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German Pages 330 [392] Year 2008
Daniel Chodowiecki: Moses Mendelssohn, ca. 1775 (Abb.: Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«)
MOSES MENDELSSOHN
Metaphysische Schriften Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von
wolfgang vogt
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 594
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über . ISBN 978-3-7873-1871-1
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INHALT
Einleitung ...............................................................................
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1. Die Grundfrage der Philosophie Mendelssohns ........... XI 2. Vernunft in der Situation der Unsicherheit – Mendelssohns Theorie der Wahrscheinlichkeit ............ XIII 3. Die Erkenntnis notwendiger Wahrheiten ...................... XXIII 4. Morgenstunden .................................................................. XXXII 5. Die Eigenständigkeit des Denkens Mendelssohns ........ XLIX L 6. Editionsprinzipien ............................................................ Literaturverzeichnis ...............................................................
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moses mendelssohn 1. Gedanken von der Wahrscheinlichkeit .............................
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2. Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften.......................................................................
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Einleitung ................................................................................
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Erster Abschnitt: Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Mathematik ...................................................... Zweiter Abschnitt: Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Metaphysik ....................................................... Dritter Abschnitt: Von der Evidenz in den Anfangsgründen der natürlichen Gottesgelahrtheit ........................ Vierter Abschnitt: Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre .......................................................
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Inhalt
3. Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes .....................................................................
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Vorbericht ...............................................................................
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Vorerkenntnis von Wahrheit, Schein und Irrtum .............. i. Was ist Wahrheit? ........................................................ ii. Ursache – Wirkung – Grund – Kraft ....................... iii. Evidenz – der unmittelbaren Erkenntnis – Vernunfterkenntnis – Naturerkenntnis .................... iv. Wahrheit und Täuschung .......................................... v. Dasein – Wachen – Träume – Entzückung .............. vi. Ideenverbindung – Idealismus .................................. vii. Fortsetzung – Streit des Idealisten mit dem Dualisten – Wahrheitstrieb und Billigungstrieb .....
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Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes .......... viii. Einleitung. Wichtigkeit der Untersuchung – Über das Basedowsche Prinzipium der Glaubenspflicht – Axiomata ...................................... ix. Evidenz der reinen – der angewandten Größenlehre – Vergleichung mit der Evidenz der Beweise vom Dasein Gottes – Verschiedene Methoden derselben ................................................... x. Allegorischer Traum – Vernunft und Gemeinsinn – Beweisgründe vom Dasein Gottes, nach dem System des Idealisten, aus unserm eigenen Dasein – Auch allenfalls aus dem idealischen Dasein einer objektiven Sinnenwelt ..... xi. Epikurismus – Ungefähr – Zufall – Reihe von Ursachen und Wirkungen, ohne Ende – ohne Anfang – Fortgang ins Unendliche, vorwärts und rückwärts – Zeitloses, ohne Anfang, ohne Ende und ohne Fortgang ...........................................
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Inhalt
xii. Zureichender Grund des Zufälligen im Notwendigen – Jenes ist irgendwo und irgendwann; dieses allenthalben und immerdar – Jenes nur in Beziehung auf Raum und Zeit; dieses schlechterdings das Beste und Vollkommenste – Alles, was ist, ist das Beste – Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur Wirklichkeit ............................. xiii. Spinozismus – Pantheismus – Alles ist Eins und Eins ist Alles – Widerlegung ..................................... xiv. Fortgesetzter Streit mit den Pantheisten. Annäherung – Vereinigungspunkt mit denselben – Unschädlichkeit des geläuterten Pantheismus – Verträglichkeit mit Religion und Sittlichkeit, in so weit sie praktisch sind .................. xv. Lessing – Dessen Verdienst um die Religion der Vernunft – Seine Gedanken vom geläuterten Pantheismus ................................................................ xvi. Erläuterung der Begriffe von Notwendigkeit, Zufälligkeit, Unabhängigkeit und Abhängigkeit – Versuch eines neuen Beweises für das Dasein Gottes, aus der Unvollständigkeit der Selbsterkenntnis ..................................................................... xvii. Beweisgründe a priori vom Dasein eines allervollkommensten, notwendigen, unabhängigen Wesens ...............................................................
VII
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203
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229
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Anmerkungen und Zusätze ..................................................
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Anmerkungen des Herausgebers ......................................... Personenregister ..................................................................... Sachregister .............................................................................
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EINLEITUNG
Moses Mendelssohn gilt einerseits als einer der wichtigsten Philosophen der deutschen Aufklärung. Manfred Kühn vermutet, daß sein Denken die Kraft sei, die die Philosophie zwischen 1755 und 1785 bestimme, und daß sein Einfluß so groß sei, daß die Entwicklung vom Wolffschen Rationalismus zum Idealismus Kants kaum verstanden werden könne, ohne sein Werk genau zu beachten.1 Bereits im 18. Jahrhundert fanden die metaphysischen Schriften des jüdischen Philosophen große Anerkennung: Mit der Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften gewann er den Preis der Königlichen Akademie der Wissenschaften und schönen Künste in Berlin – vor Kant, dem mit seinem Beitrag Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral der zweite Preis zuerkannt wurde. Die Bearbeitung des platonischen Dialogs Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, immer wieder neu aufgelegt, wurde in elf Sprachen übersetzt. Kant zollte ihm – aller Kritik zum Trotz – Bewunderung wegen der Überzeugungskraft seiner Argumente: »Wenn man die letzte Mendelssohn’sche von ihm selbst herausgegebene Schrift [d. h. die Morgenstunden] liest und das nicht im mindesten geschwächte Vertrauen dieses versuchten Philosophen auf die demonstrative Beweisart des wichtigsten aller Sätze der reinen Vernunft darin wahrnimmt, so geräth man in Versuchung, die enge Grenzen, welche scrupulöse Kritik diesem Erkenntnißvermögen setzt, wohl für ungegründete Bedenklichkeit zu halten und durch die That alle Einwürfe gegen die Möglichkeit einer solchen Unternehmung für widerlegt anzusehen.«2 1 Kühn, Kant. A Biography, Cambridge 2001, S. 230. 2 Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakob’s Prüfung der Mendelssohn’schen Morgenstunden, AA VIII, S. 151.
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Andererseits wird die Bedeutung seines Denkens immer wieder in Frage gestellt. Mendelssohn gilt als ein Anhänger des »Rationalismus« der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie, deren Positionen er »eklektizistisch« (im negativen Sinn verstanden: abhängig, unselbständig) wiederhole und popularisiere. So ist für Wolfgang Röd Mendelssohn von der rationalistischen Philosophie Wolffs abhängig, »ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß deren Grundlagen bereits erschüttert waren. Letzten Endes scheint es ihm nicht so sehr um die systematische Rechtfertigung von Theoremen der speziellen Metaphysik als vielmehr um die Verteidigung einer Weltanschauung gegangen zu sein, deren Kern in einem offenbarungsunabhängigen, überkonfessionellen Gottes- und Unsterblichkeitsglauben bestand, verbunden mit einer optimistischen Ethik«.3 Das Urteil Friedrich Heinrich Jacobis: »Mendelssohn hatte sich in die Leibnitz-Wolffische Philosophie allein, ganz hineingedacht; und war steif darin geworden. […] Mendelssohn brauchte Philosophie, fand was er brauchte in der herrschenden Lehre seiner Zeit, und hielt sich daran«4 und Kants Kritik am Dogmatismus der Metaphysik wirken bis heute nach. Diese unterschiedliche Einschätzung des jüdischen Denkers ist Anlaß, erneut der Frage nachzugehen, welche Bedeutung Mendelssohns metaphysischen Schriften für die Aufklärungsphilosophie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zukommt. Was ist die Grundintention seines Denkens? Was versteht er unter Eklektik? Welche Stellung nimmt er zum »Rationalismus« seiner Vorgänger ein?
3 Röd, Geschichte der Philosophie, Bd. VIII: Die Philosophie der Neuzeit 2. Von Newton bis Rousseau, München 1984, S. 294 f. 4 Jacobi, Werke, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 1812–1825, Nachdruck Darmstadt 1980, Bd. IV.2, S. 211.
Einleitung
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1. Die Grundfrage der Philosophie Mendelssohns Für eine Sichtweise überraschend, die in Mendelssohn nur den auf die Kräfte der Vernunft vertrauenden Rationalisten sieht, steht am Beginn seiner bedeutendsten metaphysischen Schriften die Einsicht in die Unwissenheit des Menschen und die sich daraus ergebende Unsicherheit. Ausgangspunkt der preisgekrönten Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften ist die Diagnose der Krise5 der Metaphysik: Von den Lehren der Weltweisheit scheine keine Überzeugungskraft auszugehen, da »in jedem Jahrhunderte neue Lehrgebäude empor kommen, schimmern und wieder vergehen«; die »philosophischen Schriften der vorigen Zeiten, sind in unsern Tagen fast unbrauchbar geworden« (S. 23). Das Ergebnis des Strebens nach Wahrheit sei ein Trümmerhaufen, in dessen Schutt sich sogar die Suche nach brauchbaren Materialien nicht mehr lohne; am Ende der langen Geschichte der Philosophie stehe somit die Skepsis, der die Fähigkeit der Vernunft zu wahrer Erkenntnis in Frage stellende Zweifel. Besonders deutlich wird die Krise der Metaphysik, wenn man die ihr begegnende Geringschätzung mit der Wertschätzung der Mathematik vergleiche, die als Vorbild aller Wissenschaften allgemeine Anerkennung genieße. Den Grund für diesen Mißerfolg sieht Mendelssohn in der »entsetzlichen Kluft« (S. 64) zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit: Während die Mathematik im Bereich von Begriffsbeziehungen verbleibt und deswegen erfolgreich sein kann, steht die Metaphysik vor der ungleich schwierigeren Aufgabe, die Wirklichkeit in ihrer Individualität zu erkennen, über die Begriffe hinauszugehen und das »Dasein der Subjekte« (S. 50) (d. h. der Gegenstände) darzutun. Die Schwierigkeit wahrer Erkenntnis ergibt sich aus der Kluft zwischen Begriff und Wirklichkeit, aus der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Vernunft einerseits und ihrer eingeschränkten Fähigkeiten andererseits. 5 Zum Begriff der Krise der Metaphysik bei Mendelssohn vgl. Michael Albrecht, JubA V.4, S. 35.
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Auch die Morgenstunden beklagen die »in Verfall kommende Philosophie« (JubA IV, S. 263): »Die besten Köpfe Deutschlands sprechen seit kurzem von aller Spekulation mit schnöder Wegwerfung. Man dringet durchgehends auf Tatsachen, hält sich bloß an Evidenz der Sinne, sammelt Beobachtungen, häuft Erfahrungen und Versuche, vielleicht mit allzugroßer Vernachlässigung der allgemeinen Grundsätze.« (S. 93) Auch hier sieht Mendelssohn den Grund für die Krise der Metaphysik in der Diskrepanz zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen, dem Denkbaren und dem Wirklichen. Mendelssohn ist sich bewußt, daß diese Diagnose nicht neu ist und der Zustand der Metaphysik schon Descartes, Spinoza, Leibniz und Wolff veranlaßt hat, den Methodenfragen besondere Aufmerksamkeit zu widmen: »Man hat […] versucht, die Anfangsgründe der Metaphysik durch untrügliche Beweise auf einen eben so unveränderlichen Fuß zu setzen, als die Anfangsgründe der Mathematik, und man weiß, wie groß die Hoffnung war, die man Anfangs von dieser Bemühung schöpfte« (S. 25). Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Trotz dieser Bemühungen bedeutender Philosophen, die Metaphysik durch die Orientierung an der wissenschaftlichen Methode der Mathematik auf ein sicheres Fundament zu stellen, konnte ihre Krise nicht überwunden, ihre Anerkennung nicht vergrößert werden: »Selbst diejenigen, welche die metaphysische Begriffe für überzeugend und unwiderlegbar halten, müssen doch endlich gestehen, daß man ihnen noch bisher die Evidenz der mathematischen Beweise nicht gegeben hat, sonst hätten sie unmöglich einen so vielfältigen Widerspruch finden können.« (S. 25) Aus dieser Situation der Philosophie um die Mitte des 18. Jahrhunderts ergibt sich die Aufgabe des Philosophen: Er muß die bestehenden Beweise einer Prüfung unterziehen und diejenigen herausfinden, die der Kritik standhalten und deswegen gültig sind. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Frage zu legen, warum die Beweise der bisherigen Philosophie, die sich in der Prüfung als wahr erweisen, trotzdem so wenig Überzeugungskraft haben, daß sie so vielfältigen Widerspruch fanden und es
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zur Krise der Metaphysik kommen konnte. Die Grundfrage Mendelssohns ist somit: Wie kann der Mensch von der Gültigkeit wahrer metaphysischer Beweise überzeugt werden? Diese Prüfung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich der Prüfende aus der Bindung an eine einzelne Schule löst und zu einem eigenen Urteil gelangt; Grundlage des Prüfens ist ein freies und eigenständiges Denken.6 Nach seinem eigenen Anspruch kann Mendelssohn also nur dann erfolgreich sein, wenn er genauso unbefangen die Argumente der Skeptiker wie der »Rationalisten« und der »Empiristen« untersucht und aus ihren Lehren auswählt, was der kritischen Prüfung durch ein unabhängiges Denken standhält und deswegen allgemeine Anerkennung findet. »Wer ist weise? der gute Lehr von jedem annimmt.« (JubA VI.1, S. 191) Mendelssohns »Eklektizismus« ist somit eine Antwort auf die Krise der Metaphysik um die Mitte des 18. Jahrhunderts, die nicht bestehende Argumente bloß wiederholt, die sich vielmehr aus der Reflexion darauf ergibt, daß die Versuche der Begründung einer wissenschaftlichen Metaphysik gescheitert sind, und die die Gründe für dieses Scheitern in ihre Überlegungen einbezieht. Ziel seiner Metaphysik ist es, die Beweise des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele außer Zweifel zu setzen und ihnen die Anerkennung zu verschaffen, die sie durch Leibniz und Wolff nicht erhalten haben.
2. Vernunft in der Situation der Unsicherheit – Mendelssohns Theorie der Wahrscheinlichkeit In der Krise des Wissens, in der die Fundamente allen Erkennens in Frage stehen und in der es für den Menschen keine Sicherheit zu geben scheint, bietet die Wahrscheinlichkeit für Mendelssohn 6 Vgl. Hinske, Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung, in: Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung, hrsg. von Raffaele Ciafardone, deutsche Bearbeitung von Norbert Hinske und Rainer Specht, Universal-Bibliothek Nr. 8667, Stuttgart 1990, S. 417.
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eine erste Möglichkeit der Orientierung. Ihre Bedeutung habe allen Philosophen seit jeher so eingeleuchtet, daß sie eher die Wahrheit als die Wahrscheinlichkeit in Frage gestellt hätten: Die größten Skeptiker, die die Grundprinzipien des Denkens in ihren theoretischen Spekulationen als nicht beweisbar verwerfen, ließen sich in ihrem Alltag von Wahrscheinlichkeiten leiten; diese finde offensichtlich eine höhere Anerkennung als die Gewißheit. Daß die Anerkennung der Wahrscheinlichkeit im Alltag zu Recht besteht, zeigt sich daran, daß sie auch in der Mathematik von großem Einfluß ist. In ihr konnte seit dem Ende des 16. Jahrhunderts gezeigt werden, daß den im Alltagsleben dominierenden wahrscheinlichen Urteilen gültige Regeln zugrunde liegen. Zwar haben wahrscheinliche Sätze nie einen so hohen Grad von Gewißheit, daß notwendig auszuschließen ist, daß das Gegenteil von dem geschieht, was zu erwarten ist; trotz dieser Einschränkung ist begründete Erkenntnis möglich. Die Mathematiker haben Berechnungsmethoden entwickelt, die das Gewicht der Gründe, die für die eine oder die andere Möglichkeit sprechen, in ein Verhältnis zur Gewißheit setzen und so den Grad der Sicherheit eines Urteils exakt bestimmen können.7 Wahrscheinlichkeit ist deswegen – trotz ihrer geringeren Gewißheit – die »vornehmste Erkenntnis« (S. 3), weil sie sowohl im Alltag als auch in der Mathematik anerkannt wird; sie wird anerkannt, weil ihr allgemeingültige Regeln zugrunde liegen. Weil es Mendelssohn darum geht, herauszufinden, wie der Mensch von der Wahrheit überzeugt werden kann, muß die Frage, worin die Überzeugungskraft wahrscheinlicher Erkenntnis begründet ist, von großem Interesse für ihn sein; diesem Thema ist eine seiner frühesten Veröffentlichungen gewidmet, die Gedanken von der Wahrscheinlichkeit.
7 Zur Bedeutung der Wahrscheinlichkeit für die Philosophie und die Wissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts siehe die in Anmerkung 1.5, S. 274 genannte Literatur.
Einleitung
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2.1 Die philosophische Bestimmung der Wahrscheinlichkeit Mendelssohn nimmt in den (1756 anonym erschienenen) Gedanken von der Wahrscheinlichkeit 8 zunächst auf Definitionen der Wahrscheinlichkeit Bezug, die an der Mathematik orientiert sind. Jakob Bernoulli definiert sie in seinem Werk Ars conjectandi – einem der einflußreichsten Bücher zu diesem Thema – als einen niedrigeren Grad der Gewißheit, der sich von ihr wie ein Teil vom Ganzen unterscheide: »Wenn z. B. die volle und absolute Gewissheit, welche wir mit a oder 1 bezeichnen, aus fünf Wahrscheinlichkeiten oder Theilen bestehend angenommen wird, von denen drei für das gegenwärtige oder zukünftige Eintreten irgend eines Ereignisses und die übrigen beiden dagegen sprechen, so soll das Ereigniss 3/5 a oder 3/5 der Gewissheit besitzen.«9 Die Wahrscheinlichkeiten werden also nach Bernoulli nach der Anzahl oder dem Gewicht der Teile, d. h. der Beweisgründe, geschätzt; diese Methode kann nach Bernoulli auch in moralischen Fragen rationale Entscheidungskriterien liefern. Zweiter Gewährsmann Mendelssohns für die mathematische Bestimmung der Wahrscheinlichkeit ist der holländische Philosoph und Physiker Willem J. van s’Gravesande. Er unterscheidet Wissenschaften wie die Mathematik, in denen es nur um innere Wahrnehmungen gehe, die als unmittelbare Empfindungen evident seien,10 und in denen Gewißheit möglich sei, von Wirklichkeitswissenschaften, in denen nur eine moralische Evidenz erwartet werden könne (»Ideen außer der Seele können nicht
8 Zur Entstehung vgl. Altmann, Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, S. 209–212. 9 Bernoulli, Wahrscheinlichkeitsrechnung. I., II., III. und IV. Theil, übersetzt und hrsg. von R. Haussner, (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Bd. 107), Frankfurt/Main 1999, S. 230. Im folgenden wird diese Ausgabe im Text zitiert. 10 s’Gravesande, Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt
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evident sein«, § 477, S. 135). Nur in letzteren gibt es Wahrscheinlichkeit (§ 585, S. 165), denn hier könne die Seele nicht wie im Fall der Mathematik alles übersehen, es müsse »verschiedenes zusammen kommen« (§ 587, S. 165), so daß zur Gewißheit oft Teile fehlen und immer auch das Gegenteil gefunden werden könne. Es sind verschiedene »Grade der Warscheinlichkeit« (§ 587, S. 165) zu unterscheiden; streng genommen, »solte nur dasjenige, dessen Warscheinlichkeit zur Gewißheit wie etwas mehr als die Helfte zum Ganzen verhält, warscheinlich (Verisimile) genennt werden.« (§ 595, S. 167) Auch er spricht wie Bernoulli von Teilen, auch er sieht in der Wahrscheinlichkeit einen niedrigeren Grad der Gewißheit. Um diese Ergebnisse der Mathematiker in der Philosophie nutzen zu können, fordert Mendelssohn eine »Vernunftkunst [d. h. Logik] des Wahrscheinlichen«, die darin bestehe, »von besondern Regeln, die uns diese großen Mathematiker gegeben, das Allgemeine zu abstrahieren« (S. 4) und dadurch ihre Anwendung auf andere Gebiete zu ermöglichen. Seine eigene Definition erfüllt diese Kriterien: Bei jeder Wahrheit werde in einem Satz von einem bestimmten Subjekt etwas bejaht oder verneint; aus der Bestimmung eines Subjekts, aus seinen Wahrheitsgründen muß begreiflich gemacht werden können, warum ihm das Prädikat zukomme oder warum nicht. Es können nun verschiedene Grade der Gewißheit bestimmt werden: Sind alle Gründe gegeben, ist der Satz gewiß, das Prädikat folge notwendig aus den Bestimmungen des Subjekts. Seien nur einige Wahrheitsgründe gegeben, sei ein Satz wahrscheinlich, der Grund bestimme die Folge nicht vollständig, der Zusammenhang zwischen Subjekt und Prädikat könne also nicht rein logisch begründet werden. (S. 5) Deswegen werde der Mensch von wahrscheinlichen Sätzen nie völlig überzeugt sein, es bleibe immer ein Rest Ungewißheit.
der Vernunftlehre vorgetragen wird, Halle 1755, § 456, S. 129. Im folgenden wird aus dieser Ausgabe mit Angabe von Paragraphen- und Seitenzahl im Text zitiert.
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Auffällig ist, wie stark diese Definition mit denen der von Mendelssohn genannten Mathematiker übereinstimmt; sie wendet sie auf das Gebiet der Logik an, indem sie den logischen Begriff der Wahrheitsgründe statt den mathematischen des Teils benutzt11 und aus den besonderen Regeln der Mathematik die ihnen zugrundeliegenden allgemeinen logischen abstrahiert. Mendelssohn kann zu Recht annehmen, daß diese logische Definition der Grund für die Anerkennung der Wahrscheinlichkeit unter den Mathematikern aller Schulen und im Alltag ist. Mendelssohns Intention wird besonders deutlich, wenn man seine Definition mit Wolffs Begriffsbestimmung in der Psychologie seiner Deutschen Metaphysik vergleicht. Auch Wolff – wie vorher schon Leibniz12 – will die Ergebnisse der Mathematiker für die Philosophie fruchtbar machen und übersetzt die mathematischen Regeln in logische: »Wenn wir von einem Satze einen Grund, jedoch keinen zureichenden haben, so nennen wir ihn wahrscheinlich, weil es nehmlich den Schein hat, als wenn er mit andern Wahrheiten zusammen hinge. Z. E. Man saget, es sey wahrscheinlicher, daß einer mit zwey Würffeln 7 wirffet, als daß er 12 wirffet. […] Wir haben also von diesem Satze, daß mit zwey Würffeln eher 7, als 12 kan geworffen werden, einigen Grund: allein er ist nicht zureichend. Und da wir dieses erkennen; so halten wir ihn nur vor wahrscheinlich.« 13 Ein Vergleich mit Mendelssohns Definition zeigt, daß sich dieser völlig auf Wolff stützt – bis auf einen Punkt: Er vermeidet jeden Bezug auf den Begriff des zureichenden Grundes. Wolff greift bei seiner Definition auf die Ontologie zurück.14 Mendelssohn möchte den Bezug auf dieses umstrittene Prinzip (einer der Hauptkritikpunkte der Gegner
11 So auch Altmann, Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, S. 220 f. 12 Vgl. dazu Anmerkung 1.9, S. 276. 13 Wolff, Deutsche Metaphysik, § 399 (WW I.2, S. 243 f.). 14 Vgl. § 595 Logica: Für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit seien besondere Grundsätze vonnöten, die von anderen, ontologischen und philosophischen Prinzipien abhingen (WW II.1.2, S. 443).
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Leibniz’ und Wolffs) vermeiden und nähert deswegen die logische Bestimmung der mathematischen soweit wie möglich an, die damit als unumstrittener und allgemeingültiger Ausgangspunkt in der Philosophie benutzt werden kann. Diesen Ausgangspunkt, den alle, auch die Skeptiker (zumindest im Alltag), anerkennen, formuliert Mendelssohn in folgendem syllogistischen Schluß: »Die Wahrscheinlichkeit eines gegebenen Erfolgs stehet in eben dem Verhältnisse zur Gewißheit, wie die Anzahl der gegebenen Wahrheitsgründe, zu allen zusammen genommen. Nun sind in diesem vorkommenden Falle die Anzahl aller Wahrheitsgründe = a, der gegebenen = b. Daher die Wahrscheinlichkeit = b : a.« (S. 8) Nachdem damit die Prämisse festgelegt ist, kann sich Mendelssohn den philosophischen Streitfragen zuwenden und mit diesem Instrumentarium Wege suchen, sie zu entscheiden. Seine Absicht ist – so Mendelssohn in der Vorrede zur 2. Auflage –, »aus den wenigen bekannten Grundsätzen der Wahrscheinlichkeit [d. i. den allgemein anerkannten Prinzipien] Gelegenheit zu nehmen, über zwei wichtige Wahrheiten aus der spekulativen Weltweisheit einiges Licht zu verbreiten, nämlich: 1) die Richtigkeit aller unsrer Experimentalschlüsse, wider die Einwürfe des Weltweisen David Hume zu verteidigen; und 2) den Leibnitzschen Satz zu beweisen, daß alle freiwilligen Entschließungen schon zum voraus ihre bestimmte Gewißheit haben.« (JubA I, S. 230 f.) Mendelssohns These ist: Legt man das im Alltagsleben leitende Verständnis von Wahrscheinlichkeit zugrunde, aus dem die Logiker allgemeingültige logisch-methodologische Regeln ableiten, ist Humes Skepsis nicht haltbar, denn daß die Natur sich auch immer anders verhalten kann, verhindert keine begründbaren Sätze über sie; und gegen Crusius und alle Kritiker von Leibniz und Wolff läßt sich zeigen, daß Gottes Vorauswissen aller Handlungen (und damit das Prinzip des zureichenden Grundes) mit der menschlichen Freiheit vereinbar ist.
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2.2 Auseinandersetzung mit Hume Charakteristikum aller Erkenntnis der sinnlichen Wirklichkeit ist, daß sie nie abgeschlossen ist; neue Wahrnehmungen können für wahr gehaltene Sätze als ungültig erweisen. Auf Induktion begründete Erfahrung ist damit ein typisches Beispiel wahrscheinlicher Erkenntnis, in ihr sind nie alle Gründe gegeben, sie ist nicht notwendig wahr, ihre Gewißheit immer auch vom subjektiven Erfahrungshintergrund des Urteilenden abhängig. In der menschlichen Seele folgen Wahrnehmungen in einer zufälligen, vom Wahrnehmenden abhängigen Ordnung aufeinander; ob die Sachverhalte objektiv kausal miteinander verbunden sind, läßt sich aufgrund einer einzigen Wahrnehmung nicht entscheiden. Ein begründetes Urteil wird erst möglich, wenn sie regelmäßig miteinander wahrgenommen werden. Je öfter dies geschieht, desto wahrscheinlicher ist die kausale Verbindung der ihnen entsprechenden Gegenstände. Man kann also dann »mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß sich A nie ohne B und wiederum B nie ohne A zutragen werde« (S. 14). Die Zahl der Wahrnehmungen ist das Kriterium, mit dessen Hilfe der Mensch von den subjektiven Vorstellungen, die zunächst nur Bestimmungen seiner Seele sind, auf objektive kausale Strukturen, vom post hoc auf das propter hoc begründet schließen kann. Auf solchen wahrscheinlichen Schlüssen baut sich das Alltagswissen auf, mit ihrer Hilfe orientiert sich der Mensch in der Welt. Auch der Naturwissenschafter bedient sich wahrscheinlicher Schlüsse; im Unterschied zu den Schlüssen des Alltags geht er methodisch kontrolliert vor und macht sie deutlich, überführt Annahmen in Wissen.15 Mendelssohns Fazit: »Unsere Experimentalschlüsse haben also einen sichern Grund darauf sie sich stützen. Wir kommen durch öfters wiederholte Erfahrungen […] der mathematischen Evidenz immer näher, ob es gleich ausgemacht ist, daß wir sie
15 Vgl. dazu ausführlich die entsprechenden Passagen der Morgenstunden (S. 104 ff.).
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selbst niemals vermittelst der Erfahrung erreichen können.« (S. 16) Zweierlei zeigt dieses Fazit Mendelssohns: Zum einen, daß wahrscheinliche Urteile nie die Notwendigkeit evidenter mathematischer Erkenntnis erreichen, die darin begründet ist, daß das Gegenteil unmöglich ist. Erfahrungsschlüsse sind nie rein logische Schlüsse; sie sind vielmehr immer auch, selbst wenn sie sich der Gewißheit annähern, in der Seele des Menschen – und damit subjektiv – begründet. Einig ist sich Mendelssohn mit Hume darin, daß empirische Wirklichkeitserkenntnis nicht rein begrifflich aus dem Widerspruchsprinzip zu begründen und daß hier der Schritt über die »gemeine Vernunftkunst« (S. 3) hinaus notwendig ist; Gewohnheiten, Gefühle, also der Bereich des Vorlogischen, haben eine große Bedeutung. Beide erkennen damit an, daß der menschlichen Erkenntnis enge Grenzen gesetzt sind und daß der Rationalitätsanspruch eingeschränkt werden muß. Zum anderen, daß der vorlogische Bereich vernunftähnlich16 strukturiert ist und daß sich der Mensch in seinen wahrscheinlichen Urteilen logisch ableitbarer Kriterien bedient, die dazu führen, daß ihr Wahrheitsanspruch anerkannt werden muß. Zwar kann der Bezug auf die Subjektivität, auf die menschliche Seele nie vollständig überwunden werden; dennoch darf der logische Aspekt dieser Urteile deswegen nicht unterschlagen werden. Das ist der eigentliche Einwand Mendelssohns gegen Hume: In seiner Kritik an der Vorstellung, Wirklichkeitserkenntnis sei rein logisch möglich, gehe er zu weit, indem er dem logischen Aspekt empirischer Urteile alle Bedeutung abspreche und Erkenntnis nur aus der Gewohnheit hervorgehen ließe; er übersehe, daß sie aus dem Zusammenspiel von logischem und psychologischem Aspekt begründet werden muß. Humes Alternative: entweder strenger Rationalitätsanspruch oder Skepsis (die dann in einem zweiten Schritt überwunden werden muß), sei falsch; Hume vertritt in den Augen Mendelssohns einen viel zu strengen Wissen-
16 Vgl. zu diesem Begriff Anmerkung 3.11, S. 300.
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schaftsbegriff, dem das Wissen des Menschen gar nicht entsprechen kann. Mendelssohn erkennt damit eine Form von Rationalität an, die zwar nicht die objektive Gewißheit notwendiger Erkenntnis erreicht, bei der immer subjektive Faktoren eine Rolle spielen, in der also immer der Abstand zwischen Denken und Wirklichkeit bestehen bleibt, die aber für die Orientierung und das Wissen des Menschen in der ihn umgebenden Wirklichkeit genügt, was sich besonders deutlich an der Anerkennung der Wahrscheinlichkeit im Alltag zeigt.
2.3 Die Präscienz Gottes Die philosophische Anwendung der Wahrscheinlichkeit ermöglicht Mendelssohn, eine weitere, im 18. Jahrhundert heftig umstrittene Frage zu entscheiden: die nach der Determiniertheit der Handlungen des Menschen oder seiner Freiheit. Das Dilemma lautet: Sind die menschlichen Handlungen durch das Prinzip des zureichenden Grundes determiniert, dadurch als notwendige von der Vernunft vorherzusagen, scheint die Freiheit ausgeschlossen. Wird die Freiheit der menschlichen Entscheidung aufrecht erhalten, scheint die Rationalität sittlicher Entscheidungen unmöglich, denn erst die Indifferenz gegenüber den Gründen sichert die Entscheidungsfreiheit. Wie sind Freiheit einerseits, Rationalität andererseits miteinander vereinbar? Die Vereinbarkeit beider Aspekte – so Mendelssohn in der Wahrscheinlichkeitsabhandlung – ergibt sich aus dem Wahrscheinlichkeitsbegriff. Wahrscheinlich ist jede Erkenntnis, bei der es mindestens zwei Möglichkeiten gibt, für die jeweils Gründe sprechen; in dieser Möglichkeit der Wahl liegt die Freiheit begründet. Rational ist die Wahl zwischen den Möglichkeiten, weil die Entscheidung zugunsten derjenigen Alternative fällt, für die die meisten Gründe sprechen; deswegen ist die Wahl zwar frei, aber durch Gründe determiniert. Um die besser begründete Alternative wählen zu können, ist nach dem allgemein anerkannten Wahrscheinlichkeitsbegriff der Bezug auf alle Gründe
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notwendig; die Indifferentisten, die zugeben, daß Bewegungsgründe einen gewissen Einfluß auf das Handeln haben, es aber nicht zureichend bestimmen, müssen deswegen die Möglichkeit wahrscheinlicher Erkenntnis durch Gott leugnen. Denn nur aus dem Verhältnis der positiven Bewegungsgründe zu den positiven und negativen zusammen (also der Gewißheit aller Gründe) kann der Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmt werden; da die Indifferentisten aber den Willen als nicht determiniert ansehen, ist die Gewißheit eine unendliche Größe, was nach der Theorie der Wahrscheinlichkeit unmöglich ist. Da Gott aber die Möglichkeit wahrscheinlicher Erkenntnis zugesprochen werden muß, ist seine Präscienz, das Vorwissen der freien Handlungen, bewiesen. Von der Theorie der Wahrscheinlichkeit führt ein Weg zur Anerkennung der Geltung des Satzes vom zureichenden Grund und damit der Determiniertheit der Wirklichkeit.
2.4 Die logisch-psychologische Begründung der Erkenntnis Aufgrund der Zufälligkeit des Naturgeschehens und der Freiheit des menschlichen Willens, die sich darin ausdrücken, daß beide nicht notwendig erfolgen und immer auch anders denkbar sind, sind nur wahrscheinliche Urteile möglich; wie die Mathematiker gezeigt haben, setzen wahrscheinliche Urteile voraus, daß die Wirklichkeit vollständig determiniert ist. Damit ist aus dem Begriff »Wahrscheinlichkeit« die Geltung des Prinzips des zureichenden Grundes abgeleitet. In der Wahrscheinlichkeitsabhandlung wird ein Modell sichtbar, das auch Mendelssohns Begründung der Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis bis zu den Morgenstunden bestimmen wird: Zum einen die große Bedeutung, die der vorlogische Bereich, also die Gewohnheiten des Alltagslebens, Wahrnehmungen, Gefühle, in seiner Philosophie hat. Zum anderen, daß dieser Bereich eine vernunftähnliche Struktur hat. Er enthält zahlreiche begründete Überzeugungen; das Alltagswissen kann deswegen
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in wissenschaftliche Erkenntnis überführt werden. Die Einschränkung des Rationalitätsanspruchs bedeutet damit für Mendelssohn nicht, diesen aufzugeben. Gerade wegen dieser engen Verbindung von Alltagswissen und logischer Analyse kommt der wahrscheinlichen Erkenntnis die hohe Dignität zu, die Mendelssohn zu Beginn seiner Abhandlung herausstellt; sie ermöglicht ihr eine größere Anerkennung als der Gewißheit, denn sie ist eine Form der Erkenntnis, die der Endlichkeit der menschlichen Kräfte angemessen ist. Überzeugt wird der Mensch von der Wahrheit, wenn logischer und psychologischer Aspekt zusammenwirken.
3. Die Erkenntnis notwendiger Wahrheiten Die Unsicherheit darüber, was der Mensch wissen kann, ist besonders groß bei metaphysischen Themen, wie der seit Jahrhunderten dauernde Streit zeigt. Zwar sind einerseits die Fragen nach der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele für das Glück des Menschen entscheidend und somit von existentieller Bedeutung; andererseits scheint hier der Streit der Schulen am schwierigsten auflösbar. Deshalb trifft die Preisfrage der Berliner Akademie von 1761 ein Kernproblem des Mendelssohnschen Denkens: »On demande, si les vérités métaphysiques en général et en particulier les premiers principes de la Théologie naturelle et de la Morale sont susceptibles de la même évidence que les vérités mathématiques, et au cas qu’elles n’en soient pas susceptibles, quelle est la nature de leur certitude, à quel degré elle peut parvenir, et si ce degré suffit pour la conviction?« (JubA II, S. 417) Sie bietet Mendelssohn Gelegenheit, in seinem Beitrag Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften17 die Grundzüge seiner Metaphysik darzulegen. 17 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Altmann, Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, S. 255–262.
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Mendelssohn gibt die Frage der Akademie in eigenen Worten folgendermaßen wieder: »Man hat […] zu zeigen, 1) ob die metaphysischen Wahrheiten so unumstößlich dargetan werden können, und wenn dieses bejahet wird, 2) ob die Beweise derselben einer solchen Faßlichkeit fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten«. (S. 26) Entscheidend ist der Begriff »Faßlichkeit«, d. h. »die Eigenschaft, daß ein jeder, der den Beweis nur einmal begriffen, sogleich von der Wahrheit völlig überzeugt, und so beruhiget sein muß, daß er nicht die geringste Widersetzlichkeit bei sich verspüret, dieselbe anzunehmen« (S. 25), ein Begriff, den er der Psychologie Baumgartens entnimmt.18 Daß Gewißheit und Faßlichkeit, logischer und psychologischer Aspekt gleichberechtigt das Wesen der Evidenz ausmachen, unterscheidet Mendelssohns Fassung des Begriffs von der seiner Vorgänger, die stärker den logischen Aspekt betonen.19 Die Zusammengehörigkeit von Gewißheit und Faßlichkeit auch bei der Frage der Anerkennung metaphysischer Wahrheiten wird deutlich, wenn Mendelssohn zu Beginn der Preisschrift deren Ergebnis vorwegnimmt: »Ich getraue mich zu behaupten, daß die metaphysischen Wahrheiten zwar derselben Gewißheit, aber nicht derselben Faßlichkeit fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten.« (S. 26) Die fehlende Anerkennung der Metaphysik ist nicht in erster Linie ein logisches als vielmehr ein psychologisches Problem. Das macht es Mendelssohn möglich, einerseits den Erkenntnisfähigkeiten der menschlichen Vernunft zu vertrauen, andererseits die Krise der Metaphysik zu erklären.
3.1 Die Möglichkeit mathematischer Urteile In Mendelssohns Begründung der Möglichkeit der Metaphysik spielt der Bezug auf die Mathematik eine große Rolle; deswegen untersucht er im ersten Abschnitt, wie die Mathematik den Men18 Vgl. ebd., S. 269 f. 19 Vgl. Anmerkung 2.5, S. 284.
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schen überzeugt, um dann in einem zweiten Schritt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Philosophie herauszustellen. Mathematische Sätze sind – anders als naturwissenschaftliche – notwendig wahr (da ihr Gegenteil falsch ist) und damit gewiß, denn sie beruhen auf dem Widerspruchsprinzip. Mathematik besteht in der Analyse der Grundbegriffe Größe und Ausdehnung, in denen alle weiteren Sätze implizit enthalten sind; der Wissenschaftler hat die Aufgabe, diese noch nicht bewußten Implikationen deutlich und bewußt zu machen, d. h. die »eingewickelten Begriffe« (S. 30) zu zergliedern und auseinanderzulegen. Er zeigt die notwendige Verbindung zwischen Grundbegriff und Folgen, ihre objektive Identität. Dieses analytische Verständnis der Mathematik verdeutlicht Mendelssohn durch das Bild eines Vergrößerungsglases: »Es bringet nichts hervor, das in dem Gegenstande nicht anzutreffen sein sollte; sondern es erweitert die Teile des Gegenstandes, und macht, daß unsere Sinne vieles unterscheiden können, das sie sonst nicht würden bemerkt haben.« (S. 28) Alle mathematischen Wahrheiten sind dem Menschen an sich bekannt, wie dies Platon im Menon gezeigt habe, wo er »von einem unwissenden Knaben, durch geschicktes Fragen, einen tiefsinnigen geometrischen Satz herausgelockt habe« (S. 28). Durch das Lernen – und damit wendet sich Mendelssohn vom logischen Gesichtspunkt ab und dem psychologischen zu – kommen keine neuen Begriffe in die Seele; Lernen bedeutet vielmehr bewußt machen, was der Schüler an sich schon weiß. Die Seele enthält eine unendliche Menge von Begriffen, die sich der endliche menschliche Verstand mühsam und nacheinander verdeutlichen muß. Lernen besteht darin, psychologische Hindernisse zu beseitigen und durch geschicktes Fragen den Prozeß der Bewußtwerdung zu erleichtern und den Menschen dadurch zum Wissen zu führen. Aber nicht in allen Teilen der Mathematik lassen sich die Begriffe in gleicher Weise bewußt machen. Besonders gut gelingt dies der Geometrie, denn die Merkmale ihrer Begriffe lassen sich zum einen leicht unterscheiden; bei den unausgedehnten oder intensiven Größen (also den Graden, z. B. der Bestimmung der
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Empfindung der Wärme) ist dies sehr viel schwieriger. Mendelssohn zeigt dies an einem Beispiel: »Von der […] unausgedehnten Größe ist der Stoff, die moralische Güte eines Charakters, die Merkmale und Schranken dieses Stoffes fallen nicht in die Sinne, und müssen durch den Verstand herausgebracht werden. Ich muß also auf die Erklärung der moralischen Güte zurückgehen. Diese bestehet in der Fertigkeit, seinen Pflichten, der Hindernisse ungeachtet, und ohne sinnliche Anlockung, vollkommen Genüge zu leisten. Dieses sind also die Merkmale dieser Quantität, und nunmehr lassen sich auch die Schranken einigermaßen bestimmen. Denn a) 1) je größer die Fertigkeit, 2) je mehr und 3) wichtiger die Pflichten, 4) je mehr und 5) stärker die Hindernisse, und endlich b) je weniger und 6) schwächer die sinnlichen Anlockungen, desto größer der Grad der moralischen Güte. Alle diese besondere Merkmale sind abermals keine ursprüngliche Begriffe, und müssen noch ferner zergliedert werden, und erst alsdenn können die unmittelbaren Folgen oder die Axiomata und Postulata herausgebracht und außer Zweifel gesetzt werden. Man hat nämlich vor allen Dingen noch die unausgedehnte Größe der Fertigkeit, die ausgedehnte und unausgedehnte Größe (nämlich die Menge und Wichtigkeit) der Pflichten, der Hindernisse und der sinnlichen Reizungen zu erwägen, bevor man festen Fuß fassen, und zu einer richtigen Theorie den Grund legen kann. Wundert man sich noch, daß dieses so leicht nicht geschehen kann?« (S. 35) Zum anderen hat der Geometer einen weiteren Vorteil dadurch, daß er reelle und wesentliche Zeichen (z. B. Linien) verwenden kann, die mit den sie bezeichnenden Gedanken übereinstimmen; dagegen sind die Bezeichnungen in der Mathematik der intensiven Größen willkürlich, es gibt hier keine Ähnlichkeit zum Bezeichneten. Aus diesen beiden Gründen ist die Lehre von den Graden zwar so gewiß, aber weniger faßlich und deswegen stärker der Möglichkeit des Widerspruchs ausgesetzt als die Geometrie. Diese ist ein Beispiel für eine Wissenschaft, die deswegen Anerkennung findet, weil bei ihr logischer und psychologischer Aspekt des Erkennens eng zusammengehören.
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3.2 Die Möglichkeit der Metaphysik Die Möglichkeit der Metaphysik untersucht Mendelssohn im ersten Schritt unter logischem Aspekt. Wird die Prüfung auf die Beziehung der Begriffe untereinander, damit auf den rein geistigen Bereich beschränkt und von jedem Bezug auf die Wirklichkeit abgesehen, zeigt sich methodologisch die enge Verbindung zwischen Mathematik und Metaphysik – beide Wissenschaften stützen sich auf das Widerspruchsprinzip; auch die Grundbegriffe der Metaphysik enthalten in sich alle weiteren Sätze und sind notwendig wahr. Der entscheidende Unterschied zwischen Mathematik und Metaphysik liegt in dem Wirklichkeitsbezug der letzteren. Während jene sich damit zufrieden geben kann, ideale Beziehungen zu untersuchen, muß diese darüber hinaus auch zeigen, daß ihr Gegenstand existiert. Im dritten Abschnitt zeigt Mendelssohn, daß trotz dieses Unterschieds das Dasein Gottes unwidersprechlich bewiesen werden kann. Es gebe zwei Wege, von besonderer Bedeutung ist dabei der ontologische Gottesbeweis; hier liege der einzige Fall in der menschlichen Erkenntnis vor, daß von Begriffen zur Wirklichkeit übergegangen werden könne. Mendelssohn versucht – im Anschluß an Leibniz – einen neuen, leichter faßlichen Beweis, indem er vom Begriff des Nichtseins ausgeht. Dieser kann zwei Bedeutungen haben: Ein Ding kann nicht sein entweder, weil sich seine Bestimmungen widersprechen, oder, weil es noch nicht entschieden ist, welche Bestimmungen ihm zukommen. Beide Bedeutungen von Nichtsein können auf das vollkommenste Wesen nicht zutreffen – also existiert es notwendig. Aus dem Begriff des vollkommensten Wesens läßt sich seine Existenz notwendig ableiten; trotz des Wirklichkeitsbezugs kann in der Metaphysik die mathematische Methode angewendet werden. Logisch gesehen ist die Kluft zwischen Begriff und Wirklichkeit überwindbar; daß die Menschen dennoch nicht leicht vom Dasein Gottes überzeugt werden können, ist psychologisch bedingt: Aufgrund der Abstraktheit der Beweise läuft die Metaphysik besonders Gefahr, den Bezug der Begriffe auf die Sachen
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zu verlieren. Was einerseits die Stärke der Metaphysik gegenüber der wahrscheinlichen Erkenntnis ist – daß ihre Beweise notwendig wahr sind, sie also rein logisch, ohne den Bezug auf die menschlichen Erkenntniskräfte bewiesen werden können –, ist unter psychologischem Aspekt ihre große Schwäche, denn sie verliert dadurch an Faßlichkeit; anders als bei der Wahrscheinlichkeit (und der Geometrie) ergänzen sich logischer und psychologischer Aspekt nicht. Dieselben Faktoren, die in der Geometrie die Faßlichkeit leicht machen, behindern sie in der Metaphysik: Sie verwendet keine reellen Zeichen, sondern willkürliche, so daß die Gefahr besteht, daß sie sich in theoretischen Spekulationen verliert. Zudem sind ihre Beweise so komplex, daß sie für den Menschen nur noch mit Mühe nachzuvollziehen sind: »Was für eine Arbeit, wenn alle diese Begriffe der Seele beständig gegenwärtig bleiben, und sich niemals in den Schatten der Worte verlieren sollen?« (S. 48) Die Faßlichkeit der Metaphysik wird weiter dadurch beeinträchtigt, daß das Interesse der Menschen an den Ergebnissen der Metaphysik es schwerer macht, die logischen Grundlagen in aller Objektivität zu behandeln; die Vorurteile der Menschen können die Anerkennung der Wahrheit verhindern. So sehr sich Geometrie und Metaphysik unter logisch-methodischen Gesichtspunkten ähneln, so sehr sind sie unter psychologischem Aspekt verschieden. Mendelssohn betont, daß es neben den wissenschaftlichen Beweisen auch eine Überzeugung vom Dasein Gottes gebe, »die einen starken und lebhaften Eindruck in das Gemüt« (S. 70) mache; dies gelte besonders von der Vorstellung der Schönheit und Ordnung der Welt, von der aus dann auf Gott als ihren Urheber geschlossen werde und die dem Menschen »die süßeste Beruhigung, den erquickendsten Trost« (S. 72) gebe. Dieser teleologische Gottesbeweis habe aufgrund seiner Faßlichkeit eine ähnliche Überzeugungskraft wie die Wahrscheinlichkeit und sei deswegen von den Philosophen anzuerkennen, auch wenn »noch vieles zur demonstrativen Gewißheit fehlet.« (S. 70) Beide Erkenntnisarten – die wissenschaftliche und die alltägliche – haben ihre Bedeutung, um den Menschen von der Wahrheit zu überzeugen.
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Die Komplexität des Mendelssohnschen Denkens zeigt sich darin, daß er einerseits die Stärke der Vernunft anerkennt: Sie ist mit absoluter Gewißheit der Erkenntnis des Daseins Gottes, der grundlegenden Wahrheit, fähig. Andererseits ist die Anerkennung des als wahr Erkannten aufgrund der eingeschränkten Faßlichkeit der Beweise, der vielen Hindernisse in der menschlichen Seele, schwierig. Die Metaphysik befindet sich in einem Dilemma: Je deutlicher ein Beweis ist, desto weniger leicht findet er aufgrund seiner Komplexität Anerkennung; je faßlicher er ist, um so schwieriger ist es, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. 3.3 Die Möglichkeit praktischer Urteile Im letzten Abschnitt der Preisschrift geht Mendelssohn auf die Evidenz in der Sittenlehre ein. Das Grundmuster seines Denkens kehrt hier wieder: Die Erkenntnis des Guten ist dem Menschen mit vollständiger Gewißheit möglich, die Beweise haben logischmethodologisch gesehen dieselbe Gewißheit wie die Sätze der Geometrie, sie haben die gleiche Strenge und Bündigkeit. Daß der Mensch weiß, was gut ist, und trotzdem anders handelt, zeigt, daß auch hier der Verwirklichung des Erkannten in der Seele des Menschen große Hindernisse entgegenstehen. Wie bestimmte psychologische Faktoren verhindern, daß sich der Mensch in der Theologie der Wahrheit bewußt wird, verhindern in der praktischen Philosophie z. B. Interessen und Gewohnheiten, daß sich das als gut Erkannte wirksam durchsetzt. Um diesen Gedanken zu verdeutlichen, unterscheidet Mendelssohn die trockene, deutliche Erkenntnis, das gewisse, sichere Wissen einerseits von den kraftvollen, lebendigen, in der Seele des Menschen wirksamen Vorstellungen andererseits, die auf den Sinnen, der Einbildungskraft, den Neigungen und den Leidenschaften beruhen, also wissenschaftliches Erkennen vom vernunftähnlichen Urteil des Alltagslebens. Die Erkenntnis des Guten und des Seienden, die, sinnlich bedingt, das Leben des Menschen prägt und in den allermeisten Fällen einer Prüfung
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standhält, läßt sich nach Mendelssohn folgendermaßen unterteilen: Das Gewissen ist eine Fertigkeit, eine Übung, das Gute vom Bösen, und der Bonsens eine vergleichbare Fertigkeit, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden (ein Beispiel für diese Fertigkeit ist die Erkenntnis Gottes aus der Schönheit der Welt, die Mendelssohn im Abschnitt über die Gottesbeweise aufführt, siehe S. 70). In beiden Fällen handelt es sich um unbewußte Schlüsse, die auf Gewohnheit basieren, dem, was der Mensch als richtig erfahren hat, und nicht auf reiner Vernunft; sie sind vernunftähnlich, enthalten subjektive Einflüsse wie Temperament oder besondere Erfahrungen und werden oft mit so großer Schnelligkeit getroffen, daß sich der Mensch der einzelnen Teile dieser Schlüsse nicht bewußt wird. Sie können allerdings vom Wissenschaftler in deutliche Erkenntnis überführt und auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Macht dieser psychologische Aspekt zunächst eine Einschränkung deutlich, indem dadurch erklärt werden kann, warum sich das Gute in der Seele nicht durchsetzt, so zeigt er andererseits auch den Weg, wie der Erkenntnis des Guten Anerkennung verschafft werden kann: – Je mehr Bewegungsgründe lebhaft auf die Seele wirken, desto leichter ist es, das Gute durchzusetzen. – Je öfter der Mensch Schlüsse nachvollzieht und sie einübt, desto schneller können sie ausgeführt werden, desto wirksamer sind sie. – Je anmutiger und schöner die Gründe dargestellt werden, je faßlicher sie für die menschliche Seele sind, desto leichter überreden sie. – Je mehr Beispiele die abstrakte Erkenntnis in anschauende übersetzen, desto tiefer ist sie in der Seele verankert. (S. 86–88) Ausdrücklich betont Mendelssohn, daß Beweise damit nicht überflüssig werden, vielmehr gehören beide Aspekte zusammen: die logisch begründete, unwidersprechliche Gewißheit und die in der Psychologie auf den Gesetzen der menschlichen Seele begründete Lebendigkeit und Faßlichkeit. Wirken beide Aspekte
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zusammen, kann sich die Metaphysik der Überzeugungskraft der Wahrscheinlichkeit zumindest annähern.
3.4 Metaphysik und Faßlichkeit Mendelssohns Lösungsansatz wird in seiner Eigentümlichkeit deutlicher, wenn man ihn mit Kants Antwort auf die Preisfrage der Akademie vergleicht. Auch Kant geht von der Unsicherheit aus, die in der Philosophie herrscht: von dem Unbestand der Meinungen und dem Streit der philosophischen Schulen. Aufgrund dieser krisenhaften Situation fordert er eine Metaphysik, in der die »höchstmögliche Gewißheit in dieser Art der Erkenntniß«20 erreicht wird. Wissenschaftliche Metaphysik kann sich nach Kant nicht in erster Linie wie bisher an der Mathematik ausrichten; weil die bisherige Philosophie (also z. B. Leibniz und Wolff ) diese Orientierung in den Mittelpunkt gestellt hat, ist ein neuer Ansatz erforderlich, soll Metaphysik endlich Wissenschaft werden. Kant unterscheidet deswegen streng die mathematische von der philosophischen Methode. Letztere geht analytisch vor, zergliedert gegebene Begriffe und macht ihre Teile deutlich, während der synthetisch verfahrende Mathematiker Begriffe willkürlich verbindet. Geht der Philosoph synthetisch vor, verläßt er sich auf grammatische Erklärungen, nicht auf Realdefinitionen. Angemessen für den endlichen Verstand des Menschen ist in der Philosophie nicht der Ausgang von Definitionen, die einen Gegenstand als Ganzes bestimmen, aus dem nach dem Widerspruchsprinzip die Folgen abgeleitet werden; angemessen ist vielmehr der Ausgang von dem, was gewiß ist, auch wenn es für eine Definition nicht ausreichend ist. Wo der Mensch die Möglichkeit der vollständigen Erkenntnis ergreift, gerät er in Irr-
20 Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA II, S. 275.
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tum.21 Kant fordert damit eine eigene, neue Methode der Philosophie, die einerseits den Ansprüchen an die Gewißheit, andererseits den eingeschränkten Fähigkeiten des menschlichen Verstands gerecht wird. Nicht erst für den kritischen, schon für den vorkritischen Kant hat das Methodenproblem Vorrang.22 In dieser deutlichen Unterscheidung von philosophischer und mathematischer Methode und der daraus sich ergebenden Orientierung der Philosophie an den Naturwissenschaften, nicht an der Mathematik unterscheidet sich der Kantsche Ansatz grundsätzlich von der Mendelssohnschen Lösung der Krise der Metaphysik, der sie nicht logisch-methodologisch, sondern psychologisch begründet sieht und deswegen die traditionelle Orientierung der Philosophie an der Mathematik und dem Gedanken einer einheitlichen Methode festhält. Schon in den beiden Antworten auf die Preisfrage wird der unterschiedliche Denkansatz der beiden Aufklärungsphilosophen deutlich.
4. Morgenstunden Die Morgenstunden sind zum einen eine Ausformulierung aller Aspekte der Mendelssohnschen Metaphysik in ihrem systematischen, psychologische und logische Aspekte verbindenden Zusammenhang. Zugleich ist diese Schrift wie keine andere Mendelssohns durch äußere Anlässe bedingt und ist Teil einer der für das 18. Jahrhundert zentralen Kontroversen, des Spinozastreits, »einer Explosion, die die geheimsten Verhältnisse würdiger Männer aufdeckte und zur Sprache brachte: Verhältnisse, die, ihnen
21 Vgl. Theis, Gott. Untersuchung zur Entwicklung des theologischen Diskurses in Kants Schriften zur theoretischen Philosophie bis hin zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft, Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung Abt. II, Bd. 8, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 166. 22 Vgl. Hinske, Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der dreißigjährige Kant, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970, S. 119–123.
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selbst unbewußt, in einer sonst höchst aufgeklärten Gesellschaft schlummerten«23.
4.1 Entstehung der Morgenstunden Entscheidender Anlaß, an die Ausarbeitung der Morgenstunden zu gehen (deren Idee allerdings weiter zurückreicht), ist der mit Friedrich Wilhelm Jacobi über die Frage, ob Lessing Spinozist gewesen sei, geführte Briefwechsel und die Gefahr, die Mendelssohn in möglichen Veröffentlichungen Jacobis für das Ansehen seines Freundes Lessing sieht. Geprägt ist der Briefwechsel durch viele Mißverständnisse, ein sich steigerndes gegenseitiges Mißtrauen und taktische Schachzüge; persönliche Verletzungen spielen bei Mendelssohn (vgl. JubA III.2, S. 190 f. und JubA XIII, S. 313) eine große Rolle. Zudem wurde er über Elise Reimarus, eine gemeinsame Freundin, geführt, die in ihrem Vermittlungsversuch zwischen den Fronten die Informationen nicht vollständig (und teilweise verzögert) weitergab. Die wichtigsten Stationen lassen sich kurz folgendermaßen darstellen:24 Mit Schreiben vom 21. Juli 1783 an Elise Reimarus berichtet Jacobi über sein Gespräch mit Lessing in Wolfenbüttel im Sommer 1780 und teilt ihr mit, Lessing sei in »seinen letzten Tagen ein entschiedener Spinozist« (JubA XIII, S. 122) gewesen; womöglich habe er diese Gesinnungen auch anderen mitgeteilt, vielleicht aber mit Mendelssohn nicht darüber gesprochen. Diese Information könne aber für dessen geplantes Lessing-Buch von Bedeutung sein. Elise Reimarus leitet eine Abschrift des Briefs am 4. August 1783 an Mendelssohn weiter; wenn Mendelssohn für sein Lessing-Buch »etwas Umständlichers über die Sache 23 Goethe, Dichtung und Wahrheit, 15. Buch, in: Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 10, München 1981, S. 49. 24 Dazu vgl. ausführlich die Einleitung von Strauß zur Jubiläumsausgabe; Altmann, Moses Mendelssohn, S. 593 ff.; Bourel, Moses Mendelssohn, S. 488 ff.; Christ, Jacobi und Mendelssohn.
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wissen wolle« (JubA XIII, S. 121), könne Jacobi ihm weiterhelfen. Mendelssohn ist diese Mitteilung »höchst unangenehm« (JubA III.2, S. 189); er antwortet Elise Reimarus, Lessing sei offenbar in einer »sonderbaren Laune, etwas paradoxes zu behaupten« (JubA XIII, S. 123), gewesen (Brief vom 16. August 1783); er glaube an das Mißverständnis Jacobis, »eines schönen Geists, der sich nebenher auch nach philosophischen Nachrichten umsieht« (JubA XIII, S. 156). In seiner Antwort vom 4. November 1783 (von den Geschwistern Reimarus an Mendelssohn weitergeleitet) schildert Jacobi ausführlich das Wolfenbütteler Gespräch mit Lessing und zitiert den Dichter: »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. ἑν και παν! Ich weiß nichts anders. […] Es giebt keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza.« (JubA XIII, S. 137 f.) In seinem Schreiben an die Geschwister Reimarus vom 18. November 1783 erkennt Mendelssohn an, daß »aus dem Gebäude, das sich Jacobi ganz auf eigene Kosten errichtet hat, so viel philosophischer Scharfsinn hervor[leuchtet], daß ich gar wohl begreife, wie ein Lessing dafür hat eingenommen seyn, und zu dem Erbauer desselben ein unumschränktes Zutrauen gewinnen können« (JubA XIII, S. 157). Er könne Jacobi noch nicht antworten, werde sich aber dessen Erläuterung ausbitten. Nach einer längeren Unterbrechnung, am 5. Juli 1784, teilt Elise Reimarus (aufgrund eines Briefs von Mendelssohn vom 19. April 1784 an sie) Jacobi mit, Mendelssohn werde die Schrift über Lessing beiseite legen und zunächst »einen Gang mit den Spinozisten« (JubA XIII, S. 398) wagen. Am 1. August 1784 übersendet Mendelssohn Jacobi die Erinnerungen an Herrn Jacobi (JubA III.2, S. 200–207); sie enthalten Fragen zum Wolfenbütteler Gespräch und bitten Jacobi um Erläuterungen. Im Begleitschreiben informiert er Jacobi über seine geänderten Absichten: »Da ich vor der Hand von dem Vorsatz, über Lessingen zu schreiben, abgekommen und Willens bin, vorher etwas über den Spinozismus zu entwerfen; so sehen Sie, wie wichtig es mir seyn muß, Ihre Gedanken richtig zu fassen, und die Gründe gehörig einzusehen, mit welchen Sie das System dieses Weltweisen zu un-
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terstützen bemüht sind.« (JubA XIII, S. 217) Am 5. September 1784 schickt Jacobi (wiederum über Elise Reimarus) den – ohne Kenntnis der Erinnerungen verfaßten – Brief an Hemsterhuis als vorläufige Antwort auf Mendelssohns Schreiben; eine direkte Antwort auf die Erinnerungen werde folgen. Im Brief an Elise Reimarus vom 28. Januar 1785 erkundigt sich Mendelssohn nach der Antwort Jacobis auf seine Erinnerungen und teilt mit, daß er an einem Manuskript arbeite, das eine »Art von Revision der Beweise vom Daseyn Gottes überhaupt« enthalte und in dem er sich auch mit Spinoza auseinandersetze; er könne nicht sagen, wann er die Arbeit fertiggestellt habe und sie Jacobi vorlegen könne. Er fragt, ob Jacobi wohl erlauben werde, »dereinst von seinen [Jacobis] philosophischen Briefen öffentlichen Gebrauch zu machen« (JubA XIII, S. 263). Am 29. April 1785 läßt Mendelssohn Jacobi über Elise Reimarus bitten, sich mit der Beantwortung der Erinnerungen nicht zu beeilen: »Ich bin entschlossen, nach der Leipziger Messe den ersten Theil meiner Broschüre abdrucken zu lassen. In demselben habe ich zwar hauptsächlich mit dem Pantheismus zu thun, allein unseres Briefwechsels geschieht noch keine Erwähnung. Dieses verspare ich mir auf den zweiten Theil, mit welchem es aber noch lange Zeit hat. Diesen ersten Theil meiner Schrift muß Hr. Jacobi vorher lesen, bevor er auf meine Erinnerungen antwortet; wenigstens wird er auf beides zugleich antworten können, und durch meine Schrift vielleicht Gelegenheit bekommen, sich deutlicher zu erklären.« (JubA XIII, 281). Jacobi erfährt davon erst Ende Mai 1785; vorher, am 26. April 1785, schickt er Mendelssohn seine Antwort auf die Erinnerungen. Mendelssohn ist inzwischen mit der Vorbereitung der Buchveröffentlichung beschäftigt; dies teilt er Jacobi am 21. Juli 1785 mit und bittet ihn um eine Abschrift der Erinnerungen. Ein Exemplar der Morgenstunden sendet Mendelssohn am 4. Oktober 1785 an Jacobi. Mitte 1785, als Jacobi immer deutlicher wird, daß Mendelssohn eine Veröffentlichung plant, ohne ihm vorher das Manuskript zu zeigen, beschließt er, seine Darstellung des Gesprächs mit Lessing und des Briefwechsels mit Mendelssohn zu veröffentlichen; Über die
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Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn geht am 30. September 1785 an Mendelssohn. Tief erschüttert, antwortet er mit der Schrift Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings. Ein Anhang zu Herrn Jacobi Briefwechsel über die Lehre des Spinoza, Jacobi reagiert darauf – nach Mendelssohns Tod – mit Wider Mendelssohns Beschuldigungen in dessen Schreiben an die Freunde Lessings.
4.2 Die Orientierung am gesunden Menschenverstand Diese Vorgeschichte der Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes zeigt, daß wiederum der philosophische Streit um die Wahrheit – also die Mendelssohns Standpunkt widersprechende Ansicht Jacobis, Spinozas Metaphysik sei die einzig wahre und Lessing ihr Anhänger – Anlaß ist, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie der Mensch von der Wahrheit metaphysischer Beweise überzeugt werden kann. Dazu entwickelt er in diesem Spätwerk das Konzept einer wissenschaftlichen Metaphysik, die durch die Orientierung am gesunden Menschenverstand ihr Dilemma (Faßlichkeit mindert Deutlichkeit und umgekehrt, vgl. oben S. XXIX) und damit ihre Krise überwinden kann. Zentral ist der Bericht über den »allegorischen Traum« am Beginn der X. Vorlesung. Wie Herakles steht der Träumende am Scheideweg: Ein »derber Schweizer, stark von Gliedmaßen, aber nicht von dem feinsten Verstande«, der für den Gemeinsinn, den allgemeinen Menschenverstand, die »unmittelbare Erkenntnis« (S. 168) steht, weist in die eine Richtung; eine Frau, »lang und hager, ernsthaft, mit in sich gesenkten Blicken, von schwärmerischer Physiognomie und phantastisch bekleidet« (S. 169), eine Verkörperung der kontemplativen Beschauung, zeigt in die andere Richtung. Den Streit der beiden Richtungen entscheidet »eine ältliche Matrone« (S. 169), die Vernunft: Sie orientiere sich, indem sie auf den Ausgangspunkt, an dem Kontemplation und gesunder Menschenverstand noch übereinstimmen, zurückgehe und alle Folgerungen, die sich daraus ergeben, nochmals auf den
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Prüfstand der Vernunft stelle, um so eine Lösung des Konflikts zu finden. »Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß in den mehresten Fällen, das Recht auf Seiten des Gemeinsinns zu sein pfleget, und die Vernunft muß sehr entscheidend für die Spekulation sprechen, wenn ich jenen verlassen und dieser folgen soll. Ja sie muß mir deutlich vor Augen legen, wie der Gemeinsinn hat von der Wahrheit abkommen und auf Irrwege geraten können, um mich zu überführen, daß seine Beharrlichkeit bloß ungelehriger Eigensinn sei.« (S. 170) Um plausibel zu machen, warum sich die Metaphysik zur Lösung der Streitfragen am gesunden Menschenverstand, am Alltagswissen orientieren kann, beschreibt Mendelssohn in der »Vorerkenntnis« der Morgenstunden (dabei auf die Wahrscheinlichkeits- und die Evidenzschrift sowie auf die psychologischen Teile seiner ästhetischen Abhandlungen zurückgreifend) ausführlich dessen vernunftähnliche Struktur. Sein Ziel ist es, nachzuweisen, daß dieses Wissen zwar fehleranfällig, aber unter pragmatischen Gesichtspunkten ausreichend sicher ist und deswegen die Orientierungsaufgabe übernehmen kann. Es ist durch die enge Verbindung von psychologischen und (in der Regel unbewußten) logischen Aspekten gekennzeichnet: »Der gesunde Menschenverstand […] setzt Operationen der Vernunft voraus, die ohne Bewußtsein in uns vorgehn müssen. Ich würde die Vergleichung fortsetzen, und euch durch hinlängliche Beispiele zeigen, daß gesunder Menschenverstand und Vernunft im Grunde einerlei sei, und beim Empfinden eben das in der sinnlichen Erkenntnis vorgehn müsse, was beim Denken durch die Vernunft geschieht. Der Unterschied ist bloß dieser. Der Menschenverstand tut beim Empfinden eilige Schritte, und gehet rasch vorwärts, ohne von der Furcht zu fallen wankend gemacht zu werden. Die Vernunft hingegen fühlet gleichsam mit dem Stabe umher, bevor sie einen Schritt wagt; sie wanket denselben Weg, zwar vorsichtiger, aber nicht ohne Furcht und Zittern. Beide können auf Abwege geraten, beide können straucheln und fallen; und wenn dieses geschiehet, so wird es der Vernunft zuweilen schwerer, sich wieder aufzurichten.« (S. 119)
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Basis des Alltagswissens sind die sinnlichen Wahrnehmungen als »unmittelbares Bewußtsein der Veränderungen, die in uns vorgehn, indem wir sehen, hören, fühlen« (S. 113), die als nur auf die Seele bezogene Vorstellungen unmittelbar gewiß sind: Sie führen – das zeige die Unfehlbarkeit der Geschmacksurteile auf dem Gebiet der Schönheit – die »höchste Überzeugung mit sich. Als Vorstellungen in der Seele betrachtet, findet weder Irrtum noch Täuschung bei ihnen statt.« (S. 125) Sinnliche Erkenntnis – also die Beziehung zunächst einer einzigen Wahrnehmung auf einen äußeren Gegenstand – entsteht erst durch eine Handlung der menschlichen Seele. Da sie sich zunächst nur auf einen Fall bezieht, ist sie unsicher. Größere Sicherheit bieten Urteile, die auf mehreren Wahrnehmungen basieren, die also z. B. nicht nur den Gesichts-, sondern auch den Tastsinn berücksichtigen und die Wahrnehmungen an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten wiederholen. Weil die Einbildungskraft die Wahrnehmungen mit großer Schnelligkeit verbindet, bleiben diese Handlungen der Seele unbewußt; vernunftähnlich sind sie, weil ihnen logisch gesehen wahrscheinliche Urteile zugrunde liegen. Zum Bereich des Alltagswissens gehört auch das natürliche Wissen von Gott: Die Evidenz der natürlichen Religion ist »dem unverdorbenen, nicht gemißleiteten Menschenverstande […] hell einleuchtend, […] unumstößlich gewiß. […] Das Argument jenes Grönländers, der mit dem Missionar an einem schönen Morgen auf dem Eisspiegel herumging, die Morgenröthe zwischen den Eisgebirgen hervorblitzen sah, und zum Herrenhuter sprach: Siehe, Bruder, den jungen Tag! wie schön muß der seyn, der dies gemacht hat! dieses Argument, welches für den Grönländer, bevor der Herrenhuter seinen Verstand gemißleitet hatte, so überzeugend war, ist es auch für mich […] Dieser natürliche, kinderleichte Schluß hat noch für mich alle Evidenz eines geometrischen Grund- und Heischesatzes, und die siegreiche Gewalt einer unumstößlichen Demonstration.« (JubA III.2, S. 197 f.25) Der Einsicht des Grönländers liegt keine deutliche 25 Dieses Zitat ist der Schrift An die Freunde Lessings entnommen, die
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Erkenntnis zugrunde, sie leitet ihn aber um so sicherer, als sie tief in seiner Seele verankert ist. Die anschauende Erkenntnis der Schönheit der Schöpfung, in den Worten der Evidenz-Schrift: der Bonsens, also die Fertigkeit, unmittelbar das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, ist von größerer Überzeugungskraft als die mühsam nachvollziehbaren Beweise, weil sie faßlich ist, den Erkenntniskräften des Menschen entspricht; die Schwierigkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik, ihre geringe Faßlichkeit, hat hier keine Bedeutung: »Der Mensch, dessen Vernunft durch Sophisterey noch nicht verdorben ist, darf nur seinem geraden Sinn folgen, und seine Glückseligkeit stehet feste.« (JubA III.2, S. 199) Auch in seinen Spätwerken erkennt Mendelssohn damit aus pragmatischen Gründen eine Form von Rationalität an, die zwar wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, aber für die Orientierung des Menschen in der Welt ausreichend sicher ist. Sich am gesunden Menschenverstand zu orientieren, kann für den Metaphysiker nicht bedeuten, dessen Meinungen einfach zu übernehmen – denn dann würde der Gewißheitsanspruch der Metaphysik aufgegeben. Es bedeutet vielmehr, in einen Dialog mit Vertretern dieser Erkenntnisart einzutreten, die Gründe für diese Meinungen in Zweifel zu ziehen, sie dadurch auf ein festes Fundament zu stellen und sie so in Wissen zu überführen – also die sokratische Fragetechnik anzuwenden, wie sie z. B. im Menon vorgeführt wird, wo Sokrates einen unwissenden Sklaven mathematische Beweise finden läßt. Metaphysik ist Bewußtwerdung dessen, was der Mensch vorbewußt schon immer weiß, ohne die Gründe dafür in aller Deutlichkeit vor Augen zu haben. Durch diesen Dialog kann der Metaphysiker die Ursache des Streits der Schulen, die mangelnde Faßlichkeit der metaphysischen Beweise, überwinden. Immer wieder weist Mendelssohn darauf hin, wie schwierig es aufgrund der Abstraktheit der metaphysischen Grundbegriffe ist, die Diskrepanz zwischen Begriff und Sache zu überwinden und sich auf die Wirklichkeit zu bezieauch als eine Verdeutlichung der Argumentation der Morgenstunden verstanden werden kann.
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hen; der Metaphysiker schwebt stets in der Gefahr, sich in Wortstreitigkeiten, in spitzfindige Subtilitäten, in »eitlem Wörterkram« (S. 46) zu verlieren: »Wir schweben hier in einer Region von Ideen, die von der unmittelbaren Erkenntnis zu weit entfernt ist; in welcher wir unsere Gedanken bloß durch den Schattenriß der Worte zu erkennen geben; ja bloß durch Hilfe dieser Schattenrisse selbst wieder zu erkennen im Stande sind. Wie leicht ist hier der Irrtum! Wie groß die Gefahr, den Schatten für die Sache zu halten! Sie wissen, wie sehr ich geneigt bin, alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für bloße Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten. Verändert die mindeste Kleinigkeit im Schattenriß: sogleich erhält das ganze Bild ein andres Ansehen, eine andre Physiognomie. So auch mit Worten und Begriff. Die kleinste Abweichung in der Bestimmung eines Grundwortes führt am Ende zu ganz entgegengesetzten Folgen, und wenn man den Punkt aus den Augen verloren, von welchem man gemeinschaftlich ausgegangen ist; so streitet man am Ende nicht mehr um Worte, sondern um die wichtigsten Sachen.« (S. 193 f.) Durch den Dialog mit Kindern – als Vertretern des Alltagswissens in seiner natürlichsten Form – kann der Metaphysiker die fehlende Faßlichkeit überwinden, weil er sich der Vorstellungswelt seiner Gesprächspartner anpassen und seine Argumente durch Beispiele aus der Vorstellungswelt des gesunden Menschenverstands verständlich und plausibel machen muß. Hier liegt der Grund für die Bedeutung, die der Form für Mendelssohns Schreiben zukommt. Nicht die schulmäßige Abhandlung, sondern der Dialog mit dem gesunden Menschenverstand kann die geringe Faßlichkeit metaphysischer Beweise ausgleichen und zu Wissen führen, das allgemeine Anerkennung findet. Er ermöglicht die Verbindung der Erkenntnisarten, die in der Evidenzschrift noch als sinnliche Erkenntnis und Vernunft nebeneinander stehen (und dort nur für die praktische Philosophie in Bezug gesetzt werden).
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4.3 Die Diskussion der Lehre Spinozas und Lessings Pantheismus Die Lehre Spinozas, daß Ich und Welt bloße Modifikationen der unendlichen Substanz seien und beide keine eigene Wirklichkeit hätten und daß Gott die einzige notwendige und die einzige mögliche Substanz sei (so faßt Mendelssohn diese Lehre zusammen, S. 193), widerspricht der Meinung des gesunden Menschenverstands. Um sie widerlegen zu können, muß der sich an ihm orientierende Metaphysiker auf den Punkt zurückgehen, wo beide noch übereinstimmen: »Das notwendige Wesen denkt sich selbst, als schlechterdings notwendig; denkt die zufälligen Wesen, als auflösbar in unendliche Reihen; als Wesen, die ihrer Natur nach rückwärts eine Reihe ohne Anfang zu ihrem Dasein voraussetzen und vorwärts eine Reihe ohne Ende zur Wirklichkeit befördern.« (S. 194) Die Abweichung entsteht bei der Frage, ob die zufälligen Dinge außer Gott ihre eigene Substantialität haben und trotzdem von ihm abhängig sein können. Da der Spinozist den Begriff »Substanz« definiere als das, was für sich bestehe und keines anderen Wesens zu seinem Dasein bedürfe, könne es für ihn nur eine einzige Substanz geben, die Ausdehnung und Denken als Eigenschaften habe. Die Sätze von Spinozas System seien »mit geometrischer Festigkeit« (S. 195) verbunden; seien die Grundbegriffe richtig, gelten auch die Folgen. Entscheidend ist deswegen die Frage: Können diese Voraussetzungen allgemeine Anerkennung finden? Mendelssohn erhebt drei Einwände gegen Spinozas Grundbegriffe: – Spinoza unterscheide nicht zwischen extensiver und intensiver Größe des Unendlichen. Er verstehe das Wort »unendlich« aus vielen endlichen Größen zusammengesetzt; um selbständig zu sein, keines anderen Wesens zu bedürfen, müsse es aber als Kraft, ohne Grenzen und Schranken, unendlich sein. – Spinoza unterscheide nicht zwischen Selbständigkeit und Fürsichbestehen: »Das Selbständige ist unabhängig und bedarf keines andern Wesens zu seinem Dasein. Dieses also ist unend-
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lich und notwendig; das Fürsichbestehende aber kann in seinem Dasein abhängig, und dennoch, als ein von dem unendlichen abgesondertes Wesen, vorhanden sein.« (S. 196) Weil Spinoza Substanz nur in der ersten Bedeutung verstehe, sind seine Ableitungen richtig, gelten aber nicht, wenn Substanz als Fürsichbestehen definiert wird: »An Statt darzutun, daß der gesamte Inbegriff alles Endlichen eine einzige selbständige Substanz ausmache, erhält er am Ende bloß, daß dieser Inbegriff von der einzigen unendlichen Substanz abhängen müsse.« (S. 196 f.) – Spinoza unterscheide nicht zwischen materialer und formaler Wahrheit. Weil er nur die materiale Wahrheit zulasse, könne er bei den Körpern nicht die Bewegung, in der Geisteswelt nicht die Billigung und damit die Freiheit des Menschen zulassen. Die Phänomene Bewegung und Freiheit zwingen Spinoza, auch die formale Wahrheit anzunehmen und sich damit der Meinung des gesunden Menschenverstands anzunähern. Spinozas Denken ist Beispiel einer zu weit getriebenen Spekulation, die sich vom gesunden Menschenverstand entfernt hat und die deswegen von der Wahrheit abkommt. Da er als rational argumentierender Philosoph die Wahrheit dieser Einwände anerkennen müsse, ist – so das Fazit Mendelssohns am Ende der XIII. Vorlesung – der Streit beendet, der Fehler, der aus der mangelnden Faßlichkeit der Metaphysik entstanden ist, ausgeräumt: »Auf solche Weise würde unser Zwist mit diesem Weltweisen ja hier am Scheidewege schon größtenteils beigelegt sein. Wir hätten dabei diesen redlichen Wahrheitsforscher zu unserm Freunde; denn gewiß der Mann, der sein Leben einzig und allein der Wahrheit gewidmet hatte, würde sich der Wahrheit nicht aus Eigensinn oder Eitelkeit widersetzen. Wir könnten ihn umarmen und noch eine weite Strecke gemeinschaftlich fortgehen. Ja, wenn uns Spinoza alles dieses zugibt: so wären wir beinahe schon am Ziele.« (S. 203) In der XIV. Vorlesung tritt Lessing als der Vertreter eines »geläuterten Pantheismus« (S. 203) auf. Er gibt alle Einwände gegen
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den Spinozismus zu, erkennt das Billigungsvermögen und einen Gott, der der Kraft nach unendlich sei, an – trotzdem sei Spinoza nicht widerlegt: »Wer sagt uns, daß wir selbst und die Welt, die uns umgibt, etwas mehr haben, als das idealische Dasein in dem göttlichen Verstande; etwas mehr sind, als bloße Gedanken Gottes und Modifikationen seiner Urkraft?« (S. 206) Der Anhänger Spinozas könne also immer noch eine außergöttliche Welt bestreiten. Wiederum zeigt sich, wie die eingeschränkte Faßlichkeit der Beweise, die auf der Diskrepanz zwischen Begriffen und Zeichen einerseits, den Dingen andererseits beruht, ihre Akzeptanz selbst in der Diskussion unter Freunden erschwert: »Mit meinem besten Freunde, mit dem ich noch so einhellig zu denken glaubte, konnte ich mich sehr oft über Wahrheiten der Philosophie und Religion nicht vereinigen. Nach langem Streit und Wortwechsel ergab sich zuweilen, daß wir mit denselben Worten, jeder andere Begriffe verbunden hatten. Nicht selten dachten wir einerley, und drückten uns nur verschiedentlich aus; aber eben so oft glaubten wir überein zu stimmen, und waren in Gedanken noch weit von einander entfernt. Gleichwohl ware[n] wir beyderseits im Denken nicht ungeübt, gewöhnt, mit abgesonderten Begriffen umzugehen, und beiden schien es um die Wahrheit im Ernst, mehr um sie, als ums Rechthaben zu thun zu seyn. Demohngeachtet mußten sich unsere Begriffe lange Zeit an einander reiben, bevor sie in einander sich wollten fügen lassen; bevor wir mit einiger Zuverlässigkeit sagen konnten: hierin kommen wir überein!« (JubA VIII, S. 134 f.) Auf der Basis einer sich am gesunden Menschenverstand orientierenden Philosophie läßt sich auch der geläuterte Spinozismus widerlegen; es zeigt sich zudem, daß die Unterschiede »bloß in einer Subtilität, die niemals praktisch werden kann« (S. 214), bestehen und sich die beiden Freunde in den Grundsätzen, die die Moral und die Religion betreffen, einig sind. Die Orientierung am gesunden Menschenverstand bietet Mendelssohn die Möglichkeit, falsche philosophische Lehrmeinungen zu widerlegen und sie – wie im Falle Lessings – aus pragmatischen Gründen in ihrer Bedeutung zu relativieren.
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4.4 Die Auseinandersetzung mit Jacobi und Kant In der auf die Veröffentlichung der Morgenstunden folgenden Diskussion werden die Grundsätze der Philosophie Mendelssohns von zwei Kritikern der Fähigkeiten der menschlichen Vernunft in Frage gestellt: von Jacobi und von Kant. Beide wenden gegen Mendelssohn ein, daß er die Möglichkeiten des Menschen zu vernünftiger Erkenntnis überschätze. Weil seine logische Prüfung der Beweise fehlerhaft sei und weil er deswegen nicht bemerke, daß die Erkenntnis Gottes dem Menschen nicht möglich sei, mißverstehe er auch die Bedeutung, die der gesunde Menschenverstand in dieser Frage hat. Jacobi sieht in Lessings Äußerungen einen Beleg seiner These, daß alle Philosophie, wenn sie konsequent verfahre, Spinozismus sei: »Meine Briefe über die Lehre des Spinoza wurden […] nicht geschrieben um Ein System durch das Andre zu verdrängen, sondern um die Unüberwindlichkeit des Spinozismus von Seiten des logischen Verstandesgebrauches darzutun«.26 Unüberwindlich ist Spinozas System, weil es »bündig«27 sei; keine Zeile der Ethica sei dunkel, so daß seine Überzeugung, die wahre Philosophie gefunden zu haben, zu Recht bestehe (S. 33). Auf dem Boden rational verfahrender Philosophie stehen heißt, die Partei Spinozas zu nehmen, sein Werk ist das Paradigma reiner Metaphysik. Der Versuch, Spinoza mit philosophischen Mitteln, d. h. mit den Mitteln des logischen Verstandesgebrauchs, widerlegen zu wollen (wie es Mendelssohn in den Morgenstunden versucht), müsse deswegen scheitern, denn er lasse notwendigerweise die Konsequenz vermissen, die an Spinozas Werk besteche; Kritik an 26 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Philosophische Bibliothek 517, Hamburg 2000, S. 313. Im folgenden im Text mit Seitenangabe zitiert. Vgl. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 27 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 24.
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Spinoza könne nicht haltbar sein, denn sein System sei der konsequenteste und einzig mögliche Weg zu einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Philosophie. Mit rationalen Mitteln könne man deswegen dem Fatalismus nicht entkommen, zu dem sein Versuch, alles schlechterdings zu erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander zu reimen und sonst nichts gelten zu lassen (S. 34), führe. Die einzige Möglichkeit der Kritik an Spinozas Metaphysik sei der Sprung, der »Salto mortale« (S. 26): Durch ihn – als einen nicht begründbaren Akt der Freiheit – wird der logische Verstandesgebrauch außer Kraft gesetzt, der Fatalismus überwunden. Gegen die Erklärungssucht Spinozas, gegen die rationale Verblendung stellt die Vernunftkritik Jacobis die ursprüngliche Erfahrung der Freiheit, die dem nicht durch den logischen Verstandesgebrauch verstellten Bewußtsein der eigenen Handlungen entspringt (und nicht vom Verstand her begründet werden kann, ihm vielmehr verdeckt zugrunde liegt). Die Wirklichkeit der menschlichen Freiheit stellt sich unmittelbar im Bewußtsein dar und erschließt sich nur in der Evidenz des freien Handelns. Dieses Bewußtsein erkennt die Grenzen des menschlichen Erkennens an: Es will nicht erklären, »was unbegreiflich ist, sondern nur die Grenze wissen wo es anfängt, und nur erkennen, daß es da ist: von dem glaube ich, daß es den mehresten Raum für echte menschliche Wahrheit in sich ausgewinnt.« (S. 34) Ursprüngliche Erfahrung des Menschen aus dem Bewußtsein des eigenen Handelns und philosophische Beweisführung, wie sie Spinoza zur Vollendung gebracht hat, sind nicht in Übereinstimmung zu bringen; von der ursprünglichen Erfahrung der Freiheit führt kein Weg zu wissenschaftlicher Philosophie; sie dient nicht zur Orientierung des Metaphysikers, sondern führt zur Aufhebung des Anspruchs, mit rein logischen Mitteln die Wahrheit erkennen zu können. Kant verteidigt in seiner Schrift Was heißt: Sich im Denken orientieren? Mendelssohn – und damit die Aufklärung – gegen die Vernunftkritik Jacobis: »Selbstdenken heißt den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen; und die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist
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die Aufklärung.«28 Freiheit im Denken bedeutet die Unterwerfung der Vernunft »unter keine andere Gesetze, als: die sie sich selbst giebt« (S. 145). In der Vernunftkritik Jacobis sieht Kant diesen Grundsatz verletzt: Sie sei willkürlich und nicht durch Argumente gerechtfertigt; sie sei nicht Kritik der Vernunft durch sich selbst, sondern ihre Selbstaufgabe, indem sie den Sprung vollziehe. Aufklärerische Philosophie muß logisch argumentieren – andere Instanzen als die eigene Vernunft zählen nicht. Kant verbindet die Kritik an Jacobi mit einer Kritik an Mendelssohn, die zwei Aspekte hat: Zum einen überschätze Mendelssohn die Leistungsfähigkeit der Vernunft und nähme subjektive Gründe für objektive. Kant greift damit auf die Zurückweisung der Möglichkeit der theoretischen Vernunft, Gott aus Begriffen zu erkennen, zurück, die er in der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft entwickelt hatte. Vorschub für Jacobis Schwärmerei liefere zum anderen Mendelssohns Bezugnahme auf den gesunden Menschenverstand. Dieser Begriff sei zweideutig, indem er auch die Möglichkeit biete, außerhalb der Vernunft liegende Orientierungspunkte anzunehmen, der damit den Grundsatz des Selbstdenkens verletze (auch wenn dies nicht Men delssohns Intention gewesen sei). Gegen Mendelssohns mißverständlichen Begriff des gesunden Menschenverstands setzt Kant den Begriff des Vernunftglaubens als eines Glaubens, der nur im »Bedürfnis der Vernunft« begründet ist. Die Vernunft habe subjektiv das Recht, »etwas vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objective Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im unermeßlichen und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Übersinnlichen, lediglich durch ihr eigenes Bedürfniß zu orientiren.« (S. 137) Vor allem im praktischen Gebrauch der Vernunft – hier weist Kant auf die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft voraus – ist dieser Vernunftglaube von entscheidender Bedeutung: »Nun bedarf die Vernunft, ein […] abhängiges höchste[s] Gut und zum Behuf 28 Was heißt: Sich im Denken orientieren?, AA VIII, S. 146. Im folgenden wird diese Ausgabe im Text mit Seitenzahl zitiert.
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desselben eine oberste Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut anzunehmen: zwar nicht um davon das verbindende Ansehen der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung abzuleiten (denn sie würden keinen moralischen Werth haben, wenn ihr Bewegungsgrund von etwas anderem, als von dem Gesetz allein, das für sich apodiktisch gewiß ist, abgeleitet würde); sondern nur um dem Begriffe vom höchsten Gut objective Realität zu geben, d. i. zu verhindern, daß es zusammt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existirte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet.« (S. 139) Der Begriff »Vernunftglaube« vermeidet damit die Zweideutigkeit des Mendelssohnschen Begriffs, weil er nur logisch, nicht psychologisch im Vernunftähnlichen begründet ist; die reine Vernunft, deren objektiver Gebrauch aufgrund der drohenden Widersprüche nicht möglich sei, sei seine einzige Quelle.29 An ihm kann sich die menschliche Vernunft orientieren: »Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Compaß, wodurch der speculative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientiren, der Mensch von gemeiner, doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg sowohl in theoretischer als praktischer Absicht dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann; und dieser Vernunftglaube ist es auch, der jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung zum Grunde gelegt werden muß.« (S. 142) Kants Versuch, aus dem logischen Vernunftgebrauch den Glaubensbegriff zu begründen, ist als Antwort auf Mendelssohns Vorwurf des Alleszermalmers zu verstehen: Seine Transzendentalphilosophie führt zu einem neuen Glaubensbegriff, der, rational begründet, ohne aber die Schranken der menschlichen Erkenntnis zu überschreiten, den Streit der metaphysischen Schulen überwinden und allen Menschen zur Orientierung dienen kann.
29 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Wissen, Glauben und Meinen auch die Kritik der reinen Vernunft, AA III, S. 531 ff. (B 848 ff.).
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Gegen Jacobi und mit Kant hält Mendelssohn daran fest, daß nur die Vernunft Prüfstein der Wahrheit sein kann; Jacobis Vernunftkritik lehnen beide ab. Während Kant der kritisch beschränkten menschlichen Vernunft die Möglichkeit der Gotteserkenntnis abspricht, weist Mendelssohn diese Kritik zurück und will die durch den Streit der metaphysischen Schulen geschwächte Vernunft durch die Orientierung am gesunden Menschenverstand stärken. Dessen Struktur des Vernunftähnlichen hat die Zweideutigkeit, die Kant kritisiert, nämlich auch nicht-logische Aspekte zur Orientierung des Menschen zu berücksichtigen. Kants Kritik – die also nicht nur den Gottesbeweisen Mendelssohns, sondern auch seiner psychologischen Lösung der Krise der Metaphysik durch den Begriff des gesunden Menschenverstands gilt – macht die beiden Seiten des Mendelssohnschen Denkens deutlich: Einerseits die großen Möglichkeiten, die er der menschlichen Vernunft bei der Erkenntnis der Wirklichkeit einräumt; andererseits seine Bereitschaft, den Rationalitätsanspruch einzuschränken und den vorrationalen, vernunftähnlichen Bereich des menschlichen Seelenlebens in seiner Bedeutung anzuerkennen, die er für die Akzeptanz der Wahrheit hat. Will man Mendelssohns Denken gerecht werden, darf keiner dieser beiden Pole zugunsten des anderen vernachlässigt werden. Für ihn kann der Streit um Gott und die Unsterblichkeit der Seele nur gelöst werden, wenn der Philosoph den engen Bereich der Schule verläßt und sich der Welt, dem Alltagsleben, dem Menschen in seiner Ganzheit zuwendet; nur so kann er der Bestimmung des Menschen gerecht werden.30 Deswegen ist sein Schreiben dadurch gekennzeichnet, daß es auf allen Schulzwang verzichtet (S. 92), auf die paragraphenorientierte Ableitung der schulphilosophischen Kompendien; der »trostvollen Metaphysik« des jüdischen Denkers, der nie eine Universität besucht hat und sich sein Wissen im Selbststudium angeeignet hat, geht es – als Weltweiser, wie sich die deutschen Aufklärungsphilosophen 30 Vgl. Brandt, Die Bestimmung des Menschen bei Kant, Hamburg 2007, S. 84–87.
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nennen – um die Wirkung bei einem möglichst großen Publikum. Metaphysik ist für ihn nie bloße Theorie, sondern Wissen, das für das Glück des Menschen Bedeutung hat. Dennoch darf dabei nicht übersehen werden, daß Mendelssohn auch einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt: Seiner Argumentation liegen genau durchdachte, logisch strukturierte Beweise zugrunde, die einen Beitrag zur fachphilosophischen Diskussion liefern wollen. Seine Gottesbeweise erheben den Anspruch, eine Begründung zu liefern, die trotz Kants Kritik gültig ist.
5. Die Eigenständigkeit des Denkens Mendelssohns Jacobis und Kants radikale Neuansätze lassen Mendelssohns Denken als traditionell erscheinen; ihre Kritik hat wesentlich dazu beigetragen, darin die »rationalistischen« Muster Leibniz’ und Wolffs wiederzuerkennen und ihm als »Eklektizisten« (im negativen Sinn) keinen eigenständigen Denkansatz zuzusprechen. Vergessen wurde, daß auch sein Denken wie das seiner Kritiker von der Krise der Metaphysik ausgeht, nämlich von der Frage, warum die sich am Ideal der mathematischen Methode orientierende Philosophie seiner Vorgänger Leibniz und Wolff keine Anerkennung fand und den Streit der Schulen nicht beenden konnte. Sein Ziel ist es, einen Weg aus der Krise zu finden, indem er die Vernunft psychologisch im Alltagswissen fundiert. Deutlich wird so Mendelssohns eigenständiger, von Leibniz und Wolff unterschiedener Denkansatz. Seine Metaphysik zeigt sich als ein in sich geschlossenes, systematisch gegliedertes Ganzes, dessen Teile sich aus einer Grundfrage ableiten lassen. Die Bedeutung des Vernunftähnlichen in seiner Philosophie verweist zudem auf seine Ästhetik – ein Interesse, das sich somit aus dem Kern seines Denkens ergibt. Die psychologisch orientierte Metaphysik ist Ursprung der psychologischen Ästhetik und macht es Mendelssohn möglich, in seinen theoretischen Schriften auf ästhetische Phänomene – besonders deutlich beim Billigungsvermögen – zurückzugreifen.
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Versteht man Kants Bemerkung über die Morgenstunden: »Man kann dieses letzte Vermächtnis einer dogmatisirenden Metaphysik zugleich als das vollkommenste Product derselben […] ansehen« 31 als die Anerkennung des Transzendentalphilosophen für eine Metaphysik, deren Vollkommenheit darin besteht, daß sie der traditionellen Lehre mit ihrer Orientierung am Ideal der Methode so weit wie möglich folgt und, um diese zu retten, im gesunden Menschenverstand zu fundieren sucht, wird die Bedeutung der Metaphysik Mendelssohns für die Aufklärungsphilosophie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich.
6. Editionsprinzipien Der Text folgt der Erstausgabe. Offensichtliche Druckfehler, die bereits in der Jubiläumsausgabe als Druckfehler korrigiert sind, wurden stillschweigend verbessert. Um die Texte Mendelssohns besser lesbar zu machen, wurden sie behutsam modernisiert. Beibehalten wurde 1. der altertümlicher Vokalgebrauch 2. das Flexions-e in der 3. Person Singular und der 2. Person Plural des Präsens 3. die Synkope und die Apokope des e 4. die starke Deklination der Adjektive und des unbestimmten Pronomens 5. die Zusammen- und Getrenntschreibung 6. die Groß- und Kleinschreibung 7. die Zeichensetzung (außer in Überschriften und an einigen wenigen Stellen, um die Lesbarkeit zu verbessern). 8. altertümliche Wortformen
31 Kant an Christian Schütz, Ende November 1785, AA X, S. 428 f.
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Im wesentlichen wurden folgende Änderungen vorgenommen: 1. keine Vokalverdopplung als Dehnungszeichen 2. Ae, Oe und Ue am Wortanfang zu Ä, Ö und Ü 3. äu zu eu 4. e zu ä und ä zu e 5. ey zu ei 6. i zu ie und ie zu i 7. ü zu i 8. Verdopplung der Konsonanten bzw. Streichung der Doppelkonsonanten wie in der heutigen Rechtschreibung 9. c zu k oder z 10. d, t und dt 11. Dehnungs-h wie in der heutigen Rechtschreibung 12. konsonantisches i zu j 13. -ig, -ich, -icht wie in der heutigen Rechtschreibung 14. k, ck und kk wie in der heutigen Rechtschreibung 15. s-Laute wie in der heutigen Rechtschreibung 16. th zu t 17. tz zu z 18. y zu i oder e 19. zz zu tz Der heutigen Rechtschreibung angepaßt wurden außerdem die unterschiedlichen Schreibweisen von selbstständig und selbständig, von Zahlwörtern wie dreyen, drei, zwo, zwiefach; itzt wurde zu jetzt, fodern zu fordern, Substanzialität zu Substantialität und Akzidenzen zu Akzidenzien. Das Inhaltsverzeichnis, das im Erstdruck der Morgenstunden zwischen Vorbericht und Vorerkenntnis steht, wurde nicht abgedruckt. Hervorhebungen des Originals werden kursiv wiedergegeben. Die Antiqua-Schrift lateinischer Ausdrücke wurde als Kursivschrift kenntlich gemacht. Die Paginierung der Erstdrucke und der Jubiläumsausgabe ist unter dem Text angegeben; für die Jubiläumsausgabe steht der
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ganze (|), für den jeweiligen Erstdruck der unterbrochene Trennstrich (¦). Auf die Anmerkungen des Herausgebers wird im Text mit fortlaufenden Ziffern verwiesen. Hochgestellte Buchstaben verweisen auf Abweichungen von der ersten Auflage oder der Jubiläumsausgabe. Frau Dr. Marion Lauschke und dem Meiner Verlag danke ich für die sorgfältige Betreuung. Besonderer Dank für seine wertvolle Hilfe gebührt meinem Vater, Herrn Oberstudiendirektor a. D. Walter Vogt. Gewidmet ist dies Buch meiner Frau; ohne sie wäre es mir nicht möglich gewesen, die Arbeit fertigzustellen.
LITERATURVERZEICHNIS
textgrundlage Gedanken von der Wahrscheinlichkeit Erstdruck (anonym) Vermischte Abhandlungen und Urtheile über das Neueste aus der Gelehrsamkeit. Dritter Theil. Berlin: Christian Friedrich Voß 1756, S. 3–26 2. Auflage Die Abhandlung wurde in zweiter, veränderter Auflage unter dem geänderten Titel Ueber die Wahrscheinlichkeit aufgenommen in: Philosophische Schriften. Zweyter Theil. Berlin, bey Christian FriedrichVoß 1761, S. 187–228 3. Auflage In der dritten, veränderten Auflage erschien die Abhandlung erstmals unter Mendelssohns Namen: Moses Mendelssohns Philosophische Schriften. Zweyter Theil. Verbesserte Auflage. Berlin, 1771. bey Christian Friedrich Voß, S. 241–283
Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften Erstdruck Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, welche den von der Königlichen Academie der Wissenschaften in Berlin auf das Jahr 1763. ausgesetzten Preis erhalten hat, von Moses Mendelsohn aus Berlin. Nebst noch einer Abhandlung über dieselbe Materie, welche die Academie nächst der ersten für die beste gehalten hat. Berlin, bey Haude und Spener, Königl. und der Academie der Wissenschaften Buchhändlern, 1764. S. 1–66
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Derselbe Druck dissertation qui a remporte le prix propose par l’academie royale des sciences et belles-lettres de prusse, sur la nature, les especes, et les degres de l’evidence, avec les pieces qui ont concouru. à berlin, chez haude et spener, Libraires du Roi et de
l’Académie. MDCCLXIV. 2. Auflage Die zweite Auflage enthält keine inhaltlich relevanten Abweichungen vom Erstdruck: Moses Mendelssohn, Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften. Eine von der Königlichen Academie der Wissenschaften in Berlin gekrönte Preisschrift. Neue Auflage. Berlin bey Haude und Spener 1786
Morgenstunden Erstdruck Moses Mendelssohns Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes. Erster Theil. Berlin, 1785. Bey Christian Friedrich Voß und Sohn. 2. Auflage 2. Auflage unter dem gleichen Titel: Veränderte Auflage. Berlin 1786. Bey Christian FriedrichVoß und Sohn. Der »Vorbericht« der zweiten Auflage schließt mit folgendem Zusatz des Herausgebers: »Die in der zweyten Auflage befindlichen Veränderungen sind von der Hand des Verfassers selbst, der aber nur bis zum 6ten Hauptstück der Vorerkenntniß seine Durchsicht hat fortsetzen können.«
siglen JubA Mendelssohn, Moses, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, in Gemeinschaft mit Fritz Bamberger, Haim Borodianski, Simon Rawidowicz, Bruno Strauß und Leo Strauß begonnen von Ismar Elbogen,
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moses mendelssohn Metaphysische Schriften
| ¦ 1. GEDANKEN VON DER WAHRSCHEINLICHKEIT
Unter allen Erkenntnissen, zu welchen der menschliche Verstand aufgelegt ist,a kann die Erkenntnis der Wahrscheinlichkeit vielleicht für die vornehmste gehalten werden, weil sie unsrer eingeschränkten Einsicht angemessen ist, und in den meisten Fällen die Stelle der Gewißheit vertreten muß. Ihr Einfluß in das Tun und Lassen der Menschen, und vermittelst dieser in ihre Glückseligkeit, hat den Weltweisen von je her so sehr in die Augen geleuchtet, daß sie sich eher haben einkommen1 lassen, die Stützen der Wahrheit selbst, als die Stützen der Wahrscheinlichkeit wanken zu machen. Man hat angemerkt, daß die Zweifler2, die nirgend eine völlige Überzeugung zulassenb wollen, und bis in den Satz des Widerspruchs einige Ungewißheit zu finden glau¦ben, in dem gemeinen Leben dennoch eben so handeln, wie der große Haufe der Menschen, die sich von einer ziemlichen Anzahl ewiger Wahrheiten für völlig überzeugt halten.3 Und Bayle4, der sich der Sache der allgemeinen Zweifler eifrigst annahm, gab zu ihrer Verteidigung vor, sie ließen sich in ihren Handlungen von der Wahrscheinlichkeit lenken. Man siehet also, daß ihnen die Wahrscheinlichkeit den Beifall abgenötiget haben muß, den sie der Wahrheit selbst zu geben sich weigerten. Man hat längstens erkannt,5 daß die allgemeinen Lehren der Weltweisheit und Mathematik, allzuweit von den einzelnen Begebenheiten in der Natur entfernt sind. Wenn ihre abgezogene Schlüsse auf vorkommende Fälle angewendet werden sollen; so muß öfters ein Schritt geschehen, bei welchem uns die Regeln der gemeinen Vernunftkunst verlassen. Wir müssen Sätze annehmen, von deren Richtigkeit wir nicht genugc überzeugt sind; a Erste Auflage: Strichpunkt. b Erste Auflage: zu lassen. In der dritten Auflage wie hier geändert. c Erste Auflage: genung. In der dritten Auf-
lage wie hier geändert.
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¦ 3–4
4
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
wir müssen Ursache und Wirkung mit einander verbinden, deren Verknüpfung wir nur gleichsam von Ferne einsehen; wir müssen Begebenheiten aus andern Be | gebenheiten vermuten, die nicht völlig in einander gegründet sind; kurz, wir müssen uns auf Wahrscheinlichkeiten stützen, die wenn sie nicht eine andere Art zu schließen,*6 doch wenigstens andere Grundmaximen, eine andere Art von Vordersätzen voraus zu setzen scheinen. Die Mathematiker, die die Grenzen ihrer Wissenschaft schneller erweitert, als die Weltweisen, haben in dem letzten Jahrhunderte auch in dem Felde ¦ des Wahrscheinlichen große Entdekkungen gemacht. In allen Arten von Glücksspielen, Wetten, Assekuranzen, Lotterien, in einigen Rechtshändeln, ja so gar in Ansehung der historischen Glaubwürdigkeit**,7 haben sie die wahrscheinlichen Fälle gegen einander berechnet, und die Größe der Erwartung, oder den Grad der Wahrscheinlichkeit nach dieser Ausrechnung bestimmt. Man braucht nur die Namen Pascal, Fermat, Huygens, Halley, Craig, Petty, Montmort, Moivre, Bernoulli und Euler,8 zu kennen, um sich von ihren Entdeckungen den würdigsten Begriff zu machen. Ein Weltweiser, der den Wunsch des Herrn von Leibniz9 zu erfüllen, eine Vernunftkunst des Wahrscheinlichen erfinden wollte, müßte die Geschicklichkeit besitzen, von den besondern Regeln, die uns diese großen Mathematiker gegeben, das Allgemeine zu abstrahieren, und hernach eine größere Anzahl von besondern Gesetzen gleichsam à priori heraus zu bringen. Ich traue mir weder mathematische Einsicht noch Erfindungskunst genug zu, dieses schwere Werk zu unternehmen; allein ich bin bei der Untersuchung der Gründe, darauf sich die Berechnungen dieser großen Geister stützen, auf einige Gedanken geraten, die, wenn sie auch unrichtig sein sollten, doch wenigstens zum fernern Nachdenken Anlaß geben können. Meine vornehmste Absicht ist auch dabei, denen, die an den Vorzügen eines systematischen Kopfes zweifeln, ein Exempel von der ungemeinen * S. Wolffii Logicae. § 588. ** Joh. Craig Princ. Theol. Christ. math.
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¦ 4–5
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
5
Fruchtbarkeit der Wolffischen Definitionen10 vorzulegen. Man wird ¦ in der Folge sehen, daß ich mich seiner Erklärung vom Wahrscheinlichen bedient, und vermittelst dieser auf Folgen gekommen bin, darauf mich weder die Bernoullische, noch die s’Gravesandische11 Definition von der Wahrscheinlichkeit geleitet haben würde.a | Eine jede Wahrheit bestehet in einem Satze, in welchem von einemb bestimmten Subjekt etwas bejahet oder verneinet wird. In beiden Fällen muß aus der Bestimmung des Subjekts begreiflich gemacht werden können, warum ihm dasjenige, was von ihm behauptet wird, zukomme, oder nicht zukommen könne. Man nennet die Bestimmungen des Subjekts, aus welchem das Prädikat gefolgert wird, die Wahrheitsgründe*, weil sie den Grund enthalten, warum ein Satz wahr sei.12 Sind uns nun alle diese Wahrheitsgründe bekannt, und wir begreifen die Art und Weise, wie aus ihnen das Prädikat notwendig erfolge; so sind wir von der Wahrheit überzeugt**13, und unsere Überzeugung erlangt den Namen einer mathematischen Evidenz. Von dieser Art sind alle Sätze in der Mathematik, so wie einige in der Metaphysik und in der theoretischen Sittenlehre. Wenn uns aber nur einige von diesen Wahrheitsgründen gegeben sind, und wir schließen daraus auf eine Folge, die durch dieselbe nicht völlig bestimmt ist; so gehöret der Satz zu den wahrscheinlichen Erkenntnissen***14, und wir sind von seiner Richtigkeit nicht völlig überzeugt. ¦ Aus dem Verhältnisse der gegebenen Wahrheitsgründe zu denjenigen, die zur völligen Gewißheit gehören, wird der Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmt, und man eignet einem Satze nur einen geringen Grad der Wahrscheinlichkeit zu, wenn die * Wolffii; Logic. § 573. ** das. § 574. *** das. § 578. a Erste Auflage: würden. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
einen.
