Metageschichte der Architektur: Ein Lehrbuch für angehende Architekten und Architekturhistoriker [1. Aufl.] 9783839429440

What is history of architecture and how can it be mediated? How can future architects be interested in the history of ar

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German Pages 318 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
ARCHITEKTURGESCHICHTEN UND -THEORIEN
Metageschichte, ein Lehrkonzept
Geschichte der Architekturgeschichte
Hans Sedlmayr/Manfredo Tafuri
Beschreiben oder Erzählen?
Metageschichte: Architektur zwischen Autonomie,
Heteronomie und Engagement I
LEKTION 1: DIE GESCHICHTE DES ARCHITEKTEN: WER?
Einführung
Louis Kahn
Aldo Rossi
Paolo Portoghesi/Ricardo Bofill
LEKTION 2: DIE GESCHICHTE DER ARCHITEKTURAUSBILDUNG: WAS?
Einführung
Der Architekt der Renaissance
École des Beaux-Arts/École polytechnique
Bauhaus/Harvard
Die Architectural Association School of Architecture und das Unit System (Peter Staub)
LEKTION 3: DIE GESCHICHTE DES ARCHITEKTURMACHENS: WIE?
Einführung
Riss vs. Disegno
Parameter/Algorithmus
Diagramm (Holger Schurk)
Das Diagramm in der Architekturgeschichte
Handwerk (Uli Herres)
LEKTION 4: ARCHITEKTURTHEORIE: WIESO?
Einführung
Räumliches Wissen
Metapher und Architektur
Utopie und Architektur (Architektur zwischen Autonomie, Heteronomie und Engagement II)
Das Rätsel der Tektonik (Urs Meister)
That’s all Archs! Criticism without Critics im Zeitalter von Google Images (Alberto Alessi)
SCHLUSS UND DANKSAGUNG
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
AUTOREN
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Metageschichte der Architektur: Ein Lehrbuch für angehende Architekten und Architekturhistoriker [1. Aufl.]
 9783839429440

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Andri Gerber Metageschichte der Architektur

Architekturen | Band 26

Andri Gerber (Dr. sc. techn.) lehrt Städtebaugeschichte an der ZHAW Winterthur sowie Architekturgeschichte an der Universität Liechtenstein und habilitiert am gta Institut der ETH Zürich mit einem SNF Ambizione Stipendium.

Andri Gerber unter Mitarbeit von Alberto Alessi, Uli Herres, Urs Meister, Holger Schurk und Peter Staub

Metageschichte der Architektur Ein Lehrbuch für angehende Architekten und Architekturhistoriker

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Liechtenstein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Miriam Wiesel, Berlin Satz: Andri Gerber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2944-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2944-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt A RCHITEK TURGESCHICHTEN UND - THEORIEN | 7 Metageschichte, ein Lehrkonzept | 7 Geschichte der Architekturgeschichte | 22 Hans Sedlmayr/Manfredo Tafuri | 28 Beschreiben oder Erzählen? | 35 Metageschichte: Architektur zwischen Autonomie, Heteronomie und Engagement I | 38

L EK TION 1: D IE G ESCHICHTE DES A RCHITEK TEN : W ER ? | 61 Einführung | 61 Louis Kahn | 77 Aldo Rossi | 82 Paolo Portoghesi/Ricardo Bofill | 89

L EK TION 2: D IE G ESCHICHTE DER A RCHITEK TURAUSBILDUNG : W AS ? | 103 Einführung | 103 Der Architekt der Renaissance | 119 École des Beaux-Arts/École polytechnique | 127 Bauhaus/Harvard | 142 Die Architectural Association School of Architecture und das Unit System (Peter Staub) | 150

L EK TION 3: D IE G ESCHICHTE DES A RCHITEK TURMACHENS : W IE ? | 167 Einführung | 167 Riss vs. Disegno | 174 Parameter/Algorithmus | 184 Diagramm (Holger Schurk) | 193 Das Diagramm in der Architekturgeschichte | 205 Handwerk (Uli Herres) | 220

L EK TION 4: A RCHITEK TURTHEORIE : W IESO ? | 247 Einführung | 247 Räumliches Wissen | 250 Metapher und Architektur | 264 Utopie und Architektur (Architektur zwischen Autonomie, Heteronomie und Engagement II) | 270 Das Rätsel der Tektonik (Urs Meister) | 282 That’s all Archs! Criticism without Critics im Zeitalter von Google Images (Alberto Alessi) | 290

S CHLUSS UND D ANKSAGUNG | 305 A BBILDUNGSVERZEICHNIS | 309 A UTOREN | 313

Architekturgeschichten und -theorien1 „Ich hoffe, dass es mir […] gelungen ist, einen Standpunkt zu konstruieren, den anzugreifen sich wirklich lohnt.“ K ARL P OPPER [1960], 1974 2 „An architect should recollect that he is not a pupil whose merits consists in repeating lessons by rote, but a man who deserves no praise unless he makes an intelligent use of the lessons. If he would take the liberty of thinking for himself, he would certainly remedy such gross and palpable errors.“3

M E TAGESCHICHTE , EIN L EHRKONZEP T Wie lehrt man Architekturgeschichte in einer Zeit der generellen Verdrängung der Vergangenheit, in der sich das Wissen nicht mehr hierarchisch und strukturiert vermitteln lässt? Das vorliegende Buch fasst die Versuche zusammen, während meiner Lehrerfahrung an der Universität Liechtenstein (2010–2012) im Fach Architekturgeschichte und -theorie eine Antwort in Form einer entsprechenden Pädagogik zu finden. Das vorliegende Buch verfolgt also ein einziges, nicht bescheidenes Ziel: Architekten für die Geschichte der Architektur wenn auch nicht zu begeistern, so doch wenigstens zu interessieren, bestehende Hemmschwellen abzubauen und diese produktiv einzusetzen, um sich selbst zu verorten und den eigenen Standort zu bestimmen. Es stellt eine Theorie der Geschichte auf – eine Metageschichte –, die die verfügbaren Informationen zeitgemäß strukturiert, um ein Wissen zu schaffen, das dem Architekten in seiner Arbeit eine Bezugnahme auf die Geschichte erlaubt. Wir leben in einer a-historischen Zeit, einer Zeit der „presentness“ (Allgegenwärtigkeit), der „nextness“4 , wo eine Neuigkeit die nächste jagt und keine Zeit zum Rückblicken bleibt. Oder, um Friedrich Nietzsche (1844–1900) zu

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zitieren, in einem Zustand ewiger Wiederkehr, ewiger Wiederholung, bei der weder nach vorne noch nach hinten geschaut wird.5 Dabei spielt die Geschichte in der Architektur nicht nur eine kulturelle Rolle. Sie kann sich der operativen Dimension – dem Entwurf – im Sinne einer Verortung nicht entziehen. Vor dem Hintergrund der Jahrhunderte andauernden Tradition des normativen Bezugs auf die Geschichte hat aber gerade die Moderne den Bruch mit der Geschichte salonfähig gemacht und ihren Tod wenn auch nicht etabliert, so doch wenigstens postuliert. Damit war und ist die Geschichte immer wieder im Dienste dieser oder jener architektonischen Haltung missbraucht worden, und zwar nicht nur von Architekten, sondern auch von Architekturhistorikern. Die Geschichte der Architektur ist somit höchst problematisch. Erstens weil die schriftlichen Quellen meistens von den Architekten selber verfasst worden sind und daher bewusst oder unbewusst Ansprüche und Wünsche beinhalten, die nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen müssen. Diese Diskrepanz nachzuverfolgen ist eine der wichtigsten Aufgaben des Architekturhistorikers, der dabei Sozial-, Technik- und Wissensgeschichte schreiben muss. Erschwerend kommt hinzu, dass zu den Quellen natürlich auch die Gebäude zählen, die sich nicht wie schriftliche Quellen behandeln lassen. Jede Auseinandersetzung mit Architekturgeschichte erfordert folglich eine Auseinandersetzung mit der Theorie der Geschichte des jeweiligen Architekten oder des jeweiligen Historikers, wobei der Hintergrund des Architekten resp. Historikers (persönlich, kulturell, politisch usw.), der seinen Entwurf resp. seine Geschichtsschreibung beeinflusst hat, ebenfalls durchleuchtet und berücksichtigt werden muss. Der Historiker Eward Hallett Carr hat in seinem 1961 verfassten Buch Was ist Geschichte diese Tatsache für die Geschichte wohl am deutlichsten auf den Punkt gebracht, wenn er behauptet, dass der Historiker immer Teil der Geschichte ist und seine Interpretation der Fakten immer eine bedingte sein wird.6 Die Fakten seien dabei wie „Fische, die in einem großen und manchmal unzugänglichen Ozean herumschwimmen, und der Fischzug des Historikers hängt z.T. von seiner Geschicklichkeit ab, in der Hauptsache aber doch davon, welchen Teil des Ozeans er sich zum Fischen aussucht und welche Geräte ihm gutdünken – und diese beide Faktoren hängen natürlich ihrerseits wiederum davon ab, welche Art Fische er zu fangen wünscht.“7 Dies führte zu Carrs berühmter Aufforderung, vor der Geschichte den Historiker zu studieren.8 Der Historiker steht vor der Geschichte und ihren Quellen und muss daraus eine Erkenntnis schaffen, die zu einem Wissen wird. Der Architekt bezieht sich auf die Geschichte, entwickelt nicht zuletzt einen Entwurf. Damit könnte man etwas überspitzt wiederum mit Nietzsche sagen: „[...] ‚es giebt nur

Architekturgeschichten und -theorien

Thatsachen’, würde ich sagen: nein, gerade Tatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen. Wir können kein Factum ‚an sich‘ feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. ‚Es ist alles subjektiv‘ sagt ihr: aber schon das ist Auslegung, das ‚Subjekt‘ ist nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu-Erdichtetes, Dahinter-Gestecktes.“9 Bereits 1923 warnte der Historiker Henri Pirenne vor der Unmöglichkeit absoluter Objektivität in der Geschichtsschreibung: „L’historien, en effet, ne se trouve pas, vis-à-vis de l’objet de ses études, dans la situation du naturaliste vis-à-vis de la nature. Sa personnalité y est pour ainsi dire en jeu. Comment, s’il étudie l’histoire de son pays, pourra-t-il oublier que ce pays est sa patrie ; si c’est l’histoire de sa religion, qu’elle est la source de sa croyance; si c’est l’histoire de son parti, que ce parti a droit à sa fidélité ? Pour arriver à l’objectivité, l’impartialité sans laquelle il n’est pas de science, il lui faut donc comprimer en lui-même et surmonter ses préjugés les plus chers, ses convictions les mieux assises, ses sentiments les plus naturels et les plus respectables. Peut-être il lui est-il impossible d’arriver à un tel renoncement. Il s’y essaie pourtant, car il sait que c’est à ce prix seulement qu’il méritera bien de la science.“10 Das heißt nicht, dass die Geschichte willkürlich ist, nur dass sie, jenseits jedes notwendigen Objektivitätsanspruchs, diesen nie voll erfüllen kann, nicht nur vonseiten der Architekten, die die Geschichte instrumental verwenden, um ihren Standort zu definieren, sondern auch vonseiten jener Architekturhistoriker, die die Geschichte der Architektur beschreiben. Dass man diesen Objektivitätsanspruch als Ziel aufrechthalten sollte – für den Historiker –, ist selbstverständlich, man muss aber die unumgängliche Subjektivität verstehen und berücksichtigen, ja deren Potenzial ausspielen. Man könnte diesbezüglich die Episode von Ludwig Richter, die Heinrich Wölfflin (1864–1945) in Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (1915) nacherzählt, auf die Geschichtsschreibung erweitern: Drei Maler bilden die gleiche Landschaft ab und sind überrascht, wie stark die drei Bilder voneinander abweichen. 11 Der französische Historiker Jacques Le Goff stellte 1974 in einem mit Pierre Nora zusammen herausgegebenen Sammelband zum Thema Geschichtsschreibung fest, wie die Geschichte mittlerweile den eigenen Relativismus erkannt hat und entsprechend dessen epistemologische Grundlagen überdenken müsse. 12 Nicht zufällig ist in den Aufsätzen des Bandes immer wieder davon die Rede, die Geschichte zu konstruieren. Dieser Akt der Konstruktion bringt uns natürlich sehr nahe an die Konstruktion/den Entwurf der Architektur und an die Tatsache, dass diese kritische Hinterfragung der Geschichte in der Architektur bislang nur ansatzweise stattgefunden hat. Das vorliegende Buch sollte man also auch als ein Plädoyer für mehr Realismus in der Architekturgeschichte lesen.

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Ein schönes Bild der vielen möglichen „Interpretationen“ findet sich in den 1947 veröffentlichten Exercices de style von Oulipo (Ouvroir de Littérature Potentielle) Gründer Raymond Queneau. Der später als Theaterstück äußerst erfolgreiche Text besteht in einer sehr einfachen Geschichte, die aber 98-mal in unterschiedlichen Schreibstilen mit unterschiedlichen Themen – „récit“, „ignorance“, „syncopes“, „vulgaire“, „partial“ usw. – wiedergegeben wird. Queneau beweist damit, wie unterschiedlich die gleiche Geschichte, alleine durch die Art und Weise, wie sie erzählt wird, dargestellt und damit auch rezipiert werden kann. Jeder Schreibstil führt zu einer anderen Darstellung und damit zu einem anderen Inhalt der erzählten Episode. Ein ähnliches Bild vermittelt der Film Rashômon (1950) von Akira Kurosawa, in dem die Geschichte um ein Verbrechen aus vier verschiedenen Perspektiven dargestellt wird. Damit konstruiert der Film ein komplexes Vexierspiel um die verschiedenen Blickwinkel und deren Motive sowie über die Schwierigkeit, die eine Wahrheit zu finden.

MetaDer Begriff „Metageschichte“ spricht diese Theorie der Geschichte an: „Meta-“, weil hier die Position vertreten wird, dass Geschichte nicht ohne eine Theorie der Geschichte – im Sinne eines Nachdenkens über die Geschichte selber, als Metaebene über der Geschichte – auskommen kann. Und dass diese Theorie der Geschichte wiederum in einen historischen Kontext eingebettet sein muss, als Geschichte der Geschichten und Geschichte der Theorien der Geschichte. „Meta-“ steht aber nicht nur für diese übergeordnete Ebene der Theorie der Geschichte, sondern auch für das Modell des „Metawissens“, des „Wissens über das Wissen“: Um etwas zu wissen, muss ich verstehen, wie ich dazu gekommen bin. Auf die Lehre angewendet bedeutet dies, dem/der Studierenden eben nicht nur historische Fakten zu vermitteln, sondern auch ein Bewusstsein für die Wege – wiederum ein Teil der Theorie der Geschichte –, mittels derer er/sie aus diesen Fakten ein Wissen für sich gewinnt. Das Metawissen ist also instrumental ausgerichtet auf die Notwendigkeit der Studierenden, ihre „eigene Geschichte“ zu schreiben: Dadurch, dass ich ihnen ein Bewusstsein für das Schreiben der Geschichte vermittele, dadurch, dass ich ihnen aufzeige, wie ich Geschichte schreibe, sollen sie einen bewussten Umgang mit der eigene Geschichtsschreibung entwickeln, auch wenn er im Dienste ihrer Entwurfsarbeit steht. Der deutsche Ethnologe Hans-Jürgen Heinrichs bringt das vorzüglich auf den Punkt: „Wir erkennen Welt, indem wir ein Bewusstsein davon entwickeln, wie wir erkennen, wie sich das Ich (der Beobachter) und der Gegenstand (das Beobachtete) im Erkenntnisprozess selbst produzieren und sich immer auf eine bestimmte Weise, in einer Erzählform artikulieren.“13 Paraphrasierend

Architekturgeschichten und -theorien

können wir behaupten, dass wir Geschichte erkennen, wenn wir ein Bewusstsein entwickeln, wie wir Geschichte erkennen, wobei hier „erkennen“ das Schreiben von Geschichte ist. Vom Erkennen des Erkennens sprechen aus einer biologischen Perspektive auch Humberto Maturana und Francisco Varela. Sie illustrieren es mit dem „Vor dem Spiegel stehen“, das eine Reflexion auslöst, wodurch man erkennt, wie man erkennt. 14 Bemerkenswerterweise polemisieren sie gegen die Tatsache, dass zu wenig unternommen wird, um diese Reflexion zu fördern. 15 Metageschichte also als Metawissen über das Machen, das Konstruieren oder Entwerfen der Geschichte, und zwar sowohl für den Architekturhistoriker, der eine Theorie der Geschichte und ihr Machen aufstellt und dabei so objektiv wie möglich sein sollte, als auch für den Architekten, der über die Art und Weise reflektiert, wie er den eigenen Bezug zur Geschichte konstruiert, und dabei keineswegs objektiv sein soll. In der Wissenschaftstheorie ist diesbezüglich die Rede von einer „Metakompetenz zweiter Stufe“ im Sinne der Erkenntnis des Erkennens. Um diese pädagogischen Absichten in ein Lehrprogramm einfließen zu lassen, habe ich in den zur Verfügung stehenden vier Semestern viermal die gleiche Geschichte erzählt, nur jeweils aus einer anderen Perspektive und mit anderen Vorzeichen: Die vier Geschichten waren die Geschichte der Architekten (1), die Geschichte der Architektur als Disziplin im Sinne der Ausbildung (2), des Architektur Machens (3) und des über Architektur Nachdenkens (4). Das Wer, das Was, das Wie und das Wieso der Architektur also. Andere Perspektiven wären natürlich auch denkbar gewesen, gerade eine Geschichte der Technik, der Materialien oder eine soziokulturelle Geschichte der Architektur. Alle zusammen machen sie eine mögliche Architekturgeschichte aus. Die Wahl dieser Geschichten ist gerechtfertigt durch meine eigene Theorie der Geschichte, die über das Geschichtsschreiben per se reflektiert und eine Auswahl getroffen hat: Das heißt, es wird eine Theorie der Architekturgeschichte im Sinne einer Beschreibung der Architekturgeschichte, des Schreibens der Architekturgeschichte und der Methoden, die man dazu anwenden kann, aufgestellt. Georg Vrachliotis bringt dies treffend auf den Punkt, wenn er behauptet, dass „[t]he writing of history thus becomes the writing of stories, and the field of architectural history becomes one of architectural stories“. 16 Diese vier Semester entsprechen im Buch den vier Kapiteln/Lektionen. Damit sollten die Studierenden nicht nur über meine Geschichtsschreibung reflektieren können, sondern auch immer wieder Akteure und Faktoren der Geschichte antreffen, die aber jeweils in einem neuen Zusammenhang besprochen werden und sich damit besser einprägen können.

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Das Buch geht weiter von der Beobachtung aus, dass heutzutage einerseits kein Konsens herrscht über das, was genau Architekturgeschichte ist und wie sie vermittelt werden muss, dass man aber andererseits diesen fehlenden Konsens nicht infrage stellt und den Methodenpluralismus ohne weiteres gewähren lässt. Es geht zudem von der Beobachtung aus, dass es heute zwischen Architekturtheorie und Architekturgeschichte kaum wesentliche Unterschiede zu geben scheint, was wiederum die Frage nach deren Arbeitsbereich und nach möglichen Abgrenzungen hervorruft. Der Historiker Andrew Leach – der dem Thema eine hervorragende Studie gewidmet hat – behauptet in diesem Zusammenhang, es gebe keine Übereinstimmung darüber, was Architekturgeschichte überhaupt sei. 17 Er betont aber auch, dass diese fehlende Übereinstimmung nicht zuletzt auf die fehlende Übereinstimmung darüber, was Architektur ist, zurückzuführen sei. In einer Zeit, in der sich die Architektur sowohl von „Innen“ – bedingt durch neue Entwurfs- und Produktionstechniken – wie von „Außen“ – die Aufgabenstellung des Architekten und seine gesellschaftliche Rolle – neu definiert, muss sich natürlich auch die Geschichte mit dieser Veränderung auf die eine oder andere Art und Weise auseinandersetzen. Dazu kommt, dass der Architekturhistoriker nicht als solcher ausgebildet ist, sondern entweder (meistens) ein Kunsthistoriker ist, der sich auf die Geschichte der Architektur spezialisiert, oder ein Architekt, der sich ebenfalls der Geschichte der Architektur widmet. Aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungen werden diese beiden Geschichten bereits unterschiedlich determiniert sein. Der Kunsthistoriker hat den Vorteil einer fundierten akademischen Ausbildung durch das Erlernen wissenschaftlicher Methoden vor dem Hintergrund der Geschichte der Kunstwissenschaft, der Architekt ist hier vielleicht im Nachteil, kennt aber das, was die Disziplin eigentlich ausmacht: den Entwurf, was der Kunsthistoriker ohne die Arbeitsnächte an Modellen und Plänen nie nachvollziehen kann. Der Architekt Leo Adler nimmt auf diesen Unterschied bereits 1926 Bezug und erklärt ihn folgendermaßen: „Um aber auf die wissenschaftliche Bearbeitung der Baudenkmäler zurückzukommen, so ergibt sich bei näherer Betrachtung dieser literarischen Quellen das eigentümliche Bild, dass der theoretisch forschende Baukünstler zu oft grundsätzlich anderen Auffassungen gelangt als der baugeschichtlich tätige Kunsthistoriker oder ästhetisierende Philosoph. Dass dem so ist, erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass dem Architekten die Konstruktion und die technischen Bedingungen der Bauformen oder mit anderen Worten: Gebrauchszweck, Rohstoff und Technik von seinem praktischen Schaffen her als die Grundlagen baulichen Gestaltens vertraut und geläufig sind, während dem Kunsthistoriker, der mehr oder weniger festliegende Begriffe ‚architektonischer Schönheit‘ von Hause mitbringt, Gebrauchszweck,

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Rohstoff und Technik auch nur bloße Begriffe sind, an deren starrsinniger Objektivität er nie eine Grenze seines Schaffens gefunden hat.“18 Der Begriff „Metageschichte“ ist nicht neu. In seinem bemerkenswerten Buch Metahistory untersucht der Historiker Haydn White, das, was er als die „Stile“ der Geschichtsschreibung bezeichnet, und formuliert aus dieser Beobachtung eine Theorie der Geschichte, eben eine Metageschichte. 19 Mit seiner Theorie beschreibt er die unterschwelligen Stile der Geschichtsschreibung, d.h. die Stile, in die die Geschichtsschreibung einverleibt ist. Diese machen die jeweilige Poetik der Geschichte eines Historikers aus und beruhen dabei auf einer unbewussten Ebene („deep level of consciousness“). Geschichte ist „a verbal structure in the form of a narrative prose discourse“, also eine sprachliche Struktur in Form einer Prosaerzählung.20 Damit zielt White auf eine Untersuchung und ganz allgemein auf eine Anerkennung der künstlerischen Seite der Tätigkeit des Historikers, der in der Geschichtsschreibung eben nicht nur wissenschaftlich vorgeht, sondern auch als Künstler arbeitet. Entsprechend könne kein Stil „realistischer“ sein als der andere: Jeder Stil enthält die Geschichte auf eine andere Art und Weise, hat aber keinen höheren Realitätsinhalt als ein anderer. 21 In seiner Untersuchung bespricht er eine Reihe namhafter Historiker – Michelet, Ranke, Tocqueville und Burckhardt – aufgrund ihres Stils und zeigt, wie die Abfolge der Geschichtsschreibung dieser Historiker auch eine Abfolge von Stilen ist. Daneben bespricht er aber auch eine Reihe von Geschichtsphilosophen wie Marx, Nietzsche und Croce und betont, dass sie unbewusst diesen sprachlichen Hintergrund der Geschichtsschreibung erfasst haben, weil sie alle Philosophen der Sprache gewesen seien. Das „Meta-“ von Haydn ist somit ein anderes als das in meiner Arbeit und Theorie besprochene, es zielt aber auf eine vergleichbare These der bedingten Subjektivität der Geschichtsschreibung.22

Strukturalismus Den Ansatz meiner Arbeit könnte man im weitesten Sinne als „strukturalistisch“ bezeichnen, weil das Strukturieren von Geschichte im Mittelpunkt steht: Im Sinne des französischen Literaturwissenschaftlers Roland Barthes (1915–1980) versucht der Strukturalismus – den Barthes als „Tätigkeit“ bezeichnet 23 –, einen Gegenstand als Struktur nachzubauen. Die Wirklichkeit wird auseinandergenommen und dann wieder zusammengesetzt, und durch diesen Prozess wird etwas über die so destrukturierte Wirklichkeit gelernt. 24 Erst durch diesen Prozess ist eine solche Erkenntnis möglich. Oder im Sinne eines anderen Vaters des Strukturalismus, des Philosophen Michel Foucault (1926–1984): „Der Strukturalismus oder, was man unter die-

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sem ein bisschen allgemeinen Namen gruppiert, ist der Versuch zwischen den Elementen, die in der Zeit verteilt worden sein mögen, ein Ensemble von Relationen zu etablieren, das sie als nebeneinandergestellte, einander entgegengesetzte, ineinander enthaltene erscheinen lässt: also als eine Art Konfiguration.“25 Erst durch diese Arbeit, durch die Untersuchung als Struktur, die auseinandergenommen wird, lernen wir etwas über das untersuchte Objekt. Der Strukturalismus war eine Bewegung, die, ausgehend von der Semiotik – der Lehre der Zeichen –, die Wirklichkeit als Form von Zeichensystemen auffasste, die wie eine Sprache untersucht werden kann, und zwischen 1950 und 1970 unglaublich erfolgreich. Seit den ersten Untersuchungen von Claude Lévi-Strauss (1908–2009) in der Ethnologie wurde der Strukturalismus in allen möglichen Disziplinen besprochen – Architektur und Städtebau inbegriffen – und nicht zuletzt wegen seines Modecharakters, aber auch seines Hangs, zu einer alles erklärenden Philosophie zu werden, auch wieder radikal aufgegeben.26 Hier fehlt natürlich die zeichentheoretische Komponente. Doch die vielfältige und oft gegensätzliche sprachtheoretische Grundlage der verschiedenen Strukturalisten relativiert in meinen Augen die Notwendigkeit dieser Komponente. Zudem könnte man mit Heidegger behaupten, dass wir in der Sprache wohnen und damit sowohl die Unumgänglichkeit der sprachlichen Komponente bewiesen wäre wie auch, etwas weniger stringent, der Bezug zwischen Sprache und Architektur betont.27 Der strukturalistische Ansatz wird hier auf der Metaebene der Geschichte angewendet und nicht auf der Ebene eines Projekts: Auf dieselbe Art und Weise wird hier die Geschichte in vier Geschichten auseinandergenommen und wieder zusammengestellt. Sie wird insofern auseinandergenommen, als hier vier perspektivisch verschiedene Blicke auf sie geworfen werden. Jede bedeutet einen anderen Blickwinkel und stellt damit eine mögliche Geschichte dar. Die Struktur der Geschichte wird bloßgelegt. Diese Destrukturierung der Geschichte soll nicht nur zu einem Wissen über die Geschichte als solche, sondern auch über die Geschichtsschreibung, das Konstruieren/Entwerfen von Geschichte führen. Die Rekonstruktion erfolgt bei den Studierenden, die dadurch eben nicht nur ein Wissen von der Geschichte – über Epochen, Architekten usw. –, sondern auch ein Metawissen über das Schreiben der Geschichte im Sinne einer eigenen Theorie der Geschichte erwerben. Diese Rekomposition erfolgte in Vaduz nicht zuletzt über ein Diagramm, das eines der Voraussetzungen aller vier Semester war, wo die Studierenden versuchen sollten, das Gesagte zu re-organisieren. Das Diagramm war Anlass,

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eine Struktur aufzustellen, das die Rekonstruktion der partiellen Geschichten ermöglichen sollte. Beispiele solcher Diagramme begleiten das Buch. Das Diagramm bildete so zusammen mit den vier Vorlesungen/Semestern die Grundlage meiner Pädagogik. Es war der Versuch, die Studierenden sowohl über die Möglichkeit, eine eigene (entwurfsbedingte) Theorie der Geschichte aufzustellen, wie über dieses Aufstellen im Sinne des Metawissens reflektieren zu lassen. Vorlage dieser Diagramme war ein eigenes Diagramm, das meine Doktorarbeit begleitet hat und einerseits der Versuch war, der Forschungsarbeit in Wort und Bild etwas Räumliches gegenüberzustellen (auch wenn es zweidimensional bleibt), andererseits, die geistige Konstruktion der Thesen und Ideen grafisch festzuhalten und weiterzuentwickeln. Diese erweiterte Dimension meiner Forschung war sehr hilfreich bei der Entwicklung meiner Ideen, entsprechend die Hoffnung, dass dies auch für die Studierenden funktionieren könne. Das Diagramm ist damit zur zentralen Methode meines theoretischen Nachdenkens geworden. Abbildung 1, Andri Gerber, Theorie der Städtebaumetaphern, Diagramm, 2008

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Dieselbe Forschungsarbeit mit Diagrammen begleitet auch meine jetzige Habilitation (Laufzeit 2012–2015), in der ich aber auf ein Mind-map-Programm zurückgreife – die Software The Brain –, das mehr Möglichkeiten der räumlichen Organisation aufweist als das „manuelle“ der Doktorarbeit. Abbildung 2, Andri Gerber, Städtebau? Eine Sozial- und Wissensgeschichte, Diagramm, 2014

Der große Historiker Lewis Mumford schrieb einst, er sei im Grund lieber ein Generalist, der die von den Spezialisten zusammengetragenen Fragmente in ein System, in ein bedeutungsvolles Muster einordne, wenn er auch von Zeit zu Zeit selbst an solchen Fragmenten arbeite.28 Diese Fragmente lassen sich aber erst dann untersuchen, wenn man ein Bewusstsein für die Art und Weise entwickelt und zusammengestellt hat, wie diese untersucht werden sollen – was mein System, mein bedeutungsvolles Muster wäre. Um die Vermittlung eines solches Systems geht es mir hier, mittels der Destrukturierung der Geschichte und deren Restrukturierung in den Diagrammen der Studierenden. Jeder Architekt muss ein solches System auf bauen, um sich zu verorten. Der Architekt ist in Bezug auf die Geschichte immer ein Generalist, insofern muss er die Gesamtheit, aus der er einzelne Architekten oder Perioden herausgreifen kann, kennen.

Ordnung und Unordnung In einer Zeit der freien Verfügbarkeit eines fast unendlichen Wissens – am besten dargestellt durch Wikipedia, die „Hauptbedienungsquelle“ für (Architektur-)Studierende – wird es immer wichtiger, als pädagogisches Ziel, Wege aufzeichnen, wie mit diesem Wissen umgegangen werden soll, wie man dieses Wissen kritisch verwenden und hinterfragen kann.29 Der Anspruch einer Me-

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tageschichte dient vor allem diesem Zweck: ein Wissen zu vermitteln, wie man mit den scheinbar frei verfügbaren historischen Fakten umgehen soll. Berücksichtigt werden muss dabei aber, dass das Wissen heutzutage nicht mehr auf eine klassische und hierarchische Art und Weise vermittelt werden kann, sondern auf die „digitale Unordnung“ Bezug nehmen muss: „Wissen bedeutet nicht mehr, das Einfache zu sehen, sondern im Komplexen zu schwimmen.“30 Wie der Medienwissenschaftler David Weinberger, von dem dieses Zitat stammt, schreibt, handelt es sich bei der vermeintlichen Unordnung der digitalen Welt um eine Ordnung der dritten Ordnung. Weinberger betont, wie diese dritte Ordnung bewusst von Unternehmen wie Apple oder Amazon verwendet wird, um effektiver auf die Wünsche der Kunden einzugehen, diese aber auch zu manipulieren. Die Unternehmen nutzen dabei die Möglichkeiten, die das Netz bietet, um unkonventionelle Zugriffe zu den gesuchten Werken herzustellen. Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, wie Studierenden, die sich in dieser neuen Form der Ordnung – der scheinbaren Unordnung – zurechtfinden, mit klassischen Formen der Ordnung aber Mühe haben, ein Wissen über die Architekturgeschichte vermittelt werden kann. Eine erfolgreiche Vorlesung muss versuchen, auf diese Unordnung – oder Ordnung dritter Ordnung – einzugehen, ja auf diese aufzubauen. Auch hieran knüpft das Diagramm der Studierenden an: In der Rekonstruktion der Fakten, die ihrer Interpretation entspricht, sollen sie auch das eigene Ordnungsverständnis reflektieren. Eine zeitgenössische Geschichtsschreibung muss auch diese Form von „Unordnung“ übernehmen, denn nur so kann sie die jüngere, sich nur noch in einer solchen orientieren könnende Generation ansprechen. Die Vorlesung – und teilweise auch dieses Buch – soll entsprechend eine derartige „Unordnung“ liefern. Der Städtebauer und Städtebautheoretiker Bernardo Secchi gibt dazu ein sehr schönes Bild, wenn er sich in seinem Buch Prima lezione di urbanistica von 2000 („Erste Lektion über Städtebau“) daran erinnert, wie sein Vater, um ihm etwas zu erklären, in seiner schier unendlichen Bibliothek mit einer nur für ihn wahrnehmbaren Ordnung Bücher herausnahm und mit anderen in einen Zusammenhang brachte und dabei auch immer wieder auf den „objekthaften“ Wert des Buches verwies.31 Bezeichnenderweise beruft sich Weinberger immer wieder auf die architektonische Metapher, um Ordnung und Unordnung bildhaft zu vermitteln. Architektur dient natürlich seit jeher als Metapher für Bilder der Ordnung, der Struktur, des Auf baus usw., gerade für die Philosophie. In der Zeit des Internet hat die Architektur aber diese ihre Rolle teilweise eingebüßt, man spricht eher von Bäumen, Rhizomen oder von Strukturen und Flüssen bzw. sucht Bilder für das Instabile, das Unstrukturierte, und hier kann die Architektur kaum

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Bilder liefern, wenn nicht mit Projekten der Dekonstruktion. Heute ist es eher der iPod, der als Vorlage dient, um die Natur der Unordnung zu erklären. Abbildung 3, Madeleine Bender, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

Abbildung 4, Lars Huser, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

Architekturgeschichten und -theorien

Nach der Geschichte … Nachdem über Jahrhunderte der „Tod der Geschichte“ postuliert und beschworen worden war, scheint sich in unserer Zeit, nicht zuletzt aufgrund der neuen Medien, dieser Zustand zu erfüllen. Am Erfolg der Zeichentrickfigur von Miku Hatsune lässt sich dies am besten illustrieren: Ursprünglich als niedliche Begleitfigur einer Software entwickelt, wurde sie schließlich zu einer eigenständigen brand, die so erfolgreich war, dass sie als Hologramm, begleitet von einer realen Band, in Konzerten vor Hunderttausenden Menschen auftritt und eigens für sie komponierte Lieder „singt“. Ohne auf die Besonderheit der japanischen Kultur und deren Begeisterung für die neuesten Technologien sowie für Manga- und Animekultur eingehen zu müssen, bedeutet dieses Phänomen die eindrücklichste Verkörperung des „Systems der Simulakren“ und der Simulation des französischen Philosophen Jean Baudrillard (1929–2007), der die Welt als System von Zeichen beschrieben hat.32 Bereits Friedrich Nietzsche hatte zum Nachdenken über den Nutzen und Nachtheil der [Architektur] Historie herausgefordert.33 In der zweiten seiner vier Unzeitgemäßen Betrachtungen äußerte Nietzsche seine Vorstellungen über das, was die Geschichte leisten muss, indem er Goethe zitiert: „,Übrigens ist mir Alles verhasst, was mich bloß belehrt ohne meine Thätigkeit zu vermehren, oder unmittelbar zu beleben.‘ Dies sind Worte Goethes, mit denen, als mit einem herzhaft ausgedrückten Ceterum censeo, unsere Betrachtung über den Werth und den Unwerth der Historie beginnen mag. In derselben soll nämlich dargestellt werden, warum belehrung ohne belebung, warum Historie als kostbarer Erkenntniss-Überfluss und Luxus uns ernstlich nach Goethes Wort, verhasst sein muss – deshalb, weil es uns noch am Nothwendigsten fehlt, und weil das Überflüssige der Feind des Nothwendigen ist. Gewiss wir brauchen die Historie, aber wir brauchen sie anders, als sie der verwöhnte Müßiggänger im Garten des Wissens braucht, mag derselbe auch vornehm auf unsere derben und anmuthlosen Bedürfnisse und Nöthe herabsehen. Das heißt, wir brauchen sie zum Leben und zur That, nicht zur bequemen Abkehr vom Leben und von der That oder gar zur Beschönigung des selbstsüchtigen Lebens und feigen That.“34 Nietzsche postuliert ein notwendiges Gleichgewicht für den Einfluss der Geschichte, damit diese nicht schädlich wird. Sie muss immer dem „Zwecke des Lebens“ dienen. Dabei macht Nietzsche eine bemerkenswerte Einteilung zwischen monumentalischer, antiquarischer und vor allem kritischer Geschichte, wobei Letztere das kritische Hinterfragen der Geschichte bedeutet.35 Um diese kritische Geschichte geht es in diesem Buch. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper (1902–1994) hatte 1960, also in einem anderen Kontext, eine radikal ablehnende Kritik der Ge-

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schichte – er bezieht sich dabei auf den sog. „Historizismus“ – formuliert. Er stellte nämlich die Fähigkeit der Geschichte, die Zukunft vorauszusehen, dadurch dass sie bestimmte Muster oder Tendenzen erkennen könne, grundsätzlich infrage.36 Popper greift damit den Historizismus an, wenn dieser „Tendenzen“ oder „Richtungen“ in der Geschichte zu erkennen glaubt. Popper greift zwar nicht explizit die Kunst- oder Architekturgeschichte an – die im Buch auch nicht erwähnt wird –, sein Beispiel steht als Hinweis für eine teilweise unterschwellige Infragestellung der Geschichte. Als ein Beispiel eines solchen „Historizismus“ im Sinne von Popper kann ein Diagramm des Architekturhistorikers Charles Jencks (geb. 1939) gelten, der damit 1971 eine Prognose der Entwicklung der Architektur bis ins Jahre 2000 formulierte.37 Diese Prognose versteht er im Sinne von verschiedenen Szenarien von Themen und Formen, die die Architektur der Zukunft einnehmen werden, und gründet auf sechs Traditionen wie die intuitive, die idealistische usw., die er von Lévi-Strauss ableitet. Er bezieht sich dabei einerseits auf den Vater des Szenarios, den Amerikaner Herman Kahn (1922–1983), sowie auf verschiedene wissenschaftliche Prognosen über zukünftige Erfindungen und mögliche technische Fortschritte. Abbildung 5, Charles Jencks, Architecture 2000, predictions and methods, Diagramm, 1971

