zu dieser in der vorliegenden Untersuchung nur am Rande behandelten Fragestellung vgl. die grundlegenden Erörterungen bei Burtt, Ε. Α., „The Metaphysical Foundation of Modern Physical Science", N e w Y o r k 1927, und Strong, Ε. W., „Procedures and Metaphysics. A Study in the Philosophy of Mathematical Physical Science in the Sixteenth and Seventeenth Centuries," Berkeley 1936, sowie die Darstellung bei Mittelstrass, J., „Neuzeit und Aufklärung", Berlin 1970, bes. S. 268—374 (mit umfangreichen Literaturangaben zum genannten Problemkreis). Zur Entwicklungsgeschichte der „Mathesis universalis" als der Problematik einer mathematischen Naturwissenschaft vgl. auch Brunschvicg, Leon, „Les Etapes de la Philosophie Mathimatique", Paris 1930*.

6

Einleitung

nach ihrer im Mittelalter verstärkten Konfundierung mit der aristotelischen Beweistheorie zukam. Ihre vollkommen beherrschende und ausschließende Geltung erlangte sie erst im 17. Jahrhundert mit der kartesischen Philosophie. Statt der früheren Methodenvielheit wird nun die Einheit der wissenschaftlichen Methode postuliert, sie ist nicht mehr auf die Verwirklichung eines partiellen Zweckes der Erkenntnisgewinnung gerichtet, sondern tritt als ein Regelsystem auf, dessen Anwendungsbereich zugleich die Grenzen möglicher Erkenntnis normiert. Die sprachliche Charakterisierung der „mathematischen Methode" sollte, insofern in dieser Methode selbst der Gedanke einer allgemeinen Anwendbarkeit auf alle Bereiche menschlicher Erkenntnis liegt, sowohl speziellen Zielsetzungen (dem Wahrheitserweis für eine vorgelegte Aussage) als auch allgemeineren Zielsetzungen („nihil nimirum falsum pro vero supponere"") gerecht werden, denen sich die spezielleren unterordnen ließen. Deshalb mußte die sprachliche Charakterisierung der Methode so allgemein gefaßt werden, daß alle spezielleren Zielsetzungen, auf die sie Anwendung finden sollte, von ihr mit umfaßt wurden. Schon in der kartesischen Philosophie jedoch verschränkt sich die methodische Verallgemeinerung des geometrischen Beweisganges mit der Konzeption einer „mathesis universalis" und im Verhältnis der Allgemeinheit der Methode zur Vielzahl ihrer möglichen Anwendungsfälle liegt schon die Verwechslung nahe mit dem Verhältnis der algebraischen Formel zur aufzählbaren Menge der numerischen Einzelfälle, die sie erfüllen. Unter der methodischen Konzeption des „mos geometricus" ist jedoch zunächst der Inbegriff der formalen Bedingungen eines vom Gegenstande der Erkenntnis unabhängigen Beweis- bzw. Entscheidungsverfahrens für v o r g e l e g t e Aussagen zu verstehen. Wie im Modell des euklidischen Beweisganges7 fungieren vorgelegte Aussagen als theoretische Annah• S o besteht die Zielsetzung der A n w e n d u n g seiner Methode für Descartes, auf eine Kurzformel gebradit, darin, „nihil nimirum falsum pro vero supponere, et ad omnium cognitionem pervenire." V g l . Descartes, R . , „Regulae ad Directionem Ingenii", in CEuvres", ed. A d a m und Tannery, Bd. X , S. 3 7 2 . 7

Tatsächlidi handelt es sich hier nur um den H a u p t t y p u s unterschiedlicher T y p e n euklidischer Beweisgänge; als wichtigste weitere T y p e n fallen hier der konstruktive Beweis und das indirekte Beweisverfahren zur Widerlegung der zur vorgelegten Aussage kontradiktorischen aus der Betrachtung heraus. V g l . Euclides, „ O p e r a omn i a " , ed. J . L . Heiberg u. H . M e n g e , Leipzig 1 8 8 3 — 1 9 1 6 , u. Euclides, „Elementa, Libri I — I V cum Appendicibus post I. L . H e i b e r g " , ed. E . S. Stamatis, Leipzig 1969. Z u r Unterscheidung der euklidischen Beweisformen vgl. Proclus Behandlung von „ T h e o r e m a t a " und „ P r o b l e m a t a " in Proclus Diadodius, „ I n primum Euclidis E l e -

7

Einleitung

men, die durch Herleitung aus gesicherten Prämissen als wahr zu erweisen sind. Damit fiel die Zielsetzung der Anwendung des „mos geometricus" zusammen mit der einer „ars iudicandi", als der Kunst, vorgegebene Aussagen durch demonstrative Herleitung aus schon gesicherten Aussagen als wahr zu erweisen. Die „ars iudicandi" aber war neben der ars inveniendi, die mit der Aufstellung neuer Aussagen zugleich deren Gültigkeit erweisen sollte, eine der beiden Aufgaben, deren Erfüllung seit der Renaissance in die Zuständigkeit der Logik fiel8. Die sprachliche Charakterisierung dieser formalen Bedingungen eines Beweisverfahrens für vorgelegte Aussagen orientiert sich zwar in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts am faktischen Vorgehen bei der Lösung geometrischer Aufgaben und vorwiegend an der A r t und Weise, wie dieses Vorgehen in den spätantiken

Euklidkommentaren

allgemein beschrieben wurde, steht zum andern aber — im Gegensatz zu diesen Kommentaren — unter dem Gedanken einer Übertragung der so zu gewinnenden Regeln auf andere Gegenstandsbereiche als den der Geometrie. Die außerordentlich erhöhte Wertschätzung, welche der Unterricht der Geometrie seit der Zeit der Renaissance und des Humanismus, namentlich unter dem Einflüsse von Petrus Ramus und Philipp Me-

8

mentorum Librum Commentarii", ed. S. Friedlein, Leipzig 1873, deutsch übersetzt von M. Steck in Proclus Diadochus, „Kommentar zum ersten Budi von Euklids Elementen", Halle/Saale 1945. Die am ausführlichsten kommentierte moderne Übersetzung der gesamten „Elemente" stammt von Sir Thomas L. Heath, „The thirteen books of Euklid's Elements, transl. with introduction and commentary", Cambridge 1925. In vager Verallgemeinerung verband sich das Verständnis der aristotelisch-scholastischen Logik als einer „Beurteilungskunst" seit der Renaissance mit der Kritik, daß diese Logik nur zur „Beurteilung" des bereits Erkannten, nicht aber zur „Erfindung" neuer Erkenntnis dienlich sei. So heißt es noch in Zedlers „Großes Vollständiges Universallexikon", Leipzig 1738, Bd. 18, Sp. 266: Aristoteles habe „viel nöthige und nützliche Sachen gar nicht berührt, ζ. B. die Art, die Wahrheit zu erfinden". Die Einteilung der Logik in eine Lehre von der „inventio" und dem „iudicium" durch Petrus Ramus (gest. IJ72) in seinem „Dialecticae partitiones", Paris IJ43, wirkte nachhaltig auf die Folgezeit. Der ältere Ursprung dieser Unterscheidung war jedoch im 17. Jahrhundert bekannt. Vgl. Joh. Micraelius, „Lexicon Philosophicum", Stettin 1661, S. 695: „Logicam Stoici diviserunt in Inventionem et Iudicium: quos imitatur Ramus". Ihr modernes Gegenstück findet diese Zweiteilung der Aufgabenstellung der Logik in „iudicium" und „inventio" in der Frage nach Entscheidungsverfahren für vorgelegte formalisierte Aussagen und in der Frage der Ableitbarkeit aller möglichen Folgerungen aus einem gegebenen Axiomensystem, vgl. ζ. B. Hermes, H., „Einführung in die mathematische Logik",

Stuttgart 1963, S. 28—34.

8

Einleitung

landithon erfahren hatte*, die Wiederentdeckung und Ubersetzung ins Latein der antiken Kommentatoren des Euklid 10 , die große Vermehrung der Euklidausgaben im 16. und 1 7 . Jahrhundert und die zunehmende Hinwendung zur methodologischen Interpretation geometrischer Beweisgänge" zeugen von dem Interesse, das die gelehrte Welt des 16. und 17.Jahrhunderts der geometrischen Axiomatik entgegenbrachte 12 .

Das

begriffliche Instrumentarium, mittels dessen das theoretische Konzept dieser Axiomatik formuliert wurde, lieferte zum großen Teil die aristotelische Lehre vom A u f b a u wissenschaftlicher Beweisgänge, was sowohl zur Hervorhebung ihrer Gemeinsamkeiten als auch zur Betonung ihrer Unterschiedenheit Anlaß bot 13 . Die Erörterungen zum euklidischen Beweisverfahren und die daran sich herausbildenden Auffassungen des „mos geometricus" stellen sich im wesentlichen dar als der seit der Antike kontinuierlich unternommene Versuch, zur besseren Einsicht in ein von den Geometern immer schon mit E r f o l g geübtes Verfahren zu gelangen und die Bedingungen seiner Ubertragbarkeit auf andere Wissensbereiche zu diskutieren. In dieser Wertung der euklidischen Axiomatik als eines Modells f ü r ein allgemein anzuwendendes Entscheidungsverfahrens für • Vgl. Ramus, Petrus, „Sdiolarum mathematicarum libri X X X I " , Basel 1569; „Arithmeticae libri duo, geometriae Septem viginti", Basel 1569. Z u Melanchthons Einfluß auf den Unterricht von Geometrie und Arithmetik vgl. Schilling, H., „Die Geschichte der axiomatisdien Methode im 16. und beginnenden 1 7 . J a h r hundert", Hildesheim 1969, S. 35/36. 10 Neben Proklus f a n d v o r allem Pappus als antiker Kommentator der euklidisdien Schriften Beachtung. A m einflußreidisten w a r wohl die 1589 in Venedig erschienene Übersetzung von Federico Commandino: „Pappi Alexandrini mathematicae collectiones a Federico Commandino Urbinate in Latinum conversae, et commentariis illustratae". 11 Unter den Euklidausgaben des 16. Jahrhunderts bringt diejenige von Conrad Dasypodius und Christian Herlinus, Straßburg 1564, i j 6 6 u. ö. den griechischen Text mit deutscher Übersetzung und Kommentar. Von Einfluß auf das 1 7 . J h d . w a r v o r allem die kommentierte Ausgabe von Christoph Clavius, „Euclides, Elementorum libri X V . Accessit X V I . D e solidorum regularium comparatione. Omnes perspicuis demonstrationibus, accuratisque scholiis illustrati", R o m 1 5 7 4 , mit Neuauflagen von 1589, 1 5 9 1 , 1603, 1607, 1 6 1 2 u ö. Wie sehr mit der Vervielfältigung der Mittel, geometrische Kenntnisse zu erwerben, auch die Wertschätzung der Geometrie wuchs, zeigt Cantor Moritz, „Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik", 2. Bd., Nachdruck der 2. Aufl. 1900, N e w York—Stuttgart 1965, S.5j9f. 18 Vgl. dazu die informative Darstellung von H . Schilling, „Die Geschichte der axiomatischen Methode im 16. und beginnenden 1 7 . Jahrhundert", Hildesheim 1969. 1S Neben dem vorgenannten Werk vgl. die ausführliche Darstellung bei Gilbert, N . W., „Renaissance Concepts of Method", N e w Y o r k 1963 und De Angelis, E., „II metodo geometrico nella Filosofia del Seicento", Turin 1964.

Einleitung

9

vorgelegte Aussagen liegt aber schon der Gedanke einer „clavis universalis", der sich nun vor allem mit der methodologischen Interpretation der sich entwickelnden algebraischen Verfahren verband. Während der „mos geometricus" als ein allgemein anzuwendendes Beweisverfahren zur Beurteilung vorgelegter Aussagen in Abhängigkeit von der euklidischen Geometrie und der wissenschaftlichen Methodenlehre von Antike und Mittelalter sich herausbildete, hob sich die seit der Renaissance gestellte Forderung nach einer „ars inveniendi" 14 , die mit der Einsicht in neue Erkenntnis zugleich deren Gültigkeit verbürgen sollte, bewußt von der früheren Tradition der Logik und Erkenntnislehre ab. Die „ars inveniendi" erscheint selbst als die vorzüglichste aller zu machenden Entdeckungen15, die den Schlüssel zu allen anderen liefern sollte. Ihrer Herkunft und Natur nach sehr verschiedenartige Bestrebungen richten sich auf die gemeinsame Zielsetzung, durch Herstellung eines künstlichen Symbolsystems auf operativem Wege, d. h. nur unter Benutzung festzulegender Regeln für die Bildung und Verknüpfung bestimmter Grundsymbole zur Erkenntniserweiterung und Auffindung der „veritates nondum cognitae" zu gelangen. Die „ars magna" des Raymundus Lullus, in welcher der Ausdruck „inventio" erstmals verbunden war mit dem Gedanken einer Grundwissenschaft, die die Prinzipien aller möglichen menschlichen Erkenntnis formuliert und aus der sich speziellere Einsichten mittels einer symbolischen Begriffskombinatorik gewinnen 16 lassen, hatte im 16. Jahrhun14

Vgl. Heimsoeth, H., „Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz", Gießen 1912—14, S. 202/3: „Die Erfindungskunst war das K a m p f w o r t seit der Renaissance. Durch ihre Forschungsleistung sollte die neue ,Methode' sich auszeichnen vor der traditionellen Logik, die bloß als Organon für Beweis und Darstellung schon gefundener Wahrheiten zu braudien sei". Siehe dazu meine Darstellung in der Einführung zu Wolff, Christian, „Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit", hrs. u. bearbeitet v. H . W. Arndt, Hildesheim 1965, S. 31—74.

15

Ihren emphatischsten Ausdruck findet die erstrebte „ars inveniendi" bei Tschirnhaus, der in ihr „scientiarum omnium nobilissimam, ope cuius, quicquid est occulti, revelatur" sieht, mit deren Hilfe „quicquid ignotum est, eadem prorsus ratione non solum in Mathematicis, sed et in omnibus aliis scientiis, posse detegi", vgl. Tschirnhaus, E. W. v. (1651—1708), „Medicina Mentis, sive Tentamen genuinae Logicae, ubi disseritur de methodo detegendi incognitas veritates" (Amsterdam 1687); hier zitiert 2. Ausgabe Leipzig 1695, neuherausgegeben und eingeh v. W. Risse, Hildesheim 1964, S. 3 u. 33.

,e

Vgl. Platzeck, P. E. W., „ L a combinatoria luliana", in „Franziskanische Studien",

19J2, S. 32—60, 377—407.

10

Einleitung

dert vermehrte Beachtung und eine Reihe einflußreicher Kommentatoren gefunden 17 . Es erfolgte eine Kontamination des in der lullistischen Tradition stehenden „inventio"-Begriffes sowohl mit dem gleichnamigen Begriff der ciceronischen Rhetorik (die sich einer heuristischen Topik bedienende Bereitstellung des thematischen Stoffes überzeugender Argumentation 18 ), als auch, mittels der Rhetorik, mit dem auf eine alte antike Tradition zurückgehenden Gedanken einer „ars memorativa" oder „mnemotechnica", die der Verfügbarmachung des vorhandenen Wissens dienen sollte 1 '. Die Kombinatorik als die Lehre von den verschiedenen möglichen Anordnungen gegebener Dinge oder Elemente wird in ihren elementaren Grundlagen von italienischen Mathematikern entwickelt20. Sie bildet fortan nicht nur ein eigenständiges Gebiet mathematischer Forschung, sondern wird auch auf einzelnen Gebieten der Logik anzuwenden und für die „ars magna" des Raymundus Lullus fruchtbar zu machen versucht21. Die durch die Verwendung arabischer Ziffern statt lateinischer begünstigte Rechenkunst, die im 16. Jahrhundert in einer großen Anzahl gedruckter Rechenbücher starke Verbreitung fand, verband mit der Mathematik die uns vertraute Vorstellung des schriftlichen Rechnens auf dem Papier als eines Operierens mit Symbolen". Seit der Mitte des Jahrhunderts erschienen dann eigenständige Darstellungen der Algebra als der Lehre von der Auflösung von Gleichungen. Die Arbeiten von 17

Vgl. die Darstellung bei Rossi, Paolo, „Clavis universalis, Arti mnemonidie e Logica combinatoria da Lullo a Leibniz", Mailand—Neapel i960; hier zum Einfluß des Agrippa von Nettesheim und zur lullistischen Tradition, S. 42—51. Eine weit ausführlichere Behandlung erfährt diese Tradition bei W. Risse, „Die Logik der Neuzeit", 1. Bd., Stuttgart-Cannstadt 1964, Kap. VII, S. 532—560.

18

Zum Zusammenhang der Termini „inventio" und „dispositio" in der Tradition der antiken Rhetorik vgl. Lausberg, H., „Elemente der literarischen Rhetorik", Mündien 1963 2 , S. 16—34. In dem oben genannten Werk hat Paolo Rossi überzeugend den inneren Zusammenhang herausgestellt, der in sehr verschiedenartigen Theorien einer „ars inveniendi" zum Gedanken einer „ars memorativa" und der Mnemotechnik besteht.

10

Neben der kurzen Darstellung im 2. Bd. von Moritz Cantors „Vorlesungen über Geschichte der Mathematik" stehen vor allem die reichen bibliographischen Angaben in Risse, W., „Mathematik und Kombinatorik in der Logik der Renaissance", Archiv für Philosophie, Bd. 11 (1962).

21

Vgl. Rossi, P., a.a.O., Kap. 2: „Enciclopedismo e Combinatoria nel Secolo X V I . "

21

Vgl. Risse, W., „Mathematik und Kombinatorik . . . " .

Einleitung

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Cardano und Ferrari bringen Lösungsmethoden zur Auflösung von Gleichungen dritten und vierten Grades23. Erst Vieta (1540—1603) verwendet nicht nur für die Unbekannten in Gleichungen, sondern auch für die bei den algebraischen Umformungen konstant bleibenden Größen lateinische Buchstaben des Alphabets und macht es so möglich, mathematische Lehrsätze allein durch Formeln darzustellen. Bei der Auflösung von Gleichungen handelt es sich darum, die unbekannten Wurzeln mittels algebraischer Umformungen dieser Gleichungen zu finden, die bestimmten Regeln unterliegen. Es handelt sich also nicht wie beim herkömmlichen geometrischen Beweis um den Beweis von vorgelegten Aussagen, sondern um die Aufstellung einer Behauptung, die auf Grund der Regelgemäßheit ihrer Herleitung ihre Geltung beanspruchen darf. Eben hierin aber schien auf einem begrenzten Gebiete ein Teilstück jener „ars inveniendi" vorzuliegen, deren methodische Ansprüche in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts denen eines an der geometrischen Axiomatik orientierten „mos geometricus" gegenübertraten. Der mathematische Hintergrund, vor dem sich die Auseinandersetzungen abheben, die den Gegenstand der folgenden Untersuchungen bilden, ist heute in eingehenden Darstellungen und terminologiegeschichtlichen Untersuchungen24 in seinen wesentlichen Entwicklungslinien weitgehend geklärt. Er wird für die hier behandelte Thematik vor allem dort relevant, wo die in den philosophischen Lehren vorliegende Interpretation nicht an Hand einleuchtender Paradigmata, auf die sich die jeweiligen Autoren selbst beziehen, zum Verständnis gebracht werden kann. Die folgende Untersuchung bleibt im wesentlichen beschränkt auf "

Vgl. Cantor, Μ., a. a. Ο., S. 607 ff.

14

Zur antiken Mathematik vgl. neben Heath, Th., „ A history of Greek Mathematics", 2 Bde. Oxford 1 9 2 1 , die jetzt vorliegende Darstellung von Szabo, Α., „Anfänge der griechischen Mathematik", München 1969. Im Zusammenhang der euklidischen Axiomatik ist hinzuweisen auf Fritz, K . v., „Die A P X A I in der griediisdien Mathematik", in „Archiv für Begrifisgesdiidite", 1, 1955, 1 3 — 1 0 3 , und Sdiolz, H., „Die Axiomatik der Alten" (1930), in Scholz, H., „Mathesis universalis, Abhandlungen zur Philosophie als strenger Wissenschaft", hrsg. v. Hermes, H., Kambartel, F. u. Ritter, J., Basel—Stuttgart 1 9 6 1 , S. 27—44. Zur Mathematikgeschidite der Neuzeit vgl. neben der für den behandelten Zeitraum wichtigen „Histoire des Mathematiques" von Montucla, J . E., ed. Lalande, J . J., Paris 1799/ 1862 (4 Bde) und der Darstellung von Cantor, Moritz, siehe oben, die mit reichen Literaturangaben zu Spezialuntersuchungen versehene „Geschichte der Mathematik" von Hofmann, J . E., 3 Bde., Berlin 1 9 5 3 — J 7 .

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Einleitung

die Betrachtung der Theorien von vier Autoren, in deren Lehre in sehr verschiedenartiger Weise die Problematik des Verhältnisses von „mos geometricus" und „mathesis universalis" zum Ausdruck kommt. Es sind die Theorien von Descartes, Leibniz, Wolff und Lambert, die in vielen Punkten exemplarisch für diejenigen anderer zeitgenössischer Autoren sind. Die philosophischen Lehren, die den Gegenstand dieser Untersuchung bilden, werden gemeinhin mit dem Namen der „konstruktivrationalistischen" Systeme der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts belegt. Wie im folgenden gezeigt werden soll, lassen sie sich charakterisieren durch die Einwirkung, die dem „mos geometricus" und dem Gedanken einer „mathesis universalis" auf ihre formale Grundstruktur zukommt. So wird die Untersuchung die Unterschiedenheit der Systemgestaltungen aufzuweisen haben, zu denen die jeweilige Auffassung jener methodischen Grundgedanken und ihr wechselseitiges Verhältnis in den einzelnen philosophischen Lehren führte. Die hierbei zu fixierenden Gesichtspunkte lassen die Entwicklung der konstruktiven Systeme des 17. und 18. Jahrhunderts als ein Ganzes sehen und zeigen zugleich die Entfaltung einer formalen Systemauffassung, durch die sich die untersuchten philosophischen Theorien als vielfältige Resultate einer in wesentlichen Punkten einheitlichen methodischen Grundauffassung ausweisen. Vor allem sind es Logik und Methodenlehre, wissenschaftliche Axiomatik und Sprachtheorie, die durch die Theorie der „mathematischen Methode" und durch die Einwirkung des Gedankens einer „mathesis universalis" eine grundsätzliche Erneuerung gegenüber älteren philosophischen Theorien erfahren. Durch sie gewinnt der weitgehend durch die Tradition bestimmte Bestand der Metaphysik eine spezifische Prägung und seine für diese Lehren eigentümliche Wendung. Die spezifische Verschränkung von „mos geometricus" und „mathesis universalis" in den hier behandelten Theorien des 17. und 18. Jahrhunderts, in der ihre Autoren eine „clavis" zu methodischer Erschließung möglicher wissenschaftlicher Erkenntnis sahen, erweist sich selbst als Schlüssel zum Verständnis des Fundaments ihrer eigenen Theorienbildung. Daß aber der Versuch, die philosophische Theorienbildung nach dem Vorbild der mathematischen zu reformieren, schließlich unter den hier gegebenen Voraussetzungen zum Scheitern verurteilt war, hinderte nicht, daß eben durch diesen Versuch der Gedanke philosophischer Systematik eine nachhaltige theoretische Ausdeutung erfuhr und zugleich die

Einleitung

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Positionen vorbereitet wurden, die von intuitionistischen und formalistischen Richtungen in der Folgezeit bezogen wurden 25 . Der Gegenstand der gegenwärtigen Untersuchung erscheint auch geeignet, zu illustrieren, in welchem Ausmaß der Sog der aristotelischscholastischen Schultradition auf die Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts noch wirksam war. Er bestimmte einerseits wesentlich die Art, in der das mathematische Modell in der philosophischen Erkenntnis zur Geltung gebracht wurde, erwies sich aber andererseits mit den dadurch bestimmten methodischen Grundgedanken als unverträglich und führte schließlich zu Kants ablehnender Haltung gegenüber der These, daß die vollkommenste Form der „cognitio philosophica" die „cognitio mathematica" sei.

2S

Vgl. z . B . die Ausführungen von Carnap, R., Heyting, Α., Neumann, J . v. und Brouwer, L. E. J . in Benacerraf, P., u. Putnam, Η., „Philosophy of Mathematics", Selected Readings, N e w Jersey 1964 u. Körner, S., „The Philosophy of Mathematics", London i960.

I.

Zur Herausbildung der „Mathematischen Methode" im Zusammenhang der Entwicklung des Begriffs der Methode

Verfolgt man die Entwicklung des Begriffs der Methode vom griechischen Altertum bis zur Zeit von Descartes und Leibniz, so läßt sich die Richtung, in der sich diese Entwicklung vollzog, durch drei Feststellungen angeben: a) Gegenüber der Vielheit der Methoden, die das Altertum und das Mittelalter unterschieden hatte, besteht im 17. und 18. Jahrhundert eine Tendenz, die Einheit der wissenschaftlichen Methode zu behaupten. Zwar werden bisweilen die Teilstücke, in die sich der Gang der Untersuchung aufgliedern läßt — wie Analyse und Synthese — „Methoden" genannt, doch werden sie gleichzeitig als Teilstücke ein und derselben wissenschaftlichen Methode charakterisiert. b) Die „Methode" wird nicht mehr implizit charakterisiert als der „Gang der Untersuchung" bzw. „Weg der Herstellung", die vom jeweiligen Gegenstand abhängig sind und durch diesen bestimmt werden, sondern wird explizit unabhängig von der Eigenart methodisch untersuchter oder hergestellter Gegenstände als ein Regelsystem betrachtet und in einer Theorie der Methode formuliert, durch die wissenschaftliches Erkennen und das durch dieses bedingte Handeln bestimmt wird. c) In Zusammenhang mit der Explizierung des Methodebegriffes vollzieht sich eine — gegenüber dem deskriptiven Gesichtspunkt — stärkere Betonung des normativen Gesichtspunktes: die Reichweite wissenschaftlicher Erkenntnis erscheint durch die Reichweite der Anwendbarkeit wissenschaftlicher Methodik bedingt. Ein durch diese Bestimmungen charakterisierbarer Begriff der wissenschaftlichen Methode liegt zum ersten Mal in der kartesischen Philosophie vor. Die ihm zugrundeliegende begriffsgeschichtliche Entwicklung sei im folgenden kurz skizziert. Sie läßt erkennen, daß sich die antiken und mittelalterlichen Auffassungen des Begriffs der Methode vor allem unter

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1

Z u r Begriffsgeschidite der „mathematischen Methode"

dem steigenden Einfluß der geometrischen Analyse und der euklidischen Axiomatik auf die wissenschaftliche Methodenlehre gewandelt haben. In der Philosophie des Altertums tritt der Ausdruck „μέθοδος" nicht als reflektierter Terminus auf. Er begegnet uns in der übertragenen Bedeutung einer „Nachforschung" oder „Untersuchung". Seine Verwendung impliziert stets die Zielgerichtetheit eines Vorgehens und dessen sprachliche Charakterisierbarkeit durch eine auf dieses Vorgehen anwendbare, einheitliche Prädikation. In diesem Sinne hat Piaton den Ausdruck „μέθοδος" gebraucht zur Bezeichnung der vier Verfahrensweisen seiner Dialektik 1 , wenn er auch hier wie bei Aristoteles nur vereinzelt auftritt und erst im Rückblick in Beziehung auf beide Autoren von den griechischen Kommentatoren des Aristoteles als gängiger Ausdruck gebraucht wird. Erst von den Kommentatoren werden die im sokratischen Dialog geübte Zergliederung der Begriffe, die ,,διαίρεσις", und die Zusammennähme der gewonnenen Bestimmungen zu einer Definition, die „συναγωγή", durchgängig als „μέθοδοι" bezeichnet. Bei Piaton und Aristoteles dagegen erfährt dieser Ausdruck keine thematische Behandlung, sondern wird unreflektiert in verschiedenartigen, wenngleich zusammengehörigen und bei beiden Autoren im wesentlichen übereinstimmenden Bedeutungsweisen gebraucht2. Für die Entwicklung des Begriffs der Methode war in der Folgezeit vor allem der Gebrauch von „μέθοδος" in den griechischen Aristoteleskommentaren und die Beziehung wichtig, die dieser Gebrauch zu dem des Wortes „τέχνη" aufweist. V g l . Piaton, „Phädrus", ed. L. Robin in der Ausgabe der Association Guillaume Bude, Paris 1947, 2 6 j a — 2 7 7 b. * Die Aufgliederungen der Wortbedeutungen, wie wir sie ζ. B. in Des Plases' Piatonlexikon der Budeausgabe (Piaton, CEuvres completes, Ausg. d. Association B u d i , Bd. X I V , 2, S. 330) oder in Bonitz „Index aristotelicus" (Berlin 1955, Nachdr. d. Ausg. 1870, S. 449/450) finden, sollten nidit zu dem Irrtum verleiten, es lägen die hier angegebenen Bedeutungsvarianten von „μέθοδος" — bei Piaton: marche (dialectique); recherdie n^thodique; mithode de recherche, science, doctrine; bei Aristoteles: v i a ac ratio inquirendi; ipsa disputatio ac disquisitio, aliqua disciplina ac doctrina; variae disputandi formae ac rationes — in expliziter Unterschiedenheit bei beiden Autoren bereits vor. Vielmehr stehen die Stidiwörter, denen die Textstellen, in denen der Ausdrude „μέθοδος" auftritt, untergeordnet sind, für A u f fassungsweisen, die einem modernen Sprachverständnis des Ausdrucks „Methode" entstammen und von diesem Sprachverständnis her die Verwendung dieses Wortes „μέθοδος" durch die antiken Autoren gliedern sollen. Das W o r t tritt bei Piaton auf als Substantiv zu „μετιέναι" und impliziert von daher die Zielgerichtetheit eines Handelns. Vorwiegend hat es die Bedeutung einer „Erörterung", „Unter1

I

Zur Begriffsgeschichte der „mathematischen Methode"

17

D e r dialektischen „Methode" Piatons entnahmen die Kommentatoren im wesentlichen die vier „μέθοδοι" der „διαίρεσις", des „ορισμός", der „άπόδειξις" und der „άνάλυσις". In der aristotelischen Bestimmung dieser Begriffe erkannten die Kommentatoren eine durchgängige Übereinstimmung mit Piatos Gebrauch dieser Ausdrücke. Unter der „διαιρετική" verstand man die Aufteilung des Genusbegriffes in die diesem untergeordneten Artbegriffe. Die

„οριστική"

sollte eine Sache ihrem Wesensbegriff nach bestimmen. Sie bedient sich der diabetischen Methode und dient ihrerseits der apodeiktischen, der „αποδεικτική", die den Beweis aus der „ουσία" und der „φύσις" der in Frage stehenden Sache führen soll. Eine Sonderstellung, die später für die Ausgliederung der „mathematischen Methode" wichtig wird, nimmt hier 3 schon die vierte der gewöhnlich bei den Kommentatoren genannten Methoden, die ,,άνάλυσις" ein, die selbst keiner der andern dienlich ist oder ihrer bedarf 4 . Im Gegensatz zu den anderen dialektischen Methoden betrifft die analytische nicht nur den Bereich des im eigentlichen Sinne „ D i a l e k tischen", den der Begriffe und Aussagen, sondern wird auch auf das Verfahren der Geometer, die Aufgliederung des menschlichen Körpers in seine Teile oder auch die eines Satzes in Worte, Silben, Buchstaben bezogen. Stets jedoch handelt es sich — und insofern ist auch der A n wendungsbereich der „analytischen" Methode ein solcher der Dialektikum eine Zergliederung, die auf sprachlichem Wege geschieht. Diese terminologische Unbestimmtheit des griechischen

Ausdrucks

„μέθοδος" w a r es audi, die den fließenden Ubergang zu anderen Begriffen ermöglichte. Erst in der kartesischen Philosophie wurde der Ausdruck „methode", „methodus" zu einem philosophisch reflektierten und theoretisch eigenständigen Terminus. In der griechischen Spätantike tritt das W o r t „μέθοδος" in einer Verwendungsweise auf, die der des Ausdrucks „τέχνη" v e r w a n d t ist5. Bei Piaton und Aristoteles betraf der Ausdruck „μέθοδος" primär die theosuchung", wobei der Nachdruck auf dem dabei geübten Verfahren und dessen Dienlichkeit in Erreichung eines Zweckes liegt. Wird dagegen nur die A r t und Weise eines Vorgehens ohne Bezugnahme auf die durch diese bestimmte Tätigkeit gemeint, so steht bei beiden Autoren statt „μέθοδος" zumeist „6 τρόπος της μεθόδου", dessen Bedeutung mit dem heutigen Sprachgebrauch v o n „Methode" eher zusammenzustimmen sdieint. 3 V g l . Ammonius, „ I n Porphyrii Isagogen" in „Commentarii Aristotelici Graeci", I V , S. 3 j — 3 7 und Alexander von Aphrodisias, ebd., II, S. 7. * Ammonius, a. a. O., S. 3$: „ ή δέ άναλυτική ούδεμίας χρήζει".

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Z u r Begriffsgeschichte der „mathematischen Methode"

retische Untersuchung und die Bestimmung unserer Begriffe. Insofern ist das Gesuchte von derselben — begrifflich-sprachlichen — Natur wie die Mittel der Untersuchung. Der zu bestimmende Begriff, zu dem die Anwendung der „Methode" führen soll, muß „μετά λόγου" ermittelt werden, und die Ausdrücke „μέθοδος" und „μετά λόγου" treten im Sprachgebrauch beider Autoren als auf einander bezogene Ausdrücke auf*. Jedoch wird „μέθοδος" bisweilen auch angewandt auf ein kunstgerechtes Verfahren der Herstellung von etwas im Bereiche des Sinnlich-Wahrnehmbaren, wodurch die Bedeutung des Wortes in die Nähe derjenigen von „τέχνη" rückt. Wie die „μέθοδος", ist auch die „τέχνη" nur durch die richtungweisenden Züge einer spezifischen Verfahrensweise sprachlich charakterisierbar. Wie später in der lateinischen Schulphilosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit die Ausdrücke „methodus" und „ars" in inhaltlich verwandter Bedeutung auftreten, so vermengen sich im Altertum die Bedeutungen von „μέθοδος" und „τέχνη" auf Grund ihrer gemeinsamen sprachlichen Bestimmbarkeit, die in der antiken Philosophie durch den Ausdrude „εξις όδοποιητική" belegt ist7. In der Verwendung durch die Stoiker war „τέχνη" die Bezeichnung einer Menge zusammengefaßter und auf ein im Leben nützliches Ziel ausgerichteter Wahrnehmungen (καταλήψεις), deren Wahrheit so überzeugend ist, daß sie jeder Vernunftkritik trotzt. Erst Cicero verlieh dieser stoischen Verwendung von „τέχνη" einen epistemologischen Charakter und brachte damit, in der lateinischen Sprache wohl zum ersten s

So heißt es im Kommentar des Johannes Philoponus zur aristotelischen Physik, C A G X V I , i , S. 6: „μέθοδος δέ έστιν ε ξ ι ς όδοποιητική μετά λόγου". Andererseits definiert Aristoteles, Nic.Eth. 1140 a: ή τ έ χ ν η Εξις τις μετά λόγου". Dexippus verwendet die Zusammensetzung: „μέθοδος τεχνική" in seinem Kommentar zur Kategorienschrift des Aristoteles: „ Έ π ε Ι δέ έν πασιν άναγκαιότατόν έστιν εΐδέναι τάς ευρέσεις των προτιθεμένων θεωρημάτων, καί ένταϋθα πειραθώμεν έπΐ των παρόντων διά τίνος μεθόδου τεχνικής τήν ευρεσιν αυτών παραδοϋναι". ( C A G I V , 2, S. 29)

β

V g l . die Gegenüberstellung bei Piaton im Gorgias 44806: „ ή έμπειρία . . . ποιεί . . . πορεΰεσθαι κατά τέχνην, απειρία δέ κατά τΰχην."

7

Die allgemeinste Bestimmung der „μέθοδος" und „ τ έ χ ν η " gemeinsamen Züge als einer „ ε ξ ι ς όδοποιητική" findet sich für „ τ έ χ ν η " in der stoischen Überlieferung eines Scholiasten zur griechischen Grammatik des Dionysius Thrax, wie Gilbert, Renaissance Concepts of Method, S. 43, nachweist. Zur Vorgeschichte der „methodus mathematica" vgl. auch die Ausführungen v o n Schepers, H . , „Andreas Rüdigers Methodologie und ihre Voraussetzungen. Ein Beitrag zur Geschichte der dtsch. Schulphilosophie im 18. Jahrhundert", Kant-Stdn., Erg. H f t . 78, K ö l n i 9 j 8 , S. 13 —29.

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Z u r Begriffsgeschichte der „mathematischen Methode"

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Male, die Ausdrücke „ars" und „scientia" in eine unmittelbare Beziehung: „Ars est rei cuiusque scientia usu vel traditione vel ratione percepta tendens ad usum aliquem vitae necessarium."8 Die Auffassung von „ars" als einer Regelgesamtheit und die gleichzeitige Erweiterung des Anwendungsbereiches einer ars, die nun nicht mehr bezogen wird nur auf die kunstgerechte Herstellung von Artefakten, sondern auch, wie bisweilen das griechische „μέθοδος", die Bedeutung des Wortes „disciplina" mit übernahm, wird auf eine Metathesis zurückgeführt, durch die in der genannten ciceronischen Bestimmung von „ars" das Wort „perceptio", das im definiens von „ars" auftritt, zu „preceptio" bzw. „praeceptio" gewandelt wurde®. Regeln lassen sich ebenso allgemein formulieren, wie der Zweck, der durch ihre Beachtung erfüllt werden sollte. Durch seine starke Bindung an die Bedeutung von „τέχνη", die stets die Ausrichtung auf praktische Zwecke beinhaltete, wird der Ausdruck „ars" im Mittelalter kaum zur Untersuchung der Wahrheit vorgelegter Aussagen benutzt, sondern bleibt bezogen auf die Erstellung neuer Aussagen, die allein auf Grund der regelgerechten Art ihrer Bildung ihre Geltung erhalten. Darin scheint auch der Grund zu liegen, warum die aristotelische Diskussion der formalen Struktur von Wissenschaft, wie sie Aristoteles in den späteren Analytiken geführt hatte, zunächst nicht in den Bedeutungskreis des Ausdrucks „ars" und des durch die Auffassung von „τέχνη" beeinflußten „methodus" geriet. So verwendet auch das Mittelalter dort, wo es darum geht, die Geltung von Aussagen zu begründen bzw. die Gründe zu vorgelegten Aussagen anzugeben und die Aussagen aus diesen Gründen herzuleiten, nicht den Ausdruck „methodus", sondern vorzugsweise das Wort „via". 8

Überliefert bei Diomedes, einem Grammatiker des 4 . Jahrhunderts. E s folgt das Z i t a t aus Cicero „Tullius hoc modo eam definit, ars est perceptionum exercitatarum constructio ad unum exitum utilem vitae pertinentium", Grammatici latini. ed. H . Keil, Leipzig 1 8 5 7 , II, S. 4 2 1 , zit. nach Gilbert, a. a. O., S. 1 2 .

• V g l . dazu Gilbert, „Renaissance Concepts of M e t h o d " , der hier eine große Menge des Materials zur Entwicklung des Methodebegriffes im Mittelalter zusammengetragen hat; S . 1 2 : „Medieval v e r s i o n s . , jumbled the key w o r d perceptio into praeceptio, with the result that an art became a 'system of precepts', or rules." Gilbert bezieht sidi auf Grabmann, „Bearbeitungen und Auslegungen der aristotelischen Logik aus der Zeit von Peter A b a e l a r d bis Petrus H i s p a n u s " , Abhandlungen P A W , N r . $ ( 1 9 3 7 ) , S. 1 7 , w o dieser eine Stelle aus einem Logikmanuskript nennt, das dem späten 1 2 . Jahrhundert entstammen soll: „ars est collectio preceptorum ad unum finem tendentium. H o c est dicere: ars est praeceptio sive regula collecta".

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Zur Begriffsgesdiidite der „mathematischen Methode"

Thomas von Aquin spricht von der „duplex via procedendi", wenn er den „modus resolutionis" und den „modus compositionis" als die zwei Wege der „Erkenntnis der Wahrheit", d. h. des Erweises der Geltung von Aussagen gegenüberstellt. Beide viae — die resolutio und die compositio — entsprechen der antiken Unterscheidung von ,,άνάλυσις" und ,,σίινθεσις", von denen zumeist nur die ,,άνάλυσις" als eine Methode betrachtet wurde, wohingegen die ,,σΰνθεσις" als eine Formulierung des Resultates der ,,άνάλυσις" galt. Erst im Mittelalter wird nun, wie der Text des Thomas zeigt, die antike Entgegensetzung von ,,άνάλυσις" und ,,σύνθεσις", in deren Umkreis auch die theoretische Erörterung des Verfahrens der Geometer fiel, in Verbindung gebracht mit den beiden Arten des Beweisganges, die Aristoteles in den späteren Analytiken unterschieden hatte, demjenigen „έπ'άρχάς" oder der „επαγωγή" und demjenigen „άπ'άρχών", von denen der eine auf die Gründe zurückführt, wohingegen der andere aus den Gründen unter Verwendung logischer Schlußverfahren auf die gesuchte Aussage schließt. Beide Arten des Beweisganges wurden nun mit den Namen eines Beweises „propter quid" und „quia" benannt und in der Folgezeit als „aposteriorischer" und „apriorischer" Beweisgang unterschieden10. Will man verstehen, wie die Auffassung der Methode, die sich in der Spätantike im Ansdiluß an die euklidische Mathematik herausbildete, mit derjenigen der „άνάλυσις" sich verband, und wie sidi die Analyse der Geometer nur dann als Beweisverfahren verstehen ließ, wenn man ihr eine Synthese gegenüberstellte, durch die die im analytischen Rück10

Vgl. Thomas von Aquino, „In X I I libros Metaphysicorum Aristotelis Expositio", ed. Cathala, M.-R. u. Spiazzi, R. M. (Marietti) Turim-Rom 1964, lib. II, Nr. 278, S. 8 1 : „Est autem duplex via procedendi ad cognitionem veritatis. Una quidem per modum resolutionis, secundum quam procedimus a compositis ad simplicia, et a toto ad partem, sicut dicitur in primo Physicorum, quod confusa sunt prius nobis nota. Et in hac via perficitur cognitio veritatis, quando pervenitur ad singulas partes distinete cognoscendas... Alia est via compositionis, per quam procedimus a simplieibus ad composita, qua perficitur cognitio veritatis cum pervenitur ad totum. Sic igitur hoc ipsum quod homo non potest in rebus perfecte totum et partem cognoscere, ostendit difficultatem considerandae veritatis secundum utramque viam". Vgl. auch Thomas v. Aquino, „Summa Theologiae", ed. Caramello, P., cum textu ex rec. Leonina, Τ. I—II (Marietti), Turin-Rom 1952, S. 73 (pars prima secundae, q. 14, art. j): „Quod quidem si, sicut est prius in cognitione, ita etiam sit prius in esse, non est processus resolutorius, sed magis compositivus: procedere enim a causis in effectus, est processus compositivus, nam causae sunt simpliciores effectibus. Si autem id quod est prius in cognitione est posterius in esse, est processus resolutorius: utpote cum de effectibus manifestis iudicamus, resolvendo in causas simplices."

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Z u r Begriffsgeschichte der „mathematischen Methode"

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gang auf die Prinzipien hergestellte Ordnung der Beweisstücke im gegenläufigen Sinne durchlaufen wurde, so sind als Vermittler vor allem Galen, Clemens von Alexandrien und Pappus zu nennen. Im Rahmen unserer Untersuchung würde es zu weit führen, wenn wir die methodischen Lehren dieser Autoren, bei denen in noch verworrenem Zusammenhange einzelne Stücke späterer Lehren hervortreten, die erst im 17. Jahrhundert zur vollen Entfaltung einer durchgängigen Theorie kommen, im einzelnen erörterten". Während Galen Analyse und Synthese als Lehr- und Darstellungsmittel auffaßte, erscheinen sie bei Clemens als Mittel zur Herstellung von Beweisen. Als ein Beweis wird dabei ein Verfahren verstanden, das den Wahrheitserweis für Aussagen liefert, die dem Verstand und der Wahrnehmung nicht unmittelbar einsichtig sind12. Auf die formale Struktur, den logisch-demonstrativen Zusammenhang der Aussagen, die den Beweis bilden, kommt es dabei nicht an. Der Aufbau des Beweisgedankens in der Aufeinanderfolge der Aussagen, die den Beweis liefern, hat — analog zu Euklids sprachlicher „Begründung" seiner Theoreme — die Anschauung zu leiten und die durch diese vermittelten notwendigen Einsichten herbeizuführen. Auch in diesem Punkte die spätere Auffassung der „mathematischen Methode" vorwegnehmend, formuliert Clemens — wohl zum ersten Mal — den Gedanken, daß das als Analysis begriffene Vorgehen der Geometer auch ein synthetisches Verfahren mit einschließt. Denn jedes Zurückgehen auf Aussagen, durch deren Geltung die Geltung derjenigen Aussagen bedingt ist, die der Analyse unterworfen werden, bedarf, wenn dadurch ein Beweisgedanke gegliedert werden soll, der Einsicht, daß, wenn die dem Beweis zugrundeliegenden Aussagen zugegeben werden, audi andere und speziell die Wahrheit der 11

A u f eine ausführlichere Behandlung kann im gegenwärtigen Zusammenhang verzichtet werden, da sich in Gilberts oben genannter Darstellung die wichtigsten methodischen Bestimmungen dieser Autoren referiert finden. Interessant daraus ist f ü r die folgenden Gedankengänge, daß schon Galen A n a l y s e und Synthese in einer Weise charakterisierte, die der späteren A u f f a s s u n g der mathematischen Methode sehr nahe kommt. W i e Gilbert anführt, bestimmt dieser A n a l y s e und Synthese al> gegenläufige „διδασκαλία!·" und unterscheidet sie als „ ή έκ τ η ς τοΰ τέλους έννοιας κατ* ά ν ά λ υ σ ι ν γ ι γ ν ο μ έ ν η " und „ ή έκ συνθέσεως τ ω ν κ α τ α τ η ν ά ν ά λ υ σ ι ν ε ύ ρ ε θ έ ν τ ω ν " ed. K ü h n I, S. 3 0 5 . V g l . Gilbert, a. a. O., S. 1 6 — 1 9 . Eine lateinische Obersetzung lag, wie Gilbert mitteilt (S. 20), in der Renaissance ζ. Β. in Linacrus, Τ . , „ M e t h o d u s M e d e n d i " , Paris 1 5 1 9 , ed. Bude, v o r .

11

Die v o n der A n a l y s e vollzogene Rückführung erfolgt „ ε ι ς τά πρός α ΐ σ θ η σ ι ν τε καΐ νόησιν ε ν α ρ γ ή " . V g l . Clemens von Alexandria, „ S t r o m a t a " in Opera omnia ed. K l o t z , S. 3 0 1 , Leipzig 1 8 3 2 . V g l . dazu Gilbert, a. a. O., S. 33.

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Zur Begriffsgeschidite der „mathematischen Methode"

Aussagen zugegeben werden müsse, von der die Analyse ihren Anfang nahm. Dodi liegt in dieser Umschreibung der Theorie von Clemens in gewisser Weise schon eine Interpretation von späteren Theorien her vor, denn Clemens spricht im Hinblick auf die geometrische Methode nicht von Aussagen und Sätzen. Der eigentliche Beweis vollzieht sich vielmehr in der Anschauung selbst, wobei vorausgesetzt ist, daß diese homogene Raumanschauung ist. Auf die Philosophie des 17. Jahrhunderts wurde vor allem diejenige Beschreibung der geometrischen Methode wirksam, die Pappus gegeben hatte13. Die lateinische Veröffentlichung erfolgte durch Federigo Commandino (1509—75). In diesem wichtigen Text, der den Ausdruck „Methode" nicht benutzt, werden die mittelalterlichen Termini „resolutio" und „compositio" auf den analytischen Beweisgang der Geometer angewendet. Dieser wird beschrieben als ein Beweisverfahren, das allgemein dem Auffinden der Lösung geometrischer Probleme dient. Das Vorgehen bei der Lösung wird hier nicht deskriptiv analysiert, sondern als ein locus bezeichnet, d.h. als ein Mittel, beliebige geometrische Probleme zu einer Lösung zu bringen („iis parata, qui in geometricis sibi comparare volunt vim ac facultatem inveniendi problemata"). Dadurch, daß die Beschreibung der Lösung geometrischer Probleme nur in ihren allgemeinen Zügen erfaßt wird, die Verallgemeinerung aber gleichzeitig so vorgenommen wird, daß die dadurch charakterisierte Methode übertragbar auf beliebige Probleme der Geometrie wird, soll die so charakterisierte Methode eine Handhabe zur Lösung aller geometrischen Probleme bieten14. Die Allgemeinheit der sprachlichen Charakterisierung des Lösens beliebiger geometrischer Probleme, welche nur diejenigen Züge umfaßt, die unter Außerachtlassen der speziellen Gegebenheiten eines einzelnen 15

„Pappi Alexandrini Collectionis quae supersunt", ed. Fr. Hultsdi, 3 Bde., Berlin 1877, II, S. 634—637.

11

Die Übersetzung der entscheidenden Textstelle durch Federigo Commandino lautet: „Locus, qui vocatur άναλυόμενος, hoc est, resolutus, Ο Hermodore fili, ut summatim dicam, propria quaedam est materia post communium elementorum constitutionem, iis parata, qui in geometricis sibi comparare volunt vim ac facultatem inveniendi problemata quae ipsis proponuntur: atque huius tantummodo utilitatis gratia inventa est. Scripserunt autem hac de re tum Euclides, qui Elementa tradit, tum Apollonius Pergaeus, tum Aristaeus senior. Quae quidem per resolutionem et compositionem procedit. Resolutio igitur est via a quaesito tamquam concesso, per ea quae deinceps consequuntur ad aliquod concessum in compositione; in resolutione enim id quod quaeritur tamquam factum ponentes, quid ex hoc contingat, consideramus: et rursum illius antecedens, quousque ita progredientes incidamus in

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Z u r Begriffsgeschichte der „mathematischen M e t h o d e "

23

geometrischen Problems für die Lösung aller relevant sind, und die insofern deskriptiv ist, wird umgedeutet: Das Erfülltsein der notwendigen Bedingungen des Lösungsverfahrens bildet die Voraussetzung für die Lösung beliebiger geometrischer Aufgaben. Erst in der Philosophie der Renaissance finden wir wieder ein häufigeres Auftreten des Ausdrucks „methodus", der in der Philosophie des Mittelalters aus den oben genannten Gründen weitgehend durch den der „ars" ersetzt worden war. Melanchthons Verwendung des Ausdrucks „methodus" läßt die Verbindung mit der geometrischen Tradition offen. Er bezieht den Ausdruck auf den Sprachgebrauch von Logik und Rhetorik. Die Termini „instigatio" bzw. „indagatio" und „explicatio" traten dabei, der ciceronisch-rhetorischen Tradition entsprechend, die Melanchthon weiterführte, an die Stelle von Analyse und Synthese. Wichtig vor allem für die Folgezeit war, daß die philosophische Relevanz des Ausdrucks „Methode" in der logischen Gliederung eines theoretischen Untersuchungsgegenstandes gesehen wurde 15 . Die starke Beeinflussung Melanchthons durch die Rhetorik zeigt seine Aufstellung der Fragen, die der methodisch Vorgehende zu stellen hat: „Quot sint methodi quaestiones? Cum de una voce dicendum est, viam monstrant hae decern quaestiones. Prima quid vocabulum significet. Secunda, an sit res. Tertia, quid sit res. Quarta, quae sint rei partes. Quinta quae sint species. Sexta, quae causae. Septima, qui effectus. Octava, quae adiacentia. Nona, quae cognata. Decima, quae pugnantia." 16 Die Befolgung der Methode besteht hier in der Erfüllung einer topischen Reihung von loci, die mit einer aliquod iam cognitum, vel quod sit e numero principiorum. E t huiusmodi processum resolutionem appellamus veluti ex contrario factam solutionem. In compositione autem per conversionem ponentes tamquam iam factum in quod postremum in resolutione sumpsimus; atque hie ordinantes secundum naturam ea antecedentia, quae illic consequentia erant; et mutua illorum f a c t a compositione ad quaesiti finem perveniemus, et hic modus vocatur compositio." P a p p i Alexandrini mathematicae collectiones a Federico Commandino Urbinate in Latinum conversae, Venedig 1 5 8 9 , i J 7 v — 5 8 r ; zit. nadi Gilbert, a. a. O., S. 82. 15

Melanchthon, „ E r o t e m a t a Dialectices", Wittenberg 1 5 4 7 , Praef.: „ U t autem alias nomen μέθοδος significat rectam et compendiariam viam, ita Dialectici ad ordinem explicationis rectissimum transtulerunt hoc nomen: ac significat hoc loco μέθοδος rectam v i a m seu ordinem investigationis et explicationis, sive simplicium quaestionum, sive propositionum. E t sie Graeci definiunt: „μέθοδός έστιν ε ξ ι ς όδοποιητική μετά λ ό γ ο υ " id est: M e t h o d u s est habitus videlicet scientia seu ars, v i a m faciens certa ratione, id est, quae quasi per loca invia et obsita sensibus, per rerum confusionem, v i a m invenit et aperit, ac res ad propositum pertinentes, eruit ac ordine promit".

16

V g l . Melanchthon, „ C o r p u s R e f o r m a t o r u m " , Bd. X I I I , S. 5 7 3 .

24

I

Z u r Begriifsgeschidite der „mathematischen Methode"

„indagatio" und „explicatio" verknüpft ist. Nach der Tradition der Topik dienen diese der Erfindung von Argumenten, durch die im Einzelfall eine methodische Untersuchung und Erklärung vollständig gegeben werden kann. Wie sich bei Melanchthon die „methodus" zu einem Mittel der „inventio" im Sinne der rhetorischen Tradition der Topik herausbildet, tritt bei Petrus Ramus, seinem Zeitgenossen, der Begriff der Methode in Beziehung nicht zur Erfindung, sondern zum ordnenden Gliedern bereits vorgelegter Argumente und tritt so in Beziehung zum „iudicium", das neben der inventio den Gegenstand der Logik nach Ramus ausmachte17. So locker Ramus in seinen Begriffsbestimmungen ist, und so wenig greifbar sich bei ihm die früheren Bestandstücke der „methodus mathematica" ausgebildet finden, kommt ihm dennoch für die weitere Entwicklung ein bedeutsamer Einfluß zu. Dies hat seinen Grund auch darin, daß er dem Studium von Arithmetik und Geometrie einen breiten Raum in seinen Lehrprogrammen einräumte18. Andererseits hat Ramus versucht, indem er vor allem auf Proklus zurüdkgriff, die früheren methodologischen Betrachtungen zur mathematischen ,,άνάλυσις" in Zusammenhang mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie zu bringen. Hier findet sich die später für Leibniz und Wolff naheliegende Auffassung vorgebildet, daß der logischen Folgerichtigkeit der Herleitung syllogistischer Schlüsse diejenige der Herleitung mathematischer Lehrsätze aus evidenten Prinzipien unterliege". Zugleich gelten für Ramus Arithmetik und Geometrie 17

V g l . dazu das oben in der Einleitung Gesagte.

18

V g l . Ramus, Petrus, „Sdiolarum mathematicarum libri X X X I " , F r a n k f u r t 1 6 2 7 . Nachdem er sich mit den V o r w ü r f e n auseinander gesetzt hat, die ihm wegen seiner umfangreichen mathematischen Unterrichtspraxis an der Pariser Universität gemacht worden waren, während er gleichzeitig den Lehrstoff der aristotelischen Schriften zur L o g i k in aufsehenerregender Weise umbildete, sagt R a m u s im H i n blick auf seine starke Betonung der mathematischen Wissenschaften: „et eum laborem sponte suscipio, quem ne mathematicus quidem professor quisquam ante me in regia cathedra susceperat. Primus enim mathematica Euclidis elementa ab initio ad extremum in regia cathedra praelegi" (ebd., S. 39).

"

E b d . S. 9 2 : „Euclides (ait Proclus) praecipue suscipiendus est et admirandus της τ ά ξ ε ω ς ενεκα, gratia ordinis et collocationis, omnes dialecticas methodos adhibuit, διαιρετικήν, divisonem ad species inveniendum, όριστικήν definitivam in essentiae rationibus, apodicticam in transitu a principiis ad quaesita, analyticam in quaestionum reditu ad principia. V e r u m divisio, definitio, argumenta sunt ad disponendum methodo proposita, et tanquam lapides sunt in hac architectura methodica, ά π ό δ ε ι ξ ι ς syllogismus ex causa concludens effectum, ut recte hie Proclus loquitur. Analysis est quaedam inversio αποδείξεως, ex effectis nempe causam concludens, qualem significat Proclus in totis elementis ab Euclide frequenter adhibitam et tractatam esse." (Ebd. S. 94.)

I

Zur Begriffsgeschichte der „mathematischen Methode"

25

als Wissenschaften, deren klare Begriffsbildung u n d strenger A u f b a u das V o r b i l d f ü r alle anderen Wissenschaften abgeben. S o w i r d der A u s d r u d e ,,μάθησις" v o n R a m u s historisch in der Weise erklärt, daß er ursprünglich nur auf Geometrie und A r i t h m e t i k , die z u r Z e i t der Griechen v o r P i a t o n u n d Aristoteles die einzigen Schulmaterien gewesen seien, A n w e n d u n g g e f u n d e n habe, u n d erst später eine Bedeutungserweiterung erfahren habe. D i e beiden Wissenschaften hießen eben deshalb

„mathematicae",

weil sie a m wenigsten der F ü h r u n g durch den Lehrer u n d der schrittweisen E r l e r n u n g entbehren könnten 2 0 . I m H i n b l i c k auf die E n t w i c k l u n g der Methodenlehre im Zeitalter der Renaissance hat J a c o b Z a b a r e l l a einen weitreichenden E i n f l u ß auf die A u f f a s s u n g e n der M e t h o d e im 1 7 . J a h r h u n d e r t ausgeübt. Bei Z a b a r e l l a ( 1 5 3 2 — 8 9 ) erscheint die L o g i k gänzlich v o n der Methodenlehre überlagert. A l s „habitus intellectualis Instrumentalis" lassen sich alle Instrumente, die die L o g i k liefert, ihren M e t h o d e n unterordnen 2 1 .

Zugleich

w i r d die M e t h o d e nicht mehr begriffen als „rebus a p p l i c a t a " , sondern 20

Ramus, ebd., S. 108: „nomen autem μαθήσεως, μαθήματος, μαθηματιπής generale est et diseiplinam significat, ut μανθάνειν discere, μαθητής diseipulum: specialis tarnen intelligentia facta est ad doctrinam quantitatis exprimendum". Vgl. Clavius, Christoph, „Euclidis Elementorum libri X V " , Coloniae 1608, Praef., wo dieser „mathematicae diseiplinae, quae omnes circa quantitatem versantur" ihrem Namen nach ableitet von ,μάθησις' „eo quod tum gradatim ascendendo doceantur et addiscantur; tum solae semper ex praecognitis quibusdam, concessis, et probatis, prineipiis, (haud ex hypothesibus nondum explicatis) ad conclusiones demonstrandas, quod proprium est doctrinarum et diseiplinarum officium, teste Aristotele lib. 1 Post, procedant". Zum antiken Sprachgebrauch von „μάθησις" und „μάθημα" vgl. Becker, O., „Mathematische Existenz", Halle 1927, „Das Problem der μάθησις", S. 236 f. Interessant und gewiß sachlich zutreffend ist auch Beckers In-ParalleleSetzen von mathematischer und ontologischer Abstraktion im Hinblick auf Aristoteles, Met. Κ 3 ( i o 6 i a 28—b 6), a . a . O . , S. 257/58: „Dieselbe Betrachtungsweise im Modus des ,als' oder .insofern' (ή, καθ'δσον: lateinisch qua, prout, inquantum, secundum quid u. dgl.) ist kennzeichnend für die Mathematik und die erste Philosophie . . In dieser Gemeinsamkeit von Mathematik und Ontologie, die auf dem f o r m a l e n Charakter beider beruht, liegt der Kern einer Idee der Mathesis universalis verborgen, der sich allerdings in der Antike nicht entwickelt hat, wenngleich es gewisse Tendenzen in dieser Richtung gibt."