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¦ 5–7
b JubA:
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
wenigsten Wahrheitsgründe bekannt sind. Ist die Hälfte derselben gegeben; so ist der Satz zweifelhaft. Wenn uns aber mehr Gründe gegeben sind, als zur Gewißheit fehlen; so pflegen wir schlechtweg zu sagen: der Satz sei wahrscheinlich*. Wir wollen diese Sätze durch ein Beispiel erläutern. Titius reiset mit drei anderna Personen durch einen unsichern Wald, und man erfähret, daß einer von ihnen das Leben verloren hat. Sollen wir nun mit Gewißheit behaupten, daß Titius tot sei; so müssen uns noch folgende drei Wahrheitsgründe gegeben werden. | 1. Cajus ist nicht ermordet 2. Sempronius ist nicht ermordet 3. Mävius ist nicht ermordet alsdenn folget unwidersprechlich, Titius sei ermordet. Solange uns aber diese drei Wahrheitsgründe noch fehlen, und wir haben nicht mehr als den einzigen Grund, Einer von den Reisenden sei ermordet. so verhält sich der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß ¦ Titius tot sei, zur Gewißheit wie 1 : 1 + 3 oder ¼,b daher ist es noch weniger als zweifelhaft. Hätten aber zwei derselben das Leben eingebüßt; so fehleten uns nur zwei Wahrheitsgründe zur Gewißheit; folglich der Grad der Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit = 2 : 4 oder = ½,c daher der Satz zweifelhaft. Sind drei umgekommen; so verhält sich die Wahrscheinlichkeit, daß Titius tot sei, zur Gewißheit = 3 : 4 oder ¾. In diesem Falle nun sagt man, es sei wahrscheinlich, daß Titius tot sei. * Mit den Mathematikern zu reden, kann man die Wahrheit mit einem maximo, und die Wahrscheinlichkeit mit der veränderlichen Größe vergleichen. Man nehme aber dieses maximum ja für kein infinitum, weil sonst der Grad der Wahrscheinlichkeit = 0 sein müßte. Aus den Exempeln wird dieses deutlicher erhellen. a Erste Auflage: in einer Gesellschaft von vier. In der zweiten Auflage wie hier geändert b Erste Auflage ohne Komma. In der zweiten Auflage wie hier geändert. c Erste Auflage ohne Komma. In der zweiten Auflage wie
hier geändert.
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¦ 7 –8
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
7
Auf diesen sehr leichtena Schlüssen beruhet der bekannte Grundsatz der Mathematiker, den sie bei allen Ausrechnungen der Wahrscheinlichkeit zum Grunde legen. Dieser ist, Wie sich die Anzahl der Fälle, in welchen ein gewisser Erfolg erhalten wird, zu der Anzahlb aller möglichen Fälle verhält; so verhält sich die Wahrscheinlichkeit dieses Erfolgs zur Gewißheit. Wenn man also frägt, wie groß ist die Hoffnung eines Spielers, der den Einsatz a gewinnen soll, wenn er mit einem Würfel mehr als vier Augen wirft; so ist die Antwort = ⅔. Denn 6 verschiedene Würfe sind auf einem Würfel möglich, und in zweien, nämlich wenn 5 oder 6 Augen fallen, wird gewonnen; daher die Hoffnung zur Gewißheit = 2 : 6 oder = ⅓. Die Hoffnung des Gegenspielers ist aus eben diesem Grunde = ⅔. Daher auch der Einsatz nach diesem Verhältnisse einzurichten ist. In Act. Erudit.15 1709. p. 463. glaubet jemand in diesem Schlusse eine logische Unrichtigkeit zu be¦merken. Die Mathematiker, heißt es, setzen zum voraus, daß alle 6 Würfe gleich möglich sein sollen, welches aber in der Natur niemals ist; denn da ist allezeit ein einziger Erfolg mit Gewißheit bestimmt, und alle übrige sind wenigstens hypothetisch unmöglich, und Wolff selbst in seiner lateinischen Logik (§ 578 Not.)16 scheinet diesen Einwurf wider die Voraussetzung | der Mathematiker gültig machen zu wollen, oder wenigstens die Schwierigkeit nicht genug zu heben. Ich begreife nicht, wie diese hypothetische Bestimmung in der Natur, mit dem angeführten Grundsatz der Mathematiker streiten sollte; ja ich getraue mir zu behaupten, daß eben diese hypothetische Unmöglichkeit aller übrigen Würfe, der Grund sei, darauf die Berechnung des wahrscheinlichen Falles ruhe. Die Frage war: »Wie groß ist die Hoffnung desjenigen, der den Einsatz gewinnen soll, wenn er mehr als 4 Augen wirft?« Das heißt wie viel Wahrheitsgründe fehlen uns zur Gewißheit, daß jemand mit einem Würfel 5 oder 6 Augen treffen wird? a Erste Auflage: diese sehr leichte. In der zweiten Auflage wie hier geändert. b JubA: Zahl.
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¦ 8–9
8
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
Sollen wir dieses mit Gewißheit behaupten können; so müssen wir überzeugt sein, es sei hypothetisch unmöglich, daß Titius jetzt mit einem Würfel 1, 2, 3, oder 4 Augen werfen werde. Diese vier Wahrheitsgründe fehlen uns, und sie sind die Hoffnung des Gegenspielers Sempronius. Eben diesem Sempronius fehlet zur Gewißheit, daß er gewinnen werde, die Überzeugung, es sei hypothetisch unmöglich, daß Titius mit einem Würfel 5 oder 6 Augen werfen werde. Diese zwei Wahrheitsgründe fehlen ¦ ihm, und sie sind die Hoffnung des Titius; folglich die Hoffnung des Titius zu der Hoffnung des Sempronius = 2 : 4 oder 1 : 2. Daher die Hoffnung des Titius = ⅓ und des Sempronius = ⅔. In allen Exempeln, von welchen wir bisher geredet, war nur eine einfache Wahrscheinlichkeit zu berechnen. Denn unser Urteil gründete sich auf folgenden allgemeinen Vernunftschluß: Die Wahrscheinlichkeit eines gegebenen Erfolgs stehet in eben dem Verhältnisse zur Gewißheit, wie die Anzahl der gegebenen Wahrheitsgründe, zu allen zusammen genommen. Nun sind in diesem vorkommenden Falle die Anzahl aller Wahrheitsgründe = a, der gegebenen = b. Daher die Wahrscheinlichkeit = b : a. Der Untersatz war in unsern angeführten Exempeln mathematisch gewiß. Denn sowohl a als b konnte richtig bestimmt werden. Allein der Obersatz faßt eine Wahrscheinlichkeit in sich; daher auch im Schlußsatze nur eine einfache Wahrscheinlichkeit anzutreffen sein muß. Wenn aber der Untersatz selbst, oder das Verhältnis der Fälle in welchen gewonnen wird, zu allen möglichen, unbekannt und durch eine wahrscheinliche Berechnung erst zu finden wäre; so würde der | Schlußsatz eine zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit erlangen. Ein Beispiel hiervon gibt s’Gravesande,17 in seiner Einleitung in die Weltweisheit: »Wir wollen setzen, sagt er, es greife jemand in einen Topf, in welchem sich schwarze und weiße ¦ Kugeln befinden, und wir sollen sagen, wie wahrscheinlich es sei, daß die erste, die er heraus ziehet, schwarz, oder daß sie weiß sein wird. Die Wahrscheinlichkeit verhält sich zur Gewißheit, wie die
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¦ 9 – 11
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
9
Zahl der schwarzen Kugeln, zu der ganzen Zahl derselben; allein diese Zahlen sind uns beide unbekannt. Wir können aber, ohne uns um die Zahlen selbst zu bekümmern, das Verhältnis der einen gegen die andere, welche wir suchen, entdecken, wenn vorher öfters eine oder etliche von diesen Kugeln herausgenommen worden sind. Denn die Anzahl aller Kugeln, welche dergestalt aus dem Topfe genommen worden sind, verhält sich zu der Zahl der schwarzen, die sich unter derselben befanden, wie die Gewißheit zu der gesuchten Wahrscheinlichkeit. In der Tat, setzet s’Gravesande hinzu, ist diese Art die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, einigen kleinen Fehlern unterworfen. Wenn aber die Anzahl der Kugeln, die aus dem Topfe gezogen worden, etwas groß ist; so sind die Fehler in der Anwendung in keine Betrachtung zu ziehen.« So weit der angeführte Schriftsteller. Die Richtigkeit dieses Verfahrens läßt sich aus folgenden Gründen dartun. So wie es wahrscheinlich ist, daß sich dasjenige zutragen wird, wozu die wenigsten Wahrheitsgründe fehlen, eben so wahrscheinlich ist es, daß sich dasjenige zugetragen hat, wozu uns die meisten Wahrheitsgründe gegeben sind. Wenn man also eine gewisse Anzahl Kugeln herausgezogen hat; so ist es wahrscheinlich, daß sich die Anzahl der schwarzen, die ¦ sich darunter befinden, zu der Anzahl der weißen verhalte, wie die Wahrscheinlichkeit, daß sie alle schwarz, zu der Wahrscheinlichkeit, daß sie alle weiß sein werden, oder, wie aus beigefügter Rechnung zu sehen ist,* wie die Anzahl aller schwarzen, | die in dem Topfe sind, zu der Anzahl allera weißen, die sich darin befinden. Je größer die Zahl * Herausgenommene schwarze Kugeln = a weiße = b schwarze im Topfe = y weiße im Topfe = x Wahrscheinlichkeit, daß a + b lauter weiße Kugeln sein werden = ax + bx. Daß a + b lauter schwarze sein werden = ay + by. Daher a : b = ay + by; ax + bx und a : b = y : x. a JubA: alles.
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
der herausgenommenen Kugeln ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß das angegebene Verhältnis richtig sei. Denn je mehr Kugeln heraus genommen sind; desto öfter muß der Erfolg wider die Wahrscheinlichkeit gewesen sein, wenn die Abweichung in dem Verhältnisse einen merklichen Unterschied ausmachen sollte. Wir können also folgenden Vernunftschluß machen: Wie die Anzahl der schwarzen Kugeln im Topfe, zu der Anzahl aller Kugeln darin; so die Wahrscheinlichkeit, daß jetzt eine schwarze heraus kommen wird zur Gewißheit.* Nun verhält sich wahrscheinlicherweise die Zahl der schwarzen im Topfe, zu allen zusammen genommen, wie die Zahl der herausgenommenen schwarzen, zu der Anzahl aller Kugeln, die herausgekommen sind**, daher die Wahrscheinlichkeit, ¦ daß jetzt eine schwarze Kugel herauskommen werde, zur Gewißheit, wie die Zahl der herausgekommenen schwarzen Kugeln zu der Zahl aller Kugeln, die herausgenommen worden.a Wodurch also der Satz des s’Gravesande bestätigt wird. Da aber in diesem Schlusse beide Vordersätze keine völlige Gewißheit haben, und sich nur auf eine Wahrscheinlichkeit stützen; so ist klar, daß in dem Schlußsatze eine gedoppelte Wahrscheinlichkeit liegen muß. s’Gravesande, der von den zusammengesetzten Wahrscheinlichkeiten18 besonders handelt, hätte diese Art füglich mit darunter rechnen können. Weil aber die Wahrscheinlichkeit des Untersatzes sehr schwer zu berechnen ist; so hat er lieber auf die Fehler in der Anwendung nicht sehen wollen, die nicht anders als sehr klein sein können, wenn die Zahl der herausgenommenen Kugeln etwas groß ist. Diese Art von Wahrscheinlichkeit, da wir das Verhältnis der Fälle selbst, erst durch einen wahrscheinlichen Schluß suchen * = x + y : y. ** x + y : y = a + b : a. a Erste Auflage: Zahl aller herausgenommenen Kugeln, zu der Zahl der
schwarzen, die sich darunter befinden. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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¦ 12 – 13
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
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müssen, nennet Rüdiger (de sensu veri et falsi)19 die medizinische Wahrscheinlichkeit, weil man in der Heilungskunst aus dem Verhältnisse derer, die an einer gegebenen Krankheit gestorben, oder durch ein gewisses Arzeneimittel genesen sind, zu der Zahl derjenigen bei welchen dieses nicht erfolgt ist, auf die Wahrschein | lichkeit in einzelnen vorkommenden Fällen schließt, wiewohl man sich hier eigentlich auf die wahrscheinliche Verknüpfung zwischen Wirkung und Ursache stützen muß, von welcher ich bald ein mehreres sagen werde. ¦ Aus gewissen Beobachtungen, die zu London und Paris einige Jahrhunderte hindurch angestellet worden, hat man die Anzahl festgesetzt, wieviel von 100 Kindern in den ersten 6 Jahren, von 6 bis 16, von 16 bis 26 u. s. w. zu sterben pflegen. Wenn nun in einem vorkommenden Falle zu berechnen ist, wie wahrscheinlich es sei, daß Mävius der von einem gegebenen Alter ist, und eine gewisse Zeit abwesend gewesen, noch jetzt beim Leben sei; so lehret Bernoulli*20, wie dieses durch eine leichte Anwendung obiger allgemeiner Regel zu berechnen ist. Öfters ist die Wahrscheinlichkeit auch der Weg, dadurch man zur untrüglichen Gewißheit gelangt. Wenn wir alle Wahrheitsgründe, die in einem Subjekt liegen, nicht auf einmal übersehen können; so nimmt man vorerst einige von diesen Wahrheitsgründen an, um zu sehen, was aus ihnen erfolgen würde, wenn sie allein das Wesen des Subjekts wirklich erschöpfeten. Den Erfolg, den man solchergestalt herausgebracht, nennet man eine Hypothese. Alsdenn untersuchet man, ob auch alle übrige Wahrheitsgründe mit dieser angenommenen Hypothese übereinstimmen. Ist dieses; so gelanget der Satz, der anfangs nur eine Wahrscheinlichkeit gehabt, zu einer völligen Gewißheit. Man wird außer der Algebra selten Exempel finden, daß die Wahrheit anders als vermittelst der Hypothesen gefunden worden sei. Ich nehme das Principium reductionis21 aus, als durch welches man öfters ohne alle wahrscheinliche Voraus¦setzung gewisse * Specim. artis conjectandi ad quaestiones juris adplicatae. v. Act. Erudit. T. IV. Suppl. p. 159.
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¦ 13 – 15
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
Wahrheiten gleichsam mit der Demonstration zugleich erfinden kann. Alle unsere Urteile, die sich auf die Erfahrung, auf die Analogie und auf die Induktion stützen, sind von dem sinnreichen Skeptiker David Hume in seinen Philosophischen Versuchen angefochten worden. Die deutsche Übersetzung dieses Werks22 ist in aller Händen, und wir wollen aus dem 4ten Versuche, den er Skeptische Zweifel in Ansehung der Wirkung des | Verstandes betitelt, die vornehmsten Einwürfe anführen, die noch am meisten den Anschein haben, als wenn sie die physische Gewißheit aufheben könnten. »Wo wir gleiche in die Sinne fallende Eigenschaften sehen, sagt Hume, da erwarten wir auch gleiche geheime Kräfte, und machen unsere Rechnung auf gleiche Wirkung. Wenn ein Körper von gleicher Farbe und Beschaffenheit mit dem Brote, welches wir vorhin gegessen haben, uns angeboten wird, da tragen wir kein Bedenken den Versuch zu wiederholen, und erwarten gleiche Nahrung und Stärkung mit Gewißheit. Nun ist dieses ein Verfahren der Seele, davon ich gern den Grund einsehen möchte. Man gestehet durchgehends, daß keine Verknüpfung zwischen den sinnlichen Eigenschaften und den geheimen Kräften bekannt sei. Unsere Vernunft kann also den Schluß à priori nicht gemacht haben. Und was die Erfahrung betrifft; so begreife ich eben nicht, wie sie auf künftige Zeiten und andere Gegenstände ausgedehnt werden könnte, von welchen wir noch keine Erfahrung haben.« (Man siehet leicht, daß hier auf den be¦kannten logischen Satz gezielt wird, daß wir niemals etwas Allgemeines wahr nehmen können, sondern alle unsere Erfahrungen sind von einzelnen Dingen, die sowohl der Zeit als dem Raume und anderer Nebenumstände nach bestimmt sind.) Hume fähret fort; »Die Summe und der Inbegriff aller unserer Experimentalschlüsse ist dieses: Von Ursachen, die gleichartig scheinen, erwarten wir gleichartige Wirkungen.a Wenn dieser Schluß durch a Das Fragezeichen in der ersten Auflage wird in der zweiten Auflage
durch einen Punkt ersetzt.
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¦ 15 – 16
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
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die Vernunft gemacht würde, warum ist er nicht gleich im Anfange und auf ein einziges Beispiel eben so vollkommen, als nach einer noch so langen Erfahrung? – – Worin ist das Verfahren unsrer Vernunft, wenn sie aus einem einzigen Beispiele einen Schluß ziehet, so unterschieden, von demjenigen, wenn sie eben denselben Schluß aus hundert Beispielen folgert, welche von diesem einzigen Exempel keinesweges unterschieden sind.« In den vortrefflichen Anmerkungen, die ein Weltweiser der deutschen Übersetzung beigefügt hat, wird diesen blendenden Einwürfen zwar gründlich genug begegnet;23 allein wir wollen uns bemühen aus den oben festgesetzten Gründen der Wahrscheinlichkeit, die Schlüsse aus der Analogie, Erfahrung u. s. w. etwas deutlicher zu machen. s’Gravesande24 beweiset in seiner Einleitung in die Weltweisheit die Zuverlässigkeit dieser Schlüsse aus dem Willen Gottes, weil das | allervollkommenste Wesen beständig nach allgemeinen Gesetzen handeln müsse. Allein ich trage Bedenken den Grund unserer Experimentalschlüsse auf den Willen Gottes zu bauen.a Man läßt den Atheisten allzuviel Ausflüchte, wenn man ihnen gleichsam aufdringt, ¦ daß sie alle Schlüsse leugnen könnten, welche auf der Analogie beruhen. Soll man auf alle die Beweise für die Existenz Gottes Verzichtb tun müssen, in welchen nur ein einziger Vordersatz aus der Analogie hergeleitet wird? Wir wollen versuchen, ob wir den Knoten nicht auf eine einfachere Art auflösen können. Wenn wir ein einziges mal erfahren, daß zwei Begebenheiten A und B sich zu gleicher Zeit zutragen, oder unmittelbar auf einander folgen; so muß entweder die Begebenheit B in der Begebenheit A gegründet sein, oder A und B sind einer dritten nahen oder entfernten Ursache C untergeordnet, oder endlich A und B sind Wirkungen ganz verschiedener Ursachen, deren Existenz gar nicht von einander abhängt.
a Das Fragezeichen in der ersten Auflage wird in der zweiten Auflage durch einen Punkt ersetzt. b Erste Auflage: Gottes den Verzicht. In der
zweiten Auflage wie hier geändert.
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¦ 16 – 17
14
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
In den ersten beiden Fällen kann ein Grund angegeben werden, warum A und B sich zu gleicher Zeit, oder unmittelbar auf einander zutragen: in dem dritten Falle hingegen, ist es in den wesentlichen Eigenschaften von A und B gar nicht gegründet, daß sie sich zu einerlei Zeit zusammen fügen sollen, und es ist als ein bloßer Zufall anzusehen, daß die beiden Ursachen, welche die Begebenheiten A und B hervorbringen, zu einerlei Zeit zusammen gestoßen sind. Je öfter man hingegen eben dieselben Begebenheiten zu gleicher Zeit wiederkommen siehet, desto unwahrscheinlicher wird der angenommene dritte Fall, daß nämlich diese beiden Begebenheiten gar nicht in einander gegründet sein sollten. Denn die Wahrscheinlichkeit, daß sich A und B durch einen bloßen Glücksfall zusammen fügen werden, verhält sich zur Gewißheita wie ¦ 1 zu der Zahl der beobachteten Fälle + 1.* Je mehr malen man also die Beobachtungen wiederholet hat, desto wahrscheinlicher wird es, daß es kein Zufall gewesen; sondern daß diese beiden Begebenheiten entweder in einander gegründet oder einer dritten gemeinschaftlichen Ursache unter geordnet sind. In beiden | Fällen kann man also mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß sich A nie ohne B und wiederum B nie ohne A zutragen werde. Wir wollen ein Exempel geben. Gesetzt es empfände jemand einen Schwindel so oft er Kaffee trinket; so wird er mit Wahrscheinlichkeit vermuten, dieses Getränke sei die Ursache des empfundenen Schwindels gewesen. Jedoch zum ersten male, da ihm dieses widerfahren ist, wird er nichts weniger als diesen wahrscheinlichen Schluß machen können. Es hätte eben sowohl
* In der ersten Beobachtung war die Wahrscheinlichkeit = ½ in der zweiten in der 3ten in der nten
= ⅓ = ¼ = 1/n + 1
a In der ersten Auflage fehlt: zur Gewißheit. In der zweiten Auflage wie
hier geändert.
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¦ 17 – 18
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
15
eine ganz verschiedene Ursache sein können, daraus dieser Schwindel entstanden, die durch einen bloßen Zufall ihre Wirkung alsdenn geäußert, da er eben den Kaffee trank. Je öfter er es aber versucht, desto wahrscheinlicher wird die Vermutung, daß es kein bloßer Zufall gewesen, und der Grad der Wahrscheinlichkeit ist zur Gewißheit = n : n + 1 (wenn man durch n die Anzahl der angestellten Beobachtungen andeutet) und mit diesem Grade der Wahrscheinlichkeit befürchtet er niemals den Kaffee trinken zu können, ohne den Schwin¦del zu bekommen. Wir wollen die Anwendung hievon auf die bekanntesten Experimentalschlüsse machen. So oft wir Licht anzünden gesehen; so oft sind die Gegenstände um uns sichtbar geworden. Hätte es sich nur zufälligerweise zugetragen, daß die Körper sichtbar geworden, ohne daß diese Erscheinung irgend mittelbar oder unmittelbar mit dem Anzünden des Lichts verknüpft gewesen wäre; so wäre die Begegnung dieser beiden Erscheinungen als ein bloßer Glücksfall zu berechnen, dessen Wahrscheinlichkeit sich zur Gewißheit verhielte, wie 1 zu der Menge der beobachteten Fälle + 1; folglich die Wahrscheinlichkeit des Gegenteils, wenn die Menge der beobachteten Fälle = n, zur Gewißheit = n : n + 1. Man hat gesehen, so oft einem Körper nicht widerstanden worden ist, so ist er nieder gesunken, und man schloß mit einer Wahrscheinlichkeit, die sich zur Gewißheit verhält, wie n : n + 1, daß die Schwere allen Körpern gemein sei. Ob aber die Schwere unmittelbar in dem Wesen des Körpers gegründet ist, oder ob es eine Materie gibt, die die Körper schwer macht, kann durch die Erfahrung nicht ausgemacht werden, und die Meinungen der Weltweisen sind auch hierüber noch geteilt. Ein gleiches Bewandtnis hat es mit dem Beispiele, das David Hume anführet. Die sinnlichen Eigenschaften des Brotes sind entweder mit seinen Nahrungskräften unmittelbar verknüpft, oder sie | sind beide in dem innern Wesen des Brots, als in einer gemeinschaftlichen Ursache gegründet, oder endlich war es ein bloßer Zufall, daß sich diese äußere Beschaffenheiten mit diesen Nahrungskräften zusammen ge¦troffen haben. Die Wahrscheinlichkeit des letzten Falls verhält sich zur Gewißheit, wie 1 : n + 1;
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¦ 18 – 20
16
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
daher die Wahrscheinlichkeit des entgegen gesetzten Falles, zur Gewißheit = n : n +1. Je öfter wir also die Erfahrung angestellet, desto näher kömmt unsere Erwartung zur Gewißheit, und wenn n unendlich wäre; so wären wir vollkommen überzeugt. Unsere Experimentalschlüsse haben also einen sichern Grund darauf sie sich stützen. Wir kommen durch öfters wiederholte Erfahrungen, und durch das glaubwürdige Zeugnis anderer, die eben diese Erfahrungen angestellt haben, der mathematischen Evidenz immer näher, ob es gleich ausgemacht ist, daß wir sie selbst, niemals vermittelst der Erfahrung erreichen können. Man hat gesehen, daß unendlich wiederholte Erfahrungen nur beweisen können, daß zwei Begebenheiten nicht zufälliger weise zu gleicher Zeit eingetroffen sind. Hingegen bleibet es immer noch zweifelhaft, ob diese beiden Begebenheiten in einander gegründet, oder ob sie einer dritten nahen oder entfernten Ursache untergeordnet sind. Daher kann niemals durch die Erfahrung ausgemacht werden, welches von denen drei Systemen, dadurch die Wirkung einer Substanz in die andere erklärt werden kann, der Wahrheit gemäß sei; nämlich 1. Ob die Veränderung in der Substanz B zureichend und unmittelbar in einer andern endlichen Substanz A gegründet sei, welches die allgemeinen Influxisten behaupten; (Systema influxus physici universalis.) ¦ 2. Ob die Veränderung der Substanz B sowohl als die Veränderung in der Substanz A, unmittelbar dem höchsten Wesen untergeordnet sei? Dieses nehmen die Cartesianer mit den allgemeinen Occasionalisten an. (Systema causarum occasionalium universalium.) Oder endlich, ob sie durch zwei harmonierende Reihen von Veränderungen dem höchsten Wesen mittelbar untergeordnet sind, welches Baumgarten das System der allgemeinen Harmoniea nennet. (Systema harmoniae praestabilitae universalis.)25 |
a Erste Auflage: Harmonisten. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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¦ 20 – 21
Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
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Aus eben diesen Grundsätzen folgt eine andere Wahrheit. Wenn viele Erscheinungen a, b, c, u. s. w. sowohl aus einer einzigen Ursache d, als aus vielen besondern Ursachen e, f, g, u. s. w. erklärt werden können; so ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie alle nicht mehr als eine einzige Ursache haben, zur Gewißheit, wie die Menge der Erscheinungen, zu eben der Menge der Erscheinungena + 1. Dasb heißt = n : n + 1. Denn da diese Erscheinungen a, b, c, u. s. w. dergestalt übereinstimmen, daß sie alle aus einer einzigen Ursache d erkläret werden können; so wäre diese Übereinstimmung als ein bloßer Zufall anzusehen; wenn eine jede Erscheinung wirklich ihre besondere Ursache haben sollte. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zufalls ist = 1/n + 1; daher die Wahrscheinlichkeit des entgegengesetzten Falles = n/n + 1. Exempel hiervon kommen in dem gemeinen Leben so häufig vor, daß wir uns, der Kürze halber, mit einigen sehr bekannten begnügen müssen. ¦ In einer gewissen Sammlung medizinischer Beobachtungen, wird erzählt, daß einst eine ganze Familie des Nachts von Schlaflosigkeit, Ermattung, Blödigkeit des Gesichts und einer Art von Wahnwitz überfallen worden. Der Medicus fiel auf die Vermutung, daß in dem Salat, von welchem sie alle den Abend vorher gegessen hatten, ein schädliches Kraut gewesen sein müsse, und er fand, daß er sich nicht betrogen hatte. Es war hier nicht unmöglich, daß bei einer jeden Person von dieser Familie eine besondere Begebenheit die Ursache von ihrer Krankheit gewesen sei. Da sich aber diese viele Erscheinungen auch aus einer einzigen Ursache erklären ließen; so vermutete der Medicus mit Recht das letztere, und die Wahrscheinlichkeit seiner Vermutung verhielt sich zur Gewißheit, wie die Anzahl der erkrankten Personen, zu eben der Anzahl + 1, wie n : n + 1. Das kopernikanische Weltgebäude wird jetzt durchgehends für wahrscheinlicher erkannt, als das alte ptolemäische, ob es a In der ersten Auflage fehlt: zu eben der Menge der Erscheinungen. In der zweiten Auflage wie hier geändert. b Erste Auflage: das.
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
gleich auch den Alten nicht an Exzentrizitäten, und Epizyklen26 gefehlt haben dürfte, alle nachher beobachtete Erscheinungen zu erklären. Allein nach dem neuern Weltgebäude erklärt man alles durch einfache Voraussetzungen, und folglich aus wenigen Ursachen; da die Alten für eine jede besondere Erscheinung auf eine neue Hypothese bedacht sein mußten. Man kann also gewisser maßen den Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmen, den das neue Weltgebäude vor dema alten voraus hat. | Wenn es dem moralischen Charakter eines Menschen nicht widerspricht, daß wir verschiedenen ¦ Handlungen, die er vornimmt, eine einzige, oder auch viele besondere Absichten zuschreiben können; so ist immer jenes das Wahrscheinlichste, und der Grad der Wahrscheinlichkeit verhält sich zur Gewißheit, wie die Menge der Handlungen, die sich aus einer Absicht bestimmen lassen, zu eben der Menge + 1. Dieses ist der Grund nach welchem wir im gemeinen Leben die Absichten unsres Nächsten beurteilen. Da sich nun solchergestalt alle moralische und physische Gewißheiten unabhängig von den Eigenschaften Gottes erörtern lassen; so können sie selbst von dem Atheisten nicht verworfen werden, und er muß die Gründe annehmen, die daraus gefolgert werden, die Existenz Gottes zu beweisen. Wir haben bisher immer von einer wahrscheinlichen Erkenntnis geredet, die nur in Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes statt findet. In der Sache selbst haben wir mit Bernoulli, s’Gravesande und Wolff 27 eine determinierte Wahrheit voraus gesetzt. Ein unendlicher Verstand also, dem keine Wahrheitsgründe verborgen sein können, wird von allen möglichen Dingen eine gewisse Erkenntnis haben, und in Ansehung seiner, findet keine Wahrscheinlichkeit statt. Es ist aber nicht zu leugnen, daß es nach der Meinung einiger Weltweisen auch Fälle geben müsse, in welchen man dem allervollkommensten Wesen selbst nichts als eine wahrscheinliche Erkenntnis zuschreiben könnte, ohne ihm von seinen Vollkoma Erste Auflage: den. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
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menheiten etwas zu entziehen. Wenn es nämlich eine Art von Wahrheit gäbe, deren Natur und wesentliche Bestimmungen keine völlige Gewißheit zulassen, dergestalt, daß ¦ eine vollkommene Gewißheit in Ansehung ihrer einen Widerspruch enthielte; so würde man dem höchsten Wesen, diese schlechterdinges unmögliche Kenntnis, seiner Allwissenheit unbeschadet, absprechen können, so wie man ihm seiner Allmacht unbeschadet, die Gewalt unmögliche Dinge möglich zu machen abspricht. Diejenige Weltweisen, die nirgend anders eine vollkommene Freiheit zu finden glauben, als in einer völlig unbestimmten Wahl, in einem aequilibrio indifferentiae28, behaupten, daß die freie Handlungen ohne die Natur der Freiheit aufzuheben, nicht vorher bestimmt werden können. Daher sie auch kein Bedenken tragen müssen, dem Allerhöchsten die untrügliche Präscienz in Ansehung unsrer freien Handlungen, und alles dessen, was von ihnen abhängt, abzusprechen. | Indessen leugnen diese Weltweisen doch nicht, daß die Bewegungsgründe einen Einfluß in unsern Willen haben. Denn sie müßten sich wider ihre eigene Erfahrung auflehnen, wenn sie dieses in Zweifel ziehen wollten. Nur dringen sie darauf, man soll den Bewegungsgründen keine völlige Determination unsrer freien Handlungen zuschreiben, weil sie sonst unsere Freiheit aufheben würden. Man kann also nach der Meinung dieser Weltweisen, sagen, die Bewegungsgründe enthalten zwar einigen Grund, aber nicht einen zureichenden Grund, warum sich unser Wille vielmehr so als anders bestimme. Es ist jetzt die Gelegenheit nicht alle Gründe, die man von je her für und wider diese Meinung vorgebracht, zu prüfen, und ich will mich für dieses mal mit einer einzigen Anmerkung begnügen, ¦ darauf mich die obige Gedanken von der Wahrscheinlichkeit gebracht haben. Wenn diese Weltweisen die Präscienz solcher Dinge, die von der Freiheit abhangen, für schlechterdinges unmöglich halten; so kann dem Allerhöchsten in Ansehung unsrer zukünftigen Handlungen nicht einmal eine wahrscheinliche Erkenntnis zukommen.
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¦ 23 – 25
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
Denn hätte Gott eine wahrscheinliche Präscienz in Ansehung unsrer freien Handlungen; so müßte der Grad dieser Wahrscheinlichkeit bestimmt sein, weil eine Quantität ohne einen bestimmten Grad nirgend vorhanden sein kann, wenn sie, wie in unserm Falle, endlich sein soll. Soll nun der Grad der göttlichen Wahrscheinlichkeit bestimmt sein; so muß das Verhältnis dera ihm bekannten Wahrheitsgründe zur Gewißheit gegeben sein, weil, wie wir oben gesehen, der Grad der Wahrscheinlichkeit aus diesem Verhältnisse zu schätzen ist. Nun reichen die Bewegungsgründe, und die Umstände, darin sich das freie Wesen befindet, nach der Meinung dieser Weltweisen nicht zu, eine Gewißheit auszumachen, welche Wahl das freie Wesen treffen werde. Aus dem Verhältnisse der positiven Bewegungsgründe zu den positiven und negativen zusammen genommen, kann also der Grad der Wahrscheinlichkeit nicht bestimmt werden. Hingegen sollen diese Bewegungsgründe doch einigen Grund enthalten, warum sich das freie Wesen vielmehr so als anders bestimmen wird. Je mehr positive oder je mehr negative Bewegungsgründe also auf unsern Willen wirken werden, desto größer ist ¦ die Wahrscheinlichkeit, daß wir etwas tun oder lassen werden. Wenn es demnach möglich wäre, | daß unendlich viele Bewegungsgründe zum Besten einer Handlung auf unsern Willen wirken könnten; so würden sie einen unendlich großen Grad der Wahrscheinlichkeit oder eine Gewißheit ausmachen, weil nach der Meinung dieser Weltweisen, das Maximum in Ansehung unsrer freien Handlungen nirgend anders als in dem Infinito zu suchen ist. Da nun in einem jeden besondern Falle nur eine endliche Zahl von Bewegungsgründen auf uns wirket;b so verhält sich die Wahrscheinlichkeit der göttlichen Präscienz in einem jeden besondern Falle, zur Gewißheit, wie die endliche Macht der Bewegungsgründe, die unsere Wahl veranlassen, zu
a Erste Auflage: derer. In der dritten Auflage wie hier geändert. b Erste Auflage: wirken. In der dritten Auflage wie hier geändert.
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Gedanken von der Wahrscheinlichkeit
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einer unendlichen Zahl derselben, oder der Grad der göttlichen Präscienz = 0. Es ist also klar, daß man entweder Gott sogar die wahrscheinliche Präscienz in Ansehung unsrer freien Handlungen absprechen, oder den freien Handlungen eine determinierte Wahrheit zuschreiben muß, dadurch sie vorher gewußt werden können. Da nun vermöge eben dieser Schlüsse erhellet, daß gar keine moralische Wahrscheinlichkeit vorhanden sein könnte, wenn unser Wille nicht zureichend durch die Bewegungsgründe determinieret werden sollte, weil sich der Grad der Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit verhalten würde, wie eine endliche, zu einer unendlichen Größe, so gebe ich denen Weltweisen, die der gleichgültigen Freiheit zugetan sind, zu bedenken, ob sie auch diese Folge annehmen können, ohne gewissermaßen der Erfahrung zu widersprechen?29
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| ¦ 2. ABHANDLUNG ÜBER DIE EVIDENZ IN METAPHYSISCHEN WISSENSCHAFTEN
Einleitung Man macht der Weltweisheit gemeiniglich den Vorwurf, daß in ihren Lehren niemals eine sonderliche Überzeugung zu hoffen wäre, weil in jedem Jahrhunderte neue Lehrgebäude empor kommen, schimmern und wieder vergehen.1 Die Gedichte, die Reden, die historischen und kritischen Schriften, die Bildsäulen und übrigen Kunststücke der Alten, werden noch in unsern Tagen als Meisterstücke bewundert, und zum Teil noch mit größerm Nutzen studieret, als die Natur selbst. Allein die philosophischen Schriften der vorigen Zeiten, sind in unsern Tagen fast unbrauchbar gewor¦den. Ihre berühmtesten Lehrgebäude enthalten zwar noch einige Materialien, die mit Nutzen angewendet werden können, allein wie man glaubt, lohnen sie die Mühe nicht, daß man ihrenthalben das zerfallene Gemäure durchsucht, und den Schutt aufgräbt, mit welchem sie bedeckt sind. Man schließet hieraus, daß die Empfindung der Schönheit und Ordnung oder der Geschmack, weit beständiger und zuverlässiger sei, als die Vernunft oder die Überzeugung von philosophischen Wahrheiten. Denn hat sich der Geschmack seit dem Homer noch so erhalten, da unterdessen die Vernunft mit jedem Menschenalter ihre Gestalt verändert; so muß jener sicherer und weniger dem Zweifel unterworfen sein, als diese. Allein die Unbeständigkeit der philosophischen Lehrgebäude scheinet von einer Ursache herzurühren, die der Weltweisheit eines Teils zum Vorteil gereichet. Daß wir so schwache Gründe, so wenig Bündiges und Zusammenhangendes in den Systemen der Alten finden, kömmt daher, weil die Vernunft seit der Zeit merkliche Progressen gemacht, weil wir durch die Bemühungen der Weltweisen, der Wahrheit näher gekommen sind, die ersten
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Grundsätze der Natur besser einsehen, und deutlicher auseinandersetzen gelernet haben. Die Naturlehre der Alten ist heutiges Tages noch weit unbrauchbarer, als ihre Metaphysik, denn die Erkenntnis der Natur hat seit der | Zeit einen weit merklichern Fortschritt gehabt, als die Metaphysik. Überhaupt, je höher eine Kunst oder Wis¦senschaft getrieben wird, desto weiter entfernet man sich von den ersten schwachen Versuchen, die zu den Zeiten des Erfinders vielleicht mehr Genie erfordert haben, als die spätern Meisterstücke. Man wird mit dem Gegenstande immer vertrauter, die Begriffe klären sich auf, man erlanget tiefere Einsicht mit weniger Mühe, man siehet mit ganz andern Augen. Hingegen ist man in den schönen Wissenschaften und Künsten noch immer da, wo man zu den Zeiten der alten Griechen gewesen, und vielleicht hat man seitdem noch einige Schritte zurück getan. Eine glückliche Nachahmung der Alten ist die höchste Vollkommenheit, nach welcher unsere Virtuosen ringen, und die glücklichste Nachahmung ist doch allezeit dem Muster nachzusetzen. Nach dem Urteile der Kenner hat noch kein Heldendichter den Homer, kein Redner den Demosthenes und kein Bildhauer Phidias völlig erreicht. Da wir also keine bessere Originalwerke haben; was Wunder, daß wir die Werke der Alten noch immer mit denselben Augen ansehen, mit welchen sie von ihren Zeitgenossen betrachtet wurden? In den dunkelen Zeiten war Aristoteles den Weltweisen noch weit mehr, als Homer den Dichtern ist. Seine Aussprüche wurden so lange für untrüglich gehalten, bis daß Cartes und Leibniz kamen, und es ihm an Gründlichkeit und Deutlichkeit zuvor taten. Wenn die Neuern Heldengedichte hervorbringen werden, welche die Ilias so sehr an Schönheit übertreffen, als die Metaphysik des Cartes oder ¦ Leibniz die Aristotelische an Gründlichkeit und Deutlichkeit übertrifft: so wird die Ilias vielleicht so unbrauchbar scheinen, als die Philosophie des Aristoteles. Mit der Mathematik hingegen hat es eine ganz eigene Beschaffenheit. Ob man gleich in derselben größere Progressen gemacht, als in irgend einer Wissenschaft; so haben deswegen die Werke der Alten noch nicht ganz ihren Nutzen verloren. Diesen Vorzug
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Einleitung
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hat die Mathematik ihrer Untrüglichkeit zu verdanken. Ihre Evidenz ist so groß, daß man sich selten hat von der Wahrheit entfernen können. Man hat weniger gewußt, aber was man wußte, waren doch unleugbare Wahrheiten. Die Entdeckungen der neuern haben die Grenzen der Wissenschaft unendlich erweitert, allein den kleinen Bezirk, den sie vorgefunden, ließen sie unverändert. Seine innere Verfassung | war so gut, daß es unnötig war, die geringste Reform vorzunehmen. Man hat es in unserm Jahrhundert versucht, die Anfangsgründe der Metaphysik durch untrügliche Beweise auf einen eben so unveränderlichen Fuß zu setzen, als die Anfangsgründe der Mathematik,2 und man weiß, wie groß die Hoffnung war, die man Anfangs von dieser Bemühung schöpfte; allein der Erfolg hat gezeigt, wie schwer dieses ins Werk zu richten sei. Selbst diejenigen, welche die metaphysische Begriffe für überzeugend und unwiderlegbar halten, müssen doch endlich gestehen, daß man ihnen noch bisher die Evidenz der ¦ mathematischen Beweise nicht gegeben hat, sonst hätten sie unmöglich einen so vielfältigen Widerspruch finden können. Die Anfangsgründe der Mathematik überzeugen einen jeden, der Menschen-Verstand hat, und es nur nicht an aller Aufmerksamkeit fehlen läßt. Man weiß aber, daß viele scharfsinnige Köpfe3, die von ihren Fähigkeiten hinlängliche Proben abgelegt haben, gleichwohl die Anfangsgründe der Metaphysik verwerfen, und keiner andern Wissenschaft, als der Mathematik, die Möglichkeit einer völligen Überzeugung zutrauen. Diese Gedanken scheinen eine erlauchte Akademie zu der Aufgabe veranlasset zu haben; Ob die metaphysischen Wahrheiten überhaupt einer solchen Evidenz fähig sind, als die mathematischen u. s. w.4 Zur Evidenz einer Wahrheit gehöret, außer der Gewißheit, auch noch die Faßlichkeit5 oder die Eigenschaft, daß ein jeder, der den Beweis nur einmal begriffen, sogleich von der Wahrheit völlig überzeugt, und so beruhiget sein muß, daß er nicht die geringste Widersetzlichkeit bei sich verspüret, dieselbe anzunehmen. Die Anfangsgründe der Fluxional-Rechnung6 sind eben so unleugbar, als die geometrischen Wahrheiten, aber so einleuch-
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tend, so faßlich sind sie nicht, daher kann man ihnen die Evidenz der geometrischen Wahrheiten nicht zuschreiben. Man siehet hieraus, daß die Aufgabe der Akademie auch im Bejahungsfalle zwei besondere Abteilungen habe. Man hat nämlich zu zeigen, 1) ob die metaphysischen ¦ Wahrheiten so unumstößlich dargetan werden können, und wenn dieses bejahet wird, 2) ob die Beweise derselben einer solchen Faßlichkeit fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten? Wird aber die erste Frage verneinet; so hat man auszumachen, 1) von welcher Beschaffenheit eigentlich ihre Gewißheit ist. 2) Auf was für einen Grad man diese Gewißheit | bringen kann, und 3) ob dieser Grad zur völligen Überzeugung hinreichend ist? Ich getraue mich zu behaupten, daß die metaphysischen Wahrheiten zwar derselben Gewißheit, aber nicht derselben Faßlichkeit fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten. Das heißt: man kann die vornehmsten Wahrheiten der Metaphysik durch zusammenhangende Schlüsse bis auf solche Grundsätze zurückführen, die ihrer Natur nach eben so unleugbar sind, als die ersten Grund- und Heischesätze7 der Geometrie, aber man kann diese Kette von Schlüssen nicht so einleuchtend, nicht so faßlich machen, als die geometrischen Wahrheiten. Dieses zu beweisen, werde ich die Natur der mathematischen und metaphysischen Wahrheiten jede besonders untersuchen, und sie sodenn mit einander vergleichen.
| ¦ Erster Abschnitt Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Mathematik Die Mathematik gründet ihre Gewißheit auf das allgemeine Axioma, daß nichts zugleich sein und nicht sein könne.8 Man beweiset in dieser Wissenschaft einen jeden Satz, wie z. B. A ist B, auf zweierlei Art. Denn entweder man entwickelt die Begriffe von A, und zeiget, A sei B, oder man entwickelt die Begriffe von B, und folgert daraus, daß Nicht-B auch Nicht-A sein müsse. Beide
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Erster Abschnitt
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Arten zu beweisen gründen sich also auf den Satz des Widerspruchs, und da der Gegenstand der Mathematik überhaupt die Größe, der Geometrie aber insbesondere die Ausdehnung ist; so kann man sagen, daß in der Mathematik überhaupt unsere Begriffe von der Größe, in der Geometrie insbesondere aber unsere Begriffe von der Ausdehnung entwickelt und auseinander gesetzet werden. In der Tat, da die Geometrie nichts mehr zum Grunde legt, als den abgesonderten Begriff von der Ausdehnung, und aus dieser einzigen Quelle alle ihre Folgen herleitet, und zwar dergestalt herleitet, daß man deutlich erkennet, alles was in derselben behauptet wird, sei durch den Satz des Widerspruchs notwendig mit dem urbaren9 Begriffe der Ausdehnung verknüpft; so ist kein Zweifel, daß in dem Begriff von der Ausdehnung alle geometrische Wahrheiten eingewickelt anzutreffen sein müssen, die uns die Geometrie darin entwickeln lehret. Denn was können die tiefsinnigsten Schlüsse anders tun, als einen Begriff zergliedern,10 und dasjenige deutlich machen, was dunkel war? Was in dem Begriffe nicht anzutreffen ist, das können sie nicht hineinbringen, das läßt sich auch, wie leicht zu begreifen, durch den Satz des Widerspruchs nicht davon herleiten. In dem Begriffe der Ausdehnung liegt zum Beispiel die innere Möglichkeit, daß ein Raum von drei geraden Linien der | gestalt eingeschränkt werde, ¦ daß zwei derselben einen rechten Winkel einschließen, denn aus dem Wesen der Ausdehnung ist zu begreifen, daß sie vielerlei Einschränkungen fähig sei, und daß die angenommene Art der Einschränkung einer ihrer ebenen Flächen, keinen Widerspruch enthalte. Wenn man nun in der Folge zeiget, daß der Begriff von dieser angenommenen Einschränkung, oder von einem recht winklichten Dreiecke, notwendig mit sich bringt, daß dasa Quadrat der Hypotenuse u. s. w.; so muß auch diese Wahrheit ursprünglich und implizite in dem ersten Begriffe der Ausdehnung anzutreffen gewesen sein, sonst hätte sie durch den Satz des Widerspruchs nimmermehr können davon hergeleitet werden. Die Idee der Ausdehnung ist unzertrennlich von der Idee der Möga Erste Auflage und JubA: der. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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lichkeit einer solchen Einschränkung, wie vorhin ist angenommen worden, und die Einschränkung ist abermals notwendig mit dem Begriffe der Gleichheit bemeldeter11 Quadraten verknüpft; daher lag auch diese Wahrheit, wie eingewickelt, in dem ursprünglichen Begriffe von der Ausdehnung, allein sie entzog sich unserer Aufmerksamkeit und konnte nicht eher deutlich erkannt und unterschieden werden, bis wir durch die Zergliederung alle Teile dieses Begriffs entwickelt und auseinander gelegt haben. Die Analysis der Begriffe ist, für den Verstand nichts mehr, als was das Vergrößerungsglas für das Gesicht ist. Es bringet nichts hervor, das in dem Gegenstande nicht anzutreffen sein sollte; sondern es erweitert die Teile des Gegenstandes, und macht, daß unsere Sinne vieles unterscheiden können, das sie sonst nicht würden bemerkt haben. Nicht anders macht es die Analysis der Begriffe; sie macht die Teile und Glieder dieser Begriffe deutlich und kenntbar, die vorhin dunkel und unbemerkt waren, aber sie bringt in die Begriffe nichts herein, das vorhin nicht in denselben anzutreffen gewesen ist. Plato erzählet*,12 wie Sokrates einst von einem unwissenden Knaben, durch geschicktes Fragen, einen tiefsinnigen geometrischen Satz herausgelockt habe, und wenn man diese Unterredung liest; so muß man gestehen, daß der Versuch leicht zu wiederholen wäre, wenn der zu unterrichtende nur geduldig genug ist, uns zu folgen, und die vielfältigen Fragen, die wir tun müssen, mit einiger Aufmerksamkeit zu erwägen, bevor er be¦jahet, oder verneinet. Denn ein mehreres | hat er bei der ganzen Lektion nicht zu tun, als nach Beschaffenheit der Sache zu bejahen, oder zu verneinen, und gleichwohl läßt ihn Sokrates alles selbst erfinden. Er setzet nichts mehr bei ihm voraus, als den bloßen Begriff von Ausdehnung. Er entdeckt ihm keine Wörtererklärung, keinen Grund- oder Heischesatz;a sondern durch bloßes
* In MEN. a Erste Auflage und JubA: Heischsatz. In der zweiten Auflage wie hier ge-
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Erster Abschnitt
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Fragen macht er ihn bald auf dieses bald auf jenes Glied des zum Grunde gelegten Begriffs aufmerksam, und läßt ihn nach und nach den geometrischen Satz samt der Demonstration erfinden. Es ist kein Zweifel, daß er es durch wiederholte Versuche mit der ganzen Mathematik nicht eben also hätte machen können, und man siehet hieraus, daß unsere Begriffe bis auf den letzten Faden, so zu sagen, ablaufen, wenn ein Sokrates sich die Mühe nimmt sie abzuwickeln. – Plato erzählet diese Begebenheit, um daraus zu schließen, daß unser Lernen nichts als ein Erinnern sei, indem Sokrates dem Knaben ja nichts Neues beigebracht, und bloß durch Erregung seiner Aufmerksamkeit, oder wie es Plato nennet, Erinnerungskraft, ihn tiefsinnige Wahrheiten gelehret hat. Dieses heißt in der Sprache der neuen Weltweisen; durch das Lernen kommen keine neue Begriffe in die Seele, die vorhin nicht darin gewesen sein sollten. Denn die Schlüsse, und vornehmlich die mathematischen, sind nichts anders, als Zergliederungen der sinnlichen Eindrücke, oder der von denselben abgesonderten Begriffe, daher können sie das Dunkele deutlich machen, und das Eingewickelte aufwickeln, aber schlechterdings der Seele nichts Neues beibringen. So liegt z. B. in dem sinnlichen Eindrucke der Ausdehnung der ganze Inbegriff der geometrischen Wahrheiten, die durch Schlüsse nur mehr ans Licht gezogen werden. Nun ist es aber wider die Vernunft, dem sinnlichen Eindrucke, als einer körperlichen Bewegung, die die Seele wahrnimmt, einen so großen Schatz von tiefsinnigen Wahrheiten zuzuschreiben, und wenn man auch dieses objektive zugeben wollte; so ist doch nicht zu begreifen, wie diese unendliche Menge von Begriffen, der Seele auf einmal durch ein augenblickliches Anschauen eingetrichtert werden können. Diese Schwierigkeit zu heben, gerät Plato auf den seltsamen Einfall; unsere Seele habe alles, was sie in diesem Leben erfährt, in einem andern Zustande vorher gelernet und gewußt, und die sinnlichen Ein¦drückungen wären nur die Anlässe, oder die Gelegenheiten, bei welchen sich die Seele des Vergessenen wieder erinnert. Dieses | kömmt mit einer gewissen mystischen Lehre der orientalischen Weisen13 überein, welche gleichfalls behaupten, die Seele habe vor diesem
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Leben die ganze Welt begriffen, beim Eintritte in dasselbe aber alles wieder vergessen. So fremde diese Lehre in unsern Ohren klinget; so liegt in derselben doch einige Wahrheit. Die Neuern haben sie auch in der Tat beibehalten, und in ihr System gebracht, nur daß sie ihr das mystische genommen, das ihr ein so widersinniges Ansehen gibt. Sie sagen,14 da die Vorstellungskraft das Wesen und die innerliche Möglichkeit der Seele ausmachet; so ist eine Seele, die vorhanden ist, und schlechterdings keine Vorstellungen hat, ein offenbarer Widerspruch; denn eine Kraft kann so wenig ohne Wirkung sein, so wenig ein Dreieck vier Seiten haben kann. Die Seele ist also beim Eintritte in dieses Leben keinesweges, wie die Aristoteliker15 wollen, mit einer glatten Tafel zu vergleichen, in welcher die Buchstaben erst eingegraben werden sollen, sondern sobald sie vorhanden ist, muß sie auch Vorstellungen haben, denn nichts anders heißt für eine Seele vorhanden sein. Diese Vorstellungen aber können von der Beschaffenheit der eingewickelten Begriffe sein, davon wir oben gesehen, daß sie allezeit in der Seele, ohne von ihr bemerkt zu werden, anzutreffen sein können. Denn da wir gesehen, daß die menschliche Seele keine Ausdehnung wahrnehmen kann, ohne sich implizite alle geometrische Wahrheiten vorzustellen; so ist es leicht möglich, daß es einen Zustand der Seele geben könne, in welchem alle ihre Vorstellungen diese Beschaffenheit haben, daß sie von ihr selbst nicht erkannt werden, wie z. B. im Schlafe. Ein unendlicher Verstand, der sich die Seele eines schlafenden vorstellet, muß in derselben notwendig Vorstellungen wahrnehmen, sonst würde sie nicht vorhanden sein, gleichwohl ist sie selbst ihrer sich alsdenn nicht bewußt, und hat keine auseinander gewickelte oder deutliche Vorstellungen. Eine ähnliche Beschaffenheit mag es mit der Seele, vor dem Eintritte in dieses Leben gehabt haben. So sie anders vorhanden war, so hat ein unendlicher Verstand notwendig Vorstellungen in derselben wahrnehmen müssen, sie selbst aber kann sich vielleicht ihrer nicht eher bewußt gewesen sein, bis sich ¦ die Begriffe in diesem Leben durch Veranlassung der sinnlichen Eindrücke nach und nach entwickelt haben. Man
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Erster Abschnitt
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siehet hier den Übergang zu den erhabenen Lehren der neuern Welt | weisen,16 daß die Seele niemals aufhöre sich implizite schlechterdings die ganze Welt, explizite aber nur die Welt nach der Lage ihres Körpers in derselben vorzustellen, daß die sinnlichen Eindrücke nur die Anlässe und Gelegenheiten seien, bei welchen die Vorstellungen der Seele sich entwickeln und wahrgenommen werden, und daß diese Entwickelung der Begriffe in der Seele mit der Entwickelung der Begebenheiten außer derselben vollkommen harmoniere. Jedoch diese Nebenbetrachtung hat mich schon zu weit von meinem Gegenstande abgeführet. Ich kehre zurück. Die ganze Kraft der geometrischen Gewißheit beruhet also auf der notwendigen Verknüpfung der Begriffe. Man zergliedert nämlich den ursprünglichen Begriff von der Ausdehnung, und zeigt, daß dieselbe mit gewissen davon abgeleiteten Folgen in einer unzertrennlichen Verbindung stehe, und ohne dieselben einen offenbaren Widerspruch enthalte. Mit einem Worte, man zeigt, daß der ursprüngliche Begriff, den wir von der Ausdehnung haben, mit dena darvon abgeleiteten Begriffen und Folgerungen objektive betrachtet, einerlei sei. Denn ob wir gleich eine Ausdehnung wahrnehmen können, ohne die geometrischen Wahrheiten zu denken, die mit derselben verknüpft sind; so erkennet man doch vermittelst einer richtigen Zergliederung der Begriffe, daß sie alle implizite in dem ursprünglichen Begriffe der Ausdehnung enthalten sind, und also objektive betrachtet, von derselben ohne Widerspruch nicht können getrennet werden. Was hier von der Geometrie gezeiget worden, das gilt von der Mathematik überhaupt. Denn die Ausdehnung ist nichts anders, als eine stetige Quantität, deren Teile neben einander anzutreffen sind. Wenn die Quantität nicht stetig ist, oder nicht als stetig betrachtet wird, so wird die Wissenschaft derselben die Arithmetik genennet. Folgen die Teile derselben nicht neben, sondern auf einander; so entstehet die Ausmessung der Zeit, wiewohl man a Erste Auflage und JubA: denen. In der zweiten Auflage wie hier geän-
dert.
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die Zeit, wenn sie ausgemessen werden soll, allezeit entweder durch Zahlen, oder durch ausgedehnte Größen auszudrückena pflegt. Die Ursache hiervon wird sich in der Folge zeigen. ¦ Wenn wir die Mathematik von dieser Seite betrachten, welch ein außerordentliches Licht zündet sie uns nicht in der von ihr so weit entfernt scheinenden Seelenlehre an! Welche Tiefe! Jeder gemeine sinnliche Eindruck trägt in seinem Schoße ein unermeßliches Meer | von ewigen Wahrheiten. Jeder Begriff verlieret sich vor unsern Augen in eine Unendlichkeit. Was für große Geister arbeiten seit undenklichen Zeiten an der Entwickelung des sinnlichen Begriffs von der Quantität, und immer entwölken sich ihren Augen neue Aussichten, ungesehene Fernen, die nur ein allsehendes Auge ganz umfasset. Und gleichwohl haben sie bisher den größten Teil ihrer Bemühungen einzig und allein auf die ausgedehnte Quantität eingeschränkt. Von der unausgedehnten Größe, oder von derjenigen Quantität, deren Teile weder neben, noch auf einander folgen, sondern in einander fallen, als nämlich von den Graden und ihren Ausmessungen, sind bisher nur einzelne dürftige Versuche zum Vorschein gekommen. Was man in den Werken der Neuern von der Ausmessung der Bewegungskräfte, der Geschwindigkeit, der Wärme, des Lichts u. s. w. liest, ist kaum zu dieser Wissenschaft zu rechnen. Denn man hat sich bei der Ausmessung dieser besondern Arten der unausgedehnten Größen, noch allezeit des Kunstgriffes bedienen müssen, sie durch Linien und Figuren auszudrücken, um sie dadurch in ausgedehnte Größen zu verwandeln, welches aber unnötig sein würde, wenn man die ersten Grundsätze der unausgedehnten Quantität deutlich aus einander gesetzt hätte. Diese allgemeinen Grundsätze müßten nicht nur auf die angeführten Arten der intensiven Größe; sondern auch auf den Wert der Dinge, auf ihre Möglichkeit, Wirklichkeit, Vollkommenheit und Schönheit, auf den Grad der Wahrheit, Gewißheit, Deutlichkeit und innerer Wirksamkeit unsers Erkenntnisses, auf die Güte moralischer Handlungen u. s. w. angewendet werden können, denn alle diese a Erste Auflage und JubA: auszudrucken.
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Erster Abschnitt
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Grade sind wahre Quantitäten, und also einer Ausmessung und verhältnismäßigen Vergleichung fähig. Wie wenig aber noch von dieser wichtigen Theorie entdeckt worden, ist kaum nötig zu erinnern. Indessen ist doch nicht zu leugnen, daß es eine solche Theorie geben müsse. Denn erstlich zeigt die tägliche Erfahrung, daß die Menschen mit der natürlichen gesunden Vernunft über die Grade der Dinge Urteile ¦ fällen, Vergleichungen anstellen, und Verhältnisse einsehen, deren Richtigkeit durch die Erfahrung bestätiget wird. Es gibt also eine natürliche Mathematik der unausgedehnten Größen, und also muß es auch eine künstliche geben. Denn wenn die Gründe dieser natürlichen Wissenschaft deutlich aus einander gesetzt, und auf allgemeine Begriffe zurück geführet werden; so ent | stehet die verlangte künstliche Größenlehre; Ferner, da die unausgedehnten Größen mit den ausgedehnten in dem Hauptbegriffe der Quantität übereinkommen, aus dem besondern Begriffe der ausgedehnten Größen aber sich durch die Zergliederung eine ganze Reihe von Folgerungen ziehen läßt, die ein bündiges System ausmachen; so muß dieses auch in Absicht auf die unausgedehnten Größen geschehen können. Woran mag es also wohl liegen, daß man hierin noch nichts erhebliches ausgerichtet hat? Ich glaube die Schwierigkeiten, die man hier gefunden hat, lassen sich leicht anzeigen. Zur Ausmessung einer Größe ist die deutliche Erkenntnis von ihren Schranken das notwendigste und fruchtbareste Erfindungsmittel. Eine Größe ohne Schranken ist unermeßlich, daher muß sich aus der Beschaffenheit der Schranken begreifen lassen, auf welche Weise eine Größe auszumessen ist. Man weiß, daß in der Mathematik alle Erfindungen auf der Kenntnis der Figuren oder der Schranken der Ausdehnung beruhen. Nun fallen die Teile der ausgedehnten Größe neben einander, und lassen sich mit den Sinnen wohl von einander unterscheiden (nämlich in so weit sie zur Quantität gehören, und ein mehreres ist auch hier nicht nötig); daher lassen sich auch die verschiedenen Teile der Schranken, das ist, die Flächen, Linien und Punkte (welche der stetigen Ausdehnung Grenzen setzen) mit den Sinnen unter-
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scheiden, und indem wir sie einzeln betrachten, und hernach in ihrer gehörigen Verbindung zusammen nehmen; so erlangen wir einen deutlichen Begriff von der Figur. Diesen deutlichen Begriff zergliedern wir, und erlangen Grundsätze und Heischesätze, oder Lehrsätze und Aufgaben,17 nachdem die Folgen unmittelbar oder mittelbar mit der Grund-Idee verknüpft sind. Hingegen fallen die Teile der unausgedehnten Größe in einander, und lassen sich durch die Sinne keinesweges von einander unterscheiden. ¦ Daher auch ihre Schranken durch ein bloßes Überdenken nicht deutlich begriffen werden können. Es fällt also hier das fruchtbarste Erfindungsmittel weg, welches in der ausgedehnten Größenlehre so wichtige Dienste leistet, nämlich die Betrachtung der Figuren, oder der Schranken der Ausdehnung, ohne welche man in der Mathematik keinen Schritt zu tun im Stande ist. Will man endlich die Schranken einer unausgedehnten Größe kennen lernen; so muß man auf den Stoff der Größe, oder auf die Qualität (denn diese liegt bei einer jeden Quantität zum Grunde, und macht den | Stoff derselben aus) zurückgehen, und die innern Merkmale derselben deutlich aus einander setzen lernen. Allein wie schwer ist es nicht, zu dieser abstrakten Einsicht zu gelangen! Ein Beispiel wird diese Betrachtung ins Licht setzen. Gesetzt, wir wollten den Grad der moralischen Vollkommenheit eines Charakters deutlich kennen lernen. Zu diesem Endzwecke zu gelangen, und die Schwierigkeit dieser Unternehmung deutlicher zu fassen, wollen wir unser Augenmerk beständig auf die gemeine Mathematik richten, um durch Hilfe der Reduktion18 zu sehen, welches Erfindungsmittel zu unserm Vorhaben etwas beitragen kann. Der Stoff der gemeinen Größenlehre ist die stetige Ausdehnung, ihre verschiedene Merkmale sind, Länge, Breite und Dicke. Zwei derselben, oder die Fläche, sind die Schranken des Körpers; ein einziges derselben (oder die Linie) macht die Schranken der Fläche, und endlich das Zeichen der Abwesenheit aller derselben (oder der Punkt) die Schranken der Linie aus. Alle diese Merkmale können durch eine einfache Wirkung der Seele, durch das bloße Überdenken unterschieden werden, und also ist es nicht schwer, sich von den Schranken der ausgedehnten Größe
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¦ 13 – 14
Erster Abschnitt
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einen deutlichen Begriff zu machen. Von der angeführten unausgedehnten Größe ist der Stoff, die moralische Güte eines Charakters, die Merkmale und Schranken dieses Stoffes fallen nicht in die Sinne, und müssen durch den Verstand herausgebracht werden. Ich muß also auf die Erklärung der moralischen Güte zurückgehen. Diese bestehet in der Fertigkeit, seinen Pflichten, der Hindernisse ungeachtet, und ohne sinnliche Anlockung, vollkommen Genügea zu leisten. Dieses sind also die Merkmale dieser Quantität, und nunmehr lassen sich auch die Schranken einigermaßen bestimmen. Denn ¦ a) 1) je größer die Fertigkeit, 2) je mehr und 3) wichtiger die Pflichten, 4) je mehr und 5) stärker die Hindernisse, und endlich b) je weniger und 6) schwächer die sinnlichen Anlockungen, desto größer der Grad der moralischen Güte. Alle diese besondere Merkmale sind abermals keine ursprüngliche Begriffe, und müssen noch ferner zergliedert werden, und erst alsdenn können die unmittelbaren Folgen oder die Axiomata und Postulata herausgebracht und außer Zweifel gesetzt werden. Man hat nämlich vor allen Dingen noch die unausgedehnte Größe der Fertigkeit, die ausgedehnte und unausgedehnte Größe (nämlich die Menge und Wichtigkeit) der Pflichten, der Hindernisse und der | sinnlichen Reizungen zu erwägen, bevor man festen Fuß fassen, und zu einer richtigen Theorie den Grund legen kann. Wundert man sich noch, daß dieses so leicht nicht geschehen kann? Ich habe hier einen besondern Fall zum Beispiel genommen; allein es hat mit der allgemeinen Betrachtung der unausgedehnten Größe noch weit größere Schwierigkeiten, denn die Merkmale einer Qualität überhaupt sind noch weit abstrakter, und liegen in der Natur der Dinge noch tiefer verborgen, als die Merkmale der moralischen Qualität insbesondere, die ich zum Beispiele angeführet habe. Ja es gibt besondere Arten von unausgedehnten Größen, da der Faden der Entwickelung plötzlich abbricht, und sich ohne einen Erfindungskunstgriff durchaus nicht a Erste Auflage und JubA: Gnüge. In der zweiten Auflage wie hier geän-
dert.
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weiter kommen läßt. Man bemerkt dieses bei allen Qualitatibus sensibilibus19 außer der Ausdehnung, als z. B. Licht, Wärme, Farben, Härte, u. s. w. Die Merkmale dieser sinnlichen Empfindungen lassen sich weder durch die Sinne, noch durch den Verstand aus einander setzen, und also können auch ihre Schranken auf diese Weise nicht deutlich erkannt werden. Man bedienet sich daher eines Erfindungskunstgriffes. Da die Ursachen allezeit den Wirkungen angemessen sind, so nimmt man jene, wo sich diese nicht entwickeln lassen. Statt der Farben z. B. nimmt man die Beschaffenheit des Lichtstrahls, statt der Wärme die Menge und Geschwindigkeit der Feuerteilchen u. s. w. und löset die Begriffe derselben, wo möglich, in ihre ersten Grundideen auf, um vermittelst der Ursachen die Wirkungen abzumessen. Wer siehet aber nicht, wie weit alles dieses von dem leichten ¦ und ebenen Wege entfernet sei, auf welchem die Mathematik der ausgedehnten Größe dahergehet? Eben dieselbe Schwierigkeit, sich von der unausgedehnten Größe und ihren Schranken richtige Begriffe zu machen, leget in den Weg zur mathematischen Erkenntnis der Qualitäten noch ein wichtiges Hindernis, das hier betrachtet zu werden verdienet. Dieses bestehet in der Art der Bezeichnung. Der Mathematiker bedarf der willkürlichen Zeichen nicht, denn er kann reelle und wesentliche Zeichen20 an ihrer Stelle setzen, die ihrer Natur und Verbindung nach mit der Natur und Verbindung der Gedanken übereinkommen. Die Geometrie, und die Zahlen- sowohl, als Buchstabenrechnung, haben diesen Vorzug gemein, doch mit einigem Unterschiede. Die Geometrie hat in ihrer Bezeichnung gar nichts willkürliches, denn ihre | einfachen sowohl als zusammengesetzten Zeichen kommen mit den Gedanken überein. Die Linien sind wesentliche Zeichen der Begriffe, die wir von ihnen haben, und in den Figuren werden diese Linien auf eben die Art und Weise zusammen gesetzt, wie die Begriffe in unserer Seele zusammengesetzt werden. In der Zahl- und Buchstabenrechnung aber sind die einfachen Zeichen, nämlich die Zahlen, Buchstaben und Verbindungszeichen, bloß willkürlich. Allein in den zusammengesetzten Zeichen, als in den Formeln und Glei-
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Erster Abschnitt
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chungen, ist alles bestimmt, kommt alles genau mit den Gedanken überein. Man hat also selbst in der Arithmetik nur wenige willkürliche Zeichen, und einige Regeln der Verbindung derselben zu lernen, um die Sprache der Arithmetiker und Algebraisten völlig zu verstehen. Denn außer diesen wenigen einfachen Zeichen und Verbindungsregeln wird nichts der Willkür überlassen, ist alles in den Formeln und Gleichungen so bestimmt, wie in unsern Gedanken. In der Geometrie hat man zwar gar keine willkürliche Zeichen zu behalten, und eben deswegen fällt die Geometrie den Anfängern fast leichter, als die Rechenkunst; allein von einer andern Seite betrachtet, gereichet es dieser letzten Wissenschaft zum Vorteile, daß ihre einfachen Zeichen nicht wesentlich, sondern willkürlich sind. Man kann nämlich in der Geometrie nichts in abstracto bezeichnen; sondern die Zeichen stellen die Sachen immer in concreto vor. Denn da in dieser ¦ Wissenschaft auch die einfachen Zeichen wesentlich sind; so kann in einer geometrischen Bezeichnung nichts unbestimmt bleiben, und also ist es immer diesesa Dreieck, dieser Zirkel, niemals ein Dreieck überhaupt, oder eine Figur überhaupt. In der Buchstabenrechnung aber kann dasjenige unbestimmt bleiben in der Bezeichnung, was in dem allgemeinen Begriffe unbestimmt sein soll, daher ist es in dieser Wissenschaft leichter zu allgemeinen Notionen zu gelangen, als in der Geometrie. Hingegen ist in der Bezeichnung der unausgedehnten Größe noch alles willkürlich, indem die einzeln Merkmale derselben schwer zu unterscheiden, und ihre Verbindungsarten noch schwerer zu bestimmen, und auf allgemeine Regeln zurück zu bringen sind. Daher ist vor der Hand zur Ausmessung der unausgedehnten Größe nichts bequemer, als das Erfindungsmittel, sie durch ausgedehnte Größen zu bezeichnen, welches in der Dynamik21 und andern dahin einschlagenden Wissenschaften zu geschehen pflegt. Denn dadurch | genießt man die Vorteile, die a Erste Auflage und JubA: dieser. In der zweiten Auflage wie hier geän-
dert.
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eine wesentliche und unwillkürliche Bezeichnung zur Erfindung und Begreifung der Wahrheit an die Hand gibt. Man hat gesehen, daß die Gewißheit der geometrischen Wahrheiten sich nur auf die unveränderliche Identität eines eingewickelten Begriffs mit dena abgeleiteten entwickelten Begriffen stütze. Dieses ist der höchste Grad der Gewißheit, der aber nur in der reinen theoretischen Mathematik statt findet. So bald wir von einer geometrischen Wahrheit in der Ausübung Gebrauch machen, das heißt, so bald wir von bloßen Möglichkeiten zu Wirklichkeiten übergehen wollen; so muß ein Erfahrungssatz zum Grunde gelegt werden, welcher aussagt, daß diese oder jene Figur, Zahl u. s. w. wirklich vorhanden sei. In dem ganzen Umfange der Mathematik findet sich kein Beispiel, daß man aus bloß möglichen Begriffen auf die Wirklichkeit ihres Gegenstandes sollte schließen können. Die Natur der Quantität, als des Gegenstandes der Mathematik, widerspricht einem solchen Schlusse. Unsere Begriffe von der Quantität stehen mit andern Begriffen, aber mit keinen Wirklichkeiten in einer notwendigen Verbindung. Da man aber dem Zeugnisse der Sinne trauen, und für unleugbar annehmen kann, daß dieser oder jener ¦ Grundbegriff einen wirklich vorhandenen Gegenstand habe; so müssen auch die Folgen notwendig vorhanden sein, die aus diesem Grundbegriffe gezogen worden sind. Denn widersprechende Begriffe haben keinen wirklich vorhandenen Gegenstand. Ich betrachte z. B. eine vorhandene Figur, und bemerke, daß ich jede ihrer Seiten aus einem Augpunkte betrachten kann, aus welchem sie ganz zu verschwinden, oder einem bloßen Punkte ähnlich zu sein scheinen; hieraus schließe ich, es sei eine geradlinigte Figur, und also kommen dieser vorhandenen Figur notwendig alle die Eigenschaften zu, die von dem Begriffe einer geradlinigten Figur unzertrennlich sind. Ich zähle ihre Seiten, und werde gewahr, daß ihrer drei sind, daher ist diese Figur ein Dreieck, und ich kann von derselben alles aussagen, was mit dem Begriffe eines a Erste Auflage und JubA: denen. In der zweiten Auflage wie hier geän-
dert.
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Erster Abschnitt
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Dreiecks verknüpfet ist. Ich komme zu den Winkeln, und bemerke, daß einer derselben seinem angrenzenden Winkel gleich sei u. s. w. In allen diesen Fällen wird, vermöge der notwendigen Verknüpfung der Begriffe, aus Wirklichkeiten auf Wirklichkeiten, aus einem vorhandenen Subjekte auf die Wirklichkeit der von ihm unzertrenn | lichen Prädikate geschlossen. Daß aber ein solches Subjekt vorhanden sei, davon haben wir keine andere Gewißheit, als das Zeugnis der Sinne. Durch diese Betrachtung entgehet der Mathematik gleichwohl nichts von ihrer Evidenz. Es wäre höchst ungereimt, von ihrer Lehrart zu verlangen, daß sie durch die Zergliederung eines bloß möglichen Begriffs, das Dasein einer Quantität beweisen sollte; indem keine Quantität schlechterdings notwendig sein kann, ein jedes Ding aber, dessen Dasein aus einer bloßen Möglichkeit geschlossen werden kann, ist notwendig vorhanden. Überhaupt hat nur die Metaphysik allein, aber auch diese nur ein einziges Beispiel aufzuweisen, da von einer bloßen Möglichkeit auf eine Wirklichkeit geschlossen werden kann. In jeder andern Wissenschaft aber, und also auch in der Mathematik, läßt sich schlechterdings kein Vorhandensein anders beweisen, als durch die Sinne. Wie aber? setzt man dadurch nicht wenigstens die praktische Mathematik den Angriffen der Zweifler und Idealisten aus, die den Sinnen nicht trauen, und alles, was wir vermittelst derselben wahrnehmen, für ¦ bloße Erscheinungen halten? – Keinesweges! Sie mögen dieses tun, so müssen sie doch gestehen, daß es in der allgemeinen Verblendung beständige und auch veränderliche Erscheinungen gebe; ferner, daß gewisse beständige Erscheinungen allezeit mit einander verknüpft sind, dergestalt, daß man niemals eine derselben wahrnehmen kann, ohne versichert zu sein, daß man aus dem gehörigen Gesichtspunkte auch die andere mit ihr verknüpfte Erscheinung wahrnehmen müsse. Wenn mir eine Figur alle beständige Erscheinungen eines Dreiecks darbietet, und einer von ihren Winkeln hat die beständige Erscheinung eines rechten Winkels; so bin ich überzeugt, daß mir die beiden übrigen Winkel zusammen gleichfalls einem rechten Winkel zu glei-
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chen beständig scheinen müssen. Um die wahre Existenz der Dinge bekümmert sich der Mathematiker niemals. Er beweiset entweder den Zusammenhang der Ideen, oder den Zusammenhang der Erscheinungen. Übrigens mag der Metaphysiker ausmachen, ob diese Erscheinungen einen äußern wirklichen Gegenstand haben, oder nicht. Dem Mathematiker kann es gleich viel gelten; seine Lehre kann durch die Entscheidung dieser unwichtigen Subtilität weder gewinnen noch verlieren. Ich habe hier von beständigen und veränderlichen Erscheinungen ge | redet. Man erlaube mir eine kleine Ausschweifung, um diese Begriffe in ein helleres Licht zu setzen. Sie werden in der Folge dieser Abhandlung von keinem geringen Nutzen sein. So oft wir einen Gegenstand anders wahrnehmen, als er wirklich ist, so sagen wir, es scheine uns nur so, und nennen unsere Vorstellung eine Erscheinung (Phaenomenon, apparentia). Ich betrachte z. B. einen Zirkel von der Seite, und sehe ihn für eine Ellipse an; ein Würfel zeigt sich mir in der Ferne, wie eine Kugel; eine Pyramide wie ein Kegel; die Sonne erscheinet wie eine Fläche, der Mond wie ein feuriger Körper; ich lasse alle Farben des Regenbogens auf einem Orte so schnell auf einander folgen, daß ich sie nicht unterscheiden kann, und erkenne nichts als die Vermischung derselben, oder die weiße Farbe; ich lasse zwei, drei oder mehrere derselben so schnell auf einander folgen, und werde eine zusammengesetzte Farbe gewahr, die mit den einfachen, aus welchen sie bestehet, nichts gemein ¦ zu haben scheinet; den Gelbsüchtigen scheinen alle Gegenstände gelb, und gewissen Kranken schmecket alles bitter. Alle diese Vorstellungen werden Phänomena oder Erscheinungen genannt, denn man nimmt sie anders wahr, als sie äußerlich wirklich vorhanden sind. Die Zweifler sagen; vielleicht sind alle unsere sinnliche Begriffe nur solche Erscheinungen, ein solcher Sinnenbetrug; denn wir können ja nicht versichert sein, daß die Gegenstände außer uns so beschaffen sind, wie wir sie vermittelst der Sinne wahrnehmen? Ich habe gesagt, die Mathematiker können dieses vielleicht gelten lassen, ohne von der Gewißheit ihrer Wissenschaft das mindeste zu vergeben, und ich will es beweisen. Ich glaube,
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Erster Abschnitt
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es werde kein Vernünftiger in Abrede sein, daß es wenigstens zwei verschiedene Arten von Erscheinungen gebe, nämlich beständige und unbeständige. Jene haben ihren Grund in der innern Beschaffenheit der menschlichen Sinne überhaupt; diese aber in gewissen äußern Zufälligkeiten. In den vorhin angeführten Beispielen liegt der Grund der Erscheinung nicht in der innern wesentlichen Beschaffenheit unserer Sinne, sondern in dem unrechten Standorte, aus welchem wir die Gegenstände betrachten, in der Schnelligkeit, mit welcher die Gegenstände abwechseln, oder in der verderbten Beschaffenheit der Gliedmaßen und der Säfte. Dieses sind bloße Zufälligkeiten, und also können die Erscheinungen, die sie verursachen, zufällige oder unbeständige Erscheinungen genennet | werden. Wenn aber, wie die Zweifler befürchten, alle Qualitates sensibiles ohne Unterschied ein Sinnbetrug sein sollten; so müßte der Grund davon in den innern Bestimmungen der menschlichen Sinne anzutreffen sein. Wir müßten uns nämlich die sinnlichen Dinge deswegen so und nicht anders vorstellen, weil unsere Sinne so und nicht anders beschaffen sind. Diese Wirkungen des Sinnenbetrugs verdienen also beständige Erscheinungen genannt zu werden. Nun können die Mathematiker beweisen, daß diese beständige Erscheinungen in einer notwendigen Verknüpfung mit einander stehen, dergestalt, daß ich aus einer derselben auf die Anwesenheit der andern schließen kann. Wenn ich die beständige Erscheinung von einem Dreiecke vor mir habe; so kann ich auf die beständige Erscheinung aller Eigenschaften eines Dreiecks ungezweifelt schließen. Daher bleibt auch in dem System ¦ eines Zweiflers, oder eines Idealisten, nicht nur die reine theoretische, sondern auch die praktische und angewandte Mathematik in ihrem Werte, und behält ihre unleugbare Gewißheit.
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Zweiter Abschnitt Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Metaphysik Die Mathematik ist eine Wissenschaft der Größen (Quantitatum), und die Weltweisheit überhaupt eine Wissenschaft der Beschaffenheiten (Qualitatum) der Dinge. Will man nicht eingestehen, daß die Weltweisheit das leiste, was von einer Wissenschaft gefordert wird; so setze man, die Weltweisheit ist eine auf Vernunft gegründete Erkenntnis der Beschaffenheiten. Ich werde in der Folge beweisen, daß diese auf Vernunft gegründete Erkenntnis eine Wissenschaft genennet zu werden verdiene. Allhier betrachte ich nur zuerst den Charakteristischen Unterschied zwischen der Mathematik und Weltweisheit, der mit mehrerem insa Licht gesetzet zu werden verdienet. Unsere Seele erkennet an jedem Dinge verschiedene Merkmale und Unterscheidungszeichen, deren Inbegriff das Ding von allen Seiten | völlig bestimmt, und eine vollständige und ausführliche Erkenntnis22 desselben enthält. Daß zu diesem Inbegriffe der Unterscheidungszeichen sowohl innere als äußere Merkmale gehören, ist bekannt, allein ich rede hier nur von den innern. Diese können auf zweierlei Weise betrachtet werden; entweder in so weit sie schlechterdings diesem Dinge zukommen, oder jenem nicht zukommen, und in dieser Betrachtung nennet man sie Qualitäten, oder man erwägt, ob sie einem Dinge mehr oder weniger zukommen, und nennt sie Quantitäten. In dieser Erklärung ist alles deutlich, nur die Worte mehr und weniger bedürfen noch einiger Erläuterung. Dieses sind Schranken der Qualitäten, dadurch sie von andern ihrer Art unterschieden werden. So kann ich z. E. Bewegung von Bewegung durch ¦ Geschwindigkeit und Masseb unterscheiden, daher machen diese die Quantität der Bewegung aus. Ähnliche Figuren werden durch die Größe unterschieden, Licht von Licht durch Stärke und Lebhaftigkeit, und die Neigungen und Leidenschaften der Seele werden von a Erste Auflage und JubA: in
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b Erste Auflage und JubA: Maße.
Zweiter Abschnitt
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andern ihrer Art durch den Grad der Heftigkeit erkannt und unterschieden. Alle diese Unterscheidungszeichen geben zu erkennen, ob die Qualität der Sache mehr oder weniger zukomme, und werden Quantitäten genennet. Man begreift hieraus, daß die Quantität, oder das Mehr und Weniger, zwar der Sache innerlich zukomme, aber nicht ohne Vergleichung mit einem andern Dinge begriffen werden könne; angesehen ich niemals das Wieviel? erkennen kann, ohne den Gegenstand desselben entweder wie ein Teil mit seinem Ganzen, oder wie ein Ganzes mit seinem Teile verglichen und gegen einander gehalten zu haben. Ob aber ein Unterscheidungszeichen schlechterdings einem Dinge zukomme, oder nicht zukomme, dazu gehöret weder Vergleichung noch Gegeneinanderhaltung, denn an der Sache selbst läßt sich dieses wahrnehmen und begreifen. So kann ich z. B. die Ausdehnung, das Berühren und Zusammenhängen, Wirken und Leiden, das Vermögen zu erkennen, zu begehren und zu verabscheuen, die Zufälligkeit, Notwendigkeit, Möglichkeit u. s. w. entweder schlechterdings betrachten, in so weit sie einem Dinge zukommen, oder nicht zukommen, oder ich erwäge dieselben, in so weit sie diesem mehr, und jenem weniger zukommen. Ich sage entweder, der Körper hat eine Ausdehnung, der Punkt keine, oder ich vergleiche Körper mit Körper, und erwäge, wessen Ausdehnung größer oder kleiner sei. Tue ich jenes; so betrachte ich die Aus | dehnung als Beschaffenheit; dieses, als Größe, und mit den übrigen Merkmalen hat es dieselbe Bewandtnis. Man hat hierbei folgendes nicht aus der Acht zu lassen. Wenn wir im gemeinen Leben sowohl, als in der Schule Qualitäten von Quantitäten unterscheiden: so geschiehet dieses bloß in unsern Gedanken, vermittelst der Absonderung; in der Sache selbst aber kann keine zufällige Beschaffenheit ohne Größe, und eben so wenig eine Größe ohne Beschaffenheit wirklich vorhanden sein. Dieses fließt aus der vorigen Betrachtung ganz natürlich. Ein jedes Merkmal, dessen Wieviel? oder Quantität ¦ ich erwäge, ist an und für sich selbst eine Qualität; denn so wie es einem Dinge mehr oder weniger zukömmt, und in dieser Betrachtung eine Quantität zu nennen ist; eben also kann es einem Dinge entwe-
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der zukommen, oder nicht zukommen, in welcher Betrachtungsart es eine Beschaffenheit des Dinges ausmacht. So kann die Ausdehnung, oder die Vielheit nicht nur größer oder kleiner sein (und in dieser Betrachtung als stetige und unstetige Größe angesehen werden); sondern auch überhaupt dem Körper und der Zahl zukommen, einem einzigen einfachen Wesen aber nicht zukommen, und folglich machen sie zugleich Beschaffenheiten der Dinge aus. Gleichergestalt haben die Figuren, oder die Schranken der Ausdehnung nicht nur ihre Größen, sondern auch ihre Beschaffenheiten; welche zur deutlichen Erkenntnis der Quantitäten unentbehrlich sind, wie aus den Anfangsgründen der Geometrie erhellet. Es ist also einmal erwiesen, daß keine Quantität ohne Qualität vorhanden sein könne. Es gibt aber auch keine zufällige oder endliche Beschaffenheit ohne Größe. Denn eine endliche Beschaffenheit hat Schranken, und zwar, wie leicht zu erweisen ist, Schranken die anders sein können, als sie wirklich sind. Sie können also der Beschaffenheit bald nähere, bald weitere Grenzen setzen, das heißt in der Sprache der Logik, sie können von der Realität der Beschaffenheit mehr oder weniger aufheben, wodurch die Quantität oder der Grad der Beschaffenheit bestimmt wird. Daher hat eine jede endliche Qualität auch ihre Quantität. Man erkennet durch diese Betrachtung die genaue Verwandtschaft und wechselsweise Verbindung der Weltweisheit und Mathematik. Denn da jene eine Wissenschaft der Qualitäten, diese aber der Quantitäten ist; so ist es eine Unmöglichkeit, in einer von diesen Wissen | schaften ein Fremdling zu sein, und in der andern ausführliche Begriffe zu haben, indem die Qualitäten und Quantitäten unzertrennlich verknüpft sind. Jedoch ist dieses vornehmlich von der Mathematik der unausgedehnten Größe zu verstehn, die ohne tiefe Einsichten in die Beschaffenheiten der Dinge nicht erfunden werden kann, und wiederum ihres Orts, wenn sie einst ans Licht kommen wird, die philosophische Erkenntnis unendlich befördern und erweitern muß. Die gemeine Mathematik hingegen hat es bloß mit der ¦ Ausdehnung und Vielheit zu tun, und die Begriffe von diesen beiden Qualitäten
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Zweiter Abschnitt
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lassen sich, in so weit sie zu der Ausmessung der Qualitäten etwas beitragen, ohne sonderliche Schwierigkeit aus einander setzen, also daß der Fortgang der Weltweisheit mit dem Fortgange der gemeinen Mathematik in keiner so unmittelbaren Verbindung stehet, daß sie sich gegenseitige Vorteile und Beförderungen zu versprechen hätten. Es verstehet sich, daß man deswegen den zufälligen Einfluß nicht leugnet, der der Mathematik in dem Fortgang der Weltweisheit nicht abgesprochen werden kann, indem sie den Verstand aufheitert und durch anhaltende Übung gewöhnet, die zusammengesetzten Begriffe nach gewissen Regeln zu zergliedern. So wie es eine reine theoretische Mathematik gibt, die keinen Erfahrungssatz, kein wirkliches Dasein zum Grunde legt, und bloß zeigt, wie die Begriffe von der Quantität zusammenhängen; eben also gibt es einen Teil der Weltweisheit, der, alle Wirklichkeit beiseite gesetzt, bloß unsere Begriffe von den Qualitäten der Dinge entwickelt, und ihren innern Zusammenhang einsehen lehret. Alle unsere Begriffe sind wie die Samenkörner der Gewächse, die, so schlecht sie aussehen, dennoch voller innern Tugend sind, und Wälder von Schönheit in ihrem Schoße verbergen. Wenn wir einen Begriff unfruchtbar nennen; so ist dieses nur Vergleichungsweise zu verstehen, angesehen23 ein jeder Begriff an und für sich selbst mit unendlichen Wahrheiten in Verbindung stehet, und durch die Zergliederung in andere Begriffe und Wahrheiten aufgelöset werden kann. Wer wollte es also leugnen, daß die Begriffe von den Qualitäten der Dinge unter einander und mit andern Erkenntnissen verknüpft sind, und daß diese aus jenen durch unleugbare Folgerungen entwickelt und hergeleitet werden können? Wer wird z. B. in Abrede sein, daß folgende beiden Sätze so gewiß als je ein Satz in der Geometrie, demonstrieret werden können, nämlich, daß der not | wendigen Substanz die Gerechtigkeit im höchsten Grade, einer zufälligen aber nur in einem eingeschränkten Grade zukomme? Denn da die Gerechtigkeit eine weise Gütigkeit ist; so muß sie dem allerweisesten und dem allergütigsten Wesen im höchsten Grade zukommen. Nun besitzt das notwendige Wesen diese Eigenschaften u. s. w.
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Der Obersatz ist eine ¦ unmittelbare Folge aus der Definition der Gerechtigkeit; der Untersatz hingegen folget aus der Notion eines notwendigen Wesens. Auf die nämliche Weise wird erwiesen, daß keiner zufälligen Substanz die Gerechtigkeit im höchsten Grade zukommen könne, und eben also lassen sich noch eine unendliche Menge von Wahrheiten so unleugbar dartun, als die Anfangsgründe der Geometrie, müssena die Begriffe der Qualitäten eben so wohl aufgelöset und entwickelt werden können, als die Begriffe der Quantität. Es gibt also einen reinen spekulativen Teil der Weltweisheit, in welchem, wie oben von der reinen Mathematik ist dargetan worden, einzig und allein auf die Verbindung der Begriffe und ihren Zusammenhang gesehen wird, und in diesem herrscht dieselbe Gewißheit, als in der Geometrie. Aber so faßlich können die Grundsätze dieser Wissenschaft nicht vorgetragen werden. Die Ursache hiervon ist nicht, wie man insgemein zu glauben pflegt, weil man in der Geometrie der Einbildungskraft durch die Vorbildung der Figuren zu Hilfe kömmt; denn diese würde in Ansehung der Arithmetik wegfallen; sondern es sind ihrer verschiedene, zu deren Anzeigung ich mir durch obige Betrachtungen den Weg gebahnet habe. Denn erstlich fehlet der Weltweisheit bis jetzo noch das Hilfsmittel der wesentlichen Zeichen. Alles ist in der Sprache der Weltweisen noch willkürlich. Die Worte und ihre Verbindungen führen nichts bei sich, das mit der Natur und Verbindung der Gedanken wesentlich übereinkäme. Daher häufen sich die Erklärungen bis ins Unendliche, und eine demonstrative ausgeführte Weltweisheit erlangt, dem ersten Anblicke nach, das Ansehen eines eitelen Wörterkrams. Denn da die Seele in der Bezeichnung nichts findet, wodurch sie, ohne willkürliche Assoziation der Begriffe auf die Natur der bezeichneten Sache geführet würde, und daher ihre Aufmerksamkeit ohne Unterlaß auf die einmal festgesetzte willkürliche Verbindung der Zeichen mit den bezeichneten Sachen haften muß; so kann die geringste Achtlosigkeit ihr die Sache aus den Gedanken bringen, und bloß die | leeren Zeichen zurücklasa Erste Auflage und JubA: massen.
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Zweiter Abschnitt
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sen, in welchem Falle denn freilich der bündigste Weltweise bloß mit Worten zu spielen scheinen muß. In der Mathematik aber findet dieser Argwohn nicht statt, denn die wesentlichen Zeichen führen uns ¦ ohne sonderliche Anstrengung, so oft wir wollen, auf die dadurch bezeichneten Sachen zurück, und ihre Ordnung und Verbindung kömmt mit der Ordnung und Verbindung der Gedanken überein. Erwägen wir ferner die Natur der Qualitäten; so zeigen sich noch größere Schwierigkeiten. Diese innere Merkmale der Dinge sind so genau mit einander verbunden, daß man keine derselben, ohne hinlängliche Einsicht in die übrigen deutlich erklären kann. Wer in der Weltweisheit gänzlich ein Fremdling, der kann die allererste Erklärung nicht deutlich begreifen; denn wenn ich ihm etwa ein innerliches Merkmal A deutlich machen will, und er hat seine Begriffe von den übrigen Merkmalen B, C, u. s. w. die mit diesem A in Verbindung stehen, nicht aufgeklärt; so wird allezeit noch einige Dunkelheit in seiner Seele zurückbleiben. Hieraus begreift man die Notwendigkeit in der Weltweisheit bei jedem Fortschritte, den man tut, immer zu den Anfangsgründen zurückzukehren. Man tut diese Rückreise niemals ohne großen Nutzen, denn die philosophischen Begriffe werfen sich wechselsweise Strahlen der Deutlichkeit zu, die man verfolgen muß. Daher kömmt es auch, daß die Weltweisen selbst, je weiter sie kommen, je mehr sie an den ersten Grunderklärungen zu verbessern finden, und daher sich immer einander widerlegen, wenigstens sich einander zu widerlegen scheinen. Denn öfters war es bei dem ersten Weltweisen nur eine Unvorsichtigkeit im Ausdrucke, die sein Nachfolger durch das unaufhörliche Wiederkäuen der ersten Begriffe endlich hat wahrnehmen müssen. Saget einem Anfänger z. B. die Gerechtigkeit sei eine weislich verwaltete Gütigkeit; so wird er weder diese Erklärung begreifen, noch die Notwendigkeit einsehen, warum sie so weit hergeholt werden muß. Er wird also Anfangs mit der seichten Erklärung zufrieden sein; die Gerechtigkeit sei ein beständiger Wille, einem jeden das seinige zukommen zu lassen. Wenn er einige Schritte weiter getan hat; so merkt er, daß durch die Worte, das Seinige,
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nicht das Eigentum verstanden werden kann; sondern überhaupt, wozu jemand ein Recht hat; er setzt also, die Gerechtigkeit sei ein beständiger Wille, einem jeden sein Recht zukommen zu lassen. Allein | noch siehet er nicht, auf welche Seelenfähigkeiten sich diese Tugend gründe. Er fähret also fort; ein Recht ist eine Befugnis, oder sittliches ¦ Vermögen, sich gewisser Dinge als Mittel zu seiner Glückseligkeit zu bedienen. Wer also die Gerechtigkeit ausübet, der läßt einen jeden sich der erlaubten Mittel zu seiner Glückseligkeit bedienen. Er will also, daß andere neben ihm glückselig sein sollen, aber nur durch erlaubte Mittel, und in gehörigema Verhältnis, damit die Endabsicht, die Vollkommenheit des Ganzen erhalten werde. Wer andere neben sich gerne glückselig siehet, der ist gütig; wer durch die besten Mittel den besten Endzweck zu erhalten sucht, der ist weise. Nunmehr haben sich die Begriffe aufgeheitert, und man siehet gar deutlich, daß die Gerechtigkeit in ihre Elemente aufgelöset, nichts anders sei, als eine mit Weisheit eingerichtete Gütigkeit. Hieraus aber folget auch, daß die Gerechtigkeit eine Realität sei, und dem allerhöchsten Wesen in dem allerhöchsten Grade zukommen müsse, welches sich aus der vorigen Erklärung nicht beweisen ließ. Aber was für eine Menge von Erklärungen und willkürlichen Verbindungen der Worte mit den Begriffen gehören noch zu diesem Schlusse? Was für eine Arbeit, wenn alle diese Begriffe der Seele beständig gegenwärtig bleiben, und sich niemals in den Schatten der Worte verlieren sollen? Zu diesen Beweisen gehören die Erklärungen von Weisheit, Gütigkeit, Realität, höchstem Grade und höchstem Wesen; zur Erklärung der Weisheit gehören ferner die Begriffe von Vollkommenheit, Mittel und Endzweck; zur Gütigkeit gehören die Begriffe von Glückseligkeit und von dem Begehrungs-Vermögen, ferner zur Realität – – Doch wozu nützt es, diese Zergliederung weiter fortzusetzen? Genug, daß man siehet, wie sehr die Qualitäten der Dinge in einander verwebet sind; was für eine Menge von Erklärungen zu dem leichtesten philosophischen Schlusse erfordert werden, und wie oft man diese Erkläa Erste Auflage: gehöriger. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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rungen umsetzen muß, wenn sie mit Nutzen angewandt werden sollen. Und wenn der Weltweise alle diese Schwierigkeiten überstanden, so hat er gleichwohl nichts, als gewisse Verwandtschaften der Begriffe entdeckt. Sodenn aber muß der wichtige Schritt ins Reich der Wirklichkeiten geschehen. Er muß zeigen, daß der Gegenstand seiner Grundbegriffe, aus welchen er seine Wahrheiten gefolgert hat, wirklich anzutreffen sei, damit er aus denselben auf das wirkliche Dasein der Folgen schließen könne. ¦ Der Mathematiker, haben wir | gesehen, kann diesen Schritt gar leicht tun. Er legt das Zeugnis der Sinne zum Grunde seines praktischen Lehrgebäudes, und bekümmert sich nicht darum, ob die Sinne Wahrheiten, oder bloße Erscheinungen aussagen. In beiden Fällen hat er seinen Endzweck erreicht. Dem Weltweisen aber liegt ob, das Zeugnis der innern und äußerlichen Sinne selbst vor seinem Richterstuhle zu fordern, und das Wahre von dem Falschen, das Gewisse von dem Ungewissen zu unterscheiden, und wenn er auf das Zeugnis irgend eines Sinnes bauen will; so muß er vorher dessen Untrüglichkeit außer Zweifel setzen. Gesetzt, er habe erwiesen, daß die Materie nicht denken könne, nämlich er habe dargetan, daß unser Begriff vom Denken dem Begriffe von der Materie schnurstracks widerspreche. Will er nun hieraus den Schluß ziehen, daß in uns ein einfaches Wesen wohne, das von unserm Leibe unterschieden ist und denkt; so muß er zeigen, daß unserm sichtbaren Körper der Begriff zukomme, den er von der Materie vorausgesetzt, und daß in uns etwas vorhanden sei, dem der Begriff des Denkens in dem Verstande zukomme, in welchem er es genommen. Wenn er unumstößlich gezeigt, daß ein notwendiges Wesen nicht vorhanden sein könne, ohne der Schöpfer und Erhalter aller Dinge außer ihm zu sein; so liegt ihm noch ob zu beweisen, daß ein solches notwendiges Wesen vorhanden sei. Kurz, es ist dem Weltweisen nicht genug, wenn er, wie der Mathematiker, die notwendige Verbindung zwischen einem Subjekte und seinem Prädikate gezeigt; er muß noch überdem entweder das Dasein des Subjekts, oder das Nichtsein des Prädikats außer Zweifel setzen, damit er in dem ersten Falle auf das Da-
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sein des Prädikats, in dem andern auf das Nichtsein des Subjekts schließen könne; denn für die bloße Möglichkeit wissen wir dem Weltweisen keinen Dank, wenn er sie nicht wirklich zu machen weiß. Es wird also von dem Weltweisen weit mehr gefordert, als von dem Mathematiker. Dieser beweiset bloß die Möglichkeit einer Figur, und aus dieser Möglichkeit entwickelt er die Eigenschaften und Zufälligkeiten der Figur: der Weltweise hingegen soll das wirkliche Dasein der Subjekte dartun, um auf die Folgen schließen zu können. Daß dadurch die Überzeugung schwerer gemacht, und also die Evidenz verringert werde, ist leicht zu begreifen, indem nichts ¦ dem Verstande schwerer ankommen kann; als der Übergang von den Begriffen zu den Wirklichkeiten. | Man hat in der Weltweisheit zwei verschiedene Wege, auf welchen zu den Wirklichkeiten zu gelangen ist. Nach einem derselben legt man zwar, wie in der praktischen Mathematik, einen Erfahrungssatz zum Grunde, aber einen solchen, davon wir gewiß sind, daß er keine bloße Erscheinung sei, ich meine die innerliche Überzeugung, ich denke, worin, wie wir in der Folge sehen werden, kein Zweifel zu setzen ist, und daraus sich mit Gewißheit schließen läßt; also bin ich. Auf diesen Grundsatz muß sich das ganze philosophische Lehrgebäude aufführen lassen, ohne sich irgend auf ein anderes Zeugnis der äußern Sinne zu stützen. Denn was die Sinne von den äußern Dingen wahrnehmen, ist verdächtig; nur diese einzige innerliche Empfindung, ich denke, hat das Vorrecht, daß man mit völliger Gewißheit von ihr sagen kann, sie sei keine bloße Erscheinung, sondern eine wahre Realität, wie ich solches in der Folge zeigen werde. Der zweite Weg ist außerordentlich und ohne Exempel. Man gehet mit sichern Schritten aus dem Gebiete der Möglichkeit gerades Weges in das Reich der Wirklichkeit, und zwar der allerhöchsten und vollkommensten Wirklichkeit, die sich gedenken läßt. So wie in der Geometrie diese beiden Sätze, z. E. ein gleichseitiger Triangel hat gleich große Seiten; ein gleichseitiger Triangel hat gleich große Winkel, unzertrennlich verknüpft sind; eben so fest und unauflöslich sind folgende beiden Sätze mit einander verbunden; das notwendige Wesen ist möglich; das notwendige
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Wesen ist wirklich. Wenn ich also erweisen kann, daß das notwendige Wesen möglich ist; so habe ich auch seine Wirklichkeit dargetan, und es ist bekannt, daß jenes sich beweisen läßt. Diese beiden Übergänge von dem Möglichen auf das Wirkliche haben wir dem Descartes24 zu verdanken. Vor seiner Zeit war man gewohnt, auch in der Weltweisheit Erfahrungssätze zum Grunde zu legen, dadurch man den Skeptikern Blöße gab. In der Tat war der Dogmatiker sogleich aufs Haupt geschlagen, sobald ihm der Skeptiker das Zeugnis der Sinne in Zweifel zog, und dadurch sein noch so bündiges System in das Land der ¦ Chimären verschickte. Was das seltsamste war; so wollte man damals in der Naturlehre a priori und in der Weltweisheit a posteriori schließen. Bacon25 zeigte, daß das Zeugnis der Sinne in der Naturlehre, und des Verstandes in der Weltweisheit, das gültigste sei, und Cartesius wagte es, sein | Lehrgebäude von Gott auf dem Grunde der Zweifler selbst zu bauen. Man begreift aber gar leicht, daß alle diese Beweisarten ihre Schwierigkeiten haben, und unmöglich so einleuchtend vorgetragen werden können, als zu wünschen wäre. Dieses sind also meines Erachtens die Ursachen, welche die philosophische Überzeugung so schwer machen, und der Evidenz im Wege stehen. Doch sind dieses nur die Schwierigkeiten, die in der Sache selbst liegen; es gibt aber in Absicht auf das Subjekt, oder den von philosophischen Wahrheiten zu überzeugenden Menschen, einige wichtige Schwierigkeiten, die nicht zu übergehen sind. Die Mathematik findet allezeit unparteiliche Gemüter, die den Ausgang einer Untersuchung mit der äußersten Gelassenheit abwarten. Sie verlieren und gewinnen nichts dabei, die Tangente eines Zirkels mag mit dem Durchmesser einen rechten, oder einen andern Winkel machen; ihre ganze Lebensart kann die vorige bleiben, wenn sich auch alle Zirkelflächen verhalten, wie die Quadrate ihrer Durchmesser, daher interessieren sie sich bloß für die Wahrheit, und die Mathematik hat keinen andern Feind als die Unwissenheit zu besiegen. Hingegen hat die Weltweisheit auch mit Vorurteilen zu kämpfen. Die Lehren derselben haben einen so unmittelbaren Einfluß in unsere Lebensart,
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Glückseligkeit und Meinungen, daß ein jeder zum voraus Partei ergreift, und sich aus vorgefaßten Meinungen ein eigenes System bauet, das sich mit seinen Schwachheiten sehr gut verträgt. An diese Vorurteilea gewöhnet sich endlich das menschliche Gemüt so lange, bis sie einen Teil seiner Glückseligkeit ausmachen. Hernach komme die Weltweisheit, und vertreibe den Wahn aus dieser mächtigen Schanze. Sie findet nicht nur unwissende, sondern wider sich eingenommene Zuhörer, die nicht überzeuget sein wollen. Ihre Beweisgründe mögen noch so überzeugend, so einleuchtend sein; die Zauberei hat keine Gewalt, wenn sich die Gemüter nicht dazu anschicken wollen, und vielmehr durch alle mögliche Gegenmittel dawider verwahren. Das tut ¦ zur Sache wenig, wenn man öfters einen flüchtigen Willen hat, der Wahrheit Gehör zu geben; es gehöret hartnäckige Geduld, Ergebung und Selbstverleugnung dazu, alle seine Vorurteile und Lieblingsgedanken durch das Feuer dieser Gottheit zu führen, und mit trocknen männlichen Augen abzuwarten, ob sie in Rauch aufgehen, oder in verklärter Schönheit wieder hervorkommen werden. Der | größte Teil der Menschen gehet mit Wahn und Aberglauben zu Schiffe, des festen Vorsatzes mit ihnen die Fahrtb dieses Lebens zu beschließen. Man bewilliget der Stimme der Vernunft niemals ein Gehör, ohne sich von seinen Vorurteilen, wie Ulysses von den Reisegefährten anbinden zu lassen, und ihnen zum voraus den Befehl zu geben; je beweglicher ich um meine Loslassung bitten werde, desto fester ziehet die Stricke zusammen, bis wir die Sirene aus den Augen werden verloren haben. Da ein jeder in philosophischen Sachen Partei ergreift; so glaubt auch ein jeder das Recht zu haben, zu meistern und Urteile zu fällen. Wer ist der Unwissende, der sich nicht in philosophischen Angelegenheiten für einen befugten Richter hält, und sein richterliches Ansehen durch Machtsprüche zu unterstützen
a Erste Auflage und JubA: an diesen Vorurteilen. In der zweiten Auflage wie hier geändert. b Erste Auflage und JubA: Farth. In der zweiten Auf-
lage wie hier geändert.
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Zweiter Abschnitt
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weiß? Die Hauptbegriffe, die in der Weltweisheit vorkommen, sind einem jeden im gemeinen Leben so oft vor Ohren gegangen, daß er mit ihnen vertrauet genug zu sein glaubet. In der Mathematik hält jeder Unwissende sein Urteil zurück, und erwartet den Ausspruch der Kenner. Ja was sage ich in der Mathematik? in jeder gemeinen Kunst, in jedem Handwerke wagt außer den Kunstverwandten niemand, ein Werk zu meistern, und den Erfahrnen zu widersprechen. Aber in der Weltweisheit, in der Sittenlehre, in der Politik ist jedes Menschen Gesicht dreiste genug, das Richteramt zu übernehmen. Jeder Tor mustert Systeme, beurteilet sittliche Handlungen und tadelt Regierungsforme. Was für eine Verwirrung muß aus dieser allgemeinen Anarchie entspringen. Indessen ist es nicht zu leugnen, daß dieser Anarchie nicht gesteuret werden könne, ohne von der andern Seite den Despotismus mit allen seinen gefährlichen Folgen einbrechen zu sehen. In jeder Republik ist der Geist des Widerspruchs nicht nur eine notwendige Folge, sondern öfters ¦ auch eine heilsame Stütze der Freiheit und des allgemeinen Wohlstandes. Nicht jeder Republikaner hat die Fähigkeit das Ruder zu führen, oder dem Steuermann zu raten; aber die Freiheit will, daß jedermann seine Meinung sage, so ungereimt sie auch sei, damit sich niemand einkommen lasse, seinen Eigenwillen für weisen Ratschluß auszugeben, und seinen Mitbürgern aufzudringen. Dieselbe Beschaffenheit hat es mit der philosophischen Freiheit. Da nicht jeder die Fähigkeit hat, die Lehrsätze der Weltweisen zu prüfen; so ist es besser, daß er seinen ge | ringen Einsichten gemäß urteile, als daß er einen philosophischen Papst erkenne, und blindlings nachgehe, wohin ihn jener führen will. Wer sich über diese Freiheit beklagt, der hegt despotische Absichten, und ist ein gefährlicher Bürger in der Republik der Weltweisheit. Man kann aber dennoch daraus abnehmen, was für Hindernisse der philosophischen Evidenz im Wege stehen, und woher es komme, daß die Gewißheit, die in den Anfangsgründen der Weltweisheit herrschet, noch keine allgemeine Überzeugung nach sich gezogen hat.