Auch der tschechoslowakische Philosoph und Medienwissenschaftler Vilém Flusser (1920–1991) formulierte eine grundsätzliche Kritik an der Geschichte, wenn auch mit einer ganz anderen Argumentation: Aufgrund der so fundamentalen Veränderungen unserer Zeit würde ein Vergleich mit der Vergangenheit zu nichts führen, zu unterschiedlich seien die Probleme der Gegenwart. Er spricht von einem „Bruch in der Kette der Geschichte“.38 Betrachtet man die

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Entwicklung der Architektur in den letzten fünfzig Jahren, so scheint diese Prognose unzutreffend: Die neue Architektur hat zweifelsohne keinen solchen Quantensprung geleistet, dass sie nicht mehr mit der Architektur der Vergangenheit verglichen werden könnte, um daraus Lehren ziehen zu können. Diese beiden Kritiken an der Geschichte – und man könnte zahlreiche andere dazuzählen – zeugen davon, wie die Geschichte immer wieder ihre Berechtigung finden muss, obgleich ihre Instrumentalisierung – die in der Architektur im Entwurf immer geschieht – ein generell problematisches Unterfangen ist. Auch das Ende der Geschichte der Kunst wurde bereits mehrmals zelebriert, so zum Beispiel vom Künstler Hervé Fischer, der am 15. Februar 1979 in Paris in einer künstlerischer Performance das Ende der „Geschichte als Fortschritt zum Neuen“ durch das Zerschneiden einer Schnur zelebrierte. Damit wollte er aber nicht Geschichte per se, sondern eine Geschichte als lineare Abfolge von Stilen als beendet verstehen und gleichzeitig die „Ereignisgeschichte der posthistorischen, der Meta-Kunst“39 ankündigen. Eine Zeichnung von Le Corbusier (1887-1965) – also paradoxerweise jenes Architekten, der mit der Überflüssigkeit der Geschichte am stärksten kokettiert, diese aber nicht wirklich ausgelebt hat – widerspricht dem Gesagten und betont, dass jeder Architekt irgendwo seine Geschichte hat: Es handelt sich um einen Brief von Le Corbusier an die Organisatoren der letzten CIAM-Tagung in Otterlo, die de facto das Ende des CIAM und damit implizit auch der Ideen von Le Corbusier sanktionierte. Im Brief beglückwünscht sich Le Corbusier mit der Richtung, die die junge Generation eingeschlagen hat – auch wenn sie weg von der Seinigen führt –, mit dem Vermerk, dass eben jede Generation ihren eigenen Standpunkt finden muss. Viel interessanter ist aber die Zeichnung, die Le Corbusier auf dem Brief macht: Ein Mann – die Otterlo-Generation – hält eine Fahne in der Hand, auf der „Wahrheit“ steht. Der Mann aber steht auf den Schultern eines anderen Mannes, der die Generation von Le Corbusier repräsentiert und die er als „les emmerdeurs“ bezeichnet, was soviel wie Nervensäge heißt. Damit betont Le Corbusier auf eine äußerst ironische und subtile Art, dass, was auch immer die junge Generation erreichen wird, nur möglich sein werde, weil es auf die Vorarbeit seiner Generation zurückgreifen kann. Das gleiche gilt aber natürlich auch für seine eigene Generation. Eine perfekte Illustration für den Umstand, dass jeder Architekt, was auch immer er machen wird, auf den Schultern anderer Architekten steht, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, ob er das will oder nicht. Dass diese Zeichnung ausgerechnet von Le Corbusier stammt, ist natürlich eine kaum zu überbietende Ironie. Auch der Architekt und Beamte Walter Curt Behrendt (1884–1945), der zum Modernismus „konvertiert“ war, betont in seinem dem Sieg des neuen

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Baustils und der Weißenhofsiedlung in Stuttgart gewidmeten Buch von 1927 die Bedeutung der Vorgänger: „Auf den Schultern dieser Männer [Henry van de Velde, Frank Lloyd Wright und Adolf Loos] ruht die Arbeit der jungen Architekturgeneration, in der sich das Ringen um den neuen Stil vollzieht.“40 Doch, wie es der Städtebauhistoriker Pierre Lavedan (1885-1982) einst formuliert hat, sei dem Künstler verziehen, wenn er seine Vorgänger vergesse, der Historiker hingegen wisse, dass es nicht Spontanes in der Kunst gibt. 41

G ESCHICHTE DER A RCHITEK TURGESCHICHTE „Kunstgeschichte, das ist nicht bloß die Geschichte von bestimmten Dingen, sondern auch die Geschichte all derer, die ihr Leben an Bildern, Skulpturen und Architekturen orientieren.“ H EINRICH D ILLY, 1990 42

Nicht nur Architekten „verschönern“ die Architekturgeschichte, auch die Architekturhistoriker haben teilweise äußerst subjektive Geschichten erzählt, nicht zuletzt weil sie persönlich in bestimmte Architekturströmungen verstrickt waren. Auch lassen sich eindeutige Tendenzen erkennen in der Art und Weise, wie die Geschichte der Architektur erzählt wurde und wird, die sich periodisch ablösen. So betont Andrew Leach in seiner bereits zitierten Übersicht der Architekturgeschichte, wie in den letzten zwanzig, dreißig Jahren die Architekturgeschichte von einem Hang zur Theorie dominiert war, die vor allem amerikanisch geprägt, nicht zuletzt aber durch europäische kritische Theorie bedingt war, besonders durch die französische Philosophie, aber auch deren Interpretation durch europäische Architekturschulen. In einem Spiel von Übersetzungen und Interpretationen hat also eine bestimmte Art zu denken der zeitgenössischen Philosophie ihren Weg bis in die amerikanischen Architekturschulen gefunden und, weil diese damals die maßgeblichen Orte für den Architekturdiskurs in der Welt waren, wieder zurück nach Europa. Bezeichnenderweise erkennt Leach aber nun die Zeichen für einen, wie er ihn nennt, „return to history“, für eine Rückkehr zur Geschichte im Sinne einer traditionellen chronologischen und vor allem auf Quellenarbeit beruhenden Architekturgeschichte. 43 Dennoch muss betont werden, wie sich heute die Architekturgeschichte größtenteil mit der jüngsten Geschichte befasst und weniger in die weitere Vergangenheit zurückgreift. Zu dieser „Rückkehr zur Geschichte“ gehört auch die große Anzahl an biografischen Untersuchungen von Architekturhistorikern, wie jene von Anthony Vidler, Histories of the Immediate Present von 200844 oder von Gevork Hartoonia The Mental Life of the Architec-

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tural Historian. Re-opening the Early Historiography of Modern Architecture von 2011. 45 Als Begründer der Kunstgeschichte gilt der italienische Architekt, Maler und Biograf Giorgio Vasari (1511–1574), der mit seinen Viten (1550) eine bestimmte Art der Kunstgeschichte initiierte, die den Künstler und sein Leben in den Mittelpunkt stellte. Dies tat er vor dem Hintergrund des neu erwachten Bewusstseins des Individuums und damit des Künstlers als selbstständigem Schöpfer. Die Wahl dieser Form der Künstlerdarstellung, die neben dem Werk auch dem Leben des Künstlers selber viel Achtung erweist, war unter anderem deswegen bemerkenswert, weil es sich um eine bisher nur für die Fürsten-Darstellung gewählte literarische Form handelte. Das Besondere an Vasari ist aber nicht zuletzt die Art und Weise, wie dieser bewusst die Geschichte „verschönert“ hat und nicht vor der Schaffung von Fiktionen zurückgeschreckt ist, selbst vor dem Erfinden eines Künstlers – Morto da Feltro –, um ein bestimmtes Bild der Renaissancekünstler vermitteln zu können. 46 Vasari scheut sich also nicht, in seinen Biografien eine fiktive Persönlichkeit zu erfinden, um seinen Diskurs und sein Bild der Zeit zu stärken. Vasari auf diese Episode zu reduzieren wäre absurd, weil diese Art der Kunstgeschichte, die sich auf die Biografien der Künstler konzentriert, jahrhundertelang die geläufigste Form der Kunstgeschichte war. Zudem lässt sich das Vermischen von „Fakt und Fiktion“ auf die Tradition der antiken Rhetorik zurückführen. 47 Erst mit dem Bestreben, in einem allgemeinen Klima der „Verwissenschaftlichtung“ der Disziplinen im 18. und vor allem 19. Jahrhundert die Kunstgeschichte als Kunstwissenschaft in Anlehnung an die Geisteswissenschaften und Kulturwissenschaft zu etablieren, entstanden neue Formen der Beschreibung von Kunst, die die Biografie ablösen sollten, allen voran die Stilanalyse. 48 Damit war die Architekturgeschichte nicht mehr eine Geschichte der Architekten und der möglichen Vorreiter, die sie beeinflusst hatten, sondern die Geschichte von abstrakten Inhalten, die den formalen Ausdruck von Kunstwerken und Architektur bestimmen. Dabei lehnte sich die Kunstgeschichte vor allem an Philologie, Archäologie und Architektur an, um daraus eigenständige Instrumente der Beschreibung zu gestalten. Eine Entwicklung also von der Biografie zur Stilgeschichte und dann zur Sozial- und Kulturgeschichte der Kunst/Architektur. In dieser Entwicklung spielte der Basler Kunsthistoriker Jacob Burkhardt (1818–1897) mit seiner umfangreichen Erzählung der Renaissance, nicht zuletzt aus der Perspektive einer Sozialgeschichte, eine sehr große Rolle. Er hatte ab 1886 einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Basel inne. Eine noch größere aber spielte sein Schüler Heinrich Wölfflin. Seit Wölfflin insbesondere beginnt sich die Kunstgeschich-

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te immer stärker mit der Frage der Wahrnehmung zu befassen, beeinflusst von der Experimentellen Psychologie von Wilhelm Maximilian Wundt (1832-1920). In seiner Dissertation von 1886, Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur, befasst sich Wölfflin mit dem Begriff der „Einfühlung“, wie ihn Robert Vischer bereits 1873 in Über das optischen Formgefühl beschrieben hatte. Später hatten die Arbeiten über die Gestaltpsychologie von Karl Bühler (1879–1963) in Wien und Max Wertheimer (1880–1943), Wolfgang Köhler (1887–1967) und Kurt Koff ka (1886–1941) in Berlin ebenfalls großen Einfluss auf die Kunsthistoriker. Nach Wölfflin muss vor allem August Schmarsow (1853–1936) erwähnt werden, der sich zwar wie Wölfflin mit den Fragen der Wahrnehmung befasst hat, im Gegensatz zu diesem aber die Architektur über den Raum und nicht über das architektonische Objekt einführt. Die Geschichte der Architektur sei nicht eine Geschichte des Formgefühls, wie sie Wölfflin noch bezeichnet hatte, sondern des Raumgefühls. Mit Schmarsow wird somit ein zentrales Thema für die Beschreibung von Architektur eingeführt, der Raum. Schmarsow definierte Architektur in seiner Einführungsvorlesung von 1893 als „Raumgestalterin“. 49 Diese Definition der Architektur als Raumgestalterin bedeutete einen Schritt weg von der Stilanalyse zu einer Analyse, die dem Wesen der Architektur näher komme, und entsprach auch der Notwendigkeit, in einer Zeit, wo der Architekt sich immer stärker als Künstler definierte, das Spezifische der Architektur in Abgrenzung zu Malerei und Bildhauerei zu beschreiben. Diese Annäherung der Architektur an die Kunst war nicht zuletzt die Folge der Verdrängung des Architekten durch den Ingenieur. Diese Annäherung wiederum wurde von der Kunstphilosophie und der Kunstgeschichte teilweise mit dem Argument gekontert, dass Architektur nicht zu den schönen Künsten gehöre. Der Philosoph Eduard von Hartmann (1842–1906) zum Beispiel wies die Architektur in seiner Philosophie des Schönen (1887) als „hervorragendster Zweig der Tektonik“ den „unfreien Künste“ zu, im Gegensatz zu Malerei und Bildhauerei, die freie Künste seien.50 Gerade mit Bezug auf Hartmann wurde eine scharfe Kritik an Schmarsow und dessen „Kunstphilosophisterei“, vor allem seinem Verständnis der Architektur als Raumgestalterin, artikuliert.51 In dieser Linie von verschiedenen Themen und Schwerpunkten historischer Architekturbetrachtung gibt es unzählige weitere Paradigmen, wie z.B. die Ikonologie als Untersuchung der symbolischen Form der Architektur um die umtriebige und faszinierende Persönlichkeit von Aby Warburg (1866–1929) und später insbesondere Erwin Panofsky (1892–1968), auf die aber hier nicht weiter eingegangen wird. Es war dann vor allem Alois Riegl (1858–1905), der darauf verwiesen hat, wie zeitabhängig die ästhetischen Urteile seien und den

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Fokus vom Inhalt zum Kontext und der Wahrnehmung eines Kunstwerkes verschoben hätten. Die Diskussion um den Raum trotz der unglaublichen Intensität, von der noch in der dritten und der vierten Lektion die Rede sein wird, wurde von anderen Themen und anderen Kunsthistorikern wie Sigfried Giedion (1888– 1968), einem Schüler von Wölfflin, Nikolaus Pevsner (1902–1983), ebenfalls teilweise ein Schüler von Giedion, und Henry-Russell Hitchcock (1903–1987), der mit Philip Johnson verantwortlich für die Ausstellung The International Style (1932) im Museum of Modern Art in New York war, abgelöst. Diese drei Architekturhistoriker waren alle mehr oder weniger mit der Architektur der Moderne verbunden und damit mit Geschichten befasst, die Fragen der Technik und der Industrialisierung in den Vordergrund brachten. Die Verstrickung des Architekturhistorikers mit der Architektur seiner Zeit wird vollständig, als Giedion zum ersten Generalsekretär des CIAM ernannt wird. Es sei aber betont, dass Giedion nie einen Hehl aus dieser Verstrickung gemacht hat, ja es als unumgänglich beschrieb: „Auch der Historiker steht in der Zeit, nicht über ihr. Das Ewigkeitspostament hat er verloren.“52 Man kann diese Erklärung aber natürlich auch als billige Ausrede ansehen. Hier nimmt auch der italienische Architekturhistoriker Bruno Zevi (1918– 2000) eine besondere Rolle ein, der mit seiner publizistischen Tätigkeit und seiner aktiven Teilnahme am Architekturdiskurs wie kein anderer die italienische Architekturkritik nach dem Zweiten Weltkrieg, wo er als Partisane gegen die Faschisten gekämpft hat, beeinflusst hat. Wie Giedion macht Zevi keinen Hehl daraus, dass er als Historiker Teil seiner Zeit sei, entsprechend versuchte er sein Modell einer organischen Architektur – in der Person von Frank Lloyd Wright (1867–1959) – zu vertreten. So überrascht es nicht, wenn er in einer Monografie über Erich Mendelsohn (1887–1953) einen Anhang anfügt, wo zeitgenössische Vertreter einer organischen Architektur – mehr oder weniger im Zeichen Mendelsohns – präsentiert werden. Zevi war dabei zeitlebens in verschiedenen Ämtern stark politisch engagiert. Bezeichnenderweise polarisierte diese Generation von Historikern so stark, dass die darauf folgende Generation entweder die Vorgänger und ihre Geschichtsschreibung zur Zielscheibe machte und dazu eine Gegenposition entwarf oder das unvollständige Geschichtsbild durch ein eigenes, vollständigeres zu ersetzen versuchte. Die Architekturgeschichte aus der Sicht der Architekturhistoriker – die hier nur summarisch und anhand ausgewählter Beispiele besprochen wurde – zeigt damit, wie bestimmte Themen und Betrachtungswinkel andere abgelöst haben und wie unterschiedlich damit auch die Art und Weise, wie Architekturgeschichte erzählt wurde (über die sich wiederum die Architektur oftmals

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legitimiert hat), sein konnte. Erzählt man die Geschichten der Architektur, vor allem die des 19. und 20. Jahrhunderts, muss man auch die Geschichte der Architekturgeschichten erzählen, die nicht weniger spannend und lehrreich ist. Nicht zuletzt muss man sie erzählen, da die verschiedenen Architekturhistoriker mit ihren Ansätzen die Art und Weise, wie Geschichte vonseiten der Architekten rezipiert wurde, auch ihre eigene Arbeit beeinflusst haben. Das Ausarbeiten einer solchen Geschichte der Architekturgeschichte muss dabei auf den bereits weit fortgeschrittenen Wissensstand der Geschichte und Theorie der Kunstgeschichte Bezug nehmen, nicht zuletzt weil die Architekturgeschichte als Disziplin teilweise aus der Kunstgeschichte entsteht. Während in der Architektur eine solche Auseinandersetzung mit der Theorie der Geschichte der verschiedenen Historiker noch aussteht, hat sie in der Kunstgeschichte eine lange Tradition, angefangen bei den Pionierarbeiten von Johann Joachim Winckelmann (1717–1768)  oder des Kunsthistorikers Julius von Schlosser (1866–1938). Dieser veröffentlichte zwischen 1914 und 1920 eine Reihe von „Materialien zur Quellenkunde der Kunstgeschichte“, die er dann 1924 in Buchform zusammenfasste. Das Ziel seiner Arbeit war eine „Theorie und Geschichte der Kunstgeschichtsschreibung“, dafür entwickelte er eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Geschichtsschreibungen und Kunsttheorien, vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert.53 Zeitgenössische Beispiele bilden die Untersuchungen von Heinrich Dilly, wie Kunstgeschichte als Institution von 1979 oder Altmeister moderner Kunstgeschichte von 1990, eine Sammlung von Biografien der wichtigsten Kunsthistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie das vergleichbare Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Eine kommentierte Anthologie von Hubert Locher von 2007.54 In Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950 setzt sich Locher zudem mit der Konstruktion der Geschichte aus einer theoretischen Perspektive auseinander, wobei Kunstgeschichte immer eine Theorie der Geschichte miteinbezieht und das Aufstellen eines Modells dessen, was „Kunst“ sei.55 Ableitend könnte man sagen, dass auch die Architekturgeschichte den Begriff „Architektur“ entwickelt und ein theoretisches Modell davon aufstellt, wie historische Prozesse ablaufen. Und diese Modelle sind, wie bereits erwähnt, zum Teil sehr unterschiedlich. In der Architekturgeschichte fehlt es aber bisher an vergleichenden Arbeiten.

Nach der Theorie? Die zu Beginn von Leach beobachtete zeitgenössische Rückkehr zur Geschichte ist nicht die einzige Reaktion auf die Übertheoretisierung der Architekturgeschichte der letzten Jahrzehnte. Unter dem Begriff des „Projektiven“ versuch-

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ten Bob Somol und Sarah Whiting 2002, dem „Kritischen“ eine postkritische Alternative entgegenzustellen. In ihrem Aufsatz „Notes around the Doppler Effect and Other Moods of Modernism“ beschreiben sie das in ihren Augen damals dominante Paradigma in der Architekturdiskussion der „criticality“.56 Den Ursprung dieser kritischen Haltung erkennen die Autoren in der Arbeit von Colin Rowe (1920–1999) und Manfredo Tafuri (1935–1994) und deren inhaltlicher wie disziplinärer Ambiguität, später weitergeführt von Michael Hays (geb. 1952) und Peter Eisenman (geb. 1932). Dem halten die Autoren das Projektive als Alternative entgegen.57 Die größte Schwäche der Position von Somol und White war dabei die, dass zur Erläuterung ihres Standpunkts eine genauso „kritische“ Argumentation notwendig war, die es schwer verständlich machte, worum es eigentlich geht. Einzig die Fallbeispiele, die sie erwähnen, erlauben es, die Unterscheidung zwischen „kritisch“ und „projektiv“ zu erkennen, illustriert durch die Art und Weise, wie bspw. Robert Mitchum (1962) und später Robert de Niro (1991) die gleiche Rolle in den zwei Fassungen des Filmes Cape Fear interpretieren: Während Robert Mitchum die Rolle mit größter Natürlichkeit spielt – er ist „cool“, projektiv –, zeigt de Niro die Arbeit (die Theorie), die hinter der Rolle steht – er ist „hot“ und kritisch.58 Noch vor Somol und White hatte Michael Speaks bereits 2001 auf das Problem des Kritischen in der Architektur verwiesen, das er als eine Form von Kritik-light bezeichnet. Dies geschah zu einer Zeit, als vom „Ende der Theorie“ die Rede war, im Sinne eines Endes dieser „Kritischen“ Bewegung, deren Ursprung und Werdegang im Sinne des obengenannten Zyklus von Europa nach Amerika und wieder zurück er rekonstruiert.59 Bob Somol und Sarah Whiting haben ihre Vorstellungen des Post-Kritischen zudem in der von ihnen verantworteten Ausgabe der Zeitschrift Log (die von Cynthia Davidson, der Frau von Peter Eisenman, herausgegeben wird) dargestellt60, die dann in den darauffolgenden Log-Ausgaben kritisch kommentiert wurden. Die Tatsache, dass die Theorie über die Geschichte in den letzten Jahrzehnten die Überhand gewonnen hat, lässt sich auch an einem der erfolgreichsten Vehikel der Architekturtheorie messen: dem Reader.61 Seit Neil Leachs Rethinking Architecture. A Reader in Cultural Theory von 1997, ist eine große Anzahl derartiger Textsammlungen erschienen, wobei sich zwei Kategorien unterscheiden lassen: jene, die Texte nach Themen organisieren – Stil, Raum, Form usw. –, und jene, die Texte chronologisch, aber relativ unkommentiert versammeln. Auffällig ist dabei die Tatsache, dass die Texte nicht nur aus der Architektur, sondern in der Mehrheit aus anderen Disziplinen stammen, die direkt oder indirekt über die Architektur nachdenken. Hans Frei hat diesbezüglich eine treffende und vernichtende Kritik gegen dieses Medium formuliert, nicht zu-

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letzt weil es einer wahren kritischen und theoretischen Position ausweicht, unter dem „Vorwand“ des Enzyklopädischen und Übersichtlichen.62 Inwiefern die „Rückkehr zur Geschichte“ in der Architekturgeschichte, auch als Reaktion auf diese „Übertheoretisierung“ der Architekturgeschichte, einen Einfluss auf die Architektur und das Interesse für die Geschichte haben wird, ist angesichts der eingangs erwähnten a-historischen Zeit, in der wir uns befinden, schwer abzuschätzen.

H ANS S EDLMAYR /M ANFREDO TAFURI Zwei Architekturhistoriker sollen nun, mit Bezug auf ihre sehr spezielle Geschichtsschreibung, etwas gründlicher besprochen werden. Es handelt sich um zwei umstrittene Figuren, die scheinbar nicht unterschiedlicher sein könnten: der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, der vor seinem Kunstgeschichtsstudium begonnen hatte, Architektur zu studieren, und der italienische Architekturhistoriker Manfredo Tafuri, der als Architekt ausgebildet war. Die scheinbare Differenz beruht auf ihrem politischen Hintergrund: Während Tafuri ein Marxist war, war Sedlmayr katholisch-konservativ orientiert. Zwei Aspekte ihrer Arbeit führen sie aber zusammen: einerseits das Entwickeln einer Arbeitsmethodik, die auch explizit dargelegt wird – was meines Erachtens wenigstens teilweise auf ihre Architekturausbildung zurückzuführen ist –, andererseits ein grundsätzlicher Pessimismus gegenüber der Architektur und ihren Möglichkeiten. Beide Aspekte sind, obschon unterschiedlich motiviert und hergeleitet, durchaus vergleichbar.

Hans Sedlmayr Wie bereits erwähnt, hatte Hans Sedlmayr an der Technischen Universität in Wien begonnen, Architektur zu studieren, aber aufgrund seiner Begeisterung für die kunsthistorischen Vorlesungen von Max Dvořák (1874–1921) das Studium abgebrochen, zu Kunstgeschichte gewechselt und schließlich bei Julius von Schlosser über den Architekten Fischer von Erlach (1656–1723) promoviert. Hans Sedlmayr bezog sich vor allem auf die Arbeit von Alois Riegl (1858–1905), dessen Erbe er weiterzuführen versuchte. Zusammen mit Otto Pächt (1902–1988) gehörte er zu den Vertretern der „Neuen Wiener Schule“. Sedlmayr befindet sich so, mit den Arbeiten von Franz Wickhoff (1853–1909), Schlosser, Riegl und den Zeitgenossen Ernst Kris (1900–1957) und vor allem Ernst Gombrich (1909–2001), in einem der für die Kunstgeschichte fruchtbarsten Umfelder.

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Hans Sedlmayr hatte ein bewegtes Leben, mit vielen Hoch und Tiefs. Zwar wurde er gerade aufgrund seiner „Fähigkeit zu didaktischer Klarheit in der Vermittlung zugespitzt formulierter Thesen“63 gelobt, ihm wurde aber immer wieder mangelnde Wissenschaftlichkeit vorgeworfen. Vor allem seine explizite Anteilnahme und Begeisterung für den Nationalsozialismus isolierten ihn nach dem Zweiten Weltkrieg von der offiziellen Kunstgeschichte, und selbst als er 1951 wieder einen Lehrstuhl in München erhielt, blieb er für viele eine persona non grata.64 Diese Zeit nach dem Krieg nutzte er, um seine populärste und auch erfolgreichste Schrift zu verfassen, Verlust der Mitte, erschienen 1948. So konservativ er auch in seinen Ansichten und Inhalten geblieben ist – er griff grundsätzlich alles „Moderne“ an –, umso radikaler war er in seinen Überlegungen zum Schreiben der Geschichte, wobei er bezeichnenderweise als ein Strukturalist „avant la lettre“ bezeichnet werden kann (obschon gegen diese Vorreiterrolle mehrere kritische Einsprachen erhoben wurden, weil natürlich auch hier die Zeichendimension fehlt).65 Eine Aussage wie: „Das Ideal wäre hier, dass kein Teil selbstständig für sich existiert, sondern die Gestalt jedes einzelnen Teils erst verständlich wird aus dem Zustand des Ganzen“ von 1934 ließe sich auch dreißig Jahre später in den Mund eines der vielen Strukturalisten legen, als ein Verständnis des Ganzen als Struktur.66 Seine „Strukturanalyse“, die er zusammen mit weiteren Architekturhistorikern der Neuen Wiener Schule entwickelte, zielte darauf ab, das Kunstwerk als „kleine Welt“ in seiner Struktur, die aus Schichten (Sinnesschichten) besteht, auseinanderzunehmen und zu untersuchen.67 Diesbezüglich vor allem durch Alois Riegl beeinflusst, führte er nicht nur Begriffe wie „Strukturanalyse“, sondern auch „Strukturforschung“ oder „Zer-sehen“ ein, die seine Arbeit als Historiker umschreiben.68 Auch der Begriff des „gestalteten Sehens“ verweist auf einen solchen schöpferischen Akt der Interpretation, der auf der Sicht gründet,69 was zudem auf den Einfluss der Gestaltpsychologie verweist. Otto Pächt, ein weiteres Mitglied der Wiener Schule, der nach dem Anschluss Österreichs 1938 emigrieren musste, beschreibt die Arbeit von Sedlmayr folgendermaßen: „Sedlmayrs bleibendes Verdienst ist es meines Erachtens, bewusst gemacht zu haben, dass der wahre Gegenstand der Kunstgeschichte durch die materielle Präsenz der Kunstwerke noch gar nicht gegeben ist, sondern dass wir ihn aus den materiellen Substraten durch einen nach-schöpferischen Akt des Sehens wiedergewinnen müssen. Damit ist ein Aufgabenkreis bezeichnet, der Vorrang vor allen anderen Forschungszielen beanspruchen darf.“70 Die Interpretation eines Kunstwerks ist für Sedlmayr ein Akt der Reproduktion: „In Wahrheit ist das Interpretieren von Werken der bildenden Kunst genauso wie von jenen der Musik – denn die Kunst ist eine – ein Wiederschaffen, ist Re-Produktion.“71 Zudem plädiert Sedlmayr für eine Theorie der Ge-

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schichte (wieder in Anlehnung an Riegl) in einer Zeit, wie er sagt, wo Angst vor der Theorie herrsche.72 Neben seinen früheren Arbeiten, in der die Methode der Strukturanalyse entwickelt wird, ist vor allem sein Buch Verlust der Mitte mit seiner gnadenlosen Kritik an der zeitgenössischen Kunst und Architektur als Symptom eines generellen gesellschaftlichen und kulturellen Verfalls bemerkenswert. Am Verlust des Zusammenhangs der Künste, unter der Vormachtstellung der Architektur und angesichts der Tatsache, dass Kunstwerke immer stärker zu Monumenten werden, die in Museen ausgestellt werden,73 erkennt er ein deutliches Zeichen des Verlusts der Mitte: Der Mensch ist aus der (metaphorischen) „Mitte“ – dem Zentrum – verdrängt worden und hat ein gestörtes Verhältnis vor allem zur Natur und zu Gott.74 Dieses Ablesen der Symptome der gesellschaftlichen „Krankheit“ an der Kunst nennt er „Methode der kritischen Formen“.75 Sedlmayr liest also nicht zuletzt an der Architektur und ihren Formen den allgegenwärtigen gesellschaftlichen Verfall ab. In den Projekten der sogenannten Revolutionsarchitekten, Étienne-Louis Boullée (1728–1799), Claude-Nicolas Ledoux (1736–1806) und Jean-Jacques Lequeu (1757–1826), erkennt Sedlmayr erstmals einen Angriff auf die Architektur,76 weil hier antiarchitektonische Formen angewendet werden – er spricht vor allem von der Kugel – und die Architektur auf Geometrie abstrahiert und reduziert werde. Wieweit diese These vertretbar ist, sei dahin gestellt – der Erfolg des Buchs lag nicht zuletzt an seinen populistischen Ableitungen –, bemerkenswert ist der Versuch, an der Architektur und der Kunst eine Wertigkeit der Gesellschaft ablesen zu wollen. Abbildung 6, Étienne-Louis Boullée, Kenotaph für Newton, 1784

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Abbildung 7, Claude-Nicolas Ledoux, Haus der Flurwächter, 1789

Manfredo Tafuri Der zweite Architekturhistoriker, Manfredo Tafuri, war nicht weniger umstritten, erreichte dennoch fast Kultstatus, obschon oder gerade weil er zum Teil schwer verständliche Thesen aufgestellt hatte. Kaum ein anderer Architekturhistoriker wurde aber wie Tafuri nach seinem Tod mit gleich zwei monografischen Ausgaben der Zeitschriften Casabella (1995) und Any (2000) auf ähnliche Weise gewürdigt. Das Besondere an der Arbeit von Tafuri lag einerseits in der expliziten Kritik an seinen Vorgängern, die die Geschichte in den Dienst einer besonderen Architekturströmung gestellt hatten – allen voran Bruno Zevi –, andererseits in der Anwendung marxistischer Ideologiekritik (im Sinne des historischen Materialismus). Damit hatte er die politische und ökonomische Dimension, die in der Besprechung der Architektur der Vergangenheit bisher fast nie berücksichtigt worden war, miteinbezogen. Von großer Bedeutung für die Entwicklung seiner Thesen war das Umfeld der Zeitschrift Contropiano sowie seine Lehre am Istituto Universitario di Venezia, wo er ab dem Schicksalsjahr 1968 lehren und auch das Institut für Geschichte leiten sollte. Der politische Hintergrund seiner Forschung dient aber nicht einer marxistischen Revolution, sondern dazu, die Ideologie der Architektur zu entlarven, was im Sinne eines strikten Marxismus eher fraglich ist, da dieser stets eine Revolution anstrebt.77 Tafuri betont das immer wieder, wenn er behauptet, dass so, wie es keine „soziale“, revolutionäre Architektur geben kann, es auch keine revolutionäre marxistische Kritik der Architektur gebe, im Sinne einer Kritik, die zu einer besseren Gesellschaft führe. Dabei wurde Tafuri immer wieder vorgeworfen, sich zu stark mit den politischen und ökonomischen Aspekten der Architektur befasst und dabei das

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Wesentliche – die Architektur – vergessen zu haben. Diese Kritik trifft bis zu einem gewissen Punkt zu, aber gerade sein letztes Buch, Ricerca del Rinascimento. Principi, città, architetti (1992), zeichnet sich durch den gelungenen Versuch aus, die Besprechung am Objekt der Architektur – Form und Stil – mit Bezugnahme auf den politischen und ökonomischen Kontext des Objekts zu verbinden. Tafuri entwickelte eine sehr pessimistische Sicht der Architektur, weil diese keinen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben könne, sondern dieser immer untergeordnet bleibe. Die Architektur könne sich damit nur in formale Spielereien flüchten. Die beiden Polen dieses Modells beschrieb Tafuri als Sphäre/ Kugel bzw. Labyrinth, was dann auch der Titel seines berühmtesten Buches wurde.78 Gerade diese These erzürnte viele Architekten seiner Generation, die darin eine ausweglose Situation sahen. Sein Bild des Architekten als des Insassen eines idealen Gefängnisses, der ab und zu im Hof etwas Luft holen darf, aus Teorie e Storia von 1968, war natürlich eine gnadenlose Darstellung dieser Wirkungslosigkeit.79 Aldo Rossi (1931–1997), der lange Zeit einen bemerkenswerten intellektuellen Austausch mit Tafuri hatte, widmete ihm eine Skizze mit „zusammenbrechenden“ Architekturen mit dem bezeichnenden Titel L’architecture assassiné (1974) um die Thesen von Tafuri zu hinterfragen. Der Architekturhistoriker Joseph Rykwert (geb. 1926) aber kritisierte Tafuri gerade weil er Rossi’s Haltung als autonome „Sphäre“ als die beste Lösung sehen würde: „So that’s it, then. Architecture may stay alive as long as she stays dumb. Dumb and beautiful maybe, but dumb.“80 Seine Auffassung der Geschichte nannte Tafuri „progetto storico“ – historisches Projekt – in Ablehnung an die „critica operativa“, die operative Kritik von Bruno Zevi, der die Geschichte „operativ“ in den Dienst der Architektur stellt. Für Tafuri ist die Geschichte an sich operativ und steht als solche mit der Architektur in Beziehung, ist aber nie der Architektur untergeordnet. Der Ursprung dieser Auffassung lässt sich auf die Ausbildung von Tafuri als Architekt zurückführen, wenn auch bereits seine Diplomarbeit im Sinne einer Polemik eine reine historische Untersuchung war. Der Begriff des „progetto“, den Tafuri in diesem Zusammenhang nie erläutert hat, verweist auf ein Verständnis von Geschichte, die vom Historiker wie ein Architekturprojekt entworfen wird. Der Architekt als Historiker entwirft somit Geschichte als Projekt. Die unzähligen Metaphern, mit denen Tafuri die Figur des Architekturhistorikers umschreibt – ein Seiltänzer oder jemand, der auf Messers Schneide tanzt –, zeigen, inwiefern er über die eigene Arbeit und die eigene Rolle reflektiert hat: Es war für ihn keine einfache Aufgabe, die gleichzeitig „weder noch“ oder „sowohl als auch“, Anteilnahme und/oder Distanz, Rekonstruktion und/

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oder Beschreibung bedeutete. Seine Geschichtsschreibung kann man am besten als „performativ“ beschreiben: Sie geht nicht von einer festgelegten These aus, sondern entfaltet sich im Verlauf des Schreibens immer wieder neu, wobei gerade die Frage nach Sinn und methodischem Vorgehen stets von Neuem gestellt wird. Gerade das macht die Arbeit von Tafuri so wertvoll, weil er die eigene Arbeit so explizit bloßlegt und als untrennbaren Bestandteil der Geschichte selber sieht. Dabei verwendet er unzählige räumliche Metaphern, um über dieses Vorgehen, diese Arbeitsweise zu reflektieren. So spricht er zum Beispiel von Tiefenbohrungen, 81 dem Sezieren und Auflösen von Thesen, 82 dem Wechsel des Blickwinkels usw., 83 was wiederum auf seine Ausbildung verweist. Dieser Schwerpunkt auf das Methodische der Geschichtsschreibung lässt sich auf die vielen Einflüsse zurückführen, auf die Tafuri zurückgreift, insbesondere auf die Arbeit von Friedrich Nietzsche und Walter Benjamin. Pier Vittorio Aureli unterstreicht dabei, wie Tafuri bewusst eine Schreibweise wählt, bei der nicht der Inhalt, sondern das Medium selber kritisch wird, insbesondere in Anlehnung an die Frankfurter Schule und Adorno oder auch Benjamin. Es geht darum, die Verstrickung des Intellektuellen mit der dominierenden Gesellschaft zu hinterfragen, indem seine Rolle als Autor bloßgestellt wird: „Even in his early essays and articles Tafuri always problematized his critical perspective, making the essay not only a discourse on a particular object but also on the ,reflexive‘ subject itself, on the ,author as producer‘, to use Benjamin’s words. This self-interrogative literary form, in which the work is critical not through its message but through its medium and its construction, was Tafuri’s preferred methodology for leveling a fundamental critique of the architectural culture of the time, a culture that was more anxious to deliver statements than to assess its own instrumentality.“84 Es ist dabei bemerkenswert, wie Tafuri – aber natürlich nicht als Einziger –, der für die der Geschichtsschreibung zugrunde liegenden Ideologien sensibilisieren wollte, der Mode des Strukturalismus verfallen ist. In der Einführung zur zweiten Ausgabe von Teoria e storia betont er, dass er im Prinzip daran nichts ändern würde, außer – und das sagt er bezeichnenderweise nur in Klammern – einer Einschränkung der eigenen Begeisterung für den Strukturalismus, dem auch er verfallen war. 85 Auch versucht er, wie viele Marxisten, die an sich unmögliche Integration von Marxismus und Strukturalismus, 86 eine Verknüpfung, die er, ebenfalls nur nebenbei, als gescheitert deklarieren wird. 87 Es ist erstaunlich, dass Tafuri jenseits der verschiedenen Einflüsse, die er würdigt und auf die er immer wieder verweist, den Strukturalismus eines Foucault und die Dekonstruktion des französischen Philosophen Jacques Derrida immer wieder kritisiert. 88 Der Vorwurf von Tafuri ist, dass bei diesen Systemen, durch die Arbeit an Fragmenten und Strukturen, am Ende wieder eine Totalität entstehe, ein Ganzes, das Sinn machen soll. Darin zeigt sich die ganze Radikalität von Tafuri, der im Grunde wie Foucault die Strukturen der

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Architektur untersucht und wie Derrida die Geschichte der Architektur dekonstruiert. Tafuri aber versucht daraus keine eindeutigen Schlüsse zu ziehen, sondern spiegelt die Krise der Architektur, die er beschreibt, als Krise der Geschichtsschreibung, die in keinem „schlüssigen“ all-erklärendem Wissen resultiere. Krise ist dabei einer der Lieblingsbegriffe von Tafuri, der damit die schwierige Spiegelung von (sich gegenseitig beeinflussender) Krise der Architektur und Krise der Geschichtsschreibung aufrechtzuhalten versucht.