!1

Zabarella, Jacob, „De Methodis libri quattuor" in „Opera Logica" Coloniae 1597, Sp. 1 3 3 : „Omnem scientiam, omnem artem, omnemque diseiplinam methodo aliqua tradi et absque methodo consistere non posse manifestum est: nullam enim facultatem bene docere aliquis potest, nisi et in illius partibus disponendis, et in singulis theorematibus declarandis, tradendaque rerum absconditarum cognitione methodum aliquam servet. Hinc ortum habuit logica diseiplina, quae tota in methodorum traditione constituta est, proinde Instrumentalis facultas iure nuneupatur; quoniam omnibus diseiplinis instrumenta, id est methodos praebet, quibus ad rerum notitiam adipiscendam iuvemur".

26

1

Zur BegriiFsgesdiichte der „mathematischen Methode*

als ein auf beliebige Gegenstände der Wissenschaft anwendbares Instrument, „a rebus abiuncta" 21 . Mit seiner Unterscheidung von „ordo" (oder „dispositio") und „via doctrinae", die er auf eine einheitliche Tradition zurückführt", bringt er eine Gliederung der Methodenlehre zur Geltung, durch die die aristotelische Logik in die Methodenlehre einbezogen und die Voraussetzung für die im 17. Jahrhundert sich vollziehende wechselseitige Durchdringung der auf der aristotelisch-scholastischen Logik basierenden Logica vetus und der unter dem Einfluß der Theorie von der mathematischen Methode stehenden Logica nova geschaffen wurde. Der Ausdruck „ordo" bezeichnet bei Zabarella die sachlich-begründende Gliederung aller Teile einer Wissenschaft. Für die Begründung einzelner Aussagen und die nur unter Anwendung eines „processus illativus" mögliche Herstellung des „ordo" einer Wissenschaft muß nach Zabarella ein im engeren Sinne „methodisches" Vorgehen, eine „via doctrinae", aufkommen. Zabarella nennt als „viae" herkömmlicherweise „demonstratio propter quid" und die „demonstratio quia"24. Ihnen lassen sich die in der Tradition unterschiedenen Methoden unterordnen. Zabarella unterscheidet so zwei „methodi scientificae": die im eigentlichen Sinne demonstrative Methode (κύριος άπόδειξις) bzw. (άπόδειξις τοΰ διότι), die er „demonstratio propter quid" nennt und als kompositive Methode bezeichnet, zum andern die resolutive Methode (συλλογισμός τοΰ δτι oder διά σημεΐον), die er „demonstratio quia" nennt 25 . Im Gegen22

Zabarella, a . a . O . , Sp. 13j: „nos autem in praesentia methodum non rebus applicatam, sed a rebus abiunctam considerandam proposuimus". 25 Zabarella, a . a . O . , Sp. 133: „Scripserunt quidem hac de re complures tum antiquiores, tum posteriores p h i l o s o p h i . . . qui omnes licet in quibusdam parvi momenti menti discrepare videantur, in eo tarnen, quod praecipuum est, ita unanimes, et concordes extitere, ut his temporibus nemo aliam sententiam proferre, aut excogitare ausus sit: quum enim methodum late sumptam in methodum proprie acceptam, et ordinem partiantur, quattuor esse methodos dicunt; demonstrativam, resolutivam, definitivam, ac divisivam: ordines autem tres, compositivum, resolutivum, definitivum, authore Galeno in eo loco". " Zabarella, „De methodis", lib. III, cap. 17, a. a. Ο., Sp. 265/6: »omnis autem a noto ad ignotum scientificus progressus vel a causa est ad effectum, vel ab efiectu ad causam, illa quidem est methodus demonstrativa, haec autem resolutiva; alius processus, qui certam rei notitiam pariat, non datur: N a m si ab aliquo ad aliquod progrediamur, quorum neutrum alterius causa sit, non potest inter ilia esse connexus essentialis, ac necessarius, quare nulla certa cognitio ilium progressum consequi potest; patet igitur nullam dari scientificam methodum praeter demonstrativam, et resolutivam." u Ebd., Sp. 120.

I

27

Z u r Begriffsgeschichte der „mathematischen M e t h o d e "

satz zum „ordo" liegt bei Anwendung einer Methode stets ein „processus illativus" vor, der uns von einer Erkenntnis zur andern führt 2 '. Ordo und Methodus stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis: Zum einen setzt die Anwendung einer Methode die vorgängige Gliederung und Anordnung der im Beweisverfahren verwendeten Stücke voraus", andererseits aber bedarf die Herstellung des ordo der Feststellung deduktiver Abhängigkeiten, wie sie nur durch einen „processus illativus" gewonnen werden kann28. Durch seine Herausstellung von resolutiver und kompositiver Methode hat Zabarella den Weg bereitet dafür, daß die Theorie der mathematischen Methode allmählich die Methodenlehre der aristotelischen Logiker und mit dieser alle bisherigen Lehrmeinungen zur wissenschaftlichen Methodik durchdringen konnte. Zwar hat Zabarella selbst keine Theorie der mathematischen Methode entwickelt; so bezieht er die „resolutive Methode", die er auch bisweilen als „inductio" bezeichnet, vornehmlich auf die Zurückführung des Wahrnehmungswissens auf allgemeine Prinzipien. Doch kommt Zabarellas Theorie trotz aller Abweichungen, die sie gegenüber späteren Auffassungen der mathematischen Methode aufweist, mit diesen darin überein, daß nur noch Analyse (resolutive Methode) und Synthese (kompositive Methode) als Verfahrensweisen wissenschaftlicher Beweisführung unterschieden werden. Zum andern kommt bei Zabarella stärker als bei allen früheren Autoren die gegenseitige Bezogenheit von analytischer und synthetischer Methode zum Ausdruck: wie im geometrischen Beweisverfahren29 beginnt die 24

Ebd., Sp. 1 3 9 : „Differentia inter ordinem et methodum proprie acceptam: Quum methodus

sit

habitus

logicus,

docens

procedere

ab

hoc

ad

illud

cognitionis

adipiscendae gratia, duplex esse potest iste processus: aut enim res ipsas tractandas disponimus, ut prius de hac, postea de ilia agamus: aut a cognitione huius ducimur in cognitionem illius, aliud enim est hanc rem prius esse cognoscendam, quam illam; aliud est ex hac re nota nos duci in cognitionem illius ignotae: hoc quidem methodi proprie sumptae munus est, illud autem ordinis". 17

Ebd.:

„veluti

prius

decernit

de

animali

generaliter

agendum

esse,

mox

de

speciebus singulis; postea vero de animali communi tractationem aggrediens methodos quaerit,

quae

ad

animalis

naturam,

si latuerit,

et ad

eiusdem

accidentia

cognoscenda nos ducant". te

Ebd., S. 1 3 4 : „nam si vocis significationem spectemus, non modo illas, quas proprie methodos vocant, sed ordines quoque, quos a methodis separant, nominare methodos possumus, etenim viae quaedem sunt, et transitus ab aliquo ad aliquod, quae est Graecae vocis μέθοδος propria significatio".

"

Zabarella, D e regressu, ebd., Sp. 4 8 9 : „ E x tribus igitur partibus necessario constat regressus: prima quidem est demonstratio quod, qua ex effectus cognitione confusa ducimur in confusam cognitionem causae: secunda est consideratio illa mentalis,

28

I

Zur BegrifFsgeschidue der „mathematischen Methode"

Beweisführung mit einer Analyse einer Aussage, deren Wahrheitswert nicht eindeutig feststeht — und von der wir insofern, als wir die Möglichkeit ihrer Begründung nicht kennen, nur eine „cognitio confusa" haben —, und führt zurück auf Aussagen, die notwendig gelten müssen, wenn die analysierte Aussage wahr ist. Deren noch „konfuse" Erkenntnis verwandelt sich erst dann in eine deutliche, wenn es uns gelingt, zu zeigen, daß die Aussagen, auf die wir zurückgegangen sind, Prinzipien sind, d. h., wenn sie sich als hinreichend erweisen, die analysierte Aussage mit logischen Mitteln herzuleiten. Da die Wahrheit der Aussagen bekannt ist, welche der Herleitung zugrundeliegen, wird die analysierte Aussage als wahr erwiesen. In dieser Bezogenheit von Analyse und Synthese ist aber die Forderung der Einheit der wissenschaftlichen Methode angelegt, auf deren Erfüllung die kartesische Methodenlehre ausgerichtet ist.

qua ex confusa notitia causae distinctam eiusdem cognitionem acquirimus: tertia vero est demonstratio potissima, qua ex causa distincte cognita ad distinctam effectus cognitionem tandem perducimur".

II.

Descartes' Begriff der Methode im Verhältnis zu seiner Konzeption einer „Mathesis Universalis" i.

Überblick

Zu Descartes' Methodenlehre sind eingehende Darstellungen erschieso daß die folgende Erörterung weder als eine Wiederaufnahme und Diskussion dieser Darstellungen noch als ein durchgehender Kommentar zu der Schrift verstanden werden will, in der Descartes weit ausführlicher als im „Discours de la Methode" seine Auffassung der Methode niedergelegt hat, den „Regulae ad directionem ingenii"2. Descartes' Theorie der Methode soll hier vielmehr speziell im Hinblick auf das Verhältnis der methodologischen Forderungen, durch die der Wissenschaftsbegriff von Descartes bestimmt wird, zum Gedanken einer „mathesis universalis" betrachtet werden. nen1,

In der kartesischen Theorie der Methode liegt eine enge Verschränkung zweier ihrer sachlichen Eigenart wie ihrer historischen Herkunft nach heterogener Problembereiche vor. Diese Verschränkung bot um so mehr Anlaß zur Konfundierung beider Bereiche in der kommentierenden Literatur, als in der analytischen Geometrie Descartes' und der in ihr vorliegenden algebraischen Kalkülisierung des Beweisganges geometrischer Sätze beide Problembereiche gegenwärtig sind. Derjenige einer kalkülmäßigen Herleitung mathematischer Aussagen und derjenige eines Beweisganges für geometrische Sätze, der auf die räumlichgeometrische Anschauung bezogen ist und sich der natürlichen Sprache bedient. 1

Unter den älteren Darstellungen ist vor allem Heimsoeth, H., „Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz", Gießen 1 9 1 2 — 1 4 , sowie Gilsons Kommentar zum „Discours de la Methode", Paris 1925, zu nennen; unter den jüngeren u. a. Laporte, J., „Le Rationalisme de Descartes", Paris 1945, Beiaval, Y . , „Leibniz critique de Descartes", Paris i960, A l l a r d , J.-L., „Le Mathematisme de Descartes", O t t a w a 1963, Beck, L. J., „The Method of the Regulae" O x f o r d 1952.

* Descartes, R., CEuvres, ed. A d a m et Tannery, Bd. X .

30

II

Descartes

So steht Descartes' Methodenlehre, wie Descartes sie in den „Regulae" und im „Discours" vorträgt, unter den Einwirkungen der älteren, im Vorstehenden charakterisierten Theorie der geometrischen Analyse, an der sich Descartes bei der Formulierung sowohl seiner Theorie der Erkenntnisgewinnung, d. h. seiner Methodenlehre, als auch bei der Darstellung des „modus geometricus", d. h. der lehrhaften Demonstration des Erkannten, vorwiegend ausrichtet. Zum andern läßt sich in der kartesischen Methodenlehre wie auch in der philosophischen Theorienbildung Descartes ein anderer, auf den erstgenannten nicht zurückführbarer Gedankenkomplex erkennen, der die Auffassung der Methode als einer in einer Regelgesamtheit formulierten „clavis", einer „ars inveniendi" motiviert, durch welche die Gesamtheit der Gegenstände der Wissenschaften als durch die Befolgung methodischer Regeln erkennbar erscheint. Dieser Gedankenkomplex umfaßt Descartes' methodologische Interpretation einer sich der algebraischen Symbolik bedienenden kalkülmäßigen Deduktion, deren Prototyp Descartes in dem von ihm beschriebenen Lösungsverfahren für Gleichungssysteme sah und die ihm zum Gedanken einer „mathesis universalis" als dem Inbegriff allgemeiner Lösungsverfahren für verschiedenartige Typen mathematischer Aufgaben führte. Erst die Unterscheidung beider Problembereiche erlaubt die klare Feststellung, daß und warum Descartes nicht zur eigenständigen Konzeption eines Kalkülbegriffs kommen konnte, wie sie andererseits erkennen läßt, in welchen Punkten die kartesische Fassung der „mathematischen Methode" von der hergebrachten Theorie des geometrischen Beweisganges abweicht. Die folgende Untersuchung versucht zunächst mangels anderweitiger Darstellungen den Begriff einer „mathesis universalis" in einer vergleichenden Analyse der kartesischen Texte zu fixieren, um ihm sodann Descartes' Konzeption einer für alle wissenschaftliche Erkenntnis verbindlichen und an der Theorie des geometrischen Beweisganges orientierten Methodenlehre gegenüberstellen zu können. 2. Descartes' Gedanke einer mathesis universalis

Für die Problemstellung und die Interpretation der einschlägigen kartesischen Texte erweist es sich als eine Schwierigkeit, daß der Ausdruck „mathesis universalis" in Descartes' Sprachgebrauch nur vereinzelt und nirgends mit greifbarer Bestimmtheit auftritt, zumal auch andere Aus-

mathesis universalis

31

drücke wie „mathesis pura et abstracta" oder „vera mathesis" in gleicher oder sehr ähnlicher Bedeutung gebraucht werden8. Behindert wird die Interpretation dadurch, daß die Betrachtungen zur „mathesis universalis" ohne thematische Abhebung eingebettet sind in die Ausführungen zur Methode, wie auch dadurch, daß Descartes die Darlegungen, die er im zweiten Teil der Regulae zur „mathesis universalis" macht, nicht unter diesen Titel stellt. Außerdem haben Descartes' Ausführungen zur „mathesis universalis" einen emphatischen, oft prophetischen Charakter, der einem deutlichen Verständnis der einschlägigen Texte nicht zuträglich ist4. Wenn man von den Autoren absieht, die zwischen Descartes' Theorie der Methode und Descartes' Äußerungen zur „mathesis universalis" keinen expliziten Unterschied machen und die Zweckbestimmung und Tragweite beider als übereinstimmend erscheinen lassen, bestehen erhebliche Unterschiede schon im Wortverständnis der „mathesis universalis". Nach Heimsoeth 5 „will diese ,Wissenschaft nichts anderes bedeuten als eine Methodologie exakter, d. i. mathematischer Naturwissenschaft". Brunschvicg sieht in ihr, je nach Descartes' Behandlung des Begriffes der „extensio", einerseits „une reforme de la physique par les mathematiques", zum andern „une reforme de la matl^matique elle-meme", d. h. zum einen die Auffassung physikalischer Gesetzmäßigkeit als einer solchen, die durch geometrische Verhältnisse darstellbar ist, andererseits „la reduction des problemes de geometrie aux problemes d'algebre"". Nach Laporte versteht Descartes unter der „mathesis universalis" „la • Auf eine genauere Bestimmung dieser Ausdrücke, die m. E. durch die Texte nahegelegt wird, werde idi im folgenden zurückkommen. 4

Vgl. Laporte, a . a . O . , S. 9: „Sur la signification de la mathematique universelle, les historiens ont commis force contresens" und Bede, a. a. O., S. 196: „It is not possible to present a clear and unambiguous picture of this important feature of Cartesian method."

' Heimsoeth, a. a. O., S. 164, vertritt die Auffassung, daß „ f ü r die Universalität dieser Problemstellung die mathematischen Gebilde auf dieselbe Stufe mit den physikalischen Gegenständen t r e t e n . . . allein die methodischen Grundmittel zur Gewinnung exakter Erkenntnis, wie sie für den ganzen Bereich des .Materialen', ohne Unterschied der Disziplin, gelten sollen, kommen hier in Frage". • N a d i Brunsdivicgs Urteil (Brunschvicg, L., „Les Etapes de la Philosophie mathematique", Paris 1930, S. 107) ist die Tragweite der kartesisdien „Mathesis universalis" unterschiedlich, „suivant que Γοη considirera l'ceuvre de Descartes dans la philosophie ginirale, c'est-ä-dire l'extension de la methode mathematique k l'universaliti des problemes cosmologiques, ou que l'on s'attachera seulement i l'ceuvre que Descartes accomplit dans le domaine propre de la mathematique par la reduction des problemes de la g£ometrie aux problemes de l'alg^bre. L'une et l'autre oeuvre ont pour base la notion de l'espace".

32

II

Descartes

science de ce qu'il y a de plus general dans les Mathematiques, ou si l'on aime mieux, une Alg^bre g e ^ r a l e " . Sie ist nach ihm eine Wissenschaft „des rapports et proportions en general, ou, ce qui est encore la meme chose, de la grandeur mesurable, abstraction faite de la question de savoir si cette grandeur est continue ou discrete" 7 . So bezeichnet sie auch Beck8 als „the science of order and mesure" oder auch als „the science which treats of proportions in general". Laporte und Beck nehmen damit nur Äußerungen Descartes' selbst wieder auf. Für ein Verständnis der A u f gabenstellung und der Zielsetzungen, denen nach Descartes eine „mathesis universalis" gerecht werden sollte, ist es zunächst wichtig, sich des kartesischen Zugangs zu ihr bewußt zu werden, der zugleich die Motivierung des Gedankens einer Universalmathematik bildet. Im „Discours de la methode" sagt Descartes, daß sein Interesse nicht der Erlernung aller einzelnen Wissenschaften gegolten habe, die man gemeinhin als „mathematische" bezeichnet", sondern dem Umstand, daß sie „ne laissent pas de s'accorder toutes, en ce qu'elles n'y consid^rent autre chose que les divers rapports ou proportions qui s'y trouvent" 10 . Die Gemeinsamkeit mathematischer Wissenschaften besteht nicht in der ihres Gegenstandes, der f ü r jede einzelne unterschiedlich ist, sondern darin, daß es ihnen im Gegensatz zu anderen Wissenschaften nur auf dessen „Verhältnisse" (rapports, proportions) ankomme. Dadurch wird aber der Gedanke einer Wissenschaft nahegelegt, die nur diese in allen mathematischen Wissenschaften anzutreffenden Verhältnisse zum Gegenstand ihrer Betrachtung macht: „je pensai qu'il valait mieux que j'examinasse seulement ces proportions en general, et sans les supposer que dans les sujets qui serviraient ä m'en rendre la connaissance plus aisee" 11 . Die allgemeinen Aussagen einer „mathesis universalis" sollen nicht nur an Beispielfällen mathematischer Einzelwissenschaften kenntlich gemacht werden, sondern als solche betrachtet werden; die Aussagen einer „mathesis universalis" sollen zugleich von der A r t sein, daß sie auf die 7

Laporte, a. a. O., S. 8/9.

8

Beck, a. a. O., S. 199.

• In der 4. Regel, nennt Descartes (CEuvre, ed. A . u. Τ., X , S. 377) als Wissenschaften, die „Mathematicae partes dicantur", neben der Geometrie und der Arithmetik die Astronomie, Musik, Optik und die Mechanik. Die vor allem auf Vieta zurückgehende Algebra wird in dieser Aufstellung nicht genannt, da sie als Schuldisziplin nodi nicht entwickelt war. In ihr sah Descartes (vgl. im folgenden) diejenige Disziplin, die der gesuchten „mathesis universalis" am nächsten steht. 10

Descartes, ed. A . u. Τ., V I , S. 20.

11

Ebd. S.

10.

mathesis universalis

33

Einzelfälle der mathematischen Wissenschaften, die sich ihnen zuordnen lassen, Anwendung finden können: „meme aussi sans les y astreindre aucunement, afin de les pouvoir d'autant mieux appliquer apres a tous les autres auxquelles ils conviendraient" 12 . Einer der Gesichtspunkte, unter denen der Gedanke der Universalmathematik steht, ist derjenige der Gewinnung allgemeiner Aussagen, die zur Bestimmung spezieller Aussagen und zur Auffindung der Lösung spezieller Probleme der mathematischen Wissenschaften brauchbar sind. Unter diesem Gesichtspunkte rückt die Zielsetzung einer „mathesis universalis" in die Nähe einer „ars inveniendi", wie sie Lullus in seiner „Ars brevis" festgelegt hatte15. So gibt auch Descartes in einem frühen Brief an Beeckmann'4 seine Absicht zu erkennen, die lullistische Zielsetzung, allein auf Grund der Umformungsregeln einer allgemeinsten Wissenschaft zu abgeleiteten Aussagen zu gelangen, mit anderen Mitteln zu verwirklichen: „Et certe, ut tibi nude aperiam quid moliar, non Lullii Artem brevem, sed scientiam penitus novam tradere cupio, qua generaliter solvi possint quaestiones omnes, quae in quolibet genere quantitatis, tum continuae quam discretae, possunt proponi." Die Begrenzung der „mathesis universalis" auf den Bereich der quanta wird von Descartes auch in den Regulae aufrechterhalten. So sagt er im Hinblick auf den Anwendungsbereich einer „mathesis universalis" : „ut non amplius cogitemus nos circa hoc vel illud subjectum versari, sed tantum in genere circa magnitudines quasdam inter se componendas" 15 . " Ebd. "

V g l . Rossi, Paolo, C l a v i s universalis. A r t i Mnemonidie e Logica Combinatoria da Lullo a Leibniz, Mailand 1960, 8 . 4 6 : „ L a scomposizione dei concetti composti in nozioni semplici e irreducibili, l'impiego di lettere e di simboli per indicare le nozioni semplici, la meccanizzazione delle combinazioni tra i concetti operata per mezzo delle figure mobili, l'idea stessa di un linguaggio artificiale e perfetto (superiore al linguaggio comune e a quello delle singole scienze) e quella di una specie di meccanismo concettuale die si presenta, una volta costruito, assolutamente indipendente dal soggetto u m a n o " : dies sind die Züge, durch die Rossi die Konzeption der lullischen „ars i n v e n t i v a " , b z w . „ars brevis" oder „ars combinatoria" charakterisiert.

14

V g l . Descartes, Brief an Beeckmann, 1 6 1 9 , in CEuvres, ed. A . u. Τ . , X , 1 5 6 / 7 . V g l . zur Charakterisierung der „Mathesis universalis" Regula I V , CEuvres X , S. 3 7 8 : „ac proinde generalem quamdam esse debere scientiam, quae id omne explicet, quod circa ordinem et mensuram nulli speciali materiae addictam quaeri potest".

19

Descartes, Regulae, a. a. Ο . S. 4 3 1 .

34

II

Descartes

Damit ist die Reichweite einer Universalmathematik eingeschränkt auf die Verhältnisse von Größen. Entsprechend heißt es in der vierten Regel: „illa omnia tan tum, in quibus ordo vel mensura examinatur, ad Mathesim referri, nec interesse u t r u m in numeris, vel figuris, vel astris, vel sonis, aliove quo vis objecto, talis mensura quaerenda sit" 1 '. Descartes unterscheidet Ordnungs- und Maßverhältnisse. Das Ordnungsverhältnis betrifft speziell, im Hinblick auf die Universalmathematik, die numerische Quantität (multitudo), das Maß Verhältnis dagegen die meßbare Größe (magnitudo). Als meßbare Größe (magnitudo) wird von Descartes alles bezeichnet, was ein mehr oder weniger zuläßt (quod recipit majus et minus)17. Als numerische Quantitäten sind die ganzen Vielfachen der Einheit zu verstehen, wie sie durch die Folge der natürlichen Zahlen symbolisch angebbar sind 18 . Die meßbaren Größen dagegen lassen sich einteilen in die räumlichen Größen und in die nicht räumlichen Größen, wie sie einerseits in der räumlichen Ausdehnung, zum andern in den Gradunterschieden der Farben und Töne oder auch in der Zeitgröße vorliegen. Der allgemeine Name, den Descartes f ü r „Verhältnis" gebraucht, ist „habitudo" oder „proportio". Der im Hinblick auf Einzelbeispiele von Descartes gebrauchte Name ist „proportio", welcher von vornherein mitbedeutet, daß es sich hierbei um ein meßbares Verhältnis zwischen homogenen Dingen handelt, wohingegen Descartes dies bisweilen bei der Verwendung von „habitudo" besonders hervorhebt. So sagt er, daß „omnes habitudines, quae inter entia eiusdem generis esse possunt, ad duo capita esse referendas: nempe ad ordinem, vel ad mensuram" 1 ". Unter „ordo" versteht Descartes die unter einer Regel stehende Anordnung von Dingen im Hinblick auf ein vorgegebenes Ganzes. Eine solche Anordnung liegt beim Vorgang des Zählens vor: „Si enim con" Ebd. S. 378. Ebd. S. 440: „Notandum est deinde, nihil ad istam aequalitatem reduci posse, nisi quod recipit majus et minus" (d. h. auf die aequalitas zwischen den data und dem quaesitum), „atque illud omne per magnitudinis vocabulum comprehendi".

17

18

Ebd. S. 4J0: „Sunt autem duo duntaxat genera rerum, quae inter se conferuntur, multitudines et magnitudines": ihre figürliche Darstellung ist verschiedenartig: Die Vielheiten werden durch Punkte (Dreizahl der Seiten im Dreieck) oder Striche (Stammbaum der Ahnentafel), die meßbaren Größen werden durdi geometrische Figuren dargestellt.

18

Descartes, a . a . O . , Regel 14, S. 451. Vgl. dazu ebd. Regel 6, S. 385: In der mathesis universalis geht es darum, herauszufinden „qua ratione omnes quaestiones, quae circa proportiones sive habitudines rerum proponi possunt, involvantur, et quo ordine debeant quaeri".

mathesis universalis

35

sideramus partes in ordine ad totum, tunc numerare dicimur" 20 . Wenn wir dagegen ein Ganzes als in Teile aufgeteilt betrachten, messen wir: „si contra totum spectamus ut in partes distributum, illud metimur"". Der Vorgang des „Messens" beinhaltet bei Descartes die Aufteilung eines Ganzen in gleichgroße Teile, deren Größe durch die Wahl einer Einheit bestimmt ist. Zum Messen ist außerdem die Hinsicht erforderlich, nach der wir etwas messen; diese nennt Descartes die „dimensio": „per dimensionem, nihil aliud intelligimus, quam modum et rationem, secundum quam aliquod subjectum consideratur esse mensurabile"". Im Begriff der Proportionalität kommt sowohl das Verhältnis einer Zahl zum Ganzen einer Zahlenfolge, als audi das Verhältnis zweier Strecken bzw. zweier Flächen, das mittels einer dritten gemessen werden kann, zum Ausdrude. So wie sich einerseits die kontinuierlichen Größen zahlenmäßig bestimmen lassen, d.h. durch numerische Quantitäten angeben lassen23, lassen sich diese andererseits durdi geometrische Darstellungen zum Ausdruck bringen. Als solche Darstellungsmöglichkeiten numerischer Größen durch geometrische Gebilde betrachtet Descartes in den Regulae Gerade und Flächen, im „Discours de la Methode" dagegen nur noch die Gerade 24 . Der Gedanke einer „mathesis universalis" als einer allgemeinen Wissenschaft von Ordnung und Maß führt bei Descartes zur Einsicht in die wechselseitige Bezogenheit der Darstellung von Quantitäten als arithmetische Zahlen und geometrische Gebilde. Zugleich bieten Ebd. Regel 14, S. 448. " Ebd. » Ebd. S. 447. 1 3 Vgl. dazu ebd. S. 451: „Sciendum etiam, magnitudines continuas beneficio unitatis assumptitiae posse totas interdum ad multitudinem reduci, et semper saltern ex parte; atque multitudinem unitatum posse postea tali ordine disponi, ut difficultas, quae ad mensurae cognitionem pertinebat, tandem a solius ordinis inspectione dependeat". M Descartes, Regel 14, S. 4J2: „nullasque ad hunc usum esse retinendas praeter superficies rectilineas et rectangulas, vel lineas rectas, quas figuras quoque appellamus, quia per illas non minus imaginamur subjectum vere extensum quam per superficies, ut supra dictum est; ac denique per easdem figuras, modo magnitudines continuas, modo etiam multitudinem sive numerum esse exhibendum; neque quiequam simplicius, ad omnes habitudinum differentias exponendas, inveniri posse ab humana industria". Vgl. dazu in der 12. Regel ebd., S. 413: „Atque haec omnia ita concipere multum iuvat, cum nihil facilius sub sensum cadat quam figura: tangitur enim et videtur". Das gilt ζ. B. nach Descartes audi von den physikalischen Unterschieden der Farbqualitäten, indem wir nur auf das achten, wodurch sich diese in der figürlichen Anschauung zur Darstellung bringen lassen. Ebenso gilt es von allem anderen, was „sub sensum cadit": ebd. S.413/14: „Idemque de 10

36

II

Descartes

Zählen und Messen das einfachste Beispiel einer A n w e n d u n g der drei letzten der im z. Teil des „Discours de la Methode" genannten Regeln, die gegenüber der ersten dort genannten Regel, dem Evidenzpostulat, einen stärkeren inhaltlichen Zusammenhang aufweisen: das Aufgliederungspostulat, das Anordnungspostulat und das Postulat der Vollständigkeit in der A u f z ä h l u n g aller zur Problemlösung führenden Stücke 15 . In der Betrachtung des Zählens und Messens als der einfachsten mathematisdien Verfahrensweisen werden Bestimmungen getroffen, die auf alle mathematischen Wissenschaften A n w e n d u n g finden können. In der kartesischen Bestimmung der Begriffe „ordo" und „mensura" im Hinblick auf den V o r g a n g des Zählens und Messens lassen sich —

bezogen

auf ein spezielles P r o b l e m : Ausmessung und quantitative Bestimmung von Größen —

paradigmatisch die methodischen Schritte

erkennen,

deren sprachliche Charakterisierung in der 2 . — 4 . Regel des „Discours" angegeben ist2". Noch deutlicher tritt der Gesichtspunkt, unter dem die Anwendbarkeit einer „mathesis universalis" stehen soll, in den vereinzelten Beispielen hervor, die Descartes selbst in den „Regulae" gegeben hat. Der Zweckgedanke, der in diesen Beispielen vorliegt, besteht darin, zu zeigen, wie Eigenschaften so zu bestimmen sind, daß aus ihrer Kenntnis eine beliebige oder feststehende Zahl konkreter Einzelfälle bestimmbar ist, denen diese Eigenschaft zukommt. So ist die Zahlenfolge 3, 6, 12, 24, 48 usw. durch die Eigenschaft bestimmbar, d a ß in dieser Folge mit dem

2S

2*

omnibus dici potest, cum figurarum infinitam multitudinem Omnibus rerum sensibilium differentiis exprimendis sufficere sit c e r t u m " . V g l . „ D i s c o u r s " , S. 20," . . . je pensai que, pour les considέrer mieux en particulier" (die Proportionen), „je les devais supposer en des lignes, ä cause que je ne trouvais rien de plus simple, ni que je pusse plus distinetement representer a m o n imagination et a mes sens". V g l . Gilson, K o m m e n t a r , S. 220: „ L a p r o p o r t i o n que l'on imagine entre deux droites est done identique «l ce qu'elle serait entre d e u x surfaces et deux solides, et comme la ligne est la mani£re la plus simple de se representer l ' i t e n d u e , e'est p a r des lignes qu'il convient de representer les r a p p o r t s " . A u f das Verhältnis der im „ D i s c o u r s " angegebenen vier Regeln zu den „ R e g u l a e " w i r d im folgenden ausführlicher zurückzukommen sein. V g l . Descartes, „Discours de la M e t h o d e " , ed. A . u. Τ . , V I , S. 19/20: „ L e second, de diviser diacune des difficultes que j'examinerais, en autant de parcelles qu'il se pourrait, et qu'il serait requis pour les mieux resoudre. L e troisi^me, de conduire p a r ordre mes pensees, en c o m m e n j a n t p a r les objets les plus simples et les plus aises h. connaitre, pour monter peu ä peu, comme p a r degrds, jusque 4 la connaissance des plus composes; et supposant meme de l'ordre entre ceux qui ne se p r u d e n t point naturellement les uns les autres. E t le dernier, de faire partout des denombrements si entiers, et des revues si genirales, que je fusse assuri de ne rien omettre".

mathesis universalis

37

Anfangsglied 3 der Nachfolger jeder Zahl deren Zweifaches ist. Der Gewinn besteht hier in der Ableitbarkeit beliebig vieler Zahlenpaare, die in dem selben Verhältnis einer geometrischen Progression stehen, durch die Angabe einer allgemeinen Formel: an = 3 · 2 n _ '> an + ! = 3-2". Desgleichen bleibt auch in der Formel zur Bestimmung der Hypotenusenlänge im rechtwinkeligen Dreieck mit den Kathetenlängen a und b das Verhältnis zwischen den gegebenen Stücken a, b und dem Gesuchten j/a2 + b2 gewahrt, und die Hypotenusenlänge läßt sich für beliebige Kathetenlängen herleiten27. Der Vorteil, durch den allein diese Beispiele von Interesse sind für Descartes Gedanken der Universalmathematik, besteht darin, daß sich aus einer allgemeinen Formel die Lösung für die Einzelfälle angeben läßt. Zugleich bleibt das Verhältnis, das durch die beiden Beispiele jeweils bestimmt wird, invariant gegenüber allen Einzelfällen, in denen zwei aufeinanderfolgende Zahlen einer geometrischen Progression, bzw. die Hypotenusenlänge im rechtwinkeligen Dreieck bestimmt werden sollen. Descartes behauptet nicht, daß die algebraische Formel für den pythagoreischen Lehrsatz zum Bestände einer „mathesis universalis" gehört, sondern benutzt sie nur als ein Beispiel für die kalkülmäßige Herleitung gesuchter numerischer Quantitäten aus vorgegebenen Größen. Im Rückgang vom numerischen Einzelfall auf die algebraisch zu erfassenden allgemeinen Verhältnisse (Proportionen), unter die der Einzelfall fällt, liegt der Prozeß einer formalen Generalisierung vor, der zwei Bedingungen genügt: die im numerischen Einzelfall vorliegende Beziehung bzw. das Verhältnis zwischen den betrachteten Größen wird allgemein bestimmt, so daß es auch alle gleichartigen Fälle mitumfaßt; ebenso lassen sich nun aber durch die allgemein angegebene algebraische Beziehung alle Einzelfälle, in denen diese Beziehung vorliegt, bestimmen, und 27

Z u Descartes' Behandlung des Beispiels der geometrischen Folge v g l . „ R e g u l a e " , Regel 6, a . a . O . , S. 3 8 5 . Die Vorteile, die sich in diesem Beispiel ergeben, wenn man, statt von 3 beginnend und fortlaufend das Doppelte addierend, v o n der G e meinsamkeit der Proportion ausgeht, die zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Zahlen besteht, beschreibt Descartes mit den W o r t e n : „ A d v e r t o , non difficilius inventum fuisse duplum senarii, quam duplum ternarii; atque pariter in omnibus, inventa proportione inter duas quascumque magnitudines, dari posse alias innumeras, quae eamdem inter se habent proportionem" (Ebd.). Die Vorteile der algebraischen Bestimmung der Hypotenusenlänge im rechtwinkligen Dreieck (ebd. S. 4 5 5 / 6 ) beschreibt Descartes mit den W o r t e n : „ut partes subjecti, quae ad difficultatis naturam pertinent, maneant semper distinctae". In beiden Fällen geht es darum, „alia multa ex hoc uno exemplo deducere", ebd. S. 3 8 7 .

38

II

Descartes

das in einem doppelten Sinne: mit der Angabe der algebraischen Beziehung ist zugleich bestimmt, welche konkreten Fälle diese Beziehung aufweisen und wie sich durch Fallunterscheidung jeder einzelne von ihnen herleiten läßt. Neben der Anwendung algebraischer Verfahren zur Lösung arithmetischer und geometrischer Aufgaben gilt es einen weiteren Aspekt zu beachten, der in Descartes Auffassung einer Universalmathematik eine entscheidende Stellung einnimmt: eine Konzeption des Lösungsvorganges für mathematische Aufgaben, die weitgehend durch ältere Auffassungen der geometrischen Methode bestimmt ist, obwohl sie diese zugleich modifiziert und auf den algebraischen Bereich auszudehnen versucht 28 . Wie nach der Auffassung der geometrischen Methode nach Pappus28 beginnt die Lösung des Problems mit der Problemstellung („quaestio"), d. h. mit der Annahme einer mathematischen Aussage, deren Geltung es zu erweisen gilt, und der Entwicklung der Voraussetzungen, die unter der Annahme der Richtigkeit der Aussage vorliegen müßten, damit man die Aussage herleiten kann30. Diese Entwicklung der Voraussetzungen, die für den Erweis der Richtigkeit der Aussage notwendig und hinreichend sind, steht unter dem Gedanken, die Abhängigkeit der Bestimmungsstücke, die zur Lösung der Aufgabe erforderlich sind, in der Weise darzulegen, daß die unbekannten Größen allein von den bekann89

V g l . Descartes, „Discours", a. a. O., S. 20: „J'emprunterais tout Ie meilleur de l'analyse geometrique et de l'algebre, et corrigerais tous les defauts de l'une par l'autre". V g l . Gilson, Kommentar, S. 222: „la nouvelle methode conservera de l'analyse geometrique le secours que celle-ci rejoit de l'imagination, puisqu'elle travaillera comme eile sur des lignes, et eile conservera de l'algebre la brieveti que permet le symbolisme de cette science, telle que Descartes vient de la simplifies D u meme coup, Descartes corrige l'analyse et l'algebre l'une par l'autre; car, contrairement au calcul algebrique vulgaire, sa methode s'adresse ä l'esprit, puisqu'elle est une analyse, et contrairement k la Geometrie des anciens, sa methode n'est plus asservie «I la consideration des figures, parcequ'elle est une algebre". Entstlieidender noch als die hier von Gilson genannten Merkmale, durch die sich A l gebra und geometrische Analyse ergänzen, erscheint der nun mögliche Verzicht auf eine Formulierung des Beweisganges in der natürlichen Sprache und die Unabhängigkeit der formalen Herleitung von der räumlichen Anschauung.

29

Z u Pappus vgl. oben S. 24.

30

V g l . Regel 13, a . a . O . , S. 437: „Quaestione sufficienter intellecta, videndum est praecise, in quo difficultas eius consistat, ut haec ab omnibus aliis abstracta facilius solvatur. N o n semper sufficit quaestionem intelligere, ad cognoscendum in quo sita sit eius difficultas; sed insuper reflectendum est ad singula quae in ilia requiruntur, ut si quae occurrant nobis inventu facilia, illa omittamus, et illis ex propositione tublatis, illud tan tum remaneat quod ignoramus".

mathesis universalis

39

ten Größen, die in die Problemstellung eingehen, abhängig sind 31 . Der Ausgang von einer Problemstellung, nämlich der Aufgabe, allgemeine, für alle mathematischen Einzelwissenschaften verbindliche Aussagen über Ordnung und Maß zu machen, kennzeichnet auch die „mathesis universalis": „id omne explicet, quod circa ordinem et mensuram nulli speciali materiae addictam quaeri potest" 3 2 . Das Verständnis der Problemstellung hat der Problemlösung voranzugehen: „qualibet data quaestione, imprimis enitendum est, ut distincte intelligamus, quid quaeratur" 3 3 . Descartes führt drei Forderungen für eine „quaestio perfecte intellecta" an: die eindeutige Bestimmtheit der Formulierung einer Fragestellung („quibus signis id quod quaeritur possit agnosci"), die genaue Kenntnis dessen, aus dem wir das in Frage Stehende herleiten müssen („quid sit praecise, ex quo illud deducere debeamus"), und den Erweis dafür, daß die Beweisstücke die notwendige und hinreichende Bedingung für das Erwiesene sind („quomodo probandum sit, ilia ab invicem ita pendere, ut unum nulla ratione possit mutuari, alio immutato") 34 . Descartes' Aufteilung der Problemlösung in die klare Fixierung der Problemstellung, die Rückführung der quaestio auf ihre Bestimmungsstücke und die Herleitung der zu beweisenden Aussage aus diesen ist ihrer Darstellung in den „Regulae" nach nicht eingeschränkt auf die Bestimmung der Verhältnisse (proportiones) zwischen numerischen Quantitäten oder meßbaren Größen. Sie gilt ganz allgemein, und Descartes nimmt sie im besonderen in Anspruch für die Schlichtung philoso-

31

Ebd. S. 434/35: „ A t vero in omni quaestione, quamvis aliquid debeat esse incognitum, alioqui enim frustra quaereretur, oportet tarnen hoc ipsum certis conditionibus ita esse designatum, ut omnino simus determinati ad unum quid potius quam ad aliud investigandum. Atque hae sunt conditiones, quibus examinandis statim ab initio dicimus esse incumbendum: quod fiet, si ad singulas distincte intuendas mentis aciem convertamus, inquirentes diligenter quantum ab unaquaque illud ignotum quod quaerimus sit limitatum; dupliciter enim hic falli solent humana ingenia, vel scilicet aliquid amplius quam datum sit assumendo ad determinandam quaestionem, vel contra aliquid omittendo".

3!

Descartes, ebd. Regel 4, S. 378. Vgl. Regel 6: Die „mathesis universalis" fragt, „qua ratione omnes quaestiones, quae circa proportiones sive habitudines rerum proponi possunt, involvantur, et quo ordine debeant quaeri" (S. 385).

33

Descartes, Regel 13, ebd. S. 434.

34

Ebd. Regel 12, S. 429. Vgl. Regel 1 3 , S. 4 3 1 : „Ut quaestio sit perfecta, volumus illam omnino determinari, adeo ut nihil amplius quaeratur, quam id quod deduci potest ex datis".

40

II

Descartes

phischer Kontroversen, die auf Wortstreitigkeiten beruhen35. Die Äußerungen von Descartes zur Wahrheitsbestimmung der in der „quaestio" vorliegenden Aussage stehen auf einer mittleren Ebene zwischen dem sogleich zu behandelnden Sonderfall, w o Verhältnisse zwischen homogenen Größen untersucht werden wie im Bereiche mathematischer Aussagen, und den allgemeiner formulierten Regeln im 2. Teil des „Discours" bzw. den ersten sieben „Regulae", deren methodische Tragweite nicht auf den Bereich der „res extensa" und einer „mathesis universalis" begrenzt bleiben soll. Für die Rückführung der „quaestio" auf die „data" benutzt Descartes auch den Ausdruck „comparatio", denn der Erweis des in der „quaestio" in Frage Stehenden besteht gerade darin, daß das Gesuchte mit dem Gegebenen bzw. bereits Zugegebenen als logisch äquivalent erkannt wird. In dem Sinne ist zu verstehen, „ut in omni ratiocinatione per comparationem tantum veritatem praecise cognoscamus"38. Nur dann aber, wenn zwischen dem quaesitum und dem datum Gleichheit der Natur besteht, lassen sich das „quaesitum" und das „datum" auf die Gleichheit zurückführen 37 . N u r im Falle homogener Größen läßt sich nach Descartes die Lösung des Problems auf die Form einer Anzahl von algebraischen Gleichungen bringen, in die die Bekannten sowohl als die unbekannten Größen eingehen38. Die Bezogenheit 35

se

"

38

V g l . Descartes, Regel 13, a . a . O . , S. 433/4: „ Q u a e r i m u s autem vel res ex verbis, v e l ex effectibus causas, v e l ex causis effectus, v e l ex partibus totum, sive alias partes, vel denique plura simul ex istis. R e s ex verbis quaeri dicimus, quoties difficultas in orationis obscuritate c o n s i s t i t . . . A t q u e hae quaestiones de nomine tarn frequenter occurrunt ut, si de v e r b o r u m significatione inter Philosophos semper conveniret, fere omnes illorum controversiae tollerentur." E b d . Regel 14, S. 439. E b d . S. 440: „ N o t a n d u m q u e est, comparationes dici tantum simplices et apertas, quoties quaesitum et d a t u m aequaliter participant q u a m d a m n a t u r a m ; caeteras autem omnes non aliam o b causam praeparatione indigere, q u a m quia natura illa communis non aequaliter est in utraque, sed secundum alias quasdam habitudines sive proportiones in quibus i n v o l v i t u r . . . n o t a n d u m est deinde, nihil ad istam aequalitatem reduci posse, nisi q u o d recipit majus et minus, atque illud omne per magnitudinis v o c a b u l u m comprehendi". V g l . d a z u den T e x t der Descartessdien „ G e o m e t r i e " , ed. Α . u. Τ . , V I , S. 372: „ A i n s i , v o u l a n t resoudre quelque problesme, on doit d ' a b o r d le considerer comme desia f a i t , et donner des noms i toutes les lignes qui semblent necessaires p o u r le construire, aussy bien a Celles qui sont inconnues q u ' a u x autres. Puis, sans considerer aucune difference entre ces lignes connues et inconnues, on doit parcourir la difficulte selon l'ordre qui montre, le plus naturellement de tous, en quelle sorte elles dependent mutuellement les unes de autres, iusques a ce qu'on ait t r o u v i m o y e n d'exprimer une mesme quantitέ en d e u x f a c o n s : ce qui se nomme une Equation, car les termes de l'une de ces d e u x f a j o n s sont esgaux ä ceux de l'autre".

mathesis universalis

41

der algebraischen Lösung auf die geometrische Analyse, von der sie durch Descartes nie gelöst worden ist", kommt darin zum Ausdruck, daß Descartes die Auffassung vertritt, daß jede algebraische Lösung „posse et debere.. transferri ad extensionem et figuras"40. Descartes' Auffassung der „mathesis universalis" gewinnt weiterhin, wenn auch eingeschränkt durch die Vagheit der diesbezüglichen Texte, deutbare Konturen durch die Art und Weise, wie Descartes sie von der Schulmathematik abhebt und dieser entgegensetzt. Seine wiederholten Hinweise darauf, „me nihil minus quam de vulgari Mathematica hic cogitare" 41 verwahren dagegen, seine Ausführungen zur „mathesis universalis" als eine methodologische oder metatheoretisdhe Betrachtung der schon als Schuldisziplin konstituierten mathematischen Wissenschaften zu verstehen. Diese verdecken eher den Zugang zu ihr durch jene „inania problemata.. quibus Logistae vel Geometrae otiosi ludere consueverunt" 42 . Insbesondere erscheint die Darstellungsform der tradierten Arithmetik und Geometrie43 als unzureichend sowohl im Hinblick auf die begründende Herleitung ihrer Ergebnisse als darauf, daß sie nicht lehrt, in welcher Weise die einschlägigen Begründungszusammenhänge aufzustellen sind: „sed quare haec ita se habeant et quomodo invenirentur menti ipsi non satis videbantur ostendere"44. Die Ausstellungen, die Descartes gegenüber den tradierten mathematischen Disziplinen macht und die deren Reformbedürftigkeit in seinen Augen begründen, konzentrieren sich auf zwei Punkte: das Auffinden eines Begründungszusammenhanges für eine vorgelegte Aussage erfolgt „casu saepius quam arte", und die Lösungsverfahren bleiben am Einzelfall der geometrischen Anschauung orientiert, „magis ad oculos et imaginationem pertinent quam ad intellectum" 45 . Beide Gesichtspunkte motivieren bei Descartes die Suche nach einem Verfahren, das gestattet, auf einem allgemein angebbaren und nicht *· V g l . Vuillemin, Jules, „Mathematiques et Mikaphysique diez Descartes", Paris i960: „Seules les courbes algebriques realisent cette adequation de l'etendue et de la fonction, dont la decouverte ouvre la voie aux mathematiques modernes". 40 Descartes, Regel 14, S. 441. 41 Descartes, R., „Regulae", Regel 4, ed. A . u. Τ . X , S. 374. 43 Descartes, „Regulae", a. a. O., S. 373. 43 Unter den schulmäßigen Darstellungen der Arithmetik und Geometrie, die zu Descartes' Zeiten benutzt wurden, sind vor allem hervorzuheben: Herlinus, Ch. und Dasypodius, „Elementa Euclidis" Straßburg 1564—66, Clavius, Ch., „Euclidis atque Geometriae commendatio" (Euclidis Elementorum libri X V ) , R o m 1J74. 44 Descartes, „Regulae", 4. Regel, a. a. O., S. 3 7 j . 45 Ebd.

II

42

Descartes

m e h r a m E i n z e l f a l l des mathematischen P r o b l e m s orientiertem

Wege

die L ö s u n g f ü r alle jeweils unter einen T y p u s f a l l e n d e n mathematischen Aufgaben

z u erbringen

(z.B.

die im dritten Buch der

„Geometrie"

beschriebene A u f l ö s u n g der Gleichungen z w e i t e n G r a d e s ) . D i e „mathesis u n i v e r s a l i s " erscheint als d e r Inbegriff verfahren.

Wenn

Descartes

von

humanae rudimenta continere"

ihr

derartig sagt,

allgemeiner

sie solle

Lösungs-

„prima

rationis

u n d „ a d veritates e x q u o v i s

subjecto

eliciendas se extendere" 4 6 , m u ß beachtet w e r d e n , d a ß die A l l g e m e i n h e i t des L ö s u n g s v e r f a h r e n s hier nicht nur, obschon v o r allem, a u f Verhältnis stimmter

gegenüber Gleichungen

d e m jeweils oder

dessen

gegebenen E i n z e l f a l l mehrerer

bestimmter,

eine

algebraische

be-

Gleichung

erfüllender numerischer Q u a n t i t ä t e n bezogen w i r d , sondern sich auch 44

Descartes, Regel 4, a . a . O . , S. 374. Vgl. dazu S. 373: „Habet enim humana mens nescio quid divini, in quo prima cogitationum utilium semina ita jacta sunt, ut saepe, quantumvis neglecta et transversis studiis suffocata, spontaneam frugem producant. Quod experimur in facillimis scientiarum, Arithmetica et Geometria." Der oben und vorstehend zitierte Text steht in der vierten Regel unmittelbar zwischen Descartes' Ausführungen zu seinem Begriff wissenschaftlicher Methode und den folgenden Äußerungen zur „mathesis universalis". Sie vermitteln in zumindest einer Hinsidit zwischen beiden. Diese Vermittlung läßt sich trotz der Vagheit des Textes der 4. Regel nur darin erkennen, daß die „Mathesis universalis" als ein Inbegriff allgemeiner Lösungsverfahren für alle im Bereidi der Mathematik auftretenden Typen von Aufgaben diejenige „Disziplin" ist, die das Modell für die Gewinnung noch allgemeinerer, sich auf den Gesamtbereich methodisdier Erkenntnis (nicht nur mathematischer) beziehender Regeln erstreckt. Wie im folgenden zu zeigen ist, ist diese Auffassung, obwohl ein wörtliches Verständnis des Textes der „Regulae" auf sie hindrängt, dennoch nicht verträglich mit den Bestimmungen, die Descartes für die allgemeinwissenschaftliche Methodenlehre einerseits, für die „mathesis universalis" andererseits trifft. Der zitierte Text scheint die einzige Stelle zu sein, an der Descartes, offenbar die neu zu erstellende „Disziplin" einer „mathesis universalis" über die Grenzen der „mathematischen" Erkenntnis auszudehnen scheint (wenn er sagt, sie solle „prima rationis humanae rudimenta continere" und „ad veritates ex quovis subjecto eliciendas se extendere"). Dies findet seine Erklärung durch die Stellung dieses Textes in der 4. Regel, der in der eben angezeigten Weise zwischen der „mathesis universalis", aus der Descartes paradigmatisch seine allgemeinere Methodenlehre gezogen haben will, und eben dieser all gemein-wissenschaftlichen Theorie der Methode vermitteln soll. In der Bedeutung von „rudimentum" (zu erudire) als einer „Vorschule", als eines „ersten Unterrichts in einer Kunst", läßt die an die „mathesis universalis" gestellte Forderung sich dahingehend wiedergeben, daß sie die Vorschule zur Anwendung eines begründeten Urteilens zu sein habe und in diesem Sinne Relevanz für die Gesamtheit wissenschaftlicher Erkenntnis gewinne. (Zu „rudimentum", vgl. Georges, „Ausführliches Handwörterbuch der Lat. Sprache", 1 1 . Aufl., Hannover 1962, Bd. 2, Sp. 2419). Zu „ratio" vgl. Descartes, „Discours", V I , S. 2 : „La puissance de bien juger, et distinguer le vrai d'avec le faux qui est proprement ce qu'on nomme le bon sens ou la raison", die zwar als solche ^ g a l e en tous les hommes" sei, bei der es aber darauf ankäme, „de l'appliquer bien".

mathesis universalis

43

auf alle mathematischen Wissenschaften, insbesondere also auch auf die Physik47 erstreckt. Verfahren, welche dienlich sind, allgemein auf alle einem bestimmten Typus angehörigen mathematischen Einzelprobleme Anwendung zu finden, glaubt Descartes in der erst zu seiner Zeit sich als Disziplin herausbildenden Algebra und in dem Verfahren der antiken Geometer zu erkennen48. Da beide in Descartes' Auffassung der „mathesis universalis" diese eher zum Ausdruck bringen und ihr näher stehen sollen als die herkömmlichen mathematischen Schuldisziplinen, erscheinen sie auch folgerichtig nicht in Descartes' Aufzählungen dieser im wesentlichen den Lehrstoff des „Quadrivium" ausmachenden mathematischen Disziplinen49. So sind auch Descartes Äußerungen zur geometrischen Analyse von denjenigen zur Geometrie als herkömmlicher Schuldisziplin zu unterscheiden. Erstere tritt, sofern Descartes' Rückschau auf die ältere Geometrie betroffen ist, vor allem in Erscheinung in der Bezugnahme auf ein Geheimwissen, über das die antiken Geometer in der Form eines Verfahrens verfügt hätten, „quam ad omnium problematum resolutionem extendebant", das sie aber der Nachwelt vorenthalten haben50. In der Verbindung der geometrischen Analyse, zu der bei Descartes nur die aus dieser verallgemeinerte Theorie der „Methode" vorliegt, mit der Algebra, in der sich, soweit sie auf die algebraische Lösung geometrisch darstellbarer Probleme beschränkt bleibt, die kartesischen Festlegungen für eine „mathesis universalis" am ehesten verwirklicht finden, glaubt Descartes die Möglichkeit einer allgemeinsten mathematischen Disziplin zu erkennen. Diese soll sowohl eine hinlängliche Begründung aller Aussagen über meßbare Größen gestatten, als auch, wie in der Algebra, die sich durch Umformung von Gleichungen vollziehende Rückführung der unbekannten auf die gesuchten Größen im Bereich aller 47

V g l . Gilson, E., „ R e n e Descartes, Discours de la Methode, T e x t e et C o m m e n t a i r e " , Paris 1 9 4 7 , S. 3 8 4 : „ L a matiere cartesienne se r£duit, en effet, έ l'etendue geometrique, c'est-a-dire

ί ce qui constitue pour Descartes le t y p e meme de l'intel-

ligibiliti". 48

V g l . Descartes, „ R e g u l a e " , 4. Regel, a. a. O., S. 3 7 3 : „satis enim advertimus veteres Geometras analysi quadam usos fuisse, quam ad omnium problematum resolutionem extendebant, licet eamdem posteris inviderint. E t iam viget Arithmeticae genus quoddam, quod A l g e b r a m vocant, ad id praestandum circa numeros, quod veteres circa figuras faciebant."

49

Diese A u f z ä h l u n g nennt (Regula 4, a. a. O., S. 3 7 7 ) neben Geometrie und A r i t h metik „Astronomia etiam, Musica, Optica, Mechanica, aliaeque complures".

«· Ebd., S. 3 7 3 .

44

II

Descartes

mathematischen Erkenntnis erlauben". Gleichzeitig meint Descartes, es sei seine Zuwendung „h l'analyse des geometres et ä l'algebre" gewesen, die ihn neben dem Studium der Logik zur in den vier Regeln des „Discours" formulierten Konzeption der wissenschaftlichen Methode, „comprenant les avantages de ces trois", geführt habe". Vergleicht man jedoch den sachlichen Gehalt von Descartes' Äußerungen zur wissenschaftlichen Methodenlehre, wie er sie im zweiten Teil des „Discours" und in den ersten sieben „Regulae" formuliert hat, mit seinen Äußerungen zur „mathesis universalis", so läßt sich feststellen, daß es Descartes nicht gelungen ist, die verschiedenartigen Entwicklungen zu vereinen, zu denen ihn die Formulierung einer weitgehend in Anlehnung an die spätantike Theorie der geometrischen Analyse konzipierten, für alle Wissenschaften verbindliche Methode einerseits, wie andererseits die sich an die Algebra anlehnende Konzeption einer „mathesis universalis" geführt haben. Den Beleg dafür sollen die folgenden Ausführungen erbringen. Gleichzeitig die Bestätigung, daß die Zielsetzung einer „mathesis universalis" wesentlich in der Aufstellung allgemeiner Lösungsverfahren besteht und diese insofern als eine „ars inveniendi" ansprechbar ist. Durch die Auffindung der Abhängigkeit der unbekannten Größen von den bekannten Größen eines geometrischen Problems werden zugleich die Werte der unbekannten Größen ermittelt bzw. gefunden. Dagegen ist die kartesische Methodenlehre wesentlich eine Beweistheorie für vorgelegte Sätze, wie sie in der älteren Theorie der geometrischen Analyse vorliegt. Weit mehr als die geometrische Analyse tritt bei Descartes' Bemühung, den Wert einer „mathesis universalis" für die „Erfindung" der Wahrheit darzutun und den Erkenntnisfortgang unter bestimmten Regeln zu bringen, die Algebra in den Vordergrund. In ihr scheint die „perspicuitas", als das scharfe Erkennen, „qua ratione omnes quaestiones, 51

"

Die entscheidenden Punkte, um die es Descartes bei diesen beiden Bedingungen geht, nämlich die Möglichkeit einer Zurückführung jeder Aussage auf evidente Prinzipien, ihre Herleitung aus diesen und die Allgemeinheit des Lösungsverfahrens gegenüber dem Einzelfall des Vorliegens zweier oder mehrerer Gleichungen mit bekannten und unbekannten Größen, erscheinen bei Gilson vernachlässigt, wenn dieser, den unmittelbar der N e n n u n g der vier Regeln im „Discours" folgenden und auf die „mathesis universalis" bezüglichen T e x t interpretierend (Gilson, K o m mentar, S. 2 2 2 ) , sagt: „ L a nouvelle methode conservera de l'analyse geometrique le secours que celle-ci rejoit de l'imagination . . . et eile conservera de l'algebre la brievete que permet le symbolisme de cette science, telle que Descartes vient de la simplifier". V g l . Descartes, „Discours", a. a. O., S. 1 7 / 1 8 .

mathesis universalis

45

qua: circa proportiones sive habitudines rerum p r o p o n i possunt, i n v o l v a n t u r , et q u o ordine debeant q u a e r i " 5 3 gewährleistet. V o n der „ S c i e n t i a m a t h e m a t i c a l im G e g e n s a t z z u r bloßen „historia seu explicatione term i n o r u m et similibus" gilt, d a ß sie „ h a u r i e n d a est ex A l g e b r a . . . E t sie Matheseos studio opus est a d n o v a invenienda, t u m in M a t h e s i , tum in Philosophia"54. D a s algebraische L ö s u n g s v e r f a h r e n z u m A u f f i n d e n der unbekannten G r ö ß e n in geometrischen A u f g a b e n , das Descartes im dritten T e i l seiner „Geometrie"entwickelt

hat,

hat

für

ihn

den

Vorzug

der

kürzesten

F a s s u n g des A u f f i n d e n s d e r gesuchten G r ö ß e n . E s h a t einen

mnemo-

technischen A s p e k t , indem es die einzelnen Schritte bei der

Zurück-

f ü h r u n g der unbekannten G r ö ß e n a u f die bekannten leitet u n d so der „ e x p l i c a t i o " , der sprachlichen D a r s t e l l u n g des V o r g e h e n s bei der L ö s u n g des Problems, dient 5 5 . S o tritt die algebraische D a r s t e l l u n g in D e s c a r t e s ' C h a r a k t e r i s i e r u n g der mathematischen P r o b l e m l ö s u n g im

„Discours"50

hinter die geometrische Representation, a u f die sich der „ i n t u i t u s " u n d die mehrere M o m e n t e der geometrisdien A n s c h a u u n g v e r b i n d e n d e „ d e 5S

Vgl. Descartes, Regula 6, a . a . O . , S. 3 8 j . Vgl. auch ebd. S. 377: „ N a m nihil aliud esse videtur ars illa, quam barbaro nomine Algebram vocant, si tantum multiplieibus numeris et inexplicabilibus figuris, quibus obruitur, ita possit exsolvi, ut non amplius ei desit perspieuitas et facilitas summa, qualem in vera Mathesi debere esse supponimus".