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Dritter Abschnitt Von der Evidenz in den Anfangsgründen der natürlichen Gottesgelahrtheit Da ich hier die Absicht nicht habe, die Atheisten von dem Ungrunde ihrer Meinung zu überzeugen, sondern vor einer Gesellschaft von wahren Weltweisen die Gewißheit zu schätzen, mit welcher wir das Dasein Gottes und seine Eigenschaften aus der Vernunft erkennen; so kann ich mit gutem Grunde alle Beweisarten, die wir in dieser Wissenschaft haben, als bekannt voraussetzen, und mich begnügen, allgemeine Betrachtungen über dieselben anzustellen. Man hat im vorhergehenden gesehen, daß alle unsere Begriffe unendlich fruchtbar sind, indem jeder eine Menge von Folgerungen enthält, die vermittelst unleugbarer Grundsätze davon abgeleitet und entwickelt werden können. Die Begriffe von Gott und seinen Eigenschaften sind noch von einer wunderbarern Kraft. Sie sind so inniglich ¦ mit einander verknüpft, daß man nur eine einzige Eigenschaft Gottes vorauszusetzen hat, um alles, was wir von dem Allerhöchsten zu erkennen im Stande sind, davon herzuleiten. Eine einzige Kette von Schlüssen verbindet alle Vollkommenheiten dieses urbaren Wesens; seine Selbständigkeit, Unendlichkeit, Unermeßlichkeit, sein vollkommenster Wille, grenzenloser Verstand und uneingeschränkte Macht, seine Weisheit, Vorsehung, Gerechtigkeit, Heiligkeit u. s. w. sind dergestalt wechselweise in einander gegründet, daß jede von diesen Eigenschaften ohne alle übrigen einen Widerspruch ent | halten würde. Es kann sein, daß sich aus gewissen Eigenschaften Gottes, das übrige, was wir von ihm erkennen, leichter und faßlicher herleiten läßt, und da diese Faßlichkeit von den Einsichten abhängt, die bei dem zu überzeugenden Menschen vorausgesetzt werden; so gibt es auch verschiedene Methoden, diese Wahrheiten zu demonstrieren, die auf verschiedene Gemüter verschiedene Wirkungen tun. In der Sache selbst aber ist hier kein Unterschied, und man mag voraussetzen, welche Eigenschaft man will; so kann man sich von den übrigen ver-
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gewissern. Setzet z. B. diese Worterklärung zum voraus; Gott ist ein Wesen, das den vollkommensten Willen hat: der vollkommenste Wille setzet den vollkommensten Verstand zum voraus, und erfordert die vollkommenste Macht. Sie bestehet ferner in der Zuneigung zu allem möglichen Guten, und Abneigung von allem möglichen Bösen, nach Maßgebung ihrer Güte oder Bosheit; hieraus folget die Gerechtigkeit, Gütigkeit und Weisheit. Da er alle diese Vollkommenheiten ohne Grenzen besitzt; so ist er unendlich und folglich einig. Da er den Grund seines Daseins in keinem endlichen Dinge haben kann, außer ihm aber kein unendliches Ding vorhanden sein kann, so hat er den Grund seines Daseins in sich selber, ist also selbständig und notwendig. Ferner, wenn endliche Dinge vorhanden sein sollen; so müssen sie den Grund in ihm haben; denn außer ihm gibt es kein notwendiges Wesen, das den Grund derselben enthalten könnte, und in einem zufälligen können sie nicht hinlänglich gegründet sein. Sollen sie also vorhanden sein; so muß er ihr freiwilliger Schöpfer und Erhalter sein. Er wird ferner – Doch wozu diese umständliche Ausführung, die man in jedem Compendio26 antrifft? Ich begnüge mich folgende Anmerkung zu machen. ¦ Diese Anfangsgründe der natürlichen Gottesgelahrtheit haben alle Gewißheit, und beinahe die Evidenz der geometrischen Wahrheiten, so lange man auch hier, wie in der Geometrie, bei der Verknüpfung der Begriffe stehen bleibt, und bloß ihre gegenseitige Verwandtschaft zeigt, ohne von den Begriffen auf Wirklichkeiten zu schließen. Man siehet den Zusammenhang dieser Begriffe ein, und nimmt wahr, daß man keinen derselben ohne alle übrige denken könne, und sobald man nachher durch Offenbarung oder Vernunftschluß von der Wirklichkeit einer von diesen Eigenschaften überzeugt wird; so nehmen alle daraus hergeleitete Wahrheiten gleich | falls in dem Gebiete der Wirklichkeit ihren Rang ein; so wie ich in der praktischen Geometrie aus der sinnlichen Empfindung eines Dreiecks auf das Dasein aller Eigenschaften schließe, die einem Dreieck zukommen.
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Der Atheist, in so weit er noch von dem Dasein keiner von diesen Eigenschaften überzeugt ist, verhält sich in Absicht auf diese Theorie, wie ein Idealist in Absicht auf die Geometrie. Dieser leugnet das Objekt der Geometrie, gestehet aber dennoch die Verbindung der Begriffe ein, die in der Geometrie gezeigt wird, und die er, ohne sich zu widersprechen, nicht leugnen kann. Eben also kann jemand die Bündigkeit dieses Systems von Gott und seinen Eigenschaften einsehen und gestehen, aber das Objekt derselben leugnen, so lange er nicht auch hiervon vollkommen überzeuget wird. Bisher ging die Lehre von Gott mit den Anfangsgründen der Geometrie im gleichen Paare; hier aber ist der Punkt, wo sie von einander abgehen, und jene weit mehr leistet, als je von der Mathematik gefordert werden kann, nämlich die gründliche Überzeugung, daß das Objekt ihrer Wissenschaft wirklich vorhanden sei. Die Mathematik begnüget sich, wie wir gesehen, an dem Geständnis der Idealisten, daß es wenigstens beständige Erscheinungen gäbe, die an gewissen Regeln gebunden sind, und sie zeigt diese Regeln a priori. Der Weltweise aber muß den Grund seines Gebäudes tiefer legen, wenn es unerschüttert stehen soll, denn er muß ein wahres Vorhandensein der Dinge, nicht bloß die Verknüpfung der Begriffe beweisen, und dieses ist in der Tat der schwierigste Knote, ¦ den er aufzulösen hat. Wir haben im vorigen Abschnitte von zweierlei Wegen geredt, auf welchen man in der Weltweisheit überhaupt von den Möglichkeiten zu den Wirklichkeiten übergehet, und von der natürlichen Gottesgelahrtheit gilt das nämliche. Man schließet entweder von der Möglichkeit eines notwendigen Wesens auf dessen Wirklichkeit, oder aus dem unleugbaren Anschauungssatz; ich denke, auf meine Wirklichkeit, und von dieser auf die Wirklichkeit eines notwendigen Wesens, vermittelst des Satzes vom zureichenden Grunde. Die letzte Methode ist unstreitig die leichteste. Jener Schluß von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit hat zwar hier in unserm Falle, wo von der Möglichkeit des allerhöchsten Wesens die Rede ist, seine völlige Richtigkeit; da er aber der einzige in seiner Art ist, und bei keiner andern Gelegenheit statt findet; | so
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ist er vielen unverständlich. Jedoch vielleicht liegt die Schwierigkeit mehr in dem Vortrag, als in der Sache selbst. Ich will suchen dem Beweise eine leichtere Wendung zu geben. Da das Dasein einer Sache überhaupt so schwer zu erklären ist; so laßt uns vom Nichtsein anfangen. Was nicht ist, muß entweder unmöglich, oder bloß möglich sein. Im ersten Falle müssen sich seine innere Bestimmungen widersprechen, das heißt, dasselbe Prädikat von demselben Vorwurfe zugleich bejahen und verneinen, im letztern aber werden sie zwar keinen Widerspruch enthalten; es wird sich aber aus denselben nicht begreifen lassen, warum das Ding vielmehr sein als nicht sein soll. Eins wird mit dem wesentlichen Teile desselben sowohl bestehen können, als das andere, aus welchem Grunde das Ding möglich genennet wird. Das Dasein eines solchen Dinges gehöret nicht zu seiner innern Möglichkeit, nicht zu seinem Wesen, auch nicht zu seinen Eigenschaften, und ist daher eine bloße Zufälligkeit (modus), deren Wirklichkeit nicht anders als aus einer andern Wirklichkeit begriffen werden kann. Denn eine Zufälligkeit ist eine Bestimmung, die aus der bloßen Möglichkeit weder folget, noch begriffen werden kann, deren Wirklichkeit sich nicht anders, als aus einer andern Wirklichkeit erklären läßt. – Ein solches Dasein ist also abhängig, nicht selbständig. Dieses bedarf keines weitern Beweises. – Nun kann dem vollkommensten Wesen ein solches Dasein ¦ nicht zukommen, denn es würde seinem Wesen widersprechen, indem ein jeder einsiehet, daß ein unabhängiges Dasein eine größere Vollkommenheit sei, als ein abhängiges; daher der Satz: das allervollkommenste Wesen hat ein zufälliges Dasein, einen offenbaren Widerspruch enthält. – Das allervollkommenste Wesen ist also entweder wirklich, oder enthält einen Widerspruch. Denn bloß möglich kann es nicht sein, wie vorhin erwiesen worden; daher bleibt für dasselbe nichts weiter übrig, als die Wirklichkeit, oder die Unmöglichkeit. Soll der Begriff des allervollkommensten Wesens einen Widerspruch enthalten; so muß in den Bestimmungen, die demselben zukommen, etwas zugleich bejahet und verneinet werden.
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Jede Bestimmung ist entweder eine Realität oder ein Mangel. Jene bejahet, diese verneinet. Es findet also kein Widerspruch statt, außer wenn einer Sache nicht nur Realitäten, sondern auch Mängel und Einschränkungen zugeschrieben werden, und zwar in so weit ich ihr eine | Realität und den ihr entgegen gesetzten Mangel zuschreibe. Nun werden von dem allervollkommensten Wesen alle Realitäten bejahet, alle Mängel verneinet; daher kann in dem Begriffe derselben kein Widerspruch liegen. Wer da sagt, das allervollkommenste Wesen enthält einen Widerspruch, der widerspricht sich selber, indem das Subjekt alle Mängel verneinet, das Prädikat aber einige bejahet wissen will. Hält aber das allervollkommenste Wesen nichts widersprechendes in seinem Begriffe; so muß es wirklich vorhanden sein, wie aus dem vorigen erhellet. Man kann sich von derselben Wahrheit auch auf eine andere Weise überzeugen. Man erinnere sich nur aus den Anfangsgründen der Metaphysik, daß eine Sache wirklich vorhanden ist, sobald alles bestimmliche an derselben in der Tat bestimmt; das heißt, sobald von jedem Begriff A, der überhaupt genommen, dem Dinge sowohl zukommen, als nicht zukommen kann, ausgemacht ist, ob er dem Dinge zukomme, oder nicht zukomme. Hierin liegt der Charakteristische Unterschied zwischen allgemeinen möglichen, und einzelnen vorhandenen Begriffen. In jenem ist von vielen Bestimmlichkeiten weder das Ja noch das Nein ausgemacht, sondern unentschieden, und sie können auf die eine sowohl als auf die andere Weise ¦ bestimmt werden. Hingegen muß in einzelnen vorhandenen Dingen von allem, was bejahet oder verneinet werden kann, das Ja oder Nein ausgemacht und entschieden sein, und auch umgekehrt, wovon alles, bis auf die entferntsten Relationen ausgemacht und entschieden ist, das ist wirklich vorhanden. Was also nicht wirklich ist, muß entweder unbestimmbar, oder unbestimmt sein. Im ersten Falle enthält es einen Widerspruch, und ist unmöglich. Im letztern Falle fehlet es an einem Grunde, woraus zu begreifen wäre, wie und warum es vielmehr so, als anders bestimmt sein soll; das heißt, es fehlt an wirkenden Ursachen, die das mögliche Ding
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hervorbringen sollen, denn nichts anders heißt eine wirkende Ursache, als dasjenige, wodurch ein mögliches Ding alle seine Bestimmungen erhält, die zum wirklich Dasein fehlten. – Nun kann das allervollkommenste Wesen von außen keine Bestimmung erhalten, dadurch es wirklich werden sollte, daher ist es entweder kraft seines innern Wesens hinlänglich bestimmt, oder unbestimmbar; das heißt, entweder notwendig vorhanden, oder schlechterdings unmöglich. Man hat aus dem vorigen gesehen, daß es nicht unmöglich sein kann, daher ist es notwendig vorhanden. | Da die Erörterung des Bestimmten und Unbestimmten in der Weltweisheit von so ungemeinem Nutzen ist; so werde ich mich etwas länger dabei aufhalten. Ein jeder Satz ist entweder wahr, oder falsch, oder unbestimmt. Wahr ist er, wenn sich aus dem Subjekt entweder schlechterdings, oder unter gewissen angenommenen Bedingungen verständlich erklären läßt, daß ihm das Prädikat zukomme. Läßt sich aber aus dem Subjekt, entweder schlechterdings, oder unter angenommenen Bedingungen dartun, daß ihm das zugeschriebene Prädikat nicht zukomme; so ist er falsch. Läßt sich keines von beiden dartun; so ist er unbestimmt. Ein unbestimmter Satz sagt also nur aus, daß einem gewissen Subjekt ein Prädikat sowohl zukommen, als nicht zukommen könne; das heißt, daß weder die Bejahung, noch die Verneinung des Prädikats dem Subjekte widerspricht. Wenn ein solcher unbestimmter Satz in einen bestimmten verwandelt werden soll; so müssen zu dem Subjekte solche Bedingungen hinzukommen, oder das Subjekt muß unter solchen Umständen betrachtet ¦ werden; die entweder die Bejahung oder die Verneinung aufheben, und dadurch einen von den entgegen gesetzten Sätzen wahr, den andern falsch machen. Folgende Sätze z. B. Ein Körper ist ausgedehnet; ein Körper auf unserer Erde ist schwer; sind wahr, denn das erste Prädikat läßt sich schlechterdings aus dem Subjekt, das andere aus dem Subjekt unter der hinzugekommenen Bedingung, daß der Körper auf unserer Erde befindlich, unwiderlegbar dartun. Das Gegenteil von diesen Sätzen ist falsch. Hingegen ist folgender Satz: Ein fester Körper steigt
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in einer flüssigen Materie in die Höhe, unbestimmt, und er kann unter gewissen Bedingungen wahr, unter andern falsch sein. Diese Bedingungen sind, daß der feste Körper entweder schwerer, oder leichter sei, als die Masse der flüssigen Materie, die seinen Raum einnimmt. So bald diese Bedingung hinzukommt; so wird der unbestimmte Satz in einen bestimmten verwandelt, und statt er vorhin entweder wahr oder falsch sein konnte, wird nunmehr ausgemacht, entweder, daß er wahr oder daß er falsch sei. So oft etwas Bestimmliches bestimmt, und also ein unbestimmter Satz in einen bestimmten verwandelt wird; so muß sich von dieser Bestimmung Grund angeben lassen. Das heißt, ich muß die Bedingung des Subjekts anführen können, aus welcher zu begreifen ist, | wie der Satz nicht unausgemacht, ob wahr, oder falsch; sondern ausgemacht und bestimmt, entweder wahr oder falsch sei. Diese Bedingung, und die daraus folgende Bestimmtheit des Satzes muß an und für sich selbst vorgestellt und begriffen werden können, gesetzt auch, daß menschliche Kräfte nicht hinreichen, sie einzusehen; denn hier ist die Rede nicht von dem, was dieses oder jenes Subjekt begreifen kann; sondern von dem, was an und für sich selbst begreiflich ist. Ein jeder aber wird gestehen, daß alles, was an und für sich selbst unbegreiflich ist, auch unmöglich sein müsse. Die ausführliche Erkenntnis dieser Bedingung, und der daraus folgenden Bestimmtheit dieses Satzes nennt man den zureichenden Grund.27 Es hat also jede Bestimmung ihren zureichenden Grund, das heißt, eine jede Bestimmung setzt eine Bedingung des bestimmlichen Subjekts voraus, aus welcher sich begreifen läßt, warum es vielmehr so, als anders bestimmt ¦ wird. Da nun an einem wirklich vorhandenen Dinge, wie wir oben gesehen, nichts unausgemacht sein kann, sondern von allem, was ihm zukommen kann, bestimmt und ausgemacht sein muß, entweder daß es ihm zukomme, oder daß es ihm nicht zukomme; so kann ich von jedem wirklichen Dinge eine unendliche Menge von Sätzen formieren, die alle ihre bestimmte Wahrheit haben, die ihnen entgegen stehende Sätze aber sind alle ausgemacht falsch. Von jedem dieser Sätze
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läßt sich ein zureichender Grund der bestimmten Wahrheit anführen, läßt sich nämlich begreifen, wie durch eine gewisse Bedingung des Subjekts ausgemacht werde, ob ihm das Prädikat zukomme, oder nicht zukomme. Die ausführliche Erkenntnis aller dieser Bedingungen, aus deren Inbegriff die omnimoda determinatio individui28 fließt, heißt der zureichende Grund des Daseins einer Sache, ratio sufficiens existentiae, actualitatis entis. Man betrachte folgende Sätze; das notwendige Ding existieret; zufällige Dinge existieren. Die Bedingungen, aus welchen sich alle zum Dasein eines notwendigen Wesens nötige Bestimmungen folgern lassen, liegen in dem Wesen desselben. Das Prädikat des ersten Satzes ist also schlechterdings in dem Subjekt gegründet; daher hat das notwendige Wesen den Grund seines Daseins in sich selbst. Hingegen sind zufällige Dinge vermöge ihres Wesens noch in vielen Stücken unbestimmt, und es müssen von außen zu dem Subjekt noch gewisse Bedingungen hinzukommen, | bevor sich die durchgängige Bestimmung, die zu ihrer Wirklichkeit erfordert wird, begreifen läßt. Diese Bedingungen sind, die freiwillige Schöpfung und Erhaltung eines selbständigen Wesens, ohne welche die durchgängige Bestimmung eines zufälligen Dinges unmöglich zu begreifen und verständlich zu erklären ist; daher haben die zufälligen Dinge den Grund ihres Daseins in dem Willen eines notwendigen Wesens. Dieser Satz des zureichenden Grundes gründet sich, wie man gesehen, allerdings auf den Satz des Widerspruchs. Es ist schlechterdings unmöglich, daß eine Bestimmung wahr und unbegreiflich sein sollte. Ein Satz, der wahr ist, muß sich entweder aus dem Wesen, oder aus den Bedingungen des Subjekts erörtern lassen. Wenn beides nicht geschehen ¦ kann; so ist der Satz unbestimmt. Es ist also schlechterdings unmöglich und widersprechend, daß etwas ohne zureichenden Grund sollte bestimmt sein können. Daraus folgt aber keinesweges, daß alles, was durch einen zureichenden Grund bestimmt ist, auch schlechterdings notwendig sei. Das Dasein zufälliger Dinge ist nicht schlechterdings, sondern nur unter der Bedingung notwendig, daß sie Gott erschaf-
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fen und erhalten wolle. Das wahre Kennzeichen der absoluten und bedingten Notwendigkeit ist dieses; wenn die Bedingungen des Subjekts, aus welchen das Prädikat gefolgert wird, das Dasein eines andern Subjekts voraussetzen, so ist der Satz hypothetisch notwendig; bedarf es aber des Daseins keines andern Subjekts, um aus den Bedingungen des vorhandenen Subjekts das Prädikat zu folgern; so ist der Satz schlechterdings notwendig.29 So ist das Dasein Gottes schlechterdings notwendig; denn der Satz: Gott ist vorhanden, setzt in den Bedingungen des Subjekts kein Dasein eines andern Subjekts voraus, um das Prädikat dadurch zu bestimmen. Hingegen setzt der Satz: zufällige Dinge existieren, unter den Bedingungen des Subjekts, die den Satz wahrmachen, das Dasein und sogar den Willen Gottes zum voraus; daher ist das Dasein der zufälligen Dinge nicht schlechterdings notwendig. Aber wie? Ist dieser Satz des zureichenden Grundes allgemein, und leidet er in Ansehung der freiwilligen Entschließungen vernünftiger Wesen keine Ausnahme? – Dieser Frage will ich eine andere entgegen setzen; kann in Ansehung der freiwilligen Entschließungen vernünftiger Wesen etwas wahr, und dennoch schlechterdings unbe | greiflich sein? – Ist aber dieses unmöglich; so können auch alle Geisterkräfte nichts wahrmachen, das unbegreiflich ist, nichts bestimmen, davon nicht wenigstens ein unendlicher Verstand Grund anzeigen könnte, warum es vielmehr so, als anders bestimmt ist. Wenn sich also ein vernünftiges Wesen wozu entschließen, und zwar freiwillig entschließen soll; so muß, indem es sich entschließt, ein unendlicher Verstand aus seinem innern Zustande erklären können, warum es sich vielmehr so, als anders entschließt. – Also haben unsere freiwillige Entschließungen selbst ihre zukünftige Gewißheit? – Allerdings: und dieses ist nicht zu leugnen; denn wenn sie nicht objektive ihre ausgemachte ¦ Gewißheit hätten; so würde auch alle Wahrscheinlichkeit in Ansehung derselben verschwinden. Wenn in der Seele eines Tugendhaften nicht die ausgemachte Gewißheit läge, daß er sein Vaterland nicht mutwillig verraten wird; so wäre solches auch mit keinem Grunde der Wahrscheinlichkeit aus sei-
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nem Charakter zu schließen. Was subjektive wahrscheinlich ist, muß objektive seine ausgemachte Gewißheit haben. Da sich also aus dem Charakter eines Menschen verschiedenes mit Grunde vermuten läßt; so müssen unsere freiwillige Entschließungen allerdings ihre vorher bestimmte Gewißheit haben. Diese drei Sätze, 1) ein Stein, der nicht unterstützt wird, fällt zu Boden; 2) was einen Eindruck in die Gliedmaßen meiner Sinne macht, das empfinde ich; 3) ich werde meinen Freund, so lange mir meine Sinne bleiben, nicht verraten; diese drei Sätze, sage ich, sind alle von unstreitiger Gewißheit, denn aus dem Subjekt läßt sich unter gewissen Bedingungen das Prädikat folgern, und mit Zuverlässigkeit schließen. Aber diese Zuverlässigkeit selbst ist von verschiedener Natur; denn entweder gehöret zu den Bedingungen des Subjekts, die das Prädikat notwendig machen, unter andern auch eine lebendige Erkenntnis des Guten und Bösen, oder nicht. Jene wird die moralische, diese aber die physikalische Notwendigkeit genennt. Daß ein Stein in freier Luft zu Boden falle, daß auf einen äußern Eindruck in die Gliedmaßen der Sinne eine Empfindung folge, diese Sätze lassen sich beweisen, ohne in dem Subjekt eine oder die andere Erkenntnis des Guten und Bösen vorauszusetzen, daher sind sie physikalisch gewiß. Daß ich aber meinen Freund nicht verraten würde, dieses setzt unter den Bedingungen des Subjekts vornehmlich dieses voraus, daß ich es nach meiner | pragmatischen Erkenntnis vom Guten und Bösen notwendig gut finden muß, meinen Freund nicht zu verraten, und also enthält dieser Satz eine moralische Gewißheit oder Notwendigkeit. Eine Selbstbestimmung, die sich aus der Erkenntnis des Guten und Bösen erklären läßt, ist eine willkürliche, und wenn diese Erkenntnis deutlich ist, eine freiwillige Entschließung. Es stehet in meiner Freiheit, ob ich die Augen auftun will, oder nicht; wenn ich sie aber auftue, so stehet es nicht mehr bei mir, ob ich ¦ die sichtbaren Gegenstände sehen will, oder nicht. – Diese Sätze erkläre ich folgendergestalt; daß ich meine Augen auftue, oder verschließe, läßt sich nicht anders verständlich erklären, als aus der vorausgesetzten Bedingung, daß ich dieses oder jenes gut
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finde; diese Handlung setzt also gewisse praktische Begriffe des Guten und Bösen voraus, und ist willkürlich, öfters auch freiwillig. Daß ich aber mit offenen Augen die sichtbaren Gegenstände sehe; dieser Satz setzt in den Bedingungen des Subjekts unmittelbar kein Gutfinden oder nicht Gutfinden, keine Erkenntnis des Guten und Bösen voraus; daher ist das Sehen der Gegenstände, wie jedermann gestehet, nicht unmittelbar willkürlich, und um so viel weniger freiwillig. – Ich sehe hier den Weg zu unendlichen Ausschweifungen vor mir. Eine fernere Untersuchung, was Freiheit und Zurechnung, Lob und Tadel, Belohnung und Strafe, Beleidigung und Genugtuung sei? könnte mir zu mancher nützlichen Anmerkung Gelegenheit geben. Da sie mich aber in ein Labyrinth verwickeln würde, aus welchem kein Ausgang ist, wenn man nicht alle seine Krümmungen durchwandelt; so würde ich allzuweit von meinem Ziele abkommen. Ich breche daher ab, und kehre zu dem Satze des zureichenden Grundes zurück. Dieser herrliche Grundsatz ist das Band, welches alle ersinnliche Wahrheiten verbindet. In dem Verstande Gottes ist alles Wissenschaft, hängen alle mögliche Wahrheiten so zusammen, wie die Sätze einer geometrischen Demonstration. In unserm Verstande ist zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit allezeit eine entsetzliche Kluft, indem wir niemals alle mögliche Bestimmungen eines Dinges verständlich erklären können, und daher das Dasein zufälliger Dinge nicht anders als aus der Erfahrung haben können. Ein unendlicher Verstand aber kann alle mögliche Bestimmungen wirklicher Dinge | auf das allerdeutlichste erklären, und daher ihr Dasein, wenn ich vom Unendlichen menschlich reden darf, a priori beweisen. Daher hängen in ihm, vermöge des Satzes vom zureichenden Grunde, die Möglichkeiten und Wirklichkeiten auf das allergenaueste zusammen, und alle Wahrheiten machen ein einziges Ganze, eine einzige Wissenschaft, eine unendliche Demonstration aus, die der Allerhöchste mit einem ¦ Blicke übersiehet. Gesetzt, es könnte etwas ohne allen Grund vorhanden sein; so wäre das Dasein desselben eine Wahrheit, die mit keiner andern Wahrheit verknüpft ist, eine
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isolierte Insel im Reiche der Wahrheiten, zu welcher auf keinerlei Weise zu gelangen ist. Sie kann also auch kein Gegenstand des unendlichen Verstandes werden, denn wie die Eigenschaften Gottes auf das vollkommenste übereinstimmen; so harmonieren auch alle seine Einsichten, und machen ein systematisches Ganze aus, in welchem sich eins aus allem, und alles aus einem vernünftig erklären läßt. Keine abgesonderten Trümmer, keine Lücken finden in diesem unendlichen System Platz, gehören nicht zum Gegenstande der göttlichen Erkenntnis, und sind schlechterdings unmöglich. Diese erhabene Harmonie der Wahrheiten etwas deutlicher zu begreifen, erwäge man folgende Betrachtung. Eine jede Naturbegebenheit hat einen dreifachen Grund: sie läßt sich einmal aus der göttlichen Macht begreifen, die sie aus dem Nichts hervorbringt, und ohne diesen Grund ist sie schlechterdings unmöglich. Sie hat aber auch ihren Grund in dem System der göttlichen Absichten, und auch diese wird zu ihrem Dasein notwendig erfordert; denn Gott würde sie nicht hervorbringen wollen, wenn er sie nicht gut fände. Endlich läßt sich auch ihr Dasein aus den wirkenden Ursachen in der Natur begreiflich machen, und diesen Grund kann sie allenfalls entbehren. Denn Gott kann, was seinen Absichten gemäß ist, durch ein Wunderwerk hervorbringen, dessen Dasein sich aus keinen causis secundariis30 verständlich erklären läßt. Die göttlichen Absichten harmonieren mit den Wirkungen seiner Macht auf das allervollkommenste, denn er bringt nichts hervor, das nicht seinen Absichten gemäß ist, und es ist nichts seinen schließlichen Absichten gemäß, das er nicht hervorbringt. Aber auch das System der wirkenden Ursachen, so lange Gott den Lauf der Natur durch kein Wunderwerk unterbricht, harmonieret auf das allervollkommenste mit seinen Absichten. Sie bringen keine Realität hervor, die nicht seinen Ab | sichten gemäß ist, und er hat sie dergestalt eingerichtet, daß sie seine endliche Absichten auf das allergenaueste erfüllen. Dieses streitet keinesweges mit der Zulassung des Bösen, wie solches bereits von andern31 weitläuftig gezeiget worden ist. ¦
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Hieraus läßt sich mit wenigem entscheiden, in welchem Falle der Satz des zureichenden Grundes uns auf notwendige, und in welchem Falle er uns auf hypothetische Wahrheiten leite. Manche Weltweisen haben sich in dieser Verwirrung nicht zu helfen gewußt, und daher in der Anwendung dieses Grundsatzes unsägliche Schwierigkeiten zu finden geglaubt. Allein nach obigen Betrachtungen ist nichts leichter, als diese Fälle zu unterscheiden. Daß alles seinen Bestimmungsgrund haben müsse, ist eine schlechterdings notwendige Wahrheit. Sie leidet nicht die geringste Ausnahme, und erstreckt sich so gar bis auf den Ratschluß Gottes, in welchem gleichfalls ohne Bewegungsgrund unmöglich etwas beschlossen werden kann. Was einen Bestimmungsgrund hat, kann notwendig und auch zufällig sein, nachdem dieser Bestimmungsgrund in einer bloßen Möglichkeit, oder in einer Wirklichkeit anzutreffen ist. Denn was sich aus einer bloßen Möglichkeit erklären läßt; das ist schlechterdings notwendig. Wessen Dasein aber nicht anders, als aus einer angenommenen Wirklichkeit begriffen werden kann; das ist abhängig, und folglich zufällig. Das notwendige Wesen erfordert zu seinem Dasein nur einen einzigen Grund, und dieser liegt in seiner innern Möglichkeit. Die zufälligen und abhängigen Dinge erfordern einen dreifachen Grund; 1) eine unmittelbare wirkende Unterursache, und diese ist nicht nur an sich selbst zufällig; sondern auch allenfalls entbehrlich; 2) eine mittelbare wirkende Ursache, die aus dem Nichts hervorbringen, und erhalten kann, diese ist unentbehrlich, und wird also notwendig erfordert; sie macht aber gleichwohl das Dasein der zufälligen Dinge nicht notwendig; und endlich 3) eine Endursache, ohne welche das höchste Wesen keinen Bewegungsgrund gehabt haben kann, sie hervorzubringen. Auch diese wird schlechterdings notwendig erfordert, kann aber gleichwohl nichts schlechterdings notwendig machen. Wir haben also zwei verschiedene Grundsätze, auf deren jeden ein Lehrgebäude der natürlichen Gottesgelahrtheit aufgeführet werden kann. Der erste ist; was nicht vorhanden ist, muß entweder einen Widerspruch enthalten, oder keinen Bestimmungsgrund haben, das | heißt, nach unsern Erklärungen, ent-
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weder unbestimmbar, oder unbestimmt sein. Das ¦ allerhöchste Wesen kann weder unbestimmbar, noch unbestimmt sein, denn es enthält keinen Widerspruch, und was ihm zukommen kann, ist durch seine innere Möglichkeit notwendig bestimmt; daher ist das allerhöchste Wesen notwendig vorhanden. Der zweite Grundsatz ist dieser; Zufällige Dinge müssen den Grund ihres Daseins mittelbar in einem notwendigen Wesen haben, ich bin ein zufälliges Ding, also u. s. w. Der Untersatz ist aus zwei Aussagungen zusammen gesetzt: ich bin vorhanden; ich bin ein zufälliges Wesen. Die Wahrheit dieser beiden Aussagungen, sagt Cartes32, kann kein Skeptiker in Zweifel ziehen; denn wer zweifelt, ist vorhanden, und wer nicht alles gewiß weiß, der ist ein zufälliges Ding. Überhaupt kann der Skeptiker wohl in Zweifel sein, ob die Dinge außer uns so sind, wie wir uns dieselben vorstellen, oder ob sie uns nur so scheinen. Daß wir sie uns aber vorstellen, und daß sie uns so und nicht anders scheinen, darin findet kein Zweifel statt. Dieses ist also die unleugbarste Erfahrung, auf welche sich die Vernunft stützen kann, und sie muß unstreitig siegen, wenn sie ohne fernern Beistand der Sinne, aus dieser einzigen Grunderfahrung alle ihre Waffen schmiedet. Sie kann aber aus dieser Grunderfahrung noch eine wichtige Folge ziehen, die in der Lehre von Gott und seinen Eigenschaften von ungemeinem Nutzen ist. Wir wissen von den Eigenschaften der Dinge außer uns niemals mit überzeugender Gewißheit, ob sie Realitäten, oder bloße Erscheinungen sind, und im Grunde sich auf Negationen stützen, ja von einigen haben wir Grund zu glauben, daß es bloße Erscheinungen sind. Daher können wir keine von diesen Eigenschaften dem allerhöchsten Wesen zuschreiben, und einige müssen wir ihm schlechterdings absprechen. Von der letzten Gattung sind alle Qualitates sensibiles, von welchen wir mit Grunde glauben, daß sie außer uns nicht so anzutreffen sind, wie sie uns, vermöge unserer sinnlichen eingeschränkten Erkenntnis scheinen, und also keine Realitäten sind. Man kann diesen Schluß auch umkehren; was dem allerhöchsten Wesen nicht zukömmt, das kann keine Realität sein, denn ihm
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kommen alle mögliche Realitäten im höchsten Grade zu. Hieraus folget ganz natürlich, daß die Aus | dehnung, Bewegung und Farbe ¦ bloße Erscheinungen und keine Realitäten sind; denn wären sie Realitäten, so müßten sie dem allerhöchsten Wesen zugeschrieben werden. Die Geschichte der Weltweisheit33 zeiget auch, daß verschiedene Weltweisen auf den Irrtum verfallen sind, dem allerhöchsten Wesen die vollkommenste Ausdehnung zuzueignen, und einige haben sogar die vollkommenste Figur aufgesucht, die ihm zugeschrieben werden könne. In der Tat ist diese Ungereimtheit nicht zu vermeiden, so bald man Figur und Ausdehnung für etwas wirkliches, für Realitäten halten will. Die letzte Zuflucht war zu einer unendlichen Ausdehnung, die man dem höchsten Wesen mit Anstand zuschreiben zu können glaubte. Allein die Ungereimtheiten und Widersprüche, die auch aus dieser Hypothese folgen, nötigen uns, die Ausdehnung überhaupt von den Realitäten auszuschließen, und sie als ein bloßes Phänomenon anzusehen. Es gibt zwar Realitäten in der Natur, auf welchen sich diese Erscheinung gründet; allein diese sind nichts weniger als ausgedehnt; sondern einfach, und was an ihnen wirklich ist, das kömmt dem höchsten Wesen in der Tat in summo gradu zu. Aber die Erscheinungen, die wir an denselben wahrnehmen, müssen dem allerhöchsten Wesen schlechterdings abgesprochen werden, denn sie stützen sich auf das Unvermögen unserer Erkenntnis, und kommen den Dingen nicht so zu, wie wir dieselbena wahrnehmen. Aber welches sind denn die Eigenschaften der Dinge, von welchen wir mit Gewißheit sagen können, daß sie wirkliche Realitäten sind? keine andere als die Fähigkeiten unserer Seele. Unser Erkenntnisvermögen z. B. kann unmöglich eine Erscheinung sein. Denn eine Erscheinung ist nichts anders, als ein Begriff, dessen Beschaffenheit zum Teil aus dem Unvermögen unserer Erkenntnis erkläret werden muß. Es sind zusammengesetzte Vorstellungen, die wir nicht aus einander setzen können, und daa Erste Auflage und JubA: derselben. In der zweiten Auflage wie hier geän-
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her anders wahrnehmen, als sie wirklich sind. Wir haben am Ende des ersten Abschnittes gesehen, daß alle Phänomena ihren Grund haben in der angebornen oder verderbten Beschaffenheit unserer Sinne, in dem Augpunkte, aus welchem die Gegenstände betrachtet werden, in einem falschen Urteile des sinnlichen Beurteilungsvermögens, mit einem Worte, in den Einschränkungen unserer Vorstellungskraft. Aber unsere Vor¦stellungskraft selber, und alle verschiedene Fähigkeiten, die von derselben hergeleitet werden, können ihren Grund nicht in den Ein | schränkungen dieser Vorstellungskraft haben, sind also wahre Realitäten. Daher können wir dem allerhöchsten Wesen alle unsere Erkenntnisvermögen, wenn wir von den Mängeln und Unvollkommenheiten abstrahieren, die ihnen ankleben, mit Rechte zuschreiben, und also in ihm die unergründliche Vernunft, Weisheit, Gerechtigkeit, Gütigkeit und Barmherzigkeit verehren. Von der andern Seite wissen wir, daß die Erscheinungen, die wir von den körperlichen Dingen haben, sich auf gewisse Realitäten gründen müssen, die wir uns unrichtig vorstellen, denn von bloßen Negationen läßt sich kein Begriff bilden. Diese Realitäten können keine Ausdehnungen sein, denn die Ausdehnung selbst ist ein Phänomenon. Sie sind also einfach. Aber was für Eigenschaften haben sie? Leibniz sagt,34 sie haben die Eigenschaften, die uns einzig und allein als Realitäten bekannt sind, Vorstellungsvermögen; und er glaubt erklären zu können, wie aus der Verwirrung dieser Realitäten die Erscheinungen entspringen, die wir von den Körpern haben. Es ist hier der Ort nicht, mich über diese Meinung zu erklären. Ich habe nur die an meiner Materie angrenzenden Teile mit Außenlinien bezeichnen wollen. Eine umständlichere Beschreibung gehöret nicht zu meinem Vorhaben. Ich habe bisher bloß von zwei Beweisarten vom Dasein Gottes geredt, und bewiesen, daß sie eine völlige demonstrative Überzeugungskraft haben. Meine Absicht ist aber keinesweges, deswegen auf alle übrige Beweisarten Verzicht zu tun, die von verschiedenen Weltweisen mit glücklichem Erfolge sind ausgeführet worden. Denn da die Lehre von Gott nicht nur überzeugen, son-
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dern auch rühren, das Gemüt bewegen und zu einem dieser Lehre gemäßen Wandel antreiben soll; so ist es mit den bloß demonstrativen Beweisgründen nicht genug, sondern das Leben der Erkenntnis muß durch eine Menge von überführenden Gründen angefeuert werden. Die praktische Überzeugung gehet hierin von der bloß theoretischen ab. Diese begnügt sich mit der trockensten Demonstration, mit der bloß deutlichen Erkenntnis, jene aber erfordert nicht ausdrücklich Deutlichkeit und Gewißheit, sondern vornehmlich eine lebendige wirksame Er¦kenntnis, einen starken und lebhaften Eindruck in das Gemüt, dadurch wir angetrieben werden, unser Tun und Lassen dieser Erkenntnis gemäß einzurichten. Jede Wahrscheinlichkeit, jeder beredende Beweisgrund trägt zu diesem Leben der Erkenntnis | etwas bei, hilft seine Energie vermehren, wie ich in dem letzten Abschnitte weitläuftiger aus einander setzen werde. Daher muß kein Verehrer der Gottheit den mindesten Beweisgrund verwerfen, der nur einige Überredungskraft mit sich führet. – Man kann die Gründe, auf welchen diese anderweitige Beweisarten sich stützen, in folgenden Hauptklassen einteilen. 1) Die Schönheit und Ordnung in den sichtbaren Teilen der Schöpfung, sowohl in ganzen Weltsystemen und ihrem Zusammenhange, als in einzelnen besondern Teilen auf unserer Erde. 2) Die Schönheit und Ordnung in den Gesetzen der Bewegung, und endlich 3) die unleugbaren Absichten in der Natur, in allgemeinen und besondern, in ordentlichen und außerordentlichen Naturbegebenheiten, dahin auch die Schicksale gewisser Staaten, und sogar die Begebenheiten einzelner Personen zu rechnen sind. Denn auch aus diesen, wenn sie im Ganzen betrachtet werden, leuchten öfters die weisesten Absichten hervor, die durch wunderbare Mittel erhalten worden sind. Es ist nicht zu leugnen, daß diesen Beweisarten noch vieles zur demonstrativen Gewißheit fehlet. Was die Schönheit und Ordnung betrifft, nicht zu gedenken, daß erst dargetan werden muß, daß sie nicht notwendig; sondern zufällig sei: so kann man, wenn auch dieses geleistet wird, dennoch nichts mehr daraus folgern, als daß es eine weise und gütige Ursache dieser Ordnung und
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Dritter Abschnitt
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Schönheit gäbe, aber nicht daß diese allweise und allgütige Ursache, alles außer ihr aus dem Nichts hervorgebracht, erschaffen habe. Vielleicht hat Gott, wie einige von den Alten geträumet, ein Chaos35 vorgefunden, in welches er Ordnung und Schönheit hineingeleget hat. Vielleicht hat er der unordentlichen Bewegung, die in diesem Chaos anzutreffen gewesen, nur ordentliche und übereinstimmende Gesetze vorgeschrieben. Diese Einwürfe lassen sich widerlegen, das gestehe ich, aber nicht mit der siegenden Kraft, mit welcher man eine echte Demonstration verfechten kann. ¦ Was die Absichten der Dinge betrifft; so können aus denselben nichts anders, als höchstwahrscheinliche Schlüsse gezogen werden. Denn so lange wir nicht von dem Dasein eines vernünftigen Wesens überzeugt sind, das auf diese oder jene Wirkung sein Absehen gehabt; so könnten wir nur aus den Umständen vermuten, daß die Wirkung wohl eine Absicht eines vernünftigen Wesens gewesen sein müsse; wenn nämlich viele besondere Ursachen zu wiederholten | malen auf eben dieselbe Weise zusammen kommen, eine Wirkung hervorzubringen, die der Schicklichkeit gemäß ist, und mit dem Ganzen übereinstimmt. Je mehr Ursachen, je öfter sie zusammen kommen, und je schicklicher und der Vollkommenheit des Ganzen angemessener die Wirkung ist; desto wahrscheinlicher ist die Vermutung, daß diese Wirkung die Absicht eines vernünftigen Wesens gewesen sei. In unserm Falle steiget die Wahrscheinlichkeit auf einen sehr hohen Grad, und kommt der Gewißheit nahe, aber völlig erreichen kann sie dieselbe niemals, so lange wir weder alle Ursachen, so oft sie zusammen kommen, noch das richtige Verhältnis der Schicklichkeit einer einzigen Begebenheit zum Ganzen vollkommen deutlich einsehen können. Endlich kann auch aus den Absichten nur eine weise Anordnung und Einrichtung, nicht aber eine Schöpfung aus dem Nichts dargetan werden. Indessen besitzen diese Beweistümer eine weit größere Beredungskraft als selbst die Demonstration. Sie machen durch ihre Lebhaftigkeit einen stärkern Eindruck in das Gemüt, erwecken die Seele zu werktätigen Entschließungen, und bringen diejenige
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praktische Überzeugung hervor, die bei der Betrachtung der göttlichen Eigenschaften unsere vornehmste Absicht sein sollte. Die demonstrativen Beweistümer sind wie die Festungen, die ein Land wider feindliche Anfälle schützen, für friedliche Einwohner aber weder die bequemsten noch die anmutigsten Wohnplätze sind. Wer keinen Widersacher zu bestreiten, keine spitzfindige Zweifel zu besiegen hat, der findet in der Methode aus der Schönheit, Ordnung und aus den Absichten der Natur, ihren Schöpfer zu erkennen, die süßeste Beruhigung, den erquickendsten Trost, und dasjenige Feuer und Leben der Erkenntnis, das in das Begehrungsvermögen übergehet, und Entschließungen veranlasset, die in Handlungen ausbrechen. Man lasse also einer jeden Erkenntnis¦art ihren Wert, und verwerfe weder die allerstrengste Überzeugung, die von Spitzfindigkeiten strotzet, noch die allerfeurigste Überredung, und wenn sie auch nicht alle Ränke eines Widersachers vereiteln könnte. Nur hüte man sich in der Betrachtung der göttlichen Eigenschaften für solche Gründe, die in gewisser Absicht der guten Sache schädlich sein können. Ich meine, die Beweise von dem Dasein eines höhern Wesens, die sich wahrscheinlicher Weise auf unsere Unwissenheit gründen, und bei einer genauern Erforschung und tiefern Einsicht | in die Wirkungen der Natur, verschwinden dürften. So oft man aus außerordentlichen Naturbegebenheiten, deren Unterursachen man nicht ergründen kann, auf die unmittelbare Wirkung einer höhern Macht schließt; so bauet man auf schwachen Grund, denn wahrscheinlicher Weise haben, außer den Wunderwerken, alle Naturbegebenheiten auch ihre Unterursachen. Die Heiden hatten das Unglück, daß ihre Religion auf so schwachen Stützen ruhete. Jede außerordentliche Naturbegebenheit wollten ihre Priester der unmittelbaren Wirkung einer höhern Macht zuschreiben*.36 Nichts ist leichter und bequemer, * Ignoratio causarum conferre Deorum Cogit ad imperium res, et concedere regnum: et Quorum operum causas nulla ratione videre Possunt, haec fieri divino numine rentur. Lucr. L. VI.
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Dritter Abschnitt
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ein rauhes und ungebildetes Volk im Zaume zu halten, als ein System von Religion, das uns ganz mit Gottheiten umgibt, und im Rauschen eines jeden Wasserfalles, in der Stimme des Donners oder des Sturmwindes, in allem, was unsere Sinne rühret, die unmittelbare Wirkung einer höhern Macht erkennen lehret. Allein, ein solches System konnte von keiner langen Dauer sein. Sobald die Naturkunde und Weltweisheit empor kamen, sah man auch Religionsspötter und Gottesleugner entstehen, welche durch ihre Entdeckungen die schwachen Gründe des Aberglaubens vereitelten, und in der Einbildung stunden, alle Religion, alle mögliche Beweisgründe für das Dasein Gottes und seiner Eigenschaften umgestoßen zu haben. Jeder Naturforscher mußte damals ein Gottesleugner sein, oder wenigstens dafür gehalten werden. Wie war es mit dem Epikur? Er bemühete sich, alle Naturbegeben¦heiten aus mechanischen Gründen zu erklären, und befreiete die Götter von den mühsamen Arbeiten, die ihnen von den Priestern damaliger Zeit sind auferleget worden, wodurch er den herrschenden Aberglauben stürzte. Vortrefflich! wenn er nicht auf der andern Seite zu weit gegangen, und den allerungereimtesten Unglauben einzuführen bemühet gewesen wäre. Allein die bekannten Beweise für das Dasein der Gottheit und ihre unmittelbare Wirkungen waren nun einmal vernichtet, und der nächste Weg, der vor ihm offen stand, war, entweder beides oder wenigstens das letzte zu leugnen. In einem aufgeklärten Zeitpunkte würde Epikur wohl eingesehen haben, daß der Schluß nicht bindet: Alle Naturbegebenheiten haben | ihre natürliche Ursachen, daher gibt es keine Vorsehung, oder gar, wie einige wollen, keine Gottheit. – So groß ist der Einfluß des Zeitpunkts, in welchem wir leben, auf unsere Meinungen, und so nahe sind Aberglauben und Unglauben einander verwandt.
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Vierter Abschnitt Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre Bei einer jeden rechtschaffenen Handlung, die der Mensch unternimmt, macht er stillschweigend folgenden Vernunftschluß: Wo die Eigenschaft A anzutreffen ist, da erfordert die Pflicht B zu tun. Dieser vorkommende Fall hat die Eigenschaften A; also u. s. w. Der Obersatz dieses Vernunftschlusses ist eine Maxime, eine allgemeine Lebensregel, welche wir zu einer andern Zeit angenommen, und die bei Gelegenheit des gegenwärtigen Falles natürlicher Weise in das Gedächtnis zurückkommen muß. Der Untersatz gründet sich auf eine genaue Beobachtung der gegenwärtigen Umstände und auf die Überzeugung, daß sie mit dem Vorwurfe des Obersatzes, oder mit den erforderlichen Eigenschaften A völlig übereinkommen. Man sondert auch hier, wie in der Mathematik, das theoretische von dem praktischen ab, und teilet dadurch die Sittenlehre in zwei Teile, in ¦ die lehrende und ausübende. Jene trägt die allgemeinen Lebensregeln vor, die in besondern vorkommenden Fällen zu Obersätzen dienen, und diese lehrt die Anwendung und Ausübung der allgemeinen Grundsätze in einem vorkommenden Falle. Ich habe also zu untersuchen, wie weit sich in diesen Wissenschaften diea Evidenz erstrecke, und wie sie sich gegen die Evidenz in den Anfangsgründen der Geometrie verhalte. – Daß man die allgemeinen Grundsätze der Sittenlehre mit geometrischer Strenge und Bündigkeit beweisen könne,37 ist nicht schwer zu beweisen. „Haben wir Menschen das Erkenntnisvermögen mit einander gemein, spricht Marcus Aurelius;38 so haben wir auch als vernünftige Geschöpfe, die Vernunft gemein. Ist dieses; so | haben wir auch die Vernunftgründe gemein, die uns vorschreiben, was zu tun oder zu lassen ist, und folglich haben wir a Erste Auflage und JubA: der. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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auch ein gemeines Gesetz.« Nichts ist meines Erachtens deutlicher und bündiger, als dieser Schluß. Wenn verschiedene Dinge eine ähnliche Bestimmung haben; so müssen sie auch die Folgen gemein haben, die aus dieser Bestimmung fließen. Die Menschen besitzen eine gemeinschaftliche Beurteilungskraft, die in verschiedenen Vorwürfen nur dem Grade nach unterschieden ist; daher beruhen auch alle ihre Begriffe und Urteile vom Guten und Bösen auf demselben Grund, und weichen nur nach dem Grade ihrer Einsicht von einander ab. Ist aber dieses; so gibt es auch allgemeine Grundregeln, nach welchen sie, was zu tun oder zu lassen sei, entscheiden sollten, und diese allgemeine Grundregeln sind die Gesetze der Natur. Dieselbe Aussicht zeigt uns auch einen bequemen Weg, auf welchem wir zur Erkenntnis dieses allgemeinen Naturgesetzes gelangen können. Man betrachte nur das Tun und Lassen der Menschen, ihre verschiedene Neigungen und Leidenschaften, Ergötzungen und Beunruhigungen, man sondere dasjenige ab, worin sie alle endlich übereinkommen, diejenige Bestimmung, welche in dieser großen Mannigfaltigkeit allenthalben anzutreffen ist. Dieses summum bonum, quo tendimus omnes,39 auf welches alle Begierden und Wünsche der Menschen zuletzt abzielen, dieses ist die Richtschnur, die wir niemals aus den Augen lassen müssen, der Leitfaden, der uns durch das Labyrinth der menschlichen Handlungen sicher hindurch führen wird. ¦ Was haben die tausendfachen Begierden und Wünsche, Leidenschaften und Neigungen der Menschen gemein? dieses, daß sie alle auf die Erhaltung, oder Verbesserung unsers, oder eines andern Geschöpfes, innern oder äußern Zustandes abzielen. Selbst die allerlasterhaftesten Neigungen, die allerschändlichsten Begierden haben keinen andern Endzweck, nur daß sie Scheingüter an die Stelle der wahren Vorteile setzen, oder die gehörige Proportion verfehlen, indem sie ihr eigensüchtiges Selbst einer jeden andern Absicht vorziehen, oder ihren äußern Zustand auf Unkosten des Innern zu verbessern suchen. Der Ehrgeizige und Gewinnsüchtige sind in keiner andern Absicht lasterhaft, als weil sie die Verbesserung ihres äußern Zustandes, ihrer Ehre | oder
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ihres Vermögens, allen andern Absichten vorziehen, und dieser schändlichen Begierde öfters Leib und Seele, Freunde und Vaterland aufopfern. Mit dem Wollüstigen hat es die nämliche Beschaffenheit. Er erteilet den sinnlichen Vergnügen einen ungerechten Vorzug vor den Vollkommenheiten seiner Seele, oder vor den Vorteilen seines äußern Zustandes. Es zielen also alle lasterhaften sowohl als tugendhaften Begierden der Menschen zuletzt einzig und allein auf die wahre oder scheinbare Vollkommenheit (Erhaltung und Verbesserung) ihres oder ihrer Nebenmenschen, innern oder äußern Zustandes. Hieraus fließet die allgemeine praktische Maxime, das erste Gesetz der Natur: Mache deinen und deines Nebenmenschen innern und äußern Zustand, in gehöriger Proportion, so vollkommen, als du kannst.40 Hat man diese allgemeine Quelle gefunden; so kann man aus derselben die Pflichten gegen sich selbst, gegen seinen Nächsten, und auch gegen Gott herleiten. Denn es ist gar leicht zu beweisen, daß die Beobachtung der Pflichten gegen Gott der nächste, sicherste, ja, was sage ich? der einzige Weg sei, unsere Seele vollkommener zu machen. Man siehet hier die Wege zu den besondern Abteilungen der praktischen Weltweisheit, die alle mit geometrischer Strenge aus diesem allgemeinen Naturgesetze demonstrieret werden können. Man kann dasselbe Naturgesetz aus der bloßen Erklärung eines freiwilligen Wesens a priori beweisen. Ein Wesen, das mit Freiheit begabt ist, kann aus verschiedenen Gegenständen, oder Vorstellungen der Gegen ¦ stände, wählen, was ihm gefällt. Der Grund dieses Wohlgefallens ist die Vollkommenheit, Schönheit und Ordnung, die es in dem vorzuziehenden Gegenstande wahrnimmt, oder wahrzunehmen glaubt. Unter der Vollkommenheit begreife ich auch den Nutzen und das sinnliche Vergnügen, das uns der Gegenstand verspricht, denn beides gehöret zu den Vollkommenheiten unsers innern oder äußern Zustandes. – Die Betrachtung der Vollkommenheiten, Schönheit und Ordnung gewähret uns Lust, der Unvollkommenheit, Häßlichkeit und Unordnung aber Unlust; daher können Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit Bewegungsgründe abgeben, dadurch ein
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Vierter Abschnitt
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freies Wesen in seiner Wahl bestimmt wird. Diese Bewegungsgründe legen dem freien Wesen keinen physischen Zwang auf, denn es wählet nach Wohlgefallen und aus innerer Wirksamkeit; in | dessen aber führen sie eine moralische Notwendigkeit mit sich, vermöge welcher es dem freien Geiste unmöglich fällt, an den Unvollkommenheiten, dem Häßlichen und Unordentlichen Wohlgefallen zu finden. Eine Verbindlichkeit ist nichts anders, als eine moralische Notwendigkeit zu handeln, d. i. etwas zu tun oder zu unterlassen. Denn da kein physischer Zwang bei einem freien Wesen statt findet; so kann ich auf keine andere Weise verbunden werden, etwas zu wollen oder nicht zu wollen, als in so weit man mich durch Bewegungsgründe dazu veranlasset. Die Bewegungsgründe aber verursachen eine moralische Notwendigkeit; daher ist eine jede Verbindlichkeit eine moralische Notwendigkeit, etwas zu tun oder zu unterlassen. – Da nun ein jedes freie Wesen sittlich gezwungen ist, sich in seiner Wahl nach den triftigsten Bewegungsgründen zu bestimmen; so ist es auch verbunden, sich in seiner Wahl nach der Regel der Vollkommenheit, Schönheit und Ordnung zu richten, oder welches eben so viel ist, das freie Wesen ist verbunden so viel Vollkommenheit, Schönheit und Ordnung in der Welt hervorzubringen, als ihm möglich ist. Hieraus folget unmittelbar die natürliche Verbindlichkeit, oder das vorhin aus einem andern Grunde hergeleitete Naturgesetz: Mache deinen und deines Nächsten innern und äußern Zustand, in gehöriger Proportion, so vollkommen, als du kannst. ¦ Von einer andern Seite läßt sich aus unumstößlichen Gründen dartun, daß dieses allgemeine Naturgesetz mit den Absichten Gottes übereinkomme, und daß ich dem großen Endzweck der Schöpfung gemäß lebe, ein Nachahmer der Gottheit werde, so oft ich ein Geschöpf, mich oder ein anderes vollkommener mache. So bald man annimmt, daß ein Gott, der nicht ohne die allerweisesten Absichten handeln kann, die Welt hervorgebracht, so läßt sich kein Satz im Euklid strenger beweisen, als dieser, daß das angeführte Naturgesetz der Wille Gottes sein müsse. Kann das allerweiseste und gütigste Wesen eine andere Absicht haben, als
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die Vollkommenheit der Geschöpfe? Kann es also etwas anders wollen, als daß wir unsere freie Handlungen dieser Absicht gemäß einrichten sollen? – So wenig, als die Tangente den Zirkel mehr als in einem Punkt berühren kann. Bin ich aber verpflichtet, mich nach dem Willen meines Schöpfers | zu bequemen? – Ja, antworten unsere Weltweisen.41 Gott ist der völlige Eigentumsherr alles dessen, so er aus dem Nichts hervorgebracht. Wir sind sein Eigentum, seine Knechte. Ihm kommt also das unwidersprechlichste Recht zu, uns Gesetze aufzuerlegen, vorzuschreiben, was ihm gefällt, und die Übertreter wie Rebellen zu strafen. Wir müssen gehorsamen, uns völlig ergeben, unsern Willen vor dem seinigen ganz zernichten. – Diese Antwort demütiget, aber paßt auf die Frage nicht. Von der Macht läßt sich so unmittelbar nicht auf das Recht schließen. Gott kann, im physischen Verstande, mit seinem Geschöpfe machen, was er will. Wie folgt hieraus, daß er es auch moralisch kann, daß es ihm erlaubt sei, daß er ein Recht dazu habe? Noch begreife ich nicht, woran diese Begriffe zusammen hängen. – Die Schöpfung ist sein Eigentum? – Nun ja doch! Hieraus kann weiter nichts geschlossen werden, als daß ein anderer, wenn er auch die Macht hätte, dennoch kein Recht haben würde, ihm vorzuschreiben, was für einen Gebrauch er von seiner Schöpfung machen will. Wo ist aber der mathematische Beweis, daß ihm selbst ein Recht, eine moralische Befugnis zukomme, mit seinem Eigentume zu machen, was er will? Was uns kein anderer verwehren kann, ist deswegen noch nicht erlaubt. Es kann mich niemand mit Recht ¦ verhindern, den Vogel zu würgen, der hier im Käfig singt; wäre es aber deswegen erlaubt? Der kleine Schritt, der hier noch zu tun ist, bestehet aus folgendem Raisonnement. Man beweiset nämlich, daß Gott nichts anders wollen kann, als das Beste, und daß ein Recht nichts anders sei, als ein sittliches Vermögen, das zu tun, was der Regel der Vollkommenheit gemäß ist. Nunmehr hängt der Schluß so bündig zusammen, als immer ein geometrischer Beweis; wir sind Geschöpfe Gottes, also sein Eigentum. Sind wir sein Eigentum; so hat er das Recht, von unsern Kräften denjenigen Gebrauch zu
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machen, den er gut findet, denn was er gut findet, ist unstreitig das Beste. Er hat also das Recht, das sittliche Vermögen, uns Gesetze vorzuschreiben; denn die Gesetze, die er uns, seinem Eigentume, vorschreibt, sind der Regel der Vollkommenheit gemäß. Er hat ferner ein Recht, die Übertreter dieser Gesetze zu bestrafen, wenn diese Strafe selbst zur Vollkommenheit etwas beiträgt, u. s. w. | Uns, dem Eigentume Gottes, lieget eine doppelte moralische Notwendigkeit (Verbindlichkeit) ob, uns dem Willen unsers Eigentumsherrn zu unterwerfen, und seinen Gesetzen nachzuleben. Einmal, weil sie an und für sich die besten sind, indem sie Gott anders unmöglich vorschreiben kann. Wie aus diesem Begriffe eine Verbindlichkeit entspringe, ist bereits oben gezeigt worden. Zweitens geben uns die Strafen und Belohnungen, die Gott mit der Übertretung und Beobachtung seiner Gesetze verknüpft, Bewegungsgründe an die Hand, den Gehorsam für besser zu halten, und uns daher seiner Regierung zu unterwerfen. Die Bewegungsgründe sind die einzigen Triebfedern, durch welche ein freiwilliges Wesen in Bewegung gesetzet werden kann, und der allerweiseste Gesetzgeber selbst hat keine andere Mittel, seine Gesetze einzuführen und verbindlich zu machen, als indem er Bewegungsgründe mit denselben verknüpft, die das freiwillige Wesen geneigt machen, sie anzunehmen. Daher kann uns nichts verbinden, die natürlichen oder göttlichen Gesetze anzunehmen, als ihre innere Vortrefflichkeit, und die willkürliche Strafen und Belohnungen, die das allerhöchste Wesen zu unserm Besten mit denselben zu verknüpfen für gut gefunden hat. ¦ Auf dieser Grundlage läßt sich das System der praktischen Weltweisheit ohne sonderliche Schwierigkeit aufrichten. Unsere Handlungen sind gut oder böse, in so weit sie mit der Regel der Vollkommenheit, oder welches eben so viel ist, mit den Absichten Gottes übereinstimmen, oder nicht. Wir sind also verbunden, jene zu tun, diese zu unterlassen. – Die Tugend ist eine Fertigkeit zu guten, und das Laster eine Fertigkeit zu bösen Handlungen. – Bestrebe dich der Tugend und fliehe das Laster! – Die Verbindlichkeit zu guten Handlungen gibt uns ein Recht auf die
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Mittel, ohne welche wir dieselben nicht ausführen können. Wenn alle andere Menschen auf dieselben Mittel ein gleiches Recht hätten; so würde sich das Gesetz der Natur widersprechen, wie Cumberland 42 deutlich aus einander gesetzt hat. Es hat also notwendig ein Vorrecht statt, und dieses Vorrecht läßt sich aus vernünftigen Gründen entscheiden. Diese vernünftigen Gründe, in so weit sie auf eine Menge einzelner Fälle angewendet werden können, machen die Gesetze des natürlichen Rechts aus, und der Inbegriff dieser Gesetze heißt das Naturrecht. Aus dem allgemeinen Naturgesetze ist zu erweisen, daß wir | verbunden sind, diese Vorrechte zu erkennen, und sie demjenigen zukommen zu lassen, dem sie gebühren. Wir sind daher zur natürlichen Gerechtigkeit verbunden, d. i. wir müssen einem jeden das Recht zukommen lassen, das ihm gebühret. Will man die Gerechtigkeit, wie oben angeführet worden, durch eine weislich eingerichtete Gütigkeit erklären; so läßt sich die Verbindlichkeit zu derselben auch aus andern Gründen dartun. Denn wir sind verbunden, unsern innern Zustand vollkommener zu machen, und also weise und gütig zu sein. Man siehet hier abermals ein Beispiel von der erstaunlichen Fruchtbarkeit unserer Begriffe. Aus der einzigen Erklärung eines freiwilligen Wesens läßt sich das ganze System unserer Pflichten, Rechte und Obliegenheiten entwickeln, alle unsere Neigungen, Begierden und Leidenschaften fließen aus dieser allgemeinen Quelle, und unser Tun und Lassen ist rechtschaffen, wenn es mit diesem Urbegriffe, wie eine geometrische Demonstration mit ihrer Voraussetzung zusammenhängt. Aber man bewundere auch die vortreffliche Übereinstimmung der Wahrheiten! Wir haben drei verschiedene Maximen zum Grunde gelegt; 1) Erwäge, worin die Nei¦gungen aller Menschen übereinstimmen. 2) Erkenne dich, als ein freiwilliges Wesen. 3) Erkenne dich, als das Eigentum Gottes, und alle drei Grundmaximen führen auf die gemeinschaftliche Folge; Mache dich und andere vollkommen. Und so können noch unendlich viele Grunddefinitionen, oder auch richtige Erfahrungen vorausgeschickt werden, die uns alle auf einem bald kürzern bald längern Wege, auf dasselbe Resultat hinführen. An
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dieser wundervollen Harmonie erkennet man die Wahrheit! Sie zeigt wie die Natur, unendlich viele Aussichten, unendlich viele Gesichtspunkte, aber alle stimmen in das große Gemälde zusammen, unter welchem sich das Ganze darstellet. Dem allsehenden Auge ist die gesamte Natur Ein Gemälde, der Inbegriff aller möglichen Erkenntnisse, Eine Wahrheit. Die Begriffe der Moralphilosophie sind also fruchtbar und zusammenhängend genug, zu einem theoretischen System, und wir können in dieser Theorie alle unsere besondere Pflichten, Rechte und Obliegenheiten, aus einem einzigen allgemeinen Naturgesetze entwickeln. Die Gewißheit wird dieselbe sein, die man sich in den Anfangs | gründen der Metaphysik zu versprechen hat. Ist die Weltweisheit überhaupt eine Wissenschaft von den Beschaffenheiten der Dinge überhaupt; so ist die Moralphilosophie insbesondere nichts anders, als die Wissenschaft der Beschaffenheiten eines freiwilligen Wesens, in so weit es einen freien Willen hat. Die Freiheit aber ist, wie wir gesehen, ein fruchtbarer Begriff, dessen Entwickelung uns auf die Erkenntnis aller unserer Pflichten und Obliegenheiten führen kann; daher lassen sich die Lehren der theoretischen Moralphilosophie aus sichern Gründen unumstößlich dartun, und die Gewißheit, die in derselben herrschet, ist dieselbe, mit welcher sich in der Metaphysik die Beschaffenheiten der Dinge überhaupt entwickeln lassen. – Hingegen werden die Beweise in dieser Wissenschaft noch weit weniger einleuchtend, weniger faßlich sein können, als in den Anfangsgründen der Metaphysik oder der natürlichen Gottesgelahrtheit. Außer den Schwierigkeiten, mit welchen, wie in den vorigen Abschnitten ist gezeiget worden, in einer jeden philosophischen Wissenschaft die völlige Überzeugung verknüpft sein muß, kömmt in Ansehung der Sittenlehre noch hinzu, daß diese Wissenschaft auf den Gründen der Metaphysik gebauet ist. ¦ Man muß die Lehre von Gott, der Welt und der Seele des Menschen wohl begriffen, man muß sich davon überzeugt haben, ehe man sich in der Moralphilosophie einiges Licht versprechen kann. Wie kann ich begreifen, was ich Gott, mir selbst, und meinen Nächsten schuldig bin, wenn ich nicht von Gott, meinen Nächsten, mir
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selbst, und von der moralischen Verbindung, in welcher ich als Geschöpf und Nebengeschöpf mit jenen stehe, wahre und richtige Begriffe habe? Da also die praktische Weltweisheit die Wahrheiten der Metaphysik zum Grunde leget; so ist leicht zu begreifen, daß die Evidenz in derselben noch weit schwerer zu erhalten sein muß. Mit der ausübenden Sittenlehre verhält es sich, wie mit allen andern praktischen Wissenschaften. Jeder praktische Vernunftschluß legt in dem Untersatze die Beschaffenheit eines gegenwärtigen Falls zum Grunde, die uns nicht anders, als durch die Erfahrung bekannt werden kann; daher hängt die Wahrheit des Schlußsatzes, wenn der Obersatz auch seine mathematische Richtigkeit hat, dennoch von der Gewißheit der Erfahrung ab, durch welche der Untersatz außer Zweifel gesetzt wird. Und wenn die Erfahrung nicht Wahrheitsgründe genug enthält, uns von der Richtigkeit des Untersatzes voll | kommen zu überzeugen; so wird der Schlußsatz dem schwächern Teil folgen, und nicht mehr als wahrscheinlich sein können. Mit der praktischen Sittenlehre hat es die nämliche Bewandtnis. Es müssen Erfahrungen zum Grunde gelegt werden, die nicht allezeit den erwünschten Grad der Gewißheit haben können. Jedoch sind bei dieser Gelegenheit folgende Betrachtungen nicht aus der Acht zu lassen. Es gibt allgemeine Naturgesetze, die unmittelbar aus der ersten Quelle fließen. Diese gehen mehr auf die Neigungen unsers Herzens, als auf unsere äußerliche Handlungen. Sie schreiben uns vor, was wir lieben, und wovon wir abgeneigt sein sollen, und überlassen es dem unterm Naturgesetz, unser Tun und Lassen einzurichten. Von dieser Beschaffenheit sind die allgemeinen Naturgesetze: Verehre den Schöpfer! Liebe die Tugend, fliehe das Laster! Beherrsche deine Leidenschaften, unterwerfe deine Begierden der Vernunft! alle diese Vorschriften der Natur können in Ausübungsschlüsse verwandelt werden, die den höchsten Grad der Überzeugung mit sich führen. Ich bin ein vernünftiges Geschöpf; daher muß ich meinen Schöpfer ¦ verehren, die Tugend lieben, das Laster verabscheuen. Meine Begierden können mich von dem Wege der Glückseligkeit abführen; meine
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Leidenschaften können das Ziel überschreiten, daher muß ich sie der Herrschaft der Vernunft unterwerfen. Alle diese praktische Vernunftschlüsse können mit geometrischer Strenge bewiesen werden. Die Obersätze derselben sind von einer solchen Allgemeinheit, daß keine Ausnahme von denselben statt findet. Ihre Ausübung kann keiner höhern Pflicht im Wege stehen, denn sie sind eigentlich die Quellen, aus welchen alle unsere Pflichten hergeleitet werden. Ich bin zu allen Zeiten und in allen möglichen Umständen verbunden, meinen Schöpfer zu verehren, die Tugend zu lieben u. s. w. und kein Vorfall in der Welt kann mich von dieser Obliegenheit befreien. – Die Untersätze dieser Vernunftschlüsse gründen sich auf die Erfahrungen eines innern Sinnes, die ihre Überzeugung mit sich führen. Ich bin ein vernünftiges Geschöpf; Ich sehne mich nach der Glückseligkeit; Meine Begierden und Leidenschaften können, sich selbst überlassen, mich unglückselig machen; alle diese Sätze gründen sich zwar zuletzt auf Erfahrungen; allein auf Erfahrungen, die keinem Zweifel Raum lassen, die so untrüglich sind, als die bündigsten Vernunftschlüsse. Steigt man aber zu den abgeleiteten Naturgesetzen herunter, die uns | in besondern Fällen vorschreiben, was wir tun und lassen sollen; so nimmt diese Untrüglichkeit in der Ausübung allmählich ab, und steigt durch alle Stufen der Wahrscheinlichkeit bis zur Zweifelhaftigkeit nieder. Denn erstlich hängt die Beschaffenheit des gegenwärtigen Falls allhier von Erfahrungen ab, die selten Wahrheitsgründe genug enthalten. Die moralische Güte einer Handlung, der Wert oder Unwert unseres Tuns und Lassens, hängt nicht nur von unzähligen begleitenden Umständen und Zufälligkeiten, sondern auch von den Folgen und Wirkungen dieser Handlungen ab, die unmöglich mit Gewißheit vorhergesehen werden können. Der mindeste unverhoffte Zufall kann alle unsere Hoffnungen vereiteln, und den besten Vorsatz von den allerschädlichsten Wirkungen sein lassen. Ein Umstand, den wir nicht bemerkt haben, und wie selten sind wir im Stande alle Umstände genau zu erwägen! kann der Beschaffenheit des gegenwärtigen Falles eine ganz andere Gestalt geben. Nur ein allsehendes Auge ¦ kann die Ursachen, Folgen, Verhältnisse und
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Zufälligkeiten einer wirklichen Begebenheit mit der vollkommensten Gewißheit einsehen. Sterbliche müssen sich in diesem Falle der Führung einer blöden43 Wahrscheinlichkeit überlassen. Ferner können dem Obersatz, oder den allgemeinen Lebensregeln, welche in vorkommenden Fällen zur Ausübung gebracht werden sollen, zuweilen höhere Pflichten im Wege stehen, in welchem Falle ihre Verbindlichkeit aufhört. Wir sind verbunden, nicht das Gute, sondern das Beste zu tun, und ein abgeleitetes Naturgesetz, das einem höhern Naturgesetze im Wege stehet, muß demselben weichen. Dieser Streit der höhern und niedern Pflichten ist desto mehr zu besorgen, je besonderer die Lebensregel ist, welche den Obersatz unseres praktischen Schlusses ausmacht, und er kann durch Umstände veranlasset werden, die der schärfsten Aufmerksamkeit entwischen. Die löblichste Handlung, das verdienstlichste Werk kann zur Sünde werden, wenn wir zu eben der Zeit eine höhere Pflicht versäumen, deren Verbindlichkeit wichtiger ist. Denn eine jede äußere Handlung schließt, indem sie geschiehet, alle übrige Handlungen aus, die zu gleicher Zeit hätten geschehen können, und jedes Gesetz, das uns etwas zu tun befiehlt, muß unter der Bedingung verstanden werden, wenn zu eben der Zeit unsere Pflicht nichts wichtigers von uns heischt, das dadurch versäumt wird. Welcher Sterbliche kann sich rühmen, mit Gewißheit einzusehen, was Ge | legenheit, Zeit und Umständen nach, die beste Handlung sei, die er ausführen kann? In solchen Fällen die Gewißheit abwarten, heißt ewig unschlüssig da stehen, niemals zur Ausübung kommen wollen. Ja öfters ist die Gelegenheit so dringend, der Zeitpunkt so entscheidend, daß uns nicht einmal Zeit gelassen wird, die Gründe der Wahrscheinlichkeit nach deutlichen Begriffen abzuwägen. Das Gewissen und ein glücklicher Wahrheitssinn (Bonsens), wenn man mir dieses Wort erlauben will, müssen in den meisten Angelegenheiten die Stelle der Vernunft vertreten,44 wo uns nicht die Gelegenheit den kahlen Nacken zuwenden soll, bevor wir sie ergreifen. Das Gewissen ist eine Fertigkeit,45 das Gute vom Bösen, und der Wahrheitssinn, eine Fertigkeit, das Wahre vom Falschen durch undeutliche Schlüsse richtig zu unterscheiden.46 Sie sind in
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ihrem Bezirke das, was der Geschmack in dem Gebiete des Schönen und Häßlichen ist. Ein geübter Geschmack ¦ empfindet in einem Nu, was die langsame Kritik nur nach und nach ins Licht setzet. Eben so schnell entscheidet das Gewissen, beurteilet der Wahrheitssinn, was die Vernunft nicht ohne mühsames Nachdenken, in deutliche Schlüsse auflöset. Dieses innere Gefühl, diese Empfindung des Guten und Bösen, Wahren und Falschen, wirkt nach unveränderlichen Regeln, nach richtigen Grundsätzen, aber nach Grundsätzen, die durch anhaltende Übung unserm Temperamente einverleibt, bei uns gleichsam in Saft und Blut verwandelt worden sind. Ob sie gleich auf undeutliche Erkenntnis, und öfters auf bloße Wahrscheinlichkeiten gegründet sind; so ist ihre Wirkungskraft auf das Begehrungsvermögen dennoch weit feuriger und lebhafter, als die Wirkungskraft der deutlichsten Vernunftschlüsse, die ohne Fertigkeit überzeugen, aber nicht rühren, unterrichten, aber das Gemüt nicht bewegen. – Dieses in einiges Licht zu setzen, erlaube man mir den Unterschied zwischen der praktischen und theoretischen Überzeugung, dessen ich am Ende des vorigen Abschnittes Erwähnung getan, genauer zu betrachten. Wir geben einem Satze Beifall, so bald wir die Wahrheitsgründe desselben einsehen. Je näher diese Wahrheitsgründe einer völligen Demonstration kommen, und je deutlicher wir dieselben erkennen; desto zuverlässiger ist unser Beifall. Endlich, wenn wir den Be | weis eines Satzes so deutlich einsehen, daß wir die Wahrheit desselben nicht mehr in Zweifel ziehen können, so sind wir völlig überzeugt. – Dieses ist der theoretische Beifall, die Überzeugung des Verstandes. Das Gemüt, oder der Inbegriff unserer Begehrungsvermögen erkennet eine Art von Beifall, der von jenem weit unterschieden ist, und praktischer Beifall genennt zu werden verdienet. Wer von einer Wahrheit überzeugt ist, der kann sie zu eben der Zeit unmöglich in Zweifel ziehen; allein man kann von einer Verbindlichkeit theoretisch überzeugt sein, und ihr dennoch zuwider handeln. Ja Cartes47 scheinet so gar nicht ohne Grund zu behaupten, raro peccatur defectu theoreticae cognitionis officii sui,
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sed defectu practicae, hoc est, defectu firmi habitus assentiendi officio suo. Nicht alle demonstrative Wahrheiten wirken gleich stark in unser Begehrungsvermögen. Manche überzeugen den Verstand, ohne das Gemüt ¦ zu bewegen, gewähren deutliche Erkenntnis, aber ohne Kraft, Leben und Wirksamkeit, da hingegen andere Wahrheiten mit weniger Gewißheit das Gemüt mehr bewegen, und eine wirksame und lebendige Erkenntnis48 hervorbringen, die in das Begehrungsvermögen übergehen, und zu werktätigen Entschließungen antreiben. Die Ursache hiervon ist bekannt. Wir Menschen besitzen außer der Vernunft, auch Sinne und Einbildungskraft, Neigungen und Leidenschaften, die in der Bestimmung unsers Tuns und Lassens von äußerster Wichtigkeit sind. Das Urteil unsrer Vernunft kömmt nicht allezeit mit dem Urteile unserer niedern Seelenkräfte überein, und wenn sie mit einander streiten; so müssen sie notwendig eines des andern Wirksamkeit in den Willen schwächen. Nur alsdenn wird der Beifall einer Wahrheit praktisch, wenn die Vernunftgründe, die niedern Seelenkräfte entweder besiegen, oder gar mit zu ihrem Vorteile einnehmen. In dem letztern Falle muß das Gemüt, wie leicht zu begreifen ist, weit entschlossener sein, denn alsdenn stimmen Vernunft und Einbildungskraft, Geist und Herz zusammen, uns zu Handlungen anzutreiben; allein auch in jenem Falle, wenn nämlich die Vernunftgründe alle Gegenvorstellungen der Einbildungskraft unterdrücken, wird die Erkenntnis lebendig, und bricht in Handlungen aus. Die Ethik gibt uns Mittel an die Hand, wodurch die Übereinstimmung der niedern Seelenkräfte mit der Vernunft zu erhalten ist.49 | Man kann diese Mittel auf folgende vier Hauptstücke zurückbringen. 1) Die Häufung der Bewegungsgründe. Viele überredende Gründe können mehr Gewicht haben, das Herz leichter bewegen, als ein einziger überzeugender Bewegungsgrund, und wenn sie mit diesem vereinigt werden; so erzeugen sie die glückliche Übereinstimmung des Herzens mit dem Verstande, die eine Quelle der süßesten Zufriedenheit ist. Der Mathematiker begnügt sich mit einem einzigen Beweise, denn er hat nur den Ver-
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stand zu überführen, und einen bloß spekulativen Beifall zu erzwingen. Der Redner hingegen häuft Gründe auf Gründe, bestürmt das Gemüt von allen Seiten, und suchet sich eines jeden wahrscheinlichen Grundes zu seinem Vorteile zu bedienen; denn er will das Herz bewegen, das Begehrungsvermögen einnehmen, und muß nicht nur auf den Verstand; sondern auf Sinne und Einbildungskraft ¦ zugleich wirken. – 2) Die Übung. Je öfter wir gewisse Gründe überdenken, je mehr wir aus denselben Bewegungsgründe zu unsern Handlungen hernehmen, desto lebhafter ist der Eindruck, den sie in dem Gemüte hinterlassen, und desto leichter können sie auch die niedern Seelenkräfte einnehmen. Wenn diese Übung so lange fortgesetzet wird, bis uns die Handlung leicht wird; so sagen wir, wir haben eine Fertigkeit erlangt, etwas zu tun. Gewohnheit und Übung regieren eigenmächtig in unserm Herzen, und man kann durch Hilfe derselben die widerspenstigsten Neigungen besiegen, die hartnäckigsten Leidenschaften unter das Joch der Vernunft bringen, oder vielmehr, man kann durch Hilfe derselben Neigungen und Leidenschaften erzeugen, die mit den Vorschriften der Vernunft einen und denselben Endzweck haben. – 3) Die angenehme Empfindung. Wenn die Vernunftgründe von Schönheit und Anmut unterstützt werden; so wird die Einbildungskraft leicht zur Übereinstimmung gereizt. Die Vollkommenheit ist die Triebfeder der Vernunft, und die angenehme Empfindung, die Lockspeise der Einbildungskraft. Hierauf gründet sich der Nutzen der schönen Künste und Wissenschaften in der Sittenlehre. Die Vernunftgründe überzeugen den Verstand von der Vortrefflichkeit der Tugend, und die schönen Künste erzwingen den Beifall der Einbildungskraft. Jene machen sie verehrungswert, diese angenehm. Jene zeigen den Weg zur Glückseligkeit, und diese bestreuen ihn mit Blumen. Wie groß ist der Virtuose in den Augen des Weltweisen, wenn er seiner | Bestimmung treu bleibt, und der Tugend wirklich die Vorteile verschafft, die sie sich von ihm versprechen kann! – 4) Endlich ist das vierte Hauptmittel, die Einbildungskraft mit der Vernunft in Übereinstimmung zu bringen, die anschauende Erkenntnis, wenn man nämlich die allgemeinen Vernunftgründe
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durch Beispiele gleichsam in sinnliche Begriffe verwandelt. In jeder Theorie dienet das Exempel nur zur Erläuterung, und wird überflüssig, sobald wir den allgemeinen Lehrsatz deutlich begreifen; aber in der Ausübung hat das Beispiel allezeit größern Nutzen, als die Maxime. Es hat einen stärkern Einfluß in den Beifall des Gemüts, weil es die Sinne rühret, die Einbildungskraft erschüttert. – Hierauf gründet sich der Nutzen der Geschichte und der Äsopischen Fabel in der Sittenlehre. ¦ Man siehet nunmehr, was dazu gehört, wenn die Grundsätze der praktischen Sittenlehre in unser Tun und Lassen die gehörige Wirkung tun, und eine dauerhafte und unveränderliche Bereitwilligkeit zur Tugend zuwege bringen sollen. Sie müssen durch Beispiele belebt von der Gewalt der angenehmen Empfindung unterstützt, durch die Übung in beständiger Wirksamkeit erhalten, und endlich in Fertigkeit verwandelt werden. Alsdenn entstehet die Überzeugung des Herzens, die in der Sittenlehre unser vornehmster Endzweck ist. Der Geist mag immer nur wahrscheinliche Beweise vor sich sehen, ja er mag diese Wahrscheinlichkeit selbst nicht einmal deutlich zergliedert, nur mit dem Wahrheitssinn begriffen haben: dieses hindert nicht allezeit das Leben des Erkenntnisses. Die Sinne können gleichwohl lebhaft gerühret, die Einbildungskraft entzündet, und das Gemüt durch Gewohnheit, Beispiel, Anmut u. s. w. zu dem standhaftesten und unveränderlichsten Beifall gezwungen werden, woraus eine süßere Beruhigung und Zufriedenheit entspringt, als aus der kalten Überzeugung des Geistes. Diese Betrachtungen haben keineswegs die Absicht, den Nutzen der demonstrativen Sittenlehre in Zweifel zu ziehen. Es gilt vielmehr auch hier, was am Ende des vorigen Abschnittes in Ansehung der Lehre von Gott und seinen Eigenschaften erinnert worden ist. Eine jede Erkenntnisart hat ihren Wert. Wo Zweifel zu heben, Widersacher zu bestreiten, theoretische Feinde der Tugend zu beschämen sind, da bleibt kein ander Mittel, als zu den strengsten Beweisen | seine Zuflucht zu nehmen. Ja, manches glückliche Genie besitzet Feuer und Stärke des Geistes genug, das System sittlicher Wahrheiten mit allen ihren feinen Verbin-
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dungen deutlich und lebhaft im Zusammenhange zu schauen, um von der göttlichen Harmonie derselben entzückt zu werden. In einer solchen Verfassung erlangt die trockenste Erkenntnis Geist und Leben, werden ohne Hilfe der vorhin erwähnten Mittel, Sinne und Einbildungskraft bis zur Höhe der Vernunft entzückt, und alle Fähigkeiten der Seele zur Tugendliebe beseelt. Wer einer so erhabenen Begeisterung fähig ist, kann unter Anführung der strengesten Vernunft, Herr über seine Neigungen werden, den wilden Sturm der Leidenschaften nach dem Winke der Weisheit regieren, und ¦ zwischen Herz und Geist die holdseligste Eintracht stiften, die weder Furcht noch Hoffnung, weder Schmerz noch Wollust zu stören vermag. – Allein wie gering ist die Anzahl der Sterblichen, die eines so göttlichen Enthusiasmus fähig sind! Wer bei sich merkt, daß die spekulativen Gründe sein Herz ungerühret, seine Einbildungskraft unbegeistert lassen, der vermeide alle dornigte Subtilitäten, und suche sein Herz durch die vorhin beschriebene Überredungsmittel zur Einstimmung zu locken. Und überhaupt erhellet aus diesen Betrachtungen, daß zur praktischen Überführung die mathematische Gewißheit nicht notwendig erfordert werde, und die bloße Wahrscheinlichkeit öfters feuriger und lebhafter in das Gemüt wirke als spekulative Vernunftschlüsse. Der Fall trifft zu, so oft die wahrscheinliche Erkenntnis von den Mitteln unterstützt wird, die das Herz zur Einstimmung nötigen. Dieses sind meine Gedanken von der Evidenz in den verschiedenen Teilen der metaphysischen Wissenschaften. Ich war Anfangs Willens von der äußerlichen Lehrart in einem besondern Abschnitte zu handeln. Einige Weltweisen haben den Grund der vorzüglichen Evidenz, die man in den Anfangsgründen der Mathematik antrifft, einzig und allein in die mathematische Methode setzen wollen. Sie haben sich daher die Hoffnung gemacht, durch Einführung derselben Lehrart, in den philosophischen Wissenschaften auch dieselbe Evidenz zu erhalten. Man weiß, wie wenig der Erfolg dieser Hoffnung entsprochen hat. Es erhellet aber auch aus meinen obigen Betrachtungen, wie ungegründet die Voraussetzung an sich selbst sei, daß man den Vorzug der Mathematik
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einzig und allein in der | Lehrart zu suchen habe. Ich habe also in bemeldetena Abschnitte dieses weitläuftiger ausführen, und den Nutzen der mathematischen Methode richtiger bestimmen wollen. Da aber die Methode zur innern Überzeugung nicht notwendig erfordert wird, und die Anwendung der mathematischen Lehrart insbesondere sich durch den Mißbrauch beinahe lächerlich gemacht hat; so will ich meine Abhandlung nicht ohne Not vergrößern.
a Erste Auflage und JubA: bemeldeten.
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3. MORGENSTUNDEN ODER VORLESUNGEN ÜBER DAS DASEIN GOTTES Erster Teil | ¦ Vorbericht Folgende Diskurse über das Dasein Gottes enthalten das Resultat alles dessen, was ich über diesen wichtigen Gegenstand unsres Forschens vormals nachgelesen und selbst gedacht habe. Seit zwölf bis fünfzehn Jahren befinde ich mich nämlich in dem äußersten Unvermögen, meine Kenntnisse zu erweitren. Eine sogenannte Nervenschwäche,1 der ich seitdem unterliege, verbietet mir jede Anstrengung des Geistes, und, welches den Ärzten selbst sonderbar vor ¦ kömmt, sie erschweret mir das Lesen fremder Gedanken fast noch mehr, als eigenes Nachdenken. Ich kenne daher die Schriften der großen Männer, die sich unterdessen in der Metaphysik hervorgetan, die Werke Lamberts, Tetens, Platners und selbst des alles zermalmenden Kants,2 nur aus unzulänglichen Berichten meiner Freunde oder aus gelehrten Anzeigen, die selten viel belehrender sind. Für mich stehet also diese Wissenschaft noch jetzt auf dem Punkte, auf welchem sie etwa um das fünf und siebenzigste Jahr dieses Jahrhunderts gestanden hat; denn so lange ist es her, daß ich genötiget bin, mich von ihr zu entfernen; wiewohl ich es doch nie über mich habe erhalten können, der Philosophie völlig Abschied zu geben; so sehr ich auch mit mir selbst gekämpft habe. Ach! sie war in bessern Jahren meine treueste Gefährtin, mein einziger Trost in allen ¦ Widerwärtigkeiten dieses Lebens; und jetzt mußte ich ihr auf allen Wegen ausweichen, wie einer Todfeindin: oder, welches noch härter ist, sie scheuen, wie eine verpestete Freundin, die selbst mich warnet, allen Umgang mit ihr zu meiden. Ich hatte nicht Selbstverleugnung genug, ihr zu gehorchen. Es erfolgten von Zeit zu Zeit verstohlne Übertretungen; wiewohl nie ohne reuevolle Büßung.
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Mittlerweile wuchs mein Sohn J. heran, und die gute Anlage, die er zeigte, machte es mir zur Pflicht, ihn frühzeitig zur vernünftigen Erkenntnis Gottes anzuführen. Zuvörderst ließ ich ihn nach eigenem Gefallen selbst lesen und Ideen sammeln. Ich bin der Meinung, | daß man beim Studium der Philosophie, so wie bei Erlernung der Sprachen, mit dem Gebrauch den Anfang machen, und mit der Regel endigen ¦ müsse. Das Studium der Form ist weder nützlich noch angenehm, wenn nicht die Anwendung beständig zur Seite gehen kann; und wie ist dieses möglich, wenn noch keine brauchbare Materialien angeschafft sind? Ich ließ ihn also zuerst Materie zusammentragen, und nun war es Zeit Form und Regel hinein zu bringen, und ihm zum ordentlichen und methodischen Nachdenken über diese wichtige Materie die erforderliche Anleitung zu geben. Ich entschloß mich, die wenigen Stunden des Tages, in welchen ich noch heiter zu sein pflege, die Morgenstunden, ihm zu diesem Behuf zu widmen, und hatte das Vergnügen, daß mein Schwiegersohn S. und auch W.,3 der Sohn einer Familie, mit der ich seit vielen Jahren in freundschaftlicher Verbindung stehe, an unsren Bemühungen Teil nehmen wollten. Diese drei ¦ Jünglinge von schätzbaren Geistesgaben und noch beßrem Herzen, besuchten mich in den Morgenstunden; wir unterredeten uns von den Wahrheiten der natürlichen Religion; und wenn ich dazu aufgelegt war, hielt ich ihnen zusammenhangende Vorlesungen über einen und den andern Punkt aus derselben; aber wie leicht zu erachten, ohne allen Schulzwang. Sie hatten die Freiheit, mich zu unterbrechen, Einwürfe vorzubringen, sie unter sich zu beantworten, und ich brach zuweilen meinen Diskurs ab, um sie unter sich streiten zu lassen. Auf solche Weise sind die Aufsätze entstanden, davon ich den ersten Teil4 hiemit dem Publikum vorlege. Ich weiß, daß meine Philosophie nicht mehr die Philosophie der Zeiten ist. Die Meinige hat noch allzusehr den Geruch jener Schule,5 in welcher ich mich gebildet habe, und die in der ersten Hälfte des Jahrhun¦derts vielleicht allzueigenmächtig herrschen wollte. Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit.
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Das Ansehen dieser Schule ist seitdem gar sehr gesunken, und hat das Ansehen der spekulativen Philosophie überhaupt mit in seinen Verfall gezogen. Die besten Köpfe Deutschlands sprechen seit kurzem von aller Spekulation mit schnöder Wegwerfung. Man dringet durchgehends auf Tatsachen, hält sich bloß an Evidenz der Sinne, sammelt Beobachtungen, häuft Erfahrungen und Versuche, vielleicht mit allzugroßer Vernachlässigung der allgemeinen Grundsätze. Am Ende gewöhnet sich der Geist so sehr ans Betasten und Begucken, daß er nichts für | wirklich hält, als was sich auf diese Weise behandlen läßt. Daher der Hang zum Materialismus, der in unsren Tagen so allgemein zu werden drohet, und von der andern Seite, die Begierde zu ¦ sehen und zu betasten, was seiner Natur nach nicht unter die Sinne fallen kann, der Hang zur Schwärmerei. Jedermann gestehet sich, daß das Übel zu sehr einreißt, daß es Zeit sei, dem Rade einen Schwung zu geben, um dasjenige wieder empor zu bringen, was durch den Zirkellauf der Dinge zu lange ist unter die Füße gebracht worden. Allein ich bin mir meiner Schwäche allzusehr bewußt, auch nur die Absicht zu haben, eine solche allgemeine Umwälzung zu bewirken. Das Geschäft sei beßren Kräften aufbehalten, dem Tiefsinn eines Kants, der hoffentlich mit demselben Geiste wieder aufbauen wird, mit dem er niedergerissen hat. Ich begnüge mich mit der eingeschränktern Absicht, meinen Freunden und Nachkommen Rechenschaft zu hinterlassen, von dem, was ich in der Sache für wahr gehalten habe. Auch hatte ich eine ¦ besondre Veranlassung zur jetzigen Bekanntmachung dieser Schrift, die ich in dem folgenden Teile näher anzuzeigen Gelegenheit haben werde. Wie bald dieser erscheinen wird, kann ich für jetzt noch nicht bestimmen. Es wird hauptsächlich von dem Beifall abhängen, mit welchem das Publikum diesen ersten Teil aufnehmen wird.
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| ¦ Vorerkenntnis von Wahrheit, Schein und Irrtum | ¦ I. Was ist Wahrheit? Indem wir ausgehen, um Wahrheit zu suchen, meine Lieben! so nehmen wir an, daß Wahrheit zu finden sei, und daß es sichere Merkmale gebe, sie von Unwahrheit zu unterscheiden. Wir haben uns also vorläufig die Fragen zu beantworten: 1) Was ist Wahrheit? 2) An welchen Merkmalen wollen wir sie erkennen und von Schein und Irrtum unterscheiden? Wer nicht anders spricht, als er denkt, der redet die Wahrheit. Wahrheit im Reden ist also Übereinstimmung zwischen Worten und Gedanken, zwischen Zeichen und bezeichneter Sache. Da sich unsre Gedanken zu ihren Gegenständen gewissermaßen eben so verhalten, wie Zeichen ¦ zum Bezeichneten; so haben einige diese Erklärung allgemein machen, und das Wesen der Wahrheit in die Übereinstimmung zwischen Worten, Begriff und Sachen setzen wollen. Alle mögliche und wirkliche Dinge, haben sie gesagt, sind gleichsam die Urbilder; unsre Begriffe und Gedanken die Abbildungen derselben; und die Worte wie die Schattenrisse der Gedanken. Wenn die Abbildung nichts mehr und nichts weniger enthält, als dem Vorbilde zukömmt, und der Schattenriß richtig andeutet, was in der Abbildung enthalten ist, so ist zwischen allen dreien die vollständigste Übereinstimmung, und diese nennen wir Wahrheit. Ist schon diese Erklärung nicht unrichtig, so scheint sie doch nicht fruchtbar zu sein. Wenn Wahrheit Übereinstimmung ist; so ist Unwahrheit, Mißstimmung. Also ist Unwahrheit in Gedanken, Mißhelligkeit der Gedanken unter sich, oder mit ihren Urbildern, mit den Gegenständen, denen sie zukommen. Nun gibt es kein Mittel, die Gedanken mit ihren Gegenständen, d. i. die Nachbilder mit ihren Urbildern zu ¦ vergleichen. Wir haben bloß die Nachbilder vor uns, und können einzig und allein vermittelst derselben von den Urbildern urteilen. Wer sagt uns, ob diese Nachbilder treu sind, ob sie nicht mehr oder weniger enthalten, als ihren Urbildern in der Tat zukömmt, ob es überall Urbilder
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gibt, denen sie gleichen? Man sieht also, daß uns von dieser Seite wenigstens keine Merkmale angegeben werden, die Wahrheit zu erkennen und von Unwahrheit zu unterscheiden: lasset uns einen andren Weg versuchen. | In Absicht auf die Wahrheit im Sprechen, können wir es bei der vorigen Erklärung bewenden lassen. Wir haben es in unsrer Gewalt, die Worte mit den Gedanken zu vergleichen und zu sehen, in wie weit sie übereinstimmen. Die Gedanken selbst können von zwei verschiedenen Seiten betrachtet werden. Sie gehen entweder das Denkbare und nicht Denkbare, oder das Wirkliche und nicht Wirkliche6 an. Zuerst also von den Gedanken, in so weit sie denkbar oder nicht denkbar sind. Diese zerfallen abermals in 1) Begriffe, 2) Urteile, 3) Schlüsse. Die ¦ Begriffe sind wahr, wenn sie Merkmale enthalten, die sich einander nicht aufheben, die also zugleich denkbar sind. Der Begriff eines Zirkels ist wahr; denn die Merkmale, die davon angegeben werden sind einander nicht widersprechend. So ist der Begriff des Zweifels z. B. ein wahrer Begriff, in so weit einem eingeschränkten Wesen die Wahrheitsgründe fehlen können, einen Satz mehr zu bejahen als zu verneinen. Der Begriff von der Gerechtigkeit, ja von der allervollkommensten Gerechtigkeit, ist ein wahrer Begriff; in so weit alle Merkmale, die in demselben zusammengenommen werden, sich einander nicht aufheben und also zugleich denkbar sind. Die allergrößeste Geschwindigkeit aber ist ein falscher Begriff; denn der allergrößeste Raum und die allerkleinste Zeit, die hier zusammengenommen werden, lassen weder einzeln, noch in der Verbindung, sich denken. Eben also sind die Begriffe von der allerhöchsten Ungerechtigkeit, von einer absoluten Tiefe oder Höhe, von einer Begierde nach dem Bösen als Bösem u. dgl. m. falsche Begriffe; indem wir einsehn können, daß in ¦ den Worten Merkmale zusammengenommen werden, die sich in den Begriffen widersprechen, und also zusammen nicht denkbar sind. In den Urteilen werden bloß von dem Subjekte die Merkmale einzeln ausgesagt, die in dem Totalbegriff desselben enthalten sind. Urteile also sind wahr, wenn sie von den Begriffen der Sub-
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jekte keine andre Merkmale aussagen, als die in denselben statt finden. Wahrheit in Urteilen sowohl als in Begriffen kann also abermals in die Übereinstimmung der Merkmale gesetzt werden, die in einem Begriff zusammengedacht und einzeln von ihm ausgesagt werden. Alle Vernunftschlüsse gründen sich auf eine richtige Zergliederung der Begriffe. Man kann sich den gesamten Inbegriff der menschlichen Erkenntnis unter dem Bilde eines Baumes vorstellen. Die | äußern Spitzen desselben kommen in Sprößlingen zusammen, diese vereinigen sich in Zweigen, die Zweige in Ästen, und die Äste treffen endlich in einen Stamm zusammen. Man setze, daß die Fasern des Stammes durch alle Äste, Zweige und Sprößlinge, so wie die Fasern ¦ der Äste und Zweige durch alle Unterabteilungen durchlaufen; daß sie aber bei jeder niedern Abteilung solche Fasern aufnehmen, die sie in ihrer Abstammung nicht gehabt; so hat man ein sehr treffendes Bild von der Verwandtschaft unsrer Begriffe. Alle einzelne Dinge kommen in verschiedene Arten, die Arten in Geschlechter, die Geschlechter in Klassen zusammen, und die Klassen vereinigen sich zuletzt in einem einzigen Stammbegriff, dessen Merkmale sie alle durchlaufen. Was von einem höhern Begriffe ausgesagt wird, muß auch allen niedrigern Begriffen zukommen; was aber von niedrigern Begriffen, als ihnen eigentümlich, behauptet wird, kann nur einer Abteilung des höhern Begriffs, nicht allen, mit gleichem Rechte zugeschrieben werden. Hierauf beruhet alle Bündigkeit unsrer Vernunftschlüsse. Die Merkmale des Stammes kommen auch allen Ästen, die Merkmale der Äste allen Zweigen zu, die aus ihnen entspringen: und so fort bis auf die äußersten Spitzen oder die einzelnen Dinge. Rückwärts hingegen können die eigentümlichen Merkmale der Zweige nur einer ¦ Abteilung des Astes; so wie die eigentümlichen Merkmale des Astes nur einem Teile des allgemeinen Stammes zugeschrieben werden. Die Wahrheit der Vernunftschlüsse bestehet also nicht weniger in der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, gewisse Begriffe und Merkmale in Gedanken zu vereinigen. In so weit also unsre Gedanken als denkbar oder nicht denkbar betrachtet werden, beste-
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het ihre Wahrheit in der Übereinstimmung der Merkmale unter sich und mit den Folgen, die daraus gezogen werden. Alle menschliche Erkenntnisse, die, so wie die Mathematik und Logik, bloß das Denkbare und nicht Denkbare angehen, erhalten also ihre Gewißheit durch den Satz des Widerspruches, der den höchsten Grad der Evidenz mit sich führet. In den strengen Beweisarten zergliedern wir bloß die Begriffe, verfolgen die Merkmale des Stammes, durch alle Äste und Zweige, vergleichen die gemeinschaftlichen mit den eigentümlichen Merkmalen, und überzeugen uns dadurch von ihrer Denkbarkeit oder Nicht Denkbarkeit. ¦ Alle Erkenntnis dieser Art, in so weit sie das Denkbare und Nicht | Denkbare angehet, ist eine Folge von dem richtigen Gebrauch der Vernunft. Nur Mangel der Vernunft oder unrichtiger Gebrauch derselben kann uns auf Unwahrheit verleiten und das Denkbare mit dem Undenkbaren verwechseln lassen. Ferner haben die Wahrheiten, die zu dieser Gattung gehören, das gemeinschaftliche Kennzeichen, daß sie notwendig und unveränderlich sind, und also von keiner Zeit abhängen. Bei ihnen läßt sich weder ein war, noch ein wird sein anbringen. Alles ist, oder ist nicht. Begriffe, die sich mit einander vertragen, hören es nie auf zu tun; und die sich einander fliehen, sind nimmermehr in Verbindung zu bringen. So notwendig und unveränderlich aber diese Wahrheiten auch an und für sich selbst sind; so werden wir doch gewahr, daß sie uns nicht immer mit gleicher Lebhaftigkeit beiwohnen. Ihre Anwesenheit in uns ist an die Zeit gebunden, ist der Veränderung unterworfen. Wir hatten die Begriffe nicht, sie entstunden, und es kömmt eine Zeit, in welcher sie vielleicht wieder ver ¦ schwinden können. Sie sind Abänderungen unsers denkenden Wesens, denen als solche eine ideale Wirklichkeit zugeschrieben werden kann. Sie sind aber, so wie wir selbst, das Subjekt dieser Abänderung, nicht notwendige, sondern zufällige und veränderliche Wesen; sie sind notwendig denkbar, werden aber nicht von uns notwendig gedacht; so wie wir selbst unveränderlich denkbare, aber nicht unveränderliche wirkliche Wesen sind.
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Die Sphäre des Wirklichen ist also enger eingeschränkt als die Sphäre des Denkbaren; alles Wirkliche muß denkbar sein, aber sehr vieles wird gedacht werden können, dem nie eine Wirklichkeit zukommen wird. Die Quelle des Wirklichen ist also nicht der Satz des Widerspruches; nicht alles, was sich nicht widerspricht und also denkbar ist, hat deswegen gegründeten Anspruch auf die Wirklichkeit; und wir haben einen andern Grundsatz7 aufzusuchen, der die Grenzlinie des Wirklichen und nicht Wirklichen mit eben der Bestimmtheit angebe, mit welcher der Satz des Widerspruches das Denkbare vom Nicht Denkbaren unterscheidet. ¦ Lasset uns sehen, wie wir zur Idee des Wirklichen gelangen, und mit welchem Grunde wir von manchen Dingen überführt sind oder überführt zu sein glauben, daß sie Wirklichkeit haben. Der Mensch ist sich selbst die erste Quelle seines Wissens; er muß also von sich selbst ausgehen, wenn er sich von dem, was er weiß, und was er nicht | weiß, Rechenschaft geben will. Das erste, von dessen Wirklichkeit ich überführt bin, sind meine Gedanken und Vorstellungen. Ich schreibe ihnen eine ideale Wirklichkeit zu, in so weit sie meinem Innern beiwohnen, und als Abänderungen meines Denkvermögens von mir wahrgenommen werden. Jede Abänderung setzet etwas zum voraus, das abgeändert wird. Ich selbst also, das Subjekt dieser Abänderung, habe eine Wirklichkeit, die nicht bloß ideal, sondern real ist. Ich bin nicht bloß Modifikation; sondern das modifizierte Ding selbst: nicht bloß Gedanken, sondern ein denkendes Wesen, dessen Zustand durch Gedanken und Vorstellungen abgeändert wird. Wir haben hier also die Quelle eines zweifachen Daseins, oder ¦ Wirklichkeit: die Wirklichkeit der Vorstellungen, und die Wirklichkeit des vorstellenden Dinges; Abänderungen, und Vorwurf8 der Abänderungen; und von beiden glauben wir wenigstens hinlänglich überführt zu sein. So wie ich selbst nicht bloß ein abwechselnder Gedanke, sondern ein denkendes Wesen bin, das Fortdauer hat; so läßt sich auch von verschiedenen Vorstellungen denken, daß sie nicht bloß Vorstellungen in uns oder Abänderungen unsres Denkvermögens sind; sondern auch äußerlichen, von uns unterschiednen
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Dingen, als ihrem Vorwurfe, zukommen. So wie das denkende Wesen, wie wir gesehn, nicht bloß Gedanken ist, sondern seine eigne Bestandheit und reales Dasein hat, eben also kann das Gedachte eine Wirklichkeit haben, die für sich bestehet, und nicht bloß ideal ist. Es sind mehrere Dinge denkbar, die, so wie ich, ihre fortdauernde Wirklichkeit haben, und deren Abbild in uns zum Teil anwesend ist, zum Teil auch vielleicht nicht anwesend sein kann. Wir hätten also dreierlei zu betrachten: 1) den Gedanken, dessen Wirklichkeit wir eine ideale ¦ Wirklichkeit genannt haben, der bloß Abwechselung ist; 2) das Denkende oder die fortdauernde Substanz, bei welcher die Abwechselung geschieht, und der schon eine reale Wirklichkeit zugeschrieben werden muß; und endlich 3) das Gedachte, oder den Vorwurf der Gedanken, dem wir in vielen Fällen geneigt sind, so wie uns selbst, ein reales Dasein zuzuschreiben. Aber wie werden wir überführt, daß diese Dinge außer uns auch wirkliches Dasein haben, und etwas mehr sind, als bloße Gedanken in uns? So sehr unsrea Natur uns auch zwinget, von manchen dieses mit Zuverlässigkeit anzunehmen, so möchten wir doch gerne den Grund wissen, aus | welchem wir in Ansehung derselben über alle Zweifel weg sind. Zuvörderst die Sinne und ihre mannigfaltige Erscheinungen. Wir sind geneigt, dasjenige außer uns für wirklich zu halten, was auf unsre Sinne einen Eindruck macht; wir werden aber auch gewahr, daß die Sinne zuweilen trügen. Sie verführen uns zuweilen ein Subjekt der Erscheinung gegenwärtig zu glauben, und wir werden nachher gewahr, daß diese Erscheinungen ¦ bloß Vorstellungen in uns gewesen sind, und keinen Vorwurf außer uns gehabt haben. Es waren Einbildungen, Träume, Täuschungen, denen bloß eine ideale Wirklichkeit zukömmt, deren Vorwurf aber vor jetzt wenigstens außer uns nirgend anzutreffen ist. Um uns diesen Zweifel zu benehmen, schlagen wir gewöhnlicher Weise folgende Wege ein. Wir sehen zuvörderst auf die Übereinstimmung verschiedner Sinne. Je mehrere Sinne uns das Dasein eines gewissen Vorwurfs aussagen, desto sicherer glauben a JubA: unsere.