Sedlmayr/Tafuri Sedlmayr und Tafuri verbindet also vieles. An erster Stelle die bewusste Auseinandersetzung mit der Methode der Geschichtsschreibung. Bei Sedlmayr findet sich diese in der Methode der Strukturanalyse und der Vorstellung eines Auseinandernehmens und Wiederzusammenstellens, durch das ein Wissen über das beschriebene Objekt entsteht. Bei Tafuri ist es das eben beschriebene performative Schreiben, das, ohne von einem theoretischen Postulat auszugehen, partielle Thesen und Beobachtungen immer wieder präsentiert und teilweise verwirft. Beide sind sehr architektonisch, „entwerferisch“ in ihren Vorgehensweisen. Sedlmayr betont den schöpferischen Akt der Reproduktion, Tafuri nennt seine Arbeit ein Projekt. Beide verwenden unzählige räumliche Metaphern, um ihre Arbeit zu beschreiben. All dies lässt sich auch auf ihre Ausbildung als Architekten zurückführen. Beide beziehen einen negativen Standpunkt gegenüber der Architektur, wenn auch das Negative unterschiedliche Herkunft hat. Während aber bei Sedlmayr ein Schimmer Hoffnung bleibt, gewährt Tafuri keinen positiven Ausblick. Es ist kein Zufall, dass Tafuri immer wieder Sedlmayr zitiert und dessen Verlust der Mitte mit Walter Benjamins „Verlust der Aura“ als akute Analysen eines Verfalls der Kultur vergleicht. 89 Es bleiben natürlich grundlegende Unterschiede hinsichtlich der politischen Motivation und Hintergründe der beiden Architekturhistoriker, Sedlmayr aber lässt den politischen Aspekt keineswegs außer Acht: Gerade im Verlust der Mitte wird auch eine Kritik des Kapitalismus in die Ursachensuche miteinbezogen.90 Zudem betont der Kunsthistoriker Martin Warnke, dass Sedlmayr einer der ersten Kunsthistoriker gewesen sei, die sich gerade nicht mehr mit dem Objekt der Architektur alleine – im Sinne einer „bedeutungsfreien Architektur“91 –, sondern auch mit dem politischen Kontext auseinandergesetzt haben beziehungsweise, im Zusammenhang mit der Analyse der gotischen Kathedralen, nicht durch deren religiöse Bedeutung, sondern auch deren weltliche politische Dimension untersucht haben.92 Das bringt ihn natürlich wieder in die Nähe von Tafuri. Es ist also kein Zufall, wenn Aldo Rossi in einem Aufsatz in Casabella Continuità bereits 1958 die Nähe von Sedlmayrs Kritik der modernen Gesellschaft

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zu marxistischen Autoren (ohne Tafuri zu nennen, der zu diesem Zeitpunkt für Rossi wohl noch unbekannt war) und deren gemeinsame Wurzeln betont.93

B ESCHREIBEN ODER E RZ ÄHLEN ? 94 „ ‚Devo raccontarti un fatto che ti riguarda’ disse a un certo punto Murica fermandosi. ‚In un tuo breve scritto di circa due anni fa, tu parlavi dell’uomo che arriva penosamente alla coscienza della propria umanità. Ricevetti una copia di quello scritto da Romeo. Esso mi fece, già allora, molto pensare, ma forse solo ora mi sento in grado di capire quello che intendevi.’ ‚Questo può capitare anche a chi scrive’ disse don Paolo. ‚La coscienza ha infinite gradazioni, come la luce. ’“ I GNAZIO S ILONE 193795

Die Kunst-(Architektur)geschichte versucht ihren Gegenstand – die Architektur – zu beschreiben. Sie versucht ihren Gegenstand, dessen Stil, Bild, Struktur oder Urheber, so gut wie möglich und so objektiv wie möglich zu beschreiben. Dies ist der Anspruch der Kunst-(Architektur)wissenschaft. Dennoch, so die These bisher, ist die Architekturgeschichte vor allem Erzählung, ja sie muss Erzählung sein, um die oben genannten gegenwärtigen Probleme – a-historische Zeit, neue Ordnung des Wissens – zu überwinden, bzw. zu integrieren. „Erzählen“ und „Beschreiben“ sind dabei Textdispositive. Das Beschreiben geht mit einem Anspruch auf Objektivität einher: Wenn ich etwas beschreibe, dann tue ich das in einer möglichst objektiven Art und Weise, im Versuch, mich dem Objekt so gut wie möglich anzunähern. Die Beschreibung wird dabei meistens in einer sehr einfachen Form, einem sehr einfachen Stil formuliert. Die Liste ist die einfachste Beschreibung. Die Erzählung hingegen versucht nicht, objektiv zu sein, im Gegenteil, sie lebt von ihrer deklarierten Subjektivität. Sie will ebenfalls etwas vermitteln, erhebt aber keinen Anspruch auf Objektivität, obgleich sie durchaus objektiv sein kann. Während die Beschreibung meistens sequenziell und hierarchisch strukturiert ist, ist die Erzählung meistens iterativ und a-hierarchisch. Bezeichnenderweise wird dieses Gegensatzpaar immer wieder verwendet, um eben zwei diametral unterschiedliche Herangehensweisen an die Wirklichkeit, ihre Erfassung und Wiedergabe in verschiedenen Disziplinen darzustellen, und soll an dieser Stelle auch zwei mögliche Ansätze der Architekturgeschichte erklären. Trotz der Häufigkeit, mit der man Reflexionen über dieses Gegensatzpaar findet, ist es erstaunlicherweise nie wirklich Inhalt einer Theorie geworden.

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Einer der Gründe für das Fehlen einer solchen Theorie liegt in der Dehnbarkeit der beiden Begriffe, die mit allen möglichen Inhalten „gefüllt“ worden sind, was einer einheitlichen Definition im Wege steht. Auch wurden anstelle von „Erzählen“ Begriffe wie „Konstruieren“ oder „Erklären“ verwendet, die zwar mit ähnlichen Vorzeichen dem Beschreiben entgegengehalten werden, aber nicht ganz deckungsgleich sind. Sedlmayr zum Beispiel unterscheidet für die Kunstgeschichte zwischen „beschreiben“ und „erklären“, wobei er vor allem einen Prozess beschreibt, in dem man von Ersterem zu Letzterem übergeht.96 Er stellt dem bloßen Beschreiben, das eben beschreibend vom beschriebenen Objekt fern bleibt, das Erklären gegenüber, also einen Vorgang, der dem Leser etwas erläutert, ihn teilhaben lässt an der Sache und damit die Distanz zwischen Objekt und Leser temporär auflösen soll. Die Verwendung des Gegensatzpaars Beschreiben/Erzählen findet sich in verschiedenen Kontexten. In der Kunstgeschichte zum Beispiel schon sehr früh in der Tradition der Beschreibung – der sogenannten ekphrasis. Von der Antike bis zum Mittelalter wurden dabei Erzählung und Beschreibung als ergänzende Formen der Erkenntnis gesehen (wobei die narratio – Erzählung – den Oberbegriff zur ekphrasis und später der descriptio – Beschreibung – bildete). Erst mit der Einführung des paragone – des Vergleichs – zwischen den Künsten wurden Beschreibung und Erzählung als gegensätzliche Ansätze gesehen, wobei Erstere einen unmittelbaren, exakteren Zugang zur Welt ermöglichen sollte. D.h., die Kunstgeschichte hat sich schon früh Gedanken über verschiedene Zugänge zum künstlerischen Objekt gemacht und dabei die descriptio aufgrund ihres wissenschaftlichen Anspruchs vorgezogen. Die Kunstgeschichte verfügt also über eine lange Tradition der Beschreibung von Bildern und Skulpturen, für die sie ein wissenschaftliches Instrumentarium aufgebaut hat, das heute eine normierte Tradition darstellt. Auch in der Wissenschaftstheorie findet sich die Verwendung dieses Gegensatzpaares. Im Rahmen des sogenannten „konstruktiven Realismus“ zum Beispiel, wo die Fähigkeit der Wissenschaft, die Welt zu beschreiben, infrage gestellt wird. An ihrer Stelle wird ein Modell vorgeschlagen, bei dem jedes wissenschaftliche Experiment eine eigene Welt schafft, die aber nicht deckungsgleich mit der „realen“ Welt ist. Auch der Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend (1924–1994) setzt in seiner paradigmatischen „Gleichstellung“ von Kunst und Wissenschaft dem unmöglich zu erreichenden Beweisen einer Theorie eine Erzählung entgegen.97 Die Erzählung sei dabei die urtümliche Form der Welterfassung gewesen, die er Erklärungs- und Darstellungsformen nennt, und wurde im Laufe der Verwissenschaftlichung der Welt durch die Beschreibung abgelöst.98

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Die Erzählung wurde also durch andere, abstrahierte Formen des Beweisens ersetzt, wobei es auch hier, im Sinne der oben genannten Kritik, eigentlich um „Beweisstile“ geht. Auch in der Philosophie finden sich verschiedene Beispiele: So unterscheidet der Philosoph der Postmoderne, Jean-François Lyotard (1924–1998), in seinem Modell der großen (Moderne) und der kleinen Erzählung (Postmoderne) zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis als Diskurs und als Beschreibung.99 Die bemerkenswerteste und für uns fruchtbarste Abhandlung über dieses Gegensatzpaar aber stammt von dem ungarischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Georg Lukács (1885–1971), der in seinem Aufsatz „Erzählen oder beschreiben? Zur Diskussion über den Naturalismus und Formalismus“ von 1936 über diese zwei Textdispositive zwei verschiedene Arten der Vermittlung des Geschehens in der Literatur postuliert. 100 Er zeigt an verschiedenen Beispielen aus der Literatur, wie die einen eher eine Beschreibung von etwas verfassen, die anderen hingegen eine Erzählung, wobei es ihm nicht um eine vollständige Trennung der beiden geht. Bei der Beschreibung vermittelt der Schriftsteller ein Bild des Geschehens, während bei der Erzählung – so Lukács – eine Erfahrung vermittelt wird. Wird etwas erzählt, wird eine Erfahrung geteilt. Wird etwas beschrieben, so wird ein Bild des Beschriebenen vermittelt. Auch im Städtebau wurde dieses Gegensatzpaar verwendet, um einen unterschiedlichen Zugang zu den neuzeitlichen Stadtphänomenen zu vermitteln, vor allem mit Bezug auf die Schwierigkeit einer Beschreibung des sogenannten „Post-Urbanen“. So betitelt Bernardo Secchi einen Aufsatz von 1992 als „descriptive urban planning“, worin er einem beschreibenden Zugang zur Stadt einen erzählenden und subjektiven gegenüberstellt. 101 André Corboz reagierte auf dieses Plädoyer der Erzählung mit der Betonung, dass die Beschreibung sowohl ein Lesen wie auch ein Schreiben des Ortes ausmache und damit nie vollkommen objektiv sei. 102 Die Erzählung wird hier also verstanden als eine in der Antike gleichberechtigte Form der Erfassung der Welt und Instrument der Erkenntnis – im Sinne des Mythos –, das durch die exaktere Beschreibung – den Logos – verdrängt wird. Das vorliegende Buch plädiert entsprechend für eine Architekturgeschichte als Erzählung, die den Anspruch auf Objektivität zwar nicht aufgibt, aber doch versucht, den Leser am erzählten Zusammenhang teilhaben zu lassen – weil es nicht zuletzt die eigene Geschichte ist –, und sich der Tatsache, dass es eben eine Erzählung ist, bewusst wird. Zu oft kommt die Beschreibung zu kurz, wenn es darum geht, die richtigen Fragen zu stellen. Architektur kann nicht oder nur unvollkommen beschrieben werden, sie kann nur erzählt werden. Entsprechend kann auch die Architekturgeschichte nicht ausschließlich beschreiben, sie muss auch erzählen können, worauf wir in der letzten Lektion nochmals zurückkommen werden.

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M E TAGESCHICHTE : A RCHITEK TUR Z WISCHEN A UTONOMIE , H E TERONOMIE UND E NGAGEMENT I „Ebenso wie es verwerflich ist, akademisch vorgehend eine bauliche Aufgabe in ein beabsichtigtes historisches Gewand zu kleiden, genau so falsch würde es sein, die Zweckmäßigkeit allein zur Richtschnur der Gesamterscheinung zu machen.“ J OHANNES O TZEN, 1900103

In den nächsten vier Lektionen werden also vier Geschichten des gleichen Gegenstandes erzählt – der Architektur. Jede Geschichte wird aus einem unterschiedlichen Standpunkt das gleiche – oder fast das gleiche – Material behandeln. Damit soll einerseits die bedingte Relativität der Geschichtsschreibung, andererseits gerade die Art und Weise, wie die Geschichte „entworfen“ werden kann, vor Augen geführt werden. Bevor aber diese vier Geschichten erzählt werden, soll neben der eingeführten Theorie der Geschichte auch eine (Meta-) Theorie der Architektur formuliert werden – das heißt, wie Architektur hier verstanden wird – die zu einem besseren Verständnis der vier Geschichten führen soll. Diese Metatheorie spannt die Architektur zwischen Heteronomie (den Einfluss von außen), Autonomie (den Rückzug auf das innere Wesen der Architektur), Engagement und Partizipation (den Versuch, auf den äußeren Einfluss einzugehen) auf. Wieder sollen uns Tafuri und Sedlmayr den Einstieg in diese Metatheorie aufzeigen. Beide stellen nämlich ein Modell der Architektur auf, bei der diese zwischen zwei Extremen pendelt: der Abstraktion und der Flucht in die reine Geometrie auf der einen Seite (beide) und dem Glauben, die Architektur könne Einfluss auf die Gesellschaft nehmen (Tafuri) bzw. „Geisterbeschwörung und ‚Schauspielerei‘“104 (Sedlmayr), auf der anderen Seite. Die Kritik von Sedlmayr richtet sich dabei auf ein Buch des österreichischen Kunsthistorikers Emil Kaufmann (1891–1953), Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur, von 1933, das ihn nicht zuletzt auch zum Verfassen von Verlust der Mitte veranlasst hatte. Kaufmann gebührt das große Verdienst, die Revolutionsarchitekten wiederentdeckt zu haben. Er widmete ihnen verschiedene Aufsätze und Bücher, wobei das folgenreichste eben Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur war, weil darin, wie der Titel suggeriert, die Herkunft Le Corbusiers von diesen Architekten im Zeichen einer von Kaufmann positiv bewerteten, immer stärker werdenden Autonomie der Architektur suggeriert wird. 105 Autonomie von allem Außerarchitektonischen, Ästhetischen und Heteronomen, also Fremdbestimmtem.106

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Sedlmayr betont, wie auch er diese Entwicklung erkennt, die nicht mit der Moderne beginnt, sondern viel früher, wertet sie aber negativ, im Zeichen einer verstärkten Autonomie der Künste untereinander und der Künste an sich. 107 Sedlmayr führt also ebenfalls als Gegensatz zur Autonomie der Architektur die Heteronomie ein, es ist aber nicht eine Heteronomie, die außerhalb des Geometrischen liegt, sondern die gerade im Geometrischen, in der Abstraktion, dieses Heteronome erkennt. Architektur wird damit als eine Disziplin gesehen, die permanent zwischen zwei Extremen pendelt, dem Rückzug in die Autonomie und der Öffnung im Engagement und der Partizipation. Diese Pendelbewegung muss auf die schwache disziplinarische Natur der Architektur zurückgeführt werden: Architektur – und das lässt sich in ihrer ganzen Geschichte zurückverfolgen – musste immer um eine Positionierung kämpfen: Sie spannt sich zwischen verschiedenen Pole auf, ohne eindeutig dem einen oder dem anderen zugeordnet werden zu können. Sie ist gleichzeitig Wissenschaft wie Kunst bzw. Handwerk wie Technik und autonom wie engagiert. Was die große Qualität der Architektur ausmacht – diese Unschärfe –, ist zugleich ihre Schwäche, vor allem mit dem Aufkommen der exakten Wissenschaften und dem Klassifikationswahn, denn die Architektur lässt sich eben nicht eindeutig zuordnen. Zudem ist die Architektur immer abhängig von externen Faktoren, die sie bestimmen: Sie ist Ausdruck einer Gesellschaft, die ständig im Wandel ist, sie ist abhängig von einem ökonomischen System, das ebenfalls wandelbar und oft alles andere als sozial nachhaltig ist; sie ist abhängig von technischen und konstruktiven Innovationen sowie neuen Materialien. Alle diese Abhängigkeiten sind Heteronomien, die die Architektur beeinflussen und bestimmen. Aufgrund dieser Konstellation war eine der Reaktionen der Architektur der Rückzug in die Autonomie – das Sich-Verschließen und -Berufen auf die „inneren Werte“ der Disziplin, meistens eben auf formaler Grundlage: der Autonomie der Disziplin. Dabei wird als Sinnbild der autonomen Haltung immer wieder eine Passage von Adolf Loos (1870–1933) zitiert, die zwar verschiedene Interpretationen zulässt, in ihrem Wesen aber eindeutig eine Architektur der maximalen Reduktion vorstellt (wenn auch Autonomie nicht nur mit Kunst gleichzusetzen ist): „Nur ein ganz kleiner teil der architektur gehört der kunst an: das grabmal und das denkmal. Alles andere, was einem zweck dient, ist aus dem reiche der kunst auszuschliessen.“108 Die andere Reaktion war entgegengesetzt: Gerade mit Bezug auf neue politische, ökonomische oder technologische Faktoren versuchte die Architektur, diese in ihre Formensprache aufzunehmen und ihr einen architektonischen Ausdruck zu geben. Die Architektur engagiert sich und nimmt teil an der Gestaltung der Gesellschaft.

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Die Architektur als Disziplin bewegt sich periodisch immer zwischen Autonomie und Engagement – aufgrund des Zustands der Heteronomie, in dem sie sich befindet. Das zu erkennen scheint ihr aber verwehrt zu bleiben. Eine ähnliche Theorie der Geschichte hat bereits Ingo Bohning 1981 fomuliert, mit seiner Unterscheidung zwischen Autonomie und Partizipation. 109 Er identifizierte in zwei „Projekten“, die beide 1973 realisiert wurden, die wichtigsten Vertreter dieser Extreme: einerseits die von Aldo Rossi organisierte XV. Triennale in Mailand unter dem Titel Rationale Architektur – Vergangenheit und Gegenwart als Beispiel des Anspruchs auf Autonomie, andererseits das Projekt des belgischen Architekten Lucien Kroll (geb. 1927) für die Studentenhäuser der Universität Löwen (1970–1976) als Beispiel partizipatorischen Bauens (obwohl Partizipation nicht das gleiche wie Engagement ist). Beide Bewegungen knüpfen an die Moderne an, entnehmen aber zwei grundsätzlich unterschiedliche Inhalte: Aldo Rossi und die Tendenza kritisierten den „politisch-moralischen Mythos“ und strebten nach der „klassische[n] Idee einer universalen Ordnung, und zwar auf rein formaler Ebene im Bereich der autonomen Architektur“, das partizipatorische Bauen hingegen gerade diesen „sozialen Anspruch“. 110 Erstere streben nach künstlerischer Autonomie und Reinheit der Form, Letztere nach dem Aufgeben einer hierarchischen Ordnung, der „exklusiven Fachsprache“ und einer „gewisse Deprofessionalisierung“, die es eben ermöglicht, die Öffentlichkeit, für die gebaut wird, in den Planungsprozess miteinzubeziehen. 111 Während Aldo Rossi für eine Auffassung der Architektur steht, die ihr gegenüber der Gesellschaft wenig Spielraum lässt, liegt dem partizipatorischen Bauen „eine generelle Hoffnung auf Weltverbesserung“ zugrunde. 112 Bohling bespricht dabei zahlreiche Vertreter der einen oder anderen Seite durch unterschiedliche „Abstufungen“ dieser zwei Grundgedanken. Es ist bezeichnend, dass gerade die zeitgenössischen Projekte, die auf solchen partizipativen Prozessen basieren, kaum auf die Vorreiterprojekte Bezug nehmen, nicht zuletzt weil diese vom offiziellen Architekturdiskurs ausgeblendet und verdrängt wurden. Dieses periodische Auspendeln lässt sich am besten in den beiden zentrale Bewegungen der Architektur des 20. Jahrhunderts ablesen: Moderne und Postmoderne. Es sei nur angedeutet, wie problematisch diese beiden Bezeichnungen sind, wie sie oft sehr heterogene Phänomene unter einen Hut gebracht haben, sehr bewusst konstruiert waren und zum Teil vom „Modernismus“ und „Postmodernismus“ abgewichen sind. Die Architektur der Moderne war der bewusste Versuch, dem neuen Zeitalter der Maschine einen architektonischen Ausdruck zu geben, der sich in einer Ästhetik der weißen Wände, freier Grundrisse und flacher Dächer sowie in der Vorstellung der „Machine à habiter“ von Le Corbusier äußerte. Es ist allgemein

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bekannt, dass diese Maschine alles andere als technologisch fortgeschritten war und die Technologie, die sie verkörpern wollte, eher als Bild, nicht aber als Prozess in die Architektur übertragen wurde. Abgesehen von architektonischen Höhepunkten wie der Villa Savoye (1928–1931) oder Notre-dame-du-Haut de Ronchamp (1950–1955), die vom Einfluss der künstlerischen Tätigkeit von Le Corbusier als Maler und Bildhauer zeugten, waren die Projekte der Moderne eine „Fassadenarchitektur“ der Technik. Abbildung 8, Leon Krier, Genealogie des Hauses, 1988

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Bemerkenswert ist, dass bereits zu dieser Zeit Architekten und Kritiker dies als übertriebene Zurschaustellung eines technologischen Fortschritts empfanden, der in der Architektur nur eine teilweise Entsprechung fand. So zum Beispiel der englische Architekt Stanley Adshead (1868–1947), der erste Professor für Civic Design in Liverpool: „Many of the worst features in modern architecture arise out of an exaggerated regard for the trivialities of modern life, or owing to a too evident desire to explain some detail of construction which it is felt must appear on the face of the work.“113 Oder ebenfalls deutlich in den Worten des deutschen Kunstkritikers Karl Scheffler (1869–1951): „Das von unbedingt modernen Baukünstlern und von leidenschaftlichen Kulturagitatoren geprägte Schlagwort vom ‚neuen Stil‘ erinnert lebhaft an ähnlich utopische Formulierungen unserer Zeit, zum Beispiel an die Rufe nach einem ‚Zukunftsstaat‘, nach einer ‚Umwertung aller Werte‘ oder nach dem ‚Übermenschen‘. Wie in allen solchen Begriffen, ist auch in diesem so lapidar gegebenen Architekturprogramm viel dogmatisch Groteskes; denn es weist dem wollenden Bewusstsein eine Arbeit zu, die nur vom unbewussten Kulturdrang geleistet werden könnte.“114 Die Moderne schuf nicht eine Architektur des Maschinenzeitalters, sondern nur ein Bild davon, das von der Gesellschaft auch nur schlecht akzeptiert wurde. Die Architektur der Moderne war damit, ausgehend von einem Anspruch auf Engagement, völlig autonom in einem Spiel von Formen und Farben, die – mit wenigen Ausnahmen, darunter Mies van der Rohe (1886–1969) – keine technische Entsprechung hatten. Diese Kritik entspricht natürlich nur dem artifiziell konstruierten Mythos der Moderne und ist undifferenziert bezüglich der realen Vielfalt der Architektur dieser Zeit, die für das Argument hier irrelevant ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass, wenn wir jene Architekturbewegung, die Postmoderne, die radikal mit der Moderne brechen wollte, von diesem Standpunkt aus betrachten, wir große Ähnlichkeiten finden. Auf der einen Seite ist die Postmoderne eines Aldo Rossi durch vollkommene Autonomie gekennzeichnet, jene von Robert Venturi (geb. 1925) und Denise Scott Brown (geb. 1931) (mit Steven Izenour (1940–2001)) aber durchaus mit dem „Engagement“ der Moderne vergleichbar, weil auch hier versucht wurde, neue gesellschaftliche Phänomene – Pop Art, Las Vegas als neues urbanes Phänomen – in die Architektur zu übersetzen und ihnen einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen. Dennoch, nicht zuletzt aufgrund der un-räumlichen und bildhaften Natur dieser Phänomene, ist das Resultat nicht mehr als Architektur zu bezeichnen, sondern als Fassadengestaltung. Diese Richtung der postmodernen Architektur „scheitert“ insofern, als sie im Übersetzungsprozess das Autonome der Architektur vollkommen vernachlässigt und nur noch die Natur dessen, wofür sie sich engagiert hat, widerspiegelt.

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Im Falle der Postmoderne von Aldo Rossi verzichtet diese absichtlich aufgrund des „sozialen“ Scheiterns der Moderne auf den Anspruch, auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen: Die Architektur sollte nur passiver Hintergrund für das gesellschaftliche Leben bilden, während sie sich durch eigene, innere und autonome Regeln definieren lässt. Die Grenzen zwischen diesen beiden Formen von Postmoderne waren natürlich fließend. Viele Protagonisten dieser Bewegung lassen sich nicht eindeutig auf die eine oder andere Richtung festlegen.

Negative Dialektik Autonomie und Engagement/Partizipation sind Extreme, zwischen denen unzählige Abstufungen bestehen. Die Architektur – und das ist ihre größte Schwierigkeit – ist aber immer sowohl autonom wie engagiert, muss also zwei Antinomien in einer Synthese verbinden. Die Architektur der Extreme ist also nichts anderes als eine Flucht vor der Natur der Disziplin und der unmöglichem Koexistenz dieser Extreme. Indem diese Beispiele bewusst autonom/engagiert sind, flüchten sie vor der notwendigen Gratwanderung, die Architektur ausmacht. Architektur ist immer Synthese, sprich Projekt, sie symbolisiert damit jene theoretischen und philosophischen Modelle, die gerade für die heutige Zeit von der Gleichzeitigkeit von Gegensätzen als maßgebende Qualität sprechen. Eines dieser Modelle ist besonders angebracht, um die Realität der Architektur zu beschreiben, die „negative Dialektik“ des deutschen Philosophen, Soziologien und Musiktheoretikers Theodor W. Adorno (1903–1969), einem der Mitbegründer der sog. Frankfurter Schule, der 1947 zusammen mit Max Horkheimer eine der luzidesten und heute noch aktuellen Kritiken der Aufklärung formuliert hat. 115 Für uns von Interesse ist aber insbesondere das Buch Negative Dialektik von 1966, wo er in Anlehnung an Hegel und Marx ein Modell der Dialektik vorschlägt, bei dem sich – bei aller Komplexität seiner Theorie höchst vereinfacht – die Pole der Dialektik, These und Antithese, in der Synthese nicht auflösen, sondern eben als dialektische Pole bestehen bleiben und als Zeichen des Widerspruchs, des nicht-Identischen und der Unmöglichkeit jeder Totalität stehen. 116 Damit will Adorno nicht zuletzt betonen, dass die Negation der Negation nicht etwas Positives ist, sondern immer negativ bleibt. Adorno entwickelte dieses Modell in seiner Beschreibung der Kunst 1970 weiter.117 Durch verschiedene Paare von Gegensätzen – darunter Autonomie/Heteronomie – wird dort auf die antinomische Natur der Kunst verwiesen und auf die Schwierigkeit, sie durch ein „positives“ Modell zu beschreiben. Mit diesem Modell steht Adorno Tafuri sehr nahe, der wie dieser von der Unmöglichkeit einer Synthese spricht, die alles auflöst, stattdessen den Zustand der Schwebe betont, in dem das eine und das andere weiterbestehen bleiben. 118 Für Tafuri kann es entsprechend für die Architekten nur ein „entweder oder“

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geben, das sich als solches nicht in einer Synthese auflösen kann (und diese Analyse wird er insbesondere am Beispiel von Giovanni Battista Piranesi anwenden, siehe nächste Lektion). Gerade darin liege aus Sicht von Tafuri auch das „Tragische“ der Architektur. Auch Sedlmayr spricht davon, in der Besprechung der Architektur das Positive und das Negative gleichzeitig zu berücksichtigen, dabei aber handelt es sich um moralische Vorzeichen, die die Kapitulation vor dem Negativen bedeuten. 119 Die Qualität der negativen Dialektik lässt sich dabei, um auf die Architektur zurückzukommen, insbesondere in jenen Momenten finden, wo sich neue Zeiten anbahnen, die faszinieren und begeistern können, die aber noch im Lichte der alten Zeiten gesehen werden. So sind gerade die Perioden kurz vor der Moderne und vor der Postmoderne reich an Beispielen, die diese Spannung zwischen Autonomie und Engagement im Sinne einer negativen Dialektik zum Ausdruck bringen. Architekten wie Peter Behrens (1868–1940) oder Theodor Fischer (1862–1938) repräsentieren eine Generation, die das Neue erkannt hat und das Alte – den Stilpluralismus des Historismus – teilweise ablehnt, und zwar ohne eine eindeutige Haltung zu entwickeln. Ihre Architektur drückt sogar gerade diese Unentschlossenheit aus und den Versuch, allem gerecht zu werden: der Autonomie der neuen Technik und dem Engagement der alten Stilvorlagen. Zeitgleiche Projekte wie die Ulmer Garnisonkirche (1906–1910) von Theodor Fischer oder die AEG Turbinenfabrik (1909) von Peter Behrens zeigen mit ihren Verzerrungen – ohne dass dies ihre Absicht gewesen wäre – was Architektur ist und welches Paradox ihr zugrunde liegt. Es ist kein Zufall, dass gerade zu dieser Zeit die Begriffspaare Autonomie/ Engagement auch im Architekturdiskurs stark vertreten sind, zum Beispiel im Wunsch, ja in der Sehnsucht nach Synthese bei Fritz Hoeber: „Wäre es nicht möglich, damit die weltfremde Autonomie der Formkunst und die kunstfremde Heteronomie der Technik in architektonischer Kultursynthese pantonom zusammenzufassen, beide Einseitigkeiten organisch überwindend, in einem Dritten, Mittleren zu überhöhen?“120 Die späteren „weißen“, „puristischen“ Projekte der Moderne werden zwar glauben lassen, die Synthese von Technik, Gesellschaft und Architektur sei erreicht worden, das Resultat wird aber eine vollkommene Autonomie sein und ein gespieltes Engagement. Die Projekte von Fischer und Behrens, die meistens als „Vormoderne“, höchstens in ihrer Vorreiterrolle gewürdigt werden, zeugen noch vom Versuch, sich nicht für das eine oder das andere zu entscheiden, sondern beides zu einer dialektischen Synthese zu führen.

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Abbildung 9, Peter Behrens, Turbinenhalle AEG, Berlin, 1909

Abbildung 10, Theodor Fischer, Garnisonkirche, Ulm, 1906–1910

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Es ist auch nicht überraschend, dass gerade ein Architekt wie Leo Adler für diese Zeit eine bemerkenswerte Kritik dieser Oszillation der Architektur zwischen den Extremen – Historismus und moderne Architektur – formuliert und das Problem auf den Punkt bringt: „Nun ist allerdings die Baukunst des 19. Jahrhunderts unter der Überfülle des bloßen Wissens, der überwältigenden Herrschaft der Vernunft fast erstickt – der Zusammenhang mit dem Rationalismus jenes Jahrhunderts erhellt sich hier so blitzartig – und die Schaffenskraft ward fast verschüttet unter dem Wust antiquarisch-archäologischer Gelehrsamkeit. Es ist begreiflich, dass die Gegenbewegung dazu kam, gleichsam das Kind mit dem Bade auszuschütten, alles historische Wissen, jegliches theoretische Bemühen als hemmenden Ballast über Bord zu werfen und zu versuchen, aus eigener Kraft und voraussetzungslosem Schaffenstrieb heraus ihre Bauten zu bilden und zu gestalten.“121 Das gleiche lässt sich für die Vor-Postmoderne sagen, hier aber über dieselben Architekten, wie sie später die Hauptvertreter der oben erwähnten Postmoderne sein werden. Betrachten wir das großartige Manifest der postmodernen Architektur, Complexity and Contradiction in Architecture von Robert Venturi (1966), das sich über eine historische Herleitung auf baut, so finden wir darin ein ausgeklügeltes theoretisches Modell der negativen Dialektik. Einer der zentralen Gedanken von Venturi ist dabei die Frage nach der Synthese von komplexer Mannigfaltigkeit in der Architektur. 122 Eine Synthese, die die Postmoderne nicht zuletzt durch Ironie und ironische Umkehrung erreichen will. Die Architektur der Postmoderne entsprach bekanntlich keineswegs diesem Manifest, statt Komplexität und Vielschichtigkeit entstand auf Druck der Investoren Einfachheit und Oberflächlichkeit. Wenn man aber das Frühwerk dieser Architekten betrachtet, so offenbart sich hier eine Suche, die noch keine architektonische Antwort gefunden hat. Im Vanna Venturi House (1962–1964) von Robert Venturi, dem Searanch von Charles Moore (1963), Paolo Portoghesis Casa Baldi (1959) oder Ricardo Bofills Walden 7 (1970-75) findet sich eine ansatzweise mit historischen Zitaten verbundene Spannung zwischen dem modernistischen Vokabular und dem Versuch, mit diesem zu brechen, wieder, die mit jener der vor-modernen Architektur verglichen werden kann. Dass diese Architekten später zu einer völlig anderen Architektursprache finden würden, lässt sich anhand dieser Projekten kaum erahnen. Auch eine so deutliche Kritik an der zeitgenössischen amerikanischen „townscape“, wie sie Venturi in Complexity und Contradiction formuliert, hätte kaum auf das spätere Interesse für den „strip“ in Learning from Las Vegas (1972) schließen lassen. 123 Interessanterweise betonte Paolo Portoghesi, von dem gleich noch die Rede sein wird, in seiner Zeitschrift Controspazio, 1969, dass Architektur die Auto-

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nomie nicht verneinen solle, diese aber auch nicht als Vorwand nehmen sollte, um sich vor der sozialen Verpflichtung zu drücken. 124 Auch eine Aussage von Leon Krier (1946), einem anderen Vertreter der Postmoderne, ist aus der Perspektive der negativen Dialektk besonders interessant. 1985 betonte er, dass die Moderne eine Negation bedeute, und es die logische Folge sei, diese Negation zu negieren. 125 Doch dem Modell von Adorno entsprechend, ist negativ plus negativ nicht gleich positiv, sondern immer noch negativ. Beispiele der Koexistenz von Negativ und Positiv lassen sich in jenen Architekturen zeigen, in denen noch kein bewusstes Reagieren auf neue Heteronomien entwickelt wurde. Von dieser Koexistenz spricht auch Bernard Tschumi (geb. 1944), der deutlich von Tafuri beeinflusst ist: „If the architectural piece renounces its autonomy by recognizing its latent ideological and financial dependency, it accepts the mechanisms of society. If it sanctuarizes itself as art for art’s sake, it does not escape classification among existing ideological compartments.“126 Wobei er als dritten Weg für die Anerkennung der „Nutzlosigkeit“ der Architektur plädiert: „So architecture seems to survive only when it saves its nature by negating the form that society expects of it. I would therefore suggest that there has never been any reason to doubt the necessity of architecture, for the necessity of architect is its non-necessity. It is useless, but radically so. Its radicalism constitutes its very strength in a society where profit is prevalent.“127 Ich würde dem entgegenhalten, dass die Architektur nicht nutzlos sein muss, um zu überleben, dass sie aber nur dann überlebt, wenn sie ihre Rolle und Spannung durch das eine oder andere Extrem nicht bewusst aufzulösen versucht. Dass dies nur unbewusst geschehen kann, wie bei Fischer, Behrens oder dem frühen Venturi, ist das Schicksal der Architektur. Abbildung 11, Robert Venturi, Vanna Venturi House, 1962-4

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Abbildung 12, Paolo Portoghesi, Casa Baldi, 1959

Abbildung 13, Ricardo Bofil, Walden 7, 1970-75

Die Architektur der Stadt Die soziale Herausforderung der Architektur zeigt sich spätestens dann, wenn sich die Architektur mit der Ebene der Stadt konfrontiert: Hier kann die soziale und gesellschaftliche Komponente nicht unberücksichtigt bleiben bezie-

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hungsweise fällt sie, wenn man sie nicht berücksichtigt, umso mehr auf, weil die städtebauliche Dimension ebendiese Auseinandersetzung fordert. Besonders bei der Geburt der Disziplin Städtebau um 1900 spielte der Anspruch, die Bevölkerung in den Planungsprozess miteinbeziehen, bei vielen Pionieren eine große Rolle. Gerade vor dem Hintergrund der Stadt läßt sich der deutliche Anspruch der Autonomie der Architektur von Aldo Rossi verstehen, wovon im nächsten Kapitel noch die Rede sein wird. Die Architektur der Stadt besteht aus Monumenten, die keinen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, aber deren Hintergrund bilden, vor denen sich das gesellschaftliche Leben abspielt. Theodor Fischer hat immer wieder behauptet, dass „[d]ie Architektur […] der unerbittlich klare Spiegel der Menschheit“ sei. 128 Dieser Satz – und schon 1840 hat César Daly Ähnliches behauptet:„telle société, telle architecture!!“129 –, der aus meiner Sicht die oben besprochene Problematik bestens erläutert, ließe sich folgendermaßen erweitern: Städtebau ist der unerbittlich klare Spiegel der Architektur, weil sich die Architektur auf der Ebene der Stadt entblößt zeigen muss und kaum etwas verbergen kann. Emblematisch erscheint diesbezüglich die Arbeit des Architekten Jürgen Meyer H. (geb. 1965): Dort, wo er sich mit der städtebaulichen Dimension auseinandersetzen musste, hat er seine hervorragendsten Projekte geschaffen, das Metropol Parasol in Sevilla (2004–2011) und das Stadthaus Scharnhauser, Ostfildern (1998–2002), während dort, wo ein Kontext fehlte oder identitätslos war – ich denke hier an Schlump One in Hamburg (2010–2012) oder JOH3 in Berlin (2008–2012) –, seine Architekturen entweder wie überdimensionierte Designobjekte oder wie Skulpturen wirken, die deutlich auf die Seite der Autonomie zu setzen wären. Dies lässt sich nicht zuletzt auf den Hintergrund des Architekten zurückführen, der sich früh sehr stark mit Installationen und Design auseinandergesetzt hat. Die zwei anderen Projekte hingegen sind weder nur der Autonomie noch dem Engagement zuzuordnen, sie sind der Ordnung der negativen Dialektik von Adorno verpflichtet: Sie sind „sowohl als auch“, haben aber im Projekt eine erfolgreiche Synthese erreicht, die gleichzeitig den „Skulpturcharakter“ wie einen gesellschaftlichen Raum erleben lässt, sind gleichzeitig offen wie geschlossen usw. Wenn also seine Entwurfshaltung mit der Ebene der Stadt kollidiert, dann entstehen unerwartete gesellschaftliche Räume, die ihre ganze Komplexität und Widersprüche spiegeln und nicht zu vereinfachen oder aufzulösen versuchen. Es geht also nicht um eine Synthese, die die Gegensätze aufhebt, sondern um eine, bei der beide Qualitäten und Extreme – das Autonome wie das Engagement – gleichzeitig wirken.

