Metaphertheorien: Typologie - Darstellung - Bibliographie 9783110896459, 9783110183313

The de Gruyter lexicon Metaphor Theories provides a comprehensive introduction to the concept of metaphor, a compendium-

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Table of contents :
Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien
0 Zur Klassifikation der Metaphertheorien
A Semiosische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze
1 Vergleichstheorie der Metapher: Nicht Aristoteles – Cicero ist ein Vertreter dieser Theorie
2 Interaktionstheorie der Metapher: I. A. Richards, Max Black
3 Absurditätstheorie der Metapher: Monroe C. Beardsley, Christian Strub
4 Inhaltverdopplungstheorie der Metapher: Eva Feder Kittay
5 Feldtheorie der Metapher: Walter Porzig, Eugenio Coseriu; Harald Weinrich; Nelson Goodman, Catherine Z. Elgin
6 Analogietheorie der Metapher: Aristoteles; Hans Georg Coenen
7 Anaphertheorie der Metapher: Lynne Tirrell
8 Substitutionstheorie der Metapher: Quintilian; Roman Jakobson; die Lütticher Gruppe μ (Jacques Dubois et al.); Jacques Lacan
B Semiotische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze
9 Sprechakttheorie der Metapher: Ted Cohen
10 Divergenztheorie der Metapher: John R. Searle
11 Prätentionstheorie der Metapher: Colin Murray Turbayne; Paul Grice, Aloysius P. Martinich
12 Sinnauflockerungstheorie der Metapher: Dan Sperber/Deirdre Wilson; Robyn Carston
13 Extensionstheorie der Metapher: Donald Davidson
C Semiotische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze
14 Rekonzeptualisierungstheorie der Metapher: Patti D. Nogales
15 Von der Merkmalstransfer- zur Konzeptionstheorie der Metapher: Samuel R. Levin
16 Kognitionstheorie der Metapher: Earl R. Mac Cormac
17 Paradoxietheorie der Metapher: Paul Ricœur
18 Referenzverdopplungstheorie der Metapher: Sam Glucksberg
19 Intensionstheorie der Metapher: Arthur C. Danto, David E. Wellbery
20 Kontextabhängigkeitstheorie der Metapher: Josef Stern; Michiel Leezenberg
D Semiosische Theorien II: Leistungsbezogene oder funktionale Ansätze
21 Gestalttheorie der Metapher: Karl Bühler
22 Konzeptualisierungstheorie der Metapher: George Lakoff/Mark Johnson, Zoltán Kövecses
23 Epistemologietheorie der Metapher: Hans Blumenberg (ohne Paul de Man)
24 Rationalitätstheorie der Metapher: Bernhard Debatin
25 Emotionstheorie der Metapher: (Jean-Jacques) Rousseau mit (Jacques) Derrida
Weitere Metaphertheorien?
Kernaussagen über die Metapher
Literaturverzeichnis
Namenregister
Anhang
Metaphorologie der generativen Grammatik
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Metaphertheorien: Typologie - Darstellung - Bibliographie
 9783110896459, 9783110183313

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de Gruyter Lexikon Eckard Rolf Metaphertheorien

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Eckard Rolf

Metaphertheorien Typologie Darstellung Bibliographie

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018331-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

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Es gibt verschiedene Arten, wie Theorien miteinander in Konflikt geraten können. Wir kennen den Fall, wo zwei (oder noch mehr) Theoretiker sich streiten, wer von ihnen die richtige Lösung für ein bestimmtes Problem gefunden hat. Im einfachsten Fall hätte einer von ihnen recht und alle übrigen unrecht. In Wirklichkeit ist die Situation natürlich meist lange nicht so übersichtlich: es kommt ziemlich häufig vor, daß jede der vorgeschlagenen Lösungen zum Teil richtig, zum Teil falsch und im übrigen einfach unvollständig oder zu verschwommen ist. An solchen Konflikten ist nichts auszusetzen. Selbst wenn es zu guter Letzt einer Theorie gelungen sein sollte, sämtliche Rivalen aus dem Feld zu schlagen, muß es sich bei der vorausgegangenen Debatte nicht unbedingt um Zeirverschwendung. gehandelt haben. Zumindest dürfte sie die Gründe, die für die erfolgreiche Theorie sprechen, auf die Probe gestellt und dazu beigetragen haben, daß sie jetzt sichtbarer als vorher sind. (Gilbert Ryle, Begriffskonflikte)

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

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Zur Klassifikation der Metaphertheorien

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A

Semiosische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

19

1 2 3 4 5 6 7 8

B

9 10 1l 12 13

C

14 15

Vergleichstheorie der Metapher: Nicht Aristoteles Cicero ist ein Vertreter dieser Theorie Interaktionstheorie der Metapher: I. A. Richards, Max Black Absurditätstheorie der Metapher: Monroe C. Beardsley, Christian Strub Inhaltverdopplungstheorie der Metapher: Eva Feder Kittay Feldtheorie der Metapher: Walter Porzig, Eugenio Coseriu; Harald Weinrich; Nelson Goodman, Catherine Z. Elgin Analogietheorie der Metapher: Aristoteles; Hans Georg Coenen Anaphertheorie der Metapher: Lynne Tirrell Substitutionstheorie der Metapher: Quintilian; Roman Jakobson; die Lütticher Gruppe (Jacques Dubois et al.); Jacques Lacan

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Semiofische Theorien I:

Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

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Sprechakttheorie der Metapher: Ted Cohen Divergenztheorie der Metapher: John R. Searle Prätentionstheorie der Metapher: Colin Murray Turbayne; Paul Grice, Aloysius P. Martinich Sinnauflockerungstheorie der Metapher: Dan Sperber/Deirdre Wilson; Robyn Carston Extensionstheorie der Metapher: Donald Davidson

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Semiorische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze Rekonzeptualisierungstheorie der Metapher: Patti D. Nogales Von der Merkmalstransfer- zur Konzeptionstheorie der Metapher: Samuel R. Levin

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Inhaltsverzeichnis

Kognitionstheorie der Metapher: Earl R. Mac Cormac Paradoxietheorie der Metapher: Paul Ricceur Referenzverdopplungstheorie der Metapher: Sam Glucksberg Intensionstheorie der Metapher: Arthur C. Danto, David E. Wellbery Kontextabhängigkeitstheorie der Metapher: Josef Stern; Michiel Leezenberg

Semiosische Theorien II: Leistungsbezogene oder funktionale Ansätze Gestalttheorie der Metapher: Karl Bühler Konzeptualisierungstheorie der Metapher: George Lakoff/Mark Johnson, Zoltan Kövecses Epistemologietheorie der Metapher: Hans Blumenberg (ohne Paul de Man) Rationalitätstheorie der Metapher: Bernhard Debatin Emotionstheorie der Metapher: (Jean-Jacques) Rousseau mit Qacques) Derrida

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225 227 235 243 259 263

Weitere Metaphertheorien?

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Kernaussagen über die Metapher

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Literaturverzeichnis

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Namenregister

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Anhang Metaphorologie der generativen Grammatik

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Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien Das hier behandelte Thema lautet: ,Metapher//taww»' - um Metaphern geht es dabei erst in zweiter Linie. Was solchen Theorien gemeinsam ist und was sie voneinander unterscheidet, was sie voreinander auszeichnet und was für sie wesentlich ist, genau das wird zu zeigen beabsichtigt. Was sich daraus für die Metapher ergibt, wird gegen Ende herauzustellen sein. Über Metaphern ist schon viel geschrieben worden - so viel, daß Rechtfertigungen wie diejenige Andrew Goatlys, der in The Language of Metaphors die Frage aufwirft: T3ut why another book on metaphor?'1, mittlerweile nicht einmalig sind. Die Metapher ist zu einem .historischen' Gegenstand geworden: Für die Zeit bis 1940 liegt eine sich als Geschichte der Metapher bzw. des Begriffs .Metapher' verstehende Arbeit vor.2 Daß es auch verschiedene Metaphertheorien gibt, ist nicht unbemerkt geblieben. Ein Überblick über die „wichtigsten bisherigen Theorien zur Metapher"3 findet sich in einem Buch aus dem Jahre 1963. Dennoch: Metaphertheorien sind in vollem Umfang noch nie thematisiert und zum Gegenstand einer systematischen Betrachtung erhoben worden. Das hier behandelte Thema ist neu, und die vorliegende Darstellung beansprucht, daß mit Bezug auf sie eine Frage wie diejenige Goatlys deplaziert ist. Nicht wenige der Autoren, die mit der Metapher befaßt sind, vertreten eine mehr oder weniger spezielle Theorie. Manche tun dies explizit, andere implizit. Die einen legen großen Wert auf die Feststellung, daß ihre Ausführungen eine bestimmte Metaphertheorie exemplifizieren; andere lassen diese Frage offen, haben im Hinblick auf ihr Objekt aber trotzdem eine bestimmte Auffassung. Was die geschichtliche Entwicklung betrifft, so ist festzustellen, daß Theorien der Metapher erst nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt in Erscheinung treten. Für die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg ist eine Situation zu reklamieren, wie sie Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft beschrieben hat, wo er hinsichtlich der Logik sagt, daß diese seit Aristoteles „keinen Schritt vorwärts hat tun können"4. Dem Schritt vorwärts, den Kant dann getan hat, entspricht auf dem Gebiet der Metaphertheorien das, was Autoren wie I. A. Richards und Max Black mit ihren Analysevorschlägen erreicht haben, der eine vor, der andere nach dem Zweiten Weltkrieg. Rousseaus Theorie war noch nicht entdeckt, Karl Bühlers .Gestalttheorie der Metapher', obwohl wesentlicher Bestandteil seiner Sprachtheorie, war und ist unbemerkt geblieben. Richards will über Aristoteles hinausgelangen, denn er glaubt diesen für die konstatierten Verzögerungen auf dem Gebiet der Metaphertheorien verantwortlich machen zu können; was 1

Vgl. Goatly (1997), 4. Siehe Stutterheim (1941). 3 Meier (1963), 7. "Kant (1787/1974), B VIII. 1

2

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

Richards nachzuholen versucht, geschieht, wie er selbst hervorhebt, „Aristoteles zum Trotz"5, Nach einer Feststellung Anselm Haverkamps „gibt es keine einheitliche Metaphernforschung und eine Theorie der Metapher nur als Sammelnamen konkurrierender Ansätze"6. Diese Ansätze, heißt es weiter, „lassen sich nicht zu einer übergreifenden Theorie zusammenfassen, sondern bleiben als Teile alternativer Ansätze unvereinbar."7 „Die einzelnen Untersuchungen", betont Wilhelm Koller, „gründen sich auf so unterschiedliche Prämissen und sind von so unterschiedlichen Erkenntnisinteressen geprägt, daß ihre Ergebnisse nicht als gleichermaßen verwendungsfähige Bausteine für eine abschließende Metapherntheorie betrachtet werden können."8 Aus Feststellungen wie diesen hätte die Konsequenz gezogen werden können, das Wort .Theorie', entgegen einer in der Literaturwissenschaft offenbar verbreiteten Denkgewohnheit, in den Plural zu setzen. Diese Konsequenz ist ausgeblieben. Es wird weiterhin von der „Forschungslage zur Metaphemtheorie"9 gesprochen oder von der „Geschichte der Metapherntheorie"10, Metaphertheorie« sind als eigenständiges Thema nicht im Blick. Wenn metaphorisch gesprochen wird: wenn z. B. gesagt wird .Achill ist ein Löwe', ,Männer sind Schweine', ,Die Wiese lacht' oder ,Ich durchwanderte die Hallen meiner Erinnerung' bzw. wenn vom .Buch der Liebe', vom .Venedig des Nordens' von .beißender Kälte' oder schlicht und einfach vom .Augapfel' oder vom .Lebensabend' die Rede ist, dann werden Äußerungen gemacht, die etwas an sich haben, was für erklärungsbedürftig gehalten wird. Was in allen Kultur- und sämtlichen Naturwissenschaften zu beobachten ist, gilt auch für Erklärungen der Metaphorizität: sie greifen auf als bekannt Vorausgesetztes zurück. Es werden Vergleichsobjekte benannt, Ähnlichkeiten und Unterschiede aufgezeigt, es werden Begriffe und deren Differenzen ins Spiel gebracht. Die Vergleichsobjekte sind zum Teil rhetorischer Art, die in Anspruch genommenen Beschreibungsmittel zumeist selbst metaphorisch. Bemerkungen, denen zufolge die Metapher eine Affäre sei zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit und einem Gegenstand, der sich unter Protest hingibt11, sind nicht singular. Die Metapher ist beispielsweise mit dem Vergleich und der Ironie verglichen oder mit indirekten Sprechakfen auf eine Ebene gestellt worden; sie ist in Beziehung gesetzt worden zu Anaphern, Synekdochen, definiten Kennzeichnungen und indexikalischen Ausdrücken. Man hat sich auch nicht gescheut, die Metapher mit dem Vorbringn von Lügen in Zusammenhang zu bringen. Sie ist aber auch mit dem Phänomen der 5

Richards ([1936]/1983), 35. Haverkamp (1983), 2. 7 Ebd. 8 Koller (1975), l. ' Debatin (1995), 2. 10 Beckmann (2001), 2. 11 Vgl. Goodman (1995), 74. 6

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

3

Substitution in Verbindung gebracht worden, und man hat den Begriff der Interaktion auf sie angewandt. Der Rückgriff auf Metaphern bei der Verwirklichung der Absicht, darzulegen, was eine Metapher ist, zeigt sich schon im Kontext ihrer ersten einschlägigen Thematisierung: Er läßt sich bereits bei Aristoteles beobachten, mit Bezug auf den versucht worden ist, "to explain his own heavy reliance on metaphor in his account of raetaphora."12 Max Black, der sich für die Interaktionstheorie der Metapher stark gemacht hat, sagt über die Anwendung des Interaktionsbegriffs: „Von der »Interaktion* zweier .zusammenwirkender' Vorstellungen zu sprechen (oder auch von ihrer .wechselseitigen Erhellung' oder .Kooperation*) [...] heißt selbst eine Metapher gebrauchen [...]"13. Er fügt sogleich hinzu: „Ich habe nichts gegen den Gebrauch von Metaphern (sofern sie gut sind) innerhalb einer Metapherndiskussion."14 Anselm Haverkamp stellt generalisierend über den Begriff .Metapher' fest: „Es gehört zu den Paradoxien dieses Begriffs schon im Ansatz, daß die Metapher den Begriff ihrer selbst nicht begrifflich, sondern selbst nur metaphorisch fassen kann"15. Wenn also auch über die Metapher nur unter Zuhilfenahme anderer Metaphern und mit Hilfe von Vergleichen gesprochen werden kann, dann ist der Eindruck des Zirkulären unvermeidbar: Bei der Erklärung wird gewissermaßen vorausgesetzt und bereits nutzbar zu machen versucht, was erklärt werden soll. Dagegen aufzubegehren wird wenig Sinn haben. Da die Anstrengung, aus einem Zirkel herauszukommen, vergeblich zu sein scheint, mag angesagt sein, einer hermeneutischen Empfehlung zu folgen, nach der es darauf ankommen soll, richtig in den Zirkel hineinzukommen. Metaphorisches Sprechen mag .uneigentlich' sein, es mag so etwas wie einen Jargon der L/eeigentlichkeit' konstituieren; doch seiner vermeintlichen Fragwürdigkeit zum Trotz ermöglicht es - .rationale'10 - Vorgriffe, und das ist eine seiner wesentlichen Leistungen. Die verschiedenen Metaphertheorien ähneln in noch einer weiteren Hinsicht Theorien anderer Art. Sie weisen ein prätheoretisches Moment auf, ein Merkmal, das von Seiten der Metaphorologie hervorgehoben wird. Die Metaphorologie zielt darauf ab, Sachverhaltsthematisierungen begleitende Gegnstandsvorstellungen explizit zu machen. Die den Sachverhaltsthematisierungen impliziten Gegenstandsvorstellungen bleiben gewöhnlich selbst unthematisiert, stehen gewissermaßen jenseits von wahr und falsch"^1 Die Metaphorologie betrachtet es als ihre Hauptaufgabe, sie zu explizieren.

1Z

Ltoyd (1996), 205. Black ([1954J/1983), 70. 14 Ebd. 15 Haverkamp (1996), 500. «« Vgl. Debatin (1995), 9. 17 Camap (1966), 57. 13

4

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

Auch Metaphertheoretiker haben Gegenstandsvorstellungen, auch in die von ihnen vorgenommenen Sachverhaltsthematisierungen - in die Aussagen, die sie zum Thema .Metapher' machen - gehen in der Regel implizit bleibende Vorstellungen über deren Natur ein. Wie vielschichtig, detailliert, differenziert und ausgeklügelt die jeweiligen Ausführungen sein mögen: der eine Theoretiker setzt implizit voraus, (a) die Metapher sei ein einzelner Ausdruck: das Prädikat eines Satzes, welches eben im übertragenen Sinne gebraucht werde; der andere Theoretiker setzt voraus, (b) eine Metapher wie etwa ,Der Mensch ist ein Wolf sei %veigliedrig, bestehe aus der Verknüpfung von Vehikel (,Wolf oder ,ist ein Wolf) und Thema (,tenor', .topic*); wiederum andere - und zu diesen würde (ausgerechnet) Aristoteles gezählt werden - könnten zumindest so verstanden werden, als seien sie der Auffassung, (c) die Metapher sei ein Vorgang, der Vorgang der Übertragung eines Wortes auf einen ungewöhnlichen Anwendungsbereich; in diesem Fall wäre die Metapher so etwas wie die Prädikation (im Unterschied zum Prädikat). Daß auch eine Auffassung wie die letztere möglich ist, könnte mit der „Doppeldeutigkeit gewisser Verbalabstrakta (in Verbindung gebracht werden], zu denen die Termini und die zentralen Ausdrücke der Definitionen gehören (rnetaphora, translatio, mutatio, Übertragung, transference, etc.): Sie bedeuten primär einen .Vorgang' und sekundär sein .Ergebnis'."18 Was das Thema .Metaphertheorien' betrifft, so ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten wie hinsichtlich des Themas .Bedeutungstheorien': Von verschiedenen Autoren werden Geschichten erzählt, und bei näherem Hinsehen stellt man fest, daß es im Grunde genommen mehr oder weniger ein und dieselbe Geschichte ist, die von den verschiedenen Autoren vorgetragen wird. Beim Thema .Bedeutungstheorien' besagt die erzählte Geschichte, es gebe im wesentlichen vier verschiedene Theorien dieser Art: die Vorstellungstheorie, die Referenztheorie, die behaviouristische Theorie und die Gebrauchstheorie der Bedeutung.19 Beim Thema .Metaphertheorien' wird zumeist nur von drei Theorien gesprochen: von der Vergleichstheorie, der Substitutionstheorie und der Interaktionstheorie der Metapher.20 Weitere Theorien werden lediglich benannt, selten behandelt.21 Es scheint an der Zeit zu sein, eine neue Geschichte zu erzählen — oder zumindest über die bisher erzählte hinauszugelangen. Was bei einem derartigen Versuch herauskommen mag, muß nicht sogleich als spektakulär empfunden werden. Doch wenn, wie hier, beispielsweise von der Inlensionstheorie der Metapher gesprochen wird oder von der Extensionstheorie, der Analogietheorie, der Anaphertheorie, der Kon^eptionstheorie, der Prätentionstheorie, der Oivergen^theorie, der Paradoxietheorie, der Absurditätstheorie, der Sinnauflockerungstheorie, der Kon^eptualisierungstheorie, der Rekonsgpiuatisierungstheorie, der Kontexiabhängigkeitstheorie, der Gestalttheorie oder der Sprech» Lieb (1977/1983), 244, Anm. 10. 19 Vgl. da2u Aiston (1964), lOff. 20 Vgl. Kurz (1997), 7ff. 21 Siehe Schlußbemerkung.

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

5

akttheorie der Metapher, dann sind damit zumeist spezielle Sichtweisen verbunden, die in dieser Form bisher noch nicht eingenommen worden sind. Was z. B. die .Feldtheorie der Metapher' anbelangt, so wird mit dieser Bezeichnung zunächst auf Ansätze Bezug genommen, die dem Bereich der Wortfeldtheorie zuzuordnen sind; warum aber die vielleicht eher zu erwartende Bezeichnung ,Wortfeldtheorie der Metapher' vermieden wird, bleibt darzulegen. Ebenso ist z. B. zu beachten, daß die Bezeichnung .Sprechakttheorie der Metapher' hier am ehesten so verwendet wird wie bei Roger M. White, der u. a. zur Charakterisierung der Theorie Ted Cohens von „'Speech act' theories of metaphor"22 spricht. Diese Bezeichnung sollte jedenfalls nicht für Searles Metaphertheorie verwendet werden. Diese wird hier .Divergenztheorie' genannt; gemeint ist die Divergenz zwischen Sagen und Meinen, die für Searles Überlegungen entscheidend ist. In Gestalt der hier verwendeten Bezeichnungen und der hinter ihnen hervortretenden Beschreibungen wird, das dürfte zu Recht behauptet werden können, mit einer neuen Geschichte begonnen, mit einer Geschichte, die neuartige Einblicke in und Ausblicke auf den gewählten Gegenstandsbereich ermöglichen soll. Als Karl Bühler seiner Sprachtheorie seine Ausdruckstheorie vorausschickte, um deren System an der Geschichte aufzuzeigen, sprach er von der .Respirationstheorie der Mimik', der .Aktionstheorie der Pantomimik' und von der .Gleichnistheorie des Ausdruckes'. Bühler äußerte sich dabei in einer Weise, die auf das vorliegende Unternehmen übertragen werden kann. Er sagte: Die Geschichte der Ausdruckstheorie, welche hier entworfen wird, bemüht sich weder darum, Abhängigkeiten nachzuweisen, noch um das allgemeingeschichtliche Ziel, die ein/einen Systeme aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Sondern sie fordert dazu auf, das Konzept der wenigen, die etwas Neues zu sagen hatten, noch einmal durchzudenken, um nichts anderes als dies Neue an der Wurzel aufzudecken. Was mir vorschwebt, ist eine an der Sache selbst orientierte Dogmengeschichte der Ausdruckslehre. Wir erfinden eigene Kennworte, welche die Autoren selbst nicht gebrauchten, um ausgerechnet das in ihren Werken zu treffen und in unsere Betrachtung in den Mittelpunkt zu stellen, was uns einer Rezeption, einer Renaissance in unserer Zeit und zur Förderung der eigenen Forschungsproblme wert und dienlich erscheint.23

In der vorliegenden Untersuchung werden 25 Metaphertheorien in ihren Grundzügen charakterisiert. Drei davon, die Vergleichs-, die Interaktions- und die Substitutionstheorie, sind aus der Literatur zur Metapher namentlich bekannt, von den anderen 22 Theorien ist, zumindest in dem hier intendierten Sinn oder aus der hier eingenommenen Perspektive, bisher so gut wie noch nie die Rede gewesen. Ein Theorieniwg/«fl& wird hier nicht beabsichtigt. Es geht in erster Linie um eine Neubeschreibung von Älterem und eine Erstbeschreibung von Neuerem. J»/nrtheoretische Probleme und /»/irtheoretische Zusammenhänge stehen im Vordergrund. Ein großer Vorteil der vorliegenden Untersuchung wird in dem

» White (1996), 167. » Bühler (1933/21968), 3f.

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Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

Umstand erblickt, daß ihr keine ,eigene' Metaphertheorie zugrundeliegt. Es gibt mithin keinen Abgrenzungsbedarf: Die behandelten Theorien können mit der ihnen gebührenden Sympathie besprochen werden, sie müssen nicht schon deshalb kritisiert werden, weil es die Theorien anderer sind. Die dabei freigesetzte kritische Energie kann anders verwandt werden: z. B. zur Aufdeckung grundsätzlicher Fehleinschätzungen. Ein Metaphertheoretiker, jemand, der zumindest implizit eine bestimmte Auffassung von seinem Gegenstand hat, im Hinblick auf diesen eine bestimmte Stchtweise einnimmt, ist im Sinne Luhmanns ein Beobachter. Auch ein Beobachter kann beobachtet werden. Es handelt sich dann um eine Beobachtung zweiter Ordnung. Dabei gilt, daß man einen Beobachter dann und nur dann beobachten kann, „wenn man darauf achtet, welche Unterscheidungen er verwendet."2* Die Beachtung dieses Umstands, die Einnahme eines Beobachterstandpunkts zweiter Ordnung bezüglich der fokussierten Metaphertheoretiker betrachtet es als ihre vordringliche Aufgabe, die begrifflichen Unterscheidungen zu benennen, mit denen diese ihren Gegenstand zu charakterisieren versuchen. Das heißt, es geht nicht primär um Sachbezüge, sondern darum aufzuzeigen, wie die beobachtete bzw. beschriebene Sache beobachtet (beschrieben) wird. Gefragt wird, mit Hilfe welcher begrifflichen Unterscheidungen gearbeitet wird bzw. welche Vergleichsobjekte ins Spiel gebracht, welche Gemeinsamkeiten herausgestellt und welche Unterschiede hervorgehoben werden. Um einen ersten Eindruck von den zu beobachtenden Beschreibungsmitteln zu geben, hier die folgende Auflistung: Von Aristoteles über Cicero bis zu Quintilian ist es die Metapher selbst, die die eine Seite einer in Anschlag gebrachten Unterscheidung darstellt: die Metapher steht auf der einen Seite der Unterscheidung, auf deren Gegenseite der .Vergleich' bzw. das .Gleichnis' in Erscheinung tritt. Der Literaturwissenschaftler I. A. Richards beschreibt (bzw. beobachtet) die Metapher mit Hilfe der Unterscheidung ,tenor/vehicle'. Max Black greift auf die Unterscheidung .focus/frame' zurück. Monroe C. Beardsley unterscheidet zwischen einem Ansatz vom Objekt her' und einem ^Ansatz vom Wort her'. — Eva Feder Kittay unterscheidet zwischen ,topic' und »meaning*. Eugenio Coseriu beruft sich auf den vom Strukturalismus inaugurierten Unterschied zwischen dem .Paradigmatischen' und dem .Syntagmatischen'. Harald Weinrich spricht von .Bildspender' und .Bildempfänger'. Nelson Goodman und Catherine Elgin bringen ihre Unterscheidung zwischen .Schema* und .Sphäre' ins Spiel. Hans Georg Coenen rekurriert auf die Unterscheidung zwischen trivialer und nichttrivialer Analogie. Lynne Tirrell vergleicht die Metapher mit der Anapher.

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Luhmann (1990), 86.