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wir von seiner Wirklichkeit zu sein. Ich sehe das Bild einer Rose, greife hinzu und fühle, bringe sie zur Nase und rieche eben dasselbe, das ich in vielen Fällen, in Verbindung mit dem Anblick einer Rose, gefühlt und gerochen habe. Ich betrachte denselben Gegenstand in verschiedenen Entfernungen, in mancherlei Lage, durch verschiedene Mittel, von welchen ich weiß, daß sie die sinnlichen Erscheinungen abändern. Ich betrachte die Gegenstände des Gesichts durch Wasser, durch Luft, durch vergrößernde oder verkleinernde Gläser: die Gegenstände des Ge ¦ hörs, durch verstärkende oder schwächende Werkzeuge; die Gegenstände des Gefühls bringe ich an verschiedene Teile meines Körpers; und gebe auf die Eindrücke acht, die sie in aller dieser Verschiedenheit auf mich machen, unterscheide das Ähnliche von dem Unähnlichen in denselben. Ich erkundige mich nach den Eindrücken, welche dieselben Gegenstände auf andre Menschen machen, wenn sie in ihren Empfindungskreis kommen. Je mehr Übereinstimmung sich in allem diesen befindet, desto mehr glauben wir von der äußern Wirklichkeit versichert zu sein. Je mehr Mißhelligkeit, desto größer der Zweifel; oder vielmehr die Überredung, daß die sinnlichen Erscheinungen, deren wir uns bewußt, bloß Gedanken in uns sein und nichts außer uns zum Vorwurfe haben mögen. Sind wir nun auf diese Weise von der objektiven Wirklichkeit eines sinnlichen Gegenstandes überführt; so wenden wir auf denselben | alle Wahrheiten der Mathematik und Logik an, die uns bekannt sind. Wir eignen ihm zuvörderst alle die Prädikate zu, die dem Begriffe desselben, ¦ vermöge dieser unumstößlichen Wahrheiten zukommen müssen; so wie wir alle die Eigenschaften von ihm entfernen, die ihm vermöge des Grundsatzes des Widerspruches nicht zukommen können. Auf solche Weise bilden wir Wahrheitssätze, deren Subjekt die Evidenz der sinnlichen Erkenntnis für sich hat; deren Prädikate aber, vermöge der angewandten mathematischen und logischen Regeln, so und nicht anders mit ihnen denkbar sind. Von diesen Sätzen gehen wir zu Vernunftschlüssen fort; und so entstehn die Lehrgebäude der angewandten Mathematik und Logik in der Naturlehre. Ferner: Je
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öfter zwei sinnliche Erscheinungen der Zeit nach auf einander gefolgt sind, je öfter wir gesehen, daß auf die sinnliche Erscheinung A eine von ihr unterschiedne sinnliche Erscheinung B sich ereignet hat, mit desto mehrerem Grunde schließen wir auf die beständige Verbindung dieser Erscheinungen; und so oft wir die sinnliche Wirklichkeit der Erscheinung A gewahr werden, so erwarten wir mit Überzeugung auch die Erscheinung B. Je öfter wir gesehen, daß ein Gegenstand, welcher dem Ge ¦ sichte, Gefühle und Geschmacke nach, dem Brote ähnlich war, auch dem Körper eine gesunde Nahrung zu geben pflegte; mit desto größerer Überzeugung erwarten wir diese Folge auch jetzt von den sinnlichen Gegenständen, die dem Brote ähnlich sind, ob wir gleich diese Erfahrung von ihnen noch nicht gemacht haben. Je öfter wir wahrgenommen, daß ein Gegenstand, der die sichtbaren und fühlbaren Eigenschaften einer Rose hat, in der Nähe eine gewisse Empfindung des Geruchs, und beim Genusse eine gewisse Empfindung des Geschmackes zu erzeugen pflegt; mit desto mehrerer Zuverlässigkeit erwarten wir diese Empfindungen des Geruchs und Geschmacks, von jeder Blume, die sich unsren Sinnen des Gesichts und des Gefühls als eine Rose darstellt. Hiedurch wird die Anzahl der Grund-a und Heischesätze,9 deren wir uns in der Naturlehre so wie im gemeinen Leben bedienen, ins Unendliche vermehrt. Wir schließen von der Wirklichkeit einer Erscheinung, auf die Mitwirklichkeit aller übrigen sinnlichen Erscheinungen, die mit ihr verbunden zu sein pflegen; nicht mit der unumstößlichen ¦ Gewißheit, die man mathematisch oder logisch nennen kann, sondern mit dem Grade der Überzeugung, die auf die Lehre von der Wahrscheinlichkeit gegründet ist | und Induktion genennt wird. Den Grund von dieser Überzeugung, so wie den Grad von Evidenz, den sie gewähren kann, werden wir in der Folge näher betrachten. Ich begnüge mich für heute diese allgemeinen Wahrheitsbegriffe durch ein Beispiel zu erläutern. Ich genieße eine Speise, und sie gewähret meinem Gaumen den Geschmack des Salzes. Die Menschen, welche sie mitgenießen, vera Erste Auflage und JubA: Grund.
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spüren dieselbe Empfindung: auch unserm Gesichte erscheint sie unter der Gestalt des gewöhnlichen Salzes: ich betrachte sie mikroskopisch, und ihre Teile haben die Bildung des Salzes: ich bringe sie in’s Wasser, und sie löset sich auf, wie das Salz zu tun pfleget: und nun erwarte ich, daß sie in chemischen Untersuchungen auch dieselben Erscheinungen zeigen werde, die nach den Gesetzen dieser Kunst mit dem Salze verbunden sind; ich lasse es bei dieser vermutlichen Erwartung nicht bewenden, ich untersuche einen Teil die ¦ ses Körpers vielmehr wirklich durch chemische Prozesse. Wenn nun meine Erwartung eintrifft, so schließe ich mit desto größerer Überzeugung auch auf die Wirkung, die der Überrest dieses Gegenstandes in meinem Körper hervorbringen wird, nach der Menge der Erfahrungen, die mit ähnlichen Mitteln in ähnlichen menschlichen Körpern angestellt worden sind. Aus der Menge der Übereinstimmungen, die ich erfahren habe, erwarte ich in ähnlichen Fällen auch ähnliche Übereinstimmung; mit mehr oder weniger Evidenz, je größer oder kleiner die Menge der Fälle ist, in welcher ich Übereinstimmung erfahren habe.
| ¦ II. Ursache – Wirkung – Grund – Kraft Ich fahre fort, der ersten Quelle unsrer Erkenntnis von wirklichen Dingen nachzuspüren, ob ich gleich in Gefahr bin, euch durch Spitzfindigkeiten zu ermüden. Man muß die Subtilitäten alle, wenigstens einmal in seinem Leben, klauben10 und ins Reine bringen, wenn man den Schlingen der Sophistik entgehen will. Wir haben gesehn, daß die öftere Folge zweier Erscheinungen aufeinander uns die gegründete Vermutung gebe, daß sie mit einander in Verbindung stehen. Wir nennen die vorhergehende Erscheinung die Ursache, die folgende aber die Wirkung; und sind überführt, daß sie sich beide in einen logischen Satz verbinden lassen, d. h. in dem Begriffe der Ursache, als Subjekt, wird etwas anzutreffen sein, woraus sich die Wirkung als Prädikat begreiflich machen läßt. Dieses etwas, oder das Merkmal in der Ursache aus
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welchem sich die Wirkung folgern läßt, nennen wir den Grund; und sagen: jede Wirkung sei in ihrer Ursache ¦ gegründet. Mit denselben Gründen der Wahrheit schließen wir von zwei Erscheinungen, die sich einander begleiten, daß sie einer dritten gemeinschaftlichen Ursache untergeordnet sein müssen, ohne zu entscheiden, ob mittelbar oder unmittelbar? Man bemerke hier eine dreifache Quelle der Erkenntnis. Auch das Tier erwartet in ähnlichen Fällen ähnliche Erfolge;11 aber nicht aus demselben Erkenntnisgrunde. Die bloße Assoziation der Begriffe tut bei den Tieren in solchen Fällen eben das, was die Erfahrung bei dem gemeinen Haufen der Menschen, und bei den Weltweisen die Vernunft verrichtet. Auch das Tier z. B. scheuet sich, einer schiefliegenden Fläche sich anzuvertrauen, und fürchtet herabzuglitschen. Die öftere Wiederholung desselben Falles hat die Ideen in der tierischen Seele dermaßen mit einander verbunden, daß bei dem Anblick der schiefliegenden Fläche, die Idee des Sinkens und Herabglitschens die lebhafteste wird, und die Furcht erzeuget. Der Mensch hingegen wird nicht bloß von der lebhaft gewordenen Vorstellung regiert, ¦ sondern bildet sich aus den öfters gemachten Erfahrungen den allgemeinen Vernunftsatz: daß alle schwere Körper von schiefliegenden Flächen herabglitschen. Er vermutet mit Grunde der Wahrheit, daß in der entwickelten Idee einer schiefen Fläche | etwas anzutreffen sei, woraus sich die Möglichkeit des Sinkens begreiflich machen läßt. Der Weltweise setzet die Erkenntnis des Grundes aus der Mechanik hinzu, und bringet den allgemeinen Satz näher zur reinen Vernunfterkenntnis. In der Furcht, sich einer abschüssigen Fläche anzuvertrauen, die das Tier mit dem Menschen gemein hat, liegt ein förmlicher Schluß verborgen, der allmählich von der tierischen Erkenntnis bis zu einer reinen Vernunftwahrheit erhoben werden kann. Den Untersatz: dieses ist eine abschüssige Fläche, gibt der Sinn des Gesichts. Ohne weitere Entwickelung erwacht beim Tiere, vermöge der Ideenverbindung, die sich durch öfteres Wahrnehmen bei ihm festgesetzt hat, die Vorstellung des Falles, wird in seiner Seele zum herrschenden Begriff, und wirkt auf ¦ die Bewegungs-
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fähigkeit. Die Vernunft aber findet hier mancherlei zu entwickeln. Das Gesicht gibt uns die Erscheinung einer schiefen Fläche. – Wie, wenn das Gesicht uns täuschte? Unmöglich ist der Fall nicht; denn es hat uns öfters hintergangen. Allein die öftere Übereinstimmung der Erscheinungen berechtigt uns zur Erwartung, daß sie, 1) in jedem andern Abstande, 2) in verschiedener Lage, und 3) durch verschiedene Sehungsmittel, die einer solchen Fläche zukommende Erscheinung nicht weniger geben; daß sie 4) auch dem Gefühle und jedem andern Sinne lebendiger Wesen, in so weit sie vom Räumlichen und Ausgedehnten unterrichten, nicht anders vorkommen und erscheinen werde; mit einem Worte, daß es nicht bloß eine schiefe Fläche scheine, sondern wirklich sei. Wo so mancherlei in so oft wiederholten Fällen, unter veränderten Umständen, dennoch übereinstimmet, da schließen wir auf einen außer uns befindlichen Gegenstand, der den Grund dieser Übereinstimmung enthält. Die philosophische Erkenntnis tut hier zur gemeinen Evidenz weiter nichts hin¦zu, als daß sie sich nach den Grundsätzen der Vernunftkunst Rechenschaft zu geben sucht, mit welchem Recht wir dieses schließen; welchen Gebrauch wir hier von den Schlussesarten machen, die man Induktion und Analogie nennet. Der Anblick der abschüssigen Fläche erwecket die Vorstellung des Herabglitschens, die so oft mit demselben verbunden gewesen. Der gedankenloseste Mensch läßt sich nicht bloß von der lebhaft gewordenen Vorstellung regieren; sondern hat sich den Erfahrungssatz abgesondert: von einer schiefen Fläche u. s. w., davon er sich wei | ter keinen Grund angibt, als daß er es so oft gesehn. Aus der Wiederholung schließt er auf Verbindung und bildet sich einen allgemeinen Satz, dessen er sich in vorkommenden Fällen, als Obersatz bedienet. Lehrt ihn eine ähnliche Erfahrung z. B. daß man vermittelst des Keils die Körper leichter spalte, und vermittelst der Schraube leichter in Bewegung setzen könne; so sind ihm dieses einzelne Sätze, von denen er Gebrauch macht, ohne etwas Vernunftmäßiges weiter daran zu ahnden. Der Weltweise führet seine Erkennt ¦ nis weiter zurück und suchet sie, so viel er kann, mit reiner Vernunfterkenntnis zu verbinden. Er fin-
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det z. B. in diesen drei Erfahrungssätzen dieselben allgemeinen Gesetze der Natur, das Gesetz von der Schwere der Körper und Mitteilung der Bewegung, bloß durch die Verschiedenheit der Figuren verschiedentlich abgeändert. Was die Abänderungen betrifft, welche diese Naturgesetze durch die Figur der schiefen Fläche, des Keils und der Schraube leiden müssen; so erklärt er sich dieselben nach geometrischen Grundsätzen, d. i. nach den Gesetzen des Denkbaren und Nicht Denkbaren: und findet, daß Keil und Schraube mit der schiefliegenden Fläche aus demselben Grundsatz begreiflich zu machen sind. Von dieser Seite also ist seine Erkenntnis, reine Vernunftwahrheit. Er sieht die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat von dieser Seite wenigstens deutlich ein, ohne sich auf die Erwartung zu verlassen, zu der ihn die Erfahrung berechtigt. Aber die allgemeinen Gesetze der Natur selbst, die Gesetze der Schwere und der Bewegung, auf ¦ welche wir diese besondren Fälle zurückgeführt haben, erkennen wir so wissenschaftlich, so rein vernünftig nicht, als wir die Folgen und Abänderungen derselben durch die vorliegende Figur, zu erkennen fähig sind. Die sinnlichen Erscheinungen und deren Übereinstimmung haben uns auf ein Objekt schließen lassen, das den Grund derselben enthält. Dieses Objekt nennen wir Körper; aber die uns bekannten Merkmale desselben reichen noch nicht hin auf eine allgemeine Schwere, oder überhaupt auf eine Kraft der Bewegung zu schließen, welche mit demselben in einen logischen Satz verbunden sein soll. Die Sätze: Alle Körper haben eine Schwere: Alle Körper haben eine Kraft der Bewegung, welche sie sich auf diese oder jene Weise mitteilen können, diese allgemeinen Gesetze der Natur sind auch dem Weltweisen vor der Hand nur noch Erfahrungssätze, die er vermittelst | einer unvollständigen Induktion allgemein gemacht hat; da sie allezeit unter ähnlichen Umständen wiederkamen, und niemals ausblieben, so schloß er auf eine innere Kausalitätsverbindung zwischen ¦ Subjekt und Prädikat, ob er gleich diese Verbindung nicht deutlich einsehen kann. Die Vernunft half ihm bloß die einzelnen Erfahrungssätze in allgemeine Gesetze der Natur verwandeln. Der Grund der allgemei-
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nen Behauptung aber ist nicht wissenschaftlich, nicht reine Vernunfterkenntnis, sondern unvollständige Induktion, welche die Stelle der reinen Vernunft vertreten muß. Nicht, daß es dieser unvollständigen Induktion an Überführungskraft oder Evidenz fehlen sollte; sie reicht vielmehr in vielen Fällen vollkommen zu, uns völlige Versicherung zu geben, und über allen Zweifel hinwegzusetzen. Ein jeder von uns erwartet mit ungezweifelter Gewißheit z. B., daß er sterben werde; ob gleich der Grund der Überzeugung bloß unvollständige Induktion ist. Niemand hat den mindesten Anstand, ein geheimes Geschäft, von welchem sein Leben oder seine Glückseligkeit abhängt, in Gegenwart eines Säuglings zu verrichten; ohne sich durcha das Besorgnis irren zu lassen, von dem Kinde, oder von einem Haustiere das ihn ansieht, verraten zu ¦ werden. Worauf stützet sich hier die zweifellose Sicherheit? Nicht auf eine wissenschaftliche Vernunfterkenntnis; sondern bloß auf unvollständige Induktion, die aber der vollständigen so nahe kömmt, daß sie völlige Überzeugung zu geben hinreichend ist. Dieselbe Bewandtnis hat es mit unsrer Erkenntnis in der Seelenlehre und Moral. Sobald wir auf die Wissenschaft des Wirklichen und Nicht Wirklichen kommen, ist unsre Erkenntnis von vermischter Beschaffenheit. Zum Teil, unmittelbare Erfahrung, oder sinnliche Wahrnehmung desjenigen, so in uns selbst vorgeht: zum Teil, Vergleichung dieser unmittelbaren Beobachtungen, Entwickelung derselben, Bemerkung ihrer Ähnlichkeit, Zurückführung auf allgemeine Grundsätze, die sich bald auf Vernunft, bald auf vollständige oder unvollständige Induktion gründen, und eine desto größere oder kleinere Überzeugung geben, je mehr oder weniger die Induktion selbst vollständig ist. Diese Überzeugung kann auch hier zu einem solchen Grade der Evidenz heranwachsen, der keiner Bedenklich ¦ keit weiter Raum läßt, und uns alle Sicherheit gibt, die wir von der reinen Vernunft nur immer erwarten können. Die Auseinander | setzung desje-
a Erste Auflage und JubA: sich das.
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nigen, so in dieser Verrichtung dem innern Sinne, der reinen Vernunft, oder der bloßen Erfahrung zuzuschreiben sei, ist ein Geschäft der Seelenlehre und der Moral, das wir hier nicht weiter verfolgen können. Wenn jener Mazedonische Held12 die Arzenei aus der Hand seines Arztes, frei von allem Argwohn, so verdächtig ihm auch die Redlichkeit seines Freundes gemacht worden, ohne Anstand zu sich nahm, und zur bewährten Freundschaft ein so unbefangnes Zutrauen äußerte; so war seine sittliche Überzeugung von sehr vermischter Natur. Sie gründete sich zum Teil auf Kenntnis des Menschen überhaupt und der Wirkung, welche die Bewegungsgründe auf den Willen desselben haben; zum Teil auf die Erfahrungen und Beobachtungen, die er selbst und andre von der Freundschaft gesammlet hatten; und endlich auf die wiederholten Proben der Rechtschaffenheit, die ihm der Weise gegeben, den die Verleumdung verdächtig ¦ machen wollte. Alle diese Erkenntnisse sind aus innern Wahrnehmungen, wissenschaftlicher Entwickelung derselben, öfteren Erfahrungen und daraus gebildeten Induktionen zusammengesetzt; und aus dem Inbegriff derselben erwuchs bei ihm eine so unbefangne, über alle Zweifel erhabene, feste Überzeugung, die selbst der mathematischen Evidenz wenig nachgibet. Alle Überzeugung also, die bei der Wissenschaft des Wirklichen und Nicht Wirklichen nicht reine Vernunfterkenntnis ist, gründet sich auf die Übereinstimmung verschiedener Sinne, unter mancherlei Umständen und Veränderungen, und auf den öftern Erfolg verschiedener sinnlicher Erscheinungen, auf und neben einander. Wir haben also den Grund zu untersuchen, mit welchem wir in diesen Fällen zu schließen berechtigt sind. In meiner Abhandlung von der Wahrscheinlichkeit habe ich dieses deutlich aus einander gesetzt, und die Wahrheitsgründe gezeigt, mit welchen wir uns durch Analogie und Induktion in solchen Fällen für überzeugt halten. Ich will ¦ das Wesentliche davon, um des Zusammenhangs willen, hier kürzlich wiederholen; empfehle euch aber, zum bessern Verständnisse, die Durchlesung und genaue Prüfung der daselbst vorkommenden Gründe, welche uns in der Folge nützlich sein werden.
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Wenn die Merkmale eines Vorwurfs A unentschieden lassen, ob B ihm zukomme oder nicht, und dieses von äußern, zufälligen Bestimmungen abhängt, die sowohl den Bejahungs- als den Verneinungsfall hervorbringen können; so ist der Satz zweifelhaft, und hat für | und wider sich gleiche Grade der Wahrscheinlichkeit. Wenn die Schildseite einer Münze13 eben so wohl auffallen kann, als die Bildseite: und dieses von den zufälligen Bewegungen der Hand abhängt, die ich ihr unvorsätzlich gebe; so habe ich gleiches Recht für die eine, oder die andre Seite zu wetten. In vielen Würfen ist die Wahrscheinlichkeit, daß der eine Fall eben so oft eintreffen werde, als der andre; und zwei Spieler, davon der eine für die Schildseite, der andre für die Bildseite wettet, haben gleichen Grund der Hoffnung. ¦ Trifft in vielen Würfen immer derselbe Erfolg ein; so vermuten wir einen inneren Bestimmungsgrund, der diesen Erfolg begünstiget. Wenn mein Gegenspieler in vielen Würfen immer dieselbe Münzseite aufwirft; so habe ich ihn in Verdacht, daß er den Ausgang nicht, nach den Regeln des Spiels, dem Zufalle überlassen: sondern durch eine geheime Wendung, die er der Münze zu geben weiß, vorsätzlich bestimmt habe. Mein Verdacht nimmt mit der Menge der Würfe zu. Lasset uns versuchen, den Grad meiner Vermutung genauer anzugeben. So viel Würfe, so viel Fälle hat mein Gegner wider sich. Da er darauf wettet, daß die Schildseite z. B. allezeit auffallen werde; so hat er in zwei Würfen, zwei Fälle wider sich, und nur einen, in welchen er zu gewinnen hoffen kann. Er kann also eins setzen, daß in beiden Würfen die Schildseite; ich aber ihm zwei entgegen setzen, daß in einem derselben, die Bildseite auffallen werde. Seine Hoffnung zu gewinnen verhält sich also zur Gewißheit, wie eins zu drei; die meinige aber wie zwei zu drei. Wollten wir ¦ uns in den Einsatz teilen, ohne den Erfolg des Zufalls abzuwarten; so würde er ⅓, ich aber ⅔ desselben mit Recht verlangen können. Wetteten wir auf 3 Würfe, so wäre seine Hoffnung wie 1 : 4; die Meinige aber, wie 3 : 4. Jeder Fall bringt für ihn einen Fall des Verlustes, so wie für mich einen Fall des Gewinnstes mehr; denn
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nach der Voraussetzung gewinne ich den Einsatz, wenn nur ein einziges Mal die Bildseite auffällt. Seine Hoffnung aber ist immer nur der einzige Fall, in welchem allemal die Schildseite auffällt. In hundert Würfen also ist meine Hoffnung = 100 : 101; die seinige aber = 1 : 101; und überhaupt in n Würfen, meine Hoffnung = n : n + 1; die Hoffnung meines Gegners aber = 1 : n + 1. Wenn also der Ausgang für ihn gleichwohl günstig ist, so ist freilich der Fall möglich, daß er redlich zu Werke gegangen, und das | Spiel dem Zufalle überlassen habe. Die Wahrscheinlichkeit dieses Falles ist = 1 : n + 1. Allein mit der Wahrscheinlichkeit = n : n + 1 läßt sich vermuten, daß entweder in der Münze selbst, oder ¦ in der Wendung, die mein Gegner dem Wurfe heimlich gegeben, ein Grund der Übereinstimmung anzutreffen sei, der jenen widervermutlichen Fall hervorgebracht hat. Je größer die Anzahl der Würfe; desto kleiner ist das Verhältnis von 1 : n + 1; desto mehr verschwindet also die Hoffnung meines Gegners, und folglich desto größer wird die Vermutung eines Übereinstimmungsgrundes sein, im Fall er glücklich ist. Völlig aber kann diese Vermutung der Gewißheit nicht gleich kommen, wenn n nicht unendlich groß ist. Nur in diesem Falle wird 1 : n + 1 = 0 : 1; das heißt, nur in diesem Falle ist meine Erwartung der völligen Gewißheit, und die Hoffnung meines Gegners dem Zero gleich. So lange aber n noch endlich ist, bleibt noch immer ein geringer Grad der Erwartung für meinen Gegner zurück; und die Voraussetzung eines Übereinstimmungsgrundes, im Fall er glücklich ist, hat noch die unumstößliche Gewißheit nicht erreicht. Auf diesen einfachen Gesetzen der Vermutung beruht der größte Teil unsrer Erkennt ¦ nisse, die das Wirkliche und Nicht Wirkliche angehen. Je öfter die Erscheinung B auf die Erscheinung A folgt, oder dieselbe begleitet; desto mehr Ursache haben wir, einen Verbindungsgrund zwischen ihnen anzunehmen. Wären sie bloß von zufälligen Ursachen zusammengeführt worden, so konnte jedes Mal, da der Versuch wiederholt ward, auch das Gegenteil sich zutragen. Veränderte Umstände würden Veränderung des Er-
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folgs zu Wege gebracht haben. Da dieses nicht geschahe; so vermuteten wir einen Verbindungsgrund, mit dem Grade der Überzeugung, der sich zur Gewißheit verhält, wie die Menge der beobachteten Fälle n, zu derselben Menge n + 1. Wenn also die Erscheinung B allezeit auf die Erscheinung A folget, so setzen wir den Grund der Verbindung in die beständigen Eigenschaften des A; denn die veränderlichen Eigenschaften würden abermals das Gegenteil nicht ausschließen. Wir vermuten also, die inneren, beständigen Eigenschaften des A haben die Erscheinung B hervorgebracht; d. h. wir schließen auf Kausalitätsver¦bindung: nennen A die Ursache, B die Wirkung: und die beständigen Eigenschaften des A, oder das Fortdauernde in demsel | ben, nennen wir Kraft. Wenn wir die Körper haben sich ausdehnen sehn, so oft sie dem Feuer näher gebracht worden sind, so setzen wir den Verbindungsgrund der Ausdehnung, in die beständigen Eigenschaften des Feuers; eignen dem Feuer eine Kraft zu, die Körper auszudehnen; und erwarten eben diesen Erfolg, von dem Feuer und den Körpern, von welchen wir es noch nicht erfahren haben. Der Grad der Gewißheit nimmt mit der Menge der beobachteten Fälle zu; und ist, wenn die Anzahl der Fälle sehr groß ist, wie wir gesehen, von der vollkommnen Evidenz nur unmerklich unterschieden. Zwei Erscheinungen, die sich beständig begleiten, halten wir (mit eben dem Rechte) für die mittelbare oder unmittelbare Wirkung einer gemeinschaftlichen Ursache; und erwarten die eine, so oft wir die andre wahrnehmen. Die Farbe und das Gefühl des Brots ist so oft mit diesem Geschmacke, mit diesem Einfluß auf die Nahrung ¦ unsers Körpers, verbunden bemerkt worden, daß wir mit Recht beides für die Folgen einer innern Beschaffenheit des Brotes halten; und von jedem Brote, das wir sehen und fühlen, auch denselben Geschmack und dieselbe Nahrung erwarten. Die innere Beschaffenheit, vermöge welcher das Brot diese ihm zugeschriebene Wirkungen hervorbringet, nennen wir die Kraft desselben. Dieses ist die Quelle aller von uns angenommenen Gesetze der Natur. Es sind allgemeine Sätze, in welche wir die besonders
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beobachteten oder geschlossenen Kausalitätsverbindungen gebracht haben, durch deren Anwendung wir in jedem vorkommenden Fall auf den Erfolg rechnen. Ähnliche Subjekte werden durch den innern Verbindungsgrund auch ähnliche Prädikate haben. So ist das Gesetz der Schwere ein Gesetz der Natur, d. i. ein allgemeiner Satz, in welchen wir alle beobachteten Verschiedenheiten im Fallen und Steigen der Körper, zu bringen gewußt haben. Mit diesem Naturgesetze verbinden die Newtone, Galilei und andre Erfinder die Lehr ¦ sätze des Denkbaren und Nicht Denkbaren; das heißt, sie machen Anwendung von den Lehrsätzen der Mathematik und Logik auf das Gesetz der Schwere, erfinden die ganze Theorie von der Gravitation der Körper, und bereichern unsre Erkenntnisse auf eine Weise, die alle Erwartung übertrifft. Wenn verschiedene Vorfälle a, b, c, d, aus einer und eben der Quelle e, und wiederum aus eben so mancherlei Quellen herzuleiten sind; so ist es wahrscheinlicher, daß sie eine gemeinschaftliche Quel | le haben, und diese Wahrscheinlichkeit nimmt abermals mit der Menge der Vorfälle zu, und kann der Gewißheit sehr nahe gebracht werden. Ich sehe, daß eine Menge von Menschen nach einer gewissen Gegend hinlaufen, oder wenigstens ihr Auge dahin richten. Jeder derselben kann seine besondere Ursachen haben. Allein die Übereinstimmung vieler, läßt mich auf einen gemeinschaftlichen Grund schließen. Ich beobachte viele Handlungen eines Menschen. Jede derselben ließe sich allenfalls aus andern Bewegungsgründen herleiten. Wenn ich ihm aber z. B. ¦ Ehrgeiz zuschreibe, so lassen sich alle sehr natürlich begreifen. Ich schließe daher mit einem Grade der Wahrscheinlichkeit, die mit der Menge der beobachteten Handlungen zunimmt: der Mensch sei ehrgeizig. Auf diesem Grunde beruht die Lehre von den Hypothesen und ihrer Wahrhaftigkeit. Je mehr Naturbegebenheiten und je mannigfaltigere, sich aus einer Voraussetzung begreifen lassen; ferner, je einfacher die Voraussetzung ist, durch welche dieses geschehen kann; desto mehr Vermutungsgrund oder Wahrscheinlichkeit hat diese Voraussetzung für sich, mit desto größerm
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Rechte wird sie als wahr angenommen. Man sollte glauben, dieser Probierstein der Hypothesen könne nur alsdann gelten, wenn wir die Einrichtung der Welt einer vernünftigen und weisen Ursache zuschreiben, die zu Erreichung ihrer Absicht die kürzesten Mittel gewählt haben muß. Nur in diesem Falle, schreibt ein Sophist neuerer Zeiten,15 habt ihr ein Recht, eine einfache Einrichtung der zusammengesetzten vorzuziehn; und der Weisheit zuzutrauen, daß sie Vieles mit Wenigem werde ¦ auszurichten gewußt haben. Euer Probierstein der Hypothesen ist also selbst eine Hypothese. Allein nach obigen Begriffen ist diese Hypothese hier nicht nötig, so sehr wir auch sonst von ihrer Gewißheit überführt sind. Es ist der Natur des menschlichen Verstandes gemäß, eine bemerkte Übereinstimmung nicht dem blinden Zufalle zuzuschreiben; sondern allenthalben, wo Mannigfaltiges zusammenstimmt, auch Grund der Zusammenstimmung zu suchen. Die Wahrscheinlichkeit mit welcher wir diesen Übereinstimmungsgrund annehmen, nimmt mit der Mannigfaltigkeit des Übereinstimmenden von der einen Seite, so wie von der andern mit der Einfachheit der Übereinstimmung, an Überzeugungskraft zu; und kann, wie wir gesehen, der höchsten Evidenz so nahe kommen, daß ihr Unterschied nicht mehr bemerklich ist. Mannigfaltige Naturer | scheinungen, die sich aus einer einfachen Voraussetzung erklären lassen, geben eine Übereinstimmung zu erkennen, deren Grund wir in dieser Hypothese finden. Ist diese Hypothese nicht die wahre; gäbe es keinen gemeinschaftlichen Grund, und die ¦ verschiedenen Erscheinungen müßten wirklich aus eben so verschiedenen Hypothesen erkläret werden; so wäre die Übereinstimmung derselben ein bloßer Zufall, und es ist der Natur der Dinge so wie der menschlichen Vernunft; es ist den Gesetzen, nach welchen wir der Wahrheit Beifall geben und das Wahrscheinliche dem Unwahrscheinlichen vorziehen, es ist ihnen zuwider, dem Zufall dieses zuzutrauen; durch das Geradewohl Übereinstimmung entstehn zu lassen.
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| ¦ III. Evidenz – der unmittelbaren Erkenntnis – Vernunfterkenntnis – Naturerkenntnis Wir kommen nunmehr schon näher zur Beantwortung der beiden vorausgeschickten Fragen: was ist Wahrheit, und wie können wir uns von ihr versichern? Die Masse unsrer Erkenntnisse läßt sich in drei Klassen abteilen. 1) In sinnliche Erkenntnis, oder unmittelbares Bewußtsein der Veränderungen, die in uns vorgehn, indem wir sehen, hören, fühlen u. s. w.; indem wir Lust oder Unlust haben, indem wir begehren oder verabscheuen, urteilen, schließen, hoffen, fürchten u. s. w. Alles dieses rechne ich mit zur unmittelbaren Erkenntnis der äußern und innern Sinne; obgleich so manches Nachurteil, so manche Berichtigung und Verbesserung des Verstandes sich mit dem Sinnlichen mehrenteils so innigst verbindet, daß die Grenzen derselben nicht mehr zu erkennen sind. 2) In Erkenntnis des Denk¦baren und Nicht Denkbaren, oder Urteile und Schlüsse, die durch den richtigen Gebrauch unsers Verstandes, aus jener unmittelbaren Erkenntnis gezogen werden; Gedanken, in welche wir jene Gefühle auflösen; Vernunfterkenntnis; und 3) Erkenntnis des außer uns Wirklichen, oder die Vorstellungen, die wir davon haben, daß wir uns in einer physisch-wirklichen Welt befinden, in welcher wir wirken und leiden, Veränderung annehmen und Veränderung hervorbringen. Diese Masse von Erkenntnis grenzt von allen Seiten an Zweifel und Ungewißheit; und ist auch innerlich mit Irrtum, Vorurteil und Ungewißheit durchflochten, woran wir erkennen, daß unsre Seelenkräfte eingeschränkt sind, daß unsre Seelenvermögen mit Schwachheit und Unvermögen verbunden sind, und daher auch Erkenntnisse zu Folgen und Wirkungen haben, die sich zum Teil auf Vermögen, zum Teil auf Unvermögen gründen. Alle Täuschungen des Gesichts und des Gehörs rühren davon her, daß unsre Sinneskraft eingeschränkt ist, und sich nach ¦ der Lage und Beschaffenheit unsrer sinnlichen Werkzeuge richten muß. Alle Falschheit der Vernunfterkenntnis, hat Schwachheit des Verstandes und Eingeschränktheit der deutli-
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chen Erkenntniskraft zum Grunde; unsre | Irrtümer in Absicht des Wirklichen und Nicht Wirklichen fließen, wie ich weiter unten zeigen werde, aus derselben Quelle. Wir können also den allgemeinen Satz gelten lassen: Wahrheit ist jede Erkenntnis, jeder Gedanke, der eine Wirkung unsrer positiven Seelenkräfte ist; in so weit er aber eine Folge des Unvermögens ist, in so weit er durch die Schranken unsrer positiven Kräfte eine Abänderung gelitten, nennen wir ihn Unwahrheit, und zwar: wenn Unvermögen der obern Seelenkräfte, Mangel des Verstandes oder der Vernunft, an der Unwahrheit Schuld sind, nennen wir das Falsche in der Erkenntnis, Irrtum; sind wir aber durch Täuschung der sogenannten niedern Seelenkräfte verleitet worden, so wird das Falsche in der Erkenntnis, Täuschung oder Sinnenbetrug genannt. Eine jede menschliche Erkenntnis ist also zum Teil wahr, zum ¦ Teil unwahr; denn sie ist die Wirkung einer Kraft, die ihre Grenzen und Einschränkungen hat. Das Unwahre aber ist entweder Irrtum, oder Sinnenschein, oder aus beidem zusammengesetzt. Im Grunde hat der Sinnenschein mit dem Irrtume einerlei Quelle; nur liegt jener in der Region der unentwickelten, dieser aber in der Region der entwickelten oder aufgelösten Begriffe. Jener, der Sinnenschein nämlich, nähert sich der unmittelbaren Erkenntnis und wird dadurch unwiderstehlicher. Unrichtige Urteile, falsche Schlüsse, können durch den richtigen Gebrauch des Verstandes, verbessert und in Wahrheit verwandelt werden. Sinnenschein aber bleibt unveränderlich, wenn wir auch noch so sehr überführt sind, daß er Unwahrheit aussage. Wir mögen noch so sehr überführt sein, daßa die grüne Farbe aus der blauen und gelben zusammengesetzt; daß ein Turm, den wir in der Entfernung sehen, nicht so rund ist, als er uns scheint; wir mögen noch so sehr mit dem Kopernikus16 versichert sein, daß nicht die Sonne, ¦ sondern die Erde aufgeht: der Sinnenschein bleibt immer derselbe, und wird durch unsre Überzeugung nicht verändert. Die Täuschung ist der unmittelbaren Erkenntnis zu nahe a Unwahrheit bis daß: fehlt in JubA.
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verwandt, als daß sie durch den Gebrauch des Verstandes und der Vernunft verbessert werden könnte. Unvollständige Induktion ist eine Hauptquelle des Sinnenbetrugs. Wir verbinden die Eindrücke verschiedener Sinne, und erwarten den Eindruck des einen, so oft wir den Eindruck des andern gewahr werden. Gesicht und Gefühl sind so oft verbunden gewesen, daß wir ein ähnliches Gefühl erwarten, so oft uns ein ähnlicher Gegenstand in die Augen fällt. Wir vermuten innerliche Gleichheit, wo | wir äußerliche Gleichheit wahrnehmen. Wir schließen auf ähnliche Erfolge, weil wir die Verbindung zweier Erscheinungen sehr oft wahrgenommen haben. Wir schließen von Zeichen auf das Bezeichnete; von Folge auf und neben einander, auf das Gegründetsein in einander; verlassen uns auf unvollständige Induktionen, die im Grunde doch trü¦gen können. Alles dieses sind Folgen des unrichtigen Gebrauchs unserer Kräfte; eigentlich logische Schlußfehler, die, wenn sie entwickelt werden, mit den Irrtümern von einerlei Beschaffenheit sind. So lange sie aber unentwickelt bleiben, so lange sie so unmittelbar mit der sinnlichen Erkenntnis verbunden sind, haben sie die unwiderstehliche Gewalt der sinnlichen Überzeugung, und werden durch keinen Gebrauch der höheren Seelenkräfte verändert. Woran liegt es z. B. daß ich glaube, ein Turm, der mir in der Entfernung rund zu sein scheint, habe wirklich diese Figur? Offenbar an der Täuschung, daß ein Gegenstand des Gesichts durch die Entfernung nicht verändert werde; daß er auch in der Nähe meinem Gesichte, und durch die Berührung meinem Gefühle nicht anders vorkommen werde; und endlich an der so oft wahrgenommenen Übereinstimmung, daß ihn andre Menschen auch eben so finden werden. Lauter unvollständige Induktion, die ich für vollständig gelten lasse. Warum traue ich einem Brote, das einen inneren Gift enthält, und nehme es ohne Bedenken zu mir? Unstreitig, ¦ weil ich mich auf die so oft bemerkte innere Verbindung, zwischen den Nahrungskräften des Brotes und dem äußern Scheine desselben verlasse; weil ich innere Gleichheit vermute, wo mir äußere Gleichheit in die Sinne fällt. Abermals unvollständige Induktion, die mich hintergangen
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hat. Ich sehe das Bild einer Rose in der Luft schweben; und greife zu, in der gewissen Erwartung, sie werde dem Gefühle und dem Geruche auch nicht anders vorkommen. Worin ist dieser Betrug unterschieden von der getäuschten Erwartung ähnlicher Fälle, die im Grunde ein logischer Schlußfehler ist? Nur hat sich diese Erwartung in meiner Seele so festgesetzt, daß sie durch keine Überzeugung der Vernunft herauszubringen ist. Sie liegt in der Region der unentwickelten Begriffe, und kann durch keine Entwickelung derselben vernichtet werden. Jene Täuschung, vermöge welcher man in einem Gliede, das man unlängst verloren hat, noch Schmerzen zu empfinden glaubt, scheint sonderbar; ist aber dennoch aus eben dem Grunde zu erklären. Ei | gentlich zu reden, hat die Em ¦ pfindung des Schmerzes keinen bestimmten Sitz. Es liegt in ihr kein Merkmal des Räumlichen oder Örtlichen, kein Merkmal des Ausgedehnten oder Figürlichen. Bloß durch die Verbindung mit dem Gesichte oder Gefühle, versetzen wir den Schmerz an einen bestimmten Ort in unserm Körper. Und wie wäre es auch anders möglich? Sind doch alle bildliche Vorstellungen, die wir von den Gliedmaßen unsers Körpers haben, im Grunde nichts anders, als Erscheinungen des Gesichts oder des Gefühls. So oft wir an einem Orte Schmerz empfinden, dahin wir weder mit dem Gesichte, noch mit dem äußeren Gefühle gelangen können, so ist auch der Sitz desselben unbestimmt. Wir empfinden den Schmerz, wissen aber nicht, in welchem Teile des Leibes. Wollt ihr inne werden, welcher Zahn es ist, der euch so heftige Schmerzen verursacht; so müßt ihr mit dem Finger herumgreifen, um zu erfahren, durch welches Zahnes Berührung der Schmerz einige Abänderungen leidet. Wir haben nämlich sehr oft bei der Empfindung eines gewissen Schmerzes, irgendwo ¦ an unserm Körper eine Veränderung wahrgenommen. Wir haben diese Stelle betastet, und dadurch den Schmerz modifiziert gefunden. Er ist durch Berührung, durch den Druck, durch das Reiben u. s. w. vermehrt oder vermindert worden; daher wir ihm diese Stelle in unserm Körper zu seinem Sitze angewiesen. Wir haben nämlich diese Empfindung des Schmerzes mit dieser bild-
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lichen oder räumlichen Vorstellung, die wir durch Gesicht und Gefühl von dem Teile unsers Körpers haben, auf das innigste verbunden. So oft wir nunmehr denselben Schmerz wieder empfinden, so erwacht nicht nur durch die Ideenverbindung, die bildliche Vorstellung des Gliedes wieder; sondern wir erwarten auch von der Berührung des Gliedes, oder von jeder andern Behandlung desselben, eben dieselbe Wirkung wieder: d. h. wir halten dieses Glied für die Ursache des Schmerzes. Daher auch Kinder, bei welchen sich diese Ideenverbindung noch nicht fest genug gesetzt hat, selten recht sagen können, was oder wo es ihnen wehe tut. ¦ Ist aber das Örtliche in dem Schmerze bloß eine Wirkung der Ideenverbindung; entsteht es bloß aus der öfteren Begleitung zweier Erscheinungen und der Vermutung; daß die eine die Ursache der andern sein werde, so ergibt sich gar leicht: erstlich, daß diese Vermutung, so wie jeder Schluß aus einer unvollständigen Induktion, | auch trügen könne; daher wir sehr ofte den Schmerz an einen unrechten Ort hinsetzen. Sodann ist auch die wirkliche Gegenwart des Glieds zu dieser Ideenverbindung nicht notwendig. Wenn sich die figürliche Vorstellung des Gliedes so fest mit einem gewissem Schmerze verbunden hat, daß ihre Folge zur unmittelbaren Empfindung wird; so erwacht die figürliche Vorstellung des Glieds wieder, so oft wir den Schmerz empfinden; das Glied mag wirklich noch vorhanden sein, oder wir mögen durch die äußern Sinne des Gesichts und des Gefühls überführt sein, daß wir es nicht mehr haben. Die sinnliche Ideenfolge geht ihren Weg, ohne von dieser deutlicheren Überzeugung verhindert zu werden; und der Schmerz wird an einen Ort hin versetzt, der nicht mehr vorhanden ist. ¦ Wenn die Naturforscher in der Physiologie von dieser Erscheinung Rechenschaft geben wollen, so begnügen sie sich zu sagen: daß der Sitz des Schmerzes nicht in den äußern Gliedmaßen, sondern im Gehirne, da wo die Nerven zusammenstoßen, oder in dem Sammelplatz aller Empfindungen anzutreffen sei. Daher eine Empfindung unverändert dieselbe bleiben kann, wenn auch das äußere Ende der Nerven, woher sie entspringt, nicht mehr
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vorhanden ist. Diese Erklärung ist für den Physiologen hinreichend. Allein der Weltweise gehet weiter. Er bemerkt, daß selbst das figürliche Bild, das wir von den Nerven und dem Gehirne haben, bloß dem Gesichte und dem äußern Gefühle zuzuschreiben sei. Die innere Empfindung der Lust und Unlust, des Wohlbehagens und des Schmerzes, hat mit dem Räumlichen und Figürlichen nichts gemein. Bloß durch die öftere Wiederholung, durch das öftere Zusammensein und Aufeinanderfolgen dieser verschiedenen Erscheinungen, verbinden sie sich in unsrer Seele so fest, daß wir auf Kausalitätsverbindung zwischen ihnen schließen. Dieser ¦ Schluß wird, durch die öftere Wiederholung und frühe Gewohnheit, gleichsam zur unmittelbaren Empfindung, und gehet seinen Weg, aller bessern Überzeugung deutlicher Sinne zum Trotz. Der Schluß ist gemacht, die Täuschung ist vollzogen, bevor die langsamere Vernunft ihn hat hintertreiben können; so wie in sehr vielen Fällen, die Gewohnheit der Vernunft zuvoreilt, und dasjenige vollbringt, was diese nachher bloß mißbilligen kann. Alle Täuschungen der schönen Wissenschaften und Künste fließen aus derselben Quelle. Sie gründen sich alle auf die Verbindung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten, und auf den Schluß, den | wir aus unvollständigen Induktionen zu ziehen pflegen. Wenn diese, durch öftere frühe Wiederholung, zur Gewohnheit geworden sind; wenn die Ideenfolge gleichsam zur unmittelbaren Empfindung wird; so schließen unsere Sinne von dem Zeichen auf das Bezeichnete ungehindert fort, und erwarten dieses, so oft sie jenes wahrnehmen. Die deutlichere Erkenntnis des Wirklichen, mag uns immer von dem Ge ¦ genteile überführen, die sinnliche Täuschung hat ihren eigenen Weg zu schließen und zu folgern, und die Nachahmung hat ihre Wirkung getan; obgleich die Vernunft erkennt, daß es bloß Nachahmung sei. Wir mögen noch so gewiß versichert sein, daß dieser Schauspieler hier nicht der eifersüchtige Mohr sei, der die unschuldige Desdemona17 umbringt; wir wissen es, daß dieser marmorne Laokoon18 die Schlangenbisse nicht fühlet, deren Wirkung der Künstler bis in den äußersten Zehen sei-
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ner Füße hat zu bemerken gegeben; bringen wir nur den Vorsatz mit, uns auf eine angenehme Weise täuschen zu lassen, so treibt die sinnliche Erkenntnis ihr gewohntes Spiel; sie läßt uns von Zeichen der Leidenschaft auf Leidenschaft, von Zeichen der freiwilligen Handlungen auf Vorsatz und Bewegungsgrund schließen, und uns solchergestalt für Personen interessieren, die nicht vorhanden sind. Wir nehmen wirklichen Anteil an nicht wirklichen Empfindungen und Handlungen; weil wir von dem Nichtwirklichsein, zu unserm Vergnügen, vorsätzlich abstrahieren. ¦ Wenn hier meine Absicht mehr auf das Psychologische ginge; so würde ich von dieser Betrachtung Gelegenheit nehmen, euch von dem sinnlichen Absonderungsvermögen zu unterhalten, und euch durch mehrere Beispiele zeigen, daß unsre sinnliche Erkenntnisse mit mancherlei Seelenverrichtungen vermischt sind, die man gemeiniglich nur der Vernunft zuzutrauen pflegt. Der gesunde Menschenverstand, welcher beim Genuß des Schönen allein zu wirken scheint, setzt Operationen der Vernunft voraus, die ohne Bewußtsein in uns vorgehn müssen. Ich würde die Vergleichung fortsetzen, und euch durch hinlängliche Beispiele zeigen, daß gesunder Menschenverstand und Vernunft im Grunde einerlei sei, und beim Empfinden eben das in der sinnlichen Erkenntnis vorgehn müsse, was beim Denken durch die Vernunft geschieht. Der Unterschied ist bloß dieser. Der Menschenverstand tut beim Empfinden eilige Schritte, und gehet rasch vorwärts, ohne von der Furcht zu fallen | wankend gemacht zu werden. Die Vernunft hingegen fühlet gleichsam mit dem Stabe umher, ¦ bevor sie einen Schritt wagt; sie wanket denselben Weg, zwar vorsichtiger, aber nicht ohne Furcht und Zittern. Beide können auf Abwege geraten, beide können straucheln und fallen; und wenn dieses geschiehet, so wird es der Vernunft zuweilen schwerer, sich wieder aufzurichten. Da mich aber dieses zu weit von meinem Vorhaben abführen würde, so begnüge ich mich gezeigt zu haben, daß bei der Sinnentäuschung allezeit ein logischer Fehler zum Grunde liege. Der falsche Schein fließet mit dem Irrtume der Vernunfter-
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kenntnis aus einerlei Quelle. Durch einen unrichtigen Schluß aus einer unvollständigen Induktion, einer unzulänglichen Analogie, einer ohne Grund vorausgesetzten Kausalitätsverbindung, schließt unsre sinnliche Erkenntnis auf ein Objekt, wo keines wirklich vorhanden ist; oder legt ihm Eigenschaften bei, die ihm nicht wirklich zukommen. Mit einem Worte, Sinnentäuschung und Irrtum der Vernunft haben beide einerlei Ursprung, fließen beide aus einem Unvermögen der Erkenntnis; aus der Einschrän ¦ kung unsrer Vorstellungskraft, die dort Falschheit in der sinnlichen Erkenntnis, und hier Unrichtigkeit in der Vernunfterkenntnis zu Wege bringt, dort falschen Schein und hier Irrtum verursacht. Wir können also zur Beantwortung auf unsre erste Frage, den allgemeinen Satz gelten lassen: Wahrheit ist jede Erkenntnis, in so weit sie das positive Vermögen unsrer Seele zum Grunde hat; Unwahrheit hingegen, in so weit sie durch das Unvermögen, durch die Schranken unserer positiven Kraft, eine Abänderung gelitten hat.
| ¦ IV. Wahrheit und Täuschung Als ich den Laubengang hinaufkam, schient ihr mir, meine Lieben! in einem lebhaften Streite begriffen zu sein. War der Inhalt desselben etwa die Eröffnung der Schelde,19 oder sonst ein Thema dieser Art, das uns vor jetzt gleichgültig sein kann, oder hatte er einige Beziehung auf unsre gewöhnliche Unterhaltungen in den Morgenstunden? Sie wissen, antwortete J., daß wir um diese Zeit, wie Pope20 sagt, dem Ehrgeize und dem Stolze der Fürsten ihre Kleinigkeiten lassen, und jeden Tag mit solchen Gedanken beginnen, die uns näher angehen. – So spricht ein englischer Dichter, erwiderte ich. Ein Wiener dürfte vielleicht in seiner Dichtersprache sagen: die Rede ist hier nicht von Ehrgeiz oder Habsucht der Fürsten; sondern von der Befreiung einer Flußgöttin, der in den vorigen Jahrhunderten der Aberglaube die Augen verbunden und Merkur die Hände gefesselt hatte, und die jetzt von der ¦ Staatskunst, mit
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Hilfe der Eris oder Bellona21 wieder in Freiheit gesetzt werden soll. – Ihm sei dieses vergönnt, sprach er. Aber wir, die wir keine Wiener sind, weihen unsere Morgenandacht, in einer ähnlichen Dichtersprache, jener himmlischen Gottheit, die auch auf Erden ihren Tempel haben soll; obgleich die wenigsten Sterblichen den Steig zu finden wissen, der zu ihm hinaufführt. Die Fürsten sollen eigentlich um ihrentwillen nie ein Schwert gezückt haben; wiewohl sie zu manchen blutigen Auftritten hat den Vorwand hergeben müssen. Weder der Eris noch der Bellona ist es je erlaubt, in den Tempel selbst zu kommen. Jene aber wirft sich zuweilen zur Wegweiserin auf, und es soll ihr wirklich nicht selten gelingen, die Freunde der Göttin bis an die äußerste Pforte des Tempels zu bringen. Aber nicht allezeit; es kömmt darauf an, wie man sagt, welchem Winke sie selbst folgt. Ist es der himmlische Amor, der vor ihr her tändelt, und ihr die Spur zeigt; so führt sie wirklich zum Tempel hin, und zieht sich von der Pforte bescheiden zurück. Trabt aber der Ehrgeiz vor ihr ¦ her, so erreget er durch seinen Ungestüm eine Wolke von Staub, die die ganze Aussicht verdunkelt; und man ist in Gefahr, dicht vor der Pforte des Tempels, ihr den Rücken zuzuwenden. Ja wenn diese auch ge | öffnet würde, so schlüpft der Ehrgeiz unvermerkt mit hinein, um den ihm folgenden Sterblichen durch einen Umweg wieder hinaus zu führen, und der Eris wieder in die Hände zu liefern. Du hast mit meinem Kalbe gepflügt,22 antwortete ich; daher kann ich leicht dein Rätsel finden, mein Sohn! Die Wahrheit war der Inhalt eures Streits; und ich hoffe, diesesmal soll die Eris dem Winke jenes Amors folgen, dem die Morgenstunden geheiligt sind. Und um der Allegorie ein Ende zu machen; ging es etwa die Erklärung an, die ich euch gestern von der Wahrheit zu geben wagte? Eben diese, erwiderte er. Es schien einigen von uns, als wenn die Merkmale, die Sie von der Wahrheit angaben, nicht immer hinreichend wären, sie vom Betruge der Sinnen zu unterscheiden. Sagten Sie nicht, eine Erkenntnis ¦ sei Wahrheit, in so weit sie aus der positiven Kraft unsrer Seele folgt; in so weit sie aber
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durch die Einschränkung dieser Kraft eine Abänderung leidet, werde sie zur Unwahrheit? – Richtig! – Diese Unwahrheit, setzten Sie hinzu, werde Irrtum genannt, wenn sie eine Folge des Verstandes und der Vernunft ist; fließe sie aber aus den Schranken des Sinnenvermögens, so werde sie Sinnenbetrug oder Täuschung genannt. War es nicht also? – Allerdings. – Nun sagen Sie selbst, lieber S., durch welche Instanz Sie wider diese Erklärung einen Zweifel zu erregen gewußt haben. S. Ich sehea hier im Wasser das Bild meines Freundes; wende mich zur Rechten, und sehe ihn wirklich neben mir stehen. Eben derselbe Sinn, der mir hier den Schein zu erkennen gegeben, zeigt mir da die Wahrheit. Wir können nicht sagen, daß in dem einen Falle die positive Kraft, und in dem andern Fall die Einschränkung derselben, die Erscheinung hervorgebracht habe. Der Sinn sowohl, als das Organ des Gesichts, taten in beiden Fällen ihre Pflicht, und ¦ verrichteten das, was sie zu verrichten bestimmt sind. Woran liegt es also, daß ich demungeachtet jenes für Schein, dieses für Wahrheit halten muß? – Eine andre Instanz! Ist es nicht vermöge der positiven Kraft unsers Gesichts, und nach den wahren Gesetzen der Optik, daß ich in jenen Wolken dort einen Regenbogen glänzen sehe? Gleichwohl ist der Regenbogen, wie wir wissen, bloßer Schein; keine Wirklichkeit, keine Wahrheit. Wenn aber das Kriterium, das Sie von der Wahrheit angegeben, entscheidend sein soll; so müßte es sich auf alle diese, und dergleichen Fälle, mit Nutzen anbringen | lassen. Freilich! erwiderte ich. Ein Probierstein der uns in die Hände gegeben wird, muß hinreichen, in allen Fällen das Echte vom Falschen zu unterscheiden, wenn wir uns mit Sicherheit darauf verlassen sollen. – Und ihr, meine Freunde! die ihr die Anklage vernommen, welche S. wider meine Erklärung vorbrachte; wußtet ihr etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, oder überließt ihr sie ihrem Schicksal? ¦ Und W. ergriff das Wort: So völlig haben wir sie noch nicht aus dem Felde schlagen lassen. Es schien uns, als wenn Sie a Erste Auflage und JubA: sahe. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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selbst in Ihrem Vortrage ähnliche Beobachtungen angeführt, und mit Anwendung auf Ihr Kriterium erläutert hätten. Indessen wünschten wir die nähere Aufklärung der von S. erregten Zweifel aus Ihrem Munde zu hören. Lassen Sie, wenn es Ihnen so gefällt, dieses den ersten Gegenstand unsrer heutigen Unterhaltung sein! – Gerne! sprach ich; und eben dieses wird der schicklichste Eingang zu der Materie sein, die ich heute vorzutragen habe. Du sagtest, mein Sohn! der Sinn des Gesichts verfahre nach denselben Gesetzen der Optik, und gebe dir gleichwohl hier ein bloßes Bild deines Freundes, dort aber ihn wirklich zu erkennen. Beides sei also Wirkung der positiven Sinneskraft, und gleichwohl sei nicht beides Wahrheit. War es nicht dieses, was dir meinen Satz verdächtig machte? – Eben dieses! – Du weißt, wie die Sachwalter einen Angeklagten zu rechtfertigen pflegen. Sie leugnen die ¦ Tatsache, oder schieben die Schuld auf einen andern. Ich werde das Letztere ergreifen. Ich behaupte, der Sinn des Gesichts sei an der Täuschung nicht Schuld, und sage vielmehr, so viel an ihm liegt, in beiden Fällen die reine Wahrheit aus. Als Erscheinung dieses Sinnes, hat das Bild, das du hier im Wasser siehest, nicht weniger Wahrheit, als jenes. Beides sind Wirkungen der positiven Sinneskraft, und können, nach meinem Begriffe, weder trügen noch täuschen. – Wer soll denn aber sonst an der Betörung Schuld sein? fragte er. Wenn beide Gesichtsbilder die Wahrheit aussagen: wie geht es denn zu, daß mir jenes Bild meinen Freund da zeigt, wo er nicht ist; indes mir dieses hier, ihn da zu erkennen gibt, wo er wirklich vorhanden ist. – Vorhanden ist, antwortete ich. Hier also lieget der Knoten. Was verstehst du unter wirklich sein, vorhanden sein? Er schien ein wenig nachzudenken, und sprach endlich: Wenn Sie mich nicht fragen, antwortete jener23 auf eine ähnliche Fra | ge, so weiß ich es. – Auch dringe ich vor der Hand, erwiderte ich, nicht auf eine ¦ schulgerechte Erklärung. Ich will nur die Merkmale wissen, an welchen du erkennest, daß dieses Bild hier ein täuschendes; jenes aber, ein wirkliches Bild deines Freundes sei. Erkennest du dieses nicht etwa daran: daß die bekannte Stimme deines Freundes
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nicht aus dem Wasser, sondern hier von der Seite zu dir komme; daß du die Hände hier zur Rechten ausstrecken müssest, wenn du deinen Freund umarmen, oder etwas aus seiner Hand empfangen willst? Sind es nicht diese und dergleichen Kennzeichen, an welchen du Schein vom Dasein, bloßen Schein von wirklicher Substanz unterscheidest? – Dieses ward zugegeben, und ich fuhr fort: Der Sinn des Gesichts war also an der Täuschung nicht Schuld. Ein Nachurteil der Seele war es, das dich hintergangen hat. Du erwartetest von jedem Bilde des Gesichts auch die Erscheinung des Gehörs und des Gefühls, die sehr oft mit denselben verbunden sind; und die Erwartung traf diesesmal nicht ein. Der Grund dieser Erwartung war, wie wir gesehn, eine unvollständige Induktion, ein Schluß von Vielem auf Alles, von ¦ Oft auf Immer; und wenn dieser Schluß trügt; so ist es offenbar eine Wirkung unsrer Schwachheit, des Mangels und der Einschränkung unserer Erkenntniskräfte. Dieselbe Bewandtnis hat es mit dem Regenbogen, als der zweiten Instanz, die du anführtest. Der starke Glanz der Farben, mit welchen er strahlet, läßt dich einen festen Gegenstand erwarten, auf welchen die Farben aufgetragen sind; und die Theorie sowohl als die Erfahrung überführen dich, daß sie bloß in dem feuchten Dunst, aus welchem die Wolken bestehen, hin und herschweben; und mit jeder andern Stellung, die du annimmst, auch ihren Ort verändern. Auch hier ist es nicht das Gesicht, in so weit es eine Wirkung deiner positiven Sinneskraft ist, das dich täuschet. Die Gewohnheit und die Erwartung des Ähnlichen hat dich hintergangen, und du verließest dich auf eine Schlußart, die nicht in allen Fällen bündig ist. Immer bleibt also die Wahrheit eine Folge der positiven Erkenntniskraft; die Unwahrheit hingegen eine Folge des Unvermögens, das mit derselben verbunden ist. ¦ Und nun zur Beantwortung unsrer zweiten Frage, die ich für diesen Morgen, zum Vorwurf unsrer Unterhaltung bestimmt hatte. Mit welchem Grade der Gewißheit können wir uns von der Wahrheit versichern? Wo ist der Probierstein, an welchem wir prüfen | können, ob eine Erkenntnis, die wir besitzen oder zu be-
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sitzen glauben, eine Folge der Denkungskraft, oder ihrer Einschränkung sei? Ich komme auf meine dreifache Einteilung unsrer Erkenntnisse zurück, die euch noch beiwohnen wird. Sinnliche Erkenntnis, Vernunfterkenntnis und Erkenntnis des außer uns Wirklichen, oder Naturerkenntnis. – Alle unmittelbare sinnliche Erkenntnis, oder wie sie andre nennen, alle anschauende Erkenntnis, es sei Empfindung der äußern, oder Wahrnehmung der innern Sinne, führen die höchste Überzeugung mit sich. Als Vorstellungen in der Seele betrachtet, findet weder Irrtum noch Täuschung bei ihnen statt. Wenn ich höre und sehe und fühle, so leidet es weiter keinen Zweifel, daß ich wirklich höre und sehe und fühle. So auch, ¦ wenn ich Lust und Unlust empfinde, hoffe, fürchte, Mitleiden habe, liebe, hasse u. s. w. Irrtum findet bei ihnen nicht statt; denn dieser folgt, wie wir gesehen, aus einem unrichtigen Gebrauch der höhern Seelenkräfte, welche bloß bei der Vernunft-a und Naturerkenntnis mitwirken und Dienste tun müssen. Die unmittelbare, anschauende Erkenntnis bedarf weder der Vernunft noch des Verstandes, und kann also durch keinen unrichtigen Gebrauch derselben gemißleitet werden. Und die Täuschung oder der Sinnenbetrug? Wir haben gesehen, daß auch diese nur alsdann hintergehen können, wenn wir auf Gegenstände außer uns schließen; wenn unsre Erkenntnis nicht bloß Vorstellung, sondern auch Darstellung sein soll. In diesem Falle treten bei der sinnlichen Erkenntnis dieselben Schlußfehler ein, welche bei der vernünftigen Erkenntnis statt haben, und leiten zuweilen auf irrige Folgen. So wie sie bei dieser Irrtum erzeugen; so erzeugen sie bei jener, durch die Gewohnheit, Täuschung und Sinnenbetrug. So lange wir aber bei der sinnlichen Erkenntnis stehen bleiben, so lange wir ¦ diese noch nicht als Darstellung, sondern bloß als Vorstellung betrachten; leidet sie weder Zweifel noch Ungewißheit, und hat den höchsten Grad der Augenscheinlichkeit für sich.
a Erste Auflage und JubA: Vernunft. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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Was nach den Regeln des Denkbaren aus diesen ersten Grundbegriffen geschlossen wird; mit andern Worten: was nach dem Satze des Widerspruchs aus der unmittelbaren, anschauenden Erkenntnis folgt, ist in eben dem Grade über alle Zweifel hinweg. Der Satz des Widerspruchs ist eine Bedingung, ohne welche das Denken überall nicht statt hat. Wir müssen also alles Denken, alles Untersuchen | aufgeben, wenn wir nicht die notwendige Bedingung des Denkens gelten lassen, und uns zu allen Folgen verstehen wollen, auf die wir vermittelst derselben geführt werden. Irrtümer können zwar hier mit einschleichen, aber nur als Rechnungsfehler; in so weit wir etwa von den Gesetzen des Denkbaren unrichtigen Gebrauch machen. In der gemeinen Rechenkunst können wir, durch unrichtige Anwendung der untrüglichsten Regeln, auf irrige Resultate kommen, wie einem jeden von ¦ uns bekannt ist. Die praktische Beantwortung einer jeden Frage bedarf daher sowohl der Probe, als des Beweises. Der Beweis zeigt eigentlich an, wie das Resultat herauskommen müsse, wenn nach Vorschrift der Auflösung verfahren wird. Die Probe hingegen soll in jedem vorliegenden Falle zeigen, ob das auch wirklich geschehen sei, was nach den Erfordernissen des Beweises hätte geschehen müssen. Der Beweis kann, wie in der gemeinen Rechenkunst offenbar der Fall ist, den höchsten Grad der Überzeugung mit sich führen; aber alle Proben sind unzulänglich, uns den Zweifel zu benehmen, daß wir richtig verfahren haben. Dieselbe Bewandtnis hat es mit allen streng erweisenden Wissenschaften, denen man den höchsten Grad der Evidenz zuschreibt; mit der Mathematik nämlich, und mit der Logik. Die Regeln des Denkens, auf welche sie sich gründen, und die Schlußformen, durch welche Wahrheit von Wahrheit hergeleitet wird, sind von der augenscheinlichsten Gewißheit. Ob aber diese Regeln, diese Schlußformen, auch richtig angewendet worden sind; hiezu gehören Proben, ¦ und auch diese lassen noch immer einige Ungewißheit zurück.a Die Theorie ist über allen Zweifel
a Erste Auflage und JubA: in deren Ermangelung noch immer ein kleiner
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hinweg; aber in der Anwendung können viel Rechnungsfehler einschleichen und Irrtümer zeugen. Die Gewißheit der unmittelbaren sinnlichen Erkenntnis erstreckt sich auch auf das Gebiet der Schönheit und der sittlichen Empfindungen. Auch hier hat der Geschmack eine Art von Unfehlbarkeit. Wo ihr Schönheit empfindet, da muß Schönheit anzutreffen sein; und ein Gedanke oder eine Handlung, die eure Seele erhebet und sie gleichsam ihren eigenen Wert empfinden läßt, muß in der Tat erhaben sein. Da der Geschmack und das sittliche Gefühl keine Vernunfterkenntnisse sind, so findet Irrtum oder Fehlschluß bei ihnen nicht statt. Und Täuschung? Wir haben gesehen, daß diese nur da zu besorgen ist, wo die Seele gleichsam aus sich herausgehet, und | von ihrer Erkenntnis auf das Objekt schließet; nur da, wo Vorstellung von Darstellung unterschieden ist. So lange sie sich aber auf ihre innere Empfindungen, als Empfindungen einschränkt; so lange ist jeder ¦ Schein Wahrheit, und ich glaube zu empfinden eben so viel, als ich empfinde. Der verkehrteste Geschmack also, kann hierin weder trügen noch täuschen, so lange wir bei der subjektiven Empfindung stehen bleiben. Falschheit findet auch hier nur bei der Beurteilung statt, wo eine Art von Rechnungsfehler mit unterlaufen, und auf Irrwege führen kann. Der richtige Geschmack nämlich wäget alle Teile eines Gedanken oder Gegenstandes, vergleichet Hauptund Nebenbegriff, setzt jedes in sein gehöriges Licht, berechnet Schönheit gegen Fehler, und fällt sein Urteil nach dem Eindruck des Ganzen. Der fehlerhafte Geschmack hingegen verteilet Licht und Schatten nach einem unrichtigen Ebenmaße, hält sich an einen Nebenbegriff fest, übersieht, was nicht übersehen werden soll, und urteilet nach einer unrichtigen Schätzung von dem Werte des Ganzen, nach einem seiner Teile. Seine Empfindung hat evidente Wahrheit, aber seine Beurteilung täuscht. Helvétius24 sucht, in einer von seinen nachgelaßnen Schriften, den mißverstandnen Satz zu ¦ behaupten: daß alle menschliche Grad der Ungewißheit zurück bleibt. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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Erkenntnis aus sinnlichen Empfindungen entspringe. Wie er dieses bloß auf die Wirkung der äußern Sinne einschränkt, und die ganze Masse unsrer Begriffe aus einem Spiel der Fibern im Gehirn erklären will; so glaubt er, der Seele alle allgemeine Begriffe absprechen zu müssen. Alles ist im Gehirn sinnlicher Eindruck; und um die Schwierigkeit zu heben, die ihm die Sprache macht, in welcher alle Wörter allgemeine Begriffe bedeuten, sagt er: die Sprache sei bloß Zeichenerkenntnis; so wie in der Algebra z. B. die Zeichen oder in der gemeinen Rechenkunst die Zahlen nichts anschauendes mit sich führen, und bloß als Symbolen, durch Versetzung und Vergleichung, auf richtige Schlußsätze führen können, eben also können die Wörter als leere Zeichen und Symbolen, in der Sprache ein Hilfsmittel zum Denken werden und einen vernünftigen Diskurs bilden. So wie wir uns dort mit der Überzeugung begnügen, daß wir jedem Zeichen, sobald wir wollen, einen bestimmten Wert unterlegen können, und daß das Resultat von dem bestimmten ¦ Werte eben so richtig folgen werde, als der Kalkül es von den Zeichen herausgebracht hat: auf eine ähnliche Weise, meint er, begnügten wir uns | beim Gebrauch der Sprache mit der Versicherung, daß wir einem jeden Worte, einen sinnlichen Eindruck von einer gewissen Gattung unterlegen können, ohne in der Tat etwas mehr als ein leeres Zeichen dabei zu denken, oder uns vorzustellen. Wir rechnen bloß darauf, daß die sinnlichen Eindrücke unter sich in denselben Verhältnissen stehen, in welche wir die Worte, oder Zeichen derselben, gebracht haben; denken aber vor jetzt bloß den sinnlichen Eindruck, den die Worte als Zeichen machen. – Mithin wäre nach dieser Hypothese, die ganze Sprache des Menschen, eine bloße Sammlung von leeren, algebraischen Zeichen, die wir nach gewissen Regeln versetzen und verbinden. Mich dünkt, wenn diese Hypothese wahr wäre; so würden wir durch die Sprache zwar Vernunftschlüsse machen, aber keine Empfindungen erregen können. Bloße symbolische Erkenntnis, wie die in der Rechenkunst und Algebra, ¦ läßt das Gemüt unbewegt; kann weder Liebe noch Haß, weder Furcht noch Mitleiden, überhaupt weder Lust noch Unlust erzeugen. Wir würden bei der
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Vorstellung des vortrefflichsten Schauspielers, bei Lesung eines Gedichts oder einer Rede, so kalt und gleichgültig bleiben, als wir bei einer algebraischen Rechnung sind. Wie geht es aber zu, daß wir durch die Sprache gleichwohl die größten Wirkungen dieser Art hervorbringen können? Empfindungen können nicht trügen. Wo Empfindung ist, da schließen wir mit der größten Sicherheit, auf anschauende, unmittelbare Erkenntnis. Unsre allgemeine Notionen, und die Wörter, die sie vorstellen, müssen also nicht bloß in Zeichenerkenntnis bestehen; es muß ihnen etwas anschauendes, etwas unmittelbar erkanntes anhängen, wodurch sie das Gemüt zur Teilnehmung erwecken und Empfindung von Lust und Unlust erregen können.
| ¦ V. Dasein – Wachen – Träume – Entzückung Wenn der Dichter aus dem grenzenlosen Reiche seiner Einbildungskraft, in welchem er lange genug umhergeschweift, zur lieben Muttererde, seiner Heimat, zurückkehrt, stimmt er den frohen Gesang an: Sei mir gegrüßt, ich sehe dich wieder, Erde, mein mütterlich Land!25 Wir kommen von einer ähnlichen Reise, aus dem Lande der Möglichkeit und der Ideen, in dieses wirkliche Leben zurück, in welchem wir besser zu Hause zu sein glauben. Wir könnten einen ähnlichen Gesang anstimmen, und getrostes Mutes unsern Weg fortsetzen; wenn uns nicht die Skeptiker gerade hier die Wege am meisten abgegraben, und die mehrsten Fußangeln eingelegt hätten. Gerade hier müssen wir also am vorsichtigsten sein, und keinen Fuß vorrücken, bevor wir den Boden untersucht haben. Lasset uns den Begriff des Daseins bis auf seinen ersten Keim verfolgen; nicht um ihn durch ¦ Worte zu erklären, sondern bloß um seiner Entstehung nachzuforschen, und zu untersuchen, wie er sich nach und nach in uns festgesetzt hat. – Unsre Gedanken, als Gedanken betrachtet, sind das erste, das sich uns aufdringet.
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Wir können nun einmal nicht zweifeln, daß sie in uns wirklich vorhanden sind, Abänderungen von uns selbst sind, und wenigstens eine subjektive Wirklichkeit haben. Hiernächst ist auch unser eigenes Dasein eine notwendige Bedingung, ohne welche kein Untersuchen, ja überall kein Zweifeln und kein Denken statt finden kann. Cartesius setzte mit Recht, als die Grundfeste alles Nachdenkens, den Schluß voraus: Ich denke; also bin ich.26 Wenn meine innere Gedanken und Empfindungen in mir wirklich sind; wenn das Dasein dieser Abänderungen meiner selbst nicht geleugnet werden kann; so muß auch das Ich zugegeben werden, dem diese Abänderungen zukommen. Wo Abänderungen sind, da muß auch ein Subjekt vorhanden sein, das Abänderung leidet. Ich denke; also bin ich. ¦ Der Weltweise hätte mit gleichem Rechte sagen können: ich hoffe, also bin ich; ich fürchte, also bin ich u. s. w. Allein alle Veränderun | gen, die innerhalb unser selbst vorgehn, haben, nach seiner Theorie, das gemeinschaftliche Merkmal, das er Gedanken nennt. Er befaßte sie also alle in dem allgemeinen Worte: ich denke. Und das Dasein? Wenn wir von uns selbst ausgehen, wie wir in allen unsern Erkenntnissen notwendig tun müssen; so ist Dasein bloß ein gemeinschaftliches Wort für Wirken und Leiden. Wir sind uns bewußt, daß wir in jedem Augenblicke unsers Lebens wirken oder leiden; und das Merkmal, das sie beide gemeinschaftlich haben, nennen wir Dasein. Ich habe Begriffe und Empfindungen, also bin ich ein begreifendes und empfindendes Wesen. Ich wirke oder leide, also bin ich wirklich vorhanden. Muß ich, vermöge der augenscheinlichsten Überzeugung, das erste zugeben; so wird, als eine notwendige Folge, das letzte nicht in Zweifel zu ziehen sein. Nach unsrer Erklärung von Wahrheit und Unwahrheit, folgt alles dieses ganz natürlich. ¦ Unsre unmittelbaren Empfindungen der innren und äußern Sinne, und alles was nach den Regeln des Denkens aus denselben zu schließen ist, kann nicht bloß die Folge unsers Unvermögens sein; setzet unstreitig ein Denkensvermögen voraus. Eben so wenig kann das Subjekt, in welchem dieses vorgeht, bloßes Unvermögen, bloße Einschränkung
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sein. Schranken setzen ein Wesen voraus, das eingeschränkt wird. Abänderung ist, ohne etwas Fortdauerndes das abgeändert wird, nicht denkbar. Alle meine subjektive Erkenntnisse haben, als subjektive betrachtet, unstreitige Wahrheit; ihr idealisches Dasein, kann weder Schein noch Irrtum sein. Meine eigene Wirklichkeit ist weder Täuschung noch Irrtum, und also Wahrheit. Glaubet nicht, meine Lieben! daß ich die Absicht habe, durch alle diese abgezogene Worte, die ersten Elemente unsrer Erkenntnis begreiflicher zu machen. Ich bin es sehr überzeugt, daß sie oft durch dergleichen Wortgepränge, nur noch mehr verdunkelt werden. Das Erklären durch Worte muß irgendwo seine Grenzen haben, wenn ¦ wir in der Erkenntnis vorwärts gehen, und nicht immer gleichsam in einem Zirkel herumgeführt werden sollen. Meine Bemühung geht bloß dahin, bei euch, durch mancherlei Redensarten und Wendungen, eben die Gedanken zu erregen, die ich in mir habe, und zu meiner Absicht tauglich finde. Wenn von sinnlichen Dingen die Rede ist, und ich euch z. B. eine Erklärung aus der Naturgeschichte begreiflich machen will; so bringe ich euch verschiedene Individua | von derselben Art so lange unter die Augen, bis ich versichert bin, daß ihr euch ihr gemeinschaftliches Merkmal abgesondert, und also einen Begriff von der Art gebildet habt. Da wir aber hier mit übersinnlichen Dingen zu tun haben, die nicht anders, als durch Worte dargelegt werden können; so muß ich die Worte und Redensarten euch so lange wenden, und von verschiedenen Seiten vorhalten, bis in eurer Seele eben das vorgeht, worauf meine Absicht gerichtet ist. Ich bin also weit entfernt, euch schulgerechte Erklärungen, vom Denken, Dasein, Ich u. s. w. geben zu wollen. Ich will euch bloß durch meine Worte zum Nach¦denken anführen; und durch Vergleichung verschiedener Ausdrücke, bei Anhörung dieser Worte, die Gedanken bei euch erwecken, die meinem Zwecke gemäß sind. Das Dasein meiner Vorstellungen also, bloß als subjektive betrachtet, so auch mein eignes Dasein, und alles was aus diesen, vermöge der Gesetze des Denkbaren, gefolgert werden kann, ist über allen Zweifel hinweg. Jenes, als unmittelbare sinnliche Er-
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kenntnis, läßt auch keine Besorgnis eines Rechnungsfehlers zurück. In so weit es aber, durch die Gesetze des Denkbaren, mit der reinen Vernunfterkenntnis verbunden wird, ist der Zweifel nicht völlig aus der Acht zu lassen; ob auch die Regeln richtig angewendet worden, und nicht ein Trugschluß oder Rechnungsfehler auf Irrwege verleitet hat. Ich werde aber in dem Bezirke der Begriffe, deren ich mir bewußt bin, auch solche gewahr, die ich nicht bloß für Vorstellungen gelten lassen kann, sondern zugleich für Darstellung äußerlicher Gegenstände halten muß. Sie sind nicht bloß Abänderungen von mir, und einzig und al¦lein in mir selbst als ihrem Subjekt, anzutreffen; sondern ich muß mir selbst von ihnen gestehen, daß sie zugleich Abdrücke äußerlicher Gegenstände sind, die ihr eigenes Dasein für sich haben. Im Wachen und so lange ich gesund bin, ist mir nichts leichter, als diese Gattung der Begriffe zu erkennen, und von andern zu unterscheiden. Sie führet ihre Augenscheinlichkeit mit sich, die sich dem gesunden Menschensinne aufdringet, und keinen Widerspruch leidet. Im Traume hingegen, in der Trunkenheit, im Wahnwitz, in der Entzückung, pflegen wir diese beiden Gattungen zu verwechseln, und eine Reihe subjektiver Vorstellungen, für Darstellung äußerlicher Gegenstände zu halten. Wir erkennen im Wachen unsern Zustand und unterscheiden ihn vom Traume.27 In währendem Träumen sind wir hiezu nicht aufgelegt. Es entstehen zwar in diesem | Zustande selbst sehr oft schwache Zweifel, ob das, was wir sehen und hören, nicht bloße Träume sein mögen? Allein sie werden gar bald von der anscheinenden Evidenz der äußern Sinne überwältiget, und verschwinden, ohne uns von unserm ¦ wahren Zustande zu unterrichten. Die Bemerkung wird jeder von euch bei sich selbst zu machen, Gelegenheit gehabt haben. So oft im Traume ein Umstand vorkömmt, der ungereimt scheint, und mit den bekannten Gesetzen der Natur streitet; so werden wir aufmerksam, und fragen uns selbst: sollte dieses nicht ein bloßer Traum sein? Der Zweifel entsteht, und vergeht eben so leicht wieder, ohne uns über unsern Zustand ein weiteres Licht zu geben. Die Frage ist: läßt sich das Kriterium deutlich angeben, woran Vorstellung von
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Darstellung zu unterscheiden ist? Kann der Ausspruch des gesunden Menschenverstandes, der im Wachen so unwiderstehlich ist, in Vernunft-erkenntnis verwandelt werden? Und wie gehet es zu, daß eben dieses Kriterium, in währendem Traume, seine Untrüglichkeit verliert und nicht mehr im Stande ist, uns aus der Verwirrung zu reißen? Ihr werdet euch aus der Lehre von der Verbindung unsrer Begriffe, die ich euch zu einer andern Zeit vorgetragen, noch zu er-. innern wissen, daß diese nach verschiedenen Regeln der Ordnung ¦ auf-,a und nebeneinander zu folgen pflegen. Einmal nach einer subjektiven Ordnung, nach dem Gesetze des Witzes,28 der Einbildungskraft oder der Vernunft. Begriffe die wir zu einer andern Zeit zugleich gehabt haben, die ähnliche Merkmale enthalten, oder die nach dem Gesetze der Vernunft auseinander folgen, bringen sich im Traume sowohl als im Wachen einander wieder hervor, und dieses nennen wir die subjektive Ideenverbindung. Stehn sie aber unter sich in einer von uns unabhängigen Kausalitätsverbindung; folgen sie deswegen auf-a und nebeneinander, weil sie, nach anerkannten Gesetzen der Natur, als Ursachen und Wirkungen mit einander verknüpft sind; so nennen wir dieses eine objektive Verbindung der Ideen. Eine Reihe von Begriffen, die nicht bloß von unsern Seelenkräften und ihren Wirkungen und Einschränkungen abhängt, sondern die äußerliche Gegenstände voraussetzt, welche diese Begriffe darstellen, und in deren Kräften, wechselsweisen Einwirkung und Zusammenhang, sie gegründet sind. ¦ Den Zustand, in welchem die objektiven Ideenverbindungen in unsrer Seele die herrschenden sind, nennen wir das Wachen. Der bei | weitem größere Teil unsrer Vorstellungen folgt in diesem Zustande auf- und nebeneinander, nicht nach den Gesetzen unsrer Seelenkräfte; nicht, weil wir sie zu einer andern Zeit zugleich gehabt haben; nicht, weil unser Witz eine Ähnlichkeit an ihnen bemerkt, oder unsre Vernunft sie so und nicht anders denkbar findet; sondern, weil ihre Urbilderb unter sich, nach uns a JubA: auf. b Erste Auflage: sie. In der zweiten Auflage wie hier geändert.
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bekannten Naturgesetzen, in Kausalitätsverbindung stehen. Wie wir zu der Kenntnis der Naturgesetze und dieser Kausalitätsverbindungen gelangen, haben wir im Vorhergehenden gesehn. Sie stützet sich hauptsächlich auf eine unvollständige Induktion; auf eine Schlußart von Oft auf Immer, die in vielen Fällen, an Untrüglichkeit, der vollkommensten Evidenz sehr nahe kommen kann. In dieser Ordnung und Verbindung also steht der größte Teil unsrer Begriffe, in währendem Wachen. Unsre Seele ist zwar geneigt, in jedem Augenblicke von dieser objektiven Reihe in etwas abzuweichen, und in ¦ die ihr eigentümliche, subjektive Ideenverbindung überzugehen. Da aber in währendem Wachen, die objektive Ordnung der Begriffe die herrschende ist; so wird sie von ihrer subjektiven Abschweifung gar bald abgerufen, und in die Reihe wirklicher Dinge zurückgebracht. Je mehr aber eine Vorstellung Interesse für uns hat, desto länger und anhaltender ist der Abweg, auf welchen wir durch die subjektive Ideenverbindung geführt werden; desto mehr ist unser wachender Zustand mit einer Art von Träumerei verbunden, deren Wirkung man in der Zerstreuung, Begeisterung oder Entzückung bemerken kann. Zuweilen ist die Kraft, mit welcher wir von einer gewissen Vorstellung eingenommen sind, so groß, daß sie die objektive Reihe der Dinge überwältigt, uns aus der Ordnung der Natur völlig hinaus und auf eine subjektive Ideenverbindung führt, die einem wachenden Traume gleich ist. Dieses ist der Zustand heftiger Gemütsbewegungen, der Schwärmerei und der Begeisterung, die der Odendichter nachahmet. ¦ Wir Deutschen nennen diesen Zustand Entzückung, mit vieler Bedeutung. Die Seele wird gleichsam dieser sinnlichen, gegenwärtigen Reihe der Dinge entzogen und in eine andre versetzt, die ihr eigen ist. Bei einem Wahnwitzigen nennen wir diesen Zustand Verrückung, aus eben dem Grunde. Der Hang der Seele, ihrer subjektiven Ideenverbindung zu folgen und sich dem Witze oder der Einbildungskraft zu überlassen, ist so | stark und ihr so natürlich, daß sie ohne kräftiges Erinnern an die gegenwärtige, wirkliche Welt, keine andre Reihe von Begriffen verfolgen, und festen Gang halten kann, als
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von solchen, die durch Witz und Einbildungskraft verbunden sind. Selbst zur Meditation, oder zum anhaltenden vernünftigen Nachdenken über einen und eben denselben Gegenstand, würde sie dieser Hang untüchtig machen. Zur Meditation gehöret, daß die Seele ihre Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand hefte, die Begriffe in ihre Merkmale zerlege und über ihre Verbindung nach den Gesetzen des Denkbaren nachdenke. Dieses ist die Ordnung der ¦ Vernunft, welcher die Seele mit festen, unwankenden Tritten folgen muß, wenn das Meditieren von Statten gehen soll. Allein das Interesse der Vernunfterkenntnis ist größtenteils zu schwach, um die Seele an ihre Ordnung zu fesseln und festen Schritt tun zu lassen. Sie würde mit jedem Schritt in Nebenwege des Witzes oder der Einbildungskraft ausweichen, und sich nie ihres Vorsatzes wieder erinnern, wenn sie nicht ein mächtiges Bewußtsein des Gegenwärtigen zuvörderst in die wirkliche Welt zurückriefe, und sodann sie an ihren Vorsatz zu meditieren wieder erinnerte. Man sieht daher, warum das Meditieren für die Seele so viel beschwerliches hat, und welch eine besondere Lage des Gemüts dazu gehört, wenn ihr dieses gelingen soll. Die Vernunfterkenntnis und die Ordnung, in welcher sie die Begriffe aneinanderreihet, hat kein anderes Interesse für die Seele, als das Interesse des Vorsatzes. Sie folgt dieser Reihe von Gedanken, weil sie durch dieselbe einen bestimmten Endzweck zu erhalten sucht. Dieser Vorsatz, dieser Endzweck ist mehrenteils ein übersinnlicher Ge ¦ genstand, der selten mächtig genug ist, dem Reize der bilderreichen Einbildungskraft zu widerstehen. Die Seele würde ihm also nicht lange treu bleiben, wenn sie nicht ein dunkles Bewußtsein des Gegenwärtigen von ihrem Abwege zurückhielte. Aber auch das Bewußtsein des Gegenwärtigen muß nicht mächtig genug sein, die Seele ganz einzunehmen, und den Begriff des Vorsatzes, so wie die Gedanken, die zu ihm führen, in ihr zu verdunkeln. Das Gegenwärtige soll sie bloß an ihren wirklichen Zustand, und vermittelst desselben an ihren Vorsatz erinnern, damit sie ungestört der Ordnung der Vernunft folgen könne. Der Eindruck des Gegenwärtigen muß weder zu stark noch zu schwach, weder zu lebhaft noch zu un-
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kräftig sein, wenn die Seele sich, in der zum Meditieren glücklichen La | ge, soll erhalten können. Allzustarke Eindrücke des Gegenwärtigen überwältigen die Vernunfterkenntnis zu sehr; allzuschwache hingegen überlassen die Seele dem Spiele der Einbildungskraft, und sie weicht in Träumereien aus. Nicht jeder hat die Anlage, die sinnlichen Eindrücke, so oft es nötig ist, auf diesen ¦ gemäßigten Ton zu stimmen, und niemand hat sie zu allen Zeiten und unter allen Umständen. Ein Malebranche29 wird allen starken sinnlichen Eindrücken ausweichen und das Tageslicht selbst durch den Vorhang verdunkeln müssen, um der Reihe seiner Meditationen ungestört folgen zu können; ein Euler30 hingegen die außerordentliche Fertigkeit haben, mitten im Gewühle der Kinder und des Hausgesindes die schwersten algebraischen Fragen aufzulösen, und die Abhandlungen zu schreiben, die wir bewundern. Wo sind wir hingeraten? Habe ich doch selbst die Lehre, die ich vortragen wollte, durch mein eigenes Beispiel bestätigt. Ich ging davon aus, den Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Vorstellungen anzugeben, um das Kennzeichen zu finden, wodurch wir den Zustand des Wachens vom Traume unterscheiden. Ohne diesen Endzweck noch völlig erreicht zu haben, ist die Seele dem Gange der Einbildungskraft gefolgt, hat sich in Beschreibung der Entzückung und Begeisterung eingelassen, ist von diesen auf die Erfordernisse der Meditation ausgewichen; ¦ und nun war ich im Begriffe, auf die Regeln des lyrischen Gedichts auszuschweifen. Als ein Mittelding zwischen Meditation und Begeisterung hat das lyrische Gedicht seinen eigenen Gang, der sich aus dem Vorigen so ziemlich bestimmen läßt. Der Anfang, wo das Interesse den Dichter in Worte ausbrechen läßt; der Fortgang, wo er seine Begriffe nach der Ordnung, die aus Meditation und Begeisterung zusammengesetzt ist, verfolgt; die Sprünge oder die plötzlichen Übergänge aus einer Reihe der Begriffe in die andre, die den Gang des begeisterten Dichters so sehr auszeichnen; alles dieses war ich im Begriffe, euch der Reihe nach herzuerklären, und solchergestalt mehr dem Gange des lyrischen Dichters, als des philosophischen Lehrers, zu folgen.
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Glücklicher Weise hat mich euer Anblick von dieser Abschweifung zurückgerufen, und mich meines Vorsatzes wieder erinnert. Ich reiße, um den Odendichter völlig nachzuahmen, den Faden hier plötzlich ab, um ihn in der nächsten Stunde wieder da anzuknüpfen, wo er sich zu verlieren angefangen hat.
| ¦ VI. Ideenverbindung – Idealismus Sind die Metaphysiker nicht, in der Tat, eine seltsame Art von Menschen? dürfte mancher sprechen. Sie versagen sich das Vergnügen des Morgenschlafs, unterbrechen vielleicht den schönsten Morgentraum, um sich hier unter einer Linde die wichtige Wahrheit einander zu entdecken, daß Schlafen nicht Wachen, und Wachen nicht Träumen sei. Eine Wahrheit, die jedem Kinde auf dem Schoße der Amme, so gut als ihnen bekannt ist. So lächerlich dieses auch sein mag; so hat doch jedes Lächerliche, wie wir wissen, auch einen ernsthaften Gesichtspunkt, und es kömmt darauf an, von welcher Seite man es betrachten will. Gesunder Menschensinn und Vernunft fließen beide aus einer Quelle, sind eine und ebendieselbe Erkenntniskraft. Nur geht diese langsam und, wie Fontenelle31 sagt, mit schwerfälligen Elefantenschritten, wo jener gleichsam wie geflügelt zum Ziele eilt. Es ist der Bemühung des Weltweisen nicht unwürdig, zu ver¦suchen, in wie weit er die Aussprüche des Menschensinnes in Vernunfterkenntnis auflösen könne. Der Geometer entsieht sich nicht, nach der Strenge zu beweisen, daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sei; ob ihm gleich der Kyniker32 mit Recht vorhält, daß dieses auch dem Hunde bekannt sein müsse, der seinen Raub in gerader Linie zu ereilen sucht. Auch der tierische Sinn, antwortet jener, hat seinen Erkenntnisgrund, und wir wollen sehen, ob wir ihn in Vernunfterkenntnis auflösen können. Wir setzen also unsre gestrige Betrachtung fort, ohne das Lächerliche zu scheuen, das ihr anzuhängen scheinet. Das Wachen, in so weit es die Seele angeht, ist, wie wir gesehen, ein Zustand, in welchem die objektive Verbindung der Begriffe, die Ordnung der
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Kausalität oder der Naturgesetze, das stärkste Licht hat, und in der Seele gleichsam die Oberherrschaft führet. Sie weiset einer jeden subjektiven Ideenverbindung ihren Ort in Zeit und Raum an, und erteilt ihnen den gehörigen Grad von Licht und Kraft; sie lenkt die Aufmerksamkeit, regiert die Bewegungswerkzeuge, und ¦ leitet selbst den Gang der Vernunft beim anhaltenden Nachdenken. Alle Wirkungen der Seele befinden sich wie in einer wohlgestimmten Harmonie, so lange der Totaleindruck des Gegenwärtigen den Grundton angibt, auf welchen sie sich stützen. | Nun kann diese Harmonie und die nach derselben eingerichtete Ökonomie der Seelenverrichtungen zerrüttet und in Unordnung gebracht werden, wenn entweder die objektive Ideenordnung zu schwach, oder die subjektive verhältnismäßig zu mächtig wird. Das Letztere geschieht in der Leidenschaft, Trunkenheit, Entzückung, oder im Wahnwitze. In allen diesen Zuständen haben gewisse Begriffe für die Seele einen so unwiderstehlichen Reiz, daß sie ihnen auf alle Abwege nachfolgt, dahin sie verleiten. Das Bewußtsein des Gegenwärtigen, oder die Kausalitätsordnung, hat immer noch Gewalt genug, die Aufmerksamkeit, so wie die Bewegungswerkzeuge je zuweilen nach Willkür zu lenken; aber das Interesse für eine subjektive Reihe der Begriffe reißt die Oberherrschaft zuweilen an sich, führt ¦ die Seele den Gang der subjektiven Ordnung, und gibt ihr Gedanken und Handlungen ein, die mit dem wirklichen Zustande der Dinge nicht übereinstimmen. So oft die sinnlichen Eindrücke mächtig genug werden, die Seele von ihrem Abwege zurück zu führen, erkennet die Vernunft zwar ihren Irrgang, und fasset in der Trunkenheit oder im Wahnwitze selbst den Vorsatz, ihn in der Folge zu vermeiden. Allein der Vorsatz ist nicht von Dauer. Sobald das Interesse wieder lebhaft wird, schwächt es den Eindruck des Gegenwärtigen, und stimmt ihn wieder herab zu seinem Unvermögen. Die Seele ist keiner vernünftigen Überlegung mehr fähig, und überläßt sich abermals der Führung ihrer schwärmerischen Ideenordnung. Im Schlafe sind die sinnlichen Eindrücke geschwächt, aber
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verhältnismäßig auch die Bilder der Imagination. Weder das Vergangene, noch das Gegenwärtige ist lebhaft genug, ein Bewußtsein in der Seele hervorzubringen oder auf die Bewegungsorganen zu wirken. Alles erscheint in einem sehr geschwächten Lichte, aber in der¦selben Harmonie von Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Nähe und Entfernung; etwa wie eine Gegend in der Dämmerung, oder wie ein Gemälde, das mit einem durchsichtigen Flor überzogen ist. Die Beleuchtung ist gemildert, der Eindruck nicht überwältigend und hinreißend, aber immer noch derselbe und von ähnlicher Wirkung. Wenn aber in diesem Zustand irgend ein Bild der Einbildungskraft, ein Begriff des Vergangenen, zufälligerweise etwas mehr Lebhaftigkeit erhält; so kann dadurch eine subjektive Ideenreihe in der Seele erwachen, und mit Bewußtsein verknüpft werden. Von keinem | stärkern Bewußtsein des Gegenwärtigen zurückgerufen, wird die Seele, nach dem Gesetze der Imagination oder nach Vorschrift des Interessesa, von einer subjektiven Reihe der Begriffe in die andre übergehen; und Dinge der Wirklichkeit nach für verknüpft halten, die unter sich in keiner Kausalitätsverbindung stehen. Der Streit dieser Erscheinung mit den Gesetzen der Natur wird sie zwar etwas aufmerksam machen, und zuweilen auf Zweifel bringen; allein zum vernünftigen Überlegen gehört, ¦ wie wir gesehn, unumgänglich, daß die Seele vom Eindrucke des Gegenwärtigen beherrscht werde. Kann sie aber ihrer subjektiven Ideenreihe folgen; so verschwindet der Vorsatz zu überlegen und nachzudenken in dem zweiten Augenblicke schon wieder: die Seele hat diese ganze Reihe schon verlassen und befindet sich nunmehr in einer ganz andern Verbindung der Dinge, in welcher weder von ihrer Überlegung noch von ihrem Vorsatze selbst, die mindeste Spur zu bemerken ist. Diesen Zustand der Seele nennen wir träumen. Auch das Träumen ist eine Art von Verrückung in eine andere Reihe der Dinge, als diejenige, die uns umgibt. Nur daß im Traume die Vorstellungen überhaupt nicht Gewalt genug haben, auf die Bewegungsorgane zu wirken. Es ist indessen möglich, a Erste Auflage und JubA: Interesse.
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daß im Schlafe die Bilder der Einbildungskraft so lebhaft werden, daß sie auf die Bewegungsorganen wirken und freiwillige Handlungen hervorbringen. Die sinnlichen Eindrücke können dabei ganz oder größtenteils geschwächt bleiben, wenigstens diejenige Lebhaftigkeit nicht erlangen, die zum völli¦gen Erwachen erfordert wird, und daher den Träumen ein freies Spiel lassen, die Organe in Bewegung zu setzen, und Dinge zu verrichten, die wir sonst nur im Wachen verrichten können. Dieser Zustand ist eine Krankheit, die man das Nachtwandeln nennet. Die freiwilligen Verrichtungen, die in diesem Zustande geschehen, erfolgen vermöge der subjektiven Ideenverknüpfung. Von dem wirklich Gegenwärtigen nehmen sie nur so viel mit, als unmittelbar zu ihrem Zwecke gehört. Der Nachtwandler wird die Gegenstände, die ihn unmittelbar berühren, oder zunächst im Wege sind, zu vermeiden suchen, oder aus dem Wege räumen; und dieses um so viel eher, wenn es Dinge sind, die er auch im Wachen, ohne Bewußtsein, so zu behandeln gewohnt ist. Der Totaleindruck kann immer noch fehlen, durch welchen die Seele sich in der gegenwärtigen Welt gleichsam orientiert und zum völligen Erwachen gebracht wird. | Das Nachdenken der Seele, haben wir gesehen, wird gestört, wenn ein Bild der Einbildungskraft lebhafter, oder das Interesse der ¦ Seele mächtiger wird, als ihr Vorsatz, die Meditation zu verfolgen. So oft aber dieses nicht geschieht, kann die Seele ihrem Vorsatze treu bleiben, und nach dem Gesetze der Vernunft ihre Meditation ununterbrochen fortsetzen. Man sieht, daß dieses auch sogar im Wahnwitze oder im Traume geschehen kann; so oft weder das Interesse, noch die Lebhaftigkeit einer bildlichen Vorstellung, mit dem Erfordernisse des vernünftigen Nachdenkens in Kollision kömmt. Die Beispiele sind nicht selten, daß Wahnwitzige, in Dingen, die keine Übersicht des Gegenwärtigen erfordern, und bloß den Gang der strengen Vernunft und des Nachdenkens fortgehen, oft sehr gut zurecht kommen und die sinnreichsten Meditationen oft mit Vernunft und Ordnung auszuarbeiten im Stande sind; und man hat sogar Erscheinungen von Träumenden, die einen Beweis im Traume ausgeführt haben,
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der ihnen vorher im Wachen nicht gelingen wollte. So fremde dieses auch scheinet, so läßt es sich doch einigermaßen begreiflich machen, wenn man auf den angegebenen Unterschied zwischen Träumen und Wachen Acht hat, und die ¦ eigentlichen Hindernisse in Betrachtung zieht, die dem vernünftigen Nachdenken im Traume sonst im Wege stehen. Demokrit33 sagt nicht ohne Grund: Im Traume hat jeder von uns seine eigene Welt, und beim Erwachen gehen wir alle in eine gemeinschaftliche Welt über. Im Traume denkt ein jeder von uns sich eine andre Reihe der Dinge, als objektiv wahr; eine Reihe der Dinge, die wenigstens nicht so, wie wir sie uns vorstellen, wirklich geworden; und die in der Ordnung, welche sie verbindet, bloß subjektiven Regeln der Ideenverbindung folget. Es sind Bruchstücke, aus verschiedenen Systemen genommen, die zusammen kein Ganzes ausmachen. Alle objektive Wahrheit, die sie enthalten, ist das Dasein des Träumenden selbst, welches auch im Traume seine Evidenz hat, und über allen Zweifel hinweg ist. Alles Übrige sind bloße Abänderungen dieses träumenden Wesens, und hat bloß ein idealisches Dasein, ohne äußerliches Objekt. Jeder gehet in seine eigene Welt über. ¦ Die Vorstellungen des Wachenden hingegen sind Abbildungen der Dinge, die außer uns wirklich vorhanden sind, nach den Regeln der Ordnung, in welcher sie sich außer uns wirklich hervorbringen; | sie gehören alle zu einer gemeinschaftlichen Welt. Sie sind zwar nicht in allen Subjekten gleich; sondern nach der Lage desselben, und nach seinem Standorte, verschiedentlich abgeändert; aber diese Verschiedenheit selbst zeigt die Einheit und Identität des Gegenstandes, den sie darstellen. Sie gleichen verschiedenen Abbildungen einer Gegend, aus verschiedenen Gesichtspunkten aufgenommen. Sie müssen verschieden sein, wenn sie wahr sein sollen; aber bloß das Ähnliche in denselben hat objektive Wahrheit, das Unähnliche hingegen ist eine Folge der Perspektive: wahr, in so weit es Abbildung ist, und falsch, wenn wir es als Darstellung der Gegend annehmen wollen. Auf eine ähnliche Weise werden wir, in den Vorstellungen
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des Wachenden, das Wahre von der Täuschung zu unterscheiden haben. Was wir nur durch einen Sinn allein erkennen, hat bloß ¦ die Vermutung der Wirklichkeit für sich, die sich auf die gewohnte Verbindung der sinnlichen Erscheinungen gründet. Diese kann trügen und vielleicht eine Folge der Perspektive sein, die wir ohne Grund in dem Gemälde für Darstellung halten. Je mehr Sinne, in verschiedenen Entfernungen, durch mannigfaltige Mittel betrachtet, in dieser Darstellung überein kommen; desto gewisser wird unsre Überführung von seinem wirklichen Dasein. Der Grund unserer Vermutung kann nicht mehr in der Eingeschränktheit eines einzigen Sinnes liegen; denn die Übereinstimmung führt auf einen gemeinschaftlichen Grund. Aber noch bleibt der Zweifel zurück: ob nicht der eingeschränkte Erkenntniskreis unserer Sinne überhaupt, diesen gemeinschaftlichen Grund enthalte, und also Täuschung veranlasse. Vielleicht ist die Lage, in welcher ich mich befinde, bloß daran schuld, daß ich Dinge sehe und höre und fühle, und daher für wirklich halte, die aber bloß in mir selbst vorgehn und außer mir kein Objekt haben. ¦ Je mehr Menschen aber mit mir übereinstimmen, diese Dinge so zu finden, desto größer wird die Gewißheit, daß der Grund meines Glaubens nicht in meiner besondern Lage anzutreffen sei. Er muß entweder in der positiven Denkungskraft liegen, und also wahre Darstellung sein; oder in den gemeinschaftlichen Schranken aller menschlichen Erkenntnis. Die Wahrscheinlichkeit des letzten Falles nimmt ab, wenn ich überführt werde, daß auch Tiere die Dinge so und nicht anders erkennen; jedes zwar nach seinem Standorte und | nach der Perspektive, aus welchen es die Dinge ansieht; aber insgesamt doch auf eine solche Weise, daß sie die Identität des Objekts zu erkennen geben, von welchem sie verschiedene Seiten darstellen. Könnten wir überführt werden, daß auch höhere Wesen als wir, die Dinge mit der Abänderung, die ihrem Standorte zukömmt, so und nicht anders denken; so würde die Gewißheit, mit welcher wir das Dasein der Dinge außer uns erkennen, bis zur höchsten Evidenz heranwachsen. Wir würden eine fast vollständige Induktion für uns
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haben, ¦ daß die Sicherheit, mit welcher wir das Dasein der Dinge außer uns annehmen, keine Folge unsers begrenzten Gesichtskreises, keine Wirkung unsrer Einschränkung sei; sondern sich auf das Positive unsrer Denkungskraft gründe, welches allen denkenden Wesen gemein ist. Dieses allein kann der gemeinschaftliche Grund der so ausgebreiteten Übereinstimmung sein, nach welchem so mannigfaltige Wesen, durch mannigfaltige Erkenntnismittel, jedes nach seinem Standorte, immer dasselbe erkennen und für wahr halten. Ist aber die Erkenntnis des Wirklichen eine Folge unsrer Denkungskraft, so wird an ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln sein; wenn anders das richtig ist, was wir vom Unterschiede der Wahrheit, des Irrtums und der Täuschung oben festgesetzt haben. Wenn wir überführt sein könnten, daß der allerhöchste Verstand sich die Dinge außer uns, als wirkliche Objekte darstellte; so würde unsre Versicherung von ihrem Dasein den höchsten Grad der Evidenz erlangt haben, und keinen fernern Zuwachs mehr leiden. Dieses ist keine bloße ¦ Spekulation, auf die ich euch für die Langeweile führe. Wenn wir uns vom Dasein eines höchsten Wesens und von seinen Eigenschaften überzeugt haben werden; so wird sich ein Weg zeigen, uns auch einigen Begriff von der Unendlichkeit seiner Erkenntnis zu machen; und von dieser mit mehrerer Wahrheit, vielleicht auf eine wissenschaftliche demonstrative Art, das Vorgeben der Idealisten34 zu widerlegen, und das wirkliche Dasein einer sinnlichen Welt außer uns unumstößlich zu beweisen. Vor der Hand aber und bevor dieses geschehen kann, schränken wir uns bloß auf die Sätze ein, in welchen der Idealist mit uns übereinkömmt. Er gesteht ein, daß die Gedanken, die in ihm vorgehen, als Abänderungen seiner selbst, ihr idealisches Dasein haben. Er kann folglich auch nicht leugnen, daß er selbst, als das Subjekt dieser Abänderungen, wirklich vorhanden sei. Andre, von ihm verschiedene, so wie | er eingeschränkte Wesen, können so wie er ihr eigenes Dasein haben, und außer ihm, so wie er selbst, wirklich vorhanden sein. Er leugnet auch ihr Dasein nicht, wenn er nicht in die ¦ Ungereimtheit des Egoisten35 verfällt, der nur sich allein ein wirkliches Dasein
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zuschreibt. Ich werde in der Folge Gelegenheit haben euch zu sagen, warum ich diese Meinung schlechtweg eine Ungereimtheit nenne. Vor der Hand habe ich es bloß mit dem Idealisten zu tun, der denkende Wesen außer sich zugibt, und seiner Wenigkeit allein nicht den Vorzug anmaßet, daß sie die einzige Substanz sei, die wirklich geworden ist. In dem Inbegriffe seiner eigenen Kenntnisse sowohl, als der Erkenntnis andrer denkenden Wesen, unterscheidet der Idealist mit uns, die subjektive Reihe der Dinge, die nur in ihm wahr ist, von der objektiven Reihe der Dinge, die allen denkenden Wesen nach ihrem Standorte und Gesichtspunkte gemeinschaftlich ist. Die Merkmale, woran er diese im wachenden Zustand erkennet, sind ihm so wie uns unleugbar. Allein sagen diese Merkmale auch Wahrheit aus? Gibt es wirklich außer uns sinnliche Gegenstände, die den Grund enthalten, warum wir uns im wachenden Zustande die Reihe der objektiven Begriffe so und nicht anders denken? Der Inbegriff unsrer ob¦jektiven Ideen enthält auch leblose Substanzen, körperliche Wesen, die sich uns als außer uns befindlich darstellen. Hat diese Darstellung auch Wahrheit für sich? Nein! antwortet der Idealist, es ist Kurzsichtigkeit unsrer sinnlichen Erkenntnis, daß wir so denken; es ist Sinnentäuschung, davon der Grund in unserm Unvermögen anzutreffen ist. Meine bessere Vernunft überführt mich, daß keine Substanz körperlich sein könne. Der Dualist36 hingegen glaubt, die Vernunft des Idealisten habe ihn durch Fehlschlüsse auf einen Irrtum verleitet; es gebe eben sowohl körperliche, als geistige Substanzen: jene zwar nicht völlig so, wie sie sich uns darstellen; denn die Schranken unsrer Erkenntnis haben manches in ihrer Vorstellung abgeändert. Indessen sei in den mannigfaltigen Abbildungen derselben nicht alles Perspektive; nicht alles Folge unsrer Eingeschränktheit und unsers begrenzten Gesichtspunktes. Das Übereinstimmende in denselben führe vielmehr auf einen gemeinschaftlichen, außer uns befindlichen Grund der Übereinstimmung, welches das Urbild der¦selben ist. Er gestehet zwar ein, daß seine Sinne zuweilen täuschen; aber nicht alles, was sie aussagen, hält er für bloße Täuschung. Er glaubt vielmehr, | vieles in denselben folge aus der
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positiven Denkungskraft seiner Seele, und sei also Wahrheit. Jener spricht: von einer Substanz die denken kann und gedacht wird, habe ich einen unmittelbaren Begriff in mir selbst, indem ich mein eigenes Dasein erkenne. Daß andre Substanzen, die auch denken und gedacht werden, auch vorstellen und vorgestellt werden, neben mir sein können und wirklich sind; davon habe ich einen hinlänglichen Begriff. Was für einen Begriff aber mache ich mir von einer Substanz, die bloß materielle Eigenschaften haben, bloß gedacht werden soll, ohne selbst zu denken? Alles dieses, antwortet der Dualist, gibt eurer Vernunft noch keinen Grund, ihr Dasein zu leugnen. So wie es vielmehr Substanzen gibt, welche denken und gedacht werden; so wie es, nach unsrer aller Geständnis und Glauben, eine einzige allerhöchste Substanz gibt, welche bloß denkt, und von keinem andern Wesen in ihrer Un¦umschränktheit gedacht werden kann; eben also gibt es auch von der andern Seite außer uns befindliche Substanzen, die zu sinnlichen Empfindungen und Gedanken die Urbilder sind, ohne selbst Vorstellungen zu haben; materielle Wesen, die bloß gedacht werden, aber nicht denken können. Was für Eigenschaften aber, fragt jener, legt ihr dieser Substanz bei? Sind nicht alle sinnlichen Eigenschaften, die ihr derselben zuschreibt, bloße Modifikationen, die in euch selbst vorgehn? Ihr sagt, z. B. die Materie sei ausgedehnt und beweglich. Sind aber Ausdehnung und Bewegung etwas mehr, als sinnliche Begriffe, Abänderungen eurer Vorstellungskraft, deren ihr euch bewußt seid; und wie könnt ihr diese gleichsam aus euch hinaustragen, und einem Urbilde zuschreiben, das außer euch befindlich sein soll? – Wenn dieses die Schwierigkeit ist, erwidert der Dualist, so liegt sie mehr in der Sprache, als in der Sache selbst. Wenn wir sagen, ein Ding sei ausgedehnt, sei beweglich; so haben diese Worte keine andre Bedeutung, als diese: ein Ding sei von der Beschaffenheit, daß ¦ es als ausgedehnt und beweglich gedacht werden müsse. A sein, und als A gedacht werden, ist der Sprache, so wie dem Begriffe nach, ebendasselbe. Wenn wir also sagen: die Materie sei ausgedehnt, sei beweglich, sei undurchdringlich; so sagen wir freilich weiter nichts, als: es gebe Urbilder außer uns, die sich in jedem
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denkenden Wesen als ausgedehnt, beweglich und undurchdringlich darstellen. Niemanden von uns aber ist es noch eingefallen, diese sinnlichen | Begriffe oder Erscheinungen, welche die Abbildungen der Materie sind, in die Materie selbst hineinzulegen. Wir sagen bloß, die Vorstellung, die wir von materiellen Wesen, als ausgedehnt, beweglich und undurchdringlich haben, sei keine Folge unsrer Schwachheit und unsers Unvermögens; sie fließe vielmehr aus der positiven Kraft unsrer Seele, sie sei allen denkenden Wesen gemein, und mithin nicht bloß subjektive, sondern objektive Wahrheit.
| ¦ VII. Fortsetzung – Streit des Idealisten mit dem Dualisten – Wahrheitstrieb und Billigungstrieb In der letzten Vorlesung habe ich gesucht, den Streit zwischen den Spiritualisten und Dualisten ins Reine zu bringen, und euch zu zeigen, auf welche feine Distinktion er am Ende hinausläuft. Der Anhänger des Idealismus hält alle Phänomena unsrer Sinne für Akzidenzien des menschlichen Geistes, und glaubet nicht, daß außerhalb desselben ein materielles Urbild anzutreffen sei, dem sie als Beschaffenheiten zukommen. Der Dualist hingegen spricht: Ich finde in diesen sinnlichen Erscheinungen, die ihr Akzidenzien der Seele nennt, so viel Übereinstimmung zwischen verschiedenen Sinnesarten, zwischen Menschen und Menschen, ja sogar zwischen Menschen und Tieren; daß ich mich für berechtigt halte, den Übereinstimmungsgrund nicht in mich selbst, sondern in etwas zu setzen, das außer mir befindlich ist. Als Akzidenzien in mir, sind die sinnlichen Phänomena Abbildungen desselben; die, wie alle Abbildungen aus einem gewissen Gesichts¦punkte, zwar etwas Perspektives haben, aber deswegen nicht ohne Wahrheit sind. Das materielle Urbild enthält den Grund von der Wahrheit und Übereinstimmung aller dieser Abbildungen. Es erregt in uns die Vorstellung von Ausdehnung, Bewegung, Figur, Undurchdringlichkeit u. s. w. Daher ist dieses Ur-
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bild selbst ausgedehnt, beweglich, undurchdringlich und nimmt gewisse Figuren an. Man läßt sich durch leere Worte hintergehen und in die Irre führen, wenn man unter dem Ausdrucke, ausgedehnt, beweglich und undurchdringlich sein, ein Mehreres verstehen will. Seid ihr es nicht vielmehr selbst, sprach letzthin ein Anhänger des geistigen Systems, mit dem ich mich hierüber in Streit einließ: Seid ihr es nicht vielmehr selbst, der diese Verwirrung in der Sprache veranlaßt, und uns darin zu verwickeln sucht? Alle Eigenschaften, die ihr diesem Urbilde zuschreibt, sind, eurem eignen Geständnisse nach, bloße Akzidenzien der Seele. Wir wollen ja aber wissen, was dieses Urbild selber sei, nicht was es wirke. Freund, antwortete ¦ ich, wenn dieses euer Ernst ist; so dünkt mich, ihr verlangt etwas zu | wissen, das schlechterdings kein Gegenstand des Wissens ist. Wir stehen an der Grenze, nicht nur der menschlichen Erkenntnis, sondern aller Erkenntnis überhaupt; und wollen noch weiter hinaus, ohne zu wissen, wohin. Wenn ich euch sage, was ein Ding wirket oder leidet; so fraget weiter nicht, was es ist. Wenn ich euch sage, was ihr euch von einem Dinge für einen Begriff zu machen habet; so hat die fernere Frage, was dieses Ding an und für sich selbst sei? weiter keinen Verstand. Und so haben sich die Weltweisen von je her öfters mit Fragen gequälet, die im Grunde nicht zu beantworten sind; weil sie aus leeren Worten bestehen, die keinen Sinn mit sich führen. So fragt der Atheist, was denn Gott eigentlich sei? Zeigt ihm, was Gott gewirkt habe; zeigt ihm die ganze Herrlichkeit der Schöpfung und alle Schönheit und Vollkommenheit, die sie enthält. Saget ihm, Gott habe dieses alles hervorgebracht, mit Weisheit hervorgebracht; und erhalte und regiere dieses alles, nach den Gesetzen der Weisheit und ¦ Güte, davon er die Spuren in jedem Sonnenstäublein, so wie in sich selbst findet. Alles dieses befriedigt ihn nicht. Er fährt fort, zu fragen: Was ist denn aber Gott selbst? Erinnert euch, fuhr ich fort, daß die Materialisten, welche alle einfache geistige Wesen für Hirngespinste halten, uns durch eine ähnliche Frage in die Enge zu treiben glauben. Was ist denn, sprechen sie gemeiniglich, was ist denn euer einfaches, geistiges
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Wesen, das weder Größe noch Figur, weder Farbe noch Ausdehnung haben soll. Umsonst führet ihr den Materialisten in sich selbst zurück, und laßt ihn auf das aufmerksam sein, was in ihm selbst vorgeht, indem er denkt und empfindet, begehrt und verabscheuet, wirkt oder leidet. Alles dieses tut ihm noch kein Genüge, und löset ihm die Frage noch nicht auf, was denn eine Seele sei, wenn sie nicht körperlich ist. Er überlegt nicht, daß wir vom Körper selbst auch nichts mehr wissen, als was er wirkt oder leidet; und daß außer dem Wirken und Leiden eines Dings nichts weiter an ihm denkbar sei. ¦ Derselben Waffen, fuhr ich fort, mit welchen wir gemeinschaftlich den Materialisten bestreiten, werde ich mich bedienen, auch Ihrem Einwurfe zu begegnen. Was ist das Urbild aller sinnlichen Eigenschaften, außer den Akzidenzien, die davon in denkenden Wesen anzutreffen sind? Ich antworte: so was, das nicht gefragt werden kann; weil es außer dem Begriffe liegen soll, und also in dem Sinne der Frage selbst kein Gegenstand der Erkenntnis sein kann. Ihr | forschet nach einem Begriffe, der eigentlich kein Begriff, und also etwas Widersprechendes sein soll. Hier stehen wir an den Schranken der Erkenntnis; und jeder Schritt, den wir weiter tun wollen, ist ein Schritt ins Leere, der zu keinem Ziele führen kann. Laßt uns hier abbrechen, erwiderte mein Philosoph. Ich fürchte, daß am Ende der berühmte Zwist der Materialisten, Idealisten und Dualisten auf einen bloßen Wortstreit hinauslaufen würde, der mehr eine Sache des Sprachforschers, als des spekulativen Weltweisen ist. Mich würde dieses nicht sehr befremden. Es wäre nicht die erste berühmte Streitfrage, um ¦ welche die Menschen sich veruneinigt, ja einander gehaßt und verfolgt haben, und die am Ende auf eine bloße Wortfehde hinauslief. Die Sprache ist das Element, in welchem unsre abgesonderten Begriffe leben und weben.37 Sie können dieses Element zur Veränderung abwechseln, aber verlassen können sie es nicht, ohne Gefahr den Geist aufzugeben. Ich würde hier meine Vorlesungen, in so weit sie Vorerkenntnisse zur Lehre von Gott sein sollen, endigen können; wenn ich nicht noch eine Seite zu berühren hätte, von der ich mir in der
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Folge großen Nutzen verspreche. Was wir bisher untersucht haben, ging bloß unsre Erkenntnis an, in so weit sie wahr oder falsch ist. Die wahren Erkenntnisse aber selbst unterscheiden sich von einander dadurch, daß sie Wohlgefallen oder Mißfallen in der Seele erregen. Das Schöne, das Gute, das Erhabene wird von der Seele mit Lust und Wohlgefallen erkannt. Das Häßliche, Böse und Unvollkommene hingegen erregt Unlust und Widerwillen. ¦ Man pflegt gemeiniglich das Vermögen der Seele in Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen einzuteilen, und die Empfindung der Lust und Unlust schon mit zum Begehrungsvermögen zu rechnen. Allein mich dünkt, zwischen dem Erkennen und Begehren liege das Billigen, der Beifall, das Wohlgefallen der Seele,38 welches noch eigentlich von Begierde weit entfernt ist. Wir betrachten die Schönheit der Natur und der Kunst, ohne die mindeste Regung von Begierde, mit Vergnügen und Wohlgefallen. Es scheinet vielmehr ein besonderes Merkmal der Schönheit zu sein, daß sie mit ruhigem Wohlgefallen betrachtet wird; daß sie gefällt, wenn wir sie auch nicht besitzen, und von dem Verlangen, sie zu besitzen, auch noch so weit entfernt sind. Erst alsdann, wann wir das Schöne in Beziehung auf uns betrachten, und den Besitz desselben als ein Gut an | sehen; alsdann erst erwacht bei uns die Begierde zu haben, an uns zu bringen, zu besitzen: eine Begierde, die von dem Genusse der Schönheit sehr weit unterschieden ist. Wie aber dieser Besitz, so wie die Beziehung auf uns, ¦ nicht immer Statt findet, und selbst da, wo sie Statt findet, den wahren Freund der Schönheit nicht immer zur Habsucht reizt; so ist auch die Empfindung des Schönen nicht immer mit Begierde verknüpft, und kann also für keine Äußerung des Begehrungsvermögens gehalten werden. Wollte man allenfalls die Richtung, welche die Aufmerksamkeit durch das Wohlgefallen erhält, denselben Gegenstand ferner zu betrachten; wollte man diese eine Wirkung des Begehrungsvermögens nennen; so hätte ich im Grunde nichts dawider.a Indessen scheint es a JubA: darwider.