54

Zur Entgegensetzung von „Scientia" und „Historia" vgl. die „Recherche de la Veriti" von Descartes, ed. A . u. Τ., X , S. 502: „Mais, afin que vous conceviez plus distinetement de quelle q u a ^ sera la doctrine que je vous promets, je desire que vous remarquiez la difference qu'il y a entre les sciences et les simples connaissances qui s'acquierent sans aueun discours de raison, comme les langues, l'histoire, la geographie, et g^n£ralement tout ce qui depend de l'experience seule". So verfaßt Descartes seinen „Discours", der nichtsdestoweniger den Leser über die Methode aufklären soll, „pour bien conduire sa raison, et cherdier la verite dans les sciences" (Untertitel), „ne proposant cet icrit que comme une histoire" (Discours, a a. Ο., S. 4). Diese Unterscheidung betrifft eine Entgegensetzung von „Scientia" und „Historia" (unter die auch die andern hier genannten Disziplinen subsumiert sind), wie sie später in Wolfis Unterscheidung von „cognitio eorum, quae sunt vel Sunt" als der „cognitio historica" und der „cognitio rationum eorum, quae sunt vel fiunt" als der „cognitio philosophica" vorliegt. Vgl. Wolff, Christian, „Logica", Disc. Prael. § 3—6.

55

Auf die algebraische Form des Lösungsverfahrens läßt sich Gilsons Wort beziehen, durch das er die „kartesische Logik" im Gegensatz zur aristotelisch-scholastischen charakterisiert (Kommentar, S. 184): „La logique cartesienne sera telle, au contraire, que le contenu du raisonnement en engendrera ipso facto la forme, cette derniere ne faisant rien de plus que de formuler le mouvement meme accompli par l'esprit dans son analyse des idies".

5

® Vgl. Descartes, „Discours", a. a. Ο., S. 20.

46

II

Descartes

ductio" beziehen57. Die algebraische Lösung geometrischer Aufgaben, die in einer schrittweisen Umformung der vorgelegten Gleichungen besteht, so daß die gesuchten Größen sich aus den gegebenen ableiten lassen, bleibt bei Descartes selbst dort, wo er die Entwicklung allgemeiner Verfahren zu Lösung von Gleichungen im Auge hat, bezogen auf die räumlich-geometrische Anschauung58. Dem algebraischen Lösungsverfahren kommt so die Aufgabe einer eindeutigen Symbolisierung der Problemlösung zu. Demgegenüber hat die Auffassung der Algebra als einer zumindest auf dem Bereich der Quanta anwendbaren „ars inveniendi" keine umfassendere theoretische Ausdeutung in der kartesischen Methodenlehre erfahren. Sie bleibt eingeschränkt auf die Frage nach der Gewinnung von allgemeinen Verfahren zur Lösung von Gleichungen, die auf Grund ihrer Allgemeinheit vom geometrischen Einzelproblem abstrahieren, aber dennoch in jedem der unter sie fallenden Einzelfälle einer geometrischen Deutung fähig sind. Eben dadurch ergibt sich für Descartes — ohne daß es zu einer eigenständigen Ausbildung eines von der geometrischen Anschauung abstrahierenden Kalkülbegriffes käme — dennoch ein methodischer Beleg für eine allgemeine Proportionslehre, d. h. eine Lehre der möglichen Verhältnisse zwischen bestimmten und unbestimmten Grö57

Die algebraische Darstellung dient so der Kodifizierung des Lösungsverfahrens, gleichzeitig aber auch der einheitlichen Fassung allgemeiner Typen sehr verschiedenartiger Verfahren zur Lösung geometrischer Aufgaben. V g l . Descartes, „ G i o m i trie", a . a . O . , S. 475: „Mais, si on prend garde comment, par la methode dont je me sers, tout ce qui tombe sous la consideration des Giometres se riduit 4 un meme genre de Problemes, qui est de chercher la valeur des racines de quelque έquation, on jugera bien qu'il n'est pas malaise de faire un denombrement de routes les voies par lesquelles on les peut trouver, qui soit süffisant pour dimontrer qu'on a choisi la plus generale et la plus simple".

58

Es erscheint irreführend, wenn zuweilen in der kommentierenden Literatur der „intuitus" und die „deductio" unmittelbar auf die einzelnen Schritte des algebraischen Lösungsverfahrens bezogen werden. V g l . ζ . B. Laporte, a. a. O., S. 5: „S'etant trouve devant deux quantites inconnues χ et y , dont il" (zu ergänzen: l'esprit) „sait que x + y = 4 und χ — y = 2, il s'est avise qu'on peut, de la deuxieme equation, former une troisieme oü Ton remplacera y par sa valeur 4 — x " d'oü: zx = 2 + 4; d'oü χ = 3 et y = 1. Dans cette serie d'expressions, il a suffi d'apercevoir diacun des rapports d'egalite et son Equivalence aux egalitis precidentes. Ii v a de mime de toutes les demonstrations, des plus faciles aux plus ardues . . . Mais cette inference, en ses divers moments, n'est faite de rien de plus que de la „vue claire" (ou intuitus) de l'esprit, portant ä la fois sur un terme et sur sa relation avec le terme suivant". N a t h dem oben Gesagten beziehen sich jedoch „Intuitio" und „Deductio" bei Descartes nicht auf die algebraischen Zeichen („termes"), sondern auf dasjenige, was diese repräsentieren.

mathesis universalis

47

ßen, in der er die Grundlage seiner Gleichungstheorie und zugleich den Gegenstand einer „mathesis universalis" sah. Der enge Zusammenhang, der für Descartes zwischen dieser als einer allgemeinen, den einzelnen Wissenschaften übergeordneten Grundlehre der mathematischen Wissenschaften und dem Gedanken einer Einheit aller Wissenschaften besteht, welche die „sapientia humana" ausmachen, wird in den „Regulae" deutlich und ist in der Literatur oft hervorgehoben worden 5 ". Dieser Zusammenhang kommt jedoch bei Descartes nicht in einer tatsächlich unternommenen Untersuchung und Darstellung der deduktiven Abhängigkeit der einzelnen Wissenschaften zum Ausdruck. Gerade durch die Unselbständigkeit, die der algebraische Kalkül in Descartes' Auffassung gegenüber der sich auf die geometrische Anschauung letztlich beziehenden „intuitio" aufweist, gelangte Descartes nicht zur Konzeption einer über den Bereich der mathematischen Wissenschaften hinausreichenden Grundwissenschaft, aus der, wie in Leibniz' „Scientia generalis", die Aussagen zumindest der apriorischen Wissenschaften kalkülmäßig unter Vorgabe bestimmter Grundzeichen und ihrer Verknüpfungsregeln herleitbar sind. Jedoch war es vermutlich gerade die Verbindung des algebraischen Lösungsverfahrens mit der geometrischenAnschauung, wie sie in Descartes analytischer Geometrie zum Ausdrude kommt, die Descartes zur Konzeption einer f ü r alle Wissensdiaftten verbindlichen Methodenlehre führte, indem er diese in der Form weniger Regeln formulierte, in denen sich die alte Auffassung der geometrischen Analyse mit Descartes' Gedanken einer „mathesis universalis" verbinden ließen. Descartes' Vorbehalte gegenüber einer Universalsprache, die Laporte mit Recht in Parallele zu Descartes' kritischer und polemischer Stellung gegenüber der aristotelisch-scholastischen Syllogistik setzt60, stimmen zusammen mit der Unselbständigkeit, die f ü r Descartes dem algebraischen Lösungsverfahren gegenüber der geometrischen Anschauung zukam. 59

V g l . dazu Descartes, a. a. Ο., Regel ι , S . 3 6 1 : „ S i quis igitur serio rerum veritatem investigare vult, non singularem aliquam debet optare scientiam: sunt enim omnes inter se conjunctae et a se invicem dependentes" und ebd. S. 360, wonach „scientiae omnes nihil aliud sint quam humana sapientia, quae semper una et eadem manet". V g l . A l l a r d , a. a. O., S. 24 ff.

60

V g l . Laporte, a. a. O., S. 2 3 : „Raisonner madiinalement, c'est bien l'ideal de la logique scolastique, comme de toute logique formelle. II n'en est pas de plus foncierement antipathique ä Descartes . . . A ses yeux, le progres reel de la connaissance ne peut venir que du contact direct de l'esprit , a t t e n d ? avec le contenu mime de Pobjet k connaitre. T o u t formalisme n'est que verbalisme".

48

II

Descartes

Einer Universalsprache, welche die zwischen Begriffen bestehenden notwendigen Verknüpfungen („vincula necessaria") in der Zusammensetzung ihrer Ausrücke widerspiegelt, zu deren Schaffung es notwendig wäre, „denombrer toutes les pensees des hommes et de les mettre par ordre" und zu unterscheiden „les idees simples qui sont en l'imagination des hommes, desquelles se compose tout ce qu'ils pensent" 61 , kommt nach Descartes eine rein theoretische Möglichkeit zu. Sie würde in der Tat voraussetzen, daß die zwischen den Begriffen bestehenden notwendigen Verknüpfungen im Vorhinein bekannt wären und durch die Charaktere und Verknüpfungsregeln der zu schaffenden Kunstsprache lediglich symbolisch korrekt wiedergegeben würden. Die Erfindung einer solchen Sprache, meint Descartes, „depend de la vraie Philosophie""2. Bevor wir uns nun dem Verhältnis von Descartes' „modus scribendi geometricus" zu seiner allgemein-wissenschaftlichen Methodenlehre zuwenden und die in dieser enthaltenen Momente einer Theorie der geometrischen Analyse herausstellen, seien die Grundbestimmungen der kartesischen Auffassung einer „mathesis universalis" nochmals vergegenwärtigt. Der kartesische Sprachgebrauch des Ausdrucks „mathesis universalis" bleibt eingeschränkt auf die Erkenntnis der Körperwelt mittels der mathematischen Wissenschaften, deren Benennung als „mathematische Wissenschaften" sich dadurch rechtfertigt, daß unter Absehen von dem speziellen Bereiche des Körperlichen, auf den sie als Wissenschaften eingegrenzt sind, es bei ihnen allen um die Bestimmung der noch unbekannten aus den gegebenen Größen geht63. Descartes hat die „mathesis universalis" nicht konzipiert als ein Gefüge von Aussagen, aus denen speziellere Aussagen der mathematischen Wissenschaften herleitbar wären, sondern eher als den Inbegriff von Verfahrensweisen zur Lösung von Problemen, die in den einzelnen mathematischen Wissenschaften auftreten, ihrer Allgemeinheit halber aber eine übergeordnete Disziplin bilden. Sie läßt sich auch charakterisieren als eine Gesamtheit von Lö61

Vgl. Descartes, Brief an Mersenne vom 20. N o v . 1629 Α . T. Bd. I, S. 81. Vgl. dazu die Ausführungen von Couturat, „La Logique de Leibniz", S. 57.

62

Vgl. Descartes, ebd. Vgl. Rod, W., „Descartes, Die innere Genesis des cartesianisdien Systems", München/Basel 1964, der den Zusammenhang zwischen Descartes' relativer Geringschätzung der formalen Logik und dem Problem einer Grundlegung seiner Philosophie hervorhebt, wo „jede formale Explikation des grundlegenden Gedankenganges . . . ihn logisch als Folgerung bestimmen" müßte (S. 83).

es

Der Text der 4. Regel, ed. A. u. T., Bd. X , S. 378, sagt: „illa omnia tantum, in quibus ordo vel mensura examinatur, ad Mathesin referri, nec interesse utrum in numeris, vel figuris, vel astris, vel sonis, aliove quovis objecto, talis mensura

modus scribendi geometricus sungsverfahren, die allgemein auf bestimmte T y p e n vorgelegter

49 Auf-

gaben a n w e n d b a r sind, in denen durch U m f o r m u n g v o n Gleichungen die unbekannten G r ö ß e n aus den bekannten zu bestimmen sind. W a s die Bezeichnung der „mathesis universalis" als einer „ u n i v e r s a l e n " bedingt, ist die dem jeweils — in den spezielleren mathematischen Disziplinen — gegebenen E i n z e l f a l l gegenüber allgemeinere A n w e n d b a r k e i t der algebraischen Lösung, die sich auf beliebige E i n z e l f ä l l e eines bestimmten P r o b l e m t y p s erstreckt.

j. Das Verhältnis des „modus scribendi geometricus" zur kartesischen Erkenntnislehre W i e der Anwendungsbereich einer „mathesis universalis" bei D e s c a r tes prinzipiell eingeschränkt bleibt auf den Bereich meßbarer Größen, wobei Descartes an keiner Stelle die vollständige R ü c k f ü h r b a r k e i t der quaerenda sit; ac proinde generalem quamdam esse debere scientiam, quae id omne explicit, quod circa ordinem et mensuram nulli speciali materiae addictam quaeri potest, eamdemque, non ascititio vocabulo, sed iam inveterato atque usu recepto, Mathesim universalem nominari, quoniam in hac continetur illud omne, propter quod aliae seientiae Mathematicae partes appellantur". Der Hinweis Descartes', daß der Ausdruck „mathesis universalis" schon eingebürgert und von allgemeinem Gebrauch sei, erscheint sonderbar, da der Ausdruck vor Descartes m. W. nicht nachweisbar ist. Der Verweis von Laporte, a. a. O., S. 9, auf Adrianus Romanus erscheint fragwürdig, da der von diesem benutzte Ausdruck „mathesis universa" die Gesamtheit aller mathematisdien Wissenschaften ihrer inhaltlichen Bestimmtheit nach bezeichnet. Im Gegensatz zu Laportes Meinung, welcher die Auffassung vertritt, daß Descartes den Ausdrude „Mathesis universalis" promiscue verwendet mit dem in der 5. Meditation begegnenden Ausdruck „mathesis pura et abstracta" (vgl. Laporte, a. a. O., S. 8/9), scheint Descartes letzteren Ausdruck allein als einen zusammenfassenden für Arithmetik und Geometrie zu verwenden. Vgl. dazu den von Laporte nur partiell zitierten, hier vollständig wiedergegebenen Text in der 5. Meditation (Descartes, ed. A. u. Τ., V I , S. 65): „meminique me semper etiam ante hoc tempus, cum sensuum objectis quammaxime inhaererem, eiusmodi veritates, quae nempe de figuris, aut numeris, aliisve ad Arithmeticam vel Geometriam vel in genere ad puram atque abstractam Mathesin pertinentibus, evidenter agnoscebam, pro omnium certissimis habuisse", sowie den Passus der 6. Meditation (ebd. S. 7 1 ) : „Reliquum est ut examinem an res materiales existant. Et quidem iam ad minimum scio illas, quatenus sunt purae Matheseos objectum, posse existere quandoquidem ipsas clare et distinete pereipio". In der 6. Regel dagegen (a. a. O., S. 38 j) tritt der Ausdruck „Mathesis pura" tatsächlich an die Stelle des Ausdrucks „mathesis universalis", wenn die Aufgabe der Universalmathematik bestimmt wird als eine Untersuchung „qua ratione omnes quaestiones, quae circa proportiones sive habitudines rerum proponi possunt, involvantur, et quo ordine debeant quaeri".

50

II

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in der sinnlichen Wahrnehmung auftretenden Qualitäten auf die meßbare Größe und quantitative Verhältnisse behauptet 64 , so beziehen sich seine Methodenlehre sowohl als auch seine Auffassung des „modus scribendi geometricus" auf die Gewinnung bzw. die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis schlechthin. Dies wirft zunächst die Frage nach dem Zusammenhang auf, der in der kartesischen Auffassung zwischen der „mathesis universalis" und Descartes' allgemeinwissenschaftlicher Methodenlehre besteht. Zu diesem Punkte findet sich bei Descartes keine explizite Stellungnahme, und die diesbezüglichen Äußerungen in der kommentierenden Literatur bleiben vage®5. Versucht man die beiden in dieser hervortretenden Hauptmomente der Interpretation zu fixieren, so lassen sich diese darin erkennen, daß ι . die kartesische Methodenlehre ausgerichtet sei auf das Modell einer „mathesis universalis", in dem Sinne, daß Descartes' methodische Regeln eine allgemeinere Formulierung der in der Konzeption einer Universalmathematik vorliegenden verfahrenstechnischen Bestimmungen sind, und daß 2. es die kartesische Konzeption einer Universalmathematik gewesen sei, die Descartes heuristisch zur Formulierung der in den „Regulae" enthaltenen Methodenlehre und der vier Regeln des „Discours" geführt habe. Wiewohl sich die Glaubwürdigkeit beider Behauptungen entkräften läßt, finden sie eine scheinbare Stütze sowohl in Descartes' biographischhistorischen Äußerungen, die darauf hinweisen, daß es die frühe Beschäftigung mit dem Gedanken einer Universalmathematik gewesen sei, 64

65

Z u r Erkenntnis der „res corporeae" heißt es in der 6. Meditation (a. a. O., S. 80): „ N o n tarnen forte omnes tales omnino existunt, quales illas sensu comprehendo, quoniam ista sensuum comprehensio in multis valde obscura est et confusa; sed saltern ilia omnia in iis sunt, quae clare et distincte intelligo, id est omnia, generaliter spectata, quae in purae Matheseos objecto comprehenduntur". Heimsoeth, a. a. O., S. 63, spricht unbestimmt von einer „Direktion dieser allgemeinen Methodenlehre" auf das Problem einer „mathesis universalis", und Laporte, a. a. O., S. 10, sieht den Ubergang von Descartes' Bestimmung der Universalmathematik zur allgemeinen Methodenlehre in einer Verallgemeinerung der Ordnungsbeziehung: „ . . . les questions de mesure, en ce qui concerne les quantitis et les grandeurs, se reduisent a des questions d'ordre. E t c'est done bien dans la consideration de l'ordre que reside, prise en ce qu'elle a d'essentiel, la methode mathimatique. Mais, dans ces conditions, la methode mathematique, telle qu'elle resort de la mathematique pure, prend un caractere beaucoup plus g e n e r a l . . . De fait, eile s'exprime, en dehors de tout appareil technique, dans les quatre ,preceptes' du Discours de la Methode, ou Ton retrouve, sous une forme plus succincte, mais peut-etre plus exacte, parce qu'elle est plus abstraite encore et plus depouillee, tout le contenu des Regies pour la direction de l'esprit". V g l . audi L. J. Beck, „The Method of Descartes", S. 202, der die „mathesis universalis" a u f f a ß t als „the science directly exemplifying the method".

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51

die ihm zur Konzeption seiner Methodenlehre geführt habe", als audi in der Anordnung der die Universalmathematik und die Methodenlehre betreffenden Textstücke, die so beschaffen ist, daß sich im „Discours" wie in den „Regulae" die Ausführungen zu einer „mathesis universalis" übergangslos an die Exposition einer für alle wissenschaftliche Erkenntnis verbindlichen Methodik anschließen". Beide Argumente dürften bei der Interpretation des Verhältnisses von Universalmathematik und Methodenlehre bei Descartes ausschlaggebend für eine Annahme der beiden oben formulierten Behauptungen gewesen sein. Es läßt sich demgegenüber zeigen, daß i. Descartes' Konzeption einer allgemeinwissenschaftlichen Methodenlehre in wesentlichen Punkten mit seinen Äußerungen zu einer „mathesis universalis" nicht zu vereinbaren ist und daß 2. selbst dort, wo Descartes die Regeln seiner Methode auf Beispiele anwendet, die thematisch in den Bereich einer „mathesis unversalis" gehören, die Formulierung dieser Regeln abhängig bleibt von älteren Theorien der geometrischen Analyse, wie Descartes sie selbst in seiner Charakterisierung des „modus scribendi geometricus" in starker Anlehnung an die Tradition wiedergegeben hat. Auf die Theorie der geometrischen Analyse, und nicht auf die Algebra, an die sich die Betrachtungen zu einer Universalmathematik vor allem anschließen, verweist der der Aufzählung der vier Regeln im Discours unmittelbar folgende Text: „Ces longues chaines de raisons, toutes simples et faciles, dont les geometres ont coutüme de se servir, pour parvenir a leur plus difficiles demonstrations, m'avaient donne occasion de m'imaginer que toutes les dioses, qui peuvent tomber sous la connaissance des hommes, s'entresuivent en meme fajon, et que, pourvu seulement qu'on s'abstienne d'en recevoir aucune pour vraie qui ne le soit, et qu'on garde toujours l'ordre qu'il faut pour les deduire les unes des autres, il n'y en peut avoir de si eloignees auxquelles enfin on ne parvienne, ni de si cachees qu'on ne decouvre"88. Descartes charakterisiert seine Methode als eine Gesamtheit von Regeln, deren schrittweise Befolgung methodisches Vorgehen ausmacht. Ein methodisches Vorgehen liegt erst dann vor, wenn jeder einzelnen dieser Regeln Genüge getan wird. Diese Regeln stellen ebensoviele „Requisiten" als notwendige und hinreichende Bedingungen für das · · V g l . Descartes, Regel 4 , a. a. O., S. 3 7 4 / 5 , und „Discours", S. 1 9 / 2 0 . · ' V g l . an eben diesen Stellen. 68

Descartes, „Discours", S. 1 9 .

52

II

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Vorliegen eines methodischen Vorgehens bei der Erkenntnis des Wahren dar: „nihil aliud requiri mihi videtur, ut sit completa" 89 . Nur als eine „methodus completa", in der alle Teilbestimmungen erfüllt sind, wird die Methode ihrer Zielsetzung gerecht, „nihil nimirum falsum pro vero supponere" und „ad omnium cognitionem pervenire" 70 . Für die Absicht unserer Untersuchung, die Erörterung der kartesischen Auffassung einer „mathematischen", für alle Wissenschaften verbindlichen Methode und ihres Verhältnisses zum Gedanken einer „mathesis universalis", ist es nicht erforderlich, die im „Discours" und in den „Regulae" vorliegenden Äußerungen Descartes' zur Methode im Einzelnen zu vergleichen. Dieses ist wiederholt in der Literatur zur kartesischen Methodologie geschehen mit dem bisher unangefochtenen Ergebnis, daß die Ausführungen insbesondere der ersten sieben Regulae, wiewohl ihre Abfassung zeitlich derjenigen des „Discours" vorausliegt, als eine breitere Ausführung der im „Discours" enthaltenen Theorie der Methode zu verstehen sind71. Die kartesische Methodenlehre ist ausgerichtet auf die Gewinnung begründeter Einsicht, dagegen nicht, zumindest soweit die „Regulae" und der „Discours" betroffen sind, auf die lehrhafte Darstellung des Erkannten. Letzterem Zwecke dienen Descartes' Ausführungen in den Erwiderungen zu den zweiten, im Hinblick auf seine „Meditationen" vorgebrachten Einwänden. Descartes unterscheidet hier, die früheren Theorien der geometrischen Analyse wiederaufgreifend, die lehrhafte Darstellung der Begründung des Erkannten in einen analytischen und einen synthetischen Beweisgang. „Analyse" und „Synthese" treten hier explizit als Termini bei der Beschreibung der „duplex ratio demonstrandi", d. h. des zweifachen Weges der lehrhaften Darstellung eines Begründungszusammenhanges auf. Dies geschieht bei Descartes in Anlehnung an die traditionelle Auffassung des geometrischen Beweisganges, die sich vorwiegend auf die Darstellung von Begründungszusammenhängen, nicht aber auf das vorgängige Auffinden dieser Begründungs69 70

71

Descartes, Regel 4, a. a. O., S. 372. Vgl. Descartes, Regel 4, ed. A . u. Τ., X , S. 371/2: „Per methodum autem intelligo regulas certas et faciles, quas quicumque exacte servaverit, nihil unquam falsum pro vero supponet, et nullo mentis conatu inutiliter consumpto, sed gradatim semper augendo scientiam, perveniet ad veram cognitionem eorum omnium quorum erit capax". V g l . dazu v o r allem die Ausführungen in L. J. Becks vorgenannter Darstellung der Methodenlehre Descartes' sowie Laporte, a. a. O., S. 7 ff.

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53

zusammenhänge — worin die eigentliche Leistung der Erkenntnisgewinnung besteht — bezog72. Dementsprechend gebraucht Descartes dort, wo es ihm nicht um die Lehrmethode, sondern um die Erkenntnismethode geht, nämlich in den „Regulae" und im „Discours", nicht die Ausdrücke „Analysis" und „Synthesis". Die gelegentlichen Rückgriffe auf die „analyse des geom^tres" finden keine terminologische Wiederaufnahme in der Formulierung der kartesischen Regeln der Methode73. Wie in Pappus' Beschreibung des Beweisganges der geometrischen Methode ist die Analyse der Synthese vorgängig. In Ubereinstimmung mit Pappus74 beschreibt die Analyse den eigentlichen Weg der Erkenntnisgewinnung durdi Rückgang auf selbstevidente Prinzipien, aus denen mittels der synthetischen Form der Darstellung die Wahrheit der in Frage stehenden Aussage erschlossen werden kann. Im Gegensatz zu Pappus jedoch, wohl aber in Ubereinstimmung sowohl mit Zabarella als auch mit Galilei 75 bezieht Descartes seinen Begriff der Analyse nicht nur auf den Wahrheitserweis von Aussagen, deren Geltung fraglich ist, und die erst durch die Rückführung auf schon als wahr erkannte Ausgangssätze als wahr erwiesen werden. Er gebraucht vielmehr den Ausdruck „analysis" auch dort, wo aus durdi Erfahrung gesicherten Aussagen auf Bedingungen geschlossen wird, die unter der Voraussetzung des durch Erfahrung gesicherten Satzes erfüllt sein müssen, wenn eben dieser Satz, von dem die Analyse ihren Ausgang nimmt, wahr sein soll. Eben diese letztgenannte Wendung der analytischen Demonstration, in der von Erfahrungssätzen auf deren Möglichkeitsbedingung geschlossen wird, liegt in den kartesischen „Meditationen" in immer wiederholter Anwendung vor. So impliziert die in der Erfahrung gegebene Tatsache, daß jemand zweifelt, als eine Bedingung ihrer Möglichkeit, daß derselbe existiert, wie andererseits die Unterscheidung der denkenden von der 71

73

74 75

V g l . dazu das im vorangehenden Kapitel zur Entwicklung des Begriffes der geometrischen A n a l y s e Gesagte. D i e wechselseitige Bezogenheit einer Erkenntnismethode und einer Lehrmethode, die bei Descartes in expliziter Weise vorliegt, ist in der Descartesliteratur zum Methodebegriff bislang kaum beachtet worden. Beide werden in den Darstellungen der kartesischen Methodenlehre zumeist konfundiert. Den Ausdruck „ M e t h o d e " gebraucht Descartes nur im Hinblick auf die G e w i n n u n g der Erkenntnis, wohingegen die lehrhafte Darstellung des Erkannten bei ihm unter dem Ausdrude „demonstratio" oder „probatio" steht. V g l . oben S. 2 2 . V g l . oben S. 2 5 — 2 8 . Z u Galileis A u f f a s s u n g von „resolutiver" und „kompositiver" Methode, die in der hier fraglichen Hinsicht keine wesentlichen Unterschiede gegenüber derjenigen Zabarellas aufweist, v g l . Heimsoeth a. a. O., S. 3 5 .

54

II

Descartes

körperlichen Substanz als eine Bedingung ihrer Möglichkeit voraussetzt, daß die Vorstellung des Körperlichen als ein Modus des Denkens, das „imaginari", in diesem selbst gegeben ist". So wird aus dem „privativen" Begriff eines zweifelnden und insofern unvollkommenen Wesens in der dritten „Meditation" auf den Begriff eines vollkommenen Wesens und aus der Erfahrung einer Beschränktheit der „res cogitans", die in einer schrittweisen Entwicklung des Zweifels am bisher für wahr Gehaltenen gewonnen wird, auf die Existenz eines vollkommenen Wesens geschlossen. Der Umstand, daß Descartes bei der Entwicklung seiner „Meditationen" jene Art des analytischen Vorgehens bevorzugt, die von bereits gesicherten Sätzen ihren Ausgang nimmt und durch eine Explikation der in ihnen gegebenen Begriffe auf Aussagen zurückgeht, die erfüllt sein müssen im Hinblick auf die analysierte Aussage, während er aber andererseits bei der methodischen Beschreibung seiner Lehrmethode auf die ältere Theorie der geometrischen Analytik rekurriert, führt ihn in Schwierigkeiten bei der Formulierung seiner Auffassung von „Analyse" und „Synthese" als Lehrmethoden. Diese seien zunächst kurz genannt. Den „modus scribendi geometricus" bringt Descartes unter zwei Gesichtspunkte, den „ordo", d. h. die Anordnung der einzelnen Stücke einer lehrhaften Darstellung, und die „ratio demonstrandi", die Demonstrationsart, die er in Analyse und Synthese gliedert77. Während Descartes' Ausführungen zur Analyse offenlassen, ob die der Analyse unterworfene Aussage schon als wahr erkannt ist oder ob sie erst durch die Rückführung auf andere wahre Aussagen als wahr erwiesen werden soll78, gibt die Bestimmung des „ordo", der sowohl auf die analytische als auch auf die synthetische Lehrart bezogen wird, zu erkennen, daß ™ V g l . dazu Descartes' A u s f ü h r u n g e n in der zweiten Meditation, insbesondere das Wachsbeispiel, und die einschlägige Interpretation bei Gueroult, „Descartes Selon l'ordre des raisons", Paris 1 9 5 3 , Bd. 1, S. 1 3 3 . 77

78

V g l . Descartes, Erwiderung auf die zweiten E i n w ä n d e zu den „Meditationen", ed. A . u. Τ . , V I I , S. 1 5 5 / 6 : „Duas res in modo scribendi geometrico distinguo, ordinem scilicet, et rationem demonstrandi . . . Demonstrandi autem ratio duplex est, alia scilicet per analysim, alia per synthesim". E b d . : „Analysis veram v i a m ostendit, per quam res methodice et tanquam a priori inventa est, adeo ut, si lector earn sequi velit atque ad omnia satis attendere, rem non minus perfecte intelliget suamque reddet, quam si ipsemet illam invenisset. N i h i l autem habet, quo lectorem minus attentum aut repugnantem ad credendum impellat; nam si vel minimum quid ex iis quae proponit non advertatur, eius conclusionum necessitas non apparet, saepeque multa v i x attingit, quia satis attendenti perspicua sunt, quae tarnen praecipue sunt advertenda".

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sowohl Analyse als auch Synthese als Demonstrationsarten ihren Ausgang von bereits als wahr erkannten Sätzen nehmen müssen: „ordo in eo tantum consistit, quod ea, quae prima proponuntur, absque ulla sequentium ope debeant cognosci, et reliqua deinde omnia ita disponi, ut ex praecedentibus solis demonstrentur" 79 . Diese Charakterisierung des „ordo" liest sich wie eine solche für ein „synthetisches" Beweisschema, bei dem die Anordnung der in ihm auftretenden Aussagen derart beschaffen ist, daß der Beweis von selbstevidenten Prinzipien, Definitionen und Axiomen seinen Ausgang nimmt und in schrittweiser Begründung zu der zu erweisenden Aussage führt. Descartes nimmt aber die Befolgung des „ordo" 80 gerade für seine „Meditationen" in Anspruch, von denen er wenig später sagt, daß allein die analytische Lehrart in ihnen Anwendung gefunden habe 81 . Obwohl Descartes hier eine Auffassung von „Analyse" zu erkennen gibt, die diese auf die analytische Zergliederung schon gesicherter Aussagen bezieht82 und damit sich im Gegensatz zu der älteren Auffassung der geometrischen Analyse stellt, die diese als das Auffinden eines Beweises für eine vorgelegte Aussage charakterisierte, stellt er seine in der Erwiderung auf die zweiten Einwände vorgetragene Theorie von Analyse und Synthese dennoch in Parallele zur Theorie der geometrischen Analyse und Synthese, wenn er von der Synthese sagt, daß sie „in rebus geometricis aptissime post Analysim ponatur" 83 . Ebenso spricht die Gegenläufigkeit, die Descartes für die Analyse und die Synthese in Anspruch nimmt, sowie der Versuch einer „synthetischen" Darstellung der Hauptthesen seiner „Meditationen" in der Erwiderung auf die zweiten Einwände dafür, daß Descartes der Meinung war, die von ihm vorgetragene Theorie von Analyse und 7

» Ebd.

80

Eine Befolgung des „ o r d o " setzt auch bei der synthetischen Darstellungsform eine A n w e n d u n g methodischer Erkenntnis voraus. S o sagt der Titel der j . Regel in den „ R e g u l a e " : „ T o t a methodus consistit in ordine et dispositione eorum ad quae mentis acies est convertenda" und v o n den Regeln 5, 6 und 7 heißt es (a. a. O., S. 3 9 2 ) , daß sie „ordinem praecipiunt et explicant".

81

Descartes, Erwiderung auf die zweiten Einwände, a. a. O., S. 1 5 6 : „ E g o vero solam Analysim, quae vera et optima via est ad docendum, in Meditationibus meis sum sequutus."

82

A l s Beispiel einer A n w e n d u n g mag der T e x t der zweiten Meditation (a. a. O., S. 28) dienen, w o aus der Selbstgewißheit der res cogitans deren Bestimmungen entwickelt werden: „ S e d quid igitur sum? Res cogitans. Quid est hoc? N e m p e dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans quoque, & sentiens."

83

Descartes, Erwiderung, a. a. O., S. i j 6.

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II

Descartes

Synthese sei identisch mit dem seit eh und je gebrauchten Beweisverfahren der Geometer. Von der synthetischen Demonstation 64 , für deren Anwendung Descartes auch den Ausdruck „synthetico stilo subjungere" 85 benutzt, heißt es, daß sie „non tarnen ad has Metaphysicas tam commode potest applic a n t " . Die Einheit der Methode, die Descartes im Hinblick auf die Methode des Erkennens im „Discours" und in den „Regulae" postuliert, wird so im Hinblick auf die „ratio demonstrandi" durchbrochen, da sich hier für Metaphysik und Mathematik andere Weisen begründender Darstellung empfehlen. Die analytische Darstellungsform ist in metaphysicis „vera et optima via ad docendum" 87 , sie ist dies eben deshalb, weil sie gleichzeitig „veram viam ostendit per quam res methodice et tanquam a priori inventa est" 88 . Die Analysis ist somit der unmittelbare Ausdruck der Art und Weise, wie die Erkenntnis selbst gewonnen wurde. So muß sie als die Form der Darstellung einer unter Beobachtung der Regeln des „Discours" und der „Regulae" gewonnenen Einsicht gelten. Allein der Umstand, daß sich Analyse und Synthese nach Descartes als Arten der Demonstration selbst genügen, muß davor bewahren, die zweite und die dritte Regel des „Discours", das Aufgliederungspostulat und das Anordnungspostulat, auf die kartesische Unterscheidung von „Analysis" und „Synthesis" zu beziehen. Denn die Regeln des „Discours" machen nur in ihrer Gesamtheit und wechselseitigen Abhängigkeit ein „methodisches" Ganzes aus, wohingegen Analyse und Synthese als wissenschaftliche Darstellungsformen eine vollständige Disjunktion bilden. Vielmehr ist es so, daß die Analyse als Darstellungsform den Weg beschreibt, „per quam res methodice.. inventa est" 8 ', und so die Anwendung der Regeln der Methode im einzelnen Erkenntnisakt vor Augen führt. Dahingegen steht die Synthesis auf der Ebene einer Anwendung Descartes, Erwiderung, a . a . O . , S. I J 6 : „Synthesis e contra per viam oppositam et tanquam a posteriori quaesitam (etsi saepe ipsa probatio sit in hac magis a priori quam in ilia) clare quidem id quod conclusum est demonstrat, utiturque longa definitionum, petitionum, axiomatum, theorematum et problematum serie, ut si quid ipsi ex consequentibus negetur, id in antecedentibus contineri statim ostendat, sicque a lectore, quantumvis repugnante ac pertinaci, assensionem extorqueat; sed non ut altera satisfacit, nec discere cupientium animos explet, quia modum quo res fuit inventa non docet". 8 5 Ebd., S. i S9. 8« Ebd., S. I J 6 . 8 7 Ebd. 8 8 Ebd., S. I J J . 8 4 Ebd. 84

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allein formallogisdier Mittel, so daß sie zwar, der Exposition eines Begründungszusammenhanges dienend, „a lectore, quantumvis repugnante ac pertinaci, assensionem extorqueat", aber dennoch nicht die Art und Weise aufzeigt, wie die Begründung gefunden wurde, „modum quo res fuit inventa non docet"' 0 . Die genaue Gegenläufigkeit, durch die sidi die Auffassung von Analyse und Synthese bei Pappus auszeichnete, wird zwar von Descartes der Form nach gewahrt ( „ A n a l y s i s . . . Synthesis e contra"), in der Tat aber liegt sie nicht mehr bei der Anwendung der Analyse vor, wenn diese darin besteht, einen bereits als wahr erkannten Satz (ζ. B. „cogito, sum") auf die Begriffe hin zu analysieren, die in dieser Aussage enthalten sind. Das Ergebnis dieser Analyse ist nicht die Rückführung der Aussage auf schon als wahr erkannte andere Aussagen, sondern die Erkenntnis der mit einer schon als wahr erkannten Aussage notwendig verknüpften Aussagen. Im ersteren Falle führt die Entwicklung vom Unbekannten zum Bekannten, es liegt ein Beweisschema für eine noch zu erweisende Aussage vor, im anderen Falle führt die Entwicklung vom Bekannten zum Unbekannten, der aristotelischen Bestimmung gemäß, daß Erkenntnis das Erkennen der Gründe des durch Erfahrung Gegebenen ist. Die Vermengung der beiden Formen der Analyse, die in Descartes' Bestimmung der analytischen Demonstrationsart vorliegt, wird als solche dadurch bestätigt, daß auch die methodischen Bestimmungen der „Regulae" und des „Discours" keine Unterscheidung an die Hand geben, die den der analytischen Demonstrationsart unterliegenden Erkenntnisgang entsprechend differenzieren. Dieser Mangel erklärt sich durch eine Verallgemeinerung bei der Charakterisierung des analytischen Vorgehens: dieses besteht in beiden Fällen darin, daß zu einer bereits formulierten Aussage (sei sie wahr oder falsch) die Bestimmungen aufgesucht werden, die mit den in dieser Aussage auftretenden Begriffen notwendig verbunden sind. Jean Laporte 91 umschreibt dies, einen diesbezüglichen Text der „Regulae" frei übersetzend92, mit den Worten, Descartes erwarte »» Ebd., S. 156. M M

V g l . Laporte, J., a. a. O . , S. 88. D e r T e x t , auf den Laporte sich bezieht, ist außer Descartes' Erörterung des Verhältnisses von „natura simplex" und „natura composita" in der 12. Regel, a . a . O . , S. 422 Descartes' Bemerkung in der 4. Regel, a. a. O., S. 374: „ H a e c " (zu ergänzen: die „mathesis universalis", insofern sie als Ideal eines methodisch gesicherten A u f baues der wissenschaftlichen Erkenntnis konzipiert wird) „enim prima rationis humanae rudimenta continere, et ad veritates ex quovis subjecto eliciendas se extendere debet".

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II

Descartes

von der Methode, „qu'elle nous apprenne 4 faire sortir d'un sujet tous les predicats qu'il renferme", im Vorgriff auf die Descartes nicht explizit entwickelte Leibnizsche Theorie der Analytizität, nach der gilt, daß „praedicatum inest subjecto". In zwei entscheidenden Punkten jedoch weist Descartes' Auffassung der Analyse als lehrhafter Form der Darstellung von Begründungszusammenhängen ebenso wie die dieser unterliegende kartesische Methodenlehre eine Analogie zu einzelnen Aspekten des Gedankens einer „mathesis universalis" auf. Wie das Lösungsverfahren für Gleichungen mit unbekannten Werten, das Descartes „Geometria" als Specimen eines in allen mathematischen Wissenschaften anwendbaren Lösungsverfahrens beschreibt, die unbekannten Größen ermittelt, indem es ihre Abhängigkeit von den bekannten Größen aufzeigt, führt die Analyse — in der von Descartes bevorzugten Interpretation — von der bekannten, schon als wahr erwiesenen Ausssage zurück auf Aussagen, mittels derer das Bestehen notwendiger Verknüpfungen behauptet wird, durch die die so gewonnenen Aussagen mit der analysierten Aussage verbunden sind. In beiden Fällen hätte eine gegenläufige, synthetische Demonstation nur den Wert einer Exposition auf anderem Wege gewonnener Resultate, ohne daß dadurch die Erkenntnis des Begründungszusammenhanges im Hinblick auf dessen Bildungsweise einsichtig würde. Ebenso wie die „mathesis universalis" steht auch die kartesische Analyse unter dem Gesichtspunkt, allgemeine Verfahren bzw. e i n allgemeines Verfahren zu entwickeln, nach dem sich Begründungszusammenhänge aufstellen, und nicht nur — wie im Falle der synthetischen Demonstration — beurteilen lassen. Zum andern wird von Descartes der spezifische Charakter von Allgemeinheit, auf den sein Absehen bei seinen Ausführungen zum Gedanken einer „mathesis universalis" gerichtet ist, auf seine Auffassung der Methode sowohl als auf diejenige der analytischen Demonstration übertragen. Die Allgemeinheit einer „mathesis universalis", ihre „Universalität", bestand darin, daß mit der Angabe einer mathematischen Formel alle unter sie fallenden singulären Fälle durch Aufzählung 93 , soge9S

D i e Herleitbarkeit bedeutet nicht die effektive Vollständigkeit der Herleitung. Descartes verlangt nur (vgl. 7. Regel, a. a. Ο., S. 389/90) die Möglichkeit b z w . die Einsicht in die Möglichkeit der vollständigen Herleitung, und daß die „enumeratio" der einzelnen Schritte eines Begründungszusammenhanges „sufficiens", d. h. ausreichend zur Führung der Einsicht von einem zum anderen sei (vgl. audi die 4. R e gel des „Discours").

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nannte „Fallunterscheidungen"» herleitbar sind bzw. daß sich ein Lösungsverfahren für Gleidiungen auf alle Probleme eines bestimmten Typs anwenden läßt. Der Bereich des Erkennbaren, soweit er die spezifisch mathematische, die Verhältnisse meßbarer Größen betreifende Erkenntnis umfaßt, erscheint so durch die Aussagen bzw. operativen Regeln einer „mathesis universalis" im Vorhinein bestimmt. Dieselbe Art einer normierenden und nicht nur abstrahierenden Allgemeinheit nimmt Descartes sowohl für seine Auffassung der Methode als auch für diejenige einer analytischen Demonstration in Anspruch. Im Hinblick auf letztere geschieht dies dadurch, daß die analytische Demonstration lediglich die Anwendung der methodischen Regeln des „Discours" und der „Regulae" expositorisch widerspiegelt. Im Hinblick auf die Methode selbst wird der Anspruch explizit erhoben, daß eine Befolgung ihrer Regeln dazu führe, „nihil nimirum falsum pro vero supponere, et ad omnium Cognitionen! pervenire'" 4 . Ein dritter, wesentlicher Punkt, in dem Methodenlehre, analytische Demonstration und mathesis universalis bei Descartes übereinkommen, besteht darin, daß für Descartes, wie Leibniz es später vorwurfsvoll formuliert, „veritatis criterium nihil aliud esse quam visionem" 95 . Er betrifft Descartes' bekannte Lehre, daß „nullam scientiam haberi posse, nisi per mentis intuitum vel deductionem" 9 ' bzw. daß sich die Aufzählung der „intellectus nostri actiones", „per quas ad rerum cognitionem absque ullo deceptionis metu possimus pervenire", in zweierlei erschöpft: im „intuitus" und in der „deductio" 97 . Wie in Descartes' Auffassung der „mathesis universalis" die algebraische Problemlösung bezogen bleibt auf die geometrische Anschauung und die sukzessiven Schritte der in dieser Anschauung gewonnenen Einsichten kodifiziert, dient die in der analytischen Demonstration, ζ. B. der „Meditationen", sich durch eine geordnete Aufeinanderfolge von Aussagen vollziehende Entwicklung der Führung unserer Einsicht in die notwendigen Verknüpfungen, die als zwischen Vorstellungen oder Ideen bestehend „perzipiert" werden 98 . Der „intuitus", den Descartes bestimmt als „mentis purae et attentae tarn facilem distinctumque conceptum, ut de eo, quod intelligimus, nulla 94 85 88 87 88

V g l . Descartes, „Regulae", 4. Regel, a. a. O . , S. 372. V g l . Leibniz, Gerh. phil., I V , S. 328. Descartes, 4. Regel in „Regulae", a. a. O., S. 372. V g l . ebd. 3. Regel, a. a. O., S. 368. Ebd. 12. Regel, S. 423.

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prorsus dubitatio relinquatur"' 9 ist ein und derselbe, gleichgültig, ob er sich bezieht auf die „res intellectuales", die Bestimmungen der denkenden Substanz100, oder ob er sich bezieht auf die „res materiales", die Bestimmungen der körperlichen Substanz. Der Begründungszusammenhang der Aussagen einer analytischen Demonstration steht in demselben Verhältnis zu den „vincula necessaria", die zwischen unseren Ideen oder Vorstellungen bestehen, wie der sprachlich formulierte geometrische Beweisgang zur geometrischen Anschauung. Die „deductio" selbst hat keinen eigenständigen Status, sondern ist eine Erinnerungshilfe, die das letzte Glied einer Kette miteinander notwendig verknüpfter sukzessiver Einsichten mit dem ersten verbindet 101 , so daß „intuitus" und „deductio" nur dadurch unterschieden sind, "quod in hac motus sive successio quaedam concipiatur, in illo non item" 102 . Die kartesische Deduktionstheorie, die Anordnung der betrachteten Vorstellungsgehalte in geordnete „series rerum", in der nach Regula 5 „tota methodus consistit", soll hier, da zusammenfassende Darstellungen schon anderenorts vorliegen103, nur insoweit betrachtet werden, als dies für ihr Verhältnis zum Gedanken einer „mathesis universalis" und für ihre Abhängigkeit von den älteren Theorien der geometrischen Analyse unmittelbar relevant ist. Vor allem ist hier auf Punkte hinzuweisen, die in der vorliegenden Descartesliteratur kaum beachtet worden sind. So sind unter die „naturas simplices", die den Gegenstand des „intuitus" bilden, nicht nur deren notwendige und mögliche Bestimmungen, sondern auch ihre „privationes et negationes" zu zählen104. So ist ζ. B. die Notwendigkeit der Einsicht, daß die Gerade die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten ist, dadurch bedingt, daß die Vorstellung des Gegenteils, einer nicht gradlinigen Strecken- oder Kurvenverbindung zwischen zwei Punkten, mit der Bestimmung „kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten" unvereinbar ist, d. h. in Repugnanz steht. Eben in dieser Erfahrung der »» Ebd. 3. Regel, S. 368. Ebd. 12. Regel, S. 419. Unterschiedslos Bestimmungen des Denkens und des Ausgedehntseins nennend, führt Descartes in der 3. Regel, a. a. O., S. 368, an: „Ita unusquisque animo potest intueri, se existere, se cogitare, triangulum terminari tribus lineis tantum, globum unica superficie, et similia." 101 Die „deductio", sagt Descartes in der 3. Regula, a. a. O., S. 369, sei deshalb erforderlich, „quia plurimae res certo sciuntur, quamvis non ipsae sint evidentes, modo tantum a veris cognitisque principiis deducantur per continuum et nullibi interruptum cogitationis motum singula perspicue intuentis." 102 Ebd., S. 370. 103 Vgl. die oben genannten Darstellungen von Heimsoeth, Laporte und Beck. 104 Descartes, 12. Regel, a. a. O., S. 420. 100

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Repugnanz der gegenteiligen Annahme dessen, worauf der „intuitus" gerichtet ist, besteht das „experimentum mentis", ein Ausdruck, den Descartes gelegentlich an die Stelle von „intuitus" setzt105 und der für ihn die Notwendigkeit der in Frage stehenden Einsicht mitbedeutet. Diese intuitive, und sich im Ductus der Argumentation nicht auf die lediglich formallogische Anwendung des „tertium non datur" gründende und aus ihm erschlossene Notwendigkeit kennzeichnet den Argumentationsgang der „Meditationen" und wird durch Wendungen wie „non possumus non assentiri", „cogitatio sola a me divelli nequit", „nihil.. admitto nisi quod necessario sit verum" 10 ® hervorgehoben. Die Bestimmung des Wahren als des „klar und deutlich Erkannten,,107 vertritt hier, wo der eigentliche Begründungsgang in der intuitiven Erfahrung und nicht im regelgerechten Gebrauch der sprachlichen Symbolik zu suchen ist, die Stelle, die in späteren, formallogisch orientierten Systemen das Widerspruchsprinzip einnimmt108. Audi hier wird wieder die Bindung deutlich, die analytische Demonstrationsart und methodologische Auffassung gegenüber der an die räumliche Anschauung gebundenen geometrischen Analyse aufweisen. Die Bindung der kartesischen Methodenlehre an die ältere Auffassung der mathematischen Methode, wie sie bei Pappus vorliegt, fällt vor allem dort in den Blick, wo sie ihre, durch nichts als den Traditionssog zu motivierende Schwäche zeigt: in der Lehre vom Einfachen und Zusammengesetzten, der „natura simplex" und der „natura composita". Descartes' Charakterisierung von analytischer und synthelos

V g l . Descartes, 1 2 . Regel, a. a. O., S. 4 2 2 / 3 ; 8. Regel, a. a. O., S. 394 sagt Descartes, „de rebus tantum pure simplicibus et absolutis experientiam certam haberi posse".

10

· Descartes, „Meditationen", 2. Meditation, ed. A . u. T . , B d . V I I , S. 2 7 ff.

107

Descartes, ebd., J . M e d i t a t i o n , S. 6 5 : „ Q u a e sane omnes sunt verae, quandoquidem a me clare cognoscuntur, ideoque aliquid sunt, non merum n i h i l . . iam fuse demonstravi ilia omnia quae clare cognosco esse vera. A t q u e quamvis idem non demonstrassem, ea certe est natura mentis meae ut nihilominus non possem iis non assentiri, saltem quamdiu ea clare percipio . . . ex eo solo, quod alicuius rei possim ex cogitatione mea depromere, sequitur ea omnia, quae ad illam rem pertinere clare et distincte percipio, revera ad illam pertinere."

10» V g l

dazu Descartes, Erwiderung auf die zweiten E i n w ä n d e zu den Meditationen:

„Omnis enim implicantia sive impossibilitas in solo nostro conceptu, ideas sibi mutuo adversantes male conjungente, consistit, nec in ulla re extra

intellectum

posita esse potest, quia hoc ipso quod aliquid sit extra intellectum, manifestum est non implicare, sed esse possibile. Oritur autem in nostris conceptibus implicantia ex eo tantum quod sint obscuri et confusi, nec ulla unquam in claris et distinctis esse potest." ( E d . A . u. T . , Bd. V I I , S. 1 5 2 . )

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II

Descartes

tischer Demonstrationsart zeigt bereits, wie stark das Schema einer Gegenläufigkeit von analytischer und synthetischer Methode, das in der traditionellen Auffassung der geometrischen Methode vorlag, seine Darstellung von Analyse und Synthese beeinflußte. Die Inkonsequenz, die hier zu erkennen war, tritt noch stärker in der kartesischen Methodenlehre hervor. „Ordo" und „dispositio", sagt die 5. Regel in der „Regulae", sind nur dann gewahrt, „si propositiones involutas et obscuras ad simpliciores gradatim reducamus, et deinde ex omnium simplicissimarum intuitu ad aliarum omnium cognitionem per eosdem gradus ascendere tentemus"109. Die Formulierung läßt auf eine Gegenläufigkeit im Rückgang von den zusammengesetzten Aussagen zu den einfacheren und im Voranschreiten von diesen wiederum zu den zusammengesetzteren schließen, zumal das Aufsteigen von den einfachsten Aussagen oder Prinzipien zu den davon abhängigen Aussagen „per eosdem gradus" erfolgen soll. Wie in der herkömmlichen Theorie der geometrischen Methode ist die Wahrheit des Ausgangssatzes der Analyse, der „propositio involuta et obscura", noch unbekannt, und die Analyse dieser Aussage erfolgt durch die analytische Entwicklung der in ihr auftretenden Begriffe, bis diese auf eine Repugnanz führt oder nur noch „naturae simplices" vorfindet, von denen Descartes sagt, daß sie „per se notae" sind und „nunquam ullam falsitatem continere" 110 . Weiterhin gilt, daß jede „compositio" von Vorstellungen eine „mixtura" von „naturae simplices" ist, die aber dann und nur dann ein klar und deutlich Erkanntes ist, wenn die Ableitung der zusammengesetzten Vorstellung aus den einfacheren „per deductionem" und nicht „per impulsum" oder „per conjecturam" erfolgt 111 . Die Dunkelheit einer Aussage („obscuritas") entsteht nur durch die Art ihrer Zusammensetzung aus Vorstellungen, deren gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse nicht klar und deutlich erkannt sind 112 . In allen diesen eben genannten Punkten kommt die Beschreibung der Methode durch Descartes überein mit der Auffassung der „mathematischen Methode", wie sie bei Pappus vorlag. Wiederum jedoch läßt sich, wie im Falle der kartesischen Analyse und Synthese als Arten der lehrhaften Demonstration einwenden, daß zwar die Formulierung der 108

Descartes, 5. Regel, a. a. O., S. 379. Die Aufzählung umfaßt die drei Arten der von Descartes unterschiedenen Wege der Begriffsbildung. " · Ebd., 12. Regel, S. 420. 111 Ebd., S.424. 118 Ebd., S. 427/28. . . .

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Methodenlehre bei Descartes orientiert ist am Modell der älteren A u f fassung der geometrischen bzw. mathematischen Methodik, mit der sie sich in den genannten Punkten zumindest vereinbaren läßt, daß aber die Anwendung, die Descartes von diesen methodischen Bestimmungen macht, wie auch die Beispiele, die er für eine „mathesis universalis" gibt, in eine andere Richtung weisen. Ein Beispiel f ü r eine Anwendung der vorgenannten methodischen Bestimmungen bietet die argumentative Entwicklung der ersten beiden kartesischen Meditationen. Gemäß dem Schema der geometrischen Methodik werden zunächst Aussagen, deren Wahrheit oder Falschheit nicht gewiß ist, und die insofern „bezweifelbar" sind, auf die Konsequenzen hin geprüft, die sich aus ihrer Bejahung oder Verneinung ergeben. Die Führung hat dabei der Gesichtspunkt, den Descartes in der ersten Regel des „Discours" formuliert: „de ne recevoir jamais aucune chose pour vraie, que je ne la connusse evidemment etre teile". Der Nachdruck bei der argumentativen Entwicklung, die von Aussagen ihren Ausgang nimmt, deren Wahrheit oder Falschheit nicht auf Grund intuitiver Erfahrung 1 1 3 gewiß ist, liegt demnach auf der Entwicklung der Konsequenzen, die sich aus ihrer Verneinung ergeben würden. Dieser eigentlich analytischen Entwicklung geht in der ersten und zweiten Meditation die aufzählende Durchsicht der möglichen Klassen bezweifelbarer Aussagen voran (solche über Wahrnehmungs- und Trauminhalte, die Aussagen der Mathematik), wobei a limine diejenigen aus der Betrachtung ausgeschaltet werden, bei denen die Möglichkeit ihrer Falschheit sich durch Erfahrung oder eine plausible Hypothese wie die des „malin genie" glaubhaft machen läßt. Die „mens" als der Träger der Argumentation „supponit ea omnia non existere de quorum existentia vel minimum potest dubitare" 114 . Erst die am Ende der ersten Meditation getroffene Feststellung, daß Gründe angebbar sind, welche die „mens" an allem zweifeln machen können, führt zu einer analytischen Vertiefung derart, daß im Zweifel selbst als der hypothetischen Verneinung oder In-Fragestellung von bisweilen oder gemeinhin f ü r wahr Gehaltenem der Zweifelnde sich als Denkender erfährt und zur Gewißheit seiner Existenz gelangt. Auch hier ist es wieder die Erfahrung einer Repugnanz, die zur Einsicht in die Notwendigkeit der Beziehung zwischen der aktuellen Bewußtheit meiner selbst als einer „res cogitans" und der Gewißheit 113

V g l . dazu oben S. 60 f.

114

Descartes, „Meditationen", Synopsis, ed. A . u. Τ., V I I , S. 1 2 .

II

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Descartes

meiner Existenz führt: „Hie invenio: cogitatio.. sola a me divelli nequit" 115 . Diese Aussage, oder ihre positive Wendung im „ego sum, ego existo.. quandiu cogito" wird von Descartes nicht als ein Axiom bezeichnet, da sie zwar den Notwendigkeitscharakter von Axiomen hat, nichtsdestoweniger aber das Ergebnis einer analytischen Demonstration ist. In dieser kurz umrissenen Entwicklung des „cogito, sum" müssen wir zweifellos einen Beleg dafür sehen, daß wir, wie die j . Regel in den „Regulae" sagt, „Propositiones involutas et obscuras ad simpliciores reducamus". Dieser Beleg ist dadurch ausgezeichnet, daß er nicht nur ein methodischer für die Anwendung der vier Regeln des „Discours", sondern gleichzeitig ein thematischer Beleg ist, indem er allein unter allen denkbaren sich auf die Gesamtheit aller Aussagen erstreckt und der Demonstration derjenigen dient, welche „omnium simplicissima" ist 116 . Dennoch bildet der durch diese Aussage vorgestellte Sachverhalt ein „compositum", indem er die notwendige Verknüpfung zweier „Naturae simplices", die „per se notae" sind, der Existenz und des Denkens, in dem Sinne angibt, daß das aktuelle Denken die aktuelle Existenz impliziert 117 . Der zweite Teil der in der 5. Regel angegebenen Entwicklung: „deinde ex omnium simplicissimarum intuitu ad aliarum omnium cognitionem per eosdem gradus ascendere" läßt sich auf die analytische Entwicklung des in der Gewißheit des „cogito, sum" gegebenen Bewußtseinsgehaltes anwenden, die den weiteren Argumentationsgang der kartesischen „Meditionen" bestimmt. Im Gegensatz zu der vorgenannten Entwicklung bis zum „cogito" beginnt hier die Analyse mit einer gesicherten Erkenntnis, die auf eine Reihe durch sie notwendig implizierter anderer Aussagen hin analysiert wird. Die Schlüssigkeit des Argumentationsganges und damit seine Überzeugungskraft für den heutigen Leser steht hier nicht zur Debatte. Trotz der beeindruckenden Strenge, die der Argumentationsgang der Meditationen auch für den heutigen Betrachter aufweist und die allein auf ihre methodische Ausrichtung zurückzuführen ist, hängt die Schlüssigkeit der Argumentation an zwei Voraussetzungen, die ein heutiger Leser kaum zugeben dürfte: die (kartesische) Doktrin, die Descartes ohne Begründung in Anlehnung 115

Ebd., S. 27.

11« Vgl. den Text des Titels der j . Regel in den „Regulae". 117

Vgl. die Aufzählungen der „naturae simplices" in der 12. Regel, a . a . O . , S . 4 1 9 .