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

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Der Hauptvertreter des Prager Strukturalismus, Roman Jakobson, und der Pariser Psychoanalytiker Jacques Lacan thematisieren den Unterschied zwischen der Metapher und der Metonymie. Die Mitglieder der Lütticher Gruppe (Jacques Dubois et al.) reduzieren die Metapher auf das Zusammenwirken zweier Synekdochen. Ted Cohen beschreibt die Metapher unter Bezug auf die Differenz .Illokution/Perlokution'. John R. Searle vergleicht die Metapher mit dem indirekten Sprechakt. Colin Murray Turbayne unterscheidet die Ingebrauchnahme einer Metapher (.Using Metaphor*) vom Instrumentalisiert-werden durch sie (.Being Used by Metaphor*) (letzteres geschieht, wenn man sie wörtlich nimmt). Paul Grice vergleicht die Metapher mit der Ironie. Deirdre Wilson und Dan Sperber relativieren eine Dichotomic: die zwischen dem Wörtlichen und dem Metaphorischen. — Donald Davidson setzt sie zum Vorbringen einer Lüge in Beziehung. Patti D. Nogales und Michiel Leezenberg beziehen sich auf die .Semantik/Pragmatik-Schnittstelle'. Samuel R. Levin unterscheidet die .Adjunktion' von der .Verdrängung* transferierter Bedeutungs-Merkmale. Earl R. Mac Cormac beruft sich im Anschluß an Philip Wheelwright auf die Unterscheidung .Epipher/Diapher*. Sam Glucksberg bezieht sich auf .untergeordnete* und .übergeordnete* Kategorien. Paul Ricceur macht essentiellen Gebrauch von dem Unterschied zwischen dem .Semiotischen* und dem .Semantischen*. Arthur C. Danto zieht Zitat- und Modalitätskontexte zum Vergleich heran. - Josef Stern überträgt David Kaplans Distinktion zwischen .character* und .content' auf den metaphorischen Bereich. Karl Bühler sieht die Metapher in einem Zusammenhang mit Undverbindungen und dem Kompositum. — George Lakoff und Mark Johnson setzen Quell- und Zielbereiche konzeptueller Metaphern ins Verhältnis. Hans Blumenberg wählt die Unterscheidung zwischen mythischen .Restbeständen' und logoszentrierten .Grundbeständen* philosophischer Sprache zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen über die .absolute* Metapher. — Bernhard Debatin orientiert sich an Habermas' Geltungsansprüchen der . Rede und unterscheidet dementsprechend drei Metapherfunktionen. — Jean-Jacques Rousseau unterscheidet zwischen einer ursprünglichen, emotionsbedingten Uneigentlichkeit der Sprache und erst später zutage tretender rationaler Eigentlichkeit. In all diesen Unterscheidungen manifestieren sich ganz unterschiedliche dieoretische Herangehensweisen an das zu beschreibende Phänomen. Diese Theorie-

8

Einleitung: Zur Geschichte der Metaphertheorien

Unterschiede mitsamt ihren Implikationen aufzudecken, das wird hier als vordringliche Aufgabe empfunden. Die Geschichte der Metaphertheorien, um die es hier geht, wird nicht streng chronologisch erzählt (wie es sich für eine Geschichte, die interessant sein soll, gehört). Sie will auf bestimmte Pointen nicht verzichten, favorisiert sachliche gegenüber rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhängen und orientiert sich in erster Linie an klassifikatorischen Gesichtspunkten. Wenn dabei z. B. über semantische und über pragmatische Ansätze gesprochen wird, dies aber in umgekehrter Reihenfolge geschieht, dann ist das Ausdruck dafür, daß die semantischen Theorien Substantielleres über die Metapher zu sagen haben als die pragmatischen.

0

Zur Klassifikation der Metaphertheorien

Was die Klassifikation der Metaphertheorien betrifft, so läßt sich zunächst feststellen, daß es einer verbreiteten Lehrmeinung zufolge zumindest zwei vergleichsweise einflußreiche Theorien dieser Art gibt: die Kfrg/ewArtheorie und die Interaktionstheone. der Metapher. Diese Auffassung jedenfalls vertritt John Searle, der in seinem Aufsatz Metapher unter der Überschrift „Einige verbreitete Irrtümer über Metaphern" sagt: Bevor ich versuche, eine Theorie der Metapher skizzenhaft zu entwerfen, will ich in diesem und dem nächsten Abschnitt kurz die umgekehrte Richtung einschlagen und ein paar vorhandene Theorien untersuchen. Grob gesagt lassen sich Theorien der Metapher von Aristoteles bis zur Gegenwart in zwei Gruppen einteilen. Vergleichstheorien behaupten, daß metaphorische Äußerungen einen Vergleich oder eine Ähnlichkeit zwischen zwei oder mehr Gegenständen enthalten (z. B. Aristoteles; Henle, 1965); und Theorien semantischer Wechselwirkung [semantic interaction] behaupten, daß bei Metaphern ein sprachlicher Gegensat^ (Beardsley, 1962) oder Wechselwirkung [interaction} (Black, 1962 [= 1954]) zwischen zwei semantischen Gehalten im Spiel ist, und zwar zwischen dem des metaphorisch verwandten Ausdrucks um dem des umgebenden wörtlichen Kontextes.1

Diese Bestimmung enthält zum einen die Annahme, Aristoteles sei ein Vertreter der Vergleichstheorie der Metapher; zum anderen zeigt sich, daß Searle die Ansätze von Monroe C. Beardsley und Max Black als zwei Versionen ein und derselben Theorie ansieht. Beides ist, wie sich zeigen wird, unzutreffend. Searle beruft sich mit seiner Klassifikationsthese auf Beardsley, indem er in Gestalt einer Anmerkung sagt: „Ich folge in dieser Einteilung Beardsley (1962)."2 Beardsley unterscheidet in seinem Aufsatz von 1962 zwar zwei Ansätze zur Beschreibung der Metapher. Er selbst aber hat schon 1958, wie sogleich dargelegt werden wird, eine weitaus differenziertere Klassifikation vorgestellt. Es verhält sich jedenfalls nicht so, daß Beardsley (1958 oder) 1962 gesagt hätte, (die) Theorien der Metapher von Aristoteles bis zur Gegenwart ließen sich in zwei Gruppen einteilen. Letzteres ist Searles These (nicht Beardsleys). Von den beiden erwähnten Theorien wird gelegentlich auch noch eine dritte unterschieden: die Substitulionsuieone. der Metapher. Sie wird allerdings zumeist stiefmütterlich behandelt, so daß Desinteresse und Unklarheit vorherrschend sind. Es ist weder klar, wer diese Theorie vertritt, noch was sie eigentlich alles beinhaltet.3 1954 unterscheidet Max Black zunächst „eine Substifutionstheorie der Metapher [a Substitution view of metaphor]"4 von der „Vergleichstheorie der Metapher

1

Searle (1982a), 107. Ebd., 208. 3 Siehe dazu jetzt aber den Abschnitt über die Substilutionstheorie der Metapher. 4 Black [1954J/1983, 61. z

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Zur Klassifikation der Metaphertheorien

[a comparison view of metaphor]"5, um diesen beiden Theorien dann in Gestalt der „Interaktionstheorie der Metapher [...] ^interaction view of metaphor]"0 eine Auffassung entgegenzusetzen, die ihm frei zu sein scheint von den Hauptschwächen der beiden anderen Theorien. Winfried Nöth spricht in der zweiten Auflage seines Handbuchs der Semiotik zudem von einer Kognitiottsuieone der Metapher.7 Zu den wichtigsten Vertretern dieser Richtung rechnet Nöth Lakoff/Johnson. Eine solche Zuordnung verdankt sich einer vergleichsweise unspezifischen Vorstellung von dem, was Kognitionstheorie der Metapher heißen soll. Wie in den entsprechenden Abschnitten der vorliegenden Untersuchung erörtert, ist als Vertreter einer Kognitionstheorie der Metapher ein anderer Autor (Mac Cormac) anzusehen; die von Lakoff/Johnson erstmals in Metaphors we live by vertretene Auffassung aber ist speziellerer Art: sie wird hier als Kon^eptuaasierungsuieoae der Metapher bezeichnet. In klassiftkatorischer Absicht haben sich zum Thema .Metaphertheorien' außer Max Black bisher nur wenige andere Autoren geäußert: Zu nennen sind Monroe C. Beardsley und Israel Scheffler (I), J.J.A. Mooij8 und F. A. Andersmit/JJ.A. Mooij9 (II), Robert M. White10 (III) und Michiel Leezenberg11 (IV). Keiner dieser vier Klassifikationsvorschläge rechnet mit Metaphertheorien der Art und in der Vielfalt, wie sie hier ins Auge gefaßt ist. Bevor eine dieser Theorienvielfalt angemessene Klassifikation dargeboten wird, sollen die erwähnten vier Klassifikationsvorschläge in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Eine detaillierte Auseinandersetzung wird nicht beabsichtigt; punktuelle Kritik ruft allerdings an dem Vorschlag Leezenbergs hervor. (I) Beardsleys Klassifikation von Metaphertheorien aus dem Jahre 1958 umfaßt vier Theorien dieser Art. Was Autoren anbelangt, die diese Theorien vertreten, so sagt Beardsley: "It is hard to find clear-cut examples of writers who defend one or the other of these views, and perhaps that does not matter."12 Letzterem dürfte zuzustimmen sein, (i) Beardsley spricht zunächst von der .emotiven' Theorie, (ii) Die zweite der von ihm unterschiedenen Theorien nennt er ,Supervenienztheorie'. (iii) Beardsley erwähnt drittens die .literalistische' Theorie [,the Literalist theory*], (iv) Als vierte Theorie führt Beardsley die sogenannte ,Controversion theory' an.

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Ebd., 66. Ebd., 68. 7 Vgl. Nöth (2000), 344. • Vgl. Mooij (1976), 29ff. ' Vgl. Ankersmit/Mooij (1993), Iff. 10 Vgl. White (1996), 163ff. 11 Vgl. Leezenberg (2001), 9ff. sowie 69ff «Beardsley (1958), 134. 4

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Diesen vier Metaphertheorien fugt Israel Scheffler noch zwei weitere hinzu: (v) die ,interaktionale' und (vi) die .kontextuale' Theorie der Metapher.13 Unter Berücksichtigung der bei Scheffler zu findenden Ausführungen lassen sich die folgenden Charakterisierungen dieser insgesamt sechs Theorien geben:14 Ad (i): Der emotive Ansatz betont den vermeintlichen Umstand, daß eine Metapher in der Lage sei, Gefühle hervorzurufen — im Unterschied zur Übermittlung von Informationen.15 In seiner Extremform besteht dieser Ansatz in der Annahme, daß metaphorischen Ausdrücken jeglicher kognitive Gehalt abzusprechen sei, "that they serve not as referential but rather as affective devices only."16 Einer moderateren Version zufolge wird der Metapher ein kognitiver Gehalt zwar zugestanden, es wird aber angenommen, daß der emotive Gehalt der entscheidende ist. In seiner mildesten Version gestattet der emotive Ansatz die Annahme, daß Metaphern den kognitiven Ressourcen einer Sprache etwas hinzufugen, es wird aber darauf insistiert, daß die emotive Rolle der Metaphern von vordringlicher Wichtigkeit sei.17 Was immer es mit diesem Ansatz und seinen Varianten auf sich haben mag - an dieser Stelle sei lediglich auf die Metaphertheorie Rousseaus (und deren Besprechung bei Derrida) hingewiesen.18 Ad (ii): Die .Supervenienztheorie' geht von der Beobachtung aus, daß eine Metapher imstande ist, Bedeutungen zu übermitteln, die von wortwörtlicher Sprache nicht übermittelt werden können ("that poetic language, and metaphor in particular, is capable of conveying meanings that literal language cannot convey"19). Beardsley behauptet: "[T]he meaning of a metaphor does not grow out of the literal meanings of its parts"20. Die Metapher .übersteigt' die wörtlichen Bedeutungen ihrer Konstituenten. Deswegen spricht Beardsley auch von .Supervenienz'. Er erblickt darin eine positive Eigenschaft. Scheffler hingegen scheint eine eher negative Eigenschaft dieser Theorie im Auge zu haben. Er bezeichnet sie als ,intuitionistisch' und charakterisiert sie mit Hilfe der Bemerkung: "[MJetaphorical meaning cannot be derived by formula from analysis of literal constituents".21 Der Ausdruck ,by formula', den Scheffler ins Spiel bringt, ist insofern von Wichtigkeit, als für einen der anderen sechs Ansätze (den dritten) die Annahme, daß es solch eine Formel doch gibt, gerade charakteristisch zu sein scheint. Ad (iii): Die ,literalistische' Theorie entspricht der Vergleichstheorie der Metapher. Diesem Ansatz zufolge sind Metaphern als implizite Vergleiche anzuse13

Auf die Paul Henle und seinen Mitarbeitern zugeschriebene „Theorie der ikonischen Signifikanz" (Beardsley [1962]/1983, 125) sei hier lediglich hingewiesen.Vgl. auch Beardsley (1967), 285. 14 Vgl. Scheffler (1979), 83ff. Vgl. dazu auch Kittay (1987), 178ff. 15 Vgl. Scheffler (1979), 87. " Ebd., 88. 17 Vgl. ebd. lg Siehe dazu den Abschnitt über die Emotionsthtorit der Metapher. 19 Beardsley (1958), 135. 20 Ebd. » Scheffler (1979), 82.

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hen. ("The Litetalist Theory [...] holds that metaphors are elliptical similes."22) Diese Theorie bezeichnet Scheffler als .formulaic'. Der so bezeichnete Ansatz besagt im Unterschied zu den beiden anderen Ansätzen, daß es eine Formel gibt, welche die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke in wörtlichen Termen spezifizieren kann.23 Nach einer solchen Theorie hängt die Interpretation einer Metapher an der Möglichkeit, eine Formulierung anzuführen, die den Vergleich in expliziter Form ausdrückt. Ad (iv): Die ,Controversion Theory' ist die von Beardsley vertretene.24 Scheffler bezeichnet sie als ,intensionaT. Nach dem intensionalen Ansatz25 ist es die Intension des Prädikats, sind es bestimmte der mit einem Prädikat .verknüpften' Eigenschaften, die bei der Interpretation einer metaphorischen Äußerung eine Rolle spielen. Der intensionale Ansatz macht Gebrauch von der dreiteiligen zeichentheoretischen Unterscheidung zwischen dem Denotat, dem Designat und den Konnotationen eines Ausdrucks: Die Interpretation einer metaphorischen Äußerung hängt dann vom .konnotativen' Sinn des metaphorisch verwendeten Ausdrucks ab. Ad (v): Die Konnotationen eines Terms sind auch im interaktionalen Ansatz von großer Wichtigkeit.26 Nach Scheffler verhält es sich allerdings so, daß dieser Ansatz einen engeren Begriff der Term-Konnotationen favorisiert.27 Die umfassende Form umfaßt sowohl die (.nicht-designierten*) Charakteristika, die tatsächlich zu den Denotata des Terms gehören, als auch diejenigen Charakteristika, von denen gedacht wird, daß sie dazu gehören. Der interaktionale Ansatz fokussiert Scheffler zufolge diejenigen Charakteristika, von denen gedacht wird, daß sie zu den Denotata gehören. Ad (vi): Nach dem konfexfualistischen Ansatz enthält der Kontext relevante Hinweise für die Interpretation metaphorischer Äußerungen.28 Was ein solcher Ansatz besagen könnte, wird hier mit Bezug auf den in Metaphor in Context dargelegten Ansatz Josef Sterns ausführlich behandelt.29 (II) Mooij unterscheidet zwei Arten solcher Theorien je nachdem, ob das, was er als .Referenz' auf die wörtliche Extension (des verwendeten Prädikats) bezeichnet, im Falle metaphorischer Ausdrücke verloren geht oder erhalten bleibt. Im ersteren Fall spricht Mooij von monistischen, im zweiten von dualistischen Theorien. Als .monistisch' bezeichnet Moiij (i) Konnotationstheorien (wie diejenige Beardsleys), (ii) Theorien, zu denen er z. B. den Substitutionsansat^ rechnet und (iii) 22

Beardsley (1958), 137. "Vgl. Scheffler (l 979), 92. 24 Siehe dazu den Abschnitt über die Absurditätslheorie der Metapher. 25 Vgl. Scheffler (1979), 97ff. 24 Vgl. ebd., 107. 27 Vgl. ebd. M Vgl. ebd., 118. 29 Siehe dazu den Abschnitt über die Kontextabhängigkeitstheorie der Metapher.

Zur Klassifikation der Metaphertheorien

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den sogenannten Supen/enienqznsaty dem zufolge die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke nicht durch Rekurs auf die wörtlichen Bedeutungen ihrer Teile erklärbar ist (siehe oben). Als .dualistisch' bezeichnet Mooij (iv) Vergleichsiheorien (wie die von Paul Henle) und (v) Interaktionstheorien, zu denen er die Ansätze von Wilhelm Stählin, Karl Bühler, I. A. Richards und Max Black rechnet.30 Ankersmit/Mooij sprechen im Hinblick auf Interaktionstheorien der Metapher von einem Projektionsznsztz (i), weil hier die Art, in der Metaphern .funktionieren', zu erklären versucht werde „through a projection from one scheme of concepts, ideas or commonplaces onto something not pertaining to that scheme."31 Ankersmit/Mooij unterscheiden noch vier weitere Ansätze: (ii) den ,,'nosemantics' approach"32, dem zufolge für eine Semantik der Metapher kein Raum gegeben sei (mutmaßlicher Vertreter dieses Standpunkts: Donald Davidson); (iii) den „'primacy of metaphor' approach"33, der den metaphorischen Sprachgebrauch für ursprünglicher hält als den wörtlichen (designierter Vertreter dieses Ansatzes: Hans-Georg Gadamer); (iv) den anthropologischen Ansatz, der den Ursprung der Metapher in anthropologischen Gegebenheiten zu finden sucht (mutmaßliche Vertreter dieser Position: Ernst Cassirer, Paul Ricoeur, George Lakoff/Mark Johnson) und (v) den „age-old comparison view"34 (als dessen neuerer Vertreter Robert J. Fogelin hingestellt wird.) (Ill) White unterscheidet vier Typen von Metaphertheorien. Er spricht von einem .Principle of Polarity' und geht - letztlich so wie I. A. Richards mit Dr. Samuel Johnson35 - davon aus, daß bei einer Metapher gewissermaßen %wei Vorstellungen in ««fr gegeben sind: "The violentyoking together of heterogeneous ideas': this could be regarded as an intuitive definition of metaphor, stressing the two elements in the principle — two ideas, but 'yoking with violence together' — despite their disparateness, being presented as if they were o»i."36 White unterscheidet die vier Theorietypen nach der Ebene, auf der die von ihm identifizierte Vorstellungs-Polarität angesiedelt ist. Die ersten beiden Theorien sehen die Polarität auf der Ebene des Wortes, die beiden anderen auf der Ebene des Satzes, (i) Nach dem ersten Theorietyp ist die Polarität auf der Ebene der Referenz anzusiedeln; White nennt als Beispiel die Vergleichstheorie, (ii) Nach dem zweiten Theorietyp ist die Polarität auf der Ebene des Sinns anzusiedeln; White führt die Subsitutionstheorie und die Interaktionstheorie als Beispiele an. (iii) Nach dem dritten Theorietyp ist die Polarität in dem Sinne auf der Ebene des metaphorischen Satzes anzusiedeln, als dieser ein sprachlicher Hybridausdruck ist: » Vgl. Mooij (1976), 36f. 31 Ankersmit/Mooij (1993), 1. 32 Ebd., Z "Ebd. M Ebd., 3. » Vgl. Richards ([l936]/l983), 34. 36 White (l 996), 162.

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„one sentence employing two different sorts of words"37; White nennt als Beispiel den von ihm selbst vertretenen Ansatz, (iv) Nach dem vierten Theorietyp ist die Polarität der Metapher jenseits des Satzes, in dessen Gebrauch, anzusiedeln; White nennt als Beispiele die Theorien von Donald Davidson und Ted Cohen. (IV) Der auf den ersten Blick interessanteste Klassifikationsvorschlag im Hinblick auf Metaphertheorien stammt von Michiel Leezenberg. Leezenberg bringt zwei Beurteilungsdimensionen ins Spiel: (1.) die linguistische Theorieebene, auf der die metaphorische Interpretation erfaßt werden soll; (2.) die in die metaphorische Interpretation involvierten Größen. Leezenbergs Klassifikationsschema ist von möglichen Antworten auf die folgenden beiden Fragestellungen geleitet: [Fjirst, at what level of a linguistic theory is metaphorical interpretation accounted for? Second, in virtue of what does the hearer determine a metaphorical interpretation? Possible answers to the first question are: in syntax; in semantics; in pragmatics; or outside linguistic theory altogether. Possible answers to the second question are: in virtue of the properties the referents have; in virtue of the descriptive information associated with the expression used; or in virtue of the concepts or mental representations that are expressed by the words.38

Gemäß der zweiten der beiden in Anschlag gebrachten Beurteilungsdimensionen gibt es, so Leezenberg, (a) referentialistische Theorien, insofern als die Referenten der metaphorisch verwendeten Ausdrücke in die Äußerungsinterpretation involviert sind; (b) deskriptivistische Theorien, insofern als mit einem Ausdruck assoziierte deskriptive Information in die Äußerungsinterpretation einbezogen wird; und (c) kon^eptualistische Theorien, insofern als allgemeine kognitive Mechanismen wie das Denken in Analogien oder die Fähigkeit, etwas als etwas anderes zu sehen, in die Interpretation der Äußerung eingehen. Die referentialistischen Theorien bringt Leezenberg mit der Vergleichstheorie, die deskriptivistischen Theorien bringt er mit der Interaktionstheorie in Verbindung; die Substitutionstheorie findet keine Berücksichtigung. Letzteres hängt mit der von Leezenberg eingenommen Interpretationsperspektive zusammen. Eines seiner Argumente gegen die Inkorporation der Substitutionstheorie lautet: "[A] substitution view as such does not say how the hearer arrives at the intended meaning"39. Als Vertreter einer referentialistischen Theorie der Metapher nennt Leezen40 berg : (i) auf der (wenn auch nur in Klammern angeführten) Ebene der Syntax: Noam Chomsky; (ii) auf der Ebene der Semantik: JJ.A. Mooij und Paul Henle; (iii) auf der Ebene der Pragmatik: Paul Grice; und auf der Ebene „outside linguistics proper"41: Donald Davidson.

" Ebd., 166. Leezenberg (2001), 10. » Ebd., 12. «Vgl. ebd., 11. 41 Ebd. 38

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Als Vertreter einer deskriptivistischen Theorie der Metapher werden genannt: (i) auf der (wie gesagt: eingeklammerten) Ebene der Syntax: (mit Fragezeichen versehen) D. Bickerton; (ii) auf der Ebene der Semantik: Max Black ([l954]/l983), Monroe Beardsley, Josef Stern und Nelson Goodman; (iii) auf der Ebene der Pragmatik: Max Black ([1977J/1983), John R. Searle und A. P. Martinich. Als Vertreter einer kon^eptualistischen Theorie der Metapher werden genannt: (i) auf der (eingeklammerten) Ebene der Syntax, (mit Fragezeichen versehen) Tanja Reinhart; (ii) auf der Ebene der Semantik: (mit Fragezeichen versehen) George Lakoff/Mark Johnson; (iii) auf der Ebene der Pragmatik: Stephen C. Levinson sowie Dan Sperber/Deirdre Wilson; (iv) und .outside linguistics proper': (wiederum mit Fragezeichen versehen) George Lakoff/Mark Johnson. Leezenberg vertritt das von ihm präsentierte Klassifikationsschema nicht mit allem erdenklichen Ernst. Er selbst sagt mit Bezug auf dieses Schema, es sei „no more than a rough guideline."42 Leezenberg hält sein Klassifikationsschema auch insofern nicht für sakrosankt, als er auf die Möglichkeit hinweist, die deskriptivistische und die konzeptualistische Beurteilungsdimension zusammenfallen zu lassen „into one single 'representationalist' view."43 Gegenüber der von Leezenberg vorgenommenen Zuordnung der einzelnen Vertreter einer Metaphertheorie muß darüber hinaus jedoch zumindest zweierlei geltend gemacht werden: Erstens, Grice und Martinich als Vertreter unterschiedlicher Metaphertheorien hinzustellen ist, wie aus den Ausführungen zur Prätentioertheorie der Metapher hervorgehen wird, nicht gerechtfertigt. Zweitens, ebenfalls nicht zu rechtfertigen ist die Anführung von Chomsky und Levinson als Vertreter einer Metaphertheorie. Levinson setzt sich in seinem Buch Pragmatics zwar ausführlich mit dem Thema .Metapher' auseinander, eine Theorie aber stellt er mit keiner Silbe auf. Und Chomsky? — Chomsky äußert sich zum Thema .Metapher' in seinem Buch Aspekte der Syntax-Theorie. Dort unterscheidet er drei Subkategorisierungsarten: (i) die kontextfreie oder inhärente Subkategorisierung (die Substantive nach solchen inhärenten semantischen Merkmalen wie [+/- belebt], [+/- abstrakt] und [+/- menschlich] unterteilt), (ii) die strikte Subkategorisierung (die Verben nach ihren kategorialen Umgebungen unterteilt) und (iii) die selekfionale Subkategorisierung (die Verben nach den inhärenten Merkmalen ihrer kategorialen Umgebungen sub klassifiziert). Die beiden letzteren Subkategorisierungsarten werden kontext-sensitiv genannt. Chomsky bringt das Problem der Metapher mit der selektionalen Subkategorisierung in Verbindung. Gegen diese Subkategorisierungsart wird beispielsweise in Gestalt des berühmt gewordenen Satzes .Farblose grüne Ideen schlafen wütend' verstoßen. Von Ausdrücken wie diesen sagt Chomsky: Sätze, die Selektionsregeln durchbrechen, können oft metaphorisch interpretiert werden [...], wenn ein geeigneter, mehr oder weniger komplizierter Kontext zur Verfü-

« Ebd. « Ebd., 13.

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Zur Klassifikation der Metaphertheorien gung steht. Diese Sätze werden also offensichtlich in direkter Analogie zu solchen Sätzen interpretiert, die den fraglichen Selektionsregeln genügen. Wäre man gezwungen, Sätzen eine Interpretation zuzuschreiben, die [...] die Regeln der strikten Subkategorisierung durchbrechen, würde man allerdings ganz anders verfahren.44

Man sieht, Chomsky weist der Metapher einen Ort zu, indem er sie mit seinen Selektionsregeln in Verbindung bringt; eine spezielle Metaphertheorie jedoch entwickelt er daraus nicht. Chomskys Überlegungen sind aber in Linguistenkreisen insbesondere unter dem Einfluß von Uriel Weinreich aufgegriffen worden.45 Die 25 Metaphertheorien, die hier besprochen werden sollen, lassen sich in zwei Klassen unterteilen. Unter Berufung auf die von Charles William Morris in Esthetics and the Theory of Signs getroffene Unterscheidung zwischen ,semiosis' und ,semiotics': zwischen dem Zeichenprozeß auf der einen Seite und der Untersuchung desselben auf der anderen, soll die eine dieser beiden Klassen als ,semiosisch-mit-einem-s', die andere soll als ,semiotisch-mit-einem-t' bezeichnet werden.46 Zur semio/ischen Klasse gehören Theorien, die vornehmlich sachbezogene Aussagen über den Gegenstand .Metapher': über deren Struktur oder Funktion machen; zur semio/ischen Klasse gehören Theorien, die sich schwerpunktmäßig mit der Frage befassen, in welcher (semiotischen) Teildisziplin die Metapher zu beschreiben ist: in der Semantik oder in der Pragmatik. Die beiden Klassen von Metaphertheorien zerfallen jeweils in zwei Unterklassen. Die semiosische Klasse umfaßt ^o/wbezogene und /«j/»«gjbezogene, die semiotische Klasse bedeulungsbezogene und gebraucJ!>sbezog Ebd., 429. 81 Sie dazu den Abschnitt über die Substitutionstbeorie der Metaphtr. »2 Searle (1982a), 110. »Ebd. M Ebd., 107. 85 Davidson (1986), 357. 86 Vgl. Searle (1982a), 109f. 78

Vergleichstheorie der Metapher

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bleiben kann, „auch wenn sich herausstellt, daß die Feststellung über die Ähnlichkeit falsch ist"87. Die obige Äußerung kann so etwas bedeuten wie .Richard ist jähzornig, fies, gewalttätig', es kann sich aber herausstellen, daß Gorillas weder jäh2ornig noch fies noch gewalttätig sind. Der Wahrheitswert der Äußerung, nach der Richard jähzornig usw. ist, bliebe davon unberührt. Searle faßt diese Überlegung folgendermaßen zusammen: „Kraß gesagt: In .Richard ist ein Gorilla' geht es nur um Richard; um Gorillas geht es eigentlich überhaupt nicht. Das Wort .Gorilla' dient hier dazu, mittels noch anzugebender Prinzipien einen bestimmten semantischen Gehalt auszudrücken, der sich von der Bedeutung dieses Wortes unterscheidet."88 Glucksberg/Keysar lehnen die These, nach der die Metapher ein verkürzter oder impliziter Vergleich sei, rundweg ab. (i) Zunächst scheint der Vergleich schwächer als die Metapher zu sein: "Similes can always be intensified by putting them in metaphor form, whereas the reverse does not hold."89 Ich kann z. B. sagen ,Karl ist nicht wie eine Eiche, er ist eine Eiche'; ich kann aber nicht umgekehrt ebenso sinnvoll sagen ,Karl ist nicht eine Eiche, er ist wie eine Eiche', (ii) Metaphern sind „class-inclusion assertions"90. Metaphern vergleichen einander unähnliche Dinge, wörtliche Vergleiche betreffen auf derselben Abstraktionsebene angesiedelte Objekte. "Metaphoric comparison Statements involving two unlike things can easily be paraphrased to look like class inclusion statements [...] In contrast, literal statements that compare two like things cannot be paraphrased as class inclusion statements: Bees are like hornets becomes false if expressed as Bees are hornets"^ (iii) Wenn ich z. B. sage: .Arnold Schwarzenegger ist ein Tier', dann ist ,Tier' im Sinne einer abstrakteren, übergeordneten Kategorie zu verstehen, „such äs the category of animate beings that behave in particularly animalistic ways"92. Dem genannten Beispiel zufolge exemplifts^ert und symbolisiert Arnold Schwarzenegger diese übergeordnete Kategorie.93 Glucksberg/Keysar sprechen hier von attributiven Kategorien. Daß Metaphern etwas anderes sind als implizite Vergleiche, zeigt sich dann auch an Folgendem: "When someone says 'my job is a jail,' the intention is for the hearer to understand that the job in question has all the properties of the attributive category that is called 'jail.' If instead one said 'my job is like a jail,' then one is likening that job to an actual 'jail,' not to the superordinate 'jail.'"94 (iv) Die Bevorzugung einer Metapher gegenüber einem Vergleich hat kommunikative Relevanz: "When the metaphorical form is chosen over the simile form, the very choice is communicative. If one choses the simile, then the hearer 87

Ebd., 110. "Ebd., 111. 89 Glucksberg/Keysar (1993), 406. 90 Ebd., 408. 91 Glucksberg (2001), 38. * Glucksberg/Keysar (1993), 409. 93 Vgl. Glucksberg (2001), 41 94 Glucksberg/Keysar (1993), 413.