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mir schicklicher, dieses Wohlgefallen und Mißfallen der Seele, das zwar ein Keim der Begierde, aber noch nicht Begierde selbst ist, mit einem besondern Namen zu benennen und von der Gemütsunruhe dieses Namens zu unterscheiden. Ich werde es in der Folge Billigungsvermögen nennen, um es dadurch sowohl von der Erkenntnis der Wahrheit, als von dem Verlangen nach dem Guten, abzusondern. Es ist gleichsam der Übergang vom Erkennen zum Begehren und verbindet diese beiden Vermögen durch die feinste Abstufung, ¦ die nur nach einem gewissen Abstande bemerkbar wird. Wir können also das Erkenntnis der Seele in verschiedener Rücksicht betrachten; entweder in so weit es wahr oder falsch ist, und dieses nenne ich das Materiale der Erkenntnis; oder in so weit es Lust oder Unlust erregt, Billigung oder Mißbilligung der Seele zur Folge hat, und dieses kann das Formale der Erkenntnis genannt werden; denn dadurch wird Erkenntnis von Erkenntnis, Wahrheit von Wahrheit selbst unterschieden. Das Materiale der Erkenntnis leidet keine Abstufung. Ein Begriff kann nicht mehr, nicht weniger wahr als der andre sein. Wenn es an dema ist, daß Wahrheit allezeit eine Folge der positiven Denkungskraft der Seele ist; so findet hier kein Mehr oder Weniger Statt. Die Wahrheit ist mit einer unveränderlichen Größe zu vergleichen; sie ist eine unzertrennliche Einheit, die entweder ganz oder gar nicht anzutreffen ist. Daher auch in der Sprache das Beiwort wahr selten eine Komparation leidet. Das Verglei ¦ chungswort wahrer ist eben so ungewöhnlich als der Superlativ, das wahrste. Das Formale in der Erkenntnis aber hat nicht nur seine Abstufung; | sondern das Wesen derselben besteht hauptsächlich in der Vergleichung, in Mehr oder Weniger. Im Grunde betrachtet, führt jede Erkenntnis schon eine Art von Billigung mit sich. Ein jeder Begriff, so weit er bloß denkbar ist, hat etwas das der Seele gefällt, das ihre Tätigkeit beschäftigt, und also mit
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Wohlgefallen und Billigung von ihr erkannt wird. Nichts ist im höchsten Grade böse; nichts im höchsten Grade häßlich. Wie aber die Seele bei einem Begriffe mehr Wohlgefallen, angenehmere Beschäftigung finden kann, als bei einem andern; so kann sie jenen lieber haben wollen und diesem vorziehen. In dieser Vergleichung und in dem Vorzuge, den wir einem Gegenstande geben, bestehet das Wesen des Schönen und Häßlichen, Guten und Bösen, Vollkommenen und Unvollkommenen. Was wir in dieser Vergleichung als das Beste erkennen, wirket auf unser Begehrungsvermögen, und ¦ reizet, wenn es keinen Widerstand findet, zur Tätigkeit. Dieses ist die Seite, von welcher das Billigungsvermögen an das Verlangen oder Begehren grenzet. Ferner: das Materiale der Erkenntnis trennt das Denkbare vom Undenkbaren, das Wirkliche vom Nicht Wirklichen. Das Falsche, als eine Folge von der Einschränkung des Denkensvermögens, kann nicht nur nicht wirklich vorhanden sein; sondern muß auch, unter gewisser Bedingung, nicht gedacht werden können. Mit dem Formalen der Erkenntnis aber verhält es sich ganz anders. Nur der höchste Grad des Häßlichen und Bösen kann weder gedacht werden, noch wirklich vorhanden sein. Jede Abstufung derselben aber läßt sich nicht nur mit gleicher Wahrheit denken; sondern kann auch, unter gewissen Umständen, das Beste werden, und zur Wirklichkeit gelangen. Das Falsche ist eine bloße Verneinung, und kann nirgends anzutreffen sein. Das Häßliche und Böse aber, in so weit es bloß in der Vergleichung diesen Namen erhält, kann wirklich vorhanden sein; jedoch ¦ mit der Bedingung, wie wir weiter sehen werden, daß es irgendwo und irgendwann, d. h. unter gewissen Bestimmungen der Zeit und des Raums, in der Vergleichung das Beste werde. Noch einen Unterschied zwischen diesen verschiedenen Rücksichten in der Erkenntnis gebe ich euch zu bemerken, der mir von wichtigen Folgen zu sein scheint. Beides, sowohl das Erkenntnis- als das Billigungsvermögen, sind, wie ihr aus der Psychologie wißt, Äußerungen einer und ebenderselben Kraft der Seele; aber verschie | den, in Absicht auf das Ziel ihres Bestrebens. Jenes geht von den Dingen aus, und endiget sich in uns; da hin-
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gegen dieses den entgegengesetzten Weg nimmt, von uns selbst ausgeht, und die äußeren Dinge zu ihrem Ziele hat. Ich erkläre mich. Eine jede Kraft führt das Bestreben mit sich, denkbare Akzidenzien zur Wirklichkeit zu bringen; entweder in der Substanz selbst, der diese Kraft zukömmt, oder in einer außer ihr befindlichen Substanz, welche alsdann die leidende genannt wird. Der Erkenntnistrieb ist von der ersten Gattung. Er setzet die Wahrheit als unverän ¦ derlich zum voraus, und suchet die Begriffe der Seele mit derselben übereinstimmend zu machen. Das Ziel seiner Tätigkeit ist objektive Wahrheit, und er gehet darauf aus, in dem denkenden Wesen solche Prädikate zur Wirklichkeit zu bringen, die derselben gemäß sind. Vermöge des Triebes zur Wahrheit, suchen wir unsere Erkenntnis, ohne Rücksicht auf Wohlgefallen oder Mißfallen, mit der unveränderlichen Wahrheit in Übereinstimmung zu bringen. Nicht also bei der Äußerung des Billigungstriebes. Wenn dieser in Bewegung gesetzt wird, so ist sein Ziel nicht in uns, sondern in den Dingen außer uns anzutreffen; und er gehet darauf aus, in denselbena solche Akzidenzien wirklich zu machen, die mit unsrer Billigung, mit unserm Wohlgefallen, mit unsern Wünschen übereinstimmen. Jener will den Menschen nach der Natur der Dinge; dieser die Dinge nach der Natur des Menschen umbilden. Ich glaube, aus diesem sehr auffallenden Unterschiede so manche Erscheinung erklären zu können, die sonst ihre Schwierigkeit hat. Wie gehet es zu, daß der Mensch die Wahrheit und zu¦gleich die Erdichtung liebet? Wie können so widersprechende Neigungen in einem Subjekt beisammen sein? Jetzt ist ihm die Wahrheit teurer als seine Ruhe, teurer als sein Leben; und jetzt hat er ein williges Ohr, sich durch dasb albernste Kindermärchen betören und in die heftigste Gemütsunruhe setzen zu lassen. So
a Erste Auflage und JubA: demselben.
das.
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b Erste Auflage und JubA: sich
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sehr er die Wahrheit liebt, eben so sehr wünscht er zuweilen getäuscht zu werden. Mich dünkt, es kömmt auf die Absicht an, die wir bei einer Erkenntnis haben. Wir wollen entweder unsern Erkenntnistrieb in Bewegung setzen, um ihn dadurch vollkommen zu machen; oder wir haben dieselbe Absicht mit dem Billigungstriebe. Ist jenes, so ist Wahrheit das Ziel unsres Wunsches; und jede andere Betrachtung, so teuer und so wichtig sie uns auch ist, muß derselben weichen. | Wir wollen wissen, wie die Dinge beschaffen sind, nicht wie wir sie wünschen. Der Geometer soll, unsrer Gemächlichkeit halber, nichts von der Strenge seiner Beweise vergeben; und der Geschichtschreiber keine Umstände erdichten, um unserer Neigung zu ¦ schmeicheln. Wenn wir Wahrheit suchen, so kann nur Wahrheit uns befriedigen. Ein anderes ist es hingegen, wenn wir die Absicht haben, unser Billigungsvermögen zu beschäftigen, und dadurch vollkommener zu machen. In dieser Rücksicht liebt der Mensch Erdichtung. Er bildet die Dinge so um, wie sie seiner Neigung gemäß sind, wie sie sein Wohlgefallen und Mißfallen in ein angenehmes Spiel setzen. Er will nicht unterrichtet, er will bewegt sein. Gern läßt er sich also täuschen, und Dinge als wirklich darstellen, die seiner bessern Überzeugung und der Wahrheit nicht gemäß sind. Seine Vernunft schweiget, so lange bloß seine Neigungen anmutig beschäftigt sein sollen. So oft wir an der Sache selbst und ihrer Wirklichkeit Anteil nehmen; so widersetzen wir uns aller Täuschung, so glücklich sie uns auch machen würde, und streben nach Wahrheit. Bei der unglücklichsten Nachricht, die uns hinterbracht wird, dringen wir auf Überzeugung; ob wir gleich vorher vermuten, daß sie uns nur großes Elend bringen werde. Der Geizige, der ¦ vielleicht seinen verborgenen Schatz nie aufgegraben haben würde, mit welcher Bestürzung eilet er hin, so bald der mindeste Verdacht entsteht, daß er gestohlen sein könnte; mit welchem Ungestüm sucht er sich von der Wahrheit zu überführen, und er konnte bei fortdauernder Täuschung so glücklich sein! – Der Freund, der seinen Freund in Amerika am Leben geglaubt und glücklich war,
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ohne vielleicht die Hoffnung zu haben, ihn je wieder zu sehn, erhält die traurige Botschaft von einer Lebensgefahr, in welcher sich jener befunden; und nunmehro kann er sich nicht länger in seinem glücklichen Wahn erhalten; er dringet auf Überzeugung, ob er gleich nur Bestätigung seines Elends zu erwarten hat. »Unglücklicher«, spricht der eifersüchtige Mohr zum Verleumder seiner Desdemona39, »Unglücklicher, bringe Beweise! Gib mir Überzeugung, daß Desdemona treulos sei; oder verfluche deine Geburt! Ha! ich war glücklich, so lange ich mich im Besitze ihrer Treue glaubte. Mögte sie dann ihre Reize an jeden Kriegsmann verschwendet haben! Ich wußte es ¦ nicht, argwohnte nichts davon, und war glücklich. Du hast die Natter mir in den | Busen gesetzt! Gib überzeugende Beweise, oder wünsche, nie das Licht der Sonne erblickt zu haben!« In der heftigsten Gemütsbewegung selbst erkennet er, daß seine Ruhe bloß von der Meinung abhänge, und daß er glücklich sein würde, wenn er fortfahren könnte, sich in dem Wahne von der Treue seiner Geliebten zu erhalten. Allein er fühlt die Unmöglichkeit. Sein Trieb geht auf die Sache, nicht auf die Meinung. Das Ziel seines Wunsches ist außer ihm, liegt in dem Objekte. Desdemona soll nicht bloß unschuldig scheinen; sie soll unschuldig sein: und wenn sie es nicht ist, so will er von ihrer Treulosigkeit überführt und elend sein. Niemand von uns, meine Lieben! wird, wie ich hoffe, Anstand nehmen, lieber sein Leben zu verlieren, als z. B. eine Stadt in Brand zu stecken, oder ein ganzes Heer unschuldiger Menschenkinder, aus bloßem Mut ¦ willen, zur Schlachtbank zu führen. Aber wenn das Übel geschehen ist, wenn ihm von uns nicht mehr abgeholfen werden kann; so wird jeder von uns eine unwiderstehliche Begierde empfinden, allenfalls eine beschwerliche Reise zu unternehmen, um die verheerte Stadt, oder das mit Leichen besäete Schlachtfeld in Augenschein zu bekommen. Wie läßt sich dieses begreifen? Auch dieses läßt sich aus der vorigen Betrachtung gar leicht erklären. So lange es von uns abhänget, ob etwas wirklich werden soll; so kömmt es auf unsre Billigung, unser Gutfinden an, und wir unterlassen das Böse, in so weit es von
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uns praktisch dafür erkannt wird. Sobald das Übel geschehen, und nicht mehr abzuändern ist, so hört es auf, ein Gegenstand unsers Billigungsvermögens zu werden; und nunmehr reizet es unsern Erkenntnistrieb, der die Sachen so erkennen will, wie sie sind, nicht wie wir sie wünschen oder lieben. So lange wir noch handeln können, ist das Gute der Gegenstand unsers Wunsches, und das Beste der Gegenstand unsers ¦ praktischen Willens. Wir wünschen alles tun zu können, was wir für gut halten; und tun wirklich das, was uns für jetzt das Beste zu sein scheinet. Sobald wir aber die Sachen nicht mehr nach unserm Wunsche abändern können; so bleibt uns nichts mehr zurück, als unsern Erkenntnistrieb zu befriedigen und die Wahrheit zu erfahren, wenn sie auch das größte Unglück für uns enthielte. Mit einem Worte: der Mensch forschet nach Wahrheit, billiget das Gute und Schöne, will alles Gute und tut das Beste.
| ¦ Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes | ¦ VIII. Einleitung. Wichtigkeit der Untersuchung – Über das Basedowsche Prinzipium der Glaubenspflicht – Axiomata Da ich nunmehr dem Ziele näher schreite, meine Kinder und Mitforscher der Wahrheit! da ich jetzt das Vorhaben auszuführen denke, die Lehre von Gott und seinen Eigenschaften mit euch gemeinschaftlich zu untersuchen; so befinde ich mich in einer Verlegenheit, die ich, nach der Art, wie ich mit euch umzugehen gewohnt bin, euch nicht bergen mag. Soll ich euch die Wichtigkeit dieser Lehre, und den Einfluß, den sie auf die Glückseligkeit und auf die Ruhe des Menschen hat, völlig so vorstellen, wie ich davon überzeugt zu sein glaube? Wahrlich, was mich betrifft, so hat, ohne Überzeugung von dieser Wahrheit, das Leben für mich keinen Genuß, und das Glück selbst keine Freuden. So wie ich jetzt denke und empfinde, ist es nur diese Überzeugung, der ich alle meine Heiterkeit in frohen,
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glücklichen Tagen, und wenn ¦ ihr bei den Widerwärtigkeiten des menschlichen Lebens, noch einige Beruhigung des Gemüts an mir wahrgenommen habt; der ich auch diese Beruhigung einzig und allein zu verdanken habe. Ohne Gott, Vorsehung und Unsterblichkeit haben alle Güter des Lebens in meinen Augen einen verächtlichen Wert, scheinet mir das Leben hienieden, um mich eines bekannten und oft gemißbrauchten Gleichnisses zu bedienen, wie eine Wanderschaft in Wind und Wetter, ohne den Trost, Abends in einer Herberge Schirm und Obdach zu finden; oder wie ein Voltaire sagt, ohne diese tröstliche Aussicht schwimmen wir alle in den Fluten; haben unaufhörlich mit Wellen zu kämpfen, und keine Hoffnung, das Ufer je zu erreichen.40 Soll ich nun eure Gemüter in eben die Stimmung zu bringen suchen; so bin ich in Gefahr, die Lage des Gleichgewichts zu verrücken, in welche wir uns versetzen müssen, wenn wir die Wahrheit untersuchen wollen. Unsre Neigung verändert das Gewicht der Wahr | heitsgründe. Der Anteil, den wir an dem Resultate nehmen, ¦ legt den Gründen zuweilen einiges Gewicht zu, und nimmt zu einer andern Zeit von denselben etwas ab. Es ist schwer, in unsrer eigenen Sache das Richteramt mit Unparteilichkeit zu führen; aber eben so schwer ist es von der andern Seite, uns selbst, als Partei, Genüge zu tun, so bald der Richter verdächtig zu werden anfängt. Alles hängt von der Laune ab, in welcher wir uns befinden. In heitern, jovialischen Stunden, sind wir leicht zu befriedigen. Wir glauben, was wir hoffen. In einer traurigen Gemütslage hingegen, sind wir mehr geneigt das zu glauben, was wir fürchten. Aber der Areopag41 der Vernunft, vor dessen Richterstuhle wir hier unsre Sache auszumachen haben, soll nicht nach der Neigung, sondern nach der Strenge der Wahrheit, die Gründe abwägen und Urteil fällen. Basedow42 versuchte es einst, ein neues Prinzipium der Erkenntnis in die Philosophie einzuführen, das er die Glaubenspflicht nennet. Wenn es einen Satz gibt, spricht er, der mit der Glückseligkeit des Menschen so verknüpft ist, daß sie ohne dessen Wahrheit nicht bestehen ¦ kann; so ist der Mensch verpflich-
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tet, denselben als wahr anzunehmen und ihm Beifall zu geben. Hiernächst suchet er zu beweisen, daß ohne Gott, Vorsehung und Unsterblichkeit keine Glückseligkeit des Menschen statt haben könne; und damit glaubt er diese drei trostreiche Lehren hinlänglich dargetan und wider alle Zweifel in Sicherheit gebracht zu haben. So sehr sich diese Methode durch ihre Leichtigkeit, und durch den Nutzen, den sie in vielen Fällen wirklich hat, zu empfehlen scheint; so wenig brauchbar ist sie doch, wenn von dem Dasein eines höchsten Wesens die Rede ist. Überhaupt erkenne ich keine Pflicht in Absicht auf Meinung, keine Verbindlichkeit, wenn Wahrheit von Unwahrheit unterschieden werden soll. Man scheint die beiden Seelenvermögen, die wir im Vorhergehenden so sorgfältig unterschieden haben, mit einander zu verwechseln; nimmt einen Billigungsgrund für einen Grund der Erkenntnis an, und hält das für wahr, was man gut und begehrlich gefunden hat. Nun haben wir in unsern Vorerkenntnissen gesehen, daß un ¦ ser Billigungsvermögen von uns selbst ausgehet, und sein Ziel in den Gegenständen hat, die wir nach unserm Wunsch umzubilden streben; da hingegen das Erkenntnisvermögen von den Gegenständen und ihrer objektiven Wahrheit ausgehet, und zum Ziele hat, unsre Gedanken und Vorstellungen | mit denselben übereinstimmig zu machen. Es ist also offenbar ein fehlerhafter Übergang aus dem einen Seelenvermögen in das andere, wenn wir für Wahrheit erkennen, was unserer Billigung gemäß ist; wenn wir glauben und annehmen, was wir hoffen und wünschen. Pflicht und Verbindlichkeit findet nur Statt, in Absicht auf das Billigungsvermögen. Wir sind verbunden, das zu tun, was unserer Glückseligkeit gemäß ist; das zu lassen, was derselben zuwider ist. In Absicht auf Erkenntnis hingegen haben wir keine andere Pflicht, als die Pflicht zu untersuchen. Das Untersuchen der Wahrheit ist eine freiwillige Handlung, die durch Erkenntnis des Guten und Bösen regiert wird, und also eine sittliche Notwendigkeit anerkennt, eine Verpflichtung zuläßt. Das Erkennen und Anneh¦men aber ist von unserm Willen nicht abhängig. Die
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Notwendigkeit, anzunehmen, ist keine sittliche, sondern eine physische Notwendigkeit. Wir geben dem für wahr Erkannten nicht Beifall, weil wir wollen oder sollen; sondern weil wir schlechterdings nicht anders können. Der Erkenntnisgrund des Herrn Basedow kann indessen zugelassen werden, wenn wir von dem Dasein eines höchstgütigen Wesens, und daß seine Vorsehung über das Schicksal der Menschen waltet, vorher aus andern Gründen überführt sind. Wenn es wahr ist, daß ein allgütiges und ein allweises Wesen uns hervorgebracht hat, so kann es, vermöge seiner unveränderlichen Eigenschaften, uns nicht anders als zur Glückseligkeit bestimmt haben. Kann also diese Glückseligkeit nicht bestehen, wenn der Mensch nicht zur ewigen Dauer berufen ist; so streitet seine Zernichtung mit den anerkannten Eigenschaften Gottes, und man hat gültigen Grund, die Seele des Menschen für unsterblich zu halten. Und so wird es mit jeder Wahrheit beschaffen sein, von welcher wir dartun können, daß ohne dieselbe ¦ der Mensch nicht glücklich sein, Gott nicht die Eigenschaften haben könne, von deren Wirklichkeit wir überzeugt sind. Nur in diesem Falle kann der Billigungsgrund auch zum Erkenntnisgrunde werden. Ein höchstgütiges Wesen kann nur dasjenige gebilliget und als den Gegenstand seines Willens hervorgebracht haben, was nach seiner Allwissenheit das Beste und Vollkommenste ist. Wenn aber vom Dasein dieses allgütigen Wesens selbst die Rede ist; so trennt sich die Quelle der Erkenntnis von der Quelle der | Billigung. Jedes Prinzipium gehet seinen eigenen Weg und führet zu einem andern Ziele. Wenn wir beides, unsere Billigung des Guten und Schönen, und unser Anerkennen der Wahrheit, durch die Worte, Beifall geben, auszudrücken pflegen; so ist es eine Zweideutigkeit der Sprache, vor der sich der Weltweise in Acht zu nehmen hat. Wollen wir also bei der wichtigen Untersuchung, die wir vorhaben, von der Wahrheit versichert sein; so müssen wir vielmehr den Anteil aus der Acht lassen, den wir an dem Resultate nehmen, und unsern Wünschen keinen Ein¦fluß auf unsere Überzeugung einräumen. Um uns der Evidenz der Mathematiker zu
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nähern, müssen wir auch ihre Gleichmütigkeit nachzuahmen suchen. Unbekümmert, was das Resultat sei, opfert der Geometer Hekatomben,43 wenn er nur überzeugende Gewißheit erlangt hat; er wünschet bloß annehmen zu müssen; nimmt aber nicht an, weil er wünscht. Freilich wird ihm diese ungeteilte Liebe zur Wahrheit so schwer nicht, da sie ihn keine Überwindung, keine Selbstverleugnung kostet. Das Resultat ändert nichts in dem System seiner Glückseligkeit, und sein Wunsch ist erfüllt, wenn er nur gefunden! 44 rufen kann. In unserm Falle hingegen hänget von dem Resultate unserer Untersuchung unser ganzes Wohl ab. Wir zittern vor der Wahrheit selbst, wenn sie nicht mit unserm Wohl übereinstimmt. Mit jedem Zweifel drohet unsere Ruhe zu verschwinden, unser ganzes System von Glückseligkeit einzustürzen. Wer kann mit ruhigem Auge die Schale schwanken sehn, wenn der Ausschlag Leben oder Tod ist? Wer trauet seiner Hand Festigkeit genug zu, in dem Fleische seines ¦ geliebten Sohnes Einschnitte zu machen, um den Sitz einer Krankheit aufzusuchen? Dank sei es der Vorsehung, daß sie von Zeit zu Zeit einigen Freunden der Wahrheit die Stärke des Geistes gibt, mit Aufopferung und Selbstverleugnung die Sätze zu prüfen, von denen ihre eigene Glückseligkeit abhänget! Sie strengen ihre Kräfte an, um Zweifel zu erregen, die ihnen ihre eigene Ruhe kosten; um wider angenommene Lehrsätze Einwürfe ans Licht zu bringen, wodurch sie sich vielleicht ihr ganzes Leben hienieden verbittern. Ohne dieses Opfer der Wahrheit würde alles Erkenntnis derselben gar bald in Vorurteil und blinden Glauben ausarten. Der Geist der Untersuchung muß immer von neuem rege gemacht und unterhalten werden, wenn die Wahrheit, die wir anerkennen, einigen Wert | haben soll. Erkenntnis ohne Untersuchung ist zuweilen von weit schlimmern Folgen, als Untersuchen ohne Erkenntnis; oder vielmehr, es hört auf, Erkenntnis der Wahrheit zu sein, sobald der Satz als ausgemacht angenommen und populär wird, ohne daß man es ferner nötig findet, die Gründe zu prüfen, auf ¦ welchen er beruhet. Es ist wahr, die Zweifel, die von jenem erregt worden, führen zuweilen zur Verleugnung aller Grundsätze und haben nicht selten auf die Sittlichkeit und
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Handlungen der Menschen fürchterlichen Einfluß. Allein die Vorurteile, in welche, durch Trägheit im Untersuchen, die Wahrheit selbst verwandelt wird; der blinde Glaube, mit welchem wir gewissen Sätzen anhängen, ohne sie zu prüfen, führet zu Aberglauben und Schwärmerei, die der Glückseligkeit des Menschen nicht weniger gefährlich sind. Atheismus und Aberglaube, Zweifelsucht und Schwärmerei, sind beides Krankheiten der Seele, die ihr den sittlichen Tod androhen. Nicht selten verordnet die Vorsehung eine Krankheit, um eine ihr entgegengesetzte zu heben, um dem Körper seine Gesundheit wieder zu schenken. Wir müssen also jeden Zweifel, der uns gemacht wird, mit Gelassenheit anhören, jeden Einwurf willkommen sein lassen, wenn er auch unser ganzes System zu zerrütten droht. Nach dem natürlichen Zirkellauf der Dinge führet Wahrheit zur Beruhigung, Beruhigung zur Trägheit und Trägheit zum ¦ Aberglauben. Alsdann ist es eine Wohltat der Vorsehung, wenn der Geist des Zweifels und der spitzfindigsten Untersuchung rege gemacht wird, um durch Verwerfung aller Grundsätze den Rückweg zur Wahrheit wieder hinzuführen. Sollen überredende Gründe irgend mit Nutzen angebracht werden, so geschieht dieses bloß in der populären Methode, die Wahrheiten der natürlichen Religion vorzutragen; wo man nicht sowohl darauf ausgeht, Wahrheit zu finden, als der gefundenen Wahrheit Ausbreitung, Leben und Bewegungskraft zu geben. Die Grundsätze, die wir beständig brauchen, sollen uns beständig zur Hand sein, sollen unablässig auf unsere Neigungen, Triebe und Leidenschaften wirken. Sie müssen daher durch die Kraft der Überredung gleichsam in den Grund der Seele hineingesenkt, und in eine Art von unmittelbarer Erkenntnis45 verwandelt werden, die der mathematischen Evidenz zwar an Licht nicht beikömmt, aber an Kraft und Einwirkung überlegen ist. Ich werde euch von den Grenzen sowohl, als von der Nützlichkeit dieser populären Erkenntnisart, in der ¦ Folge | länger zu unterhalten, Gelegenheit nehmen. Jetzt wollen wir versuchen, wie weit wir in der wissenschaftlichen Methode, über das Dasein Gottes nachzudenken, uns der Evidenz der Mathematiker nä-
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hern und wissenschaftliche Überzeugung erlangen können. Hier sind einige Axiomata, die aus dem, was wir bisher abgehandelt haben, natürlich zu folgen scheinen. Ich empfehle sie euerer genauen Prüfung, damit wir in der Folge uns derselben ohne weitern Anstand bedienen, und, so oft es nützlich ist, darauf beziehen können. Axiomata I. Was wahr ist, muß durch positive Denkungskraft dafür erkannt werden können. Dieses ist aus dem obigen klar, und gilt sowohl von Begriffen, als von Urteilen und Schlüssen; sowohl von Vernunft- als von Erfahrungswahrheiten. ¦ Alle Wahrheit wird erkannt, von dem allerhöchsten Verstande, wenn es einen gibt, mit der allerhöchsten Evidenz; von jedem andern verständigen Wesen nach Maßgabe seiner Fähigkeit, und in so fern es nicht durch Irrtum oder Täuschung an der Erkenntnis verhindert wird. II. Wessen Dasein durch keine positive Denkungskraft erkannt werden kann, das ist nicht wirklich vorhanden. Gesetzt A sei ein Begriff in der Seele, dem also, in so weit er eine Vorstellung in einem denkenden Wesen ist, ein idealisches Dasein zukömmt; d. h. er ist ein Akzidens einer denkenden Substanz, eine Abänderung eines Denkungsvermögens. Wenn kein verständiges Wesen durch seine positive Kraft erkennen kann, daß dieses A auch wirkliches objektives Dasein habe; so ist sein vermeintes objektivisches Wirklichsein eine Unwahrheit; entweder Irrtum oder Täuschung.
¦ III. Wessen Nichtsein keinem verständigen Wesen begreiflich sein kann, das ist wirklich vorhanden.
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Dessen Nichtsein würde Unwahrheit, d. i. Irrtum oder Täuschung sein müssen. | Wenn also von einem denkbaren Begriffe A erwiesen werden könnte, daß er ohne reales objektives Dasein nicht gedacht werden könne, so ist zugleich erwiesen, daß er objektivisch wirklich sein müsse. IV. Wenn ein Satz: A ist B, wahr sein soll; so muß vermöge der positiven Denkungskraft, zwischen dem Subjekte A und dem Prädikate B eine Verbindung anerkannt werden können. V. Diese Verbindung beruhet entweder auf dem Materialen in der Erkenntnis des Subjekts A, oder auf dem Formalen derselben. Der Grund, warum dem Subjekt A das Prädikat B zugeschrieben wird, liegt entweder in ¦ der Beschaffenheit des Subjekts, als denkbar oder nicht denkbar, oder in der Beschaffenheit desselben, als gut oder böse, begehrlich oder nicht begehrlich. VI. Wenn also von einem Begriffe A das wirkliche Dasein ausgesagt wird, so ist A entweder deswegen wirklich vorhanden, weil es nicht anders, als mit diesem Prädikate denkbar ist; oder deswegen, weil es nicht anders ein Gegenstand der Billigung und des Beifalls werden kann. Das Bestreben unsrer Kraft in Absicht auf Wahrheit oder das Materiale der Erkenntnis, gehet darauf aus, in uns selbst Prädikate hervorzubringen, die mit den objektiven Beschaffenheiten der Dinge übereinkommen; in Absicht auf das Gute oder das Formale der Erkenntnis, hat unsre Kraft zum Ziele, in dem Objekte derselben unter gleich denkbaren Prädikaten, das Beste zur Wirklichkeit zu bringen. Dieses ist in dem Vorigen hinlänglich auseinander gesetzt worden. Wenn also der Satz: A ist B von einem denken¦den Wesen als wahr erkannt und behauptet werden soll; so liegt der Erkenntnis- oder Behauptungsgrund, entweder in der Denkbarkeit des Begriffes A und ist eine ewige, notwen-
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dige Wahrheit; A ist vorhanden, weil A ein wahrer Begriff ist; oder dieser Grund liegt in dem Formalen der Erkenntnis, in der Beschaffenheit des A, ein Gegenstand der Billigung zu werden, von einer freien Ursache beliebt und hervorgebracht werden zu können. | VII. Hieraus folgt unmittelbar, daß wenn der Satz: A ist nicht B, eben so denkbar ist, als der Satz: A ist B; so kann dieser nicht anders wahr werden, als in so fern er das Beste ist, und von einer wählenden Ursache hat gebilliget und zur Wirklichkeit gebracht werden können; oder Unter zwei gleich denkbaren oder möglichen Dingen kann nur dasjenige wirklich werden, welches das Beste ist. Wenn der Begriff A sowohl mit der objektiven Existenz, als ohne dieselbe denkbar ist, so ¦ liegt der Grund seines Daseins nicht in dem Materialen der Erkenntnis; sondern in der formalen Beschaffenheit, als gut und begehrlich. Diese Beschaffenheit, oder die Güte und Vollkommenheit desselben, kommt ihm entweder allezeit unveränderlich, oder nur unter gewissen Umständen und Bedingungen zu. Im ersten Falle ist der Satz eine allgemeine unveränderliche Wahrheit, ein Gesetz der Natur; im letztern hingegen kann er nur unter gewissen Umständen irgendwo und irgendwann, als zum Besten gehörig, selbst das Beste werden und zur Wirklichkeit gelangen. Von dieser Art sind die einzelnen historischen Begebenheiten, die Zeitungen,46 die nur hier und da, irgendwo und irgendwann zum Vorschein kommen. Wenn z. B. die Körper eben sowohl eine allgemeine Schwere haben, als nicht haben könnten; so kann der Satz: Alle Körper haben eine Schwere, nicht anders wahr werden, als in so weit diese, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort, so und nicht anders, als das Beste erkannt und gebilligt worden ist: Dieses macht die Schwere zum allgemeinen Natur¦gesetz. Wenn aber zu einer gewissen Zeit das Pulver erfunden wird, so muß in dem Inbegriff der Zeit und der Dinge, die damals wirklich waren, der Grund enthalten sein, warum diese Erfindung damals, unter diesen Bestimmungen der Zeit und des Raums, das Beste geworden ist. Beides sind zufällige Wahrheiten; aber jenes eine zufällige, ewige Wahrheit; dieses hin-
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gegen eine zufällige, zeitliche Wahrheit, die irgendwo und irgendwann zum Vorschein gekommen ist.47 Was aber anders gedacht werden kann, und unter keiner Bedingung als das Bessere gebilliget wird, kann auch unter keiner Bedingung wirklich werden und zum Vorschein kommen. Es hat keinen Grund des Daseins, weder in dem Materialen, noch in dem Formalen der Erkenntnis, und so wird vielmehr sein Gegenteil, als Vergleichungsweise das Bessere, von dem Subjekte auszusagen sein.
| ¦ IX. Evidenz der reinen – der angewandten Größenlehre – Vergleichung mit der Evidenz der Beweise vom Dasein Gottes – Verschiedene Methoden derselben Die reine Mathematik beweiset ihre Lehren ohne Hilfe der Erfahrung und der sinnlichen Erkenntnis, bloß nach den Gesetzen des Denkens, wie man es zu nennen pflegt, a priori. Die Kraft ihrer Beweise beruht auf der Entwickelung der Begriffe. Man zergliedert den Begriff A und findet den notwendigen Zusammenhang seiner Merkmale mit dem Begriffe des Prädikats B. Dieses gibt den bejahenden Satz; die Ausschließung bringet den verneinenden Satz. Beide aber sagen weiter nichts aus, als die Verbindung zwischen den Begriffen oder den idealischen Wesen, nach den Gesetzen der Denkbarkeit. Auf die wirklich außer uns befindlichen Dinge lassen sich die Sätze der Mathematiker nur bedingterweise anbringen. Die wirklichen Dinge außer uns hangen eben so gut, als die idealischen Wesen der Begriffe, von den Gesetzen der Denkbarkeit ab. Dinge, die den Gedanken nach un ¦ zertrennlich sind, können auch durch das wirkliche Dasein nicht getrennt werden, und Dinge, die nicht zugleich denkbar sind, können auch nicht zugleich wirklich vorhanden sein. Es lassen sich daher alle Sätze der Mathematiker auf die wirklich existierende Dinge, unter Voraussetzung ihrer Wirklichkeit, mit Sicherheit anbringen. Wenn das Subjekt wirklich vorhanden ist, so muß ihm das Prädikat, das ihm der bejahende Satz zuschreibt, auch objektive wirklich zu-
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kommen; so wie ihm das Prädikat des verneinenden Satzes auch in der Wirklichkeit nicht zugeschrieben werden kann. Soll aber von diesen bedingten Lehrsätzen praktischer Gebrauch und Anwendung gemacht werden; so muß der Geometer sich durch die sinnliche Erkenntnis von dem wirklichen Dasein seines Subjekts überführen, um das Prädikat von demselben mit Gewißheit aussagen zu können. Seine reine Vernunfterkenntnis führt ihn nicht weiter, als auf die bedingten Sätze. Wenn eine Figur ein Dreieck ist, so hat sie die Eigenschaften des Dreiecks; wenn eine Kugel wirklich | ¦ vorhanden ist, so wirft sie von allen Seiten gleichen Schatten. Daß aber die vorliegende Figur ein wirkliches Dreieck, daß der vorliegende Körper eine Kugel sei, dieses muß auf Zeugnis der Sinne angenommen werden. Die Sicherheit, mit welcher der Geometer in der Ausübung seiner Wissenschaft verfährt, ist nicht mehr reine Vernunftevidenz; sondern mit der Zuverlässigkeit der sinnlichen Erkenntnis vermischt, deren Evidenz von einer andern Beschaffenheit ist, als die Evidenz der reinen Vernunft, ob sie ihr gleich an Zuverlässigkeit nichts nachgibt. Von der Natur und Beschaffenheit der Evidenz dieser verschiedenen Erkenntnisse haben wir in unsern vorigen Unterhaltungsstunden ausführlich gehandelt. In der Lehre von Gott gibt es einen spekulativen Teil, der, wie mich dünkt, mit aller Strenge der wissenschaftlichen Methode behandelt werden kann. Mit der Evidenz der reinen Mathematik können auch hier Begriffe entwickelt, und in ihre einfachsten Merkmale und Verhältnisse aufgelöset werden. Aber auch hier in An¦wendung auf das wirkliche Dasein, nur Bedingungsweise. Wenn ein notwendiges Wesen vorhanden ist, so müssen ihm diese oder jene Eigenschaften notwendig zukommen; wenn ein zufälliges Ding, nach der vorausgesetzten Erklärung, vorhanden ist; so hat es den Grund seines Daseins nicht in sich, u. s. w. Man sieht, daß alles dieses, so wie die Lehrsätze der reinen Mathematik, nicht weiter führet, als auf Verbindungen und Trennungen der Begriffe, auf Zergliederung und Auflösung der Merkmale, nachdem sie unter oder neben einander geordnet sind. Allein alle diese Spekulationen kann selbst der Atheist zu-
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geben, ohne von dem Dasein einer Gottheit überführt werden zu können. Ihr müsset ihn von irgend einer Wirklichkeit zuerst überführen und also aus dem Reich der idealischen Wesen einen Übergang ins Reich der Wirklichkeiten suchen, um eure spekulative Lehrsätze mit Nutzen anwenden zu können. Wo ist das Band, welches Begriff mit Dasein verbindet, Wirklichkeit an Möglichkeit knüpft? Sollen wir, wie der Geometer, dem Zeugnis ¦ unserer Sinne trauen, oder gibt es hier einen andern Weg, in das Gebiet der wirklichen Dinge überzugehen? Es gibt drei verschiedene Methoden, diese Fragen zu beantworten. Man bauet, erstlich, auf das Zeugnis der äußeren Sinne; nimmt, in Zuversicht auf ihre Aussage, eine äußere, sinnliche Welt als wirklich | an, und suchet zu beweisen, daß eine solche sinnliche Welt, ohne ein notwendiges, außerweltliches Wesen nicht denkbar sei: und nunmehr lassen sich alle Sätze, die in dem spekulativen Teil der Lehre ausgemacht worden, von diesem notwendigen Wesen mit Grunde behaupten. Es ist eine sinnliche Welt außer uns wirklich; also ist ein Gott außer uns und der Welt auch wirklich vorhanden. Nach der zweiten Methode, trauet man bloß dem Zeugnis des innern Sinnes; nimmt auf dessen Aussage, unser eigenes Dasein als eine unumstößliche Wahrheit an, um von diesem auf das wirkliche Dasein Gottes zu schließen: Ich bin, also ist ein Gott. ¦ Die dritte Methode verwirft beides, das Zeugnis sowohl des innern, als des äußern Sinnes, und gehet kühnes Schrittes aus dem Reiche des idealischen Wesens ins Reich der Wirklichkeit. Sie wagt es zu beweisen, daß ein notwendiges Wesen vorhanden sein müsse, weil ein notwendiges Wesen gedacht werden kann; sie schließet reales Dasein aus bloßem Begriff, und will das Band gefunden haben, das Möglichkeit und Wirklichkeit verbindet. Ein Gott ist denkbar, also ist ein Gott auch wirklich vorhanden. In der Tat, ein kühner Schritt; denn in dem ganzen Bezirke unserer wissenschaftlichen Erkenntnis gibt es von dieser Beweisesart kein Beispiel, kann vom Begriff auf Wirklichkeit nicht geschlossen werden. Nur, wenn von dem notwendigen Wesen die Rede ist, soll dieses mit aller Zuverlässigkeit geschehen können. Zufäl-
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lige, endliche Dinge können ohne wirkliches Dasein gedacht werden, können ohne reale, objektive Wirklichkeit, dennoch ein idealisches Dasein haben. Nicht also das notwendige, unendliche Wesen. Wenn es gedacht werden kann, so muß ¦ es auch wirkliches, objektivisches Dasein haben. Die beiden ersten Methoden, nach welchen eine Existenz vorausgesetzt wird, nennt man die Beweisesart a posteriori; die letztere aber, welche von der Idee eines notwendigen Wesens auf dessen Dasein schließt, wird die Beweisesart a priori genannt, deren Zulässigkeit von verschiedenen Weltweisen noch in Zweifel gezogen wird. Die Beweisesarten a posteriori haben Verwandtschaft mit dem Verfahren des praktischen Geometers. So wie dieser auf Zeugnis des äußern Sinnes die Wirklichkeit seines Subjekts annimmt, und daraus auf die Wirklichkeit der Prädikate schließet, ohne welche jenes nicht denkbar ist; eben also wird in den beiden Beweisesarten a posteriori auf Zeugnis des äußern oder innern Sinnes, das Dasein | einer veränderlichen Welt, oder das Dasein eines veränderlichen denkenden Wesens angenommen, und daraus das wirkliche Dasein eines unveränderlichen, notwendigen Wesens geschlossen, ohne welches das Veränderliche nicht denkbar ist. Wenn dieses außer Zweifel gesetzt wird, sollte ¦ man glauben, würde der Beweis des Weltweisen eben die Zuverlässigkeit und Augenscheinlichkeit haben, die man dem Verfahren des praktischen Geometers zuschreibt. Daß außer uns eine wirklich sinnliche Welt vorhanden sei; daß in dieser Welt nicht Alles eben dasselbe bleibe, sondern der Veränderung unterworfen sei; daß wir selbst denkende Wesen sind, die sich unaufhörlich verändern und nicht immer dieselben bleiben: wer sollte wohl im Ernste je hieran gezweifelt haben, mehr gezweifelt haben, als an dem Dasein eines Triangels oder einer Kugel, das der praktische Geometer voraussetzt? Wenn also ausgemacht werden kann, daß ohne Dasein eines unveränderlichen Wesens, kein veränderliches sich denken lasse; so wäre das Dasein eines unveränderlichen Wesens unumstößlich dargetan, und der ganze spekulative Teil der Lehre könnte auf dasselbe mit Zuverlässigkeit angewendet werden.
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Indessen wisset ihr, daß diese Voraussetzungen selbst, so unleugbar sie auch scheinen, nicht von allen Weltweisen zugegeben werden. Die Metaphysiker scheuen sich nicht, Dinge zu leug¦nen, an welchen der gesunde Menschenverstand sich nie zu zweifeln einkommen läßt. Der Idealist leugnet das wirkliche Dasein einer materiellen Welt. Der Egoist, wenn es je einen gegeben, leugnet das Dasein aller Substanzen außer sich; und der Spinozist48 sagt: er selbst sei kein für sich bestehendes Wesen, sondern ein bloßer Gedanke in Gott. Der Skeptiker endlich findet alles dieses noch ungewiß und dem Zweifel unterworfen. Ich kann nicht glauben, daß eine von diesen Ungereimtheiten jemals im Ernste behauptet worden ist. Man hat, wie es scheint, bloß die Vernunft auf die Probe setzen und versuchen wollen, ob sie mit dem gesunden Menschenverstand gleichen Schritt halte; ob sie alles dieses nach den Gesetzen des Denkbaren unumstößlich dartun könne, was jener, gleichsam als eine unmittelbare Erkenntnis, für ausgemacht hält. Man hat bloß das Wissenschaftliche in der Erkenntnis in Zweifel ziehen wollen, um den Dogmatiker zu beschämen, der seinen Lehren die höchste Augenscheinlichkeit der reinen Vernunfterkenntnis zutrauet. So oft die Vernunft so ¦ weit | hinter dem gesunden Menschenverstande zurückbleibt, oder gar von demselben abschweifet, und in Gefahr ist auf Irrwege zu geraten, wird der Weltweise selbst seiner Vernunft nicht trauen, und dem gemeinen Menschenverstande widersprechen; sondern ihr vielmehr ein Stillschweigen auferlegen, wenn ihm die Bemühung nicht gelingt, sie in die betretne Bahn zurückzuführen, und den gesunden Menschenverstand zu erreichen. Lasset uns also versuchen, in wie weit wir der Vernunft nachhelfen und aus zuverlässigen Gründen dasjenige ersetzen können, was hier noch zu fehlen scheint.
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| ¦ X. Allegorischer Traum – Vernunft und Gemeinsinn – Beweisgründe vom Dasein Gottes, nach dem System des Idealisten, aus unserm eigenen Dasein – Auch allenfalls aus dem idealischen Dasein einer objektiven Sinnenwelt Die Gedanken von Vernunft und Menschenverstand, mit welchen ich meine gestrige Vorlesung beschlossen, verwickelten sich mit der Erzählung von einer Reise im Schweizergebirge, mit welcher wir Abends von unsern Gästen unterhalten wurden, und bildeten sich in meiner Einbildung zu einem Traume aus, der beinahe allegorische Bedeutung hat. Wir reisten zusammen zwischen den Alpen, hatten zwei Personen zu Anführern, die eine männlichen, die andre weiblichen Geschlechts. Er, ein junger derber Schweizer, stark von Gliedmaßen, aber nicht von dem feinsten Verstande; Sie, lang und hager, ernsthaft, mit in sich gesenkten Blicken, von schwärmerischer Physiognomie und phantastisch bekleidet, hatte hinten etwas am Kopfe, das Flügeln ähnlich sah. Wir folgten ihnen eine Zeitlang, bis ¦ wir an einen Scheideweg kamen. Hier schienen sie sich zu entzweien; er eilte mit raschen Schritten zur Rechten; sie flatterte mit ihrem flügelähnlichen Wesen zur Linken, und wir standen bestürzt am Wege, ungewiß, wem wir folgen sollten; bis einer von uns sich umsahe, und eine etwas ältliche Matrone erblickte, die mit gemessenen Schritten auf uns zukam. Als sie uns so nahe war, daß wir ihre Stimme vernehmen konnten, sprach sie: Seid getrosten Muts, Wanderer! ihr werdet nicht lange ohne Führer bleiben. Die Personen, die euch zu Führern gegeben worden, nennen sich, Gemeinsinn (sensus communis), und Beschauung (contemplatio), sie entzweien sich zuweilen auf eine kurze Zeit, nicht selten aus geringfügigen Ursachen. Wenn denn die Reisenden standhaft genug sind, am Scheideweg zu warten, und keinem von beiden zu folgen; so kommen sie zurück, um ihren Zwist von mir entscheiden zu lassen. In den meisten Fällen pfleget das Recht auf seiner Seite zu sein, und die Frauensperson, wider die Erwartung, sich belehren zu lassen. Hingegen wenn auch das ¦ Recht zuweilen auf ihrer Seite ist; so ist er, der | Starrköpfige, nicht zum Nachgeben
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zu bringen. Bei den überzeugendsten Gründen, die ich ihm vorlege, lacht er mir auf seine bäurische Art in die Zähne, sagt einen plattwitzigen Einfall, und gehet wieder eigensinnig seines Weges. Indessen wissen die Reisenden, die mir trauen, doch woran sie sich zu halten haben. Wie nennet ihr euch denn selbst, fragte einer von uns, die ihr ihren Zwist entscheidet? Auf Erden, sprach sie, nennet man mich, Vernunft; die himmlischen – Hier wurde sie plötzlich von einem entsetzlichen Geräusche unterbrochen. Ein schwärmerischer Haufen hatte sich aus der Gegend um die Dame Beschauung versammelt, und faßte den Vorsatz, den Gemeinsinn so wohl, als die Vernunft zu vertreiben. Sie drangen mit Geschrei und Ungestüm auf uns ein, wir erschraken – und ich erwachte. In Wahrheit pfleget mir diese Regel auch im Wachen zur Richtschnur zu dienen. So oft mich meine Spekulation zu weit von der Heerstraße des Gemeinsinns abzuführen scheinet, so ¦ stehe ich still und suche mich zu orientieren.49 Ich sehe auf den Punkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und suche meine beide Wegweiser zu vergleichen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß in den mehresten Fällen, das Recht auf Seiten des Gemeinsinns zu sein pfleget, und die Vernunft muß sehr entscheidend für die Spekulation sprechen, wenn ich jenen verlassen und dieser folgen soll. Ja sie muß mir deutlich vor Augen legen, wie der Gemeinsinn hat von der Wahrheit abkommen und auf Irrwege geraten können, um mich zu überführen, daß seine Beharrlichkeit bloß ungelehriger Eigensinn sei. Wenden wir diese Regel auf die Zweifel an, welche von Idealisten, Egoisten und Skeptikern wider die Wirklichkeit einer materiellen Welt vorgebracht werden; so finden wir, daß ihre Gründe sicherlich nicht hinreichen, uns den völligen Beifall abzunötigen. Wir haben vielmehr die große Vermutung für uns, daß, bei fortgesetztem Nachdenken, wir die Wahrheit auf Seiten des Gemeinsinns finden werden. So lange indessen dieses noch nicht geschehen, vermindern ihre ¦ Zweifel dennoch die Evidenz der Beweise, die wir auf die Aussage des Gemeinsinns gründen. Da also die Beweise der ersten Gattung für das Dasein Gottes das wirkliche
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Vorhandensein einer materiellen Welt zum Grunde legen; so scheinet die Überzeugungskraft derselben, durch die angeführten Zweifel einigen Abgang zu leiden, und sogar der Evidenz nicht gleich zu kommen, die der prak | tische Geometer in seinem Verfahren für sich hat. Dieses erhellet aus folgender Betrachtung. Gesetzt, das Subjekt, das der Geometer vor sich hat, und auf welches er seine Lehrsätze anwenden will, habe keine objektive Wirklichkeit, sei vielmehr, nach Voraussetzung der Idealisten, eine bloße subjektive Erscheinung; so hindert dieses gleichwohl den praktischen Geometer nicht, mit aller erforderlichen Zuverlässigkeit zu verfahren. Er ist versichert, daß die sinnlichen Eigenschaften und Erscheinungen unter sich in eben dem Verhältnisse und in eben der Verbindung stehen, wie die Begriffe, die er in seiner reinen Theorie entwickelt hat. Er will durch sein Re¦sultat bloß Erscheinungen ausmachen und mit Bestimmtheit angeben. Er darf also nur die mit ihnen verknüpfte sinnliche Erscheinung voraussetzen, um von seinen Resultaten versichert zu sein. Ob diese auch außer ihm ein wirkliches materielles Objekt haben; ob diesem äußerlichen Objekte auch wirklich das zukomme, was ihm die sinnlichen Erscheinungen zuschreiben, hieran ist dem ausübenden Geometer so wenig, als dem bloß theoretischen gelegen. In der natürlichen Theologie aber ist es ein anders. Hier soll das objektive Dasein eines Wesens geschlossen werden. Wenn dieses nicht anders, als aus der Voraussetzung einer objektiven materiellen Welt, geschehen kann; so sind allerdings vorerst alle Zweifel und Bedenklichkeiten zu heben, die jene Weltweise sich machen, eine solche Voraussetzung zuzugeben. Die Übereinstimmung des innern und äußern Sinnes, die Übereinstimmung aller Sinne, ja die Übereinstimmung aller Menschen, und anderer uns bekannten lebendigen Wesen, wodurch der gesunde Menschenverstand das Wirklichsein eines solchen Objekts annimmt und anzunehmen ¦ so sehr berechtiget ist, hebt gleichwohl diese Zweifel nicht nach geometrischer Schärfe, benimmt ihnen nicht völlig ihre Möglichkeit. Sie haben freilich den höchsten Grad der Vermutung wider sich. Augen-
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scheinlich aber ist die Unmöglichkeit nicht, daß diese übereinstimmende Aussage von einer wirklichen materiellen Welt auf einer Einschränkung der Sinneskraft beruhe, die allen menschlichen Sinnen, vielleicht allen tierischen Sinnen gemein, und also bloße Täuschung sei. Wäre sie aber dieses, so würde auch das Resultat die bloße Folge einer Sinnentäuschung und also Unwahrheit sein. Ihr sehet hieraus, warum die gründlichsten Philosophen50 allezeit die | Beweisesart der zweiten Gattung vorgezogen haben. Ohne sich mit den Idealisten in die dornigte Untersuchung einzulassen, ob die sinnlichen Eigenschaften in uns, auch außer uns, ein materielles Objekt haben – eine Untersuchung, die den Streit nur in die Länge ziehet – setzet die zweite Methode bloß unser eignes Dasein zum voraus; mein eignes Dasein, wenn mit dem Egoisten die Rede ist, ¦ der in Absicht auf die Wirklichkeit, keinen Pluralem zugeben will. Unsre unmittelbare Empfindungen sind, wie wir in der Vorerkenntnis gesehen, von der höchsten Evidenz. Das Subjektive, als Subjektive betrachtet, leidet keinen Zweifel. Der Schluß: Ich denke, also bin Ich, muß selbst von dem Egoisten zugegeben werden, wie eben daselbst mit mehrern gezeigt worden ist. Ich kann also meine Wirklichkeit zum Grunde legen, ohne den mindesten Widerspruch zu befürchten, und wenn von dem Dasein eines veränderlichen Wesens auf das objektive Dasein eines unveränderlichen notwendigen Wesens geschlossen werden kann; so hat mein Beweis für das Dasein Gottes die erforderliche Augenscheinlichkeit. Denn, daß ich selbst ein veränderliches Wesen sei, wird wohl von dem hartnäckigsten Zweifler nicht bestritten werden können. Wenn ich mir selbst bewußt bin, daß Veränderungen in mir vorgehen; so leidet dieses weiter keinen Zweifel. In Absicht auf mich selbst fällt das Subjektive und Objektive zusammen, liegt Schein ¦ und Wahrheit nicht aus einander. Was ich unmittelbar empfinde, kann nicht bloße Täuschung sein; sondern muß wirklich in mir vorgehen, und kann in Rücksicht auf mich selbst, mir auch als Objekt nicht abgesprochen werden. Mein Dasein also so wohl, als meine Veränderlichkeit, sind über alle Zweifel hinweg.
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Auch hierin behauptet die zweite Methode einen Vorzug vor der ersten. Wenn nach der ersten Methode die Wirklichkeit einer materiellen Welt vorausgesetzt, und aus der täglichen Erfahrung ihre Veränderlichkeit angenommen wird; so findet der Spinozist, ob er gleich das Dasein der materiellen Welt zugibt, dennoch in der angenommenen Veränderlichkeit derselben etwas Willkürliches, das er nicht einräumen zu dürfen glaubt. Die materielle Welt ist ihm, der Substanz nach, ewig und unveränderlich. Bloß die Form, oder der Abdruck derselben in uns, ist ihm Veränderungen unterworfen, und also zufällig. Nun ist zwar nicht zu leugnen, daß diesem Zweifel auch nach der ersten Methode leicht zu begegnen ist. Wir selbst | bleiben doch allemal Teile oder Merk¦male des Ganzen, gehören mit zum Weltall, dessen Dasein notwendig sein soll. Eine Substanz aber, die in irgend einem ihrer Teile oder Merkmale veränderlich und also zufällig ist, wird es auch im Ganzen sein müssen. Indessen ist dieser Schluß weit augenscheinlicher nach der zweiten Methode, in welcher bloß mein eignes Dasein zum Grunde gelegt wird. Daß ich selbst nicht immer derselbe bleibe, sagt mir mein unmittelbares inneres Gefühl. Die Aussage des inneren Gefühls ist, subjektive betrachtet, von der höchsten Evidenz, und wenn von mir selbst, als Objekt die Rede ist, auch eine objektive Wahrheit. Wer sich veränderlich denkt, der ist es. Wenn ich veränderlich bin, so sind verschiedene sich entgegen gesetzte Prädikate mit mir, als Subjekt, zugleich denkbar. Bin ich mir innerlich bewußt, daß ich vorhin gestanden habe und jetzt sitze; so müssen beide entgegenstehende Sätze: ich sitze und ich sitze nicht; ich stehe und ich stehe nicht, gedacht werden können; denn die Folge der Zeit verändert das Materiale in der Erkennt ¦ nis nicht. Was zu einer Zeit denkbar ist, muß zu allen Zeiten auch denkbar bleiben. Wohl aber kann die Folge der Zeit das Formale in der Erkenntnis abändern. Was vorhin nicht gut, oder nicht das Beste war, kann jetzt nach einer verlängerten Reihe der Begebenheiten, das Beste werden; so wie umgekehrt; was damals als das Beste von mir gebilliget ward, kann jetzt nach veränderten Um-
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ständen aufgehört haben das Beste zu sein, und deswegen von mir gemißbilliget werden. Es erhellet hieraus, wie in der Sukzession der Zeit verschiedene entgegenstehende Sätze zur Wirklichkeit kommen und also zur Wahrheit werden können. Wenn gestern der Satz: A ist B, in der damaligen Reihe der Dinge, das Beste gewesen und zur Wahrheit geworden; so kann heute, nach einer verlängerten Reihe und veränderten Umständen, der entgegenstehende Satz: A ist nicht B, der Ordnung und Vollkommenheit gemäßer, und daher besser sein. Ihr sehet hier eine einfache Methode von meinem eigenen Dasein auf das Dasein eines un¦veränderlichen Wesens zu schließen, das dieses Beste zur Absicht hat und freiwillig hervorbringet. Wenn die Zeit in der materiellen Vorstellung nichts verändert und bloß das Formale derselben abändern kann, so liegt der Grund der Veränderung, die ich in mir wahrnehme, nicht in ihrer Denkbarkeit; sondern in ihrer relativen Güte und Vollkommenheit. In so weit sie ein Gegenstand | der Erkenntnis sind, bleiben sie allezeit unveränderlich. Nur als Gegenstand der Billigung können sie zu verschiedenen Zeiten sich verschiedentlich verhalten. Wenn aber Güte und Vollkommenheit der Grund sein sollen, warum etwas wirklich wird; so setzet dieses ein Wesen voraus, das an Güte und Vollkommenheit Gefallen findet, bei welchem sie zu Bewegungsgründen der Tätigkeit werden können. Jedoch von dieser Methode werde ich weiter unten ausführlicher handeln. Vor jetzt habe ich euch noch eine Betrachtung mitzuteilen, auf die mein Idealist, mit dem ich mich von dergleichena Materien zu unterhalten pflege, mich geführt hat. »Sie lassen uns nicht ¦ Gerechtigkeit widerfahren, sprach er, wenn Sie behaupten, daß die Idealisten auf die Beweisesart der ersten Gattung Verzicht tun müssen. Nicht so völlig, sollte ich glauben, besonders, wenn der Streitpunkt erst so ins Reine gebracht wird, als von uns letzthin geschehen. Auch dem Idealisten ist die wirkliche Welt eine wirkliche Welt. Wir heben den wohlgegründeten a JubA: der gleichen.
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Unterschied zwischen Träumen und Wachen, Einbildung oder Erdichtung und Wahrheit nicht auf. Der Kurzsichtigste unter uns muß wahrnehmen, daß in Träumen, Einbildungen und Erdichtungen die Begebenheiten in einer andern Ordnung nach und neben einander gestellt sind, als diejenigen, die wir im Wachen für Wahrheit und Wirklichkeit erkennen. Jene folgen völlig oder wenigstens vornehmlich der Vorschrift des Witzes, der Einbildungskraft, der Erdichtung u. s. w. mit einem Worte, den Gesetzen der Seelenvermögen, die uns subjektive eigen sind. Im wachenden Zustande hingegen herrschet, wie Sie selbst gar richtig bemerket haben, die ursachliche Ver¦knüpfung der Dinge, die Verbindung zwischen hervorbringender Ursach und Wirkung, nach so genannten Naturgesetzen. Diese Vorstellung einer wirklichen Welt, ist allen vorstellenden Wesen gemein, wiederholt sich in jedem derselben mit der Abänderung, die seiner Fassungskraft und seinem Stande gemäß ist. In jeder Weltvorstellung, die einem wachenden Wesen beiwohnt, befindet sich Wahrheit und Perspektive. Die Wahrheit wiederholt sich in allen und bleibt eben dieselbe. Das Perspektivische in dem Gemälde hingegen ist mannigfaltig und dem Gesichtspunkte angemessen. Der Idealist leugnet bloß das wirkliche Dasein eines Objekts, das diesen wahren Abbildungen zum Urbilde dienen soll, und zwar deswegen, weil ihm dieses Urbild nichts mehr | zu denken gibt, weil er sich weiter keine Vorstellungen davon zu machen weiß, als die Abbildung davon, die in seiner Seele anzutreffen ist. Indessen muß aus dieser Weltvorstellung des Idealisten alles dasjenige folgen und geschlossen werden können, was nach der Meinung des ¦ Materialisten und des Dualisten aus dem wirklichen Dasein des Objekts folgt und geschlossen werden kann. Das Objekt gibt diesen keine Prädikate mehr, als jenem die Weltvorstellung. Es begründet also keine Schlußfolge, die jener nicht mit eben dem Rechte anerkennen und für wahr halten kann. Stellen Sie sich ein Zimmer vor, dessen Wände alle mit Spiegeln bekleidet sind, und eine Abbildung eines Gegenstandes, die in jedem Spiegel nach seiner Lage wiederholt wird. Lassen Sie diese Spiegel unter sich in Streit geraten, ob der Gegenstand, den sie vor-
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stellen, mitten im Zimmer sich wirklich befinde, oder ob der Künstler, der sie hervorgebracht, in einen jeden derselben nach seinem Standorte, auch die Abbildung hineingelegt habe. Wie werden sie diesen Streit unter sich entscheiden? Als Spiegel betrachtet können sie nichts, als Abbildungen des Gegenstandes, haben und je erlangen. Werden sie nicht aus ihrer Abbildung, wenn sie vernünftig denken können, eben die Schlußfolge zu ziehen im Stande sein, als aus dem voraus¦gesetzten wirklichen Dasein des Gegenstandes? Muß es ihnen nicht vielmehr vollkommen eben dasselbe sein, der Gegenstand, von dem sie weiter nichts wissen und erfahren können, mag im Zimmer vorhanden sein, oder nicht vorhanden sein?« Gut sprach ich, lassen Sie mich das Gleichnis nun fortsetzen. Wenn diese Spiegel anerkennen, daß sich in ihrer Abbildung Wahrheit und Perspektive finde, und daß die Wahrheit sich wiederhole und in allen eben dasselbe bleibe; das Perspektive hingegen jedem derselben eigentümlich sei; wird ihr fernerer Streit nicht eine bloße Wortzänkerei sein müssen? Wenn sie die Übereinstimmung in den Abbildungen zugeben; was berechtiget sie das Urbild, als den Grund der Übereinstimmung, zu leugnen? oder vielmehr, was können sie außer dieser Übereinstimmung der Wahrheit noch mehr fordern, wenn sie das Dasein des Urbildes anerkennen sollen? Hätte nur mein Freund die Axiomata anerkannt, die ich euch vor einigen Tagen zu überlegen gegeben; so würde ich noch weiter in ihn ge ¦ drungen sein. Ich würde gesagt haben: Wenn zugegeben wird, daß in dem Gemälde Wahrheit anzutreffen, die sich, das Perspek | tivische abgerechnet, in jedem Subjekte wiederholt, so ist es eine Folge ihrer Vorstellungskraft, und muß sich in dem allerhöchsten Wesen, wenn es ein solches gibt, in dem reinsten Lichte und ohne Zumischung des Perspektiven, darstellen. Ist aber dieses; so ist auch der Satz: es existiert ein solches Urbild objektiv wirklich, die reinste und unleugbarste Wahrheit.
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| ¦ XI. Epikurismus – Ungefähr – Zufall – Reihe von Ursachen und Wirkungen, ohne Ende – ohne Anfang – Fortgang ins Unendliche, vorwärts und rückwärts – Zeitloses, ohne Anfang, ohne Ende und ohne Fortgang Ein veränderliches, zufälliges Ding ist auf verschiedene Weise denkbar. Es kann mit der Veränderung und ohne dieselbe gedacht werden. Beide Sätze enthalten gleiche Wahrheit. Von demselben Subjekte können, den Gedanken nach, entgegenstehende Prädikate ausgesagt werden. A ist B, und A ist nicht B; beides kann wahr sein oder wahr werden, wiewohl nicht zu einer Zeit an eben dem Subjekte. Wenn aber jeder von diesen Sätzen gleichviel idealische Wahrheit enthält, wie können sie je zur Wirklichkeit gelangen? Was erteilet bald diesem, bald dem Gegensatze den Vorzug, und macht ihn zur wirklichen Wahrheit? Wie kann das auf mancherlei Art mögliche, auf eine bestimmte Art wirklich werden? ¦ Von Ungefähr, sagt die Schule Epikurs;51 durch bloßen Zufall. Wenn sie schon nicht alle einzelne Fragen so abfertiget; so kommen wir doch gar bald dahin, wo sie uns keine andere Befriedigung gibt. Wir müssen also untersuchen, ob diese Worte überall eine Antwort auf obige Frage enthalten. Da ich, wie Sie wissen, meinen ersten Unterricht in hebräischer Sprache genoß; so war ich gewohnt, jedes merkwürdige Wort, das ich in irgend einer andern Sprache las oder hörte, mir in Gedanken ins Hebräische zu übersetzen. Ich fand kein echtes altes Wort in dieser Sprache für Ungefähr oder Zufall. Was die Schriftsteller späterer Zeiten dafür zu setzen pflegen, bedeutet ursprünglich vielmehr eine Schickung, Fügung, Begegnis; was eine höhere Macht ohne unser Zutun uns zuschickt, begegnen läßt, also fast das Gegenteil von Zufall und Ungefähr. Nur in dem Mangel des Vorsatzes und der ursächlichen Einwirkung von Seiten des Menschen kommen Fügung und Zufall überein, und dieses scheinet die Übersetzer aus dem Ara¦bischen, die griechische Begriffe in hebräische Wörter einzukleiden hatten, bewogen zu haben, ein Wort zu wählen, das der Bedeu | tung nach
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mit jenem einige Ähnlichkeit hat. Im Grunde sollen diese Worte Zufall und Ungefähr, nicht nur allen menschlichen Einfluß, sondern schlechterdings allen Vorsatz, und alle ursachliche Einwirkung verneinen. Und so scheinen sich auch im Deutschen die gleichbedeutenden Wörter unterscheiden zu lassen. Ungefähr gehet mehr auf den Mangel des Vorsatzes; so wie Zufall mehr auf die Abwesenheit der wirkenden Ursache zu gehen scheinet. Ein Ziel, das unvorsätzlich erreicht wird, ist ein bloßes Ungefähr, und von Begebenheiten, die auf oder neben einander folgen, ohne daß eine die andre unmittelbar hervorgebracht, sagt man, ihr Zusammentreffen sei ein bloßer Zufall. Wenn ein Kind im Schachspiele einen Stein versetzt, und eben dadurch einen glücklichen Zug tut; so war dieses ein bloßes Ungefähr. Daß aber aus diesem Kinde nachher ein guter Schachspieler geworden, kann ein Zufall gewesen sein, ohne daß jener Um¦stand etwas dazu beigetragen hat. Wenn ich ausgehe, ohne den Vorsatz, meinen Freund aufzusuchen, und ihm auf dem Wege begegne; so ist dieses von Ungefähr. Trifft es aber gerade zu einer Zeit, da er meines Trostes, oder meines Beistandes bedarf; so ist dieses zugleich ein glücklicher Zufall. Durch den Gebrauch dieser Wörter wollen wir im Grunde nichts weniger, als die Notwendigkeit der Ursachen leugnen. Durch das Ungefähr wollen wir bloß den Einfluß der Endursachen auf das handelnde Wesen, und durch Zufall einzig und allein die unmittelbare Einwirkung der Begebenheiten auf einander aufheben, ohne in Abrede zu sein, daß diese Begebenheiten, jede von ihrer Reihe von Ursachen abhängen. Ja, das Zusammentreffen der Begebenheiten selbst wird nur bei Geschichtswahrheiten, Zeitungen, wie wir sie genennt haben, dem Zufalle zugeschrieben. Dinge, die sich nur ein einziges Mal in der Geschichte zugetragen, und vielleicht nie, wenigstens unter denselben Umständen nie, wiederkommen dürften, können sich zusammenfügen, ohne von ¦ einander unmittelbar hervorgebracht, oder auch nur veranlaßt zu sein. Sobald sie aber öfter vorkommen, und allezeit in derselben Verbindung und Zusammenfügung; so vermutet der gesunde Menschenverstand schon ursachlichen Ein-
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fluß, und erwartet vom Ähnlichen Ähnliches. In meiner zweiten Vorlesung habe ich die Vernunftgründe auseinander gesetzt, die uns zu dieser Vermutung berechtigen, und gezeigt, daß selbst der tierische Sinn zu einer Erwartung gestimmt ist, die | mit der menschlichen Vermutung einerlei Grund hat. Auch haben die Alten, so viel ich weiß, sich selten verleiten lassen, dem Menschenverstande so sehr zu widersprechen und alle Kausalität zu leugnen, oder in Zweifel zu ziehen. Epikur nahm vielmehr selbst die Notwendigkeit der materiellen Ursache an, und hielt daher die Atomen für ewig. Auch wirkende oder erzeugende Ursachen gab er zu, und schrieb daher den Atomen eine Bewegung zu, wodurch alle Dinge der Natur erzeugt werden. Bloß die Absichten in dem großen Weltall, oder den Einfluß der Endursachen glaubte er leugnen zu können. Alles ¦ das Schöne, Große und Erhabene, das die Natur hervorbringt, schrieb er dem Zufalle zu. Der Zufall rüttelte den großen Becher mit Atomen durch einander, und warf ihn blindlings hin, und so sind denn die Dinge entstanden, die wir so sehr anstaunen. Wenn sie zu Endzwecken übereinstimmen, so ist dieses von Ungefähr. Die Ente, sagten die Epikurer, hat nicht Schwimmfüße bekommen, um schwimmen zu können; sondern sie schwimmt, weil ihr der Zufall solche Füße gegeben hat. Und so wird denn auch wohl der Magen nicht so eingerichtet sein, damit er die Speisen verdaue, sondern verdauen, weil er von ungefähr ein Magen geworden ist; und wie übrigens, nach dieser schönen Theorie, die Lehre vom Nutzen der Teile im tierischen Leibe lauten mag, die nach dem gewöhnlichen Vortrage unserm pöbelhaften Menschensinn so wohl behagt. La Mettrie52 sagt: die Natur mache ihre Sachen niemals so gut, als wenn sie am wenigsten daran denke; wie jener Maler, der aus Verdruß, daß ihm der Schaum am Gebisse eines Streitrosses nicht gelingen wollte, den Pinsel wider die Leine¦wand warf, und eben dadurch den Gegenstand glücklich hervorbrachte, den er nachahmen wollte. So ungereimt euch dieses Geschwätze auch klingen mag, meine Lieben! so müßt ihr wissen, daß La Mettrie sich auf diesen Einfall so viel zu gute tat, daß er ihn in allen seinen Schriften wiederholet, und daß die Schriften dieses Mannes
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zu ihrer Zeit Aufsehen gemacht und Beifall gefunden haben. Indessen lasse ich mich vorjetzt auf die Lehre von den Absichten noch nicht ein. Ich werde in der Folge auf dieselbe zurückkommen, und wende mich vorjetzt wieder zu den hervorbringenden Ursachen. Es wird zugestanden, daß jede Begebenheit in dem Weltall ihre Ursachen habe, die sie zur Wirklichkeit bringen, und wenn gefraget wird: Wie von entgegenstehenden Bestimmungen eines veränderli | chen Wesens jetzt vielmehr diese zur Wirklichkeit gekommen? so wird auch Epikur antworten: Durch die nächst vorhergegangenen wirkenden Ursachen. Diese Ursachen sind, als veränderliche Dinge, nicht weniger auf verschiedene Weise bestimmbar, und haben abermals ¦ den Grund ihrer Bestimmtheit in ihren wirkenden Ursachen, und so weiter rückwärts ohne Grenze. Wenigstens sehen wir keine Schranken, wo wir stehen bleiben könnten; so lange noch von veränderlichen, auf mehr als eine Weise denkbaren Dingen die Rede ist. Auch vorwärts; jede Begebenheit hat ihre Wirkung, und wie nichts völlig fruchtlos sein kann, so wird auch die Wirkung nicht ohne alle Wirkung sein. Nun entstehet die Frage: Kann diese unendliche Reihe von Ursachen und Wirkungen, ohne Abhängigkeit von einem notwendigen und veränderlichen Wesen, für sich bestehen oder nicht? Erhält sich diese Kette ohne Anfang und Ende durch ihre Unendlichkeit von selbst, oder muß sie irgendwo am Throne der Allmacht befestigt sein, um durch diese Verbindung mit dem notwendigen Wesen in Wirklichkeit kommen und erhalten werden zu können? Verschiedene Weltweisen53 glaubten dartun zu können, daß eine Reihe ohne Anfang zwar denkbar sei, aber nicht habe zur Wirklichkeit kommen können. Sie bedienten sich folgender Gründe. ¦ Von der Reihe ohne Ende, sprachen sie, ist es offenbar, daß sie niemals wirklich werden könne; denn eben hierin bestehet ihre Endlosigkeit, daß sie niemals wird vollendet sein, daß sie sich immer noch muß verlängern lassen. Ihre Endlosigkeit kann also niemals wirklich werden, oder geworden sein. Es bleibt immer noch im Vermögen, etwas hinzuzusetzen, und also ist das Wirk-
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liche niemals endlos. Eben also, schlossen sie, sei die Anfanglosigkeit ein bloßer Gedanke, der aber nicht hat zur Wirklichkeit kommen können. Weil wir uns die Reihe der Ursachen rückwärts, wie eine Länge vorstellen, die wir nach Belieben in Gedanken verlängern können; so sagen wir, sie sei ohne Anfang. Im Grunde aber kann dieser Gedanke nie ausgeführt werden, kann das Anfangslose,a so wenig als das Endlose zur Wirklichkeit kommen. Beides, sowohl das Anfangsloseb als das Endlose, erfordern eine Ewigkeit zu ihrem wirklichen Dasein, und eine Ewigkeit kann nie vergangen sein. Wir müssen daher einen solchen Anfang der Dinge zugeben, der weiter keines Anfangs bedarf; also ein not ¦ wendiges Wesen, dessen Dasein nicht | von wirkenden Ursachen abhängt, dessen Dauer aber keine Zeitfolge ohne Anfang, sondern vielmehr eine Zeitlosigkeit, eine unwandelbare Ewigkeit ist, die ihrem Wesen nach weder Anfang, noch Fortgang, noch Ende haben kann. Nur die zufälligen Begebenheiten der Welt erkennen eine vergangene und eine künftige Zeit. Das notwendige Wesen hat, wie alle notwendige Wahrheiten der Geometrie, keine vergangene und keine zukünftige Zeit. Man kann nicht sagen: sie waren oder werden sein, sondern: sie sind. Was wir also von dem Anfanglosen behauptet haben, läßt sich auf das Zeitlose nicht anwenden. Jenes muß irgendwo stille stehen; dieses aber erkennet schlechterdings keinen Fortgang. Eine veränderliche Substanz ist nicht alles, was sich von ihr denken läßt, zugleich; ihr Dasein gleichet einer Linie, die dem Raum sowohl, als der Zeit nach, immer einen Zuwachs leidet. Die unveränderliche notwendige Substanz ist alles das zugleich, was von ihr denkbar ist, und ihr Dasein erkennet weder Zuwachs, noch Abnahme. Sie ¦ ist und bleibt unveränderlich immer dasselbe Ding. – – So bündig diese Gründe auch scheinen; so wollen sich doch so manche Philosophen54 damit nicht beruhigen, und zwar aus verschiedenen Ursachen. Erstlich will ihnen die Analogie zwischen Anfang und Ende nicht völlig einleuchten. Wenn schon zu keiner bestimmten Zeit a JubA: Anfanglose.
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b JubA: Anfanglose.
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der Zukunft eine Ewigkeit wird vollendet sein können, so folgt noch nicht die Notwendigkeit des Anfanges, wenn man nicht für die Langeweile annehmen will, daß das Vergangene sich in einen Zeitraum einschließen lasse. Man scheinet also das vorauszusetzen, was erst untersucht werden soll. Die Frage war, ob eine Reihe ohne Anfang wirklich sein könne? und in der Antwort nimmt man als zugegeben an, daß nichts Anfangsloses vergangen sein könne. Zweitens verwickelt uns diese Beweisesart in die schwierige Untersuchung vom Unendlichen in Zeit und Raum; in wie weit die Idee des Unendlichen, sowohl in Absicht auf die Teilbarkeit, ¦ als auf die Ausdehnung der Zeit und des Raums Statt habe, oder nicht; Untersuchungen, die ihrer Subtilität halber schwer zu erörtern sind, und es ist nicht dienlich, die Überzeugung vom Dasein Gottes auf einem so lockern Grunde zu bauen. Endlich will ihnen auch der Unterschied zwischen dem Unendlichen der Kraft nach, und dem Unendlichen der Dauer nach, nicht völlig | einleuchten. Soll das Unendliche der Kraft nach, oder das notwendige Wesen, sprechen sie, zu allen Zeiten wirklich vorhanden sein können; so siehet man nicht ein, warum nicht auch das Veränderliche der Dauer und Ausdehnung nach unendlich sein könne? Läßt sich alles Zufällige, sowohl rückwärts als vorwärts in eine unendliche Reihe von Ursachen und Wirkungen auflösen; so siehet man keinen Grund, warum es nicht durch die Wirklichkeit in eine solche soll aufgelöset worden sein? Wenn wir einen allerhöchsten Verstand zugeben; so müssen in demselben alle auflösbare Begriffe wirklich aufgelöset sein. Jeder Begriff des Zufälligen also führet in demselben eine An ¦ fangsund Endlose Reihe von Ursachen und Wirkungen mit sich, in welche derselbe seiner Natur nach aufgelöst und entwickelt werden muß. Wir begreifen also nicht völlig, warum dasjenige, was Gott von den zufälligen Dingen sich denkt, nicht auch ohne Gott hat wirklich werden können. Wenigstens, sprechen sie, fehlt dieser Beweisesart die überzeugende Augenscheinlichkeit, die wir dem Beweise vom Dasein Gottes geben zu können wünschen. Sie haben sich also bemühet, den Beweis auszuführen, ohne sich in
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die Untersuchung einzulassen: ob eine Reihe ohne Anfang wirklich sein könne oder nicht? vielmehr überhaupt darzutun, daß auch eine Reihe ohne Anfang nicht anders, als durch ihre Abhängigkeit von einem notwendigen Wesen wirklich sein könne. Hiervon in der nächsten Vorlesung.
| ¦ XII. Zureichender Grund des Zufälligen im Notwendigen – Jenes ist irgendwo und irgendwann; dieses allenthalben und immerdar – Jenes nur in Beziehung auf Raum und Zeit; dieses schlechterdings das Beste und Vollkommenste – Alles, was ist, ist das Beste – Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur Wirklichkeit Ohne die Unmöglichkeit einer anfangslosen Reihe vorauszusetzen, sagte ich zum Beschlusse meiner gestrigen Vorlesung, haben einige Weltweisen vom Dasein des Zufälligen und Veränderlichen auf das Dasein des Notwendigen, Unveränderlichen geschlossen, und dieses gehet gar füglich an. Vermöge des sechsten Grundsatzes, den wir in unsrer Vorerkenntnis vorausgeschickt, kann von einem Subjekte A nicht anders mit Grunde der Wahrheit das wirkliche Dasein ausgesagt werden, als in so weit es mit diesem Prädikate in Verbindung stehet, entweder weil es nicht ohne wirkliches objektives Dasein gedacht werden kann, oder weil es unter gewissen Umständen das Beste geworden, und daher so und nicht anders hat gebilliget werden müssen. Die Leibnizianer55 ¦ nennen dieses den Satz des zureichenden Grundes, und sagen daher, alles was wirklich ist, muß einen zureichenden Grund haben, d. h. es muß sich begreiflich machen und vernünftig erklären lassen, warum es überall zur Wirklichkeit gekommen, und warum es vielmehr so, als auf eine andere Weise wirklich geworden ist. Nun finden wir bei einem zufälligen Wesen diesen Grund nicht in ihm selbst; denn aus seiner Denkbarkeit läßt sich sein Dasein nicht begreiflich machen; wir finden ihn aber eben so wenig in den nächsten Ursachen desselben, wenn
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diese selbst zufällig sind, und ihr eigenes Dasein nicht begründen können. Denn so lange dieses ist, geben sie keinen befriedigenden Grund, keinen begreiflichen Aufschluß von der Wahrheit seines Daseins, und das Gegenteil hört nicht auf, denkbar zu sein. Hat aber dieses in Ansehung der nächsten Ursachen seine Richtigkeit, so | wird es in Absicht der entfernten Ursachen eben so wenig geleugnet werden können, und wir mögen die Leiter der Dinge hinaufsteigen, so hoch wir wollen, wir sind dem völlig zureichenden und vernünftig erklären¦den Grunde nicht um eine Sprosse näher gekommen. Ist aber dieses; so wird eine unermeßliche, eine anfangslose Kette von Ursachen diesen Grund eben so wenig enthalten können. Die Frage wird bloß verschoben, nicht aufgelöset. Sie kommt immer in derselben Stärke und in demselben Umfange wieder zum Vorschein. Eine unendliche Kette zufälliger Dinge kann also den Satz nicht zur bestimmten Wahrheit machen, auf welchema das Dasein irgend eines zufälligen Dinges beruhet. D. h. Eine ins unendliche zurückgehende Reihe zufälliger Ursachen kann den völlig zureichenden Grund nicht enthalten, warum ein zufälliges Ding vielmehr ist, als nicht ist; vielmehr so, als anders vorhanden ist. Da also zufällige Wesen wirklich vorhanden sind; so muß es auch ein notwendiges Wesen geben, das den Grund aller zufälligen Dinge in sich enthält, das aber selbst den Grund seines Daseins nicht wieder außer sich, sondern in sich selbst, in seinem eigenen Wesen, in seiner innern Möglichkeit hat. Diese Sätze werden in den gemeinen Lehrbüchern56 ausgeführet. Lasset uns versuchen, sie auf unsere ¦ Weise, und mit Rücksicht auf unsere vorausgesetzte Grundsätze, ins Licht zu setzen. Das Dasein zufälliger Dinge folgt nicht aus ihrer innern Möglichkeit; sie sind nicht wirklich, weil sie gedacht werden können; denn sonst wären sie schlechterdings notwendig. Es folgt aber auch nicht, auf eine zureichende Weise, aus ihren nächsten oder entfernten hervorbringenden Ursachen, und eben so wenig aus a Erste Auflage und JubA: welchen. In der zweiten Auflage wie hier geän-
dert.
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einer anfangslosen Reihe von wirkenden Ursachen; so lange diese Ursachen selbst zufällig sind, und das Gegenteil nicht ausschließen. Wenn also zufällige Dinge wirklich sein, so und nicht anders wirklich sein sollen; so muß der Wahrheitsgrund ihres Daseins in ihrer Abhängigkeit von einer schlechterdings notwendigen Ursache zu suchen sein, wodurch das Gegenteil oder ihre Nichtexistenz ausgeschlossen wird. Nun kann dieses Gegenteil nicht zufolge des Erkenntnisvermögens des notwendigen Wesens ausgeschlossen werden; d. h. das zufällige Wesen ist nicht deswegen vorhanden, weil seine Abhängigkeit von einem notwendigen Wesen das Gegenteil undenkbar macht; denn so würde es ja ¦ selbst notwendig und unveränderlich sein müssen. Was aus einer notwendigen | Wahrheit auf eine notwendige Weise folgt, muß selbst notwendig sein. In der Eigenschaft eines zufälligen Wesens, ein Gegenstand der Erkenntnis zu sein, kann also der Grund seines Daseins oder seine Abhängigkeit vom Notwendigen nicht gefunden werden. Wenn dieses wäre, so würde es selbst nicht bloß irgendwo und irgendwann zur Wirklichkeit kommen, sondern allezeit unveränderlich dasselbe bleiben müssen; denn als Gegenstand der Erkenntnis ist es unveränderlich und ewig. Vielmehr wird also seine Abhängigkeit vom notwendigen Wesen darin zu suchen sein, daß es ein Gegenstand des Billigungsvermögens geworden. Vermöge seiner innern Güte und Vollkommenheit muß es unter gewissen Umständen irgendwo und irgendwann das Beste geworden, und als ein solches von der notwendigen Ursache gebilliget und hervorgebracht worden sein. Nur in dieser Beziehung läßt sich von seiner Veränderlichkeit vernünftiger Grund angeben; läßt sich begreiflich machen, warum es jetzt ¦ so, jetzt anders zur Wirklichkeit kommt. Es kömmt zum Vorscheine, sobald es in der Reihe der Dinge so und nicht anders das Beste geworden. In der Billigung und in der freien Wahl des notwendigen Wesens liegt also der einzige wahre Grund der Abhängigkeit eines zufälligen Dinges von demselben. Nur durch diese Billigung wird das Dasein eines zufälligen Wesens irgendwo und irgendwann, zur ausgemachten Wahrheit, wird das Gegenteil oder
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das Nichtsein desselben für jetzt undenkbar, und also zur Unwahrheit. Aber dieses notwendige Wesen selbst, wo wird der Grund seines Daseins anzutreffen sein? Wir haben gesagt, in seinem innern Wesen, in seiner innern Möglichkeit; d. h. es ist vorhanden, weil es denkbar ist; sein Nichtsein kann nicht gedacht werden und ist also eine Unwahrheit. Wenn wir diesen Begriff gehörig entwickeln; so kommen wir auf die Beweisesart a priori, nach welcher das Dasein eines notwendigen Wesens aus der bloßen Denkbarkeit desselben geschlossen wird. Die Ausführung dieses Satzes verspare ich mir ¦ auf eine der künftigen Vorlesungen, und begnüge mich vor der Hand, aus dem unleugbaren Dasein zufälliger veränderlicher Dinge, ihre Abhängigkeit von einer notwendigen Ursache und zwar von der freien Wahl dieser freien Ursache dargetan zu haben. Denn alles, was von einer wirkenden Ursache, Kraft seiner Billigung, hervorgebracht wird, ist eine Wirkung seiner Willkür, und | wenn diese Willkür aus Einsicht und vernünftigen Gründen auf das Beste trifft, so wird sie eine freie Wahl genennet. Ich lasse mich den Einwurf57 nicht irren, daß auf solche Weise das Freiwillige selbst zur Notwendigkeit gemacht wird, indem das Gegenteil unter der Bedingung, daß jenes das Beste ist, auf diese Weise unmöglich sein muß. Ich weiß wohl, daß sich manche Weltweise durch diesen Einwurf haben bewegen lassen, in der freien Wahl selbst eine Unbestimmtheit zuzugeben und den Ausschlag nicht von dem Bewegungsgrunde, sondern gleichsam von einem Ungefähr, abhängen zu lassen; allein ich erkläre mich ausdrücklich: daß ich weder für den Menschen, noch für die Gottheit selbst ¦ eine andre Freiheit anerkenne, als die von der Erkenntnis und Wahl des Besten abhängt. Das Vermögen, dieses Beste einzusehen, zu billigen und zu wählen, ist wahre Freiheit, und ein Vermögen, dieser Erkenntnis, Billigung und Wahl zuwider zu handeln, ist nach meinen Begriffen, ein wahres Unding. Will jemand diese Bestimmtheit der freien Wahla Notwendigkeit, Zwang oder Fatalität nennen, a Erste Auflage und JubA: Nach »Wahl« folgt ein Komma.
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so sei ihm dieses vergönnt; in so fern er dadurch den Unterschied nicht aufzuheben gedenkt, der in der Sache liegt. Umfasset mit den vielschichtigen Wörtern, Notwendigkeit, Zwang, Können und Nichtkönnen, so vielerlei Begriffe ihr wollet; genug für mich, es gibt eine zweifache Notwendigkeit; die eine beruhet auf Wahrheit und Unwahrheit, die andre auf Güte und Vollkommenheit. Jene wird die blinde, diese die sittliche Notwendigkeit genannt. Jene setzt weder Kenntnis des Besten, noch Billigung und Wahl desselben, weder Absicht noch Selbstentschließung zum voraus; bei dieser hingegen werden die Endursachen mit zu hervorbringenden wirkenden Ursachen, ¦ und die Handlung erfolget bloß, weil sie der Billigung und der Absicht gemäß ist, die uns dazu angetrieben, oder wenn ihr wollet, gezwungen haben. Einen Zwang oder Notwendigkeit von dieser Art gebe ich auch in Absicht auf Gott zu, und ich muß mir es gefallen lassen, wenn man mich dieserhalb einen Fatalisten nennen will. – Ich kehre zur vorliegenden Untersuchung zurück. Wie weit sind wir gekommen? Wir hatten herausgebracht, daß ein notwendiges unveränderliches Wesen vorhanden sein müsse, welches dieses veränderliche Weltall und unser veränderliches Selbst aus freier Wahl des Besten zur Wirklichkeit gebracht hat. | Wahl des Besten setzt Kenntnis desselben zum Voraus; also besitzt dieses Wesen auch Erkenntniskraft. Eben so gewiß ist es, daß dieses notwendige Wesen auch Billigungsvermögen, Begierde und Abscheu, Vernunft und Willen besitzen muß, denn völlig ohne diese Eigenschaften läßt sich weder Wahl, noch Hervorbringung des Besten denken. Daß aber dem notwendigen Wesen jede Eigenschaft, die es besitzt, im höch ¦ sten Grade und ohne alle Schranken zukommen müsse, ist in unzähligen Lehrbüchern58 ausgeführt worden, und noch hat Niemand etwas erhebliches dawider zu erinnern gefunden. Sonach hätten wir erwiesen, daß das notwendige Wesen auch alle Eigenschaften des Verstandes und des Willens in ihrer höchsten Vollkommenheit besitzen müsse? – Der Schritt scheint zu rasch. – Lasset uns einen Überblick auf die Gründe werfen, die uns hieher geführet
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haben, um zu sehen: ob nicht der Weg besser geebnet werden könne! Wenn der sinnlich evidente Satz: Eine Sinnenwelt ist wirklich vorhanden, oder (welches noch weniger leugbar ist) der Satz: Ich selbst bin wirklich vorhanden, objektive Wahrheit sein muß; so werde ich, als Subjekt dieses Satzes, mit dem Dasein, als Prädikate desselben, in Verbindung stehen, und so wie ich bin, mit allen meinen Individualbestimmungen, ohne dieses Prädikat, nicht gedacht werden können; denn jede Wahrheit muß durch das Positive der Denkungskraft zu erkennen sein. Nun ¦ kann dieser Verbindungsgrund in dem Materialen des Begriffs nicht anzutreffen sein. Wäre dieses; so würde ich vorhanden sein, weil ich denkbar bin. Ich würde also unveränderlich bleiben müssen. Nun ist das subjektive Bewußtsein von meiner Veränderlichkeit über allen Zweifel hinweg, und es ist eben so unleugbar, daß ein Wesen, welches sich seiner Veränderung bewußt ist, auch in der Tat veränderlich sein muß. Ein unmittelbares Bewußtsein belehrt mich, daß ich vorhin anders gewesen, als ich jetzt bin: da aber die Zeitfolge in der Denkbarkeit des Begriffs nichts vermindert; so kann das Gegenteil von dem, was ich vorher gewesen, noch jetzt nicht aufgehöret haben, denkbar zu sein. Der Wahrheitsgrund des obigen Satzes wird also nicht in dem Materialen des Erkenntnisses, sondern in dem Formalen desselben; nicht in der Denkbarkeit des Subjekts, sondern in seiner Güte und Vollkommenheit zu suchen sein. Er liegt aber ferner nicht in meiner absoluten Vollkommenheit; denn ich besitze sie nicht ohne | Schranken, welches abermals durch mein subjektives Bewußtsein von ¦ der höchsten Evidenz ist. Wenn also ein Wahrheitsgrund des Satzes zu finden ist, so muß er in der relativen Vollkommenheit anzutreffen sein; in der Beschaffenheit, vermöge welcher ich unter gewissen Umständen, in einer gewissen Reihe von Dingen, jetzt und hier, so und nicht anders, habe das Beste werden können. So und nicht anders läßt sich von unsrer Veränderung vernünftiger Grund angeben; so und nicht anders läßt sich begreifen, wie ein zufälliger Satz, der gestern nicht wahr gewesen, heute zur Wahrheit werden kann. Unter jeder Bedingung der Zeit und
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des Raums erlanget irgendwo und irgendwann etwas anders die Qualität des Besten, und eben dadurch den Wahrheitsgrund seines Daseins. Nun kann diese relative Güte eines zufälligen Wesens auf keine andere Weise seinen Wirklichkeitsgrund enthalten, als in so weit es dadurch einer freien Ursache zur Absicht dienen, und sonach von derselben gebilliget werden kann. Der Grund meines Daseins muß also in einer freien Ursache zu suchen sein, die mich jetzt und hier, als zu der Reihe des Besten gehörig, er ¦ kannt und gebilliget hat, und dadurch bewogen worden ist, mich zur Wirklichkeit zu bringen. Diese freie Ursache kann selbst nicht zufällig sein; sonst wären wir der Begreiflichkeit des Satzes nicht um einen Schritt näher gekommen; der Wahrheitsgrund würde noch immer von neuem zu suchen sein, der den Begriff des zufälligen Wesens mit der Existenz verbindet. Wir müssen also am Ende auf ein notwendiges Wesen zurückkommen, bei welchem dieser Wahrheitsgrund in der Denkbarkeit des Subjekts selbst lieget, zu einem Wesen, dessen objektives Dasein von seiner Denkbarkeit nicht zu trennen ist; welches vorhanden ist, weil es gedacht werden kann. Wenn die Beschaffenheit eines Dinges, als relativ gut, den Grund seiner Wirklichkeit enthalten soll; so muß es absichtlich gewählt worden sein. Die notwendige Ursache wird also das Zufällige, das von ihm sein Dasein hat, erkannt und absichtlich gewählt haben müssen. Da nun das notwendige Wesen alles, was es ist, im höchsten Grade der Vollkommenheit sein muß; ¦ so wird die Erkenntnis der notwendigen Ursache die allervollkommenste, und ihre Wahl die freiwilligste sein müssen. Sie wird also von je her alle Veränderungen der Zeit und des Orts, und so auch alle Bestimmungen und Merkmale, durch welche ein zufälliges Ding zu seiner Zeit und an | seinem Orte das Beste ist, auf das deutlichste und vollkommenste gedacht, und mit dem Grade der Wirksamkeit und Bestrebung, der ihnen angemessen ist, gebilliget haben. Nun gehet das Bestreben des Billigungsvermögens, wie wir in der siebenten Vorlesung gesehen, von dem Subjekte aus, hat sein Ziel in dem Objekte der Erkenntnis, und suchet dasselbe mit den gebilligten Begriffen des Subjekts in Gleichstim-
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mung zu bringen. Die notwendige Ursache wird also, vermöge ihres höchstvollkommenen Billigungsvermögens, alles Zufällige nach Maßgabe seiner Beschaffenheit und Fähigkeit irgendwo und irgendwann das Beste zu sein, auch alsda und alsdann zur Wirklichkeit kommen lassen: und da der Lauf der Zeit und die Ordnung des Raums veränderlich sind; so müssen es auch die Dinge ¦ sein, die bloß vermöge ihrer Beschaffenheit das Beste zu werden, zum Vorscheine kommen. Alles, was ist, ist das Beste. 1) Schlechterdings das Beste, oder das Allervollkommenste in der Einfachheit: der Inbegriff aller Realitäten, das selbständige Wesen (Ens a se) 2) Das Beste, secundum quid,59 das Vollkommenste in der Vereinigung, in der Verbindung vieler, deren jedes, einzeln betrachtet, eingeschränkt und unvollkommen ist, durch Verbindung und Beitrag zum vollkommensten Ganzen aber irgendwo und irgendwann, als ein Teil des Ganzen, das Beste wird; die Welt samt allen ihren Veränderungen in Zeit und Raume. Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur Wirklichkeit. 1) Das absolute Beste. Gott denkt sich selber mit der lebendigsten Erkenntnis, mit der allerhöchsten Selbstbilligung. Seine allerhöchste Kraft bringt unaufhörlich in ihm selbst alle Prädikate hervor, die in einem Subjekte sich vereinigen lassen, und diese sind so notwendig, als seine Denkbarkeit. 2) Das ¦ Beste secundum quid, oder das hypothetische. Gott denkt seine Eigenschaften mit den unendlich mannigfaltigen Einschränkungen, mit welchen sie denkbar sind. D. h. er denkt alle mögliche Abstufungen seiner Vollkommenheiten mit dem einer jeden angemessenen Grade von Billigung und Wohlgefallen. Er denkt sich alle mögliche Verbindungen dieser eingeschränkten Vollkommenheiten; nicht in Einem Subjekte; denn sie sind unvereinbar; aber er denkt sie sich in Verbindung vieler. Unter diesen möglichen Verbindungen vieler eingeschränkter Wesen, wird Eine im Ganzen, Vergleichungsweise, | die beste sein; so wie jedes Einzelne in derselben an seinem Orte und zu seiner Zeit das Beste sein muß. Gott denkt sich diese vollkommenste Verbindung, und alle in derselben vorkommenden nach
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Zeit und Ordnung eingeschränkten Dinge, in so weit sie das Beste sind, mit dem höchsten Grade der Billigung. Billigungskraft hat zum Ziele die Hervorbringung des Gegenstandes, das Bestreben den Gegenstand der Vorstellung nach Maßgebung des Ideals zur Wirklichkeit zu bringen. ¦ Die Kraft des selbständigen Wesens wird also diese eingeschränkte Grade seiner Vollkommenheit und ihre bestmögliche Verbindung hervorbringen; nicht in sich, denn sie sind mit seinen Eigenschaften nicht vereinbar, sondern außer sich, als für sich bestehende eingeschränkte Substanzen, jede mit der Veränderung in Ort und Raume, mit welcher sie in Beziehung auf das Ganze das Beste sind. Gott ist Schöpfer und Erhalter des besten Weltalls. Man siehet hier den Übergang von dem Verstande Gottes auf seine Eigenschaft als Schöpfer und Erhalter der Dinge außer ihm. Vorstellung, mit Billigung oder Teilnehmung verbunden, ist lebendige Erkenntnis, und lebendige Erkenntnis im höchsten Grade ist Anregung zur Tätigkeit, Bestreben zum Hervorbringen, zum Kraftäußern. Auch haben einige Weltweise60 sich die Mühe gegeben, auf diesem Wege das sonderbare Vorgeben der Egoisten auf eine demonstrative Weise zu widerlegen. Schon der gesunde Menschenverstand ¦ verwirft dieses Vorgeben als eine unstatthafte Grille; allein es hat, wie wir gesehen, seinen Nutzen, wenn man den Ausspruch des gesunden Menschenverstandes durch Vernunftgründe wissenschaftlich zu machen sucht. Wenn alles, was Gott sich als das Beste denkt, auch zur Wirklichkeit kommt, und zu dem Weltall, das der Egoist sich vorstellet, außer ihm, noch mehrere Substanzen gehören, die als Teile zum vollkommensten Ganzen übereinstimmen; so müssen auch außer ihm mehrere Substanzen zur Wirklichkeit kommen, und von Gott hervorgebracht worden sein. Als einzelne Substanz kann der Egoist sich nicht einbilden, ein Gegenstand der göttlichen Billigung, des göttlichen Wohlgefallens zu sein; denn er ist sich seiner Schwäche und seiner Mängel bewußt: Also nur in Verbindung mit dem Ganzen kann sein Dasein irgendwo und irgendwann das Beste geworden und von Gott gebilliget worden sein. Mithin muß die-
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ses Ganze, samt allen Substanzen, die dazu gehören, eben so wohl, | als sein Ich, die Wirklichkeit erlanget haben. ¦ Ja man hat gesucht,61 auch die Idealisten auf diese Weise wissenschaftlich von dem Ungrunde ihrer Meinung zu überführen. Diejenige Verbindung der Dinge, in welcher die Materie, als Gegenstand der Vorstellung wirklich vorhanden ist, muß notwendig vollkommner sein, als eine solche, in welcher die sinnlichen Beschaffenheiten äußerlich keinen Gegenstand haben. In jener ist bloß Harmonie in den Vorstellungen denkender Wesen, in so weit sie Abbildungen sind und Wahrheit enthalten; in dieser hingegen stimmen die Vorstellungen denkender Wesen nicht nur unter sich, sondern auch mit dem außer ihnen wirklich befindlichen Objekte zusammen, welches zu ihren bildlichen Vorstellungen das Vorbild ist. In jener stimmt nur Abbildung mit Abbildung, in dieser hingegen auch Abbild mit Urbild zusammen. Größre Übereinstimmung ist größere Vollkommenheit; also wird eine Welt, in welcher außer den Geistern auch Materie anzutreffen ist, vollkommener sein, als eine solche, die bloß aus Geistern bestehet. Da nun Gott nur das Vollkommenste zur Wirklichkeit bringet; so wird die ¦ Welt, die er erschaffen hat, nicht bloß idealisch sein, sondern auch wirkliche Materie enthalten, so wie es die größte Harmonie erfordert. Ihr sehet aber von selbst ein, daß durch diese Gründe bloß das Dasein eines Objekts der materiellen Vorstellungen geschlossen werden kann; in wie weit sich aber bei der Darstellung materieller Beschaffenheiten das Subjektive unserer sinnlichen Erkenntnis mit einmischt und solche in Erscheinungen verwandelt, bleibt hierdurch unentschieden. In der sinnlichen Erkenntnis liegt unstreitig Wahrheit. Aber diese Wahrheit ist bei uns mit Scheine, das Urbildliche ist mit dem Perspektiven verbunden und kann durch unsre Sinne nicht von demselben getrennt werden.