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Abbildung 14, Jürgen Meyer H., JOH3 in Berlin, 2008–2012

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Abbildung 15, Jürgen Meyer H., Stadthaus Scharnhauser, Ostfildern, 1998–2002

Abbildung 16, Jürgen Meyer H., Metropol Parasol, Sevilla, 2004–2011

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A NMERKUNGEN 1 | Eine frühe Form dieser Einführung wurde an der Tagung „,Welche Geschichte?‘ Fünftes Architekturgespräch“ in der Bibliothek von Prof. Werner Oechslin in Einsiedeln vorgestellt (11.–13. November 2011). Viele Kommentare zu meinem Vortrag, für die ich sehr dankbar bin, wurden hier integriert. 2 | Popper, Karl, Das Elend des Historizismus [1960], 4. Auflage, nach der 2. englischen Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr, 1974, S. 3. 3 | „Application and intent of the various styles of architecture“, in: Civil Engineer and Architect’s Journal, Scientific and Railway Gazette, Volume II, July 1839, S. 249. 4 | Von „nextness“ spricht immer wieder der holländische Architekt Winy Maas (MVRDV). 5 | Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft [1882], Stuttgart: Kröner, 1950. 6 | Carr, Edward Hallett, Was ist Geschichte [1961], aus dem Englischen von Siglinde Summerer und Gerda Kunz, 5. Auflage, Stuttgart: W. Kohlhammer, 1977. 7 | Ebd., S. 23. 8 | Ebd., S. 44. 9 | Colli, Giorgio, Montinari, Mazzino (Hsg.), Nietzsche, Friedrich, Nachlass, KSA 12: 7[60], München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999, S. 315. 10 | Pirenne, H[enri], De la Méthode Comparative en Histoire, Bruxelles: M. Weissenbruch, 1923, S. 3. 11 | Wölfflin, Heinrich, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neuern Kunst, München: F: Bruckmann A.-G., 1915, S. 1. 12 | Le Goff, Jacques, Nora, Pierre, „Présentation“, in: Le Goff, Jacques, Nora, Pierre (Hsg.), Faire de l’histoire, Paris: Gallimard, 1974, S. X. 13 | Heinrichs, Hans-Jürgen, Erzählte Welt. Lesarten der Wirklichkeit in Geschichte, Kunst und Wissenschaft, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1996, S. 14. 14 | Maturana, Humberto, Varela, Francisco, Der Baum der Erkenntnis. Die biologische Wurzeln des menschlichen Erkennens [1984], Bern: Scherz, 1987, S. 29. 15 | Ebd., S. 29. 16 | Vrachliotis, Georg, „On Conceptual Histories of Architecture and Digital Culture“, in: Valena, Tomas (Hg.), Structuralism Reloaded, München: Hensel, 2011, S. 256. 17 | Leach, Andrew, What is Architectural History? [2010], Cambridge: Polity Press, 2011, S. 2. 18 | Adler, Leo, Vom Wesen der Baukunst. Die Baukunst als Ereignis und Erscheinung. Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaft, Leipzig: Verlag der Asia Major, 1926, S. 19.

Architekturgeschichten und -theorien 19 | White, Haydn, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-century Europe [1973], Baltimore, London: The Johns Hopkins University, 1975, S. ix–x. 20 | Ebd., S. ix. 21 | Ebd., S. xii. 22 | Von Metaphilosophie spricht auch der französische Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre in einem bemerkenswerten Buch, wobei meta auf die Aufhebung der Philosophie zielt: Lefebvre, Henri, Metaphilosophie. Prolegomena [1965], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975. 23 | Barthes, Roland, L’activité structuraliste. Essais Critiques [1963], in: Marty, Éric (Hg.), Roland Barthes. Œuvres complètes, Tome I, 1942–1965, Édition établie et présentée par Éric Marty, Paris: Éditions du Seuil, 1993, S. 1328. 24 | Ebd., 1329. 25 | Foucault, Michel, „Andere Räume“ [1967], in: Moravánszky, Ákos, Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie, Wien: Springer, 2003, S. 550. 26 | Gerber, Andri, „Italian structuralism“, in: Valena 2011, S. 239–248; „Neo-structuralism and (neo-)neo-marxism“, in: Valena 2011, S. 34–39. 27 | „Der Mensch spricht, insofern er der Sprache entspricht. […]. Alles beruht darin, das Wohnen im Sprechen der Sprache zu lernen.“ Heidegger, Martin, Unterwegs zur Sprache, Pfullingen: Günther Neske, 1959, S. 33. 28 | Mumford, Lewis, The Story of Utopias [1922], New York: Viking Press, 1970, S. 6. 29 | Hölscher, Christoph, Die Rolle des Wissens im Internet: gezielt Suchen und kompetent auswählen, Stuttgart: Klett-Cotta, 2002. 30 | Weinberger, David, Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung [2007], aus dem Amerikanischen von Ingrid Pross-Gill, München: Carl Hanser, 2008, S. 237. 31 | Secchi, Bernardo, Prima lezione di urbanistica [2000], Bari: Editori Laterza, 2002, S. 183. 32 | Baudrillard, Jean, L’échange symbolique et la mort, Paris: Gallimard, 1976, S. 8/9. 33 | Nietzsche, Friedrich, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben [1874], Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2009. 34 | Ebd., S. 5. 35 | Ebd., S. 33. 36 | Popper, Karl, Das Elend des Historizismus [1960], 4. Auflage, nach der 2. englischen Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr, 1974, S. 2. 37 | Jencks, Charles, Architecture 2000, predictions and methods, London: Studio Vista, 1971, S. 42.

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Metageschichte der Architektur 38 | Flusser, Vilém, „Die Nichtigkeit der Geschichte“ [1991], in: Bollmann, Stefan (Hg.), Vilém Flusser. Schriften, Band 2, Nachgeschichten, Bensheim: Bollmann, 1993, S. 132. 39 | Zitiert in: Belting, Hans, Das Ende der Kunstgeschichte?, Deutscher Kunstverlag, 1983, S. 12. 40 | Behrendt, Walter Curt, Der Sieg des neuen Baustils, Stuttgart: Akadem. Verlag Dr. Fr. Wedekind & co., 1927, S. 57. 41 | „Permis aux grands artistes, pleins de leur œuvre, d’oublier qu’ils ont eu des prédécesseurs. Mais l’historien sait qu’il n’existe pas en art de génération spontanée.“ Lavedan, Pierre, Histoire de l’Urbanisme. Renaissance et Temps modernes, Paris: Henri Laurens, 1941, S. 5. 42 | Dilly, Heinrich, „Einführung“, in: Dilly, Heinrich (Hg.), Altmeister moderner Kunstgeschichte, Berlin: Dietrich Reimer, 1990, S. 7. 43 | Leach 2011, S. 128. 44 | Vidler, Anthony, Histories of the Immediate Present, Cambridge: MIT Press, 2008. 45 | Hartoonian, Gevork, The Mental Life of the Architectural Historian. Re-opening the Early Historiography of Modern Architecture, Cambridge: Cambridge Scholars Publishing, 2011. 46 | Wolf, Norbert, „Einleitung“, in: Schorn, Ludwig, Förster, Ernst (Hsg.), Vasari, Giorgio, Leben der berühmtesten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahr 1567, Wiesbaden: Marix, 2010, S. 9. 47 | Blum, Gerd, Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, München: C.H. Beck, 2011, S. 9. 48 | Leach 2011, S. 23. 49 | Schmarsow, August, Das Wesen der architektonischen Schöpfung. Antrittsvorlesung, Leipzig, 1893. 50 | Von Hartmann, Eduard, Philosophie des Schönen [1887], Berlin: Wegweiser, 1924, S. 576. 51 | Illert, P[aul], in: Centralblatt der Bauverwaltung, XVI. Jahrgang, 15. August 1896, Nr. 33, S. 369. 52 | Giedion, Sigfried, Bauen in Frankreich, Eisen, Eisenbeton [1928], Berlin: Gebr. Mann, 2000, S. 1. 53 | Schlosser, Julius, Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien: Anton Schroll & Co., 1924, S. VIII. 54 | Auch zu erwähnen ist die Arbeit von Udo Kultermann: Kultermann, Udo, Geschichte der Kunstgeschichte, Wien: Econ, 1966. 55 | Locher, Hubert, Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750– 1950 [2001], München: Wilhelm Fink, 2010, S. 11. Zu erwähnen wären noch: Beyer, Andreas, Zehn Klassiker der Kunstgeschichte. Eine Einführung, Köln: Dumont, 1996; Pfisterer, Ulrich (Hg.), Klassiker der Kunstgeschichte, Band 1 und 2, München: C. H. Beck, 2008.

Architekturgeschichten und -theorien 56 | Somol, Bob, Whiting, Sarah, „Notes around the Doppler Effect and other

Moods of Modernism“, in: Perspecta 33, Mining Autonomy, 2002, S. 73. 57 | Ebd., S. 74. 58 | Ebd., S. 76. 59 | Speaks, Micheal, „Architectural Theory and Education at the Millennium,

Part 3 – Theory Practice and Pragmatism“, in: a+u 372, September 2001, S. 20. Siehe auch: Berger, Maurice (Hg.), The Crisis of Criticism, New York: The New Press, 1998 und Eagleton, Terry, After Theory, London: Penguin Books, 2004. 60 | Somol, Bob, Whiting, Sarah, „Okay, Here’s the Plan“, in: Log Spring/Summer 2005, S. 5–7. 61 | Leach, Neill (Hg.), Rethinking Architecture. A Reader in Cultural Theory, London: Routledge, 1997; Hays, Michael, Architectural Theory since 1968, Cambridge: MIT Press, 1998; Nesbitt, Kate, Theorizing a New Agenda for Architecture, New York: Princeton Architectural Press, 1996; Sykes, Christa A., The Architecture Reader, New York: George Braziller, 2007; Sykes, Christa A, Constructing a New Agenda. Architectural Theory 1993–2009, New York: Princeton Architectural Press, 2010; Moravánszky, Ákos, Architekturtheorie im 20. Jahrhundert, Wien: Springer, 2003; Lampugnani, Vittorio Magnago, Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Positionen, Programme, Manifeste, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2004; Neumeyer, Fritz, Quellentexte zur Architekturtheorie, München: Prestel, 2002; De Bruyn, Gerd (et. al.), Architektur_theorie. doc, Basel: Birkhäuser, 2003; Thoenes, Christoph, Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart, Köln: Taschen, 2003; Hauser, Susanne (et al.), Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften, Bielefeld: Transcript, 2011-3. 62 | Frei, Hans, „Die Rache der Akademiker. Warum Architekturtheorie in Form von Anthologien“, in: Hochparterre Nr. 5, 2005. 63 | Schneider, Norbert, „Hans Sedlmayr“, in: Dilly 1999, S. 267/268. 64 | Christopher, S. Wood (Hg.), The Vienna School Reader. Politics and Art Historical Method in the 1930s, New York: Zone Books, 2000, S. 12/13. 65 | Ebd., S. 44. 66 | Sedlmayr, Hans, „Die ‚Macchia‘ Bruegels“ [1934], in: Sedlmayr, Hans, Epochen und Werke. Gesammelte Schriften zur Kunstgeschichte [1959], Erster Band, Mäander Studienausgabe, 1977, S. 285. 67 | Sedlmayr, Hans, Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte [1958], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1961, S. 63. 68 | Sedlmayr 1977, S. 278. 69 | Sedlmayr, Hans, Die Architektur Borrominis, Berlin: Frankfurter Verlags-Anstalt, 1930. 70 | Pächt, Otto, „Methodisches zur kunsthistorischen Praxis“, in: Ausgewählte Schriften, München: Prestel, 1977, S. 232. 71 | Sedlmayr 1961, S. 88.

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Metageschichte der Architektur 72 | Ebd., S. 33. 73 | Sedlmayr, Hans, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20.

Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit [1948], Salzburg: Otto Müller, 1951, S. 88. 74 | Ebd., S. 169. 75 | Ebd., S. 9. 76 | Ebd., S. 94. 77 | „Insistiamo sul concetto, affinché nessuno possa leggere in modo equivoco il libro: stiamo parlando dell’Architettura, di tutta l’architettura (come istituzione, appunto).– Il che implica una conseguenza, che l’edulcorato ‘marxismo’ ufficiale – dal Fischer a Goldmann al Della Volpe –, la scuola marcusiana – dal Mitscherlin ai suoi allievi –, il sociologismo ,volgare‘ dello Hauser, o i recenti annaspamenti degli architetti ‚progressisti’ americani o europei tendono accuratamente a nascondere: come non è possibile fondare un’Economia Politica di classe, ma solo una critica di classe dell’Economia Politica, così non è dato ‘anticipare’ un architettura di classe (un architettura ‘per una società liberata’), ma è solo possibile introdurre una critica di classe all’architettura. Nulla al di là di questo, dal punto di vista – settario e parziale – d’un marxismo rigoroso.“ Tafuri, Manfredo, Teorie Storia dell’architettura [1968], Roma-Bari: Gius. Laterza & Figli Spa, 1980, S. I. 78 | „È però evidente che né l’ironia né il silenzio hanno, oggi poteri catartici. La perfezione della sfera e l’infinita polivalenza del labirinto si equivalgono: in quanto patetici espedienti di sopravvivenza, essi dimostrano solo che l’architettura ha di fronte a sé, al massimo, la prospettiva di rientrare per intero nella sfera del privato.“ Ebd., S. XI. 79 | „Ciò che ai nostri occhi è maggiormente valido, in Teorie e storia, è lo sforzo di dimostrate quanto siano ineffettuali i brillanti esercizi ginnici compiuti nei cortili del carcere modello in cui gli architetti vengono lasciati circolare in libera uscita provvisoria.“ Ebd., S. XVI. 80 | Rykwert, Joseph, „The 15th Triennale“ [1974], in: Rykwert, Joseph, The Necessity of Artifice, London: Academy Editions, 1982, S. 75. 81 | Tafuri, Manfredo, Ricerca del Rinascimento. Principi, città, architetti, Turin: Giulio Einaudi editore, 1992, S. 41. 82 | Ebd., S. 34. 83 | Ebd., S. 41. 84 | Aureli, Pier Vittorio, „Recontextualizing Tafuri’s Critique of Ideology,“ in: Log, 18, Winter 2010, S. 93. 85 | Tafuri 1980, S. XIV. 86 | Siehe diesbezüglich: Gerber 2011, S. 34-39. 87 | Tafuri, Manfredo, Progetto e utopia [1973], Bari: Gius. Laterza, 2007, S. 157.

Architekturgeschichten und -theorien 88 | „Quale garanzia avrò che spezzando e dissociando stratificazioni che riconosco già in sé plurali non arriverò a una disseminazione fine a se stessa? In fondo, instituendo, come fa Derrida, differenze e disseminazioni, rischio effettivamente di incontrare ‘l’annullamento’ preconizzato e temuto da Nietzsche. Ma il vero pericolo non é forse neppure qui. Il pericolo, in cui incorrono sia le genealogie di Foucault - le genealogie della follia, della clinica, della punizione, della sessualità – sia le disseminazioni di Derrida, è nella riconsacrazione dei frammenti analizzati al microscopio come nuove unità autonome e in sé significanti.“ Tafuri, Manfredo, La sfera e il labirinto, Avanguardie e architettura da Piranesi agli anni ‘70, Torino: Giulio Einaudi Editore, 1980, S. 7. 89 | „Con altra tragicità, Hans Sedlmayr aveva dato forma al suo pensiero ,reazionario‘ – nel senso più pieno del termine – parlando di ‘perdita del centro’ e di ‘morte della luce.’ È oggi fortunatamente possibile assumere i frutti delle riflessioni contemporanee mettendo fra parentesi il ,segno‘ loro originariamente impresso: è difficile non stabilire relazioni fra la ,perdita‘ lamentata da Sedlmayr, la ,caduta dell’aura‘ teorizzata da Walter Benjamin, ,l’agonia del referente‘, su cui ha riflettuto Robert Klein.“ Tafuri 1992, S. XIX–XX. 90 | Sedlmayr 1951, S. 49. 91 | Warnke, Martin, „Einführung“, in: Warnke, Martin (Hg.), Politische Architektur in Europa, vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft, Köln: Dumont Taschenbücher, 1984, S. 9. 92 | Ebd., S. 10. 93 | „Il richiamo all’opera dello Spengler che l’editore Otto Müller ha posto sulla sovracoperta di Verlust der Mitte (Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte, Otto Müller Verlag, Salzburg, 1955) è valido anche per questa più recente opera del Sedlmayr. Gli scritti del critico austriaco, di cui questa Rivoluzione dell’arte moderna rappresenta la prima traduzione italiana, nascono dalla Kultukritik tedesca e ne sviluppano nel campo delle arti figurative e particolarmente della architettura, i temi oramai classici. Il motivo della alienazione, della decadenza del gusto, della rottura con la tradizione e del tramonto della civiltà moderna già portati alle loro estreme conseguenze, acquistano qui una indubbia efficacia. Da questo punto di vista l’analisi del Sedlmayr, pur trovandosi su un terreno ideologico perfettamente opposto, coincide spesso con quanto di meglio si è scritto da parte marxista sull’argomento o, altrimenti, con alcune pagine dell’Adorno.“ Rossi, Aldo, „Una critica che respingiamo“ [1958], in: Bonicalzi, Rosaldo (Hg.), Aldo Rossi. Scritti scelti sull’archiettura e la città. 1956–1972 [1975], Mailand: Città studi Edizioni, 1995, S. 48. 94 | Dieser Absatz beruht auf folgendem Aufsatz: Binotto, Johannes, Gerber, Andri, „Narration/Non-ville/Description“, in: SpecialeZ No. 1, Paris: Ecole Spéciale, 2010, S. 32–39. 95 | Silone, Ignazio, Vino e pane [1937], Mailand: Arnoldo Editore, 1991, S. 351.

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Metageschichte der Architektur 96 | Sedlmayr, Hans, Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte [1958], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1961, S. 62. 97 | Feyerabend, Paul, Wissenschaft als Kunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984. 98 | Ebd., S. 50. 99 | Lyotard, Jean-François, La condition postmoderne, Paris: Les éditions de minuit, 1979. 100 | Lukàcs, Georg, „Erzählen oder beschreiben? Zur Diskussion über den Naturalismus und Formalismus“, [1936], in: Lukàcs, Georg, Probleme des Realismus. Band 4, Essay über Realismus, Neuwied und Berlin: Hermann Luchterhand, 1971, S. 222. 101 | Secchi, Bernardo, „Descriptive city planning“, in: Casabella 588, März 1992, S. 62. 102 | Corboz, André, „La description: entre lecture et écriture“ [1995], in: Corboz, André, Le Territoire comme palimpseste et autres essais, Besançon: Les éditions de l’Imprimeur, 2001. 103 | „Vortrag vom Geheimen Regierungsrath Professor Johannes Otzen, gehalten auf dem internationalen Architektur-Congress am 1. August 1900 in der Ecole des Beaux-Arts in Paris, Die moderne Kunst in der Architektur und deren Einfluss auf die Schule“, in: Centralblatt der Bauverwaltung, XX. Jahrgang, 11. August 1900, Nr. 63, S. 387. 104 | Sedlmayr 1951, S. 138. 105 | Kaufmann, Emil, Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur [1933], Stuttgart: Gerd Hatje, 1985, S. 43. 106 | „Die Baugeschichte des 19. Jahrhunderts ist der Kampf des aufsteigenden autonomen Prinzips gegen das untergehende heteronome.“ Ebd., S. 59. 107 | „Diese Auffassung ist aber nicht annehmbar. Wir haben erkannt, dass die Revolutionsarchitektur sich unter eine andere und viel unmenschlichere Heteronomie begeben hat: eben unter die der puren Geometrie.“ Sedlmayr 1951, S. 99. 108 | Loos, Adolf, „Architektur“, in: Loos, Adolf, Trotzdem [1931], Wien: Georg Prachner Verlag, 1988, S. 101. 109 | Bohning, Ingo, „Autonome Architektur“ und „partizipatorisches Bauen“. Zwei Architekturkonzepte, Basel: Birkhäuser, 1981. 110 | Ebd., S. 8. 111 | Ebd., S. 132. 112 | Ebd., S. 192. 113 | Adshead, S.D., „City Improvement“, in: The Royal Institute of British Architects, Town planning conference, London, 10–15 October 1910, Transaction, London: The Royal Institute of British Architects, 1911, S. 501. 114 | Karl Scheffler, Die Architektur der Großstadt [1913], Berlin: Gebr. Mann, 1998, S. 56.

Architekturgeschichten und -theorien 115 | Horkheimer, Max, Adorno Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947], Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1998. 116 | Adorno, Theodor W., Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit [1966], in: Tiedemann, Rolf (Hg.), Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften, Band 6 [1970], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, S. 17. 117 | Adorno, Theodor W., Ästhetische Theorie [1970], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003, S. 11. 118 | Tafuri 1992, S. 21. 119 | „So wäre die Aufgabe einer echten ‚Kritik‘ des Zeitalters – verstanden als echte ,Kunst des Unterscheidens‘ – die Aufdeckung des Negativen zu ergänzen durch eine Erforschung dessen, was auf diesen Fehlwegen eigentlich positiv gesucht wurde. Und darüber besteht keineswegs Klahrheit.“ Sedlmayr 1951, S. 208. 120 | Hoeber, Fritz, „Das Kulturproblem der modernen Baukunst“, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1912/13, S. 11. 121 | Adler, Leo, Vom Wesen der Baukunst. Die Baukunst als Ereignis und Erscheinung. Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaft, Leipzig: Verlag der Asia Major, 1926, S. 6/7. 122 | „But an architecture of complexity had a special obligation toward the whole: its truth must be in its totality or its implication of totality. It must embody the difficult unity of inclusion rather than the easy unity of exclusion. More is not less.“ Venturi, Robert, Complexity and Contradiction in Architecture [1966], New York: The Museum of Modern Art, 1977, S. 16. 123 | Ebd., S. 54. 124 | „,Controspazio‘ non ignora il campo di autonomia dell’architettura ma rifiuta di farsene schermo in una situazione in cui l’evasione è il prezzo di ogni narcisismo e di ogni forma di abbandono.“ Portoghesi, Paolo, „Editoriale“, in: Controspazio, Nr. 1, Juni 1969, S. 7. 125 | Krier, Leon, „Traditionalism Versus Modernism“, in: Leon Krier and Ricardo Bofill. Architecture, Urbanism and History, New York: Museum of Modern Art, 1985, S. 14. 126 | Tschumi, Bernard, „Preface“, in: Tschumi, Bernard, Questions of Space. Lectures on Architecture, London: Architectural Association, 1990, S. 26. 127 | Ebd., S. 26. 128 | Zitiert in: Wolf, Paul, Deutschlands Städtebau, Hannover, Berlin: Dari, 1922, S. 13. 129 | César Daly, „Résumé d’un voyage d’un architecte en Angleterre“, in: Revue générale de l’architecture et des travaux publics. Journal des architectes et des ingénieurs, des archéologues des industriels et des propriétaires, sous la direction de M. César Daly architecte, 1840, S. 158.

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Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer? „Studiere die Architekten, bevor du Architektur studierst.“ W INFRIED N ERDINGER , 20121 „Es kommt nicht darauf an, ihn auf die Eigentümlichkeit einer früheren Epoche zu dressieren, nicht darauf an, ihn zu befähigen, möglichst stilgetreu das Formale nachahmen zu können, sondern es kommt darauf an, das Wesen einer historischen Entwicklung, die innewohnenden künstlerischen Grundgedanken, kennen zu lernen und dadurch zu verstehen, wie auch in der einzelnen Form diese Grundgedanken nachspielen und nachzittern. Hat man das einmal erfasst, so wird man von selber vor Willkür auch in der Einzelform bewahrt, andererseits aber wird man erkennen nicht nur, wo die toten Äste in einer historischen Epoche sitzen, sondern auch, wo die Keime verborgen liegen, die zu weiterer Blüte entwickelt werden können.“ F RITZ S CHUMACHER, 1901 2

E INFÜHRUNG Winfried Nerdinger paraphrasiert im Titel eines Aufsatzes über die Geschichte des Architekten den bereits erwähnten Edward Hallett Carr und seine Mahnung, bevor man die Geschichte studiere, müsse man den Historiker kennenlernen. Dieser Satz – in der Nerdinger’schen Abwandlung – stellt die ideale Einführung zu diesem Kapitel dar, geht es hier doch um die Architekten und ihre „Geschichte“: d.h., wie die Architekten sich auf die Geschichte der Architektur beziehen resp. ein Architekt sein Selbstverständnis und seine architektonische Haltung mit Bezug auf die Vergangenheit auf baut. Es geht aber auch

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um die möglichen geschichtlichen Bezüge, mit deren Vergleich die Historiker und Kritiker die Arbeit eines Architekten zu verstehen und zu lokalisieren versuchen, und also nicht zuletzt darum, ob ein Architekt Bezug auf die Vergangenheit nimmt oder nicht. Ob er das implizit oder explizit tut und, falls ja, auf welche Art und Weise er diesen Bezug auf baut; ob es sich um einen formalen oder einen inhaltlichen Bezug handelt, ob er bspw. griechische Säulen in seine Projekte einbaut wie Ricardo Bofill oder über Diagramme Raumkonfigurationen des Barocks zu übertragen versucht wie Paolo Portoghesi. Der umstrittene Kunsthistoriker Julius Langbehn hat diesbezüglich bereits 1890 zwischen „Kunstgesetz“ und „Kunstrezept“ unterschieden, um diese zwei unterschiedlichen Haltungen zu umschreiben.3 Dies vor dem Hintergrund des Personenkults um den Architekten, der möglicherweise zwar die Leistungen seines oder seiner Vorgänger anerkennt, aber nur, um sich darüber hinwegzusetzen. Exemplarisch ist diesbezüglich Frank Lloyd Wright in seiner Darstellung des Verhältnisses zu seinem „Lieben Meister“ Louis Sullivan. Sullivan, für den er gearbeitet hat, hätte ihm nie einen expliziten Rat gegeben, weil dessen Arbeit und Haltung ihm, Wright, genügt hätten, um daraus zu lernen. Was wiederum die Einzigartigkeit von Wright unterstreichen soll. 4 Sullivan seinerseits hätte zudem Wrights Arbeit, so in dessen wohl idealisierter Darstellung, „gewaltig bewundert“ und betont, dass er das, was Wright erreicht habe, nie hätte selber erreichen können, obschon Wright dies nur dank seiner Vorarbeit geschafft habe.5 Diese Beziehung wurde auch ausführlich in dem Film The Fountainhead (1949) thematisiert, bspw. in der Szene in der Ambulanz, wo die sterbende Figur Henry Cameron (Louis Sullivan) aus liegender Perspektive auf die Hochhäuser schauen kann und ein letztes Mal vor den historischen Pastiches dieser Hochhäuser seine Kritik – „form follows function“ – an Howard Roark (Frank Lloyd Wright) mitteilt. In einer Zeit der generellen Geschichtsvergessenheit, die sich höchstens für das Vergangene der letzten fünfzig Jahren interessiert – dazu gibt es natürlich Ausnahmen wie die ironische Typologiemontage von Édouard François –, scheint es unvorstellbar, dass sich die Architektur bis vor hundert Jahren noch fast ausschliesslich über einen qualifizierbaren Bezug zur Architektur der Vergangenheit rechtfertigen musste und der Weg zur vollkommenen Emanzipation von der Geschichte ein so unendlich langer war. Bereits Vitruv betonte, dass der Architekt, neben zahlreichen andere Disziplinen, auch die Geschichte kennen muss, wobei damit nicht ausschließlich die Architekturgeschichte gemeint war.6 Die Geschichte der Architektur ist damit nicht zuletzt eine „Geschichte der Architekturgeschichte“, die in der manifestartigen Ablehnung der Geschichte durch die Moderne in Reaktion auf den Stilpluralismus des Historismus einen

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

ersten Höhepunkt erlebte. Bereits in der Renaissance, für die die Zeugnisse der Antike einen so hohen Stellenwert besaßen, gab es erste Stimmen, wie jene von Leon Battista Alberti, die an deren Autorität bereits zögerliche Zweifel äußerten.7 Abbildung 17, Édouard François, Collage urbain, Champigny-sur-Marne, Frankreich, 2012

Im Vordergrund stand und steht die Frage nach der Herleitung der Architektur: Wurden die stilistischen Vorlagen der Antike infrage gestellt, mussten andere Prinzipien gefunden werden, die diese ersetzen konnten. Meistens suchte man diese in der Natur. Brüche mit der Vergangenheit finden sich spätestens seit Michelangelo – der immer wieder als radikaler Erneuerer gefeiert wurde8 –, vor allem der Barock wurde als eine Zeit der Emanzipation von der Antike gefeiert. Eine theoretische Verankerung dieser Emanzipation findet dann im 17. und 18. Jahrhundert statt. Auch hier ließe sich eine oszillatorische Bewegung in der Geschichte der Architektur beschreiben – wie von Autonomie zu Engagement –, zwischen dem Festhalten an dem historischen Vorbild einerseits und der Suche nach einer Alternative andererseits, gerade dann, wenn dieses Festhalten die Züge eines „Fetischismus des Altertums“ („fétichisme de l’ancien“)9 erreicht hatte, wie im Historismus, wo selbst Bautypen entsprechend festgelegte Stilvorlagen hatten. Hermann Muthesius (1861–1927) gibt uns eine besonders treffende Beschreibung dieser Entwicklung, gegen die er gekämpft hat: „Am ausgesprochensten trat der architektonische Formalismus unbedingt in der

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Stiljagd auf, die, mit der deutschen Renaissance beginnend, um die siebziger Jahre in Deutschland einsetzte und sämtliche Stile der letzten vierhundert Jahre im Fluge durcheilen ließ.“10 Einleuchtend ist die Erzählung von Mies van der Rohe, der zu Beginn noch als Stuckateur gearbeitet hat und dabei mehr als genug frei wählbaren und konstruktiv losgelösten Stilvorlagen ausgesetzt war, was seine radikale Abkehr von derlei Stilzitaten erklärt: „When I was, maybe, sixteen years old I worked on the stucco business. In the morning we had to do a quarter of a full-size ceiling in Louis Quatorze, in the afternoon, one in the Renaissance. We went through all these periods, chestnut ornaments and so on. I got so much of it that I couldn’t be impressed anymore with these things.“11 Mies van der Rohe erkennt a posteriori gerade in der Arbeit mit diesen Stilvorlagen und ihrer Beliebigkeit einen der Auslöser seiner eigenen radikalen Absage an den Historismus. 12 In diesem Kapitel wird nun eine Reihe von Architekten eingeführt, die gerade in Reaktion auf die Moderne einen neuen Bezug zur Geschichte der Architektur gesucht haben – zunächst Louis Kahn (1901–1974), dann Aldo Rossi, Paolo Portoghesi und Ricardo Bofill (1939). Die Besprechung dieser Fallbeispiele geschieht aus der Perspektive ihres Bezugs auf die Architekturgeschichte.

Vorbilder Als im Rahmen eines Oral-history-Programms verschiedene Architekten der Nachkriegszeit um 1960 nach ihren Vorbildern befragt wurden, zögerte keiner, seinen Einflüssen zu huldigen und diese anzuerkennen, wobei es für alle die gleichen waren: Sowohl Philip Johnson, I.M. Pei (geb. 1917), Kenzo Tange (1913–2005), Eero Saarinen (1910–1961) wie Paul Rudolph (1918–1997) nannten drei Nahmen (und im Fall von Johnson, Pei und Rudolph auch drei Gebäude): Le Corbusier und die Unité d’habitation in Marseille (1952), Mies van der Rohe und die Lake Shore Apartments von (1951) sowie Frank Lloyd Wright und Taliesin (1937). Jeder aber mit anderen Argumenten für seine Wahl. Für Philip Johnson führt Le Corbusier das ästhetische Experiment der Moderne zu einem unübertreff baren Höhepunkt, Wright hingegen kreiere ein einzigartiges räumliches Erlebnis; während beide aber Architekturen geschaffen hätten, die nicht nachgeahmt werden können, habe Mies van der Rohe eine beliebig vervielfältigbare Architektursprache entwickelt. 13 Für I.M. Pei zeigt die Architektur von Le Corbusier die perfekte Fusion von Kunst und Architektur, Wright dagegen sei ein Meister des Zusammenspiels von Licht und Schatten, während die Architektur von Mies die „mechanische Gesellschaft“ am besten zum Ausdruck bringe. 14 Kenzo Tange weicht insofern ab, als er nicht Wright, sondern Gropius nennt, aufgrund seiner Fähigkeiten als Lehrer, Mies bewundert er hingegen, weil dieser einen Punkt erreicht habe,

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

der nicht mehr zu übertreffen sei, während Le Corbusier sich und seiner Arbeit keine derartigen Grenzen gesetzt habe. 15 Eero Saarinen verzichtet auf die Nennung von Gebäuden, reiht die übliche Trias mit Le Corbusier, Wright und Mies auf, wobei sich im Gespräch mit den Studierenden folgende Argumentation ergibt: „Wright started it all, Corbu gave it form, and Mies gave it control.“16 Paul Rudolph nennt Le Corbusier (dessen Villa Savoye) wegen seines Sinns für räumliche Kontinuität, Mies, weil er als Erster aus dem Stahlrahmensystem ein neues Struktur-Symbol geschaffen, und Wright, weil er mit Taliesin eine unerreichte Synthese aller an der Architektur beteiligten Aspekte erreicht habe. 17 Keiner zögert, ein Vorbild zu nennen, und alle sind sie sich mehr oder weniger einig über die Qualität der drei Gebäude, doch in ihrer Argumentation zeigt sich, wie jeder diese Vorbilder anders für sich interpretiert und daraus auch seine persönlichen Schlüsse zieht. Jeder dieser Architekten schaut auf eine andere Weise – bedingt durch seine Erfahrung, Kultur usw. – auf die Geschichte zurück, mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen für die eigene Arbeit. Es sei nochmals auf die Rolle der Historiker in der Etablierung solcher „Vaterfiguren“ verwiesen, die einen Beitrag leisten, diese so zu stylisieren, dass man sie eben „gebrauchsfertig“ als Vorbilder benutzen kann. Heute würde sich natürlich jeder Architekturhistoriker davor hüten, einen solchen „Sockel“ zu bauen, besteht doch eine gewisse Distanz zwischen Geschichtsschreibung und zeitgenössischer Architektur, wenn auch, wie bereits betont, die zeitgenössische Architekturgeschichte und -theorie nicht gerne allzu weit zurückschaut. Der Historiker nimmt seine Aufgabe eher diesbezüglich wahr, eine Bewegung oder einen Architekten zu erklären und in einem historischen Kontext zu verorten, als diese oder diesen über die mögliche Herleitung zu „unterstützen“. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass auch Architekturhistoriker und -theoretiker zu „stars“ geworden sind, die sich auf gleicher Augenhöhe mit den Architekten treffen (wollen). Fragt man Architekten heute nach ihren Vorbildern, würdigen sie diese aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitskults kaum – und es wären auch nicht für alle die gleichen. Eine Ausnahme macht der japanischen Architekt Sou Fujimoto, der explizit Le Corbusier, Mies van der Rohe und Louis Kahn als seine „Helden“ bezeichnet. 18 Bei mehrmaligen Befragungen der Studierenden in Vaduz nach ihren Vorbildern wurde nur zögerlich geantwortet – keiner hat spontan mit dem Schreiben von Namen begonnen –, und bis auf Peter Zumthor gab es praktisch keine Übereinstimmungen, die zeigen würden, dass so etwas wie gemeinsame „Väter“ resp. „Mütter“ oder „Helden/innen“ existieren. Dass eine solche

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Übereinstimmung vor dem Hintergrund der starken Individualisierung der Gesellschaft heute fast unmöglich ist, steht außer Frage, trotzdem hätten aber die allgegenwärtigen Moden der Architektur eine gewisse Übereinstimmung erwarten lassen können. Bemerkenswert war allerdings, dass gerade auch Architekten wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier von den Studierenden genannt wurden, womit doch eine Sensibilität für die Vergangenheit vorhanden zu sein scheint. Abbildung 18, Nico Lang, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

Der Blick auf die Vergangenheit wird nicht mehr als selbstverständlicher Teil der Position eines Architekten gesehen, sondern als billige „Nachahmung“ verschmäht und kritisiert. Der Star-Architekt steht (oder stand, falls wir tatsächlich diese Periode überwunden haben sollten) oberhalb der Geschichte, ja er schreibt sie, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dass genau das nicht der Fall ist, soll an den besprochenen Beispielen gezeigt werden. Eine solch „schadenfrohe“ Suche nach Vorgängern propagiert zum Beispiel die Internetseite Someone has built it before (www.archidialog.com), wo über rein formale Argumente eben solche Vorgänger gesucht werden. Eine derartige Suche ist vielleicht amüsant, bringt aber kaum Argumente für ein besseres Verständnis des Architekten, bleibt sie doch bei einem Bildervergleich hängen. Ein solches „Spiel“ ließe sich endlos praktizieren. Dazu ein paar eigene Beispiele: Einen mehrfach publizierten Entwurf der dänischen Architektengruppe Big (Bjarke Ingels Group) von 2004/05 könnten wir zum Beispiel mit

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

einer von verschiedenen Fassadenstudien für ein Wohnhaus in Mailand von Piero Portaluppi von 1929, fast hundert Jahre vorher, vergleichen, dieser Vergleich aber würde kaum etwas zum besseren Verständnis der Architektur von Big beitragen, außer sie hätten dieses Projekt gekannt. Auch könnte man nach demselben, rein formalen Prinzip ebenfalls einen Vergleich zwischen einem utopischen Hochhausstadt-Entwurf von Portaluppi von 1926, Hellytown (um bei Portaluppi zu bleiben), mit dem Wettbewerbsbeitrag von Richard Meier, Peter Eisenman, Charles Gwathmey und Steven Holl für den Wettbewerb des New World Trade Center Designs von 2004 vergleichen (um im Zusammenhang mit diesem Projekt nicht immer wieder auf El Lissitzky und seinen Wolkenbügel von 1924 zu verweisen). Auch hier sind die Ähnlichkeiten sehr stark, selbst wenn bei Portaluppi die Verknüpfung von vertikaler und horizontaler Entwicklung spielerisch ist und variiert, während sie beim World Trade Center vollkommen regelmäßig ist und einem starken symbolischen Gehalt dienen muss. Diese Vergleiche scheinen kaum aussagekräftig, außer um auf einen ähnlichen architektonischen Ausdruck zu verweisen, der aber einen radikal anderen Hintergrund besitzt: die Entdeckung des amerikanischen Hochhauses und dessen Neuinterpretation durch die europäische Avantgarde einerseits, die Suche nach einer starken symbolischen Form, um die Ereignisse des 11. Septembers in einer entsprechenden Ikone einzufangen, andererseits. Ganz anders geht das vor kurzem (2011) veröffentlichte Buch von Ákos Moravánszky über Aldo Rossi und seinen Einfluss auf eine ganze Generation Schweizer Architekten vor. 19 Hier wird gezeigt, wie die Figur Rossi und seine Lehre aufgenommen und von seinen Schülern verwandelt wurde. Zwar lassen sich auch hier in gewissen Fällen rein formale Anleihen erkennen – die in „Rossi“-Projekten resultierten –, Rossi vermittelte aber mehr als nur eine Formensprache und einen Zeichnungsstil, und zwar eine radikale Entwurfspoetik, die in der Wiederentdeckung der Stadt eine analytische Grundlage gefunden hat. Während aber seine Entwurfspoetik schwer vermittelbar war – von Vorteil für jene, die keine Rossi-Kopien liefern wollten –, war sein Blick auf die Architektur, auf die Typologie und auf die Stadt eine wichtige Lektion, die von vielen Architekten aufgenommen wurde. Auch die seiner Arbeit zugrunde liegende Vorstellung der Autonomie der Architektur war sicherlich von nachhaltiger Wirkung im Kontext des stark hermetischen schweizerischen Minimalismus. So weist eine spätere Äußerung von Herzog & de Meuron – „Wir werden von so vielen Dingen und Ereignissen umgeben, die wir nicht entziffern können, zu denen wir keinen Zutritt haben; genau deswegen bauen wir ein Objekt, das seine eigene Sprache anbietet“20 – auf den Einfluss des Autonomie-Gedankens von Aldo Rossi.