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an die aristotelisch-scholastische Lehre 118 vertritt, daß alles Erkennbare aus sogenannten „einfachen Naturen", „naturae simplices" und den zwisdien ihnen bestehenden notwendigen bzw. möglichen Verknüpfungen besteht; und die kartesische Lehre von der objektiven Realität der Ideen, welche diese, sofern sie nicht willkürlicher Zusammensetzung („a nobis ipsis factae") oder der Erfahrung („adventitiae") entstammen, als Abbilder eines an sich bestehenden, platonisch-augustinisch aufgefaßten Seins und seiner Gesetzmäßigkeit als einer „universitas ordinata" interpretiert. Die voranstehende Betrachtung hat gezeigt, daß eine Gegenläufigkeit in der Form eines analytischen Rüdegangs von der „propositio involuta et obscura" auf „einfachere Aussagen" und von diesen zurück auf die in Frage stehende Aussage, von der die Analyse ihren Ausgang nahm, bei Descartes zumindest nicht in den Hauptzügen des grundlegenden Argumentationsgangs der „Meditationen" vorliegt. Es ist nicht ein und dieselbe Aussage, die am Anfang des analytischen Regresses und am Ende der darauffolgenden „ascensio" steht. Zudem führt die Analyse nicht, wie in der älteren Auffassung der geometrischen Methode, auf schon als wahr erkannte Sätze, bereits bewiesene Aussagen, Axiome und Definitionen zurück, sondern führt in jedem Falle, mag sie ihren Ausgang nehmen von einer klar und deutlich erkannten oder einer in Frage stehenden Aussage, zurück auf eine zu erweisende Aussage, deren Wahrheit eben durch diesen Rückgang deduktiv erkannt wird. Wir sehen also, daß, so sehr Descartes bei der Formulierung seiner Methodenlehre wie bei derjenigen von Analyse und Synthese als lehrhaften Arten der Demonstration abhängig bleibt von älteren Theorien der geometrischen Methode 119 , er sich von dieser sehr unterscheidet in der Anwendung auf philosophischem Gebiete sowohl als in seiner Methodenlehre selbst durch die Nichtbeachtung wesentlicher Bestimmungen einer axiomatischen Theorie (Verwendungsweise von Definitionen, Postulaten, Axiomen und nähere Ausführungen zum Aufbau axiomatischer Theorien). Dennoch bleibt der Eindruck, daß Descartes sich bei der Formulierung seiner Theorie der Methode von den älteren Aufii8 Vgl. dazu ζ. B. Thomas von Aquinos Unterscheidung von „substantia simplex" und „substantia composita", deren erstere nur aus der Form, letztere dagegen aus Stoff und Form besteht in „De ente et essentia", j , ed. Allers, S. 41 ff. Vgl. ebd., Praef., S. 1 3 : „ E x compositis simplicium cognitionem aeeipere debemus et ex posterioribus in priora devenire, ut a facilioribus ineipientes convenientior fiat diseiplina." m Vgl. oben S. $0 ff. und 1 . Kap.

66

II

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fassungen der geometrischen Methode ebenso wie von der scholastischen Auffassung von „resolutio" und „compositio" 120 hat leiten lassen, deren Terminologie ihm zur Verfügung stand und auf die er sich zumindest, was die Theoretiker der geometrischen Methode angeht, explizit beruft 121 . Dagegen hat Descartes keine konsistente methodologische Formulierung f ü r die Übertragung der methodischen Prinzipien einer „mathesis universalis" auf den Gesamtbereich der menschlichen Erkenntnis geliefert, obschon, wie oben gezeigt wurde, die argumentative Verfahrensweise bei der Erörterung philosophischer Sachfragen weitgehend durch Descartes Konzeption einer „mathesis universalis" bestimmt wird. Die Algebra aber, die im Hintergrunde der kartesischen Auffassung einer „mathesis universalis" stand, und die Descartes in seiner „analytischen Geometrie" zum sprachlichen Mittel des Beweisganges geometrischer Aussagen machte, stützte sich — zumindest in der Auffassung jener Zeit — nicht auf Definitionen und Axiome, sondern, ebenso wie die Arithmetik, auf Operationsregeln, die den regelgerechten Gebrauch der mathematischen Kunstsprache festlegen. Descartes' Konzeption der wissenschaftlichen Methode als einer Regelgesamtheit, die der Tradition fremd war, ebenso wie sie im Widerspruch zu den älteren Auffassungen der geometrischen Axiomatik steht, geht auf die tiefgreifende Wirkung zurück, welche die Universalmathematik auf die kartesische Methodenlehre ausgeübt hat, ohne daß Descartes es vermocht hätte, die Gleichartigkeit methodologisch zu artikulieren, die das Operieren mit künstlichen Symbolen bei aller Untersdiiedenheit gegenüber dem logischen Deduzieren von Sätzen aufweist, die aus den Wörtern einer natürlichen Sprache bestehen. Der Umstand, welcher ihm diese Einsicht verwehrte, w a r derselbe, der seine Auffassung der Einheit wissenschaftlicher Methodik begründete: die Bindung sowohl der philosophischen wie der mathematischen Erkenntnis an eine der geometrischräumlichen Anschauung artverwandte Intuition und der Glaube, daß die philosophische Demonstration ebenso wie der algebraische Kalkül den eigentlichen Beweisgang (der in der Erfassung der notwendigen Verknüpfungen besteht, die in intuitiver Erfahrung — der räumlich-geometrischen Anschauung oder im Bewußtseinsgehalt des „cogito" — gegeben sind) lediglich kodifiziert. Ebenso war im Hinblick auf die euklidische Geometrie die sprachliche Formulierung der Beweisgänge lediglich als 120 1!1

Vgl. oben S. 26 f. Genannt werden S. 376, a. a. O., in der 4. Regel Pappus und Diophantus.

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eine Kodifizierung der sich an der geometrischen Figur vollziehenden Einsicht interpretiert worden. So bleibt die Frage offen, welcher der beiden methodologischen Ansätze, derjenige der euklidischen Axiomatik bzw. der geometrischen Analyse und Synthese, oder derjenige der an der Kunstsprache der Algebra orientierten „mathesis universalis", auf die kartesische Methodenlehre schließlich den größeren Einfluß hatte. Gewiß erscheint mir, daß es die Konfundierung beider Ansätze war, die zur Verunklärung der in den „Regulae" dargestellten und von Descartes nicht publizierten Methodenlehre geführt hat, und Descartes zu vagen Formulierungen zwang, die beiden gerecht zu werden versuchen, aber gerade auf Grund ihrer Allgemeinheit die Kritik seiner Nachfolger, vor allem von Leibniz, herausforderten. Nichtsdestoweniger war die Problematik der theoretischen Fassung einer sich am Modell des mathematischen Beweises orientierenden philosophischen und allgemein-wissenschaftlichen Methodenlehre damit zum ersten Mal in voller Breite gestellt. In diesem thematischen Umfange unter gleichzeitiger Einwirkung auf die formale Struktur philosophischer Argumentationen wurde sie erst von Leibniz wiederaufgenommen, dann allerdings unter Einbeziehung der verschiedenartigen Teilaspekte, die in der Zwischenzeit bei einzelnen Autoren stärker beleuchtet wurden und die in der folgenden Betrachtung skizziert werden sollen.

ΙΠ.

Zur Auffassung des „Mos Geometricus" und der „Mathesis Universalis" in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Der Streit um die Anwendbarkeit einer „mathematischen" Methode außerhalb der Mathematik, der durch die kartesische Methodenlehre hervorgerufen wurde, die methodologischen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kennzeichnet und sich über das ganze folgende Jahrhundert erstreckt, hat nur zu einem geringen Teil zur Klärung einzelner Aspekte der „mathematischen Methode" geführt 1 . Für die Folgezeit, d. h. für Leibniz und das 18. Jahrhundert, wurde eine Auffassung der geometrischen Methodik relevant, die sich am klarsten und wohl auch am vollständigsten in der Logik von Port-Royal ausgebildet findet2, und die im wesentlichen, soweit die wissenschaftliche Methode betroffen ist®, in einer Zusammennähme der kartesischen Methodenlehre, die Descartes Auffassung der analytischen Demonstration unterlag, und der von Pascal entwickelten Verfahren einer synthetischen Demonstration besteht. Eine ausführlichere Darstellung, die eine detaillierte bibliographische Erfassung der daran beteiligten Autoren einschließt, findet sidi bei Tonelli, G., „Der Streit über die mathematische Methode in der Philosophie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Entstehung von Kants Schrift über die ,Deutlichkeit"", Ardiiv für Philosophie, Heft 9/1,2, Stuttgart 1959. Ebenso, im besonderen für die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, De Angelis, „II methodo geometrico nella Filosofia del Seicento", Turin 1964; De Vleeschauwer, „More geometrico demonstratum", Johannisburg i960, Communication of the University of South-Africa. 1 Die Logik von Port-Royal, erstmals unter dem Titel „Logique ou l'art de penser* 1662 erschienen, hat zu ihren Verfassern Antoine Arnauld und Pierre Nicole. Sie gehörte in der Folgezeit zu den meistverbreiteten Lehrbüchern der Logik. Vgl. Liebmann, Curt, „Die Logik von Port-Royal im Verhältnis zu Descartes", Diss. Leipzig 1902, S. 7: „Bis zum Jahre 1736 waren bereits 10 französische und ebensoviele lateinische Ausgaben erschienen." ' Die Logik von Port-Royal war eine der ersten Darstellungen der Logik, deren Aufbau in eine Begriffslehre, Urteilslehre, Sdilußlehre und Methodenlehre gegliedert ist, der hinfort der „klassische" Aufbau der Logik über die nächsten zwei Jahrhunderte bleiben sollte. 1

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III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

Pascals Methodenlehre selbst, die in den beiden Fragmenten „De l'esprit geometrique" und „De l'art de persuader et de la demonstration" vorliegt4, hat, da diese Fragmente erst im 18. Jahrhundert veröffentlicht wurden, auf die unmittelbar folgende Zeit nur durch die zum Teil wörtliche Übernahme wesentlicher Stücke dieser Arbeiten in die „Logique ou l'art de penser" von Arnauld und Nicole gewirkt. Pascals Ausführungen zur „mathematischen Methode" bilden, sieht man sie aus der Perspektive ihrer Einbeziehung in die Methodenlehre der „Logik von Port-Royal", eine Ergänzung von Descartes' Bestimmungen des analytischen Demonstrationsverfahrens und der diesem unterliegenden Methodenlehre Descartes'. So betreffen die Erörterungen Pascals fast nur Punkte, zu denen bei Descartes keine expliziten Stellungnahmen vorliegen, wie andererseits Descartes' Ausführungen zur Methode, die wesentlich den Erkenntnisgang der analytischen Demonstration betreffen, in Pascals Fragmenten weder namentlich noch sachlich eine Wiederaufnahme oder Kritik erfahren. Der axiomatische Aufbau einer wissenschaftlichen Theorie, dem Pascals Erörterung gewidmet ist; findet kein Gegenstück bei Descartes, ebensowenig wie die Pascalsche Definitionstheorie, wohingegen die Theorie der Deduktion und deren Zurückführung auf eine Kette notwendiger Einsichten, die jeweils gegenständlich in einer Intuition gegeben sind und die den Hauptpunkt der kartesischen Methodenlehre ausmachte, bei Pascal höchstens unter dem Blickpunkt seiner Definitionstheorie eine geringe Beachtung erfährt 5 . Bei der Beurteilung des Verhältnisses der Pascalschen zur kartesischen Methodenlehre ist vor allem zu beachten, daß Pascal im Gegensatz zu Descartes den Ausdruck „Methode" nicht nur auf die Gewinnung von Erkenntnis, sondern wesentlich auf ihre Darstellung, „l'art de persuader", bezieht, die bei Descartes nicht durch den Namen „Methode",

4

V g l . Pascal, Blaise, „CEuvres", ed. Brunschvicg, L . , Boutroux, E . und Gazier, F., Bd. I X , Paris 1 9 1 4 , S. 2 4 0 — 2 9 0 . N a c h der A n g a b e der Herausgeber (a. a. O., S. 2 3 2 , sind beide Fragmente zwischen 1 6 5 7 und 1 6 5 9 v e r f a ß t worden. Desmolets veröffentlichte 1 7 2 8 „ D e l'art de persuader", das andere Fragment „ D e l'esprit geometrique" wurde erst 1 7 7 6 von Condorcet veröffentlicht (vgl. ibid. S. 2 3 1 ) .

e

In diesem Sinne läßt sich wohl mit Heinrich Scholz „Pascals Forderungen an die mathematische M e t h o d e " , in: „Mathesis universalis", Basel 1 9 6 1 , S. 1 2 0 , von einem „Gegenstück", kaum aber v o n einem „Konkurrenzunternehmen" zu Descartes sprechen, das in der Intention Pascals gelegen habe.

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert



sondern mit dem der „ratio demonstrandi" bzw. des „modus scribendi geometricus" bezeichnet wird®. Bei Pascals Bestimmung des axiomatischen Aufbaues bleibt offen, ob es sich um einen solchen für den Beweisgang eines einzelnen zu erweisenden Theorems oder um die Grundlegung einer wissenschaftlichen Theorie, d. h. eines Gefüges von Aussagen handelt, deren Begründungszusammenhang explizit aufgeführt wird. Die Pascalschen Bestimmungen sind jedoch von der Art, daß sie sich auf beide Fälle beziehen lassen. Die Analyse als ein Verfahren zum Erweise der Wahrheit eines vorgelegten Satzes wird dem synthetischen Aufbau des Beweisganges aus sicheren Axiomen und geeigneten Definitionen ganz und gar untergeordnet. Denn eben dieser Rückgang auf sichere Ausgangssätze des Beweises setzt nach Pascal voraus, daß die Prinzipien der Herleitung, auf die analytisch zurückgegangen wird, bereits vorgegeben sind7. Der Gegensatz zu Descartes ist hier deutlich, für den das analytische Verfahren der Demonstration eben dazu diente, die Einsicht in die Wahrheit der „propositiones simplices" erst herbeizuführen. Die Auswahl der Definitionen und Axiome, in die Pascal die grundlegenden Aussagen einer axiomatisch aufgebauten wissenschaftlichen Theorie gliedert, hat so zu erfolgen, daß diejenigen und nur diejenigen Axiome und Definitionen angegeben werden, die für den Erweis eines in Frage stehenden Satzes zugleich notwendig und hinreichend sind8. Die Regeln, die Pascal für seine Methode der Demonstration gibt, sind mit nur geringer und inhaltlich irrelevanter Veränderung des Wortlautes und einigen Verbesserungen der Formulierung, jedoch sicher der ' Der Ausdruck „methode" wird bei Pascal ζ. B. a. a. O., S. 240 und 282 auf die „demonstration" bzw. die „art de persuader" als sprachliche Darstellung von Beweisgängen bezogen. 7

Vgl. dazu Pascal, a. a. O., S. 278: „La raison de cette methode est evidente, puis qu'il seroit inutile de proposer ce qu'on veut prouver et d'en entreprendre la demonstration, si on n'avoit defini clairement tous les termes qui ne sont pas intelligibles; et qu'il faut de meme que la demonstration soit p r i c i d i e de la demande des principes evidents qui y sont nicessaires, car si Ton n'asseure le fondement on ne peut asseurer l'edifice." Vgl. dazu Ε. Cassirer im Hinblick auf Pascal: „das Ziel des echten Wissens muss darin bestehen, von keinem Inhalt Gebrauch zu machen, den wir nicht zuvor in seiner logischen Struktur und Zusammensetzung begriffen und aus den ersten Bedingungen und Fundamenten des Denkens abgeleitet haben", vgl. Cassirer, E., „Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit", Berlin 1906, Bd. 1, S. 440.

8

Eben diese Bedeutung hat Pascals Äußerung, a. a. O., S. 281, daß die j Regeln, die hier aus der Logik von Port-Royal zitiert sind, „d'une necessity absolue" sind.

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III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

Intention Pascals gemäß, in der Logik von Port-Royal angegeben, woraus ich sie hier zitiere': „Ragles n^cessaires. Pour les definitions. ι . Ne laisser aucun des termes un peu obscurs ou £quivoques sans le d^finir. 2. N'employer dans les definitions que des termes parfaitement connus, ou dejä expliques. Pour les axiomes. 3. Ne demander en axiomes que des dioses parfaitement evidentes. Pour les demonstrations. 4. Prouver toutes les propositions un peu obscures, en n'employant k leur preuve que les definitions qui auront precede, ou les axiomes qui auront έΐέ accordes, ou les propositions qui auront dejä έΐε dimontrees, ou la construction de la chose meme dont il s'agira, lorsqu'il y aura quelque operation ä faire. 5. N'abuser jamais de l'equivoque des termes, en manquant d'y substituer mentalement les definitions qui les restreignent, et qui les expliquent." Bei der Beurteilung der Pascalschen Regeln für einen axiomatischen Aufbau des demonstrativen Beweises drängen sich zwei Fragen auf: Welches ist das Verhältnis, in dem die Befolgung dieser methodischen Regeln zum Prozeß des formalen Schließens, bzw. die in der Logik von Port-Royal als selbständiger Abschnitt der Logik auftretende Methodenlehre zur Lehre vom folgerichtigen Schließen steht? Die andere Frage lautet: In welchem Verhältnis steht die Demonstration als eine nach den Regeln Pascals formal gegliederte zur räumlich-geometrischen bzw. einer „intellektuellen" Anschauung? Pascal betont die Vollständigkeit der Regeln seiner Methode: diese enthalten „tout ce qu'il y a de necessaire pour rendre les preuves con• V g l . A r n a u l d , A . und Nicole, P . : „ L a Logique ou l ' A r t de Penser", E d . critique v . Clair, P . und Girbal, F., Paris 1 9 6 5 , S. 307/8. Die Veränderungen gegenüber Pascal, a. a. O., S . 279/80, betreffen außer solchen des Vokabulars („ne l a i s s e r . . . " statt des altertümlichen und gleichbedeutenden „n'omettre . . . " ) die bei Pascal nicht explizit erwähnten Definitionen in der vierten Regel als Ausgangssätze einer D e monstration, und die in derselben Regel von A r n a u l d und Nicole implizit eingeführten Postulate („la construction de la chose m i m e dont il s'agira, lorsqu'il y aura quelque operation ä f a i r e " ) , die Pascal nicht explizit von den A x i o m e n als selbstevidenten und nicht beweisbaren Sätzen unterscheidet.

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Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

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vaincantes, immuables et, pour tout dire, geometriques"10. Wie die Demonstration im einzelnen vor sich geht, wird durch Pascals Ausführungen offengelassen. Die explizite Formulierung eines Beweises in einer Abfolge logischer Schlüsse findet keine Erwähnung. Die geringe Bewertung der syllogistischen Schlußlehre, die das Kernstück der älteren Logik bildete, hat Pascal mit der Logik von Port-Royal gemein". Die formalen Regeln des Schließens würden von fast allen Menschen ohnehin beachtet, auch ohne daß sich die Argumentation in die Form formal-logischer Schlüsse kleidet, und das Übel rühre nicht daher, daß nicht folgerichtig geschlossen würde, sondern daß fragwürdige Prämissen Anwendung fänden 12 . Auch der zweite Punkt, der das Verhältnis der Pascalschen Regeln des axiomatischen Aufbaues von Theorien und Beweisen zur Anschauung betrifft, findet weder bei Pascal noch in der Logik von Port-Royal eine explizite Beachtung. Unterschwellig aber erfolgt eine sehr viel stärkere Anlehnung an die Euklidische Axiomatik als bei Descartes, so daß die sprachliche Darstellung des Beweisgedankens lediglich der exakten Führung der sich an der geometrisch-räumlichen Anschauung orientierenden Einsicht dient, ohne daß sie selbst eine formale, wenn auch unselbständige Ableitung wäre. Damit ist aber zugleich die Frage gestellt nach ihrer Ubertragbarkeit und Anwendbarkeit auf nicht geometrische Theorien und Beweisgänge. Abgesehen von der Behauptung, daß sie auf alle „connaissances qui sont 10

V g l . Pascal, a . a . O . , S. 2 8 2 und S. 2 8 7 : „ T o u t l ' a r t " (zu ergänzen: des demonstrations) „est renfermi dans les seuls preceptes que nous avons dits: ils suffisent seuls, ils prouvent seuls; toutes les autres regies sont inutiles et nuisibles".

11

V g l . Pascal, a . a . O . , S . 2 8 7 : „ L a mithode de ne point errer est recherdi^e de tout le monde. Les logiciens font profession d ' y conduire, les geometres seuls y arrivent, et, hors de leur science et de ce qui l'imite, il n ' y a point de veritables demonstrations." Gegen den V o r w u r f , seine Methode bringe nichts Neues, sei audi ohne Ü b u n g an geometrisdien Beweisgängen leicht erlernbar oder sei unnütz, da sie auf die Geometrie begrenzt bleibe, wendet er sich mit den W o r t e n : „II faut done faire voir, qu'il n ' y a rien de si inconnu, rien de plus difficile έ pratiquer, et rien de plus utile et de plus universel." V g l . A r n a u l d und Nicole, a. a. O., S . 1 7 7 : „Cette partie . . qui comprend les regies du raisonnement, est estimee la plus importante de la Logique . . Mais il y a sujet de douter si eile est aussi utile qu'on se l'imagine. L a plüpart des erreurs des hommes . . viennent bien plus de ce qu'ils raisonnent sur de f a u x prineipes, que non pas de ce qu'ils raisonnent mal suivant leurs prineipes. . . W a n m o i n s quand on ne considereroit ces regies que comme des v^ritis spiculatives, elles serviroient toüjours έ exercer l'esprit." V o m letzten Teil der Logik, der Methodenlehre, heißt es dagegen, sie sei „sans doute l'une des plus utiles et des plus importantes" (ibid. S. 2 9 1 ) .

»

V g l . ebd., S . 2 8 7 .

III

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Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

fondees sur l'evidence de la raison"" anwendbar sei14, finden sich weder bei Pascal noch in der Logik von Port-Royal Beispiele oder theoretische Ausführungen zu einer Anwendung der axiomatischen Regeln auf Beweisgänge außerhalb der Geometrie, die von Pascal bzw. von den Autoren der Logik von Port-Royal explizit als solche bezeichnet würden". In allen diesen Fragen ließ die Vagheit, in der Pascal und die Autoren der Logik von Port-Royal ihre Beantwortung gelassen hatten, das Feld offen für die verschiedenartigen Deutungsversuche, wie sie bei einer großen Anzahl von Autoren schon des 17. Jahrhunderts vorliegen und theoretisch sich vor allem in den Lehren von Leibniz, Wolff und Lambert niedergeschlagen haben. Die Formulierung der Pascalschen Regeln für die axiomatisch begründende Demonstration blieb nichtsdestoweniger der Prototyp einer Zusammenstellung methodischer Requisiten des axiomatischen Aufbaues von Beweisen und Theorien, an dem sich, vermittelt durch die Logik von Port-Royal, auch alle späteren Autoren orientieren. Von Bedeutung für die Anwendung der bei Pascal und in der Logik von Port-Royal formulierten axiomatischen Methode in der philosophischen Theorienbildung der Folgezeit ist im besonderen Pascals Definitionstheorie. Bei ihm liegt wohl erstmals explizit die Auffassung der im axiomatischen Aufbau einer Theorie, eines „corps de science" 1 ' auftretenden Definitionen als Substitutionsregeln vor. Als solche, die dazu dienen, „d'abreger le discours", und dazu verhelfen, „a substituer toujours mentalement dans la demonstration les definitions a la place de definis"17, sind sie weder wahre nodi falsche Sätze18, sondern einfache Benennungen von Dingen, „qu'on a clairement designees en termes parfaitement connus" 1 '. Da die in den Definitionen selbst auftretenden Ausdrücke, sofern sie nicht „parfaitement connus" sind, nach Maßgabe der zweiten Regel wiederum zu definieren sind, müssen alle Definitionen "

Ebd., S. 33 j .

14

V g l . dazu oben.

15

Die gelegentlich von Pascal in seinen Prosaschriften, ζ. B. dem vierten Brief der „Provinciales" gebrauchte Bezeichnung einzelner Aussagen als „definition" oder „principe" kann hier als Beleg nicht dienen. A l s solcher käme nur ein strenger axiomatischer A u f b a u eines Textes in Frage, der bei Pascal nicht vorliegt.

16

V g l . A r n a u l d und Nicole, a. a. O., S. 300.

17

Pascal, a. a. O., S. 2 7 7 .

18

V g l . ibid. S. 2 4 3 : „il parait que les definitions sont tres libres, et qu'elles ne sont jamais sujettes a etre contredites".

"

Ebenda.

III

Geometrisdie Beweisart im 17. Jahrhundert

75

schließlich auf Ausdrücke, sogenannte „mots primitifs", zurückführbar sein, weldie die durch sie benannten Sachen eindeutig zum Ausdruck bringen und keiner weiteren Definition bedürftig sind. Als solche führt Pascal „Raum", „Zeit", „Bewegung", „Zahl", „Gleichheit" an20, d. h. die sprachlichen Ausdrücke der Grundbegriffe von Geometrie und Arithmetik. Während jedoch die mit diesen „mots primitifs" zusammengesetzten Definitionen nach Pascal einfache „impositions de nom" 21 sein sollen, die willkürlich sein können, bleibt die Benennung der einer Definition nicht mehr bedürftigen Sachen durch „mots primitifs" auf die jeweils vorliegende, natürliche Sprache bezogen, indem von ihnen gilt, daß sie „designent si naturellement les choses qu'ils signifient, ä ceux qui entendent la langue, que l'eclaircissement qu'on en voudrait faire apporterait plus d'obscurite que d'instruction" 22 . So gilt von ihnen auch, daß die Gegenstände, die sie benennen, „dans une extreme clarte naturelle" sind, „qui convainc la raison plus puissamment que le discours"23. Damit ist bei Pascal zwar die Forderung einer möglichen Zurückführung der in allen Definitionen auftretenden Ausdrücke auf undefinierbare, aber eindeutig bezeichnende Grundausdrücke gestellt, so daß alle Definitionen prinzipiell im Definiens nur Grundausdrücke enthalten und damit prinzipiell entbehrlich sind24. Gleichzeitig aber tritt die wesentliche Schwäche der Pascalschen Definitionstheorie hervor. Denn die „obscurite" von Ausdrücken, die Pascal darauf zurückführt, daß für sie keine Definition mit Hilfe an sich klarer oder bereits definierter Ausdrücke angebbar ist, kann nur dann beseitigt werden, wenn mit der Definition der Nachweis gegeben ist, daß die in das Definiens eingehenden Ausdrücke miteinander verknüpfbar sind bzw. die durch diese vorgestellten Sachen bzw. Prädikate sich als von einfachen Vorstellungen her konstruierbare Komplexe erweisen. Diesem Zwecke kann bei Pascal nur die Demonstration dienen, und nur darin kann die „Parallelität" 25 von Definitions- und Demonstrations20 21 2! 23

24

Ebenda, S. 247. Ebenda, S. 243. Ebenda, S. 247. Ebenda, S. 257. V g l . dazu den in der Brunschvicgsdien Ausgabe zitierten T e x t des Pariser Mathematikers und Gegners Descartes', Roberval (ibid. S. 243): „Par une άέήηΐΰοη mathematique, on entend l'explication de quelque nom, pour distinguer entre plusieurs choses Celle ί laquelle il est a t t r i b ^ h la volonte de celuy qui l'a impose; ce nom pouvant etre chang£, et n'ayant aucune connexion avec la chose meme." H . S c h o l z , a . a . O . , S. 124, bejaht diesen Punkt auf Grund der Pascalsdien Bestimmung der Definitionen als A b k ü r z u n g e n der Rede, vgl. oben S. 74.

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Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

regeln bei Pascal bestehen. Die Auffassung der Definition, wie sie bei Pascal vorliegt, erfordert so notwendig neben dem konventionellen Aspekt ihrer Benennungsfunktion einen von Pascal nicht explizit dargelegten nicht-konventionellen Aspekt, der darin besteht, daß die im Definiens zusammengenommenen Bestimmungsstücke so gewählt sind, daß ihre Verbindung auf Grund von Demonstrationen oder eindeutiger Erfahrungen einleuchtet. Der Umstand, daß Pascal diesen letzteren Aspekt nicht ins Licht gesetzt hat, zeigt ebensosehr die starke Gebundenheit seiner methodischen Auffassung an die Geometrie 26 , wo prinzipiell komplexe anschauliche Gebilde sich aus einfachen Grundanschauungen konstruieren lassen, wie er andererseits die durch Pascals Gegenüberstellung von „esprit geometrique" und „esprit de finesse" bedingte, geringe Zuwendung offenbart, die er dem Problem einer „Imitation"" seiner Methode auf anderen Gebieten hat zukommen lassen. Hier dürfte einer der Ursprünge für den Mißbrauch liegen, den einzelne philosophische Autoren, wie beispielsweise Spinoza, mit der Pascalschen Axiomatisierungstheorie geübt haben, indem sie zwar für ihre Definitionen bereits definierte oder anschaulich aufweisbare Ausdrücke zu verwenden bestrebt sind, andererseits aber bei der Zusammennähme der Bestimmungsstücke des Definiens sich locker an einen gängigen philosophischen Sprachgebrauch anlehnen28 oder willkürlich verfahren. Ein Mißbrauch, der schließlich bei Leibniz und Wolff zu der Forderung führt, daß jede Nominaldefinition durch eine sogenannte „Realdefinition" sich im Hinblick auf die Möglichkeit des durch sie Vorgestellten auszuweisen hat. Wie die Pascalsche Theorie des axiomatischen Aufbaues wissenschaftlicher Theorien und Beweisführungen für einzelne Sätze, fand auch die Pascalsche Definitionstheorie Eingang in die „Logik von Port-Royal"". 15

Ie 17 18

u

Vgl. H . Scholz, a . a . O . , S. 1 2 1 , der zwar diese „Parallelität" behauptet, aber in seiner Untersuchung nicht darauf eingeht. Vgl. dazu oben, S. 74. Vgl. ebenda. Als Beispiel sei aus Spinozas „Ethica", ed. Gebhardt, Heidelberg 1923, II, S. 45, die Bestimmung der „Substanz", als dasjenige „quod in se est, et per se concipitur" genannt, die die philosophische Tradition der Behandlung des Begriffes der Subsistenz voraussetzt. Vgl. Arnauld und Nicole, a. a. O., S. 86: „definitio nominis, dont les Giomfctres se servent si utilement, laquelle il faut bien distinguer de la definition de la chose, definitio rei. Car dans la definition de la chose, comme peut-etre celle-ci: l'homme est un animal raisonnable, le temps est la mesure du mouvement, on laisse au terme qu'on d6finit comme homme ou temps son idle ordinaire, dans laquelle on

III

Geometrisdie Beweisart im 17. Jahrhundert

77

Dagegen geht die hier enthaltene Theorie des analytischen Beweisverfahrens auf Descartes zurück. Wie bei Descartes werden Analyse oder „Resolution" und Synthese oder „Composition" als zwei selbständige Arten der Demonstration gegenübergestellt, wobei ihre Gegenläufigkeit stärker hervorgehoben wird30. Beide unterscheiden sich „comme le chemin qu'on fait en montant d'une vallee en une montagne, de celui que Γοη fait en descendant de la montagne dans la vallee" 31 . Beide bewahren wie bei Descartes den „ordo", der darin besteht, „de passer toujours de ce qui est plus connu ä ce qui Test moins"32. Dabei bedient sich die Analyse solcher Aussagen, deren Wahrheit auf Grund einer singulären Erfahrung bereits erkannt ist („je pense done je suis"), wohingegen die Synthese dieselben Wahrheiten ihrer Allgemeinheit nach und unabhängig von einem „examen particulier" 33 einer singulären Erfahrung aussagt und verwendet („pour penser il faut etre"). Ein weiterer Unterschied besteht nach der Logik von Port-Royal zwischen Analyse und Synthese darin, daß die Analyse die „maximes claires et evidentes" erst anwendet, wenn sie im analytischen Beweisgang benötigt werden, wohingegen sie in der Synthese zu Beginn des Beweisganges aufgestellt werden' 4 . Doch bringt die „Logik von Port-Royal" eine Klärung gegenüber der kartesischen Theorie und Anwendung der Analyse. Für Arnauld und Nicole ist es stets eine Aussage, deren Wahrheit noch in Frage steht, die den Ausgang der Analyse bildet und auf die sidi diese bezieht. Aufgabe der Analyse ist es, die Aussage (ζ. B. „l'äme est immortelle")

50 31 32 35 34

pretend que sont contenues d'autres idees, comme animal raisonnable, ou mesure du mouvement; au lieu que dans la definition du nom, comme nous avons d i j i dit, on ne regarde que le son, et ensuite on determine ce son ä etre signe d'une idέe que Ton designe par d'autres mots." Im Gegensatz zu Pascal weisen die Autoren der „Logik von P o r t - R o y a l " darauf hin, daß man von einem durdi Nominaldefinition definierten Begriff nicht glauben soll, „pour cela seul qu'on lui a άοηηέ un nom, qu'elle signifie quelque diose de reel" (ebenda, S. 88). Allerdings findet sidi hier, wenn auch nicht der Formulierung, so doch der Sache nach, der Anspruch, daß sich jede Nominaldefinition durch eine Realdefinition im Hinblick auf die Möglichkeit des Definierten ausweisen müsse. Vgl. ebenda, S. 304/j. Ebenda, S. 305. Ebenda, S. 304. Ebenda. Ebenda, S. 303/4: „ O r e'est dans l'attention que l'on fait a ce qui est de connu dans la question que l'on veut resoudre, que consiste principalement 1'analyse . . . eile diffJre de celle" (zu ergänzen: mithode) „de composition en ce que 1'on prend ces v i r i t i s connues dans l'examen particulier de la chose que l'on se propose de connaitre, et non dans les choses plus gέnerales, c o m m e on fait dans la m i t h o d e de doctrine."

78

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

so z u entwickeln, d a ß d a s P r ä d i k a t als im Subjektsbegriff

enthalten,

e r k a n n t w i r d . D e r entscheidende Fortschritt der „ L o g i k v o n P o r t - R o y a l " g e g e n ü b e r d e r kartesischen M e t h o d e n l e h r e besteht h i e r d a r i n , d a ß die A u f f a s s u n g der A n a l y t i z i t ä t als das Enthaltensein des P r ä d i k a t e s

im

Subjektbegriff hier deutlich ausgesprochen w i r d . W ä h r e n d nach Descartes das k l a r u n d deutlich E r k a n n t e auch w a h r ist u n d mithin ein „ E x i s t e n z mögliches" ist, f o r m u l i e r t die L o g i k v o n P o r t - R o y a l als ein

Axiom":

„ T o u t ce qui est e n f e r m e dans l'idee claire et distincte d ' u n e chose, en p e u t etre a f f i r m e a v e c v e r i t e " 3 9 . W i c h t i g e r noch ist die A u s f ü h r u n g s bestimmung, nach der es genügt, w e n n m a n sehen w i l l , ob „ u n attribut c o n v i e n t ä un s u j e t " , d a ß sich bei der Betrachtung der B e g r i f f e des S u b jektes u n d des A t t r i b u t s herausstellt,

„ q u ' o n ne le puisse f a i r e sans

s ' a p p e r c e v o i r que l'idee de l ' a t t r i b u t est v e r i t a b l e m e n t e n f e r m e

dans

l'idee d u s u j e t " 3 7 . Z w i n g t sich das n e g a t i v e E r g e b n i s dieser P r o b e auf, so handelt es sich u m ein A x i o m , d. h. u m einen selbstevidenten u n d nicht w e i t e r beweisbaren S a t z . Interessant ist hier, auch im Rückblick

auf

Descartes, d a ß die K l a r h e i t u n d Deutlichkeit des E r k a n n t e n sich auf G r u n d einer U n m ö g l i c h k e i t ergibt, die der U r t e i l e n d e empfindet, das Gegenteil der vorgelegten A u s s a g e z u behaupten 3 8 . 35

56

Vgl. ebenda, S. 3 2 1 . Vgl. ebenda, S. 327: „Toute la certitude et l'evidence de nos connoissances dans les sciences naturelles, vient de ce principe: Qu'on peut assurer d'une chose tout ce qui est contenu dans son idee claire et distincte." Diejenige Äußerung Descartes, die dieser Formulierung am nächsten kommt, dürfte in der j . Meditation, ed. A . u. Τ., V I I , S. 65, stehen: „ex eo solo, quod alicuius rei ideam possim ex cogitatione mea depromere, sequitur ea omnia, quae ad illam rem pertinere clare et distincte percipio, revera ad illam pertinere."

37

Arnauld und Nicole, a. a. O., S. 319.

38

Vgl. dazu oben das im Hinblick auf Descartes Gesagte, S. 60 f. Einschlägig für das dort Ausgeführte wie für das hier Gesagte ist auch die von Arnauld und Nicole vorgebrachte Erklärung zu dem Axiom, daß die Gerade die kürzeste Verbindungslinie zwischen zwei Punkten sei, a . a . O . , S. 327: „la ligne droite, qui est la plus courte longueur qui se puisse donner entre deux points, . . ce qu'elle ne serait pas si eile n'etait aussi la plus courte de toutes les lignes qui puissent etre tirees d'un point έ un point". Erst die Repugnanz, die zwischen der Vorstellung jeder anderen Verbindungslinie als der Geraden und dem Begriff der kürzesten Linie besteht, versichert uns der Klarheit und Deutlidikeit des in diesem Axiom Ausgesagten. Arpad Szab6 hat in seinem Aufsatz über das „Euklidische Axiomensystem" (in „Zur Geschidite der griechischen Mathematik" hg. v. Oskar Becker, Darmstadt 1965) darauf hingewiesen, daß in der Dialektik Piatons in Anlehnung an die Beweisführungen der Geometrie die Unvereinbarkeit zweier Bestimmungen, d. h. ein negatives Kriterium, als ein Mittel verwendet wird, um den notwendigen Zusammenhang von Bestimmungen zu erweisen: „Es gibt jedoch in der platonischen Dialektik dafür — von welcher Art Behauptungen eigentlich im Einklang miteinander stehen — im Grunde sozusagen nur ein negatives Kriterium. Das heißt,

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

79

Auf Grund dieser Bestimmung der Analytizität ergibt sich ein Aspekt, der in den philosophischen Systemen des 18. Jahrhunderts weitgehend den Charakter von Nominaldefinitionen als analytischen Sätzen festlegte: Denn indem die Definition per genus et differentiam specificam ebendadurch definiert, daß sie von einem vorgelegten und zu definierenden Subjekt bestimmte Attribute aussagt, die denknotwendig als im Subjektsbegriff enthalten vorgestellt werden, gewinnt sie den Charakter eines Axioms, das in gleicher Weise unbeweisbar und eines Beweises nicht bedürftig ist. Trotz der in späterer Zeit und schon in der Logik von Port-Royal wiederholt vorgebrachten Hinweise, daß die Nominaldefinitionen eines Ausweises der Möglichkeit des durch sie Definierten bedürfen, der nicht schon durch die Definition selbst gegeben ist, läßt sich von diesem, hier en passant genannten Aspekt die Verwendung von Nominaldefinitionen als Vordersätzen zu Schlüssen ζ. B. bei Spinoza und Wolff 30 motivieren. In dem Falle dagegen, wenn die alleinige Betrachtung der Begriffe des Subjektes und des Attributes (Prädikates) einer vorgelegten Aussage nicht genügt, um das notwendige Enthaltensein des Attributs im Subjektsbegriff zu erkennen, „la proposition... doit etre demontree, en se servant de quelques autres idees pour faire voir cette liaison, comme on se sert de l'idee des lignes paralleles pour montrer que les trois angles d'un triangle sont egaux a deux droits"40. Hier erfolgt die analytische Demonstration, indem unabhängig vom Prädikat der vorgelegten Aussage, wenn audi zielgerichtet auf dieses, vom Subjekt dieser Aussage zunächst ein anderes Prädikat ausgesagt wird, das denknotwendig im Sinne der oben es wird eigentlich nie näher begründet, warum zwei oder mehrere Behauptungen im Einklang miteinander stehen (όμολογεΐν, συμφωνείν etc.). Statt dessen wird in der Beweisführung immer nur hervorgehoben, wenn zwei Behauptungen miteinander nicht im Einklang stehen (διαφωνεϊν). Dieses Nidit-im-Einklang-Stehen miteinander gilt für Piaton als die sicherste Kontrolle, und gerade dies wird im Z u sammenhang mit den Konsequenzen einer Hypothesis immer geprüft". 39

V g l . W o l f f , Chr., „Ausführliche Nadiricht von seinen eigenen Schrifften . . 1 7 5 7 , S. 189 f.: „Allein ich habe bey reifer Ueberlegung gefunden, daß man in Wissenschafflen auch mit den Wort-Erklärungen auskommen, ja selbst die Erklärungen der Sachen aus diesen herleiten kan". Vgl. dazu Weingartner, Paul, „Kann man v o n Definitionen sagen, daß sie w a h r oder falsch sind?", R a t i o 196$, 7/1, der darauf hinweist, „daß die Beantwortung der Frage, ob Definitionen wahr oder falsch sein können, von der Auffassung der Definitionen als A x i o m e (Lesniewski) oder als Regeln (Whitehead-Russel) abhängt. Im ersten Fall sind sie w a h r oder falsch, im zweiten Fall nicht" (S. 73).

40

A r n a u l d und Nicole, a. a. O., S. 319.

80

III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

angegebenen axiomatisdien Selbstevidenz mit dem SubjektsbegrifF

ver-

b u n d e n ist, w o n a c h d u r c h eine w e i t e r e A n a l y s e des P r ä d i k a t e s in F o r m v o n e i n z e l n e n s e l b s t e v i d e n t e n Schritten schließlich d a s P r ä d i k a t d e r A u s g a n g s a u s s a g e als m i t d e m a n a l y s i e r t e n S u b j e k t s b e g r i f F in n o t w e n d i g e m Z u s a m m e n h a n g stehend e r k a n n t w i r d . N u r in einer a n d e r e n T e r m i n o l o gie spiegelt diese A u f f a s s u n g , w e l c h e die a n a l y t i s c h e D e m o n s t r a t i o n eine K o n j u n k t i o n a n a l y t i s c h e r A u s s a g e n d a r s t e l l t , d a s kartesische

als

Ver-

hältnis v o n Intuition u n d D e d u k t i o n w i d e r 4 1 . D i e „ L o g i k v o n P o r t - R o y a l " ist eine L o g i k d e r apriorischen W i s s e n schaften,

für

die

„l'induction

d ' a c q u e r i r u n e science p a r f a i t e "

seule 42

n'est

jamais

un

moyen

certain

, f ü r die gilt, d a ß B e o b a c h t u n g

E x p e r i m e n t d e m e r k e n n e n d e n G e i s t n u r den A n l a ß bieten, seine

und Auf-

m e r k s a m k e i t a u f d i e i h m „ a n g e b o r e n e n " V o r s t e l l u n g e n z u l e n k e n , „Selon lesquelles il j u g e l a v e r i t e s des choses en g e n e r a l " . I m H i n b l i c k a u f die M e t h o d o l o g i e v o n N a t u r e r k e n n t n i s u n d M a t h e m a t i k b e d e u t e t die „ L o g i k v o n P o r t - R o y a l " t r o t z i h r e r A n l e h n u n g a n die kartesische L e h r e einen R ü c k s c h r i t t g e g e n ü b e r D e s c a r t e s , dessen G e d a n k e einer „ m a t h e s i s versalis", 41

4i

als die E i n f ü h r u n g k a l k ü l m ä ß i g e r

Deduktionsketten

in

unidie

Als Beispiel eines so aufgefaßten analytischen Beweisganges f ü r einen vorgelegten Satz sei die in der „Logik von P o r t - R o y a l " angeführte Demonstration des Satzes wiedergegeben, daß die Seele unsterblich ist, a . a . O . , S. 304: „Comme si l'on propose, si l'ame de l'homme est immortelle, et que pour le cherdier, on s'applique k considerer la nature de notre i m e , on y remarque premiJrement, que c'est le propre de l'ame que de penser, et qu'elle pourrait douter de tout, sans pouvoir douter si eile pense puisque le doute meme est une pens£e. On examine ensuite, ce que c'est que de penser; et ne voyant point que dans l'idie de la pensee il y ait rien d'enferme de ce qui est enferme dans l'idee de la substance etendue qu'on appelle corps, et qu'on peut meme nier de la pensee tout ce qui appartient au corps, comme d'etre long, large, p r o f o n d , d'avoir diversity de parties, d'etre d'une telle ou d'une telle figure, d'etre divisible, etc. sans detruire pour cela l'idie qu'on a de la pensee; on en conclut, que la pensee n'est point un mode de la substance έtendue, parce qu'il est de la nature du mode de ne pouvoir etre confu en niant de lui la chose dont il serait mode. D ' o u l'on inf^re encore que la pensee n'etant point un mode de la substance itendue, il faut que ce soit l'attribut d'une autre substance; et qu'ainsi la substance qui pense et la substance Vendue soient deux substances ^ellement distinctes. D'oii il s'ensuit que la destruction de l'une ne doit point empörter la destruction de l'autre: puisque meme la substance itendue n'est point proprement detruite, mais que tout ce qui arrive en ce que nous appelons destruction, n'est autre (hose que le diangement ou la dissolution de quelques parties de la matiere qui demeure toujours dans la nature, comme nous jugeons fort bien qu'en rompant toutes les roues d'un horloge il n'y a point de substance ditruite, quoique l'on dise que cet horloge est detruit. Ce qui fait voir que l'ame n'etant point divisible et composee d'aucunes parties, ne peut ρέπΓ, et par cons^quant qu'elle est immortelle". Arnauld und Nicole, a. a. O., S. 259.

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

81

Geometrie und die mathematische Erkenntnis der Natur, in der »Logik von Port-Royal" gänzlich einer schon in der kartesischen Methodenlehre vorgezeichneten und an der älteren geometrischen Analyse und Synthese orientierten Ausdehnung des „mos geometricus" auf den Gesamtbereich der wissenschaftlichen Erkenntnis weicht. Hierin wird sie aber von entscheidender Bedeutung für die auf die „mathematische Methode" in der Folgezeit ausgerichteten Methodenlehren und bildet den historisch wohl wichtigsten Gegenpart für Versuche einer Weiterentwicklung des kartesischen Gedankens einer „mathesis universalis". Während die „Logik von Port-Royal" sich — unter ergänzender Aufnahme der Pascalschen Methodenlehre — im Hinblick auf die Entwicklung der Auffassung einer auf die Philosophie übertragbaren „mathematischen Methode" als eine selektive Wiederaufnahme und prägnantere Fassung der kartesischen Auffassung der Methode und der analytischen Demonstration erweist, liegt chronologisch früher4® in Thomas Hobbes' „De corpore" eine Auffassung des Demonstrationsverfahrens vor, durch die einzelne Aspekte der Leibnizschen Auffassung der „mathesis universalis" und der Anwendung einer „mathematischen Methode" in der Philosophie vorweggenommen erscheinen. Wenn auch die entscheidenden Punkte bei Hobbes keine theoretische Vertiefung erfahren haben, seien sie hier kurz genannt. Vor allem einschneidend für die Auffassung der Methode wirkte, daß Hobbes die Demonstration, die er im Gegensatz zur scholastischen Tradition unter dem Titel der „Methode" behandelt44, wiederum in Anlehnung an dieselbe Tradition als einen oder eine Reihe von formallogischen Schlüssen behandelt und von ihrer Bezogenheit auf die geometrischräumliche oder eine an dieser orientierte intellektuelle Anschauung völlig löst. So führt Hobbes den Namen „άπόδειξις", den die Griechen, und den Namen „demonstratio", den die lateinischen Schriftsteller für das syllogistische Schließen aus wahren Prinzipien benutzt haben, darauf zurück, daß sie ursprünglich dazu 45

Die Erfassung v o n Hobbes „ D e corpore" erschien London i 6 j j .

44

Hobbes, „ D e corpore", I, cap. 6, 1 7 : „Proprium ergo demonstrationis methodicae est: I. U t omnis rationis series sit legitima, hoc est secundum syllogismorum leges supra traditas, II. U t singulorum syllogismorum praemissae prius demonstratae sint usque a definitionibus primis. III. U t procedatur post definitiones eadem methodo qua qui docet, ipsa quaeque invenerat" (in „Opera philosophia quae latine scripsit omnia", ed. Molesworth, Bd. 1, S. 77, London 1839). Hobbes gliedert noch vor der „Logik v o n P o r t - R o y a l " das erste Buch „ D e corpore" in eine Lehre v o n den N a m e n (Begriffen), v o m Satz (Urteil), Schluß und in eine Methodenlehre.

82

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

dienten, durch Beschreibung von Linien und Figuren die zu beweisenden Dinge gleichsam vor Augen zu stellen, was allein im eigentlichen Sinne ein ,,άποδεικνύειν" oder ein anschauliches Aufweisen sei. Der Grund dafür sei nicht darin gelegen, daß sie gemeint hätten, daß die Wahrheit ohne Figuren nicht zur Evidenz gebracht werden könne, sondern darin, daß sie keine wahrhaften Prinzipien gehabt hätten, aus denen sie formallogisch Folgerungen ableiten konnten45. Als Prinzipien, aus denen sich die Vordersätze aller demonstrativen Syllogismen herleiten müssen, läßt Hobbes nur Definitionen zu 4 '. Dies ist, neben der Loslösung des demonstrativischen Beweisganges von der Anschauung, die eigentümliche Wendung der Hobbeschen Demonstrationstheorie, die zugleich ihre Schwäche offenbart. Denn zwar unterscheidet Hobbes zwischen Definitionen, die durch Angabe der Ursache des Definierten zugleich auch dessen Möglichkeit ausweisen und solchen, die, unter keiner Ursache stehend, lediglich klare und vollkommene Vorstellungen oder Begriffe im Geiste des Hörers wecken sollen47 (Ausdehnung, Bewegung u. a.), doch ist nach Hobbes prinzipiell alles definierbar, so daß Definitionen schließlich nicht auf „primitive", nur anschauliche aufweisbare Vorstellungen und ihre Benennungen zurückführbar sind. Hobbes verlagert also die Schwierigkeit, auf dem Wege der Demonstration zu objektiv gültigen Aussagen zu gelangen, in die Aufstellung „richtiger" Definitionen, aus denen geschlossen wird, bietet für die „Richtigkeit" der Definitionen aber keine anderen Bestimmungen als diejenigen, die schon der aristotelischen Lehre von der Definition unterlagen. Im Hinblick auf Leibniz ist die — wenn auch vage — Verwandtschaft von Interesse, die für Hobbes zwischen der im formallogischen Schluß zum Ausdruck kommenden Verknüpfung von Begriffen und der Auffassung rationaler Erkenntnis als einer „Berechnung" des Verhält45

48

47

Hobbes, a. a. O., S. 7 6 — 7 7 , I, cap. 6, 16: „ N a m quod ad originem nominis attinet, etsi Graeci άποδείξνν, quam Latini ad verbum verteiltes demonstrationem appellaverunt pro ea ratiocinatione sola usurparunt, in qua descriptis certis lineis et figuris rem probandam ante oculos posuere, quod proprie est άποδεικνύειν, sive monstrare, tarnen ita fecisse ob eam causam videntur, quia praeterquam in geometria (in qua fere sola huiusmodi figuris locus est) circa alias res ratiocinationem certam et scientificam nullam, sed omnia controversiis clamoribusque plena esse animadvertissent". Hobbes, a . a . O . , S. 72: „Praeter definitiones, alia propositio nulla dicenda prima est, neque ergo si paulo severius agere volumus in numerum principiorum ascribenda est". Vgl. ebd., § 13, S. 71.

III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

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nisses von Begriffen besteht48, wobei die Addition mit der Zusammensetzung begrifflicher Merkmale, die Subtraktion mit der Verallgemeinerung von der Species zum Genus in Parallele gesetzt wird. So oberflächlich die Hobbessche Bestimmung dieser Analogie bleibt, mag sie dennoch zu der Verwirrung beigetragen haben, die noch in den Lehren von Leibniz und Wolff das Verhältnis von Gattungs- und Artbegriff einerseits und einfachen und zusammengesetzten Begriffen andererseits kennzeichnet49. Daß die von der „Logik von Port Royal" geprägte und verbreitete Auffassung von Analyse und Synthese keineswegs ein Allgemeingut des frühen Kartesianismus war, zeigt schon die „Logica vetus et nova" des Johannes Clauberg50, die eine Entgegensetzung von „analytisch" und „genetisch" zur Bezeichnung der Teile der Logik einführt, weldie nicht zusammenstimmt mit der auf die Tradition der geometrischen Methodenauffassung zurückgehenden Unterscheidung von Analyse und Synthese. Während die „Logica genetica" der „Erfindung" (inventio) und „Darstellung" (expositio) unserer eigenen Gedanken dient, liefert die „Logica analytica" die methodischen Mittel zur Prüfung der Gedanken anderer. Unter diesen Gesichtspunkten wird der Gehalt der Lehre von den „tres operationes mentis" in beiden Teilen dieser Logik behandelt (Begriff, Urteil, Schlüß), wie auch ein analytisches und synthetisches Vorgehen im Sinne der „Logik von Port-Royal" in beiden Teilen der Claubergschen Logik abgehandelt51. Den Ausdrude „analytisch" gebraucht Clauberg 48

Ebd., I, § 2, S. 3 : „ P e r ratiocinationem autem intelligo computationem. Computare vero est plurium rerum simul additarum summam colligere, vel una re ab alia detracta, cognoscere residuum".

49

V g l . unten S. 1 0 6 / 1 0 7 .

50

Die L o g i k von Clauberg stammt aus dem Jahre 1 6 5 6 . Hier zitiert in philosophica omnia", ed. Schalbruchii, Amsterdam 1 6 9 1 .

51

Ebd., S . 7 8 0 : „ N e m p e Logica genetica ducens intellectum ad rectam formationem suarum cogitationum, dirigit eum vel ad ipsum, ut ipse quidvis rite cognoscat, vel ad alios, seu, cognita cum aliis apte communicet. Prior pars tantum comparata est ad id, ut regatur sermo internus seu cogitatio: posterior insuper formare debet sermonem externum seu orationem, quae cogitationis est interpres". A u d i die „ L o g i c a analytica" zerfällt nach Clauberg in eine „pars prior" und eine „pars posterior", ebd., S. 7 8 1 : „ A n a l y t i c a dirigit mentem in resolutione eorum quae composita sunt, primo, ut intelligamus, quaenam illa sint, sive, ut verum sensum cognoscamus externi sermonis: deinde, ut pereipiamus, an talia sint, qualia esse debent, sive, ut verum a falso, consequens ab inconsequente, etc. in sermone interno dignoscamus. H i n c duae sunt eius partes, quarum prior Geneticae posteriori, posterior priori inprimis respondet, secundum illud effatum: quod primum in genesi, ultimum est in analysi".

„Opera

84

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

nicht mehr, der kartesischen L e h r e entsprechend, z u r Bezeichnung der M e t h o d e d e r E r f i n d u n g , die den eigentlichen G e g e n s t a n d d e r „ L o g i c a g e n e t i c a " bildet 5 8 . D i e V e r b i n d u n g des A u s d r u c k s „inventio"

„Analyse"

b e s t e h t bei C l a u b e r g nicht. D e m e n t s p r e c h e n d

mit

finden

der sich

n o c h i m späteren K a r t e s i a n i s m u s , w i e bei L e i b n i z u n d W o l f f , A u f f a s sungen, die s o w o h l die A n a l y s e , w i e auch die S y n t h e s e , w e n n auch bisw e i l e n in d i f f e r e n z i e r t e r V e r w e n d u n g , s o w o h l als M e t h o d e n d e r

Er-

53

kenntnis (inventio) w i e der L e h r e (doctrina, expositio) begreifen . F ü r die W e i t e r e n t w i c k l u n g des G e d a n k e n s einer „mathesis u n i v e r salis" sind z w e i heute w e n i g beachtete Schriftsteller v o n Interesse, die, beide

wie

auf

C h r i s t i a n W o l f f g e w i r k t haben. E s sind E r h a r d W e i g e l in J e n a

akademische

Lehrer

von

Leibniz,

sowohl

auf

diesen

und

J o h a n n C h r i s t o p h S t u r m in A l t d o r f 5 4 . Z w a r haben die Theorien beider hinsichtlich der v o n ihnen behaupteten I d e n t i t ä t v o n mathematischer u n d philosophischer

Methode

eher

einen

emphatisch-programmatischen

C h a r a k t e r , als daß bei i h n e n m i t b e g r i f f l i c h e r S c h ä r f e die h i e r liegenden Probleme

in

Angriff

genommen

worden

wären.

Nichtsdestoweniger

d ü r f t e die Zielsetzung, die der Leibnizschen u n d der W o l f f s c h e n T h e o r i e der M e t h o d e unterlag, durch sie beeinflußt w o r d e n sein. M

53 54

Vgl. ebd., S. 780: „In Logica genetica mens versatur circa proprias cogitationes: in Analytica circa alienas: ibi formandae, hic formatae respiciuntur cogitationes". Die Auseinandersetzung zwischen der älteren, an der Theorie der geometrischen Analyse orientierten Unterscheidung von Analyse und Synthese und der im späteren Kartesianismus vorfindlichen zeigt sidi ζ. B. bei Röthenbeck, Paul Georg, „Logica vetus et nova", Frankfurt und Leipzig 1703, die nach J . Bohatec („Die cartesianische Scholastik in der Philosophie und reformierten Dogmatik des 17. Jahrhunderts", Leipzig 1 9 1 2 , S. 99)" unstreitig die bedeutendste und ausführlichste Logik der cartesianisdien Scholastik" ist, S . 7 9 , pars III, cap. 1 2 : „ Q u a e . . . est methodi divisio? Decantatissima illa in syntheticam sive compositionis, et analyticam sive resolutionis. A non paucis quidem haec divisio, ut Subdivisio Methodi Doctrinae sive Didacticae consideratur: sed latius eam patere, et pro immediata Methodi divisione valere posse, vel inde constat; quod inventionis Methodus in analyticam et syntheticam dividi queat; quandoquidem inventio nostra a principiis ad principiata (et sic synthetice), interdum contra a principiatis ad principia (et sie analytice) procedit". Vgl. die voranstehende Anmerkung. Leibniz hatte sowohl Erhard Weigel (1625—99, Prof. in Jena) als auch Joh. Christoph Sturm (1635—1703, Prof. in Altdorf), die er beide häufig zitiert, in seiner Jenaer und Altdorf er Studienzeit gehört. Von Weigel vgl. vor allem: „De natura Logicae", Jena „Analysis aristotelica ex Euclide restituta", Jena i6$8, audi unter dem Titel „Idea totius Encyclopaediae Mathematico-Philosophicae", Jena 1 6 7 1 , „Idea Matheseos universae", Jena 1669 und „Compendium Logisticae", Jena 1706. Von Sturm vor allem „Universalia Euclidea", Hagae Comm. 1661, „Mathesis enucleata", Nürnberg 1689.