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Semioiische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

presumably recognizes that choice and would therefore infer that the speaker was not attributing all the properties of the class 'jail* to 'my job/ but only some of them."95 Lynne Tirrell unterscheidet reduktive von nichtreduktiven Versionen der Vergleichstheorie der Metapher. Reduktive Vergleichstheorien umfassen zwei Schritte: „reduce metaphor to simile, then conflate simile and literal comparison."96 Eine Theorie dieser Art ist Tirrell zufolge unhaltbar. Der Hauptgrund dafür ist: "It fails primarily because the reduction of simile to literal comparison fails."97 Nichtreduktive Vergleichstheorien beschränken sich auf den ersten Schritt, verzichten also auf den zweiten98. Tirrell kommt bei ihren Betrachtungen zu folgendem Ergebnis: "The simile theory of metaphor is misguided. Behind it lies the assumption that similes and metaphors do the same work and that this work is to make comparisons or to get us to make them."99 Die Vergleichstheorie der Metapher scheint also auch in ihrer nichtreduktiven Form unhaltbar zu sein.100

«Ebd. 96

Tirrell (1991), 337. Ebd., 349. '· Vgl. ebd. 99 Ebd., 358. 97

100

Eine Kritik an der Vergleichstheorie findet sich auch bei Strub (1991). Vgl. dazu den Abschnitt über die Absurditätstheorie der Metapher.

Interaktionstheorie der Metapher: I. A. Richards, Max Black I. A. Richards und Max Black geht es um die Charakterisierung der - letztlich auf Dr. Samuel Johnson zurückgehenden - Auffassung, daß im Falle einer metaphorischen Äußerung %wei Vorstellungen zusammen aktiv sind, daß sie miteinander inferagieren. Richards verfolgt ein debitiert theoretisches Interesse: Er will „unser stillschweigendes Wissen zu expliziten Unterscheidungen erheben"1. Die beiden gleichzeitig aktiven Vorstellungen beschreibt er mit Hilfe der Differenz Tenor/Vehikel. Black hingegen spricht von Fokus und Rahmen [.frame*]. Black bezeichnet den metaphorisch verwendeten Ausdruck als Fokus, den Satz, der diesen Ausdruck enthält, als Rahmen. Wie aber verhält es sich mit der von Richards eingeführten Unterscheidung? Richards könnte so verstanden werden, daß er den metaphorisch verwendeten Ausdruck, das Prädikat eines entsprechenden Satzes, als Vehikel bezeichnet, das Subjekt demgegenüber als Tenor. In dem Standardbeispiel ,Achill ist ein Löwe' wäre ^Achill' der Tenor, ,Löwe' das Vehikel. Was aber unbedingt zu beachten ist: Richards möchte die Bezeichnung .Metapher' für das Ganze, für die Verbindung von Tenor und Vehikel, für die Einheit der Differenz reserviert wissen. Er sagt: Wir brauchen das Wort .Metapher' für die ganze Doppeleinheit [double unit]; es manchmal nur für eine der beiden Komponenten in Abgrenzung zur anderen zu gebrauchen, ist ebenso unklug wie jener andere Trick, mit dessen Hilfe wir ,die Bedeutung' manchmal auf die Leistung der ganzen Doppeleinheit anwenden und manchmal auf die andere Komponente - die ich Tenor nenne - nämlich auf die zugrunde gelegte Vorstellung oder den Hauptgegenstand [principal subject], die das Vehikel oder die Figur meint. Es überrascht daher nicht, wenn eine detaillierte Metaphernanalyse, sofern man sie mit einer so unscharfen Terminologie angeht, sich manchmal ausnimmt, als zöge man auswendig Kubikwurzeln. Oder, um einen genaueren Vergleich zu ziehen, wie wäre es um die elementare Arithmetik bestellt, wenn man das Wort zwölf (12) manchmal für die Zahl (1), manchmal für die Zahl (2) und manchmal für die Zahl (21) verwenden würde2.

Gegenüber herkömmlichen Versuchen zur Erforschung der Metapher macht Richards deutlich, was er von einer modernen Theorie erwartet: Eine moderne Theorie würde einwenden, daß erstens in vielen der wichtigsten Verwendungsarten der Metapher erst die Ko-Präsenz von Vehikel und Tenor eine (eindeutig vom Tenor unterschiedene) Bedeutung ergibt, die ohne die Interaktion beider nicht zu erreichen wäre. Daß das Vehikel normalerweise nicht die bloße Ausschmükkung eines sonst von ihm unbeeinträchtigt bleibenden Tenors ist, sondern daß die Kooperation von Tenor und Vehikel eine Bedeutung von vielfältigerer Ausdrucks1 2

Richards ((1936]/1983), 35. Ebd. 37.



Semio.fische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze kraft herstellt, als das, was einem allein zugeschrieben werden könnte. Schließlich würde eine moderne Theorie zeigen, daß das relative Gewicht dessen, was Vehikel und Tenor jeweils zu dieser sich ergebenden Bedeutung beitragen, bei verschiedenen Metaphern ungeheuer variiert.3

Bei all dem sollte aber nicht übersehen werden, daß Richards seine Theorie in Auseinandersetzung mit Thesen aus dem 18. Jahrhundert entwickelt. Denn es ist nicht nur die These Dr. Johnsons, die Richards Auffassung von der Metapher als einer aus Tenor und Vehikel bestehenden Doppeleinheit motiviert; Richards zitiert auch mehrere Textstellen aus den 1762 erschienenen Elements of Criliäsm eines gewissen Lord Kames. Die Metapher ist Richards zufolge die Einheit einer Differenz, der Differenz ,Tenor/Vehikel'. Was aber heißt /Tenor' - und was .Vehikel? Wie werden diese Termini, die zur Benennung der beiden im Falle metaphorischer Äußerungen involvierten Vorstellungen dienen, bei Richards eingeführt? Richards ist sich sowohl des Bedarfs an unterscheidenden Termini für das, was er die .beiden Hälften' oder die ,beiden Glieder' einer Metapher nennt, als auch der Gefahr, Verwirrung zu stiften, sehr wohl bewußt. Direkt nach Einführung seiner Unterscheidung stellt er fest: Es gehört zum Eigentümlichsten der vielen den Gegenstand ,Metapher' umgebenden Seltsamkeiten, daß wir über keine [bereits] eingeführten Termini zur Unterscheidung der beiden Hälften der Metapher verfugen — trotz des großen Vorteils, der geradezu zwingenden Notwendigkeit solcher Termini, wenn uns eine Analyse ohne Konfusion gelingen soll. Das ganze Problem besteht nämlich im Vergleichen der verschiedenartigen Relationen, in die diese beiden Glieder einer Metapher in jeweils verschiedenen Einzelfallen zueinander treten, und wir geraten bereits am Anfang in Verwirrung, wenn wir nicht genau wissen, von welchem der beiden wir sprechen. Momentan stehen uns lediglich einige ungeschickte deskriptive Wendungen zu ihrer Unterscheidung zur Verfügung. ,Die ursprüngliche' und ,die ausgeliehene Vorstellung'; ,was man denkt' und .womit es verglichen wird'; ,die zugrundeliegende Vorstellung' und ,das Vorgestellte'; ,der Hauptgegenstand' und .wem er gleicht'; oder - was noch verwirrender ist — einfach ,die Bedeutung' und ,die Metapher' oder ,die Vorstellung' und ,ihr Bild'."

Obwohl Richards diese zur Erläuterung der von ihm unterschiedenen Termini herangezogenen Unterschiede für eher ungeeignet oder gar verwirrend hält (was für die zuletzt genannten sicherlich zutrifft), dürfte doch etwas klarer werden, was ihm vorschwebt, welche begriffliche Differenz er mit der von ihm eingeführten Unterscheidung eigentlich zu erfassen sucht. Max Black erörtert, was .Interaktionstheorie der Metapher' heißen könnte, anhand der Vereinfachung der ,homo hominis lupus'-These .Der Mensch ist ein Wolf. Für die Interaktionstheorie der Metapher (deren Eigentümlichkeiten erst später in diesem Abschnitt dargestellt werden) ist gerade ein Beispiel dieser Art 3 4

Ebd., 39f. Ebd., 36f.

Interaktionstheorie der Metapher

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ausschlaggebend. Das Prädikat ,ist ein Wolf wird vom Menschen ausgesagt, es wird auf die definite Kennzeichnung ,Der Mensch' bezogen, wobei der bestimmte Artikel genensch zu lesen ist, so daß die Kennzeichnung vom Menschen im allgemeinen handelt. Um eine Vorstellung von den Größen zu geben, die bei einer Metapher wie dieser im Spiel sind, sei auf eine Anmerkung Max Blacks zur Terminologie verwiesen.5 Dabei sollen kleinere Präzisierungen aus prädikatenlogischer Sicht vorgenommen werden. Was die an einer Metapher beteiligten Größen anbelangt, so ist Folgendes festzustellen: (1) Als erstes gibt es einen Ausdruck E, der metaphorisch gebraucht wird. E ist der metaphorische Ausdruck. Bei dem Beispiel ,Der Mensch ist ein Wolf ist das das Wort ,Wolf. (2) Als Kandidat für den metaphorischen Ausdruck käme sozusagen auch das ganze Prädikat ,ist ein Wolf infrage, das zusammengesetzt ist aus der Kopula ,ist' und dem Prädikatsnomen ,ein Wolf. Hartmut Kubczak geht noch einen Schritt weiter. Er vertritt die Auffassung, „daß das Metaphorische des Beispiels eine ganze Zeichensequenz umfaßt, deren Gesamtdenotatum eine besondere Beziehung zwischen dem Menschen und einem [...] [Wolf], ein Sachverhalt, ist."6 Laut Kubczak soll es so sein „daß mit .Metapher' solch eine mehrgliedrige Zeichensequenz gemeint ist (z. B. nicht allein Wotfoazt ein Wo$oder ist ein Wo$, sondern eben Der Mensch ist ein Wotf)"1 Max Black spricht von einem [.frame*] F, einem verbalen ,Rahmen' für den metaphorisch gebrauchten Ausdruck E. Es ist aber nicht klar, ob damit wirklich der ganze Rest des Satzes gemeint ist. (3) Der Ausdruck E wird auf den Redegegenstand angewandt. Von diesem Redegegenstand gilt, daß von ihm auch der Prädikatsausdruck .Mensch' ausgesagt wird. (Bei Black ist, gemäß seiner Terminologie, von der metaphorischen Aussage F(E) die Rede.) Da der bestimmte Artikel ,der' hier genetisch zu lesen ist, könnte die sich ergebende metaphorische Aussage, etwa im Sinne Carnaps, annäherungsweise so wiedergegeben werden: (x) [Mensch (x) ID Wolf (x)] (Für jedes gilt, wenn ein Mensch ist, dann ist (auch) ein Wolf).8 Als Teil einer umfassenderen Aussage steht E(x) also rechts vom Implikationszeichen ,^>'. (Der bestimmte Artikel, wenn er nicht generisch und mithin im Sinne von ,alle' gelesen wird, ist intensionslogisch gesehen weitaus strukturreicher, stellt er doch eine Funktion von Eigenschaften von Individuen in Mengen von Eigenschaften von Individuen dar. Eine allein auf den bestimm5

Vgl. dazu Black ([l954]/l983), 77. Kubczak (1978), 50. 7 Ebd. Das Wort ,Wolf steht in dem hier wiedergegebenen Zitat anstelle des Wortes .Schilfrohr', das Kubczak verwendet. 8 Vgl. Camap (194 , 17.

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Semiojische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

ten Artikel abhebende Formalisierung des obigen Satzes im Sinne Richard Montagues könnte lauten: XW3x[Vy[[Mensch ( ) = y] Wolf (y)]].9 Es ginge dann um die Menge der Eigenschaften W (wobei W für ,Wolf steht), für die es ein gibt, so daß für alle y gilt: Die Aussage ,x ist ein Mensch' ist äquivalent mit der Identitätsaussage ,x ist gleich y', und y ist ein Wolf.) (4) Es gibt so etwas wie die metaphorische Bedeutung m'(E). Das ist die Bedeutung des Prädikats E im Hinblick auf den Redegegenstand x. (5) Dann gibt es noch die wörtliche Bedeutung m(E). Das ist die Bedeutung, die das Prädikat E gewöhnlich hat. Die wörtliche Bedeutung (m) liegt der metaphorischen (m") zugrunde; w'ist von m abgeleitet. Nun zieht Black trotz seiner (in Abschnitt l bereits erwähnten) Kritik an der Substitutionstheorie und der Vergleichstheorie der Metapher bei seiner gleichzeitigen Favorisierung der Interaktionstheorie in Erwägung, daß es auch von der jeweiligen Metapherart abhängen könne, welche dieser Theorien jeweils am geeignetsten erscheint. Wenn beispielsweise vom ,Bein eines Tisches1 die Rede ist oder vom Augapfel', von der ,öhttnuscher, von der .Haanvwrgr/1, von der ,Mundböhle' oder vom ,Nasen£#«'; wenn Ausdrücke verwendet werden, die gar nicht mehr als Metaphern erkannt und deshalb auch als tote Metaphern bezeichnet werden, scheint man, so Black, auf interaktionstheoretische Überlegungen der von ihm favorisierten Art verzichten zu können. Triviale Fälle von Metaphern scheinen eher von der Substitutions- oder der Vergleichstheorie erfaßt zu werden als von der Interaktionstheorie.10 Und zur Charakterisierung der Substitutionsoder Vergleichstheorie scheinen die obigen fünf Größen hinreichend zu sein. Aber: „Wo die Interaktionstheorie angemessen ist, wird die Sachlage komplizierter."11 Dort scheinen noch weitere Größen beachtet werden zu müssen, nämlich: (6) der sogenannte Hauptgegenstand [.principal subject4] P: „ungefähr das, worüber die Aussage .wirklich' handelt"12, (7) der sogenannte untergeordnete oder Hitfsgegenstand [.subsidiary subject*] S: das, wovon die metaphorische Aussage „wörtlich gelesen, handeln würde"13, (8) ein mit dem Hilfsgegenstand verbundenes (unten noch näher zu kennzeichnendes) „System von Implikationen"14 / und (9) „das resultierende System von Attributionen, A, das von P behauptet wird."15 Mit Bezug auf die kanonische Form der hier fokussierten metaphorischen Aussage heißt das: Der Hauptgegenstand R das ist das Denotat der Variablen x, die 9

Vgl. Montague (1973), 261. Vgl. Black ([1954J/1983), 76f. 11 Ebd., 77, Anm. 23. 12 Ebd. » Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd.

Interaktionstheorie der Metapher

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Klasse der von bezeichneten Gegenstände, über die geredet und von der ,Mensch* ausgesagt wird. Der Hilfsgegenstand S: das ist, extensional gesprochen, die Klasse der von dem metaphorisch gebrauchten Ausdruck E (= Wolf) bezeichneten Dinge, intensional gesagt, der Begriffoieset Dinge, die Menge der ihnen gemeinsamen Eigenschaften. Black geht davon aus, daß es in — den als nichttrivial angesehenen - Fällen metaphorischer Aussagen, zu deren Charakterisierung auf die Interaktionstheorie zurückgegriffen werden muß, erforderlich ist, auf die Gegenstände bzw. auf die Gegenstandsklassen Bezug nehmen zu können, die von den involvierten Ausdrücken bezeichnet werden. Beispiel: „Nehmen wir die Aussage: ,Der Mensch ist ein Wolf. Man kann sagen, daß hier zwei Gegenstände vorliegen - der Hauptgegenstand [principal subject] Mensch (oder Menschen) und der untergeordnete Gegenstand [subsidiary subject] Wolf (oder Wölfe)."16 Was das mit dem Hilfsgegenstand verbundenen »System der Implikationen' 7 anbelangt, so ist zu beachten, daß zum Verständnis einer metaphorischen Aussage der Art ,Der Mensch ist ein Wolf die Kenntnis der Bedeutung der darin enthaltenen Wörter laut Black nicht ausreicht; es muß, zusätzlich zum semantischen Wissen, auch enzyklopädisches Wissen, Wissen über die Beschaffenheit der bezeichneten Gegenstände, im vorliegenden Fall Standard-Wissen über Wölfe in Anspruch genommen werden können. Black setzt seine Ausführungen folgendermaßen fort: Nun wird der fragliche Satz seine intendierte Bedeutung keinem Leser vermitteln, der über Wölfe nicht genug weiß. Erforderlich ist weniger, daß der Leser die Wörterbuchbedeutung von ,Wolf kennt — oder dieses Wort im wörtlichen Sinne gebrauchen kann, als die Kenntnis dessen, was ich das System miteinander assortierter Gemeinplätze [...] nenne17.

In der obigen Liste der bei einer Metapher involvierten Größen ist neben dem System von Gemeinplätzen auch noch die Rede von einem System von Attributionen A, die auf den Hauptgegenstand P angewandt werden. Was hat es damit auf sich? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Erläuterung dessen, was die Interaktionstheorie der Metapher eigentlich besagt. Der Interaktionstheorie der Metapher zufolge liegt deren Geheimnis und Rätsel in „der ,Interaktion* zweier .zusammenwirkender' Vorstellungen"18. Die Vorstellungen, von denen angenommen wird, daß sie zusammenwirken, beziehen sich zum einen auf den H/$tgegenstand: auf den Gegenstand, der von dem metaphorisch verwendeten Ausdruck bezeichnet wird — in Blacks Beispiel auf das mit dem Wort ,Wolf verbundene System von Gemeinplätzen; zum anderen aber sind auch Vorstellungen vom H/gegenstand im Spiel — im erwähnten Beispiel Vorstellungen vom Menschen. Black sagt: 16

Ebd., 70 Ebd., 70f. 18 Ebd, 70. 17

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Semio/ische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze Der Effekt, den Menschen (metaphorisch) einen ,Wolf zu nennen, beruht also darauf, das Wolf-System von untereinander verwandten Gemeinplätzen ins Spiel zu bringen. Wenn der Mensch ein Wolf ist, dann sucht er seine Beute unter anderen Lebewesen, ist wild, hungrig, in ständigen Kampf verwickelt, ein Aasfresser und so fort. Jede dieser implizierten Behauptungen muß nun dem Hauptgegenstand (Mensch) entweder im normalen oder abnormalen Sinne angepaßt werden. Wenn die Metapher überhaupt angemessen ist, geht das - bis zu einem gewissen Punkt wenigstens. Ein geeigneter Zuhörer wird durch die Implikationen des Wolf-Systems zur Konstruktion eines entsprechenden Systems von Implikationen des Hauptgegenstands gebracht. Diese Implikationen werden jedoch nicht denen entsprechen, die beim wörtlichen Gebrauch von ,Mensch' normalenveise in den Gemeinplätzen enthalten sind. Die neuen Implikationen müssen von demjenigen Implikationsmuster determiniert sein, das mit den wörtlichen Verwendungen des Wortes ,Wolf verbunden ist. Alle jene menschlichen Charaktermerkmale, über die sich ohne unnötige Überstrapazierung in .WolfSprache' reden läßt, werden dabei deutlich hervortreten, während diejenigen, für die das nicht möglich ist, in den Hintergrund gedrängt werden. Die Wolf-Metapher unterdrückt einige Details und betont andere — kurz gesagt, sie organisiert unsere Ansicht vom Menschen.19

Wenn das Wort ,Wolf metaphorisch gebraucht wird, ist das Wolf-System von Gemeinplätzen im Spiel. Das Wolf-System wird aber nicht in vollem Umfang ins Spiel gebracht; welches seiner Elemente aktualisiert wird, hängt von den Eigenschaften ab, die dem Hauptgegenstand (im vorliegenden Fall dem Menschen) zuzuschreiben sind. Black spricht davon, daß Eigenschaften des Hilfsgegenstands dem Hauptgegenstand angepaßt werden müssen. Die Eigenschaften, die dem Hauptgegenstand normalerweise zugeschrieben werden, beschränken die Anwendung des Systems von Gemeinplätzen, welches mit dem metaphorisch verwendeten Wort verknüpft ist. Aber auch die Wolf-Metapher selbst unterdrückt ihrerseits (auf sehen des Hauptgegenstands) einige Details und betont andere. Es findet eine wechselseitige Selektion bzw. Betonung von Eigenschaften statt. Das - oben als neunte Größe einer metaphorischen Aussage erwähnte - resultierende System von Attributionen, A, das auf den Hauptgegenstand P angewandt wird, ist also gegenüber den involvierten ,Systemen von Implikationen' in doppelter Hinsicht selektiv. Der Anstoß zur Selektion von Elementen aus der Menge derjenigen Eigenschaften, die dem Menschen normalerweise zugeschrieben werden, kommt dabei von selten des »fokalen' Wortes, d. h. von selten der Metapher. Black verweist aus Gründen der Illustration auf ein Stück rußgeschwärztes Glas, „auf dem gewisse Linien durchsichtig geblieben sind"20, so daß beim Hindurchsehen durch dieses Glas eine Filterwirkung eintritt. Er sagt: Man kann sich die Metapher als einen solchen Filter vorstellen und das System der .assoziierten Gemeinplätze' des fokalen Wortes als das Netz der Linien darauf. Man kann sagen, der Hauptgegenstand wird .durch den metaphorischen Ausdruck gesehen' "Ebd., 71 f. Ebd., 72.

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Interaktionstheorie der Metapher

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— oder, wenn man so will, der Hauptgegenstand wird auf das Feld des untergeordneten Gegenstandes .projiziert'.21

Auf einen Filter verweist auch Karl Bühler. Bei ihm ist es ein Doppelter, der zum Zwecke der Illustration ins Spiel gebracht wird.22 Enzyklopädisches Wissen spielt nicht nur im Rahmen der Interaktionstheorie eine herausragende Rolle, es ist für das Verständnis der Metapher generell von großer Relevanz. Enzyklopädisches Wissen, das ist das, was von einem Term konnotiert wird. Für das, was Black bei seinen Ausführungen zur Interaktionstheorie der Metapher vorschwebt, ist von großer Wichtigkeit, was genau unter , notation' verstanden wird. Dieser Begriff sollte weder im Sinne John Stuart Mills noch im Sinne Anatol Rapoports verstanden werden. Wie sogleich aufgezeigt werden wird, hat Mill einen zu engen Begriff von konnotativen Namen, Rapoport einen zu weiten Konnotationsbegriff. In welchem Sinn von .Konnotation' gesprochen werden sollte, wird klarer bei einer Gegenüberstellung von Überlegungen Beardsleys mit den Konnotationsbegriffen von Mill und Rapoport (I). Daran wird sich ein kurzer Blick auf Hilary Putnams Begriff des .Stereotyps' anschließen (II). (I) Nach eigener Einschätzung steht Monroe C. Beardsley der von Max Black entwickelten Theorie, wenn auch ohne diese selbst zu vertreten, nahe genug23, um diejenigen Charakteristika, die von einem Wort designiert werden, von denjenigen zu unterscheiden, die von ihm konnotiert werden. Charakteristika der ersteren Art konstituieren laut Beardsley die zentrale oder die primäre Bedeutung des Wortes, Charakteristika der letzteren Art umfassen ihre marginalen oder sekundären Bedeutungen. Designierte Charakteristika sind definierende Charakteristika; konnotierte Charakteristika sind nicht designiert, sondern gehören zu den denotierten Dingen — bzw. wird von ihnen angenommen oder gesagt, daß sie dazu gehören. Diese dreiteilige zeichentheoretische Unterscheidung zwischen Designat, Denotat und Konnotat, von der Beardsley Gebrauch macht, unterscheidet sich (i) von Mills zweiteiliger Unterscheidung zwischen konnotativen und nicht-konnotativen Namen sowie (ii) von der Konnotations-Auffassung Rapoports. (i) Konnotativ im Sinne Mills sind z. B. Gattungsnamen wie .Mensch' oder .Frau', nicht-konnotativ sind Eigennamen wie ,Peter' oder .Bonn'. Der Term .Frau' z. B. denotiert all die Individuen, auf die dieser Term korrekt angewandt werden kann, also die Menge der Personen, zu der Frau Schmidt und Frau Müller ebenso gehören wie Prinzessin Caroline von Monaco oder Judith Butler. Konnotiert werden die Attribute, durch die der Term definiert ist: [+ menschlich], [+ weiblich], [+ erwachsen]. Das Wort ,Frau' „signifies all these attributes, and all subjects which possess these attributes."24 Von Gattungsnamen sagt Mill: "The 21

22

Ebd.

Bühler ([1934]/1978), 348. Siehe dazu auch den Abschnitt über die Gestaltthcoric der Metapher. 23 Vgl. Beardsley (1958), 161. 24 Mill ([1843]/M898)( 19.

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Semioj-ische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

name [...] is said, to signify the subjects directly, the attributes indirectly, it denotes the subjects, and implies, or involves, or indicates, or as we shall say henceforth connotes, the attributes. It is a connotative name."25 Eigennamen hingegen sind nichtkonnotativ: "they denote the individuals who are called by them; but they do not indicate or imply any attributes as belonging to those individuals."26 Da die Bedeutung (.meaning') eines Namens, Mill zufolge, nicht in dem liegt, was sie denotieren, sondern in dem, was sie konnotieren71, haben nur konnotative Namen (wie die Gattungsnamen) Bedeutung; nicht-konnotative Namen (Eigennamen) haben keine Bedeutung: "The only names of objects which connote nothing are proper names; and these have, strictly speaking, no signification."28 Bedeutung nennt Mill mithin die konnotierten Attribute eines Namens, dessen Konnotationen, das, was oben als dessen Designat bezeichnet wurde. (ii) Bei Rapoport29 ist der Bereich der Denotation so gestaltet wie bei Mill, umfaßt also alle Elemente, auf die ein Term korrekt angewandt werden kann. Die Konnotation eines Terms aber ist die Totalität der Eigenschaften, die jedes spezifische Element im Bereich der Denotation mit jedem anderen Element in diesem Bereich gemein hat. Die Konnotation ist dann eine Menge abstrakter Merkmale oder Eigenschaften des benannten Dings. Das Wort ,Katze' z. B. fixiert die Kategorie , '; diese Kategorie impliziert, daß es gemeinsame, erkennbare Merkmale gibt, die allen Katzen gemein sind. Von diesen Merkmalen sagt Rapoport, sie konstituierten die intensionale (konnotative) Definition der Kategorie, die Art von Definition, die man gewöhnlich im Lexikon findet. Rapoport unterscheidet dabei semantisches Wissen, wie es ins Lexikon Eingang gefunden hat, von enzyklopädischem Wissen nicht. Anders als Mill beschränkt Rapoport die Konnotation nicht auf den Lexikoneintrag, sondern geht davon aus, daß die Bereiche der Konnotation und der Denotation (mühelos) erweitert werden können. Wird der Bereich der Konnotation von , ' so erweitert, daß z. B. auch das enzyklopädische Merkmal .wiegt nicht mehr als 20 Pfund' mit in der intensionalen Definition dieses Ausdrucks enthalten ist, werden Raubkatzen ausgeschlossen; wird hingegen darauf verzichtet, das Gewicht (oder die Größe) als Kriterium zu verwenden, sind Raubkatzen eingeschlossen. Eine andersartige Erweiterung der Konnotation besteht hinsichtlich der Kategorie , ' in der Zulassung angenommener psychologischer Eigenschaften, unterstellter Charaktereigenschaften, die bestimmte Eindrücke spiegeln, welche einzelne Menschen von der Psychologie der Katze gewonnen haben. In solchen Fällen werden auch Personen (Frauen in der Regel), wenn sie den Eindruck erwe25

Ebd., 20. Ebd. 27 Ebd., 21. "Ebd. 29 Vgl. Rapoport (1975), 137f.