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Im Buch von Moravánszky wird also exemplarisch gezeigt, wie ein Architekt seine Schüler in ihrem Selbstverständnis und in ihrem Verständnis der Architektur explizit und implizit beeinflusst hat und auf welche Art und Weise diese sein Beispiel verinnerlicht und in eine persönliche Entwurfssprache umgewandelt haben, sei es formal oder inhaltlich. Abbildung 19, Piero Portaluppi, Fassadenstudie, S.T.T.S-Haus, Mailand, 1926

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

Abbildung 20, Big, VM Houses, Kopenhagen, 2004-5

Die Emanzipation von der Geschichte Der Prozess der Emanzipation von der Geschichte und der Stile der Architektur war ein sehr langer, mit verschiedenen Etappen, „Fortschritten“ und „Rückschritten“. Nach der radikal ablehnenden Haltung der Moderne hat erst die Postmoderne die Geschichte wieder explizit zum Thema gemacht, obschon sie dabei meistens zu einer Karikatur bzw. zur Fassadengestaltung wurde. Die Architektur „spielt Theater“, wie Sedlmayr es für die Architektur des Historismus polemisch umschrieben hat.21 In der Postmoderne wird die Architektur zum Szenenbild, zur Kulisse des gesellschaftlichen Spektakels. Hervorragende Beispiele einer solchen Zitate-Architektur der Postmoderne bietet die Piazza d’Italia in New Orleans von Charles Moore (1978), aber auch die Architekturbiennale in Venedig von 1980, die dem Thema der Vergangenheit in der Architektur gewidmet war. Doch gerade bei Letzterer lassen sich zwei Arten von Umgang mit der Geschichte zeigen: einerseits das ironische Säulen-Pastiche von Hans Hollein in der Strada novissima, andererseits das Teatro del Mondo von Aldo Rossi. Während Hollein mit einem typisch postmo-

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dernen ironischen Augenzwinkern die Geschichte wie auf einer Theaterbühne ausstellt und zum austauschbaren Konsumgut degradiert, transformiert Rossi mit seinem auf einem Floß stehenden Theater die Geschichte des Ortes und das Theater in etwas Neues, das trotzdem diese Bezüge zum Ort und seiner Architektur spüren lässt. Während es bei Hollein beim formalen Zitat bleibt, erreicht Rossi eine inhaltliche Synthese. Es wurde bereits im ersten Kapitel darauf verwiesen, wie die meisten der Architekten der „Stilzitaten-Postmoderne“ in ihren Anfängen eine ganz andere, sehr komplexe Architektursprache entwickelt hatten, zwischen Ablehnung der Moderne und Suche nach etwas Neuem. Diese Wandlung innerhalb ihrer Arbeit wurde meistens positiv bewertet, mit dem Argument, sie hätte „vielleicht besser als jedes andere die widersprüchlichen Strömungen unserer Zeit widergespiegelt“.22 Das bereits erwähnte Manifest der postmodernen Architektur, das Buch Complexity and Contradition (1966) von Robert Venturi, argumentiert dabei über historischer Beispiele, wo bestimmte Qualitäten, an welche die Postmoderne anknüpfen will und die sie zum Teil explizit zitiert, bereits vorhanden gewesen seien.23 Vincent Scully sieht darin die besondere Leistung von Venturi, der es ermöglicht habe, die Vergangenheit mit neuen Augen zu sehen.24 In diesem Kontext muss auch der Architekturhistoriker Colin Rowe (1920– 1999) erwähnt werden, dessen Arbeit, allen voran das Buch The Mathematics of the Ideal Villa and Other Essays von 1976, die Vergleichbarkeit der Architektur verschiedener Epochen über das Diagramm demonstriert hat. Es sei auf die Schwierigkeiten einer Grenzziehung zwischen Moderne und Postmoderne verwiesen, nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen Stimmen, die die Postmoderne als eine radikale Moderne sehen und damit keinen Bruch erkennen. Aber auch aufgrund der Art und Weise, wie der Architekturhistoriker Charles Jencks mit seinem 1977 veröffentlichten Buch The Language of Post-modern Architecture ein theoretisches Modell von postmoderner Architektur vermittelte, das sehr einseitig war und vieles ausgeschlossen hat, das dem „ursprünglichen“ Postmodernismus eher entsprochen hätte.25 Peter Eisenman zum Beispiel, obwohl er am ehesten dem Inhalt der philosophischen oder literarischen Postmoderne – auf die er sich auch explizit bezogen hat – entsprach, hat den Begriff des postmodernen Architekten immer vehement von sich gewiesen, um nicht mit dem Modell von Charles Jencks in Verbindung gebracht zu werden. Diese Bewegung weg und zurück zur Geschichte wurde einst in einem Modell von Werner Krumbholz beschrieben. Dieses sieht eine periodische Entwicklung vor, von einer archaischen zu einer klassischen Phase, zu einer manieristische Phase, zu einer barocken Phase und wieder zurück zu einer archaischen

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

oder klassischen Phase. In jeder dieser Phasen entwickelt sich ein unterschiedliches Verhältnis zur Geschichte, das gerade auch die veränderte Formensprache rechtfertigt.26 Es sei dahingestellt, ob dieses Modell wirklich zutrifft, wenn ja, dann befinden wir uns jedenfalls eindeutig in einer manieristischen Phase, auf die nun eine klassische Phase folgen sollte. Die Vielschichtigkeit und Komplexität unserer Zeit lässt aber vermuten, dass alles gleichzeitig geschieht und keine Ablösung stattfindet. Ein ähnliches Modell hatte bereits 1764 einer der Begründer der Kunstgeschichte, Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums formuliert. Mit den drei Momenten der Kunstentwicklung, „Aufstieg“, „Blüte“ und „Verfall“, versuchte er ebenfalls, ein Modell aufzustellen, das die Ablösung bestimmter Inhalte durch andere und das Pendeln zwischen diesen Momenten beschreiben kann. Bereits Vasari hatte aber seine Viten nach einem ähnlichen Verständnis der Kunst als Abfolge von Entwicklungsschritte verfasst. Neuere Anverwandlungen dieser Vorstellung finden sich beim Kunsthistoriker Henri Focillon (1881–1943) in seinem Vie des formes (1934) und beim Kunsthistoriker Georges Kubler (1912–1996) in seinem The Shape of Times von 1962. Es sei betont, wie bis zur Moderne diese Entwicklung gerade des Manierismus und des Barock zwar die klassische Ordnung überhöht und zum Teil zerbricht, die Formensprache aber die klassische bleibt. Um eine beliebte Metapher des 20. Jahrhunderts zu verwenden, sprechen Manierismus und Barock zwar eine andere Sprache als der Klassizismus, die Wörter aber sind die gleichen. Die Moderne hingegen – und das ist das Radikale an ihrer Haltung – versucht auch die Wörter zu ersetzen. Es gehört zu den einprägsamsten Paradoxien und Ironien der Architekturgeschichte, dass gerade jene Moderne, die der Geschichte als Stilpluralismus und platter Nachahmung ein Ende setzen und damit die Geschichte aufheben wollte, durch die von Philip Johnson, Alfred H. Barr Jr. und Henry-Russell Hitchcock 1932 organisierte Ausstellung Modern Architecture – International Exhibition und dem dazugehörigen Katalog nicht nur ein vereinheitlichendes Bild der Moderne vermittelten – in das der ausgestellte Frank Lloyd Wright nicht im geringsten passte, was diesen auch veranlasste, mit dem Verlassen der Ausstellung zu drohen –, sondern mit dem Begriff des International Style die Moderne selber zu einem (historischen) Stil machten. Diese Aufhebung der Geschichte war natürlich äußerst problematisch, nicht zuletzt für jene, die Geschichte unterrichtet haben und gegenüber den Architekturstudierenden, die begeistert die Lehren der Moderne aufgenommen haben, trotzdem die Geschichte der Architektur vermitteln sollten. In einer Untersuchung von 1932 zum Stand der Architektenausbildung kommt

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das deutlich zur Sprache: „The present-day student has developed a distaste for what he conceives to be the past – he desires to strike out on what he conceives to be modern free lines.“27 Eine Situation, die teilweise mit der heutigen Zeit vergleichbar ist, wenn auch mit anderen Hintergründen und Bedingungen. Der Stilpluralismus des Historismus wurde dabei gerne auf die Formel von Heinrich Hübsch (1795–1863), „In welchem Style sollen wir bauen“ (1828), reduziert, wobei man vergisst, dass, neben seiner Vorliebe für den Rundbogenstil, Hübsch nicht zuletzt für eine materialgerechte Architektur plädierte und sein vermeintlicher Hilfeschrei eher eine rhetorische Frage war.28 Im Gegenteil, der Aufsatz von Hübsch ist als „Kampfansage“ zu verstehen, doch zu gut passte dieser „Slogan“ in eine Reihe von anderen („form follows function“, „less is more“, „less is a bore“ etc.).29 Wenn sich Hübsch auch für ein „vernünftiges Entwurfsprinzip, das sich nach dem Klima und dem verfügbaren Baumaterial zu richten habe“ stark machte,30 kann die rückwärtsgewandte Entwicklung des 19. Jahrhunderts nicht übersehen werden. Doch, wie bereits erwähnt, war die Moderne nicht die erste Bewegung, die sich gegen einen solchen plakativen Umgang mit der Geschichte aussprach. Der eigentliche Bruch mit der Geschichte, im Sinne einer Nachahmung antiker Stilvorlagen und Proportionen, beginnt im 17. Jahrhundert in Frankreich und wütet bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die Frage nach der Autorität der Antike und die Suche nach alternativen Modellen wurde zu einem weit ausgreifenden und etablierten Diskurs, wobei der Streit nicht nur in der Architektur, sondern allgemein in den Wissenschaften und Kunst ausgetragen wurde. Dieser Streit war jener zwischen den „Alten“ und den „Modernen“, der Querelle des anciens et des modernes, der vom Schriftsteller Charles Perrault (1628–1703) an der französischen Akademie ausgelöst wurde, mit der radikalen These, die Gegenwart sei der Vergangenheit überlegen. Daran beteiligt war auch sein Bruder, Claude Perrault (1613–1688), ein Wissenschaftler und Architekt, der die Debatte auch auf die Architektur erweiterte, nicht zuletzt aufgrund seiner Teilnahme am Entwurf der Hauptfassade des Louvre (1667– 1670) mit ihren doppelten Säulen, was damals einen radikalen Bruch mit dem klassischen Erbe bedeutete. Die Frage nach seinem genauen Anteil an dem Projekt ist dabei noch heute Gegenstand von Diskussionen. Paradigmatisch und programmatisch wählte Claude Perrault für seine französische Übersetzung von Vitruv ein Bild eben dieser Fassade, die sich nicht an das Vorbild der Antike gehalten hat. Perraults Gegner war dabei François Blondel (1618–1686), der erste Direktor der neugegründeten Académie royale d’architecture, und Vertreter der anciens, der die Absolutheit der antiken Proportionslehre verteidigte. Demgegenüber gründete die Position von Claude Perrault auf einer Unterscheidung zwischen „arbiträrer“ Schönheit – jener der Antike – und „positiver“ Schönheit – die unabhängig von Zeit und Mode sei. Eine weit reichende Unterscheidung, die er aus dem Traktat Parallèle des

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

Anciens et des Modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences (1688–1697) seines Bruders Charles übernommen hatte.31 Die Auseinandersetzung zwischen den beiden wurde nicht zuletzt in ihren Büchern ausgetragen, vor allem in der zweiten Ausgabe des Cours d’architecture von Blondel und in den Fußnoten der zweiten Ausgabe der Vitruv-Übersetzeung von Perrault. Auch der Abt Marc-Antoine Laugier (1713–1769), der Urheber eines der wichtigsten Architekturtraktate des 18. Jahrhunderts, des 1753 veröffentlichten Essai sur l’architecture, sucht nach rationalen Grundsätzen für das Entwerfen, das sich nicht auf das Kopieren der Vorbilder der Antike beschränken soll. Ein bemerkenswertes Echo dieser Auseinandersetzung findet sich ungefähr hundert Jahre später in den Briefen des Architekten Viel De Saint-Maux, der darin eine radikale und durchaus amüsante Kritik an der Autorität von Vitruv, aber auch der von Alberti formuliert, die – so De Saint-Maux – das Wesentliche der antiken Architektur missverstanden und damit auch falsch wiedergeben hätten. So seien Vitruvs Zehn Bücher höchstens auf der Insel von Robinson Crusoe nützlich, wo man kein Vorbild hat, an dem man die wahren Grundsätze der antiken Architektur untersuchen könne.32 Albertis Traktat hingegen sei eher ein Karnevalswerk als ein Architekturbuch.33 Diese Werke hätten die Architektur der Antike zu reinen Ornamenten gemacht und auf Maße und Proportionen reduziert.34 Solche Aussagen zeigen, wie im Verlaufe von hundert Jahren die unanfechtbare Autorität der Vergangenheit ins Wanken geraten ist, was den Weg zum Stilpluralismus beziehungsweise die Freiheit, den einen oder anderen historischen Stil zu wählen, eröffnete. Es zeigt aber auch, dass diese Infragestellung ein Bewusstsein für die Art und Weise, wie dieser Bezug im Projekt artikuliert worden ist, entstehen ließ. In dieser Linie ist auch das Werk der bereits erwähnten drei „Revolutionsarchitekten“, Etienne Louis Boullée, Claude-Nicolas Ledoux und Jean-Jacques Lequeu, zu situieren. Während Ledoux der baulich „erfolgreichste“ der drei Architekten war und zahlreiche Projekte realisierte, von denen insbesondere die Saline Royale (1775–1778) und ihre projektierte Erweiterung zu einer idealen Stadt ein Manifest des 18. Jahrhunderts wurde, und während Lequeu eine sehr persönliche und ironische Fantasiewelt entwickelte, sind es vor allem die Visionen von Boullée, die wörtlich einen Quantensprung der Architektur bedeuten, nicht zuletzt beeinflusst von den Errungenschaften der Naturwissenschaft, die neue Dimensionen für die Kunst eröffneten. Boullée wollte ursprünglich Maler werden und wurde immer wieder von Auseinandersetzungen mit seinen Kunden enttäuscht. Sein unveröffentlichtes Traktat Architecture, essai sur l’art beginnt mit dem von Correggio entlehnten Motto „Ed io anche son pittore“ – auch ich bin ein Maler –, womit er auf seinen Anspruch auf den unerfüllten Berufswunsch anspielt. Wie Adolf Max Vogt in der Einführung zur deut-

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schen Übersetzung festhält, war damit einer der vielen Konflikte von Boullée angesprochen, die seine Arbeit gekennzeichnet haben, jener zwischen dem Architekten und dem Maler, was, so Vogt, mit Le Corbusier verglichen werden kann, der ebenfalls zwischen seinem Selbstverständnis als Maler – anfangs signierte er als „Jeanneret-Gris“ – bzw. als Architekt – hier signierte er anfangs als „Charles-Edouard Jeanneret“ – vermitteln musste und sich schlussendlich als „Le Corbusier“ für beides entschied.35 So wie die Projekte von Boullée einen Bruch mit der Vergangenheit bedeuten, findet sich in seinem Traktat auch eine deutliche Kritik an Vitruv. Für Boullée müssen Entwurf und Ausführung getrennt werden, wobei im Mittelpunkt der Entwurf stehe.36 Damit bezieht er sich ebenfalls auf den Streit zwischen Blondel und Perrault. Bemerkenswert war auch die Tatsache, dass Boullée an einer Ingenieurschule gelehrt hat, der École des Ponts et Chaussées, und damit an der Front der damals auftretenden Trennung der Aufgabenbereiche zwischen Architekten und Ingenieuren beteiligt war, was wiederum die Radikalität seiner Arbeit beflügelt hat und die „Flucht“ ins Unermessliche erklären kann. Außerhalb Frankreichs war eine der Hauptfiguren dieser Auseinandersetzung der Architekt, Bühnenbildner und Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi (1720–1778), der einerseits aufgrund des geringen Erfolgs als Architekt, aber auch aufgrund der Aussichtslosigkeit dieses Berufs, angesichts des Fehlens eines wirklich antreibenden Mäzenatentums, seine Arbeit in den Bereich der Kupferstiche verlegte. Eine Technik, die er so weit perfektionierte, dass sie mit der Malerei konkurrieren konnte, und die für den aufstrebenden Tourismus in Rom begehrte Andenken zur Verfügung stellte. Vor allem durch die Bühnenbilder und Veduten von Venedig – seine Heimatstadt – beeinflusst, entwickelte Piranesi eine dramatische und monumentale Bildersprache, in der die römische Architektur bewusst überhöht und der tristen Realität gegenübergestellt wird.37 Die Geschichte wird hier bewusst manipuliert und verändert, um damit eine politische Aussage zu machen. Eine der Motivationen von Piranesi, der auch an den Arbeiten am Plan von Nolli (1736–1748) beteiligt war und damit den damaligen Stand der Archäologie bestens kannte, war die Erweiterung der Grand Tour nach Griechenland und die Entdeckung einer Architektur – der griechischen –, die nun der italienischen (römischen), die als einfache Abwandlung davon wahrgenommen wurde, vorgezogen wird. Seine Überhöhungen der römischen Architektur und des Städtebaus diente nicht zuletzt dazu, diese neben dem Griechischen wieder „konkurrenzfähig“ zu machen. Dabei griff er einen der wichtigsten Verfechter der griechischen Architektur, Julien-David Le Roy (1724–1803), sehr direkt an. In seinem Buch Della magnificenza ed Architettura de’ Romani (1761) zum Beispiel, zeigt er auch Auszüge

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

aus dem Buch von Le Roy um dessen Thesen zu hinterfragen, ja lächerlich zu machen. Piranesi wurde aber vor allem aufgrund zweier anderer Arbeiten zu einem regelrechten Mythos der Architekturgeschichte: den Carceri (1750) und dem Campo Marzio (1762). Im ersten Fall handelt es sich um eine Reihe von Stichen, die eine imaginäre Kerkerlandschaft darstellen, bei der jeglicher Architekturstil fehlt und die um eine Reihe divergierender Perspektiven aufgebaut ist. Die Bilder der Carceri zeigen ein regelrecht explodierendes räumliches Ensemble, das zu ihrer Zeit nichts Vergleichbares hatte. Beim Campo Marzio handelt es sich um eine Rekonstruktion des Marsfelds in Rom, das in verschiedenen Epochen in Plan und Perspektive gezeigt wird. Dabei bleibt Piranesi nicht bei der exakten Rekonstruktion, sondern überhöht die Vergangenheit in eine komplexe und relativ planlose Konstruktion aus Strukturen und Architekturen, die es in dieser Form nie zuvor gegeben hatte. Es ist kein Zufall, dass Rem Koolhaas (geb. 1944) einen dieser Pläne als Titelbild für seinen Text „Whatever happened to urbanism“ (1994) genommen hat, in dem er eine Kritik der Architektur der Stadt formuliert und für einen offenen Umgang mit neuen Phänomenen des Posturbanen plädiert, Phänomene, die eben oft planlos sind. Für Manfredo Tafuri ist Piranesi einer der ersten modernen Architekten und eine zentrale Figur seiner Geschichtsschreibung. In La sfera e il labirinto ist das erste Kapitel Piranesi gewidmet, der als „Architetto scellerato“, also als frevelhafter Architekt, bezeichnet wird.38 Piranesi verwende die Fantasie – so Tafuri –, um utopische Modelle zu entwickeln, die eben nicht darauf verzichten, die Gegenwart umzuformen, wenn auch nur auf dem Papier. Damit würden seine Entwürfe eine ideologische Ebene beinhalten, die sich gegen das Reale stemme. Die Fantasie stehe hier im Dienste einer kritischen Absicht und sei nicht Selbstzweck oder noch schlimmer der Verzicht auf Konfrontation im Sinne der Autonomie.39 In Piranesi erkennt Tafuri – und er bezieht sich vor allem auf seine Carceri und den Campo Marzio sowie seinen Parere su l’Architettura (1765) – einen Architekten, der die der Architektur immanenten Widersprüche (Autonomie, Heteronomie etc.) weder zu übertönen noch zu verdrängen versuche, sondern sie in seiner Arbeit thematisiere, ja zu deren Inhalt mache (Piranesi also als Beispiel einer „negativen Dialektik“ im Sinne von Adorno/Tafuri). 40 Die Architektur könne sich weder auf eine natürliche noch auf eine universelle Ordnung berufen, deren Synthese das architektonische Objekt sei. 41 Piranesi zeige, weil er zu dieser Erkenntnis gelangt sei, in seinen kollidierenden Perspektiven der Carceri oder den ordnungslosen Rekonstruktionen des Campo Marzio den Zufall, die Widersprüchlichkeit und die Krise, Eigenschaften die die Architektur kennzeichnen. 42

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Tafuri sieht dabei weder in den Carceri noch im Campo Marzio, sondern in Piranesis Altar für San Basilio, der Kirche Santa Maria del Priorato, die aus zwei diametral verschiedenen Seiten besteht – einer reichlich verzierten allegorischen und einer kahlen, abstrakten Seite –, den klarsten Ausdruck dieser Position. Damit werde die unauflösbare Dialektik der Architektur dargestellt, aber nicht mehr bildhaft durch komplexe Formen, die keine Ordnung aufwiesen, sondern durch eine scheinbare Ordnung, die aber als solche keinen Inhalt habe, keine Regel aufweisen könne, quasi als das „Schweigen“ der Architektur. 43 Dieser lägen damit weder eine natürliche noch eine auf Variationen basierende Ordnung zugrunde. Piranesi steht für Tafuri damit sowohl am Anfang wie am Ende einer Architektur, die zwar die Macht ihrer Fantasie erkennt, um Modelle zu entwerfen, gleichzeitig jedoch erkennt, wie diese Modelle immer Fragmente bleiben, immer ineffektiv bleiben werden. Piranesi mit seinen Visionen und Kritiken bleibt aber im italienischen Kontext eine Ausnahmeerscheinung, die in keinen weitläufigen Kontext wie in Frankreich gehört. Abbildung 21, Giovanni Battista Piranesi, Altar für San Basilio, Santa Maria del Priorato, Rom, um 1765

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

Eine Reihe „nachmoderner“ Architekten wird nun vorgestellt, die sich auf unterschiedliche Art und Weise für und in ihrer Entwurfsarbeit auf die Geschichte der Architektur beziehen. Louis Kahn, Aldo Rossi, Paolo Portoghesi und Ricardo Bofill zeigen, jeder auf seine Art und Weise und jeder mit der Bedeutung und dem Rang, den er in der Architekturgeschichte einnimmt, subtile und explizite Verfahren, um die Geschichte zu thematisieren. Und wo Kahn seiner Linie treu bleibt, „verfallen“ Rossi und Portoghesi am Ende ihrer Lauf bahn immer mehr dem expliziten und formalen Zitieren der Architektur der Vergangenheit, was nicht zuletzt auf Druck der Investoren geschieht. Bofill ist wohl das radikalste Beispiel des Stilzitats, was sich bereits in seinen frühen Experimenten angedeutet hatte. Gerade seine „Radikalität“ aber macht ihn zu einem hervorragenden pädagogischen Beispiel. Die Architekten nehmen in ihrem Bezug zur Geschichte eine „radikale“ Positionen ein, was sie zu guten Anschauungsobjekten macht. An ihrem Beispiel kann die historische Implikation der Stararchitekten mehr in den Vordergrund gestellt werden.

L OUIS K AHN „Louis Kahn ist für heutige Architekten eine Inspirationsquelle, ob die Leute das zugeben wollen oder nicht. Er hat gewiss einen wichtigen Schaffenskomplex hervorgebracht, den man berücksichtigen muss, ob es einem gefällt oder nicht.“ F RANK G EHRY44

Der amerikanische Architekt mit estländischen Wurzeln Louis Isidore Kahn bildet das ideale erste Fallbeispiel für eine Besprechung der Art und Weise, wie Architekten auf die Geschichte Bezug nehmen. Dies, weil er sowohl ein Grenzgänger war wie auch Brücken geschlagen hat zwischen Moderne und Tradition, aber auch zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Er hat diese widersprüchlichen Einflüsse in eine einzigartige persönliche Architektursprache verwandelt, in der diese Bezüge, obschon transformiert, weiter erkennbar waren im Sinne einer Synthese. Francesco Tentori spricht dabei im Zusammenhang mit Kahn von „der Vergangenheit als Freund“, was eine sehr schöne Umschreibung dessen ist, was Geschichte sein kann. 45 Die Architektur von Kahn ist gekennzeichnet durch eine fast mystische räumliche Qualität, die die Sinne des Betrachters berührt. Er selber spricht von der „Aura“46 eines Gebäudes, seine Architektur könnte damit auch als Versuch der Widerlegung

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der Thesen vom „Verlust der Aura“ (Walter Benjamin) bzw. dem „Verlust der Mitte“ (Hans Sedlmayr) gesehen werden. Trotz des großen Einflusses, den Kahn auf nachfolgende Generationen hatte – ob direkt, wie auf seine Schüler Robert Venturi und Denise Scott Brown, oder indirekt durch die vielen Projekte und Veröffentlichungen –, gerade wegen seiner Wiederentdeckung der Geschichte bleibt seine Position im Vergleich zu anderen Architekten marginal. Wie mehrmals suggeriert wurde, liegt das nicht zuletzt an der Tatsache, dass seine Architektur zwar ein starker symbolischer Charakter auszeichnet, sich aber nicht auf ein vermittelbares und kommunizierbares Prinzip reduzieren lässt wie jene von Le Corbusier oder Mies van der Rohe. 47 Es liegt auch an der Tatsache, dass die Wirkungsperiode von Kahn eine Zeit des Übergangs war, als die Moderne noch nicht ganz aufgegeben war und neue Impulse noch nicht zur Reife gelangt waren. Trotzdem schaffte es Kahn mit seiner Arbeit, starke Reaktionen zu wecken, auch negative – wie jene von Peter Eisenman, der ihn als „Mörder der Moderne“ bezeichnete. 48 Auch in der jüngsten Arbeit über Louis Kahn, der Ausstellung und dem begleitenden Katalog Louis Kahn. The Power of Architecture (2012), wird die Schwierigkeit seiner Einordnung und des fehlenden „Ruhms“ – im Vergleich mit Frank Lloyd Wright, Le Corbusier und Ludwig Mies van der Rohe – betont. 49 Aus Estland eingewandert und in Philadelphia aufgewachsen, studierte Kahn an der Philadelphia University unter anderem bei Paul Philippe Cret, der dort von 1903 bis 1937 unterrichtete und für den er auch gearbeitet hat. Cret gehörte zu jenen vielen französischen Architekten, die in die Vereinigten Staaten gerufen wurden, um dort nach dem Modell der École des Beaux-Arts zu unterrichten. Durch Cret erhält Kahn Einblick in den französischen Klassizismus, aber auch den Rationalismus von Jean-Nicolas-Louis Durand (1760–1834) oder Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879). So war das Buch über die Geschichte der Architektur von Auguste Choisy (1841-1909), Histoire de l’Architecture von 1899, ein steter Begleiter von Kahn und Vermittler seiner Wahrnehmung und Interpretation der Vergangenheit. Wie Kenneth Frampton in einem Aufsatz über eben diesen Einfluss unterstreicht, waren gerade Durand und Choisy wichtige Referenzen für Kahn, der erste für die Offenheit seines Systems und der Fülle an Verwendungen, die dieses System ermöglichte, der zweite aufgrund seiner „konstruktiven Logik“ im Umgang mit Stahlbeton.50 Der Einfluss der Beaux-Arts äußerte sich vor allem in bestimmten Methoden sowie in der Aufmerksamkeit für bestimmte Aspekte der Architektur. Ahmet Gulgönen, der eine Arbeit über den Einfluss der École des Beaux-Arts auf Kahn geschrieben hat, zählt diesbezüglich eine Reihe von Aspekten auf, nicht ohne zu betonen, dass sich die École nicht auf ein einziges System reduzieren lasse. Besonders nachvollziehbar seien die Parallelen zwischen „parti“

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und dem formalen Diagramm, der Komposition, der Arbeit mit Achsen, dem Raster als Ausgangslage, der Arbeit am poché und vor allem der Einteilung in primäre und sekundäre Räume, die der Kahn’schen Einteilung zwischen dienenden und bedienten Räumen entspreche.51 Die Auseinandersetzung mit dem poché – der ausgemalten Schnittfläche der Wände – führte ihn zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber der Eingrenzung der Räume sowie dem Verhältnis der verschiedenen Räume untereinander. Dennoch war das Resultat ein ganz anderes als die starren Kompositionen der Beaux-Arts-Schüler mit ihrer Symmetrie und hierarchischen Gliederung von Räume, nicht zuletzt weil sich eben andere Einflüsse und Referenzen mit diesen überlagerten. So wird die Auseinandersetzung mit dem poché durch jene mit schottischen Schlössern und französischen Festungen – allen voran Carcassonne – um eine neue räumliche Dimension erweitert und eröffnet ihm die Möglichkeit, die verschiedenen Räume in ihrem Verhältnis untereinander zu berücksichtigen. In einer Skizze von Kahn zeigt sich, wie er ausgehend vom poché und der geschnittenen Fläche der Wand diese Fläche zu einem Raum erweitert und die Qualitäten dieser Räumlichkeit, in Abhängigkeit von dem Abstand der neuen Wände, genau untersucht. Die Wand selber wird zum variablen Zwischenraum. Abbildung 22, Louis Kahn, Marton Goldenberg House, Diagramm, 1959

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Die Kenntnis der Geschichte gewinnt Kahn aber auch aus erster Hand durch zwei Aufenthalte in Europa und dem Nahen Osten, der erste 1929, der zweite, wichtigere, 1951 als Architect in residence an der American Academy in Rome (wie auch Robert Venturi 1954–1956), wo er sich ausführlich mit der römischen Architektur auseinandersetzte und auch Griechenland, Ägypten und Italien bereiste. Eine amüsante Einsicht über die Bewunderung Kahns für die römische Architektur liefert einer seiner Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Projekt für das Salk Institute (1959–1965), wo er, nachdem Kahn seine Entwürfe immer wieder kritisierte, den Plan der Villa Hadriana des römischen Kaisers Hadrian in den Gesamtplan des Institute hineinkopierte, worüber sich Kahn, ohne die Quelle sofort zu erkennen, sehr freute. Als er bemerkte, dass er „reingelegt“ worden war, sei er in lautes Lachen ausgebrochen.52 Beeinflusst wurde er auch ohne Zweifel von der Arbeit Piranesis. Vincent Scully, der sich immer wieder mit Kahn auseinandergesetzt hat, bezeichnet dabei die Räume seines National Assembly Building in Dhaka treffend als „piranesische“ Räume, weil sie eine vergleichbare Komplexität aufweisen.53 Bemerkenswert ist, dass Kahn zu Beginn seiner Karriere ein begeisterter Anhänger der Moderne war und in seiner Arbeit in Philadelphia eine Reihe modernistischer Projekte entwarf, die auch seine Bewunderung für Le Corbusier zum Ausdruck bringen. Erst um 1950, also im Alter von ungefähr fünfzig Jahren, fand Kahn zu jener Synthese, die jenseits jeglicher Umformulierung der Architektur der Vergangenheit das Spezielle seiner Arbeit ausmacht. Eine bemerkenswert lange „Gärungszeit“, die sich mit ähnlich langen Entwicklungszeiten bei anderen Architekten wie zum Beispiel Filippo Brunelleschi (1377–1446), Michelangelo Buonarotti (1475–1564) oder – um in der Schweiz und in unserer Zeit zu bleiben – Peter Zumthor oder Christian Kerez (geb. 1962) vergleichen lässt, die ebenfalls erst „spät“ zu ihrer „Berufung“ und ihrer besonderen Architektursprache gefunden haben. Le Corbusier wird bis zum Ende aber eine Bezugsfigur für Kahn bleiben, was beweist, wie es sich hier nicht um eine radikale Abwendung von der Moderne handelt, sondern vielmehr um die Suche nach einer persönlichen Architektursprache, die synkretistisch daraus eine Synthese findet, die den Ansprüchen des Architekten räumlich entspricht. Einer der Auslöser für das Entwickeln dieser eigenen Formensprache war dabei der Beginn seiner Unterrichtstätigkeit an der Yale University, wo er auch die Bekanntschaft mit dem ehemaligen Bauhaus-Lehrer Josef Albers (1888– 1976) machte, dessen Lehre ihn nachhaltig beeinflusst hat.54 Die Auseinandersetzung mit Studierenden und die Notwendigkeit, das eigene Verständnis der Architektur vermitteln zu müssen, war also einer der Auslöser für die Reifung der eigenen Architekturpoetik und ihren räumlichen Ausdruck.

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Die Architektur von Kahn gründet auf einer (de-)kompositorischen Arbeit, bei der aber die verwendeten Formen und Volumen als solche sich in eine neue Gesamtheit auflösen. Seine Architektur zeichnet sich aus durch die Spannung zwischen Ganzem und Fragment, Volumen und Fläche. Vieles erscheint als Bruchstück – nicht zuletzt im Plan –, findet aber trotzdem seinen Platz in der Gesamtheit. Er selber betonte immer wieder, dass der Architekt kein „designer“, sondern ein „composer“ sei.55 Das ist eindeutig auf seine Erziehung und den Einfluss der Beaux-Arts zurückzuführen, wo anhand von Achsen und Raumabfolgen Architektur komponiert wird. Wie die Revolutionsarchitekten arbeitet Kahn mit Grundvolumen und Grundformen, die er ebenfalls additiv verbindet, im Unterschied zu diesen de-komponiert und überlagert Kahn aber die Volumen und Flächen in Plan und Schnitt. Das Ziel ist die Kontrolle der atmosphärischen Wirkung seiner Räume. Dabei spielt auch die Arbeit mit dem Material, für das Kahn eine regelrechte Bewunderung hatte, eine große Rolle. Materialien würden „sprechen“ und ihre konstruktiven Wünsche äußern, denen der Architekt zu folgen hätte.56 Trotzdem verfremdet Kahn das Material. Die massive Mauerwerkwand der Römer wird zu dünnen Schichten; damit spielt auch die Art, wie das Material gegen die Erwartungen eingesetzt wird, eine Rolle in der Transformation der geschichtlichen Referenzen. Das Material – hauptsächlich Mauerwerk und Beton – spielt auch eine zentrale Rolle für die Kontrolle der Art und Weise, wie Licht und Schatten die Atmosphäre des Gebäudes, seine Aura schaffen. Was also das so Bemerkenswerte von Kahns Architektur ausmacht, ist seine Fähigkeit, aus all diesen verschiedenen Einflüssen eine absolut eigene, persönliche Architektursprache zu entwickelt zu haben, eine Synthese, in der zwar die Referenzen noch ablesbar bleiben, aber in etwas anderes, Neues transformiert wurden. Seine Architektur evoziert Assoziationen, die sie vertraut erscheinen lässt, über diese Vertrautheit aber neue räumliche Konstellationen entwickelt. Wie oben angesprochen, liegt seine Qualität unter anderem in der Spannung zwischen Gesamtheit und Fragment, zwischen Volumen und Fläche, was sich mit dem Spiel zwischen Vertraut/Unbekannt überlagert. Seine Architektur könnte man also als Beispiel der „negativen Dialektik“ von Adorno sehen, wo die Differenzen bis zuletzt nicht aufgelöst werden, wenn auch im realisierten Projekt eine Synthese erfahren. Dies lässt sich ohne Zweifel auf die Tatsache zurückführen, dass auch Kahn – wie die oben genannten Architekten Behrens und Fischer – ein Grenzgänger war. Als Qualität, als Ziel seiner Architektur führt Kahn einen Begriff ein, der von der Moderne verpönt war, nämlich jenen der „Monumentalität“, als „geistige Qualität“, die die Wirkung seiner Projekte umschreiben soll.57 Dazu notwendig sind „konstruktive Vollkommenheit“, „formale Klarheit“ und „maß-

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stäbliche Logik“, Eigenschaften, die er in den historischen Vorbildern entdeckt und studiert und in seiner Synthese wieder einzubringen versucht, ohne diese Vorbilder formal oder bildlich zu kopieren.58 Es ist gerade dieses Spezifische, Persönliche der Architektur von Kahn, was das Vermitteln seiner Arbeit so schwierig macht – ein Problem, das auch bei Rossi besteht – und das uns wieder zur eingangs angesprochenen „geringen“ Resonanz seiner Architektur zurückführt: Während Le Corbusier und Mies van der Rohe nicht nur eine persönliche Poetik des Entwurfs entwickelt haben, sondern auch vermittelbare und nachahmbare Prinzipien, bleibt die Architektur von Kahn „stumm“.