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

85

In den Vordergrund des Weigelschen Interesse tritt der Gedanke einer Reform der Logik, die nicht nur, wie die scholastisch-aristotelische, ein brauchbares Instrument „in interpretatione textuum, expositione et perspicua propositione Veritatis iam inventae" 55 ist, sondern der Gewinnung neuer Erkenntnis dienlich sei. Das Mittel dazu sieht Weigel in einer Verallgemeinerung des Verfahrens der geometrischen Analyse, die nach seiner Auffassung auch das treibende Motiv für die Entwicklung der Logik und Beweistheorie durch Aristoteles gewesen sei, ohne daß es diesem gelungen wäre, die Logik zu einem brauchbaren Instrument der Erfindung zu machen5'. So versucht Weigel, auf diesem Wege besser voranzukommen, indem er meint, daß nur eine Analyse der in den mathematischen Wissenschaften auftretenden Schlußweisen zu einer Einsicht in die Notwendigkeit des demonstrativen Schlusses führt". Wichtig ist weiterhin, daß Weigel, hier das Verhältnis von „cognitio philosophica" und „cognitio mathematica" bei Wolff vorwegnehmend, in der mathematischen Erkenntnis die höchste Form der philosophischen Erkenntnis sieht, zumindest soweit sie Erkenntnis des Endlichen ist. Die beiden von ihm 55

M

57

Weigel, E., „Philosophia Mathematica, Universae Artis inveniendi prima Stamina complectens", Jena 1693, Praef, ad Lectorem: „Equidem Logica Artem inveniendi veritatem in ipso profitetur frontispicio. Sed, si earn evolvas, nullum offendes placitum, quod hue queat trahi. I m o medium ab ipsa praescriptum, Syllogismus nempe, inventioni veritatis obest penitus; quod tristis tot saeculorum experientia, in quibus medio hoc falso credito ne unica quidem Veritas est detecta, abunde probat. N e q u e tarnen ob id Logicam penitus volumus reiectam, aut quicquam detractum debitis eius laudibus. Est sane in interpretatione textuum, expositione, et perspicua propositione Veritatis iam inventae, haud contemnendus eius usus". Weigel, E., „Analysis aristotelica ex Euclide restituta", Jena 1658, S. 6, § 14: „Et ut tum temporis solos Geometras άναλύειν, i. e. causas et prineipia propositionum indagare, neque prius inquirendo desinere, quam ad primam causam et ultima ac immediata prineipia sit deventum, observavit, eaque αναλύσει profundissimam mathematum scientiam e Naturae penetralibus feliciter erutam intellexit Aristoteles, ipse ut idem, quae singularis eius fuit sagacitas, obtineret in omnibus, facta mathematicarum rerum άναλύσει quasi physica, geometricam hanc άνάλυσιυ penitius inspexit, atque ita ex speciali generalem, h. e. logicam effecit". V g l . Weigel, E., „Philosophia mathematica", Praef, ad. Lectorem: „Mathesis in suo ambitu spectata, non est diseiplina distineta de Philosophia; sed apicem summum omnium eius partium constituit". Ebd., S. 1 : „Mathesis habitus est practicus essentiarum finitarum rationes primas, (ut elementares) et ex his compositas, adeoque rerum quarumeunque causas, constitutiones et effectus, ex se mutuo per computationem eruendi, constitutas res exaete resolvendi, et interius determinate cognoscendi, eas imitandi, et ad nova quaevis alia, nobis concessa, nobis possibilia, constituenda sapienter applicandi". Ebd. S. 5: „Finitatis v o x id obiter designat, quod v o x Quantitatis exaete et determinate dicit", S. 4: „Finitudo autem haec determinate cogitata, certa, definitiva, Quantitas vocatur; definire autem et de-

86

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

unterschiedenen „modi cogitandi de finitis rebus"58 greifen seine Unterscheidung der aristotelisch-scholastischen Logik als einer „ars expositionis" und einer auf die mathematische Erkenntnis ausgerichteten „ars inveniendi" wieder auf 59 . Doch bleibt dahingestellt, welcher Art von Kalkülsprache sich der „logisticus et productivus modus cogitandi" im Gegensatz zu dem sich der natürlichen Sprache bedienenden „logicus et praedicamentalis modus"60 bedienen soll. Des weiteren bleibt bei Weigel das Verhältnis ungeklärt, das zwischen der von ihm erstrebten Verallgemeinerung der geometrischen Analyse und der mehr auf die Arithmetik und Algebra, für die er den Namen einer „Pantometria" prägt 61 , ausgerichteten „Ars inveniendi" besteht. Während bei Weigel das Verhältnis einer an der Arithmetik und Algebra zu einer an der Theorie der geometrischen Analyse orientierten Methodenlehre ungeklärt bleibt, beschränkt sich Sturm auf die Hervorhebung des Allgemeinheitscharakters der im 5. Buche Euklids dargestellten Proportionslehre62. Sein Grundgedanke ist, daß die euklidischen Sätze des j. Buches der „Elemente" nicht nur als Aussagen über räumliche Größenverhältnisse und Zahlenproportionen aufzufassen sind, sondern Aussagen über alles Quantitative machen. Weil nun, was vom

58

59 60 61

62

terminare Quanta, uno verbo aestimare, computare dicitur." Z u r Zurückführung der im demonstrativen Sdiluß enthaltenen Denknotwendigkeit auf diejenige, derer sich die mathematische Analyse bedient, vgl. Weigel, „Analysis Aristotelica ex Euclide restituta", S. 7, w o Weigel meint, man könne „mathematicarum disciplinarum penetralia penitius introspiciendo, facta eorum αναλύσει, quaenam sit άνάγκη verarum demonstrationum ab Aristotele praescripta clarius explicare". Weigel, E., „Philosophia Mathematica", S. 7 : „Logicus et praedicamentalis modus: quo sensibus exposita, vel alia quaecunque, quae vel per se patent, vel quae nobis recensita sunt historice, aut quae praescripta sunt civiliter h. e. mandata, imperata, ut a nobis fiant aut credantur, omnium clarissime, (in casu recto) dici, et quaecunque alias obscure dicta sunt, opinabiliter exponi, explicari, declarari et interpretando commentando, commendando, aliis vel stupidis insinuari sine computatione possunt. Quem intelligendi, non agendi modum unice ac unice post Aristotelem in Scholis . . . excoluimus. Logisticus et productivus modus est, quo ex praecognitis aut positis et recensitis certis veritatibus, ignotas et desideratas veritates sciscitari, inde ut ex rationibus et causis cognoscendi deducibiles eruere, producere (quod vulgo computare dicitur) et erutas peculiari modo, (nempe operation! productivae congruo) succincte dicere et casibus obliquis designare". V g l . Anmerkung 58 oben. V g l . oben Anm. 58. Weigel, „Philosophia Mathematica", praef. ad Lect.: immutavimus Arithmeticae et Geometriae nomina, illam Pantometriam, hanc Archimetriam salutantes". Der Untertitel der „Universalia Euclidea" v o n Sturm lautet „Liber Quintus Euclidis universalissimis inque omni entium genere veris demonstrationibus confirmatus".

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Quantitativen gilt, auch v o m Qualitativen gelten müsse, seien die Aussagen der euklidischen Proportionslehre als Aussagen über alle Arten des Seins zu verstehen. Aus diesem Grund behauptet Sturm die Identität der Erkenntnis- und Lehrmethode in Mathematik und Philosophie 63 . Der Ansatz von Sturm besteht darin, daß er eine verallgemeinerte und erweiterte euklidische Proportionslehre, die er in einer Reihe von Axiomen formuliert 84 , zu einer Grundwissenschaft, einer „mathesis generalis", erheben will, deren Aussagen nicht nur die grundlegenden Axiome aller wissenschaftlichen Erkenntnis sind, sondern zugleich auch die Schlußregeln angeben, nach denen ein wissenschaftlicher Beweis geführt werden kann 65 . Weniger durch die Ausführung dieser Neufassung des j . Buches der Euklidischen Elemente, als vielmehr durch die Richtung, welche die Versuche Sturms wie auch Weigels der späteren Entwicklung der Theorie der Methode durch Leibniz und Wolff vermittelten, sind sie historisch von Interesse. Dahingegen treten, überschaut man die Entwicklung der Auffassung der „mathematischen Methode" und der gleichzeitigen Herausbildung des Gedankens einer „mathesis universalis", zwei Autoren in den Hintergrund, von denen auf Grund der Thematik ihrer Untersuchungen bzw. der methodischen Form, die sie ihren Theorien gaben, am ehesten eine weitere Aufhellung des in Anlehnung an die mathematische Wissenschaft konzipierten methodischen Grundmodelles zu erwarten wäre: Malebranche und Spinoza. "

S o meint Sturm, „Universalia E u c l i d e a " , Praef., „ea omnia quae de analogiis et proportionibus sciri possunt, quamvis hactenus non nisi de mathematicis rebus demonstrata, atque ideo ad mathesin quoque spectare judicata sint, mere metaphysica esse et ex principiis mere metaphysicis dimanare". Auch das syllogistische Schließen fällt, allgemein bestimmt als „illatio unius effati ex aliis praesuppositis" unter die in einer Proportionslehre axiomatisch anzugebenden Sdilußregeln (vgl. nächste Anmerkung). V g l . ebd. „eadem quae de quantis vera sunt, de qualibus quoque demonstrare sumus ausi", S. 60: „universalster de omni ente demonstravimus quae Euclides de magnitudinibus et numeris tantum confirmat".

64

A l s A x i o m e führte Sturm z . B . an: „ T o t u m est maius singulis suis partibus", „si ab aequalibus aequalia auferas, quae remanent sunt aequalia", „ S i A = B et A = C , sequitur B = C " , „ S i A = B et B = C , sequitur A = C " , „ S i unum alii non est aequale, erit vel maius vel minus", „ S i A / B = C / D , sequitur B / A = D / C " .

85

Den Zusammenhang zwischen methodischer Regel und axiomatischer Grundaussage hebt audi Daniel Lipstorp, „Specimina Philosophiae Cartesianae", Leiden 1 6 5 3 , S. 1 8 , Descartes aus dem „Discours de la Methode" zitierend, hervor: „Quippe cum a simplicissimis et maxime generalibus incepissem, ordinemque deinceps observarem, singulae veritates, quas inveniebam, r e g u 1 a e erant, quibus postea utebar ad alias difficiliores investigandas".

88

III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

Die Methodenlehre von Malebranche, die einen Teil seines Hauptwerkes, der „Redierche de la Verite" bildet'", ist in den wesentlichen Punkten eine Wiederaufnahme der kartesischen, ohne daß deren Beziehung zu einer mittels einer Kalkülsprache operierenden mathematischen Grundwissenschaft, einer „mathesis universalis", die den eigentlich interessanten Blickpunkt der kartesischen Methodenlehre ausmachte, bei Malebranche eine theoretische Beachtung, geschweige eine Bearbeitung erfahren hätte. Die „Recherche" ist vor allem ausgerichtet auf die psychologischen Bedingungen der Wahrheitsfindung, wie auch die Geometrie, die Malebranche als die analytische Descartes', bei einer sehr beschränkten Bewunderung für Euklid" 7 , im Auge hat, als ein propädeutisches Mittel empfunden wird, das in der Erkenntnis des Räumlichen die Aufmerksamkeit schärft und der Einbildungskraft zur Regel dient'8. Die beiden Zielsetzungen, die Descartes für eine Anwendung der „Methode" aufstellte, „ad omnium cognitionem pervenire" und „nihil nimirum falsum pro vero supponere", finden bei Malebranche, dessen Blickpunkt nicht die größtmögliche Vollkommenheit einer wissenschaftlichen Methodik, sondern die Befangenheit des Menschen in Irrtum und Unvermögen ist, eine betonte Ausrichtung auf die letztere der beiden kartesischen Zielsetzungen. So erscheinen auch die Arithmetik und die Algebra in der „Recherche de la Verite", die auf die stufenweise Ausschließung aller Quellen des Irrtums angelegt ist, als Abbreviaturen von Vorstellungsreihen, die mit ihrer Hilfe der aufmerksamen Betrachtung zugänglich werden". Dementsprechend ist die Malebranchische Position, auch wegen ihrer eigentümlichen Ausrichtung auf eine philosophische Heilslehre, unergiebig für eine stärkere Durchleuchtung des kartesischen Verhältnisses von wissenschaftlicher Methodik und Malebrandie, Nicole ( 1 6 3 8 — 1 7 1 $ ) , „De la Recherche de la Virite oü l'on traite de la nature de l'esprit de l'homme et de l'usage qu'il doit faire pour iviter l'erreur dans les sciences", Paris 1 6 7 4 — 7 5 . Hier zitierte Ausgabe Paris 1962—64, in der „Bibliotheque des Textes philosophiques", ed. Genevieve Rodis-Lewis. 67 Ebd., 2. Buch, 2. Teil, Kap. 6. M Ebd., 6. Buch, 1. Teil, Kap. $ (im 2. Bd. der Ausgabe), S. 2 7 8 : „On doit done regarder la Geometrie comme une espece de science universelle, qui ouvre l'esprit. qui le rend attentif, et qui lui donne l'adresse de ^ g l e r son imagination, et d'en tirer tout le secours qu'il en peut recevoir". *· Ebd., S. 286: „Ces sciences apprennent le moyen d'abriger de teile sorte les idies, et de les considirer dans un tel ordre, qu'encore que l'esprit ait peu d'itendue, il est capable par le secours de ces sciences, de dέcouvrir des viritis tr^s-composies et qui paroissent d'abord incomprihensibles".

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

89

„mathesis universalis", und wir sind weit entfernt von einer Auffassung dieser als einer „clavis omnium liberalium artium et scientiarum" und eines „lapis Lydius", als welche Daniel Lipstorp sie in seinen „Specimina Philosophiae Cartesianae" (1653) 70 bezeichnet. Mit dieser Position, welche das menschliche Erkenntnisvermögen unter dem Blickwinkel seiner Beschränktheit und Endlichkeit sieht, nimmt Malebranche die Gegenposition zu Spinoza ein, dessen „Ethica, ordine geometrico demonstrata" 71 , die mathematische Methode zur Darstellung einer philosophischen Theorie benutzt. Die Anwendung der — im Sprachgebrauch der Logik von PortRoyal — „synthetischen" Methode, die der Herausgeber von Spinozas „Prinzipien der kartesischen Philosophie", Ludwig Meyer, als die Methode der Darstellung (expositio) und der Untersuchung (indagatio) bezeichnet72, ist eine äußerlich-expositorische, derer sich Spinoza für die Entfaltung des Gottesgedankens bedient. Sie spiegelt die Notwendigkeit wieder, mit der die Idee eines jeden Dinges das Wesen Gottes involviert und sich aus ihm herleitet". Spinoza selbst hat seine Auffassung der analytischen und synthetischen Methode in Erkenntnis und Darstellung der Wahrheit nie näher erläutert. Der „Tractatus de Intellectus Emendatione"74 hebt nachdrücklich die Wichtigkeit der Aufstellung einer „definitio vera et legitima" hervor, die in der Wiedergabe der klaren und deutlichen Idee einer „essentia particularis affirmativa" besteht75. 70

71

72

Danielis Lipstorpii „Specimina Philosophiae Cartesianae", Leiden 1653, Pars prima: De Certitudine Philosophiae Cartesianae, S. 8. Spinoza, B., (1632—77) „Renati Des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I, et II, More Geometrico Demonstratae", Amsterdam 1663, „Ethica, ordine geometrico demonstrata, in „Opera posthuma", Amsterdam 1677. Meyer, L. in Spinoza, „R. Des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I, et II", Vorrede: „Mathematicorum in Scientiis investigandis, ac tradendis Methodum, qua nempe ex Definitionibus, Postulatis atque Axiomatibus Conclusiones demonstrantur, optimam esse tutissimamque veritatis indagandae atque docendae viam, omnium qui supra vulgum sapere volunt, unanimis est sententia", ed. Gebhardt, I, S. 127.

7S

Spinoza, „Ethica", II, Prop. XLV: „Unaquaeque cuiuscunque corporis, vel rei singularis actu existentis, idea Dei aeternam et infinitam essentiam necessario involvit", zit. nach Spinoza, Opera, ed. C. Gebhardt, Heidelberg, 1924, Bd. 2, S. 127.

74

Spinoza, „Tractatus de Intellectus Emendatione", in „Opera posthuma", Amsterdam 1677 erschienen, im Bd. 2 der Gebhardtsdien Ausgabe S. j—40. Spinoza, B. de, „De intellectus emendatione", in „Opera", ed. Gebhardt, Bd. 2, S. 34: „Optima conclusio erit depromenda ab essentia aliqua particulari affirmativa, sive a vera et legitima definitione".

75

90

III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

Das erklärte Ziel der Methode ist es nach Spinoza, alle vom reinen Denken erfaßten und auf klare und deutliche Begriffe gebrachten Ideen auf eine einzige zurückzuführen und sie andererseits so miteinander zu verbinden und zu ordnen, daß unser Geist, soweit er es vermag, die wahre Struktur der Natur in ihrer Gesamtheit und ihren Teilen reproduziert 76 . Im Hintergrunde des Verhältnisses von „idea simplex" und „idea composita" steht die kartesische Lehre des Verhältnisses von „intuitio" und „deductio" 77 , wobei der einschneidende und die kartesische Tradition durchbrechende Schritt von Spinoza darin besteht, daß er die geometrisch-räumliche Anschauung explizit von der intellektuellen Intuition der „essentiae particulares" unterscheidet. Diese erst von Spinoza eingebrachte Unterscheidung dürfte zu der Lösung der „mathematischen Methode" von einer der geometrischen gleichartigen Intuition geführt haben, wie sie in der Folgezeit audi bei Leibniz und Wolff zu beobachten ist. Der entscheidende Punkt „in conditionibus bonae definitionis cognoscendae" liegt in der — in ihrer expliziten Formulierung in der Logik von Port-Royal vorliegenden — Bestimmung 78 , daß die Falschheit einer Aussage dadurch bedingt sei, daß das Prädikat nicht in dem von uns gebildeten Subjektsbegriff enthalten sei79. Diese Festsetzung wird von Spinoza audi auf alle „kontingenten" Aussagen ausgedehnt, sofern in ihnen das Prädikat als eine notwendig mögliche Bestimmung des Subjektbegriffes erkannt wird 80 . Wie überall dort, wo den Definitionen ein axiomatischer Charakter beigelegt wird 81 , d. h. wo sie als selbstevidente und unbeweisbare Aus76

77

78 79 80

81

Ebd.: „Omnes ideae ad unam ut redigantur, conabimur eas tali modo concatenare, et ordinäre, ut mens nostra, quoad eius fieri potest, referat objective formalitatem naturae, quoad totam, et quoad eius partes". Ebd. S. 2 7 : „Falsitas in hoc solo consistit, quod aliquid de aliqua re affirmetur, quod in ipsius, quem formavimus, conceptu, non continetur, ut motus, vel quies de semicirculo. Unde sequitur simplices cogitationes non posse non esse veras, ut simplex semicirculi, motus, quantitatis etc. idea". Vgl. S. 16: „Ideae, quae sunt clarae et distinctae, nunquam possunt esse falsae: N a m ideae rerum, quae clare et distincte concipiuntur, sunt vel simplicissimae, vel compositae ex ideis simplicissimis, id est, a simplicissimis ideis deductae. Quod vero idea simplicissima non queat esse falsa, poterit unusquisque videre, modo sciat, quid sit verum, sive intellectus, et simul quid falsum." Vgl. oben S. 78. Vgl. oben Anmerkung 77. Vgl. Spinoza, „Ethica", II, Prop. X L I V : „De natura Rationis non est, res ut contingentes, sed ut necessarias contemplari" ed. Gebhardt, II, S. 125. Vgl. oben S. 79.

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

91

sagen charakterisiert werden, treten sie als Prinzipien auf, aus denen nicht nur auf schon Bekanntes, sondern auch auf die „veritates nondum cognitas" geschlossen werden kann. So heißt es audi bei Spinoza, für den die Definitionen, obschon in ihrer Benennungsfunktion willkürlich, die objektiven Wesenheiten der Dinge zu erfassen haben: „recta inveniendi via est ex data aliqua definitione cogitationes formare: quod eo felicius et facilius procedet, quo rem aliquam melius definiverimus" 82 . Wie bei Hobbes verlagert sich die Schwierigkeit, auf dem Wege der synthetischen Demonstration zu neuer Erkenntnis zu gelangen, in die Aufstellung der Definitionen, die dieser zugrunde liegen83, wie bei Hobbes liegt der Kernpunkt des Problems in der Angabe formaler Kriterien, die eine Definition als eine „vera et legitima" erweisen, nur daß Spinoza, im Gegensatz zu Hobbes, der das alleinige Mittel der Demonstration in der Anwendung formal-logischer Schlüsse sah, die Demonstration „ordine geometrico" nicht als eine formal-logisch schließende auffaßt, sondern als die sprachliche Kodifizierung eines sich an den notwendigen Verknüpfungen der Ideen orientierenden Beweisganges, der sich in einer intellektuellen Anschauung der Gehalte dieser Ideen vollzieht. Diese intellektuelle Anschauung aber, die sich für Spinoza dadurch von anderen Weisen des Vorstellens unterscheidet, daß sie das durch sie Vorgestellte als ein Denknotwendiges aufzwingt, indem sie sich zugleich intuitiv der Unmöglichkeit des Gegenteils vergewissert 84 , verbürgt die objektive Wahrheit der Idee. So bleibt dafür, daß die in einer Definition bestimmte Vorstellung eine „realitas objectiva" besitzt, lediglich die spinozistische Regel, daß das Wahre „index sui", N o r m seiner selbst sei, w o f ü r die Entfaltung des Gottesgedankens das methodische Vorbild ist: „perfectissima ea erit methodus, quae ad datae ideae Entis perfectissimi normam ostendit, quomodo mens sit dirigenda" 85 . Weder die philosophische Lehre von Malebranche, für welche die Theorie und Anwendung der Methode Mittel sind, der Befangenheit des Menschen in Irrtum und Schein entgegenzuwirken, noch diejenige Spinozas, f ü r welche die Methode nur der erkennende Nachvollzug einer 82

Spinoza, „De intellectus emendatione", a. a. O., S. 34.

83

Vgl. oben S. 82.

84

Dies geht aus Spinoza, „De Emendatione Intellectus", a. a. O. S. 26, hervor, wo Spinoza formuliert, daß eine absolut einfädle Idee nidit falsdi sein kann, vorausgesetzt, daß man weiß, was das Wahre und was das Falsche ist. Vgl. A n merkung 77.

85

Spinoza, „De Intellectus Emendatione", a. a. O., S. 16.

92

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Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

Gott, den Menschen und die Natur umgreifenden „universitas ordinata" ist, bieten wesentliche Ansatzpunkte, die für die Weiterentwicklung einer am Modell der mathematischen Erkenntnis orientierten, wissenschaftlichen und auf alle Gebiete der Philosophie anwendbaren Methodik für die folgenden philosophischen Theorien der Methode relevant geworden wären". Doch sind sie gleichsam zwei entgegengesetzte, extreme Fassungen einer auf die Theorie der geometrischen Methode ausgerichteten, und auf die jeweiligen philosophischen Lehren angewandten Erkenntnistheorie. In beiden Fällen fehlt eine theoretische Erörterung des Verhältnisses einer auf die räumliche oder intellektuelle Anschauung bezogenen Beweisführung und einer formallogiscii schließenden oder mittels einer Kalkülsprache operierenden Demonstration. Nur in der letzteren, der Kalkülisierung des geometrischen Beweisganges, lag für Descartes der Ausweis einer „mathesis universalis" als einer „ars inveniendi". Eben diese, die Erfindungskunst, welche die Mittel zur Herleitung neuer Erkenntnis bereitstellen sollte, bildete im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur die Zielsetzung für eine „Logica nova" 87 , sondern auch die treibende Kraft einer auf die mathematische Erkenntnis ausgerichteten Fortbildung der Erkenntnislehre. Die „Erfindungskunst" oder „ars inveniendi" ist nun der Gegenstand eines Werkes, in dem weit mehr als in den Lehren von Malebranche und Spinoza wesentliche Bestimmungen der Leibnizschen wie der Wolffschen Theorie der Methode vorweggenommen bzw. in geraffter Form die für die Theorien jener relevante Thematik erfaßt ist. Es ist die „Medicina

8

* V g l . Leibniz, „Briefwechsel mit Mathematikern", ed. Gerh. Berlin 1 8 9 9 , B d . 1 , S. 380, der in einem Brief von 1 6 7 8 den Hinweis von Tschirnhaus auf den in den „ O p e r a posthuma" v o n Spinoza, die soeben erschienen waren, enthaltenen „ T r a c t a tus de Emendatione intellectus" mit den Worten abtut: „ubi ego maxime aliquid expectabam, ibi desinit". Wenn auch nicht im Hinblidk auf die Methodenlehre, so dürften dennoch andere Punkte v o n Malebrandies und Spinozas Theorie auf die Lehre von Leibniz v o n Einfluß gewesen sein, wie die v o n Malebranche in der ursprünglich dem 2. Bd. der „Recherche" vorangestellten „ P r e f a c e contre le L i v r e de F o u c h e r " gebrauchte Unterscheidung v o n „verites necessaires" und „verites c o n tingentes", die Leibniz später im gleichen Sinne w i e d e r a u f n i m m t (vgl. Malebranche, a. a. O., Bd. 2 , S. 4 8 6 ) oder die in der schrittweisen E n t f a l t u n g eines Grundgedankens, des Gottesbegriffes, bestehende Systemauffassung Spinozas.

87

V g l . Heimsoeth, a. a. O., S. 2 0 2 / 3 : „ D i e Erfindungskunst w a r das K a m p f w o r t seit der Renaissance. Durch ihre Forschungsleistung sollte die neue „ M e t h o d e " sich auszeichnen v o r der traditionellen Logik, die bloß als Organon f ü r Beweis und Darstellung schon gefundener Wahrheiten zu brauchen sei".

III

Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

93

Mentis sive Artis inveniendi Praecepta Generalia" von Tschirnhaus89. Während die Abhängigkeit Wolffs von Tschirnhaus aus Wolffs Biographie zu belegen ist89, ist die Wirkung auf Leibniz zweifelhaft. Das Werk wurde von Tschirnhaus konzipiert im Briefwechsel mit Leibniz, sowie im persönlichen Gespräch während des gemeinsamen Parisaufenthaltes 1 6 7 2 — 1 6 j 6 m . Neben einer Reihe gemeinsamer Punkte, die auf der von beiden Autoren geteilten Uberzeugung beruhen, daß es möglich sei, „in rebus philosophicis ad veritates incognitas indagandas eadem ratione calculo uti simili Algebraico" 91 , treten hier schon die Differenzen hervor, welche die spätere Auffassung beider Autoren prägen, indem sich der Blick von Leibniz auf die Characteristica combinatoria als eine Kalkülsprache richtet, wohingegen Tschirnhaus, den Weg Descartes' nachvollziehend, nadi einer anfänglichen Bemühung um eine Verallgemeinerung der Algebra, die für ihn bestimmend bleibt, in der Annahme der Möglichkeit einer auf alle Erkenntnisgegenstände anwendbaren Methode der Erfindung, schließlich bei der Formulierung seiner „Medicina Mentis" sich mehr an die Methode der Geometrie anlehnt92. Zielsetzung dieses Werkes ist die Darstellung der Grundgedanken einer „scientia generalis", „cuius ope quilibet ea probe instructus non solum quicquid in Mathesi datur occulti, sed omne etiam incognitum, sub intellectum cadens, certa et constanti methodo certo in lucem potis est deducere" 93 .Die Anwendbarkeit dieser „ars inveniendi" auf nichtmathematische Gedankengehalte wird zwar programmatisch und emp88

Tsdiirnhaus, Ehrenfried Walter v . ( 1 6 5 1 — 1 7 0 8 ) , „Medicina Mentis et Corporis", 1. A u s g . Amsterdam 1 6 8 7 , 2. A u s g . Leipzig 1 6 9 5 (letztere w i r d hier benutzt). D e r Titel einer „Medicina mentis" wurde auch sonst zur Bezeichnung einer L o g i k und Erkenntnislehre benutzt, z . B . 1 7 0 4 von Joachim Lange, 1 7 1 j von J . W . Feverlin, 1 7 2 8 von Mich. Gottl. Hansch. Z u r Benennung als „Medicina Mentis" vgl. auch Clauberg, J o h . „Logica vetus et n o v a " in „ O p e r a omnia", Amsterdam 1 6 9 1 , S. 7 7 0 : „ M o r b i animi sunt errores, dubitatio et reliquae supra enarratae imperfectiones, quibus ut medicina paretur, Logica inventa f u i t . "

8,1

V g l . unten S. 1 2 9 .

m

V g l . Leibniz, „Briefwechsel mit Mathematikern", a. a. O., S. 3 7 0 — 3 9 6 .

M

Ebenda, S . 3 7 0 .

"

S o stellt Tschirnhaus, nachdem er schon 1 6 7 8 die Aufstellung von geeigneten R e a l definitionen als eine Voraussetzung f ü r einen in den philosophischen Wissenschaften verwendbaren K a l k ü l Leibniz gegenüber bezeichnet hatte, seine Lehre im zweiten Teil der „Medicina Mentis", S . 1 5 9 ff., dar als einen Kommentar zu Descartes' 4 Regeln aus dem „Discours", wobei Tschirnhaus die Definitionslehre und A u f f a s s u n g der A x i o m e in den Vordergrund stellt.

85

Tschirnhaus, a. a. O., P r a e f . ad Lectorem.

94

III

Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

hatisch v o n Tschirnhaus behauptet 9 4 , jedoch k a u m an Beispielen

er-

läutert. Seine D a r l e g u n g bleibt v i e l m e h r wesentlich beschränkt auf eine T h e o r i e der in der M a t h e m a t i k a n g e w a n d t e n E r k e n n t n i s m e t h o d e , die als solche allerdings eigentümliche Z ü g e aufweist. E i n i g mit L e i b n i z ' K r i t i k a m kartesischen Wahrheitskriterium

der

Klarheit und Deutlichkeit 9 5 , sucht auch Tschirnhaus nach einem „signum . . ope cuius v e r u m a falso sine errore potest d i g n o s c i " " . E r findet es, hier einen Terminus v o r w e g n e h m e n d , den L a m b e r t später in ähnlicher Weise v e r w e n d e n w i r d , in der „ G e d e n k b a r k e i t " (cogitabilitas) des B e haupteten 9 7 . D a s W a h r e macht sich dadurch kenntlich, daß es „ g e d a c h t " werden kann, wohingegen das Falsche dadurch erkennbar als Falsches ist, daß es nicht „ g e d a c h t " werden kann. Allein die Erläuterung dieser Bestimmung ist interessant: D i e W a h r h e i t des E r k a n n t e n leuchtet ein mittels der Unmöglichkeit der Vorstellung des Gegenteils 98 . Dieser A u f fassung unterliegt, ohne daß Tschirnhaus diese M o t i v a t i o n z u m Ausdruck bringt, eine Betrachtung des Notwendigkeitscharakters der geometrischen Axiome 9 9 . S o weist Tschirnhaus audi d a r a u f hin, daß die Falschheit einer Aussage, im Gegensatz zur Wahrheit, nicht durch den Intellekt, sondern gleichzeitig durch die Unmöglichkeit ihrer Vorstellung durch die Einbildungskraft erkannt wird 1 0 0 . 94

So bezeichnet Tschirnhaus, a. a. O., S. 3 die „ars inveniendi" als „scientiarum omnium nobilissimam, ope cuius, quicquid est occulti, revelatur". 95 Zu Leibniz' Kritik an kartesisdiem Wahrheitskriterium vgl. weiter unten S. 103 ff. Vgl. Leibniz, „Briefwechsel mit Mathematikern", S. 393, wo Tschirnhaus Leibniz schreibt im Hinblick auf Descartes' Methodenlehre: „nihil revera inveni quod animo satisfaceret". *· Tsdiirnhaus, „Medicina Mentis", S. 33. 87 Ebenda, S. 3$: „falsitatem quidem consistere in eo, quod non potest concipi; veritatem vero in eo, quod potest concipi". 88 Ebd. S. 34: „Hoc ut fiat darum, talia nobis proponamus, quae indubie iudicamus esse falsa; baculum, verbi causa, integrum minorem esse parte ab illo avulsa, circuli radios esse inaequales, corpus motum ab alio ad motum non esse incitatum, et his similia; ac videamus, num rationem possimus detegere, propter quam talia asserta tarn indubitanter falsa esse pronunciamus: hoc ex eo tanto oriri observabimus, quod nullatenus sit in nostra potestate, et ideo plane fieri non possit, ut talia a nobis concipiantur." ®β Vgl. dazu oben S. 60 f. und S. 78. 100 Tschirnhaus, a. a. O., S. 43: „advertimus, quare in certitudinis acquisitione ea quae concipere nequimus, nos plus afficiant, et devictos teneant, quam quae concipere nobis datum est; nempe, quia ea neque concipere neque imaginari valemus". Vgl. audi S. 36: „omnem conceptum, seu, ut alii vocant, Ideam non esse aliquid muti, instar picturae in tabula, sed eum necessario aut affirmationem, aut negationem semper includere. Affirmare siquidem et negare nihil aliud sunt, quam voces externae, quibus indicamus, nos aliquid interne seu in mente vel posse, vel non

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

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Letztere Bestimmung gewinnt R e l e v a n z in der Tschirnhausschen D e finitionstheorie. J e d e Definition muß zugleich den A u f w e i s der Möglichkeit ( „ G e d e n k b a r k e i t " )

des in ihr Definierten erbringen und, w i e in

L e i b n i z ' späterem Sprachgebrauch, eine „definitio realis", nicht n u r eine Nominaldefinition sein. Definiert werden nur zusammengesetzte Begriffe, d. h. solche, die wenigstens z w e i v o n einander unterscheidbare Bestimmungsstücke oder M e r k m a l e aufweisen, die selbst nicht weiter zerlegbar sind. E i n zusammengesetzter Begriff aber ist nach Tschirnhaus „ g e d e n k bar",

insofern er sich aus einfachen Begriffen zusammensetzen

läßt.

Ü b e r diese Zusammensetzbarkeit entscheiden die „ A x i o m e " . Sie machen Aussagen darüber, ob z w e i Begriffe miteinander in einer notwendigen V e r k n ü p f u n g stehen, so daß der eine ohne den anderen nicht gedacht werden kann 1 0 1 . posse concipere". Eine ähnliche Bestimmung, wie sie Leibniz in den drei Jahre vor der „Medicina Mentis" 1684 in den „Actis Eruditorum" veröffentlichten „Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis" getroffen hat, indem er „possibile", „ens" und „non involvens contradictionem" gleidisetzt, nimmt auch Tschirnhaus vor (ebd., S. 36): „Nulla quoque alia est differentia inter ens et non ens, quam inter possibile et impossibile, seu inter id, quod potest, ac inter id, quod nequit concipi." 101

Das methodische Vorgehen beim Aufbau einer Theorie besteht nach Tschirnhaus in folgendem: „Primo omnes possibiles primos conceptus, ex quibus formantur reliqui, redigam in ordinem, eosque imposterum D e f i n i t i o n e s nominabo: secundo has ipsas definitiones in se considerabo, et hinc deductas proprietates appellabo A x i o m a t a : tertio definitiones inter se omnibus modis, quibus id fieri potest, jungam, ac veritates inde derivatas T h e o r e m a t a dicam . . his rite peractis tantum scientiae, quantum humanitus fieri potest, nobis comparaverimus" (ebd. S. 67). Die Bildung der Realdefinition besteht darin, daß wir ihre „Gedenkbarkeit" aufweisen. Dies ist für Tschirnhaus identisch damit, daß wir die notwendigen Bestimmungsstücke entwickeln, ohne die der Begriff nidit gedacht werden kann. Die — von Tschirnhaus nicht genannte — Voraussetzung ist dabei offenbar, daß die Gesamtheit der notwendigen Bestimmungsstücke zugleich der hinreichende Grund der „Gedenkbarkeit" ist, d. h. der Zusammensetzbarkeit des Begriffes aus einfacheren Begriffen ist. Erst Leibniz hat, in seiner versuchten Ableitung des Satzes vom Grunde aus dem Satze des Widerspruches (zuerst veröffentlicht vom Zodier, R , als Anhang zu seinem Aufsatz „Leibniz' Erkenntnislehre" in „Leibniz zu seinem 300. Geburtstag", Berlin 1952, S. 15) diese Voraussetzung mit der Formel angegeben: „Omnia requisita sunt ratio sufficiens". Vgl. bei Tschirnhaus, a . a . O . , S. 67: „Unusquisque in se ipso, quid prius, quid posterius sit concipiendum, semper observare potest, nec minus experietur, quid tandem omnium sit primum; id nimirum, quo aliquid prius concipi posse repugnat. Ita observamus, motum non posse concipi, nisi mobile concipiatur, nec mobile posse concipi, nisi ante extensum quid concipiatur, at denique vero, nil extensione prius concipi posse." Im Falle einer „res singularis", d. h. einer in Raum und Zeit existierenden Sadie, muß die Realdefinition den „formationis modum", „rei Generationem" (ebd.) an-

96

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Geometrische Beweisart im 17. Jahrhundert

Jeder Realdefinition unterliegen demnach Axiome, bzw. der Unterschied zwischen einer Realdefinition108 und den Axiomen besteht wesentlich darin, daß die Realdefinition auch eine Benennungsfunktion für „gedenkbare" Komplexe von Bestimmungen haben. Zusammengesetzte Begriffe können nach Tschirnhaus entweder „in simplices semper numero finitos"10® aufgelöst werden, oder sie zerfallen in unendlich viele, wenn ihre Zusammensetzung nicht auf einer Herleitung aus einfacheren Begriffen beruht, sondern durch Addition der Begriffe gleichartiger Gegenstände erfolgt104. Alle wahren Aussagen sind nach Tschirnhaus entweder selbst Axiome oder Realdefinitionen, oder aus diesen deduzierte Lehrsätze105. Die Entscheidung über Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Zusammensetzung von Begriffen kommt nach Tschirnhaus dem Verstände zu, während Leibniz und Wolff später den Nachdruck auf die in den Begriffen selbst liegenden Möglichkeiten ihrer Zusammensetzung mit anderen Begriffen legen. Die Deduktion bzw. die sich ihrer bedienende Demonstration wird so von Tschirnhaus, ohne daß diese Auffassung in zufriedenstellender Weise erläutert wird, als ein Prozeß der Zusammensetzung von Begriffen dargestellt, der im Falle der Realdefinition durch die auf die geometrisch-räumliche Anschauung bezugnehmenden Darstellung der Konstruktion bzw. Bildungsweise begründet wird. So lenkte Tschirnhaus die Aufmerksamkeit vor allem auf die Aufstellung von Realdefinitionen, in der er die eigentliche Leistung der Erkenntnis sah. Obwohl die Ausführungen von Tschirnhaus zur wissenschaftlichen Methode und „ars inveniendi" sich an die Bestimmung der „mathematischen Methode" anlehnen und kaum einen Bezug auf die Algebra aufweisen, steht bei Tschirnhaus, stärker als bei seinen Vorgängern, der Gedanke im Vordergrund, die auf Definitionen, Axiomen und Lehrsätzen aufgebaute Demonstration in den Dienst nicht nur der Beweisgeben. „Sic, si definitio, quae naturam risus explicat, proba esset, subito datis tantum iis eadem definitione ad ridendum requisitis, in aliis risum moveremus" (ebd. S. 68). Auch im Falle der Definitionen f ü r zusammengesetzte geometrische Figuren scheint Tschirnhaus, obwohl er dies nicht besonders hervorhebt, die A n gabe ihrer Konstruktion f ü r den Möglichkeitserweis zu halten. 108

Tsdiirnhaus stellt die Realdefinitionen den Axiomen voran, vgl. voranstehende Anmerkung. Sachlich wäre das Axiom voranzustellen, welches Aussagen über die Verknüpfbarkeit der im Definiens auftretenden Bestimmungen macht.

los

Tschirnhaus, ebd., S. j 8 .

Ebd. los Vgl. 0 b e n , A n m . iox.

104

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Geometrische Beweisart im 1 7 . Jahrhundert

97

führung und der Darstellung schon erkannter Begründungszusammenhänge zu stellen, sondern sie als ein Mittel der Erfindung, der Entdeckung neuer Wahrheiten zu gebrauchen. Der enge Bezug, der damit zu Leibniz' Auffassung einer „Scientia generalis" gegeben ist, wirkt sich noch stärker aus, insofern die Theorie der Begriffszusammensetzung im Sinne einer Kombination einfacher Begriffe unter gleichzeitigem Aufweis ihrer Verknüpfbarkeit eine beachtliche Verwandtschaft zu den gleichartigen Theorien von Leibniz, Wolff und Lambert aufweist. Im Gegensatz zu diesen jedoch hat Tschirnhaus den Gedanken einer kalkülartigen Begriffskombinatorik theoretisch nicht entwickelt. So sehr ihn deshalb seine Auffassung in die Nähe der Leibnizschen bringt und der Gedanke einer am Vorbild der Algebra konzipierten „mathesis universalis" ihn beeinflußt, wendet er sich bei der Darstellung seiner Theorie doch zurück auf die ältere Auffassung der geometrischen Demonstration, die sidi der natürlichen Sprache als des Mittels der Beweisführung bedient und den eigentlichen Erkenntnisakt in die anschauende Erkenntnis, in die in innerer Erfahrung konstatierbare Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Prädikation verlegt108. Eben dieser Punkt aber trennte ihn gänzlich von der Leibnizschen Auffassung, die nun den Gegenstand der folgenden Erörterung bilden soll, nachdem die einzelnen Bestimmungen, die sie verständlich machen, in einer an der historischen Entwicklung orientierten Ubersicht aufgewiesen worden sind.

10» Vgl. Tsdiirnhaus, a . a . O . , S. 3 5 : „nos utique in nobis ipsis habere normam seu regulam, qua verum a falso discernamus".

IV. Das Verhältnis von mathematischer Methode und „Mathesis Universalis" in der Philosophie von Leibniz ι. „Ars iudicandi"

und „ars inveniendi"

in der Logik von

Leibniz

Die im Vorstehenden erörterte Entwicklung des Begriffs einer am Modell geometrischer Beweisgänge konzipierten, auf alle wissenschaftliche Erkenntnis anwendbaren Methode und der Beziehung, die diese seit der kartesischen Philosophie zum Gedanken einer Kalkülisierung dieser Beweisgänge und der Übertragbarkeit einer solchen auf alle mögliche Erkenntnis aufweist, eröffnet nun den Blick auf die verschiedenartigen Aspekte und Ansätze, die sich in Leibniz' Theorie der Methode vorfinden 1 . Zugleich gibt uns die Rückschau auf die historische Entwicklung und sachliche Vertiefung, die der Begriff der Methode seit Descartes unter dem Einfluß der philosophischen Interpretation der matematischen Methodik erfahren hat, ein Gliederungsprinzip an die H a n d , das sich als dienlich erweist, die Leibnizschen Äußerungen zur Methode, zu einer „Encyclopedie generale", zur „Scientia generalis" und „Mathesis universalis", zur „Characteristica" und Kombinatorik, zu seiner analytischen Theorie des Urteils und seiner Auffassung des philosophischen Systembegriffs zu gliedern und in ihrem wechselseitigen Bezüge durchsichtig zu machen 2 .

1

Abgesehen v o n den vielfachen Äußerungen von Leibniz in seinem philosophischen Briefwechsel sind zu seiner Methodenauffassung v o r allem die im Bd. V I I der Gerhardtschen Edition der philosophischen Schriften enthaltenen Arbeiten, die von Couturat herausgegebenen „Opuscules et Fragments inedits", die „ N o u v e a u x Essais" und der mathematische Briefwechsel von Interesse.

8

V g l . Couturat, „ L a Logique de Leibniz", Paris 1901; Heimsoeth, H., „Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz", Gießen 1 9 1 2 — 1 4 ; Kauppi, R., „Über die Leibnizsche Logik, mit besonderer Berücksichtigung des Problems der Intension und der Extension", Helsinki i960; Martin, G., „Leibniz", Berlin 1967 u. a. Methodologische Fragen behandelt auch Rüssel, B., „The Philosophy of Leibniz", London 1900.

100

IV

Leibniz

Wie Leibniz die Auffassung vertritt, „daß alles Mathematisch, daß ist ohnfehlbar zugehe in der ganzen weiten weit" 3 , so meint er, daß er „ohne die hülffe der inneren Mathematick" 4 nicht zur Einsicht in die Möglichkeit einer Verbesserung der „Vernunft-Kunst" oder Logik gekommen wäre. Die Verbesserung der Logik besteht für Leibniz in der Entwicklung einer „Scientia generalis", mit deren Hilfe die schon gewonnene Erkenntnis auf ihre Richtigkeit überprüft und neue Erkenntnis auf sicherem Wege gewonnen werden kann 5 . Diese Zweiteilung der Aufgabenstellung nimmt Leibniz nicht nur für die von ihm konzipierte „Scientia generalis", sondern audi für die Logik überhaupt in Anspruch, wenn er in seinem Schreiben an Gabriel Wagner 8 sagt, unter der „Logick oder Denckkunst" verstehe er „die Kunst den verstand zu gebrauchen, also nicht allein was fürgestellet zu beurtheilen, sondern auch was verborgen zu erfinden". In der modernen mathematischen Logik findet diese Unterscheidung von Leibniz ihr Gegenstück, indem sich ihre Fragestellungen zwei Aufgaben unterordnen lassen: die Frage nach Entscheidungsverfahren, mit deren Hilfe es möglich ist, bei einem beliebigen endlichen Axiomensystem und einer beliebigen vorgegebenen Aussage in endlich vielen Schritten zu entscheiden, ob die Aussage eine Folgerung aus dem Axiomensystem ist oder nicht, und die Aufgabe, durch systematische Anwendung geeigneter Regeln alle Folgerungen aus einem vorgegebenen Axiomensystem zu finden7. Diese Einteilung der Logik und der „Scientia generalis" als der vollkommenen Gestalt einer von Leibniz projektierten Logik wird von Couturat in Frage gestellt, wenn dieser sagt: „La veritable division de la Logique est bien plutot la distinction de la Synthese et de rAnalyse" 8 . Die Gründe, die Couturat zu dieser Auffassung veranlassen, sind die folgenden: Die Leibnizschen Texte weisen einen augenfälligen Bezug auf, der zwischen der Analyse — in der oben dargestellten Bedeutung — und der ars iudicandi einerseits, der Synthese — im Sinne einer im folgenden 3

Leibniz, „ V o m Verhängnisse", Gerh. phil. V I I , S. 118.

4

Leibniz, „Schreiben an Gabriel Wagner", Gerh. phil. V I I , S. 5 i z .

5

Vgl. Leibniz, „ D e natura et usu Scientiae generalis" in ed. Erdmann, „ O p . omn." Nachdruck Scientia Aalen, 86.

' Leibniz, Schreiben an Wagner, Gerh. phil. V I I , S. j i 6 . 7

Vgl. Hilbert-Ackermann, „Grundzüge der theoretischen Logik", 4. Aufl., Berlin 1959, S. i j — 2 5 und Hermes, H., „Einführung in die mathematische Logik", Stuttgart 1962, S. 32—33.

8

Couturat a. a. O., S. 179.

„ars iudicandi" und „ars inveniendi"

101

zu erörternden kombinatorischen Zusammensetzung von zusammengesetzten aus einfachen Begriffen — und der „ars inveniendi" andererseits besteht. Danach wäre der ars iudicandi bzw., wie Leibniz auch sagt, „ars demonstrandi", „Methode de la Certitude" die Analyse, der „ars inveniendi" dagegen die Synthese zuzuordnen. Diese Auffassung findet eine Stütze in der ursprünglichen, bei Pappus vorliegenden9 Theorie der geometrisdien Analyse, die dem Wahrheitserweis vorgegebener Aussagen diente, worin eben die Aufgabe einer „ars iudicandi" besteht. Leibniz scheint selbst diese Zuordnung vorzunehmen, wenn er einer kurzen Darlegung des Unterschiedes von Analyse und Synthese den Titel gibt: „De Syntesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi" 10 . Nun ist seit Couturat wiederholt darauf hingewiesen worden 1 1 , daß Leibniz zumindest seit Mitte der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts der Auffassung war, daß die „Ars inveniendi" sowohl einer analytischen als auch einer synthetischen Verfahrensweise sich bedient 12 , und daß er später auch die Auffassung vertrat, daß ebenso die „Ars iudicandi" sowohl eines analytischen wie eines synthetischen Vorgehens bedarf 13 . Diese Bestimmungen, die im folgenden zu erläutern sind, führen Couturat zu der Auffassung, daß Erfindungskunst und Beurteilungskunst, da sie sich ja derselben Methoden bedienen, und sich so gewissermaßen nur in der Absicht unterschieden, die der sie Benutzende bei ihrem Gebrauche verfolgt, nicht den eigentlichen Einteilungsgrund der Leibnizschen Logik bilden könnten, sondern daß dieser vielmehr in der Leibnizschen Unterscheidung von Analyse und Synthese zu suchen sei. Demgegenüber läßt sich nidit nur zeigen, daß Leibniz stets und mit sachlicher Berechtigung bei der Einteilung der Aufgabenstellung einer Logik und „Seientia generalis" festgehalten hat an deren Unterscheidung in eine Erfindungs- und eine Beurteilungskunst, sondern auch, daß sein Verständnis der Ausdrücke „analytisch" und „synthetisch", wenn er sie gebraucht im Hinblick auf eine „Ars iudicandi", wesentlich rückbezogen • Vgl. oben S. 22. Leibniz, Gerh. phil. V I I , S. 292.

10 11 11

Vgl. Beiaval, Y . , „Leibniz critique de Descartes", Paris i960, S. 195—97.

Vgl. dazu das Stück „De la sagesse" in Gerh. phil. V I I , S. 82 f., das von Couturat sehr früh datiert wird (a. a. O., S. 180) wo Leibniz die Analyse in der Auffassung der „mathematischen Methode" als „ars inveniendi" charakterisiert. " Vgl. Couturat, a. a. O.

102

IV

Leibniz

bleibt auf ein die natürliche Sprache benutzendes Beweisverfahren, wie es in der Auffassung der „mathematischen Methode" bei seinen Vorgängern sich herausgebildet hatte. Dagegen sind die Ausdrücke „analytisch" und „synthetisch" dort, wo Leibniz sie im Hinblick auf eine „ars inveniendi" gebraucht, zu beziehen auf den Leibnizschen Gedanken einer Begriffskombinatorik und Charakteristik als Hilfsmittel einer „ Seientia generalis", in der kalkülmäßig, an Hand vorgegebener Charaktere und ihrer Verknüpfungsregeln, sowohl schon bekannte Wahrheiten auf ihre Ableitbarkeit hin beurteilt, als auch neue Wahrheiten durch Anwendung vorgegebener Regeln hergeleitet werden können. Erfindungskunst und Beurteilungskunst fallen so, obwohl sie Aufgaben sowohl der mit der natürlichen Sprache schließenden Logik als auch der sich einer Kalkülsprache bedienenden „Seientia generalis" sind, gleichsam in zwei zu unterscheidende Entwicklungsstadien der Logik. Beide spiegeln sich sowohl im methodologischen Schrifttum von Leibniz, als sie auch die seit dem Ausgang des Mittelalters der Logik auferlegte Zielsetzung charakterisieren, nicht nur eine Beurteilungskunst für schon gewonnene Erkenntnis zu sein, sondern auch eine Erfindungskunst zu sein, die für die Erkenntnisgewinnung selbst brauchbar sei. Die eigentliche Unterscheidung, von der her sich Leibniz' Schrifttum zur Methode der Erkenntnis gliedern läßt, ist die Unterscheidung der in natürlicher Sprache sich vollziehenden Beweisführung und der sich einer — am Vorbild des mathematischen Kalküls orientierten — Kunstsprache bedienenden Beweisführung bzw. Gewinnung neuer Erkenntnis. Wenn auch Leibniz' Äußerungen oft beide Arten der Demonstration und Erkenntnisgewinnung ununterschieden lassen14, gilt doch, daß er der Meinung war, daß nur eine sich in der natürlichen Sprache vollziehende und auf die begrifflichen bzw. anschaulichen Gehalte achtende Gewinnung und Beurteilung von Erkenntnis dasjenige sei, „que peut faire notre äme dans l'etat oü eile est presentement"15, wohingegen die Äußerungen zu einer „Scientia generalis" die Zielsetzung einer zukünftigen Logik betreffen. Wie aber vor Leibniz der Analyse nicht nur die Aufgabe zukam, vorgegebene Aussagen auf 14

V g l . Leibniz, „Discours touchant la Methode de la Certitude", ed. Erdmann, „ O p e r a omnia", S. 1 7 6 : „Les verites qui ont encore besoin d'etre bien etablies, sont de deux sortes, les unes ne sont connues que confusement et imparfaitement, les autres ne sont point connues du tout. Pour les premiers il faut employer la Methode de la certitude; les autres ont besoin de L ' A r t d'inventer".

15

Leibniz, „ D e la Sagesse", a. a. O., S. 84.

Urteilstheorie

103

ihre Prinzipien zurückzuführen, sondern sie auch zur Auffindung der Prinzipien diente, so kommt bei Leibniz die Aufgabe einer Vorbereitung der zu schaffenden kombinatorischen Zeichensprache der Analyse zu, denn die Bildung der Grundzeichen des Kalküls ist abhängig von der Rückführung unserer zusammengesetzten Begriffe auf ein „alphabetum cogitationum humanarum" 16 , dessen einfache und widerspruchsfreie Begriffe durch die Grundcharaktere der zu schaffenden Kalkülsprache benannt werden sollen.

2. Leibniz'

Urteilslehre im Verhältnis zur „mathematischen

Methode"

Die enge Übereinstimmung mit der Theorie der Begriffszusammensetzung, die bei Tschirnhaus vorliegt 17 , sowie mit der Definitionstheorie Pascals18, ist in den ersten Formulierungen, in denen Leibniz das Vorgehen der Analyse beschreibt, sofort zu erkennen. Die verschiedenen Begriffsbestimmungen, die in einem Begriff vorliegen, nennt Leibniz „Requisiten", d. h. Bestimmungen, ohne die der Begriff nicht gedacht werden kann. Eben diese machen die Definition eines Begriffes bzw. der durch den Begriff vorgestellten Sache aus. Sind diese Begriffsbestimmungen wiederum aus anderen Begriffen zusammengesetzt, d. h. können sie nicht ohne die Bezugnahme auf andere Begriffe vorgestellt werden, muß die Zergliederung fortschreiten, bis sie auf Vorstellungen führt, „qu'on n'entend que par elles memes qui sont sans requisits et qui n'ont besoin de rien hors d'elles" 19 . Erst dann ist man „parvenu a une connaissance parfaite de la chose proposee" 20 . Diese ist dadurch ausgezeichnet, daß sich 1$

Couturat, Opuscules et Fragm. S. 435.

17

Vgl. oben, S. 94 f.

18

Vgl. oben, S. 74 f.

18

Vgl. Leibniz, „De la Sagesse", a. a. O., S. 83.

20

Ebd.: „Pour connaitre une diose, il faut considerer tous les requisits de cette chose, c'est-ä-dire tout ce qui suffit a la distinguer de toute autre diose. E t c'est ce qu'on appelle Definition, Nature, Propriete reciproque." Vgl. dazu die Definition des Requisits in der von Leibniz versuchten Ableitung des Satzes vom Grunde aus dem Satze des Widerspruches vgl. oben S. 95 f., am dort a. O.; „Requisitum est quo non posito res non est". Dietrich, A. J., hat in seiner Arbeit „Kants Begriff des Ganzen in seiner Raum-2eit-Lehre und das Verhältnis zu Leibniz", Halle 1916, S. 148 dargelegt, daß sowohl Leibniz wie Kant den Begriff der „totalitas" in der „Auszählbarkeit" gesehen haben: „Die Reihe der philosophischen Grundbegriffe muß ,auszählbar' sein: zu dieser ,Vollständigkeit' ist Philosophie als ,Grundwissenschaft' verbunden."

104

IV

Leibniz

nidits mehr anbietet, „dont on ne puisse rendre raison"". Die Angabe des Grundes einer Sache bzw. einer Definition, in der sie zur Vorstellung gebracht wird, besteht so in der Angabe aller Bestimmungsstücke, ohne welche sie nicht gedacht werden kann. Durch diese Ubersetzung, die offenbar auf in äußerer oder innerer Wahrnehmung aufweisbare Bestimmungen führt 22 , soll aber zugleich die Möglichkeit des in der Definition Vorgestellten aufgewiesen werden. Wie bei den im Vorstehenden behandelten Autoren wird die Denknotwendigkeit des einen Begriffs im anderen in der vergleichenden Vorstellung beider erkannt, ohne daß Leibniz ein zusätzliches Kriterium einführte. So besteht der Vorgang der Analyse für Leibniz in der Aufstellung von Definitionen, auf die sich auch alle Demonstrationen von Aussagen zurückführen lassen23. Hat man den „catalogue des pensees simples" aufgestellt, so ist man in der Lage, „de recommencer a priori et d'expliquer l'origine des choses, prise de leur source d'un ordre parfait et d'une combinaison ou d'une synthase absolument achevee"24. Auf der These, daß eine derartige „analysis notionum" in jedem Falle möglich sei, beruht die sogenannte „analytische" Urteilstheorie von Leibniz, deren Formulierung zugleich auf die eben behandelte Begriffszergliederung und Definitionstheorie verweist: „Semper igitur praedicatum seu consequens inest subjecto seu antecedenti, et in hoc ipso consistit natura veritatis in universum"25. Damit ist zugleich die These aufgestellt, 11

"

83

14 25

Vgl. Leibniz, „De la Sagesse", a. a. O., S. 83. Vgl. dazu das oben im voranstehenden Kapitel Gesagte und Leibniz, Gerh. phil. V I I , S. 195: „Veritates secundum nos primae sunt experimenta . . . Omnis Veritas aut demonstrari potest ex absolute primis (quas indemonstrabiles esse, demonstrabile est) aut ipsa est absolute prima. E t hoc est quod dici solet, nihil debere asseri sine ratione, imo nihil fieri sine ratione." Vgl. Gerh. phil. V I I , „De Synthesi et Analysi", S. 296/97: „Synthesis est, cum a principiis incohando et ordine veritates percurrendo progressiones quasdam deprehendimus et velut Tabulas vel etiam interdum formulas generales condimus, in quibus postea oblata inveniri possint. Analysis vero solius oblati problematis causa ad principia regreditur, perinde ac si nihil antea inventum iam a nobis vel aliis haberetur". Leibniz, Brief an Conring vom 3. Januar 1678, Gerh. phil. I, S. 185: „Ego semper putavi, Demonstrationen» nihil aliud esse quam catenam definitionum vel pro definitionibus, propositionum iam ante ex definitionibus demonstratarum aut certe assumtarum. Analysis autem nihil aliud est quam resolutio definiti in definitionem, aut propositionis in suam demonstrationem." Leibniz, „De la Sagesse", a. a. O., S. 84. Couturat, Opusc. et Fragm. S. 518. Vgl. Gerh. phil. I I , S. 56 im Briefwechsel mit Arnauld von 1686: „C'est que toujours, dans toute proposition affirmative, v i r i table, necessaire ou contingente, universelle ou singulare, la notion du pr^dicat est comprise en quelque facon dans Celle du sujet, praedicatum inest subjecto; ou bien je ne sais ce que c'est que la ν έ π ί έ . " Vgl. ebd., S. 52, 43.

Urteilstheorie

105

daß alle Urteile auf die Form von Subjekt-Prädikaturteilen gebracht werden können, was auch von den Relationsurteilen und den Existenzurteilen gilt. Gerade die Nichtbeachtung der Relationsurteile in der analytischen Urteilstheorie, als welche sich mathematische Gleichungen und die sogenannten Ungleichungen auffassen lassen und die bekanntlich einen Hauptpunkt der Kritik an der Leibnizschen Urteilstheorie bildet26, zeigt, wie sehr sich Leibniz, ebenso wie Descartes, an der reinen Geometrie orientierte, wo die Bestimmungen der einzelnen Figuren sprachlich durch Urteile von Subjekt-Prädikat-Form angebbar sind, wenn diese auch nur auf dem Hintergrunde der auf Leibniz überkommenen Theorie der mathematischen Methode gewirkt haben dürfte, die in diesem Punkte in Einklang mit der aristotelisch-scholastischen Überlieferung stand. Wie in Descartes' Methodenlehre blieb auch in Leibniz' Auffassung der „Scientia generalis" die Einwirkung des mathematischen Modells wesentlich begrenzt auf den Kalkülbegriff und eine die zwischen Begriffen bestehenden Verhältnisse umkehrbar eindeutig abbildende Kunstsprache27. Zugleich aber hat Leibniz seine Zweifel geäußert, ob eine „cognitio adaequata", in der ein „exemplum perfectum" einer „analysis notionum" vorliegt, und in der die „analysis ad finem usque producta habetur", dem menschlichen Intellekt erreichbar sei28, wenn sie sich nicht auf die Mathematik (gemeint ist vor allem die Geometrie) bezöge. Zumindest postuliert Leibniz seine Theorie der Analytizität aller Urteile und gewinnt so im geforderten Nachweis des Enthaltenseins des Prädikatsbegriffs im Subjeksbegriff ein „criterium veritatis", das schon in der „Logik von Port-Royal" in prinzipiell derselben Ausdeutung 16

Russell, B., „ A critical Exposition of the Philosophy of Leibniz", London 1900, S. 1 2 , verweist auf Existenzialurteile der A r t : „There are three m e n " , die nidit auf Subjekt-Prädikat-Form gebracht werden können. V g l . dazu auch Martin, G., a. a. O., S. 38 f.

17

V g l . Leibniz, „ D e Scientia universali seu Calculo philosophico" in ed. Erdmann, „ O p . omnia", S. 8 2 — 8 4 : „Progressus artis inventoriae rationalis pro magna parte pendet a perfectione artis diaracteristicae. Causa, cur non nisi in solis numeris et lineis, et rebus quae his repraesentantur, demonstrationes quaeri ab hominibus soleant, nulla alia est, quam quod characteres tractabiles notionibus respondentes extra numeros non habentur . . quo facto, quando orientur controversiae, non magis disputatione opus erit inter duos philosophos, quam inter duos Computistas. Sufficiet enim, calamos in manus sumere, sedere ad abacos, et sibi mutuo (accito si placet amico) dicere: calculemus."

18

Leibniz, „Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis", ed. Erdmann, S. 7 9 . E b d . : »cuius exemplum perfectum nescio an homines dare possint".