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Interaktionstheorie der Metapher

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cken, daß sie die fraglichen Charaktereigenschaften aufweisen, als Katzen bezeichnet. In solch einem Fall wird der Bereich der Denotation von ,Katze' erweitert, und zwar durch eine Erweiterung der Konnotationen der Kategorie , * (der von Katzen angenommenen Merkmale). Rapoport geht nun davon aus, daß Wörter figurative (metaphorische) Bedeutungen erhalten, wenn ihre Denotationen dadurch erweitert werden, daß Konnotationen, die nur mit konkreten Bedeutungen assoziiert sind, zugunsten bestimmter abstrakterer Konnotationen fallengelassen werden. Doch wie dem auch im einzelnen sei — daß Rapoport einen vergleichsweise weiten, semantisches und enzyklopädisches Wissen unterschiedslos umfassenden Konnotationsbegriff hat, dürfte klar geworden sein. Zusammenfassend läßt sich also sagen: Mill versteht unter Konnotation Bedeutung; sein Konnotationsbegriff ist eng, bezieht sich allein auf semantisches Wissen - auf das, was bei Beardsley unter dem Designat eines Terms verstanden wird. Rapoport hat einen weiten Konnotationsbegriff; dieser Begriff umfaßt all das, was Beardsley unter Konnotation versteht %u%üglich zu dem, was er durch das Designat erfaßt sieht. Rapoport versteht unter Konnotation all das, was Beardsley unter Designat und Konnotation versteht. Beardsleys Konnotationsbegriff hingegen bezieht sich allein auf enzyklopädisches Wissen. Die Konnotationen, die Beardsley vorschweben, beschränken sich auf die nichtdesignierten Eigenschaften der Term-Denotate, der denotierten Dinge: auf die Eigenschaften, von denen angenommen wird, daß sie allein den denotierten Dingen zueigen sind. Beardsley exemplifiziert seine Überlegungen folgendermaßen: Das Wort ,Wolf zum Beispiel designiert bestimmte Charakteristika, die eine bestimmte Klasse von Tieren definieren; zudem denotiert es die Tiere, die jene definierenden Charakteristika aufweisen. Doch neben den designierten Charakteristika — den Charakteristika, die die Wölfe zu dem machen, was sie sind —, weisen viele Wölfe noch andere Charakteristika auf — oder es wird zumindest angenommen, daß sie sie aufweisen: Wildheit, Ausdauer und räuberisches Zusammenhalten nämlich. Und diese Charakteristika sind Wölfen zugeschrieben worden in Kontexten, die das Wort ,Wolf enthalten, während die Kontexte, die das technische Synonym, cants lupus, enthalten, Charakteristika der erwähnten Art im allgemeinen nicht zuschreiben. Wenn eine Person nun das Wort ,Wolf in einem bestimmten Kontext gebraucht, können wir daraus schließen, daß sie wahrscheinlich glaubt, daß die Entitäten, auf die sie Bezug nimmt, einige der Charakteristika aufweisen, die mit diesem Wort konnotiert werden. Diese Charakteristika sind Teil dessen, was die volle Bedeutung des Wortes genannt werden könnte, auch wenn sie nicht der Lexikon-Bedeutung, der Designation, angehören.30 Beardsley radikalisiert gewissermaßen den von Max Black ins Spiel gebrachten Bezug auf enzyklopädisches Wissen. Gegenüber dem semantischen Wissen, das Black für fungibel hält, verlagert Beardsley das Schwergewicht auf das enzyklopädische Wissen. » Vgl. Beardsley (1958), 125.

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Semioiische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

Daß es so sein könnte, daß im Falle metaphorischer Äußerungen allein die Konnotationen eines Terms (im Sinne Beardsleys) — im Unterschied zur lexikalischen Bedeutung - relevant sind, zeigt sich anhand von Ausdrücken, die selbst keine lexikalische Bedeutung aufweisen, das heißt in Fällen, in denen Eigennamen metaphorisch verwendet werden, wie es z. B. geschieht, wenn etwa über Hamburg gesagt wird, es sei ,das Venedig des Nordens' oder wenn von Jörg Roßkopf gesagt wird, er sei ,der Beckenbauer des Tischtennis'. In solchen Fällen muß man wissen, wo Venedig liegt bzw. wer Beckenbauer ist. Daß dabei entsprechende Konnotationen fungibel werden, durch diesen Umstand hat sich Rapoport zur Aufstellung einer Liste von Namen veranlaßt gesehen, im Hinblick auf die er unverblümt fragt, welche figurativen Bedeutungen damit assoziiert seien. Auf der Liste stehen unter anderem: die Bastille, die Berliner Mauer, Madison Avenue, Pearl Harbor, Prag, Chicago, Las Vegas und Watergate. Es ist klar: da diese Wörter als Namen keine (lexikalische) Bedeutung haben, können nur die mit ihnen verknüpften Konnotationen gemeint sein, wenn nach der figurativen Bedeutung gefragt wird. (II) Das von Max Black ins Spiel gebrachte ,System von Gemeinplätzen (oder Implikationen)' könnte auch als .Stereotyp' bezeichnet werden. Stereotype (im Sinne Hilary Putnams) sind Standard-Kenntnisse über von bestimmten Wörtern bezeichnete Gegenstände, Kenntnisse, die Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft abverlangt werden, wenn diesen der Erwerb der entsprechenden Wörter soll attestiert werden können. Putnam spricht in The meaning of,meaning' (dt.: Die Bedeutung der „Bedeutung'1) zwar nicht von Wölfen, sondern vornehmlich von Tigern (bzw. von Gold, Wasser oder Ulmen); doch im Hinblick auf einen Sprecher, von dem zu Recht soll gesagt werden können, er kenne die Bedeutung z. B. von /Tiger', sagt er: Nehmen wir an, unser Sprecher zeigte auf einen Schneeball und fragte: ,Ist das ein Tiger?' Offensichtlich hat es dann keinen rechten Sinn, sich mit ihm über Tiger zu unterhalten. Um sinnvoller miteinander zu kommunizieren, müssen die Leute einiges darüber wissen, wovon sie reden. Gewiß, wir hören tagein, tagaus Leute .kommunizieren', die offensichtlich nichts von der Sache verstehen, von der sie reden. Aber der Mann, der da auf den Schneeball zeigt und fragt ,Ist das ein Tiger?', beweist damit eine so hochgradige Ignoranz, daß es einen schon verdattert [...] Meine These ist, daß von einem Sprecher verlangt wird, etwas über Tiger, Ulmen etc. (oder jedenfalls über das jeweilige Stereotyp) zu wissen, damit man ihm zugestehen kann, er habe Tiger', ,Ulme' etc. erworben.31

Was diese Auffassung genau besagt, erläutert Putnam so: Nach dieser Auffassung wird von jemandem, der weiß, was .Tiger' bedeutet (oder der, wie wir uns entschlossen haben zu sagen, das Wort .Tiger' erworben hat) verlangt zu wissen, daß stenotype Tiger gestreift sind. Genauer: Es gibt ein Tiger-Stereotyp (er mag noch andere haben), das die Sprachgemeinschaft als solches voraussetzt; es wird von ihm verlangt, daß er dieses Stereotyp hat und daß er im Prinzip weiß, daß diese 31

Putnam (1979), 66.

Interaktionstheorie der Metapher

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Kenntnis obligatorisch ist. Und dieses Stereotyp muß das Merkmal des Gestreiftseins umfassen, wenn ihm der Erwerb des Wortes .Tiger' bescheinigt werden soll.32

Putnam vertritt dabei eine Auffassung, die er »sprachliche Arbeitsteilung' nennt. Dieser Auffassung zufolge muß ein normaler Sprecher oder eine normale Sprecherin stereotype Kenntnisse haben, speziellere Kenntnisse aber haben lediglich Experten für bestimmte Sachbereiche, nicht Laien.33 Nach diesem Abstecher in die Gebiete der Tiger und Ulmen etc. sollte man nun wieder darauf vorbereitet sein, mit den von Max Black anvisierten Wölfen zu heulen. Daß das System von Gemeinplätzen, von dem bei Black die Rede ist, im Sinne des Stereotypen-Konzepts Putnams verstanden werden könnte, zeigt die folgende Bemerkung Blacks, in der auch vom Laien und vom Experten gesprochen wird: Man stelle sich einen Laien vor, von dem man verlangt, ohne besondere Vorbereitung alles aufzuzählen, was seiner Meinung nach auf Wölfe zutrifft; die dabei entstehende Reihe von Aussagen würde sich dem annähern, was ich hier das mit dem Wort ,Wolf verbundene System von Gemeinplätzen nenne. Ich glaube, daß in jeder Kultur die Antworten der jeweils befragten Personen ziemlich stark übereinstimmen würden und daß selbst der gelegentlich auftauchende Experte, der möglicherweise eine ungewöhnliche Kenntnis des Gegenstandes hätte, immer noch wüßte, ,was der Mann auf der Straße von der Sache hält'. Vom Expertenstandpunkt aus gesehen, mag das System der Gemeinplätze Halbwahrheiten oder regelrechte Fehler miteinschließen (etwa wenn ein Wal als Fisch klassifiziert wird); entscheidend für die Wirksamkeit der Metapher ist jedoch nicht, daß die Gemeinplätze wahr sind, sondern daß sie sich zwanglos und ohne Umstände einstellen.34

Gemeinplatzartige oder stereotype Kenntnisse über den von einem metaphorisch gebrauchten Ausdruck bezeichneten Gegenstand, die sind es, auf die Black zufolge zurückgegriffen werden muß, wenn die entsprechende metaphorische Aussage verstanden werden soll. Daß gemeinplatzartige Kenntnisse bezüglich des von einem metaphorisch gebrauchten Wort gewöhnlich bezeichneten Gegenstands eine ausschlaggebende Rolle spielen, dürfte als entscheidender Einbück in das Funkrionieren der Metapher anzusehen sein. Eine neuere Version dieser Auffassung vertritt Emma Borg, wenn sie sagt: "Using metaphor is, I want to suggest, using language to get beyond the confines of language, to tap directly in our shared experience of the world, our common knowledge and social background."35 Mit der Metapher gelangt man an einen Punkt, an dem es sich so verhält, "that natural language runs off the rails into the realm of purely conceptual/cognitive associations."3'' Daß nicht semantiscb.es Wissen, die WörterbuchBedeutung des metaphorisch verwendeten Wortes das Entscheidende ist, sondern 32

33

35 36

Ebd., 68. Vgl. ebd., 37ff. Borg (2001), 236. Ebd.

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Semicwische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

Sach-Kenntnis, sogenanntes enzyklopädisches Wissen, das ist die unverlierbare Einsicht — auch wenn die Interaktionstheorie, wie Black mutmaßt, nicht für alle Arten von Metaphern die richtige Theorie sein sollte. Die in diesem Zusammenhang betonte Rolle, die enzyklopädischem Wissen im Gegensatz zu semantischem zukommen soll, macht die Interaktionstheorie der Metapher immun gegen einen möglichen Einwand, der von Vertretern der kausalen Namentheorie ausgehen könnte. Saul A. Kripke, der Begründer dieser Theorie, vertritt im Hinblick auf Gattungsnamen die gleiche Auffassung, die John Stuart Mill, wie oben erwähnt, im Hinblick auf Eigennamen vertreten hat. Nach Mill haben Eigennamen keinen Sinn, Kripke zufolge haben auch Gattungsnamen keinen Sinn. Kripke sagt, seine Argumentation komme „implizit zu dem Schluß, daß bestimmte generelle Termini, nämlich diejenigen für natürliche Arten, enger mit Eigennamen verwandt sind, als gewöhnlich erkannt wird."37 Nach Kripke wird die Bedeutung der Gattungsnamen genauso wie die der Eigennamen in einer Art Taufakt etabliert und in der Folgezeit tradiert. Da die Interaktionstheorie auf enzyklopädisches Wissen, nicht auf semantisches, setzt, könnte sie mit Kripkes Auffassung über Gattungsnamen leben. Insistieren muß sie lediglich auf dem Umstand, daß nicht auf die Gegenstände selbst, sondern auf Wissen über sie zurückgegriffen wird. Letzteres jedenfalls betont Searle, wenn er sagt: Die Vertreter der Wechselwirkungsauffassung [interaction view] haben richtig erkannt, daß die mentalen und semantischen Prozesse, die beim Hervorbringen und Verstehen metaphorischer Äußerungen eine Rolle spielen, nicht die Gegenstände selbst umfassen können [cannot involve references themselves], die von den Ausdrukken bezeichnet werden, sondern daß sie vielmehr auf der Ebene der Intentionalität liegen müssen - das heißt, daß sie Beziehungen auf der Ebene der Überzeugungen, Bedeutungen, Assoziationen usw. umfassen müssen.38

Searle lenkt die Aufmerksamkeit auf die Ausdruckstypen, die eine metaphorische Aussage konstituieren. Die Aussage ,Der Mensch ist ein Wolf enthält zwei Gattungsnamen (Mensch und Wolf), man könnte auch sagen, sie enthält eine definite Kennzeichnung (,Der Mensch*) und eine indefinite (,ein Wolf), wobei sich die erstere, wie hier bereits erwähnt, generisch, als ,Der Mensch im allgemeinen', verstehen läßt. Letzteres könnte plausibel erscheinen lassen, was Black zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: „Die Metapher selegiert, betont, unterdrückt und organisiert charakteristische Züge des Hauptgegenstandes, indem sie Aussagen über ihn einbezieht, die normalerweise zum untergeordneten Gegenstand gehören."39 Wird die definite Kennzeichnung ,Der Mensch' durch einen Eigennamen substituiert (so daß es z. B. heißt ,Peter ist ein Wolf), scheint sich die Szenerie zu ändern. Denn dann fehlt für den metaphorisch gebrauchten Ausdruck der Inter37

Kripke (1981), 153. Searle (1982a), 114. 35 Black ([1954]/1983), 76. M

Interaktionstheorie der Metapher

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aktionspartner. Dieser Einwand jedenfalls ist es, den Searle erhebt, wenn er mit Bezug auf das (strukturgleiche) Beispiel ,Sally ist ein Eisklotz' sagt, bei einer metaphorischen Äußerung dieser Art könne „keine Rede von irgendeiner Wechselwirkung (interaction] zwischen der Bedeutung des ,Hauptsubjekts' (^Sally4) und der des ,Nebensubjekts' (.Eisklotz*) sein. ,Sally' ist ein Eigenname; wie ihm Bedeutung zukommt, das unterscheidet sich ein wenig davon, wie ,Eisklotz' Bedeutung hat."40 Nach Searle hätte man auch andere referierende Ausdrücke wie z. B. ,Miss Jones' oder ,Das Mädchen da hinten in der Ecke' „zum Zwecke derselben metaphorischen Prädikation benutzen können."41 Man sieht: Anders als Kripke, aber ähnlich wie Mill, unterstellt Searles Argument einen Unterschied im semantischen Verhalten von Eigennamen (wie .Sally1) und Gattungsnamen (wie ,Eisklotz*). Doch selbst wenn solch ein Unterschied nicht sollte aufrechtzuerhalten sein — daß es einen Unterschied gibt zwischen rein referierenden Ausdrücken wie Eigennamen auf der einen Seite und Prädikaten auf der anderen, ist nicht zu leugnen, und die Vermutung, daß Blacks Beispiel seine vermeintliche Überzeugungskraft dem Umstand verdankt, daß die definite Kennzeichnung ,Der Mensch' generisch gelesen wird, ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Eine der zentralen Thesen der Interaktionstheorie der Metapher besagt, daß die Komponenten einer Metapher, Tenor und Vehikel, einen reziproken Einfluß aufeinander ausüben, der bei beiden Komponenten zu Bedeutungsveränderungen führt.42 Bestimmte psychologische Forschungsergebnisse, die bei Waggoner zusammengefaßt sind, „contradict the interactionists' claims about reciprocity in that the tenor seems to have little influence on the comprehension process."43 Über die von ihm diskutierten Ergebnisse jedoch sagt Waggoner, daß sie do not necessarily refute claims about the reciprocity of influence between the components of metaphors. First, interaction theorists need not be interpreted as claiming that there is complete reciprocity between tenor and vehicle, only that there is some reciprocal influence. Asymmetry does not entail nonreciprocity. Second, the key aspect of the interactionists' claims about reciprocity is that tenor and vehicle both undergo changes of meaning. What would be required to refute the claim about reciprocity is a demonstration that the vehicle undergoes no changes in meaning.44

Daß dem Vehikel einer Metapher hinsichtlich seiner Bedeutung keine Veränderung widerfährt, wird nicht generell unterstellt. Die im nächsten Abschnitt zu besprechende Theorie Beardsleys geht von dem Vorkommen einer solchen Veränderung gerade aus.

40

Searle (1982a), 113f. Ebd. 41 Vgl. Waggoner (1990), 93. 43 Ebd., 101. «Ebd. 41

Absurditätstheorie der Metapher: Monroe C. Beardsley, Christian Strub Monroe C. Beardsley fokussiert die Absurdität der metaphorischen Attribution. Obwohl die Konnotationen eines Gattungsnamens, wie in dem vorangegangenen Abschnitt erwähnt, für ihn ähnlich wichtig sind wie für Max Black; und obwohl auch Beardsley davon ausgeht, daß dem Vehikel einer Metapher eine Veränderung widerfährt, ist er kein Anhänger der Interaktionstheorie der Metapher. Beardsley entwickelt seine Absurditätstheorie der Metapher vor allem in Aesthetics. In seinem späteren Aufsatz The Metaphorical Twist („Die metaphorische Verdrehung") unterscheidet er zwischen einem „Ansatz vom Objekt her und einem Ansatz vom Wort her."1 Den ersteren Ansatz nennt er „Metapherntheorie des Objekt-Vergleichs [Object-comparison Theory]"2, den anderen, den von ihm favorisierten: „Theorie der Wort-Opposition [Verbal-opposition Theory]"3. Für den ^Ansatz vom Wort her', für die Theorie der Wort-Opposition, ist laut Beardsley charakteristisch, daß es ein Vergleichen zweier Objekte, wie von der Theorie des Objekt-Vergleichs behauptet, gar nicht zu geben scheint; in Gestalt einer Metapher liege statt dessen eine besondere Leistung der Sprache oder ein Wortspiel vor, wobei der Modifikator selbst zwei Bedeutungsebenen enthalte. Wenn ein Prädikat als Metapher mit einem Subjekt verbunden wird, verliert das Prädikat seine normale Bedeutungsextension, weil es eine neue Bedeutungsintension erhält - die es eventuell in keinem anderen Zusammenhang besitzt, und die Ver-drehung [twist] in der Bedeutung entsteht durch innere Spannungen oder Oppositionen in der Metapher selbst.4

Nach dieser Auffassung also (es ist, wie gesagt, die von Beardsley favorisierte) verliert ein als Metapher verwendetes Prädikat, weil es eine neue Bedeutungsintension erhält, d. h. einen neuen Begriff bezeichnet, seine normale Bedeutungsextension; es bezieht sich mithin nicht mehr auf die gleiche Klasse von Dingen wie das nichtmetaphorisch verwendete Prädikat. Darin, daß das Prädikat eine neue Bedeutungsintension erhält, in diesem Umstand besteht die metaphorische Verdrehung, von der Beardsley spricht. Wodurch wird sie veranlaßt? Beardsley führt die Metaphorizität der Metapher auf einen Konflikt zurück, „den es bei den wörtlichen Ausdrücken nicht gibt."5 Dieser Konflikt ergibt sich aus dem Umstand, daß die beiden Wörter, aus denen die Metapher (in der auf Richards zurückgehenden Sichtweise) besteht, in einem Gegensat^ zueinander stehen. „Der Gegensatz, der einen Ausdruck zu einer Metapher macht, liegt also ' Beardsley ([l962]/l983), 120. 2 Ebd., 121. 3 Ebd. 4 Ebd. s Ebd., 127f.

JU

Semioiische Theorien I: Fonnbezogene oder strukturale Ansätze

in der Bedeutungsstruktur selbst."6 Es ist ein logischer Gegensatz. „Der logische Gegensatz ist es, der dem Modifikator seine metaphorische Verdrehung [metaphorical twist] gibt."7 „Der Begriff .logischer Gegensatz"', das betont Beardsley, „umfaßt hier sowohl die direkte Unvereinbarkeit bezeichneter Eigenschaften als auch eine mehr indirekte Unvereinbarkeit zwischen den verschiedenen Präsuppositionen der Wörter"8. Unterschiedliche Präsuppositionen sind bei ,Fehlanwendungen' (offensichtlichen Falschheiten) im Spiel; die indirekte Unvereinbarkeit bezeichneter Eigenschaften ist kennzeichned für die sogenannte ,Satzmetapher'.9 Wie aber ist es möglich, daß ein Prädikat eine neue Bedeutungsintension erhält (was Scheffler dazu veranlaßt haben mag, die ,Controversion Theory' .intensionaT zu nennen10)? Hier treten, wie bei Max Black, jene Eigenschaften in Erscheinung, die zur Nebenbedeutung des Prädikats gehören: dessen Konnoiationen. Es findet eine „Verschiebung von der denotativen Bedeutung zur konnotativen"11 statt. Wenn ein Wort mit anderen derart kombiniert wird, daß zwischen seiner Hauptbedeutung und den anderen Wörtern ein logischer Gegensatz entsteht, tritt [...] [eine] Verschiebung von der Hauptbedeutung zur Nebenbedeutung ein, die uns anzeigt, daß wir das Wort metaphorisch verstehen sollen. Nur so ist es verständlich und nicht absurd."

Ist die Bezeichnung »Absurditätstheorie der Metapher' im Hinblick auf diese Theorie also gar nicht gerechtfertigt? Diese Frage dürfte zu verneinen sein; und zwar nicht nur deshalb, weil die der Theorie der Wort-Opposition zugrundeliegende jControversion Theory', die vierte der von Beardsley in Aesthetics unterschiedenen Theorien, unter der Überschrift „Lagcal^&r»ra>y"13eingefuhrt wird. Logisch absurde Aussagen werden keineswegs perhorresziert; Aussagen dieser Art werden zwar nicht einfach hingenommen, sie werden durchaus nicht ignoriert, sondern zum Anlaß für die Suche nach einer sekundären, auf einer zweiten Ebene angesiedelten Bedeutung.14 Beardsley unterscheidet verschiedene Arten von ^Attribution'. Als »Attribution* bezeichnet er einen sprachlichen Ausdruck, der aus mindestens zwei Wörtern besteht, von denen das eine eine Klasse von Redegegenständen denotiert und diese zugleich in einer bestimmten Weise charakterisiert, während das andere dieser Charakterisierung eine Qualität zuschreibt oder sie modifiziert. Den Term,

6

Ebd., 129. Ebd. •Ebd. 'Vgl. Beardsley (1958), 142. '° Vgl. Scheffler (1979), 97. " Beardsley ([1962J/1983), 130. 12 Ebd., 129. »Beardsley (1958), 138. 14 Vgl. ebd. 7

Absurditätstheorie der Metapher

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welcher modifiziert wird, nennt Beardsley .Subjekt' der Attribution, den anderen Term bezeichnet er als .Modifikator'.15 Beardsley geht aus von logisch leeren Attributionen·, diese unterteilt er in (i) selbstimplikative und (ii) selbsl-widersprüchliche (.self-contradictory1). Zu den selbstimplikativen Attributionen gehören redundante Phrasen wie .zweibeiniger Zweirußler' sowie Tautologien wie ,Mann ist Mann'. Metaphorische Attributionen gehören zur zweiten Gruppe, zu den selbst-widersprüchlichen Attributionen. Beardsley sagt: A self-contradictory attribution is one in which the modifier designates some characteristic incompatible with the characteristics designated by the subject [...]; but when the modifier connotes some characteristic that can be meaningfully attributed to the subject, the reader jumps over the evident self-contradiction and construes it indirectly, on the principle that the writer knows he is contradicting himself and wouldn't utter anything at all unless he had something sensible in mind. Then the expression becomes a significant sty-contradiction.16

Letzteres ist bei einer Metapher der Fall: Eine metaphorische Attribution liegt immer dann vor, wenn (1.) die Attribution indirekt selbst-widersprüchlich ist, sich also von einem Oxymoron unterscheidet (das direkt selbst-widersprüchlich ist), und (2.) wenn der Modifikator Konnotationen hat, die dem Subjekt attribuiert werden können.17 „Metaphorische Attribution enthält also zwei wesentliche Bestandteile: eine semantische Unterscheidung zwischen zwei Bedeutungsebenen und einen logischen Gegensatz auf einer Ebene."18 Beardsley schränkt den Begriff Metapher aber nicht auf indirekt selbstwidersprüchliche Attributionen ein, er bezieht auch offensichtliche Falschheiten mit ein, die nicht selbst-widersprüchlich sind, sondern bloß absurd.19 Die indirekt selbst-widersprüchlichen Attributionen gehören zu den sententialen Attributionen; daneben gibt es noch phrasale?0 Letztere sind uneingeschränkt möglich. Selbst solche phrasalen Attributionen wie .melancholische Geranie' oder .eitler Bleistift', die man noch nicht einmal mehr ,kühn' nennen würde, ergeben letztlich Sinn. Beardsley sagt unmißverständlich: "[E]ven if we put all English adjectives in one hat, and all nouns in the other, and drew them out at random, we would find that the strangest combinations yield possible meanings upon reflection; and this is a significant feature of living language"21. So verhält es sich in der Tat: Es gibt keine Attribution (der hier thematisierten Art), die nicht als Metapher verstanden und interpretiert werden könnte.