A LDO R OSSI „Evidentemente letture di questo tipo rappresentano anche una scelta; e io ritengo che ognuno debba scegliersi e costruirsi un campo di testimonianze e che sia questo il modo migliore per valutare una tendenza; e non correre il rischio di dover ricominciare sempre da capo e non svolgere mai in modo continuo il filo dell’esperienza.“ A LDO R OSSI, 196759

Stumm und sprachlos sind auch die Fahnen, in einem berühmten Gedicht von Friedrich Hölderlin, das Aldo Rossi immer wieder zitiert („… Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen“). Und vieles verbindet Aldo Rossi mit Louis Kahn: der Einfluss des französischen Rationalismus, die Arbeit mit vergleichbaren Materialien wie Backstein, das Entwerfen mit einfachen Volumen, die kombiniert werden, ein ähnlich reduziertes Architekturvokabular, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit; beide sprechen von einer neuen „Monumentalität“ als Ziel ihrer Arbeit und beide entwerfen relativ autonome Architekturen. Dennoch bezeichnete Rossi Kahn einst abschätzig als Formalisten, weil er nicht ein System, sondern nur einzelne architektonische Elemente zusammenfüge.60 Woher rührt diese Kritik? Ist es der Blick in den Spiegel der Architektur von Kahn, der für Rossi unerträglich wird, oder sind beide wirklich unterschiedlich, jenseits gewisser formaler Ähnlichkeiten? Diese Frage soll uns in der Besprechung der Architektur von Rossi begleiten. Aldo Rossi studierte Architektur am Politecnico in Mailand, bezeichnete sich rückblickend als der schlechteste Schüler, den die Schule je hatte, nicht zuletzt, um damit die Eigenart seiner Arbeit zu unterstreichen, die dem damali-

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gen System nicht entsprach. Zu seinen Erinnerungen gehört auch die Episode eines Professors, der ihm vom Studium der Architektur abriet, eine Erzählung, die sich bei vielen anderen Architekten findet, um zu erklären, wie „anders“ sie waren.61 Wie Kahn wird auch Rossi in einer Schule ausgebildet, die rückwärtsgewandt ist, aber in einem negativen Sinne, weil es sich nicht um ein Lehrsystem handelte wie jenes der Beaux-Arts, das transformiert und anverwandelt werden konnte, sondern um eines, das auf dem repetitiven Nachzeichnen der Vergangenheit basierte – und Rossi eher darin bestätigte, was Architektur nicht sein soll. Diese Unterrichtsform konnte ihn trotzdem nicht davon abschrecken, Bezug auf die Vergangenheit zu nehmen. Deswegen musste er sich aber immer wieder rechtfertigen und erklären, es handle sich nicht um Historizismus, sondern um eine Art, die Vergangenheit lebhaft in die Gegenwart einzuführen.62 Rossi wird sehr früh Mitarbeiter der Zeitschrift Casabella, unter der Leitung von Ernesto Nathan Rogers – ein Mitglied des Kollektivs BBPR –, der programmatisch im Zeichen der historischen Kontinuität den Titel der Zeitschrift um den Begriff „continuità“ ergänzte: Casabella-Continuità. Aldo Rossi arbeitet dort von 1955 bis 1964, dem Jahr des Abgangs von Rogers, zuerst als Mitarbeiter, dann als Redakteur, und profitierte von dem einflussreichen intellektuellen Klima der Gruppe um Rogers, um seine eigene Positionen zu entwickeln. Unter den vielen Aufsätzen, die Rossi in dieser Zeit in Casabella-Continuità veröffentlichte, sind zwei für uns besonders interessant, beide erschienen 1958. Der erste ist die Rezension eines Buches von Sedlmayr (Rivoluzione dell’arte moderna), anläßlich des Erscheinens der italienischen Übersetzung. Zwar erkennt Rossi in der Analyse Sedlmayrs dessen Fähigkeit, die Zusammenhänge von Ideologie und Kritik, vor allem von Kunst und Kultur zu durchleuchten, an, er kritisierte aber dessen Schluss, wonach diese Krise zu einem Ende der modernen Kultur geführt habe.63 Auch für Rossi ist die Zeit der Moderne eine der Krise, aber davon abgesehen, dass auch hier Momente großer Kultur entstanden seien – er spricht diesbezüglich vor allem die Architekten der Weimarer Republik an –, gebe es eine grundsätzliche Kontinuität, die seit der Aufklärung bis zu seiner Zeit auch positive Werte vermittelt habe. Für Rossi ist die Kritik an der Architektur der Aufklärung – es ist vor allem die Rede von Ledoux – nicht haltbar, weil damit auch eine Kritik der Renaissance und des Prinzips einer rationellen Methode im architektonischen Entwerfen und der Vermittlung einer Lehre einhergehe. Der zweite Aufsatz ist der Arbeit von Emil Kaufmann und seiner Auseinandersetzung mit Ledoux, Boullée und Lequeu gewidmet. Darin verfolgt Rossi die Thesen von Kaufmann, mit einem Blick auf die italienische Architektur des 18. Jahrhunderts.64 Hier wiederholt Rossi seine Kritik an Sedlmayr und dessen Prinzip des „Ende“, um ihm eben den Glauben an eine gewisse Kon-

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tinuität entgegenzuhalten. Diese beiden Aufsätze zeigen, mit welchen Referenzen sich Rossi unter anderem im Auf bau der eigenen Theorie befasst hat. Abbildung 23, Aldo Rossi, L’analisi urbana, 1968/69

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Sehr früh beginnt Rossi auch am Polytechnikum in Mailand zu lehren, bis aufgrund verschiedener Zwischenfälle um die Studentenproteste von 1968 sein Lehrauftrag aufgehoben wird, woraufhin er von 1972 bis 1974 an die ETH Zürich wechselt. Von diesen Zwischenfällen wird insbesondere einer in verschiedenen Zeitschriften aufgegriffen und Inhalt von Auseinandersetzungen in der Zeitschrift Controspazio, die von Paolo Portoghesi gegründet und geleitet wurde. Die Polemik wird von einem Verfechter der Architektur der Moderne lanciert, dem Architekt Carlo Melograni, der die Besetzung der Räumlichkeiten der Architekturfakultät als Vorwand nimmt, um Rossi und Portoghesi anzugreifen, worauf es zu einem interessanten öffentlichen Schlagabtausch kommt.65 Die Argumente von Melograni sind vor allem politischer Natur, wobei der Marxismus von Rossi und seine Faszination für sowjetische Architektur kritisiert werden sowie allgemein das Interesse für die Vergangenheit der Architektur von Rossi und Portoghesi.66 Sowohl Portoghesi wie Rossi67 reagieren auf diese Kritik, indem sie den funktionalistischen und „puristischen“ Hintergrund von Melograni bloßlegen, der genauso konform ist wie der von ihm kritisierte Eklektizismus, der auf ihre Architektur aber nicht zutreffe.68 1966, im Alter von nur 35 Jahren, veröffentlicht Rossi das Buch Die Architektur der Stadt, das das Augenmerk erneut auf die traditionell gewachsene Stadt legt und deren Regeln und Strukturen untersucht. Es wird zu einem epochalen Erfolg und das Manifest einer Generation, die sich in den Dogmen der modernistischen Stadtplanung nicht wiedererkennt. Auch wenn Rossi die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit betont – mit Begriffen wie „Theorie des Städtebaus“, „Wissenschaft des Städtebaus“69 – und davon überzeugt ist, dass diese „Wissenschaft des Städtebaus“ eine neue Disziplin ausmacht, die weder von der Geschichte der Architektur noch von der Soziologie oder irgendeiner anderen Wissenschaft erfasst werden kann, geht es in diesem Buch, wie es der Titel verrät, rein um die Architektur und die Stadt als Kunstwerk, das von der Architektur geformt wird.70 Das Buch spricht damit zwar auch die Rolle der Gesellschaft in der Schaffung der Stadt und ihrer Monumente an, die Perspektive ist aber fast ausschließlich auf eine architektonische Betrachtung ausgerichtet, was eines der vielen Paradoxe des Buches ist, das wie so viele „Manifeste“ eher hinsichtlich seiner generellen Ausrichtung als des genauen Inhalts wegen wahrgenommen wurde. Diese Position gründet nicht zuletzt auf einer Kritik des Funktionalismus und der Stadtanalyse nach dem Gesichtspunkt der Funktion, was – so Rossi – zwar eine brauchbare Methode sei, aber nur eine von vielen und nicht jene, die den Sinn der Form der Stadt enthülle.71 Beeinflusst durch die Arbeit von Francesco Milizia (1725–1798), der französischen Architekten des Rationalismus, die französischen Humangeografen und Historikern, allen voran Pierre Lavedan, sowie durch Untersuchungen von Saverio Muratori, entwickelt Rossi eine Methode der Stadtanalyse – die

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morphologische Analyse –, welche die Form der Stadt, die Art und Weise, wie diese zu ihrer Gestalt gefunden hat, nicht zuletzt über die Berücksichtigung der Typologien untersucht. Rossi identifiziert eine Reihe von Elementen, die bei der Prägung der Form der Stadt im Vordergrund stehen, wie die Monumente und die Wohnviertel, die auch im Buch im Mittelpunkt stehen und ausführlich besprochen werden. Aldo Rossi legt großen Wert auf die Kontrolle des Entwurfsprozesses – das Rationale seiner Architektur –, nicht zuletzt deswegen arbeitet er mit einem reduzierten Vokabular an Grundformen, Volumen und Typologien, die er immer wieder neu kombiniert. Er spricht von einer „rigiden Welt mit wenigen Gegenständen“. Die Schwierigkeit liege dabei weniger im Entwerfen einer solchen Welt, eines solchen Modells, als in dessen Beschreibung im Sinne der Umformulierung in ein konkretes Projekt.72 Diese rigide Welt soll nicht Leidenschaften wecken, sondern Hintergrund und Kulisse für diese Leidenschaften bleiben, womit auch die Zurückhaltung seiner Projekte erklärt wird.73 Immer wieder kommt Rossi auf das Rationale der Architektur zu sprechen, im Sinne einer Theorie der Architektur, die weder vollkommen objektiv noch vollkommen autobiografisch ist und sich aus der Analyse des Kontexts entwickeln soll.74 In diesem Zusammenhang bildet Etienne Louis Boullée für Rossi eine der wichtigsten Referenzen. Das Interesse zeigt sich auch darin, dass Rossi die Einführung zur italienischen Übersetzung des Traktats von Boullée verfasst hat, worin er einerseits Boullées Kritik am Funktionalismus, andererseits seinen Versuch, ein „logisches System aufzubauen, das an den verschiedenen Projekten überprüft wird“, hervorhebt.75 In Boullée erkennt Rossi eine vergleichbare Berücksichtigung und Aufmerksamkeit für das Entwerfen als rationalen Prozess, der sich, wie bei Rossi, in einem Umgang mit wenigen Grundformen ausdrückt. Im Zusammenhang mit der – bereits im ersten Kapitel besprochenen – XV. Triennale von 1973 in Mailand, die Rossi unter dem Stichwort der Rationalen Architektur leitet, gerät der Gedanke einer „autonomen Architektur“ in den Mittelpunkt. Hier werden verschiedene Projekte gezeigt, auch von Studierenden, die im Geiste des rationalen Entwerfens ein solches autonomes Projekt entwickelt haben. Es geht darum – so Rossi –, den autonomen Wert des architektonischen Projekts zu berücksichtigen und zu fördern.76 Im Gegensatz zur Moderne glaubt Rossi nicht daran, dass die Architektur eine erlösende Wirkung haben kann, dass sie die Gesellschaft beeinflussen, geschweige denn verbessern oder retten könne – womit klar wird, wieso er die Autonomie der Architektur betont: Da diese die Welt weder retten noch einen neuen Menschen für eine neue Gesellschaft schaffen könne, kann sie nur an den eigenen Werte festhalten und nicht zuletzt dadurch einen Hintergrund

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

für die Leidenschaften der Menschen bilden. Hier liegt ein zentraler, aber auch unlösbarer Widerspruch der Arbeit von Rossi: einerseits das Anknüpfen an die Geschichte, an die Stadt – vor dem Hintergrund der Leistung der Architektur, dieser Stadt eine Form zu geben, die der Gesellschaft entspricht –, andererseits die Überzeugung, dass die Architektur sich zurückhalten muss und nur als Hintergrund wirken kann.77

Analoge Architektur Diese Form von Analyse und Entwerfen bezeichnet Rossi, zum ersten Mal 1969, als „Analoge Architektur“. Die Analogie – und nicht die Metapher (siehe Lektion 4) – umschreibt einen Prozess der Transformation. Den Prozess der Analogie erläutert Rossi immer wieder mit Bezug auf ein Bild von Canaletto, in dem verschiedene Projekte von Palladio zusammengeführt sind, wovon nur eines ein Entwurf ist, womit ein fiktives Stadtbild entworfen wird.78 Aus der Sicht von Rossi ist auch der Campo Marzio von Piranesi ein Beispiel für eine solche analoge Architektur: „Die römischen Monumente sind das Material, mit dem Piranesi die Stadt und die Architektur erfindet.“79 Ähnlich versucht Rossi seine Arbeit über diesen Prozess der Analogie zu steuern. Er erläutert ihn mit Bezug auf den Schweizer Psychiater C.G. Jung und dessen Unterscheidung zwischen logischem und analogischen Denken, wobei Ersteres dem Denken, das in Wörter ausgedrückt werden kann, entspricht, Letzteres, das fantastische, bildhafte Denken, kaum in Wörtern auszudrücken ist. 80 Die Analogie, die man beim Entwurf mit dem Ort und seiner Geschichte auf baut, macht – so Rossi – bereits das Projekt an sich aus, dieses entwickelt sich also aus einer korrekten Lektüre des Ortes und seiner Geschichte. 81 Über den Prozess der Analogie baut Rossi hier den Bezug zur Geschichte auf. Es ist keine Metapher, die in einem Bild der Geschichte resultieren könnte, sondern ein Prozess der Analogie, der die Geschichte transformiert. In seiner Anlehnung an die Vergangenheit scheut Aldo Rossi auch nicht davor zurück, den Begriff „Stil“ wiederzuverwenden. Darin versteht er gerade jene Architektur, die erfolgreich einen bestimmten Zeitmoment einer Gesellschaft ausdrücken konnte.82 In diesem Zusammenhang fällt auch der Begriff der Monumentalität83 und des Baudenkmals. Ist in den Augen von Rossi die Reaktion der Moderne gegen den „hohlen Historismus“ verständlich, so spreche nun nichts dagegen, sich wieder mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen. 84 Die Bedeutung des Monumentalen lässt sich dabei vor allem aus der Analyse der Architektur der Stadt verstehen, die in den primären Elementen – den Monumenten – eben das Generative der Stadtdynamik erkannte. Folglich ist es ein Ziel für Rossi, mit seiner Architektur, seinen Projekten, entsprechende Monumente zu schaffen.

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1981 veröffentlichte Rossi ein Buch, das eine Art architektonisches Testament ist, die Wissenschaftliche Autobiographie, und wie das Traktat von Boullée zuerst in einer anderen Sprache als jener, in der es verfasst wurde, veröffentlicht wird, bei Rossi ist das Englisch. A Scientific Autobiography erschien im Verlag des Institute for Architecture and Urban Studies von Peter Eisenman und ist ein Buch, das jeder Architekturstudent lesen sollte. Hier beschreibt Rossi seinen Werdegang, vor allem jene Situationen und Atmosphären, die ihn beeinflusst haben und die er in seiner eigenen Architektursprache umgesetzt hat. Der Titel ist ein Verweis auf die wissenschaftliche Autobiografie von Max Planck (1858– 1947). Der wissenschaftliche Anspruch seiner Arbeit, das „Wissenschaftliche“ des Titels, wird in diesem Buch aber relativiert, indem vor allem die poetische und persönliche Dimension seiner Arbeit angesprochen wird. Und die Schwierigkeit, diese zu vermitteln. 85

Kahn/Rossi Kommen wir am Ende auf die Frage nach dem Verhältnis von Kahn und Rossi zurück und auf Rossis Kritik des Formalismus an Kahn, so wird klar, dass beide dasselbe suchen: etwas Urtümliches, Symbolisches, Persönliches, das Gefühle wecken kann. Der Unterschied liegt darin, dass Kahn es in der Architektur selber sucht, während Rossi es in der Stadt als Ort der Gesellschaft sucht. Auch für Kahn ist die Architektur Ausdruck sozialer und gesellschaftlicher Aspekte, aber sie alleine muss die Formen und Räume liefern, die diesen entsprechen. Bei Rossi hingegen lehnt sich die Architektur an die Stadt als Ort dieser Gesellschaft an und sucht darin ihre Formen. Beide wollen Monumente entwerfen, die in der Stadt wirken, Rossi durch die Stadt, Kahn hingegen durch die Architektur. Die Architektur von Kahn ist räumlich komplexer, wirkt aber isolierter und schafft ihren eigenen Kontext, jene von Rossi ist einfacher, wirkt aber nur in einem Kontext, der sie bereichert. Das Thema des Raums ist für Rossi irrelevant, es geht ihm vielmehr um Bilder, Analogien, Assoziationen, die seine Architektur hervorrufen kann. Die Räume und die Übergänge sind entsprechend bewusst einfach gehalten. Daraus erklärt sich die Kritik von Rossi, wobei auch die Tatsache, dass Kahn seine Arbeit in keinem mit Rossis Theorie vergleichbaren Diskurs ausgearbeitet und formuliert hat, eine Rolle gespielt haben dürfte. Während Rossi das Bedürfnis hatte, über die eigene Arbeit im Kontext der Stadt nachzudenken und diese Gedanken festzuhalten, hält Kahn seine Theorie in den Projekten fest. Die Geschichte, auf die sie Bezug nehmen, ist die Geschichte der Architektur bei Kahn, jene der Stadt(architektur) bei Rossi.

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

PAOLO P ORTOGHESI/R ICARDO B OFILL „First you have to learn classicism; you have to write well before you can deform the language, the composition.“ R ICARDO B OFILL , 1988 86

Paolo Portoghesi (geb. 1931) und Ricardo Bofill (geb. 1939) spielen in der Geschichte der Architektur, im Vergleich zu Kahn und Rossi, eine marginalere Rolle, nicht zuletzt weil Ersterer sich weniger der Architektur als vielmehr ihrer Vermittlung gewidmet hat und Letzterer seiner Architektur den Stempel der plakativen postmodernen Fassadenarchitektur, vor allem aber den Stempel eines Kommerz-Architekten aufgedrückt hat. Beide suchen explizit den Bezug auf die Vergangenheit, in Reaktion auf die Moderne, finden aber zwei sehr unterschiedliche Antworten darauf, die gleich besprochen werden.

Portoghesi Paolo Portoghesi studiert Architektur in Mailand, erhält 1957 sein Diplom und lehrt ab 1967 zusammen mit Rossi am Politecnico. 1968 wird er Präsident der Architekturfakultät. Später lehrt er in Rom. Ab 1979 übernimmt er zudem von Vittorio Gregotti die Leitung der Architekturbiennale und wird mit seiner ersten Biennale unter dem Titel Presenza del passato – die „Anwesenheit der Vergangenheit“, die bereits oben angesprochen wurde – ein Manifest der postmodernen Architektur aufstellen. Auch Rem Koolhaas nahm an dieser Biennale teil, während Peter Eisenman, in seinen eigenen Worten, von Tafuri, von einer Teilnahme abgeraten wurde. Die Biennale von 1985 wird dann Aldo Rossi leiten. Abbildung 24, Paolo Portoghesi umgeben von Polizisten in Mailand, 1968

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Wie bereits erwähnt, gründet Portoghesi 1969 die Zeitschrift Controspazio, bei der es sich nicht zuletzt um eine Antwort auf die autonome Architektur handelte, mit dem Anspruch, die soziale Realität mit zu berücksichtigen. 87 Entsprechend will die Zeitschrift nicht nur Architekten ansprechen, sondern auch Laien. Architektur dürfe sich nicht mit dem Errichten eines „schönen“ Gebäudes begnügen, sondern müsse sich auch für dessen „Kehrseite“ interessieren: den Kontext, in dem dieses Projekt einmal stehen wird. 88 Neben der Herausgabe zahlreicher Bücher verfasste Paolo Portoghesi 1980 das italienische Manifest der postmodernen Architektur, Dopo l’architettura moderna – „Nach der modernen Architektur“ – von 1980, wo er die Notwendigkeit einer Kontinuität der Geschichte betont, gegen das „Stahlgitter und das Labyrinth ohne Ausgang der Moderne“, das eine „tragische Verflachung und einen Weg aus Asche“ geschaffen habe. 89 Portoghesi hinterfragt vor allem den technisch bedingten Glauben an Zukunft und Fortschritt, dem er einen auch ökologisch angehauchten Blick in die Vergangenheit entgegensetzt. 90 Als Architekt verwirklicht Portoghesi, in Zusammenarbeit mit Vittorio Gigliotti, nur wenige Projekte, wenn man es mit Bofill vergleicht. Wie für Rossi war die Ausbildung für Portoghesi eine perspektivlose Zeitverschwendung, wurde sein Interesse für die Vergangenheit dort immer wieder kritisiert. In seinen Erinnerungen war es vor allem der modernistische Ansatz der Lehre, der jede Kreativität und natürlich jeden Bezug auf die Vergangenheit unterbunden hätte. Die Arbeit mit funktionalen Diagrammen – eine typisch modernistische Pädagogik – hätte immer wieder zur gleichen Architektur geführt und keinen Raum für Abweichung gelassen.91 Portoghesi hingegen entwickelt eine Leidenschaft für die Interpretation und Transformation der Vergangenheit, wofür er im Kontext der Schule nur Kritik und Vorwürfe erntet. Schon während des Studiums hätte er in verschiedenen Entwürfen versucht, Architekten der Vergangenheit wie Borromini und Perret oder Borromini und Terragni zu vermischen. Die gleiche Haltung hätte er auch in seinen realisierten Projekten beibehalten, so in der Casa Baldi, wo er versucht habe, das Haus Schroeder (1924) von Gerrit Rietveld mit der Laterne von St. Ivo alla Sapienza in Rom von Borromini zu verbinden. Portoghesi beginnt also direkt, mit der Geschichte der Architektur zu spielen, wenn auch seine ersten Projekte noch den Einfluss von Strukturalismus und Brutalismus zeigen.92 Von den verschiedenen Architekten der Vergangenheit war Borromini jener, der anfänglich Portoghesi am stärksten beeinflusst hat. Diese Auseinandersetzung resultierte 1967, als Portoghesi 36 Jahre alt war, in einem umfangreichen Buch, Borromini. Architettura come linguaggio. Darin versucht Portoghesi unter anderem zu beweisen, wie die Radikalität von Borromini nicht, wie immer angenommen, auf der absoluten Verneinung der Vergangenheit aufgebaut war.93 Er unterstreicht dabei – und wie vor ihm bereits Sedlmayr –

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

den Einfluss, den das Buch Varij tempietti antichi von G. Battista Montano von 1624 auf Borromini hatte. Darin rekonstruierte Montano eine Reihe römischer Architekturen, die es höchstwahrscheinlich nie gegeben hat, die aber vor allem die Ausnahmen des Kanons dargestellt und Borromini in seinen eigenen Abweichungen beeinflusst hätten.94 Abbildung 25, Paolo Portoghesi, Diagramm, 1967

Portoghesi legt auch Wert darauf zu unterstreichen, dass Borromini ein vorzüglicher Kenner der Architektur der Vergangenheit gewesen sei und eine große Bibliothek besessen habe. Ihm sei es darum gegangen, nicht „copista“ – Nachahmer – zu sein, und trotzdem war mit dieser Haltung keine Absage der Vergangenheit verbunden.95 Borromini beeinflusst Portoghesi aber auch viel direkter: In der Analyse seiner Projekte führt Portoghesi eine Reihe von Diagrammen ein, die dazu dienen, die „Kräfte“, die der räumlichen Wirkung zugrunde liegen, wahrzunehmen und abzubilden. Dieselbe Art von Diagrammen führt Portoghesi dann in den eigenen Projekten ein und transformiert sie von einer Methode der Analyse zu einer der Synthese, des Entwurfs. Im Buch nennt er sie nicht Diagramme, sondern abwechselnd „geometrische Schemen“ oder „räumliche Interpretation“. Man könnte sie auch „strukturelle Diagramme“ nennen. Diese sollen dazu dienen, das „Gedächtnis“ der Architektur aufzuwecken, das in jedem von uns schlummert. Die Vergangenheit der Architektur liegt also nicht in bestimmten Stilen oder Formen, sondern in der Form der räumlichen Organisation, die auf einer unbewussten Ebene auf uns wirkt.96 Eine solche sucht und findet Portoghesi in Borromini – aber auch in Michelangelo und

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in allen großen Architekten der Vergangenheit –, und gerade diese Form der räumlichen Organisation, angepasst auf seine Zeit, versucht er auch in seine Architektur einfließen zu lassen. Besonders deutlich lässt sich die Anwendung solcher Diagramme an der Casa Baldi ablesen, wo man die ganze räumliche Kraft von Borromini, wenn auch transformiert in ein Haus, in anderen Materialien und Details wiederfindet. Das Haus weckt Assoziationen und Bilder, stellt aber eine ganz andere Architektur dar als jene, die man erwartet, was eine gewisse Irritation, aber auch Spannung beim Betrachter hervorrufen kann. Es geht hier aber nicht um Grundformen, sondern um „Kräfte“. Die Projekte aus dieser Zeit zeigen, wie schwer dieser Weg ist und wie leicht er zu einer plakativen Verbildlichung dieser Kräfte ausarten kann, wenn also die Kräfte nicht mehr abstrakt sind, sondern explizit Form werden.

Bofill Ricardo Bofill ist in Barcelona geboren und studierte Architektur zuerst in Barcelona, dann in Genf. In seiner Karriere hat er eine sehr große Anzahl von Gebäuden realisiert, zuerst in Spanien, dann vor allem in Frankreich, wo er im Zusammenhang mit den Wohnprojekten in den Villes Nouvelles um Paris – eine Reihe neuer Städte, die gebaut wurden, um Paris zu entlasten – seine bedeutendsten Projekte realisieren konnte. Dabei scheute er nicht davor zurück, die Zusammenarbeit mit den Investoren zu suchen, anfangs noch, um soziale Utopien zu verwirklichen. Seine Projekte verfolgten durchaus die Absicht, die Lebensgewohnheiten seiner Einwohner zu verändern, verkamen aber gerade in Frankreich zu reinen Spekulationsobjekten. Er selber betonte rückblickend, dass gewisse „Kompromisse“ mit dem Älterwerden der Mitglieder des Tallers de Arquitectura – wie sein Büro heißt – sowie mit deren gestiegenem Realitätssinn zu tun haben.97 Die Arbeit im Kollektiv war eine wichtige Grundlage seiner Arbeit, wobei nicht nur Investoren, sondern zum Beispiel auch Soziologen Teil des Taller de Arquitectura wurden, unter anderem kam es bei einem früheren, unrealisierten Projekt zu einer Zusammenarbeit mit Henri Lefebvre (1901–1991). Trotzdem blieb das Taller immer auf die Person von Bofill fixiert. Aufgrund dieses Bezugs zur Finanzwelt wurde die Arbeit von Bofill, vor allem innerhalb der Architekturwelt, nie wirklich gewürdigt. Philip Ursprung vergleicht diese Ablehnung seiner Arbeit mit jener von John Portman, einem anderen wichtigen Architekten der Postmoderne, und dessen Bonaventure Hotel in Los Angeles (1974–1976), das von Fredric Jameson als Paradigma postmoderner Architektur beschrieben wurde.98 Seine Projekte wurden „[…] zu Emblemen einer vermeintlich unmenschlichen Architektur“ gemacht.99

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

Abbildung 26, Ricardo Bofill, Kaf ka’s Castle, Barcelona, 1968

Während der Werdegang von Portoghesi mehr oder weniger konstant ist, ist jener von Bofill durch verschiedene Phasen und Interessen gekennzeichnet, wobei er sich selbst immer wieder positiv zu den Wechseln und deren Notwendigkeit innerhalb der eigenen Arbeit geäußert hat. In einer ersten Phase hat Bofill zahlreiche Projekte in Spanien realisiert, einige davon von einer umwerfenden räumlichen Komplexität, die eine persönliche Reinterpretation der spanischen vernakulären Architektur bedeuten sowie auf eine Auseinandersetzung mit strukturalistischen Grundsätzen hinweisen. Vielen dieser Projekte liegt eine Erforschung der Kombinationsmöglichkeiten von Kuben zugrunde. Diese Forschung lief unter dem Begriff der „City in Space“. 100 Die Projekte sind somit nicht zuletzt formale Experimente, wo immer wieder neues ausprobiert wird. Walden 7 zum Beispiel sei vor allem durch das Einführen der Diagonalen bedingt gewesen. 101 In dieser Zeit entwickelt Bofill auch

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seine persönliche Geschichte der Architektur, in der Frank Lloyd Wright zu einer wichtigen Referenz und Mies van der Rohe zur Hassfigur wird. 102 Bei gewissen dieser Projekte erschienen erste Hinweise auf plakativere Anleihen der Vergangenheit wie Rundbogenfenster oder prominent hervorstechende Giebeldächer. Erst im Kontext seiner Projekte in Frankreich aber macht Bofill explizite Hinweise auf die Geschichte, indem Wohnanlagen wie barocke Paläste und Gärten inszeniert werden, wenn auch mit vorfabrizierten Säulen, Friesen und Spiegelglas. Diese Verweise werden zum dominanten Thema. Die Rechtfertigung von Bofill für diese unmittelbare Anleihe ist, dass zu jenem Zeitpunkt kein technischer Fortschritt mehr möglich gewesen sei. War in der Vergangenheit jeweils einhergehend mit einer technischen Neuerung – Materialien, Konstruktionstechniken – auch ein neuer Architekturstil entstanden, so kann vor dem Hintergrund des Fehlens eines solchen Fortschritts auch kein neuer Stil entstehen. Man dürfe sich entsprechend aus der Geschichte der Architektur bedienen, um daraus das Beste zu machen. 103 Architektur wird damit zu einem Spiel mit der Geschichte, die das Äußere der Architektur betrifft. 104 Es ist diesbezüglich bemerkenswert, dass in allen Publikationen zu diesen Projekten kein einziger Wohnungsgrundriss gezeigt wird: Das würde einerseits eine Entzauberung des Spiels der Fassaden bedeuten, da sich hinter den großzügigen Fassaden und Straßenräumen kleinteilige Wohnungen verbergen, andererseits die Aufmerksamkeit von den Fassaden und Straßenräumen wegnehmen. Es ist keinesfalls überraschend, dass Bofill ebenfalls den Begriff des Stils verwendet und betont, dass das Ziel der Architektur die Monumentalität sei, wobei für ihn Architektur nur monumental sein könne, ansonsten sei sie keine Architektur. 105 Es handelt sich aber hier natürlich um eine andere Monumentalität als bei Rossi oder Kahn. Das Resultat soll verwirren: Man befinde sich vor etwas, das bekannt, aber doch anders ist, nicht wegen der Form oder des Bildes, sondern wegen der Funktion – es handelt sich meistens um Sozialwohnungen –, die sich hinter dieser Form befindet. 106 Der Wechsel nach Frankreich sei einem glücklichen Zufall zu verdanken gewesen, da die für die Villes nouvelles politisch Verantwortlichen seine Gebäude in Spanien kennengelernten und ihn daraufhin zur Arbeit nach Frankreich eingeladen hätten. 107 Die ersten Erfahrungen waren aber eher frustrierend: Das Projekte für die petite Cathédrale in Bercy wurde nicht ausgeführt, sein Projekt für die Halles in Paris wurde nach dem Baubeginn wieder abgerissen. Trotzdem schaffte es Bofill, sich für eine Reihe von Aufträgen zu empfehlen, nicht zuletzt weil er seine Sprache vereinfachte: War das Projekt für die petite Cathédrale noch der Versuch, den Raum gotischer Kathedralen zu abstrahieren und nicht explizit umzusetzen, wie dies bereits bei Walden der Fall gewesen war, so versuchen die folgenden Projekte nicht mehr, subtil mit der Geschichte

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer?

umzugehen, sondern werden zu Maskenträgern, was sich auch besser verkaufen lässt und den Wünschen der Investoren entspricht. Abbildung 27, Ricardo Bofill, Les Espaces d’Abraxas, Marne-la-Vallée, Frankreich, 1982

Angesichts der räumlichen Qualität der ersten Projekte erstaunt es nicht, dass Bofill in seiner Theorie einen großen Wert auf Raum legt. Beeinflusst worden sei er dabei vor allem durch das Buch Architecture as Space. How to look at Architecture von Bruno Zevi (Original 1948, englische Übersetzung 1957), wo die Geschichte der Architektur aus dem Blickwinkel einer (für Zevi noch fehlenden) Raumtheorie erzählt wird. 108 Auch über die Kategorie Raum erklärt er seine französischen Projekte: Es gehe dabei aber nicht mehr um Innenräume, sondern um Außenräume, wobei er dem modernistischen Entwerfen mit Volumen – er spricht das Projekt von Brasilia an – das eigene Entwerfen mit Freiräumen entgegenhält. 109 Der Raum dieser Projekte wird dabei ein „Zuschauerraum“, bei dem die Architektur in Szene gesetzt wird, die Architektur Theater spielt. Die Stadt wird durch die Architektur zu einem Theaterraum für das tägliche Leben der Menschen. 110 Raum sei damit nichts anderes als das Spiel zwischen Volumen und Leere, und das gelte es zu beherrschen. 111 Bofill sieht sich dabei als Teil der Postmoderne-Bewegung – er nennt diesbezüglich Philip Johnson, Michael Graves, Richard Meier, Robert A.M. Stern und Frank Gehry in den USA, Mario Botta, Aldo Rossi, Hans Hollein, James

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Stirling und Leon Krier in Europa –, ihnen gemeinsam sei der Glaube, dass die Architektur nicht erst 1920 begonnen habe, sondern eine 9000 Jahre alte Geschichte habe, die man als Architekt berücksichtigen müsse. 112 Portoghesi und Bofill zeigen zwei sehr unterschiedliche Arten des Umgangs mit der Geschichte und begründen diese auch sehr unterschiedlich, beide aber – und darin sind sie Kinder ihrer Zeit – betonen die Notwendigkeit, an das architektonische Erbe der Vergangenheit anzuknüpfen, weil dieses zum räumlichen Ausdruck der Gesellschaft, für die sie bauen, gehöre.

A NMERKUNGEN 1 | Nerdinger, Winfried, „Studiere die Architekten, bevor du Architektur studierst“, in: Nerdinger, Winfried, Der Architekt, Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, Band 1, München: Prestel, 2012, S. 9. 2 | Schumacher, Fritz, Das Bauschaffen der Jetztzeit und historische Überlieferungen, Leipzig: Eugen Diederichs,1901, S. 27. 3 | Langbehn, Julius, Rembrandt als Erzieher [1890], Edition Mabilia, 2013, S. 19–20. 4 | „Well, Lieber Meister was in himself advice. He didn’t have to give me any advice. He was advice. He was an advice. Just working with him, and being with him.“ Zitiert in: Peter, John, The oral history of modern architecture. Interviews with the Greatest Architects of the Twentieth Century, New York: Harry Abrahams, 1994, S. 115. 5 | Ebd., S. 125. 6 | Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, übersetzt und mit Anmerkung versehen von Dr. Curt Fensterbusch [1964], Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987, S. 27. 7 | Alberti, Leon Battista, Zehn Bücher über die Baukunst, ins Deutsche übertragen, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen durch Max Theuer, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1975. 8 | So zum Beispiel bei Brinckmann: „Erst um 1600 beginnt man sich auch den literarischen Vorbildern gegenüber selbstständiger zu fühlen, nachdem lange Michelangelo die antike Formensprache durchbrochen [hatte].“ Brinckmann, A. E., Platz und Monument. Untersuchungen zur Geschichte und Ästhetik der Stadtbaukunst in neuerer Zeit, Berlin: Ernst Wasmuth A.-G., 1912, S. 29. 9 | Agache, Auburtin, Redont, Comment reconstruire nos cités détruites. Notions d’urbanisme s’appliquant aux villes, bourgs et villages, Paris: Libraire Armand Colin, 1915, S. 55.