106

IV

Leibniz

vorlag 29 . Wenn das Erkennen der Möglichkeit eines Begriffes in der Einsicht in die Verknüpfbarkeit der in zusammengesetzteren Begriffen enthaltenen einfacheren Begriffe besteht, so muß schon in diesen einfacheren Begriffen die Möglichkeit ihrer Verknüpfung zu zusammengesetzteren erkennbar sein. Ein Satz, der eine solche Einsicht formuliert, heißt nach Leibniz eine Realdefinition a priori, d. h. eine solche, die uns die Einsicht in die Möglichkeit der Vorgestellten a priori und ohne den Hinblick auf konkret Existierendes von der Art des Vorgestellten vermittelt 30 . Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Der Begriff eines „Quadrats" ist stärker zusammengesetzt als der in ihm enthaltene Begriff eines „Rechtecks", da zu diesem die Bestimmung der Gleichheit der Seiten hinzutreten muß. Hier ist das Rechteck als Rechteck möglicherweise ein Quadrat, insofern es als gleichseitiges Redlteck bestimmt werden kann. Die Möglichkeit des zusammengesetzteren Begriffes muß demnach schon im weniger zusammengesetzten Begriff liegen und im Falle eines apriorischen Erweises der Möglichkeit aus diesem erkannt werden. Durch das soeben Gesagte wird deutlich, inwiefern die Leibnizsche Theorie des apriorischen Möglichkeitserweises von Begriffen die Unterscheidung des einfacheren Begriffes und der aus ihm zusammengesetzten Begriffe in die Nähe einer anderen Unterscheidung rückt, derjenigen zwischen Gattungs- und Artbegriff. Leibniz hat, wie ebenso Wolff, zwischen beiden Beziehungen nie klar unterschieden31. Dadurch rückt gleichzeitig die Nominaldefinition, deren Aufgabe darin besteht, ausreichende Merkmale anzugeben, um einen Begriff von allen anderen Begriffen zu unterscheiden, in die Nähe der apriorisch bestimmten Realdefinition 32 . 29 30

31

32

V g l . oben S . 7 8 . Leibniz, „Meditationes", a . a . O . , S. 80: „Possibilitatem autem rei vel apriori cognoscimus, vel aposteriori. E t quidem a priori, cum notionem resolvimus in sua requisita, seu in alias notiones cognitae possibilitatis, nihilque in illis incompatible esse scimus." V g l . dazu Kants Bemerkung in der „ K . d. r. V . " , „ V o n der Amphibolie der R e flexionsbegriffe", A 2 8 1 , Β 3 3 7 : „ M a n muß z w a r sagen: w a s einem Begriffe allgemein zukommt, oder widerspricht, das kommt auch zu, oder widerspricht allem Besonderen, w a s unter jenem Begriff enthalten ist; (dictum de Omni et N u l l o ; ) es w ä r e aber ungereimt, diesen logisthen Grundsatz dahin zu verändern, daß er so lautete: W a s in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten ist, das ist auch in den besonderen nicht enthalten, die unter demselben stehen; denn diese sind eben darum besondere Begriffe, weil sie mehr in sich enthalten, als im allgemeinen gedacht wird. N u n ist doch wirklich auf diesen letzteren Grundsatz das ganze intellektuelle System Leibnizens erbaut; es fällt also zugleich mit demselben, samt aller aus ihm entspringenden Zweideutigkeit im Verstandesgebrauche." Leibniz, „Meditationes", a. a. O., S. 80: „ I t a habemus quoque discrimen inter definitiones nominales, quae notas tantum rei ab aliis discernendae continent, et

Urteilstheorie

107

Denn auch in der Nominaldefinition, die ihren wichtigsten Typ in derjenigen „per genus proximum et differentiam specificam" hat, werden Merkmale angegeben, die in isolierter Betrachtung einfacher sind als der durch das Definiendum vorgestellte Begriff. Von hier aus läßt sich ein gewisses Verständnis dafür erzielen, daß die Nominaldefinitionen ζ. B. von Wolff zu Prinzipien der Herleitung gemacht wurden, obwohl Leibniz sowohl als Wolff der Unerläßlichkeit des Nachweises der Möglichkeit des in Nominaldefinitionen Definierten durch eine Realdefinition Ausdruck gaben33. Die Konfundierung der Unterscheidung des Einfachen und Zusammengesetzten mit derjenigen von Gattungs- und Artbegriffen zeigt sich auch in Leibniz' Auffassung des partikularen und des singularen Urteils. Urteile sind für Leibniz nicht nur Aussagen, in denen das Einfachere vom Zusammengesetzten ausgesagt wird, wobei in einem streng identischen Satz (propositio identica) ein Prädikat von einem Subjekt ausgesagt wird, die denselben Grad an Zusammensetzung aufweisen, sondern Urteile sind für Leibniz wesentlich Aussagen über die zwischen Arten und Gattungen bestehenden Verhältnisse, wobei Gattungen und Arten das logische Gefüge bilden, in dem die Essenzen, Attribute und Modi der möglichen und wirklichen Dinge als in einer „universitas ordinata" stehen. Ein und dieselbe Beziehung zwischen einer Gattung und einer Art kann sowohl einer universalen als auch einer partikularen Aussage zugrundeliegen. Das Verhältnis der Gattung „animal" zur Art „homo" liegt sowohl der Aussage „Omnis homo est animal" als auch der Aussage "Quidam animal est homo" zugrunde. Im ersten Fall wird die ganze Art auf die Gattung, im zweiten Fall ein Teil der Gattung auf die Art bezogen. Die im Subalternationsschluß gewonnene Aussage „Quidam homo est animal" bezieht ihrerseits nur einen Teil der Art auf die Gattung. Universales und partikulares Urteil erscheinen so gleichsam nur als verschiedene Aspekte des Verhältnisses, das zwischen Art und Gattung besteht 34 . reales, ex quibus constat rem esse possibilem." Leibniz' Definitionslehre behandelt auf dem Hintergrunde seiner Modaltheorie Poser, H . , „ Z u r Theorie der M o d a l begriffe bei G . W . Leibniz", Wiesbaden wesentlichen

Punkten

mit

der

oben

1969. V g l . hier v o r allem den in den

vorgetragenen

Interpretation

übereinstim-

menden § 1 8 , „ D i e Erkennbarkeit der Möglichkeit v o n Begriffen", S. 1 3 8 — 1 4 9 . 33

V g l . Leibniz, ebd.

14

D i e Schwierigkeiten, in die Leibniz bei dieser Theorie durch die im partikularen Urteil vorliegende Existenzaussage gebracht wird, indem nämlich „Omnis ridens est homo"

auch dann w a h r ist, wenn augenblicklich niemand lacht, wohingegen

108

rv

Leibniz

Die Leibnizsche Urteilslehre erweist sidi, weit entfernt davon, in ihren Bestimmungen eine Leibniz eigentümliche Theorie zu sein, als eine unmittelbare Folge aus Leibniz' Auffassung der Analyse und Synthese, wie sie in der Tradition der „mathematischen Methode", die sich im 17. Jahrhundert herausgebildet hatte, vorlag und in den voranstehenden Untersuchungen dieser Arbeit zur Darstellung kam. Insofern die Möglichkeit des Subjektsbegriffes im Prädikatsbegriff mitgesetzt ist, besteht zwischen Prädikatsbegriff und Subjektsbegriff auch eine Beziehung, durch die nicht nur der Prädikatsbegriff als im Subjektsbegriff enthalten gedacht wird, sondern auch der Subjektsbegriff als eine mögliche Spezifizierung des Prädikatsbegriffs erkannt wird. So formuliert Wolff später kein anderes Wahrheitskriterium als das Leibnizsche „praedicatum inest subjecto", wenn er festsetzt, die Wahrheit einer Aussage bestehe „in determinabilitate praedicati per notionem subjecti" 35 . Jeder Schritt der analytischen Begriffszergliederung ist nur vollziehbar unter gleichzeitiger Vornahme eines synthetischen Schrittes, durch welchen der im Subjektsbegriff enthaltene Begriff als ein solcher erkannt wird, der eben diesen Subjektsbegriff zu einer seiner möglichen Bestimmungen hat. Während Leibniz' Äußerungen zu Analyse und Synthese ganz auf der Ebene der vorleibnizschen Auffassung der „mathematischen Methode" liegen3", ist die Verbindung, die Leibniz zwischen dem Verfahren der Synthese und dem syllogistischen Schließen herstellt, eine Leibniz eigentümliche, zumindest in der scharfen, von Leibniz gebrauchten Formulierung, „idem esse mathematice scribere, quod in forma, ut logici vocant, ratiocinari" 37 . Leibniz hebt sich zwar ab von einzelnen Autoren „quidam homo est ridens" dann falsch sein könnte, beseitigt Leibniz dadurdi, daß er ihn „in regione idearum" gelten läßt, „seu si ridentem sumas pro quadam specie Entis possibilis", vgl. Leibniz, „ Q u a e d a m Difficultates logicae", in ed. Erdmann, S. 101. Zu Leibniz' Existenzannahme in universalen Sätzen vgl. die Ausführungen von Parkinson, G. H. R., „Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics', O x f o r d 196$, S. 18 f. 55

Wolff, Chr., „Philosophia prima sive Ontologia", Frankfurt/M. und Leipzig 1730, neu hg. u. bearb. v. Jean Ecole, Hildesheim 1962, § 499. Vgl. Chr. Wolff, „Philosophia rationalis sive Logica", Frft. u. Lpz., 1728, § J13.

® Vgl. Leibniz, Brief an Conring, 1678 in Gerh. phil. I, S. 20 j : „Nihil enim aliud est analysis quam substituere simplicia in locum compositiorum, sive principia in locum derivatorum, id est theoremata resolvere in definitiones et axiomata, et si opus esset, axiomata ipsa denique in definitiones . . . Itaque quisquis haec attente considerat, dubitare non potest demonstrationem adeoque synthesin et analysin, si non expresse, certe implicite nihil aliud esse quam catenam definitionum."

3

17

Leibniz, „De vera Methodo Philosophiae et Theologiae", in ed. Erdmann, S. 110.

Urteilstheorie

109

des 16. Jahrhunderts, welche die euklidischen Elemente „semper ordinatis sdiolarum more syllogismis"' 8 dargestellt hatten, gibt aber die Auffassung zu erkennen, daß die dem syllogistischen Schluß zugrundeliegende logische Form der Ableitung in einem Kalkül entspreche3'. Leibniz hat jedoch keine theoretische Ausführung dieser Beziehung vorgenommen, wenn sich auch eine große Anzahl von Äußerungen zu einer besonderen Art der Charakteristik finden, durch die nicht nur die sprachliche Formulierung des Beweisganges beim Lösen geometrischer Probleme kalkülisiert wird, sondern gleichzeitig audi die räumliche Anschauung an der geometrischen Figur überflüssig wird40. Auch hier ist Leibniz, wie später in den Äußerungen zu einer „Scientia generalis", auf der Suche nach einem Mittel, das der Lösung des Beweisverfahrens von der Anschauung dient, einer Symbolsprache, in deren Zeichen bereits die durch die Anschauung einsichtigen Verhältnisse der Figuren und Begriffe eingearbeitet sind. Ein mathematischer Beweis „ne se fait que sur le papier, et par consequent sur les caracteres qui representent la chose, et non pas sur la chose meme" 41 . Diese Betrachtungen leiten über zur Leibnizschen Auffassung einer „mathesis universalis". Es empfiehlt sich jedoch, die theoretischen Bestimmungen, die Leibniz für eine „mathesis universalis" liefert, an seiner Konzeption einer „ Char acter ist ica universalis" zu spiegeln, da diese denjenigen Gedankenkomplex bildet, in dem sich die beiden wesentlichen Elemente der Leibnizschen Universalmathematik, eine verallgemeinerte Auffassung des mathematischen Symbolismus und des Kalkülbegriffes, exemplarisch darbieten.

M

Ebd. „Meditationes", S. 81. Ebd.: „ D e caetero non contemnenda veritatis enuntiationum criteria sunt regulae communis Logicae, quibus et Geometrae utuntur, ut scilicet nihil admittatur pro certo, nisi accurata experientia, vel firma demonstratione probatum; firma autem demonstratio est, quae praescriptam a Logica formam servat, non quasi semper ordinatis sdiolarum more syllogismis opus sit." Leibniz nennt Herlinus und Dasypodius.

' · V g l . dazu die in den „Generales Inquisitiones" in Opusc. et Fragm. Inedits, S. 3 $6 und bei Couturat, „ L a Logique", S. 347 erörterten Versuche von Leibniz, eine formale Ableitung für die Schlußfiguren der Syllogistik zu geben. 40

V g l . dazu das bei Couturat, a. a. O., im Kapitel über den „ C a l c u l geometrique", S. 388 ff. Gesagte.

41

V g l . Couturat, „Opuscules et Fragm.", S. 155.

110

3. „Characteristica

IV

Leibniz

universalis" und „matbesis universalis" bei Leibniz

Leibniz' Gedanken zu einer „Characteristica universalis" sind eingebettet in seine umfassenden Bemühungen zur Vervollkommnung der natürlichen Sprachen und in seine theoretischen Betrachtungen zur Anwendbarkeit einer der mathematischen Symbolsprache ähnlichen Kalkülsprache. Die verschiedenartigen Benennungen, unter die er diese Bemühungen stellt, „lingua universalis", „lingua generalis", „lingua realis", „scriptura universalis", „grammaire raisonnee", „Characteristica universalis" und „Characteristica realis", spiegeln die vielfältigen Aspekte wider, unter denen diese sprachtheoretischen Ausführungen stehen42. Doch lassen sich die Aufgaben, welche die Leibnizsche Universalsprache zu erfüllen hat, nach drei Gesichtspunkten ordnen, die zugleich Entwicklungsstufen für den Leibnizschen Gedanken einer Universalsprache sind im doppelten Sinne der historischen Entwicklung des Leibnizschen Denkens und der sachlichen Vertiefung, welche die Leibnizsche Auffassung im Durchgang durch diese drei Aspekte erfahren hat. Leibniz konzipierte seinen Gedanken einer Universalsprache zunächst als den einer Hilfssprache für den internationalen Verkehr, sodann als ein Symbolsystem, das einen exakten Ausdruck der schon gewonnenen und der zukünftigen Erkenntnis ermöglicht, und schließlich als ein Instrument, das der Erlangung neuer Einsichten und der Beurteilung für wahr gehaltener Aussagen dient. Die Aufgabe der Schaffung eines Symbolsystems, das einen exakten Ausdruck der Erkenntnis ermöglicht, ist zugleich diejenige der Charakteristik, welche die Bedingungen zu erfüllen hat, denen ein sprachlicher Ausdruck genügen muß, um exakt zu sein43. Dieser Exaktheit wird durch eine spezifische Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem Genüge getan. Die Zeichen der Charakteristik sind nach Leibniz Eigennamen von Begriffen, die diese Begriffe und die durch sie vorgestellten Sachen abbilden sollen. In seiner Frühschrift von 1666, der Dissertation „De Arte Com42

V o m 18. Jahrhundert an wurde in der Bezugnahme auf Leibniz immer häufiger der Ausdruck „Kombinatorische Zeidienkunst", „Ars diaracteristica combinatoria" gebraucht, der erst durch Wolff und seine Schüler in den allgemeinen Sprachgebrauch gelangte.

43

Leibniz, Gerh. phil. V I I , Fragm. X I V , S. 198/99: „Si daretur vel lingua quaedam exacta (qualem quidam Adamicam vocant) vel saltern genus scripturae vere philosophicae, qua notiones revocarentur ad Alphabetum quoddam cogitationum humanarum, omnia quae ex datis ratione assequi, inveniri possent quodam genere calculi, perinde ac resolvuntur problemata arithmetica aut geometrica."

Characteristica universalis

111

binatoria", verlangt Leibniz von ihnen, sie sollten „quam maxime naturales" sein, in den „Nouveaux Essais" nennt er sie „des figures parlantes par elles memes"44. Zwischen den Charakteren und den Begriffen, die durch sie repräsentiert werden, besteht die Beziehung eines Isomorphismus, einer umkehrbar eindeutigen Abbildbarkeit 45 . Dies bedeutet, daß jedem Zeichen genau ein Begriff entspricht, wie umgekehrt jedem Begriff genau ein Zeichen entspricht. Die Charaktere zerfallen in Grundzeichen und aus Grundzeichen zusammengesetzte Zeichen. Letztere nennt Leibniz Formeln („Formulae", im Gegensatz zu den „signa primitiva"). Auf der Ebene der Begriffe entspricht dieser Unterscheidung von Grundzeichen und Formeln diejenige von einfachen und zusammengesetzten Begriffen. Den Teilen einer Formel sollen die jeweiligen Bestandstücke eines Begriffes, seine Merkmale, entsprechen. Von Wichtigkeit ist nun, daß dieselbe Beziehung, die nach Leibniz zwischen den Begriffen und Zeichen seiner Charakteristik besteht, auch zwischen den Begriffen und den durch diese vorgestellten Sachen (res ipsae) besteht, so daß jedem zusammengesetzten Begriff ein reales Zusammengesetztes entspricht und umgekehrt. Wie nun die vorgestellten Sachen durch die Begriffe abgebildet werden und diese wiederum durch die Zeichen der „Characteristica", so besteht dieser Isomorphismus auch zwischen den Sachen selbst und den Zeichen der „Characteristica", wobei die Begriffe entbehrlich werden. Eben dies aber46 ist der eigentliche Grundgedanke der Leibnizschen Charakteristik, den Lambert später so formuliert, daß er sagt, es müsse sich in einer vollkommen wissenschaftlichen Sprache „die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen reduciren" lassen47. Eben in dieser Eigentümlichkeit der Leibnizschen Charakteristik, daß die sprachlichen Zeichen selbst das „filum meditandi" sind, 44

Vgl. Leibniz, in Gerh. phil. IV, S. 73 und Gerh. phil. V I I , S. 1 3 — 1 5 .

45

Vgl. Bodemann, E., „Die Leibniz-Handschriften der Kgl. öffentlichen Bibliothek z u H a n n o v e r , H a n n o v e r und Leipzig 1895, S. 80 f.: „Ars diaracteristica est ars ita formandi atque ordinandi diaracteres, ut referant cogitationes, seu ut eam inter se habeant relationem, quam cogitationes inter se habent. Expressio est aggregatum diaracterum rem quae exprimitur repraesentantium. Lex expressionum haec est: ut ex quarum rerum ideis componitur rei exprimendae idea, ex illarum rerum characteribus componatur rei expressio."

46

Diese z w e i t e isomorphe Abbildung zwischen den Begriffen und Sachen wird in der kommentierenden Literatur m. E. nicht genannt. Vgl. dazu meinen Vortrag auf dem 8. Deutschen Kongreß für Philosophie, Heidelberg 1966, erschienen in ( H g . ) Gadamer, H . - G . , „Das Problem der Sprache", München 1 9 6 7 , S. 7 1 — 7 9 , „ D i e Entwicklungsstufen v o n Leibniz* Begriff einer Lingua universalis".

47

Vgl. Lambert, J. H . , „Neues Organon", Nachdruck Hildesheim 1965, Bd. 2, S. 25.

112

IV

Leibniz

der Ariadnefaden, der uns sicher zur Erkenntnis der durch sie bezeichneten Sachen führt, vergleicht Leibniz die Zeichen seiner Charakteristik mit denen von Arithmetik und Algebra. Der Begriff der Variablen dagegen, den Leibniz zwar in seinen Logikkalkülen gebraucht, zu dem er sich aber nicht theoretisch geäußert hat, ist der Charakteristik fremd, in der jedes Zeichen seine festgesetzte Bedeutung hat48. Während die Beziehung der Zeichen einer „Characteristica" zu dem durch sie Bezeichneten den Hauptgesichtspunkt der Leibnizschen Äußerungen zu einer „Characteristica" ausmacht, tritt derjenige einer Verknüpfbarkeit der Zeichen untereinander in den Hintergrund. Gewiß ist nur, daß die Zeichen selbst ihre wechselseitige Verknüpfbarkeit zum Ausdruck bringen müssen. Dies macht es erforderlich, daß bereits in den Grundzeichen einer „Characteristica" die Möglichkeit der Zusammensetzung aller Zeichen einer „Characteristica" zum Ausdruck gebracht wird. Hier liegt der Punkt, an dem die Leibnizsche Idee einer „Characteristica universalis" sich als das erweist, was sie tatsächlich für die Sprachtheorien der konstruktiv-rationalistischen Systeme des 18. Jahrhunderts wurde: eine ideale Norm für die Bezeichnungsfunktion der Sprache, deren praktische Durchführbarkeit zumindest für sehr schwierig, wenn nicht für zweifelhaft gehalten wurde. Insofern sie ihrer weiteren Zweckbestimmung nach auch eine „kombinatorische" sein soll und zur kalkülmäßigen Ableitung nicht nur der schon anderweitig gewonnenen Erkenntnis, sondern auch zur „Erfindung" neuer Erkenntnis dienen soll, führt sie zu einer „petitio principii". Dies erkannte schon Descartes, als er Mersenne gegenüber zum Ausdruck brachte, die Schaffung einer Charakteristik, die eine isomorphe Abbildung der zwischen Ideen bestehenden Verhältnisse ermögliche, „depend de la vraie Philosophie"". Daß eine „Characteristica universalis", wie Leibniz sie konzipierte, dasjenige voraussetzen muß, was zustandezubringen ihre eigentliche Aufgabe ist, ergibt sich aus der Betrachtung dessen, was durch die Charaktere vorgestellt wird, der einfachen Grundbegriffe und zusammengesetzten Begriffe. Nach Leibniz* Bestimmung seiner „Characteristica" sollen sich die zusammengesetzten Charaktere ohne die Bezugnahme auf die 48

Gerade in der vollständigen inhaltlichen Bestimmtheit der Zeichen einer „ C h a r a c t e ristica"

besteht nach Leibniz

deren

„Autarkie".

Vgl.

Couturat,

„Opuscules

et

F r a g m . " S. 2 8 4 : „ E t sciendum est tanto p e r f e c t i o n s esse diaracteres, quanto magis sunt αύταρκεΐς, ita ut omnes consequentiae inde duci possint." "

V g l . dazu oben, S. 48.

Characteristica universalis

113

zusammengesetzten Begriffe, denen sie entsprechen, aus den Grundcharakteren allein unter Beachtung von deren Verknüpfungsmöglidikeiten ableiten lassen. Die Kombinierbarkeit der Grundcharaktere dagegen läßt sich aus Leibniz' Charakteristik nicht ableiten. Die Verknüpfungsmöglichkeiten, die zwischen den einfachen Grundbegriffen bestehen, müssen also im vorhinein bekannt sein, um sodann die entsprechenden Grundcharaktere bilden zu können. Hierzu verhilft nach der oben dargelegten Theorie der Begriffszergliederung eine die natürliche Sprache benutzende Anwendung der von Leibniz in Anlehnung an die Tradition der „mathematischen Methode" konzipierten Analyse. Da sich nun die aus den Grundcharakteren bildbaren Formeln ohne jedes Hinsehen auf die durch sie repräsentierten Begriffe bilden lassen sollen, würde man im Prinzip mit den Grundcharakteren zugleich alle mit ihnen bildbaren Formeln kennen. Denn der Vorzug der Charakteristik als einer Kalkülsprache besteht eben darin, daß „toutes les recherches qui dependent du raisonnement se feraient par la transposition de ces caracteres et par une espece de calcul" 50 . Daß heißt nun aber, daß man nicht nur die Verträglichkeit der Grundbegriffe, sondern aller aus ihnen bildbaren zusammengesetzten Begriffe im Vorhinein kennen müßte: jede nur denkbare Verträglichkeit zwischen Begriffen müßte bereits in den Grundcharakteren repräsentiert sein. So wird für die Aufstellung der Grunddiaraktere das ganze System aller notwendigen Wahrheiten, auf die Leibniz seine Charakteristik in späterer Zeit eingeschränkt hat 51 , in seiner deduktiven Abhängigkeit bereits vorausgesetzt. Die „Characteristica" würde so zu einer bloß symbolischen Darstellung einer auf anderem Wege eröffneten Erkenntnis, die sie ja gerade möglich machen sollte. Leibniz hat sich gegen Einwände zu seiner Charakteristik in dem Sinne ausgesprochen, daß ein schrittweises Vorgehen bei der Schaffung einer Charakteristik möglich wäre und man mit der Kenntnis weniger Grundcharaktere zunächst voranzukommen versuchen sollte51. Doch gilt ω

Couturat, „Opuscules et F r a g m . " , S. 1 5 5 .

51

F ü r Eigennamen als N a m e n von Individuen, die in der wirklichen W e l t existieren, scheint Leibniz die Charaktere seiner Zeichenkunst nicht konzipiert zu haben. V g l . Couturat, „Opusc. et F r a g m . " , S . 2 8 : „Cependant quoique cette langue dopende de la vraie philosophie, eile ne dέpend pas de sa perfection. C'est-ä-dire cette langue peut etre etablie, quoique la philosophie ne soit pas parfaite: et ä mesure que la science des hommes croitra, cette langue croitra aussi." Diese A u s führungen sind eine Bemerkung, die Leibniz seiner K o p i e des Descartesschen Briefes an Mersenne hinzufügte. Z u r Frage der Abhängigkeit einer „ars characteristica"

a

114

IV

Leibniz

die soeben formulierte Kritik für jede beliebige Anzahl endlich vieler oder für unendlich viele Grundcharaktere 53 . Denn unter der Voraussetzung, daß die Grundcharaktere voneinander unabhängig sind in dem Sinne, daß sich nicht einer von ihnen aus anderen Grundcharakteren ableiten läßt, müssen auch die Verknüpfungsmöglichkeiten aller Grundcharaktere, die jeweils gebildet werden, im Vorhinein bekannt sein. Erst bei der Betrachtung der sehr ähnlich gearteten Lambertschen Theorie der Charakteristik wird deutlich, daß die Schwierigkeiten, in die die Leibnizsche Charakteristik führt, und das hartnäckige Festhalten an ihrem Gedanken 54 auf das Bestreben zurückgehen, die kognitive Funktion der anschauenden Erkenntnis, insbesondere der räumlichen Anschauung, auf die sich die geometrische Beweisführung bezieht, in einer Erkenntnis aufgehen zu lassen, in der die Symbolik selbst zum Träger der Anschauung wird, wie sie in Arithmetik und Algebra vorliegt 55 . So bekundet das Scheitern des Leibnizschen Gedankens eine „Characteristica" zugleich in einer exemplarischen Weise die Unmöglichkeit der in ihr vorliegenden Auffassung der „mathesis universalis" als eines „calculus qualitatum", dessen wesentliche Bestimmung darin liegt, eine „methodum aliquid exacte determinandi per ea quae sub imaginationem cadunt, sive, ut dicam, Logicam imaginationis" 56 zu liefern. Leibniz' Gedanke einer „Characteristica universalis" ist zu unterscheiden von den Logikkalkülen, die er in der Zeit von 1680 an unabhängig von seiner Charakteristik entwickelt hat und denen schon Couturat in seiner Darstellung der Leibnizschen Logik ein eigenes Kapitel bzw. einer „Lingua universalis" von einer „encyclopaedia demonstrativa" vgl. die die wichtigsten Momente hervorhebende Darstellung bei Kneale, W. u. M., „The Development of Logic", Oxfort 1962, S. 327 ff., auch Schischkoff, G., „Die gegenwärtige Logistik und Leibniz", in: Schischkoff, G . (Hg.), „Beiträge zur LeibnizForschung", Bd. 1, Reutlingen 1947, S. 224—240. 53

Ob die Anzahl der Grunddiaraktere einer „Characteristica" endlidi oder unendlich ist, bleibt bei Leibniz wohl offen. N u r die Analyse einer „verite necessaire" hört nach endlich vielen Schritten auf.

54

Die erste Erwähnung einer „scriptura universalis" findet sich in der „Dissertatio de Arte combinatoria" von 1666 (Leibniz, ed. Gerh. phil. I V , S. 72), der letzte, immer nodi hoffnungsvolle Hinweis in einem Brief an Remond von 1 7 1 4 (ebd. Bd. III, S. 60s).

55

Vgl. Leibniz, Gerh. phil. V I I , S. 184: „nihil est quod numerum non patiatur. 'Itaque numerus quasi figura metaphysica est, et Arithmetica est quaedam Statica Universi, qua rerum potentiae explorantur".

56

Vgl. Couturat, „Opusc. et Fragm.", S. 348 in „Elementa nova Matheseos universalis".

Characteristica universalis

115

gewidmet hat57. Während zur Charakteristik fast nur theoretische Äußerungen von Leibniz vorliegen und die wenigen Proben, „Specimina", in denen er sich versucht hat, von ihm bald wieder als unzulänglich verworfen wurden, ist es im Hinblick: auf die Logikkalküle umgekehrt: Leibniz hat die von ihm entwickelten Logikkalküle weder explizit auf den Gedanken einer „Characteristica" bezogen noch ihren Zusammenhang mit seiner Urteilstheorie auf gewiesen. In diesen Logikkalkülen liegt tatsächlich ein Formalismus in dem Sinne vor, daß Leibniz hier Begriffsvariabein und Konstante als Grundzeichen eines Kalküls einführt, der durch die explizite Angabe oder implizite Verwendung von Bildungsregeln für zusammengesetzte Zeichen und Umformungsregeln für zusammengesetzte Ausdrücke als solcher bestimmt ist58. Der Name dieser Kalküle als „Logikkalküle", der erst von Couturat gebraucht wurde, rechtfertigt sich insofern, als diese im engeren Sinne logische Verhältnisse zwischen Begriffen und Aussagen betreffen und analog zu den Regeln der Syllogistik, deren Schlüssigkeit Leibniz an Hand seiner Kalküle untersuchte59, auf Grund der in ihnen als Leerstellen auftretenden Variablen allgemein anwendbar sind. Zu seinen Logikkalkülen hat Leibniz jedoch keine Theorie einer formalen Ableitung, einer „deductio in abstractis" geliefert60. Die allgemeingültigen logischen Theoreme, die Leibniz mittels seiner Logikkalküle ableitet' 1 , lassen sich aus seiner Charakteristik, deren Zeichen in ihrer Bedeutung an bestimmte Begriffe gebunden sind, nicht ableiten. Auch hat sich Leibniz über das Verhältnis seiner Logikkalküle zur Charakteristik nur sehr spärlich geäußert. Diese geringen Angaben legen aber den Gedanken nahe, daß die Theoreme, die Leibniz in seinen Logikkalkülen formal ableitet, soweit sie sich als brauchbar erweisen, aufzufassen sind als die allgemeinen Umformungsregeln, nach denen sich in Leibniz' „Characteristica universalis" das Operieren mit den bereits gebildeten Charakteren bei der Aufstellung von Aussagen und Vornahme von Schlüssen vollzieht62, wohingegen sie nicht für die Bildung 57 58 59

60

61 e!

Vgl. Couturat, „La Logique d. L.", S. 323 ff. Vgl. ebd. S. 344 f. Vgl. dazu die Darstellung bei Couturat, L., „La Logique de Leibniz", Paris 1901, S. 347; Leibniz, „Non inelegans specimen demonstrandi in abstractis", ed. Erdmann in: „Op. Omnia", S. 94. Vgl. Couturat, La Logique de L.", a. a. O. Vgl. dazu die Bemerkung von Leibniz in „Fundamenta Calculi ratiocinatoris", ed. Erdmann, S. 93: „Calculus vel operatio consist« in relationum productione, facta

116

IV

Leibniz

der Charaktere selbst aufkommen können, die ja selbst die Möglichkeit ihrer wechselseitigen Kombination zum Ausdruck bringen müssen"3. Die Bedeutung des Ausdrucks „mathesis universalis" liegt bei Leibniz selbst nicht in eindeutiger Bestimmtheit vor. Bereits Couturat hat auf die in vielen Fragmenten vorliegende Tendenz hingewiesen, der „Mathesis" oder „Mathesis universalis" bzw. „Mathesis generalis" als einer „Logica imaginabilium" oder audi „Scientia rerum imaginabilium" — der die Metaphysik als „scientia rerum intellectualium" und die Moral als „scientia affectuum" gegenübersteht — die Kombinatorik an Allgemeinheit überzuordnen, als diejenige Wissenschaft, welche „agit de calculo in universum, seu de notis — sive characteribus — universalibus"64. Als allgemeinste und gleichzeitig umfassendste, d. h. alle anderen „Disziplinen" in deduktiver Abhängigkeit enthaltende ist die „Scientia generalis" bei Leibniz die „Logica" in ihrer vollkommensten Gestalt, deren vorzüglichste Instrumente die Kombinatorik und die Charakteristik sind. Sie gliedert sich in eine „ars iudicandi" und eine „ars inveniendi", durch die ihre Aufgabenstellung gekennzeichnet ist"5. Bisweilen erscheint die „mathesis universalis" in der Verwendung dieses Ausdrucks durch Leibniz als eine Disziplin, die die „ars combinatoria" als die Lehre „de rerum varietate ac formis sive qualitatibus in universum, quatenus distinctae ratiocinationi subjiciantur" und die „Logistica sive Algebra" als die Lehre „de quantitate in universum" als Teile in sich enthält". An anderen Stellen tritt der Ausdruck „mathe-

"

64

βί

66

per transmutationem formularum, secundum leges quasdam praescriptas f a c t i s . . Patet igitur, Formulas, (sub quibus, tamquam simplicissimas, licet comprehendere ipsos diaracteres), relationes et operationes se habere ut notiones, enuntiationes et syllogismos." V g l . Couturat, „Opusc. et F r a g m . " , S. 3 2 6 : w o Leibniz zwischen der Bildung und der U m f o r m u n g v o n Ausdrücken, der „formatio Expressionis" und dem „transitus ab expressione ad expressionem" unterscheidet. V g l . Couturat, „Opusc. et F r a g m . " , S. 556. In der Kombinatorik als einem „calculus in universum" ist die V e r w e n d u n g der mathematischen Symbole nicht an die Bedeutung einer Quantität gebunden: „ N o n omnes formulae significant quantitatem, et infiniti modi calculandi excogitari possunt". V g l . dazu Leibniz' Äußerungen in den verschiedenen Fragmenten zu den „Initiae Scientiae generalis", die im V I I . Bd. der ed. Gerh. phil. und in der E r d m a n n schen Edition enthalten sind. V g l . Leibniz, „ D e ortu, progressu et natura A l g e b r a e " in Gerh. math. V I I , S . 2 0 5 : „Interim A l g e b r a cum Mathesi universali non videtur confundenda. Equidem si Mathesis de sola quantitate ageret sive de aequali et inaequali, ratione et proportion, Algebram (quam tractat quantitatem in universum) pro parte eius generali haberi nihil prohiberet. V e r u m Mathesi subesse videtur quicquid imagination! subest, quatenus distincte concipitur, et proinde non tantum de quantitate, sed et de

117

Characteristica universalis

sis universalis" auf zur Bezeichnung einer Disziplin, die mit der „Logistica sive Algebra" identisch ist und von Leibniz der „Combinatoria generalis de formulis universe acceptis" untergeordnet wird. Hier nennt er sie „ Logisticam seu Mathesin universalem de magnitudinibus et rationibus in genere tractantem"®7. Trotz dieser Schwankungen im Sprachgebraudi ist der Ausdruck bei Leibniz stets verbunden mit dem Gedanken der Anwendung einer Kalkülsprache, in der sich aus einfachen Grundfiguren durch Anwendung von Bildungsregeln und Umformungsregeln für zusammengesetzte Formeln aus vorgegebenen Aussagen andere Aussagen auf rein kalkulatorischem Wege und ohne Hinblick auf die durch die Konstanten des Kalküls symbolisierten Begriffe ableiten lassen. Alle diese Bedingungen sind angegeben im Leibnizschen Entwurf einer „Characteristica", die insofern und aufgrund anderer Äußerungen von Leibniz als das „Modell" zu betrachten ist, in dem sich der Gedanke einer „mathesis universalis" erfüllen sollte. Dasselbe gilt mit der Einschränkung, daß statt der individuellen Begriffskonstanten „characteres generales", Begriffsvariabein, gebraucht werden, auch von den Logikkalkülen, die Leibniz entworfen, aber theoretisch nur insofern verwertet hat, als er die Gleichartigkeit der allgemeinen Ableitungen, die sie erlauben, mit dem im Syllogismus vorliegenden folgerichtigen Schließen erkannte88. Die starke Hervorhebung der „Characteristica" gegenüber den Logikkalkülen mag sich erklären durch den Umstand, daß ihre Zielsetzung allein derjenigen der Logik, zugleich eine „ars inveniendi" und eine „ars iudicandi" zu sein, gerecht zu werden schien. Im Hintergrunde wirkte vermutlich die Bindung, welche die kartesische Auffassung der Algebra und die mathematische Methodenlehre an die kognitiven Gehalte der Anschauung aufwies. In ihr lag audi bei der Bildung der Grundzeichen einer „Characteristica" deren eigentliche Schwierigkeit. Zugleich erwies sich die „Characteristica" als ein Gedankenkomplex, der durch die analytische Urteilstheorie, die sich seit der kartesischen Lehre unter dem Einfluß der „mathematischen Methode" in einer spezifischen Form herausgebildet hatte, bedingt erscheint. Eben diese dispositione rerum in ea tractari. Itaque duae ni fallor sunt partes generalis, A r s Combinatoria de rerum varietate universum,

quatenus

distinctae

ratiocinationi

Matheseos

ac formis sive qualitatibus

subjiciantur,

deque

simili ac

simili; et Logistica sive A l g e b r a de quantitate in universum." • 7 V g l . Leibniz, „Specimen Geometriae luciferae" in ed. Gerh. math. V I I , S. 2 6 1 . ω

V g l . oben, S. 1 0 8 / 1 0 9 .

in dis-

118

IV

Leibniz

Urteilstheorie und die mit ihr verbundene Theorie der Begriffszusammensetzung liegt, wie wir sahen, der Leibnizschen Konzeption einer mit der „Characteristica" zu verwirklichenden Kalkülsprache zugrunde, in der „die Theorie der Sachen auf die Theorie der Zeichen" reduzierbar schien.

4. Der Systembegriff bei Leibniz. Die Betrachtungen zu Leibniz' Theorie einer Anwendung der „mathematischen Methode" und ihrer wechselseitigen Bezogenheit auf den Gedanken einer „mathesis universalis" sollen im folgenden im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Leibnizschen Systembegriff abgeschlossen werden, in dem sich beide in ihrer theoretischen Eigenständigkeit und ihrem inneren Zusammenhang spiegeln. Während der heutige Sprachgebrauch des Ausdrucks „System" wohl vorwiegend auf Christian Wolff zurückgeht, hat ihn Leibniz in einem davon zu unterscheidenden, aber für seine Lehre und die ihm eigentümliche Darstellungsform philosophischer Gedankengänge kennzeichnenden Sinne gebraucht. In seiner Analyse des Briefwechsels von Leibniz und Wolff hat Arnsperger darauf hingewiesen 69 , daß das Wort „System" im philosophischen Schrifttum von Leibniz vorwiegend eine „wissenschaftliche Denkungsart in betreff eines einzelnen Punktes, eine Meinung, eine Hypothese" bezeichnet. In diesem Sinne habe Leibniz diesen Ausdruck für seinen Gedanken der prästabilierten Harmonie gebraucht, und zwar so regelmäßig, daß man von diesem Gedanken bald nie anders redete als von dem „System der prästabilierten Harmonie". In einem vorläufigen Sinne läßt sich der Sprachgebraudi des Ausdrucks durch Leibniz wie folgt charakterisieren: Er bezeichnet bei Leibniz vorwiegend einen Grundgedanken, von dem aus als einem perspektivischem Zentrum sich die Gesamtheit einer Theorie erschließt. Demgegenüber gebraucht Wolff diesen Ausdruck, um mit ihm das Ganze einer in ihrem durchgängigen Begründungszusammenhange dargestellten Theorie zu bezeichnen. So bezieht sich zumeist der Leibnizsche Gebrauch dieses Wortes auf einen einzelnen Gedanken, der aber dadurch ausgezeichnet ist, daß er den Blick öffnet auf den Zusammenhang dessen, was dem System unterworfen ist, wohingegen der Wolffsche Gebrauch dieses ββ

Arnsperger, W . , „Christian Wolfis Verhältnis zu Leibniz", Weimar 1 8 9 7 , S. 4 3 .

Systembegriff

119

Ausdrucks sich auf die Darstellung einer Theorie bezieht, die im „ S y stem" ihrer ganzen thematischen Tragweite nach zum Ausdruck gebracht wird 70 . Im Gegensatz zu Wolff gebraucht jedoch Leibniz den Ausdruck „System" nicht immer im selben Sinne. So verwendet er ihn zu der Bezeichnung des Begründungszusammenhanges, der zwischen den zeitlich aufeinanderfolgenden Zuständen der Monade besteht, als einer effizienten Kausalität f ü r die physischen Zustandsveränderungen und einer dieser gleichgeordneten finalen Kausalität f ü r die gleichzeitigen Perzeptionen und Appetitionen der Monade 71 . Dagegen ist es im Hinblick auf den Gedanken der prästabilierten Harmonie nicht die Zuordnung zwischen den aufeinanderfolgenden Zuständen der Monade, oder die Zuordnung von psychischen und physischen Vorgängen, die das „Systeme nouveau de la nature" bildet, sondern d e r G e d a n k e , d a ß eine solche Zuordnung zwischen der Monade und ihren körperlichen Zuständen besteht, wird von Leibniz als sein „systeme de l'harmonie preetablie" bezeichnet. Der Ausdruck „System", den Leibniz hier promiscue mit dem einer „Hypothese" gebraucht, bezeichnet einen philosophischen Grundgedanken, von dem aus sich der Blick auf einen Begründungszusammenhang erschließt, durch den die auf den Zusammenhang von Psychischen und Physischen bezüglichen Phänomene erklärbar werden. Leibniz' Verwendung des Ausdrucks „System" im Hinblick auf den Gedanken der prästabilierten Harmonie zeichnet sich dadurch aus, daß nicht nur der Gedanke der prästabilierten Harmonie ein System im angezeigten Sinne ist, sondern daß er gleichsam das Grundmodell bildet, an dem sich ein wesentlicher Zug der Leibnizschen sowohl wie der Wölfischen Systemauffassung zeigt. Denn die eindeutige Abbildbarkeit, die in diesem Gedanken das Verhältnis der körperlichen und geistigen Zustände der Monade, der physischen und der psychischen Kausalität kennzeichnet, charakterisiert auch die formale Struktur der Abbildungsbeziehung, die zwischen einem „System" und der durch dieses abgebildeten realen Ordnung besteht. So wird im System der prästabilierten 70

W o l f f , Christian, „Logica sive Philosophia rationalis", F r a n k f u r t und Leipzig 1 7 2 8 , § 889, w o Wolff „ S y s t e m " definiert als „veritatum inter se et cum principiis suis connexarum congeries", als das G a n z e einer in ihrem durchgehenden logisdien Zusammenhang dargestellten Theorie.

71

V g l . Leibniz, S. 7 1 4 .

„Principes

de la N a t u r e et de la G r a c e " ,

§ 2, in ed.

Erdmann,

120

IV

Leibniz

Harmonie ein Gedanke formuliert", der wesentlich die Systemauffassung als solche bestimmt. Diese Abbildungsfunktion, durch die der logische Begründungszusammenhang des Systems auf einen realen bezogen wird, liegt auch vor in Leibniz' Gedanken der „Characteristica universalis", wie oben gesagt wurde. Der Isomorphismus, der zwischen den Sachen selbst und den Begriffen besteht, durch die wir sie vorstellen, zeigt im übrigen, daß es sich bei dem Begriffssystem, an dem sich die Bildung der Charaktere orientiert, nicht um ein faktisch gegebenes, sondern um ein aufgegebenes handelt, das so beschaffen sein muß, daß es sich auf die Dinge selbst umkehrbar eindeutig abbilden läßt. Leibniz' Sprachgebrauch des Ausdrucks „System" differenziert sich nun. Von einem System, in dem außer den Grundzeichen nur die Regeln für die Bildung zusammengesetzter Zeichen und die Umformungsregeln zur Gewinnung von Aussagen und Folgerungen angegeben sind und wo „selon que les elements sont suffisamment etablis, on y peut tout trouver par le secours de la science generale ou de l'art d'inventer", spricht Leibniz als von einem „syst£me regle" 73 . Hier besteht der „ordre scientifique parfait", von dem gilt, daß „les propositions sont rangees suivant leurs demonstrations les plus simples et de la mani£re qu'elles naissent les unes des autres" 74 . Von einem System dagegen, das die Beweisgänge für 71

Vgl. Leibniz, „Systeme nouveau de la nature", ed. Erdmann, S. 124, und „Eclaircissement du nouveau systeme", ebd. S. 1 3 1 — 1 3 6 . Auf die generelle Bedeutung des Leibniz'schen Gedankens der prästabilierten Harmonie im Hinblidk auf Leibniz* Systemauffassung hat hingewiesen H . Rombach, „Substanz, System, Struktur, Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft", Freiburg—München 1965/66, 2. Bd. S. 366 f. Die enge Verbindung von Leibniz' Systembegriff zu seinem Begriff der Repräsentation hebt von allem hervor Mahnke, D., „Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik", Halle 1925, S. 221—228. Sehr treffend formuliert im oben genannten Sinne auch Serre, M., „Le Systeme de Leibniz et ses Modules mathematiques" 2 Bde, Paris 1968, Bd. i , S. 48/49: „ . . . la these de l'harmonie preetablie . . . figure, dirons-nous, la maille elementaire du reseau, le paradigme le plus typique; eile presente deux sequences lineaires p a r a l l e l e s . . . ces sequences h£t£rog£nes sont Hees par une multiplicite dense de lignes analogiques. Ce paradigme particulier est le noyau historiquement premier (dans le diveloppement de la pensee) et le meilleur modele de la construction du systeme". Ähnlich wie Beiaval, Y . , „Leibniz, critique de Descartes", Paris i960, verwendet Serre den Ausdruck „formalisme" im Hinblick auf Leibniz in allgemeiner, wenn auch prägnant interpretierter Bedeutung und benutzt ihn als das eigentliche Schlüsselwort zur Interpretation des Leibniz'sdien Systembegriffes. ™ Leibniz, „Discours toudiant la Methode de la Certitude et l'art d'inventer", ed. Erdmann, S. 175. « Ebd.

Systembegriff

121

vorgelegte Aussagen enthält und ihre Begründung in natürlicher Spradie more geometrico angibt, spridit Leibniz als von einem „syst^me accompli" 75 . Während das axiomatische Verfahren, das sich mit dem Begriff des „mos geometricus", der „mathematischen Methode" herausgebildet hatte, seinem Ursprung in der euklidischen Geometrie nach eine Methode zum Beweise vorgelegter Sätze ist, soll eine nach dem Vorbild der Algebra und der Kombinatorik konzipierte Kalkülspradie vor allem der Herleitung neuer Erkenntnis dienen. Leibniz gibt im „Discours touchant la methode de la Certitude" 7 ' seine Bevorzugung eines Systems zu erkennen, das sich einer Kalkülsprache bedient. Denn ein System, das in natürlicher Sprache „more geometrico" aufgeführt wird, enthält zwar für jeden zu beweisenden Satz alle Gründe und heißt eben durch die Angabe eines Beweisganges für jeden Satz ein „systeme accompli". Es steht im Dienste einer „ars iudicandi" oder „ars demonstrandi", deren Aufgabe es ist, „was fürgestellet, zu beurtheilen"77. Doch Leibniz meint, daß die Anordnung der Aufeinanderfolge der zu beweisenden Aussagen oft eine Sache des Gesichtspunktes sei und daß die notwendigen Querverweisungen diesen Systemtyp unübersichtlich machen, sobald man ihn in einem größeren Erkenntnisbereidi zu verwirklichen strebt78. Auch hier zeigt sich also, wie im Hinblick auf den Gedanken der prästabilierten Harmonie, Leibniz' Bevorzugung einer Auffassung des Systems, die diesem einen projektiven, die Gesamtheit einer Theorie allererst entwerfenden Sinn verleiht. Denn wie der Gedanke der prästabilierten Harmonie als einzelner Gedanke systematischen Charakter hat, weil er den Blick öffnet auf eine gleichermaßen auf Zweckursachen und Wirkursachen ausgerichtete Erklärung des Realzusammenhanges im „mundus adspectabilis", so ist schon in den Elementen einer Kalkülsprache, den Grundzeichen der Charakteristik als einem „alphabetum » Ebd. S. 174. ' · Ebd. S. 175. 77

Leibniz, „Schreiben an Gabriel Wagner", Gerh. phil. V I I , S. 516.

78

Leibniz, „Discours touchant la Methode de la Certitude", a. a. Ο., S. 174» wo Leibniz von dem „arrangement d'un systÄme accompli" spricht, „qui outre les assertions en contiendra encore les raisons et les preuves. On sera le plus embarasse sur l'ordre des syst^mes, oü il y a ordinairement tant de sentiments que tetes; mais il y en aura un provisionnel, qui suffira quand il ne serait pas dans la derniere perfection, et le systÄme lui-meme aura beaucoup de renvois d'un endroit i l'autre, la plupart des dioses pouvant etre regard£es de plusieurs fafons et de plus l'index servira de suppliment".

122

IV

Leibniz

cogitationum humanarum"78, die Gesamtheit aller aus dem Kalkül ableitbaren Aussagen virtuell gegeben. Während die Leibnizsche Systemauffassung gleichsam am Bilde eines perspektivischen Zentrums orientiert ist, von dem aus sich die Gesamtheit einer philosophischen Theorie erschließt, und während die Leibnizsche Theorie vorwiegend auf den Gedanken einer „ars inveniendi" ausgerichtet ist, liegt Wolffs Philosophie, die im folgenden zu erörtern sein wird, der Gedanke zugrunde, daß jede „inventio" eines Inventarium schon gesicherter Erkenntnis bedürfe. Dieser Gedanke war auch Leibniz nicht fremd, wenn er zur Entdeckung neuer Erkenntnis eine „Encyclopedic demonstrative" forderte, ein „artifice", das auch nützlich sei „pour le secours de la memoire" 80 . Der Gedanke, daß der Inventor eines „inventarium" schon gefundener Erkenntnis bedürfe, kam schon in Bacons Bestreben zum Ausdruck, „scientiarum atque artium receptarum oras legere, necnon utilia in illas importare" 81 , nur daß sie nach Leibniz einen durchgängigen Begründungszusammenhang aufzuweisen hat, so daß sie nicht nur die Aufgabe einer „ars memorativa", sondern audi diejenige einer „ars iudicandi" erfüllen kann82. So bestätigt sich wiederum im Hinblick auf den Leibnizschen Systembegriff, was zu Beginn dieser Betrachtung über Leibniz' Auffassung der „mathematischen Methode" und der „mathesis universalis" vorgetragen wurde: daß Leibniz' Auffassung einer „ars iudicandi", in der er die eine Aufgabe der Logik sah, und die seinen Begriff eines „systeme accompli" bestimmt, bezogen bleibt auf eine Methodenlehre, die sich unter dem Namen der „mathematischen Methode" im Anschluß an die euklidische Axiomatik herausgebildet hatte; wohingegen die „ars inveniendi", in der Leibniz die andere Aufgabe der Logik sah, an den mit der kartesischen Philosophie in die philosophische Methodenlehre eindringenden Gedanken einer „mathesis universalis" anknüpft, von der Leibniz meinte, daß sie es gewesen sei, die ihn zur Konzeption seiner „ Seientia generalis" 79

Leibniz, Gerh. phil. V I I , Fragm. X I V , S. 199.

80

Leibniz, „Preceptes pour avancer les sciences'", ed. Erdmann, S. 1 6 9 . E b d . : „II est vrai que si cette e n c y c l c ^ d i e etait faite comme je la souhaite, on pourrait donner le moyen de trouver toujours les consequences des verites fondamentales, ou des faits donnes, par une maniere de calcul aussi exact et aussi simple que celui de l'arithmitique et de l'algebre".

81

Bacon, Francis, „ D e Dignitate et augmentis scientiarum libri I X " in „ O p e r a omnia". Leipzig 1 6 9 4 , S. 1 3 .

82

Rossi, Paolo, „ C l a v i s universalis. Lullo a Leibniz", Milano i 9 6 0 .

Arti

mnemonidie

e

logica

(London

1623)

combinatoria

da

Systembegriff

123

als der vollkommenen Gestalt einer Logik veranlaßt habe83. Demnadi spiegelt der Zusammenhang von „ars iudicandi" und „ars inveniendi" denjenigen der philosophischen Konzeption einer „methodus mathematica" und einer „mathesis universalis" wider, nach dem jeweils die erstere der Vorbereitung einer Ausführung des Gedankens der letzteren dient, auf welche die Zielsetzung einer „scientia generalis" gerichtet ist. Ein Blick auf die Entwicklung des Begriffs der „mathematischen Methode" und auf die Einwirkung des Kalkülbegriffs, wie sie im Vorstehenden bei den Autoren des 1 7 . Jahrhunderts bis zu Leibniz aufgezeigt wurde, macht deutlich, daß erst in der Leibnizschen Lehre die wechselseitige Beziehung des Gedankens einer Anwendung der „mathematischen Methode" und einer „mathesis universalis" zu einer klaren theoretischen Ausgestaltung gelangte. Im selben Zuge wurde allen anderen Stücken der Leibnizschen Methodenlehre, wie der analytischen Urteilslehre und der Theorie der Begriffszusammensetzung, von Leibniz ihr systematischer Ort angewiesen. Die Gebundenheit des Kalkülbegriffs an die räumlich-geometrische Intuition, wie sie in der kartesischen Lehre vorlag, wird aufgegeben, und Leibniz entwickelt in seiner „Characteristica universalis" als einem „calculus ratiocinator" einen eigenständigen Kalkülbegriff, der nur noch bei der Bildung der Grundcharaktere des anschaulichen Vorstellens von deren Bedeutungsgehalten bedarf. Der innere Zusammenhang von „ars inveniendi", „Synthese" und „mathesis universalis" einerseits, und „ars iudicandi", „Analyse" und „mathematischer Methode" andererseits, der darin besteht, daß die Anwendung der in der letztgenannten Reihe zusammengefaßten methodischen Mittel beim Aufbau der wissenschaftlichen Erkenntnis derjenigen der erstgenannten vorgeordnet ist, bleibt auch in den von Leibniz abhängigen Theorien des 18. Jahrhunderts erhalten, im besonderen bei Christian Wolff, der in der analytischen Zergliederung der überkommenen wissenschaftlichen Erkenntnis und deren demonstrativen A u f b a u nach mathematischer Lehrart die Gestaltungsprinzipien seines philosophischen Systembaues gewann.

ω

Vgl. oben S. 100.

V.

„Methodus Scientifica" und „Mathesis Universalis" in der Methodenlehre Christian Wolffs

ι. „Mathematische Methode" und Aufbau der begrifflichen in der Wolffschen Philosophie

Erkenntnis

In Wolffs philosophischem Schrifttum liegt nun tatsächlich ein „syst^me accompli" vor, indem er gleich zweimal, in deutscher sowohl als in lateinischer Sprache, die philosophischen Wissenschaften, umfassender als irgendeiner seiner Vorgänger in der neuzeitlichen Philosophie, nach mathematischer Methode demonstrierend, zur Darstellung brachte1. Der Wille, die Philosophie in allen ihren Teilen nach dem Vorbilde der Mathematik zu reformieren, tritt biographisch hervor in der Entwicklung Wolffs bis zum Erscheinen der deutschen Reihe seiner Schriften zur Philosophie, mit welcher er deren Darstellung begann, und wird bekundet durdi eine Vielzahl autobiographischer Äußerungen. Er zeigt sidi audi im skizzierenden Entwurf seiner Darstellung der Philosophie, den schon der „Kurtze Unterricht von der mathematischen Methode" enthält, mit dem Wolff seine „Anfangsgründe aller mathematischen Wissenschaften" 2 eröffnet, und den Wolff in noch ausführlicherer

1

Die Darstellung dieses Lehrsystems gliedert sidi in den deutschen Sdiriften in die „Vernünftigen Gedanken" „Von den Kräften des menschlichen Verstandes" ( 1 7 1 3 ) , „Von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, audi allen Dingen überhaupt" ( 1 7 2 0 ) , „Von der Menschen Tun und Lassen" ( 1 7 2 0 ) , „Von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen" ( 1 7 2 1 ) , „Von den Wirkungen der N a t u r " ( 1 7 2 3 ) , „Von den Absichten der natürlichen Dinge" ( 1 7 2 4 ) , „Vom Gebrauch der Teile in Menschen, Tieren und Pflanzen" ( 1 7 2 5 ) ; die lateinische Reihe gliedert sidi in die Darstellung der „Logica" ( 1 7 2 8 ) , der „Ontologia" ( 1 7 2 9 ) , der „Cosmologia generalis" ( 1 7 3 1 ) , der „Psydiologia empirica" ( 1 7 3 2 ) , der „Psydiologia rationalis" ( 1 7 3 4 ) , der „Theologia naturalis" ( 1 7 3 6 — 3 7 ) , der „Philosophia practica universalis" ( 1 7 3 8 — 3 9 ) , des „Ius naturae" ( 1 7 4 0 — 4 8 ) , des „Ius gentium"

(1750), der „Ethica" (17JO—53) und der „Oeconomia" (17J0). 2

Wolff, Chr., „Anfangsgründe aller mathematisdien Wissenschaften", Halle 1 7 1 0 .

126

V

Wolff

Form im „Vorbericht von der Welt-Weisheit" in seiner deutschen Logik gibt«'. Obschon nach seinem Studium der Mathematik und Philosophie in Jena (1699—1703) und anschließenden Studienjahren in Leipzig, wo er seit 1704 mathematische Vorlesungen hielt, durch Leibniz Vermittlung 1706 als Professor Matheseos nach Halle berufen, meint Wolff dennoch, er habe seine Beschäftigung mit den mathematischen Wissenschaften „jeder Zeit nur als ein Nebenwerck" betrachtet 4 und sich lediglich „auf die Mathematik geleget, um den methodum demonstrativam kennen zu lernen, und auf die Algebram, um von der Arte inveniendi einen rechten Begriff zu bekommen" 5 . Daß es ihm dabei um die Anwendung der mathematischen Methode in den anderen Wissenschaften mit dem Versuch der Übertragung ihrer Gewißheit auf jene ging, sagt er rückschauend in der „Ratio praelectionum" 8 : „iam monui, me ab initio solius methodi gratia ad Mathemata appulisse, ut caeteras quoque disciplinas ad aliquem certitudinis gradum evehere tentarem" 7 . Der Name, den Wolff für die von ihm gelehrte und angewandte Methode prägte, „Methodus scientifica", der sich noch in Kants Sprachgebrauch als derjenige der „szientifischen" erhält 8 , und den Wolff im Untertitel aller seiner lateinischen Werke mit den Worten „methodo scientifica pertractatum" zum Ausdruck bringt, beinhaltet für ihn die Forderung und Behauptung der Einheit von „methodus philosophica" und „methodus mathematica"'. So bestimmt er „scientia" allgemein als den „ habitus asserta demonstrandi, hoc est, ex principiis certis et immotis per legitimam consequentiam inferendi" 10 , eine Begriffsbestimmung, die auf eine Darstellung des Beweisganges von Sätzen gerichtet ist, die als 3

Als

„Deutsche

Logik"

zitiert

werden

die

„Vernünftigen

Gedanken

von

den

Kräften des menschlichen Verstandes" in der v o n mir besorgten Ausgabe Hildesheim 1 9 6 5 . 4

W o l f f , Chr., „Eigene Lebensbeschreibung" hg. v . Wuttke, Leipzig 1 8 4 1 , S. 1 3 9 .

5

Ebd., S. 1 4 6 .

β

W o l f f , Chr., „ R a t i o praelectionum W o l f i a n a r u m " , Halle 1 7 1 9 , S. 6.

7

W o l f f , Chr., „Mathematisches L e x i k o n " , Halle

1 7 1 7 , Vorrede:

„ A l s o machte ich

mich anfangs über die Mathematick aus keiner anderen Absicht, als damit ich ihr A r t im Erfinden und Beweisen zu schlüssen genauer erkennen möchte". 8

V g l . K a n t , „ K r i t i k der reinen V e r n u n f t " , Transzendentale Methodenlehre, Ausgb. Bd. 3, S. 5 5 2 .

9

W o l f f , „ L o g i c a " , § 1 3 9 : „Methodi philosophicae eaedem sunt regulae, quae methodi mathematicae", a . a . O . spricht Wolff v o n einer „Identitas methodi philosophicae et mathematicae".