I5

Vgi. ebd., 138f. Ebd., 140f. 17 Vgl. ebd., 141. 18 Beardsley ([1962]/1983), 130. 19 Vgl. Beardsley (1958), 142. 20 Vgl. ebd., 139 und 142. 21 Ebd., 143. 16

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Semio-fische Theorien I: Formbezogene oder Strukturale Ansätze

Als Absurditätstheorie der Metapher kann auch die bei Christian Strub vertretene Auffassung angesehen werden, auch wenn er selbst andere Bezeichnungen verwendet. Die Abgrenzung von der Vergleichstheorie der Metapher sowie die Einschätzung der Absurdität als konsumtives Moment für die metaphorische Interpretation entsprechen bei ihm genau dem, was Beardsleys Ansatz auszeichnet. Die bei Strub in Kalkulierte Absurditäten skizzierte ,Unähnlichkeitstheorie der Metapher' versteht sich als „Gegentheorie zur Vergleichstheorie der Metapher"22. Diese Gegentheorie sucht die für die Vergleichstheorie der Metapher charakteristische „Priorität des Ähnlichkeitsbegriffs zu zerstören"23. Strubs „Unersetzbarkeitstheorie der emphatischen Metapher kann deshalb ,Unähnlichkeitstheorie' genannt werden."24 Es ist die Annahme der Ersetzbarkeit der Metapher durch den Vergleich, die Strub destruiert sehen möchte. Die Absurdität der Metapher wird geradezu zum Schibboleth für die Unterscheidung vom Vergleich. Laut Strub besteht der entscheidende Unterschied zwischen Metapher und Vergleich darin, „daß die Metapher, wörtlich verstanden, eine Absurdität produziert, der Vergleich nicht."25 Beim Vergleich besteht keine „Notwendigkeit, zwischen wörtlicher und übertragener Ebene zu trennen"26. Bei der Metapher jedoch ist das anders: Da sie „auf ihrer wörtlichen Ebene absurd"27 ist, muß sie, um akzeptiert werden zu können, interpretiert werden. Die Interpretation bringt die Absurdität zum Verschwinden. Strub versteht seine Ausführungen demgemäß als „Theorie der Interpretation von Metaphern"28. Die Absurdität der Metapher ist für diese Theorie konstitutiv. Diagnostizierte Absurdität .verpflichtet' zu sinnstiftender Interpretation.29 Eine Auffassung wie diese ist überzeugend. Sie wird auch andernorts hervorgehoben: „In einem metaphorischen Satz", sagt Davidson, „gewährleisten Absurdität oder Widersprüchlichkeit, daß wir nicht daran glauben werden, und so werden wir unter geeigneten Umständen dazu angeregt, den Satz als Metapher aufzufassen."30

22

Strub (1991), 419. Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd., 416. "Ebd. 27 Ebd., 415. M Ebd., 21 29 Vgl. ebd., 50. 30 Davidson (1986), 362. 23

Inhaltverdopplungstheorie der Metapher: Eva Feder Kittay Charakteristisch für die von Eva Feder Kittay entwickelte Metaphertheorie sind zunächst zwei Merkmale: Zum einen bezeichnet sie die von ihr - unter Rückgriff auf die Ansätze von I. A. Richards, Max Black und anderen - entwickelte Theorie als .perspectival'. Diese Benennung bezieht sich auf die Funktion, eine Perspektive bereitzustellen, von der aus ein Verständnis dessen erlangt werden kann, was metaphorisch dargestellt wird.1 Perspektivisch impliziert ein Subjekt, das aus einem bestimmten Blickwinkel etwas beobachtet. In diesem Sinne kann von der Metapher gesagt werden, sie bringe das sprachliche Realisierungsmittel [,the linguistic realization*] für eine kognitive Aktivität bei, durch die ein Sprecher von dem einen — sprachlich artikulierten — Bereich Gebrauch macht, um ein Verständnis eines anderen Erfahrungs- oder Begriffsbereichs zu erlangen.2 Zum anderen legt Kittay großen Wert auf die Beachtung des Umstände, daß jemand, der eine metaphorische Äußerung macht, von einem sprachlich bereits artikulierten Bereich Gebrauch macht, um im Hinblick auf einen anderen Bereich, den von ihm anvisierten, etwas auszusagen. Dieser Umstand veranlaßt Kittay zu der Annahme, in metaphorischen Äußerungen seien semantische Felder operativ.3 Bei diesen beiden Merkmalen, denen zufolge sich die Theorie Kittays ihrem Selbstverständnis nach als .perspektivistisch' und zugleich .feldtheoretisch' präsentiert, muß man nicht stehen bleiben. Kennzeichnend für Kittays Theorie und im Hinblick auf diese für noch aussagekräftiger zu halten, das ist hier die These, ist die Beobachtung, daß Kittay die Metapher mit Hilfe einer Unterscheidung beschreibt, die auf de Saussure (und Hjelmslev) zurückgeht: gemeint ist die Differenz ^Ausdruck/Inhalt'. Kittay wendet das bilaterale Zeichenmodell Saussures auf die Metapher an und leistet auf diese Weise einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erhellung ihrer Struktur. Durch diesen Rückgriff auf Saussures Zeichenmodell gelangt Kittay zu der Auffassung, daß einer Metapher ein zweifacher Inhalt zukommt. Eine Metapher weist bereits auf ihrer Ausdrucksseite einen Inhalt auf — und übermittelt zudem einen neuen Inhalt. Man könnte deshalb mit Bezug auf diesen Ansatz davon sprechen, daß es sich dabei um eine Inhaltverdopplungstheorie handelt. Wie sich zeigen wird, ist dies nicht die einzige Art von Verdopplungstheorie, die im Metaphersektor anzutreffen ist; es gibt auch noch die ,Referenzverdopplungstheorie'.4 Im Rahmen der von ihr präsentierten Theorie beabsichtigt Kittay eine Untersuchung der sprachlichen Ressourcen, die das metaphorisch sprechende Subjekt 1

Vgl. Kittay (1987), 13f.

2

Vgl. ebd., 14.

'Vgl. ebd.,33ff. Siehe dazu den Abschnitt über die Rcjeren^itrdappbtngslheorie der Metapher.

4

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Semio/ische Theorien I: Formbezogene oder stnikturale Ansätze

in die Lage versetzen, eine perspektivische Einstellung der oben erwähnten Art einzunehmen. Kittay fokussiert den Bereich der sprachlichen Realisierungsmittel für die kognitiv-perspektivische Aktivität des beobachtenden Subjekts. Wäre die Sprache nicht in bestimmten spezifizierbaren Hinsichten strukturiert, wären Metaphern nicht möglich. Die Ressourcen der Sprache sind eher zugänglich als die subjektive Einstellung dessen, der eine bestimmte Perspektive auf das metaphorisch Darzustellende einnimmt. Kittay sagt aus diesem Grunde wenig über die Intentionen eines Sprechers, der sich metaphorisch äußert. Solche Intentionen sind nach ihrer Ansicht für die Bestimmung einer Äußerung als metaphorisch weder notwendig noch hinreichend.5 Gegenüber Lakoff/Johnson, die Metaphern zu etwas Kotn$>tue//em erklären,6 stellt Kittay klar, daß sie die Metapher als eine sprachliche Erscheinung betrachtet.7 Das Konzeptuelle erfordert ein Ausdrucksmedium. Begriffe, so wie Kittay sie versteht, sind keine unabhängigen Gegebenheiten, sie entspringen vielmehr der Artikulation eines Bereichs, einer Artikulation, die mit Hilfe einer bestimmten Menge von Kontrasten und Affinitäten zustande gebracht wird, welche in einem Ausdrucksmedium verfügbar gemacht werden.8 Da Kittay ihre Theorie vornehmlich in Auseinandersetzung mit Arbeiten von I. A. Richards und Max Black entwickelt, verwundert es nicht, daß die von diesen Autoren eingeführten Grundbegriffe erneut auftauchen. Was die Differenz .Tenor/Vehikel' anbelangt, so finden sich Aussagen, die auf den ersten Blick etwas irritieren. Es finden sich Bezugnahmen auf diese Differenz, im Hinblick auf die nicht klar ist, ob sie miteinander verträglich sind. Während an einer Stelle ihres Buches Richards ursprüngliche Formulierung folgendermaßen wiedergeben wird: „tenor (man) and vehicle (wolf)"9, heißt es einige Seiten zuvor: "[WJe can say that the vehicle is the idea conveyed by the literal meanings of the words used metaphorically. The tenor is the idea conveyed by the vehicle."10 Beide Bemerkungen sollen als Erläuterungen der von Richards inaugurierten Differenz verstanden werden. Nach dieser Bestimmung spielt die wörtliche Bedeutung eines metaphorisch verwendeten Ausdrucks eine Rolle. Sie wird übermittelt von dem Vehikel. Das Vehikel wäre demzufolge eine Vorstellung: die Vorstellung, die von der wörtlichen Bedeutung des metaphorisch verwendeten Ausdrucks übermittelt würde, und der Tenor wäre ebenfalls eine Vorstellung: diejenige, die von dem Vehikel in seiner Eigenschaft als Metapher übermittelt würde. Sollte die Differenz .Tenor/Vehikel· wirklich so zu verstehen sein?

5

Vgl. Kittay (1987), 14.

6

Vgl. dazu den Abschnitt über die Kon^ptualisierungstheorie der Metapher.

i Vgl. Kittay (1987), 14. 8 Vgl. ebd., 15. 9 Ebd., 25. 10 Ebd., 16.

Inhaltverdopplungstheorie der Metapher

55

Daß Richards keine explizite Definition der von ihm vorgeschlagenen Differenz gegeben hat, wird nicht nur bei Kittay moniert.11 Auch Max Black hat sich über die Mehrdeutigkeiten beschwert, die mit Richards Verwendung der Termini ,Tenor' und .Vehikel' einherzugehen scheinen. Black sagt: .Vehikel' schwankt in seiner Bedeutung zwischen metaphorischem Ausdruck (E), untergeordnetem Gegenstand (S) und dem angeschlossenen Implikationssystem (l). Weniger klar ist, was ein .Tenor' bedeutet manchmal steht er für den Hauptgegenstand (P), manchmal für die Implikationen, die mit diesem Gegenstand verbunden sind (für die ich oben keine Symbole angegeben habe), manchmal, entgegen Richards eigenen Intentionen, für die resultierende Bedeutung (man könnte auch sagen die .volle Bedeutungsbreite') von E in seinem Kontext F(E). Es besteht wahrscheinlich keine Hoffnung auf eine allgemein akzeptierte Terminologie, solange die Meinung der Autoren über diesen Gegenstand so weit auseinander geht.12

Doch wie dem auch sei: Kittays These, im Unterschied zu der von der wörtlichen Bedeutung des metaphorisch verwendeten Wortes übermittelten Vorstellung sei der Tenor die von dem Vehikel übermittelte Vorstellung, könnte als Vorwegnahme ihrer Auffassung vom Thema der Metapher verstanden werden. Wie alsbald zu sehen, wird die Rede vom Tenor, und zwar eher en passant als expressis verbis, durch die Rede vom .topic' (Thema) ersetzt. Kittay entwickelt ihre Theorie der Metapher unter Rückgriff auf die Interaktionstheorie und um zu verdeutlichen, worauf ihr eigener Ansatz abzielt, faßt sie die Interaktionstheorie mit Hilfe der folgenden sechs Thesen zusammen:13 (1) Metaphern sind Sätze, keine isolierten Wörter. (2) Metaphern bestehen aus zwei Komponenten. (3) Zwischen den beiden Komponenten der Metapher besteht eine Spannung. (4) Die beiden Komponenten, aus denen eine Metapher besteht, sind als Systeme zu verstehen. (5) Die Bedeutung der Metapher entsteht aus dem Zusammenspiel [.interplay'] ihrer Komponenten. (6) Die Bedeutung einer Metapher ist irreduzibel und kognitiv. Die ersten vier Thesen spezifizieren die Struktur der Metapher, die letzteren beiden sind für deren Interpretation relevant. Jede der sechs Thesen ist, in modifizierter und weiterentwickelter Form, ein wichtiger Baustein der Theorie Kittays. Hier soll fokussiert werden, was Kittay zur Erläuterung der Thesen 2, 3 und 4 sagt. Im Hinblick auf These 2 macht Kittay zunächst klar, was sie unter dem Terminus ,Vehikel' verstanden wissen möchte. Sie sagt, sie werde diesen Terminus mitsamt der von ihm suggerierten Transport-Vorstellung zur Bezeichnung des fokalen Ausdrucks (des .focus' im Sinne Max Blacks) beibehalten. .Vehikel' umfaßt bei Kittay zweierlei: (a) den metaphorisch erwendeten Ausdruck zusammen mit (b) dem Inhalt, den dieser Ausdruck wörtlich übermittelt. Das heißt: Das 11

Vgl. ebd. Black ([1954J/1983, 77f.), Anm. 23. 11 Vgl. Kittay (1987), 22f. 12

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Semioiische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

Vehikel ist gleichzusetzen mit einem Term: mit einem Gebilde, das selbst eine Ausdrucks- und eine Inhaltsseite hat. Das Vehikel, so verstanden, ist dann die Ausdrucksseite der Metapher; die letztere hat aber auch noch selbst eine Inhaltsseite. Es gibt also noch einen zweiten Inhalt: das ist der von dem metaphorisch verwendeten Ausdruck getragene, übermittelte Inhalt. Diesen zweiten Inhalt nennt Kittay .topic' (»Thema*). .Topic', sagt sie erläuternd, lasse nicht an einen (einzelnen) Ausdruck in einem Text denken, sondern eher an das, wovon der Text handelt.14 Wichtig ist dabei, daß das Thema (.topic1) der Metapher nicht mit deren Bedeutung (.meaning') gleichgesetzt wird. Bei dem Musterbeispiel ,Der Mensch ist ein Wolf verhalte es sich so: "die vehicle is 'wolf while the topic is man (or the idea of man)."15 Wäre der Mensch (oder die Vorstellung vom Menschen) die Bedeutung des metaphorisch verwendeten Terms .Wolf, könnte man den Term ,Wolf im Standardbeispiel durch .Mensch' ersetzen und gelangte so zu der Tautologie ,Der Mensch ist ein Mensch'. Metaphern lassen sich aber nicht auf Tautologien reduzieren, .Thema' und .Bedeutung' einer Metapher müssen auseinandergehalten werden. Die Unterscheidung zwischen Thema und Bedeutung ist für Kittay sehr wichtig. Was ihr vorschwebt, erläutert sie unter gleichzeitiger Bezugnahme auf de Saussures bilaterales Zeichenmodell und Freges Unterscheidung zwischen Sinn (.sense*) und Bedeutung (.referent4).16 Saussures Terminus .Zeichen* durch ,Term' und Saussures Terminus ,image acoustique' (.Lautbild*) unter Berufung auf Frege durch .sign' ersetzend, sieht Kittay die folgende strukturelle Entsprechung zwischen einem normalen TERM und einer METAPHER: Tabelle 1: TERM .sign' Ausdruck Phonemsequenz/Graphemsequenz .sense* Ebd. M Vgl. ebd., 284. » Ebd., 297. M Vgl. Weinrich (1976), 276ff. M Ebd., 325. «Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd.

Feldtheorie der Metapher

(£)

wußtsein ein Bildfeld als virtuelles Gebilde. Meistens jedoch entsteht dieses Bildfeld nicht erst neu, sondern es ist schon aus zahllosen Quellen bekannt. Wir haben immer schon Metaphern gehört, in denen Seelisches mit Landschaftlichem im Bilde gleichgesetzt wird, auch wenn der Zufall will, daß wir gerade diese Metapher Votn äme est un paysage choisi noch nie gehört haben. Die aktuell geprägte oder vernommene Metapher wird von einem in der sprachlichen und literarischen Tradition vorgegebenen Bildfeld getragen und daher sogleich mühelos verstanden. Das erleichterte Verständnis von Metaphern, die innerhalb eines festgefügten Bildfeldes stehen, kann man sich sehr einfach klarmachen, wenn man unsere Metapher innerhalb ihres Bildfeldes gleichsam parallel verschiebt. Man erhält dann Metaphern wie: ,der Fluß der Gedanken', ,der Weg der Methode', ,der Garten der Gefühle', ,der Baum der Erkenntnis', ,der Gipfel der Freude', ,der Abgrund der Verzweiflung'. Es ist ein müheloses Spiel, weitere Metaphern dieses Bildfeldes auszudenken oder in der Literatur aufzusuchen. Die Sprache selber, kraft der in ihr angelegten Bildfelder, denkt uns solche Metaphern vor und legt sie uns in den Mund. Die Bildfelder teilen alle semantischen Merkmale mit den Bedeutungsfeldern, sie lassen sich auffassen als die Verbindung jeweils zweier Bedeutungsfelder.39

Hinsichtlich der Erleichterung des Verständnisses, von dem Weinrich hier mit Bezug auf die in festgefügten Bildfeldern stehenden Metaphern spricht, wird man ihm kaum widersprechen können. Anders verhält es sich jedoch mit seiner Bezugnahme auf die Wortfelder. Vorsicht ist geboten, wenn Weinrich, obwohl er sich seinem eigenen Selbstverständnis nach in mehreren Richtungen von der traditionellen Wortsemantik, und zwar auch von der Wortfeldtheorie40, entfernt, dennoch sagt, die Wörter in dem metaphorischen Vers von Verlaine brächten „ein Bewußtsein ihrer Feldnachbarn mit"41 und die Bildfelder ließen „sich auffassen als die Verbindung jeweils zweier Bedeutungsfelder"42. Zunächst ist nämlich festzustellen, daß Weinrich bei seiner Bezugnahme auf Bedeutungsfelder nicht, wie Porzig, zwischen syntaktischen und parataktischen Feldern unterscheidet, sondern undifferenziert von Bedeutungsfeldern spricht, ja diesen Begriff quasi gleichsetzt mit dem des Wortfeldes.43 Sieht man sich, zweitens, Weinrichs Einführung des Konzepts des Bildfeldes näher an, lassen sich Beobachtungen machen, die den Zweifel an der Berechtigung der Annahme erhärten, im Falle von Bildfeldern seien zwei (sprachliche) Bedeutungsfelder im Sinne von Wortfeldern miteinander verknüpft. Weinrich sagt: Zur Erklärung dessen, was ein Bildfeld ist, muß zuvor gesagt werden, was ein Bildfeld nicht ist. Es ist keine Allegorie im rhetorischen Sinne des Wortes. Denn die rhetorische Figur der Allegorie, definiert als fortgesetzte Metapher, gibt es nur in einem Text. Sie ist also individuell und aktual. Das Bildfeld gehört demgegenüber zum objektiven, virtuellen Sozialgebilde der Sprache und verhält sich zur Allegorie wie Saussures Sprachgebilde [d. h. Saussures langue] zu einer Folge von Sprechakten [d. h. Saussures » Ebd., 326.

19

120

Porge (2000), 86.

Ebd.

Ebd., 87. 121 Ebd. '«Ebd.

Substitutionstheorie der Metapher

\\ 9

le*) dar. Sie involviert die Substitution eines Signifikanten (der Name-des-Vaters) für einen anderen Signifikanten (das Begehren der Mutter). Die Vatermetapher, die die Möglichkeit aller anderen Metaphern begründet123, hat folgende Gestalt: Name - des - Vaters

Begehren - der - Mutter

Begehren-der-Mutter dem Subjekt signifiziert

^T , ,T A > Name-des-Vaters (~~:.— ). Phallus

Die Vatermetapher bezieht sich auf den Ödipuskomplex, so wie Lacan ihn sich vorstellt. Auch dieser Komplex hat, wie die Metapher, etwas zu tun mit dem Phänomen der Substitution. "Lacan analyses the Oedipus complex in terms of a metaphor because it involves the crucial concept of substitution"124. Die Vatermetapher beschreibt die dritte Phase des Ödipuskomplexes. "The Oedipus complex is, for Lacan, the paradigmatic triangular structure, which contrasts with all duadic relations [...]. The key function in the Oedipus complex is [...] that of the FATHER, the third term which transforms the dual relation between mother and child into a triadic structure."125 Es ist wichtig zu beachten, daß dem Vater dabei eine Art Katalysatorfunktion zukommt. Denn die triadische Struktur, von der hier die Rede ist, besteht nicht etwa aus den Elementen Mutter, Kind, Vater — sondern in dem Dreieck Mutter, Kind, Phallus, das wegen des imaginären Status dieses dritten Elements selbst .imaginär' genannt werden kann. "The first time of the Oedipus complex is characterised by the imaginary triangle of mother, child and phallus."126 Dies ist die präödipale Phase. Der Ödipuskomplex in Lacans Version muß also eigentlich als eine viergliedrige Struktur aufgefaßt werden. Thus, though the Oedipus complex can be seen as the transition from a dual relationship to a triangular structure, Lacan argues that it is more accurately represented as the transition from a preoedipal triangle (mother—child—phallus) to an Oedipal QUATERNERY (mother-child-father-phallus). Another possibility is to see the Oedipus complex as a transition from the preoedipal triangle (mother—child—phallus) to the Oedipal triangle (mother—child—father).127

Welche Rolle aber spielt die Vatermetapher? "The paternal metaphor [...] designates the metaphorical (i.e. substitutive) character of the OEDIPUS COMPLEX"128. Gelesen mit Erik Porge, besteht das erste Stadium des in dieser Formel dargestellten Substitutionsprozesses in einem Zustand, in welchem das Subjekt (das Kleinkind) das Begehren-der-Mutter erkennt. Dies geschieht in der ersten Phase des Ödipuskomplexes. In der ersten Phase des Ödipuskomplexes realisiert [...] das Kind, daß sowohl es selbst als auch die Mutter durch einen Mangel gekennzeichnet sind. Der Mangel der Mutter 12J

Vgl. Evans (1996), 112. Ebd. 125 Ebd., 127. 126 Ebd., 128. 127 Ebd., 130. 128 Ebd., 137. 124

120

Semiojische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

liegt im Umstand begründet, daß sie als unvollständig gesehen wird; sonst würde sie nicht begehren. Der Mangel des Subjekts ist, daß es das Begehren der Mutter nicht vollständig befriedigen kann. Das fehlende Element ist in beiden Fällen der imaginäre *> PHALLUS.129 Nichtsdestotrotz versucht das Kind, „der Phallus für die Mutter zu sein und so ihren Mangel auszugleichen."130 Das zweite Stadium der Signifikantensubstitution (so wie Porge sie beschreibt) besteht darin, daß das Begehren-der-Mutter elidiert, unterdrückt wird: „Der Vater verhängt ein Gesetz über das Begehren der Mutter, indem er ihr den Zugang zum phallischen Objekt und dem Subjekt den Zugang zur Mutter verwehrt."131 Auch dieser Vorgang ist weder realer noch symbolischer, er ist imaginärer Natur: Er ist durch den Diskurs der das Gesetz respektierenden Mutter vermittelt, nicht durch Intervention des realen Vaters. „Die zweite Phase des Ödipuskomplexes ist durch die Intervention des imaginären Vaters gekennzeichnet."132 Erst die „dritte Phase des Ödipuskomplexes ist gekennzeichnet durch die Intervention des realen Vaters. Indem er zeigt, daß er den Phallus hat [...], kastriert der Vater das Kind, in dem Sinne als er es ihm verunmöglicht, weiterhin der Phallus für die Mutter zu sein."133 Das dritte Stadium der Signifikantensubstitution besteht in der Substitution des Namen-des-Vaters für das Begehren-der-Mutter. Der Name-des-Vaters wird „dem Platz substituiert, der zuerst durch die Wirkung der Abwesenheit der Mutter symbolisiert wird."134 Das Resultat dieser Signifikantensubstitution ist die Vermittlung der symbolischen Ordnung (die in der Formel für die väterliche Metapher durch , ' repräsentiert wird und deren Bedeutung ,phallisch' ist). Der Ödipuskomplex ist [...] nichts weniger als der Übertritt aus der imaginären Ordnung in die symbolische Ordnung, ,die Erorberung der symbolischen Ordnung als solcher' [...]. Die Tatsache, daß der Übertritt in das Symbolische über eine komplexe sexuelle Dialektik führt, bedeutet, daß das Subjekt ohne Konfrontation mit dem Problem des Geschlechtsunterschieds keinen Zugang zur symbolischen haben kann.135

Die Vatermetapher bezeichnet „den metaphorischen (d. h. substitutiven) Charakter der > ÖDIPUSKOMPLEXES selbst."136 Sie ist die fundamentale Metapher, von ihr hängt die gesamte Designation ab. "It is the fundamental metaphor on which all designation depends: for this reason, all signification is phallic."137

129

Evans (1996/2002), 208. Ebd. 131 Ebd., 209. 132 Ebd. 133 Ebd. 1M Lacan ([1955-1956]/1991), 90. 135 Evans (1996/2002), 207. 136 Ebd, 328. 137 Evans (1996), 137. 130

Substitutionstheorie der Metapher

121

Es soll darüber hinaus aber noch mehrere andere Erscheinungen geben, die die Struktur der Metapher aufweisen. Genannt werden z. B.: das neurotische Symptom (die sogenannte .Wiederkehr des Verdrängten*), die Identifizierung und die Liebe. "Love is structured like a metaphor since it involves the operation of substitution."138 "Metaphor is also the structure of identification, since the latter consists in substituting oneself for another"139. Was das neurotische Symptom, die Wiederkehr des Verdrängten, betrifft, so behauptet Lacan sogar: „das Symptom /// eine Metapher, ob man sich das nun eingestehen will oder nicht, wie das Begehren eine Metonymie ist, selbst wenn der Mensch sich darüber lustig macht."140 Laut Evans (der auf die Vatermetapher Bezug nimmt) hat die Wiederkehr des Verdrängten in folgendem Sinne die Struktur einer Metapher: "The 'metonymic object' (the signifier which is elided, S' in the previous formula) is repressed, but it returns in the surplus meaning (+) produced in the metaphor."141 „Gewisse Signifikanten bestehen auf der Rückkehr in das Leben des Subjekts"142. Sie folgen einem — von Lacan als .Drängen* bezeichneten — .Wiederholungszwang'143; dem »Drängen des Buchstabens im Unbewußten' zeigen sie gewissermaßen einen .Ausweg'. „Die Gegenwart des Signifikanten im Anderen ist nämlich tatsächlich eine für gewöhnlich dem Subjekt verschlossene Gegenwart, denn für gewöhnlich befindet sie sich dort in verdrängtem Zustand und insistiert von dort aus, um kraft des ihr eigenen Wiederholungszwangs im Signifikat sich darzustellen."144 Eine noch etwas andere Formel für die Metapher ist in dem Artikel Die Metapher des Subjekts™^ zu finden. Laut Jean-Fran9ois Lyotard steht Lacans Metaphertheorie zu dieser Metapher in folgendem Zusammenhang: «Quand il dit signifie, J. Lacan pense sujet. Toute la theorie de la metaphore est une theorie de la metaphore du /jy>/.»146 [Wo er Signifikat sagt, meint J. Lacan Subjekt. Seine ganze Metaphertheorie ist eine Theorie der Metapher des Subjekts} Wie Lacan an anderer Stelle nochmals betont, geht es ihm in dem erwähnten Artikel um die Zurückweisung der .„analogical' conception of metaphor"147 des Rhetorikers C. Perelman. Auf letzteren und dessen viergliedrige, an der Metapher aufgezeigte Operation Bezug nehmend, sagt Lacan, er glaube nicht, daß Perelman recht habe, wenn er die Metapher, wie er meint, auf die Funktion der Analogie zurückfuhrt. (...) Wenn wir, was diese Funktion betrifft, als gesichert annehmen können, daß die Ver1M

Ebd., 113. '» Ebd. '« Lacan ([l957]/l991), 55. "' Evans (1996), 112. «« Evans (1996/2002), 344. '« Vgl. ebd., 343. «** Lacan ([1955-56]/1991), 90. '« Vgl. Lacan ([1961]/1991). '«•Lyotard (l971), 257. 147 Lacan (1977), xiii.