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer? 10 | Muthesius, Hermann, Stilarchitektur und Baukunst. Wandlungen der Architektur und der gewerblichen Künste im neunzehnten Jahrhundert, Mühlheim an der Ruhr: K. Schimmelpfeng, 1903, S. 48. 11 | Zitiert in: Peter 1994, S. 13. 12 | Zitiert in: ebd., S. 149. 13 | Ebd., S. 84/85. 14 | Ebd., S. 88. 15 | Ebd., S. 101. 16 | Ebd., S. 108. 17 | Ebd., S. 105. 18 | Zitiert in: Kries, Matteo (Hg.), Louis Kahn – The Power of Architecture, Weil am Rhein: Vitra Design Museum, 2012, S. 262. 19 | Moravánszky, Ákos (Hg.), Aldo Rossi und die Schweiz: architektonische Wechselwirkungen, Zürich: gta, 2011. 20 | Herzog & de Meuron, Basel: Wiese, 1989, S. 56. 21 | Sedlmayr, Hans, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit [1948], Salzburg: Otto Müller, 1951, S. 47. 22 | Krens, Thomas, „Vorwort“, in: Johnson, Eugene J., Charles Moore. Bauten und Projekten 1949–1986 [1986], Stuttgart: Klett-Cotta, 1987, S. 11. 23 | Venturi, Robert, Komplexität und Widerspruch [1966], Braunschweig/ Wiesbaden: Vieweg, 1993, S. 23. 24 | Scully, Vincent, „Introduction“, in: Venturi, Robert, Complexity and Contradiction in Architecture [1966], New York: The Museum of Modern Art, 1977, S. 10. 25 | Jencks, Charles, The Language of Post-modern Architecture, London: Academy edition, 1977. 26 | Krumbholz, Werner, Das Ende des Zeitalters der Kulturen, München: Buch & Media, 2010, S. 74/75. 27 | Bosworth, Jr., F.H., Jones, Roy Child, A Study of Architectural Schools, for the Association of Collegiate Schools of Architecture, New York: Charles Scribner’s Sons, 1932, S. 33. 28 | Wick, Rainer K., „Kunstschulreform 1900–1933“, in: Johannes, Ralph, Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Geschichte – Theorie – Praxis, Hamburg: Junius, 2009, S. 588. 29 | Klinkott, Manfred, „Der Rundbogenstil von Heinrich Hübsch und sein Einwirken auf die Berliner Profanarchitektur“, in: Heinrich Hübsch, 1795–1863. Der große Baumeister der Romantik, Karlsruhe: C. F. Müller, 1983, S. 140. 30 | Ebd., S. 140/141. 31 | Kambartel, Walter, Symmetrie und Schönheit. Über mögliche Voraussetzungen des neueren Kunstbewusstseins in der Architekturtheorie Claude Perraults, München: Wilhelm Fink, 1972.

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Metageschichte der Architektur 32 | De Saint-Maux, Viel, Première Lettre sur l’architecture. A Monsieur Le Comte de Wannenstin, Bruxelles, 1779–1784, S. 14. 33 | De Saint-Maux, Viel, Seconde Lettre sur l’architecture. A Monsieur Le Duc de Luxembourg, Bruxelles, 1779–1784, S. 27/28. 34 | Faré, Michel (Hg.), Charles F. Viel de Saint-Maux, Lettres sur l’architecture des anciens et celle des modernes [1787], Genève: Minkoff Reprint, 1974, S. iv. 35 | Vogt, Adolf Max, „Einführung“, in: Wyss, Beat (Hg.), Etienne-Louis Boullée. Architektur – Abhandlung über die Kunst. Zürich: Artemis, 1987, S. 19/20. 36 | Ebd., S. 32/33. 37 | Wilton-Ely, John, „Giovanni Battista Piranesi“, in: Denison, Cara D. et al. (Hg.), Exploring Rome. Piranesi and His Contemporaries, Cambridge: MIT Press, 1993, S. xxvi. 38 | Tafuri, Manfredo, La sfera e il labirinto. Avanguardie e architettura da Piranesi agli anni ’70, Turin: Giulio Einaudi Editore, 1980. 39 | Ebd., S. 40. 40 | Ebd., S. 55. 41 | Ebd., S. 50. 42 | Ebd., S. 67. 43 | Ebd. 44 | Zitiert in: Kries 2012, S. 255. 45 | Tentori, Francesco, „Il passato come un amico“, in: Casabella, Nr. 275, Mai 1963, S. 27-41. 46 | Louis I. Kahn, a+u, 1975, S. 280. 47 | Wiseman, Carter, Louis I. Kahn. Beyond time and style, New York: W.W. Norton & Company, Inc., 2007. S. 7. 48 | Peter Eisenman, zitiert in: Levine, Neil, „Kahn als Provokateur. Der Historismus des Trenton Jewish Community Center“, in: Kries 2012, S. 102. 49 | Kries, Matteo, „Vorwort“, in: Kries 2012, S. 11. 50 | Frampton, Kenneth, „Louis Kahns französisches Erbe“, in: Kries 2012, S. 115–132. 51 | Gulgönen, Ahmet, Louis I. Kahn et l’influence des Beaux-arts, traduit de l’anglais par Roland Matthu, deuxième édition, Bruxelles: Institut Supérieur d’Architecture Saint-Luc, 1994. 52 | MacDonald, William L., Pinto, John A., Hadrian’s Villa and Its Legacy, New Haven: Yale University Press, 1995, S. 323/324. 53 | Scully, Vincent, „Works of Louis Kahn and His Method“, in: Louis I. Kahn, a+u, 1975, S. 297. 54 | Pelkonen, Eeva-Liisa, „Die Entdeckung der kognitiven Dimension der Architektur“, in: Kries 2012, S. 133. 55 | Louis Kahn, zitiert in: Anderson, Stanford, „Louis Kahn in the 1960’s“, in: Louis I. Kahn, a+u, 1975, S. 301. 56 | Kahn, Louis, „I love beginnings“, in: Louis I. Kahn, a+u, 1975, S. 281/282.

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer? 57 | Kahn, Louis, „Monumentalität“ [1944], in: Moravánszky, Ákos (Hg.), Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie, Wien: Springer, 2003, S. 436. 58 | Ebd., S. 437/438. 59 | Rossi, Aldo, „Introduzione a Boullée“ [1967], in: Bonicalzi, Rosaldo (Hg.), Aldo Rossi. Scritti scelti sull’architettura e la città. 1956–1972 [1975], Mailand: Città studi Edizioni, 1995, S. 347. 60 | Ebd., S. 349. 61 | Rossi, Aldo, „Tesi di laurea per un centro culturale e per un teatro a Milano, 1959“, in: Ferlenga, Alberto (Hg.), Aldo Rossi, architetture 1959–1987, Mailand: Electa, 1987, S. 22. 62 | Rossi, Aldo, „Introduzione“, in: Architettura razionale. XV Triennale di Milano. Sezione Internazionale di Architettura, Mailand: Franco Angeli Editore, 1973, S. 18. 63 | Rossi, Aldo, „Una critica che respingiamo“ [1958], in: Bonicalzi 1995, S. 60. 64 | Rossi, Aldo, „Emil Kaufmann e l’architettura dell’illuminismo“ [1958], in: Bonicalzi 1995, S. 68. 65 | Melograni, Carlo, „Baraccati all’Università“, in: Controspazio N. 10-11, Oktober/November 1971, S. 2. 66 | Melograni, Carlo, „Il nodo della polemica é culturale“, in: Controspazio Nr. 10/11, Oktober/November 1971, S. 7. 67 | Rossi, Aldo, „Risposta a Melograni“, in: Controspazio Nr. 10/11, Oktober/ November 1971, S. 8/9. 68 | Portoghesi, Paolo, „il braccio secolare del funzionalismo“, in: Controspazio Nr. 10/11, Oktober/November 1971, S. 10. 69 | Rossi, Aldo, L’architettura della città [1966], Mailand: Clup, 1987, S. 5 und 7. 70 | Ebd., S. 27. 71 | Ebd., S. 32. 72 | Aldo Rossi zitiert in: Portoghesi, Paolo, Dopo l’architettura moderna, Bari: Giuseppe Laterza e figli, 1980, S. 183. 73 | Ebd., S. 186. 74 | Rossi, Aldo, „L’obiettivo della nostra ricerca. Lezione“, in: Facoltà di Architettura del politecnico di Milano, Gruppo di ricerca diretto da Aldo Rossi, L’analisi urbana e la progettazione architettonica, Mailand: clup, 1970, S. 13. 75 | Rossi, Aldo, „Introduzione a Boullée“ [1958], in: Bonicalzi 1995, S. 346, Übersetzung A.G. 76 | Rossi, Aldo, „Introduzione“, in: Architettura razionale. XV Triennale di Milano. Sezione Internazionale di Architettura, Mailand: Franco Angeli Editore, 1973, S. 20.

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Metageschichte der Architektur 77 | Aldo Rossi zitiert in: Scolari, Massimo, „Avanguardia e nuova architettura“, in: Architettura razionale. XV Triennale di Milano. Sezione Internazionale di Architettura, Mailand: Franco Angeli Editore, 1973, S. 180. 78 | Rossi, Aldo, „L’architettura della ragione come architettura di tendenza“ [1969], in: Bonicalzi 1995, S. 370/371. 79 | Ebd., S. 370. 80 | Aldo Rossi zitiert in: Portoghesi 1980, S. 185. 81 | Aldo Rossi zitiert in: ebd., S. 184. 82 | Rossi 1987, S. 166. 83 | Architettura razionale. XV Triennale di Milano. Sezione Internazionale di Architettura, Mailand: Franco Angeli Editore, 1973, S. 173. 84 | Rossi, Aldo, „Architektur für die Museen“ [1974], in: Moravánszky 2003, S. 450. 85 | Rossi, Aldo, A Scientific Autobiography, Cambridge: MIT Press, 1981, S. 84. 86 | Bofill in: James, Warren A., „Classicism and technology. Am Interview with Ricardo Bofill“, in: James, Warren A., Ricardo Bofill. Taller de Arquitectura. Buildings and Project 1960–1985, New York: Rizzoli, 1988, S. 188. 87 | „,Controspazio‘ non ignora il campo di autonomia dell’architettura ma rifiuta di farsene schermo in una situazione in cui l’evasione è il prezzo di ogni narcisismo e di ogni forma di abbandono.“ Portoghesi, Paolo, „Editoriale“, in: Controspazio, Nr. 1, Juni 1969, S. 7. 88 | Ebd. 89 | Portoghesi 1980, S. 20. 90 | Ebd., S. 27. 91 | Portoghesi, Paolo, „Architettura nata dall’architettura“, in: Moschini, Francesco (Hg.), Paolo Portoghesi, Progetti e disegni 1949–1979, Florenz: Centro Di, 1979, S. 15. 92 | Ebd., S. 16. 93 | Portoghesi, Paolo, Borromini. Architettura come linguaggio, Mailand: Istituto Editoriale Electa, 1967, S. 9. 94 | Ebd., S. 14. 95 | Ebd., S. 9. 96 | Norberg-Schulz, Christian, Alla ricerca del’architettura perduta. Le Opere di Paolo Portoghesi, Vittorio Gigliotti, 1959–1975, Rom: Officina Edizioni, 1975, S. 23. 97 | Hodgkinson, Peter, „A personal point of view“, in: Ricardo Bofill. Taller de Arquitectura, Braine-L’Alleud: Centre d’Art Nicolas de Staël, 1989, S. 13. 98 | Jameson, Fredric, Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism, Durham: Duke University Press, 1991. 99 | Ursprung, Philip, „Von der Rezession zur Stararchitektur und zurück – Der Architektenberuf seit den frühen 1970er-Jahren“, in: Nerdinger 2012, S. 234.

Lektion 1: Die Geschichte des Architekten: Wer? 100 | Bofill, Ricardo et al., Towards a formalization of the city in space, Barcelona: Editorial Blume, 1968, ohne Seitenangaben. 101 | Bofill, Ricardo. L’architecture d’un homme, Paris: Arthaus, 1978, S. 53. 102 | Ebd., S. 84. 103 | Ebd., S. 21. 104 | Ebd., S. 231. 105 | Bofill in: James, Warren A. „Classicism and technology. An Interview with Ricardo Bofill“, in: James 1988, S. 188. 106 | Bofill 1978, S. 23. 107 | Ebd., S. 110/111. 108 | Ebd., S. 79. 109 | Bofill, Ricardo, L’architecture d’un homme, Paris: Arthaus, 1978, S. 144/145. 110 | Bofill in: James 1988, S. 187. 111 | Ricardo Bofill. Taller de Arquitectura, Braine-L’Alleud: Centre d’Art Nicolas de Staël, 1989, S. 7. 112 | Bofill, Ricardo, „Introduction“, in: James 1988, S. 14.

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Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was? „[…] the powers, attributes and aims assumed by architects have often been at odds with reality.“ A NDREW S AINT, 19831 „Ah! Les architectes! Ils savent faire des palais, mais en pratique ils ne sont pas forts!“2

E INFÜHRUNG Wurde im vorherigen Kapitel die Geschichte des Architekten erzählt – im Sinne seines Bezugs auf die Geschichte der Architektur –, wird hier eine andere Geschichte erzählt: jene seiner Ausbildung und damit des Wissens, über das er seine Kompetenzen und damit auch sein Berufsbild artikulieren konnte. Damit geht auch eine Geschichte des Bildes des Architekten einher: die Selbstwahrnehmung des Architekten und seiner Wahrnehmung durch die Gesellschaft. Es muss betont werden, dass diese Geschichte des Wissens stark instrumentalisiert worden ist, um nicht nur die Selbstwahrnehmung – und überhaupt die Frage nach dem eigenen Standort –, sondern auch die Fremdwahrnehmung zu beeinflussen. Die Geschichte der Architektur wurde zu oft nur aufgrund der Traktate und Bücher von den Architekten selbst geschrieben und hat sich zu wenig mit den ökonomischen und sozialen Hintergründen auseinandergesetzt, die deren Ansprüchen meist entgegenwirkten. Die Geschichte der Architektur war nicht zuletzt – und davon berichtet teilweise dieses Kapitel – die Geschichte einer Emanzipation des Architekten von den am Bauprozess beteiligten Instanzen mit dem Ziel einer „reinen“ und „autonomen“ Baukultur. Der Architekt war also stets bemüht, an der Geschichtsschreibung der Architektur teilzuhaben und diese zu steuern. Gerade die Architekten der Moderne, vor allem die rhetorisch bewandten wie Le Corbusier, waren nicht nur bedacht, ihre Ideen als die einzig möglichen zu verkaufen, sondern, da-

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mit verbunden, auch die eigene Position zu heroisieren. Sie stellten sich dabei oft als „Künstlerarchitekten“ dar (oder, wenn der wissenschaftliche Anspruch überwog, als „Labor-Architekten“), aus denen, so Werner Oechslin, in „konsequenter Zuspitzung und Übersteigerung“ Stararchitekten wurden.3 Dabei sei nochmals auf die Rolle der Architekturhistoriker im Etablieren eines solchen Berufsbildes verwiesen. Das Stilisieren des Berufsbildes als „Künstlerarchitekt“ war dabei nicht zuletzt eine Reaktion auf das Auftreten des Ingenieurs, der dem Architekten einen Teil seines Berufsfeldes weggenommen hatte. In der Kunst wurde einer der wenigen möglichen Anhaltspunkte gefunden, um den „Architekten“ in Abgrenzung zu allen anderen am Bau beteiligten Akteuren zu definieren. 1852 warnte Viollet-le-Duc, dass die Architektur in zahlreiche Spezialgebiete zu zerfallen drohe, von denen das einzig lebendige das der Ingenieure sei. Es bestehe die Gefahr, dass diese alle andere Äste der Architektur verschlinge und am Ende nur noch ein nackter Stamm übrigbleibe. 4 Abbildung 28, Natalie Fussi, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

Der Architekt hatte grundsätzlich drei mögliche Betätigungsfelder: als Privatarchitekt – wie ein selbstständiger Architekt in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert genannt wurde –, als Mitarbeiter (oder Leiter) in einem Unternehmen und als Beamter. Diese drei Formen der Ausübung des Architekturberufs lassen sich spätestens ab dem Spätmittelalter gleichmäßig verfolgen,

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

wobei Architekten im Laufe ihres Lebens auch das Feld gewechselt haben und Mischformen dieser drei Kategorien möglich waren. Betrachtet man nun die Geschichte der Architektur, so wird grundsätzlich nur die Geschichte des Privatarchitekten als Künstler erzählt, während die Beiträge der anderen beiden Kategorien verdrängt werden, weil sie einerseits nicht zum Bild des heroischen Künstlerarchitekten passen und man andererseits davon ausgeht, dass ein Architekt, der als Unternehmer oder für einen Unternehmer oder als Beamter tätig ist, nicht kreativ sein kann. Dabei übersieht man leicht, dass großartige Architekten, wie zum Beispiel Balthasar Neumann (1687–1753), Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) oder David Gilly (1748–1808), Beamte waren. Es kann hier nicht der Ort sein, um die Bedeutung ihrer Eingliederung in die Verwaltung zu besprechen, es sei nur betont, wie die offizielle Geschichtsschreibung dies, wenn sie es überhaupt erwähnt, als nebensächliche Tatsache verdrängt. In der Architekturgeschichte ging es dabei einerseits darum, das unangenehme Materielle auszuklammern (das immer wieder von Spekulanten und Unternehmern besetzt worden war), indem man die Architektur im Reiche der Theorie emporgehoben hat; andererseits ging es aber auch darum, die eigene Vorherrschaft gegenüber den anderen Mitstreitern, seien es Laien-Architekten oder auch Geometer oder Ingenieure, wie das Hélène Lipstadt für den französischen Kontext erläutert hat, zu untermauern, selbst wenn dies nicht der Realität des Berufs entsprach.5 Man denke nur an den Umstand, dass in Frankreich in dem von Napoléon Bonaparte eingeführte Code civil ab 1804 keine Unterscheidung zwischen Unternehmer und Architekten getroffen wurde. Es ist somit nicht überraschend, dass viele Architekten – und dies nicht nur in Frankreich – auch als Unternehmer tätig waren, was oft der einzige Weg war, die eigene Existenz zu sichern. Diesbezüglich muss betont werden, wie der Architekt immer von einem Auftraggeber abhängig war, auch wenn diese Abhängigkeit meist an den Rande der Selbstwahrnehmung des Architekten als Künstler-Genie super partes gedrängt wurde, obwohl es nur für wenige außerordentliche Persönlichkeiten wie Michelangelo – den Louis Sullivan (1856-1924) mit Bewunderung „Super-Man“ nannte6 – bedingt galt. Diese besondere Stellung zeigt uns ein Bild von Domenico Cresti da Passignano, in dem Michelangelo dem Papst Paul IV. das Modell für die Fertigstellung von St. Peter vorführt. Radikal ist hier die Tatsache, dass Michelangelo vor dem Papst steht und mit seiner Hand deutlich die Urheberschaft des Projekts unterstreicht, was bisher immer dem Papst zugestanden hätte. Es liegt auch an dieser Abhängigkeit, dass der Architekt so lange gebraucht hat, eine eigenständige Ausbildung und ein eigenständiges Berufsbild zu entwickeln.

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Paradigmatisch für die instrumentalisierte Lesart der Vergangenheit stehen die verschiedenen Lektüren der Rolle und Stellung des Architekten im Mittelalter. Bleibt bis heute die Frage offen, wie sich der Bauprozess im Mittelalter genau abgespielt und welche Rolle der Baumeister – sei es der weltliche oder der geistliche –, darin eingenommen hat, so wissen wir heute zumindest, dass es sich weder um den eigenständigen Künstlerarchitekten noch um den völlig gemeinschaftlichen und anonymen Prozess der Bauhütte gehandelt hat.7 Dennoch wurden in der Architekturgeschichte meistens gerade diese beiden Extreme für den mittelalterlichen Architekten postuliert. So wurde in der Auseinandersetzung mit der industriellen Revolution gerade diese letztere Form von handwerklicher Bauhüttengemeinschaft als Referenz für die Ablehnung der maschinellen Produktion und für die Rückkehr zum Handwerk gesehen, wie bei John Ruskin (1819–1900) und der von ihm beeinflussten Arts and Crafts-Bewegung. Die andere Lesart des Mittelalters hingegen findet sich zum Beispiel im Sturm und Drang. Dessen wichtigster Vertreter, Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), konnte die Leistung des Baumeisters Erwin von Steinbach beim Bau der Kathedrale von Straßburg nicht genügend loben – als romantisches Genie8 –, wobei er ihn als einzigen Urheber stilisierte, was nicht der Wirklichkeit entsprach, wo doch verschiedene Baumeister gewirkt hatten und das Hauptschiff bereits vor der Ankunft von von Steinbach im Bau war.9 Auch Fernand Pouillon (1912–1986) widersteht nicht, in seinem im Exil geschriebenen Roman Singende Steine, der die fiktive Geschichte des Baumeisters Wilhelm Baltz sowie den Entwurf und die Ausführung des Zisterzienserklosters Le Thoronet (1160–1176) erzählt, diesen als Künstler-Genie zu stilisieren. Zwar betont er das gemeinschaftliche Klima der mittelalterlichen Bauhütte und unterstreicht auch, wie die Motivation für das Errichten des Werks eine geistig-religiöse sei, dennoch wird Baltz – und mit ihm natürlich auch Pouillon selber – so dargestellt, als ob nur er den tieferen Sinn seines Entwurfs verstehen würde, der aus Instinkt und Erfahrung besteht. Entsprechend muss er sich immerzu rechtfertigen und seine Entscheidungen geduldig erklären. 10 Ein weiterer literarischer Versuch, den mittelalterlichen Baumeister darzustellen, stammt von Erfolgsautor Ken Follett (geb. 1949), der 1989 mit seinem Roman The Pillars of the Earth (Die Säulen der Erde) einen großen Erfolg feierte. 11 Darin wird die Geschichte um die Errichtung der fiktiven Kathedrale von Kingsbridge und der darin beteiligten Personen, allen voran Tom Builder, ein Maurermeister, der mit dem Bau beauftragt wird, dargestellt. Ken Follett hatte begonnen, sich für gotische Kathedralen zu interessieren, als er noch Journalist war, und hat sich nicht zuletzt durch die Lektüre eines Buches des Architekturhistorikers Nikolaus Pevsner mit dem Thema des Kathedralenbaus

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

auseinandergesetzt. Sein Wissen vertiefte er dann mit der Lektüre der Bücher des Mittelalterspezialisten Jean Gimpel. Die Figur von Tom Builder wird von Follett dabei keineswegs als romantisches Genie dargestellt, sondern als eine, die sich innerhalb der Tradition eines Berufs Fragen stellt und die Architektur zu verbessern versucht. Bemerkenswert ist, wie in der Verfilmung von 2010 Tom Builder hingegen, wenn auch gerade in Bezug auf die Technik äußerst nahe an der Vorlage bleibend, deutlich als „Schöpfer“ der Kathedrale dargestellt wird, der den Entwurf in einem Genie-Einfall verwirklicht. Im Film musste seine Figur also „heroisiert“ werden.

Der Architekt und die Macht Der Architekt hängt von einem Auftraggeber ab, sei es eine Verwaltung, eine Privatperson oder ein Unternehmen. Viele Enttäuschungen diesbezüglich musste der Held der Moderne, Le Corbusier, verkraften. Seine wunderbare Abrechnung mit dem amerikanischen Städtebau und der Hochhausstadt in Quand les cathédrales étaient blanches (1937) 12 war nicht nur durch die überzeugte Überlegenheit seines eigenen Hochhausstadt-Modells bedingt, sondern auch weil er bei seiner Reise in die Vereinigten Staaten keine Aufträge erhalten hatte. Die Entfernung von Le Corbusier aus der Werbung der UBS 2009, nach Protesten wegen dessen anti-semitischer Haltung – die Stanislaus von Moos in einem Zeitungsartikel klar relativiert hat 13 –, hat wieder einmal die Frage nach der moralischen Rolle der Architekten in ihrem Verhältnis zu den Machthabern aufgerollt, wobei keiner den Pakt mit dem Teufel so vollendet hat wie Albert Speer (1905–1981), Hitlers Architekt, später sogar sein Rüstungsminister. In diesem Zusammenhang spricht aber selten jemand vom Beaux-Arts-Architekten Eugène Beaudouin (1898–1983), der nicht die geringsten Bedenken hatte, für das Vichy-Regime zu arbeiten und im Gegensatz zu Le Corbusier, der sich erfolglos darum bemüht hatte, viele Aufträge erhielt, darunter ein Entwicklungsplan für die Stadt Marseille. 14 Es gibt dafür genügend Beispiele, die man zitieren könnten, wie jenes von Giuseppe Valadier (1762–1839), dem Architekten, der unter anderem für den endgültigen Zustand der Piazza del Popolo in Rom verantwortlich war. Dieser hatte offenbar keine Schwierigkeiten damit, in der Zeit um 1800 zunächst dem Papst, dann den Franzosen, die Rom besetzt hatten, und anschließend, nach dessen Rückkehr, wiederum dem Papst bedingungslos zu dienen. Das Verhältnis zur Macht war immer ein gefährliches und zeigt auch, dass die Frage um die Urheberschaft nicht ohne Kompromisse geführt werden kann. Eine bemerkenswerte Episode in diesem Zusammenhang erzählt der römische Politiker Lucius Cassius Dio Cocceianus (um 163–nach 229) in seiner

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Römischen Geschichte über den Architekten Apollodoros und Kaiser Hadrian, der Ersteren, nachdem er des Kaisers Entwurf kritisiert hatte, umbringen ließ. 15 Kaiser Hadrian steht dabei als Vertreter für den Laien-Architekten, gegenüber dem der Architekt, wenn er nicht zu Rate gezogen wird, immer wieder seine Autorität beweisen muss. Dieses Verhältnis verlangte und verlangt grosses politisches Geschick und Fingerspitzengefühl. Der Architekt Jules Hardouin-Mansart (1646–1708) soll dem König absichtlich schlechte und unvollständige Pläne vorgelegt haben, damit dieser sie korrigieren und Mansart ihn als guten Architekten loben könne. 16 Diese manipulierbare Realität des Berufs und die Abhängigkeit des Architekten von einem Auftraggeber (der möglicherweise nicht gerade sozial eingestellt ist) besteht natürlich noch heute. Der im Starsystem agierende Architekt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde diesbezüglich durch das Auflösen der Staatsgrenzen – im Sinne des Empire von Michael Hardt (geb. 1960) und Antonio Negri (geb. 1933), 17 wo eben keine Staaten mehr das Sagen haben, sondern international agierende Netzwerke und Corporations – begünstigt, geht es hier doch nicht mehr um die klar definierte Figur eines Auftraggebers, sondern um ein anonymes global brand. Dieses brand bemächtigt sich seinerseits der Bilderwelt des Architekten, um Sehnsüchte und Wünsche zu artikulieren. Es ist kein Zufall, dass der Soziologe Mike Davis (geb. 1946) in seiner aufsehenerregenden Untersuchung über die Zerstörung von Privatraum in Los Angeles, City of Quartz (1990), Frank Gehry (geb. 1929) angreift und in Anspielung auf einen Film mit Clint Eastwood als „Dirty Harry“ bezeichnet, weil dieser eine aktive Rolle bei der Zerstörung gespielt und keine moralischen Bedenken gehabt habe, auch mitzuspielen. Es sei dahingestellt, inwiefern diese Kritik, die nicht zuletzt auf einer ästhetischen Ebene aufgebaut wird, gerechtfertigt ist. 18 Das Gleiche gilt natürlich heute in Bezug auf Aufträge für einen undemokratischen Staat wie China. Dennoch, der Architekt will und muss bauen, und entsprechend ist die Auseinandersetzung mit einem solchen Auftraggeber unumgänglich. Gerade das Verhältnis zum Kunden gehört zu den größten Herausforderungen für einen Architekten. Im Film Mister Blanding Builds his Dream House von 1948 mit Cary Grant in der Hauptrolle wird das Leben eines Ehepaars auf der Suche nach einer neuen Bleibe gezeigt: Ist zu Beginn nur die Rede davon, das bestehende Apartment zu erweitern, wird in der Folge ein heruntergekommenes Haus in Connecticut ersteigert mit der Absicht, es zu renovieren. Als sich aber alle Experten einig sind, dass das Haus abgerissen werden muss, wendet sich das Ehepaar an einen Architekten, um ein neues Haus bauen zu lassen. Die Auseinandersetzung mit dem Architekten ist höchst skurril: Präsentiert Letzterer einen Vorschlag, überarbeitet und ergänzt das Ehepaar diesen um

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

die eigenen unerfüllbaren Ansprüche und transformiert den Vorschlag in eine unrealisierbare Kunden-Fantasie. Die Geschichte der Architekten, wie sie von Architekten selbst oder von architekturbegeisterten Kunsthistorikern (Andrew Saint spricht diesbezüglich von „architects-manqués“, 19 um zu betonen, dass es sich dabei oft um Historiker handelt, die gerne Architektur studiert hätten) erzählt wird, klammert also vieles aus, besonders das Ökonomische, und schließt vor allem aus, was nicht zum etablierten Bild passt. Hélène Lipstadt hat in ihrer oben bereits erwähnten Studie zum Streit zwischen Architekten und Ingenieuren in Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert gezeigt, wie dieser Streit, der übrigens nur einseitig war, weil die Ingenieure auf die Polemiken der Architekten nie reagiert haben, nur dazu diente, den eigentliche Streit zwischen den Architekten untereinander zu übertönen. Es ging um den Streit zwischen „freien“ Architekten und im Staats- oder städtischem Dienst stehenden Beamten sowie Architekten, die für Bauunternehmer arbeiteten. Diese Polemik wurde gezielt mittels der in dieser Zeit entstehenden Zeitschriften ausgetragen, die die publizistische Macht hatten, zu entscheiden, was Architektur sei und was nicht. Noch heute gibt es zwei Sorten von Architekturpublikationen: jene für Architekten – AD, Domus, Casabella usw. – und jene für Laien, die kein Architekt liest und in denen Architektur nur über Bilder vermittelt wird, meist ohne irgendwelche Grundrisse oder Schnitte – wie Schöner Wohnen usw. Die Vermittlung des offiziellen Bildes des Architekten und dessen, was „gute“ Architektur sei, liegt nach wie vor größtenteils in den Händen der Architekten selbst, und was nicht passt, wird ausgeklammert bzw. überheblich belächelt. Die Konsequenz ist die, dass fast ausschließlich Architekten zu den Lesern dieser Zeitschriften gehören, die sich selbst fast autistisch in ihrer sich immer wiederholenden Sprache von der Gesellschaft abgrenzen. Kritik an Projekten wird heutzutage kaum mehr geäußert, alles versinkt in einer schalen und selbstgefälligen Architekturkritik-Rhetorik.

Das Bild des Architekten Beginnen wollen wir nun mit dem Bild des Architekten, bevor wir uns dem eigentlichen Thema, dem Wissen des Architekten, widmen, wobei, wie betont, das eine das andere auch bedingt. Je nachdem, wie erfolgreich die Architekten bei der Umgestaltung der Umwelt waren, desto mehr kamen sie ins Rampenlicht und wurden dabei gelobt oder kritisiert. Tiefpunkt dieser Entwicklung waren wohl die 1970er-Jahre, als die von Architekten entwickelten Großsiedlungen zu sozialen Brandherden wurden mit Problemen, die man nicht zuletzt auf die Architektur selber zurückführte. Entsprechend deklarierte Charles Jencks 1977 das Ende der Moderne mit der Zerstörung der Pruitt-Igoe-Siedlung des Architekten Minoru Yamasaki (1912–1986) 1972 in St. Louis aufgrund der

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unhaltbaren sozialen Probleme, die sich dort entwickelt hatten. Wie nicht zuletzt eine vor kurzem gedrehte Reportage gezeigt hat, 20 war die Schuld nicht nur bei den Architekten zu suchen, sondern verantwortlich war auch die nicht realisierte oder nicht angepasste Infrastruktur. Diese hatte erst am Ende des Bauprozesses realisiert werden sollen, wurde aber aufgrund fehlender Gelder nicht ausgeführt. Die Schuld an einem Scheitern derartiger Großprojekte aber liegt auch ganz allgemein in einer verfehlten Politik, die von einem steten Wachstum der Stadtbevölkerung ausgegangen war und die enorme Auswanderung in die Suburbs nicht berücksichtigt hat – eine zum Teil selbstverschuldete bzw. politisch gesteuerte Realität –, sowie ganz allgemein an enormen Veränderungen in der gesellschaftlichen und sozialen Struktur, die zur Auflösung traditioneller Familienstrukturen geführt haben. Im Kontext der französischen Banlieues wurde diese Entwicklung durch die Segregation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (besonders aus den ehemaligen Kolonien) beschleunigt und auch hier wurde und wird noch die Sprengung der barres medial wirksam in Szene gesetzt. Die Großsiedlungen nach CIAM-Modell fielen also in eine Zeit allgemeiner Auflösung sozialer Strukturen, was einer der Hauptverursacher dieser Probleme war. Dennoch lässt sich die fehlende Identität dieser Großformen auch auf die Architektur und Stadtplanung zurückführen. Ein an sich banales Stichwort fällt dabei immer wieder: Langeweile. Auch Jane Jacobs (1916-2006), die wohl luzideste Kritikerin dieser Wohnformen, argumentiert nicht zuletzt mit der Langweile, um den Städtebau – den sie „Raubbau“ nennt – zu kritisieren. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem „wahre[n] Wunder an Langeweile und Uniformität“.21 Dennoch hat die Kritik der Langeweile im Städtebau Tradition. 1870 zum Beispiel betont Ernst Bruch, wie die Entwicklung von Berlin auf Uniformität und damit auf Langeweile ziele.22 Bruch spricht auch von Licht, Luft und Sonne – den Kampf begriffen des Städtebaus von Le Corbusier – und ist dabei bei weitem nicht der Erste, der die Argumente von Le Corbusier vorwegnimmt. War eines der Bilder, mit denen Le Corbusier von den Vorteilen seiner Idealstadtentwürfe überzeugen wollte, der Blick auf die Bürotürme von einer Caféterrasse aus – dargestellt noch ohne Menschen, aber natürlich mit Flugzeug –, muss man die Frage stellen, ob die zwei Frauen in der Realisierung dieser Vision in der Berliner Siedlung Gropius-Stadt von Walter Gropius (1962–1975) in einem fast gleichen setting – bis auf die detailgetreue Betonwand und die Bodenplatten des Cafés – nicht ebenfalls gelangweilt sind. Gelangweilt war Christiane F., die tragische Autorin des Buches Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1978), die in Gropius-Stadt aufgewachsen ist und von der Siedlung ein trauriges Bild zeichnet: „Gropiusstadt, das sind Hochhäuser für 45 000 Menschen, dazwischen Rasen und Einkaufszentren. Von weitem sah alles neu und gepflegt aus. Doch wenn man zwischen den Hochhäusern

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

war, stank es überall nach Pisse und Kacke. Das kam von den vielen Hunden und den vielen Kindern, die in Gropiusstadt leben. Am meisten stank es im Treppenhaus.“23 Vor allem hätten überall Verbote das Leben in der Siedlung bestimmt und jeglichen Spass verunmöglicht. Es sei aber betont, dass auch hier vieles den ursprünglichen Plänen von Gropius entgegengelaufen war. Abbildung 29, César Abin, Karikatur Le Corbusier, 1933

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Abbildung 30, Walter Gropius, Gropiusstadt, Blick vom Einkaufszentrum an der Wutzkyallee zu den Wohnbauten von Rolf Gutbrod, um 1970

Auch der französische Architekt Émile Aillaud (1902–1988) kritisierte diese Form von Wohnsiedlungen unter anderem mit dem Argument der Langeweile.24 Dagegen versucht er in seinen zahlreichen Siedlungen um Paris mit dem Einsatz von Farbe, Skulpturen und organischen Formen ein positives, identitätsreiches Umfeld zu schaffen und damit die Fähigkeit der Architektur, solche Probleme zu überwinden, zu betonen. Doch auch seine Gebäude wurden mit der Zeit zum Ziel der Zerstörungswut der Einwohner der Banlieues, die ohne Perspektive dort leben. Das architektonische Argument blieb somit erfolglos. Das soziale Argument hatte die Überhand gewonnen. Wenn heute Architekten als „Mörder“ bezeichnet werden, geht dieser Vorwurf einerseits auf diese Art von Planungen und das negative Bild, das sich in der Gesellschaft eingeprägt hat – das in Architekten die Hauptverantwortlichen für die Zerstörung und Verschandelung der gebauten und umgebauten Umwelt erkennt –, zurück, andererseits auf deren Komplizenschaft mit dem Empire in den letzten Jahrzehnten. Die Architekten haben anscheinend zu stark im Interesse der dominanten Klassen gewirkt und deren Ansprüche auf räumliche und vor allem symbolische Kraft entwickelt. Die gebauten Investoren-Projekte manifestieren dies auf eine solch deutliche, bildhafte Weise, dass der

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Architekt vor den unsichtbaren Machenschaften eines Bankers zur leichteren und konkreteren Zielscheibe wird. Abbildung 31, Émile Aillaud, La grande Borne, 1967–1971

Neben diesem auffälligen Bild des Architekten besteht ein anderes, positiveres, das sich vor allem auf seine charakteristischen „Eigenheiten“ bezieht: den Eigensinn, das lange Arbeiten, vor allem nachts, die schwarze Kleidung und seine Radikalität. Aufgrund dieser Eigenheiten, die gerade nach außen klar

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ablesbar sind, wurden und werden Architekten immer wieder in Karikaturen dargestellt. Darin werden diese Eigenheiten entsprechend übertrieben, so die Tatsache, dass Architekten sehr viel arbeiten und kaum an die Sonne kommen, dass sie sich in der Regel schwarz kleiden, oder ihre künstlerische Weltfremdheit, wie sie der Komiker Crozza in seinen Karikaturen des italienischen Architekten Massimiliano Fuksas (geb. 1944) herausstellt, in denen dieser als „Fuffas“ bezeichnet wird und dem Interviewer mit abstrusen Skizzen immer wieder etwas über die Architektur zu erläutern versucht. Fuffas, der deutlich in einer eigenen Fantasiewelt lebt, die kaum mit der realen Welt in Berührung kommt, wird dabei als Architekt, Designer und „Life stylist“ bezeichnet. Eine bemerkenswerte Karikatur lieferte auch die englische Gruppe Monty Python mit ihrem „Architect Sketch“, wo eine Gruppe von Investoren einen Architekten für einen Wohnblock aussuchen muss. Der erste Architekt, der sich vorstellt, ist eigentlich auf Schlachthäuser spezialisiert und entwirft eine Art Schlachthof-Wohnblock. Als die Investoren Bedenken äußern, braust der Architekt auf und beschimpft sie aufs Übelste, nur um dann zurückzurudern und zu bitten, sie mögen ihn den Freimaurern empfehlen. Der zweite Architekt macht zwar eine katastrophale Präsentation, bei dem sein Hochhaus-Modell zuerst teilweise einstürzt, dann Feuer fängt und schließlich explodiert, sein Projekt aber wird ausgewählt. Hier wird einerseits die Weltfremdheit, andererseits die Gier nach Aufträgen überhöht. Dass der Architekt oft ein etwas auffälliger Mensch ist, ist nicht neu. 1932 wird zum Beispiel in einem Bericht erläutert, dass der Architekturstudent als „verrückt“ wahrgenommen werde und seine Ausbildung kaum seriös sein könne, da er nachts arbeite und dabei sehr merkwürdige Musik höre.25 Abbildung 32, Sabina Bobst, Architekten sind Mörder, 2012

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Der Architekt gilt also als etwas verrückter Zeitgenosse, der gleichzeitig sowohl ein freier, selbstloser Künstler wie auch ein Diener des Kapitalismus ist. Diese Spannbreite zwischen dem Anspruch nach Verwirklichung von Idealen und dem Kompromiss in der Realisierung, nicht zuletzt mit jenen, die das Projekt bezahlen, ist typisch für die Architektur aller Zeiten.26 Während wir vor allem die Extreme kennen, ist die Großzahl der Architekten irgendwo zwischen diesen beiden Polen auf der Suche nach einer schwierigen Balance. Abbildung 33, Adolf Oberländer, Gotiker und Renaissancier, 1884

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Ein anderes System von Gegensätzen illustriert der Architekturhistoriker Jeffrey Schnapp in Bezug auf die Architektur der Moderne: Da ist einerseits der Künstler/Genie-Architekt, der die Welt nach seinen Plänen umgestalten wird – versinnbildlicht durch die Figur des Architekten Howard Roark aus dem Roman The Fountainhead (1943) –, andererseits der anonyme Architekt, der in einer Gruppe agiert. Er betont aber auch, dass die meisten Architekten beide Modelle irgendwie in sich tragen, das erste Modell im Starsystem der letzten Jahren jedoch besonders gut zum Tragen gekommen sei. Dabei sei das Bild des allgegenwärtigen Architekten so dünn wie Papier geworden, wie eine Plakatwerbung.27 Schnapp zählt weiter gewisse Attribute auf, die den modernen Architekten auszeichnen. Während die Kleidung oft nach den genannten Architekten-Vorbildern zu unterscheiden ist – von den Anzügen von Mies zu den bleus d’ouvrier von Hannes Meyer –, gibt es gewisse gemeinsame Merkmale, die sich durchgesetzt haben und unser Bild des Architekten prägen: der Querbinder (Fliege oder Papillon), die Pfeife aus Wurzelholz und die runde markante Brille von Le Corbusier, später von Philip Johnson anverwandelt. Abbildung 34,  R&Sie(n), 1998, „name / New-territories; Occupation / Architect-Dislike;Sex / Unclear; Age / Unclear; Last Scenario / Timidity Symptom: http://www.new-territories.com/blog/?p=1424; Last Speeches Bubbles / Obscenity: http://www.new-territories.com/blog/?p=1741“

Die Entwicklung des Architekten zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung lässt sich auch an den Porträts der Architekten ablesen. Vor allem in der Art und Weise, wie sie sich porträtieren lassen, zeigen sich ihre Ansprüche in Bezug auf Wissenschaftlichkeit oder auf sozialen Status. Schon Jean-Jacques Lequeu, der dritte der „Revolutionsarchitekten“, der selbst auch Karikaturen gezeichnet hat, parodierte dieses Medium in einer

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Reihe von Selbstporträts (unter anderem als Frau), um die eigenen Ansprüche zu vermitteln. Die bewusste Manipulation des Porträts gehört natürlich vor allem zum bereits angesprochenen Starsystem, das sich sehr genau ins Szene zu setzen weiß. So stellt sich Peter Eisenman im Bild mit einem Zirkel dar, ein deutlicher Verweis auf die Architekten der Renaissance und damit ein Spiel mit der Geschichte und der Wahrnehmung von Eisenman als radikaler Erneurer, der sich aber gleichwohl in eine Linie mit Alberti oder Brunelleschi stellt. Gegen diesen Personenkult und die bewusste Manipulation des Bildes geht der Architekt François Roche mit einem „kollektiven Porträt“ aller Mitglieder seines Büro, die zu einem fiktiven Charakter überlagert werden, an. Eine Verschmelzung mit einem chimärenhaften Resultat, das in seiner Hässlichkeit die Schönheit und Konstruiertheit des gewöhnlichen Porträts entblößen soll.