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| ¦ XIII. Spinozismus – Pantheismus – Alles ist Eins und Eins ist Alles – Widerlegung Die Spinozisten62 behaupten: Wir selbst und die sinnliche Welt außer uns, seien nichts für sich Bestehendes; sondern bloße Modifikationen der unendlichen Substanz. Kein Gedanke des Unendlichen könne außer ihm und abgesondert von seinem Wesen zur Wirklichkeit gelangen; denn es gebe nur eine einzige Substanz von unendlicher Denkungskraft und unendlicher Ausdehnung. Gott, sagt der Spinozist, ist die einzige notwendige und auch nur die einzige mögliche Substanz, alles Übrige lebt, webt und ist nicht außer Gott; sondern Modifikation des göttlichen Wesens. Eins ist Alles und Alles ist Eins. So sonderbar diese Meinung auch klingt und so sehr sie von der gemeinen Bahn des gesunden Menschenverstandes abweicht; so hat sie doch von jeher denkende Köpfe zu Anhängern und Freunden gehabt. Ja, Schwärmer und Atheisten haben sich vereinigt, sie anzunehmen; weil sie in der Tat diese entgegengesetzten Irrtümer zu ver ¦ binden scheint. Daß sie an Atheismus streifet, scheinet dem ersten Blicke nach in die Augen zu fallen. Allein Wachter63 hat in einem besondern Traktat* angezeigt, daß sie in der kabbalischen Schwärmerei ihren Ursprung habe, und ganz auf dieselbe gebauet sei. Lasset uns indessen nicht auf die Folgesätze sehen, die dieser Schule zur Last geleget werden, sondern auf die Gründe, auf welche sie sich stützet. Wir schweben hier in einer Region von Ideen, die von der unmittelbaren Erkenntnis zu weit entfernt ist; in welcher wir unsere Gedanken bloß durch den Schattenriß der Worte zu erkennen geben; ja bloß durch Hilfe dieser Schattenrisse selbst wieder zu erkennen im Stande sind. Wie leicht ist hier der Irrtum! Wie groß die Gefahr, den Schatten für die Sache zu halten! Sie wissen, wie sehr ich geneigt bin, alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für bloße Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens
* Wachter, Spinozismus im Judentum.
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ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten. Verändert die mindeste Kleinigkeit ¦ im Schattenriß: sogleich erhält das ganze Bild ein | andres Ansehen, eine andre Physiognomie. So auch mit Worten und Begriff. Die kleinste Abweichung in der Bestimmung eines Grundwortes führt am Ende zu ganz entgegengesetzten Folgen, und wenn man den Punkt aus den Augen verloren, von welchem man gemeinschaftlich ausgegangen ist; so streitet man am Ende nicht mehr um Worte, sondern um die wichtigsten Sachen. Wir müssen also auf den Scheideweg zurück, wo der Spinozist uns verläßt und seinen eignen Weg nimmt, um zu sehen, ob wir den Streit nicht beilegen können, bevor wir uns trennen. Wovon gehen wir aus? Was können wir unter uns als ausgemacht annehmen und voraussetzen, um nach dessen Maßgebung den Streitpunkt zu richten? So viel mir von der Lehre der Spinozisten bekannt ist, kommen sie mit uns in folgenden Lehrsätzen65 überein: Das notwendige Wesen denkt sich selbst, als schlechterdings notwendig; denkt die zufälligen Wesen, als auflösbar in unendliche Reihen; als Wesen, die ihrer Natur nach rückwärts ¦ eine Reihe ohne Anfang zu ihrem Dasein voraussetzen und vorwärts eine Reihe ohne Ende zur Wirklichkeit befördern. Bis hieher kann uns der Anhänger Spinozens zur Seite gehen, aber hier scheidet sich der Weg. Diese Reihe von zufälligen Dingen, sagen wir, haben außer Gott ihre eigene Substantialität; ob sie gleich nur als Wirkungen seiner Allmacht vorhanden sein können. Die endlichen Wesen bestehen für sich zwar abhängig vom Unendlichen, und ohne das Unendliche nicht denkbar; aber doch der Subsistenz nach mit dem Unendlichen nicht vereiniget. Wir leben, weben und sind, als Wirkungen Gottes, aber nicht in ihm. Der Spinozist66 hingegen behauptet: Es gebe nur eine Einzige unendliche Substanz; denn eine Substanz müsse für sich bestehen, keines andern Wesens zu seinem Dasein bedürfen und also unabhängig sein. Da aber kein endliches Wesen unabhängig sein könne; so sei auch kein endliches Wesen eine Substanz. Hingegen sei das Weltall eine wahre Substanz, indem es in seiner Unbegrenztheit alles in sich schließet, ¦ und also keines andern
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Wesens zu seinem Dasein bedarf; mithin unabhängig ist. Dieses Weltall, fährt der Spinozist fort, besteht aus Körpern und Geistern, das heißt nach der Lehre des Cartesius,67 die der Spinozist annimmt, es gibt Ausdehnung und Gedanken; Wesen, die ausgedehnt sind, und Wesen, welche denken. Er eignet daher seiner einzigen unendlichen Substanz zwei unendliche Eigenschaften | zu, unendliche Ausdehnung und unendliche Gedanken, und dieses ist sein: Eins ist Alles; oder vielmehr, er spricht: der gesamte Inbegriff unendlich vieler endlichen Körper, und unendlich vieler Gedanken, mache Ein einziges unendliches All aus, unendlich an Ausdehnung und unendlich an Denken: Alles ist Eins. Man68 hat mit Recht den Scharfsinn bewundert, mit welchem Spinoza auf diesen Grundideen sein System aufführt, und bis auf seine kleinste Teile mit geometrischer Festigkeit verbindet. Gebet ihm diese Grundideen zu, so stehet sein Gebäude unerschüttert da, und ihr könnet nicht den kleinsten Stein aus seinem Zu¦sammenhange rücken. Wir haben also bloß diese Grundideen zu untersuchen, und zu sehen, in wie weit die sich von unsern gewöhnlichen Begriffen entweder der Sache nach, oder bloß in den Worten unterscheiden. Um uns diesem System so viel möglich zu nähern, lasset uns vor der Hand nicht rügen, daß Spinoza das Unendliche der Kraft nach, mit dem Unendlichen der Ausbreitung, der Menge nach, die intensive Größe mit der extensiven, zu verwechseln scheint. Aus unendlich vielen endlichen Gedanken setzet er das an Gedanken Unendliche gleichsam zusammen. Auf diese Weise entstehet bloß das Unendliche der Ausbreitung nach. Wenn aber das Unendliche unabhängig sein soll; so muß es nicht extensive unendlich, sondern intensive ohne Grenzen und Schranken sein; nicht der Ausbreitung, sondern der Kraft nach muß es unendlich sein, wenn es keines andern Wesens zu seinem Dasein bedürfen soll. Ich werde dieses in der Folge ausführlicher berühren, und lasse es vor der Hand dahin ge¦stellt sein, um die übrigen Grundideen des spinozischen Systems etwas genauer zu prüfen.
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Daß in der Erklärung des Wortes Substanz eine Willkürlichkeit lieget, die den Spinoza von der gemeinen Bahn abgeführt hat, ist schon von vielen, und fast von allen seinen Widersachern gerügt worden.69 Eine solche Substantialität, die er voraussetzet, ein für sich bestehendes Dasein, das unabhängig ist, und keines andren Wesens zu seiner Wirklichkeit bedarf, legen auch wir keinem endlichen zufälligen Wesen bei. Auch wir gestehen, daß eine solche selbstgenügende Substantialität bloß dem unendlichen und notwendigen Wesen zukomme, und daß es selbst von diesem keinem endlichen Wesen mitgeteilet werde. Allein wir unterscheiden das Selbständige von dem Fürsichbestehenden. Das Selbständige ist unabhängig und be | darf keines andern Wesens zu seinem Dasein. Dieses also ist unendlich und notwendig; das Fürsichbestehende aber kann in seinem Dasein abhängig, und dennoch, als ein von dem unendlichen abgesondertes Wesen, vorhanden sein. Das heißt, es lassen sich We ¦ sen denken, die nicht bloß als Modifikationen eines andern Wesens bestehen, sondern ihre eigene Bestandheit haben und selbst modifiziert sind. Eine Substantialität von dieser zweiten Gattung glauben wir mit Recht auch endlichen zufälligen Wesen zuschreiben zu können. Alles, was Spinoza also mit geometrischer Schärfe aus seiner Erklärung der Substanz herleitet, können wir gar wohl gelten lassen; aber nur von dem selbständigen Wesen, dem allein Unendlichkeit der Kraft nach und notwendiges unabhängiges Wesen zukommt, keineswegs aber von allen für sich bestehenden Dingen. Will Spinoza diese, ihrer Abhängigkeit halber, nicht Substanz nennen; so streitet er bloß in Worten. Wird der Unterschied in der Sache zugegeben; so erdenke man für die Bestandheit abhängiger Wesen einen andern Namen, um einen Unterschied, der in der Sache liegt, nicht unbemerkt zu lassen; und der Zwist ist entschieden. Diese Bemerkung, wenn sie gleich die Lehre des Spinoza nicht über den Haufen wirft; so trifft sie doch seine Beweistümer und Gründe. ¦ Sie zeiget, daß Spinoza das nicht erwiesen, was er erweisen wollte. Sie schwächet daher die Kraft seiner Waffen, oder lenkt sie von dem Ziele ab, dahin er sie gerichtet hatte. An Statt
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zu beweisen, daß alles Fürsichbestehende nur Eins sei, bringet er am Ende bloß heraus, daß alles Selbständige nur Eins sei. An Statt darzutun, daß der gesamte Inbegriff alles Endlichen eine einzige selbständige Substanz ausmache, erhält er am Ende bloß, daß dieser Inbegriff von der einzigen unendlichen Substanz abhängen müsse. Dieses aber wird alles zugegeben, ohne daß der Streit deswegen entschieden sei. Er hat also den Streitpunkt völlig da gelassen, wo er ihn gefunden hat. Seine Beweistümer sind bündig, aber sie widerlegen uns nicht. Folgende Bemerkung dringet etwas tiefer in die Sache ein, und greifet nicht nur die Beweistümer, sondern die Lehre des Spinoza selbst an. Spinoza, sprechen seine Gegner,70 eignet seiner unendlichen Substanz Ausdehnung und Gedanken zu; weil sich auf diese Grundbegriffe nach der Theorie des Cartesius alles Denkbare zurück¦bringen läßt. In der Ausdehnung bestehet, nach diesem Weltweisen, das Wesen der Körper, und im Denken das Wesen der Geister. Allein, | wenn wir auch zur Ausdehnung den Begriff der Undurchdringlichkeit hinzutun; so erschöpfet dieses bloß das Wesen der Materie. Zum Körper aber gehöret, außer der Materie, auch noch Form, d. i. Bewegung samt allen ihren Modifikationen. Spinoza hat also bloß die Quelle der Materie angewiesen. Wo sollen wir aber die Quelle der Form suchen? Wodurch erhält der Körper seine Bewegung, der organisierte Körper seine Bildung, d.i. seine planvolle und regelmäßige Bewegung, und jeder andre Körper seine Figur? Wo kann der Ursprung hiervon anzutreffen sein? Nicht im Ganzen; denn das Ganze hat keine Bewegung. Das Sämtliche aller Körper, in eine einzige Substanz vereiniget, kann den Ort nicht verändern und hat weder Organisation, noch Figur. Also in den Teilen. Mithin müssen die Teile auch ihr abgeteiltes Dasein haben, und das Ganze ein bloßes Aggregat aus denselben sein. Hätten die Teile, wie ¦ Spinoza vorgibt, nicht ihr abgesondertes Dasein, und wären sie bloß Abänderungen oder Vorstellungsarten des Gesamten; so könnten sie keine andre Modifikationen haben, als die aus den Eigenschaften des Ganzen fließen. Woher die Form in den Teilen, wenn das Ganze keine Quelle dazu darbietet?
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Einen ähnlichen Schlußfehler kann man dem Spinoza auch in Absicht auf die Geisterwelt vorwerfen. Er hat bloß für das Materiale des Denkens gesorgt, und ihm eine Quelle in den Eigenschaften des Unendlichen angewiesen. Wahrheit und Unwahrheit findet bei ihm ihren Ursprung in den Eigenschaften der einfachen Substanz. Woher aber die Güte und Vollkommenheit, Lust und Unlust, Schmerz und Vergnügen, überhaupt alles, was nach unsern Begriffen zum Billigungs- oder Begehrungsvermögen gehört? Wenn das Ganze keines Vorherwissens, keines Vorsatzes, keiner Billigung und keines Verlangens fähig ist; woher alle diese Begriffe in den Teilen, die doch nichts für sich bestehendes haben und, seiner Meinung nach, bloße Modifi ¦ kationen der einzelnen Substanz sind? Es ist wahr, Spinoza71 will auch in den Teilen alle Freiheit aufheben, alle Wahl für bloße Täuschung halten, und den willkürlichen Entschluß, von dem wir glauben, daß er von uns abhänge, der Wahrheit nach, einer unumgänglichen Notwendigkeit unterwerfen. Er hatte also in seinem System nicht für das zu sorgen, dessen Dasein er nicht eingestand; mithin wird ihm Freiheit, Wille und Willkür, und alles, was davon abhängt, weiter keine Schwierigkeiten machen können. Allein | hiermit ist gleichwohl im Grunde dem Übel nicht abgeholfen. Alles, was Spinoza wider Freiheit und Willkür zu erinnern hat, trifft bloß das System des vollkommenen Gleichgewichts, das er allein Freiheit nennet. Er erkennet keine andere Zwanglosigkeit, als die Befreiung von allem Einflusse der Bewegungsgründe und Triebfedern, von aller mitwirkenden Erkenntnis des vorhergesehenen Guten und Bösen; eigentlich dasjenige, was die Deterministen das vollkommne unentschiedene Gleichgewicht nennen. Da er nun einsah, ¦ daß die vorhergesehenen Bewegungsgründe und Triebfedern der freiesten Wahl ihre Bestimmtheit und Unausbleiblichkeit geben; so umfaßte er allen Erfolg unter dem vielschichtigen Worte Notwendigkeit, und sagte die Wahl oder Willkür vernünftiger Wesen sei notwendig. Hingegen muß Spinoza aller seiner Gründe ungeachtet dasjenige, was die Deterministen Freiheit nennen, gar wohl zugeben, oder er streitet mit ihnen bloß in Worten. Er hat keinen Grund, diejenige Freiheit aufzu-
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heben, die der Erkenntnis des Guten und Bösen folgt, und von dem vorhergesehenen Besten bestimmt wird. Da er, wenigstens in Absicht auf das Endliche, den Unterschied zwischen Gutem und Bösem, Begehrlichem und Nichtbegehrlichem, Lust und Unlust u. s. w. nicht leugnen kann; so muß er auch alles zugeben, was aus diesen Ideen folgt; mithin auch ihre Mitwirkung auf die Bestimmung des Endlichen, ihren Einfluß auf die Abänderungen des denkenden Wesens. Wenn wir also dem Worte Notwendigkeit seine Vieldeutigkeit nehmen; wenn wir den Begriff genauer bestimmen, ¦ einen Unterschied machen zwischen der physischen und sittlichen Notwendigkeit, und wie von uns geschehen, das physisch Notwendige aus der Erkenntnisquelle, das sittlich Notwendige hingegen aus der Billigungsquelle fließen lassen, und wenn uns dann Spinoza diesen Unterschied, der in der Sache selbst lieget, nicht in Abrede sein kann; so muß er eingestehen, daß das Formale des Denkens von dem Materialen desselben zu unterscheiden sei, daß die Eigenschaft zu denken nicht notwendig die Eigenschaft zu billigen in sich schließe, daß Gutes und Böses, so wie die Zuneigung zu jenem und die Abneigung von diesem, eine andre Quelle haben müssen, als Wahrheit und Unwahrheit. Wo ist aber diese Quelle zu finden, wenn in den Eigenschaften der einzigen Substanz keine Spur davon anzutreffen sein soll? Wir sehen also, daß das System Spinozens in zweierlei Rücksicht | mangelhaft ist. So wohl in Absicht auf die Körperwelt, als in Absicht auf die denkenden Wesen, hat er bloß für das Materiale, aber nicht für das Formale gesorget, und ¦ wie sehr wird sich sein System dem unsrigen nähern, wenn er das Formale mit aufnehmen, und von der einen Seite die Quelle der Bewegung, so wie von der andern Seite die Quelle der Billigung, anzugeben suchen wird. Und nun zu der Bemerkung, die ich oben berührt, und in der Folge weiter auszuführen versprochen. Ich erinnere mich aber, daß keine Weitläuftigkeit von Nöten sei. Wolff 72 hat in dem zweiten Teil seiner natürlichen Theologie diesen Einwurf wider den Spinozismus mit der ihm eigenen Deutlichkeit und Ausführlich-
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keit vorgetragen, und noch hat, so viel ich weiß, kein Anhänger oder Verteidiger dieses Systems den Einwurf zu beantworten gewagt. Ich darf ihn also hier nur kürzlich wiederholen. Jede Beschaffenheit der Dinge hat ihre Ausbreitung und ihre Stärke, ihre Extension und ihre Intension. Durch das Hinzutun mehrerer gleichartigen Dinge nimmt die Beschaffenheit an Ausbreitung, aber nicht an Stärke zu. Tut laues Wasser zu lauem Wasser, so habt ihr mehr, aber nicht wärmeres Wasser; füget seichte Kenntnis zu seichten ¦ Kenntnissen, so erlanget ihr ausgebreitetere, aber nicht gründlichere und tiefere Einsicht. Eine ausgebreitetere Ursache kann zwar eine stärkere Wirkung hervorbringen, und mehrere Lichtstrahlen eine stärkere Beleuchtung verursachen; aber es ist in der Wirkung nicht mehr bloßes Hinzutun, sondern innere Verstärkung, die durch die gesammlete Mehrheit der Strahlen bewirkt wird. Sonst gibt eine mittelmäßige Beleuchtung vieler Zimmer kein stärkeres Licht, als dieselbe Beleuchtung eines einzigen kleinen Zimmers. Alles dieses leuchtet in die Augen, und wird zum Überfluß in jedem Lehrbuche der Ontologie hinlänglich ausgeführt. Wenn also endliche Wesen auch in ihrer unendlichen Menge zusammen gefaßt werden, so erwächst aus denselben eine totale Unendlichkeit, bloß der Menge und Ausbreitung nach. Die Intension oder die Stärke der Beschaffenheit bleibt im Ganzen immer noch endlich. Nun kann nach dem Spinoza selbst nur das Unendliche der Stärke nach unabhängig sein und keines andern Wesens zu seinem Dasein bedürfen. Er wird also außer dem totalen Inbegriff aller end ¦ lichen Wesen, welcher nur der Ausbreitung nach unendlich sein kann, noch ein einziges unendliches Wesen zugeben müssen, welches der Stärke nach ohne Grenzen ist. Ja, da | nach seinem Geständnisse nur eine einzige Substanz unabhängig sein kann; so wird er sein Unendliches der Menge nach von diesem Unendlichen der Stärke nach müssen abhängen lassen. Daß ein Unendliches der Ausbreitung nach nicht selbständig sein könne, sondern von dem Unendlichen der Kraft nacha aba »Nach« fehlt in der ersten Auflage und JubA, ist in der zweiten Auflage
der Morgenstunden ergänzt.
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hängen müsse, erhellet auch aus folgender Betrachtung. Alle ausgebreiteten Dinge, sie mögen endlich oder unendlich sein, geben keine wahre Einheiten; sondern Inbegriffe, Aggregate von Vielem; nicht einzelne, sondern sämtliche, kollektive Wesen. Wenn schon einerlei Ausdehnung aller Materie wesentlich zukömmt; so ist das Ausgedehnte doch nicht immer dasselbe; keine wirkliche Einheit, sondern eine Wiederholung einer und eben derselben Beschaffenheit in den kleinsten Teilen der Materie. So auch mit der Schwere, wenn sie dem Körper beiwohnen soll, und so mit der Zeugungs- ¦ oder Organisationskraft, wenn man sie als eine Eigenschaft des gebildeten Körpers ansehen will. Ist schon die Kraft in der Absonderung immer dieselbe, und mit einer und derselben Idee zu umfassen; so kann sie doch dem Körper nicht als Eigenschaft beiwohnen, ohne in jedem Atom desselben gleichsam wiederholt zu werden. Es ist freilich dieselbe Federkraft, die in meiner Uhr die Feder spannet, und dort am Firmament die Wolken sammlet und forttreibet; aber diese Einheit ist bloß abstrakt; der Sache nach muß die Kraft in den verschiedenen Objekten auch verschiedentlich wiederholt, und also nicht mehr Eins, sondern Vieles bleiben. Wenn vieles in einem Inbegriffe zusammenkommen, und ein Aggregat ein sämtliches Wesen ausmachen soll; so geschiehet dieses bloß durch die Vorstellungen denkender Subjekte, die sie in einem Begriffe umfassen und sammeln. Außerhalb und von Seiten der Objekte existieren bloß Einheiten, und zwar jede für sich, einzeln. Bloß in den Vorstellungen denkender Subjekte kommen diese Einheiten zusammen und bilden Inbegriffe, ¦ Vieles in Einem, Aggregate. Eine Herde Schafe bestehet an und für sich aus einzelnen Tieren dieser Art; ein Sandhügel aus einzelnen Körnlein; aber in dem Begriffe denkender Wesen werden sie gesammlet und verbunden, und dadurch aus jenen Eine Herde; aus diesen Ein Haufe. Ohne denkende Wesen würde die Körperwelt keine Welt sein, kein Ganzes ausmachen; sondern höchstens aus lauter isolierten Einheiten bestehen. Dieses habe ich bei einer andern Gelegenheit weitläuftiger | ausgeführt,73 und dadurch bewiesen, daß die Seele nicht materiell sein könne.
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Es hat aber mit der Geisterwelt eine ähnliche Beschaffenheit. Wenn schon dieselbe Kraft zu denken allen zukommt; so ist es doch nicht dieselbe Einheit, die in allen denkt. Vielmehr muß dasjenige, was wir durch Kraft oder Eigenschaft zu denken verstehen, in jedem Gegenstande wiederholt werden und jedem denkenden Wesen für sich zukommen. Dem Begriffe nach ist es zwar einerlei Kraft, oder Attribut des Denkens, wie Spinoza74 sich ausdrückt, vermöge dessen wir alle ¦ hier denken; allein der Sache nach und in der Wirklichkeit muß diese Kraft jedem von uns besonders zukommen; wenn wir anders selbst denken, und nicht, wie einige scholastische Philosophen75 geglaubt haben sollen, eine einzige Kraft für uns alle denken soll. Jedes denkende Wesen, wenn es endlich ist, denkt indessen bloß einen Teil der Welt, eine Seite und Aussicht derselben, die nicht das Ganze mit gleicher Deutlichkeit umfasset. Bloß in dem Inbegriffe aller denkenden Wesen, in dem Totalen derselben, liegt nach dem Spinoza das Weltall in seiner allumfassenden Deutlichkeit. Aber dieses Totale, dieses Zusammennehmen, Vieles in Einem, dieser Inbegriff setzet, wie wir gesehen, ein denkendes Subjekt voraus, das in seiner Vorstellung umfasset, sammlet und verbindet. Ohne dieses vereinigende Subjekt bleiben die Teile isoliert und unverbunden, immer noch Vieles, und nur durch die umfassende Gedanken werden sie vereint. Wenn also nach dem Spinoza das Weltall, oder die wahre Substanz in dem Inbegriff aller ¦ materiellen und denkenden Wesen bestehet; so setzet dieser Inbegriff das Dasein eines inbegreifenden Subjekts voraus. Dieses Subjekt wird alle Seiten umfassen, alle Begriffe endlicher Wesen in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit verbinden und sie alle mit der vollkommensten Deutlichkeit denken müssen; denn jede Dunkelheit in der Vorstellung läßt eine Lücke zurück, und der Inbegriff, den wir suchen, ist nicht vollständig. Ohne Geisterwelt machen die körperlichen Dinge kein System aus; aber die eingeschränkten Geister bilden gleichsam nur Bruchstücke des Ganzen, die von einem uneingeschränkten Geiste in ihrem unendlichen Bezirke umfaßt und in Ein System verbunden werden müssen. Daß dieser schranken-
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lose Geist der Kraft nach unendlich, selbständig und unabhängig sein wird, ergibt sich von selbst; und sonach hätte | uns Spinozens Idee von dem unendlichen Weltall auf das notwendige Dasein eines der Kraft nach unendlichen, einzelnen Wesens geführt, dessen Gedanken alles Mannigfaltige der Körper- und Geisterwelt auf das allerdeutlichste umfassen und in Ein System verbinden, ¦ und ohne welches das Unendliche der Ausbreitung nacha nicht subsistieren kann. – Auf solche Weise würde unser Zwist mit diesem Weltweisen ja hier am Scheidewege schon größtenteils beigelegt sein. Wir hätten dabei diesen redlichen Wahrheitsforscher zu unserm Freunde; denn gewiß der Mann, der sein Leben einzig und allein der Wahrheit gewidmet hatte, würde sich der Wahrheit nicht aus Eigensinn oder Eitelkeit widersetzen. Wir könnten ihn umarmen und noch eine weite Strecke gemeinschaftlich fortgehen. Ja, wenn uns Spinoza alles dieses zugibt: so wären wir beinahe schon am Ziele.
| ¦ XIV. Fortgesetzter Streit mit den Pantheisten. Annäherung – Vereinigungspunkt mit denselben – Unschädlichkeit des geläuterten Pantheismus – Verträglichkeit mit Religion und Sittlichkeit, in so weit sie praktisch sind Mit nichten, würde mein Freund, Lessing, rufen, wenn er unsrer letzten Vorlesung beigewohnet hätte; ihr seid bei weitem noch nicht am Ziele, und rufet Sieg, bevor ihr überwunden. Wenn auch alle die Bemerkungen richtig wären, die ihr wider Spinoza vorgebracht habet; so hättet ihr am Ende doch nur bloß Spinozen, nicht den Spinozismus widerlegt. Ihr hättet gezeigt, daß das System dieses Weltweisen, so gut wie jedes andre, das irgend ein Sterblicher aufgeführt hat, seine Mängel und Lücken habe, daß er in der Grundlage gefehlet, die er seinem Lehrgebäude gegeben, und Dinge ausgelassen habe, ohne welche dieses nicht bestehen a »Nach« fehlt in der ersten Auflage und JubA, ist in der zweiten Auflage
der Morgenstunden ergänzt.
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kann. Folgt aber daraus schon der völlige Umsturz alles dessen, was Spinoza behauptet? Wie, wenn ein späterer Anhänger dieses großen Mannes die Lücken auszufüllen ¦ und die Mängel zu ergänzen suchte? Oder, wenn wir überall auf System Verzicht täten und gestünden, die Dinge ließen sich von uns nicht in eine geometrische Schlußkette verbinden; müßte deswegen der Spinozismus, oder Pantheismus, wenn ihr wollet, gänzlich aufgegeben werden? Könnte demohngeachtet der Satz nicht wahr sein: Alles ist Eins und Eins ist Alles? Ihr habet das System eures Gegners widerlegt; ist dadurch das Eurige erwiesen? Lasset uns genauer zusehen, würde er fortfahren, wie weit wir gekommen sind. Ihr saget: Spinoza kann nach seinen Grundsätzen den Ursprung der Bewegung nicht erklären. Gut! welcher Antispinozist oder Theist weiß denn hiervon besser Rechenschaft zu geben? Er berufet sich auf den Willen Gottes, der der Materie die Bewegung mitgeteilet haben soll. Auch Spinoza läßt alle Bewegung aus etwas Ähnlichem, das er Willen nennet, entspringen; wiewohl ich mir seine Äußerung über diesen Punkt nicht völlig deutlich zu machen weiß. Vielleicht findet auch der Pantheist einen andern Behelf von dieser Art, den ¦ Ursprung der Bewegung zu er | klären; und wenn er ihn nicht findet; so mag solcher überall unerkläret bleiben. Am Ende ist das Berufen auf den göttlichen Willen vom Geständnisse seiner Unwissenheit nicht weit entfernt, und der Vorzug, den der Theismus hierin haben mag, bei weitem nicht wichtig genug, diesem System das entschiedene Übergewicht zu geben. Den Unterschied zwischen Wahrheit und Güte, Erkenntnis und Billigung, nebst allen Folgen, die mit Recht aus diesem Unterschiede gezogen werden, kann der Pantheist zugeben und die Quelle des Formalen, eben sowohl als des Materialen, in die einzige Substanz der Gottheit setzen. Ihr sehet, wie vieles ich in seinem Namen einräume, ohne deswegen das System aufzugeben. Durch eure oder ähnliche Gründe bewogen, räume ich den richtig bemerkten Unterschied zwischen dem Unendlichen der Ausbreitung und dem Unendlichen der Kraft nach willig ein, und gebe sonach zu, daß das notwendige Wesen nicht, wie Spinoza selbst behaup-
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tet hat, in dem Inbegriff unendlich vieler zufälligen Wesen bestehen ¦ könne; denn auf diese Weise würde es bloß der Ausbreitung nach unendlich sein, der Kraft nach aber immer noch endlich und abhängiga bleiben. Ich nehme also, wie wahrscheinlicher Weise Spinoza selbst getan haben würde, mit euch an, daß das einzige notwendige Wesen in seiner Einheit und der Kraft nach unendlich sein müsse: und so können wir nach unserm System, eben sowohl als der Theist nach dem seinigen, nicht nur den Ursprung des Wahren, sondern auch den Ursprung aller Güte, in das Wesen der Gottheit setzen. Da wir also (ich rede immer noch im Namen meines abgeschiedenen Freundes) da wir das System nunmehr in etwas abgeändert haben und der Gottheit eben so wohl, als der Theist, die allerhöchste Vollkommenheit zuschreiben; so nehmen wir dem zufolge auch mit diesem an, daß sich der göttliche Verstand alle möglichen zufälligen Dinge, nebst ihren unendlichen Mannigfaltigkeiten und Veränderungen, samt ihrer Verschiedenheit und Güte, Schönheit und Ordnung, auf das allerdeutlichste und ausführlichste vorgestellt, und daß er vermöge seiner allerhöchsten Billigungs¦kraft der besten und vollkommensten Reihe der Dinge den Vorzug gegeben habe. Alles dieses muß auch nach dem System des wahren Theisten in dem Verstande Gottes vorgegangen sein, und unaufhörlich vorgehen. Auch der Theist muß also der wirklich gewordenen Reihe der Dinge eine Art von idealischem Dasein in dem göttlichen Verstande zuschreiben, und dieses | kann der Pantheist seinem System unbeschadet zugeben. Er bleibt aber bei diesem idealischen Dasein stehen, und wenn der Theist fortrückt und zu dieser Behauptung hinzusetzt: Gott habe dieser wirklichen Reihe der Dinge auch außer sich ein objektives Dasein mitgeteilt; so ziehet jener sich bescheiden zurück und siehet keinen Grund dieses einzuräumen. Wodurch überführt ihr ihn von dieser objektiven Existenz außerhalb des göttlichen Verstandes? Wer sagt uns, daß wir selbst und die Welt, die uns umgibt, etwas mehr haben, als das idealische Dasein in dem göttlichen Vera JubA: unabhängig.
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stande; etwas mehr sind, als bloße Gedanken Gottes und Modifikationen seiner Urkraft? ¦ »Wenn ich Sie recht verstehe, würde ich ihm antworten, so geben Sie, im Namen Ihres Pantheisten, zwar einen außerweltlichen Gott zu, leugnen aber eine außergöttliche Welt, und machen Gott gleichsam zum unendlichen Egoisten.« Meine Gedanken habt Ihr richtig gefaßt, und Ihr wisset, wie wenig ich den lächerlichen Anstrich achte, den ihr ihm zu geben suchet. Mein Pantheismus gleichet, wenn ihr wollet, einer zweiköpfigen Hydra.77 Einer dieser Köpfe führt die Überschrift: Alles ist Eins; der andre: Eins ist Alles. Ihr müßt beide zugleich abschlagen, wenn Ihr das Ungeheuer töten wollt. Bevor ihr euch aber an die herkulische Arbeit waget, gebet wohl auf die Waffen Acht, mit welchen es sich verteidigen dürfte. Gedanken, das Denkende, das Gedachte; das sind drei Rücksichten, deren Verschiedenheiten wir uns bewußt sind, so lange das Denken noch bloß im Vermögen ist; so lange noch nicht wirklich gedacht wird. So lange nämlich das denkende Wesen, als Subjekt, bloß das Vermögen zu den ¦ ken hat, das Gedachte, als das Objekt bloß die Fähigkeit hat, gedacht zu werden, und aus der Beziehung des Objekts auf das Subjekt, der Gedanke noch nicht wirklich entstanden ist. So bald aber das Denken wirklich vor sich gehet; so tritt das Subjekt mit dem Objekt in die innigste Verbindung, und erzeuget den Gedanken. Dieser ist innerhalb des Denkenden befindlich, und in so weit er ein treuer Abdruck des Gedachten ist, von dem Objekte selbst nicht zu unterscheiden. Merket also wohl, bevor ihr meinen Pantheisten widerleget! Ihr gestehet ein, daß bei wirklichem Denken, und in so weit der Gedanke wahr ist, jener Unterschied der Rücksichten verschwinde, und das Gedachte von dem wirklichen | wahren Gedanken nicht zu unterscheiden, und also mit demselben völlig Eins sei. Nun ist der Gedanke ein Akzidens des denkenden Wesens und kann von seiner Substanz nicht getrennet werden; mithin wird der Gedanke nirgenda anders, als in dem Denkenden, und als eine a JubA: nirgends.
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bloße Abänderung desselben, anzutreffen sein. Da nun in Gott, wie wir alle gestehen, kein bloßes Vermögen Statt ¦ findet, alles vielmehr in der tätigsten Wirklichkeit sein muß; da ferner alle Gedanken Gottes wahr und treffend sind; so wird kein Gedanke in Gott von seinem Urbilde zu unterscheiden sein; oder vielmehr die Gedanken Gottes, die als Abänderungen desselben in ihm anzutreffen sind, werden zugleich ihre eigne Urbilder selbst sein. Die innere stets wirkende Tätigkeit der göttlichen Vorstellungskraft, erzeugt in ihm selbst unvergängliche Bilder zufälliger Wesen, mit der unendlichen Reihe aller ihrer auf einander folgenden Abänderungen und Verschiedenheiten, und dieses sind wir samt der Sinnenwelt außer uns. Von dieser Seite vorgestellt, scheint mir der Pantheismus, den Ihr gestürzt zu haben glaubtet, völlig wieder auf seinen Füßen zu stehen. Ihr wolltet ihn widerlegen? Zeiget erst die Möglichkeit hiervon an! Wenn dieses geschehen soll; so muß gezeigt werden, daß die Urbilder außer Gott nicht dieselben Prädikate haben, als die Vorstellungen oder die Bilder derselben, die in Gott anzutreffen sind. Dieses aber leugnet ihr ja selbst nach eurem eigenen System. Die ¦ Gedanken Gottes müssen ja im höchsten Grade wahr und anpassend sein, müssen also alle Prädikate haben, die ihren Vorwürfen zukommen. Ja wohl, würde ich meinem Freunde hier einfallen, die Prädikate alle, jedoch mit Ausnahme derjenigen, die dem Urbilde, bloß als Urbilde zukommen, und die das Subjekt nicht annehmen kann, ohne daß es aufhöre Subjekt zu sein. So weit erstrecket sich nicht die von der Wahrheit voraus gesetzte Übereinstimmung zwischen Urbilde und Abbilde, daß dadurch die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse aufgehoben würde. Das allertreueste Bild muß nicht aufhören Bild zu sein, würde von seiner Wahrheit verlieren, wenn es zum Urbilde werden sollte. Wenn also dieses der Punkt ist, mein Freund! auf den es in unserm Streite ankommt; so wird er, wie ich hoffe, noch zu entscheiden sein. Mich dünkt, es gibt untrügliche Merkmale, die mich, als Gegenstand, von mir, als Vorstellung in Gott; mich als Urbild, von mir als Bild in dem göttlichen Verstande, auf das
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un | trüglichste unterscheiden. Das Bewußtsein meiner selbst verbunden mit ¦ völliger Unkunde alles dessen, so nicht in meinen Denkungskreis fällt, ist der sprechendeste Beweis von meiner außergöttlichen Substantialität, von meinem urbildlichen Dasein. Gott hat zwar den richtigsten Begriff von dem Maße meiner Kräfte, also auch von dem Umfange meines Bewußtseins. Aber dieses Bild meines Bewußtseins ist in ihm nicht von dem Bewußtsein seiner Unendlichkeit abgesondert, nicht so wie in mir, mit der Wirklichkeit so mancher Dinge verbunden, die ich selbst nicht kenne, und die doch zum Teil mit meinem Wesen verbunden sind. Ein anderes ist Schranken haben, eingeschränkt sein; ein anderes ist, die Schranken kennen, die ein von uns selbst verschiedenes Wesen besitzt. Das allerhöchste Wesen kennt auch meine Schwachheit, aber es besitzet sie nicht. Weit gefehlet, daß der Begriff, den er von mir hat, deswegen aufhöre wahr zu sein; so würde er vielmehr auf keine andere Weise der wahreste sein können. »Muß zum Gedanken Gottes noch etwas hinzukommen, wenn er außer Gott wirklich werden soll?« ¦ Ich glaube, diese Frage führt bis auf den Grund unsers Streits, und ich will mich mit aller Aufrichtigkeit und Deutlichkeit, deren ich fähig bin, darüber erklären. Die Gedanken, als Gegenstand des Erkenntnisvermögens, sind in Gott im höchsten Grade wahr. Das Unwahre, so wohl Irrtum, als Sinnentäuschung, findet in dem göttlichen Verstande nur Statt, als Prädikat eingeschränkter zufälliger Wesen. Er kennt mich samt allen meinen Mängeln und Schwachheiten; also auch die Irrtümer meines Verstandes und die Täuschung meiner Sinne. Als Gegenstand des Billigungsvermögens, kennet Gott das Böse so wohl, als das Gute, beides nach der Wahrheit, d. h. mit dem ihnen auf das genaueste angemessenen Grad der Billigung und Mißbilligung, und also das Beste mit der kräftigsten Billigung, mit der lebendigsten Erkenntnis. Diese dringet auf Wirksamkeit. Die höchstlebendige Kraft in Gott, die von unendlicher Wirksamkeit ist, wirkt in ihm selbst die ¦ ihm zukommende Prä-
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dikate und ist die Quelle seines eigenen Daseins, des absoluten Besten. Da aber auch das Beste in Verbindung, optimum secundum quid, als Gedanke in Gott, seine Vergleichungsweise höchste Billigung mit sich führt; so muß auch dieses vermöge seiner höchstlebendigen Kraft zur Wirk | lichkeit kommen, und zwar nicht in ihm; denn in ihm kann nur das absolute Beste vorhanden sein; sondern abgesondert von seiner Substanz, eine außergöttliche Reihe und Verbindung zufälliger Dinge, eine objektive Welt. »Was tut aber Gott zu seinen Gedanken, zu seinen Vorstellungen des Besten hinzu, daß sie außer ihm auch wirklich werden?« – – Wer dieses so eigentlich verstehet und sagen kann, mein Bester! der verstehet es auch zu tun, und dieses werdet ihr von einem schwachen Hypothesenkrämer nicht fordern. Indessen, wenn von eingeschränkten Geistern die Rede ist; so habe ich auf diese Frage bereits so viel geantwortet, als ich antworten kann. Zur Vorstellung eines endlichen Geistes in Gott, muß das eigene ¦ Bewußtsein, mit Unkunde alles dessen, so außerhalb seiner Schranken fällt, hinzukommen; so ist der Geist eine außergöttliche Substanz. Von den übrigen Dingen weiß ich es nicht, kann ich euch auch kein solches Merkmal angeben. Was ich von einem sich selbst bewußtseienden Wesen anzugeben weiß, erkenne ich aus mir selber, weil ich selbst ein solches Wesen bin und mein eignes Bewußtsein habe. Ob die übrigen eingeschränkten Wesen neben mir eine Substantialität haben, die der meinigen ähnlich ist, ob mit Leibnizen zu reden, alle Wesen nur in so fern vor sich bestehen, in so fern sie Vorstellungskräfte haben, die Materie aber eine bloße Scheinsubstanz zu nennen sei; oder ob es auch eine Art von Substantialität gebe, die der Materie eigen ist; diese Untersuchung würde mich zu weit von meinem Vorhaben abführen, und kann vor jetzt dahin gestellet bleiben. Vor jetzt habe ich bloß mich und denkende Wesen meines Gleichen zu betrachten, um den Streit mit den Pantheisten zu entscheiden. Um zu beweisen, daß nicht alle Dinge bloße Gedanken des Unendlichen sind, habe ich ¦ bloß darzutun, daß es außer-
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göttliche endliche Geister gebe, die ihre eigene Substantialität haben, ohne mich auf Substanzen anderer Art einzulassen; ja es ist genug, wenn ich zeige, daß ich selbst ein mir eignes Bewußtsein habe, und daher eine für mich bestehende außergöttliche Substanz sein müsse. Hiervon den Pantheisten zu überführen, wird nunmehr nicht schwer sein. Kein Wesen hat einen unmittelbaren Begriff von einer größern Realität, als die ihm selbst zukömmt. Wenn wir uns höhere Wesen denken wollen; so denken wir bloß anschauend und unmittelbar den Umfang unserer eigenen Kräfte, und setzen die Schranken immer | weiter und weiter hinaus, um uns vollkommenere Wesen, als wir selbst sind, vorzustellen; oder entfernen sie ganz, um zu dem Begriff eines höchst vollkommenen Wesens zu gelangen. Das ganze Gebiet aber der Realität, die wir nicht selbst besitzen, ist auch unserer Erkenntnis fremd, und kann von uns nicht anschauend erkannt werden. Dieses ist ein allgemein erkannter philosophischer Grundsatz. Aber eben so wahr ist von der andern Seite ¦ der Satz: Kein Wesen kann sich irgend eines Grades seiner Realität wirklich entäußern. Ich kann mir kein Wesen denken, das geringere und eingeschränktere Fähigkeiten hat, als ich, mit wirklicher Entäußerung und Unkunde alles dessen, so mir mehr zu Teile geworden. Wenn ich mir die Sinneskraft eines Blinden vorstellen will; so muß ich meine Aufmerksamkeit bloß auf die Eindrücke und Empfindungen der übrigen Sinne richten, und dadurch die Eindrücke des Gesichts zu schwächen und zu verdunkeln suchen, oder ich lasse auch die sichtlichen Bilder bei ihrer anschaulichen Vollkommenheit, und spreche sie nebst ihren Folgen und Wirkungen dem Blindgebornen ab. In dem ersten Falle erlange ich einen Begriff von dem Positiven, in dem zweiten Falle von den Schranken seiner Sinnesfähigkeit. Aber die völlige Abwesenheit aller sinnlichen Eindrücke kann ich bei mir selbst nicht bewerkstelligen. Eben so wenig kann Gott, vermöge der Fülle seiner Vollkommenheit, sich irgend ein eingeschränktes Wesen, mit wirklicher Entäußerung seiner Gottheit, ¦ denken. Er denkt sich einen eingeschränkten
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Grad seiner Realität, mit allen aus dieser Eingeschränktheit folgenden Schwachheiten und Unvermögen. Er selbst aber bleibt sich seiner unendlichen Realität unentäußert. Der Gedanke in Gott also, der ein eingeschränktes Wesen zum Objekt hat, kann in ihm zu keinem eigenen, gleichsam abgerissenen Bewußtsein gelangen. Der Wahrheit der göttlichen Begriffe wird dadurch nichts entzogen; vielmehr muß, nach unserer Erklärung von Wahrheit, dieser Begriff in Gott bloß subjektive bleiben, und kein eigenes Bewußtsein mit Entäußerung aller höhern Vollkommenheit wirklich besitzen; sonst würde es Objekt und nicht mehr Begriff des Objekts sein. Lasset uns den Grad der Realität, der einem eingeschränkten Wesen zukommt, A, die Einschränkung aber, oder die Realität, die ihm verweigert wird, B nennen; so wird Gott, indem er sich dieses eingeschränkte Wesen vorstellet, A nebst allen seinen Folgen von die | sem Wesen bejahend; B aber nebst allen seinen Folgen von demselben verneinend denken, und eben dadurch den aller¦vollständigsten, richtigsten und wahresten Begriff von diesem Wesen haben. Unmöglich aber kann Gott in sich selbst das Bewußtsein von A mit wirklicher Entäußerung und Abwesenheit des B hervorbringen oder besitzen; denn dieses wäre wahre Entäußerung seiner Göttlichkeit. Indessen mag vielleicht auch hier eintreffen, was Spinoza bei einer andern Gelegenheit anmerkt: Pleraeque oriuntur controversiae, quia homines mentem suam non recte explicant, vel quia alterius mentem male interpretantur. Nam re vera, dum sibi maxime contradicunt, vel eadem vel diversa cogitant ita, ut quos in aliis errores et absurda esse putant, non sint.78 Lasset uns also abermals untersuchen, wie weit wir mit dem Pantheisten aus einander sind; vielleicht, daß wir am Ende uns näher kommen, als wir selbst glauben. Alles ist Eins, sagt der Pantheist. Wir sagen: Gott und die Welt; er: Gott ist auch die Welt. Das Unendliche, sprechen wir, hat alles Endliche, Eins diesesa Viele zur Wirklich-
a JubA: Dieser.
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keit gebracht; jener hingegen: das Unendliche umfasset alles, ist selbst alles, ist Eins und zugleich ¦ Alles. So wenig das Viele ohne das Eine vorhanden sein kann; eben so wenig kann, nach dem Pantheisten, das unendliche Eins ohne Alles existieren. Unserer Seits gestehen wir ein, daß die Existenz des Endlichen ohne das Unendliche nicht denkbar sei. Wir geben ferner zu, daß die Existenz des Unendlichen ohne die deutlichste Erkenntnis alles Endlichen nicht gedacht werden könne. Wir halten aber dafür, daß das Dasein des Unendlichen ohne Wirklichkeit alles Endlichen gar wohl möglich und denkbar sei; daß also zwar dieses von jenem, aber nicht jenes von diesem, der Existenz nach, abhängig sei. Wir trennen also Gott von der Natur, schreiben jenem ein außerweltliches, so wie der Welt ein außergöttliches Wesen zu. Der Anhänger des vorgedachten Pantheismus hingegen, mit dem wir es hier zu tun haben, nimmt an: Es gebe überall kein außergöttliches Dasein; sondern die Vorstellungen des Unendlichen erlangten durch ihre Notwendigkeit eine Art von Dasein in Gott selbst, das im Grunde mit seinem Wesen auf das innigste vereint sei. Lassen Sie uns einst ¦ weilen alles bei Seite setzen, was wir vorhin wider diese Hypothese erinnert haben, und jetzt bloß diese Frage aufwerfen: Haben alle Gedanken Gottes dieses eigne Selbstbewußtsein, das wir in uns selbst wahrnehmen, | und nicht verleugnen können, oder haben es nur einige mit Ausschließung der übrigen? Das erstere wird Niemand behaupten; denn, wenn alle Gedanken Gottes bloß, weil sie Gedanken Gottes sind, das haben, was zum Dasein gefordert wird; so kann keiner derselben in der Tat wirklich vorhanden sein. So viel ist doch am Ende vom Dasein unleugbar, daß die Existenz einer gewissen Bestimmung die entgegengesetzte Bestimmung ausschließet; daß die gegenwärtigen Abänderungen der Dinge nicht mit den vergangenen und zukünftigen Abänderungen derselben gleichwirklich sein können; daß ich, der ich jetzt sitze und spreche, nicht mehr liege und schlafe. Lasset immer sein, daß nach dem Spinoza (wie im Grunde nach der Wahrheit) das Aufeinanderfolgen verschiedener Zustände, nur in mir, als einem eingeschränkten Wesen, Statt ¦ findet; so ist es doch immer ein
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Aufeinanderfolgen verschiedener Zustände, die sich einander wechselsweisea ausschließen, und also das Wirklichwerden eines Gedankens Gottes, mit Ausschließung der übrigen, voraussetzen. Es haben also nur einige Gedanken Gottes vorzugsweise dasjenige erlangt, was wir Existenz nennen, und worüber jetzt gestritten wird: ob sie dabei immer noch innerhalb seines Wesens geblieben, oder außerhalb desselben ihre eigene Substantialität erlangt haben. Diese Gedanken Gottes, welche vorzüglich zur Existenz gelangen, haben ihren Vorzug nicht vermöge ihrer Wahrheit und Denkbarkeit; denn ihr Gegenteil ist eben so denkbar, war es wenigstens oder wird es sein, und die Verschiedenheit der Zeit ändert nichts in der Wahrheit und Denkbarkeit der Dinge. Die Mittelursachen tun der Sache eben so wenig Genüge; denn, da sie nach dem Spinoza in unendliche Reihen auflösbar sind; so verschieben sie nur die Frage, ohne sie zu beantworten. Alles dieses haben wir in den vorigen ¦ Vorlesungen zur Genüge auseinandergesetzt. Die Gedanken Gottes, die mit Ausschließung der übrigen zur Wirklichkeit kommen, werden also diesen Vorzug, vermöge ihrer relativen Güte und Zweckmäßigkeit erhalten, in so weit sie nämlich so und nicht anders, jetzt und hier, der Idee des Vollkommnen und Besten entsprechen. Diese sichtbare Welt ist also, nach dem Pantheisten, als ein Gedanke Gottes innerhalb seinem Wesen wirklich vorhanden; in so weit sie in ihm eine Vorstellung des besten und vollkommensten Inbegriffs mannigfaltiger endlicher Wesen ist, die im Zusammenhange gedacht | werden können. In diesem unermeßlichen Gedanken ist der Mensch, bin ich Mensch, auch ein Gedanke Gottes, mit dem abgesonderten, eingeschränkten Bewußtsein meiner selbst begabt, völlig alles dessen unkundig, was außerhalb meiner Eingeschränktheit liegt. Ich bin dieser Eingeschränktheit halber auch der Glückseligkeit und des Elendes fähig; zum Teil durch mich selbst, und durch meine eigne Handlungen; zum Teil auch, ohne
a JubA: wechselweise.
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mein Hinzutun, und in Absicht auf meine Glück ¦ seligkeit oder mein Elend, von andern Gedanken Gottes abhängig. Ich Mensch kann ferner alles Gute, was mir werden soll, bloß von der Substanz erwarten, deren Gedanke und Modifikation ich sein soll; in so weit sie einen Teil desselben von mir selbst, einen Teil aber von andern ihrer Gedanken, abhängen lassen will. Zwar nicht eigentlich will: denn Spinoza79 hält Willen und Verstand für einerlei. Indessen, wenn ich ihn recht verstehe, und so, wie ihn mein Freund erkläret, unterscheidet er doch Kenntnis des Wahren von Kenntnis des Guten, und nennet das Erkenntnis des Guten Willen, in so weit durch dasselbe ein Gedanke vor dem andern einen Vorzug erhält. Mithin können wir immer sagen: Alles Gute, das wir erhalten, ist eine Wirkung des göttlichen Willens, und auch in so weit eine Wirkung seines freien Willens, in so weit er für gut befunden, unsere Glückseligkeit von uns oder von andern seiner Gedanken abhängig sein zu lassen. Nehmet alles dieses an, und ich frage, worin un¦terscheidet sich nunmehr das von meinem Freunde verteidigte System von dem unsrigen? Ich Mensch, Gedanke der Gottheit, werde nie aufhören, ein Gedanke der Gottheit zu bleiben, und werde in dieser unendlichen Folge von Zeiten glückselig oder elend sein, je nachdem ich ihn, meinen Denker, mehr oder weniger erkenne, mehr oder weniger liebe; je nachdem ich mich bestrebe, (denn auch ein Bestreben muß Spinoza diesem Gedanken Gottes zukommen lassen) je nachdem ich mich mehr oder weniger bestrebe, dieser Quelle meines Daseins ähnlich zu werden, und seine übrigen Gedanken zu lieben, wie mich selbst. Wenn mein Freund, der Verteidiger des geläuterten Spinozismus, alles dieses zugibt, wie er, vermöge seiner Grundsätze, sicherlich getan haben würde; so ist Moral und Religion geborgen; so unterscheidet sich ferner diese Schule von unserm System bloß in einer Subtilität, die niemals praktisch werden kann; in einer unfruchtba | ren Betrachtung: ob Gott diesen Gedanken des besten Zusammenhanges zufälliger Dinge hat ausstrahlen, ausfließen, ausströmen, oder mit ¦ welchem Bilde soll ich es vergleichen? (denn diese Subtilität läßt sich kaum anders, als durch Bilder beschreiben,) ob er das Licht hat von sich
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wegblitzen, oder nur innerlich leuchten lassen? Ob es bloß Quelle geblieben, oder ob die Quelle sich in einen Strom ergossen habe? Wenn man sich durch dergleichen bildliche Redensarten das Hervorbringen, Erschaffen, Wirklichmachen u. s. w. sinnlich machen will; so ist schwer zu verhüten, daß nicht Mißdeutung oder Mißverständnis die Metapher über ihre Grenzen ausdehne und auf Abwege führe; auf Atheismus oder Schwärmerei, je nachdem das Gemüt sonst zu Verzückungen, oder zum trocknen Nachdenken gestimmt ist. Die Systeme scheinen in ihren Folgesätzen noch so weit von einander entfernt zu sein, und im Grunde ist es Mißdeutung derselben Metapher, die bald Gott zu bildlich in die Welt, bald die Welt zu bildlich in Gott versetzt. Aufrichtige Liebe zur Wahrheit führet gar bald auf den Punkt zurück, von welchem man ausgegangen ist, und zeigt, daß man sich bloß in Worten verwickelt habe. Tuet auf Worte Verzicht, und Weisheitsfreund, umarme deinen Bruder!
| ¦ XV. Lessing – Dessen Verdienst um die Religion der Vernunft – Seine Gedanken vom geläuterten Pantheismus Freund D., der uns in der letzten Morgenstunde überraschte, machte mir beim Weggehen Vorwürfe. Wie kommen Sie darauf, sagte er, unsern Lessing zum Verteidiger eines so irrigen verschrieenen Lehrgebäudes zu machen? Fiel Ihnen sonst kein Name ein, dem sie dieses verdächtige Geschäft auftragen konnten? Sie wissen, war meine Antwort, daß mir Lessing allemal zuerst einfällt, wenn ich mich nach einem Beurteiler in solchen Dingen umsehe. Mit ihm habe ich sehr lange philosophischen Umgang gehabt; wir haben uns viele Jahre hindurch unsere Gedanken über diese Materien einander mitgeteilet; mit der unbefangenen Wahrheitsliebe mitgeteilet, die weder Rechthaberei, noch Gefälligkeit Statt finden läßt. Er ist es also, dessen Bild mir, zuweilen aus bloßer Gewohnheit, immer noch vorschwebt, so oft ein philosophischer Satz erörtert, so oft Gründe und Gegengründe ¦ mit
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einander verglichen, gegen einander abgewogen werden sollen. – Ich würde gleichwohl anstehen, sprach er, mich bei dieser Gelegenheit seines Namens zu bedienen. Um alles in der Welt willen möchte ich wider die Religionsgrundsätze dieses vortrefflichen Mannes nicht den mindesten Verdacht erregen. Wie? Lessing ein Verteidiger des Pantheismus, einer Lehre, die auf überfeine sophistische Gründe gebaut ist, und wenn sie nicht alle Wahrheiten der natürlichen Religion geradezu umstößt, solche doch wenigstens höchst problematisch macht? Wem mußten die Wahrheiten der Vernunftreligion unverletzlicher sein, als ihm, dem Beschützer des Fragmentisten?80 Dem Urheber des Nathan? Deutschland kennet keinen Weltweisen, der die Religion der Vernunft in einer solchen Lauterkeit, so ohne alle Vermischung mit Irrtum und Vorurteil gelehrt und dem schlichten Menschenverstande so überzeugend vorgetragen, als der Fragmentist. Seine Anhängigkeit an der natürlichen Religion ging so weit, daß er aus Eifer für dieselbe keine geoffenbarte neben ihr leiden wollte. Er glaubte ¦ alle Lichter auslöschen zu müssen, um die völlige Beleuchtung ungeteilt aus dem Lichte der Vernunft strömen zu lassen. Mit der Verteidigung | des Fragmentisten scheinet Lessing auch seine ganze Gesinnung übernommen zu haben. Man erkennet zwar schon an seinen frühesten Schriften, daß ihm die Vernunftwahrheiten der Religion und Sittenlehre allezeit heilig und unverletzlich gewesen sind; allein nach seiner Bekanntschaft mit dem Fragmentisten, bemerkt man in seinen Schriften, in allen den Aufsätzen, die er zur Beschützung seines Freundes oder Gastes,81 wie er ihn nennet, geschrieben, dieselbige ruhige Überzeugung, die diesem so eigen war, dieselbige unbefangene Entfernung von aller Zweifelsucht, denselbigen planen Gang des gesunden Menschenverstandes in Absicht auf die Wahrheiten der Vernunftreligion. – Und in seinem Nathan? Was Horaz in Absicht auf die Sittenlehre vom Homer saget: Qui, quid sit a pulcrum, quid turpe, quid utile, quid non, Plenius ac melius Chrysippo et Crantore dicit.82 ¦ a JubA: »sit« fehlt.
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eben das möchte ich von dem Meisterstücke Lessings, in Absicht auf gewisse Wahrheiten der natürlichen Religion, zu behaupten wagen. Hauptsächlich, was die Lehre von der Vorsehung und Regierung Gottes betrifft, kenne ich keinen Schriftsteller, der diese großen Wahrheiten in derselben Lauterkeit, mit derselben Überzeugungskraft, und mit demselben Interesse dem Leser ans Herz gelegt hätte, als er. Cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi! 83 In allen Handlungen der Menschen, die wir beobachten können, bemerken wir eine Art von Entgegensetzung zwischen Hoheit und Herablassung, Würde und Vertraulichkeit, die uns von der Schwierigkeit überzeuget, diese beide sittliche Eigenschaften in einem Charakter zu verbinden. Schon die Sprache führt auf eine solche Entgegensetzung; indem wir den abgeleiteten moralischen Sinn der Worte mit ihrem ursprünglichen physischen Sinne vergleichen, und die Hoheit oder Erhabenheit der Herablassung entgegen stellen. Wenn das physisch Erhabene herabgelassen wird; so hört es auf erhaben zu sein; daher ist ¦ man auch im Sittlichen diese Unmöglichkeit der Verbindung anzunehmen geneigt, wiewohl im Grunde hier grade das Gegenteil Statt hat; indem die höchste sittliche Erhabenheit in der Herablassung bestehet, und Würde ohne Vertraulichkeit ihren wahren Wert verkennet. Es ist eine nicht geringe Verfeinerung der Begriffe, diesen Unterschied zwischen dem Sittlichen und Physischen | einzusehen, und sich durch dasa gemeine Vorurteil nicht blenden zu lassen. Jener große König, der mit seinen Kindern auf Steckenpferden um den Tisch herumspazierend, von einem fremden Gesandten überrascht werden sollte, hatte Recht zu fragen: Ist er verheiratet? Ja, wurde geantwortet. Hat er Kinder? – Ja. – Nun so mag er hereinkommen, waren die Worte des guten Königs, der nur einem Vater die Gesinnung zutrauen konnte, daß die Würde durch väterliche Herablassung nichts verliere. Ohne eigenes Gefühl erkennet der Hofmann selten diese Wahrheit. Herablassung ist ihm gewöhna Erste Auflage und JubA: sich das.
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licher Weise Kleinheit des Geistes, und väterliche Vertraulichkeit wenig mehr, als Schwachheit. ¦ Dieselbe Schwierigkeit, sich diese beiden Eigenschaften in Verbindung zu denken, hat die Menschen von je her in Absicht der Religion, auf entgegengesetzte Irrwege geführt. Man hat entweder die Erhabenheit des göttlichen Wesens, oder dessen Herablassung übertrieben, und Gott bald von aller Mitwirkung ausgeschlossen, bald in alle menschliche Handlungen so mit eingeflochten, daß er auch an den menschlichen Schwachheiten Teil nehmen mußte. Die Philosophen,84 welche die Unendlichkeit Gottes einsahen, hielten es seiner für unwürdig, um das Schicksal des Menschen und anderer nicht unendlichen Wesen sich zu bekümmern. Sie erhoben also ihre Gottheit völlig über die sublunarische Welt, und trugen ihr bloß die Sorge für die Erhaltung des Ganzen auf; für die Arten und Geschlechter der Dinge, mit völliger Verzicht auf die Schicksale und Begegnisse einzelner Wesen; möchten diese übrigens zu der vernünftigen oder zu der unvernünftigen Klasse gehören. Das populäre System der Dichter und Priester war diesem gerade entgegen gesetzt. Nicht nur große Naturveränderungen, Be ¦ gebenheiten und Revolutionen der Staaten, Kriege und Verheerungen schrieben sie der unmittelbaren Einwirkung ihrer Gottheiten zu; sondern sie führten ihren Jupiter auch, als häuslichen Gast, zu ihrem Philemon und Baucis, und ließen ihn an dem dürftigen Schicksale dieser armen Landleute gastfreundlichen Anteil nehmen. Wenn diese Vorstellungsart von der einen Seite den Nutzen hatte, daß sie die Gottheit den Menschen gleichsam näher brachte, sie zum Zeugen und Richter der menschlichen Handlungen, so wie zum Tröster in Beschwerlichkeiten dieses Lebens machte; so hatte sie von der andern Seite hingegen den Fehler, daß sie die Gottheit zu menschlichen Schwachheiten herabwür | digte, und ihre unendliche Erhabenheit und Selbstgenügsamkeit nicht genug anzuerkennen, Veranlassung gab. Ferner ließ dieses populäre System die Hand der Gottheit nur in außerordentlichen und erstaunlichen Fällen, oder in Wunderdingen erkennen; das heißt, bloß in solchen einzelnen Begebenheiten, wo das Absichtliche in die Augen fällt, wo die Mitwirkung
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eines freiwilligen, nach ¦ Vorsatz und mit Bewußtsein handelnden Wesens nicht zu bezweifeln ist. Der gemeine Lauf der Dinge aber, wo alles nach festgesetzten Regeln zu gehen scheinet, wurde für Wirkung der Natur gehalten, und der Mitwirkung der Gottheit gänzlich entzogen. Ordnung der Natur und Wille der Gottheit waren sich wie entgegen gesetzt. Jemehr man Ordnung und Regelmäßigkeit in dem Laufe der Natur entdeckte; desto weniger Raum wurde der Regierung Gottes gelassen, und daher kömmt es, daß die ersten Naturforscher auch die ersten Gottesleugner gewesen sind. Sie wissen, fuhr er fort, daß in dem letzten Jahrhunderte die größten Männer diese Begriffe noch nicht soa völlig ins Reine gebracht hatten. Immer noch wurde das philosophische Vorurteil begünstigt, daß die allerhöchste Ursache bloß nach allgemeinen Gesetzen handle. Das Besondre war bloß, als Folge aus dem Allgemeinen, ein Gegenstand der göttlichen Regierung. An und für sich konnte es der göttlichen Absicht gemäß oder zuwider sein; so wie es die allgemeinen Gesetze der Natur mit sich brachten, so und nicht ¦ anders mußte es von der göttlichen Regierung zugelassen, oder durch eine unmittelbare Dazwischenkunft, das ist, durch ein Wunderwerk, aus dem Wege geschafft werden. Es ist der höchste Triumph menschlicher Weisheit, die vollkommenste Harmonie zwischen dem System der Absichten und dem System der wirkenden Ursachen anzuerkennen, und mit Shaftesbury und Leibnizen 85 einzusehen, daß die Absichten Gottes, so wie seine Mitwirkung, bis auf die kleinste Veränderung und einzelne Begebenheiten, des Leblosen sowohl als des Lebendigen, sich erstrecken; daß aus der Ähnlichkeit einzelner Dinge, Begebenheiten und Endzwecke die allgemeinen Gesetze der Absichten, und auf eine vollkommen harmonische Weise auch die allgemeinen Gesetze der wirkenden Ursachen entspringen; daß hier nirgends eine Lücke sei, und daß jede Naturwirkung eben sowohl der göttlichen Absicht zustimme, als sie aus seiner Allmacht fließe. Gottes Regierung und Vorsehung in | den allera »so« fehlt in JubA.
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kleinsten Begebenheiten nicht verkennen, sie gerade deswegen nicht verkennen, weil diese Dinge ¦ nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur erfolgen; Gott also mehr in Naturbegebenheiten, als in Wunderdingen verehren, dieses, dünkt mich, ist die höchste Veredlung menschlicher Begriffe, die erhabenste Weise, über Gott und seine Regierung und Vorsehung zu denken. Ich gab ihm meinen Beifall zu erkennen, und führte die Worte des Rabbinen86 an, der diesen Gegensatz der Erhabenheit und Herablassung bereits bemerkt hat: Allenthalben, wo du Gottes Größe und Erhabenheit findest, da findest du auch seine Herablassung. Besonders merkwürdig sind die Stellen aus der Schrift, mit welchen dieser Lehrer, nach Gewohnheit der Rabbinen, diese Lehre belegt, und der lyrische Schwung, den ihr der Psalmist zu geben weiß: Wer ist wie unser Gott, der Ewige? Wer thront so hoch? Schauet so tief? Im Himmel? Auf Erden?87 D. fuhr fort: Nun dünkt mich, Freund, daß eben diese Lehre von keinem Schriftsteller, auf ¦ der einen Seite mit mehrerer Überzeugung und Darstellung in einzelnen Fällen; auf der andern Seite mit mehr Inbrunst und frommer Begeisterung vorgetragen worden sei, als von unserm unsterblichen Lessing. Erinnern wir uns nur jener vortrefflichen Szenen seines dramatischen Lehrgedichts, in welchen er die wahre Lehre von der Vorsehung und Regierung Gottes, so wie das Schädliche in der Vorstellungsart, nach welcher man immer nach Wunderdingen ausgehet, um den Finger der Gottheit zu erkennen, mit aller Deutlichkeit des didaktischen Weltweisen, und zugleich mit aller Energie des theatralischen Dichters,88 bis zur Augenscheinlichkeit dargestellt hat. Eine Verbindung, die nur einem Lessing, wiewohl vielleicht auch diesem nur in unsrer Muttersprache, möglich gewesen. Nur unsre Muttersprache scheint diese Art von Ausbildung erlangt zu haben, daß sich die Sprache der Vernunft in derselben mit der lebendigsten Darstellung verbinden läßt.
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Es kömmt mir vor, sagte ich, als wenn Lessing die Absicht gehabt hätte, in seinem Nathan ¦ eine Art von Anti-Candide zu schreiben. Der Französische Dichter89 sammelte alle Kräfte seines Witzes, spornte die unerschöpfliche Laune seines satirischen Geistes, mit einem | Worte, strengte alle außerordentliche Talente, die ihm die Vorsehung gegeben, an, um auf diese Vorsehung selbst eine Satire zu verfertigen. Der Deutsche tat eben dieses, um sie zu rechtfertigen, und um sie den Augen der Sterblichen in ihrer reinsten Verklärung zu zeigen. Ich weiß mich zu erinnern, daß mein verewigter Freund, bald nach der Erscheinung des Candide, den flüchtigen Einfall hatte, einen Pendant zu demselben zu schreiben, oder vielmehr eine Fortsetzung90 desselben, in welcher er durch eine Folge von Begebenheiten zu zeigen Willens war, daß alle die Übel, die Voltaire gehäuft, und auf Rechnung der verleumdeten Vorsehung zusammengedichtet hatte, am Ende dennoch zum Besten gelenkt, und zu den allerweisesten Absichten einstimmig gefunden werden sollten. Es scheint, der Französische Satiriker habe ihm die Aufgabe zu schwer gemacht, habe durch Erdichtung mehr Übel gehäuft, als sich ¦ durch Erdichtung wieder gut machen ließen. Lessing ging daher lieber seinen eigenen Weg, schuf sich eine Folge von Begebenheiten, die an Geist und Dichtungskraft dem Candide doch wohl zur Seite gestellt werden darf? und an Vortrefflichkeit der Absichten, an Weisheit und Nützlichkeit sich zu demselben verhält, ungefähr wie der Himmel zu der Hölle, oder wie die Wege Gottes zu den Wegen des Verführers. Und eben dieses herrliche Lobgedicht auf die Vorsehung, ergriff D. wieder das Wort, eben diese selige Bemühung, die Wege Gottes vor den Menschen zu rechtfertigen, wie teuer ist sie nicht unserm unsterblichen Freunde geworden! Ach! sie hat ihm seine letzten Tage verbittert, wo nicht gar am Ende sein kostbares Leben abgekürzet. Bei der Herausgabe der Fragmente war er darauf gefaßt, den ganzen Schwarm von Schriftstellern über sich herfallen zu sehen, die mit und ohne Beruf die Fragmente würden widerlegen wollen, und er hielt sich für stark genug, seinen Gast wider alle ungezogene Angriffe seiner Gegner zu
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verteidigen. So mancherlei auch die ¦ Wege waren, welche seine Widersacher einschlagen konnten, und wie der Erfolg zeigte, auch wirklich einschlugen, um ihn zu bekämpfen: so glaubte er doch allen denjenigen die Spitze bieten zu können, die sich nicht durch Billigkeit und Liebe zur Wahrheit auszeichnen würden. Am Ende blieb es, so lebhaft er den Streit auch führte, bloß ein Schulgezänke, das von der einen und der andern Seite manche angenehme und auch unangenehme Stunden machen; | aber so wie er dachte, auf die Glückseligkeit des Lebens keinen wesentlichen Einfluß haben sollte. Aber wie sehr veränderte sich die Szene, nach der Erscheinung des Nathan! Nunmehr drang die Kabale91 aus den Studierstuben und Buchläden in die Privathäuser seiner Freunde und Bekannten mit ein; flüsterte jedem ins Ohr: Lessing habe das Christentum beschimpft, ob er gleich nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu machen gewagt hatte. Im Grunde gereicht sein Nathan, wie wir uns gestehen müssen, der Christenheit zur wahren Ehre. Auf welcher hohen Stufe der Aufklärung und ¦ Bildung muß ein Volk stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesinnungen hinaufschwingen, zu dieser feinen Kenntnis göttlicher und menschlicher Dinge ausbilden konnte! Wenigstens, dünkt mich, wird die Nachwelt so denken müssen; aber so dachten sie nicht, die Zeitgenossen Lessings. Jeden Vorwurf des Eigendünkels und der einseitigen Denkungsart, den er einigen seiner Glaubensbrüder machte, oder durch seine dramatische Personen machen ließ, hielt ein jeder für eine persönliche Beleidigung, die ihm von Lessing widerfahren. Der allenthalben willkommne Freund und Bekannte fand nunmehr allenthalben trockene Gesichter, zurückhaltende, frostige Blicke, kalte Bewillkommung und frohe Abschiede, sah sich von Freunden und Bekannten verlassen und allen Nachstellungen seiner Verfolger bloßgestellt. Sonderbar! Unter den abergläubigsten Franzosen hatte Candide für Voltaire bei weitem die schlimmen Folgen nicht, zog ihm diese Schmähschrift auf die Vorsehung bei weitem die Feindschaft nicht zu, die sich unter den aufgeklärtesten Deutschen Lessing durch ¦ die Verteidigung derselben, durch seinen Nathan zugezogen, und
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traurig sind die Wirkungen, die dieses in seinem Gemüte hervorbrachte! Lessing, der aller seiner gelehrten Arbeiten ungeachtet, immer noch der angenehmste Gesellschafter, der fröhlichste Tischfreund gewesen, verlor nunmehr seine jovialische Laune völlig, ward zu einer schläfrigen, gefühllosen Maschine. – Halten Sie ein, Freund! fiel ich ihm hier in das Wort, verschonen Sie mich mit dieser melancholischen Erinnerung! – Schon recht, sagte er. Sie ist trostlos, diese melancholische Erinnerung, und gehört auch überhaupt jetzt nicht zu meinem Vorhaben. Ich wollte nur anführen, was Lessing für die Wahrheiten der Vernunftreligion getan und gelitten, und was für Verdienste er sich um alle Freunde und Bekenner derselben erwor | ben. Ein solcher Mann sollte uns zu verehrungswert sein, um ihn zur Verteidigung des Irrtums zu mißbrauchen. Wollen Sie ihren Freund an ihren philosophischen Unterhaltungen noch Anteil nehmen lassen; so geben Sie ihm wenigstens keine schlechtere Gesinnung als er ¦ selbst zu erkennen gegeben. Lassen Sie ihn keine Irrlehre verteidigen, von der er doch sehr weit entfernt sein mußte. – Sie denken also wohl, sprach ich, Lessing würde sich nach seinem Charakter gefreut haben, den Pantheismus oder Spinozismus durch mich gestürzt zu sehen; ich möchte es mit guten oder schlechten Gründen getan haben? »Dieses nun zwar eben nicht.« Dieses so weit entfernet, daß es vielmehr geradezua in seinem Charakter war, sich einer jeden verfolgten Lehre anzunehmen, er mochte ihr zugetan, oder nicht zugetan sein, und allen seinen Scharfsinn aufzubieten, um noch etwas zu ihrer Rechtfertigung vorzubringen. Der irrigste Satz, die ungereimteste Meinung durfte nur mit seichten Gründen bestritten werden, und sie können versichert sein, Lessing würde sie in Schutz genommen haben. Geist der Untersuchung war bei ihm alles. Mit seichten Gründen behauptete Wahrheit, pflegte er zu sagen, ist Vorurteil; nicht minder schädlich, als offenbarer Irrtum, und zuweilen noch schädlicher; denn ein solches ¦ Vorurteil führt zur Trägheit a Erste Auflage und JubA: gerade zu.
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im Nachforschen und tötet den Untersuchungsgeist. Ich bin versichert, wenn die Beurteiler der Fragmente sie mit schlechten Gründen verteidiget hätten, Lessing wäre der erste gewesen, sie zu bestreiten. Ich habe das Lob unsers Freundes, fuhr ich fort, aus Ihrem Munde mit inniger Ergötzung vernommen. Ach! es ist tröstlich, bei aller Gleichgültigkeit oder Undankbarkeit des großen Haufens höchst tröstlich, das Andenken solcher Wohltäter in edlen Gemütern so frisch erhalten und Frucht bringen zu sehen. Auch lobe ich den Eifer, mit welchem Sie sich der Religionsgrundsätze dieses Weltweisen annehmen. Ich erkenne von ganzem Herzen die Aufrichtigkeit und Redlichkeit seiner Gesinnung, so oft von den wichtigsten Wahrheiten der Religion die Rede ist, und gleichwohl halte ich es nicht für nötig, seinen Geist um Vergebung zu bitten, daß ich ihn zur Verteidigung des Pantheismus herauf bemühet habe. Ohne demselben zugetan zu sein, konnte er sich, so wie ich ihn gekannt habe, selbst eines Irrtums mit Eifer annehmen, wenn die Grün¦de nicht hinrei | chend waren, mit welchen man ihn bestreiten wollte. Auch habe ich in dem Verfolg meiner letzten Vorlesung gezeigt, daß der verfeinerte Pantheismus gar wohl mit den Wahrheiten der Religion und der Sittenlehre bestehen könne, daß der Unterschied bloß in einer überfeinen Spekulation bestehe, die auf menschliche Handlungen und Glückseligkeit nicht den mindesten Einfluß hat, und daß er vielmehr alles an seinem Orte gestellt sein lasse, was irgend praktisch werden und im Leben oder selbst in den Meinungen der Menschen von merklichen Folgen sein kann. Sehen Sie hier eine Stelle in Lessings theologischem Nachlaß,92 die Sie überführen wird, daß Lessing über diesen Punkt eben so gedacht habe. Sie ist zwar, wie ich mich erinnere, aus einem jugendlichen Aufsatze,93 davon er mir das Wesentlichste, gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft, vorgelesen hatte. Allein sie zeigt Ihnen doch wenigstens die Wendung, die er schon so früh dieser Spekulation zu geben wußte, und ¦ wo mir recht ist, so trägt eine kleine Schrift94, die er kurz vor seinem Tode her-
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ausgegeben, nicht undeutliche Spuren von eben derselben Denkungsart. Diese Stelle ist aus dem zwölften Aufsatze seines Nachlasses, den er das Christentum der Vernunft betitelt. Ich werde Ihnen die wichtigsten Sätze daraus anführen, denn er bestehet ganz aus einzelnen Sätzen, die unvollendet in seinen Papieren gefunden worden sind. Siea lauten: §1 Das einzige vollkommenste Wesen hat sich von Ewigkeit her mit nichts als mit der Betrachtung des Vollkommensten beschäftigen können. §2 Das Vollkommenste ist er selbst; also hat Gott von Ewigkeit her nur sich selbst denken können. §3 Vorstellen, wollen und schaffen, ist bei Gott eins. Man kann also sagen, alles was sich Gott vorstellet, alles das schafft er auch.
¦§4 Gott kann sich nur auf zweierlei Art denken; entweder er denkt alle seine Vollkommenheiten auf einmal, und sich als den Inbegriff | derselben, oder er denkt seine Vollkommenheiten zerteilt, eine von der andren abgesondert, und jede von sich selbst nach Graden abgeteilt. §5 Gott dachte sich von Ewigkeit her in aller seiner Vollkommenheit, d. h. Gott schuf sich von Ewigkeit her ein Wesen, dem keine Vollkommenheit mangelte, die er selbst besaß. – In den folgenden Sätzen sucht L. durch eine nicht unfeine Wendung, hieraus das Geheimnis der Dreieinigkeit zu erklären; oder gar, wie er sich öfters in jüngern Jahren schmeichelte, metaphya JubA: sind, Sie.
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sisch zu demonstrieren. Von dieser jugendlichen Anmaßung, mit welcher die strengsten Anhänger der athanasischen Lehre95 selbst nicht zufrieden sind, ist er freilich in der Folge zurück gekommen. Indessen erkennet man hier noch die deutlichsten Spuren davon, und dieses ist mir ein ¦ Beweis, daß der Aufsatz von sehr frühem Datum sein müsse. – Lessing fährt fort: § 13 Gott dachte seine Vollkommenheiten zerteilt, d. i., er schaffte Wesen, wovon jedes etwas von seinen Vollkommenheiten hat; denn, um es nochmals zu wiederholen, jeder Gedanke ist bei Gott eine Schöpfung. § 14 Alle diese Wesen zusammen, heißen die Welt. § 15 Gott könnte seine Vollkommenheiten auf unendliche Art zerteilt denken; es könnten also unendlich viel Welten möglich sein, wenn Gott nicht allezeit das Vollkommenste dächte, und also unter diesen Arten die vollkommenste Art gedacht und dadurch wirklich gemacht hätte. § 16 Die vollkommenste Art seine Vollkommenheiten zerteilt zu denken, ist diejenige, wenn man sie nach unendlichen Graden des Mehreren und Wenigern, welche so auf einander folgen, ¦ daß nirgends ein Sprung oder eine Lücke zwischen ihnen ist, zerteilt denkt. | § 17 Nach solchen Graden also müssen die Wesen in dieser Welt geordnet sein. Sie müssen eine Reihe ausmachen, in welcher jedes Glied alles dasjenige enthält, was die untern Glieder enthalten, und noch etwas mehr; welches etwas mehr aber nie die letzte Grenze erreicht.
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§ 18 Eine solche Reihe muß eine unendliche Reihe sein, und in diesem Verstande ist die Unendlichkeit der Welt unwidersprechlich. § 19 Gott schafft nichts als einfache Wesen, und das Zusammengesetzte ist nichts als eine Folge seiner Schöpfung. § 20 Da jedes von diesen einfachen Wesen etwas hat, welches die andern haben, und keines etwas haben kann, das die andern nicht hätten; so muß unter diesen einfachen Wesen eine Har¦monie sein, aus welcher Harmonie alles zu erklären ist, was unter ihnen vorgehet, d. i., in der Welt vorgehet. § 21 Bis hieher wird einst ein glücklicher Christ das Gebiete der Naturlehre erstrecken. Doch erst nach langen Jahrhunderten, wenn man alle Erscheinungen in der Natur wird ergründeta haben, so daß nichts mehr übrig ist, als sie auf ihre wahre Quelle zurückzuführen. § 22 Da diese einfache Wesen gleichsam eingeschränkte Götter sind, so müssen auch ihre Vollkommenheiten den Vollkommenheiten Gottes ähnlich sein; so wie Teile dem Ganzen. § 23 Zu den Vollkommenheiten Gottes gehört dieses, daß er sich seiner Vollkommenheit bewußt ist, und dieses, daß er seiner Vollkommenheit gemäß handeln kann. Beide sind gleichsam das Siegel seiner Vollkommenheiten. | ¦ § 24 Mit den verschiedenen Graden seiner Vollkommenheiten müsa Erste Auflage: gegründet.
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sen also auch verschiedene Grade des Bewußtseins dieser Vollkommenheiten und der Vermögenheit, derselben gemäß zu handeln, verbunden sein. § 25 Wesen, welche Vollkommenheiten haben, sich ihrer Vollkommenheitena bewußt sind, und das Vermögen besitzen, ihnen gemäß zu handlen, heißen moralische Wesen, d. i. solche, die einem Gesetz folgen können. § 26 Dieses Gesetz ist aus ihrer eignen Natur genommen, und kann kein andres sein, als: handle deinen individualischen Vollkommenheiten gemäß. § 27 Da in der Reihe der Wesen unmöglich ein Sprung statt finden kann, so müssen auch solche Wesen existieren, welche sich ihrer Vollkommen¦heiten nicht deutlich bewußt sind – – – Sie sehen, setzte ich endlich hinzu, daß Lessing sich den Pantheismus völlig so verfeinert gedacht, als ich ihn vorgestellt habe; in der besten Harmonie mit allem, was auf Leben und Glückseligkeit Einfluß haben kann; ja daß er auf dem Wege war, pantheistische Begriffe so gar mit der positiven Religion zu verbinden: und in der Tat geht es hiemit eben so gut, als mit dem Emanationssystem der Alten,96 das viele Jahrhunderte hindurch in der Religion aufgenommen, und für die einzige rechtgläubige Lehre gehalten worden ist. Auf dem langen Wege, den man von diesen überfeinen Spekulationen bis auf das Praktische der Religion und Sittenlehre zu machen hat, gibt es so manche bequeme Stellen, wo man von dem Nebenwege ab in die offne Heerstraße wieder einlenken kann. So wie ein Rechnungsfehler sich durch den andern wieder heben und berichtigen läßt; eben so kann eine Unrichtigkeit in dergleichen abgezogenen Meditationen, gar bald durch die andere gehoben, eine ¦ kleine Ausweichung, die in der Folge gar weit vom Ziele abgeführt haben würde, durch eine eben so gea JubA: Vollkommenheit.
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ringe Ein | lenkung verbessert werden, und man ist wieder im Gleise. Daher die Verächtlichkeit der Konsequenzerei, die von jeher die Mutter, oder wenigstens die Verpflegerin, aller Verfolgung und alles Religionshasses unter den Menschen gewesen ist.
| ¦ XVI. Erläuterung der Begriffe von Notwendigkeit, Zufälligkeit, Unabhängigkeit und Abhängigkeit – Versuch eines neuen Beweises für das Dasein Gottes, aus der Unvollständigkeit der Selbsterkenntnis Wenn von einem Dinge erwiesen ist, daß es vorhanden sei; so ergibt sich die Möglichkeit von selbst. Alles, was wirklich ist, muß auch gedacht werden können. Nun haben wir einräumen müssen, daß ein zufälliges abhängiges Wesen vorhanden sei; denn unser eignes Dasein ist von der höchsten Evidenz; das Bewußtsein unsrer Eingeschränktheit von der unleugbarsten Evidenz. Wir haben ferner zugeben müssen, daß das Abhängige, ohne etwas Unabhängiges nicht denkbar sei, und also auch nicht vorhanden sein könne, und hierdurch sahen wir uns gezwungen, die Wirklichkeit eines notwendigen, unabhängigen Wesens zuzugeben, ohne welches wir zufällige, abhängige Wesen nicht würden vorhanden sein können. Wer war es von euch, der letzthin von diesen Kunstwörtern abhängig, zufällig, und ¦ ihrem Gegensatze, unabhängig und notwendig, eine deutlichere Auseinandersetzung verlangte? W. Ich erinnere mich, Sie hierum ersucht zu haben. Das Wort abhängig scheint bei mir noch zu sehr an der Metapher zu kleben; das Wort notwendig etwas von einer Not, von einem Zwange mit sich zu führen, davon es in dem Sinne, in welchem es hier gebraucht wird, befreiet werden muß. Sodann schienen Sie mir auch diese beide Redensarten synonymisch zu gebrauchen, und ich ersuchte Siea, mich ihren Unterschied bemerken zu lassen.
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Laß sehen mein Sohn! wenn ein Ding A. wirklich sein soll; muß nicht der Satz: A ist wirklich vorhanden, zur Wahrheit werden? Allerdings! Muß er also nicht mit der Vernunft begreiflich sein? W. Mit der Vernunft oder mit dem Sinne. Wahrheit muß durch positive Kraft unsers Denkungsvermögens erkennbar sein. Die Sinne aber sind nicht weniger positive Seelenkraft, als die Vernunft. ¦ Wohl! Haben wir aber nicht gesehen, daß beides, vernünftige und sinnliche Erkenntnis aus eben derselben Quelle fließe, und daß alle sinnliche Erkenntnis sich in Vernunfterkenntnis auflösen lasse? | Wenn wir einen Satz vermittelst der Sinne für wahr erkennen; so muß das Subjekt desselben, mit solchen individuellen Bestimmungen gedacht werden, aus welchen das Prädikat unausbleiblich fließet. Die Sinne entwickeln diese Bestimmungen nicht und umfassen sie durch den Begriff des Raums oder der Zeit, auf welche sie das Factum anweisen; aber der Vernunft muß es möglich sein, diese individuellen Bestimmungen zu entwickeln, auseinander zu setzen, und den sinnlich erkannten Satz dadurch in einen Vernunftsatz zu verwandeln. Hier ist ein Baum! Wir erkennen dieses vermittelst der Sinne, und es ist also eine sinnlich erkannte Wahrheit: ein Baum ist hier wirklich vorhanden. Alle Bestimmungen, die zu dem Begriffe eines Baums hinzukommen müssen; der Boden, in welchem er eingepflanzt ist; das Samenkörnlein, aus welchem er hervorgewachsen; ¦ Luft, Sonnenschein, Regen und alles, was sonst dazu beigetragen, daß der Baum wirklich geworden, umfassen wir durch das Wort hier, durch die Beziehung auf einen Ort im Raume, in welchem alle diese Bestimmungen zusammengetroffen haben. Unsrer subjektiven Vernunft ist es zwar nicht möglich, alle diese Umstände und nähere Bestimmungen zu entwickeln; aber der Vernunft, objektive betrachtet, muß es gar wohl möglich sein, sie aus einander zu setzen und in deutliche Begriffe zu verwandeln. – Wir haben heute einen heitern Frühlingsmorgen. Die Zeitbestimmung heute umfasset abermals alle Individualumstände, die vorhergegangen
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sind, und dazu beigetragen haben, daß dieser Frühlingsmorgen wirklich heiter geworden ist. Wenn aber die Erkenntnisquelle der Seele eine und eben dieselbe sein soll; so muß die Vernunft, objektive betrachtet, auseinandersetzen und deutlich angeben können, welche nähere Bestimmungen vorangegangen, und in wie weit sie zur Heiterkeit dieses Morgens beigetragen haben. Mit einem Worte, jeder sinnlich erkannte Satz muß ¦ an und für sich in eine Vernunftwahrheit aufgelöst werden können, dessen Subjekt alle die Individualbestimmungen enthält, unter welchen das Prädikat der Wirklichkeit ihm zugeschrieben wird; ist dieses nicht deutlich? Vollkommen! Wenn also auch der Satz: A ist wirklich vorhanden, eine sinnlich erkannte Wahrheit ist, so muß es der Vernunft möglich sein, zu dem Subjekte A solche Bedingungen hinzuzudenken, unter welchen ihm das Prädikat der Wirklichkeit zukömmt, unter welchen die Verbindung des Subjekts mit dem Prädikat begreiflich wird. Nun | kann dieses auf zweierlei Art geschehen. Entweder die Bedingungen, unter welchen der Satz zur Vernunftwahrweit wird, enthalten selbst die Wirklichkeit eines von A verschiedenen Dinges, und setzen das Dasein desselben voraus, wie hier der Fall war, bei der Wirklichkeit des Baums, oder dieses schönen Tages. Ohne Voraussetzung aller Wirkursachen, die den Baum oder den heitern Morgen hervorgebracht haben, läßt sich die Wirklichkeit derselben an und für sich nicht begreifen. Dinge dieser Art werden ab ¦ hängig genennt; in so weit die Wirklichkeit derselben nicht ohne Voraussetzung anderer wirklichen und von ihnen verschiedenen Dinge vernünftig zu begreifen ist. Ihr Dasein fließet also nicht aus ihrer Denkbarkeit; sondern aus der damit verbundenen Wirklichkeit eines andern Dinges. In so weit ihr wirkliches Vorhandensein, keine Folge von ihrer Denkbarkeit ist, werden sie zufällig genennet; in so weit aber das Dasein eines andern Dinges ihre Wirklichkeit begründet, sagt man, sie sind abhängig; ihr Dasein hängt vom Dasein eines von ihnen verschiedenen Dinges ab, ohne welches es nicht vernünftig zu begreifen ist. Nun haben wir ferner zugeben müssen, daß der Inbegriff aller zufälligen Wesen, selbst in einer Unendlichkeit zusammenge-
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nommen, kein wirkliches Dasein auf eine der Vernunft genugtuende Weise begreiflich machen könne. Die Frage wird verschoben, aber nicht aufgelöst. Wir müssen am Ende, so wie im Anfange, noch immer unter den Bedingungen des Subjekts die Wirklichkeit anderer Dinge voraussetzen, die, ¦ wenn sie eben so abhängig, eben so zufällig sein sollen, die Vernunft nicht einen Schritt weiter bringen, und die Begreiflichkeit des Satzes mehr verwickeln, als auflösen. Wir sind also genötiget gewesen, zum Dasein eines unabhängigen und notwendigen Wesens unsere Zuflucht zu nehmen. Eines unabhängigen, dessen Wirklichkeit ohne Voraussetzung eines von ihm verschiedenen Dinges denkbar ist; eines notwendigen, dessen Denkbarkeit allein hinreichend ist, sein wirkliches Vorhandensein zu begründen; ein Wesen, das wirklich ist, weil es gedacht werden kann; weil es möglich ist; und dieses war der zweite Fall, in welchem der Satz: A ist wirklich vorhanden, Wahrheit sein kann, wenn zu den Bedingungen des Subjekts keine Wirklichkeit eines von ihm verschiedenen Wesens gehöret, wenn die bloße Denkbarkeit hinreichet, sein Dasein zu begründen. | Die Kennzeichen des Zufälligen, Abhängigen, Notwendigen und Unabhängigen sind auf diese Weise, wie mich dünkt, deutlich genug auseinander gesetzt. In so weit zur Wirklichkeit eines ¦ Wesens die Wirklichkeit eines andern von ihm verschiedenen Dinges nicht vorausgesetzt werden darf, wird es unabhängig genennt: in so weit aber die Wirklichkeit desselben aus seiner Denkbarkeit fließet; in so weit das Gegenteil, ein solches Wesen sei nicht wirklich vorhanden, an und für sich nicht gedacht werden kann, wird demselben Notwendigkeit zugeschrieben, und wir sagen: Gott sei ein notwendiges Wesen, d. h. das Dasein Gottes fließet aus seiner Denkbarkeit, und das Gegenteil oder das Nichtvorhandensein desselben ist an und für sich nicht denkbar. Ist ein solches Wesen möglich? Hiervon kann weiter die Frage nicht sein, nachdem wir durch die augenscheinliche Überzeugung von unserm eigenen Dasein durch eine richtige Schlußkette auf das Dasein eines solchen Wesens geführt worden sind. Der Begriff muß Wahrheit enthalten, auf
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¦ 291 – 293
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welchen wir durch die positive Kraft unsres Denkungsvermögens gebracht werden. Wenn Zufälliges vorhanden ist; so muß auch Notwendiges vorhanden, und um so vielmehr denkbar sein. ¦ Ich werde es versuchen, diesen Beweis auch auf eine Art zu führen; auf eine Art, die so viel ich weiß, noch von keinem Weltweisen berührt worden ist. Merket also auf meine Söhne! und erinnert mich, so oft ich etwa aus Vorliebe für meinen Gedanken, mir einen Fehltritt erlauben möchte. Außer der unmittelbaren Empfindung meines eigenen Daseins, das, wie wir gesehen, über alle Zweifel hinweg ist, setze ich noch folgende Wahrnehmung, als ungezweifelt,a voraus: Ich bin nicht bloß das, was ich von mir deutlich erkenne, oder, welches eben so viel ist: Zu meinem Dasein gehört mehr, als ich mit Bewußtsein von mir einsehe, und auch das, was ich von mir erkenne, ist an und für sich einer größern Entwickelung, größern Deutlichkeit und größern Vollständigkeit fähig, als ich ihm zu geben vermag. Diese Beobachtung ist, wie mich dünkt, nicht weniger von der unleugbarstenb Evidenz. Als Wahrnehmung des innren Sinnes, hat sie ihre subjektive Gewißheit; und da in Absicht auf mich selbst, mein eigenes ich auch das Subjekt ¦ der Gedanken ist; so kann mir auch das unmittelbar erkannte, als Prädikat, zugeschrieben werden. Daß ich nicht alles weiß, was zu meinem Dasein gehöret, kann kein Betrug der Sinne, | keine Täuschung sein; denn wir tragen erstlich, nichts innerlich Erkanntes in ein äußerliches Objekt; wir wollen keine Beschaffenheiten verschiedener Sinne in Verbindung bringen, nicht von oft auf immer schließen; welches alles Quellen der Sinnentäuschung waren, wie wir in der Vorerkenntnis gesehen: und sodann würde diese Täuschung ja selbst beweisen, daß wir uns nicht recht kennen, und also manches in uns wirklich sei, dessen wir uns nicht bewußt sind. In der Tat würde weder unser Leib, noch unsre
a JubA: ungezweifelte.
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¦ 293 – 295
b JubA: unleugbaren.
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Seele vorhanden sein können, wenn sie bloß das wären, was wir von ihnen mit Deutlichkeit einsehen. Nun behaupte ich, nicht nur alles mögliche müsse als möglich, sondern auch alles Wirkliche müsse als wirklich, von irgend einem denkenden Wesen gedacht werden. Was sich kein denkendes Wesen als möglich vorstellet, ist auch in der ¦ Tat nicht möglich, und eben also kann dasjenige, was von keinem denkenden Wesen als wirklich gedacht wird, auch in der Tat nicht wirklich vorhanden sein. Dem gesunden Menschenverstande scheinen diese Sätze schon einzuleuchten. Jeder mögliche Begriff wird, als die Abänderung eines Subjekts gedacht, als Gedanke in einem denkenden Wesen. Er muß also wenigstens idealisches Dasein haben, d. h. irgend eines denkenden Wesens wahrer Begriff sein, und dieses war die erste Hälfte unsers Satzes: jede Möglichkeit muß als Möglichkeit gedacht werden. Aber auch jede Wirklichkeit, wenn sie wahr sein soll, muß von irgend einem Wesen als Wahrheit erkannt und begriffen werden. Der Sache muß ein Begriff entsprechen; jedes Objekt muß in irgend einem Subjekte dargestellt; jedes Vorbild in irgend einem Spiegel nachgebildet werden. Sache ohne Begriff hat keine Wahrheit, Wahrheit, ohne daß irgend ein Wesen von ihr versichert sei, führt nicht den mindesten Grad von Evidenz mit sich, ist also keine Wahrheit. ¦ Werden diese Sätze eingeräumt, so folget auf eine handgreifliche Weise, daß ein Wesen vorhanden sein müsse, welches alles, was zu meinem Dasein gehöret, auf das allerdeutlichste, reinste und ausführlichste sich vorstellet. Jede eingeschränkte Erkenntnis würde nicht alles enthalten, was zu meinem wirklichen Dasein gehört. Das Bewußtsein und die deutliche Einsicht eines zufälligen Wesens, ja aller zufälligen Wesen zusammen genommen, reichet nicht so weit, als das Dasein eines einzigen Sonnenstäubleins. In seiner | Wirklichkeit liegen unendlich viele Merkmale, die von allen zufälligen Wesen zusammen genommen, weder der Ausbreitung noch der Stärke nach, auf das allerdeutlichste begriffen werden. Mit einem Worte, keine Wahrheit kann
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von zufälligen Wesen mit dem höchsten Grade der Erkenntnis, als möglich, keine Wirklichkeit auf das allervollkommenste, als wirklich, gedacht werden. Es muß also ein denkendes Wesen, einen Verstand geben, der den Inbegriff aller Möglichkeiten, als möglich, den Inbegriff aller Wirklichkeiten, als wirklich, auf ¦ das vollkommenste denket, d. h. in ihrer möglichsten Entwicklung, der Koordination sowohl, als der Subordination nach, auf das deutlichste, vollständigste und ausführlichste sich vorstellt. Es gibt einen unendlichen Verstand u. s. w. Was in dieser Schlußkette noch undeutlich sein könnte, ist etwa der Satz, daß alles wirkliche von einem denkenden Wesen gedacht werden müsse. Ich sehe wohl ein, dürfte mancher sagen, daß alles Wirkliche nicht anders, als denkbar sein könne. Wie folgt aber hieraus, daß es irgend von einem Wesen in der Tat müsse gedacht werden? Heißt dieses nicht von Möglichkeit auf Wirklichkeit, von Können auf Geschehen schließen? Man scheinet also das zu erbetteln oder zu erschleichen, was erst erwiesen werden soll. Ist es nicht etwa dieses, das euch noch einiges Bedenken macht? Eben dieses, war die Antwort einstimmig. Mich dünkt, das Wort können bringe uns hier abermals, durch seine Vieldeutigkeit, die Begriffe in Verwirrung. Wir müssen dem Worte ausweichen, wenn wir seine Schlinge vermei ¦ den wollen. – – Wenn von einem Dinge gesagt wird, daß es etwas könne; etwas tun oder etwas leiden könne, daß es Vermögen, Fähigkeit, Anlage wozu habe, bedeutet dieses nicht eine gewisse Möglichkeit, die wir ihm zuschreiben? Nichts anders! aber man unterscheidet entfernte, nahe und nächste Möglichkeit – Ganz recht! aber so nahe und nächst sie auch immer sei; so bleibt sie doch immer noch eine bloße Möglichkeit, wie die Logiker sie nennen; eine Möglichkeit, davon noch nichts wirklich geworden ist. Der Luft, die uns umgibt, z. B. wird die Elastizität, oder die Fähigkeit ausgedehnt zu werden, da sie es noch nicht ist, beigelegt. Mir, der ich hier sitze, wird das Vermögen aufzustehen, bevor ich es wirklich ausübe, zugeschrieben. In allen diesen
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¦ 297 – 299
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Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes
Fällen also werden | von den Subjekten bloße Möglichkeiten als Prädikate ausgesagt. Wie können aber bloße Möglichkeiten als wirkliche Prädikate vorhanden sein? Dieses scheint allerdings unbegreiflich. ¦ Widersprechen wir uns nicht selbst, wenn wir einem wirklich vorhandenen Dinge etwas, das nicht wirklich vorhanden, als Beschaffenheit beilegen; wenn wir eine bloße Möglichkeit für ein Prädikat des Wirklichen halten? Dem Anscheine nach allerdings. Und gleichwohl ist der Inbegriff aller menschlichen Kenntnisse voll von diesen anscheinenden Widersprüchen, von Möglichkeiten, Anlagen, entfernten oder nahen Vermögen, größern oder kleinern Fähigkeiten, Talenten u. s. w. wodurch wirklich vorhandene Dinge bezeichnet und von einander unterschieden werden. Wie gehet dieses zu? Sollen wir dieserhalb die ganze Masse menschlicher Erkenntnis, als ungereimt, verwerfen? Dieses freilich nicht; es scheint bloß eine Wortschwierigkeit sich im Hinterhalte verborgen zu haben, die wir aufzusuchen vor jetzt, (um mich eines ähnlichen verdächtigen Ausdrucks zu bedienen) vielleicht die Fähigkeit nicht haben. Getroffen mein Sohn! Eine bloße Wortschwierigkeit ist es, die wir aus dem Wege zu räumen haben, um allen Anschein des Wider ¦ spruchs verschwinden zu lassen. Im Grunde ist alles Mögliche, in so weit es bloß möglich ist, kein objektives Prädikat der Dinge. Wenn wir irgend einem Gegenstande eine Möglichkeit zur Beschaffenheit geben; so sagen wir bloß, daß aus der gegenwärtigen Beschaffenheit desselben, sich auch begreifen lasse, wie es unter andern Umständen, jene ihm, als möglich, zugeschriebene Eigenschaft annehmen würde. Dem Golde Dehnbarkeit, der Luft Elastizität, und einem sitzenden Menschen die Fähigkeit zu gehen zuschreiben heißt bloß von dem Golde erklären, daß aus der gegenwärtigen wirklichen Beschaffenheit desselben sich begreifen lasse, wie es unter andern Umständen wirklich gedehnt sein würde; oder von der Luft aussagen, daß ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit das Ausgedehntwerden nicht widerspreche; so wie von dem sitzenden Menschen behaupten, daß seine
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¦ 299 – 301
Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes
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jetzt zum Sitzen angewandte Bewegungs-Werkzeuge, von andern Bewegursachen gelenkt, ihn aufstehen oder gehen machen würden. Immer noch liegt bei dergleichen Behauptung das wirklich | Vorhandne zum Grunde, ¦ und die ihm zugeschriebene Möglichkeit ist der Gedanke, daß unter andern Umständen die gegenwärtige Beschaffenheit desselben anders modifiziert sein würde. Ist dieses nunmehr deutlich? Ohne Widerrede, wie mich dünkt. Bloße Möglichkeiten also können den Dingen nicht, als objektive Beschaffenheiten oder Prädikate zugeschrieben werden; wenn bloße Möglichkeiten nicht zugleich wirklich vorhanden sein sollen, welches doch offenbar ungereimt ist. Aber aus dem gegenwärtigen Zustande, aus der wirklichen Beschaffenheit eines Dinges kann bei einem denkenden Subjekt der Gedanke entstehen, daß unter andern Umständen ihm eine andre Beschaffenheit zukommen würde, und daß also diese andre Beschaffenheit von ihm denkbar sei. Alle Möglichkeiten also haben ihr idealisches Dasein in dem denkenden Subjekt und von diesem werden sie als denkbar dem Gegenstande zugeschrieben. Eine nicht gedachte Möglichkeit ist ein wahres Unding. Wenn in einem wirklichen Dinge etwas Denkbares von keinem denkenden Wesen wirklich gedacht, etwas zu Unterscheidendes von ¦ Niemanden wirklich unterschieden, etwas Angebliches von keinem denkenden Subjekt wirklich angegeben sein soll; so wird entweder das bloß Mögliche zugleich als wirklich vorhanden angenommen, oder man verbindet Worte, deren Begriffe einander widersprechen. Wohl! nun scheinet sie glücklich gehoben, die Bedenklichkeit, die uns Ihrena Satz noch zweifelhaft machte. Also muß alles Wirkliche nicht nur denkbar sein; sondern auch von irgend einem Wesen gedacht werden. Jeder Realexistenz entspricht in irgend einem Subjekte eine Idealexistenz; jeder Sache eine Vorstellung. Ohne erkannt zu werden, ist nichts Erkennbares; ohne bemerkt zu werden, kein Merkmal; ohne Begriff kein Gegenstand wirklich vorhanden. Wird dieses zugegeben? a Erste Auflage und JubA: ihren.
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¦ 301 – 303
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Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes
Wie können wir anders? Diese Übereinstimmung zwischen Sache und Begriff kennet keine Ausnahme. Jedes Merkmal, jedes Unterscheidungszeichen der Sache muß so, wie es in derselben anzutreffen ist, von ¦ irgend einem denkenden Wesen, in aller seiner Wahrheit, mit der höchstmöglichen Deutlichkeit, Vollständigkeit und Ausführlichkeit gedacht werden. So lange noch ein Merkmal zurück bleibt, das nirgend bemerkt wird, | ein Grad der Entwickelung unentwickelt bleibt, etwas zu unterscheidendes nicht unterschieden wird; mit einem Worte, bei dem geringsten Mangel der Übereinstimmung zwischen Sache und Begriff, geraten wir abermals auf die Ungereimtheit, etwas bloß Mögliches für ein objektives Prädikat des Wirklichen anzunehmen. Alles dieses ward eingeräumt. Und nunmehr ist nichts leichter, als die Anwendung hievon auf die vorhin bezweifelten Schlußfolgen. Meine eigene Existenz ist mir unleugbar. Eben so unleugbar ist mir, daß zu meinem wirklichen Dasein Merkmale und Beschaffenheiten gehören, die ich nicht mit Bewußtsein erkenne, und daß selbst diejenigen, deren ich mir bewußt bin, in meinem Begriffe bei weitem die Vollkommenheit nicht haben, die ihnen in der Sache zukommt. Sie sind weder so wahr, noch so rein, ¦ noch so vollständig, ausführlich, adäquat; mit einem Worte, zwischen Begriff und Sache ist, wenn ich bloß auf meine Erkenntnis von mir selbst sehe, die vollkommenste Harmonie nicht anzutreffen, deren Notwendigkeit wir so eben erwiesen. Ich kann ferner nicht in Abrede sein, daß ein eingeschränktes Wesen, ja, daß der Inbegriff aller eingeschränkten Wesen, sie mögen endlich oder der Zahl nach unendlich sein, meine Beschaffenheitena auf eine mit der Sache harmonische Weise zu erkennen, nicht hinreichen. Wer den Zusammenhang der Wahrheiten, wer die unergründliche Tiefe aller Erkenntnis nur einiger Maßen kennet, wird eingestehen, daß keine derselben in ihrer größten Vollkommenheit, mit dem deutlichsten Bewußtsein erkannt werden kann, ohne a JubA: Beschaffenheit.