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Semiorische Theorien I: Formbezogene oder Strukturale Ansätze

hältnisse A/B und D/C in ihrer eigentlichen Wirksamkeit unterstützt werden gerade durch die Heterogenität, in der sie sich auf Thema und Phora [= Träger] aufteilen, so gilt dieser Formalismus nicht mehr für die Metapher. [...] Wohl gibt es, wenn man so will, vier Glieder bei der Metapher, aber deren heterogenes Verhältnis läuft über eine Scheidelinie, die sie aufteilt in: drei zu eins, eine Scheidelinie, die sich abzeichnet als die zwischen Signifikantem und Signifiziertem. [...] Um eine Formel präziser zu fassen, die ich in dem Aufsatz ,Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten' wiedergegeben habe, will ich jetzt schreiben

Wie Lacan gleich im Anschluß an die Präsentation dieser Formel bemerkt, ist die Metapher „auf radikale Weise der Effekt, in dem ein Signifikant einem anderen in einer Kette substituiert wird, ohne durch irgend etwas Natürliches für diese Funktion als Phora prädestiniert zu sein, nur daß es sich um zwei Signifikanten handelt, die als solche auf eine Phonemopposition zu reduzieren sind."149 Die beiden Signifikanten also, um die es geht, der substituierte (= das Substituendum) und der substituierende (= das Substituens), stehen in Opposition zueinander, etwa so wie zwei Phoneme in einem Minimalpaar. Zur Verdeutlichung der Zurückweisung von Perelmans analogischer Konzeption der Metapher versucht Lacan der Metapher ,Ein Ozean falscher Gelehrsamkeit1 die (zweifelhafte) Ehre der Formalisierung gemäß der obigen Formel anzutun. Über das Ergebnis dieser Formalisierung: an ocean . false (\ - of - an ocean learning x V? sagt er: „Learning, Lehre (enseignement), ist in der Tat nicht Wissenschaft, und es wird hier nur um so besser spürbar, daß dieser Begriff mit dem Ozean so wenig zu tun hat wie das Haar in der Suppe."151 Reserviert zeigt sich Lacan gegenüber einer an der Analogie orientierten Konzeption seiner Metapherformalisierung auch noch Jahre später. Im Vorwort zu der von Anika Lemaire stammenden Darstellung seiner Lehre geht er unter anderem nochmals auf Perelman ein. Als arithmetische Exemplifikation der oben erwähnten Formel für die Metapher könnte gelten: 4 16

l6

'« Lacan ([1961J/1991), 57. Ebd. 150 Vgl. ebd. 151 Ebd. 149

Substitutionstheorie der Metapher

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1/16 aber könnte auch folgendermaßen geschrieben werden:

J_ 16. 4 ' 4 Dies aber sei, so Lacan, kein Grund, seine Formel der Metapher unter Verwendung der in ihr vorkommenden Symbole folgendermaßen wiederzugeben152:

ff JL. S S

Zwischen einer .Euklidischen1, auf analogische Verhältnisse abhebenden Konzeption der Metapher und Lacans an Saussures Zeichenmodell orientierter Konzeption scheint ein Zusammenhang nicht zu bestehen: "In a word, what has the line with which Saussure inscribes the impassable gap relating signifier to signified [...] to do with the line, whatever it may be, indicating Euclidean proportion?"153 Mit Hilfe dieser rhetorischen Frage versucht Lacan, die an der Analogie orientierte Metapherkonzeptionen des Rhetorikers Perelman abzutrumpfen. - Als wolle er sich aber nicht nur gegen eine Version der Analogie- oder Vergleichstheorie, sondern auch gegen jedwede Version der Interaktionstheorie der Metapher verwehren, stellt Lacan in anderem Zusammenhang Folgendes heraus: Der schöpferische Funke der Metapher entspringt nicht der Vergegenwärtigung zweier Bilder, das heißt zweier gleicherweise aktualisierter Signifikanten. Er entspringt zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem ändern substituiert hat, indem er dessen Stelle in der signifikanten Kette einnahm, wobei der verdeckte Signifikant gegenwärtig bleibt durch seine metonymische Verknüpfung mit dem Rest der Kette.1S4 Samuel Weber kommentiert diese Textstelle so: Damit ist eine genau bestimmte Beziehung von Anwesenheit und Abwesenheit der Signifikanten beschrieben: der ersetzte, abwesende Signifikant wird unter die Sperre (harre), in den Bereich des Signifikates gedrängt - »verdrängt* könnte man sagen -, bleibt aber als ausgeschlossener, als abwesender Signifikant durch die syntagmatische Beziehung zur übrigen Kette präsent. Diese buchstäbliche Unter-drückung ist aber keineswegs eine Aufhebung der Sperre selbst: sie wird zwar übersprungen (oder genauer untersprungeri), bleibt aber bestehen, denn der verdrängte Signifikant bleibt Signifikant, auch in der Position eines Signifikates. Wenn also die Metonymie die eigentliche Funktion des Signifikanten - das heißt die Bildung der Signifikantenkette - bezeichnet, so ist die Funktion der Metapher nicht weniger unabdingbar, sofern keine Signifikantenkette bestehen kann, ohne gleichzeitig auf Signifikate angewiesen zu sein. Die Metapher verleiht jener Bewegung ihren Namen, die wir schon bei Saussure verfolgt haben: das

'« Vgl. Lacan (1977), xii. 153 Ebd., xiü. 1M Lacan ([1957]/1991), 32.

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Semiojische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

Sich-Niederschlagen des Signifikanten aL· Signifikat, welches immer schon querst Signifikant gewesen sein muß, um Signifikat zu werden. ,Man sieht', schreibt Lacan, ,daß die Metapher sich an genau jenem Punkt lokalisiert, wo der Sinn sich im Unsinn erzeugt', einen Punkt, den Lacan in Freuds Theorie des Wittes beschrieben sieht, und ebenfalls in dessen Begriff der Verdichtung.^ Oder auch, so könnte man hinzufügen, in Erscheinungen aus Freuds Psychopaihologie des Alltagslebens. Denn wie Anthony Wilden darlegt, kann das zu Beginn dieses Buches ausführlich analysierte Leitbeispiel, in welchem es um den Namen .Signorelli' geht, unter Bezugnahme auf Lacans Subsitutionstheorie der Metapher beschrieben werden. In diesem Beispiel geht es um ein Vergessen des Namens .Signorelli'; als Ersatz oder .Deckerinnerung' fällt dem sich krampfhaft zu erinnern Suchenden unter anderem der Name .Botticelli' ein. .Botticelli* ist gewissermaßen ein Symptom für den .verdrängten' Namen ,Signorelli', so daß Wilden behaupten kann: "[TJhe repression of 'Signorelli' can be formalized in terms of its metaphorical relation to the symptom 'Botticelli,' which replaced it. Thus one writes the relationship as: 'Botticelli'/'Signorelli'."156 Wilden setzt seine Überlegung fort, indem er sagt: If Freud's own structural analysis of this act of forgetting at the beginning of the Psychopathology of Everyday Life is rewritten in Lacanian terms, and the two signifiers treated as condensations in a chain of signifiers, their decondensation reveals that the substitution of the one for the other is an exemplary instance of the irruption of the 'discourse of the Other' into Freuds conscious discourse (the return of the repressed, distorted by the censorship). The explanation of the significance of 'Signorelli' (the name of an Italian painter and thus meaningless in itself, like all proper names, before it was forgotten) can be worked out in purely linguistic terms, almost entirely from Freud's own associations (his discourse) and without any necessary recourse to symbols, analogies, or instinctual processes.157 Hat aber Verdichtung (im Sinne Freuds) wirklich etwas mit Substitution zu tun? Weber gibt zu bedenken: Untersuchen wir den Begriff der Verdichtung bei Freud, so finden wir zunächst nicht so sehr die Idee der Substitution als die act Akkumulation oder .Kompression' [...] Dennoch, obwohl die Betonung bei Freud auf der Verdichtung als Kompression und Konzentration liegt, ist es deutlich, daß dieser Vorgang nur vermöge der Austauschbarkeit von Vorstellungen stattfinden kann: die verdichtete Vorstellung [...] ersetzt andere Vorstellungen, die sie aus der manifesten Kette ausschließt und worauf sie gleichzeitig hinweist. Die Überdetermination, die die Verdichtung auszeichnet, ist nur als Substitutionsverhältnis denkbar, wenngleich Substitution allein nicht auszureichen scheint, um den komprimierten Charakter der Verdichtung zu beschreiben.158 Als Max Black 1954 eher beiläufig von der Substitutionstheorie der Metapher zu reden begann, wähnte er sich im Besitz einer besseren Theorie: der Interaktions155

Weber (2000), 83f. Wüden (1968), 244. 157 Ebd. 158 Weber (2000), 97f. 154

Substitutionstheorie der Metapher

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theorie. Aus diesem Grund hat er sich möglicherweise darauf beschränkt, als Vertreter der Substitutionstheorie lediglich Literaturwissenschaftler und Verfasser von Rhetorikbüchern zu erwähnen. Roman Jakobson und Jacques Lacan haben ihre Auffassungen erst später entwickelt. Und zumindest mit letzterem scheint Max Black sich nicht befaßt zu haben. Was würde er zu Lacans Version der Substitutionstheorie der Metapher gesagt haben? Und was würde Saussure zu der Inversion seines Zeichenmodells durch Lacan gesagt haben? In Saussure s Zeichenmodell steht der Signifikant bekanntlich unterhalb der ,Barre< und das Signifikat oberhalb derselben159. Die Motivation Lacans für die Inversion dieses Modells scheint sich aus einer Annahme zu ergeben, die er für illusionär hält und von der er infolgedessen befreien möchte. Es ist die Annahme „daß das Signifikante der Funktion entspreche, das Signifizierte vorzustellen"160. Lacan möchte demgegenüber darlegen, „wie das Signifikante tatsächlich ins Signifizierte eingeht"161. Saussures Modell jedoch offenbar auch in der invertierten Form für verfehlt haltend162, versucht Lacan anhand eines anderen Modells zu demonstrieren, was er zeigen möchte. Die Präsentation dieses Modells bezeichnet er — durchaus zu Recht — als „Tiefschlag"163, denn er begibt sich damit im wahrsten Sinne des Wortes in den Bereich unterhalb der Gürtellinie. Lacan präsentiert eine Grafik, auf welcher, unterhalb einer durchgezogenen Linie, das heißt unterhalb der Barre, zwei vollkommen gleich aussehende Toilettentüren zu sehen sind; oberhalb der (als durchgezogene Linie gezeichneten) Barre sind, in dieser Reihenfolge, die Wörter HOMMES und DAMES zu lesen. Eine Unterscheidung ist mithin nur oberhalb der Barre, nur auf der Seite des Signifikanten auszumachen, unterhalb der Barre, auf der Seite des Signifikats, gibt es keinen Unterschied: die beiden Türen sind gleich. Lacan präsentiert, seinen eigenen Worten zufolge, ein Bild von zwei identischen Türen, welche mit dem einem abendländischen Menschen für die Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse außer Haus zur Verfügung stehenden geheimen Örtchen den Imperativ symbolisieren, den dieser Mensch mit der großen Mehrheit der primitiven Gesellschaften zu teilen scheint und der sein öffentliches Leben den Gesetzen der urinalen Segregation unterwirft.164

Lacan spricht, das sei zunächst festgestellt, nicht zu Unrecht vom Imperativ, auch wenn es sich dabei bestenfalls um einen bedingten Imperativ handeln kann. Wer aber bereit ist, in diesem Bild eine Bestätigung zu sehen für Lacans Umwertung der beiden Seiten des Saussureschen Modells: für die Aufwertung des Signifikanten bei gleichzeitiger Abwertung des Signifikats, sollte beachten, daß es unter-

'*> Vgl. de Saussure (2001), 136. 160 Lacan ([1957]/1991), 22. "' Ebd., 24. 162 Vgl. ebd., 23. 163 Ebd., 24. 164 Ebd.

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SemioJische Theorien I: Formbezogene oder strukturale Ansätze

schiedliche Signifikationsarten sind, die bei Saussute und Lacan thematisiert und von letzterem offenbar konfundiert werden. Saussure zielt ab auf eine Signifikationsweise, die charakteristisch ist für Symbole im Sinne von Peirce; Lacan zielt ab auf eine Signifikationsweise, die charakteristisch ist für Indizes im Sinne von Peirce. Saussures Signifikanten sind symbolischer Art: es sind Bezeichnungen (bestimmter Begriffe); die von Lacan ins Spiel gebrachten Signifikanten sind indexikalischer Art: HOMMES und DAMES sind keine natürlichen, sondern konventionelle165 - Zeichen für die Herren- und die Damentoilette, sie zeigen an (indizieren), wo die letzteren sind. In einem solchen Fall, so läßt sich mit Husserl feststellen, „kann man nicht einmal sagen, das Zeichen .bezeichne' das, wofür es ein Zeichen genannt wird."166 Descombes diagnostiziert hier einen Treuebruch. Er sagt: "The move from singular (ARBOR) to plural (LADIES, GENTLEMEN) already betrays die change of ground."167 Es ist in der Tat nicht mehr das Saussuresche Zeichenmodell, in dessen Rahmen Lacan sich bewegt: "(T]he example does not associate Saussurean signifiers and signifieds but illustrates a context for using the notices LADIES and GENTLEMEN. They are statements (this door is exclusively for ladies, this door is exclusively for gentlemen would be a more appropriate expression of this 'signifier*)."168 Von Indizes, nicht von Symbolen, handelt auch die Anekdote, die Lacan im Zusammenhang mit der Präsentation seines »Gegenmodells' erzählt: Ein Zug läuft in einen Bahnhof ein. Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, Bruder und Schwester, sitzen in einem Abteil an der Fensterseite, und zwar einander gegenüber. Nun sehen sie eine Kette von Gebäuden vorübergleiten an einem Bahnsteig, an dem der Zug hält: ,Schau, wir sind in Frauen!', sagt der Bruder. .Dummkopf, erwidert darauf seine SchwesterLJ .siehst du denn nicht, daß wir in Männer sind!'169

Bei der von ihm intendierten Befreiung von der .Illusion', „daß das Signifikante der Funktion entspreche, das Signifizierte vorzustellen"170, greift Lacan auch in diesem Beispiel auf einen Zeichentypus zurück, für den kennzeichnend ist, daß er diese Funktion in der Tat nicht hat. Daß dieser Befreiungsversuch fragwürdig ist, dürfte klar sein: Auf die geschilderte Weise kann nicht gezeigt werden, auch anderen Zeichentypen, z. B. den von Saussure behandelten, würde die Funktion, das Signifizierte vorzustellen, abzusprechen sein. All das jedoch ändert nichts daran, daß man erst seit Lacan wirklich weiß bzw. wissen kann, was unter einer Substitutionstheorie der Metapher verstanden werden könnte. Ob eine solche Theorie wirkliche Aufschlüsse über Wesen und Eigenart des Metaphorischen ergibt, steht auf einem anderen Blatt.

>" Vgl. dazu Davis (2003), 22. 166 Husserl ([1901J/1913), 23. 167 Descombes (1986), 180. ""Ebd. 169 Lacan ((1957]/1991), 24f. 170 Ebd., 22.

B

Semiofische Theorien I: Gebrauchsbezogene ödet pragmatische Ansätze

Semiotische Theorien der Metapher sind vornehmlich mit der Frage befaßt, ob die Metapher ein semantisches, oder ob sie ein eher pragmatisches Phänomen ist. Das heißt, semiotische Metaphertheorien drehen sich um die Frage, in welcher semiotischen Teüdisziplin die Metapher zu beschreiben ist. Zu den semioüschen Theorien der Metapher sind die gebrauchsbezogenen und die bedeutungsbezogenen Ansätze zu rechnen. Gebrauchsbezogene Theorien betrachten die Metapher als pragmatisches Phänomen. Zu den gebrauchsbezogenen Ansätzen gehören die folgenden Metaphertheorien: (i) die Sprechakttheorie der Metapher, (ii) die Divergenztheorie, (iii) die Prätentionstheorie, (iv) die Sinnauflockerungstheorie und (v) die Extensionstheorie der Metapher.

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Sprechakttheorie der Metapher: Ted Cohen

Bekanntlich ist Searle neben Austin der wichtigste Vertreter der orthodoxen Sprechakttheorie. Searle hat sich aber auch mit der Metapher beschäftigt und einen vielbeachteten Aufsatz zu diesem Thema geschrieben. Dieser Aufsatz ist unter anderem in Searles Buch Ausdruck und Bedeutung erschienen, das den Untertitel Untersuchungen %ur Sprechaktfheone trägt. Searle verortet metaphorische Äußerungen neben ironischen Äußerungen und indirekten Sprechakten. Wenn im folgenden mit Blick auf Ted Cohens Ansatz, so wie es z. B. auch Roger M. White tut1, von so etwas wie einer .Sprechakttheorie der Metapher' gesprochen wird, dann geschieht dies allerdings weder unter Berufung auf Searle2 noch so wie bei Wolfgang Künne, der diese Bezeichnung, unter Bezugnahme auf Arbeiten von Ina Loewenberg3 und Dorothy Mack4, in dem Sinne versteht, daß, wer metaphorisch rede, einen Sprechakt vollziehe.5 Nicht dies ist gemeint, und nicht an diese Autoren ist hier zu denken, sondern an Austin - auch wenn der sich zur Metapher, zumindest in schriftlicher Form, nicht systematisch geäußert hat. Cohen nun versucht Austins sprechakttheoretische Überlegungen für die Metapher fruchtbar zu machen. Er sagt: Wenn ich Schwierigkeiten habe, bestimmte Sätze zu verstehen, schaue ich mir als Austinianer die Sprechakte an, in denen sie Leben gewinnen. Als unorthodoxer Austinianer trage ich Austins Anregungen gerne in Bereiche hinein, die er ausdrucklich von seinem eigentlichen Interesse ausgeschlossen hat. Ein solcher Bereich ist hier die figurative Sprache.6

Ted Cohen beginnt seinen in drei Teile untergliederten Aufsatz Figurative Speech and Figurative Acts mit einer kurzen Vorbemerkung, in der es heißt: „Uns fehlt ein vollständiges Verständnis der Metapher"7. Es scheint also darum zu gehen, diesen Mangel zu beseitigen. Cohens Aufsatz ist dementsprechend als Beitrag zur Metaphernforschung verstanden worden. Zuerst 1975 im Journal of Philosophy erschienen ist er 1981 wiederabgedruckt worden in Mark Johnsons Philosophical Perspeäives on Metaphor, einer der wichtigsten Anthologien zur Metapher; 1998 ist Cohens Aufsatz dann in deutscher Übersetzung in die von Anselm Haverkamp herausgegebene Anthologie Die paradoxe Metapher aufgenommen worden. In den Kreisen von Metaphertheoretikern hat Cohen mit seinem Aufsatz also einige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen gewußt.

1

Vgl. White (1996), 167. Auch und vor allem nicht im Sinne seiner Metaphertheorie. 3 Vgl. Loewenberg (1975). « Vgl. Mack (1975). 5 Vgl. Künne (1983), 193. 6 Cohen([1975]/1998),29. 7 Ebd. 2

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

Cohens Ausführungen zur figurativen Rede und zu figurariven Akten sind vor allem in methodologischer Hinsicht von Interesse - weniger wegen ihrer Aufschlüsse über die Metapher. Cohen versucht zu erkunden, inwieweit das von Austin in How To Do Things With Words zur Charakterisierung der von ihm unterschiedenen Sprechaktarten entwickelte Begriffsinstrumentariuni für die Beschreibung der Metapher fruchtbar gemacht werden könnte. Interessant ist dieser Erkundungsversuch schon deshalb, weil das angewandte Begriffsinstrumentarium, zumindest pnma fade, in dem Verdacht steht, mit dem Problem der Metapher wenn überhaupt etwas, dann eher wenig zu tun zu haben. Sieht man einmal von der Unterteilung des sogenannten ,lokutionären' Aktes in den .phonetischen', den ,phatischen' und den ,rhetischen' Akt ab, dann besteht Austins Aktlehre vornehmlich in der Unterscheidung dreier Typen von Sprechakten: von dem erwähnten lokutionären Akt unterscheidet Austin den .ülokutionären* und den .perlokutionären' Akt.8 Akte dieser Art sind Sprecbakftypeti; diese sollten aber nicht verwechselt werden mit denjenigen Einheiten, mit Bezug auf die Austin am Ende seines Buches einen Klassifikationsvorschlag unterbreitet: Diese Klassifikation bezieht sich nämlich ausschließlich auf eine bestimmte Untergruppe von Sprechakttypen: die illokutionären Akttypen. Es sind die drei Sprechakftypen, die Hauptelemente der Austinschen Aktlehre, von denen Cohen in seinen Überlegungen Gebrauch macht. Und weil das so ist, können seine Überlegungen im wahrsten Sinne des Wortes auch als ,sprechakttheoretisch' bezeichnet werden. An seiner Orientierung an Austin läßt Cohen keinen Zweifel. Gegen Ende des ersten Abschnitts läßt Cohen die Katze schon einmal etwas aus dem Sack herausgucken, wenn er nämlich darauf hinweist, daß man versuchen könne, die in Aufsätzen und Büchern zu findenden Standard- und Lehrbuchmetaphern „als einen Spezialfall eines allgemeineren Phänomens zu sehen nämlich als erfolgreiche Anomalie in einem Sprechakt. Das führt zu der Frage, ob es so etwas wie eine metaphorische Illokution geben kann. Das ist die Frage dieses experimentellen Aufsatzes."9 Dies alles könnte so verstanden werden, als würden Cohens Bemühungen allein darin bestehen, die Metapher mit Hilfe der Sprechakttheorie Austinscher Provenienz aufzuhellen. Sieht man sich jedoch die am Ende der Vorbemerkung benannte Darstellungsabsicht etwas genauer an, in der es heißt: „Ich will in diesem Aufsatz einen Anfang damit machen, Metaphern, verstanden als Satztypen, zu anderen Elementen vollständiger Sprechakte in Beziehung zu setzen"10, dann könnte man den Eindruck erhalten, daß in dieses Unterfangen ein bestimmtes Vorverständnis der Metapher eingeht. Und das ist auch der Fall. Mit der Metapher hat sich Cohen nämlich schon zuvor befaßt. • Vgl. Austin (1962/21976), 92ff. Cohen ([1975J/1998), 32. 10 Ebd., 29.

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Sprechakttheorie der Metapher

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Cohen hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Artikels über Figurative Speech and Figurative Acts zwei weitere Aufsätze geschrieben, die sich mit dieser Veröffentlichung mehr oder weniger überschneiden. Dabei handelt es sich zum einen um den Artikel Notes on Metaphor, auf dessen spätere Veröffentlichung im Jahre 1976 im journal of Aesthetics and Art Criticism Cohen vorab aufmerksam macht; zum anderen um den 1973 in Foundations of Language erschienenen Aufsatz Illocutions and Perlocutions, In beiden Aufsätzen werden Fragen behandelt, die in Figurative Speech and Figurative Acts, in teilweise modifizierter Form, wieder auftauchen. Im ersten Teil dieses Aufsatzes präsentiert Cohen zum Thema .Metapher', was zum Teil auch in Notes on Metaphor enthalten ist; im zweiten Teil des Aufsatzes geht es um das Verhältnis .Illokution/Perlokution', von dem auch in lllocutions and Perlocutions die Rede ist. Was das Thema .Metapher' anbelangt, so sind es zwei allgemeine Beobachtungen, die Cohen mitteilt. „Erstens: Metaphern sind unvorhersehbar"11; soll heißen: Obwohl sie „ein wesentliches Element der Sprachverwendung"12 darstellt, besteht „die Fähigkeit zur Bildung und zum Verständnis von Metaphern nicht im Beherrschen angebbarer Regeln"13. Was Cohen meint, verdeutlicht er so: Wenn wir einen Satz haben von dem wir wissen, daß er eine Metapher ist, und die wörtliche Bedeutung des Satzes und seiner Teile kennen, gibt es, glaube ich, kein kanonisches Verfahren, um zu einer metaphorischen Bedeutung zu gelangen. Die metaphorische Bedeutung ist irgendwie aus der wörtlichen aufgebaut, aber nicht gemäß einer Funktion.H

Das ist Cohens erster Punkt; es gibt noch einen zweiten: Mein zweiter Punkt betrifft das Ausmaß des Kontextes, auf den man achten muß, um den Mechanismus der Metapher zu finden. [...] Das Zusammenschmieden einer neuen Bedeutung aus alten Elementen - das, was Monroe C. Beardsley schön als ,die metaphorische Verflechtung' (the metaphorical twist) bezeichnet hat - vollzieht sich in [...] [vielen] Fällen nicht innerhalb des Satzes selbst.15

Was das andere Thema: das Verhältnis .Illokution/Perlokution' anbelangt, so geht es Cohen um Folgendes: Mit Bezug auf Austin sagt er (durchaus selbstbewußt): „Ich gehe davon aus, daß John Austins .Theorie der Sprechakte' in ihren Grundlinien vertraut ist, und mehr brauche ich hier nicht. Austins Theorie-Skizze ist vielfach kritisiert worden, aber diese Diskussionen sind hier nicht relevant, abgesehen von einer Verbesserung, die ich [selbst] angebracht habe."16 „Die Verbesserung", die Cohen meint, „besteht in der Einführung der Begriffe einer direkten und einer assoziierten Perlokution."17 Mit dieser Differenzierung beabsichtigt er »Ebd. 12 Ebd., 31. »Ebd. " Ebd., 30. 15 Ebd., 31. 16 Ebd., 32. 17 Ebd., Anm. 4.

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

eine Verbesserung im perlokutkmären Bereich. Cohen geht mit Austin davon aus, daß vollständige Sprechakte aus drei Typen von Akten bestehen, die identifiziert werden als: (i) Akte des Etwas-Sagens: Lakutionen (L) (Er sagt zu mir: ,Erschieß sie!'); (ii) Akte, die man vollzieht, indem man etwas sagt: Illokutionen (I) (Er forderte mich auf, sie zu erschießen.) und (iii) Akte, die man vollzieht, dadurch, daß man etwas sagt: Periokutionen (P) (Er überredete mich, sie zu erschießen.).18 Das Problem, das laut Cohen damit verbunden ist, besteht darin, daß Austin glaube: daß Illokutionen konventionell mit Lokutionen verknüpft sind (was immer das heißen mag), Periokutionen dagegen nicht. Der Vollzug einer Lokurion führt zu einer Illokution, aber das geschieht automatisch vermittels Sprachregeln. Eine Perlokution dagegen, so nimmt Austin an, wird kausal hervorgebracht. Daher Austins (irrige) Behauptung, man könne von einer Lokution auf eine Illokution schließen, nicht aber auf eine Perlokution.19

Cohen versucht dem von ihm identifizierten Problem durch die Unterscheidung zwischen einer direkten und einer indirekten Perlokution zu begegnen. Eine direkte Perlokution steht in einem mittelbaren Verhältnis zur Illokution: Eine direkte Perlokution ist vermittelt über die mit einem lokutionären Akt verknüpfte Illokution. Lokutionäre Akte könnten aber auch unmittelbar, ohne die vermittelnde Wirkung der Illokutionen, zu [...] Periokutionen führen. So könnten der Klang und die Bedeutung deiner Worte mich achtsam oder ängstlich machen völlig unabhängig von den illokutionären Akten, die du, indem du sie äußerst, vollziehst. Ich habe solche Periokutionen indirekt genannt, und ich nenne den normalen, gewöhnlichen Typ, der durch die Illokution bedingt ist, direkte Periokutionen.20

Cohens Vorwurf gegenüber Austin besteht darin, diesen Unterschied zwischen direkten und indirekten Periokutionen übersehen und alle Periokutionen gleichbehandelt zu haben, und zwar „als wesentlich nichtsprachliche Wirkungen, kausale Nebenprodukte der inneren Sprechakt-Maschinerie."21 Cohen zufolge gibt es aber im Bereich der direkten Periokutionen solche, deren Verhältnis zu ihrer Illokution „nicht bloß kausal"22 ist. Periokutionen dieser Art bezeichnet Cohen als .assoziiert'. Cohen nimmt an, daß zwischen Illokutionen und assoziierten Periokutionen „eine Art logischer Verknüpfung"23 besteht. Zum illokutionären Akt des Drohens z. B. gehört als assoziierte Perlokution das Ängstigen. Bewirkt der Drohende auf seiten des Adressaten aber lediglich, daß dieser sich amüsiert oder langweilt, dann hat er zwar eine durch die Illokution vermittelte Wirkung hervorgebracht, die deshalb als direkte Perlokution bezeichnet '" Vgl. ebd, 32f. " Ebd., 33. 20 Ebd., 33f. 21 Ebd., 34. 22 Ebd., 35. 23 Ebd.