10

W o l f f , „ L o g i c a " , § 30.

Akad.

Methodus scientifica

127

solche vorgegeben, zu erweisen sind, und nicht im Zuge der Erörterung allererst gefunden werden 1 1 . So besteht der Aufbau der lateinischen Schriften Wolffs darin, daß die Definitionen und Axiome erläutert und den Lehrsätzen ihre Beweise beigefügt werden. Diesem Aufbau der philosophischen Disziplinen, f ü r den Wolff auch den Namen einer „scientia architectonica" prägt", liegt die Regel zugrunde, daß „praemittuntur, quae sequentibus intelligendis et demonstrandis inserviunt" 1 *. Eben dadurch unterscheidet Wolff seine Darstellung von einer Kompilation, die nach ihm darin besteht, daß das bei den verschiedenen Autoren unter einem Titel Stehende lediglich zusammenfassend genannt wird 14 . Die systematische Darstellung besteht nach Wolff wesentlich in der Verknüpfung, der „connexio" oder dem „nexus" der ins System gebrachten Aussagen. Diese selbst jedoch bzw. die Begriffsbildungen, auf denen sie fußen, sind keine Resultate der Systembildung. So betrachtet Wolff schon denjenigen als einen „systematis conditor", „qui veritates apud alios autores obvias suoque fini accomodas eligit et inter se connectit" 15 . Wolff bezieht seinen Systembegriff nicht nur auf die Darstellungsform seiner lateinischen Schriften, in denen er durch deren Aufgliederung in den zu erweisenden Lehrsatz, den Beweis und die Erläuterung die „methodus synthetica" befolgt, sondern auch auf seine Darstellungsform in den deutschen Schriften zur Philosophie, in denen er eine „methodus mixta" befolgt haben will 1 '. Während die Darlegung innerhalb der einzelnen Abschnitte dieser Schriften analytisch insofern ist, als ihr eine zergliedernde Analyse der durch die Tradition vorgegebenen und der aus der Betrachtung des natürlichen Verstandesgebrauches gezogenen Bestimmungen einer Logik und Methodenlehre zugrundeliegt, besteht der „synthetische" Darstellungscharakter von Wolffs deutschen Schriften in der Abfolge der einzelnen Abschnitte, nach der die jeweils folgenden die früheren voraussetzen und durch eine Ausweitung des Gesichtspunktes 11

Damit stimmt audi Wolfis Bestimmung der Aufgabe „Elementa Aerometriae", 1709, Vorrede"), „rationes fieri potest vel esse nequit". 11 Vgl. Wolff, „Logica", § 82J. 15 Ebd., § 8 1 9 . 14 Wolff, „Logica", § 889: „Compilator dicitur, qui quae tandam sumsit, per alios libros sparsas reperit, in veritatum connexione". 15 Ebd. " Vgl. „Logica", § 895.

des Philosophen überein (in perspicere, ob quas aliquid

ea de re, quam sibi pertracunum cogit, insuper habita

128

V

Wolff

aus diesen hervorgehen. Ein Beispiel dafür bietet schon Wolffs erstes Werk, mit dem er die Reihe seiner deutschen Schriften ( 1 7 1 3 ) eröffnete, die „Vernünftigen Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauch in Erkenntnis der Wahrheit" 17 . Deren „theoretischer" Teil, bestehend aus Begriffslehre, Urteilslehre und Schlußlehre, erörtert die Lehre von den „tres operationes mentis" in der Weise, daß sich aus der Betrachtung der Verhältnisse von Begriffen die Lehre vom Urteil und vom Schluß herleitet. Ihre Anwendung bietet der folgende „praktische" Teil, von dem Wolff sagt, daß er „omnes vero hos usus ex ante traditis nexu continuo deducit" 18 . Wie Wolffs philosophisches Schrifttum ganz auf Lehre und Darstellung ausgerichtet ist, erscheint die „mathematische Methode" bei ihm vorwiegend als diejenige der Darstellung. So tritt der „Kurtze Unterricht / von der Mathematischen Methode / oder Lehr-Art", den Wolff seinen „Anfangsgründen der Mathematischen Wissenschaften" voranstellt, im Titel dieser Schrift auf als ein „Unterricht von der Mathematischen Lehr-Art"". Die Regeln, die Wolff als diejenigen der mathematischen Lehrart angibt, und die in allen wesentlichen Punkten mit denjenigen zusammenstimmen, welche die „Logik von Port-Royal" unter dem Einfluß Pascals für die synthetische Demonstration genannt hatte*0, sind dieselben, die auch der Darstellung seiner philosophischen Lehre unterliegen. So sagt Wolff 21 : „In meinem Vortrage der Sachen habe ich hauptsächlich auf dreyerley gesehen: 1.) daß ich kein Wort brauchte, welches ich nicht erkläret hätte, 2.) daß ich keinen Satz einräumete . . den ich nicht vorher erwiesen hätte, 3.) daß ich die folgende Erklärungen und Sätze mit einander beständig verknüpffte, und in einer steten Verknüpfung auseinander herleitete. Jedermann weiß, daß dieses die Regeln sind, nach "

V g l . oben S. 1 2 6 .

18

W o l f f , Selbstanzeige dieses Werkes in „ A c t i s eruditorum" 1 7 1 3 , S. 1 3 7 .

w

D e r ausführliche Titel des ersten Bandes dieser 1 7 1 0 erschienenen Schrift lautet: „ D e r Anfangsgründe aller Mathematischen Wissenschaften erster Theil, welcher einen Unterricht v o n der Mathematischen L e h r - A r t , die Rechenkunst, Geometrie, T r i g o nometrie und B a u - K u n s t in sich enthält". V g l . oben S. 7 2 .

!1

W o l f f , „Ausführliche Nachricht von seinen Schriften", F r a n k f u r t 1 7 2 6 , zit. Ausg. i 7 5 7 i S . 5 2 — J 3 · V g l . dazu W o l f f , „ L o g i c a " , Discursus praeliminaris", § 1 3 9 : „ I n methodo philosophica non utendum est terminis nisi accurata definitione explicatis, nec admittitur tanquam verum, nisi quod sufficienter demonstratum, in propositionibus subjectum pariter et praedicatum accurate determinantur et omnia ita ordinantur, ut praemittantur ea, per quae sequentia intelliguntur et adstruuntur".

Methodus scientifica

129

welchen man sich in der Mathematick richtet. Und demnach kan ich mit einem Worte sagen, ich habe mich beflissen nach der mathematischen Lehr-Art meine Sachen vorzutragen". Den Hinweis auf die Wichtigkeit der Aufstellung von Realdefinitionen, durch welche die Möglichkeit der definierten Begriffe ausgewiesen wurde, erhielt Wolff frühzeitig von Tschirnhaus 22 . Unter einer Realdefinition versteht Wolff eine Aussage, durch die die Entstehungsweise einer Sache dargestellt wird. So kommt es bei der Realdefinition vor allem darauf an, „ut elementa innotescant, hoc est ea, quae ad genesin rei concurr u n t " " . Allerdings hält Wolff den Gebrauch von Realdefinitionen nur für erforderlich im Hinblick auf Begriffe, die wir „willkürlich'' bilden. Unsere Erfahrungsbegriffe dagegen, durch die wir Dinge vorstellen, die in der Erfahrung selbst gegeben sind, bedürfen keines Möglichkeitserweises, da das durch sie Vorgestellte ja wirklich existiert24. Dies gilt nach Wolff audi von den Allgemeinbegriffen, insofern sie „von möglichen (Begriffen) abgesondert werden" 2 5 . Da sie mittelbar auf Erfahrung beruhen, ist an ihrer Möglichkeit nicht zu zweifeln. Die Begriffsbildung aber geschieht nach Wolff stets auf einem der beiden Wege, „per abstractionem"

H

Schon in die Jenaer Studienzeit fiel Wolffs enthusiastische Lektüre von Tschirnhausens „Medicina Mentis" (Vgl. Wolff, „Ratio praelectionum", Sect. II, cap. 2, § 20). Zu einer persönlichen Begegnung kam es 1704 auf der Leipziger Ostermesse. In seiner „Eigenen Lebensbeschreibung" berichtet Wolff, S. 1 2 j : „Ich referirte ihm, •was mir in seiner Medicina Mentis schwer vorgekommen zu verstehen und sagt ihm, wie ich es mir erklärt hätte. E r war damit zufrieden. Als idi ihn aber fragte, wie man denn die elementa definitionum erfinden könnte, antwortete er mir weiter nichts als: Dieses wäre eben die Haupt-Sache". In seiner „Eigenen Lebensbeschreibung" sagt Wolff, daß er 1704 seine ersten Logikvorlesungen mit Auszügen gehalten habe, die er sich aus Tschirnhausens Werk machte (S. 139). Allmählich bezog er gegenüber der „Medicina Mentis" eine kritischere Position. So schreibt er 1 7 1 7 in seinem „Lexicon Mathematicum" im Artikel „Methodus Mathematica", Spalte 890: „Der Herr von Tschirnhaus hat sie in seiner Medicina Mentis, pars 2, erläutert. Denn seine gantze Kunst zu erfinden ist nichts anderes als die Mathematische Lehr-Art".

a

Wolff, „Ratio praelectionum", a. a. O.

14

Als ein aposteriorisches Prinzip zum Beweis der Möglichkeit des Vorgestellten führt Wolff an in der „Ontologia", § 8 8 : „Est igitur possibile, cui non nisi talia attribuuntur, quae in eodem subjecto una observantur". Vgl. den audi von Wolff vertretenen scholastischen Kanon, „Ontologia", § 1 7 0 : „ A b existentia ad possibilitatem valet consequential Zu den von Wolff unterschiedenen apriorischen Prinzipien des Möglichkeitserweises vgl. „Ontologia", § 89—93 und meine Ausführungen in den Anmerkungen zu Wolffs Deutscher Logik, S. 262—63.

" Vgl. Wolff, Deutsche Logik, S. 139.

130

V

Wolff

oder „per arbitrariam combinationem" 29 . In dieser Gegenüberstellung der beiden Wege der Begriffsbildung liegt zum einen die Bildung von Allgemeinbegriffen aus den weniger allgemeinen bzw. besonderen Begriffen, zum andern die Bildung von zusammengesetzten aus einfachen Begriffen vor. Letztere ist insofern willkürlich, als beliebige begriffliche Bestimmungen zusammengenommen werden können (z.B. die Vorstellung „ P f e r d " und „Flügel" im Begriff „Pegasus"), wobei aber gesondert bei jeder solchen Zusammennähme begrifflicher Bestimmungen über die Möglichkeit des Vorgestellten befunden werden muß". Im Prinzip sind nach Wolff alle Begriffe auf einfache Begriffe zurückführbar und aus diesen zusammensetzbar. Diese Auffassung, durch die sich seine Urteilstheorie wie diejenige von Leibniz, die der „Logik von Port-Royal" und auch implizit die kartesische als eine „analytische" ausweist, ergibt sich bei Wolff aus seiner Theorie der Begriffszergliederung und Begriffszusammensetzung. Sie stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der Leibnizschen überein. Der enge Zusammenhang zwischen dieser Theorie der Begriffszusammensetzung und Wolffs Bestimmung des Vorgehens der Mathematiker kommt schon in der frühesten philosophischen Schrift Wolffs, der „Philosophia practica universalis methodo mathematica conscripta" (1703), zum Ausdruck. Hier heißt es: „Mathematice philosophari, hoc est conceptus intellectus a perceptionibu$ imaginationis accurate distinguere, rerum naturas primo omnium loco investigare et ex iis reliqua deducere, tandemque ab universalibus et simplicioribus ad specialiora et magis involuta progredi juxta leges genuinae cuiusdam methodi inveniendi verum" 28 . Schon in der frühen Arbeit „Solutio nonnullarum difficultatum circa mentem humanam obviarum, ubi simul agitur de origine notionum et facultate ratiocinandi" 2 " stellt Wolff einen Bezug her zwischen den beiden Arten der Begriffsbildung „per abstractionem" und „per arbitrariam combinationem" einerseits und einer „pars diaracteristica" sowie einer „pars combinatoria" andererseits, auf die „totum ratiocinandi artificium" zurückgeführt werden kann 30 . Denn wie wir beim 26

27 88

29 30

Wolff, Chr., „Solutio nonnullarum difficultatum circa mentem humanam obviarum, ubi simul agitur de origine notionum et facultate ratiocinandi", in Wolff, „Meletemata mathematico-philosophica", Halle 1755, Sect. I, S. 12. Ebd., S. 14. Wolff, „Philosophia practica universalis methodo mathematica conscripta" (1703), in: „Meletemata", Sect. II, S. 190. Vgl. oben Anm. 26. Wolff, „Solutio nonnullarum difficultatum", a. a. O. S. 14.

Methodus scientifica

131

Abstrahieren durch Weglassung begrifflicher Merkmale zu einfacheren Begriffen gelangen, so führt auch die „analysis" oder „explicatio notionum", die der Bezeichnung der Begriffe durch Worte (voces), Zahlen (notae numericae) und algebraische Zeichen (characteres algebraici) vorangeht und nach Wolffs Äußerungen in der genannten Arbeit zur „ars characteristica" gehört, von zusammengesetzten auf einfachere Begriffe zurück, ohne die die zusammengesetzteren Begriffe nicht gedacht werden können. Die Aufstellung einer Realdefinition verfolgt nun die Aufgabe zu zeigen, wie sich der zusammengesetzte Begriff aus einfachen Begriffen zusammensetzen läßt, welche Aufgabe nach Wolff einer „ars combinatoria seu combinatio signorum" zufällt 3 1 . Die Anlehnung an die Leibnizsche Auffassung einer Characteristica combinatoria und an die dieser unterliegende Theorie der Zusammensetzung der Begriffe wird schon hier deutlich, obwohl Wolff in dieser frühen Arbeit noch nicht an die Verwendung einer eigens zu schaffenden Kunstsprache denkt. Im Zusammenhange dieser Ausführungen Wolffs liegt uns der Versuch einer bei Leibniz wie bei Wolff sonst schwerlich anzutreffenden, tatsächlich unternommenen Begriffsanalyse vor. Der Beispielsatz lautet: „Ignis liquefacit plumbum" 32 . Das Substitutionsverfahren, durch welches die in diesem Satz auftretenden Ausdrücke durch solche von einfacheren, durch sie vorausgesetzten Begriffen ersetzt werden sollen, beruht auf der von Wolff als Axiom angenommenen Aussage: „quae sunt eadem cum eodem tertio, ea sunt eadem inter se" 33 . Die analytische Auflösung des Wolffschen Beispielsatzes, von Wolff vorgenommen, „ut explicatio notionum per substitutionem facta rite intelligatur'" 4 lautet wie folgt: „Ignis corpus fluidum, subtilissimum, corpora quaevis penetrans, corpus habens partes a se invicem separatas et poris alienorum corporum se insinuantes); liquefacere ( - » fluidum reddit, - » convertit in massam, eius partes dissolutae, divellit a se invicem partes quae cohaerent); plumbum ( - » massa consistens, massa cuius partes sunt cohaerentes). Hier bricht Woff seine Analyse ab, und meint, daß eine weitere Auflösung der Begriffe „insinuatio" und „divulsio" die „natura ignis" und den „modus cohaesionis partium in plumbo" einsichtig 81

Ebd.

3!

E b d , S. 1 5 .

85

E b d . S. 16. V g l . dazu auch, a . a . O . , S. 1 4 : „Ratiocinari in Mathesi est substituere aequalia pro aequalibus, hoc est, ratione vel quantitate eadem pro iisdem ratione aut quantitate".

34

Ebd., S. 1 5 .

132

V Wolff

machen und die Aussage, „ignis liquefacit plumbum" apriorisch erweisen würde. Die Begriffsanalyse soll auf einfache Begriffe führen, die sich nicht nur als einfache Begriffe, sondern auch als Begriffe ausweisen, welche sich zu komplexeren zusammensetzen lassen. Tatsächlich erfolgt jedoch die Zergliederung der Begriffe „ignis", „liquefacere", „plumbum" bei Wolff in der Weise, daß Wolff sie in Begriffe zergliedert, die nach dem Stande der Naturwissenschaft seiner Zeit Oberbegriffe der zu analysierenden waren. Somit wird die Schwierigkeit, auf dem Wege der Begriffsanalyse zu einer Erklärung des Sachverhaltes „ignis liquefacit plumbum" zu gelangen, verschoben in die von Wolff nicht mehr analysierten Begriffe „insinuatio" und „divulsio". Das Axiom der Substituierbarkeit, das Wolff dem analytischen Verfahren der Begriffszergliederung zugrundelegt, liegt auch dem synthetischen Verfahren, durch das der zusammengesetzte Begriff bzw. die zusammengesetzte Aussage aus einfacheren zusammengesetzt wird, zugrunde. In diesem Sinne heißt es, „demonstrationes non esse nisi combinationem serierum substitutionum nobis memoratarum" 35 , d. h. die Demonstration sei nichts anderes als die rückläufige Reihung jener Substitutionen, in denen die Analyse des zusammengesetzten Begriffes bzw. der Aussage bestand. Während Wolff in seinen ersten wissenschaftlichen Schriften, unter dem Einfluß Tsdiirnhausens und der Weigelschen Lehre, mit denen er sich als Student in Jena vertraut gemacht hatte, das Verfahren der Demonstration lediglich unter dem Gesichtspunkt einer Umformung von Aussagen durch begriffliche Substitutionen sah, und dieses nach dem Modell der Umformung algebraischer Gleichungen und unabhängig vom syllogistischen Schlußverfahren konzipierte, erhielt er nach seiner 1705 zustandegekommenen Bekanntschaft mit Leibniz von diesem einen Hinweis, daß die innere Form des syllogistischen Schlusses ihrer N a t u r nach übereinstimme mit dem in der Mathematik angewandten Substitutionsverfahren bei der Umformung von Gleichungen36. Obwohl Wolff im syllogistischen Schluß bis dahin mit Erhard Weigel bestenfalls ein „in Interpretatione textuum, expositione et perspicua »

Ebd., S. 16.

"

Während Wolff in seiner „Dissertatio algebraica de Algorithmo infinitesimali differential!" ( 1 7 0 4 ) noch thesenhaft die Behauptung aufstellte „Syllogismus non est medium inveniendi veritatem", in „Meletemata", Sect. I I , S. 290, schrieb ihm Leibniz, dem er diese Schrift zusandte („Briefwechsel zwischen Leibniz und W o l f f " , ed. Gehrhardt, Halle i 8 6 0 , S. 18 in einem Brief v o m 2 1 . 2 . 1 7 0 5 ) : „non ausim absolute dicere, syllogismum non esse medium inveniendi veritatem".

Methodus scientifica

133

propositione veritatis iam inventae" 37 brauchbares Instrument gesehen hatte, gelangte er nun zu einer vollständigen Neubeurteilung des syllogistischen Schlusses, dessen innere Verwandtschaft mit dem mathematischen Substitutionsverfahren schon Leibniz in seiner 1684 in „Actis Eruditorum" erschienenen Abhandlung „De Cognitione, Veritate et Ideis" behauptet hatte88. So sagt Wolff in seiner eigenen Lebensbeschreibung8', daß er „nach langer Untersuchung eines anderen überführet" worden sei, und daß ihm „die rechte Einsicht" in die „forma demonstrations" zu dieser neuen Auffassung verholfen habe. Seine neue Auffassung geht nun dahin, daß der mathematische Beweis — nicht nur das Lösungsverfahren für Gleichungen in der Algebra, sondern auch das jeweils benutzte Substitutionsverfahren bei der sprachlichen Beschreibung geometrischer Beweisgänge — auf ein und derselben Gesetzlichkeit beruhe wie der syllogistische Schluß, ja daß der syllogistische Schluß sogar unmittelbar Ausdruck dieser Gesetzlichkeit sei, in die das mathematische Substitutionsverfahren als ein Grenzfall eingehe. In der „ratio praelectionum Wolfianarum" 40 sagt er: „Ad demonstrationes geometricas accuratius attendi: quo facto intellexi, eas, si ad summam accurationem reducantur, constare ex syllogismis eodem prorsus modo inter se connexis, quo adulescens thesium probationem connectere consueveram". So meint er auch in dem „Kurtzen Unterricht / von der mathematischen Methode / oder Lehr-Art", daß in den mathematischen Wissenschaften „alles durch die sogenannten Syllogismos geschlossen wird, nur daß man zuweilen, oder wohl meistens, einen von den Fördersätzen weglasset"*1. Im syllogistischen Schluß der ersten Figur, auf dessen Modus „Barbara" sidi die anderen gültigen syllogistischen Schlüsse zurückführen lassen, konstatiert Wolff eine zweifache Implikationsbeziehung, die bei einer intensionalen Interpretation des syllogistischen Schlusses zwischen den Prädikaten der Vordersätze besteht: derart, daß aus a b und aus b c gefolgert werden kann (mit a, b, c, als Prädikatevariabeln). So formuliert das nach Wolff dem Substitionsverfahren zugrundeliegende Axiom („Wenn zwei einem dritten gleich sind, so sind sie untereinander gleich"42) dieselbe Beziehung für den Fall, der bei der Substitution von 37

Vgl. oben S. 85, die Ausführungen zu Weigel. Vgl. oben S. 109 zu Leibniz. '» Wolff, Chr., „Eigene Lebensbeschreibung", S. 136. 40 Wolff, „Ratio praelectionum", Sect. II, cap. 2, § 26. 41 Wolff, „Anfangsgründe aller Mathem. Wiss.", Kurtzer Unterr. § 45. " Vgl. oben S. 1 3 1 . 38

134

V Wolff

„identischen" Sätzen, ζ. Β. Gleichungen, vorliegt, in denen Subjekt und Prädikat einer Aussage umfangsgleich sind und sich durch die „analysis notionum" auch als inhaltsgleich43, d. h. als in ihren begrifflichen Bestimmungen identisch erweisen lassen. Das Verhältnis der Prämissen im Syllogismus läßt sich, von diesem Sonderfall der Identität von Subjekt und Prädikat in den beiden Prämissen abgesehen, wie er in Gleichungen vorliegt, auch auffassen als das Verhältnis zweier mathematischer Ungleichungen, ζ. B. 5 < 9 und 9 < 15, aus denen auf eine dritte Ungleichung 5 < 15 geschlossen werden darf, und würde dann nach Wolffs Theorie audi auf nicht-identische universelle Sätze Anwendung finden können. Wenn auch dieser Bezug in der eben aufgezeigten Form zwischen syllogistischem Schluß und mathematischer Substitution bei Wolff nicht explizit vorgetragen wird, darf man doch annehmen, daß Wolff ihn in dieser Weise verstanden hat. Er zeigt auch, wie sich die Relationsurteile in der hier fraglichen Hinsicht ohne weiteres dieser Theorie anpassen, indem sie, als Gleichungen in der Mathematik, einen Grenzfall von Urteilen von Subjektprädikatsstruktur bilden. So weisen die zwischen Größen bestehenden Ungleichungen in der Mathematik eine noch stärkere Nähe zum syllogistischen Schluß verfahren auf, indem sich die Beziehungen „x größer als y", „x kleiner als y" ohne Schwierigkeiten als Implikationen zwischen Größen auffassen lassen, deren kleinere in der größeren enthalten ist; wozu die schon bei Descartes explizit vorliegende Auffassung einer jeden natürlichen Zahl als einer „multitudo" von addierten Einheiten die Handhabe bietet". So liegt nach Wolff, in Anlehnung sowohl an die Theorie der mathematischen Methode wie an die aristotelische Theorie des wissenschaftlichen Beweises, eine „demonstratio" dann vor, „si in syllogismis, quos inter se concatenamus, non utamur praemissis nisi definitionibus, experientiis indubitatis, axiomatibus et propositionibus iam ante demonstratis"45. 43

44 45

V g l . dazu W o l f f s Definition der Identität in der „ O n t o l o g i a " , § 1 8 1 : „ E a d e m dicuntur, quae sibi invicem substitui possunt salve quocunque praedicato, quod uni eorum vel absolute, vel sub data conditione convenit. F a c t a nimirum substitutione perinde esse debet, ac si nulla f a c t a fuisset". V g l . oben die A u s f ü h r u n g e n zu Descartes, S. 34. W o l f f , „ L o g i c a " , § 498. „ P r o b a t i o " und „demonstratio" verhalten sich bei Wolff wie die Gattung zur A r t . V g l . ebd. § 4 9 6 : „Probatio propositionis definiri potest per syllogismum aut syllogismorum inter se concatenatorum Seriem, quibus ea ex aliis tanquam notioribus colligitur".

135

Methodus scientifica

Bei der Einteilung der Arten von Aussagen, die als Vordersätze von demonstrativen Schlüssen dienen können, lehnt sich Wolff an die ζ. B. bei Tschirnhaus oder Leibniz vorliegende, gängige Nomenklatur der Theorie der „mathematischen Methode" an, indem er für die lateinischen Ausdrücke in seinen deutschen Schriften entsprechende deutsche einführt 46 . So heißt es im „Kurtzen Unterricht" 47 : „Die mathematische Lehrart fänget an von den Erklärungen, gehet fort zu den Grundsätzen und hiervon weiter zu den Lehrsätzen und Aufgaben". Wie bei Tschirnhaus ist die Definition dem Axiom vorgeordnet: „Betrachtet Ihr dasjenige, was in den Erklärungen enthalten ist, und schließet etwas unmittelbahr daraus; so nennen wir solches einen Grund-Satz" 48 . Diese Grundsätze haben „keines Beweises nöthig, sondern ihre Wahrheit erhellet, so bald man die Erklärungen ansiehet, daraus sie fliessen" 4 '. So folgt aus der Realdefinition des Kreises, daß dieser dann entsteht, wenn man den einen Endpunkt einer Strecke, deren anderer Endpunkt fixiert ist, um diesen wandern läßt, das Axiom, daß alle Linien vom Mittelpunkt an die Peripherie eines Kreises gleich lang sind50. Lehrsätze (Theoremata) sind dagegen aus Definitionen, Axiomen und angezweifelten Erfahrungssätzen geschlossene Sätze". Die Übereinstimmung der Wolffschen mit der Leibnizschen Auffassung der Analytizität aller Urteile, die der Theorie der Begriffszergliederung und Begriffszusammensetzung entspricht, wurde bereits hervorgehoben5*. Die Behauptung der Analytizität aller Urteile — bei den Urteilen über kontingente Sachverhalte geht die These dahin, daß "

S o nennt Wolff in seiner Deutschen Logik die „ a x i o m a t a " „ G r u n d s ä t z e " , die „ P o stulata" Heischesätze, die „ T h e o r e m a t a " „Lehrsätze" und die „ P r o b l e m a t a "

„Auf-

gaben". Seine Definitionen dieser Ausdrücke in der lat. L o g i k lauten wie f o l g t : „Axioma":

„Propositio theoretica indemonstrabilis"

(ζ. B.

„totum est maius sua

parte", „figura trilatera habet tres angulos"), „ P o s t u l a t u m " : „Propositio practica indemonstrabilis" (ζ. B. „ a quovis puncto ad quodvis punctum duci potest linea recta"), „ T h e o r e m a " : „Propositio theoretica demonstrativa" (ζ. B. „quadratum h y potenusae in triangulo rectangulo est aequale quadratis laterum simul

sumtis"),

„ P r o b l e m a " : „Propositio practica demonstrativa" (ζ. B. „invenire mediam proportionalem inter duas lineas rectas datas"). V g l . Deutsche Logik, S. "

E b d . § 1.

«

E b d . § 29·

«

Ebd. § 3 1 .

161/62.

»" E b d . § 3 1 . 51

Z u m „unangezweifelten Erfahrungssatz", „experientia indubitata", der nach Wolff sowohl ein singularer wie ein allgemeiner S a t z sein kann, vgl. das K a p . j W o l f f s deutscher Logik, a. a. O., S . 1 8 1 ff.

52

V g l . oben S. 1 3 0 f. Ebenso die A u s f ü h r u n g e n zu Leibniz, oben S. 1 0 3 f.

von

136

V

Wolff

lediglich die Möglichkeit der Prädikation ihren Grund im Subjektsbegriff hat — kommt bei Wolff ganz explizit darin zum Ausdruck, daß er — wie es schon Leibniz bei seiner Interpretation des syllogistischen Schlusses durch einen Logikkalkül getan hatte5' — alle Urteile als Implikationen oder in Implikationen umformbare Aussagen auffaßt". Ebenso liegen den Bestimmungen der Klarheit und Deutlichkeit, Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Begriffe, die in der Wölfischen Fassung die diesbezüglichen Theorien der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts weithin prägen, die Theorie der Begriffszusammensetzung und der in diesen Stufen der begrifflichen Erkenntnis jeweils verwirklichte und aktuell vorgestellte Grad der begrifflichen Zergliederung zugrunde®5. Im Vorstehenden wurden die Bestimmungen genannt, durch die sich die Wolffsche Methodenauffassung im Hinblick auf ihre Verwirklichung in Wolffs Schrifttum beurteilen läßt. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen einer idealen Auffassung, in der diese Methodenlehre ihren theoretischen Grund hat, und einer faktisch verwirklichten, die sich zwar an der idealen orientiert, aber deren Forderungen nicht in jedem Punkte Genüge tut. Wie bei Leibniz soll die Begriffszergliederung, wenn sie vollständig durchgeführt wird, auf „notiones irresolubiles" führen, deren Vorstellungsgehalt in unmittelbarer Erfahrung aufweisbar ist und die nicht weiter zu zergliedern sind, da sie nur durch eine einzige begriffliche Bestimmung vollständig zur Vorstellung gebracht werden können. „Notiones irresolubiles" sind demnach nur anschaulich aufweisbar, es lassen sich für sie keine Nominaldefinitionen angeben (die mindestens zwei begriffliche Bestimmungen umfassen müßten), wohl aber kann man 53

Vgl. oben zu Leibniz S. 1 1 5 .

54

Wolff, Deutsche Logik, „daß ein jeder Satz sich gar leichte in zwey Theile zergliedern lasset. Das erste ist die Bedingung, unter welcher einem Dinge etwas zukommet . . . der andere Theil ist die Aussage, welche dasjenige in sidi enthält, was einer Sadie zukommet, oder nicht zukommen kan". So ist die Aussage „Der warme Stein macht warm" gleichbedeutend mit der Aussage „Wenn der Stein warm ist, so macht er warm" (a. a. O., S. 139).

** Vgl. Wolff, Deutsche Logik, S. 126 f.: „ K l a r " ist ein Begriff dann, wenn er „zureichet, die Sachen, wenn sie vorkommen, wieder zu erkennen", „deutlich", wenn wir vermögen, „die Merckmahle, daraus wir eine Sache erkennen, einem andern herzusagen, oder wenigstens uns selbst dieselbe besonders nach einander vorzustellen", „ausführlich", „wenn die Merckmahle, so man angiebet, zureichen, die Sache jederzeit zu erkennen" und „vollständig", „wenn wir auch von den Merckmahlen, daraus die Sache erkandt wird, klare und deutliche Begriffe haben".

Methodus scientifica

137

nach Wolff in einer Realdefinition aufzeigen, wie man zur Vorstellung dieser einfachen Begriffe gelangt5®. Wie Leibniz hält nun auch Wolff eine vollständige Zergliederung unserer Begriffe für undurchführbar im Hinblick auf die Begrenztheit menschlicher Einsicht und den Erkenntniszustand seiner Zeit". Diesem Umstand wird bei demonstrativem Aufbau einer wissenschaftlichen Theorie dadurch Rechnung getragen, daß Wolff den Begriff der Nominaldefinition und den der „experientia indubitata" — deren sprachliche Formulierung nach Wolff ebenfalls zum Vordersatz eines demonstrativen Schlusses dienen kann — entsprechend ausweitet; eine Ausweitung, in der die Kritik, die Wolff von Seiten seiner Nachfolger erfahren hat, und die auch das heutige Verhältnis zu Wolffs Theorie prägt, ihren nicht zu übersehenden Ansatzpunkt findet. So erfordern nach Wolff Aussagen über Wirkliches, d. h. alle Erfahrungsaussagen (nicht nur die singulären, sondern auch die aus ihnen induktiv gewonnenen Aussagen) keinen Nachweis ihrer Möglichkeit, sofern sie durch geeignete Beobachtungen und Experimente58 als wahr erwiesen sind. Dementsprechend können nach Wolff die induktiv gewonnenen Erfahrungssätze im demonstrativen Schluß als Vordersätze auftreten, ohne daß die in ihnen enthaltenen Begriffe einer analytischen Zergliederung bedürfen. Die Forderung der vollständigen Analysis wird so eingeschränkt auf die Forderung einer den jeweils gegebenen Umständen genügenden Eindeutigkeit der sprachlichen Bezeichnung, mittels derer das Erfahrungsurteil formuliert wird. Gleichzeitig begnügt sich Wolff — das ist der Sinn einer „experientia indubitata" als einer b i s h e r nicht in Zweifel gezogenen Erkenntnis — mit einer — in Kants Sprache — „komparativen" statt einer „strengen" Allgemeinheit und absoluten Notwendigkeit dieser Aussagen5®. Nicht die Aussagen selbst, die wir über Wirkliches machen, und in denen nach Wolff die „cognitio

58

V g l . W o l f f , „Deutsche L o g i k " , S. 1 4 6 .

57

W o l f f , „Psydiologia empirica", § 3 0 1 :

„ N o t a e irresolubiles in suo genere

deter-

minari nequeunt, nisi dentur rerum notiones adaequatae". 88

V g l . das 5. Kapitel y o n W o l f f s Deutscher L o g i k : „ V o n der E r f a h r u n g , und wie dadurch die Sätze gefunden w e r d e n " , a. a. O., S . 1 8 1 ff.

59

V g l . K a n t , „ K r i t i k der reinen V e r n u n f t " , A k a d . - A u s g . , B d . 3, S. 2 9 : „ E r f a h r u n g giebt niemals ihren Urtheilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und comparative Allgemeinheit (durch Induction), so daß es eigentlich heißen muß: so viel w i r bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine A u s n a h m e " .

138

V

Wolff

historica" besteht"0, bedürfen somit eines Möglichkeitsnachweises, d. h. einer Begründung, wohl aber ist es Aufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis, d. h. der „cognitio philosophica", ihren „nexus", ihren Begründungszusammenhang, aufzuweisen. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Wolff die „cognitio historica" zum „fundamentum cognitionis philosophicae" macht"1. Was den zweiten Punkt, die Verwendung der Nominaldefinitionen, betrifft, so besteht der faktische Gebrauch, den Wolff von ihnen beim Aufbau seiner philosophischen Theorie macht, darin, daß das a u f g e g e b e n e Begriffssystem, auf das der Gedanke einer vollständig durchgeführten Analyse der Begriffe führt und das eine adäquate Erkenntnis ausmachen würde, in der die tatsächlichen Verhältnisse aller Dinge sich abgebildet fänden®2, zugunsten der durch die Tradition bebestimmten Begriffsgehalte oder auch zugunsten der Nützlichkeit, die die jeweilige Begriffsbestimmung für den Fortgang der Untersuchung hat*3, hintangesetzt wird. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Wolff das Vorgehen bei der Systembildung, hier seine Unterscheidung von „cognitio historica" und „cognitio philosophica" wiederaufgreifend, mit den Worten beschreibt, daß derjenige schon ein wissenschaftliches, einen durchgehenden Begründungszusammenhang aufweisendes System zur Darstellung bringe, „qui veritates apud alios autores obvias suoque fini accomodas eligit et inter se connectit""4. Den Nützlichkeitsgesichtspunkt, der in dieser Verwendung der Nominaldefinition zum Ausdrude kommt, hat später Lambert kritisch beurteilt, wenn er sagt, daß „Wolff die Zweifel und Schwierigkeiten, die man vorhin in der Metaphysic gefunden, ohne es zu wissen, und unvermerkt in die Definitionen geschoben, oder die Begriffe dergestalt definiert habe, daß sich gewisse Sätze, die er für wahr hielte, und die eben dadurch bey ihm den Begriff so und nicht anders bildeten, daraus herleiten ließen"". 60

Wolff

definiert die

fiunt"

(Logica, Disc. Prael., § 3). A l s Beispiele führt W o l f f an, daß jemand aus

„cognitio

historica"

als

„cognitio

eorum,

quae

sunt

atque

E r f a h r u n g weiß (expertus novit), daß die Z w e i g e der Bäume im Frühling grün werden oder daß die Sonne morgens aufgeht. "

E b d . § 10.

02

V g l . dazu das zu Leibniz A u s g e f ü h r t e oben S. 1 1 0 f.

ω

S o begründet Wolff bisweilen auch seine Nominaldefinitionen mit dem Argument, daß w i r sie „ a d recte philosophandum utilem ipso opere experiemur", vgl. tologia" § 1 7 4 .

M

W o l f f , „ L o g i c a " , § 889.

es

Lambert, „ A n l a g e zur Architectonic", 1 7 7 1 , § 1 1 , S . 9.

„On-

139

ars inveniendi

Die praktische Anwendung von Wolffs Methodenlehre beim Aufbau seiner philosophischen Theorie hat durch diesen — im Hinblick auf die Nominaldefinition wie auf die „experientia indubitata" vorliegenden — Rückgriff Wolffs auf die „cognitio historica" eine Spiegelung in dieser Methodenlehre selbst gefunden. Zwischen der Behauptung der Möglichkeit einer vollständigen Begriffsanalyse bzw. dem damit verbundenen Vortrag einer analytischen Urteilstheorie und dem tatsächlichen Vorgehen Wolffs beim Aufbau seiner philosophischen Theorien bleibt ein Zwiespalt, den Wolff bei der Darstellung seiner Methodenlehre nicht überwunden hat. Die Methodenlehre Wolffs, soweit sie im Vorstehenden bestimmt worden ist, ist charakterisierbar als die Konzeption einer „ars iudicandi", einer Beweistheorie für vorgelegte Aussagen. Die Frage, die nun im Hinblick auf Wolffs Theorie zu stellen ist, ist die Frage nach der Auffassung, die bei Wolff für eine „ars inveniendi" vorliegt. Wie bei Leibniz ergibt sich ihre Beantwortung aus der Frage nach dem Verhältnis, in dem „cognitio philosophica" und „cognitio mathematica" bei Wolff stehen, und der davon abhängigen theoretischen Ausgestaltung, die der Gedanke einer „mathesis universalis" in Wolffs philosophischem Schrifttum erfahren hat.

2. Wolffs Konzeption einer „ars

inveniendi"

Während Wolff die philosophische Erkenntnis definiert als die „cognitio rationum eorum quae sunt vel irant"" 1 und es zur Aufgabe des Philosophen macht, „non solum nosse, quae fieri possint, quae non, sed et rationes perspicere, ob quas aliquid fieri potest vel esse nequit"* 7 , bestimmt er die mathematische Erkenntnis, von der gilt, daß sie „zu der allergenauesten und vollkommensten Erkäntniß, welche zu erlangen möglich ist" 68 , führt, als die „cognitio quantitatis rerum"' 9 . Insofern die M

Wolff, „Logica", Discursus praeliminaris, § 6. Wolff, „Elementa Aerometriae", Praefatio. M Wolff, Deutsdie Logik, Vorbericht von der Welt-Weisheit, S. 120. " Wolff, »Logica*, Disc. Prael., § 14. Vgl. auch § 1 7 : „Cognitio historica acquiescit in nuda notitia facti, in philosophica reddimus rationem eorum, quae sunt vel esse possunt, in mathematica denique determinamus quantitates, quae rebus insunt". "

V

140

Wolff

Methode der philosophischen Erkenntnis gleichzeitig diejenige der mathematischen Erkenntnis ist 70 , haben philosophische und mathematische E r kenntnis, soweit die geschaffenen, endlichen D i n g e betroffen sind, die gleiche A u s d e h n u n g : „ N i h i l omnino datur in rebus, cuius non possibilis sit cognitio m a t h e m a t i c a " 7 1 . Dies begründet W o l f f dadurch, daß die Qualitäten der D i n g e , auf die die philosophische Erkenntnis einbezüglich der N a t u r l e h r e gerichtet ist, durch Quantitäten gemessen w e r d e n

können 7 2 . D i e

Unterschiede,

durch die ein u n d dieselbe Q u a l i t ä t „ s a l v a identitate" in verschiedenen Individuationen auftreten kann, nennt W o l f f , hier den herkömmlichen Sprachgebraudi im Hinblick auf die „intensionale G r ö ß e " (im Gegensatz z u r „ e x t e n s i o n a l e n " ) a u f g r e i f e n d , die „ G r a d e " (gradus) der Qualität 7 3 . H a t man die „ d i m e n s i o " , die Hinsicht erkannt, nach der die graduellen Unterschiede der Qualitäten einer Messung zugänglich sind, ζ. B . die W ä r m e g r a d e durch die A u s d e h n u n g des Quecksilbers im Thermometer, so sind diese G r a d e übersetzbar in extensive, geometrisch darstellbare und numerisch angebbare Größen. W o l f f s Behauptung, die als solche auch der Leibnizschen Theorie einer „Mathesis universalis"

unterlag 7 4 ,

ist, daß „qualitates omnes sunt mensurabiles". W i e schon bei Descartes, verbindet sich der G e d a n k e einer „ m a t h e sis universalis" f ü r W o l f f mit dem G e d a n k e n einer 70 71

72 73

74

Dimensionslehre,

Vgl. oben S. 126. Wolff, „Ontologia", § 756. Wolffs These von der Mathematisierbarkeit des Qualitativen, insofern er sie in dessen Quantifizierbarkeit sieht, bezieht sich nach der hier zitierten Formulierung auf dasjenige, was „in den Dingen gegeben ist", d. h. die Gesamtheit ihrer prädikativen Bestimmungen, nidit aber auf die theoretischen Bestimmungen einer „Metaphysica generalis" oder einer „Metaphysica specialis", in die sich seine theoretische Philosophie gliedert (vgl. Lüthje, H., „Christian Wolffs Philosophiebegriff", in: Kantstudien, 30. Bd., 1926). Dementsprechend bestimmte er audi die „cognitio philosophica" völlig sachbezogen als Erkenntnis der Möglichkeit und Gründe dessen, was ist und geschieht (vgl. oben). Eine auf die heute gegebenen Voraussetzungen bezogene Analyse des Begriffs der Mathematesierbarkeit vgl. ζ. B. bei Frey, G., „Die Mathematisierung unserer Welt", Stuttgart 1967, S. 94—134. Ebd. § 757: „Qualitates omnes sunt mensurabiles". Ebd. § 746: „Gradum appellamus id, quo qualitates eaedem salva identitate differre possunt". Zu Leibniz, vgl. oben S. 99 f. Zu Wolff, vgl. „Ontologia", § 7 5 5 : „In desideratis itaque adhuc est disciplina, in qua principia cognitionis rerum finitarum generalia traduntur, unde mensuras hauriant Geometrae in cognitione naturae mathematica calculos suos utiliter exercituri, sicuti ratiocinandi principia ex Elementis Euclidis petunt. Atque illa disciplina potiori iure Mathesis universalis appellaretur, quam quantitatum in genere seu numerorum indeterminatorum scientia, cum cognitionis rerum omnium mathematicae prima principia traderet".

ars inveniendi

141

und, wie bei Leibniz, mit dem einer „Logica imaginationis", durch welche die intensive Größe der Qualität in die extensive Größe der Quantität übersetzt werden kann75. Dieser Aspekt bringt in der Erkenntnislehre dieser Autoren die Anwendung der Mathematik auf den Bereich der gesamten Naturerkenntnis zum Ausdruck, steht jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der in der Konzeption der „mathesis universalis" vorliegenden Theorie einer „ars inveniendi". Durch diese sollte ja die demonstrative Herleitung nicht nur der schon auf anderem Wege gewonnenen, sondern audi der noch unbekannten Erkenntnis unter Verwendung einer der Arithmetik und der Algebra nachgebildeten und den mathematischen Kalkülbegriff voraussetzenden Kunstsprache ermöglicht werden. Während dieser Aspekt allein für die vorliegende Untersuchung relevant ist, ist Wolffs Gebrauch des Ausdrucks „mathesis universalis" ausgerichtet auf eine Dimensionslehre, „unde mensuras hauriant Geometrae in cognitione naturae mathematica calculos suos utiliter exercituri" 7 ". Die Gedanken zu einer „ars inveniendi" dagegen, durch welche auch die Aufgabenstellung einer „mathesis universalis" als einer Zurückführung der Naturerkenntnis auf die mathematische Erkenntnis mit überdeckt wird, stehen bei Wolff, wie bei Leibniz, unter dem Namen einer „Ars characteristica combinatorial In ihr liegt der Gedanke der vollkommensten Verwirklichung einer mathematischen Erkenntnis vor, die wie die Mathematik, so auch die Naturlehre umfassen sollte . Der Gedanke einer „ars inveniendi", durch welche die noch nicht gefundene Erkenntnis auf sicherem Wege entdeckt werden könnte, steht auf den ersten Blick in einem eklatanten Widerspruch zu Wolffs philosophischem Schrifttum, das ganz der demonstrativen Darstellung und Systematisierung auf ihn überkommener und vor allem von Leibniz übernommener Gedanken gewidmet zu sein scheint. Dennoch durchzieht die Bezugnahme auf eine „ars inveniendi" Wolffs gesamtes Lebenswerk und der soeben angezeigte Zwiespalt verschwindet bei der Vergegenwärtigung des Grundes, der eben die Wolffsche Darstellung der philosophischen Wissenschaften „methodo scientifica" motiviert. Erst die demonstrative Darstellung und „Inventarisierung" der gesicherten Erkenntnis bildet die Voraussetzung für die Konzeption und Anwendung einer den gesamten Bereich der menschlichen Erkenntnis umfassen „ars 75

Vgl. oben S. 35 und S. I i i .

"

Vgl. Zitat oben Anm. 74.

142

V

Wolff

inveniendi", in der Wolff unter dem Einflüsse der Lektüre von Tschirnhausens „Medicina Mentis"77 schon in seiner Studienzeit das Motiv für eine Vertiefung seiner mathematischen Kenntnisse gesehen hatte78, und mit deren theoretischer Ausführung in einer Abhandlung „De arte inveniendi" er seine demonstrative Darstellung der philosophisdien und der mathematischen Wissenschaften krönen wollte 7 '. Während die Logik nach Wolff, in ihrer Konzeption als einer Lehre von der Beurteilung der schon gewonnenen Erkenntnis, allein der Einsicht in die Verfahrensweise der Mathematik bedarf, um sich vom immer schon geübten Verstandesgebraudie als einer „Logica naturalis" zum theoretischen Bewußtsein ihrer Regeln in einer „Logica artificialis" zu erheben80, setzt die „ars inveniendi" und die Erkenntnis ihrer Regeln die schon konstituierten Wissenschaften voraus. So vertritt Wolff die Auffassung, daß „artis inveniendi praecepta maximam partem pendeant a veritatibus iam ante cognitis"81. Auch im Hinblick auf die „ars inveniendi" und im Vergleich zu den diesbezüglichen Äußerungen von Leibniz erweist sich Wolffs Tendenz zur analytischen Zergliederung und Systematisierung. So teilt er81 die „ars inveniendi" in eine „ars inveniendi a priori" und eine „ars inveniendi a posteriori" ein, deren letztere wiederum in eine „ars observandi" und eine „ars experimentandi" zerfällt. Beobachtung und Experiment waren schon in Wolffs deutscher Logik die Mittel, deren sidi die Naturerkenntnis bei der „Erfindung" von Erfahrungssätzen bediente85. Als diejenige Kunst jedoch, „quae per eminentiam Ars inveniendi dicitur", bezeichnet Wolff diejenige, „qua ex notionibus acquisitis, hoc est, ex definitionibus ac propositonibus iam cognitis ratiocinando colligitur Veritas adhuc incognita"84. 77

In der „ R a t i o praelectionum", Halle 1 7 1 8 , Sect. I I , 2. K a p . , § 2 0 , beriditet Wolff aus der Z e i t seiner ersten Lektüre der „Medicina M e n t i s " : „Insigni tum ilagrabam desiderio artis inveniendi ac demonstrandi cognoscendae". V g l . dazu oben S. 1 2 6 .

78

V g l . oben S. 1 2 9 . W o l f f , „Psychologia empirica", § 2 9 6 : „ H i s uberior lux affundetur olim in A r t e inveniendi" und § 4 5 4 : „ A r t e m hanc inveniendi data opera explicaturi sumus, ceteris philosophiae partibus absolutis, siquidem Deus nobis vires animi et corporis tamdiu conservaturus ac otium largiturus, ut telam coeptam pertexere liceat".

79

80

Z u W o l f f s Unterscheidung von „ L o g i c a naturalis" und „ L o g i c a artificialis" vgl. W o l f f , „ L o g i c a " , § 6 — 1 2 . E b d . § 1 1 : „ L o g i c a artificialis docens est distincta e x plicatio Logicae naturalis".

81

W o l f f , „ R a t i o praelectionum", Halle 1 7 1 9 , K a p . I, § 9, S. 6. E b d . K a p . II, § 3 , S. 1 1 9 .

M 89 84

V g l . W o l f f , Deutsche Logik, „ V o n der E r f a h r u n g " , S. 1 8 5 — 8 8 . W o l f f , „Psychologia empirica", § 4 5 5 .

ars inveniendi

143

Unter die Anwendungen dieser apriorischen „ars inveniendi" zählt Wolff, indem er mehr die vorausgegangenen Konzeptionen resümiert als selbst gliedert, sowohl die „resolutio problematum specialium ad abstracta seu generalia" (im besonderen die Zurückführung von Fragestellungen der angewandten Mathematik auf solche der — analytischen — Geometrie), als auch die „ars characteristica", von der er meint, daß sie bereits in den verschiedenen Teilen der Mathematik einen speziellen Ausdruck gefunden habe85. Wie Leibniz, auf den sich Wolff bei seiner Behandlung des Gedankens einer „Ars characteristica combinatoria" ausdrücklich bezieht89, konzipiert Wolff, und dies offenbar unabhängig von Leibniz, den Gedanken einer kombinatorischen Zeichenkunst in drei sachlich zu unterscheidenden Stufen, derjenigen einer wissenschaftlichen Hilfssprache für den internationalen Verkehr als einer „lingua universalis", derjenigen einer „ars characteristica", in der die semantische Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem im Hinblick auf die wissenschaftliche Brauchbarkeit dieser Sprache erörtert wird, und derjenigen einer „ars characteristica combinatoria", die durch die Einführung des Kalkülbegriffs das eigentliche Instrument der „inventio" wird87. Und wie bei Leibniz alle drei Aspekte zumindest im Ansatz schon in der frühen „Dissertatio de arte combinatoria" gegenwärtig sind und sich lediglich der Schwerpunkt des Interesses und der sachlichen Vertiefung in der folgenden Entwicklung von dem einen auf den andern Aspekt verlagert, so audi in Wolffs früher Schrift „De loquela" (1703)88. Den Grundgedanken dieser Schrift formuliert Wolff in der Weise, daß „quemadmodum se habent litterae alphabeticae ad quanta vel data, sie se habere signa cogitationum nostrarum ad ipsas has mentis nostrae cogitationes"8®. So ist auch Wolffs Begriffsbestimmung von Sprache, denkwürdig für die Geschichte der Semantik, so gefaßt, daß sie nicht nur die natürlichen, « Ebd. § 297. Vgl. Wolff, „Psydiologia empirica", § 297. Der von Wolff genannte Brief Leibnizens an Oldenburg stammt vom 28. Dez. 1675, die beiden an Remond vom 10. Jan. und 14. März 1 7 1 4 . Ersterer war veröffentlicht in den „Opera mathematica" von John Wallis, 3. Bd., S. 621, Oxford 1699, letztere waren Wolff zugänglich in einer veröffentlichten Briefsammlung „Recueil de diverses pieces par Möns. Leibniz, Clarke, Newton autres Autheurs celebres" (ed. De Maizeaux), Amsterdam 1720.

81

87

Wolff, „Psychologia empirica", § 297. Wolff, Chr., „Disquisitio Philosophica de Loquela" (1703) in „Meletemata mathematico-philosophica", Sect. II, S. 244 f. 8 » Ebd. S. 249.

88

144

V

Wolff

gesprochenen Sprachen umfaßt, sondern auch auf eine Kalkülspradie Anwendung finden kann. Wolff definiert sie als „actionem instantaneam, qua mentis nostrae cogitata cum praesentibus aliis communicamus"9®. Die menschliche Umgangssprache wird in dieser Bestimmung von „loquela" nur als Spezialfall eines Kommunikationsmittels unserer Gedanken aufgefaßt. Den Grundgedanken, den Wolff für eine im wissenschaftlichen Sprachverkehr brauchbare Sprache konzipiert, bestimmt er in der selben Weise wie Leibniz denjenigen seiner „Characteristica universalis" 91 . Sie solle i. eine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen Zeichen und Bezeichnetem vornehmen, 2. die Unterschiedenheit der Begriffe auch durch die Unterschiedenheit der Zeichen zum Ausdruck bringen und 3. das Verhältnis und die wechselseitige Abhängigkeit der durch die Begriffe vorgestellten Dinge abbilden®2. Während Wolff in dem frühen Aufsatz „Solutio nonnullarum difficultatum.." (1707), wie wir gesehen haben, die Ausdrücke „Characteristica" und „Combinatoria" auf die Zergliederung und Zusammensetzung unserer Begriffe bezieht, auf welche der ganze Verstandesgebrauch zurückführbar sei93, aber seine Betrachtung auf eine in der natürlichen Sprache erfolgende „analysis notionum" beschränkt, kommt er in dem Kapitel der „Psychologia empirica"94, das die Überschrift trägt „De Intellectu in genere et Differentia Cognitionis", wieder auf die „ars characteristica" und die „ars characteristica combinatoria" zu sprechen. Erstere wird definiert als die „ars", „quae explicat signorum in rebus aut eorundem perceptionibus denotandis usum"' 5 , letztere dagegen als die „ars", „quae docet signa ad inveniendum utilia et modum eadem combinandi eorundemque combinationem certa lege variandi" 94 . Diese Unterscheidung einer „ars characteristica" und einer „ars characteristica com»· Ebd. S. 244. 81 Vgl. oben S. n o f . 9! Wolff, „De loquela", a . a . O . , S. 249: „ 1 . ut numerus signorum aequetur numero cogitationum; tot enim Analysis ordinarie assumit litteras alphabeticas, quot quaestio proposita continet quanta; 2. ut signa discrimen cogitationum indicent, quemadmodum in Algebra quanta cognita vocantur primis alphabet! litteris a, b, c, et incognita ultimis x, y, z, consequenter tot constituantur signorum classes, quot sunt classes cogitationum differentium; 3. ut signa simul indicent rerum affinitatem et dependentiam mutuam mutuumque respectum, prout in geometria nova quantum non voco b, quod supponitur esse multiplum ipsius a, quin potius ea vel ia, vel oa, aut si fuerit ut a ad b, sic χ ad quantum alteram incognitum non y sed bx/a dicitur". 93 Vgl. oben S. 130. • 4 Die „Psychologia empirica" erschien in 1. Aufl. 1732. ·« Ebd. § 294.

145

ars inveniendi

binatoria" bleibt bei Wolff wesentlich eine solche des Gesichtspunktes, denn die Vollkommenheit einer Zeichensprache steigt mit der Vielzahl möglicher Verknüpfungen, die diese Zeichen gegenüber anderen Zeichen aufweisen. So sagt Wolff schon im Hinblick auf eine „ars characteristica", daß sie möglichst Zeichen enthalte, „quae ad inveniendum apta sunt; in Arte characteristica signorum ad inveniendum utilium ratio imprimis explicari debet"' 7 . In seiner „Epistola gratulatoria" an J . U . Cramer® 8 widmet sich Wolff der interessanten Frage, ob sich die Erfindungskunst selbst systematisch darstellen lasse. Diese wird hier aufgefaßt als ein Regelsystem, das sich „ex principiis a natura mentis humanae ac notione entis" deduzieren lasse. Wolff bejaht allgemein die Möglichkeit und Nützlichkeit dieser Systembildung und beschreibt mit begeisterten Worten die Vorteile, die eine systematische Darstellung der „ars inveniendi" für den sie Benutzenden haben würde. Sie würde der Erhaltung der Gesundheit dienen („ut nullum ex profundis meditationibus metuendum sit corpori periculum") und eine Unterbrechung der Forschung möglich machen, ohne daß diese Schaden nähme („neque nocebit Interruptio: cum enim inventor certa lege progrediatur, gradum sistere licebit")". Der Sache nach jedoch geht Wolff in diesem Gratulationsschreiben, das seine letzte Äußerung zur „ars inveniendi" enthält ( 1 7 3 3 ) , nicht über das in der „Psychologia empirica" ( 1 7 3 2 ) Gesagte hinaus. Die Unterschiede gegenüber Leibniz betreffen lediglich die größere Skepsis, die Wolff im Hinblick auf die praktische Realisierbarkeit einer „ars characteristica combinatoria" zeigt, und die bei Wolff stärker als bei Leibniz hervortretende Zweiteilung der kombinatorischen Zeichenkunst als eines Kalküls sowohl der Quantitäten wie der Qualitäten. So meint er, daß die Erfindung dieser Kunst „difficillima est, nec ante in potestate erit, quam disciplinae magis fuerint excultae" 100 . In eben dieser vorbereitenden Tätigkeit sah Wolff die Bestimmung seiner systematischen Darstellung der philosophischen und der mathematischen Wissenschaften 101 . 97 »' E b d . § 2 9 7 . E b d . § 294. 8 * W o l f f , Chr., „Epistola Gratulatoria ad V i r u m Consultissimum, Amplissimum atque Excellentissimum Dominum J o . Ulricum Cramerum, J u r . V . et Phil. D . P r o fessorem Publicum Ordinarium in Academia Marburgensi, qua disquiritur: N u m utile sit artem inveniendi in systema redigi", 1 7 3 3 , in: W o l f f , „Meletemata", 1 7 5 5 , Sect. I I I , N r . V I I , S. 1 3 0 — 1 4 0 . 89 E b d . S. 1 3 5 . 100 W o l f f , „Psydiologia empirica", § 3 0 1 . ιοί V g l . das gleichartige Verhältnis von Leibniz, oben S. 1 2 2 .

„ars iudicandi"

und

„ars inveniendi"

bei

146

V

Wolff

Wolffs Bestimmung des Kalkülbegriffes, der einer kombinatorischen Zeichenkunst zugrundeliegt, erfolgt ohne Bezugnahme auf die Leibnizsche Unterscheidung von Bildungsregeln und Umformungsregeln, was damit übereinstimmt, daß Wolff, im Gegensatz zu Leibniz, über seine Äußerungen zu einer kombinatorischen Zeichenkunst hinaus keine Logikkalküle entwickelt hat. Wolffs Kalkülbegriff bleibt so eingeschränkt auf die Bildung zusammengesetzter aus einfachen oder weniger zusammengesetzten Charakteren: „Calculus in genere est inventio alicuius signi seu characteris derivativi ex aliis sive primitivis, sive derivativis per continuam aequivalentium substitutionem" 102 . Während Wolff in der Algebra „artem characteristicam combinatoriam magnitudinum"105 sieht, weist er auf die Schwierigkeit der Anwendung einer kalkülmäßigen Ableitung zusammengesetzter Zeichen hin, die keine Größen, sondern Qualitäten repräsentieren: „Quantitatum ex aliis assumptis ortus satis manifestus est: ast quomodo qualitates aliae ex aliis nascantur, nondum adeo exploratum est"104. Wie Leibniz', so setzt auch Wolffs Idee einer „Ars characteristica combinatoria" zur Bildung der Grundzeichen die Auflösung unserer zusammengesetzten Begriffe in einfache Begriffe voraus. Eben diese Auflösung aber würde unsere Erkenntnis zu einer „adäquaten" machen, von der Wolff meint, daß sie nur Gott als „dem einzig vollkommenen Weltweisen"105 offen läge. Dieses Ziel, das in einer schrittweisen Annäherung an die göttliche Erkenntnis besteht, kann die Darstellung der philosophischen Wissenschaften, so wie Wolff sie vornahm, nicht verfolgen wollen. Ihre Ordnung ist neben der oben erwähnten Einschränkung in der Verwendung von Nominaldefinitionen vor allem dadurch bedingt, daß Wolff die allgemeineren Begriffe gegenüber den spezielleren zuerst behandelt, indem er wie Leibniz nicht klar unterscheidet zwischen den beiden Gegensatzpaaren des Einfachen und Zusammengesetzten und des Allgemeinen und Besonderen. Während jedoch der Fortgang vom Einfachen zum Zusammengesetzten, so wie er in der Theorie der „mathematischen Methode" konzipiert und auf den Gedanken einer kombinatori101

W o l f f , „Psydiologia empirica", § 298.