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daß der ganze Inbegriff derselben in eben dem Maße, mit eben der Wahrheit, Gewißheit, Deutlichkeit und Vollständigkeit eingesehen werde. Es muß also notwendig ein denkendes Wesen, einen Verstand geben, der nicht nur mich, samt allen meinen Beschaffenheiten, Merkma ¦ len und Unterscheidungszeichen, sondern den Inbegriff aller Möglichkeiten, als möglich, den Inbegriff aller Wirklichkeiten, als wirklich, mit einem Worte, den Inbegriff und den Zusammenhang aller Wahrheiten, in ihrer möglichsten Entwikkelung, auf das deutlichste, vollständigste und ausführlichste sich vorstellet. Es gibt einen unendlichen Verstand. Daß aber Einsicht nicht ohne Tätigkeit, Erkenntnis nicht ohne Billigung oder Mißbilligung, unendlicher Verstand nicht ohne den | vollkommensten Willen sein könne, ist bereits im Vorhergehenden zur Genügea ausgeführet worden. Wir hätten also auf diese Weise einen neuen wissenschaftlichen Beweis für das Dasein Gottes aus der Unvollkommenheit unserer Selbsterkenntnis. Prüfet ihn wohl, diesen Gedanken, meine Trauten! Er scheinet mir so fruchtbar, als gründlich. Die Schlußkette, deren wir uns bedient haben, bestehet etwa aus folgenden Gliedern. – Alles Wirkliche ist in seiner ganzen Vollständigkeit wirklich. – ¦ Der Vollständigkeit der Sache entspricht in irgend einem denkenden Wesen, Ausführlichkeit des Begriffs. – Vollständige und ausführliche Begriffe können nur in einem vollkommenen Verstande anzutreffen sein, und vollkommener Verstand ist nicht ohne vollkommenen Willen; die höchste Einsicht nicht ohne die freieste Wahl und wirksamste Kraftäußerung.
a Erste Auflage und JubA: Gnüge.
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| ¦ XVII. Beweisgründe a priori vom Dasein eines allervollkommensten, notwendigen, unabhängigen Wesens Der Begriff des Notwendigen, wie er in der letzten Vorlesung entwickelt worden ist, konnte einen kühnen Denker, wie Cartes, leicht auf die Spur bringen, einen Beweis a priori für das Dasein eines solchen Wesens zu entdecken. Hängt die Wirklichkeit desselben bloß von seiner Möglichkeit ab; gibt es einen festgegründeten Übergang von der Denkbarkeit des Notwendigen auf das wirkliche Dasein desselben; vielleicht ist es der menschlichen Vernunft vergönnet, diesen Übergang zu entdecken und sich also zu der ihr so teuern Wahrheit eine neue Bahn zu brechen. Ohne irgend ein wirkliches Dasein vorauszusetzen, auch sein eigenes Dasein nicht, so wenig es dem Zweifel unterworfen ist; ohne alle Erfahrungssätze des äußern oder innern Sinnes, würde der Mensch von der Erklärung ausgehen, und sichern Schrittes zu der Wahrheit gelangen, daß ein Gott sei! ¦ Kühn und ohne Vorgang wäre er, dieser große Schritt. In dem ganzen Bezirk menschlicher Erkenntnisse gibt es kein Beispiel von dieser Art zu schließen. Allenthalben wird von Möglichkeit auf Möglichkeit, oder von Wirklichkeit auf Wirklichkeit geschlossen. Die Realexistenz außerhalb der Seele stehet unter sich in Verbindung, wie die Idealexistenz innerhalb derselben; die Dinge entsprechen einander; so wie die Begriffe. Macht ein Begriff den andern notwendig, so wird auch ein Ding das andre zur Folge haben; daher die notwendige Verbindung zwischen idealischen Wesen, die wir durch die Vernunft entdecken, auch auf reale Wesen außer uns angewendet werden kann. Aber nirgends findet sich ein Beispiel, daß von Begriff geradezua auf Sache, von idealischem Dasein unmittelbar auf reales, objektives Vorhandensein geschlossen worden sei, wie hier in Absicht auf das notwendige Wesen geschehen soll.
a Erste Auflage und JubA: gerade zu.
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¦ 308 – 309
Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes
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Allein diese Seltenheit, diese Einzigkeit vielmehr, kann in unserm Falle kein Bedenken verursachen; denn sie ist gerade hier Charakter der ¦ Wahrheit. Da nicht mehr, als eine einzige Substanz dieses Wesens vorhanden sein kann; da außer dieser einzigen Substanz | keines Dinges Wirklichkeit mit der Denkbarkeit desselben in schlußrichtiger Verbindung stehet; so kann es auch nur den einzigen Fall geben, wo diese Beweisesart anzubringen sei. In dem ganzen Bezirk aller menschlichen Erkenntnisse, muß dieser Fall der einzige, ohne Vorgang und Beispiel sein, wenn der Weg zur Wahrheit führen soll. Um ihn zu finden, versuchte Cartes eine Versetzung gleichgeltender Begriffe. An statt des Notwendigen, setzte er das Unendliche, das vollkommenste Wesen. Es ist offenbar, daß das notwendige Wesen keine veränderliche Schranken haben, und also alle Vollkommenheiten in dem höchsten Grade besitzen müsse. In der Idee eines notwendigen Wesens liegta also der Inbegriff aller vollkommenen Eigenschaften, die einem Wesen zukommen können. Nun, schloß Cartes weiter, nun ist die Existenz offenbar eine vollkommene Eigenschaft der Dinge; also schließt der Begriff des Notwen ¦ digen, auch die Vollkommenheit der Existenz mit in sich; also muß das Notwendige auch wirklich vorhanden sein. – Auf diese Weise hätten wir durch eine feine Wendung des Begriffes, den einzigen Übergang entdeckt, der das Reich der Wirklichkeit mit dem Reiche der Möglichkeit verbindet und von Begriff auf Sache führt. – Zu rasch, rief Leibniz seinem kühnen Vorgänger nach; der Sprung, den ihr bei diesem Übergange getan, hat zwar keine Gefahr; allein die Vernunft soll gehen, und nicht springen lernen. Wenn wir von dem Dasein des Notwendigen aus andern Gründen überführt sind, so ergibt sich dessen Möglichkeit von selbst. Soll aber das Dasein desselben aus seiner Möglichkeit geschlossen werden; so haben wir diese vorher zu beweisen. Aus andern Gründen muß vorher dargetan werden, daß der Begriff des not-
a JubA: liege.
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¦ 309 – 311
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wendigen, unendlichen oder vollkommensten Wesens Wahrheit enthalte, und nicht Merkmale verbinde, die sich einander aufheben. ¦ Glücklicher Weise läßt der Mangel hier sich leicht ersetzen und die Lücke sich ausfüllen. Wenn Merkmale sich widersprechen sollen; so muß das Eine aufheben, was das Andre setzet, das Eine verneinen, was das Andre von eben demselben Subjekte bejahet. Nun werden von dem notwendigen Wesen alle Realitäten im höchsten Grade bejahet, und alle Mängel und Einschränkungen verneinet. Alle positive Prädikate werden ihm zugeschrieben und alle negative von ihm entfernet. Hier kann also nichts widersprechendes, nichts sich ein | ander aufhebendes zu besorgen sein. Alle Vollkommenheiten im höchsten Grade sind auch im höchsten Grade vertragsam, stimmen in dem vollkommensten Wohlklang zusammen, können also auch durch ihre Vereinigung nicht Widerspruch, Undenkbarkeit, und also den höchsten Mißlaut, Unwahrheit hervorbringen. Dieses gründet sich auf eine andre Lehre des Leibniz, daß alle Vollkommenheiten bejahende Merkmale, so wie umgekehrt auch alle bejahende Prädikate der Dinge Vollkommen ¦ heiten sind. Wenn nun die Vereinigung aller bejahenden Prädikate oder Vollkommenheiten nichts undenkbares ist, und zum Inbegriff aller Vollkommenheiten offenbar die Existenz mitgehört; so hat die Folge ihre Richtigkeit, daß von dem Begriffe des Unendlichen oder Allervollkommensten die Existenz unzertrennlich sei. Alles Endliche kann, als Begriff, wahr sein, ohne daß ihm wirkliches Dasein zugeschrieben werde. Das Unendliche hingegen, das Schrankenlose, das Vollkommenste, würde auch als Begriff unwahr sein müssen, wenn es nicht existieren sollte. – Und nunmehr stünde es da, das reine wissenschaftliche Argument für das Dasein Gottes, unerschüttert stünde es da, gegründet auf seine eigene Evidenz. Keineswegs, sprechen einige Gegner97 dieser Beweisesart; ihr bauet noch immer auf einem Grunde, dessen Festigkeit ihr nicht gehörig untersucht habt. Willkürlich bildet ihr euch einen abgezogenen Begriff, und leget demselben alle Eigenschaften bei, die sich nur erdenken ¦ lassen. Wir können euch die Freiheit hierzu
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¦ 311 – 314
Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes
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nicht verweigern und lassen den Begriff gelten. Kaum habt ihr aber dieses erschlichen; so greift ihr schon nach der Existenz und sprecht: Um das Bündel vollständig zu machen, müssen wir auch diese Eigenschaft mitnehmen und dem Begriffe wirkliches Dasein erteilen. Ist dieses Verfahren nicht sykophantisch?98 Nichts weniger, wie mich dünkt. Ich glaube, das Verfahren wider alle Beschuldigungen dieser Art rechtfertigen zu können. Zuvörderst sind die abstrakten Begriffe nicht bloß willkürlich. Sie müssen wenigstens Wahrheit enthalten, und diese Wahrheit hängt nicht von unserer Willkür ab. Sie müssen, als Modifikationen unsers denkenden Wesens, ein idealisches Dasein haben, müssen denkbar sein, um gedacht zu werden. Nun sprechen wir weiter: Ein eingeschränktes Wesen kann, als Modifikation von mir selbst, gedacht werden, ohne daß ich ihm wirkliches Dasein zuschreibe. Es | kann idealische Existenz haben, und die reale Existenz ihm abgesprochen werden. ¦ Es kann bloßer Begriff ohne Sache sein. Das notwendige Wesen hingegen kann entweder nicht gedacht werden, entweder auch als Modifikation von mir selbst keine Wahrheit haben, oder ich muß es wenigstens als wirklich vorhanden denken. Es ist entweder Begriff und Sache zugleich; oder es ist weder dieses noch jenes. Bloßer Begriff ohne Sache kann dieses Wesen schlechterdings nicht sein; als bloße Modifikation von unserer Denkungskraft kann dieses Wesen nicht gedacht werden. Wir haben also immer nur die Denkbarkeit dieses Begriffs zu beweisen und sind alsdenn gezwungen, uns solches, als wirklich existierend zu denken. Außer der idealischen Existenz, die auch einem endlichen Wesena als Wahrheit zukommt, muß dem Unendlichen auch reale Existenz zugeschrieben werden. Ich finde in diesem Verfahren nichts unredliches, nichts erschlichenes, wie die Gegner vorgeben. Daß der Begriff des Unendlichen denkbar sei, ist bereits im vorigen mit Leibniz ausgeführet worden. Ich glaube noch auf eine ¦ andere faßlichere Weise die Denkbarkeit desselben dartun zu können. a JubA: in einem endlichen Wesen.
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Alle Wahrheit muß erkennbar sein, und zwar je reiner die Wahrheit ist, desto größer der Verstand, der sie fasset und begreift, je vollkommner die Erkenntnis, desto vollkommener das erkennende Wesen. Die reinste Wahrheit kann nur von dem vollkommensten Verstande gefaßt und begriffen werden. Zur höchsten Erkenntnis gehöret die allerhöchste Erkenntniskraft. Nur eine unendliche Kraft umfasset die Wahrheit in ihrer ganzen Lauterkeit. Nun ist die reinste Wahrheit unstreitig ein denkbarer Begriff, also muß es auch ein Verstand sein, der allein sie fassen kann, also ist auch der allerhöchste Verstand, eine unendliche Denkungskraft, kein undenkbarer Begriff. Sollten die Merkmale dieses Begriffs sich einander aufheben; so müßte die reinste Wahrheit etwas sich selbst widersprechendes sein, und dieses ist ungereimt. ¦ Aber wie? Bleibt dieser Begriff des Allervollkommensten auch ohne die Vollkommenheit der Existenz noch denkbar? Kann der Inbegriff aller Realitäten ohne die Realität des wirklichen Daseins gedacht werden? Wenn dieses nicht ist; so stehet unser Schluß feste; so muß das Allervollkommenste auch wirklich vorhanden sein. Eben hier liegt das Erschlichene, rufen die Gegner.99 Ihr nehmet die | Existenz als eine Eigenschaft des Dinges an, die zu allen seinen möglichen Eigenschaften hinzukommt, um sie ins Dasein zu rufen. Ihr betrachtet das Dasein, vermöge eurer Schuldefinition, als eine Ergänzung der Wesenheit, (complementum essentiae)100 gleichsam als einen Zusatz zur Möglichkeit eines Dinges. Weil wir die Existenz in der Sprache eben so aussagen, als die Eigenschaften der Dinge; weil wir sprechen: ein Ding ist wirklich; so wie wir sagen: eine Zahl ist gerade; eine Figur ist rund; darum nehmet ihr an: die Existenz sei mit den übrigen Eigenschaften und Merkmalen der Dinge von gleicher Beschaffenheit, und bauet auf ¦ diese Voraussetzung euer Schlußgebäude. Allein diese Voraussetzung selbst kann euch nicht eingeräumet werden. Die Existenz ist keine bloße Eigenschaft, kein Zusatz, keine Ergänzung, sie ist vielmehr die Position aller Eigenschaften und
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Merkmale des Dinges, ohne welche jene bloße abgesonderte Begriffe bleiben. Die Existenz muß vielmehr erkläret werden, sprechen sie ferner – – Jedoch die Existenz mag lieber unerklärt bleiben. Ihr wisset, wie abgeneigt ich bin, dergleichen Wahrnehmung des innern Sinnes in Worte einzuhüllen. Genug, wir alle haben bei diesem Worte beinahe dieselbe Vorstellung. Der Begriff ist bei uns allen auf eine ähnliche Weise entstanden, indem wir ein Merkmal aufsuchten, das allen unsern eignen Handlungen und Leidenschaften gemeinschaftlich ist: und da dieses Merkmal eine solche Allgemeinheit hat; so kann es schwerlich, oder vielleicht gar nicht weiter zergliedert, oder in Bestandteile aufgelöset werden. Dem sei indessen, wie ihm wolle; so haben unsere Gegner doch immer nicht Unrecht, zu behau ¦ pten, daß die Existenz ihre eigenen Kennzeichen habe, wodurch sie sich von allen Merkmalen und Beschaffenheiten der Dinge unterscheidet, und daß wir nicht so schlechterdings darauf zugreifen dürfen, um den Inbegriff aller Eigenschaften des vollkommensten Wesens gleichsam vollzählig zu machen. Ich kann dieses zugeben. Sei immer das wirkliche Dasein nicht eine Eigenschaft, sondern die Position aller Eigenschaften eines Dinges, oder sei sie sonst etwas unerklärbares, das uns allen bekannt ist; genug, ich kann das Zufällige ohne diese Position denken. Ich kann von der Idee des Zufälligen das Dasein weglassen, ohne die Idee selbst aufzuheben. Sie bleibt Begriff ohne Sache. So aber nicht in Absicht auf das notwendige Wesen. Ich kann von der Idee des | selben das Dasein nicht trennen, ohne die Idee selbst zu zernichten. Ich muß Begriff und Sache denken, oder den Begriff selbst fahren lassen. Auf diesem wichtigen Unterschiede beruhet alles, und dieser Unterschied beruhet keineswegs auf einer will¦kürlichen Definition; er ergibt sich aus dem Begriffe selbst, und kann von dem hartnäckigsten Gegner nicht in Zweifel gezogen werden. Wem das unerklärbare Dasein noch immer Bedenken verursachet, dem habe ich in einer frühern Schrift* geraten, dem * Von der Evidenz.
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Worte auszuweichen, und vom Nichtsein anzufangen, welches weniger Schwierigkeit zu haben scheinet. »Was nicht ist, heißt es daselbst, muß entweder unmöglich, oder bloß möglich sein. Im erstern Falle müssen sich seine innren Bestimmungen widersprechen, d. h. dasselbe Prädikat von demselben Vorwurfe zugleich bejahen und verneinen. Im letztern aber werden sie zwar keinen Widerspruch enthalten; es wird sich aber aus denselben nicht begreifen lassen, warum dasselbe vielmehr sein, als nicht sein soll. Eins wird mit dem wesentlichen Teil desselben so wohl bestehen können, als das an ¦ dre, aus welchem Grunde das Ding möglich genannt wird. Das Dasein eines solchen Dinges gehöret nicht zu seiner innren Möglichkeit; nicht zu seinem Wesen, auch nicht zu seinen Eigenschaften, und ist daher eine bloße Zufälligkeit (modus), deren Wirklichkeit nicht anders, als aus einer andern Wirklichkeit begriffen werden kann. Denn eine Zufälligkeit ist eine Bestimmung, die aus der bloßen Möglichkeit weder folget, noch begriffen werden kann, deren Wirklichkeit sich nicht anders, als aus einer andern Wirklichkeit erklären läßt. – Ein solches Dasein ist also abhängig, nicht selbständig. Dieses bedarf keines weitern Beweises. – Nun kann dem vollkommensten Wesen ein solches Dasein nicht zukommen; denn es würde seinem Wesen widersprechen; indem ein jeder einsiehet, daß ein unabhängiges Dasein eine größre Vollkommenheit sei, als ein abhängiges; daher der Satz: das allervollkommenste Wesen hat ein zufälliges Dasein, einen offenbaren Wider ¦ spruch enthält. Das allervollkommenste Wesen ist also entweder wirklich, oder es enthält einen Widerspruch. Denn bloß möglich kann es nicht sein, wie vorher erwiesen worden; daher bleibt für dasselbe nichts weiter übrig, als die Wirklichkeit oder die Unmöglichkeit.« Mit einem Worte, zufällige Wesen können, als bloße Gedanken, | ohne wirkliche Existenz, noch gedacht werden, enthalten mit dem Prädikat des Nichtseins keinen Widerspruch. Die Idee derselben kann ein bloßer Gedanke sein, Begriff ohne Sache, Abänderung eines denkenden Wesens, ohne gegenständliches Dasein. Ihr Wesen verbindet nicht alle bejahende Merkmale
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und keines derselben im höchsten Grade. Ihr könnet diesen Gedanken haben, und das bejahende Merkmal der Existenz davon weglassen. Das notwendige Wesen hingegen verbindet alle bejahende Merkmale und Beschaffenheiten im höchsten Grade. Eines derselben ist ohne alle übrige nicht denkbar. Daher ist das unendliche Wesen, ohne das bejahende ¦ Prädikat des Daseins, etwas Widersprechendes. Es kann entweder gar nicht, oder nicht anders, als mit dem Prädikate des wirklichen Daseins gedacht werden. Die Vorstellung selbst, die Idee des notwendigen Wesens, ist ein ungereimter Gedanke, so lange wir das Dasein davon absondern. Wir denken entweder Begriff und Sache zugleich; oder der Begriff selbst verschwindet. Wir können das notwendige Wesen, entweder schlechterdings nicht denken, oder wir müssen ihm wirkliches Dasein zuschreiben. Schließet ihr aber nicht am Ende, fahren die Gegner fort, von euren Gedanken auf die Wirklichkeit, von eurem Vermögen oder Unvermögen zu Begriffen auf die Natur der Dinge? Das notwendige Wesen soll wirklich vorhanden sein müssen, weil der Mensch es sich nicht anders denken kann. Geziemt dieses auch unsrer Kurzsichtigkeit? Wer leistet uns die Gewähr, daß dasjenige auch wirklich vorhanden sei, was wir uns als wirklich denken müssen? ¦ Ich antworte: Wohl uns, wenn wir vor der Hand schon so viel erhalten; wenn unsre Gegner einräumen, daß der Mensch sich eine Gottheit, als wirklich vorhanden, denken müsse. Der Schritt wäre von großer Wichtigkeit. Für das ganze System menschlicher Einsichten, Gesinnungen und Handlungen wäre nunmehr alles gewonnen; denn was kann der Mensch mehr, als durch menschliche Kräfte Überzeugung suchen, und nach seiner Überzeugung handeln? Aber nunmehr würde ich, der spekulativen Wißbegierde zu gefallen, einen Schritt weiter gehen, und zu dem Eingestandenen hinzutun: nicht nur der kurzsichtige Mensch allein; sondern jedes denkende Wesen, von welchem Umfange und Gesichtskreis auch seine Verstandeskräfte sein mögen, muß sich das notwendige Wesen, als wirklich vorhanden denken. Das Gegenteil ist nicht nur uns, sondern an und | für sich undenkbar. Etwas
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¦ 322 – 324
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Widersprechendes, das sich selbst aufhebt und zernichtet, kann von keinem denkenden Wesen gedacht werden. Wenn der Satz: A ist nicht ¦ wirklich, undenkbar und also nicht wahr ist; so ist entweder das Subjekt A nicht denkbar, oder der Gegensatz: A ist wirklich vorhanden, muß zugegeben werden, muß also Wahrheit sein. Nun ist erwiesen, daß der verneinende Satz, das notwendige Wesen ist nicht wirklich, undenkbar sei, indem das verneinende Prädikat dem Subjekte schnurstracks widerspricht. Dieser Satz kann also weder von uns, noch von irgend einem denkenden Wesen, als wahr gedacht werden. Das Gegenteil davon, oder der bejahende Satz: Das notwendige Wesen ist wirklich vorhanden, muß von jedem denkenden Wesen angenommen werden, ist eine Folge der positiven Denkkraft, und also Wahrheit. Und nunmehr wäre der Sieg auf unserer Seite vollkommen. Denn was wünschten wir mehr, als zu beweisen, daß der Satz: das allervollkommenste Wesen ist wirklich vorhanden, eine Folge unserer positiven Denkungskraft, und also nicht bloß subjektive, sondern auch objektive unumstößliche Wahrheit sei? die Versicherung, daß alle den¦kende Wesen, vermöge ihrer Denkungskraft, in einem Vernunftsatz übereinstimmen, gibt die höchste Überzeugung von seiner Wahrheit. Was alle vernünftige Wesen so, und nicht anders denken müssen, ist so und nicht anders wahr. Wer mehr verlangt, als diese Überzeugung, der sucht etwas, davon er keinen Begriff hat, davon er nie einen Begriff erlangen kann, und hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er am Ende findet, daß sein Bemühen vergeblich gewesen. Lasset uns das Resultat unserer Schlußreden in wenig Worte zusammenfassen. Um die Wirklichkeit eines Dinges durch die Vernunft zu behaupten, muß die Wahrheit und höchste Güte desselben gegeben sein. Jene, als Erfordernis des Erkenntnisvermögens; diese als Erfordernis des Billigungsvermögens. Wahrheit macht es zum denkbaren Begriff, zur Modifikation des denkenden Wesens, gibt ihm idealische Anwesenheit. Höchste Güte macht es zur Sache, erteilt ihm wirkliches Dasein. Alles, was ist, hat Wahrheit und höch ¦ ste Güte; so wie im Gegenteil, alles, was Wahrheit und höchste Güte hat, auch wirklich sein muß.
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Wissenschaftliche Lehrbegriffe vom Dasein Gottes
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Zufällige Wesen haben die Erfordernisse des Denkungsvermögens, haben Wahrheit, aber nicht unter allen Umständen auch höchste Güte. Sie können als bloße Gedanken, als Begriffe und Modifika | tionen des denkenden Wesens, ohne wirkliches Dasein als Sache, gedacht werden. Da sie nur untera Bedingungen (secundum quid) das Beste sind; so hängt ihr Dasein als Sache, von dieser Bedingung ab. So bald die Umstände, oder die Bedingung der Zeit und des Raums, es mit sich bringen, daß ein zufälliges Ding die höchste Güte erreicht; sobald es irgendwo und irgendwann das Beste wird; so entstehet es wirklich, und dem Begriff entspricht auch die Sache, dem idealischen Dasein entspricht Wirklichkeit. Das notwendige Wesen aber ist an und für sich das allervollkommenste, hängt nicht von Umständen und Bedingungen ab, hat nicht ¦ nur alle Erfordernisse der Denkbarkeit; sondern muß von jedem denkenden Wesen auch als wirklich gedacht werden, ist als Begriff ohne Sache, als Modifikation ohne eigene Existenz, als möglich ohne Wirklichkeit, schlechterdings nicht denkbar; denn es ist unter allen Umständen und Bedingungen eben so vollkommen, als wahr; eben so notwendig wirklich, als notwendig möglich; Sache nicht minder notwendig, als Gedanke. Und in dem Verstande dieses allerhöchsten Wesens ist das Zufällige notwendig, als Begriff, aber nicht als Sache; unabhängig, als Wahrheit; aber abhängig von Zeit und Raum, in Absicht seiner Güte und Vollkommenheit. Sobald die Umstände der Zeit und des Raums eintreffen und die Bedingungen, von welchen das Zufällige abhängt, wirklich werden; so wird das Dasein des Zufälligen zur Wahrheit; und es entstehet.b Zu diesen Bedingungen gehöret, daß das Zufällige Alsdann und Alsda auch das Beste sei, und also nicht nur ein Gegenstand der göttlichen Erkenntnis, sondern ¦ auch der göttlichen Billigung werde. Die Erkenntnis des Unendlichen ist im höchsten Grade lebendig, und seine Billigung im höchsten Grade wirksam. Sobald das Zufällige ein Gegenstand seiner Billigung wird; so wird es wirklich. Was Gott a JubA: sie unter.
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b JubA: entsteht.
¦ 327 – 329
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sich als das Beste denkt, das stehet da! Er spricht, und es wird, er befiehlt und es stehet da.101 Es ist also keine unbescheidne Anmaßung von dem Erdensohne, wenn er von seiner Endlichkeit auf das Dasein des Unendlichen, von seiner Eingeschränktheit auf die Wirklichkeit des Allervollkommensten zu schließen wagt. Es geziemet dem unsterblichen Geiste des Menschen gar wohl, sich der Gottheit so verwandt zu glauben, daß von jedem seiner Gedanken ein Weg zu derselben zu finden sei. Seiner Kurzsichtigkeit ungeachtet, ist ihm doch vergönnt, | die große Wahrheit einzusehen, daß er selbst im doppelten Verhältnisse, als Begriff, und als Sache, von der Gottheit abhänge, daß er, als Begriff, von Ewigkeit her ein Gegen¦stand der göttlichen Erkenntnis gewesen; und als Sache, dazumal auch Wirklichkeit erhielt, als die Bedingungen der Zeit und des Raumes ihn auch zum würdigen Gegenstand der göttlichen Billigung machten; als er irgendwo und irgendwann, zum Besten gehörig, selbst das Beste ward.
| ¦ Anmerkungen und Zusätze
¦ Einer der gründlichsten Weltweisen102 dieser Zeit, der die Freundschaft für mich gehabt, diese Aufsätze durchzulesen, hat mir einige Anmerkungen darüber mitgeteilt, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten will. Seite 56 [118] mißbilligen kann) Diese Bemerkung ist sehr richtig und fruchtbar! Könnte man sie nicht noch mit folgendem erläutern? – So bald wir durch Vergleichung des Gefühls u. s. w. gelernt haben, von den Entfernungen zu urteilen, ist die Vorstellung des Gesichts und Gehörs nicht einmal in, sondern außer unserm Körper – dort an der Wand – dort auf der Gasse. Wenn die Rührung nur nicht so stark ist, daß sie an Schmerzen grenzet, und also zum Gefühl gehört, (dahin auch die Empfindung der Blindgebornen, zum erstenmal Sehenden gerechnet werden muß) so
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¦ 329; i – iii
Anmerkungen und Zusätze
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wissen wir von dem eigent¦lichen Sinnenwerkzeuge nichts. Wenn wir nicht die Grenzen bemerkten, oder durch Vorhaltung der Hände es erforschten, so wüßten wir nicht, wo eigentlich Gesicht und Gehör läge. Die umgekehrten Bildchen in zwei Augen empfinden wir nicht, und noch weniger die Rührung des Nerven, der weiter zum Gehirne gehet: alles scheinet eine Erleuchtung zu sein, die sich nicht bloß in uns, sondern auch weit um uns erstrecket. So erforschen wir auch nur durch Bedeckung des Ohrs, ob wir mit diesem, oder mit jenem, oder mit beiden hören. – Hier ist also doch die Täuschung des Räumlichen offenbar, und folglich zeigt die Vorstellung des Ortes nicht an, daß daselbst in den aus einander gelegenen Teilen die Empfindung stecke. Seite 69 [124] nicht – bündig ist) Sehr wohl erklärt! und eigentlich war das Bild im Wasser oder im Spiegel eben so unstet und täuschend, als das vom Regenbogen, indem es sich auch nur auf den Stand des Sehen | den beziehet. Also: allgemein zu sagen – wir sind gewohnt, einen ¦ Gegenstand da zu vermuten, wo die gerade Linie des Strahls, der unser Auge berührt, hinführt: daher irren wir uns in dem Orte eines gebrochenen Strahls. Wir sind gewohnt, eine gewisse Beschaffenheit der Oberfläche, oder der durchscheinenden Materie eines Körpers zu vermuten, wenn uns ein solcher gespaltener Strahl rührt, den wir farbig nennen: daher schreiben wir dem Orte, von welchem er in gerader Linie zu uns kommt, die Farbe zu. – Die Berichtigung ist allemal, wie im Texte vorgeschrieben. Seite 78 [129] Wenn die dauernden sinnlichen Eindrücke im Gehirne, und was von ihrer Anwendung vorgegeben wird, sonst erwiesen werden könnten; so mögte Helvétius, den ich nicht gelesen habe, zu seiner Verteidigung noch sagen, daß wir jedem Worte, welches einen allgemeinen Begriff andeuten soll, vielleicht heimlich ein bestimmtes Bild unterschieben, und das tun wir freilich,
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¦ iii – v
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wenn wir es uns anschaulich vorstellen; denn z. E. einen Baum oder Menschen in genere können wir uns nicht vorstellen. Was ¦ nun die Wörter betrifft, die keine Bilder zulassen – ei nun: das sind Zeichen von Verbindung, Trennung, Verhältnis, u. s. f. wie =, +, ÷, Λ, √, : u. d. gl., die der Abt l’Epée103 bei den Taubstummen auch mit seiner Zeichensprache ausdrückt. – Es ist aber unleugbar, daß in jeder Erinnerung, auch ohne Worte, schon ein abgesonderter Begriff liegt. Voltairens Gesicht kennet der Taubstumme so gut, wie derjenige, welcher den Namen gehört, links oder rechts, oder von vorne dargestellt, als von der nämlichen Person wieder, da doch die Sinnenbilder nur im Allgemeinen übereinkommen. Dieselbe Melodie, die doch nicht durch Worte bezeichnet wird, erkennet auch derjenige, der das gemeinschaftliche Zeichen der Noten nicht versteht, sie mag in höherm oder tieferm Tone, langsamer oder geschwinder, gesungen, auf der Violine, dem Klavier, der Flöte, oder den Glocken gespielt werden, welches doch sehr verschiedene sinnliche Eindrücke sind. – Was leisten also die Worte zur Abstraktion oder zum deutlichen Denken, dazu sie doch so nötig schei ¦ nen? Mich dünkt dieses, daß sie jeden abgesonderten Begriff, der sonst unbestimmt, schwebend sein würde, in gewisse Grenzen einschließen, dadurch Art, Gattung, Klasse, Grad, Beschaffenheit, Verhältnis u. s. w. unterschieden und bestimmt werden. Z. B. Mensch, Tier, Körper, Ding: Hütte, Haus, | Wohnung: heiß, brennend, u. s. f. Daher ist allerdings die Sprache eine vortreffliche Gabe, ohne welche wir nicht allein die Mitteilung, sondern auch die Fassung bestimmter Begriffe, und also deutliches Denken, nicht genössen. Die sichtbaren Zeichen des l’Epée, oder seines Wiener Lehrlings, den Nicolai104 beschreibt, sind viel unvollkommener, da sie nicht so bestimmt unterscheiden können. Z. B. Zusammen oder bei einander, verbunden, geknüpft, geleimt, gekleistert, genagelt, gefügt, u. s. w. Wenn der Taubstumme, nachdem ihm die Sprache beigebracht worden, uns etwas von seiner vormaligen Denkungsart erzählen könnte – man sagt aber, daß sie selbst nicht einmal deutliche Erinnerung ihrer vorigen Handlungen übrig behal ¦ ten – so glaube ich, sie würde sich der tierischen
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¦ v – viii
Anmerkungen und Zusätze
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ziemlich nähern – meist individuelle Vorstellungen – wiewohl das Vergleichungsvermögen, als das Eigene der Vernunftkraft, schon heimlich strebet – und unmittelbare Verbindung von Folgen, Beziehungen u. dgl. Seite 82 [131] ohne etwas Fortdaurendesa – nicht denkbar) Ich habe einmal flüchtig etwas im Museo über das Ich105 angesehen, welches ich zu weiterm Nachdenken versparet und nachher versäumt habe. So viel ich davon faßte und mich erinnere, wollte der Verfasser Zweifel gegen die Versicherung unserer Fortdauer auf folgende Weise erregen. – Unser Bewußtsein der Personalität, oder der Fortdauer, beruhet nur auf der Erinnerung, oder vermeinte Erinnerung des vorher empfundenen. Wenn dies Gedächtnis ausgelöscht ist, so überzeugen wir uns nicht, dasselbe Wesen zu sein, welches in jenem Zustande existiert, jene Abänderung erfahren hat: wenn eine andere Ideenreihe durch Verrückung in uns entstehet, so glaubt der Mensch ein andres Wesen, ¦ ein König oder ein Tier, ja wohl gar ein lebloses Ding, ein Gerstenkorn u. s. w. zu sein. Nun setze man umgekehrt ein anderes denkendes Wesen in den Ideenkasten des vorigen, der ihm seine Bilder vorstellt; so wird er glauben, eben der zu sein, der jenes erfahren hat und sich dessen nun erinnert. Alle Teile des Ideenkastens können auch mittlerweile anders untergeschoben, und folglich alles verändert sein: wenn es nur allmählich so geschehen ist, daß ohngefähr dieselbe Ordnung bleibt, oder dasselbe Bild, wie im fließenden Wasser, zurückgeworfen wird, so wird die Wirkung einerlei bleiben. Demnach könnte auch das eingebildete Bewußtsein eines in uns | fortdaurendenb Wesens, welches das bleibende Subjekt der Abänderungen wäre, Täuschung sein! – Ich wüßte hierauf nicht zu antworten, wenn ich nicht glaubte, die Unmöglichkeit gezeigt zu haben, daß fortdaurende Eindrücke, oder dgl. Veränderungen in zusammengesetzten auseinander gelegenen Teilen die Erscheinungen des Gedächtnisses darstellen könnten, da jene notwendig a JubA: Fortdauerndes.
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¦ viii – ix
b JubA: fortdauernden.
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individuell, örtlich und ¦ unzählig gehäuft sein müssen, dieses aber offenbar uns ein Abstractum des Gesehenen oder Gehörten zurückruft, u. s. w. Man erlaube mir, zu dieser Anmerkung meines Freundes einige Worte hinzuzufügen, um sie mir selbst besser ins Licht zu setzen. Ich verspreche mir überhaupt nicht viel Aufschluß von Hypothesen, die so sehr ins Abenteuerliche gehen; da man offenbar unmögliche Dinge, als möglich voraussetzet, um zu untersuchen, was der Erfolg sein würde. Sie dienen meines Erachtens mehr zur Belustigung, allenfalls zur Übung des Scharfsinns oder der Erfindungskraft, als zur Entdeckung der Wahrheit. Was würde der Erfolg sein, wenn wir den Kopf eines Löwen auf den Rumpf eines Hasen setzen könnten; wenn die Erde plötzlich leichter, als die Luft werden sollte; wenn wir einer Bildsäule nach Belieben Leben und Empfindung mitteilen, wenn wir das ganze Nervengebäude aus einem Körper herausziehen, und in einen andern gleichfalls entnervten Körper einpflanzen könn ¦ ten? – So etwas aus einer Feenwelt scheint mir die Hypothese des Museums zu verlangen. Freilich wohl! wenn die Seele, wie einige Weltweise wollen, vor ihrem Kasten dastehet, und weiter nichts zu tun, als bloß die Zeichen und Eindrücke abzulesen hat, die sie allda findet; so kann es ihr gleichviel sein, vor welchen Schrift- oder Zeichenkasten sie gestellt werde. Sie kann also gar füglich von einem an den andern versetzt werden, und ihr Geschäft ohne Schwierigkeit weiter treiben; so wie etwa ein Schriftsetzer mit gleicher Fertigkeit hier die Schriften eines Reimarus, dort eines Swedenborgs106 absetzet, wenn nur die Handschrift gleich leserlich ist. Aber so ist es, wie mich dünkt, nicht mit der Seele der Lebendigen beschaffen. Sie hat nicht bloß abzusetzen; sondern muß auch, so zu sagen, übersetzen; aus dem Idiom des Körpers in ihre geistige Sprache übertragen, erklären und auslegen. Sie muß also mit allen Redensarten und Wendungen ihrer Urschrift sehr bekannt sein, muß mit dem Urheber derselben, den sie ihren | Körper nennet, ¦ gleichsam zugleich erzeugt, ernährt, erzogen und unterrichtet sein, wenn sie ihn recht verstehen und treulich übersetzen will. In einem
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¦ ix – xii
Anmerkungen und Zusätze
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neuen Seelenkasten ist sie, wie nicht zu Hause; wie unter einem fremden Volke: sie verstehet nicht, und wird nicht verstanden. Wenn die Allmacht mit diesem Körper, den ich jetzt den meinigen nenne, eine andere Seele verbände, fragt man, wie würden sich die Neuverlobten verhalten? Ich antworte zuförderst auf den ersten Antrag, wie jener geizige Vormund des komischen Dichters107 auf den Antrag seines verliebten Mündels: was bringt sie mit – So ganz bloß kann sie ja nicht sein, die neue Seele, die meinem Körper werden soll; sie muß irgendwo schon etwas erworben haben, oder sonst etwas zur Mitgabe bekommen. Leer von allen Begriffen würde sie sich nicht zu diesem neuen Körper schicken; würde sie seine Sprache nicht verstehen, und auch nicht das mindeste auf ihn vermögen; und eben so wenig würde zwischen ihnen Verbindung Statt haben, wenn sie nicht ¦ vollkommen der Seele gliche, die jetzt in meinem Körper wohnet. Nur diese stimmet in allen ihren Merkmalen mit meinem Körper auf das genaueste überein, und ohne die genaueste Harmonie läßt sich zwischen Leib und Seele keine Verbindung denken. – Wenn der Naturforscher irgend eine unnatürliche Verbindung veranstaltet: so kann er zuweilen doch wenigstens die Natur zwingen, eine Mißgestalt, eine Zwittergattung, an die Stelle eines ihrer vollkommenen Werke hervorzubringen. Mit Seele und Körper aber, die nicht für einander geschaffen sind, ist schlechterdings nichts anzufangen. Sie werden sich niemals paaren oder begatten, und die Verbindung, die von der Allmacht zwischen ihnen gestiftet werden soll, ist ein leeres Wort. So lange also dieser mein Körper derselbe bleibt, kann ihm kein Geist eingehaucht werden, der anders beschaffen sein soll, als der meinige jetzt wirklich ist. Die Allmacht müßte, um diese Verbindung wirklich zu machen, der neuen Seele zu gefallen, auch meinen Körper nach ihrem Erfordernisse umbilden und ihr gleichsam anpas ¦ sen. Geschiehet aber dieses, so entstehet ein andrer Mensch, ein anderer Körper und eine andere Seele; nicht mehr das vorige Ich, auch nicht mehr das vorige Mein, und dieser neue Mensch wird auch nicht in dieselbe Verbindung des Rau-
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¦ xii – xiv
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mes und der Zeit passen, in welcher ich mich befinde; denn in dieser Verbindung habe nur ich, als zum Besten ge | hörig, mein wo und wenn gefunden. Setzen wir aber, daß die neue Seele derjenigen vollkommen gleich komme, die jetzt in mir wohnet, und also eben so gut, als diese mit meinem Körper übereinstimme; so gehet die Verbindung zwar gut von Statten; dahingegen ist es auch keine andere Seele, die mir zugeteilt wird; sie ist von meiner jetzigen Seele nicht zu unterscheiden; was nicht zu unterscheiden ist, kann auch wirklich und in der Tat nicht unterschieden sein. Es ist und bleibt also immer noch dieselbe Seele, die wir bloß mit Worten eine andere genennet haben. Denn daß die Allmacht sie neuer Dinges erschaffen und hervorbringen soll, dieses würde die Iden¦tität nicht aufheben. Muß die Allmacht doch ohnehin die zufälligen Wesen unaufhörlich hervorbringen, wenn sie fortdauren sollen, ohne daß ihre Identität darunter leide, oder durch die fortgesetzte Schöpfung (wie die Scholastiker die Erhaltung der Dinge108 nennen) aufgehoben werde. Seite 90 [134] Verrückung – Grunde) Unsere neuen Mystiker nennen es – sich der Sinnlichkeit entziehen: in der Volkssprache sagte man sonst sehr gut – von Sinnen kommen – Dies ist übrigens eine arge Instanz gegen die Versicherung der Wahrheit des Empfundenen, wenn uns nämlich die innern Sinne trügen. Noch neulich starb hier ein Mann, der durch viel verkehrtes Studieren dahin gekommen war, daß er oft Stimmen aus der Wand zu hören glaubte, die ihm z. E. vorsagten, was er eben gelesen hatte, oder sich sonst mit ihm unterhielten. – Was ist nun hierbei für Rat, oder welche Probe wäre dagegen anzustellen? Die Seelenkräfte setzen die innern Werkzeuge der Vorstellungen in ¦ eben die Bewegung, wie es sonst von außen geschiehet, und nun, da sie doch nur ihr eigen Werk wahrnimmt, schreibt sie es dem gewohnten äußern Eindrucke zu. Es bleibt nichts als die Untersuchung der Übereinstimmung aller äußern Umstände übrig. Dadurch fände ein solcher Mensch zwar, daß er nicht im Traume sei, da alles außer ihm
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¦ xv– xvi
Anmerkungen und Zusätze
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sonst sich in gehöriger Ordnung darstellet: daß aber doch diese besondere Wirkung seiner Vorstellung nicht mit den übrigen Naturwirkungen übereinstimme, und also der Unrichtigkeit verdächtig sei. – Das Schlimmste ist, daß der Kranke nicht geneigt, oder nicht fähig ist, sich auf diese Probe einzulassen. Ich muß hier noch erinnern, daß auch beim Traume die innern oder sich auf uns beziehenden Merkmale der Übereinstimmung, die Ver | gleichung mehrerer Sinne, das Zeugnis anderer, u. s. f. nicht zureichend sind, die Täuschung zu heben: denn, wir meinen auch zu fühlen, was wir sehen und von andern dasselbe zu hören. – Ist denn mein Freund wirklich noch am Le ¦ ben? – Allerdings! sagen alle, die im Traume gegenwärtig sind – da kommt er her – ich laufe auf ihn zu – ich umarme ihn u. s. w. – Wenn wir aber die äußern Umstände unter sich vergleichen, so finden wir Verschiedenheit genug mit den Vorstellungen, die wir im Wachen haben. Dort stimmt alles, was wir uns außer uns zu sein vorstellen, wenig zusammen, Zeit, Ort, Masse der Kraft zur eingebildeten Wirkung u. s. w. Hier bleibt alles übereinstimmend: wir finden heute wie gestern Haus, Gegend, Menschen, wieder; nichts bloß nach unserer Gedankenreihe; nichts erscheint ohne äußere Ursache: nichts übersteigt die Kraft der Ursache u. s. f. Da nun verschiedene Erscheinungen auch verschiedenen Grund haben müssen, so können wir diese Erfahrung von dem offenbaren Unterschiede der Vorstellungen im Traume und im Wachen auch gar wohl zum Beweise anführen, daß letztere nicht, wie jene, bloß subjektive Veränderungen unsers Denkens sind, sondern einen Grund außer uns haben müssen. – Sollte aber diese Verschiedenheit ¦ nicht auch gegen die Lehrmeinung zeugen, daß ein jeder seine Vorstellungen eigentlich nur aus sich selbst entwickele, ohne daß in der Tat eins auf das andere wirke, da doch die, welche wir also aus uns selbst entspinnen, so ganz anders zusammenhängen und beschaffen sind? Seite 104 [142] Darstellung der Gegend annehmen wollen) Die Vorstellung der Perspektive erläutert den Grund des Wahren bei der verschie-
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¦ xvi – xviii
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denen Einbildung sehr wohl.a Es sei mir erlaubt, ein Beispiel dazu zu geben, mit welchem ich mir die Sache anschaulich gemacht habe – Die vierseitige Pyramide A schwebe in der Luft, so,b daß sie von allen Seiten gleich erleuchtet ist, und also dem A
B
C
D
E
F
G
H
I
Auge nicht die Vermutung eines körperlichen Umfanges darbeut, und nun werde sie aus verschiedenen Standpunkten betrachtet. ¦ Der eine sieht sie gerade von unten in C und sagt: es ist ein bloßes Viereck; der andere, der sie grade von einer Seite in B sieht, sagt: es | ist ja ein Dreieck; (gleichseitig oder verkürzt, nachdem es mehr senkrecht oder von der Spitze zu betrachtet wird) ein Dritter sieht zwei Seiten D, es sind zwei rechtwinklig zusammengefügte Dreiecke – Nein: nach E vielmehr zwei una Erste Auflage und JubA ohne Punkt.
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¦ xviii – xix
b JubA: ohne Komma.
Anmerkungen und Zusätze
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gleiche Dreiecke – nach F ein Dreieck mit angehängtem Trapezio – nach G ein durchkreuztes Viereck – nach H ein längliches Viereck, in drei Dreiecke abgeteilt – nach I drei ungleiche Dreiecke. Alle diese und noch mehr Abänderungen lassen sich perspektivisch vorstellen und haben also ihre eigene Wahrheit: nur der aber, welcher dieses alles vergleicht und in der ersten Figur die Übereinstimmung findet, kann den wirklichen Grund der Erscheinungen erraten. Es beweisen also die verschiedenen Vorstellungen keinesweges, daß nicht ein gemeinschaftlicher objektiver wahrer Grund zu allen vorhanden sei. – So weit,109 mein Freund. –
¦ Seite 118 [148] Die Fragen verdienen in der Logik eine besondere Erwägung; so wie sie in der Sprache auf eine besondere Weise ausgedrückt zu werden pflegen. Harris110 hat in seinem Hermes, oder philosophischer Betrachtung über die allgemeine Sprachlehre, ihrer erwähnt, und folgendes davon bemerkt: »So oft eine Frage einfach und bestimmt ist, spricht er, kann die Antwort meistens in denselben Worten geschehen, indem sie in einen bejahenden oder verneinenden Satz verwandelt werden, je nachdem die Wahrheit auf der einen, oder auf der andern Seite anzutreffen ist. Zum Beispiel – Sind diese Verse Homers? – Antw. Diese Verse sind Homers. Sind diese Verse Virgils? – Antw. Diese Verse sind nicht Virgils. Und hier haben die Spracherfinder, um der Kürze willen, zwei Partikeln angegeben, wodurch alle dergleichen Antworten ausgedrückt werden können; Ja, für alle ¦ bejahende; Nein, für alle verneinende Antworten. Ist aber die Frage vielfach, als z. B. – Sind diese Verse Homers, oder Virgils? – oder ist sie gar unbestimmt, wenn nämlich überhaupt gefragt wird – Wessen sind diese Verse? – so kann die Antwort auf die vorhin angeführte Weise nicht erfolgen. Die Ursache hiervon ist, weil keine andere Frage durch ein bloßes Ja oder ein bloßes Nein beantwortet werden kann, als eine solche, die selbst so einfach ist, daß sie von zwei möglichen Antworten nur eine zu | läßt. Nun kann jede vielfache Frage, wo nicht auf mehrere,
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¦ xix – xxi
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doch wenigstens auf viererlei Art beantwortet werden, davon zwei bejahend und zwei verneinend sind. Die Ursache ist, weil eine vielfache Frage wenigstens aus zwei einfachen bestehen muß, deren jede besonders bejahet oder verneinet werden kann. Zum Beispiel – Sind die Verse Homers, oder Virgils? (1) Sie sind Homers. – (2) Sie sind nicht Homers. (3) Sie ¦ sind Virgils. – (4) Sie sind nicht Virgils. – Man kann noch hinzutun, (5) Sie sind von keinem von beiden. Die unbestimmte Frage gehet noch weiter; diese kann auf unendlich viel bejahende und unendlich viel verneinende Weise beantwortet werden. Wenn z. B. gefragt wird – Wessen sind diese Verse? so kann bejahend geantwortet werden – Sie sind Virgils, Sie sind Horazens. Sie sind Ovids, u. s. w. – Oder verneinend – Sie sind nicht Virgils. Sie sind nicht Horazens. Sie sind nicht Ovids, und so fort ins Unendliche. Wie können wir hier durch ein bloßes Ja oder ein bloßes Nein das Besondere zu erkennen geben, welches unter so vielen Möglichen gemeint sei? Hier müßte also die Antwort durchaus in einem ganzen Satze bestehen. Allein die Gewohnheit hat auch hier die Antwort, um der Kürze willen, in ein einziges, wesentliches, charakteristisches Wort zusammen gezogen, und den Überrest von sich selbst verstehen lassen. So wenn wir gefragt werden – Wie viel ¦ rechte Winkel enthalten alle Winkel eines Dreiecks? – antworten wir mit der einzigen Silbe, zwei; ohne Abkürzung würde die Antwort sein müssen – Alle Winkel eines Dreiecks enthalten zwei rechte Winkel. Die Alten haben diesen verschiedenen Arten von Fragen auch zwei verschiedene Namen gegeben. Die Einfache nennten sie Ερώτημα, Interrogatio: die vielfache Πύσμα, Percontatio.« So weit Harris. Unrichtig sind diese Unterscheidungen zwar nicht; allein sie scheinen nicht auf den Grund zu gehen, und der Sache nicht Licht genug zu geben. Eine deutliche Worterklärung wird uns helfen, die Begriffe besser aus einander setzen und von diesen Bemerkungen des englischen Schriftstellers logischen Grund angeben zu können. Also: was ist eine Frage? Es ist offenbar, daß jeder Fragende etwas zu erfahren verlanget, wodurch ein mangelhafter Satz ergänzt und vollständig ge-
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¦ xxi – xxiii
Anmerkungen und Zusätze
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macht wird. Die Antwort ersetzt diesen Mangel und verwan¦delt also einen gegebenen unvollständigen, in einen vollständigen Satz. | Zum Beispiel – – Wer ist der Verfasser der Iliade? – Das Fragewörtchen Wer stehet hier an der Stelle des unbekannten Subjekts. Die Antwort nennet das Subjekt, Homer; und nun ist der Satz vollständig: Homer ist der Verf. der Iliade. – Was ist die Iliade? – Das Wörtchen Was stehet an der Stelle des unbekannten Prädikats. Die Antwort nennet das Prädikat – Ein Heldengedicht Homers, und ergänzt dadurch den Satz – Die Iliade ist ein Heldengedicht Homers. Es ist also nicht nötig, mit dem Harris eine Verkürzung anzunehmen. Der Antwortende braucht bloß denjenigen Teil des Satzes anzugeben, der dem Fragenden mangelt. Diesen unbekannten Teil drückt der Fragende durch das Fragewort aus, wie etwa in der Algebra eine unbekannte Größe durch X, Y oder Z angedeutet wird. Der Antwortende zeigt den Wert, der an die Stelle des Zeichens ge¦setzt werden muß, um den Satz vollständig und bestimmt zu machen. Der Casus des fragenden Fürworts gibt den Teil des Satzes an, der zur Vollständigkeit fehlt. Der Nominat. Wer? was? bedeutet einen Hauptteil des Satzes, Subjekt oder Prädikat, wie wir in den angeführten Beispielen gesehen. Der Akkus. Wen? was? zeiget an, daß zur Vollständigkeit des Satzes das Objekt fehlet. Wen hat Homer zum Helden der Ilias genommen? – Antw. den Achill. Der Ablat. bedeutet den Bestimmungspunkt woher? so wie der Dativ den Bestimmungspunkt, wohin? und der Genitiv das Verhältnis, in welchem Subjekt oder Prädikat mit einem andern Substantiv stehet. – Z. B. Wessen Heldengedicht ist die Ilias? Antw. Homers. Der Satz, der die Frage angab, war – – Die Ilias ist ein Heldengedicht des X. Subjekt und Prädikat war nämlich bestimmt und gegeben. Es fehlte aber das Substant., mit welchem das Prädikat in dem bestimmten Verhältnisse stehet. Die Frage drücket ¦ dieses durch ein bloßes Zeichen, oder durch das Pronomen interr. im Genitiv aus; Wessen? – Die Antwort erfolgt in demselben Casu: des Homers, und nunmehr ist der Satz vollständig – Die Ilias ist ein Heldengedicht Homers.
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In allen diesen Fällen blieb in der Frage ein Hauptteil des Satzes, Subjekt oder Prädikat, entweder völlig unbekannt, oder in irgend einer Betrachtung unbestimmt, wodurch der Satz noch unvollständig ausgedrückt werden mußte. Die Antwort, welche diesen Mangel ersetzen sollte, konnte also so vielfach ausfallen, als mancherlei die | Gegenstände waren, zwischen welchen der Fragende den Zweifel schweben ließ. Gab er den fehlenden Teil, oder die ausgelassene Bestimmung als völlig unbekannt an; so waren der möglichen Antworten unendlich viele. Z. B. – Wer hat diese Verse gemacht? – So viel Namen möglich sind: so viel Antworten können hier gegeben werden. Hat aber der Fragende den Zweifel auf eine bestimmte Anzahl von Gegenständen eingeschränkt; ¦ so gibt es auch keine größere Anzahl von Antworten; sondern eben so viel bejahende und eben so viel verneinende Antworten, als Gegenstände, auf welche die Frage den Zweifel eingeschränkt hat. – Sind die Verse vom Horaz, Virgil oder Ovid? – Die Frage läßt hier eine Bestimmung des Prädikats nicht völlig unbekannt; sondern schränkt den Zweifel auf drei Personen ein, und die Antwort kann auf sechserlei Art ausfallen, davon drei bejahend und drei verneinend sind. Harris tut noch die Antwort hinzu: – Sie sind von keinem von diesen. Allein mich dünkt, dieses ist nicht so wohl eine Antwort, als eine Erklärung, daß die Frage selbst ungereimt oder unschicklich sei; indem sie den Zweifel näher einschränkte, als der Wahrheit nach geschehen konnte. Sie hat einen von dreien zum Urheber der Verse angegeben, und im Grunde ist es keiner derselben. Dieses ist also diejenige Gattung von Fragen, welche die Alten Ερώτημα (Interrogatio) nennten. Sie ist nicht, wie Harris meint, zusammengesetzt, oder vielfach; sondern an und ¦ für sich sehr einfach, und die Vielheit der Antworten liegt in der Natur der Begriffe. Sie besteheta in dem Ausdrucke eines Satzes, dem zur Vollständigkeit ein Hauptteil, Subjekt oder Prädikat, entweder ganz, oder in einer von seinen Bestimmungen fehlet; nebstb dem Verlangen, diesen Abgang durch die Antwort zu ergänzen. a JubA: besteht.
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b JubA: nebest.
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Anmerkungen und Zusätze
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Wenn aber die Hauptteile des Satzes gegeben und bestimmt sind, und bloß der Zweifel in der Qualität des Satzes liegt; der Fragende nämlich will wissen, ob der Satz zu bejahen, oder zu verneinen sei; so sind allerdings nur zwei Antworten möglich, eine bejahende und eine verneinende. Die Antwort kann also, ohne Kunstgriff der Spracherfinder, wie Harris meinet, ohne alle Verkürzung, in dem Redeteilchen bestehen, das in der Frage zweifelhaft blieb, in der bloßen Bejahung oder bloßen Verneinung. – z. B. – Sind diese Verse Homers? – Hast du den weißen Bären gesehen? Subjekt und Prädikat sind hier angegeben und bestimmt; bloß die Beschaffenheit | des Bindeworts ¦ blieb zweifelhaft, und daher kann die Antwort auch nicht anders, als diese Beschaffenheit angeben; bejahen oder verneinen. Diese Gattung von Fragen nennten die Alten Πύσμα, Percontatio, oder wie man im Deutschen etwa sagen könnte, Forschen. Sokrates bediente sich derselben, wenn er seine Schüler ausholen und auf die Wahrheit führen wollte. Er bestimmte allezeit Subjekt und Prädikat seines Wahrheitsatzes so genau, als möglich, und brachte die Frage dahin zurück, daß der Schüler nur Ja oder Nein zu antworten hatte. Auch vor Gericht, beim Zeugenverhör, sehr oft auch bei Inquisition der Verbrecher, pflegt man sich dieser Methode zu bedienen; die Fragen in ihre einfachsten Teile aufzulösen, und alle Stücke des Satzes, bis auf die Beschaffenheit desselben, deutlich anzugeben; so daß der Antwortende bloß zu bejahen oder zu verneinen hat. Diese Subtilitäten, welche Laurenz Sterne111 durch sein Beispiel vom weißen Bären so lächerlich gemacht hat, führen gleichwohl zu nützlichen ¦ Folgen. Alle Fragen müssen beantwortlich sein; müssen unvollständige Sätze enthalten, die durch eine mögliche Antwort in vollständige, verständliche und denkbare Sätze verwandelt werden können. Sobald erweislich ist, daß der Satz, welchen die Frage ergänzt haben will, auf keine Weise zu ergänzen sei, daß er in der verlangten Vollständigkeit an und für sich nicht gedacht werden könne; so muß die Frage selbst als unstatthaft verworfen werden. Mich dünkt, daß eine Menge von Fragen, welche von den Weltweisen sehr mühsam untersucht zu werden
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¦ xxviii – xxx
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pflegen, zu dieser Klasse gehören. Sie fordern Vollständigkeit eines Satzes, die an und für sich nicht gegeben werden kann. Sie suchen so etwas, das nicht nur außer dem Erkenntniskreise des Menschen, sondern außerhalb aller Erkenntnis überhaupt fallen muß. In dem Texte, auf welchen diese Note anweiset, befinden sich einige Beispiele von Fragen dieser Art, die mir unstatthaft scheinen. Man erlaube mir, hier noch einige Instanzen anzuführen. ¦ Erste Instanz Was sind die Dinge an und für sich, außer allen Empfindungen, Vorstellungen und Begriffen? Diese Frage gehört, wie ich glaube, zu der Klasse der unbeantwortlichen Fragen. Der unvollständige Satz, den sie enthält, ist: – Die Dinge außerhalb aller Empfindun | gen, Vorstellungen und Begriffe sind an und für sich = X. Dieser Satz muß, wenn die Frage gelten soll, sich vollständiger machen, das Unbekannte in demselben muß sich in etwas Bekanntes, das X in A verwandeln lassen, und der Satz dadurch in seiner Vollständigkeit denkbar werden. Setzet also: Die Dinge außerhalb aller Empfindungen, Vorstellungen und Begriffe sind = A. Nun gibt A in diesem Falle offenbar nicht mehr zu denken, als X; denn in so weit das A etwa gedacht, empfunden, oder vorgestellt werden kann, tut es der Frage kein Genüge. Der für unvollständig ausgegebene Satz kann also durch keine mögliche Antwort vollständig gemacht werden. Die Frage ist an und für sich selbst unbeantwortlich. ¦ Zweite Instanz Was ist das Substratum aller Akzidenzien, die von einer Substanz zu erkennen sind? Auch diese Frage, über welche sich Locke112 so weitläufig herausgelassen, ist, wie mich dünkt, aus dem nämlichen Grunde unbeantwortlich. Denn setzet, dieses gesuchte Substratum sei A. In so weit A etwas Denkbares, Begreifliches oder Vorzustellendes bedeutet; gehöret es zu den Akzidenzien und tut der Frage kein Genüge. Es ist also keine Antwort möglich, in welcher dieses Substratum angegeben werden soll.
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¦ xxx – xxxii
Anmerkungen und Zusätze
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Dritte Instanz Hat dieses gesamte Weltall eine örtliche Bewegung? Eine Frage, die Newton aufgeworfen. Kann dieses Weltall von seiner Stelle fortrücken und im leren Raume seinen Ort verändern? – Wenn diese Frage beantwortlich sein soll, so muß der Satz: dieses Weltall hat seine Stelle verändert, von dem Satze: dieses Weltall hat siea nicht verändert, verschieden sein und von irgend einem denkenden Wesen unterschieden werden können. Nun ist ¦ dieses nach der Voraussetzung unmöglich; denn im unendlichen Leeren gibt es schlechterdings keine Merkmale, wodurch die Teile, oder die Verschiedenheit der Orte von irgend einem denkenden Wesen unterschieden werden könnten. Die Frage ist also von Leibnizen113 mit Recht als unbeantwortlich verworfen worden. Eine ähnliche Beschaffenheit hat es mit der Frage in Absicht auf die leere Zeit. Konnte diese Reihe der Dinge, so wie sie jetzt wirklich geworden, nicht früher entstehen? – Die Antwort fällt aus eben dem Grunde ins Unmögliche. | Vierte Instanz Ich halte dafür, die bekannte Untersuchung der Physiologen über des Vehikulum unserer sinnlichen Empfindungen sei derselben Bedenklichkeit unterworfen, führe zuletzt auf eine Frage, die an und für sich selbst unbeantwortlich ist. Was ist das Vehikulum, fragt man, wodurch die sinnlichen Beschaffenheiten der Gegenstände ausgeführet werden? Es ist eine flüssige Materie, sagen einige; es sind elastische Fibren, antworten andre: bald soll es ¦ eine feine Materie, wie Äther sein; bald der elektrischen Materie gleichen: alle kommen darin überein, daß dieses Vehikulum Materie sei. Nun ist die Materie nicht anders, als durch sinnliche Beschaffenheitenb (qualitates sensibiles) zu erkennen. Was wir von derselben wissen und erfahren können, bestehet in den sinnlichen Empfindungen, die sie uns gewähret, und in den Merkmalen, die wir davon abgesondert haben. Wir wollen also das Vehikulum aller sinnlichen Beschaffenheiten durch sinnliche Beschaffenheia Erste Auflage: ihn.
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b JubA: Beschaffenheit.
¦ xxxii – xxxiv
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Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes
ten selbst erkennen. Wir wollen das Wesen erkennen, welches uns diese sinnliche Beschaffenheiten zuführet, und gestehen gleichwohl, daß dieses Wesen nichts anders, als durch dergleichen sinnliche Beschaffenheiten von uns zu erkennen sei. – Ich traue mir selber nicht, wenn ich in dieser Untersuchung einen so fehlerhaften Zirkel zu finden glaube. Es haben sich so viele scharfsinnige Köpfe mit derselben abgegeben, daß ich immer noch befürchte, die Frage selbst nicht gehörig eingesehen zu haben. Ich werde es einem jeden Dank wissen, der sich die Mühe gibt, mich eines bessern zu belehren, und diese berühmte Streitfrage ins gehörige Licht zu setzen. ¦ Fünfte Instanz Ein bemerkenswertes Beispiel dieser Art ist, wie es mir scheint, der von einigen Weltweisen erregte Zweifel über die Fortdauer einer Substanz. Welches Merkzeichen, fragen sie, kann davon gegeben werden, daß eine Substanz in aufeinander folgenden Augenblicken noch dieselbe geblieben sei? Selbst bei einem geistigen Wesen, sprechen sie, kann hiervon keine Sicherheit erhalten werden; denn das Bewußtsein und die Erinnerung des vorigen Zustandes gibt hiervon keine Gewißheit. Immer noch bleibt dieses Bewußtsein, diese Erinnerung etwas Gegenwärtiges, das dem Geistea jetzt beiwohnet, und würde z. B. in einer untergeschobenen Substanz eben sob wohl statt haben, als in einer fortdauernden.c Sie kann also kein Kri | terium sein, jene von dieser zu unterscheiden. Ich antworte hierauf: eben deswegen, weil ein solches Kriterium nicht gefunden werden kann; so kann es auch nicht gesucht werden. Es ist widersinnig, Dinge unterscheiden zu wollen, davon man überzeugt ist, daß sie an und für sich nicht unterschieden werden können. Wenn alle Merkmale und Kennzeichen der untergeschobenen Substanz vollkommen so beschaffen sind, ¦ als wenn die Substanz fortgedauert hätte; so ist sie von einer fortdauernden nicht unterschieden; so würde das vollkommenste a JubA: Geist.
| 172 – 173
b JubA: ebenso.
¦ xxxiv – xxxvi
c JubA: fordauernden.
Anmerkungen und Zusätze
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Wesen selbst sie für einerlei halten müssen; das heißt, sie würden einerlei sein. Die Substanz würde dieselbe geblieben, und nicht verwechselt worden sein. Was nicht zu unterscheiden ist, muß auch in der Tat nicht unterschieden sein. Was nicht erkannt werden kann, das ist auch nicht. Das Gesuchte liegt hier außerhalb des Erkentniskreises nicht nur des eingeschränkten Menschen, sondern des Erkenntniskreises überhaupt, und fällt ins Ungereimte. Seite 273 [222] Noch dringen mir die Worte durch die Seele, deren sich mein unvergeßlicher Freund in dem letzten Handschreiben bediente, das mir ein Reisender von ihm überbrachte. Seit einigen Jahren hatte weder ich noch unser beiderseitiger Freund Nicolai Schreiben von ihm erhalten, und er war uns einige Antworten schuldig. Dieses befremdete mich nun zwar nicht; denn er war, wie seinen Freunden bekannt ist, nie der rüstigste Briefschreiber, auch eben im Beantworten nicht pünktlich, wenn es bloß um Freundschaftsversicherung, ohne weitern Inhalt, zu ¦ tun war. Indessen öffnete ich doch desto begieriger das Briefchen, das mir ein Unbekannter überreichte. Nun hatte sich L., so lange ich ihn kannte, in so verschiedenen äußern Umständen und Lagen ich ihn kannte, nie über Undank seiner Zeitgenossen beschwert; nie beklagt, daß ihm nicht Gerechtigkeit widerführe, daß seine Verdienste nicht belohnt würden, und dergleichen Beschwerden, die so mancher mit weit geringerm Rechte von sich hören läßt. Die Worte Ich und Mein war ich gewohnt, aus seinem Munde so selten, als möglich zu vernehmen. Auch waren seine Briefe allzeit lebhaft, gedankenreich und von gediegenem Inhalte. – Alle Arten von Laune war ich an ihm gewohnt; nur niemals Niedergeschlagenheit oder Mißmut. Er war allezeit der tröstende, nie der trostsuchende Freund. Und nun – ich kann die widrige Empfindung nicht | beschreiben, die ich hatte, als mir folgende Zeilen einen ganz andern Mann zu erkennen gaben, einen gebeugten, abgehärmten, endlich unterliegenden Kämpfer; einen gleichsam müdegejagten, verschmachtenden Hirsch, der endlich hinsinkt, und sein edles Geweih mutlos in den Staub legt: ¦
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¦ xxxvi – xxxvii
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Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes
»Liebster Freund, Der Reisende, den Sie mir vor einiger Zeit zuschickten, war ein neugieriger Reisender. Der, mit dem ich Ihnen jetzt antworte, ist ein emigrierender. Diese Klasse von Reisenden findet sich unter Yoricks Klassen114 nun zwar nicht; und unter diesen wäre nur der unglückliche und unschuldige Reisende, der hier allenfalls paßte. Doch warum nicht lieber eine neue Klasse gemacht, als sich mit einer beholfen, die eine so unschickliche Benennung hat? Denn es ist nicht wahr, daß der Unglückliche ganz unschuldig ist. An Klugheit hat er es wohl immer fehlen lassen. Eigentlich heißt er ****, dieser Emigrant; und daß ihm unsere Leute, auf Verhetzung der Ihrigen, sehr häßlich mitgespielt haben, das kann ich ihm bezeugen. Er will von Ihnen nichts, lieber Moses, als daß Sie ihm den kürzesten und sichersten Weg nach dem europäischen Lande vorschlagen, wo es weder Christen noch Juden gibt. Ich verliere ihn ungern; aber sobald er glücklich da angelangt ist, bin ich der erste, der ihm folgt. ¦ An dem Briefchen, das mir D. Fließ damals von Ihnen mitbrachte, kaue und nutsche115 ich noch. Das saftigste Wort ist hier das edelste. Und wahrlich, lieber Freund, ich brauche so ein Briefchen von Zeit zu Zeit sehr nötig, wenn ich nicht ganz mißmütig werden soll. Ich glaube nicht, daß Sie mich als einen Menschen kennen, der nach Lobe heißhungrig ist. Aber die Kälte, mit der die Welt gewissen Leuten zu bezeugen pflegt, daß sie ihr auch gar nichts recht machen, ist, wenn nicht tötend, doch erstarrend. Daß Ihnen nicht alles gefallen, was ich seit einiger Zeit geschrieben, das wundert mich gar nicht. Ihnen hätte gar nichts gefallen müssen; denn für Sie war nichts geschrieben. Höchstens hat Sie die Zurückerinnerung an unsre bessern Tage noch etwa bei der und jener Stelle täuschen können. Auch ich war damals ein gesundes schlankes Bäumchen; und bin jetzt ein so fauler knorrichter Stamm! Ach, lieber Freund! diese Szene ist aus! Gern möchte ich Sie freilich noch einmal sprechen!« Wolfenbüttel, den 19. Dezbr. 1780.
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¦ xxxviii – xxxix
Vorerkenntnis von Wahrheit, Schein und Irrtum
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| ¦ Gern hätte ich dir diesen Trost gegönnt, liebe Seele! Gern wollte ich mich von meinen Geschäften und von meiner Familie losreißen, zu dir hineilen, und dich noch einmal sprechen. Aber leider! machte ich es, wie wir es bei so manchem guten Beginnen zu machen pflegen. Ich verschob und verweilte – bis es zu spät war. Ach! es waren die letzten Worte, die ich von ihm vernahm!
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¦ xl
ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS
Die Anmerkungen geben in der Regel Personen- oder Worterklärungen und erläutern Verweise Mendelssohns. An einigen Stellen wurden weitergehende Hinweise eingefügt, wenn dies zum Verständnis notwendig schien. Ausführliche Erläuterungen finden sich in den Kommentaren der Jubiläumsausgabe (JubA I, S. 633 ff.; JubA II, S. 416 ff.; JubA III.1, S. 277 ff.), in Altmanns Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik und in der von Dominique Bourel herausgegebenen Ausgabe der Morgenstunden (Universal-Bibliothek 9941, Stuttgart 1979). Die Anmerkungen verweisen in der Regel nicht auf Mendelssohn zugängliche Ausgaben, sondern auf leichter erreichbare moderne Editionen. Häufiger zitierte Ausgaben Bayle, Pierre, Historisches und kritisches Wörterbuch. Eine Auswahl, übersetzt und hrsg. von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Philosophische Bibliothek Bd. 542, Hamburg 2002 Bernoulli, Jakob, Wahrscheinlichkeitsrechnung. I., II., III. und IV. Theil, übersetzt und hrsg. von R. Haussner, Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Bd. 107, Frankfurt/Main 1999 Clarke, Samuel, Der Briefwechsel mit G.W. Leibniz von 1715/1716, übersetzt und mit einer Einführung, Erläuterungen und einem Anhang hrsg. von Ed Dellian, Philosophische Bibliothek Bd. 423, Hamburg 1990 Crusius, Christian August, Die philosophischen Hauptwerke, Bd. I– III hrsg. von Giorgio Tonelli, Bd. IV.1 hrsg. von Sonia Carboncini und Reinhard Finster, Hildesheim, Zürich, New York 1964 ff. Descartes, René, Discours de la Méthode / Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, übersetzt und hrsg. von Lüder Gäbe, Philosophische Bibliothek Bd. 261, Hamburg 1997
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Anmerkungen des Herausgebers
–, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, übersetzt und hrsg. von Artur Buchenau, Philosophische Bibliothek Bd. 27, Hamburg 1972 –, Die Prinzipien der Philosophie, übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers, Philosophische Bibliothek Bd. 566, Hamburg 2005 s’Gravesande, Wilhelm Jacob, Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird, Halle 1755 Hume, David, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übersetzt von Raoul Richter, mit einer Einleitung hrsg. von Jens Kulenkampff, Philosophische Bibliothek Bd. 35, Hamburg 1993 Leibniz, Gottfried Wilhelm, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übersetzt von Artur Buchenau, durchgesehen, mit Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Ernst Cassirer, Bd. 1, Bd. 2, Philosophische Bibliothek Bde. 496 und 497, Hamburg 1996 –, Die Theodizee, übersetzt von Artur Buchenau, einführender Essay von Morris Stockhammer, Philosophische Bibliothek Bd. 71, Hamburg 1968 –, Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade, Monadologie, auf Grund der kritischen Ausgabe von André Robinet und der Übersetzung von Artur Buchenau mit Einführung und Anmerkungen hrsg. von Herbert Herring, Philosophische Bibliothek Bd. 253, Hamburg 1982 Lessing, Gotthold Ephraim, Werke und Briefe in 12 Bänden, hrsg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen u. a., Frankfurt 1985 ff. Locke, John, Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1: Buch I und II; Bd. 2: Buch III und IV, Philosophische Bibliothek Bde. 75 und 76, Hamburg 2000 Mendelssohn, Moses, Ästhetische Schriften, mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Anne Pollok, Philosophische Bibliothek Bd. 571, Hamburg 2006 Spinoza, Baruch de, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, neu übersetzt, herausgegeben, mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat, Philosophische Bibliothek Bd. 92, Hamburg 1999 Wolff, Christian, Discursus praeliminaris de philosophia in genere/
Anmerkungen des Herausgebers
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Einleitende Abhandlung über die Philosophie im allgemeinen, Historisch-kritische Ausgabe, übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abt. I, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996 –, Erste Philosophie oder Ontologie, nach wissenschaftlicher Methode behandelt, in der die Prinzipien der gesamten menschlichen Erkenntnis enthalten sind, übersetzt und hrsg. von Dirk Effertz, Philosophische Bibliothek Bd. 569, Hamburg 2005
Weitere, häufiger zitierte Literatur Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter, Basel 1971 ff. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854– 1960 anmerkungen 1. Gedanken von der Wahrscheinlichkeit (S. 3–21) 1 einkommen] einfallen, in den Sinn kommen (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 216 ff.). 2 Zweifler] Vgl. Leibniz: Epikur ging »so weit, das erste und vornehmste Prinzip der Vernunftwahrheiten zu leugnen: er leugnete, daß jede Aussage wahr oder falsch ist.« (Die Theodizee, II. Teil, § 169, S. 227) 3 in dem gemeinen Leben […] überzeugt halten] Vgl. z. B. Hume: »Der große Gegner, der den Pyrrhonismus oder die übertriebenen Prinzipien des Skeptizismus untergräbt, heißt Tätigkeit, Beschäftigung und die Verrichtungen des täglichen Lebens. In den Schulen mögen diese Prinzipien blühen und obsiegen; dort ist es freilich schwer, wenn nicht unmöglich, sie zu widerlegen. Sobald sie aber aus dem Schatten heraustreten und durch die Gegenwart der wirklichen Dinge, die unsere Affekte und Gefühle in Bewegung setzen, zu den mächtigsten Prinzipien unserer Natur in Gegensatz geraten, so ver-
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Anmerkungen des Herausgebers
gehen sie wie Rauch und lassen den entschiedensten Skeptiker wie andere Sterbliche zurück.« (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 186) 4 Bayle] Vgl. Pierre Bayle (1647–1706): »Das bürgerliche Leben hat von dieser Geisteshaltung nichts zu befürchten, denn die Skeptiker leugnen nicht, daß man sich den Gepflogenheiten seines Landes gemäß verhalten, die Pflichten der Moral erfüllen und sich in diesen Dingen von der Wahrscheinlichkeit leiten lassen muß, ohne Gewißheit zu erwarten.« (Historisches und kritisches Wörterbuch, Artikel Pyrrho, S. 259) Bayle beruft sich an dieser Stelle auf den griechischen Philosophiegeschichtsschreiber Diogenes Laertios (3. Jhdt. n. Chr.), der als weitere Quelle anzusehen ist. 5 Man […] erkannt] Mendelssohn verweist hier auf die Tradition der philosophischen Anwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie auf erkenntnistheoretische Fragen, auf die besonders für die Philosophie der Aufklärung wichtige Forderung nach einer Logica probabilium. Literatur: Ian Hacking, The Emergence of Probability. A Philosophical Study of Early Ideas about Probability, Induction and Statistical Inference, Cambridge 1975; Barbara J. Shapiro, Probabilty and Certainty in Seventeenth-Century England. A Study of the Relationships Between Natural Science, Religion, History, Law, and Literature, Princeton 1983; Lorraine Daston, Classical Probability in Enlightenment, Princeton 1988; Rüdiger Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit. Literatur und Berechnung zwischen Pascal und Kleist, Göttingen 2002. 6 nicht […] schließen] Nach Wolff ist ein wahrscheinlicher Beweis von einem demonstrativen Beweis nur im Hinblick auf seine Prinzipien, nicht aber in seiner Schlußweise verschieden (Logica, § 588, WW II.1.2, S. 440 f.). 7 Glaubwürdigkeit] In seiner Theologiae christianae principia mathematica vertritt John Craig (1663–1731) die Auffassung, daß die Prinzipien der christlichen Religion nur wahrscheinlich seien, und führt die Abnahme der Grade der Wahrscheinlichkeit auf mathematische Kalküle zurück. Vgl. Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch, Dritte Klarstellung, S. 637. 8 Pascal, Fermat, Huygens, Halley, Craig, Petty, Montmort, Moivre, Bernoulli und Euler] Mendelssohn nennt hier wichtige Mathematiker,
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die die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung entscheidend beeinflußt haben: Pierre Fermat (1601–1665), französischer Mathematiker, und Blaise Pascal (1623–1662), französischer Philosoph und Mathematiker, führten einen Briefwechsel über Chancen im Glücksspiel. Pascals Schrift Traité du triangle arithmétique avec quelques autres petits traitez sur la mesme matière behandelt Fragen der Wahrscheinlichkeitsrechnung; die berühmte Wette in den Pensées (Gedanken über die Religion und einige andere Themen, hrsg. von Jean-Robert Armogathe, übersetzt von Ulrich Kunzmann, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1622, Stuttgart 1997, Fragment 418/233, S. 227) stützt sich auf wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen. Die wahrscheinlichkeitstheoretischen Berechnungen von Erwartungswerten in Glücksspielen von Christiaan Huygens (1629– 1695), einem holländischen Mathematiker und Physiker, wurden 1657 unter dem Titel Chr. Hugenii tractatus de ratiociniis in aleae ludo veröffentlicht; diese Schrift ist eine Übersetzung seiner ursprünglich auf Niederländisch verfaßten Abhandlung Van Rekeningh in Spelen van Geluk, im Original erstmals 1660 veröffentlicht (Vorrede auf den 27. April 1657 datiert). Jakob Bernoulli (1655–1705) ist ein Basler Mathematiker und Philosoph, dessen Hauptwerk Ars conjectandi 1713 von seinem Neffen Nikolaus Bernoulli (1687–1759) veröffentlicht wurde (im wesentlichen 1690 abgeschlossen). Edmond Halley (1656 –1742), englischer Astronom, Schüler Newtons, veröffentlichte 1693 Untersuchungen über Sterblichkeitstabellen. William Petty (1623–1687) erkannte der Hypothese eine heuristische Bedeutung in der Wissenschaft zu und entwickelte Kriterien zur Beurteilung ihrer Adäquatheit; für sein empirisch geprägtes politisches Denken erkannte er die Bedeutung statistischer Ergebnisse für die Lösung politischer Spannungen und die Bedeutung der Demographie für politische Entscheidungen (Natural and political observations upon the bills of mortality). Pierre Rémond de Montmort (1678– 1719), französischer Philosoph und Mathematiker, veröffentlichte 1708 den Essay d’ Analyse sur les Jeux de Hazard. Abraham Moivre (1667–1754), französischer Mathematiker, publizierte 1711 die Abhandlung De Mensura Sortis, seu, de Probabilitate Eventuum in Ludis a Casu Fortuito Pendentibus. Leonhard Euler (1707–1783), Mathematiker und Astronom, ist Autor zahlreicher, vor allem in den Ver-
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öffentlichungen der Berliner Akademie erschienenen Arbeiten zur Wahrscheinlichkeitstheorie. Auf einige der hier von Mendelssohn genannten Mathematiker verweist auch Wolff, Deutsche Metaphysik, § 402 (WW I.2, S. 245). 9 Leibniz] Vgl. z. B. folgende Stelle: Man »bekümmert sich gar nicht um die Logik, welche die Wahrscheinlichkeiten abwägen sollte und bei wichtigen Erwägungen so notwendig ist. Beinahe alle unsere Fehler stammen daher aus Verachtung oder mangelhafter Ausbildung der Kunstfertigkeit des Denkens; gibt es doch nichts Ungenügenderes als unsere Logik, sobald man über die notwendigen Schlußfolgerungen hinausgeht. Die ausgezeichnetsten Philosophen unserer Zeit, die Verfasser der ›Art de penser‹ [Arnauld/Nicole], der ›Recherche de la vérité‹ [Malebranche] und des ›Versuchs über den menschlichen Verstand‹ [Locke] sind weit davon entfernt, uns die wahren Mittel anzugeben zur Unterstützung dieser Fähigkeit, vermittels deren wir die Wahrscheinlichkeiten des Wahren und Falschen abwägen sollen; ganz zu schweigen von der Kunst des Erfindens, wohin man noch viel schwerer gelangt und von der wir allein in der Mathematik sehr unvollkommene Proben haben.« (Die Theodizee, Einleitende Abhandlung, § 31, S. 56) Zur großen Bedeutung der Wahrscheinlichkeit in der Philosophie Leibniz’ vgl. Luigi Cataldi Madonna, Gewißheit, Wahrscheinlichkeit und Wissenschaft in der Philosophie von Leibniz, in: Aufklärung 5.1/1990, S. 103–116 und Theorie und Kritik der Vernunft bei Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Vernunftkritik und Aufklärung. Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts, hrsg. von Michael Oberhausen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 59–81. In der Deutschen Metaphysik (§ 402) schließt sich Wolff der Forderung Leibniz’ nach einer philosophischen Anwendung der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie an und fordert, die allgemeinen Gründe, die in besonderen Fällen enthalten sind, zu entdecken und sie unter deutliche Regeln zu bringen (WW I.2, S. 246). 10 Wolffischen Definitionen] Mendelssohn zitiert im folgenden Wolffs Definition der Wahrscheinlichkeit aus der lateinischen Logik. In Wolffs Philosophie spielt die Wahrscheinlichkeit wie bei Leibniz eine große Rolle, er räumt ihr in dem das lateinische Werk einleitenden Discursus praeliminaris ausdrücklich einen Platz auch in der
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»um völlige Gewißheit« bemühten Philosophie ein: »Wahrscheinliches wird in der Philosophie hauptsächlich wegen des Nutzens im Leben zugelassen; es gibt auch einen bestimmten Grund, warum es zum Nutzen der Wissenschaft zugelassen werden muß, nämlich wenn eine sichere Erkenntnis ohne vorausgehende Wahrscheinlichkeitserkenntnis nicht erlangt werden kann.« (Discursus praeliminaris, S. 141–143). Nach Gawlick/Kreimendahl ist Wolff dazu durch den rapiden Aufstieg der Naturwissenschaften gezwungen. Vgl. Luigi Cataldi Madonna, La filosofia della probabilità nel pensiero moderno. Dalla Logique di Port Royal a Kant, Rom 1988, S. 105 ff. 11 s’Gravesandische Definition] Aus der deutschen Übersetzung von Wilhelm Jacob s’Gravesandes (1688–1742) Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird zitiert Mendelssohn in den folgenden Absätzen. Zu den Definitionen von s’Gravesande und Bernoulli vgl. die Einleitung, Abschnitt 2.1. 12 Man […] sei] Nach Wolff nennt man die Bestimmungen des Subjekts, aus dem das Prädikat gefolgert werde, die Wahrheitsgründe, weil sie den Grund enthalten, weshalb ein Satz wahr ist (Logica, § 573, WW II.1.2, S. 434 f.). 13 Sind […] überzeugt] Wer nach Wolff erkennt, daß alles zur Wahrheit Erforderliche vorhanden ist, der erkennt gewiß die Wahrheit (Logica, § 574, WW II.1.2, S. 435). 14 Wenn […] wahrscheinlichen Erkenntnissen] Wenn ein Prädikat einem Subjekt aufgrund eines unzureichenden Grundes zugesprochen wird, wird der Satz wahrscheinlich genannt; es ist deswegen klar, daß bei einem wahrscheinlichen Satz dem Subjekt ein Prädikat wegen bestimmter Wahrheitsgründe zugesprochen wird (Logica, § 578, WW II.1.2, S. 437). Vgl. auch folgende Stelle: »Es ist […] zu mercken, daß zu einer jeden Wahrheit verschiedenes erfordert wird, dadurch sie in ihrem Bestande determiniret wird, welches ich im Lateinischen Requisita ad veritatem, im Deutschen die Wahrheits-Gründe, zu nennen pflege. Wenn mir alle Wahrheits-Gründe bekant sind, so erkenne ich die Wahrheit der Sache gewiß: sind mir einige davon bekant, die übrigen aber weiß ich nicht, so vermuthe ich die übrigen bey den ersten, und halte die Sache für wahrscheinlich, und zwar um so viel wahrscheinlicher, je mehr von den Wahrheits-Gründen vorhanden seyn, oder vielmehr als vorhanden von
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mir erkant werden: ist aber keiner von den Wahrheits-Gründen bekant, so hat man gar keine Wahrscheinlichkeit.« (Wolff, Deutsche Metaphysik, Anderer Theil, § 127, WW I.3, S. 205) 15 Act. Erudit.] Acta Eruditorum, erste wissenschaftliche Zeitschrift Deutschlands, 1682 in Leipzig gegründet. Mendelssohn bezieht sich hier auf eine Rezension des Essai d’Analyse sur les Jeux de Hazard von Montmort. In der zweiten Auflage ändert Mendelssohn die Seitenzahl auf 465. Nach JubA V.1, S. 300 bezieht sich Mendelssohn auf die »sinnähnliche Stelle« S. 464 f. Neuere Forschungen haben ergeben, daß die Rezension von Wolff stammt (WW II.38.1, S. 445). 16 lateinischen Logik (§ 578 Not.)] Damit etwas in Wirklichkeit geschehe, wird nicht nur die innere Möglichkeit, sondern auch eine die Wirklichkeit determinierende Ursache gefordert (Logica, § 578, WW II.1.2, S. 437). 17 s’Gravesande] Mendelssohn zitiert s’Gravesande, Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird, §§ 609–611, S. 170 f. mit einigen Auslassungen. Ähnlich argumentiert auch Bernoulli, Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 247 ff. 18 zusammengesetzten Wahrscheinlichkeiten] s’Gravesande, Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird, behandelt die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit in einem eigenen Kapitel (S. 177–188). 19 de sensu veri et falsi] Andreas Rüdiger (1673–1731), Philosoph und Mediziner, unterscheidet in der Schrift De sensu veri et falsi (1709) verschiedene Grade der Wahrscheinlichkeit. 20 Bernoulli] Der von Mendelssohn zitierte Aufsatz Specimina artis conjectandi ad quaestiones juris adplicata aus den Acta Eruditorum stammt von Nikolaus Bernoulli, dem Neffen Jacob Bernoullis, und erschien 1709. 21 Principium reductionis] Wolff versteht in seiner Psychologia empirica (§ 472, WW II.5, S. 365) unter dem Prinzip der Reduktion ein Kunstmittel, das in Frage stehende Objekt auf ein anderes zurückzuführen, das mit jenem einen gemeinsamen Begriff habe; was von diesem bekannt sei, könne aufgrund des allgemeinen Begriffs auch auf jenes angewandt werden. 22 dieses Werks] Mendelssohn verweist auf die deutsche Übersetzung von Humes Werk, erschienen 1755 unter dem Titel Philosophi-
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sche Versuche über die menschliche Erkenntniß von David Hume, Ritter, als zweiter Teil der Vermischten Schriften, die Johann Georg Sulzer (1720–1779) um eine Vorrede und Anmerkungen ergänzt hatte. 23 In den vortrefflichen Anmerkungen […] begegnet] Sulzer sieht in seinen Anmerkungen in Hume vor allem den radikalen Skeptiker. Gegen den vierten Abschnitt, der das eigentliche Fundament der Zweifel sei, wendet er ein, daß Hume »den seit langem bekannten Unterschied zwischen zwei verschiedenen Arten von Notwendigkeit« (Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntniß von David Hume, S. 92), der absoluten und der hypothetischen, nicht beachte. Die menschliche Seele fälle auch bei zufälligen Dingen nur ein Urteil, wenn sie Gründe habe, die nichts anderes als eine Folge von Begriffen sein können; diese Folge von Begriffen sei in der menschlichen Seele oft so schnell, daß sie unbewußt bleibe. Der skeptische Zweifel Humes sei »von keiner großen Erheblichkeit« (S. 100). Mendelssohn bezieht sich im folgenden auf das Beispiel des Brotes, das Hume im vierten Abschnitt nennt (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 44). 24 s’Gravesande] s’Gravesande, Einleitung in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird: »Wir haben gesehen, daß die Mathematische Evidenz von der Moralischen ganz und gar verschieden sey. Die erstere ist vor sich ein Kennzeichen der Warheit, die letztere aber, weil es Gott will, und bloß bey einer gewissen Einrichtung der Dinge.« (§ 582, S. 164) Vgl. auch folgende Stelle: »Es sind also die Sinne ein Kennzeichen der Warheit, weil es Gott gewollt hat, und aus der Ursache können wir völlig überzeugt seyn, daß die Begriffe welche wir durch die Sinnen erhalten, mit den Dingen übereinstimmen, die sie vorstellen.« (§ 488, S. 138) Wolff zeigt in der Deutschen Metaphysik, § 989 (WW I.2, S. 610 f.), daß die Metaphysik ihre Beweise ohne jeden Rekurs auf den Willen Gottes führen kann; ein zureichender Grund der Wirklichkeit sei immer in der Welt selbst vorhanden. Auch Hume lehnt den Rückgriff auf den Willen Gottes im siebten Abschnitt ab (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 85 f.). 25 Ob die Veränderung […] Systema harmoniae praestabilitae universalis] Baumgarten behandelt die Hypothesen in den §§ 448, 450 und 452 seiner Metaphysik. Er folgt hier Wolff, Psychologia rationa-
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Anmerkungen des Herausgebers
lis, zum influxus physicus §§ 558–588 (WW II.6, S. 480 ff.), zu den causae occasionales §§ 589–611 (WW II.6, S. 513 ff.), zum System der prästabilierten Harmonie §§ 612–642 (WW II.6, S. 542 ff.). 26 Exzentrizitäten, und Epizyklen] Nach der Exzentertheorie der vorkeplerischen Astronomie entstehen die verschieden langen Jahreszeiten, weil die Erde um einen Punkt kreist, der außerhalb ihres Zentrums liegt. Diese Lehre wurde mit der Epizyklentheorie kombiniert; mit ihr sollte – unter Annahme der im Zentrum stehenden Erde – die Bewegung der Planeten erklärt werden. Der Epizykel ist ein kleiner Kreis, dessen Mittelpunkt sich gleichförmig auf einem zweiten Trägerkreis um die Erde bewegt, so daß eine schleifenförmige Kurve entsteht. (Vgl. Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. Auflage, Mannheim 1988, Bde. 6 und 7) 27 Bernoulli, s’Gravesande und Wolff ] Vgl. Bernoulli: »Alles, was unter der Sonne existirt oder entsteht, das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige, hat an sich die höchste Gewissheit. Hinsichtlich der gegenwärtigen und vergangenen Dinge ist diese Behauptung von selbst einleuchtend, da eben jene Dinge dadurch, dass sie vorhanden sind oder gewesen sind, die Möglichkeit, dass sie nicht existiren oder existirt haben, ausschliessen. Auch hinsichtlich der zukünftigen Dinge ist nicht daran zu zweifeln, dass sie vorhanden sein werden, wenn auch nicht mit der unabwendbaren Nothwendigkeit irgend eines Verhängnisses, so doch auf Grund göttlicher Voraussicht und Vorherbestimmung. Denn wenn das, was zukünftig ist, nicht sicher sich ereignet, so ist nicht einzusehen, warum dem höchsten Schöpfer der uneingeschränkte Ruhm der Allwissenheit und Allmacht zukommen sollte. Darüber aber, wie sich diese Gewissheit des zukünftigen Seins mit der Zufälligkeit und der Unabhängigkeit der wirkenden Ursachen verträgt, mögen andere streiten«. (Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 229 f.) Vgl. s’Gravesande: »Es gehet alles nach gewissen Regeln, und in Ansehung der Dinge selbst geschieht nichts von ohngefähr; sondern bloß unsere Unwissenheit ist Schuld, daß uns die Dinge dergestalt vorkommen. Wenn wir, wegen Vielheit der Umstände, die Regeln nicht übersehen können, nach welchen etwas geschieht, so nennen wir es unregelmäßig. Und wir sagen, es geschehe etwas von ohngefähr, wenn wir die Ursache desselben nicht einsehen, ob es zwar wirklich seine gewisse Ursache hat.« (Einleitung
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in die Weltweisheit, worinn die Grundlehre sammt der Vernunftlehre vorgetragen wird, § 617, S. 173) Vgl. Wolff: »Weil der gegenwärtige Zustand der Welt im vorhergehenden und der zukünftige in dem gegenwärtigen gegründet ist […]; so erhalten dadurch die Begebenheiten in der Welt ihre Gewißheit. […] Sind die Begebenheiten in der Welt gewiß; so ist nicht möglich, daß sie nicht kommen solten. Und auf solche Weise müssen sie kommen, folgends sind sie in so weit nothwendig«. (Deutsche Metaphysik, §§ 561 f., WW I.2, S. 338) 28 aequilibrio indifferentiae] Die Lehre von dem aequilibrium indifferentiae geht auf Luis de Molina (1536–1600), Concordia Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia et reprobatione concordia, Lissabon 1588 zurück. Im 18. Jahrhundert wurde sie z. B. von Crusius vertreten; er definiert Freiheit als eine Kraft, »sich zu einer Handlung selbst zu determiniren, ohne daß man durch irgend etwas anders […] darzu determiniret werde« (Anweisung, vernünftig zu leben, § 39, in: Die philosophischen Hauptwerke, Bd. I, S. 45). Die vollkommene Freiheit wird auch »libertas indifferentiae oder aequilibrii genennet. Sie findet […] statt, wenn zwey Objecte zu den Endzwecken wenigstens nach unserer Einsicht gleichgültig sind« (§ 50, S. 61). Da die Einsicht des Menschen begrenzt ist, schwankt er oft in seiner Entscheidung und überläßt sie dem Los oder dem blinden Glück. Ausdrücklich wendet sich Crusius gegen den Leibniz’schen Satz des zureichenden Grundes (§ 47, S. 58), da er die Freiheit des Menschen aufhebe und zu Fatalismus führe. Auch Leibniz kritisiert – wie Mendelssohn – die Lehre von der Indifferenz: »Man soll sich […] nicht einbilden, unsere Freiheit sei durch nichts bestimmt und bestehe in einem indifferenten Gleichgewicht, so daß man dem Ja ebenso zugetan wäre wie dem Nein, oder verschiedenen Entschlüssen zuneigte, wenn es mehrere zu fassen gibt. Dieses Gleichgewicht im strengen Sinne ist unmöglich, denn brächten wir den Entschlüssen A, B und C eine gleich starke Neigung entgegen, dann könnten wir uns nicht zugleich für A und nonA entscheiden. Dieses Gleichgewicht steht im völligen Gegensatz zur Erfahrung, und prüft man sich näher, so wird man finden, daß es immer eine Ursache oder einen Grund gibt, der uns dem Entschluß zuneigen ließ, den wir erwählt haben, obgleich man oft nicht bemerkt, was uns bewegt«. (Die Theodizee, I. Teil, § 35, S. 119) Vgl.
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auch folgende Stelle: »Ein überwiegender Grund treibt immer den Willen zu seiner Wahl, und zur Erhaltung seiner Freiheit genügt es, daß dieser Grund antreibt, ohne zu zwingen. […] Das trifft sogar auf Gott […] zu […]. Gott erwählt immer das Beste, aber er wird nicht gezwungen es zu tun, und sogar der Gegenstand göttlicher Wahl enthält nichts Zwingendes, denn eine andere Ordnung der Dinge ist sehr wohl möglich. Eben weil die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten stattfindet und der Wille nur durch die vorherrschende Güte des Gegenstandes bestimmt wird, ist die Wahl frei und von der Notwendigkeit unabhängig.« (Die Theodizee, I. Teil, § 45, S. 125) 29 ohne […] zu widersprechen] Was Mendelssohn damit meint, wird in der 2. Auflage der Wahrscheinlichkeitsschrift deutlich: »Doch wozu erhebe ich mich zu den göttlichen Eigenschaften? Die gemeine tägliche Erfahrung gibt uns Gründe an die Hand, aus welchen dieser Satz unumstößlich dargetan werden kann. Wenn es wahr ist, daß man aus dem Charakter, und aus der bekannten Denkungsart eines Menschen auf sein Tun und Lassen einen wahrscheinlichen Schluß machen kann; so müssen alle freiwillige Entschließungen eine vorausbestimmte Gewißheit haben; denn was objektive keine determinierte Gewißheit hat, das kann auf keinerlei Weise erkannt werden. Konnte Cassius z. B. nicht moralisch versichert sein, sein mitverschworner Brutus würde ihn nicht verraten? Ohnstreitig; denn wer würde von einem Brutus eine Niederträchtigkeit erwarten? Wir wollen setzen, Cassius wäre im Stande gewesen, alle Umstände deutlich auseinander zu setzen, die den Brutus bewegen, die Verschwörung geheim zu halten, so wie diejenigen, die ihn etwa verführen könnten, solche zu verraten. Wir wollen jene a, diese b nennen; so verhält sich, nach obiger Theorie der Wahrscheinlichkeit, die moralische Gewißheit des Cassius zur mathematischen Evidenz = a : a + b. Denn wenn jemand mit ihm wetten wollte, Brutus würde ihn verraten; so wäre die Hoffnung des Cassius = a; seines Gegners = b, und also die Wahrscheinlichkeit des Cassius zur Gewißheit = a : a + b, des Gegners aber = b : a + b. Man siehet hieraus, daß die positiven und negativen Gründe zusammengenommen, allezeit die Gewißheit ausmachen müssen; sonst würde das Verhältnis der gegebenen Wahrheitsgründe zu allen zusammengenommen, oder die Quantität der Wahrscheinlichkeit, gar nicht bestimmt werden können.« (JubA I, S. 514 f.)
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2. Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften (S. 23–90) 1 Man macht […] vergehen] Wie in der Wahrscheinlichkeitsabhandlung spielt auch hier die Auseinandersetzung mit der skeptischen Philosophie als Gegenfolie der Überzeugungen Mendelssohns eine große Rolle. Man wird also auch hier die Metaphysikkritik Humes in Betracht ziehen können (vgl. Anmerkung 2.3). 2 Man hat […] Mathematik] Nach Wolff fiel die Ontologie (als grundlegender Teil der Metaphysik) nach dem Aufstieg der cartesischen Philosophie der Verachtung anheim und wurde von allen verspottet (Erste Philosophie oder Ontologie, Vorrede, S. 7). Sein Ziel ist die Verbesserung der Metaphysik, indem sie nach wissenschaftlicher Methode dargestellt wird. Als Vorbilder nennt er Descartes’ Forderung, nur klar und deutlich zu philosophieren (die er aber nicht einlösen konnte), aber auch Leibniz, der schon 1694 in den Acta Eruditorum öffentlich die Verbesserung der Metaphysik empfohlen habe (De primae philosophiae Emendatione et de Notione Substantiae, § 7 not., S. 27). Für alle genannten Philosophen ist die wissenschaftliche Methode in der Mathematik vorbildlich umgesetzt, die Metaphysik muß dieses Ziel erst noch erreichen. 3 scharfsinnige Köpfe] Vgl. Hume: »Mir scheint, daß die einzigen Gegenstände der abstrakten Wissenschaften oder der Demonstration Größe und Zahl sind, und daß alle Versuche, diese vollkommeneren Wissensarten über diese Grenzen hinaus zu erstrecken, nur Blendwerk und Täuschung bedeuten.« (Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 190) 4 Ob die metaphysischen […] als die mathematischen u. s. w.] Zur Aufgabe der Akademie vgl. Einleitung, Abschnitt 3.1. Die Akademie-Ausgabe (AA II, S. 493) zitiert die Preisfrage folgendermaßen: »Man will wissen: Ob die metaphysischen Wahrheiten überhaupt, und besonders die ersten Grundsätze der Theologiae naturalis, und der Moral, eben der deutlichen Beweise fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten, und welches, wenn sie besagter Beweise nicht fähig sind, die eigentliche Natur ihrer Gewissheit ist, zu was vor einem Grade man gemeldete Gewissheit bringen kann, und ob dieser Grad zur völligen Ueberzeugung zureichend ist.« In der unterschied-
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lichen Art, wie Jubiläumsausgabe und Akademie-Ausgabe die Preisfrage zitieren, zeigt sich die Verschiedenheit der Gesichtspunkte, unter denen Mendelssohn und Kant die Preisfrage beantworten: Im Mittelpunkt der Überlegungen Mendelssohns steht der logisch-psychologische Begriff »Evidenz«, Kant geht es vor allem um die methodologisch-logische Verbesserung der Deutlichkeit der metaphysischen Erkenntnis. 5 Faßlichkeit] Nach Altmann, Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, S. 269 f. entnimmt Mendelssohn diesen Begriff der Psychologie Baumgartens. In der starken psychologischen Ausrichtung des Evidenz-Begriffs unterscheidet sich Mendelssohn von der Tradition, die stärker den Aspekt der Sicherheit oder der Gewißheit betont, so z. B. Descartes, der im Discours de la Méthode die Sicherheit und Evidenz der Mathematik den Streitereien der Philosophen gegenüberstellt und daraus die Konsequenz zieht, daß eine Philosophie, die Sicherheit und Evidenz erreichen wolle, sich an der mathematischen Methode orientieren müsse (vgl. Discours de la Méthode, S. 13 ff.). 6 Fluxional-Rechnung] Als Fluxionsrechnung bezeichnete Newton die Differentialrechnung. 7 Grund- und Heischesätze] Im Discursus praeliminaris definiert Wolff Wissenschaft als die Fertigkeit, »seine Behauptungen zu beweisen, das heißt, sie aus gewissen und unerschütterlichen Grundsätzen durch gültigen Schluß herzuleiten.« (§ 30, S. 33) Wolff folgt hier dem von Aristoteles in den Zweiten Analytiken entwickelten Wissenschaftsverständnis, nach dem Wissenschaft Erkenntnis aus Prinzipien ist; diese sind allgemeine Axiome (Prinzipien, die in allen Wissenschaften auftreten) und Postulate (Prinzipien, die in einzelnen Wissenschaften gelten). Im 3. Kapitel der Deutschen Logik (WW I.1, S. 161) unterscheidet Wolff theoretische Erwägungssätze (einem Ding kommt etwas zu oder nicht) von praktischen Ausübungssätzen (daß oder wie etwas gemacht werden kann); Erwägungssätze, die aus einer Erklärung (= Definition) hergeleitet werden, sind Grundsätze (= Axiome); Ausübungssätze, die man aus einer Erklärung schließt, werden Heischesätze (= Postulate) genannt. (Vgl. auch Logica, §§ 267, 269, WW II.1.2, S. 258 f.) 8 Die Mathematik […] sein könne] Vgl. z. B. Leibniz: »Die
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Hauptgrundlage der Mathematik ist der Satz vom Widerspruch oder von der Identität, d. h daß eine Aussage nicht gleichzeitig richtig oder falsch sein kann, und daß folglich A gleich A ist und nicht ›nicht A‹ sein kann. Und dieser einzige Grundsatz reicht aus, um die ganze Arithmetik und die ganze Geometrie, d. h sämtliche mathematische Grundlagen zu beweisen.« (Samuel Clarke, Der Briefwechsel mit G.W. Leibniz von 1715/1716, S. 16) Ähnlich auch Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand: Die Notwendigkeit der Geometrie beruht darauf, daß sie – unabhängig von der Frage der Wirklichkeit – nur auf der Denktätigkeit beruht, die die Beziehung zwischen den Relata untersucht (Vierter Abschnitt, S. 35). 9 urbaren] nutzbringend, brauchbar (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 24, Sp. 2377). 10 zergliedern] Mit dem Begriff »Zergliedern« nimmt Mendelssohn auf die analytische Methode Bezug: In der Analyse wird ein gegebener Satz daraufhin untersucht, aus welchen Prinzipien er ableitbar ist; der synthetische, auf die Analyse folgende Teilschritt leitet die Folgesätze aus den Prinzipien der Wissenschaften ab (vgl. HansJürgen Engfer, Philosophie als Analysis. Studien zur Entwicklung philosophischer Analysiskonzeptionen unter dem Einfluß mathematischer Methodenmodelle im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abt. II, Bd. 1, StuttgartBad Cannstatt 1982, S. 86 ff.). 11 Bemeldeter] oben erwähnter (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 24, Sp. 2377). 12 Plato erzählet] Auf die Frage Menons, wie man suchen könne, was man nicht wisse, antwortet Sokrates mit der Wiedererinnerungslehre. Sie wird durch die Befragung eines Knaben (oder Sklaven, wie wohl richtiger zu übersetzen ist) bewiesen (80d–85e): Obwohl mathematisch ungebildet, kann er, durch die Fragen des Sokrates angeleitet, ein schwieriges geometrisches Problem lösen. Lernen ist somit Erinnerung. 13 orientalischen Weisen] Vgl. Thomas Stanley (1625–1678), The History of Philosophy, 4 Bände, 1655–1662. Eine lateinische Übersetzung Historia philosophiae der Bände 1–3 erschien 1711 in Leipzig. In diesem bis ins 19. Jahrhundert als Standardwerk der antiken Phi-
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losophiegeschichte geltenden Werk geht Stanley ausführlich auf die babylonischen Quellen der griechischen Philosophie ein. 14 Sie sagen] Nach Leibniz ist die Monade von Natur aus ein vorstellendes Wesen (Monadologie, § 60). Vgl. auch Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott, § 753–756: Die Seele hat eine Kraft, »sich die Welt vorzustellen, nach dem Stande ihres Cörpers in der Welt«. Diese Vorstellungskraft ist das Wesen und die Natur der Seele (WW I.2, S. 468 f.). 15 Aristoteliker] Vgl. Aristoteles, De anima, Buch 3, Kap. 4. An dieser Stelle untersucht Aristoteles das Vernunftvermögen, das dadurch charakterisiert ist, daß es leidensunfähig ist. Es stellt sich die Frage: »Wenn die Vernunft einfach ist und leidensunfähig […], wie sie dann etwas erkennen will, wo doch das Erkennen ein Erleiden ist; denn sofern zwischen beiden [dem Objekt und dem Erkenntnisvermögen] etwas Gemeinsames da ist, scheint das eine zu wirken und das andere zu erleiden. […] [Es] ist früher unterschieden worden, daß die Vernunft das Intelligible gewissermaßen in Möglichkeit ist, aber nicht in Wirklichkeit, bevor sie es erfaßt. Es muß sich so verhalten wie bei einer Schreibtafel, auf der noch nichts in Wirklichkeit geschrieben steht, was bei der Vernunft zutrifft.« (Aristoteles, Über die Seele, mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar hrsg. von Horst Seidl, Philosophische Bibliothek Bd. 476, Hamburg 1995, S. 171) Auffällig ist die ganz ähnliche Position Leibniz’ in der erst 1846 veröffentlichten Schrift Metaphysische Abhandlung (§ 26 f., übersetzt und mit Vorwort und Anmerkungen hrsg. von Herbert Herring, Philosophische Bibliothek Bd. 260, Hamburg 1985, S. 65 ff.). 16 neuern Weltweisen] Vgl. z. B. Leibniz: »Obgleich […] jede geschaffene Monade das ganze Universum vorstellt, so stellt sie doch mit besonderer Deutlichkeit jenen Körper vor, der ihr speziell angewiesen ist und dessen Entelechie sie ausmacht. Und wie dieser Körper […] das ganze Universum darstellt, so stellt die Seele das Weltall vor, indem sie den ihr eigentümlich zugehörigen Körper vorstellt.« (Monadologie, § 62, S. 55) 17 Lehrsätze und Aufgaben] Aus vielen Erklärungen hergeleitete Erwägungssätze sind Lehrsätze (= Theoremata), aus vielen Erklärungen geschlossene Ausübungssätze sind Aufgaben (= Problemata).