Sprechakttheorie der Metapher

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werden kann; diese direkte Perlokution kann aber nicht »assoziiert' genannt werden, denn sie ist nicht logisch, sondern bloß kausal mit der Drohung verknüpft. Cohens These nun ist, daß der vollständige Sprechakt beim Vorliegen assoziierter Perlokutionen „eine innere Anomalie aufweisen kann, die der Anomalie eines metaphorischen Satzes ähnelt, dessen Semantik schief ist."24 Die Anomalie eines metaphorischen Satzes, dessen Semantik schief ist, von der hier die Rede ist, wird als mehr oder weniger bekannt vorausgesetzt. Es ist also im Grunde genommen gar nicht so, daß Aussagen über die Sprechakt-Maschinerie benutzt würden, um Aufklärungen über die Metapher zu ermöglichen; es verhält sich eher umgekehrt. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn in Cohens Text etwas später die Möglichkeit einer Auflistung all derjenigen performativen Akte angesprochen wird, die man nicht mittels einer expliziten performativen Äußerung vollziehen kann. Sollte sich nämlich zeigen, daß eine solche Auflistung nicht möglich ist, würde das Cohen zufolge bedeuten, „daß illokutionäre Akte in derselben Weise unvorhersehbar sind wie Metaphern."25 Hier macht Cohen von der ersten der beiden von ihm mitgeteilten Beobachtungen zur Metapher Gebrauch: ihrer (vermeintlichen) Unvorhersagbarkeit.26 Es ist also eine Beobachtung über die Metapher, die Aufschluß geben soll über eine mögliche Eigenschaft bestimmter Sprechakte; es ist aber nicht so, daß Beobachtungen über Sprechakte herangezogen würden, um Aufschlüsse zu geben über die Metapher. Ändert sich diese Situation im dritten Teil des Aufsatzes? In Teil III seines Aufsatzes widmet sich Cohen der These Austins, daß eine Äußerung U „im Sinn des geäußerten Dings (nicht der Akt der Äußerung)"27 zwei Komponenten hat: die (lokutionäre) Bedeutung M und die (illokutionäre) Kraft F, wobei M als Lokuöon realisiert ist und Fals Illokution. Cohen verleiht einem vollständigen Sprechakt das Prädikat der .Transparenz', wenn die Beziehungen von M zu L·, von F zu 7 sowie die von 7 zur Perlokution P „direkt angezeigt werden"28. In einem solchen Fall liegt ein transparenter Sprechakt vor, und ein Sprechakt dieser Art hat die folgenden fünf Merkmale: (1) U hat eine wörtliche Bedeutung. [...] (2) Die Bedeutung dessen, was in L gesagt wird, ist die Bedeutung von U. [...] (3) Die Kraft von 17 wird von U selbst angezeigt. [...] (4) / ist die Aktivierung der Kraft von U. [...] (5) Es gibt wenigstens eine Perlokution P, die mit / direkt assoziiert ist und von der die Beteiligten wechselseitig glaubten, daß P möglicherweise eine Wirkung von / ist.29

Dabei sollen die Bedingungen (1), (2), (3) und (4) die Vorstellung zum Ausdruck bringen, „daß das, was mit U gesagt und getan wird, genau das ist, was man von

"Ebd. * Ebd, 36. 26 Siehe zu den Momenten der Auflistung und der Unvorhersagbarkeit auch das Ende des Aufsatzes. " Ebd., 37. » Ebd., 38. » Ebd.

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

17 erwartet."30 Wenn sich nun aber „entweder, was gesagt wird, oder, was getan wird, nicht von U allein ablesen laßt, dann ist der Sprechakt nicht transparent."31 Transparenz ist nicht gegeben, „wenn L oder J nicht direkt identifiziert werden können (entweder weil M oder F nicht direkt von U abgelesen werden können oder weil L und I nicht unmittelbar aus M und F folgen)"32. In Gestalt einer solchen Intransparen^ kann ein Fall von Figuration vorliegen: „ein Fall von Figuration in Worten oder Akten."33 In allen Fällen von Figuration verhindert etwas, daß M, F, L·, I und P zusammenpassen. In der engsten Form liegt ein solches Hindernis innerhalb von U selbst vor. Diese Art von Hindernis ist in bestimmten grundlegenden Fällen von metaphorischen Äußerungen anzutreffen. Beispiele sind ,Der Mensch ist ein WolP, ,Die Welt ist eine Bühne* und ,Norman Bates war seine eigene Mutter'.34

Metaphorische Äußerungen exemplifizieren das, was Cohen ,figurative Rede' nennt. Von ,figurativen Sprechakten' spricht er im Hinblick auf Fälle der folgenden Art: Die Vermutung dieses Aufsatzes ist, daß I und U in derselben Weise miteinander verbunden sind wie L und U: Manchmal kann man I direkt von U ablesen (das sind die transparenten Fälle); manchmal kann man das nicht, entweder weil man kein F in U findet, oder weil F, obwohl es bekannt ist, nicht direkt zu I führt. Zu den letzteren Fällen gehören die, in denen es einen illokutionären Akt gibt, aber I nicht in der normalen Weise auf F folgt, sondern F transfiguriert wird. Diese verstehe ich als figurative Sprechakte, illokutionäre Analoga zu Metaphern.35

Illokutionäre Analoga zu Metaphern, das heißt: es sind wiederum Metaphern, die als bekannte Vergleichsgrößen vorausgesetzt werden, als Größen, mit deren Hilfe zu erhellen versucht wird, was figurative Sprechakte sein könnten. Die bereits im zweiten Abschnitt von Figurative Speech and Figurative Acts zu beobachtende Erläuterungsstrategie ändert sich im dritten Abschnitt also nicht. Wie könnte das erklärt werden? Nun, Cohen nimmt an, die figurative Rede, wie sie beispielsweise in Gestalt von Metaphern vorliegt, und die von ihm ins Auge gefaßten figurativen Sprechakte seien zwei Varianten einer Einheit, die nur gemeinsam erforscht werden könnten. Cohen zufolge „sind figurative Rede und figuratives Handeln zwei Formen dessen, was generisch eine erfolgreiche Abweichung innerhalb des vollständigen Sprechakts ist, und deshalb", sagt er, halte er „es für wahrscheinlich, daß man sie nur zusammen oder gar nicht verstehen kann."36 Es verhält sich also in der Tat so, wie der eingangs benannten Darstellungsabsicht im Grunde genommen bereits zu entnehmen ist, daß die Metapher — »Ebd. 31 Ebd., 39. * Ebd., 40. 33 Ebd., 39. 34 Ebd., 40. 35 Ebd., 41 f. 36 Ebd., 48.

Sprechakttheorie der Metapher

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mitsamt einem bestimmten Vorverständnis derselben - bei Cohen zu etwas anderem: zu anderen Elementen vollständiger Sprechakte in Beziehung gesetzt wird. Im Hinblick auf das, was dabei vorgetragen wird, kann bestenfalls von wechselseitiger Erhellung gesprochen werden: der Metaphern als Beispielen für figurative Rede und figurativer Sprechakte als Beispielen für charakteristische Abweichungen innerhalb vollständiger Sprechakte. Ted Cohen hat einen Aufsatz geschrieben, der vor allem in methodischer Hinsicht interessant ist. Dessen Wiederabdruck in einflußreichen Metapheranthologien sollte nicht zu der Annahme verleiten, in ihm einen Artikel zu haben, der über die Metapher maßgebliche Aufschlüsse geben würde.

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Divergenztheorie der Metapher: John R. Searle

John R. Searle stellt eine eher gewagte These auf, wenn er behauptet, grob gesagt ließen sich „Theorien der Metapher von Aristoteles bis zur Gegenwart in zwei Gruppen einteilen"1. Searle beruft sich dabei in einer Anmerkung auf Monroe C. Beardsleys Aufsatz The Metaphorical Twist aus dem Jahre 1962. Nicht nur, daß die Berechtigung zu dieser Berufung zu relativieren ist; hinter der Bezugnahme auf Beardsley (1962) scheint noch etwas mehr zu stecken: Searle übernimmt (stillschweigend, also ohne das klarzustellen) die für seinen eigenen Ansatz zentrale Unterscheidung von Beardsley - der sie wiederum von Anthony Nemetz übernommen zu haben scheint, auf dessen Artikel Metaphor. The Daedalus of Discourse2· Beardsley in Anmerkung 15 seines Aufsatzes aufmerksam macht, wo es heißt, Nemetz gründe sein Argument „auf die Formel, daß ,eine Metapher aus zwei Teilen besteht: 1. was gesagt wird[J 2. was gemeint ist'"3. Sagen und Meinen, das sind auch bei Searle die beiden entscheidenden Aspekte der Metapher. Searle beschreibt die Metapher mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Sat%bedeutung und Äußerungsbedeutung. Er sagt: „Es muß gleich zu Anfang betont werden, daß das Problem der Metapher die Beziehungen zwischen Wort- und Satzbedeutung einerseits und Sprecher- oder Äußerungsbedeutung andererseits angeht."4 Satz- und Äußerungsbedeutung können zusammenfallen, sie können aber auch divergieren. Das Problem, die Funktionsweise von Metaphern zu erklären, ist ein Spezialfall des allgemeinen Problems, das Auseinanderklaffen von Äußerungsbedeutung und Satzbzw. Wortbedeutung zu erklären. Das heißt, es ist ein Spezialfall des Problems, wie es möglich ist, etwas zu sagen und etwas anderes zu meinen, und zwar in Fällen, in denen man erfolgreich übermittelt, was man meint, obgleich sowohl der Sprecher als auch der Hörer wissen, daß die vom Sprecher geäußerten Worte nicht genau und wörtlich ausdrücken, was der Sprecher meint. Ein paar andere Beispiele für den Bruch zwischen Äußerungsbedeutung und wörtlicher Satzbedeutung sind Ironie und indirekte Sprechakte. In jedem dieser Fälle meint der Sprecher etwas anderes als das, was der Satz bedeutet, und dennoch hängt das vom Sprecher Gemeinte in vielerlei Weise davon ab, was der Satz bedeutet.5

Mit seinen Überlegungen zur Metapher bezieht sich Searle also auf Fälle, in denen der Sprecher mit dem, was er sagt, etwas anderes meint als das, was der geäußerte Satz, wörtlich verstanden, bedeutet; und es sind mit Metapher, Ironie und indirekten Sprechakten vornehmlich drei Fälle, die von ihm als Beispiele für das Auseinanderklaffen von Satz- und Äußerungsbedeutung unterschieden werden. 1

Searle (1982a), 107; vgl. den Abschnitt Zur Klassifikation der Metapbertbtomn. * Erschienen in Thought 33 (1958), 417-442. 3 Beardsley ([l962]/l983), 128. 4 Searle (1982a), 99. 5 Ebd., 98f.

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

An Überlegungen zur Reduktion dieser drei Fälle mangelt es nicht: die Zurückführung der Metapher auf die Ironie ist schon bei Beardsley ins Auge gefaßt (I), die Zurückführbarkeit metaphorischer Äußerungen auf indirekte Sprechakte ist aber ebenfalls behauptet worden (Burkhardt; Fogelin) (II). (I) Ein Ansatz, wie Searle ihn 1979 entwickelt, ist bereits bei Beardsley (1962) diskutiert worden. Beardsley hat angenommen, wir müßten „die Metaphernhaftigkeit der Metapher in einer Art Konflikt suchen, den es bei wörtlichen Ausdrücken nicht gibt. [...] A metaphorisch B zu nennen, bedeutet nach dieser Auffassung, zu sagen, daß A ein B ist, ohne es zu meinen. Damit wäre die Metapher eine Form von Ironie."6 Die mit einer solchen Auffassung eingeschlagene Richtung bezeichnet Beardsley „als Sackgasse"7. Searle läßt den Einfluß Beardsleys auf seine Überlegungen in mehrfacher Hinsicht erkennen: In seinem Buch Aesthetics unterscheidet Beardsley zwischen primärer und sekundärer (Satz^Bedeutung8 (i). Nicht nur mit dieser Unterscheidung, auch mit den Überlegungen, die er unter der Überschrift »Logical Absurdity' ausführt9, nimmt Beardsley vieles von dem vorweg, was später bei Grice und eben auch bei Searle zum Tragen kommt, beispielsweise die Unterscheidung zwischen Sagen und Meinen: zwischen dem, was ein Satz sagt, und dem, was er suggeriert (bzw. impliziert) (ii). (i) Mit wenigen Ausnahmen hat z. B. jeder Deklarativsatz emc primäre Bedeutung aufgrund seiner grammatischen Form.10 "Declarative sentences normally give utterance to beliefs; if one says, 'Napoleon was a great general,' we usually take him to be saying something he believes to be true."11 Sagt jemand hingegen so etwas wie .Schließ bitte das Fenster!', können wir folgern, daß er glaubt, daß das Fenster geschlossen werden sollte oder daß es kühl ist. "These beliefs are not stated, but they are, in a technical sense of the term, suggested. What a sentence suggests I shall call its secondary sentence meaning"12 (ii) "A declarative sentence can state one thing and suggest another, and what it states may be true or false, and what it suggests may be true or false."13 Beardsley erläutert diesen Zusammenhang an folgendem Beispiel:14 ,Napoleon, der die Gefahr auf seiner rechten Flanke bemerkte, stellte selbst seine Garde gegen die feindliche Stellung auf.' Der komplexe Satz .sagt', daß Napoleon bemerkt und aufgestellt hat, .suggeriert' jedoch, daß die Truppenbewegung nach dem Erkennen der Gefahr und aufgrund dieses Erkennens ausgeführt wurde, kurz, daß dieses der Grund war, aus dem sich Napoleon zu der Truppenbewegung entschloß; ' Beardsley ([1962J/1983), 127f. 7 Ebd., 128. * Vgl. Beardsley (1958), 122ff. 9 Vgl. ebd., 138ff. Siehe auch den Abschnitt über die AbsHrditätstheorie der Metapher. 10 Vgl. ebd., 122. 11 Ebd., 123. 12 Ebd. » Ebd. 14 An dieser Stelle wird hier auf die Übersetzung bei Ricoeur zurückgegriffen.

Divergenztheorie der Metapher

\ 39

diese Suggestion mag sich als falsch erweisen: etwa wenn sich herausstellt, daß die Entscheidungen nicht in dieser Reihenfolge fielen. Was ein Satz .suggeriert', ist somit, was wir als wahrscheinliche Überzeugung des Sprechers über seine Behauptung hinaus folgern können; eine Suggestion kann aber ihrem Wesen nach irreführen. Man kann sie sekundäre Bedeutung nennen, weil sie nicht als so zentral und so grundlegend empfunden wird wie die primäre; sie gehört jedoch zur Bedeutung. Wir wollen hinzufügen, daß sie nicht explizit, sondern implizit ist. In verschiedenem Maß enthält somit jeder Satz eine implizite, suggerierte, sekundäre Bedeutung.15

In dieser Erläuterung der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer (Satz-) Bedeutung ist in nuce enthalten — was Searle vorschwebt, wenn er sich darüber verwundert zeigt, „wie es möglich ist, etwas zu sagen und etwas anders zu meinen"16 und — was Grice vorschwebt, wenn er sich mit dem Umstand befaßt, daß wir gelegentlich mit unseren Äußerungen mehr meinen, als wir sagen. Wenn jemand sagt ,Meine Freundin ist zur Zeit entweder in Oxford oder in London', gibt er zu verstehen, daß er über den tatsächlichen Aufenthaltsort seiner Freundin nicht genau Bescheid weiß. Diese epistemische Unsicherheit ist etwas, was der Sprecher impliziert bzw. was der von ihm geäußerte Satz .suggeriert', etwas, was wir als epistemischen Zustand des Sprechers aus seiner Bemerkung über das mit dieser Gesagte hinaus folgern können. Das Implizierte mag in solchen Fällen als nicht so zentral oder grundlegend und in diesem Sinne als .sekundär' empfunden werden, es gehört aber mit zur Äußerungsbedeutung. Ricceur weist darauf hin, daß ein bestimmter Satz „etwas feststellen und zugleich etwas anderes suggerieren (kann], wobei beides wahr oder falsch sein kann."17 Grice, der dem Gesagten und dem Implizierten voneinander unabhängige Wahrheitsbedingungen zuschreibt, stellt in Gestalt des sogenannten Verbakaertheitsmerkmals™ konversationaler Implikaturen heraus: „das Gesagte mag wahr sein — das Implizierte falsch"19. Beardsleys Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Bedeutung taucht bei Searle expressis verbis, obzwar in umgekehrter Gewichtung, noch ein weiteres Mal auf: zwecks Charakterisierung der indirekten Sprechakte. Searles Ausgangsbeispiel: X schlägt vor .Komm, wir gehen heute abend ins Kino', daraufhin sagt .Ich muß für eine Prüfung lernen'. Ys Äußerung gilt als Ablehnung des (von X gemachten) Vorschlags und ist in dieser Eigenschaft der wichtigere Teil des von realisierten ,indirekten' Sprechakts, der als solcher nach Searles Analyse aus %wei illokutionären Akten besteht, einem primären und einem sekundären. Searle bemerkt:

15

Ricceur ([1975]/1991), 154. Searle (1982a), 98. 17 Ricceur ([1975J/1991), 154. '· Vgl. dazu Rolf (1994), 116f. 19 Grice (1993), 265. Siehe dazu auch den Abschnitt über die Prättntionstheorie der Metapher. 16

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze Wir wollen sagen, daß der primäre illokutionäre Akt, der mit Ys Äußerung vollzogen wird, die Ablehnung des Vorschlags von X ist, und daß ihn dadurch vollzieht, daß er einen sekundären ülokutionären Akt vollzieht, und zwar stellt er fest, daß er sich für eine Prüfung vorbereiten muß. Den sekundären ülokutionären Akt vollzieht er durch die Äußerung eines Satzes, dessen wörtliche Bedeutung die wörtliche Äußerung zum Vollzug dieses ülokutionären Akts werden läßt. Wir können deshalb sagen, daß der sekundäre illokutionäre Akt wörtlich ist. Der primäre illokutionäre Akt ist es nicht.20

Man sieht: was hier (zu Recht) jprimär' genannt wird, entspricht dem, was Beardsley sekundär' nennt, und umgekehrt. Das Primäre des indirekten Sprechakts ist das Suggerierte (im Sinne Beardsleys) bzw. das Implizierte (im Sinne von Grice). Wie bereits erwähnt, behandelt Searle die Metapher, die Ironie und den indirekten Sprechakt als drei Modi des Verhältnisses zwischen Sagen und Meinen. „Indirekte Sprechakte stellen uns vor das Problem, wodurch es möglich ist, etwas zu sagen und es zu meinen, aber darüber hinaus noch etwas anderes zu meinen."21 Metaphern sind „ein Spezialfall des Problems, wie es möglich ist, etwas zu sagen und etwas anderes zu meinen"22, und die Ironie stellt uns Searle zufolge vor das Problem, wie es möglich ist, etwas zu sagen und das Gegenteil dessen, was man sagt, zu meinen. Searle hat viel von Beardsley übernommen; den Vorschlag, in der Metapher eine Form von Ironie zu erblicken, hält auch Searle für verfehlt. (II) In der Einleitung zu seiner Auseinandersetzung mit Searles Theorie der Metapher kündigt Armin Burkhardt an: "[O]ne of my main points will be to make clear that metaphorical utterances are exactly what Searle denies them to be, namely the performance of indirect speech acts"23. Dies ist ein anderer Reduktionsversuch bezüglich der drei von Searle auseinandergehaltenen drei Modi des Verhältnisses von Säte- und Äußerungsbedeutung. Burkhardt läßt erst gegen Ende seiner Auseinandersetzung erkennen, was ihm eigentlich vorschwebt: Burkhardt unterscheidet zwischen propositionaler und illokutionärer Indirektheit und behauptet, die Metapher sei ein Spezialfall einer propositionalen Indirektheit, nicht einer ülokutionären.24 Vor diesem Hintergrund erhebt er gegenüber Searle den folgenden Vorwurf: In my opinion, Searle has an unjustified narrow concept of indirect speech acts according to which an utterance has a 'primary' sense only in so far as the illocution itself is concerned. As soon as one adopts a broader conception of indirectness, however, one which includes also changes in the interpretation of the proposition, then metaphorical utterance immediately becomes an indirect speech act, too.25

Nicht nur, daß, was gezeigt werden sollte (daß eine metaphorische Äußerung mit dem Vollzug eines indirekten Sprechakts gleichzusetzen sei), durch Bezugnahme 20

Searle (1982b), 54. Ebd., 52. 22 Searle (1982a), 98. 23 Burkhardt (l 990), 303. 24 Vgl. ebd., 328. 25 Ebd., 329. 21

Divergenztheorie der Metapher

\ 41

auf einen weiteren Begriff von Indirektheit nicht gezeigt werden kann; Burkhardts Argumentation wirft mehrere Probleme auf: Erstens, es mag sein, daß Searle einen vergleichsweise engen Begriff vom indirekten Sprechakt hat; ob dieser enge Begriff aber ungerechtfertigt ist, müßte erst einmal gezeigt werden. Das aber tut Burkhardt nicht. Zweitens: Es ist zu fragen, ob Burkhardt wirklich meint, Searle habe einen ungerechtfertigt engen Begriff vom indirekten Sprechakt, oder ob er nicht vielmehr sagen will, Searle habe einen ungerechtfertigt engen Begriff von Indirektheit. Burkhardt scheint die Begriffe .indirekter Sprechakt' und .Indirektheit' in dem obigen Zitat zu konfundieren. Drittens: Selbst wenn man, wie Burkhardt vorschlägt, eine breitere Konzeption von Indirektheit zugrundelegt, was selbst ein diskutabler Vorschlag sein mag: was sicherlich nicht gesagt werden kann, ist, daß metaphorische Äußerungen, wie Burkhardt behauptet, dadurch unmittelbar zu indirekten Sprechakten würden. Metaphorische Äußerungen sind und bleiben etwas anderes als indirekte Sprechakte. Indirekte Sprechakte, so jedenfalls möchte Searle als der Begründer dieses Konzepts verstanden werden, stellen Fälle dar, in denen der Sprecher etwas sagt, es meint und darüber hinaus noch etwas anderes meint; metaphorische Äußerungen hingegen liegen vor, wenn der Sprecher etwas sagt und etwas anderes meint. Es mögen dabei, wie Burkhardt vorschlägt, zwei Arten von Indirektheit im Spiel sein: illokutionäre Indirektheit im Fall indirekter Sprechakte, propositionale Indirektheit bei metaphorischen Äußerungen. Das aber rechtfertigt den gegen Searle erhobenen Vorwurf nicht. Vor dem Hintergrund des an sich wohlbegründeten Konzepts des indirekten Sprechakts erscheint auch der Ansatz von Fogelin als problematisch, den dieser in Figuratively Speaking präsentiert. (Auch) Fogelin scheint metaphorische Äußerungen mit indirekten Sprechakten auf eine Ebene stellen zu wollen; das bei ihm zugrunde gelegte Konzept des indirekten Sprechakts aber ist vage. Das jedenfalls hebt Nogales hervor, die sagt: "One initial criticism that can be brought against Fogelin is based upon the fact that his conception of indirect speech acts is vague and inconsistent. In addition, it often conflicts with Searle's model of indirect speech acts and, as a result, it suffers from difficulties that Searle's analysis avoids."26 Fa^iP. Sagen und Meinen können auf zumindest dreierlei Art divergieren. Die Metapher stellt einen dieser Fälle dar; er ist weder mit der Ironie noch mit indirekten Sprechakten gleichzusetzen. Wer metaphorisch spricht, sagt etwas, meint aber nicht auch, was er sagt (wie im Falle indirekter Sprechakte); er meint jedoch auch nicht das Gegenteil von dem, was er sagt (wie bei der Ironie); wer sich metaphorisch äußert, meint etwas anderes als das, was er sagt.

26

Nogales (1999), 173.

11

Prätentionstheorie der Metapher: Colin M. Turbayne; Paul Grice, Aloysius P. Martinich

Wenn auch noch nicht in deyidiert pragmatischer Absicht, dafür aber offenbar als erster, hat Colin Murray Turbayne die Metapher mit der Prälention in Verbindung gebracht, mit der Prätention im Sinne eines ,Als ob*. Turbayne sagt gleich zu Anfang seiner Ausführungen über die Metapher: "Its use involves the pretense that something is the case when it is not."1 Turbayne hält, was er den Gebrauch einer Metapher nennt, nicht für problematisch. Für problematisch aber hält er es, wenn geglaubt wird, was einer metaphorischen Äußerung zufolge der Fall sein soll. Damit verurteilt Turbayne gewissermaßen, was Samuel R. Levin (später) in Gestalt seiner Konzeptionstheorie der Metapher gerade empfiehlt.2 Turbayne beschreibt seinen Zugriff auf die Metapher unter Bezugnahme auf den Unterschied „what it is to use a metaphor [...] [versus] what it is to be used by it."3 Er sagt: "There is a difference between using a metaphor and taking it literally [...]. The one is to make believe that something is the case; the other is to believe that it is."4 Ersteres ist Prätention, das zweite ein Fehler. Beide Haltungen beinhalten "the crossing of different sorts. But while the former is to represent the facts of one sort as if they belong to another, the latter is to claim that they actually belong."5 Artengrenzen zu überschreiten (,to cross sorts') bzw. kategoriale Bezeichnungen für Arten auf andere Arten anzuwenden ist nicht per se ein Fehler. Zwei verschiedene Bedeutungen eines Zeichens zu vereinigen (,to fuse*) ist nicht problembehaftet; problembehaftet ist es, sie zu verwechseln (,to confuse*). "Thus my distinction", so Turbayne, "may be characterized as that between a categoryfusion and a category-confusion or [...] between sort-crossing and sort'trespassing'."6 Kategorien-Verletzung und Kategorien-Verwechslung, Artgrenzen-Überschreitung und (unerlaubte, .rechtswidrige') Artgrenzen-.Verletzung', dies sind Bezeichnungen für den Unterschied, mit dem Turbayne die Metapher beobachtet. .Gefährlich' ist jeweils das zweite Phänomen. "Accordingly, being used by a metaphor or taking a metaphor literally is a case of sort-trespassing."7 Ricoeur beschreibt die darin enthaltene Gefahr so: „Der Glaube", sagt er, „läßt sich spontan von einer .Prätention' {pretense), demzufolge sich etwas auf eine bestimmte Art und Weise verhält, während dies nicht der Fall ist [...], zur entspre1

Turbayne (l 970), 3).

2

Vgl. dazu den Abschnitt Von der 3 Turbayne (l 970), 6. ^ Ebd., 3. 5 Ebd., 3f. 6 7

Ebd., 22. Ebd.

«·.&0

// «. /£/·- ^ur Kon^eptionstheorie der Metapher.

144

Semio/ische Theorien I: Gebrauchsbezogene oder pragmatische Ansätze

chenden »Intention* (I intend what I pretend) [...] und von der Intention zum ,Glauben-machen* (Make-beKeve} verleiten"8. Tutbayne zufolge heißt das: "I do not merely pretend that man shares the properties of wolves; I /«tend it."9 Grammatik kann davor nicht schützen. Von Seiten der Grammatik läßt sich im Hinblick auf ein Durchschauen der metaphorischen Attribution keine Unterstützung erwarten: „nichts in der Grammatik unterscheidet die metaphorische Attribution von der wörtlichen"10. Turbaynes Auffassung diesbezüglich: Die Grammatik stellt eben die Falle, den Unterschied nicht zu bezeichnen und ihn in diesem Sinne zu verdecken. Darum muß eine kritische Instanz auf die Aussage angewandt werden, um das unbezeichnete ,Als ob', also die virtuelle Kennzeichnung der ,Prätention' sichtbar zu machen, das dem .Glauben' und dem .Glaubenmachen' immanent ist.11

Nicht nur Turbayne vertritt eine Prätentionsauffassung hinsichtlich der Metapher, Vertreter der Prätentionstheorie der Metapher sind auch Paul Grice und im Anschluß an ihn A. P. Martinich. Beide vertreten einen de^diert pragmatischen Standpunkt. Ob solch eine Bezeichnung wie .Gebrauchstheorie der Metapher* für die bei ihnen vorzufindenden Sichtweisen geeignet ist, bleibe dahingestellt; daß ihre Ansätze als .pragmatisch* zu bezeichnen sind, ist gewiß. Zum Thema .Metapher* äußert sich Grice, das muß zunächst festgestellt werden, nur in einem vergleichsweise geringen Umfang. Grice behandelt die Metapher im Rahmen seiner Theorie der Konversations-Implikaturen. Auch und gerade diese Theorie befaßt sich mit dem Verhältnis von Sagen und Meinen, speziell mit dem Umstand, daß wir gelegentlich mit unseren Äußerungen mehr meinen, als wir sagen. Bestimmte unserer Äußerungen weisen gegenüber dem, was sie wörtlich verstanden bedeuten, einen Bedeutungsüberschuß auf, und dieser Bedeutungsüberschuß kann, das ist Grices These, aus allgemeinen Diskursmerkmalen abgeleitet oder erklärt werden. Grice sagt, diejenigen Arten von Implikaturen, „die ich konversationaie Implikaturen nennen werde, möchte ich als mit gewissen allgemeinen Diskursmerkmalen verknüpft darstellen"12. Wenn ich z. B. sage ,Tina bekam ein Kind und heiratete', dann werde ich gewöhnlich so verstanden, als hätte ich gesagt, daß Tina zuerst das Kind bekam und dann heiratete. Dieser Reihenfolgesinn in meiner Äußerung ist ein Bedeutungsüberschuß. Er stellt eine Konversations-Implikatur dar; und eine solche Implikatur ist grundsätzlich als eine (wenn auch ,nichtlogische*) Folgerung anzusehen. Was ich gesagt habe, ist lediglich, daß die beiden thematisierten Sachverhalte (daß Tina ein Kind bekam und daß sie heiratete) beide bestehen; was ich darüber hin-

8

Ricoeur (1991), 246. 'Turbayne (1970), 15. 10 Ric°Vgl. ebd. 11 Ebd.