«> Ebd. 104

E b d . § 29 j . S o meint W o l f f , daß Leibniz zwischen seiner Ankündigung einer „Characteristica universalis" im Briefwechsel mit Oldenburg 1 6 7 5 und demjenigen mit Remond 1 7 1 4 „tanto temporis intervallo ne latum quidem unguem in arte ista progressum fuisse".

105

W o l f f , Deutsche Metaphysik, 1 7 2 0 , § 9 4 3 .

ars inveniendi

147

sehen Zeichenkunst übertragen wurde, in einer apriorischen, nur im Hinblick auf den Ansthauungsgehalt der Grundbegriffe sich vollziehenden Synthese besteht, wendet Wolff die Hauptregel seiner Darstellung „methodo scientifica", daß nämlich „praemittantur ea per quae sequentia intelliguntur et adstruuntur"109, lediglich in dem Sinne an, daß er die Behandlung der allgemeineren Begriffe derjenigen der spezielleren vorordnet. So gilt zwar, daß ein „ens finitum" ein „ens" ist, und daß ein Verständnis des ersteren Ausdrucks ein solches des zweiten voraussetzt, weil dieser in jenem enthalten ist, aber allein durch den Bedeutungsgehalt von „ens" läßt sich nicht derjenige des „ens finitum" einsichtig machen. Daß Wolff diese Auffassung dennoch vertrat, lag daran, daß er das Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen unter dem Blickpunkt des Verhältnisses von Gattung und Art sah und dieses unter der Einwirkung der aristotelisch-scholastischen Formenlehre so interpretierte, daß die Gattung die „causa formalis", der Grund aller möglichen Bestimmungen der unter sie fallenden Arten ist 1 ". Hier liegt die Verwechslung nahe, der Wolff anheimfiel, indem er diese Auffassung des Verhältnisses von Gattung und Art gleichsam bestätigt fand in der Geometrie, deren Lehrsätze sich aus wenigen Grundbegriffen herleiten lassen, und in der Algebra, wo sich mit einer allgemeinen Formel zugleich alle Fälle angeben lassen, die unter sie fallen. Erst Lambert und Kant haben etwa gleichzeitig die radikale Unterschiedenheit der beiden Gegensatzpaare des Einfachen und Zusammengesetzten einerseits, des Allgemeinen und Besonderen andererseits erkannt, Kant in seiner Schrift „Über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral" (1763) und Lambert in seinem „Neuen Organon" (1764). Nichtsdestoweniger hat Lambert noch einmal versucht, mit einer Erneuerung der Philosophie, die auf das Beispiel der Mathematik ausgerichtet ist, „in der philosophischen Kenntnis Epoche zu machen"108, ein Versuch, dem sich unsere Betrachtung nun zuwenden wird. 1M

W o l f f , „ L o g i c a " , Disc. Prael., § 1 3 9 .

107

S o bestimmt die Wolff sdie „ O n t o l o g i a " , § 946 die „ F o r m a " als die „ratio eorum, quae enti necessario conveniunt, seu per modum attributorum insunt". V g l . ebd. § 9 5 0 : „ I t a cum philosophiae primae objectum sit ens in genere, ex eo nos deduximus, quaenam in Ontologia sint pertractanda".

109

Lambert, J . H . , Eigene Rezension der „ A n l a g e zur Architektonik" in der deutschen Bibliothek", B d . X X , 24.

„Allg.

VI.

Johann Heinrich Lamberts Konzeption einer Wissenschaftlichen Grundlehre

In der philosophischen Lehre Johann Heinrich Lamberts (1728— 1777) liegt sowohl eine Wiederaufnahme wie eine Neugestaltung des Gedankens einer Anwendung der „mathematischen Methode" vor 1 . Wie bei Descartes, Leibniz und Wolff besteht auch in der philosophischen Theorie Lamberts eine enge Beziehung zwischen dem Gedanken der Anwendung der „methodus mathematica" auf die wissenschaftliche Erkenntnis und der Forderung einer Kalkülsprache, die nicht nur für alle wissenschaftliche Erkenntnis brauchbar sein soll, sondern gleichzeitig deren vollkommenen symbolischen Ausdruck bilden würde. Unter allen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts dürfte Lambert derjenige sein, der den Gedanken einer Übertragung der „methodus mathematica" auf die philosophische Erkenntnis aufs scharfsinnigste durchdacht und aufs gründlichste in seinen Konsequenzen entwickelt hat. Nichtsdestoweniger war es Lambert, der gerade durch die Deutlichkeit, mit der er die Voraussetzungen entwickelte, die im Gedanken der Übertragbarkeit und Anwendung einer „methodus mathematica" liegen, die Auffassung der Philosophie als einer „more geometrico" zu begründenden den folgenden Generationen als undurchführbar erscheinen ließ, 1

Lambert, J . H . , „Criterium Veritatis", (Abfassung 1 7 6 1 ) hg. v . K . Bopp 1 9 1 $ , Kantstud.-Eng.Hft. N r . 3 6 Ders., „ Ü b e r die Methode, die Metaphysik, Theologie und M o r a l richtiger zu beweisen", Fragm. 1 7 6 3 , hg. v . K . B o p p 1 9 1 8 , Kanstud.E r g . H f l . N r . 4 2 . Ders., „Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein", 2 Bde, Leipzig 1 7 6 4 , Nachdruck Hildesheim 1 9 6 5 , von mir eingeleitet. Ders., „ A n l a g e zur Architectonic oder Theorie des Einfachen und Ersten in der philosophischen und mathematischen Erkenntnis", 2 Bde, R i g a 1 7 7 1 , Nachdruck H i l desheim 1 9 6 5 , von mir eingeleitet. Ders., „Logische und philosophische Abhandlungen", hg. v . J . Bernoulli, 2 Bde, Berlin 1 7 8 2 , Nachdruck Hildesheim 1 9 6 7 — 6 9 , v o n mir eingeleitet. „ J . H . Lamberts deutscher gelehrter Briefwechsel", hg. v . J . Bernoulli, 4 Bde, Berlin 1 7 8 2 — 8 4 , Nachdruck des ersten, den philosophischen B r i e f wechsel enthaltenden Bandes Hildesheim 1 9 6 8 , von mir eingeleitet. Die kleineren benutzten Schriften sind im folgenden genannt.

150

VI

Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

indem er eingehender als die im Vorstehenden genannten Denker die Bedingungen entwickelte, unter denen ihm die Anwendung der „methodus mathematica" in der Philosophie möglich schien. Eben die deutlichere Erfassung dieser Bedingungen führte in der Folgezeit zur Einsicht in die Unterschiedenheit mathematischer und philosophischer Erkenntnis, wie sie bereits in Kants vorkritischen Schriften zum Ausdruck kommt und in seiner kritischen Philosophie zu einem zentralen Gegenstand der Erörterung gemacht wird. Lamberts philosophische Theorie dagegen stellt sich dar als die wesentlich unkritische, im Einzelnen jedoch scharfsinnige Analyse der im Gedanken der „mathematischen Methode" enthaltenen Voraussetzungen. Auch Lamberts erste philosophische Versuche sind durch das Bemühen gekennzeichnet, die mathematische Symbolsprache von Arithmetik und Algebra f ü r andere Wissenschaften nutzbar zu machen 8 . Wie bei den vorgenannten Autoren standen seine Versuche und die von ihm entwickelten Zielsetzungen einer am Vorbild des mathematischen K a l küls orientierten Zeichensprache unter dem Gedanken, durch deren Anwendung auf die qualitativen Bestimmungen der Begriffe und der durch diese vorgestellten Dinge zu einer Erfindungskunst zu gelangen, die auf sicherem Wege die noch unentdeckte Erkenntnis erschließen könnte. Der Gedanke von der Möglichkeit einer Erfindungskunst bestimmte bei ihm wie bei Descartes, Leibniz und Wolff die Auffassung einer einheitlichen wissenschaftlichen Methode als einer „clavis", mit deren Kenntnis in nuce die Gesamtheit aller möglichen Erkenntnis gegeben sei und sich allein durch die Anwendung theoretisch fixierbarer methodischer Regeln im Einzelnen zur Feststellung bringen ließe. Wie bei Descartes, Leibniz und Wolff begleitet einerseits der Gedanke einer am mathematischen Kalkülbegriff orientierten Erfindungskunst die Entwicklung seiner Theorie der Methode. Andererseits jedoch blieb diese durch die Konzeption eines Beweisverfahrens f ü r vorgelegte und in der natürlichen Sprache formulierte Sätze bestimmt, das aus einer Betrachtung und Interpretation des Verfahrens bei der Lösung geometrischer Probleme gewonnen und als „methodus mathematica" oder „mos geometricus" zu einem Kernstück der philosophischen Methodenlehre geworden war. 1

Vgl. J . H . Lamberts „Monatsbudi", mit den zugehörigen Kommentaren, hg. v. K . Bopp, Abhdl. d. Königl. Bayr. A k . d. Wissenschaften, Phys. Klasse X X V I I . Bd. 6. AbhdI., München 1916. Dazu die im 1. Bd. der „Logisdien u. Philosophischen Abhandlungen" enthaltenen 6 Versuche zur Logikalisdien Zeichenkunst aus den Jahren 1 7 5 3 — y 6 .

VI

Lamberts wissensdiaftlidie Grundlehre

151

Während Descartes' Methodenlehre auf die Bedingungen ausgerichtet war, unter denen für die intuitive Einsicht in Begründungszusammenhänge eine sichere Führung gewährleistet sei; während in Leibniz' sehr unterschiedliche methodische Zielsetzungen umfassendem Gedanken einer „ Seien tia generalis" die „methodus mathematica" der Theorie der Begriffsanalyse zugrunde lag und der Verfahrensweise einer „ars iudicandi" zum Leitgedanken diente — die ihrerseits auf eine sich der Charakteristik und Kombinatorik bedienende „ars inveniendi" ausgerichtet war—»haben Wolff und Lambert in sehr verschiedenartiger Weise versucht, den dadurdi gegebenen Zielsetzungen gerecht zu werden: Wolff, indem er seine Darstellung der philosophischen Wissenschaften „methodo scientifica" in den Dienst einer „ars inveniendi" stellt, Lambert, indem er in einer „Grundlehre" den synthetischen Aufbau der Erkenntnis aus einfachen Grundbegriffen hervorzubringen versuchte. Die Ausrichtung der Methodenlehre auf die Mathematik kommt bei Lambert in programmatischen, wenn auch bisweilen vagen Erklärungen zum Ausdruck. So meint er, man werde „der philosophischen Erkenntnis nicht den Namen einer völlig wissenschaftlichen Erkenntnis beylegen können, wenn sie nicht durchaus zugleich mathematisch ist" 3 . Die Einwirkung von Vorstellungen, die das Verfahren bei der mathematischen Erkenntnisgewinnung betreffen, vollzieht sich nun auf verschiedenen Stufen der Lambertschen Theorie der Methode. Wie Leibniz und Wolff sieht Lambert die vollkommenste Form einer Anwendung des mathematischen Erkenntnismodells in einer „Characteristica universalis" 4 . Die Schwierigkeit, bei der Gewinnung dieser voranzukommen5, sowie die Notwendigkeit, zunächst deren Grundlage, die 3

4

5

Lambert, „Architectonic* (zit. „Ardi"), § 683. Vgl. ebd. § 684: „Die Meßkunst hat bis dermalen noch immer dem Philosophen Stoff gegeben, seine Theorie von allem, was Methode heißt, zu bereichern und auszubessern". Lambert, „Neues Organon", Semiotik § 23: Die Zeichen einer Charakteristik müßten so beschaffen sein, daß sie „nicht nur überhaupt die Begriffe oder Dinge vorstellen, sondern audi solche Verhältnisse anzeigen, daß die Theorie der Sache und die Theorie ihrer Zeichen mit einander verwechselt werden k ö n n e n . . . Die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeidien reduciren, will sagen, das dunkle Bewußtseyn der Begriffe mit der anschauenden Erkenntniß, mit der Empfindung und klaren Vorstellung der Zeichen verwechseln". Vgl. Lamberts Brief an Tönnies vom 24. 3. 71 in J . H . Lambert, „Philosophische Schriften", von mir hrg., Bd. I X , S. 4 1 0 : (Lambert beriditet von seinen Bemühungen um die Charakteristik seit 1752) „Die allgemeine Zeichenkunst schien mir aller Aufmerksamkeit würdig, und soviel ich auch von dem, so mir darüber einfiel, aufschrieb, so wenig konnte ich andern was ich sudite verständlich machen, und noch viel weniger etwas zur Sache dienendes erwarten. Idi sähe immer, daß die

152

VI

L a m b e r t s wissenschaftliche G r u n d l e h r e

Theorie einfacher Grundbegriffe und ihrer Verknüpfungsmöglichkeiten zu entwickeln, führt ihn zu einer Reflexion über den Aufbau der euklidischen Axiomatik und zu einer mit der Leibnizschen und Wölfischen in allen wesentlichen Punkten übereinstimmenden Theorie der Begriffszusammensetzung, in der jedoch entscheidende Punkte eine stärkere Präzisierung erfahren. Den zentralen Gegenstand seiner beiden philosophischen Hauptwerke, des „Neuen Organon" und der „Anlage zur Architectonic" bildet dann das von Lambert konzipierte System einfacher Grundbegriffe und ihrer möglichen und notwendigen Verknüpfungen. Schon in der frühesten unter den veröffentlichten Schriften Lamberts, dem „Criterium Veritatis" 6 , heißt es: „Die Gewißheit der ganzen menschlichen Erkenntnis löst sich in die Frage von der Richtigkeit der Begriffe auf". Die „Richtigkeit" der Begriffe aber besteht für Lambert in ihrer Zusammensetzbarkeit aus einfachen Grundbegriffen. Unter dem Titel einer „Untersuchung der Formalursachen unserer Erkenntnis" stehen nun Lamberts Bemühungen, die Bedingungen zu entwickeln, unter denen ein Nachweis der Zusammensetzbarkeit von Begriffen erbracht werden kann, und der zusammengesetzte Begriff als ein „gedenkbarer" 7 bzw. als ein „möglicher" Begriff ausgewiesen werden kann8. Dieser Untersuchung der „fons possibilitatis duas ideas combinandi" 9 dient die Bezugnahme auf den axiomatischen Aufbau der Geometrie10. In dieser „liegt immer die Sache selbst zugrunde, und Worte und Begriffe Sache erst d a n n leicht z u fassen u n d k l a r w i r d , w e n n m a n sie e n t w e d e r g a n z oder w e n i g s t e n s solche T h e i l e d a v o n g e f u n d e n , die deutlich z e i g e n , w a s , w o u n d w i e v i e l noch z u finden ist". V g l . d a z u L a m b e r t , „ D e u n i v e r s a l i o r i c a l c u l i idea, u n a c u m a d n e x o specimine" in den „ A c t i s E r u d i t o r u m " , L e i p z i g N o v e m b e r u n d D e z e m b e r 1765 u n d „ I n A l g e b r a m p h i l o s o p h i c a m Richeri A d n o t a t i o n e s " ebd., M a i u n d Juni 1767. ® L a m b e r t , „ C r i t . V e r : . " , § 46. 7

V g l . L a m b e r t , „ A r d i . " , § 2 9 7 : „ W i e die logische W a h r h e i t die G r ä n z l i n i e zwischen dem b l o ß Symbolischen u n d d e m G e d e n k b a r e n ist", so ist „die metaphysische W a h r h e i t die G r ä n z l i n i e zwischen dem b l o ß G e d e n k b a r e n u n d d e m w i r k l i c h e n , oder realen, categorischen E t w a s . "

8

E b d . , § 108: „ S o setzen w i r die G e d e n k b a r k e i t z u m M e r k m a l e der M ö g l i c h k e i t u n d den Widerspruch, der in den D i n g e n selbst nicht seyn k a n n , sondern schlechthin i d e a l u n d symbolisch ist, z u m M e r k m a l e des nicht g e d e n k b a r e n u n d a n sich u n möglichen." D e n S a t z des Widerspruches f a ß t L a m b e r t als ein P o s t u l a t a u f : m a n solle nur f o r d e r n , d. h. z u r f ü r j e d e r m a n n v e r g e w i s s e r b a r e n Tatsache e r k l ä r e n , „ D a ß m a n die U n m ö g l i c h k e i t , v o n Α z u glauben, d a ß es nicht A sey, e m p f i n d e n k ö n n e " ( A l e t h . § 163). V g l . L a m b e r t , „ P h i l o s . Schriften", I S. 539.

9

L a m b e r t , „ Ü b e r die M e t h o d e . . . " , § 20.

10

V o n der G e o m e t r i e h e i ß t es i m § 64 v o n L a m b e r t s „ A r c h . " , sie sei „eine seit E u c l i d s Z e i t e n schon auf G r ü n d e gebrachte Wissenschaft u n d T h e i l der G r u n d l e h r e " .

VI

Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

153

richten sich nach derselben" 11 . So konnte Euklid „die Linien, Winkel und Figuren vor Augen legen, und dadurch Worte, Begriffe und Sache unmittelbar mit einander verbinden"". Indem Lambert Wolff zum Vorwurf macht, er habe „nur die Hälfte der mathematischen Methode in der Philosophie angebracht" 13 , insofern er sich zwar auf Definitionen und Axiome gegründet, aber die Postulate Euklids außer Acht gelassen habe, charakterisiert Lambert die Postulate als Aussagen über Begriffsverknüpfungen, die in unmittelbarer Anschauung aufweisbar sind 14 . Die Postulate, welche „allgemeine, unbedingte und für sich gedenkbare, oder einfache Möglichkeiten, oder Thunlichkeiten vorstellen" 15 , formulieren die Einsicht in die Modifizierbarkeit eines Begriffes, d. h. seine Zusammensetzbarkeit mit anderen Begriffen. Sie stellen somit vor, was denkmöglich oder „gedenkbar" ist. Ein Postulat ist nach Lambert ein Urteil der Form „ A kann Β sein", wie umgekehrt die Behauptung, daß Α Β sein kann, nur dann „gedenkbar", d. h. auf dem Wege der Zusammensetzung aus einfachen Begriffen erweisbar ist, wenn diese Zusammensetzbarkeit apriorisch, durch Vorstellung der Begriffe, aufgewiesen wird. Die Postulate machen demnach Aussagen über die Zusammensetzbarkeit von Begriffen, die sich apriorisch, d. h. ohne Hinblick auf die Erfahrung vollzieht, und sind nach Kants Terminologie „synthetische Sätze a priori" 16 . Im Gegensatz zum Postulat, das nach Lambert den synthetischen Aufbau der Erkenntnis aus einfachen Grundbegriffen zum Ausdruck bringt, machen die Axiome Aussagen über Denknotwendigkeiten. Lambert teilt sie ein in „theoretische" und „praktische" Grundsätze. Ein „theoretischer Grundsatz" ist ein Urteil der Form „A ist B". Er behauptet nach Lambert eine notwendige Beziehung zwischen Begriffen. Insofern gilt hier, daß der eine Begriff im andern mitgedacht werden muß. Als Beispiele nennt Lambert: „Jede Bewegung hat eine Dauer", „Das Solide füllt Raum aus" 17 . Ein theoretischer Grundsatz liefert offenbar 11

Lambert, „Arth", § 42.

» Ebd, § 12. 15 Lambert, „Brief an Kant" vom 13. 1 1 . 1765, Ak.Ausgabe von Kants Werken, Bd. X , S. $4. 14

Vgl. Lambert, „Arth", § 1 8 : durch die Postulate werde „das Objektive, was nämlich von den Dingen selbst hergenommen i s t , . . . in Betrachtung gezogen".

15

Ebd. § 12.

16

Vgl. Lambert, „Arch", § 38, die Grundlehre solle „die ersten Anfänge unserer Erkenntnis und zwar a Priori angeben". Vgl. Lambert, „Neues Org.", Aleth. § 219.

17

Vgl. ebd. Dianoiol. § 146, vgl. audi „Arch", §94 f.

154

VI

Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

keine Bestimmung eines Begriffes, so daß der Begriff eines Soliden (d. h. eines im festen Aggregatzustand befindlichen Körpers) und der eines ausgedehnten bzw. Raum ausfüllenden Soliden ein und derselbe Begriff sind, da das Solide nur als ein Raum ausfüllendes vorstellbar ist. Demgegenüber sind die praktischen Grundsätze Lamberts von der Form „A muß Β sein". Sie machen Aussagen darüber, daß bestimmte Begriffe durch andere Begriffe vorausgesetzt werden, wobei der Prädikatsbegriff stärker zusammengesetzt ist als der Subjektsbegriff. Diese „praktischen Grundsätze" liegen demnach auf der Ebene einer „analysis notionum" und machen Aussagen darüber, daß ein Begriff ohne einen andern nicht zusammengesetzt bzw. „gedacht" werden kann. Außer den Postulaten, theoretischen und praktischen Grundsätzen, nennt Lambert nur noch „einschränkende Grundsätze" als Aussagen, welche die Möglichkeiten bei der Begriffszusammensetzung einschränken18, wie etwa, „daß ein und eben das Solide nicht zugleich an mehrern Orten" sein kann 19 . Auf diese vier Typen von Aussagen sollen sich prinzipiell Aussagen zurückführen lassen, auch die Definitionen, die die Einsicht in die Möglichkeit der Zusammensetzung begrifflicher Bestimmungen bereits voraussetzen20. Das Gesagte läßt erkennen, in welch ausschließlichem Maße sich Lambert bei seiner Theorie der Begriffszusammensetzung an den gängigen Bestimmungen der Theorie der geometrischen Methode orientiert. Daß diese ihm in so bedenkenloser Weise übertragbar erschienen auf den Bereich zumindest aller Begriffe, die in der Wissenschaft seiner Zeit zur Theorienbildung benutzt wurden, läßt sich kaum anders als durch den Sog der Tradition erklären, durch den, wie im Vorstehenden aufgezeigt, die philosophische Theorie der „methodus mathematica" mit der Theorie der Begriffszusammensetzung verbunden worden war. Diese aber hatte sowohl in der aristotelisch-scholastischen Behandlung der allgemeineren Begriffe als der „Formursachen" der spezielleren ihre Stütze gefunden, 18

Lambert, „ A r d i " , § 61.

"

Ebd.

10

Z u Lamberts Kritik an Wolffs Verwendung der Nominaldefinitionen vgl. oben S. 138. So meint Lambert, a . a . O . , § 2 3 , daß „Euclid, dem Wolff nachzuahmen suchte, ganz anders verfahren, und seine zusammengesetzte Begriffe aus den einfachen gebildet und erwiesen habe, und daß man ihm in der Grundlage auch hierinn nachahmen müsse . . . Man nimmt den Begriff, nidit wie man ihn findet, sondern wie er sich aus den einfachen Begriffen zusammensetzen lässt. Und dabey wird nun das Wort schlechthin nur der Name des Begriffes oder der Sache, die der Begriff vorstellet".

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Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

155

wie sie auch in dem Kerngedanken einer nach der Algebra konzipierten „mathesis universalis" eine scheinbare Bestätigung darin erhielt, daß die unter eine algebraische Formel fallenden speziellen numerischen Fälle durch vollständige Aufzählung aus ihr herleitbar sind. Als einfache Grundbegriffe nennt Lambert, ohne Anspruch auf eine Vollständigkeit seiner Aufzählung zu erheben21, in der „Anlage zur Architectonic": Solidität, Existenz, Dauer, Ausdehnung, Kraft, Bewußtsein, Wollen, Beweglichkeit, Einheit und Größe. Sie machen „einzeln und untereinander kombiniert, zusammen genommen ein System aus, welches notwendig jede ersten Gründe unserer Erkenntnis enthält"28. Dieses System bildet die „Grundlehre", zu der Lambert die Ontologie reformieren wollte. Wäre sie vollständig, so würde „unsre wissenschaftliche Erkenntnis ganz und im strengsten Verstände a priori seyn . . . , wenn wir die Grundbegriffe sämmtlich kenneten und mit Worten ausgedrückt hätten, und die erste Grundlage zu der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung wüßten" 23 . Während die einfachen Grundbegriffe in isolierter Betrachtung homogen sind und nur sich selbst zum Merkmale haben, läßt erst der „actus reflexus" 24 , die Reflexion des Verstandes auf sich selbst, diese einfachen Begriffe, die „vorher gleichsam sich selbst überlassen waren", durch den Akt einer „Vergleichung" „in Fluß" „geraten" 25 . Diese Vergleichung bewirke „einen gewissen Eindruck in der Seele, und dieser Eindruck giebt einen Verhältnisbegriff an, der gleichsam als eine Brücke dient, von dem einen auf den andern zu kommen" 2 '. So führt die Lambertsche Theorie der Begriffszusammensetzung zu der Feststellung, daß ebenso wie in der Theorie von Leibniz und Wolff die „synthetische Theorie der Dinge" auf der „Combinabilität" einfacher Grundbegriffe beruhe27, indem diese „sowohl Bestimmungen und Modi21

V g l . unten Anmerkung 25.

22

Lambert, „ A r c h . " § 7 4 .

23

Lambert, „ N e u e s O r g . " , Dianoiol. § 656.

24

Lambert, „ Ü b . d. M e t h . " , S. 7.

25

Lambert, „Neues O r g a n o n " , Aleth. § 1 3 2 . E i n einfacher Begriff — neben den einfachen G r u n d b e g r i f f e n nennt Lambert auch andere einfädle Begriffe, ζ. B . Farben, W ä r m e , Schall, Licht, A d v e r b i e n (zugleich) usw., logische Konstanten (nicht, gleich, wenn), Fragewörter (warum? was? wie? etc.) — kann keinen W i derspruch enthalten, da er aus nur einem Merkmal besteht. E r ist „sich selbst sein eigenes M e r k m a l " ( „ N e u e s O r g " , Aleth. § 30), seine Vorstellung „drängt uns a u f " eine „unumgängliche Gleichförmigkeit" (ebd. § 9).

2e

Lambert, ebd. Dianoiol. § 659.

"

Lambert, „ A r c h . " , § 7 5 1 .

156

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Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

fikationen zulassen, als auch unter sich vielerley Verbindungen und Verhältnisse haben, wodurch der Weg zu ihrer Zusammensetzung gebähnt wird" 28 . Insofern muß audi Lamberts Grundlehre, wie die Leibnizsche Theorie einer kombinatorischen Zeichenkunst, das voraussetzen, was zustandezubringen ihre eigentliche Aufgabe ist: die zumindest partielle Erkennbarkeit aller möglichen Verhältnisse, die zwischen der Gesamtheit aller Begriffe als eines „Reiches der logischen Wahrheit" 29 bestehen. Trotz der Ubereinstimmung, die in diesem Punkte zwischen Lamberts Grundlehre und den Theorien von Leibniz und Wolff besteht, geht Lambert in zwei entscheidenden Punkten über jene hinaus: indem er unterscheidet zwischen den Gegensatzpaaren des Einfachen und Zusammengesetzten einerseits, des Allgemeinen und Besondern andererseits und indem er in einer „Phänomenologie" versucht, die Erfahrungserkenntnis durch Ausschließung aller Quellen des „sinnlichen Scheins" auf die Form einer apriorischen Erkenntnis zu bringen. Auf beide Punkte sei im folgenden kurz eingegangen. Zu einer Unterscheidung des Einfachen und des Allgemeinen gelangt Lambert dadurch, daß er das Einfache als den Endpunkt der Analyse eines Begriffes, das Allgemeine dagegen als das Produkt eines Abstraktionsprozesses auffaßt, der sich auf mehrere Begriffe bezieht. Während man „bey dem Abstrahiren die Merkmale herausnimmt, die mehrern Dingen gemeinsam sind", und insofern auf die „Gleichartigkeit mehrerer Dinge" sieht, bleibt man bei der Begriffszergliederung „bey dem Begriffe selbst" und sucht darin „das Ungleichartige . . und die Möglichkeit auf, wie dasselbe beysammen seyn kann, und damit geht man schlechthin nur so weit, bis man auf einfache Ungleichartigkeiten kömmt. Dieses sind sodann die eigentlich einfachen Bestimmungen und Begriffe" 30 . Auf diese Weise nimmt Lambert eine Unterscheidung vor zwischen der Bildung von Allgemeinbegriffen und der Zurückführung von zusammen28

Lambert, „Neues Org.", Aleth. § 69.

® Das „Reich der logisdien Wahrheit" bildet nach Lambert „das ganze System aller Begriffe, Sätze und Verhältnisse, die nur immer möglich ist, als in seiner Verbindung und Zusammenhange" („Neues Org.", Aleth. § 160). Zur Grundlehre verhält es sich wie das Ganze zu demjenigen Teil, der unserer Erkenntnis zugänglich ist. Das „Reidi der logisdien Wahrheit" enthält alle Wahrheiten „nach unserer Art sie vorzustellen" (ebd.) und steht dem „Reidi der metaphysischen Wahrheit" gegenüber, „die in den Dingen selbst ist" (Arch. § 297). Zwischen beiden besteht die Beziehung einer umkehrbar eindeutigen Abbildung.

2

"

Lambert, „Ardi.", § J25.

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Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

157

gesetzten auf einfache Begriffe. Die „Gedenkbarkeit" eines Begriffes oder einer Aussage kann aber nur durch den Aufweis ihrer Zusammensetzung aus einfachen Begriffen dargetan werden. So wendet sich Lambert mit Schärfe gegen Wolffs Verfahren, die Ontologie aus dem allgemeinsten und wie Lambert meint, „im geringsten nicht einfachen" Begriffe des „ens" 31 ableiten zu wollen. Die einfachen Grundbegriffe dagegen, die nach Lambert allein Prinzipien einer wissenschaftlichen Deduktion sein können, müssen in unmittelbarer Erfahrung aufweisbar sein. Wie die „Untersuchung der Formalursachen" unserer Erkenntnis, d. h. der notwendigen Abhängigkeiten, die zwischen den zusammengesetzten und einfachen Begriffen bestehen, uns auf einfache Grundbegriffe als die letzten Formalursachen unserer Erkenntnis führt, so bilden diese auch die „Materie", aus der alle zusammengesetzten Begriffe bestehen'2. Im „Criterium veritatis" läßt Lambert sie in „inneren Empfindungen" bestehen" und von dem „actus reflexus", durch dessen Vergleichung einfacher Grundbegriffe sich ihre notwendigen Verhältnisse zeigen, sagt er, er gebe „unmittelbare Erfahrung, deren Wirklichkeit man im Läugnen zugeben muß" 3 4 . In seiner „Phänomenologie", dem letzten Teil des „Neuen Organon", behandelt Lambert das Problem, wie sich die „Sprache des sinnlichen Scheines", in der wir unsere Erfahrung der Körperwelt formulieren, in die „wahre, physische Sprache übersetzen lasse", d. h. in diejenige, durch die sich die tatsächlichen Verhältnisse der Körperwelt unabhängig von den Fehlerquellen der sinnlichen Erfahrung abgebildet finden. Unter den Erfahrungsbegriffen sind es allein die der Ausdehnung, Solidität und Beweglichkeit, die wir gleichzeitig mit Hilfe zweier Sinne, des Tastsinnes und des Gesichtssinnes, bilden, und bei denen wir, da die Vorstellung eines jeden wahrgenommenen Körpers sie voraussetzt, versichert sein 31

32

Vgl. Lambert, „Ardi." § 521. Auch § 522: So sind die „meisten Prädikate, die man dazu gefunden, nicht einfach, wenn man nicht bloß bey der Worterklärung bleiben, sondern die Sache selbst entwickeln will. Denn jedes von diesen Prädikaten hat, weil es gedenkbar ist, die Prädicate der Gedenkbarkeit, weil es etwas ist, die Prädikate des Etwas, und daher die meisten Prädicate eines Dinges überhaupt, und überdies hat es seine besondere fundamenta divisionis und subdivisionum, weil es in den Individuis eigene Bestimmungen erhält". Vgl. Lambert, „Arch.". Zusatz zum 19. Hauptstück X V : „Bey zusammengesetzten Begriffen sind die einfachen ihre Bestandtheilchen, und diese werden dabey als Materie betrachtet, aus deren Anordnung, Zusammensetzung und Verbindung die Form des zusammengesetzten Begriffes bestimmet wird."

33

Vgl. Lambert, „Crit. Ver.", § 41.

14

Lambert, „Üb. d. Meth.", S. 7.

158

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dürfen, daß auf ihnen „die wahre physische Sprache" beruhe35. Der Gedanke liegt nahe, daß auch die gegenseitigen Verhältnisse dieser drei Begriffe durdi eine Ubersetzung der „Sprache des Scheines in die wahre physische Sprache" aposteriorisch gewonnen werden können. Das Unterscheidende der Theorie der Lambertschen Phänomenologie gegenüber der Lockeschen Theorie der „simples ideas" liegt darin, daß Lambert zwar mit Locke die „Materie" unserer Erkenntnis auf Empfindungsdaten zurückführt, die Verhältnisse dagegen, in denen diese notwendig stehen oder möglicherweise treten können, als in einer Grundlehre aus den einfachen Begriffen, die diesen Daten entsprechen, apriorisch herleitbar ausgibt. Die „wahre physische Sprache" vermittelt so die „Ubersetzung" der von allen Fehlerquellen befreiten Erfahrungserkenntnis in Aussagen, deren „Gedenkbarkeit" auf Grund ihrer Herleitung aus der Grundlehre einsichtig werden soll36. Gerade dieses Verhältnis, in das Lambert die Erfahrungserkenntnis und die ihr entsprechenden Aussagen einer apriorischen Grundlehre treten läßt, legt den Gedanken nahe, daß die von Lambert genannten Axiome der Ausdehnung, Beweglichkeit und Solidität nicht, wie er selbst meint, aus einem „actus reflexus" des Verstandes auf diese Begriffe apriorisch hervorgehen, sondern zu betrachten sind als Aussagen, denen jede physikalische Theorie im Hinblick auf die Erfahrungswirklichkeit Rechnung zu tragen hat. Nicht anders verhält es sich im Hinblick auf die Denkmöglichkeiten und Denknotwendigkeiten von Verknüpfungen, die zwischen anderen einfachen Grundbegriffen bestehen sollen. So legt Lambert selbst jeden der von ihm unterschiedenen Grundbegriffe einer oder mehreren apriorisdien Wissenschaften zu Grunde, faßt aber die Verhältnisse, die dieser Begriff mit anderen eingeht, nicht lediglich als notwendige Bedingungen der bereits jeweils konstituierten Wissenschaften auf, sondern bezeichnet sie als das apriorische Fundament eben dieser Wissenschaften37. 35

"

Lambert, „Neues Org.", Phänom. § 72: „ D e m Gefühl haben wir die drey Grundbegriffe der Ausdehnung, Solidität und Beweglichkeit zu danken, auf welchen die wahre physische Sprache beruht." So meint Lambert, die wahre Sprache, oder vielmehr ihre vollkommenste Gestalt wäre dann gewonnen, wenn wir alle „Mechanismen" erklären könnten, nach denen die v o n uns wahrgenommenen Objekte unsere Sinne beeindrucken (vgl. ebd. § 66—

70—73)·

37

V g l . Lambert, „Neues Organon", Dianoiologie § 658: „Wenn wir den Begriff der Ausdehnung sowohl dem Räume als der Zeit nach, oder unmittelbar die Begriffe des Raumes und der Zeit als ganz einfache Begriffe ansehen: so haben wir drey Wissenschaften, die im strengsten Verstände a priori sind: nämlich die Geo-

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Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

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Damit dieses Fundament audi hinreichend wäre, um alle Aussagen, welche die jeweilige apriorische Wissenschaft ausmachen, in deduktiver Abhängigkeit aus ihr hervorgehen zu lassen, müßten alle notwendigen Bedingungen dieser apriorischen Wissenschaft in jenem Fundament erfaßt sein. Das würde aber bedeuten, daß alle Aussagen einer apriorischen Wissenschaft im vorhinein bekannt sein müßten, um das Fundament zu erstellen, das der betroffenen apriorischen Wissenschaft zu Grunde liegen soll. Auf dieser Verkehrung, die von der Theorie der Begriffszusammensetzung gefordert wird, aber nichtsdestoweniger deren eigentliche Schwäche enthüllt, beruht die Lambertsche Theorie einer apriorischen Grundwissenschaft. Wie die Lambertsche, so werden auch die im Vorstehenden behandelten philosophischen Theorien von dieser Kritik betroffen. Auch bei ihnen setzte der Versuch, die inhaltlich bestimmte und „materiale" Erkenntnis mittels einer Theorie der Begriffszusammensetzung herzuleiten, voraus, daß der Synthese der Begriffe eine Analyse vorgängig ist, in der die Grundbestimmungen gewonnen werden, von denen her der Aufbau der wissenschaftlichen Erkenntnis einsichtig wird. Wie jene Theorien, so ist auch diejenige Lamberts durdi den Versuch gekennzeichnet, nach Analogie der geometrischen Konstruktion von wenigen Grundbegriffen her zu gesicherten Aussagen zu gelangen. Doch hat Lambert, mehr als seine Vorgänger, die Schwierigkeiten erkannt, die darin liegen, die Aufgabe der Konstruktion von Begriffen und Aussagen einer apriorischen Wissenschaft einem deduktiven System zu übertragen, in dem alle inhaltlichen Bestimmungen der Erkenntnis im sprachlichen Mittel selbst repräsentiert sind und in Analogie zur Arithmetik und Algebra in einem „calculus qualitatum" herleitbar wären. So steht Lambert unter allem im Vorstehenden behandelten Autoren der Einsicht am nächsten, durch die Husserl später den Ansatzpunkt seiner „Phänomenologie" motivierte. „Wo Begriffs- und Urteilsbildung nicht konstruierend verfährt, wo keine Systeme mittelbarer Deduktion gebaut werden, kann die Formenlehre deduktiver Systeme überhaupt, wie sie in der Mathematik vorliegt, nicht als Instrument materialer Forschung fungieren"' 8 .

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metrie, die Chronometrie und die Phoronomie. Und hinwiederum wenn man zugiebt, daß diese drey Wissenschaften im strengsten Verstände a priori sind, so sind die Begriffe von Raum und Zeit einfache Begriffe." — Vgl. auch Lambert, „Arch.", § J7· Husserl, E., „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie", Den Haag 1950, S. 1 4 1 .

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VI

Lamberts wissenschaftliche Grundlehre

Obwohl die in den vorstehenden Untersuchungen erörterten Versudie die Logik und Erkenntnislehre durch die Übertragung der methodischen Verfahrensweise der geometrischen Axiomatik und durdi die Einführung des Kalkülbegriffes im Hinblick auf alle wissenschaftliche Erkenntnis zu reformieren, als gescheitert zu betrachten sind, ist der Gewinn, den die theoretischen Erörterungen zur „mathematischen Methode" und zu einer „mathesis universalis" in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts gebracht haben, dennoch ein wesentlicher. Dieser Gewinn ist vor allem in einer Hebung des Anspruchsniveaus im Hinblick auf die methodische Sicherung wissenschaftlicher Erkenntnis und in einer Schärfung des Bewußtseins zu suchen, „wie durch gesetzmäßige Feststellung der Prinzipien, deutliche Bestimmung der Begriffe, versuchte Strenge der Beweise, Verhütung kühner Sprünge in Folgerungen der sichere Gang einer Wissenschaft zu nehmen sei"39. Indem Kant mit diesen Worten unter Bezugnahme auf Wolff den Begriff einer „szientifischen Methode" charakterisiert, in der er einen dauerhaften Erwerb für alle spätere philosophische Theorienbildung sieht, hat er zugleich in seiner Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen synthetischer Sätze a priori, die er zur zentralen Problematik seiner kritischen Philosophie machte, die Erörterung der „fons possibilitatis duas ideas combinandi"40 wieder aufgenommen, die den eigentlichen Blickpunkt der theoretischen Auseinandersetzungen um die „mathematische Methode" und einen „calculus qualitatum" ausmachte. Durch seinen Aufweis des radikalen Unterschiedes, der „zwischen dem diskursiven Vernunftgebrauch nach Begriffen und dem intuitiven durch die Konstruktion der Begriffe" besteht", hat schließlich Kant — von den spezifischen Voraussetzungen seiner eigenen Lehre her — der im 17. und 18. Jahrhundert geführten theoretischen Diskussion um die Anwendung der „methodus mathematica" und um die Kalkülisierung der Gewinnung inhaltlicher Erkenntnis in der philosophischen Theorienbildung ein Ende gesetzt. 39 40 41

K a n t , I., „ K r i t i k der reinen V e r n u n f t " , B d . 3 d. A k a d . - A u s g . , S . 2 2 . V g l . oben, S . 1 5 2 . K a n t , ebd., S . 4 7 2 . V g l . S. 4 6 9 : „ D i e philosophische Erkenntniß ist die Vernunfterkenntniß aus Begriffen, die mathematische aus der Construction der Begriffe. Einen Begriff aber construiren, heißt: die ihm correspondirende Anschauung a priori darstellen. Z u r Construction eines Begriffes w i r d also eine nichtempirisdie A n schauung erfordert, die folglich, als Anschauung, ein einzelnes Object ist, aber nidits destoweniger als die Construction eines Begriffs (einer allgemeinen Vorstellung) Allgemeingültigkeit für alle mögliche Anschauungen, die unter denselben Begriff gehören, in der Vorstellung ausdrücken muß."

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Sachregister

Abbildbarkeit, sprachliche (Leibniz) n o ff. —, systematische (Leibniz) 1 1 9 f., (Wolff) 138, (Lambert) 1 5 j f. Ableitung vgl. deductio Algebra 10, (Descartes) 36 f., 43, 44 f., (Leibniz) 1 1 6 — 1 1 7 , (Wolff) 146, (Lambert) I J J Allgemeinheit 6, (Leibniz) 137, (Lambert) 156 Analyse (analytische Methode), vgl. auch Methode, mathematische 15, 17, 20 f., (Descartes) 30, 38 f., 43 f., 47 f., 51 ff., 62, (Pascal) 7 1 , (Arnauld u. Nicole) 77 f., (Clauberg) 84, (Weigel) 8j, (Tschirnhaus) 96, (Leibniz) 100 f., 1 1 3 , 123, (Wolff) 127 f. — (analysis notionum) (Descartes) 60 f., (Pascal) 74, (Hobbes) 82, (Spinoza) 90, (Tschirnhaus) 95 f., (Leibniz) 103 f., 1 1 3 , 123, (Wolff) 130 f., 136 f., 139, (Lambert) 152 f. Analytizität (Descartes) 60 f., (Arnauld u. Nicole) 78 f., (Spinoza) 90, (Leibniz) 103 f., (Wolff) 13 j f., (Lambert) 153 fAnschauung vgl. intuitio ars characteristica vgl. Characteristica universalis ars inveniendi 7 f., (Descartes) 30, 46, (Tschirnhaus) 92 f., (Leibniz) 99 f., (Wolff) 139 ff., (Lambert) 150 f. ars iudicandi 7 f., (Descartes) 54 f., (Leibniz) 99 f., 121 f., (Wolff) 139, (Lambert) 150 f. ars memorativa 9, 45, (Leibniz) 122 Ausführlichkeit (von Begriffen) 136 Axiom, Axiomatik 1, 8 f., (Descartes) 64 f., (Pascal) 71 f., (Arnauld u. Nicole) 78, (Tschirnhaus) 94 f., (Leibniz) 1 2 1 , (Wolff) 135, (Lambert) 153 f., IJ8

Begriffskombinatorik vgl. auch ristica u. Zusammensetzung griffen 9, (Tschirnhaus) 97, 1 0 2 , 1 1 0 , 1 1 2 f. Begriffsvariabein (Characteres

Charactevon Be(Leibniz) generales)

l l

l Begriffsverknüpfung vgl. Zusammensetzung von Begriffen Beweis, Beweisverfahren vgl. demonstratio Calculus, Kalkülsprache 3 f., (Descartes) 30, (Leibniz) 102 f., 109 ff., 1 1 j f., 121 f., (Wolff) 1 4 1 , 143 f., (Lambert) 1 4 9 f., 1 5 9 Characteristica universalis 5, (Descartes) 47 f., (Leibniz) 99, 102, 109, 1 1 0 f., (Wolff) 1 3 1 , 143 ff., (Lambert) I J I f., cogitabilitas (Gedenkbarkeit) (Tschirnhaus) 94, (Lambert) 157 cognitio (adaequata) (Leibniz) 105, (Wolff) 146 — (historica, philosophica, mathematical) 13, 4J, (Wolff) 137 f. compositio vgl. auch Synthese u. Zusammensetzung von Begriffen 20, 16 f., (Descartes) 66, 77 Darstellung, vgl. auch System, Systembegriff 1, (Descartes) J2, (Pascal) 73, (Spinoza) 89, (Leibniz) 118 ff., (Wolff) 1 2 7 ff., 1 4 1 , 1 4 J , 1 4 7 deductio (Descartes) 45 f., (Pascal) 73, (Spinoza) 90, (Wolff) 128 f. Definition (Descartes) j6, 65, (Pascal) 71 f., (Hobbes) 82 f., (Spinoza) 90 f., (Tschirnhaus) 95, (Leibniz) 104 f., (Wolff) 13$, 138, (Lambert) 1 J 4 demonstratio 2, 6, '(Descartes) 30, 54 ff., 60, (Pascal) 71 f., (Hobbes) 80 f.,

Sachregister (Tsdiirnhaus) 96 f., (Leibniz) 100 f., 109, i 2 i , (Wolff) 132 f., 137, (Lambert) 150 f. Denknotwendigkeit (Descartes) 60 f., (Arnauld u. Nicole) 78, (Spinoza) 9 1 , (Tschirnhaus) 94, (Leibniz) 104, (Lambert) 153, 158 Determinierbarkeit (von Prädikaten) (Wolff) 108 Deutlichkeit (von Begriffen) 136 Dialektik, Methode der 17 dictum de omni et nullo 106 Dimensionslehre 3, (Descartes) 35, (Wolff) 140 f. Einfachheit, Einfaches, einfache Begriffe und Aussagen (Descartes) 61 f., (Spinoza) 90, (Leibniz) 107 f., (Wolff) 130 f., 146, (Lambert) 153 ff. Exaktheit (sprachlicher Ausdrücke) (Leibniz) 1 1 0 f. Existenzaussagen 105, 107—8 expressio i n , 1 1 6 Formales Schließen 24, (Descartes) 47, (Pascal) 72 f., (Hobbes) 81 f., (Leibniz) 108—109, 1 1 j , 1 1 7 , (Wolff) 1 3 2 — 1 3 3 Formalismus 1 1 5 Formel (formula) (Leibniz) h i , 1 1 6

167

Kalkül, Kalkülsprache vgl. calculus Kombination, Kombinierbarkeit vgl. Zusammensetzung von Begriffen Kombinatorik (vgl. auch Characteristica, Begriffskombinatorik) io, 99, 1 1 6 Konstruktion (vgl. Zusammensetzung) 96 Lehrsatz vgl. Theorem Logik (vgl. auch Formales Schließen) 7, (Descartes) 45, 47, (Clauberg) 83, (Weigel) 86, (Leibniz) 100, 1 1 6 , (Wolff) 128, 142 Logica imaginationis (Descartes) 35 f., (Leibniz) 1 1 4 , 1 1 6 , (Wolff) 141 Logikkalkül 1 1 2 , 1 1 4 f., 1 1 7 Lingua universalis vgl. Characteristica universalis mathesis 25, 45, 49 — universalis 2 ff., (Descartes) 30 ff., 48—49, 58 f., 66, (Sturm) 86, (Tschirnhaus) 97, (Leibniz) 99, 1 1 0 ff., 1 1 6 f., (Wolff) 139 ff., (Lambert) 1 5 1 , 160 Meßbarkeit (Descartes) 34 f., (Wolff) 140 f. Methode 6, 15 f., 23, 25 f., 50, (im Vergleich zur Demonstration) 65, 70, (Spinoza) 90 f., (Wolff) i 2 6 f f . , (Lambert)

Gattungs- und Artbegriffe 83, (Leibniz) 106—107, (Wolff) 146 f. Grundbegriffe (concepts primitifs) 3, (Pascal) 7$, (Leibniz) 103, i u f f . , (Wolff) 136, 146, (Lambert) i j 2 Grundlehre, Grundwissenschaft, Ontologie (Descartes) 47, (Leibniz) 103, (Lambert) 149 ff.

151 —, mathematische 3 ff., 22, (Descartes) 48 ff., 6 j , (Tschirnhaus) 96, (Leibniz) 108, 123, (Wolff) 125 ff., 146, (Lambert) 149 ff. Möglichkeit (Descartes) 53, 61, (Tschirnhaus) 94 f., (Leibniz) 104 f., (Wolff) 129 f., 137, (Lambert) i j 2 f . , 157

Heischesatz vgl. Postulat Historia 45

natura (simplex, composita) vgl. idea und Einfaches, Zusammengesetztes nexus (vgl. auch Zusammensetzung von Begriffen) (Wolff) 127 f., 138 Nominaldefinition (Arnauld u. Nicole) 77, (Tschirnhaus) 95, (Leibniz) 106, (Wolff) 136 fr., 146 Notiones irresolubiles (vgl. auch Grundbegriffe) (Leibniz) 103, (Wolff) 136 Notwendigkeit vgl. Denknotwendigkeit

idea (simplex, composita) (Descartes) 61 ff., (Spinoza) 90 Identische Urteile vgl. propositio identica Identität 134 Intensionale Größen 140 f. intuitus, intuitio (Descartes) 4$ f., 59 f., (Arnauld u. Nicole) 80 f., (Spinoza) 90 f. inventio 9 f., 24, (Descartes) 44, 54, (Spinoza) 91, (Tsdiirnhaus) 97, (Leibniz) 122, (Wolff) 142 ff. Isomorphismus vgl. Abbildbarkeit

Ontologie vgl. Grundlehre ordo 26 f., (Descartes) 34, 54 f., (Arnauld u. Nicole) 77

168

Sachregister

Partikulare Aussagen (vgl. audi Existenzaussagen) (Leibniz) 107 Phänomenologie (Lambert) 157 Postulat (Wolff) 135, (Lambert) 153 Prädikation (vgl. auch Analytizität) 97, (Leibniz) 103 f., (Wolff) 133 f., (Lambert) 153—154 Prästabilierte H a r m o n i e (Leibniz) 118 f. probatio (Wolff) 134 propositio identica (Leibniz) 107, (Wolff) 134 Quadrivium 43 Q u a l i t ä t 86 f., (Leibniz) 116, (Wolff) 140, 145, (Lambert) 150, 159 Q u a n t i t ä t (Descartes) 35 f., (Sturm) 86 f., (Leibniz) 116, (Wolff) 140, 145 Realdefinition (Pascal) 76, (Tsdiirnhaus) 93> 9S> (Leibniz) 106, (Wolff) 129, 135, 137 Regel, Regelgesamtheit i j , 19, (Descartes) 36 f., 51 f., 66 Relationsurteile (Leibniz) 105, (Wolff) 134 Repugnanz 60 f., 63, 78, 94 Rhetorik 23 f. Requisit j i , 103, 106 resolutio (vgl. auch Analyse) 20, 26 f., (Descartes) 66, (Arnauld u.. Nicole) 77, (Leibniz) 104 f., (Wolff) 143 Scientia 45, 97, (Leibniz), scientia generalis 99 f., 116, 122, (Wolff) 126 f., i j i , (Lambert) 15 8 f. signa primitiva, mots primitifs, G r u n d charaktere (vgl. audi Grundbegriffe) (Pascal) 75, (Leibniz) h i , (Wolff) 146 Sprache, Symbolsprache, Kalkülsprache (vgl. audi Characteristica universalis) (Leibniz) n o f f . , (Wolff) 131 ff., 143 f., (Lambert) 157 f.

Subalternationssdiluß (Leibniz) 107 Substitution von Begriffen (Wolff) 131 f. Syllogistik vgl. Formales Schließen Synthese (vgl. auch compositio) 15, 20 f., (Descartes) 52 f., (Clauberg) 83—84, (Leibniz) 100 f., 122, (Wolff) 127 f., 147, (Lambert) 159 System, Systembegriff 1, 12, (Leibniz) 118 f., (Wolff) 127 f., 131, 138, 142, (Lambert) 155 f. Techne 17 f. Theorem (Tschirnhaus) 95, (Wolff) 135, (Lambert) 153 Theorie (Descartes) j j f., (Pascal) 74, (Tschirnhaus) 95, (Leibniz) 118 f., (Wolff) 118 ff., (Lambert) 152 f. Topik 23 f. universitas ordinata 107 Urteilstheorie, analytische (vgl. auch P r ä dikation, Analytizität) (Leibniz) 99, 103 ff., 117, (Wolff) 130 f. Vollständigkeit 136

(von Begriffen) (Wolff)

Wahrheit 90 f., 94, 1 $6 Wahrheitskriterium (Descartes) 59, (Tsdiirnhaus) 94, (Leibniz) 105, (Wolff) 108, (Lambert) i$2 Wissenschaft vgl. scientia Zeichensprache, Zeichenkunst vgl. Characteristica universalis Zergliederung, begriffliche vgl. analysis notionum Zusammensetzung und Zusammensetzbarkeit von Begriffen (Tschirnhaus) 9J f., (Leibniz) 103 f., 108, 112 f., 116, (Wolff) 130 f., 135, 146 (Lambert) 1 j2 ff., 159 f.

Namenregister Ackermann, W. 100 Alexander Aphrodisias 17 Allard, J.-L. 29, 47 Ammonius 17 Angelis, E. de 8, 69 Aristoteles, 4, 16, 18, 134, 154 Arnauld, A. 69 f., 76 f., 105, 128 Arnsperger, W. 118 Bacon, F. 122 Beck, L. J. 29, 32, 50, 52, 60 Becker, O . 2 j , 78 Beiaval, Y . 29, 101, 120 Bodemann, Ε. 111 Bohatec, J. 84 Β ο ρ ρ , Κ . 150 Bradwardine, Th. 4 Brunschvicg, L. 5, 31 Burtt, A . 4 Cantor, Μ. 8, ίο, 11 Cardano, G. 11 Cassirer, E. 71 Cicero 18 Clauberg, J. 83 f., 93 Clavius, Chr. 8, 25, 41 Clemens v. Alex. 21 f. Commandino, F. 22 f. Couturat, L. 99 f., 109, 114—116 Dasypodius, C. 8, 41, 109 Descartes, R. 12, 29—67, 78, 80, 10$, 117, 134, IJO Dietrich, A . J. 103 Dijksterhuis, E. J. 4 Diophantes 66 Ecole, J. 108 Euklid 6 f., 73, 87, 1J3 Ferrari, L. 11 Feverlin, J. W. 93

Frey, G. 140 Fritz, K. v. 11 Gadamer, H.-G. 111 Galen 21 Galilei 53 G i l b e r t , N . W . 8, 18 f. Gilson, E. 29, 36, 43 f. Gueroult, M. 54 Hansch, M. G. 93 Heath, Th. 11 Heiberg, I. L. 6 Heimsoeth, H. 9, 29, 31, 50, 53, 60, 92, 99 Herlinus, Chr. 8, 41, 109 Hermes, H. 7, 11, 100 Heyting, A. 2 Hilbert, D. 100 Hobbes, Th. 81 f., 91 Hofmann, J. E. 11 Husserl, E. 160 Johannes Philoponus 18 Kambartel, F. 2, 11 Kant, I. 103, 106, 147, 160 Kauppi, R. 99 Kneale, W. u. M. 114 Körner, S. 13 Lalande, J. J. 11 Lambert, J. H. 3, 12, 97, m , 147, 149— 160

Lange, J. 93 Laporte, J. 29, 31, 32, 46—47, 49, 50, 52, 57, 60 Lausberg, H. 10 Leibniz, G. W. 12, 81, 84, 90, 92—93, 95, 97. 99—"4. 130—132. 135 ί·> 14° ff·. 146, 150 f., 156

170

Namenregister

Liebmann, Κ . 69 Lipsdorp, D. 87, 89 Locke, J . 158 Lorenz, K . 2 Lorenzen, P. 2 Lüthje, H . 140 Lullus, R . 9, 10, 33 Mahnke, D. 120 Malebrandie, N . 87 f. Martin, G. 99, 10 j Melanchthon, Ph. 8, 23 Micraelius, J . 7 Mittelstrass, J . 5 Montucla, J . E. 1 1 Nicole, P. 69 f., 76 f., i o j , 128, 130 Oresme, N . 4 Parkinson, G. H . R . 108 Pappus 8, 21 f., 53, $7, 61 f., 66, 101 Pascal, B. 69 f., 103, 128 Piaton 16 f., 78 Platzeck, P. E. W. 9 Poser, H . 107 Proclus 6, 7, 8 Ramus, P. 7, 8, 24 Risse, W. 9, 10 Ritter, J . 1 1 Roberval, G. P. de 75 Rod, W. 48

Rombadi, H . 120 Rossi, P. 1 0 , 3 3 , 1 2 2 Rüssel, B. 99, 105 Schepers, Η . 18 Schischkoff, G. 1 1 4 Scholz, Η . υ , 70, 7 j — 7 6 Schilling, H . 8 Serre, M. 120 Spinoza, B. de 76, 87, 89 f. Stamatis, E. S. 6 Steck, M. 7 Strong, E . W . 4 Sturm, J . Chr. 84, 86 f . Szabo, A . 1 1 , 78 Thomas von Aquin 20 Tonelli, G. 69 Tschirnhaus, E. W. v. 9, 93 f., 132, 1 3 $ , 142

103,

129,

Vieta, F. 1 1 Vuillemin, J . 41 Wallis, J . 143 Weigel, E. 84 f., 1 3 2 Weingartner, P. 79 Wolff, Chr. 12, 79, 84, 90, 93, 97, 106 f., 108, 1 1 0 , 1 1 8 f., 122, i 2 j — 1 4 7 , 150, 154 Zabarella, J . 25 f., 53 Zocher, R . 9J

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Walter de Gruyter Berlin-Newark Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Herausgegeben von Paul Wilpert

Willy Theiler

Forschungen zum Neuplatonismus Gr.-Okt. X, 336 S. 1966. Lwd. DM 48— (Bd. 10) ISBN 311003236 8

Albert Zimmermann (Hrsg.)

Jörg Kube

EinKommentarzurPhysikdesAristoteles Aus der Pariser Artistenfakultät um 1273 Gr.-Okt. L, 106 S. 1968. Lwd. DM 32,— (Bd. 11) ISBN 3 11003238 4

ΤΕΧΝΗ und ΑΡΕΤΗ Sophistisches und Platonisches Tugendwissen Gr.-Okt. X, 255 S. 1969. Lwd. DM 42,— (Bd. 12) ISBN 3110025302

Ilsetraut Hadot

Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung Gr.-Okt. X, 232 S. 1969. Lwd. DM 38,— (Bd. 13) ISBN 3110025310

Ruprecht Paqui

Das Pariser Nominalistenstatut Zur Entstehung des Realitätsbegriffs der neuzeitlichen Naturwissenschaft (Occam, Buridan und Petrus Hispanus, Nikolaus von Autrecourt und Gregor von Rimini) Gr.-Okt. VIII, 337 S. 1970. Lwd. DM 64,— (Bd. 14) ISBN 311006438 3

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Walter de Gruyter Berlin-Newark Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Sdieibe, Wolfgang Wieland

Bisher

Gerold Prauss

ersdiienen:

Erscheinung bei Kant Ein Problem der „Kritik der reinen Vernunft" Gr.-Okt. 339 S. 1971. Lwd. DM 78,— (Bd. 1) ISBN 311006427 8

Michael Wolff

Fallgesetz und Massebegriff Zwei wissensdiaftshistorische Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus Gr.-Okt. X, 159 S. 1971. Lwd. D M 36,— (Bd. 2) ISBN 311006428 6

Burkhard Tuschling

Metaphysische und transzendentale Dynamik in Kants opus postumum Gr.-Okt. XII, 224 S. 1971. Lwd. DM 54— (Bd. 3) ISBN 311001889 6

Klaus Wurm

Substanz und Qualität Ein Beitrag zur Interpretation der plotinischen Traktate VI, 1, 2 und 3. Gr.-Okt. Etwa VIII, 276 S. 1973. Lwd. etwa D M 48,· (Bd. 5) ISBN 311011899 3