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Vgl. Deutsche Logik, 3. Kapitel (WW I.2, S. 162) und Logica, §§ 275, 276 (WW II.1.2, S. 261 f.). 18 Reduktion] vgl. Anmerkung 1.21. 19 Qualitatibus sensibilibus] Vgl. Lockes Unterscheidung zwischen primären und sensiblen Qualitäten der Dinge: »1. Größe, Gestalt, Zahl, Lage und Bewegung oder Ruhe ihrer festen Teile. Diese Qualitäten sind in ihnen vorhanden, gleichviel, ob wir sie wahrnehmen oder nicht; sind sie aber groß genug, um von uns entdeckt zu werden, so erhalten wir durch sie eine Idee von dem Ding, wie es an sich ist, was an künstlich hergestellten Dingen deutlich wird. Diese nenne ich primäre Qualitäten. 2. Die einem Körper innewohnende Kraft, auf Grund seiner sinnlich nicht wahrnehmbaren primären Qualitäten in eigentümlicher Weise auf irgendeinen unserer Sinne einzuwirken und dadurch in uns die verschiedenen Ideen von mancherlei Farben, Tönen, Gerüchen, Geschmacksarten usw. zu erzeugen. Sie werden gewöhnlich sensible Qualitäten genannt.« (Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, Kap. VIII.23, Bd. 1, S. 155) 20 reelle und wesentliche Zeichen] Vgl. Wolffs Unterscheidung zwischen natürlichen und willkürlichen Zeichen: »Wenn also zwey Dinge beständig mit einander zugleich sind, oder eines beständig auf das andere erfolget; so ist allezeit eines ein Zeichen des andern. Und dergleichen Zeichen werden natürliche Zeichen genannt. Z. E. Der Rauch ist ein natürliches Zeichen des Feuers. Wir pflegen auch nach Gefallen zwey Dinge mit einander an einen Ort zu bringen, die sonst für sich nicht würden zusammenkommen, und machen das eine zum Zeichen des andern. Dergleichen Zeichen werden willkührliche Zeichen genennet. Hierher gehören die Schilder der Handwerker und Künstler, die besonderen Trachten für Personen von gewissem Stande oder Geschlechte und dergleichen.« (Deutsche Metaphysik, §§ 293 f., WW I.2, S. 161) Vgl. Mendelssohn, JubA I, S. 174: »Die Zeichen, durch die man ein Objekt ausdrückt, sind entweder natürlich oder willkürlich. Sie sind natürlich, wenn die Verbindung des Zeichens mit dem Bezeichneten in einer Eigenschaft des Bezeichneten begründet ist. […] Im Gegensatz dazu sind willkürliche Zeichen solche, die durch ihre Natur nichts mit dem Bezeichneten gemeinsam haben, sondern die man aus Konvention übernimmt.«
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21 Dynamik] Die Dynamik–ein von Leibniz geprägter Begriff– untersucht die Gründe der Bewegung; ihr zentraler Begriff ist die Kraft, ein Grundbegriff der Leibnizschen Metaphysik. 22 vollständige und ausführliche Erkenntnis] Vgl. Wolff, Deutsche Logik, Cap. 1, § 15: »Ausführlich ist der Begrif, wenn die Merckmahle, so man angiebet, zureichen, die Sache jederzeit zu erkennen, und von allen andern zu unterscheiden: hingegen unausführlich, wenn man nicht alle Merckmahle, sondern nur einige zu erzehlen weiß, dadurch die Sache von andern unterschieden wird.« (WW I.1, S. 129) Vgl. auch Logica, § 92, WW II.1.2, S. 160. Vgl. Deutsche Logik, Cap. 1, § 16: Ein Begriff ist dann vollständig, »wenn wir auch von den Merckmahlen, daraus die Sache erkandt wird, klare und deutliche Begriffe haben. Hingegen ist er unvollständig, wenn wir von den Merckmahlen, daraus die Sache erkandt wird, nur undeutliche Begriffe haben.« (WW I.1, S. 130) Vgl. Logica, § 95, WW II.1.2, S. 161. Wolff greift auf Leibniz’ Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684 in den Acta Eruditorum veröffentlicht) zurück, fügt allerdings die Stufe der ausführlichen und unausführlichen Begriffe neu ein. 23 angesehen] in Anbetracht dessen, daß (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 349). 24 Descartes] Das cogito-Argument entwickelt Descartes zum ersten Mal im vierten Teil des Discours de la Méthode (»Und als ich bemerkte, daß diese Wahrheit ›Ich denke, also bin ich‹ so fest und gesichert ist, daß alle noch so verrückten Annahmen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermögen, urteilte ich, daß ich sie ohne Vorbehalt als das erste Prinzip der Philosophie annehmen durfte, die ich suchte«, S. 53), dann in der zweiten Meditation (»Und so komme ich […] schließlich zu dem Beschluß, daß dieser Satz: ›Ich bin, ich existiere‹, so oft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist.«, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, S. 18) und schließlich in den Prinzipien der Philosophie (»Und deshalb ist die Erkenntnis, ich denke, daher bin ich, die überhaupt erste und sicherste, auf die jeder regelgeleitet Philosophierende stößt.«, Prinzipien der Philosophie, S. 15). Zum ersten Weg Descartes vgl. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, dritte Meditation »Über das Dasein Gottes« (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, S. 32 ff.); zum zweiten Weg vgl. die fünfte Meditation »Über das
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Wesen der materiellen Dinge und nochmals über das Dasein Gottes (S. 55 ff.); Descartes nimmt beide Beweise im ersten Teil der Prinzipien der Philosophie wieder auf, hier stellt er den ontologischen Beweis dem ideentheoretischen voran (Prinzipien der Philosophie, S. 23 ff.). Zum ersten Weg vgl. auch Locke: »Denn nichts kann uns mehr einleuchten als unsere eigene Existenz. Ich denke, ich schließe, ich empfinde Freude und Schmerz: Kann einer von diesen Vorgängen für mich augenscheinlicher sein als meine eigene Existenz? Wenn ich an allen andern Dingen zweifle, so läßt mich eben dieser Zweifel meine eigene Existenz wahrnehmen und gestattet mir nicht, an dieser zu zweifeln.« (Versuch über den menschlichen Verstand, Buch IV, Kap. IX.3, Bd. 2, S. 294). Den ontologischen Beweis trägt Mendelssohn in der Form vor, wie ihn Leibniz – in der Kritik am Argument des Descartes – entwickelt hat, daß nämlich zunächst die Möglichkeit bzw. die Widerspruchsfreiheit der Idee Gottes nachgewiesen werden muß: »Das vollkommenste Wesen […] schließt alle Vollkommenheiten in sich, unter die auch das Dasein gehört. Also kann man Gott das Dasein zusprechen. In Wahrheit läßt sich jedoch hieraus nur schließen, daß Gottes Dasein folgt, sobald seine Möglichkeit bewiesen ist.« (Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen, in: Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 1, S. 25) 25 Bacon] Nach Altmann, Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, S. 301 ist diese Bemerkung Mendelssohns dahingehend zu verstehen, daß Francis Bacon (1561–1626) in der Naturlehre die Erfahrung als die einzige Quelle der Erkenntnis annahm, während in der Metaphysik ein auf die Empirie gegründete induktive Form des Denkens forderte. 26 Compendio] Vgl. z. B. Baumgarten, Metaphysica, §§ 890 ff. (AA VXII, S. 176 ff.). 27 zureichenden Grund] Vgl. Anmerkung 3.7. 28 omnimoda determinatio individui] Nach Wolff ist alles, was existiert oder wirklich ist, vollständig bestimmt (omnimoda determinatio, Ontologia, § 226, WW II.3, S. 187); nur das Individuelle ist vollständig bestimmt (Ontologia, § 227, WW II.3, S. 188 f.). In diesen und den vorhergehenden Passagen bezieht sich Mendelssohn oft auf Wolffs Ontologie. Zu Wolffs Ontologie vgl. Anton Bissinger, Die
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Struktur der Gotteserkenntnis. Studien zur Philosophie Christian Wolffs, Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik, Bd. 63, Bonn 1970; Ludger Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittel-alters und der Neuzeit, Paradeigmata 9, Hamburg 1990; Jean École, La métaphysique de Christian Wolff, Hildesheim, Zürich, New York 1990. Zu beachten sind auch die Änderungen, die Mendelssohn z. B. in seinem Verständnis von Möglichkeit gegenüber Wolff vornimmt. 29 Das wahre Kennzeichen […] schlechterdings notwendig] Die Unterscheidung zwischen hypothetischer und absoluter Notwendigkeit ist für Leibniz und Wolff entscheidend, um dem Vorwurf zu begegnen, durch das Prinzip des zureichenden Grundes werde die Freiheit des Menschen aufgehoben, seine Folge sei determinierte Notwendigkeit und damit Fatalismus. Vgl. Leibniz: »Nach ihrer Meinung […] muß das Vorausgesehene auch eintreffen, und darin haben sie recht; allein daraus folgt nicht, daß es notwendig ist; denn notwendig ist jene Wahrheit, deren Gegenteil unmöglich ist oder einen Widerspruch involviert. Die Wahrheit, ›ich werde morgen schreiben‹, ist nicht von dieser Art, sie ist also durchaus nicht notwendig. Angenommen jedoch, Gott sieht sie voraus, so ist es notwendig, daß sie auch eintrifft; d. h die Folge ist notwendig und zwar deswegen, weil sie vorausgesehen würde und Gott unfehlbar ist: dies bezeichnen wir als eine hypothetische Notwendigkeit. Aber um diese Notwendigkeit handelt es sich hier gar nicht: man fordert eine absolute Notwendigkeit, um sagen zu können, eine Handlung sei notwendig, nicht zufällig und nicht Wirkung einer freien Wahl.« (Die Theodizee, I. Teil, § 37, S. 120) Vgl. dazu Micheal-Thomas Liske, Leibniz’ Freiheitslehre. Die logisch-metaphysischen Voraussetzungen von Leibniz’ Freiheitslehre, Paradeigmata 13, Hamburg 1993. Vgl. Wolff: »Es ist […] ein mercklicher Unterscheid unter demjenigen, was schlechterdings nothwendig ist, und was nur unter einer gewissen Bedingung, als, in unserem gegenwärtigen Falle, in Ansehung des gegenwärtigen Zusammenhanges der Dinge nothwendig ist. Daher man auch längst beyde Arten der Nothwendigkeit durch besondere Nahmen von einander unterschieden. Denn man nennet […] schlechterdings nothwendig, was für sich nothwendig ist, oder
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den Grund der Nothwendigkeit in sich hat: hingegen nothwendig unter einer Bedingung, was nur in Ansehung eines andern nothwendig wird, das ist, den Grund der Nothwendigkeit ausser sich hat. Und die letztere Art der Nothwendigkeit wird insbesondere die Nothwendigkeit der Natur genennet, weil sie ihren Grund in dem gegenwärtigen Laufe der Natur hat, das ist, in dem gegenwärtigen Zusammenhange der Dinge. […] Indem man aber die andere die Nothwendigkeit der Natur, oder die natürliche Nothwendigkeit nennet; so pfleget man auch im Gegentheile die erstere die geometrische Nothwendigkeit, ingleichen die metaphysische zu heissen, weil sie in denen Dingen befindlich, welche zu der Geometrie und zum Theil auch der Metaphysick gehören. Zu der letzern Art der Nothwendigkeit (nehmlich unter einer Bedingung) gehöret auch diejenige, welche sich in der Freyheit befindet«. (Deutsche Metaphysik, § 575, WW I.2, S. 352 f.) Literatur: Bruno Bianco, Freiheit gegen Fatalismus. Zu Joachim Langes Kritik an Wolff, in: Halle. Aufklärung und Pietismus, Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung XV, Heidelberg 1989, S. 111–155. 30 causis secundariis] Die causa prima als oberste Wirkursache ist Gott, die Geschöpfe (= die wirkenden Ursachen in der Natur) sind causae secundariae (vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Sp. 975). 31 von andern] Leibniz’ Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et de l’origine du mal, Amsterdam 1710, behandeln die Frage, wie Gott angesichts der verschiedenen Arten des Bösen gerechtfertigt werden kann, wie Weisheit, Macht und Güte Gottes einerseits und die Unvollkommenheit der Welt andererseits miteinander zu vereinbaren sind. 32 Cartes] Mendelssohn folgt hier nicht Descartes, sondern Leibniz: »Gott ist die erste Ursache aller Dinge: denn die beschränkten Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren, sind zufällig und besitzen nichts, was ihnen notwendige Existenz verleiht […] Es gilt also, den Grund für die Existenz der Welt, als den Zusammenschluß aller zufälligen Dinge, aufzusuchen, und zwar in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und die darum notwendig und ewig ist.« (Die Theodizee, I. Teil, § 7, S. 100; vgl. auch Monadologie, § 45, S. 47)
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33 Geschichte der Weltweisheit] Vgl. Platon, Timaios, 33b und Spinoza, Ethik, Lehrsatz 2: »Gott ist ein ausgedehntes Ding.« (S. 105) Auch Wolff kritisiert Spinozas Auffassung, daß Gott ausgedehnt sei; Ausdehnung sei nur eine Erscheinung (Natürliche Gottesgelahrtheit, II, § 689, WW I.23.5, S. 70 f.). Hier und im folgenden wird die Theologia rationalis nach der von Wolff autorisierten Übersetzung durch Gottlieb Friedrich Hagen, Halle 1741–1745, zitiert. 34 Leibniz sagt] Vgl. Leibniz: Phänomene sind »ein Gebilde unserer sinnlichen Anschauung«, den Körpern kann im strengen philosophischen Sinn der Name der Substanz nicht zuerkannt werden (Kritik der philosophischen Prinzipien des Malebranche, in: Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 1, S. 343; vgl. auch S. 348 f.). 35 Chaos] Chaos bezeichnet bei Hesiod den gähnenden Raum oder Abgrund, der am Anfang des Weltwerdens zwischen Erde und Himmel entstand. Platon (Timaios, 30a) sieht im Chaos eine anfängliche, ungeordnete Masse (vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Sp. 980). 36 höhern Macht zuschreiben] »Die mangelnde Kenntnis der Ursachen zwingt sie (= die Sterblichen) dazu, die Welt mit der Macht der Götter zu verknüpfen und ihnen die Herrschaft zuzugestehen; deren Ursachen können sie mit keiner Vernunft durchschauen und glauben deshalb, sie kämen aus göttlichem Willen.« Lukrez (ca. 97– 55 v. Chr.), De rerum natura, Buch 6, 54–57. Im 6. Buch erklärt Lukrez den Menschen erschreckende Naturereignisse aus der Atomtheorie, um ihnen die Furcht zu nehmen und den Glauben an die Götter zu bekämpfen. 37 Daß man […] beweisen könne] Vgl. Wolff, der sich gegen diejenigen wendet, die glauben, »daß das demonstriren bloß in die Mathematick gehöret« (Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, § 288, WW I.4, S. 183). Nur durch Demonstration mache man sich ein gewisses, d. h zweifelfreies Gewissen zu eigen; ein richtiges Gewissen komme aus der Vernunft. Vgl. auch Locke: Ich bin »denn auch kühn genug zu glauben, daß sich die Moral ebenso beweisen lasse wie die Mathematik, weil wir die reale Wesenheit der Dinge, für die die moralischen Begriffe stehen, genau und vollständig erkennen können.« (Locke,
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Versuch über den menschlichen Verstand, Buch III, Kap. XI.16, Bd. 2, S. 154 f.) 38 Marcus Aurelius] Marc Aurel (121–180 n. Chr.), Selbstbetrachtungen, 4. Buch, 4. Kapitel. 39 summum bonum […] omnes] »Das höchste Gut, zu dem wir alle streben.« (Lukrez, De rerum natura, Buch 6, 26) Daß Mendelssohn sich auf die gegensätzlichen Schulen der Stoiker und Epikureer bezieht, soll deutlich machen, daß dieses Naturgesetz von allen anerkannt wird. 40 Mache […] kannst] Vgl. Wolff, Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, § 12. Hier formuliert Wolff als allgemeine Regel, nach der der Mensch seine Handlungen ausrichten soll: »Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener macht.« (WW I.4, S. 12) 41 Weltweisen] Vgl. Wolff, Natürliche Gottesgelahrtheit, I, §§ 961 ff. (WW I.23.3, S. 208 ff.) Hier zeigt Wolff, daß Gott eine völlige Herrschaft über die ganze Welt zukommt (§ 963), daß diese deswegen sein Eigentum ist und er das uneingeschränkte Recht der Nutzung und des Genusses hat (§ 961), daß der Mensch deswegen tun muß, was Gott will (§ 969), und daß der göttliche Wille dem Menschen anstatt seines eigenen gelten muß (§ 971). 42 Cumberland] Richard Cumberland (1631–1718) bestreitet in seinem Werk De Legibus Naturae Disquisitio philosophica, London 1672, Kap. I, § XXXI die These Hobbes’, daß im Naturzustand jeder Mensch ein gleiches Recht auf alles hat; denn das Recht eines jeden sei die Freiheit, die von der richtigen Vernunft eingeräumt werde, die niemals zugestehen könne, daß diejenigen unter den Menschen, die ihren Vorschriften gemäß sprechen oder handeln, einander widersprächen oder sich bekämpften. 43 blöden] blind (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 138 f.). 44 müssen […] vertreten] Auffällig ist hier der Bezug zum Beginn der Gedanken von der Wahrscheinlichkeit: »Unter allen Erkenntnissen […] kann die Erkenntnis der Wahrscheinlichkeit vielleicht für die vornehmste gehalten werden, weil sie […] in den meisten Fällen die Stelle der Gewißheit vertreten muß.« Psychologisch aus den
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Handlungen der Seele zu erklärende Vorstellungen treten in vielen Fällen aufgrund der Endlichkeit des Menschen an die Stelle rein logisch begründeter Erkenntnis. Wie Mendelssohn in der Wahrscheinlichkeits-Abhandlung gezeigt hatte, daß diese Alltagsschlüsse die Möglichkeit logisch-methodologischer Erkenntnis nicht in Frage stellen, so zeigt er im folgenden in der Preisschrift, daß bei aller Unterschiedlichkeit der Erkenntnisarten Gewissen und Wahrheitssinn einerseits und deutliche Erkenntnis des Guten und Wahren andererseits als unterschiedliche Grade aufeinander bezogen sind. 45 Fertigkeit] Fertigkeit ist ein Kernbegriff der Psychologie Mendelssohns. Wolff definiert die Übersetzung des lateinischen Worts »habitus« folgendermaßen: »Wir finden, daß die Seele so wohl in Ansehung des Verstandes eine Fertigkeit zu dencken und zu schliessen, als in Ansehung des Willens eine Fertigkeit zu wollen und nicht zu wollen durch die Uebung erlangen kan. […] Die Uebung bestehet in oftmahliger Wiederholung einer Art der Gedancken, und überhaupt in allen Fällen in einer oftmahligen Wiederholung einerley Handlungen. Und die Fertigkeit, so daraus erwächset, bestehet in einer Leichtigkeit dergleichen Gedancken zu haben, oder überhaupt dergleichen Handlungen zu vollziehen. Die Leichtigkeit erfordert Kürtze der Zeit und wenigere Mühe. Nehmlich in der Seele kommet so wohl, als im Leibe, alles nach und nach, nicht auf einmahl.« (Deutsche Metaphysik, § 525, WW I.2, S. 321 f.) Entscheidend an der Fertigkeit ist die Schnelligkeit, mit der die Vorstellungen aufeinander folgen; in dieser Schnelligkeit liegt ihre Undeutlichkeit begründet. Die Vernunft dagegen ist sehr viel langsamer. Im folgenden stellt Mendelssohn ausdrücklich die Verbindung zwischen seinen metaphysisch-ethischen (Gewissen und Wahrheitssinn) und seinen ästhetischen Überlegungen (Geschmack) her und zeigt damit die systematische Geschlossenheit seines Denkens. 46 das Gute […] richtig zu unterscheiden] In dem 1758 entstandenen, von Mendelssohn nicht veröffentlichten Fragment Verwandtschaft des Schönen und Guten entwickelt er diesen Gedanken ausführlicher. Zunächst ist zwischen deutlicher und klarer Erkenntnis zu unterscheiden: »Mit unsrer Vernunft unterscheiden wir das Wahre vom Falschen, das Gute vom Bösen, das Schöne vom Häßlichen. Wir besitzen aber auch bon-sens, Empfindung und Geschmack,
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vermittelst welcher wir ohne deutliche Schlüsse das Wahre, Gute und Schöne gleichsam fühlen.« (Ästhetische Schriften, S. 133; JubA II, S. 182) Bonsens, Empfindung und Geschmack sind als klare Vorstellungen psychologisch zu erklären; ihr Kennzeichen ist die Fülle: »Mit jedem sinnlichen Gefühl strömt ein Meer von Begriffen in unsere Seele. Die Seele denkt, wenn sie einige von diesen Begriffen deutlich wahrnimmt; und sie empfindet, sobald sie sich dem Eindruck überläßt, und sie alle faßt. Die Elemente sind eben dieselben, wir mögen sie mit der Vernunft oder mit den Sinnen begreifen; und eine sinnliche Empfindung ist nichts andres, als die Wahrnehmung unendlich vieler Wirkungen und Gegenwirkungen, die an und für sich von den deutlichen Begriffen des Verstandes nicht unterschieden sind. Indem sie sich aber der Seele auf einmal darstellen, bringen sie eine Wirkung hervor, die von der Wirkung einzelner Begriffe des Verstandes ganz unterschieden ist, und daher Phaenomena genannt wird. Die Begriffe des Verstandes verhalten sich zur sinnlichen Empfindung wie etwa der Ton einer Saite zum Brausen des Meeres, oder wie die Stimme eines vernehmlich redenden Menschen zum Geräusch und hohlen Murmeln eines versammelten Volkes.« (Ästhetische Schriften, S. 133 f.; JubA II, S. 183) Charakteristisch für das untere Erkenntnisvermögen ist die Möglichkeit, viele Merkmale als Eins aufzufassen, die Mannigfaltigkeit als Einerlei wahrzunehmen, während das obere Erkenntnisvermögen in der deutlichen Bestimmung der Merkmale schnell eine so große Detailfülle erreicht, daß die Einheit nur mit Mühe faßbar ist. Nicht nur zwischen oberem und unterem Vermögen ist zu unterscheiden, sondern auch innerhalb des unteren, zwischen Bonsens (klare Erkenntnis des Wahren) und Empfindung (klare Erkenntnis des Guten) einerseits sowie Geschmack (Wahrnehmung des Schönen) andererseits: »Die Schönheit in den äußern, sinnlichen Empfindungen hängt von den Schranken unserer Fähigkeiten ab. […] Nicht so die sittliche Empfindung. Unsere Seelenkräfte mögen beschaffen sein, wie sie wollen, so sind allezeit Großmut, Liebe, Dankbarkeit notwendig Gegenstände des Wohlgefallens. Es ist also die Schönheit in den äußerlichen sinnlichen Empfindungen allzu wandelbar, als daß man sie als unumstößliche Gründe sollte herleiten können. Der Geschmack muß hier die Vernunft zurechtweisen, dahingegen die Vernunft allezeit den bon-
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sens und die sittliche Empfindung leiten muß. In Ansehung des bonsens ist man völlig überzeugt, daß sich die Urtheile desselben in richtige Vernunftschlüsse auflösen lassen; bon-sens ist eine geübte Vernunft. Vernunft und bon-sens wirken nach ähnlichen Regeln; jene langsamer, so daß wir die Verbindung der Mittel-Begriffe wahrnehmen; dieser so schnell, daß wir von der ganzen Folge der Begriffe nichts behalten, als Anfang und Ende.« (Ästhetische Schriften, S. 133; JubA II, S. 183) 47 Cartes] »Selten sündigt man aus Mangel an theoretischer Erkenntnis seiner Pflicht, sondern aus Mangel an praktischer, d. h aus Mangel an der festen Gewohnheit [= habitus, vgl. Anmerkung 2.45], seiner Pflicht die Zustimmung zu geben.« (Brief an die Prinzessin Elisabeth von der Pfalz vom 15. September 1645) In der Diskussion über Senecas De vita beata kommt Descartes auf die Frage zu sprechen, wie der Mensch erkennen kann, was das Beste sei. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Gewohnheit: »Denn da wir nicht fortgesetzt auf dasselbe aufmerksam zu sein vermögen, können wir, so klar und augenscheinlich auch die Gründe gewesen seien, die uns früher von irgendeiner Wahrheit überzeugt haben, später durch falschen Schein davon abgebracht werden, sie zu glauben, wenn wir sie nicht durch langes und häufiges Nachdenken derart unserem Geist eingeprägt haben, daß sie zur Gewohnheit geworden ist. Und in diesem Sinne hat man in der Schulphilosophie recht, zu sagen, daß die Tugenden Gewohnheiten sind«. (Descartes, Briefe 1629–1650, hrsg., eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Max Bense, übersetzt von Fritz Baumgart, Köln, Krefeld 1949, S. 315) 48 lebendige Erkenntnis] In Kapitel 3 seiner Ethik (»Von der Art und Weise, wie der Mensch das höchste Gut oder seine Glückseeligkeit auf Erden erlangen kan«) weist Wolff darauf hin, daß die Erkenntnis des Guten teils aus der Erfahrung, teils aus der Vernunft kommt (Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, § 166, WW I.4, S. 100). Für erstere seien Beispiele wichtig, da »die anschauende Erkäntniß […] bey vielen einen grösseren Eindruck machet, als die Vernunfft« (§ 167, WW I.4, S. 100). In diesem Zusammenhang spricht Wolff auch von »lebendiger Erkäntniß« (§ 169, WW I.4, S. 102), die einen Bewegungsgrund des Willens abgebe, das Gute zu vollbringen. Wolffs Be-
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mühen, seine Ethik nicht nur als Theorie zu verstehen, sondern ihren Praxisbezug herauszustellen, indem er ihr die Aufgabe zuweist, das Begehrungsvermögen zur Ausführung bzw. Unterlassung von Handlungen zu bestimmen, indem sie geeignete Hilfsmittel bereitstellt und eventuelle Hindernisse beseitigt, macht diesen Teil für die moralische Psychologie Mendelssohns besonders attraktiv. (Clemens Schweiger, Christian Wolffs Philosophica practica universalis. Zu ursprünglichem Gehalt und späterer Gestalt einer neuen Grundlagendisziplin, in: Wolffiana I. Gedenkband für Hans Werner Arndt, hrsg. von Luigi Cataldi Madonna, Hildesheim, Zürich, New York 2005, WW III.98, S. 219–233, 229) Zur Bedeutung der Erfahrung in der praktischen Philosophie Wolffs vgl. Hans Werner Arndt, Zu Begriff und Funktion der ›moralischen Erfahrung‹ in Christian Wolffs Ethik, in: Autour de la philosophie Wolffienne. Textes de Hans Werner Arndt, Sonia Carboncini-Gavanelli et Jean École, hrsg. von Jean École, Hildesheim, Zürich, New York 2001, WW III.65, S. 159–171. 49 Die Ethik […] erhalten ist] Im folgenden nimmt Mendelssohn Überlegungen wieder auf, die er früher in der unveröffentlichten Schrift Von der Herrschaft über die Neigungen (entstanden Ende 1756/Anfang 1757, in: Moses Mendelssohn, Ästhetische Schriften, S. 83–90; JubA II, S. 147–155) und in der Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen (ebd. , S. 175–187; JubA I, S. 414– 424) entwickelt hatte.
3. Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes (S. 91–269) 1 Nervenschwäche] Zu Mendelssohns Krankheit, die seine philosophische Arbeit seit 1771 behinderte, vgl. Altmann, Moses Mendelssohn, S. 271, und Robert Jütte, Moses Mendelssohn und seine Ärzte, in: Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, hrsg. von Marian Kaplan und Beate Meyer, Göttingen 2005, S. 157–176. 2 Werke Lamberts, Tetens, Platners und selbst des alles zermalmenden Kants] Johann Heinrich Lambert (1728–1777), Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wah-
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ren und dessen Unterscheidung vom Irrthum und Schein (1764); ausgehend von der Kluft zwischen der Unveränderlichkeit der Wahrheit und der Vielheit strittiger Meinungen, entwickelt Lambert Kriterien wahrer Erkenntnis; Mendelssohn rezensierte dieses Werk in der Allgemeinen deutschen Bibliothek (JubA V.2, S. 31). Johann Nikolaus Tetens’ (1736–1807) psychologisch ausgerichtetes Buch Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung (1772) zeigt, ausgehend von der sinnlichen Wahrnehmung, wie Erkenntnis beim Menschen entsteht. Ernst Platner (1744–1818) bezog in seinem Werk Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte (Bd. 1 1776, Bd. 2 1782) eine skeptische Position gegenüber der Möglichkeit objektiver Erkenntnis und sieht die Basis aller Philosophie in der Anthropologie. Kants Kritik der reinen Vernunft erschien in erster Auflage 1781. 3 S. und auch W.] Zu dem Kreis der jungen Schüler gehören Mendelssohns ältester Sohn Joseph Mendelssohn (1770–1848), Simon Veit (1754–1819), Gatte der Tochter Brendel (später Dorothea Schlegel), und Bernhard Wessely (1768–1826), Neffe von Hartwig Wessely (17265–1805), einem Mitarbeiter an Mendelssohns PentateuchÜbersetzung. 4 ersten Teil] In An die Freunde Lessings teilt Mendelssohn mit, daß er im zweiten Teil den Briefwechsel mit Jacobi über die Frage, ob Lessing ein Spinozist gewesen sei, habe folgen lassen wollen (JubA III.2, S. 186). Mit Jacobis Veröffentlichung des Briefwechsels in Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn ist dieser Plan gegenstandslos geworden. 5 Schule] Mendelssohn, der nie eine Universität besuchte, spielt hier auf Wolff und seine Anhänger an, die im 18. Jahrhundert die Universitätsphilosophie beherrschten. Nach Carl Günther Ludovici, Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der wolffischen Philosophie, §§ 431–515 (WW III.1.2, S. 363 ff.) waren im Jahr 1735 112 Lehrstühle an deutschen Gymnasien und Universitäten mit Schülern Wolffs besetzt. 6 oder das […] nicht Wirkliche] Vgl. z. B. die Unterscheidung zwischen Vernunft- und Tatsachenwahrheiten bei Leibniz: »Unsere Vernunfterkenntnis beruht auf zwei großen Prinzipien: erstens auf dem des Widerspruchs, kraft dessen wir alles als falsch beurteilen, was ei-
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nen Widerspruch einschließt, und als wahr alles, was dem Falschen entgegengesetzt oder kontradiktorisch ist. […] Sie beruht zweitens auf dem Prinzip des zureichenden Grundes, kraft dessen wir annehmen, daß sich keine Tatsache als wahr oder existierend, keine Aussage als richtig erweisen kann, ohne daß es einen zureichenden Grund dafür gäbe, weshalb es eben so und nicht anders ist–wenngleich uns diese Gründe in den meisten Fällen nicht bekannt sein mögen.« (Monadologie, §§ 31 f., S. 41) Vgl. auch Die Theodizee, Einleitende Abhandlung, § 44, 124 f. Auch Hume unterscheidet diese beiden Erkenntnisarten: »Alle Gegenstände der menschlichen Vernunft und Forschung lassen sich naturgemäß in zwei Arten zerlegen, nämlich in Beziehungen von Vorstellungen und in Tatsachen. Von der ersten Art sind die Wissenschaften der Geometrie, Algebra und Arithmetik; und kurz gesagt, jede Behauptung von entweder intuitiver oder demonstrativer Gewißheit. […] Tatsachen, der zweite Gegenstand der menschlichen Vernunft, sind nicht in gleicher Weise als gewiß verbürgt; ebensowenig ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit, wenn auch noch so stark, von der gleichen Art wie bei der vorhergehenden. Das Gegenteil jeder Tatsache bleibt immer möglich, denn es kann niemals einen Widerspruch in sich schließen und wird vom Geist mit der gleichen Leichtigkeit und Deutlichkeit vorgestellt, als wenn es noch so sehr mit der Wirklichkeit übereinstimmte.« (Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 35 f.) 7 Grundsatz] Gemeint ist das Prinzip des zureichenden Grundes (vgl. vorige Anmerkung). Zur Bedeutung dieses Prinzips in der Philosophie von Leibniz vgl. Michael-Thomas Liske, Gottfried Wilhelm Leibniz, München 2000, S. 50 ff. Wolff behandelt das Prinzip des zureichenden Grundes nach dem Widerspruchsprinzip ausführlich in seiner Ontologie; nach dem Beweis dieses Prinzips weist er darauf hin, daß es »unserem Geist natürlich« (Erste Philosophie oder Ontologie, § 74, S. 169) ist und auch ohne Beweis Überzeugungskraft habe. 8 Vorwurf] Gegenstand (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 12, Sp. 1967). 9 Grund- und Heischesätze] siehe Anmerkung 2.7. 10 klauben] mühsam zusammensuchen (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 11, Sp. 1022 f.).
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11 ähnliche Erfolge] Vgl. Leibniz: »Es gibt unter den Perzeptionen der Tiere eine Verbindung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Vernunftschluß hat, aber diese ist auf nichts anderes als die Erinnerung an Tatsachen oder Wirkungen gegründet, keineswegs aber auf die Erkenntnis der Ursachen. Deshalb flieht ein Hund vor dem Stock, mit dem man ihn geschlagen, weil die Erinnerung ihm den Schmerz vorstellt, den dieser Stock ihm verursacht hat. Und insofern die Menschen empirisch verfahren, d. i. zu drei Vierteln ihrer Handlungsweisen, handeln sie nicht anders als die Tiere. So erwartet man z. B., daß es morgen Tag sein wird, weil man es stets so erfahren hat: der Astronom sieht das aus Vernunftgründen voraus.« (Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade, § 5, S. 10. Vgl. auch Die Theodizee, Einleitende Abhandlung § 65, S. 78 f.) Diese Auffassung des Vernunftähnlichen übernimmt Baumgarten in die Psychologie seiner Metaphysik (§ 640, AA XV.I, S. 37 f.) und in den ersten Paragraphen der Aesthetica (Baumgarten, Ästhetik, übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern hrsg. von Dagmar Mirbach, Philosophische Bibliothek Bd. 572, Hamburg 2007, Bd. 1, S. 11). 12 Mazedonische Held] Alexander der Große badete 333 v. Chr. auf seinem Zug durch Kleinasien im eiskalten Kydnos und wurde schwer krank; mit Hilfe seines Arztes Philipp, dem er trotz Verleumdungen vertraute, wurde er gerettet. 13 Schildseite einer Münze] Wappenseite einer Münze (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 9, Sp. 138). 14 Newtone, Galilei] Isaac Newton (1642–1727) und Galileo Galilei (1564–1642) sind Begründer der exakten, mathematisch-orientierten Naturwissenschaften. Beide betonen die Notwendigkeit des methodisch gesicherten Vorgehens in den Wissenschaften. 15 Sophist neuerer Zeiten] Möglicherweise bezieht sich Mendelssohn hier auf George Berkeley (1685–1753), Eine Abhandlung über die Prinzipien menschlicher Erkenntnis, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Arend Kulenkampff, Philosophische Bibliothek Bd. 532, Hamburg 2004, §§ 106 f., S. 80 f. 16 Kopernikus] Nach Nikolaus Kopernikus’ (1473–1543) Werk De revolutionibus orbium coelestium, Nürnberg 1543, steht nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum; die wirkliche Bewegung der Erde, durch wissenschaftliche Erkenntnis bewiesen, ist der Alltags-
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vorstellung, die durch Wahrnehmungen bedingt ist, entgegengesetzt. 17 Desdemona] Othello erwürgt in Shakespeares Othello Desdemona in ihrem Bett, weil er sie – aufgrund von Intrigen Jagos – für untreu hält. 18 Laokoon] Trojanischer Priester, der mit seinen Söhnen von zwei Schlangen erwürgt wird, weil er die Trojaner vor dem hölzernen Pferd der Griechen warnt. Die unterschiedliche Darstellung dieser Szene in der bildenden Kunst und der Literatur behandelt Lessing in seiner Schrift Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerei und Poesie, 1766 (Lessing, Werke und Briefe, Bd. V.2, S. 9 ff.). Mendelssohn hatte Lessing in einem Brief vom Dezember 1756 (JubA XI, S. 86) auf Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768) Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Mahlerey und der Bildhauer-Kunst (1755) aufmerksam gemacht. Lessing übersandte den Entwurf der Schrift an Mendelssohn mit der Bitte um Prüfung (JubA II, S. 233 ff.). 19 Eröffnung der Schelde] Die Schiffahrt kam nach dem Abfall der nördlichen Niederlande von Spanien zum Erliegen, als die Niederlande dem von den Spaniern rückeroberten Antwerpen die Scheldemündung sperrten. Joseph II. versuchte 1784, die Sperre zu beseitigen. (Vgl. Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. Auflage, Bd. 19, Mannheim 1992, S. 317) 20 Pope] Alexander Pope (1688–1744), Vom Menschen (1733/ 1734), Verse 1 und 2. 21 Eris oder Bellona] Eris ist die Göttin des Krieges in der griechischen, Bellona in der römischen Mythologie. 22 Du hast […] Kalbe gepflügt] Ein Bibelzitat: Richter 14, 18. 23 jener] Augustinus, Confessiones, XI, 14: »Was ist also ›Zeit‹? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.« (Augustinus, Bekenntnisse, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart, mit einem Vorwort von Ernst Ludwig Grasmück, Frankfurt 1987, S. 629). Vgl. auch Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, Kap. XIV.2, Bd. 1, S. 210. 24 Helvétius] Im zweiten Abschnitt seiner Schrift Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung stellt Claude Ad-
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rien Helvétius (1715–1771, seit 1764 Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, seit 1765 in Berlin) die These auf: »Alles im Menschen ist physische Empfindung« (Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung, herausgegeben, übersetzt und mit einer Einleitung von Günther Mensching, Frankfurt 1972, S. 87), um damit zu zeigen, daß alle Menschen von allgemein guter Konstitution gleiche geistige Anlagen haben. Im 5. Kapitel zeigt er, daß allgemeine Wörter wie Stärke, Schwäche, Kleinheit, Größe nur durch die Anwendung auf sichtbare Gegenstände eine wirkliche Bedeutung haben (S. 98). 25 Sei mir […] mütterlich Land] Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803), Der Messias, Dritter Gesang, Verse 1 und 2. 26 Ich denke; also bin ich] Vgl. Anmerkung 2.24. 27 Traume] Zum Traumargument vgl. Descartes, erste Meditation mit dem Titel: »Woran man zweifeln kann« (»Denke ich einmal aufmerksamer […] nach, so sehe ich ganz klar, daß niemals Wachen und Traum nach sicheren Kennzeichen unterschieden werden können–so daß ich ganz betroffen bin, und diese Betroffenheit selbst mich beinahe in der Meinung bestärkt, daß ich träume«, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, S. 13) und Wolff: Es »muß derjenige, der den Unterschied zwischen Wahrheit und Traum zugesteht, das Widerspruchsprinzip im allgemeinen und das Prinzip des zureichenden Grundes ohne jede Einschränkung zugestehen«. (Erste Philosophie oder Ontologie, § 77, S. 189) Vgl. Sonia Carboncini, Transzendentale Wahrheit und Traum. Christian Wolffs Antwort auf die Herausforderung durch den cartesianischen Zweifel, Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abt. II, Bd. 5, StuttgartBad Cannstatt 1991. 28 Gesetze des Witzes] Witz meint unter dem Einfluß des französischen esprit und des englischen wit im 17. und 18. Jahrhundert die »Gabe der sinnreichen und klugen Einfälle«. Weil man auf literarischem Gebiet das Wesen der Dichtung in solchen Einfällen sieht, wird Witz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung des dichterischen Vermögens überhaupt (vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 30, Sp. 862 ff.). Zur philosophischen Bedeutung vgl. auch Wolff: »Und die Leichtigkeit die Aehnlichkeiten wahrzunehmen, ist eigentlich dasje-
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nige, was wir Witz heißen.« (Deutsche Metaphysik, § 366, WW I.2, S. 223) 29 Malebranche] So Nicolas Malebranche (1638–1715) in seiner Schrift Entretiens sur la Métaphysique et sur la Religion, in: Œuvres de Malebranche, hrsg. von André Robinet, Bd. 12, Paris 1976, S. 29, 32. 30 Euler] Vgl. Anmerkung 1.8. Nach Condorcet, Éloge d’Euler, in: Leonhardi Euleri opera omnia, hrsg. von Andreas Speiser, Ernst Trost und Charles Blanc, Teil 3, Bd. 12, Zürich 166, S. 306, hatte Euler 13 Kinder und 38 Enkel. 31 Fontenelle] Bernard Le Bovier de Fontenelle (1657–1757), französischer Aufklärungsphilosoph, dessen Ziel in den Gespräche über die Vielzahl der Welten (1686) die allgemeinverständliche Darstellung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist. »Die wahren Weltweisen sind wie die Elephanten, welche niemahls den andern Fuß auf die Erde setzen, wenn nicht der erste schon recht fest steht.« (Herrn Bernhards von Fontenelle Gespräche von mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten; nach der neuesten Französischen Auflage übersetzt, auch mit Figuren und Anmerckungen erläutert von Joh. Chr. Gottscheden, Leipzig 1726, S. 210) 32 Kyniker] Griechische Philosophenschule, deren Name sich von κυνικός, hundemäßig, ableitet; ihr Ziel war die Bedürfnislosigkeit. 33 Demokrit] Der Satz stammt nicht von Demokrit, sondern von Heraklit; darauf weist Mendelssohn in einer Notiz vom November 1781 Über Wahrheit und Schein hin (Ästhetische Schriften, S. 283; JubA III.1, S. 278). 34 Idealisten] Idealisten werden nach Wolff diejenigen genannt, die »nichts als Seelen und Geister zulassen, der Welt aber weiter keinen Raum als in den Gedanken einräumen.« (Deutsche Metaphysik, § 777, WW I.2, S. 483 f.) 35 Egoisten] Der Egoist nimmt nach Wolff an, er sei das einzige wirkliche Wesen, und außer ihm sei kein anderes (vgl. Deutsche Metaphysik, § 944, WW I.2, S. 582 f.). 36 Dualist] Dualisten sind nach Wolff solche, die sowohl die Existenz der materiellen als auch der immateriellen Substanzen zulassen, d. h sie räumen auch den Körpern die reale Existenz außerhalb
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der Ideen ein und verteidigen die Immaterialität der Seelen (vgl. Wolff, Psychologia rationalis, § 39, WW II.6, S. 26). 37 leben und weben] Ein Bibelzitat: Apostelgeschichte 17, 28. Diese Bibelstelle ist ein Zitat aus dem Werk Phainomenon des Vorsokratikers Aratos von Soloi (3. Jhdt. v. Chr.). 38 Allein mich dünkt […] Wohlgefallen der Seele] Mendelssohn greift hier auf Ergebnisse seiner ästhetischen Schriften zurück und zieht daraus die Folgerung, ein eigenes Seelenvermögen ansetzen zu müssen. Anfänge zur Theorie des Billigungsvermögens finden sich in seiner Antwort auf Lessings Brief vom 2. Februar 1757 (JubA XI, S. 105) und vom 2. März 1757 (JubA XI, S. 108), die dann in der Rhapsodie (JubA I, S. 570 f.) weiterentwickelt und in der zweiten Auflage der Philosophischen Schriften (JubA I, S. 383 f.; Ästhetische Schriften, S. 142 f.) präzisiert werden; eine Vorfassung stellt die Schrift Über das Erkenntnis-, das Empfindungs- und das Begehrungsvermögen vom Juni 1776 (Ästhetische Schriften, S. 280 ff.; JubA III.1, S. 276 f.) dar. An diesen Stellen gehen ästhetisch-psychologische und metaphysische Argumentation in einander über, deutlich wird ihr enger Zusammenhang. 39 Desdemona] Vgl. Shakespeare, Othello, 3. Akt, 3. Szene, als Jago in Othello den Verdacht weckt, daß Desdemona ihm untreu sei. 40 Ohne Gott […] Ufer je zu erreichen] Voltaire verfaßte im November 1755 (veröffentlicht 1756) unter dem Eindruck des Erdbebens von Lissabon das Poème sur le désastre de Lisbonne ou examen de cet axiome: Tout es bien (in: Œuvres complètes, ed. Louis Moland, Paris 1877, Bd. IX, S. 467 f.). Daraus zitiert Mendelssohn. 41 Areopag] Gerichtsstelle im antiken Athen auf dem Ares-Hügel westlich der Akropolis. 42 Basedow] Johann Bernhard Basedow (1723–1790), bedeutender Pädagoge der Aufklärung. Vgl. z. B. folgende Stelle: »Sobald man einsieht, daß ein Zweifel an dem Daseyn Gottes und […] seiner Eigenschaften, die Wohlfahrt unserer Seele in Gefahr setzt, uns die reinesten Vergnügungen und Tröstungen raubt; so muß der Satz von Gottes Daseyn, vermöge der Glaubenspflicht, doch eine moralische und practische gewisse Wahrheit bleiben, wenn man auch den Beweis desselben nicht entwickelt denken, oder vergessen haben sollte.«
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(Theoretisches System der gesunden Vernunft, Altona 1765, 4. Buch, S. 144) 43 Hekatomben] Opfer von hundert Rindern, übertragen: jedes große feierliche Tieropfer. 44 gefunden! ] Der griechische Mathematiker Archimedes (285– 212 v. Chr.) soll bei der Entdeckung des hydrostatischen Grundgesetzes »Heureka« gerufen haben. 45 unmittelbarer Erkenntnis] Vgl. die Abhandlung Über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, S. 84 ff. und Anmerkung 2.46. 46 Zeitungen] Nachrichten (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 15, Sp. 591 f.). 47 Beides sind […] gekommen ist] Vgl. die Unterscheidung in Jerusalem zwischen ewigen Wahrheiten einerseits, die Mendelssohn dort in die notwendigen (allein auf dem Satz des Widerspruchs beruhenden) und die zufälligen (auf dem Prinzip des zureichenden Grundes beruhenden, d. h die wahrscheinlichen) Wahrheiten einteilt, und den zeitlichen Geschichtswahrheiten andererseits (Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, mit dem Vorwort zu Manasse ben Israels Rettung der Juden und dem Entwurf zu Jerusalem sowie einer Einleitung, Anmerkungen und Register hrsg. von Michael Albrecht, Philosophische Bibliothek Bd. 565, Hamburg 2005, S. 90–94). In Jerusalem faßt Mendelssohn an dieser Stelle in wenigen Zeilen präzise die Grundlagen seiner Metaphysik zusammen. 48 Spinozist] Vgl. Ethik, Lehrsatz 14: »Außer Gott kann es keine Substanz geben und keine begriffen werden.” (S. 31) Spinoza folgert daraus, »daß Gott einzig ist. d. h […] daß es in der Natur nur eine Substanz gibt und daß diese unbedingt unendlich ist«. (S. 31) Aus diesem Lehrsatz ergibt sich ebenso, »daß ein ausgedehntes Ding und ein denkendes Ding entweder Attribute Gottes sind oder […] Affektionen der Attribute Gottes«. (S. 31) 49 orientieren] Den Begriff »Orientierung« übernimmt Kant von Mendelssohn (Was heißt: Sich im Denken orientieren?) und nutzt ihn, um seine kritische Philosophie von der Mendelssohns abzugrenzen. Vgl. Bernhard Jensen, Was heißt sich orientieren? Von der Krise der Aufklärung zur Orientierung der Vernunft nach Kant, Mün-
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chen 2004; Orientierung. Philosophische Perspektiven, hrsg. von Werner Stegmaier, Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft Nr. 1767, Frankfurt 2005; Werner Stegmaier, Das Problem des Sich-Orientierens nach Kant, in: Was ist und was soll sein. Natur und Freiheit bei Immanuel Kant, hrsg. von Udo Kern, Berlin, New York 2007, S. 207– 221. 50 gründlichsten Philosophen] Z. B. Wolff: Da die Idealisten nur die reale Existenz der Seelen einräumen, die der Körper aber verneinen, sind sie genötigt, die Existenz des notwendigen Seienden, die sich aus der Existenz unserer Seele ergibt, zuzulassen. (Wolff, Natürliche Gottesgelahrtheit, I, § 24, WW I.23.1, S. 38) 51 Schule Epikurs] Vgl. Leibniz: »Epikur hat, um die Freiheit zu retten und eine absolute Notwendigkeit zu vermeiden, […] behauptet, die kommenden Zufälle besäßen gar keine determinierte Wahrheit.« (Die Theodizee, II. Teil, § 168, S. 227). Zur Notwendigkeit bei Epikur vgl. Die Theodizee, S. 428 f. Lukrez zeigt im 2. Buch von De rerum natura, daß die Atome aufgrund ihrer Schwere fallen, sie durch Zufall von ihrer Bahn abweichen und sich mit anderen Atomen zu Dingen verbinden. 52 La Mettrie] Julien Offray de La Mettrie (1709–1751), materialistischer Philosoph, als Vorleser am Hof Friedrich des Großen in Berlin und Potsdam. Vgl. Système d’Epicure, §§ 18 f., in: Oeuvres philosophiques, Berlin 1774, Bd. I, S. 237, Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York 1970. La Mettrie schließt daraus, daß der Zufall oft weiter reicht als die Klugheit. 53 Verschiedene Weltweisen] Vgl. z. B. Crusius, der hier eine von mehreren Möglichkeiten sieht, die Wirklichkeit Gottes zu beweisen: »Es giebt in der Welt eine Reihe von Bewegungen, ja es giebt unzehlige Reihen derselbigen. Entweder die Reyhen von Bewegungen gehen in alle unendliche Ewigkeit hinaus, und zwar dergestalt, daß immer eine endliche Substanz die andere beweget, indem sie selbst in Bemühung ist, den Ort derselbigen einzunehmen: oder die Reihen von Bewegungen haben ihren Grund zuletzt in solchen Thätigkeiten, welche etwas anders als eine Bewegung sind. Nun ist das erste ungereimt. Denn eine unendliche fortgehende Reihe von Ursachen und Wirkungen ist widersprechend § 148, 149, und daß man sich etwan auf eine unendliche Reihe von Augenblicken in der Ewigkeit,
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als eine Instanz hierwieder beruffen könne, ist auch schon erwiesen worden § 159. Folglich ist das letzte wahr, nemlich alle Bewegung kömmt zuletzt von einer Thätigkeit her, welche etwas anders als eine Bewegung ist.« (Entwurf der nothwendigen Vernunft-Wahrheiten, § 215, in: Die philosophischen Hauptwerke, Bd. II, S. 374) 54 manchen Philosophen] Z. B. Samuel Clarke, A Demonstration of the Being and Attributes of God, London 1705, Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, S. 70 ff. 55 Leibnizianer] Vgl. Anmerkung 3.7. 56 gemeinen Lehrbüchern] Z. B. Wolff, Natürliche Gottesgelahrtheit, I, §§ 55 ff. (WW23.1, S. 60 ff.). 57 Einwurf] Vgl. Anmerkung 2.29. 58 unzähligen Lehrbüchern] Z. B. Wolff: »Diejenigen Befindlichkeiten in der Sache, welche in unserer Seele sind, müssen GOtt in dem allerhöchsten Grad beygeleget werden.« (Natürliche Gottesgelahrtheit, II, § 70, WW I.23.4, S. 43) 59 Ens a se […] secundum quid] Ens a se und secundum quid sind Begriffe der scholastischen Philosophie. Mit ens a se ist das durch sich selbst bestehende Wesen gemeint; secundum quid meint, daß etwas von etwas anderem nicht schlechterdings, sondern in gewisser Hinsicht, als unter bestimmten Bedingungen gültig ausgesagt wird. 60 einige Weltweise] Z. B. Gottfried Ploucquet (1716–1790), Principia de substantiis et phaenomenis, Frankfurt und Leipzig 1753, S. 360. 61 man hat gesucht] Vgl. Wolff, Natürliche Gottesgelahrtheit, II, § 644 f. (WW I.23.5, S. 340). 62 Spinozisten] Vgl. Anm. 3.48. Vgl. auch Lehrsatz 18. »Alles, was ist, ist in Gott und muß durch Gott begriffen werden […]; mithin ist […] Gott die Ursache der Dinge, die in ihm sind. […] Sodann kann es außerhalb Gottes keine Substanz geben […], d. h […] kein Ding, das außerhalb Gottes in sich selbst ist.« (Ethik, S. 49). In seiner ersten Veröffentlichung Philosophische Gespräche hatte sich Mendelssohn bereits mit Spinozas Lehre auseinandergesetzt; dort will er nachweisen, daß Leibniz »das Wesentliche seiner Harmonie von dem Spinoza entlehne« (JubA I, S. 11). 63 Wachter] Johann Georg Wachter (1673–1757), Der Spinozismus im Jüdenthumb oder die von dem heutigen Jüdenthumb und dessen Geheimen Kabbala Vergötterte Welt, Amsterdam 1699 (neu hrsg.
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und mit einer Einleitung versehen von Winfried Schröder, Freidenker der europäischen Aufklärung, Abt. 1, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994). Diese antisemitische und antispinozistische Kampfschrift hat das Ziel, die Kabbala der Übereinstimmung mit den wesentlichen Stücken der Metaphysik Spinozas zu überführen und dessen Metaphysik und deren ethische Konsequenzen zu widerlegen (vgl. Schröder, Einleitung, S. 16). Vgl. auch Mendelssohns Brief an Elise Reimarus vom 16. August 1783 (JubA XIII, S. 124). Auch Leibniz weist in der Theodizee auf den Zusammenhang zwischen Kabbala und Spinozas Philosophie hin (Einleitende Abhandlung, § 9, S. 40 f.). Zum Thema vgl. Gershom Scholem, Die Wachtersche Kontroverse über den Spinozismus und ihre Folgen, in: Spinoza in der Frühzeit seiner Wirkung, hrsg. von Karlfried Gründer und Wilhelm Schmidt-Biggemann, Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Bd. 12, S. 15–25, Heidelberg 1984; Kilcher, Kabbala in der Maske der Philosophie. Zu einer Interpretationsfigur in der Spinoza-Literatur, in: Spinoza in der europäischen Geistesgeschichte, hrsg. von Hanna Delf, Julius H. Schoeps, Manfred Walther, Studien zur Geistesgeschichte Bd. 16, Berlin 1994, S. 193–242. 64 Wortstreitigkeiten] Vgl. Kants Kritik: »Ich […] behaupte, daß in Dingen, worüber man, vornehmlich in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, niemals eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen habe, sondern immer eine wahrhaftige Streitigkeit über Sachen. […] Dieses Kunststücks bedient sich der subtile Mann nun fast allenthalben in seinen Morgenstunden, wo es mit der Auflösung der Schwierigkeiten nicht so recht fort will; es ist aber zu besorgen: daß, indem er künstelt, allenthalben Logomachie [Wortstreitigkeiten] zu ergrübeln, er selbst dagegen in Logodädalie [Worterfindung] verfalle, über welche der Philosophie nichts Nachteiligeres widerfahren kann.« (Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakob’s Prüfung der Mendelssohn’schen Morgenstunden, AA VIII, S. 152) 65 Lehrsätzen] Vgl. Ethik, II. Teil, Lehrsatz 3: »In Gott gibt es notwendigerweise eine Idee sowohl seiner Essenz wie all dessen, was aus seiner Essenz notwendigerweise folgt.« (S. 105) Vgl. Ethik, I. Teil, Lehrsatz 28: »Jedes Einzelding, d. h jedes Ding, das endlich ist und eine bestimmte Existenz hat, kann weder existieren noch zu einem
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Wirken bestimmt werden, wenn es nicht von einer anderen Ursache zum Existieren und Wirken bestimmt wird, die ebenfalls endlich ist und eine bestimmte Existenz hat; und auch diese Ursache kann wiederum weder existieren noch zu einem Wirken bestimmt werden, wenn sie nicht von einer anderen, die ebenfalls endlich ist und eine bestimmte Existenz hat, zum Existieren und Wirken bestimmt wird, und so weiter ins Unendliche.« (S. 59) 66 Spinozist] Vgl. Ethik, I. Teil, Lehrsatz 7: »Eine Substanz kann nicht von etwas anderem hervorgebracht werden […]; sie wird daher Ursache ihrer selbst sein; d. h […], ihre Essenz schließt notwendigerweise Existenz ein« (S. 13). In der Anmerkung zu Lehrsatz 8 beweist Spinoza, daß »jede Substanz unendlich sein muß« (S. 15). 67 Cartesius] Descartes unterscheidet in der sechsten Meditation »Über das Dasein der materiellen Dinge und die reale Unterschiedenheit von Körper und Seele« (S. 61 ff.) und in den Prinzipien der Philosophie (»Ich erkenne […] nicht mehr als zwei allgemeinste Gattungen von Dingen an: Die eine bilden die Dinge, die der Einsicht bzw. dem Denken dienen: Das ist die Gattung der dem Geist, bzw. der denkenden Substanz zugehörigen Dinge; die andere ist die der materiellen Dinge, bzw. derjenigen, die zur ausgedehnten Substanz gehören, will sagen: zum Körper.« Die Prinzipien der Philosophie, I, 48, S. 53) zwischen geistigen und körperlichen Substanzen. Spinoza nimmt diese Unterscheidung zu Beginn des II. Teils der Ethik auf und weist in Lehrsatz 1 und Lehrsatz 2 Gott die Attribute des Denkens und der Ausdehnung zu (S. 103, 105). 68 Man] Z. B. Jacobi im Gespräch mit Lessing, JubA XIII, S. 138, und in der Mendelssohn zugesandten Abschrift eines Briefes an den Herrn Hemsterhuis im Haag: »Was die Philosophie des Spinoza von jeder andern unterscheidet, ist dieses, daß der bekannte Grundsatz: gigni de nihilo nihil, in nihilum nil potest reverti, mit der äußersten Strenge darin festgehalten und ausgeführet ist.« (Über die Lehre des Spinoza, S. 64) 69 Daß in der Erklärung […] gerügt worden] Z. B. Wolffs Kritik an Spinozas Auffassung des für sich bestehenden Dings in Natürliche Gottesgelahrtheit, II, §§ 683 f. (WW I.23.5, S. 58). Wolffs ausführliche Kritik an Teil I der Ethik Spinozas, zuerst in den §§ 671–716 des zweiten Teils der Theologia naturalis veröffentlicht, wurde durch Jo-
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hann Lorenz Schmidt zusammen mit der ersten deutschen Übersetzung der Ethik (B.v.S. Sittenlehre widerleget von dem berühmten Weltweisen unserer Zeit Herrn Christian Wolf, aus dem Lateinischen übersetzet, Frankfurt und Leipzig 1744) einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Diese Übersetzung benutzte auch Mendelssohn (vgl. Ursula Goldenbaum, Die erste deutsche Übersetzung der »Ethik«, in: Spinoza in der europäischen Geistesgeschichte, hrsg. von Hanna Delf, Julius H. Schoeps, Manfred Walther, Studien zur Geistesgeschichte Bd. 16, Berlin 1994, S. 107–125, S. 121). Zu Wolffs SpinozaKritik vgl. Konrad Cramer, Christian Wolff über den Zusammenhang der Definitionen von Attribut, Modus und Substanz und ihr Verhältnis zu den ersten beiden Axiomen von Spinozas Ethik, in: Spinozas Ethik und ihre frühe Wirkung, hrsg. von Konrad Cramer, Wilhelm G. Jacobs und Wilhelm Schmidt-Biggemann, Wolfenbüttel 1981, S. 67– 106; Buschmann, Wolffs »Widerlegung« der »Ethik« Spinozas, in: Spinoza in der europäischen Geistesgeschichte, hrsg. von Hanna Delf, Julius H. Schoeps, Manfred Walther, Studien zur Geistesgeschichte Bd. 16, Berlin 1994, S. 126–141; Günter Gawlick, Einige Bemerkungen über Christian Wolffs Verhältnis zu Spinoza, in: Spinoza im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts, hrsg. von Eva Schürmann, Norbert Waszek und Frank Weinreich, Spekulation und Erfahrung, Abt. II, Bd. 44, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, S. 109–119. 70 Gegner] Vgl. z. B. die Kritik des englischen Deisten John Toland (1670–1722) an Spinoza: »Spinoza, der in seiner Ethik Wert darauf legt, die Dinge aus ihren ersten Ursachen […] abzuleiten, […] konnte unmöglich zeigen, wie die Verschiedenheit der einzelnen Körper mit der Einheit der Substanz oder mit der Gleichheit der Materie im ganzen Universum in Einklang zu bringen ist. Denn er hat weder die Bewegung an sich tatsächlich erklärt, noch wie die Materie in Bewegung gesetzt worden ist bzw. wie die Bewegung erhalten wird. Er erkennt weder Gott als ersten Beweger an, noch beweist er die Bewegung oder setzt sie als ein Attribut der Materie voraus […]. Aus diesem Grunde darf ich wohl mit Sicherheit schließen, daß sein gesamtes System völlig unsicher und gänzlich unbegründet, ungenügend durchgearbeitet und unphilosophisch ist.« (Briefe an Serena, hrsg. und eingeleitet von Erwin Pracht, übersetzt von Günter Wichmann, Berlin 1959, S. 109) Schon Leibniz hatte gegen Descartes ein-
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gewandt, daß zu einem Körper außer Materie auch Form gehört: Er habe »bei dem Versuch, die Prinzipien der Mechanik selbst tiefer zu begründen, um von den Naturgesetzen Rechenschaft zu geben, die die Erfahrung uns lehrt, erkannt, daß die alleinige Betrachtung einer ausgedehnten Masse nicht ausreicht und daß man den Begriff der Kraft hinzunehmen muß«. Er habe erkannt, »daß es nicht möglich ist, die Prinzipien einer wahrhaften Einheit in der Materie oder in dem Passiven zu finden«. Er habe auf »einen reellen und sozusagen beseelten Punkte […], zu einem substantiellen Atome, das etwas Formales oder Aktives einschließen muß, um ein vollständiges Wesen zu bilden«, zurückgehen müssen. (Neues System der Natur und des Gemeinschaft der Substanzen, wie der Vereinigung zwischen Körper und Seele, in: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 2, S. 259 f.) In dieser Sichtweise Leibniz’ könnte Mendelssohns Unterscheidung zwischen materialer und formaler Wahrheit begründet sein. 71 Spinoza] Vgl. Ethik, I. Teil, Lehrsatz 32: »Der Wille kann nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern allein eine notwendige.« (S. 67) Zur Frage der Freiheit bei Spinoza vgl. Wolfgang Bartuschat, Spinozas Theorie des Menschen, Hamburg 1992. 72 Wolff] »Eine jede unendliche Befindlichkeit in einem Dinge, und insbesondere, der unendliche Gedancke ist nicht aus endlichen Befindlichkeiten zusammen gesezt, welche der Zahl nach unendlich sind. Der menschliche Verstand […] ist in Absicht auf die Art und Weise, die Dinge vorzustellen, eingeschräncket, in soferne er nehmlich nicht alles unterscheiden kan, was sich davon unterscheiden lässet […]. Es ist derowegen derjenige Verstand uneingeschränckt, welcher in einem jeden Dinge alles dasjenige unterscheiden kan, was sich unterscheiden lässet; so offt man aber auch einen Verstand nimmt, welcher nicht alles unterscheiden kan, was sich unterscheiden lässet, so wird doch daraus nicht ein Verstand heraus kommen, welcher alles in der That unterscheidet, was sich in einer jeden Sache unterscheiden lässet, folglich ist der unendliche Verstand ganz von einer andern Art, als der endliche […]. Hieraus erhellet nun, daß alle unendlichen Befindlichkeiten nicht aus endlichen Befindlichkeiten zusammen gesetzet seyn, deren an der Zahl unendlich viele sind.« (Wolff, Natürliche Gottesgelahrheit, II, § 706, WW I.23.5, S. 99 f.)
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73 weitläuftiger ausgeführt] Im zweiten Gespräch des Phädon wird der Einwand des Simias widerlegt, der Beweis der Unsterblichkeit der Seele sei deswegen nicht gültig, weil die Seele nicht selbständig, sondern eng mit dem Körper verbunden sei: »Wir würden weder uns erinnern, noch überlegen, noch vergleichen, noch denken können, ja wir würden nicht einmal die Person seyn, die wir vor einem Augenblick gewesen, wenn unsere Begriffe unter vielen vertheilet und nicht irgend wo zusammen in ihrer genauesten Verbindung anzutreffen wären. Wir müssen also wenigstens eine Substanz annehmen, die alle Begriffe der Bestandtheile vereiniget, und diese Substanz […] wird […] einfach seyn […]. Es giebt also in unserm Körper wenigstens eine einzige Substanz, die nicht ausgedehnt, nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist, eine Vorstellungskraft hat und alle unsere Begriffe, Begierden und Neigungen in sich vereiniget.« (Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, mit einem Nachwort hrsg. von Dominique Bourel und einer Einleitung von Nathan Rotenstreich, Philosophische Bibliothek Bd. 317, Hamburg 1979, S. 96 f.) 74 Spinoza] Im II. Teil (»Von der Natur und dem Ursprung des Geistes«) der Ethik Spinozas heißt es in Lehrsatz 1: »Denken ist ein Attribut Gottes, anders formuliert, Gott ist ein denkendes Ding.« (S. 103) 75 scholastische Philosophen] Nach Leibniz gehen die Anhänger des arabischen Philosophen Averroes (1126–1198) in ihrer Interpretation des Aristoteles von einer allen Menschen gemeinsamen tätigen Vernunft aus (Leibniz, Die Theodizee, Einleitende Abhandlung, § 7, S. 38 f.). 76 Spinoza] Vgl. Ethik, I. Teil, Lehrsatz 32. Spinoza folgert aus diesem Lehrsatz, »daß Wille und Verstand sich zu Gottes Natur so verhalten wie auch Bewegung und Ruhe, generell gesagt, wie alle natürlichen Dinge, die […] von Gott bestimmt werden müssen, in einer bestimmten Weise zu existieren und etwas zu bewirken.« (S. 67 ff.) Mendelssohn greift hier auf Lessings Schrift Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott (entstanden 1763, Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 5/1, S. 401 f.) zurück. Zur Frage des Einflusses der Philosophie Spinozas auf Lessing vgl. Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben–Werk–Wirkung, Stuttgart, Weimar 2000, S. 436–455; Johannes
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von Lüpke, Auf der Suche nach besseren Begriffen von Gott und Mensch. Überlegungen zum Zusammentreffen von lutherischer Theologie und spinozanischer Philosophie bei Lessing; Gideon Stiening, »Werden Sie lieber sein ganzer Freund«. Zur Bedeutung von LessingsSpinoza-Rezeption, beide in: Spinoza im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts, hrsg. von Eva Schürmann, Norbert Waszek und Frank Weinreich, Spekulation und Erfahrung, Abt. II, Bd. 44, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, S. 171–191 und S. 193–220. 77 Hydra] Eigentlich neunköpfige Hydra, eine Wasserschlange, deren Tötung eine der Aufgabe des Herakles war; für jeden abgeschlagenen Kopf wuchsen ihr zwei neue. 78 Pleraeque […] non sint] »Und das ist es, woraus die meisten Streitereien entspringen: daß Menschen ihre eigenen Gedanken nicht richtig ausbreiten oder die eines anderen falsch deuten. Denn in der Tat, wenn sie einander am heftigsten widersprechen, haben sie entweder dieselben Gedanken oder denken an verschiedene Dinge, so daß die Irrtümer und Widersinnigkeiten, die sie bei den anderen vermuten, gar keine sind.« (Spinoza, Ethik, S. 197) 79 Spinoza] Vgl. Ethik, II. Teil, Lehrsatz 49, wo Spinoza folgert: »Der Wille und der Verstand sind ein und dasselbe.« (S. 201) 80 Fragmentisten] Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) veröffentlichte 1774, 1777 und 1778 die Fragmente eines Ungenannten, Teile des Manuskripts Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes (erstmals vollständig hrsg. von G. Alexander, Frankfurt 1972) des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694–1768). Reimarus vertritt in dieser Schrift bibel- und religionskritische Positionen, sie sollte deswegen zunächst nicht veröffentlicht werden. Lessing hatte Mendelssohn bei seinem Besuch in Wolfenbüttel im Oktober 1770 das Manuskript gezeigt, Mendelssohn hatte es nach Berlin zur Beurteilung mitgenommen (vgl. Altmann, Moses Mendelssohn, S. 254 ff.). 81 Gastes] Lessing nennt den Autor der Fragmente eines Ungenannten in der Schrift Gegen Friedrich Wilhelm Mascho einen »lichtscheuen Gast« (Lessing, Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 8, S. 600); veröffentlicht wurde diese kurze Schrift Lessings in Gotthold Ephraim Leßings Nachlaß (vgl. Anmerkung 3.92). 82 Qui […] dicit] »Dieser [Homer] sagt, was schön, was schimpf-
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lich, was nützlich und was nicht nützlich ist, vollkommener und besser als Chrysipp und Crantor.« (Horaz, Briefe I, 2, 3–4) Chrysipp (ca. 280–ca. 208 v. Chr.) ist Stoiker, Crantor (ca. 340–ca. 275 v. Chr.) ist Akademiker. 83 Cur […] audi] »Warum ich dies glaube, höre nun, falls dich nicht irgend etwas davon abhält.« (Horaz, Briefe I, 2, 5) 84 Philosophen] Nach Nicolas Malebranche muß das Handeln Gottes bei der Erschaffung und Erhaltung der Welt den einfachsten, allgemeinsten und einheitlichsten Gesetzen folgen (Abhandlung von der Natur und der Gnade, übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Stefan Ehrenberg, Philosophische Bibliothek Bd. 449, Hamburg 1993, Art. XII, Zusätze, S. 34). Gott hätte die Welt durch besondere Gesetze auch vollkommener machen können, dazu aber hätte er die Gesetze vervielfachen und ihren allgemeinen Charakter aufheben müssen (Art. XIV, S. 36). Vgl. auch Leibniz’ Kritik an Malebranche in Die Theodizee, II. Teil, § 206, S. 262. 85 Shaftesbury und Leibnizen] In seinem Werk Die Moralisten zeigt Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury (1671– 1713), daß der Mensch die Ordnung der Natur unmittelbar empfinden kann: »Das Gute hat das Übergewicht, und jedes vergängliche und sterbliche Geschöpf weicht durch seine Sterblichkeit und Vergänglichkeit nur einem Höheren und Besseren, und alle insgesamt jenem höchsten und besten Geschöpf, welches unzerstörbar und unvergänglich ist.« (Ein Brief über den Enthusiasmus. Die Moralisten, in der Übersetzung von Max Frischeisen-Köhler mit einer Einleitung neu hrsg. von Wolfgang H. Schrader, Philosophische Bibliothek Bd. 111, Hamburg 1980, S. 62) Leibniz spricht z. B. in der Monadologie von der Harmonie zwischen den Wirk- und den Zweckursachen (§ 87, S. 67). 86 Rabbinen] Mendelssohn verweist hier auf das nachbiblische Hauptwerk des Judentums, den babylonischen Talmud (Endredaktion ca. 600 n. Chr.). Vgl. Der babylonische Talmud, neu übertragen durch Lazarus Goldschmidt, 2. Auflage, Bd. 4, Berlin 1966, S. 128. 87 Wer ist […] auf Erden] Ein Bibelzitat: Psalm 113, 5. 88 theatralischen Dichters] Vgl. Nathan der Weise, 1. Aufzug, 2. Auftritt: Nathan kritisiert Rechas Glauben an ein göttliches Eingreifen, das ihre Rettung möglich gemacht habe; dieser Glaube schade,
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weil sie dem Retter, der sich möglicherweise in Not befinde, nicht helfen könne (Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 9, S. 491). 89 Dichter] Ziel des philosophischen Romans Candide oder Der Optimismus von Voltaire (d. i. François-Marie Arouet, 1694–1778), 1759 anonym erschienen, ist es, die Ansicht, die Welt sei die beste alle möglichen, durch viele, der Erfahrung entnommene Beispiele lächerlich zu machen. 90 Fortsetzung] In Lessings Schriften nicht nachweisbar. Vgl. dazu Ingrid Strohschneider-Kohrs, Vernunft als Weisheit. Studien zum späten Lessing, Tübingen 1991, S. 19–122. 91 Kabale] listige Intrige (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 6). Zur Rezeption des Nathan vgl. Lessing, Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 9, S. 1177. 92 Nachlaß] Gotthold Ephraim Leßings theologischer Nachlaß, hrsg. von Karl Gotthelf Lessing, Berlin 1784 (veröffentlicht Ostermesse 1785). Ende April 1783 hatte der Bruder Lessings Mendelssohn den theologischen Nachlaß zugeschickt, Mendelssohn hatte ihn durchgesehen und Lessing geraten, die Veröffentlichung zu verschieben (das geht aus Lessings Antwortbrief hervor, JubA XIII, S. 106 f.). Am 29. Januar 1784 teilte Lessing Mendelssohn mit, den Briefwechsel zum Druck zu geben (JubA XIII, S. 172). Vgl. Altmann, Moses Mendelssohn, S. 585 ff. und Goldenbaum, Mendelssohns schwierige Beziehung zu Spinoza, S. 306. 93 Aufsatze] Christenthum der Vernunft, nach neueren Forschungen ca. 1752/53 entstanden (vgl. Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 2, S. 995–998). Mendelssohns Bekanntschaft mit Lessing ist wohl auf 1754 zu datieren (vgl. Altmann, Mendelssohn, S. 36 ff.); Goldenbaum nimmt, E. Schmidt, Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Bd. 1, Berlin 1909, S. 259, 716 folgend, schon das Jahr 1753 an (Mendelssohns schwierige Beziehung zu Spinoza, S. 276). 94 kleine Schrift] Die Erziehung des Menschengeschlechts. Die ersten 53 Paragraphen wurden 1777 veröffentlicht, vollständig erschien die Schrift 1780. Mendelssohn bezieht sich hier auf § 73, in dem Lessing die Frage erörtert, ob auch die im Neuen Testament enthaltene Wahrheit der Dreieinigkeit genauso wie die Unsterblichkeit der Seele durch die Vernunft erkannt werden kann. Jacobi hatte in seinem Brief vom 4. November 1783, in dem er Mendelssohn über sein Ge-
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spräch mit Lessing in Wolfenbüttel detailliert informierte, darauf hingewiesen, daß es unmöglich sei, sich diesen Paragraph »anders, als nach Spinozistischen Ideen, deutlich« (JubA XIII, S. 150) zu machen. 95 athanasischen Lehre] Athanasios (ca. 295–373 n. Chr.), griechischer Kirchenvater, setzte sich für die Trinitätslehre gegen die Lehre des Arian (260–336 n. Chr.) ein, für den Christus Gottvater nicht wesensgleich, sondern nur dessen vornehmstes Geschöpf ist; auf dem Konzil von Nicäa wurde diese Position als Irrlehre verurteilt. 96 Emanationssystem der Alten] Emanation bezeichnet in der Gnosis und bei Plotin das Hervorgehen des Vielen aus dem Einen (oder Überfließen des Einen). Unter neuplatonischem Einfluß spielte dieser Begriff bei Pseudo-Dionysios, Johannes Eriugena und Nikolaus von Kues eine Rolle (vgl. Art. Emanation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Sp. 445 ff.). 97 Gegner] Vgl. Kants Kritik am cartesischen Gottesbeweis, man erdenke sich einen Begriff von einem möglichen Ding, in welchem man alle wahre Vollkommenheit sich vereinbart vorstellt; dieser Begriff enthalte eine willkürliche Vereinbarung verschiedener Prädikate, von ihm aus könne niemals auf das Dasein geschlossen werden (Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, AA II, S. 156 f.). 98 sykophantisch] verleumderisch (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, Sp. 1368). 99 Gegner] Vgl. Kant: »Dasein ist gar kein Prädicat oder Determination von einem Dinge. […] Nehmet ein Subject, welches ihr wollt, z. E. den Julius Cäsar. Fasset alle seine erdenkliche Prädicate, selbst die der Zeit und des Orts nicht ausgenommen, in ihm zusammen, so werdet ihr bald begreifen, daß er mit allen diesen Bestimmungen existiren, oder auch nicht existiren kann. Das Wesen, welches dieser Welt und diesem Helden in derselben das Dasein gab, konnte alle diese Prädicate, nicht ein einiges ausgenommen, erkennen, und ihn doch als ein blos möglich Ding ansehen, das, seinen Ratschluß ausgenommen, nicht existirt. […] Gleichwohl bedient man sich des Ausdrucks vom Dasein als eines Prädicats, und man kann dieses auch sicher und ohne besorgliche Irrthümer thun. […] Es ist aber
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das Dasein in den Fällen, da es im gemeinen Redegebrauch vorkommt, nicht sowohl ein Prädicat von dem Dinge selbst, als vielmehr von dem Gedanken, den man davon hat.« (Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, AA II, S. 72) Dasein ist »die absolute Position eines Dinges und unterscheidet sich dadurch auch von jeglichem Prädicate, welches als ein solches jederzeit blos beziehungsweise auf ein ander Ding gesetzt wird«. (AA II, S. 73) Die Argumentation übernimmt Kant unverändert in die Dialektik der Kritik der reinen Vernunft (A 598). 100 complementum essentiae] Durch die Möglichkeit wird nach Wolff die Existenz nicht bestimmt; selbst wenn etwas durch eine vollständige Erkenntnis als möglich erfaßt wird, ist damit noch nicht erkannt, warum es existiert, denn was möglich ist, existiert deswegen noch nicht (vgl. Ontologia, §§ 171 f, WW II.3, S. 141 f.). »Es muss also ausser der Möglichkeit noch was mehrers dazu kommen, wenn etwas seyn soll, wodurch das Mögliche seine Erfüllung erhält. Und diese Erfüllung des Möglichen ist eben dasjenige, was wir Würcklichkeit nennen«. (Deutsche Metaphysik, § 14, WW I.2, S. 9) Kant kritisiert diesen Wolffschen Begriff: »Die Wolffische Erklärung des Daseins, daß es eine Ergänzung der Möglichkeit sei, ist offenbar sehr unbestimmt. Wenn man nicht schon vorher weiß, was über die Möglichkeit in einem Dinge kann gedacht werden, so wird man es durch diese Erklärung nicht lernen.« (Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, AA II, S. 76) 101 Er spricht […] stehet da] Ein Bibelzitat: Psalm 33, 9. 102 einer der gründlichsten Weltweisen] Johann Albert Heinrich Reimarus (1729–1814), Sohn von Hermann Samuel Reimarus. Mendelssohn hatte ihn (über seine Schwester Elise, 1735–1805) gebeten, die Morgenstunden zu prüfen (vgl. JubA XIII, S. 282). 103 l’Epée] Charles Michel, Abbé de l’Epée (1712–1789), berühmter Taubstummenlehrer, Institutions des sourds muets ou recueil des exercises soutenus par les sourds et muets […]; Institutions des sourds muets par la voie des signes méthodiques […]; La véritable manière d’instruire les sourds muets, Paris, 1774–1784. 104 Nicolai] Gemeint ist Pater Stork, der nach seiner Lehre bei l’Epée in Wien 1779 ein Taubstummeninstitut eröffnet hatte. Friedrich Nicolai, Freund Lessings und Mendelssohns, war in seiner Be-
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schreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 im zwölften Abschnitt des zweiten Buchs auf die Schule eingegangen (»Von den Schulen, von der Universität, von Bibliotheken und anderen dahin gehörigen Anstalten, dergleichen von der Gelehrsamkeit und Litteratur in Wien überhaupt«, vgl. Gesammelte Werke, hrsg. von Bernhard Fabian und Marie-Luise Spieckermann, Bd. 16, Hildesheim, Zürich, New York 1994, S. 792 ff.). 105 über das Ich] In der Zeitschrift Deutsches Museum, hrsg. von Hans Christian Boie, Bd. 2, 11. Stück, November 1778, S. 395–419, ist der Beitrag Ueber das Ich, in Briefen an Hrn. Prof. Tiedemann. Zweiter Brief enthalten. Reimarus faßt die Seiten 399 bis 410 zusammen. 106 Swedenborgs] Emanuel Swedenborg (1688–1772), schwedischer Naturwissenschaftler und Theosoph. In den 1766 erschienenen Werk Träume eines Geistersehers, erläutert durch die Träume der Metaphysik setzte sich Kant mit dem »Erzphantasten« auseinander; seine Kritik gilt den »acht Quartbänden voll Unsinn« der Arcana coelestia, dem Hauptwerk Swedenborgs. 107 komischen Dichters] Anspielung auf die Frage Stalenos an den verliebten Leander in Lessings 1750 entstandener, 1755 veröffentlichter Komödie Der Schatz. Ein Lustspiel in einem Aufzuge (Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 1, S. 547). 108 Erhaltung der Dinge] Zur Diskussion um die Frage, ob die Erhaltung eine beständige Schöpfung sei, vgl. Leibniz, Die Theodizee, III. Teil, §§ 382 ff. (S. 385 ff.); Leibniz bezieht sich auf Bayle und nimmt zu verschiedenen Lehrmeinungen Stellung. Vgl. besonders § 391: »Auf Grund dieses Gesetzes der Weisheit erzeugt Gott auch immer wieder die nämliche Substanz, dieselbe Seele«. (Die Theodizee, S. 392) 109 so weit] Der folgende Text stammt wieder von Mendelssohn. 110 Harris] James Harris (1709–1780), Hermes oder philosophische Untersuchung über die allgemeine Grammatik, übersetzt von Christian Gottfried Ewerbeck, nebst Anmerkungen und Abhandlungen von F.A. Wolf und dem Übersetzer, Halle 1788, I, Kap. VIII, Anm. f. Das Original wurde in London 1751veröffentlicht. 111 Sterne] Anspielung auf Lawrence Sterne (1713–1768), Leben und Meinungen des Herrn Tristram Shandy, Buch 5, Kap. XLIII.
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112 Locke] Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, Kap. XIII.25 ff. (Bd. I, S. 385 ff.). 113 Leibnizen] Vgl. Leibniz’ fünften Brief an Samuel Clarke: »Die Einbildung eines materiellen endlichen Universums, das sich als Ganzes in einem unendlichen leeren Raum umherbewegt, kann […] nicht zulässig sein. Sie ist völlig unvernünftig und undurchführbar. […] Für denjenigen, der davon wüßte, ergäbe sich daraus keinerlei beobachtbare Veränderung. Es sind Einbildungen von Philosophen mit unvollständigen Begriffen, sich den Raum zu einer absoluten Wirklichkeit zu machen.« (Samuel Clarke, Der Briefwechsel mit G.W. Leibniz von 1715/1716, S. 72 f.) Leibniz kritisiert hier Clarkes Ansicht, die Newtons Lehre folgt. 114 Yoricks Klassen] Vgl. Sternes Klassifizierung der Reisenden in Yoricks empfindsame Reise (erstmals veröffentlicht London 1768, von J. J. Ch. Bode ins Deutsche übersetzt). In der Vorrede werden die Reisenden aufgeteilt in mutige, neugierige, lügende, aufgeblasene, eitle, unglückliche und unschuldige, empfindsame usw. (vgl. Lessing, Werke und Briefe in 12 Bänden, Bd. 12, S. 615). Die Reisenden sind der Mediziner Dr. Joseph Fließ, ein Freund Karl Lessings, und Alexander Daveson, ein Kunsthändler, der zeitweilig bei Lessing wohnte. 115 nutsche] saugen (Küppe, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Bd. V, Hamburg 1967, S. 17).
PERSONENREGISTER
Aristoteles 24, 30 Äsop 88 Aurelius, Marcus 74 Bacon, Francis 51 Basedow, Johann Bernhard 155 f., 158 Baumgarten, Alexander Gottlieb 16 Bayle, Pierre 3 Bernoulli, Jakob 4, 5, 18 Bernoulli, Nikolaus 11 Chrysipp 216 Craig, John 4 Crantor 216 Cumberland, Richard 80 Demokrit 141 Demosthenes 24 Descartes, René 24, 51, 67, 85, 130, 195, 197, 240 f. Epikur 73, 177, 179 f. Euklid 77 Euler, Leonhard 4, 136 Fermat, Pierre 4 Fließ, Joseph 268 Fontenelle, Bernard Le Bovier de 137 Galilei, Galileo 111 s’Gravesande, Wilhelm Jacob 5, 8–10, 13, 18 Halley, Edmond 4 Harris, James 259, 261– 263
Helvétius, Claude Adrien 127, 251 Homer 23 f., 216, 259–261, 263 Horaz 216, 260, 262 Hume, David 11, 15 Huygens, Christiaan 4 Kant, Immanuel 91, 93 Kopernikus, Nikolaus 114 La Mettrie, Julien Offray de 179 Lambert, Johann Heinrich 91 Leibniz, Gottfried Wilhelm 4, 24, 69, 209, 219, 241–243, 265 Lessing, Gotthold Ephraim 203, 215–217, 220–226, 228, 267 Locke, John 264 Lukrez 72 Malebranche, Nicolas 136 Michel, Charles, Abbé de l’Epée 252 Moivre, Abraham 4 Montmort, Pierre Rémond de 4 Newton, Isaac 111, 265 Nicolai, Friedrich 252, 267 Ovid 260, 262 Pascal, Blaise 4 Petty, William 4 Phidias 24
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Personenregister
Platner, Ernst 91 Platon 28 f. Pope, Alexander 120 Reimarus, Hermann Samuel 254 Rüdiger, Andreas 11 Shaftesbury (Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury) 219 Sokrates 28 f., 263
Spinoza, Baruch de 173, 194– 200, 202–205, 211–214 Sterne, Lawrence 263 Swedenborg, Emanuel 254 Tetens, Johann Nikolaus 91 Virgil 259 f., 262 Voltaire 156, 221 f., 252 Wachter, Johann Georg 193 Wolff, Christian 4 f., 7, 18, 199
SACHREGISTER
Abbildung 94, 141, 144, 146, 175 f., 192 Assoziation 46, 103 Atheismus 160, 193, 215 Aufklärung 222 Ausdehnung 27–31, 33–36, 43 f., 68 f., 110, 145–148, 182, 193, 195, 197, 201 Axiom 26, 35, 155, 161–163, 176 Begehrungsvermögen 48, 72, 85–87, 149, 151, 198 Begriff 24, 26–40, 44–50, 54– 58, 64, 68 f., 75, 78–82, 84, 88, 94–97, 100, 102 f., 114, 116, 127–136, 137–139, 144– 148, 150–152, 161–166, 182, 186, 188 f., 194 f., 201 f., 208, 210 f., 217, 220, 230, 232, 234, 237–240, 242, 251 f., 255, 264 Beste 20, 78 f., 84, 151, 155, 158, 162 f., 173 f., 183, 185– 191, 199, 205, 208 f., 213 f., 221, 249 f., 256 Bewegung 32, 42, 68, 70 f., 105, 145–147, 179, 197, 199, 204, 265 Bewegungsgrund 19–21, 66, 76 f., 79, 86 f., 107, 111, 119, 174, 186, 198 Bewußtsein 113, 119, 135,
138–140, 188, 208–211, 214, 219, 227 f., 233 f., 238, 253, 266 Bildung 222 Billigung 149–152, 154 f., 157 f., 162 f., 174, 183, 185– 187, 190 f., 198 f., 204, 208 f., 239, 249 f. Billigungsgrund 157 f. Billigungskraft 205 Billigungsvermögen 150 f., 153, 155, 157, 185, 187, 189 f., 198, 208, 248 Böse 55, 63–65, 75, 79, 84 f., 95, 149, 151, 154, 157, 162, 198 f., 208 Dasein 39, 45, 49 f., 54–57, 59, 61 f., 64–67, 69, 71–74, 98 f., 124, 129–132, 141–143, 145, 155, 157 f., 160–176, 181– 186, 188 f., 191 f., 194–198, 200, 202 f., 205, 208 f., 212, 214, 229, 231–234, 238, 240, 245–247 –, idealisches 131, 141, 143, 161, 167, 169, 205, 234, 237, 240, 243, 249 Denkbarkeit, Denkbares 95– 100, 105, 111, 113, 126, 132, 135, 150 f., 162–164, 166, 168, 173 f., 180 f., 183 f., 186, 188–190, 197, 212 f., 229,
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Sachregister
231 f., 235, 237, 240 f., 243, 247–249, 264 Denken 49 f., 119, 126, 128, 130 f., 164, 195, 197–199, 202, 206, 252, 257 Denkungskraft 125, 142 f., 145, 150, 161 f., 188, 193, 243 f., 248 Denkungsvermögen, Denkvermögen 98, 130, 151, 161, 230, 233, 249 Ding 12, 18 f., 40, 42–45, 47– 50, 56–59, 60, 64, 67–69, 71, 75, 81, 98 f., 112, 134, 138– 145, 147 f., 151–153, 162– 164, 174, 178–182, 184 f., 188–190, 196, 200 f., 204 f., 208 f., 212 f., 218–220, 229 f., 231 f., 235–237, 240, 242, 244–248, 252 f., 256, 264 f., 266 –, denkbares 180 –, eingeschränktes 191 –, einzelnes 96, 219 –, endliches 55, 167 –, körperliches 69, 202 –, mögliches 94, 163 –, notwendiges 61 –, sinnliches 41, 131 –, übersinnliches 131 –, unendliches 55 –, veränderliches 177, 180, 186 –, vorstellendes 98 –, wirkliches 94, 102, 134, 164–166, 237 –, zufälliges 61 f., 64, 66 f.,
165, 166 f., 177, 182, 184 f., 189, 194, 205, 209, 214, 249 Egoist 143, 168, 170, 172, 191, 206 Einbildung 99, 169, 174 f., 258 Einbildungskraft 46, 86–89, 129, 133–136, 139 f., 175 Eindruck 63, 70 f., 87 –, sinnlicher 29, 31, 99, 115, 127 f., 135, 138–140, 210, 251–254, 256 Eingeschränktheit, eingeschränkt, Einschränkung 3, 18, 27 f., 58, 67, 69, 95, 113, 124, 130 f., 133, 142, 144, 151, 172, 190, 208–211, 213, 229, 234, 242, 250 Empfindung 23, 36, 50, 55, 63, 85, 87 f., 101 f., 114, 116–119, 122, 124 f., 130, 145, 149, 151, 172, 191, 210, 227, 233 f., 238, 243, 250, 254, 264 f. –, sittliche 127 Erfahrung 12 f., 15 f., 19, 21, 33, 64, 67, 80, 82 f., 93, 101– 107, 124, 161, 164, 170, 173, 257 Erfahrungssatz 38, 45, 50 f., 104 f., 240 Erhabenheit 217 f., 220 Erkenntnis 3, 5, 18 f., 24, 32, 36, 42, 44 f., 60 f., 63–65, 67 f., 70, 75, 81, 88 f., 96 f., 102– 107, 111, 113 f., 120–122, 125, 127 f., 130 f., 142–144, 147–153, 156–163, 165,
Sachregister
168, 174, 185 f., 189 f., 198 f., 204, 210, 214, 231, 234–236, 238–241, 244, 249 f., 264, 267 –, anschauende 88, 125 f., 129 –, deutliche 33, 44, 70, 86, 118, 212 –, lebendige 63, 70, 86, 190 f., 208 –, philosophische 44, 104 –, populäre 160 –, sinnliche 100, 113, 115, 119 f., 125, 127, 131 f., 144, 164 f., 192, 230 –, subjektive 131 –, symbolische 128 –, undeutliche 85 –, unmittelbare 113 f., 125 f., 129, 160, 168, 193 –, vernünftige 92, 125 –, wissenschaftliche 166 Erkenntnisgrund 103, 137, 158, 162 Erkenntniskraft 114, 124, 137, 187, 244 Erkenntnistrieb 155 Erkenntnisvermögen 74, 149, 157, 185, 208, 248 Erscheinung 15, 17 f., 39–41, 49 f., 56, 67–69, 99–105, 107, 109 f., 112, 115–118, 122– 124, 139 f., 142, 146, 171, 192, 227, 257, 259 Evidenz 5, 16, 23, 25 f., 39, 42, 50 f., 53–55, 74, 82, 89, 93, 97, 100–102, 104, 106, 110, 112 f., 126 f., 132, 134, 141–
325
143, 158, 160 f., 164 f., 170– 173, 188, 229, 233 f. Existenz 13, 18, 40, 163, 167, 189, 205, 212 f., 238, 241– 247, 249 Faßlichkeit, faßlich 25 f., 46, 54, 81, 243 Fassungskraft 175 Fertigkeit 35, 79, 84 f., 87 f., 136 Form 92, 173, 197 Formales der Erkenntnis 150 f., 162–164, 173 f., 188, 199, 204 Freiheit 19, 21, 53, 61–64, 76, 81, 186, 198 Gedanke 36 f., 43, 46 f., 94– 100, 113 f., 127, 129–131, 135, 138, 143, 145, 157, 164, 168, 177, 181, 183, 190, 193, 195, 202 f., 206–209, 211–214, 226, 233 f., 237, 246 f., 257 Gefühl 85, 100 f., 104, 110, 113, 115–118, 124, 127, 173, 217, 250 Gegenstand 15, 27 f., 38, 40 f., 43, 49, 65, 76, 94, 99–102, 104, 115, 124 f., 127, 132 f., 135, 140 f., 144, 147 f., 149, 151, 155, 157 f., 162 f., 174– 176, 185, 191 f., 202, 207 f., 236 f., 249–251, 261, 265 Gemeinsinn 169 f. Geometrie, geometrisch 25– 31, 36–38, 44–46, 50, 55 f., 64, 74, 76, 80, 83, 137, 153, 159, 165–167, 171, 181, 195
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Sachregister
Geschmack 23, 85, 101, 127 Gesetz der Natur 104 f., 110 f., 132–134, 138 f., 163, 175, 219 Gewissen 84 Gewißheit, gewiß 3, 5–12, 14– 21, 25 f., 31 f., 38–41, 46, 50, 53–55, 62 f., 67 f., 70 f., 81–84, 86, 89, 97, 101, 106, 108–112, 124, 126 f., 142, 159, 165, 233, 239, 266 Gewohnheit 87 f., 118, 124 f., 260 Glückseligkeit 3, 48, 52, 82 f., 87, 106, 155–160, 213 f., 222, 224, 228 Gott, Gottheit 13, 18, 20 f., 51 f., 54–56, 61 f., 64–67, 69– 71, 73, 76–81, 88, 91 f., 147 f., 155–158, 164–166, 168–170, 172, 182 f., 186 f., 190–194, 204–215, 217–221, 225–227, 229, 232, 240, 242, 247, 249 f. Gottesbeweis 69, 170, 172, 182, 229, 239 Größe 27, 32–37, 42–44, 195 Grund 4–7, 12–14, 18–20, 23, 41, 55, 57 f., 60–67, 69 f., 74– 77, 86 f., 98 f., 101–112, 116, 120, 124, 142–146, 156–158, 162–165, 174, 176, 179 f., 182–186, 188 f., 246, 257, 259 Gute 55, 63 f., 75, 79, 84 f., 149–151, 155, 157 f., 162 f., 198 f., 208, 214 Güte 147, 163, 174, 185, 187– 189, 198, 204 f., 213, 248 f.
Harmonie 16, 65, 81, 89, 138 f., 192, 219, 227 f., 238, 255 Häßlichkeit, Häßliches 76 f., 85, 149–151 Hypothese 11, 18, 111 f. Idealexistenz 237, 240, 243 Idealist 39, 41, 56, 143 f., 146, 148, 168–172, 174 f., 192 Induktion 12, 101, 104–107, 115, 117 f., 120, 124, 134, 142 Interesse 134–136, 138–140 Irrtum 94 , 114 f., 119 f., 122, 125–127, 131, 143, 161 f., 193–199, 208, 223 f. Kausalität 138, 179 Kausalitätsverbindung 105, 110 f., 118, 120, 133 f., 139 Kunst 24, 53, 87, 118, 149 Lebhaftigkeit, lebhaft 42, 71, 85, 87–89, 97, 103 f., 136, 138–140 Logik 44, 97, 100 f., 111, 126 Lust 76, 113, 118, 125, 128 f., 149 f., 198 f. Materiales der Erkenntnis 150 f., 162–164, 173 f., 188, 198 f., 204 Materialismus 93 Materie 15, 49, 60, 145 f., 192, 197, 201, 204, 209, 265 Mathematik, Mathematiker, mathematisch 3–8, 16, 24– 27, 29, 31–34, 36, 38–42, 44– 47, 49–51, 53, 56, 74, 78, 82, 86, 89 f., 97, 100 f., 111, 126, 158, 160, 164 f.
Sachregister
Menschensinn, gesunder 132, 137 Menschenverstand, gesunder 119, 133, 168, 171, 178 f., 191, 193, 216, 234 Möglichkeit, Mögliches 27, 30, 32, 38 f., 43, 50 f., 56–58, 64, 66 f., 96, 103, 129, 166, 184, 186, 229, 232, 234–240, 244, 246 Moral 81, 106 f., 214 Nachahmung 24, 118 Naturlehre 24, 51, 101, 227 Nichtsein 49 f., 57, 161 f., 186, 246 Notwendigkeit 43, 178 f., 186 f., 198 f., 229, 232 f., 240 f. –, absolute 62 –, bedingte 62 –, blinde 187 –, moralische 63, 77, 79 –, physikalische 63 –, physische 158, 199 –, sittliche 157 f., 187, 199 Ordnung 23, 47, 70–72, 76 f., 133–138, 140 f., 174 f., 190 f., 205, 219, 253, 257 Pantheismus 193, 203–207, 211–213, 215 f., 223 f., 228 Perspektive 141 f., 144, 146, 175 f., 192, 257 Prädikat 5, 39, 49 f., 57–59, 61–63, 100, 102, 105, 111, 152, 162, 164 f., 167, 173, 175, 177, 183, 188, 190, 207– 209, 230 f., 233, 236–238, 242, 246–248, 261–263
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Qualität 34–36, 42–48, 189, 265 Quantität 20, 31–35, 38 f., 42– 45 Raum, Räumliches 12, 27, 60, 95, 104, 116 f., 138, 151, 163, 181–183, 190 f., 230, 249 f., 251, 255 f., 265 Realexistenz 237, 240, 243 Realität 44, 48, 50, 58, 65, 67– 69, 190, 210 f., 242, 244 Religion 72 f., 92, 160, 203, 214–218, 224, 228 f. Sache 28, 37, 43, 46 f., 51, 57 f., 61, 94, 145, 153–155, 187, 193–197, 199, 201 f., 234, 237–241, 243, 245–250 Satz des Widerspruchs 3, 27, 61, 97 f., 100, 126 Satz des zureichenden Grundes 56, 61, 64, 66, 183 Schein 94, 104, 115, 119 f., 122, 124, 127, 131, 172, 192 Schluß 3, 7 f., 10, 12–16, 26 f., 29, 48, 54–56, 71, 74 f., 82– 85, 89, 95 f., 100 f., 103 f., 113 f., 117 f., 120, 124, 126– 130, 134, 161, 172 f., 204, 232, 238 f. Schlußfehler 115 f., 125, 198 Schönheit 23 f., 32, 45, 52, 70– 72, 76 f., 85, 87, 119, 127, 147, 149, 151, 155, 158, 179, 205 Schwärmerei, schwärmerisch 93, 134, 138, 160, 170, 193, 215 Seele 12, 29–31, 34, 36, 42,
328
Sachregister
46 f., 62, 68, 71, 76, 81, 86 f., 89, 103, 114–116, 118–121, 124 f., 127 f., 131, 133–140, 145–152, 157 f., 160 f., 175, 201, 230 f., 234, 240, 254–256 Seelenlehre 32, 106 f. Sinn 12, 28, 33–36, 38–41, 49–51, 63, 67, 69, 73, 83, 86– 89, 93 f., 99–101, 103 f., 107, 114–117, 121–125, 128, 130, 132, 137, 142, 146, 165–167, 171 f., 178, 192, 208, 210, 230, 232, 240, 245, 251 f., 256 Sinnenbetrug 40 f., 114 f., 121 f., 125, 233 Sinnenschein 114 Sinnentäuschung 99, 119 f., 144, 172, 208 Sinnenwelt 169, 189, 207 Sittenlehre 5, 53, 74, 81 f., 87 f., 216, 224, 228 Sittlichkeit 159, 203 Skeptiker 12, 51, 67, 129, 168, 170 Spekulation, spekulativ 46, 93, 143, 165–167, 170, 224, 228, 247 Subjekt 5, 11, 39, 49–51, 58– 64, 95–100, 102, 105, 111, 130, 132, 141, 143, 152, 162, 164, 167, 171, 173, 176 f., 183, 188–190, 192, 201 f., 206 f., 230–234, 236 f., 242, 248, 253, 261–263 Substanz 16, 99, 124, 144 f., 152, 168, 173, 191–193, 196 f., 200, 202, 204, 206,
208–210, 213 f., 241, 264, 266 f. –, allerhöchste 145 –, denkende 161 –, notwendige 45, 181 –, selbständige 197 –, unendliche 193–195, 197 –, unveränderliche 181 –, veränderliche 181 –, zufällige 45 f. System des vollkommenen Gleichgewichts 198 Täuschung 99, 114–120, 122– 125, 127, 131, 142 f., 145, 153, 161 f., 172, 198, 208, 233, 251, 253, 257 Theologie, natürliche 54–56, 66, 81, 171, 175, 199 Traum 99, 129, 132–134, 136, 139–141, 175, 257 Übung 45, 85, 87 f. Unsterblichkeit 156 f. Urbild 94, 133, 144–148, 175 f., 192, 207 Ursache 4, 11–18, 36, 58 f., 65 f., 71–73, 83, 102 f., 110, 117, 133, 175, 177–187, 200, 219, 231, 237, 257 –, freie 163, 186, 189 –, notwendige 185 f., 189 f. Urteil 8, 12, 33, 69, 75, 86, 95 f., 113, 161 Vergnügen 76, 119, 198 Vermutung, vermuten 4, 14 f., 17, 63, 71, 102 f., 108–110, 115, 117, 142, 153, 170 f., 179 Vermutungsgrund 111
Sachregister
Vernunft 3 f., 8, 10, 12 f., 23, 29, 42, 52, 54, 67, 69, 74, 82– 87, 89, 97, 103–107, 112, 114–116, 118–120, 122, 125, 133, 135, 137 f., 140, 144 f., 153, 156, 165, 168–170, 179, 187, 191, 215 f., 220, 225, 230–232, 240–242, 248 –, gesunde 33 Vernunfterkenntnis 103 f., 106 f., 113, 119 f., 125, 127, 132 f., 135–137, 165, 168, 230 Vernunftreligion 216, 223 Verstand 3, 18, 28, 35 f., 45, 50 f., 54, 64 f., 85–87, 112– 115, 122, 125, 187, 191, 208, 214, 235, 239, 244, 247, 249 –, allerhöchster 143, 161, 182, 244 –, göttlicher 205 f., 207 –, unendlicher 18, 30, 62, 64 f., 235, 239 –, vollkommenster 55 Vollkommenheit 18 f., 24, 32, 34, 48, 54 f., 57, 71, 76–79, 87, 147, 163, 174, 185, 187– 192, 198, 205, 210 f., 225– 228, 238, 241 f., 244, 246, 249 –, anschauliche 210 Vorurteil 51 f., 113, 159 f., 216 f., 219, 223 Wahl 19 f., 76 f., 185–187, 189, 198, 239 Wahrheit 3, 5, 11 f., 17–19, 21, 23, 25–32, 38, 45 f., 49, 51 f., 54 f., 58–61, 64–67, 80–82, 85 f., 88, 92, 94–97, 100 f.,
329
103, 112–114, 120–124, 126, 130 f., 141–146, 150–153, 155–164, 170, 172–177, 181, 183–185, 187, 192, 198 f., 203–205, 207, 211–213, 215– 217, 222–224, 230–232, 234, 238–244, 248–250, 254, 256, 259, 262 f. Wahrheitsgrund 5–9, 11, 18, 20, 82 f., 85, 95, 107, 156, 185, 187–189 Wahrheitssinn 84, 88 Wahrnehmung, Wahrnehmen 103, 106 f., 110, 115, 118, 125, 174 f., 233, 245 Wahrscheinlichkeit 3–21, 62, 70–72, 82–85, 87–89, 101, 107–112, 142 Wesen, abhängiges 196, 229 –, allerhöchstes, höchstes, höheres 16, 18, 48, 56, 66–69, 72, 79, 143, 157 f., 176, 208, 249 –, denkendes 97–99, 143 f., 146, 148, 152, 161 f., 167, 192, 199, 202, 206, 209, 234 f., 237–239, 243, 246– 249, 253, 265 –, einfaches 49, 147, 227 –, eingeschränktes 95, 143, 190, 208–212, 238, 243 –, endliches 194, 196, 200, 202, 213, 243 –, freies, freiwilliges 20, 76 f., 79–81 –, geistiges 147, 266 –, göttliches 193, 218
330
–, –, –, –,
Sachregister
idealisches 164, 166 f., 240 materielles 145 f., 202 moralisches 228 notwendiges 45 f., 49–51, 55 f., 61, 66 f., 165–167, 172, 180–187, 189, 194, 196, 204 f., 229, 232, 240–243, 245, 247–249 –, selbständiges 61, 190 f., 196 –, unabhängiges 196, 229, 232, 240 –, unendliches 167, 196, 200, 203, 218, 247 –, unveränderliches 97, 167, 172, 174, 187 –, veränderliches 97, 167, 172, 180 –, vernünftiges 62, 71, 198, 248 –, verständiges 161 –, vollkommenes, vollkommeneres, vollkommenstes, allervollkommenstes 13, 18, 57–59, 210, 225, 240–242, 245 f., 248, 266 f. –, zufälliges 67, 97, 183–185, 189, 194, 196, 205, 207 f., 229, 231, 234 f., 246, 249, 256 Wirklichkeit, Wirkliches, wirk-
lich 32, 38–40, 43, 45, 49– 51, 55–61, 64, 66, 68, 93, 95, 97–101, 104, 106 f., 109, 112, 114, 118–120, 122–125, 129– 131, 135, 138–145, 151–153, 155, 158, 161–167, 170–175, 177, 180–185, 188 f., 193 f., 196, 202, 205–209, 211–213, 226, 229, 231 f., 234–250, 255 f., 265 Wirkung 4, 11–13, 15 f., 30, 36, 65, 71–73, 83, 102 f., 110, 117, 133, 175, 177, 180–182, 194, 200, 214, 219 Zeichen 36 f., 46 f., 94, 115, 118 f., 128 f., 252, 254, 261 Zeit 12–14, 16, 31 f., 84, 95, 97, 101, 133, 138, 151, 163, 173 f., 177, 181–183, 188– 191, 213, 230, 249 f., 256 f., 265 Zergliederung, Zergliedern 27–29, 31, 33–35, 39, 45, 48, 88, 96 f., 164 f., 245 Zufall, Zufälliges, Zufälligkeit 14 f., 17, 41, 43–45, 50, 57, 66 f., 83 f., 108 f., 112, 177–179, 182–184, 189, 229, 232, 246, 249