Rekonzeptualisienmgstheorie der Metapher

171

their being in the same class (i.e. there is no role)."12 Daß eine Äußerung wie die erwähnte einen Metapher-Fehlschlag darstellen soll, mag insofern befremden, als ein Semikolon (das Metapher-Thema) und der Punkt (das Metapher-Vehikel) eine Reihe gemeinsamer Eigenschaften haben: sie sind einander sehr ähnlich. "However, it is precisely this great degree of similarity between the metaphor subject and vehicle that causes the utterance to fail to be metaphorical, rather than some general inability on the part of the metaphor subject to be reconceptualized."13 Ähnlich äußert sich Hans Georg Coenen, der mit Bezug auf triviale Analogien, wie sie z. B. zwischen den ein-elementigen Gegenstandsmengen (Hammer) und (Zange) bestehen sollen, sagt: Es entsteht keine akzeptable Metapher, wenn die übliche Bezeichnung des einen Partners einer trivialen Analogie auf den anderen angewandt wird, um ihm das analogiestiftende Wurzelprädikat [WERKZEUG] zuzusprechen - wenn man also [...] das Wort ,Hammer' auf eine Zange anwendet, um sie als Werkzeug zu kennzeichnen.14

Doch was wäre, wenn man sagte ,Der Hammer ist die Zange unter den Werkzeugen', ,Der Tiger ist der Löwe unter den Raubtieren' oder ,Der Punkt ist das Semikolon unter den Satzzeichen'? Sind solche Äußerungen nichts anderes als Beispiele für Metapher-Fehlschläge oder inakzeptable Metaphern? Nogales geht mit ihrer Theorie über die von ihr kritisierten semantischen (Max Black) und pragmatischen (Grice, Searle, Davidson) Ansätze hinaus. Sie zeigt auf, daß und inwiefern metaphorische Äußerungen zugleich bestimmte semantische als auch bestimmte pragmatische Aspekte haben. Es wird also eine Sicht auf die Metapher formuliert, die ihre semantischen und pragmatischen Elemente zu integrieren sucht.15 Nogales betrachtet Ansätze wie denjenigen Max Blacks (dessen Theorie hier zu den strukturalen Theorien gerechnet wird16) als semantisch, letzteres weniger im Sinne einer linguistischen Teildisziplin, eher in dem Sinne, daß solche Ansätze davon ausgehen, es gebe so etwas wie eine metaphorische Bedeutung, also das, was Davidson gerade in Abrede stellt.17 Theorien dieser Art "take a semantic approach to metaphor by holding that metaphors express a metaphorical content that is different from the content expressed by a literal interpretation of the utterance."18 Dieser metaphorische Gehalt wird unter Berufung auf die angenommene metaphorische Bedeutung zu erfassen versucht.19 Eine solche Erklärungsweise ist

12

Ebd. »Ebd. 14 Coenen (2002), 98. 15 Vgl. Nogales (1999), 58 und 61. 16 Siehe den Abschnitt über die Inltraktionsthtorie der Metapher. 17 Siehe den Abschnitt über die Extensionstheorie der Metapher. " Nogales (1999), 43. " Vgl. ebd.

l'2

Semio/ische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze

Nogales zufolge kennzeichnend für eine semantische Theorie (in dem oben skizzierten Sinn).20 Von metaphorischer Bedeutung auszugehen heißt die Existenz von etwas Zusätzlichem anzunehmen, von etwas, das es außer der wörtlichen Bedeutung auch noch geben soll. Von der Existenz metaphorischer Bedeutung auszugehen ist gerade dann ein Problem, wenn diese Annahme zu einer Proliferation der Bedeutungen führt dadurch, daß dem metaphorisch verwendeten Ausdruck eine zusätzliche Bedeutung zugeschrieben wird.21 Nach dem von ihr verfolgten Ansatz, der metaphorischen Äußerungen sowohl semantische als auch pragmatische Aspekte zubilligt und sich in diesem Sinn als integrativ versteht, scheinen solche Äußerungen durchaus so etwas wie einen metaphorischen Gehalt auszudrücken, einen Gehalt, der verschieden von dem wörtlich ausgedrückten und nicht zu verwechseln ist mit metaphorischer Bedeutung (die es nicht geben soll). Der einer metaphorischen Äußerung zugestandene metaphorische Gehalt stellt einen semantischen Aspekt dar. Neben diesem sind aber auch pragmatische Aspekte zu berücksichtigen. Identifikation wie auch Interpretation einer Metapher hängen oftmals von Merkmalen des Kontextes ab.22 In addition, the knowledge needed to understand a metaphor seems to go beyond linguistic competence, as evidenced by the fact that someone who is linguistically competent but lacks real world knowledge (and an ability to reconceptualize an entity in terms of the role it plays in a certain system) would consistently misunderstand metaphorical utterances.23

Nogales entwickelt in Metaphorically Speaking eine Liste von Gesichtspunkten, die in zweifacher Weise verstanden werden kann: zum einen als Liste von Aspekten, unter denen metaphorische Äußerungen beschrieben werden, zum anderen als Liste von Kriterien, unter Bezug auf die Metaphertheorien evaluiert werden können; im letzteren Fall werden die zu evaluierenden Theorien danach beurteilt, was sie im Hinblick auf die jeweiligen Aspekte aussagen, inwiefern sie ihnen gerecht werden. Nogales benutzt diese Kriterienliste zur Evaluierung der von ihr thematisierten Metaphertheorien, der von ihr kritisierten Theorien (Grice, Searle und Davidson) ebenso wie der von ihr selbst entwickelten. Die Liste umfaßt zunächst neun Positionen und ist am Ende der Untersuchung auf 14 angewachsen. Nogales zufolge beginnen nahezu alle Metaphertheorien mit der (als solcher anerkannten) Aufgabe, zumindest für die ersten neun der aufgelisteten Phänomene eine Erklärung anzubieten24. Nogales' Liste soll hier in Gestalt von Fragen vorgestellt werden. Zur Vervollständigung des Bildes von

20

Vgl. ebd., 47. Vgl. ebd., 46. 22 Vgl. ebd., 60. 23 Ebd. 2 < Vgl. ebd. 7 und auch 233. 21

Rekonzeptualisierungstheorie der Metapher

173

ihrem Ansatz soll daran anschließend aufgezeigt werden, welche Selbsteinschätzungen Nogales hinsichtlich der von ihr entwickelten Theorie abgibt. 1. Was unterscheidet das Metaphorische vom Wörtlichen (Stichwort Metaphorisgtät)? 2. Wie werden Metaphern verstanden (Metapherverstehen)? 3. Wird angenommen, daß metaphorische Äußerungen einen metaphorischen Gehalt haben (und infolgedessen potentiell wahr oder falsch sein können) (Metaphorischer Gehalt)? 4. Wkd die Angabe von Erfüllungsbedingungen für metaphorische Äußerungen für möglich gehalten (JSjichiparaphrasierbarkeif)? 5. Wird bezüglich des Hörers angenommen, dieser müsse zwecks Verstehen über seine sprachliche Kompetenz hinausgehen (Konfexfabhängigkeiifi 6. Warum werden Metaphern in solch großem Umfang verwendet (Ubiquiiät)? 7. Werden andere Tropen berücksichtigt (Verhältnis %u anderen Tropen, insbesondere %um Vergleich)? 8. Werden unterschiedliche Metaphertypen (tot vs. lebendig; einfach vs. komplex, .nominativ' vs. .nichtnominativ1) berücksichtigt (Metaphertypen)? 9. Wird die Frage der Inkorporation von Metaphern in die Sprache behandelt (Inkorporation)? 10. Stimmt die Theorie mit dem (semantischen und/oder pragmatischen) Rahmenwerk überein (Konsisten^)? 11. Wird das Metaphorische für abhänigig gehalten vom Wörtlichen (Abhängigkeit vom Wörtlichen)? 12. Wkd hinsichtlich der Metapher ein Konventionalitätmangel unterstellt (Konventionalitätsman&et)? 13. Wie wird die Tatsache behandelt, daß Metaphern etwas über die Welt aussagen (Aussagekraft^ 14. Wird angenommen, Metaphern seien abhängig/unabhängig von der Sprecher-Intention (Intentionsabhängigkeit/Intentionsunabhängigkeit)? Nogales gibt im Hinblick auf ihre eigene Theorie die folgenden Bewertungen ab: 1. Metaphorizität. Dem Phänomen der Metaphorizität gerecht zu werden, das ist Nogales zufolge das Hauptziel ihrer Anaylse der Metapher. Die vorgebrachte Erklärung der Metaphorizität beinhaltet, daß metaphorische Äußerungen, während Rekonzeptualisierung selbst eine essentiell vorsprachliche Erscheinung ist, Komponenten (und zwar solche wie den metaphorischen Gehalt) aufweisen, die semantischen und pragmatischen Regeln folgen. Die vorliegende Analyse der Metapher beansprucht zudem, der Intuition Davidsons gerecht zu werden, der zufolge das, was metaphorisch ist, nicht sprachlich zu sein braucht, und der zufolge wir bei der Verarbeitung von Metaphern unsere Konzeption der Welt abändern, nicht unsere Konzeption der Sprächet 2. Metapherverstehen: Ein wesentliches Moment der von Nogales offerierten Erklärung des Metapherverstehens besteht, angesichts der behaupteten Rekonzeptualisierung, darin, daß die Zuhörerschaft Gebrauch macht von den Erfüllungsbedingungen der von dem Metapher-Vehikel repräsentierten ad /«v-Klasse.26

25

Vgl. ebd., 209f.

26

Vgl. ebd., 210.

l '4

3.

4.

5.

6.

7.

8.

27

Semio/ische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze

Metaphorischer Gehalt. Die Annahme, daß metaphorische Äußerungen einen speziellen metaphorischen Gehalt haben (und infolgedessen potentiell wahr sein können), ist für Nogales' Analyse insofern von Wichtigkeit, als sich der Gehalt einer metaphorisch interpretierten Äußerung von dem Gehalt einer wörtlich interpretierten aufgrund der in die erstere involvierten Rekonzeptualisierung unterscheidet, mit dem Ergebnis, daß sich auch die Wahrheitswerte voneinander unterscheiden.27 Nichfparaphrasierbarkeit. Die (zumindest) hinsichtlich bestimmter metaphorischer Äußerungen bestehende Schwierigkeit, Errullungsbedingungen für dieselben anzugeben, läßt sich ebenfalls aus dem Moment der involvierten Rekonzeptualisierung erklären, und zwar insofern, als die jeweilige, von dem Metapher-Vehikel repräsentierte ad Aof-Klasse (der das Metapher-Thema zugeordnet werden soll) entweder nicht in der gebrauchten Sprache erfaßt oder sogar neu kreiert worden ist. Schwierigkeiten in puncto Paraphrasierbarkeit einer Metapher ergeben sich weniger aus einem Mangel an sprachlicher Kompetenz als aus dem Problem, die vom Sprecher intendierte Rolle von dem Metapher-Vehikel abstrahieren zu können.28 Kontextabhängigkeit. Diesem Moment (das es auf seilen des Hörers erforderlich werden läßt, zwecks Verstehen über die eigene sprachliche Kompetenz hinauszugehen) versucht die vorliegende Analyse gerecht zu werden, indem sie darauf aufmerksam macht, daß die mit der Verarbeitung einer metaphorischen Äußerung konfrontierte Zuhörerschaft bei der durch Rekonzeptualisierung zuwege gebrachten Konstruktion einzelner ad Aot-Klassen von Kontextmerkmalen Gebrauch macht, die bestimmen, welche Aspekte oder Dimensionen der ins Spiel gebrachten Entitäten als relevant zu betrachten sind.29 Ubiqmtät. Diesem Aspekt versucht die vorliegende Analyse unter anderem durch den Hinweis gerecht zu werden, daß Metaphern nicht nur die Charakterisierung solcher Entitäten erlauben, für die wir keine Namen haben, sondern zudem auch die Rekategorisierung existierender Entitäten gestatten.30 Verhältnis anderen Tropen, insbesondere yym Vergleich: Diesem Moment versucht die vorliegende Analyse unter anderem durch die Betonung der Klassenmitgliedschaft gerecht zu werden, die im Falle der Metapher im Unterschied zum Vergleich gegeben ist; von der Metapher wird zudem gesagt, sie scheine machtvoller zu sein als der Vergleich.31 Metaphertypen: Der Behandlung der unterschiedlichen Metapher^öe« (,nominativ' vs. .nichtnominatiV z. B.) versucht die vorliegende Analyse gerecht zu

Vgl. ebd., 212. Vgl. ebd., 215. 29 Vgl. ebd., 216. 30 Vgl., auch zu weiteren Vorteilen, ebd., 216ff. 31 Vgl. ebd., 220f. 28

Rekonzeptualisierungstheorie der Metapher

\ 75

werden "by appealing to the status of the ad hoc category as a means of conceptualizing the entities in question and the relationship between the ad hoc category the metaphor accesses and the term being used to access it."32 Einer ,toten' Metapher entspricht, verkürzt gesagt, eine ad Äw-Kategorie, die standardisiert worden ist. 9. Die Inkorporation von Metaphern in die Sprache wird in der vorliegenden Theorie unter anderem auf die Funktionalität der ad hoc gebildeten Kategorien zurückgeführt ("if a certain ad hoc category becomes part of the language, it makes sense to refer to it using one term rather than a description"33). 10. Dem Kriterium der Konsisten^ mit dem semantischen (und pragmatischen) Rahmenwerk versucht die vorliegende Analyse (die ihren Schwerpunkt eindeutig im Bereich der Semantik hat) dadurch gerecht zu werden, daß sie sich, vor allem in Absetzung von Max Blacks Analysevorschlag, autorisiert sieht, vom metaphorischen Gehali einer Äußerung sprechen zu dürfen, ohne so etwas wie eine metaphorische Bedeutung annehmen zu müssen. Nogales versichert: "In fact, in my analysis metaphorical content is not determined by any kind of meaning, be it metaphorical or literal."34 Der metaphorische Gehalt beruht zum Teil "on the reconceptualization of the metaphor vehicle to produce a class not determined by metaphorical meaning."35 Und obwohl die Hörer die Bedeutung des metaphorisch verwendeten Terms kennen müssen "in that they must know the relevant properties of the class it designates (relevant in the context), this knowledge is not sufficient to allow them to derive the metaphorical interpretation."36 (Mit Bezug auf das traditionelle Verhältnis zwischen Semantik und Pragmatik spricht Nogales von einer Herausforderung.37) 11. Die Frage der Abhänggkeit des Metaphorischen vom Wörtlichen beantwortet Nogales so: "In my understanding, the metaphorical is dependent upon the literal in that to derive the metaphorical one must know the literal meaning of the metaphorical term and must know the entity or class referred to by the term, even if one does not have a complete grasp of all the properties of the class."38 12. Den Konventionalitätsmangel der Metapher fuhrt Nogales, wie könnte es anderes sein, wiederum auf das Phänomen der Rekonzeptualisierung zurück, das die Konvention in Gestalt der konstituierten ad Äor-Begriffe transzendiert.39 32

Ebd., 224. " Ebd., 226. w Ebd., 228. »Ebd. "Ebd. 37 Vgl. ebd., 229. M Ebd., 230. » Vgl. ebd., 231.

Semio/ischeTheorien II: Bedeutungsbezogeneoder semantische Ansätze

13. Aussagekraft1: Die Tatsache, daß Metaphern etwas über die Welt aussagen^ ergibt sich Nogales zufolge aus dem Umstand, daß der Akt der Rekonzeptualisierung eine Abänderung unserer Konzeption von etwas auf solch eine Art involviert, daß Merkmale, die wir zuvor für wesentlich erachtet haben, vernachlässigt, und andere, die wir zuvor für unwesentlich erachtet hatten, hervorgehoben werden. "As a result, reconceptualization clearly involves learning about the world"40. 14. lntentions(un)abhängigkeit Zu ihrer Annahme einer relativen Unabhängigkeit metaphorischer Äußerungen von der Sprecher-Intention äußert sich Nogales so: "One of the main difficulties with pragmatic theories of metaphor is that they attempt to explain metaphorical content as determined by speaker intention. In my analysis, while speaker's intention to speak metaphorically or to utter a certain proposition is a factor that can be used by the audience to ascertain what is said, it does not determine either metaphoricity or the proposition expressed."41 Auf Sprecher-Intentionen zurückzuführende Erklärungsschwierigkeiten dürften für Nogales' Theorie deshalb nicht bestehen. Festzuhalten bleibt: Nogales entwickelt ihren Ansatz in direkter Auseinandersetzung mit pragmatischen Theorien (hauptsächlich denjenigen von Searle, Grice und Davidson), um selbst eine vornehmlich semantische, auf ad Aof-Begriffe und die Zulassung metaphorischer Gehalte gegründete Ausrichtung ihrer Metaphertheorie zu favorisieren.

*>Ebd. 41 Ebd.

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Von der Merkmalstransfer- zur Konzeptionstheorie der Metapher: Samuel R. Levin

Samuel Levin hat in den Jahren 1977 und 1988 zwei äußerst wichtige Bücher zur Metapher vorgelegt. In The Semantics of Metaphor steht der Gedanke des Merkmalstransfers im Mittelpunkt (I), in Metaphoric Worlds stellt Levin in Gestalt dessen, was er als .konzeptuelle Metapher' bezeichnet, einen neuen Ansatz vor, einen Ansatz, der mit dem früheren aber nicht unvereinbar ist (II). Der Ansatz von 1977 ist rein semantischer Natur, nach dem Ansatz von 1988 liegt der Schwerpunkt der Metapher im Bereich der Intentionalität. Dem Ansatz von 1988 zufolge steht nicht mehr das — in pragmatischen Untersuchungen fokussierte — Verhältnis zwischen dem, was gesagt wurde, zu dem, was gemeint worden ist, im Vordergrund; nunmehr geht es um das Verhältnis zwischen dem, was gedacht wurde, zu dem, was gesagt worden ist. Nach dem dabei vorgenommenen Perspektivenwechsel kommt es zu einer Verlagerung des zu behandelnden Problems von der Frage ,Welche Bedeutung drückt die Metapher aus?' zu der Frage .Welche Konzeption (Vorstellung, Auffassung) imaginierter Sachverhalte (Weltzustände) impliziert die Metapher?'.1 Wesentlich für den neuen Ansatz ist der Vorschlag, "that metaphors should be taken literally."2 Metaphorische Sätze sind in semantischer Hinsicht abweichend. Sich bei diesem Aspekt ihrer semantischen Abweichung nicht aufzuhalten, sondern zu überlegen, was der Fall wäre, wenn solche Sätze, wörtlich verstanden, wahr wären, dieser Umgang mit einem abweichenden Satz ist es, den Levin vorschlägt. Wie, das heißt aufgrund welcher semantischen Verfahrensweisen solche Sätze aufgefaßt werden können, das hat Levin bereits 1977 anhand des von ihm als .anomal' bezeichneten Satzes ,Der Stein stirbt' eindrücklich illustriert. Das Funktionieren der Metapher kann gerade an einem Satz dieser Art verdeutlicht werden. (I) In The Semantics of Metaphor versucht Levin darzulegen, wie sich metaphorische Sätze unter Zugrundelegung Merkmal-semantischer Überlegungen (a la Katz und anderer) beschreiben lassen. Die auf Aristoteles zurückgehende Ansicht von der Metapher als einer Übertragung eines fremden Wortes erfährt bei Levin eine Spezifizierung. Levin versucht darzulegen, daß es bestimmte Merkmale des Wortes sind, die übertragen, transferiert werden, genauer gesagt, daß es semantische Merkmale sind. Levin bezieht sich also auf den durchaus merkwürdig anmutenden Satz ,Der Stein stirbt'. Um den bei einer Metapher seines Erachtens ablaufenden semantischen Prozeß zu beschreiben, unterscheidet er mit Bezug auf den soeben erwähnten Satz verschiedene Auffassungsweisen (,modes of construal*) oder Lesarten

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Vgl. Levin (1988), ix. Ebd., xi.

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Semio/ische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze

und präsentiert dann zu jeder dieser Lesarten eine semantische Repräsentation. Levin unterscheidet sechs Lesarten und entsprechend sechs verschiedenen Repräsentationen. Metaphorische Sätze betrachtet Levin als anomale Sätze, das heißt als Sätze, die Wahrheitsbedingungen ausdrücken, die kontingenterweise nicht erfüllt werden können.3 Solche anomalen Sätze sind Levin zufolge interpretierbar, und zwar entweder durch Veränderung des ,Sinnes' darin vorkommender Ausdrücke oder durch Abänderung unserer Ansicht über die Struktur (oder Beschaffenheit) der Welt.4 Kennzeichnend für Levins Theorie ist die Idee des Merkmaktransfers. Diese Idee besteht in der Annahme, daß semantische Merkmale von einem Ausdruck auf einen anderen übertragen werden können. Im Kontext der generativen Grammatik, und zwar dort, wo semantische Fragen im Vordergrund gestanden haben, ist diese Vorstellung schon früh diskutiert worden. Einer der ersten, die damit gearbeitet haben, ist Uriel Weinreich. Laut Levin ist Weinreich das Problem der abweichenden Sätze direkt angegangen5 und bestrebt gewesen, "to make the grammar adequate to certain aspects of poetic language, in particular, metaphor."6 Weinreich geht von der Existenz sogenannter Übertragungsmerkmale aus. Er sagt: „Die Tatsache, daß pretty normalerweise nicht auf männliche Wesen anwendbar ist, ließe sich [...] als Teil des Wörterbucheintrags von pretty angeben."7 In diesem Fall wäre ,[- Männlich]' ein Übertragungsmerkmal, das dafür sorgen würde, daß ein möglicher Kontext des Wortes .pretty' von diesem „als [— Männlich] bestimmt"8 wird. Weinrich vergleicht die von ihm angenommenen Übertragungsmerkmale mit den in Gestalt der dritten der von Chomsky unterschiedenen Subkategorisierungsart postulierten Selektionsbeschränkungen: Die Übertragungsmerkmale der vorliegenden Theorie scheinen den Selektionsmerkmalen Chomskys zu entsprechen; der Unterschied liegt in der Tatsache, daß, während Chomskys Grammatik nur feststellt, ob die Selektionsmerkmale des Verbs mit den inhärenten Merkmalen der Substantive in seiner Umgebung übereinstimmen [...], unsere Theorie aktiver funktioniert - indem sie das Merkmal vom Verb auf die Substantive überträgt9.

Um anomale Sätze uneingeschränkt interpretieren zu können, greift Levin auf eine erweiterte Funktion des Transfers semantischer Merkmale zurück. Die Existenz von Übertragungsmerkmalen setzt Levin nicht voraus. Er nimmt aber im

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Vgl. Levin (l 977), 36. Vgl. ebd., 38. s Vgl. ebd., 21. 6 Ebd., 23f. 7 Weinreich (1970), 51. «Ebd. ' Ebd., 53. 4

Von der Merkmalstransfer- zur Konzeptionstheorie der Metapher

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Hinblick auf im Prinzip jedes semantische Merkmal an, daß es auf einen anderen Ausdruck übertragen werden kann. Levin unterscheidet sechs Arten von Merkmalstransfer. Semantische Merkmale können einer vorhandenen Merkmalrepräsentation entweder durch Adjunktion hinzugefügt werden, oder sie können andere semantische Merkmale durch Verdrängung (»displacement*) »überschreiben*. Der Merkmalstransfer kann in zwei Richtungen gehen: vom Nomen zum Verb oder umgekehrt. Im Falle der Adjunktion gibt es zudem zwei Varianten: die ,konjunktionale' und die .disjunktionale'. Der adjunktionale Merkmalstransfer kann so vonstatten gehen, daß das transferierte Merkmal zu einem anderen Merkmal hinzukommt, diesem also juxtaponiert wird; oder so, daß es aü Alternative einem anderen Merkmal in Erscheinung tritt. Dadurch ergeben sich schon im Bereich der Adjunktion vier Transferarten; aus dem Bereich der »Verdrängung* kommen noch zwei weitere hinzu, zusammen mit diesen ergeben sich dann die erwähnten sechs Arten von Merkmalstransfer. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die beiden folgenden Lexikoneinträge für das N(omen) ,Stein* und das V(erb) .sterben': ([NP, S] v [NP, VP, Präd-Phrase, S] Steiir, (((Objekt) (Physikalisch) (Natürlich)) (Nichtlebend) (Mineral) (.Zusammengeballt*)). sterben; (((Prozeß) ((Ergebnis) ((Aufhören) (Leben))) X) [NP.S] X

).W

Bei der ersten der sechs von Levin unterschiedenen Lesarten11 verhält es sich mit dem Merkmalstransfer so, daß dem Nomen .Stein* als Bestandteil des Lexikoneintrags von .sterben* das Merkmal .Mensch* in disjunktionaler Weise hinzugefügt wird, also so, daß es im Lexikoneintrag von .Stein* als Alternative zu einem bestimmten anderen Merkmal in Erscheinung tritt. Nimmt man an, daß das im Lexikoneintrag von ,Stein* enthaltene Merkmal .Mineral* den nichtlebenden natürlichen physikalischen Objekten zuzurechnen ist und gewissermaßen auf einer Ebene steht mit .Mensch', ,Tier* und .Pflanze* (als den Pendants aus dem Bereich der Übenden natürlichen physikalischen Objekte), dann kann man sich vorstellen, daß das zum Lexikoneintrag von .sterben* gehörende Merkmal .Mensch* dem Merkmal .Mineral* durch die disjunktionale Adjunktionsoperation juxtaponiert wird. Genau das ist Levins These: er geht davon aus, daß der obige Lexikoneintrag für .Stein* nach der disjunktionalen Merkmalsadjunktion folgendes Aussehen hat: Stein; (((Objekt) (Physikalisch)) (Natürlich) (Nichtlebend) [(Mensch) ... (Mineral)] (.Zusammengeballt1)). 10 11

Vgl. Levin (1977), 34. Vgl. zum Folgenden ebd., 44ff.

Semio/ische Theorien II: Bedeutungsbezogene oder semantische Ansätze

Bezeichnet man nun die in einem Lexikoneintrag enthaltenen Merkmale mit lateinischen und die am Merkmalstransfer beteiligten sowie die davon betroffenen Merkmale mit griechischen Kleinbuchstaben, dann läßt sich der obige Vorgang des Merkmals/ra/w/OT folgendermaßen darstellen: N (+ a, + a, + b)/V (((+ c, + d, + e) X) ) => N (+ a, [+ ß v + a], + b). (,v' steht für die Disjunktion, ,X' steht für den Ausdruck, mit dem V zu einem Satz verbunden wird, also für N.) Was rechts von dem Doppelpfeil => steht, ist das Ergebnis des Transfers des Merkmals .Mensch* (= ß) von .sterben' auf das Nomen .Stein', dem das Merkmal »Mineral' (= a) inhärent ist. Mittels Adjunktion ergeben sich die folgenden vier Fälle: (a) N