Das Wissen des Architekten Ist das Porträt also ein zentrales Instrument für die bewusste Manipulation der Selbstdarstellung des Architekten, so bedeutet die Frage nach dem Wissen einen deutlich sichereren Indikator für das, was den Architekten tatsächlich ausmacht, das, was er wissen muss. Doch gerade hier ist Vorsicht geboten, weil viele der hier präsentierten Institutionen zwar eine wichtige Rolle in der Geschichte der Architektur einnehmen, meistens aber eine geringe Wirkung und wenig Einfluss auf den Alltag und die „Realität“ des Berufs hatten. Sie sind gerade deswegen von Bedeutung, weil sie zeigen, welches Ideal die Architektur angestrebt hat. Das Thema „Der Architekt und seine Ausbildung“ stellt sich in periodischen Abständen bemerkenswerterweise immer wieder, was beweist, dass sich die Architekten immer, wenn sie sich ihrer nicht ganz sicher sind, der Frage stellen, woher sie kommen und wer oder was sie sind. Betrachtet man die Geschichte des Berufs, so verfügen wir erst seit der Renaissance über genügend Quellen, um ein vollständiges Bild vermitteln zu können. Vor allem entsteht in der Renaissance die wohl erste geregelte Ausbildungsstätte für Architektur, die Accademia del Disegno. Zwar kennen wir verschiedene Namen von Architekten der Antike, wie Deinokrates, und sind uns bewusst, dass der Architekt eine über das Handwerk hinausgehende Ausbildung genossen haben muss, wir wissen aber nicht, wie er diese erlangte. Von verschiedenen Architekten wissen wir, dass sie eine gewisse Nähe zu den Machthabern hatten, auch gibt es Darstellungen des Architekten mit einem goldenen Stab als Attribut und mit seinen Werkzeugen – Winkel und Zirkel –, die beweisen, dass er über einen besonderen Status verfügte und sein Berufsbild damit einigermaßen klar umrissen war.28

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Die Differenzierung zwischen Ingenieur und Architekt aber fällt allgemein sehr schwer, da viele Architekten, bis ins 18. Jahrhundert, im Dienste des Staates und des Militärs standen, wie im Fall von Vitruv, des Urhebers der einzig überlieferten Quelle der Antike, den Zehn Büchern über Architektur, die kurz vor dem Jahr 0 verfasst worden sind. Vitruv vermittelt uns ein ausführliches Bild vom Wissen des Architekten, mit der berühmten Zweiteilung zwischen fabrica (Handwerk) und ratiocinatio (geistige Arbeit), die unterstreichen soll, dass sich der Architekt bereits vor dem Errichten eines Gebäudes eine Vorstellung davon zu machen habe, wie es einmal aussehen werde. Was den Architekt also ausmacht, ist nicht zuletzt diese Fähigkeit, zu abstrahieren und sich den Entwurf geistig vor Augen zu führen. Dieses Wissen beinhaltet zudem, dass er „im schriftlichen Ausdruck gewandt sein, des Zeichenstiftes kundig, in der Geometrie ausgebildet sein, mancherlei geschichtliche Ereignisse kennen, fleißig Philosophen gehört haben, etwas von Musik verstehen, nicht unbewandert in der Heilkunde sein, juristische Entscheidungen kennen, Kenntnisse in der Sternkunde und vom gesetzmäßigen Ablauf der Himmelserscheinungen besitzen [muss]“.29 Dieses Bild zeigt, wie der Architekt ein Mensch der Gesellschaft ist und sich nicht auf ein spezifisches Wissen beschränken sollte. Ein „Beweis“ dieser Tatsache findet sich in der Arbeit Unpacking My library, wo die privaten Bibliotheken einer Reihe von zeitgenössischen Architekten präsentiert werden. Die Buchauswahl, z.B. von Diller & Scofidio oder von Bernard Tschumi (es sei dahingestellt, inwiefern diese Auswahl „real“ und nicht „gestellt“ war), zeigt, wie Literatur, Literaturwissenschaft, Kunst und Kino genauso wichtig für deren Architektur ist wie Bücher über Architektur. Peter Eisenman behauptet diesbezüglich in einem Interview im Buch: „My main focus is literature, philosophy, and film. I do not believe you can do architecture and not have any ideas that come out of culture, in some way.“30 Die Schwierigkeit im Nachvollziehen der Berufsbildung des Architekten liegt unter anderem darin, dass lange Zeit auch Fürsten, Adlige oder Würdenträger der Kirche da und dort als Architekten bezeichnet werden, und zwar bis ins 15. Jahrhundert hinein.31 Später sind es Laien-Architekten, Handwerker und Unternehmer, die sich ebenfalls Architekten nennen, und dies bis ins 18. Jahrhundert hinein, wobei die Unterschiede von Land zu Land groß sind. Dieselbe fehlende Grenzziehung finden wir bei den Militärarchitekten, Ingenieuren und Geometern, die ebenfalls immer wieder auch als Architekten bezeichnet werden. Da der Architektentitel lange nicht geschützt gewesen ist – in der Schweiz ist er es bis heute nicht –, verwenden ihn immer wieder auch andere am Bau beteiligte Berufe. Ein wichtiger Schritt in der Etablierung der

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Disziplin war damit der Versuch, den Titel über die Gründung von Institutionen und Vereinen zu schützen.

D ER A RCHITEK T DER R ENAISSANCE Beginnt man mit der Ausbildungsgeschichte der Architekten in der Renaissance, muss davor gewarnt werden, nach einer klaren Trennungslinie zwischen dem „vorher“ und „nachher“ zu suchen: Viele Entwicklungen sind schleichend und bereits im Spätmittelalter entstanden, und die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe bleiben lange Zeit auch nach der Renaissance noch bestehen. Nikolaus Pevsner spricht entsprechend von den Vorläufer im Spätmittelalter als von einem „noch“, das aber gleichzeitig ein „schon“ ist.32 Trotzdem handelt es sich nach den „dunklen“ Zeiten des Mittelalters um eine Wiedergeburt des Menschen als Individuum, was nicht zuletzt in der Kunst zum Ausdruck kommt. Bereits Giorgio Vasari spricht von einem „Rinascimento“ – einer Neugeburt nach dem „gotico“ –, vor allem der Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt wird den Begriff der Renaissance verwenden, um jene Epoche einzugrenzen, die um das 15. Jahrhundert begonnen und den „Schleier“ des Mittelalters abgestreift hat.33 Diese Verschiebung des Menschen von einem religiös bedingten Jenseits zum metaphorischen Mittelpunkt wird paradigmatisch mittels einer Zeichnung von Leonardo da Vinci illustriert, der sich dabei auf eine Vorlage von Vitruv bezog. Hier wird ein Mensch in einen Kreis und ein Quadrat eingeschrieben. Der Bezug auf die Antike – in allen Fachrichtungen, Architektur inklusive – bedeutete den Versuch, eine neue Ordnung gegenüber der „Unordnung“ des Mittelalters aufzustellen. Texte wurden wiederentdeckt, übersetzt und eröffneten eine Welt und eine Wissensgeschichte, die im Mittelalter nur in den Klöstern überlebt hatte. In der Architektur war die Anlehnung an die antiken Vorbilder und deren Proportionssysteme, vermittelt über Vitruv, alles andere als eindeutig, weil man dieser einzigen Quelle teilweise misstraute und weil sie mit den ausgedehnten Untersuchungen der Architektur der Antike in Rom nicht immer übereinstimmte. Zwar strebte man nach einer allgemeingültigen Regel, gleichzeitig wollte man aber auch, im Sinne der künstlerischen Freiheit des Individuums, die Freiheit der Entscheidung gewähren und sich nicht vollkommen von den über Vitruv vermittelten Regeln bestimmen lassen. Es handelte sich also auch um eine „Kultur des Widerspruches“.34

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Diese wiedergefundene Identität und Emanzipation des Individuums und im erweiterten Sinne des Künstlers lässt sich anekdotisch an der Tatsache nachweisen, dass viele Architekten schon im 14. Jahrhundert ihre Projekte signieren, nicht zuletzt im Glauben, dies sei eine Tradition der Antike gewesen. Damit wurde der Anspruch erhoben, dass mit einem Gebäude auch der Architekt als Urheber assoziiert werden solle und nicht nur der Auftraggeber. Der Entfaltung des freien Künstlers im Allgemeinen und des Architekten im Spezifischen standen verschiedene Hindernisse im Weg: erstens musste dieser noch Mitglied einer Zunft sein, zweitens wurde Architektur zu diesem Zeitpunkt noch als ars mecanica außerhalb des von der Antike überlieferten Wissenssystems der artes liberales abschätzig gehandelt. Die artes bestanden aus einem Trivium – Logik, Rhetorik und Poetik – und einem Quadrivium – Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik (wobei die artes liberales auch unterschiedlich besetzt wurden) – und wurden oft als sich verjüngender Turm dargestellt, wo derjenige, der auf dessen Spitze steht, über das ganze Wissen verfügt. Die Architektur wird hier also als Metapher verwendet für ein System, dem sie nicht angehört. Die Architektur versuchte diese „Anpassung“ nicht zuletzt durch den Vergleich mit der Rhetorik und der Mathematik, beides artes liberales. Das war die politische Absicht hinter dem De re aedificatoria (1443–1452) von Leon Battista Alberti (1404–1472), dem wichtigsten Architekturtraktat der Renaissance. War dieses Bestreben weniger erfolgreich, weil sich dieses Wissenssystem mit der Zeit auflöste und seine Autorität verlor, so war der Weg zur Emanzipation von den Zünften umso erfolgreicher, wenn auch von kurzer Dauer beziehungsweise nur bedingt. Die Künstler der Renaissance mussten Mitglieder einer Zunft sein, um ihren Beruf ausüben zu können. Jede Kunst gehörte einer bestimmten Zunft an und der angehende Künstler musste eine von den Zünften festgelegte Ausbildung durchgehen, wobei der Vater einen Vertrag mit einem Meister abschloss, der damit für die Ausbildung seines Gehilfen verantwortlich wurde. Der Künstler war also zuerst Lehrling und wurde dann zum Mitarbeiter des Meisters in seiner „bottega“. Meistens wohnte er auch beim Meister, oft musste er diesen für die Ausbildung bezahlen. Der Meister durfte den Lehrling bestrafen, aber „sine sanguine effusione“, also ohne dass dieser blute.35 Die Zuteilung zu den Zünften folgte materialspezifischen Argumenten, so waren die Maler nach 1295 Mitglieder der „Zunft der Medici e Speziali, der Ärzte, Apotheker und Spezereihändler – welche letztere eben auch die Rohstoffe der Malerei, die Farbpigmente vertrieben“.36

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Die Goldschmiede waren Mitglieder der „Arte della Seta, in der auch die Goldschläger und Goldfädenspinner (für kostbare Paramentstoffe) als ein Bindeglied zwischen Goldschmiedekunst und Seidenweberei, mit ihnen sich zusammenfanden“.37 Diese beiden Zünfte gehörten den sogenannten sieben arti maggiori, den sieben wichtigeren Zünften, an. Bildhauer gehörten den „Arte dei maestri di pietra e legname“, den „Werkstätten für Holz-, Stein- und Marmorbearbeitung“, an.38 Diese wiederum gehörten den fünf arti minori, also „niedrigeren“ Zünften, an. Wechselte ein Künstler die Kunstgattung, so musste er auch die Zunft wechseln, wie Ghiberti, der 1408 noch bei den Goldschmieden, ab 1427 bei den Maestri di pietra e legname Mitglied war.39 Die Spannung zwischen dem Künstler als frei agierendem Individuum und die notwendige Bindung an die Ordnung der Zünfte lässt sich an einer bekannten Episode gut ermessen, die auch Vasari erwähnt. Als Brunelleschi im Auftrag der Dombauverwaltung an der Errichtung der Florentiner Domkuppel arbeitete, hatte dieser seinen Zunftbeitrag den Maestri di pietra e legname verweigert, worauf sie ihn am 20. August 1434 verhaften ließen. Die Dombauverwaltung erreichte nach elf Tagen seine Freilassung und ging ihrerseits gegen die Zunftverantwortlichen vor. Einen wichtigen Schritt in dieser Geschichte der Emanzipation des Künstlers bildete auch der motu proprio von Papst Paul III. (1468–1549) vom Oktober 1549, der die römischen Bildhauer von der Angehörigkeit zu den Zünften befreite. Einen wichtigen Beitrag in der Nobilitierung der Architektur spielt Vasari mit seinen Viten, die bereits erwähnt wurden. Wie es Matteo Burioni festhält, macht Vasari den Künstler zum Helden, der mit den Fürsten verkehrt, damit wird „das Schreiben von Biographien zur zentralen Weichenstellung in der Professionalisierung künstlerischen Handelns“. 40 Wichtige Voraussetzung für die Emanzipation der Architekten und Künstler waren öffentliche Wettbewerbe. Zwar hatte es zuvor schon Wettbewerbe in der Architektur gegeben, dennoch brachten jene der Renaissance das Anwenden neuer, subjektiverer Standards wie jenen der Referenz zur Antike mit sich wie auch die Frage nach den Kriterien der Beurteilung. 41 Einer der ersten war der von der Zunft der Kaufleute ausgeschriebene Wettbewerb für die Bronzetür des Baptisteriums in Florenz, den Lorenzo Ghiberti gewonnen hat. 42 Der bei diesem Wettbewerb unterlegene Brunelleschi, der als Goldschmied ausgebildet worden war, „rächte“ sich an Ghiberti, der bis zuletzt der einzige ernst zu nehmende Konkurrent geblieben war und zu Beginn noch mit Brunelleschi zusammenarbeiten sollte, als er 1418 den weitaus prestigeträchtigeren Wettbewerb für den Kuppelbau des Florentiner Doms gewann.

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Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass im Sinne der frühkapitalistischen Entwicklung auch der Bauprozess immer mehr ins Zeichen der Ökonomie rückt, den Charakter des mittelalterlichen gemeinschaftlichen Arbeiten verliert und nunmehr der größte Gewinn, vor allem beim Besorgen des Materials beim günstigsten Anbieter, in den Vordergrund tritt. Der Auflösungsprozess, der mit der Renaissance beginnt, betrifft somit nicht nur die Struktur der Gewerbe, sondern auch die Art, wie diese geführt wurden, was natürlich ebenfalls eine große Auswirkung auf den Architekten hatte. 43 Es ist kein Zufall, dass einer der Katalysatoren der Renaissance in Italien, neben dem Selbstbewusstsein der Stadtstaaten, das Entstehen des Geldleihsystems war, das die wichtigsten Familien vor allem in Florenz unter ihrer Kontrolle hatten. Indem sich die Architekten vom Handwerk ablösen und nur noch für den Entwurf zuständig sind, beginnen sie auch immer mehr die Rolle der Bauleitung zu übernehmen. Gewisse Architekten haben sich diesbezüglich regelrecht spezialisiert. Vasari spricht von der „Setta Sangallesca“, um die Gruppe von Architekten, aber auch Unternehmern zu umschreiben, die Antonio da Sangallo den Jüngeren bei seinen Projekten und Spekulationen unterstützte. Auch hatten gewisse Architekten Leitungsrollen in Bauverwaltungen inne, wie jene von St. Peter, die Bramante perfektionierte, 44 oder jene besonders prestigeträchtige des Dombaumeisters in Florenz.

Accademia del Disegno Einer der wichtigsten Schritte dieser Emanzipation von den Zünften und der Etablierung der Eigenständigkeit der Künste war die Gründung der Accademia del Disegno. Diese war die erste mehr oder weniger geregelte Ausbildungsstätte für Künstler, darunter auch Architekten, und wurde um 1571, ursprünglich als Compagnia ed Accademia del Disegno, gegründet. Als Großherzog Cosimo I. (1519–1574) die Künstler in Florenz von der Zugehörigkeit zu den Zünften indirekt befreite, wurde die Accademia mit diesen gleichgesetzt und zur Università, Compagnia ed Accademia del Disegno. 45 Sie wurde damit selber zu einer arte minore und blieb nur der mercanzia untergeordnet. 1748 wird sie dann zur Accademia delle belle arti. Damit war man zwar nicht ganz von der Zunftzugehörigkeit befreit, aber im Rahmen Gleichgesinnter wenigstens unabhängig von den anderen Zünften. Neben Vasari gehörten der Accademia auch Montoroli (1506–1563), Agnolo Bronzino (1502–1572), Francesco da Sangallo (1494–1576), Michele di Ridolfo Ghirlandaio Tosini (1503–1577) und Pier Francesco di Iacopo di Sandro Foschi (1502–1567) an. 46 Es handelte sich dabei um zwei Bildhauer und vier Maler. Das Motiv zur Gründung der Accademia del Disegno war nicht zuletzt ein politisches: Wie bereits mit der Umwandlung der Accademia degli Umili in die Accademia Fiorentina und ganz allgemein der Propagierung der toskani-

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schen Sprache und Kultur, dienten solche Institutionen dem Herzog Cosimo I. dazu, seine Überlegenheit zu demonstrieren. Wie Matteo Burioni betont, bedeutete die Beschränkung der Accademia auf Maler und Bildhauer – von der bereits gesprochen wurde – eine frühe Spannung zwischen Architekten und Befestigungsingenieuren, weil Letztere ausgeschlossen waren. Entsprechend strebten diese die Bezeichnung architetto militare an und wollten nicht mehr ingegniere genannt werden. 47 Auch für die Accademia del Disegno gab es verschiedene Vorgängerinstitutionen, wie die Compania di San Luca, den Garten des Lorenzo il Magnifico oder die Privatakademien des Bildhauers Baccio Bandinelli, die dieser um 1531 bzw. um 1550 gegründet hatte. 48 Vor allem die um 1339 gegründete Compagnia di San Luca, die eine erste Möglichkeit für Maler und Bildhauer bot, sich außerhalb der Zunftordnung zu organisieren. Es blieb aber bei einer sehr losen und informellen Vereinigung. In den Statuten der Akademie wird großer Wert auf die Compagnia di San Luca (nicht zu verwechseln mit der Accademia di San Luca in Rom, von der gleich die Rede sein wird) als Vorgängerinstitution gelegt, das geht sogar so weit, dass man ein fiktives Gründungsjahr festlegt, 1239, und zu den Gründungsmitgliedern Arnolfo di Cambio (um 1240–um 1302) und Giotto (1266– 1337) zählt, was kaum möglich ist. 49 Es demonstriert aber den Anspruch, einen Vorgänger festzulegen, an dessen Tradition man anknüpfen kann. Die Akademien entstehen im Zuge der Wiedergeburt des Platonismus im 15. Jahrhundert. Die erste entsprechende Akademie war die Accademia platonica, die von Marsilio Ficino unter der Schirmherrschaft von Lorenzo il Magnifico gegründet wurde.50 Die Accademia war sehr früh mit der Frage der Eingrenzung der Disziplinen beschäftigt und vor allem damit, was unter einem „Architekten“ eigentlich zu verstehen sei. Waren die Bildungswege von Malern oder Bildhauern mehr oder weniger klar, so gab es verschiedene Wege, um Architekt zu werden – als Maler, Steinmetz, Baumeister oder auch als Humanist wie Alberti –, was für die Architektur ein großer Nachteil war. An der Entwicklung der beiden Ausgaben der Viten von 1550 und 1568 und der parallelen Entwicklung der Akademie, an deren Gründung Vasari maßgeblich beteiligt war, zeigt Burioni eindrücklich, wie „eine folgenreiche Transformation des Architekturverständnisses nachweisbar [ist]. Die Architektur wird aus ihrer früheren Ausnahmestellung herausgelöst und unumkehrbar mit den emergierenden, bildenden Künsten verschränkt. Mit einem neuen Schwerpunkt auf ihren ornamentalen und ästhetischen Anteilen besetzt die Architektur – sie gilt jetzt als Kunst des disegno – in einer Art Abstufung wieder

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den Gipfel künstlerischen Schaffens, wobei eine Ausbildung in Malerei oder Skulptur zur Vorbedingung wird.“51 War nämlich die Reihenfolge der Künste in der ersten Ausgabe noch Architekt-Maler-Bildhauer, wird sie in der zweiten Ausgabe Maler-Bildhauer-Architekt, wobei in der ersten Ausgabe der Architekt noch architetto hieß, in der zweiten nur noch architettore.52 Diese Veränderung geht nicht zuletzt auf den in der Mitte des 16. Jahrhunderts entflammten Streit der Künste im Rahmen des paragone zurück, jenes Vergleichs der Künste, an dem Leonardo da Vinci maßgeblich beteiligt war. Dieser ging so weit, die Malerei auf die gleiche Stufe oder sogar höher zu stellen als die Wissenschaften, weil Erstere nicht erlernt, sondern angeboren sei. Sie war aber auch die Konsequenz einer entsprechenden Orientierung der Accademia, wo zu Beginn noch Architekten, Maler und Bildhauer zugelassen waren, dann aber nur noch Maler und Bildhauer sowie Architekten, die beweisen konnten, als Maler oder Bildhauer ausgebildet worden zu sein, um Handwerker und Laien-Architekten auszuschließen. Die „Ausbildung“ der Accademia war relativ nüchtern und bestand darin, dass junge Künstler ihre Arbeiten vorstellen konnten und Ratschläge bekamen. Auch durften die jungen Mitglieder der Akademie anlässlich der Festlichkeiten in Florenz die „apparati“, die Ausstattungen in der Stadt, entwerfen.53 Um dem spezifischen Ausbildungsbedarf der Architekten Rechnung zu tragen, wurden neben Zeichnung und Anatomie auch Mathematik und Euklid gelehrt, womit der erste Lehrplan aufgestellt war. Die Ausbildung war aber kaum wirklich etabliert, sondern eher von den persönlichen Initiativen der Mitglieder abhängig. Im Mittelpunkt stand der Begriff des disegno, was sowohl „Zeichnung“ wie „Entwurf“ bedeutet, womit die geistige Dimension der Künste angesprochen ist.54

Accademia di San Luca Nach dem Vorbild der Accademia del Disegno in Florenz wurde in Rom 1593 eine vergleichbare Akademie gegründet, die Accademia Nazionale di San Luca (eine weitere war 1570 bereits in Perugia gegründet worden).55 Vorgänger der Accademia in Rom war die Università dei pittori, deren Ursprung unbekannt ist, die aber 1478 ihre Statuten erneuerte, was dokumentiert ist, womit der erste bestätigte Hinweis gegeben ist.56 Auf Antrag des Malers Girolamo Muziano stimmte Gregor XIII. am 13. Oktober 1577 zu, eine Accademia Romana delle belle Arti unter dem Schutz von St. Lukas zu gründen, mit dem Ziel, die schönen Künste zu fördern und junge Künstler auszubilden. Nach dem Tod von Muziano wurde 1593 die Accademia di San Luca gegründet, unter der Leitung von Federico Zuccaro (1542–1609) als „principe“ (Fürst, Führer).

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Der Maler Zuccaro (der auch Zuccari genannt wird) hatte vorher schon ohne Erfolg versucht, die Accademia del Disegno in Florenz zu reformieren. Ziel der Akademie war vor allem die Ausbildung junger Künstler. Die Akademie unterrichtete die schönen Künste, Zuccaro führte die Lehre des disegno ein, danach auch der Malerei, Skulptur und der Architektur: „Die jungen Schüler der römischen Akademie lernten zwar noch immer ihr Handwerk in den Werkstätten der renommierten Künstler, fanden jedoch in der Akademie den Ort zu theoretisch-praktischer Auseinandersetzung auf höherem Niveau, indem sie ihre Kopien und Entwurfsstudien dem Urteil der Akademiker aussetzten und von diesen Rat, Korrekturen und Anregungen erhielten. Zudem hatten sie sonntags und an den Feiertagen – frei von ihren alltäglichen Arbeitsverpflichtungen – die Möglichkeit, an theoretischen Vorträgen und Vorlesungen teilzunehmen, die von dazu beauftragten Akademikern gehalten wurden. Der Unterricht wurde für alle drei Kunstgattungen gemeinsam abgehalten.“57 Zuccaro hatte 1607 eine Theorie des disegno formuliert, sein L’Idea de Pittori, Scultori et Architetti. Wie bereits Leonardo war Zuccaro von der Überlegenheit der bildenden Künsten gegenüber den Wissenschaften überzeugt, was er hier zu untermauern versuchte. Seine Definition des disegno gründet dabei auf die Unterscheidung zwischen disegno interno und disegno esterno. Ersteres ist die geistige Zeichnung als Entwurf oder Idee, Letzteres deren zeichnerische Ausformulierung.58 Ausgebildet wurden die Architekten in theoretischer, praktischer, elementarer oder ornamentaler Architektur, Aktzeichnung, Skulptur, Mythologie, Geschichte, Stein- und Kupfergravur und angewandter Hydraulik.59 Wie Paolo Marconi, Angela Cipriani und Enrico Valeriani betonen, ist es bemerkenswert, dass es hier keinen Kompositionskurs zu geben scheint. Im Vergleich zur Akademie in Florenz war der Unterricht aber deutlich stärker entwickelt. Weitere einflussreiche Leiter der Akademie nach Zuccaro waren die Architekten Carlo Rainaldi (1611–1691) und Carlo Fontana (1634–1714), Letzterer lehrte ab 1677 an der Akademie und hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die römische Architektur. Unter Carlo Rainaldi, so wurde festgehalten, sollte „am Morgen […] Aktzeichnen und Anatomie […], am Nachmittag Architektur und Perspektive“ gelehrt werden.60 Zu den späteren Lehrern der Akademie gehörte auch den bereits erwähnten Giuseppe Valadier, einer der einflussreichsten Architekten des 19. Jahrhunderts und Ingenieur, der zwischen 1828 und 1833 für den Kurs in praktischer Architektur zuständig war.61 Während die Accademia del Disegno mit dem politischen und kulturellen Niedergang von Florenz an Bedeutung verloren hatte, konnte die Accademia di San Luca nicht zuletzt durch diese Persönlichkeiten ihre Bedeutung stetig ausbauen.

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Im Mittelpunkt der Ausbildung der Akademie standen Wettbewerbe, die aber nicht in regelmäßigen Abständen stattfanden. Von Wettbewerben wird ab 1677 berichtet, der wichtigste war der sogenannte Concorso Clementino, der bis 1869 durchgeführt wurde; die Prämierung fand im Kapitol statt und die Sieger wurden mit Goldmedaillen ausgezeichnet. Beurteilt wurde die Arbeiten nicht von den Lehrern selbst, sondern von ehrwürdigen Mitgliedern der Akademie.62 Die Aufgaben waren dabei in drei Schwierigkeitsgrade eingeteilt. Die erste bestand in der zeichnerischen Aufnahme eines Monuments, die zweite in einem Entwurf in kleinerem Maßstab und die dritte in einem Entwurf in großem Maßstab, oft auch – ganz im Gegensatz zur Académie des Beaux-Arts – mit einer städtebaulichen Komponente.63 1772 zum Beispiel war die Aufgabe des Wettbewerbs die Gestaltung der noch nicht vollendeten Piazza del Popolo. Abbildung 35, Filippo Juvara, Concorso Clementino 1705, Palazzo reale in villa, Erster Preis

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Anwesend als Schüler, durch den Kontakt zur Académie Française in Rom, waren sehr viele Franzosen. Die Nähe zwischen Frankreich und Italien zeigt sich daran, dass auch Franzosen zu den Leitern der Akademie ernannt wurden, wie Charles Le Brun (1619–1690), der den Vorschlag einer Fusion der Accademia di San Luca mit der Académie royale machte, was aber, trotz Zustimmung des Königs, nie umgesetzt wurde.64 Auch wurden Poussin und Errard zu principi der Akademie in Rom gewählt, und Direktoren der französischen Akademie waren manchmal gleichzeitig auch Direktoren der römischen Akademien, wie Charles-François Poërson von 1714 bis 1718 bzw. 1721/22 sowie J.-F. de Troy um 1744.65

É COLE DES B EAUX -A RTS /É COLE POLY TECHNIQUE „Par son éducation générale, par l’enseignement qu’il a reçu, les aptitudes qu’il tient de ses prédécesseurs et du milieu, l’architecte français est admirablement préparé à sa mission.“ L OUIS L AFIT TE , 1913 66

Académie d’architecure Wie Pevsner betont, hatten die Akademien in Florenz und Rom trotz aller guten Vorsätze keinen nachhaltigen und dauerhaften Einfluss auf die Ausbildung der Künstler (und ihre Emanzipation), die in Frankreich bis zur Französischen Revolution im Banne der Zünfte geblieben war.67 Erst die Gründung der Académie Royale in Paris 1648, die nicht umsonst von den Zünften stark umkämpft war, setzte dem ein Ende, wobei das in der Folge initiierte Ausbildungssystem nur eines neben vielen anderen – der Werkstatt, dem Amt oder dem Architekturbüro – war. Die Zünfte in Frankreich wurden mit der Französischen Revolution endgültig abgeschafft, was aber paradoxerweise neue Probleme für die Architektur mit sich brachte, weil die ehemaligen Mitglieder der Zünfte zu neuem Bewusstsein kamen – ein Prozess, der schon lange im Gange war – und zu Konkurrenten der Architekten wurden.68 Dies aber nicht nur aufgrund des Glanzes des Architektentitels, sondern, viel pragmatischer, weil Architekten einen freien Beruf ausüben konnten, ohne zusätzliche Steuern zu bezahlen wie die Unternehmer.69 Ab 1804, mit der juristischen Gleichstellung der Architekten mit den Unternehmern, mussten dann aber auch Erstere eine patente, also eine Gewerbesteuer, bezahlen, wogegen sich die Architekten stark gewehrt haben. In den Statuten der Académie wird explizit das Vorbild der Accademia di San Luca erwähnt.

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Abbildung 36, Karikatur, Kampf gegen die „patente“, 1930

Hinter der Gründung der Académie française stand Kardinal Richelieu (1585– 1642), der bereits 1635 durch die Übernahme eines privaten Literaturzirkels die Gründung eines Zentrums für französische Sprache und Kultur vorangetrieben hatte.70 Neben einer ganzen Reihe anderer Fachakademien wurde dann 1671 auf Initiative von Jean-Baptiste Colbert (1619–1683), dem Finanzminister von Ludwig XIV., die Académie d’architecture gegründet. Trotz der Bedeutung und offiziellen Rolle brauchte die Akademie lange Zeit, um sich zu etablieren; sie genoss nicht immer das Ansehen des Königs und war, wie Wolfgang Schöller berichtet, zu Beginn eine „bloße Verwaltungsinstanz“.71 Schöller attestiert der Akademie in den ersten Jahrzehnten eine „notorische Konzeptionslosigkeit“.72 Geo Minvielle spricht mit Bezug auf die Gründung der Académie d’architecture von einem fiktiven Triumph, denn außerhalb der Akademie herrschte im Baubetrieb immer noch ein großes Durcheinander bezüglich Aufgaben und Titeln, auf das die Académie d’architecture keinen Einfluss hatte.73 Die Akademie basierte auf einem Zwei-Klassen-System: Die wichtigen Mitglieder gehörten der ersten an, den Mitgliedern zweiter Klasse war die parallele Tätigkeit als Bauunternehmer zwar nicht untersagt, sie mussten diese aber, wollten sie in die erste Klasse aufgenommen werden, aufgeben. Minvielle zi-

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

tiert diesbezüglich den bereits erwähnten Architekten Jules Hardouin-Mansart, der unter anderem den Dome des Invalides gebaut hat und Mitglied zweiter Klasse der Académie, aber gleichzeitig mit einem Bauunternehmen an spekulativen Bauprojekten beteiligt war. Später wurde er zum ersten Architekten des Königs und Surintendant des bâtiments du roi, das wichtigste Amt in der Bauverwaltung unter Ludwig XIV. Die Académie hatte dabei nicht nur Lehrfunktion, sondern stand beratend im Dienst der königlichen Administration. Gegenüber den Vorbilder der Accademia del Disegno und der Accademia di San Luca hatte die Académie royale den Vorteil, vor dem Hintergrund einer stabilen und dauerhaften politischen Konstellation zu wirken und damit die nachhaltige Unterstützung der Machthaber zu genießen, was in Italien nur für kurze Zeit möglich gewesen und nur dank der Initiative von Vasari und Zuccaro überhaupt geglückt war. Im Gegensatz zu den beiden italienischen Akademien fasste die Académie royale die drei Künste nicht zusammen, sondern schuf je eine Unterabteilung für Malerei und Skulptur und eine für Architektur. Dabei hatte die Académie nicht das Monopol der Ausbildung; es gab daneben als mehr oder weniger etablierte Ausbildungsstätten noch Architekturbüros, die mit der Académie in Konkurrenz standen. Wichtigstes Gründungsmitglied der Académie royale war der im ersten Kapitel bereits erwähnte François Blondel (1618–1686). Er und vier weitere Architekten wurden von Ludwig XIV. am 1. Januar 1671 mittels eines Bestallungsbriefs zu Akademiemitgliedern ernannt. Blondel war als Mathematiker und Ingenieur ausgebildet und hatte als Architekt nur wenige Projekte vorzuzeigen, darunter der Triumphbogen der Porte Sainte Denis in Paris. Blondel gab zwei Vorlesungen pro Woche, dienstags eine über Architektur und freitags eine über sämtliche Wissenschaften, die für einen Architekten wichtig waren, darunter Mathematik, Mechanik, Hydraulik, Hydrostatik, Optik, Gnomonik (Lehre von der Sonnenuhr), Festungsbau, Elementargeometrie, Perspektive, Stereometrie und Steinbildhauerei, die auch von anderen Lehrern unterrichtet wurden.74 Blondel fasste seinen Unterricht in seinem Cours d’architecture (1675–1683) zusammen, was somit der erste didaktisch bedingte Architekturtraktat war. Bemerkenswert ist, wie von Schöller unterstrichen, dass sich 1706 die Akademie mit Themen der Ingenieurskunst befasste, was wiederum die Frage aufwirft, was genau Gegenstand der Architektur eigentlich war.75 Die Statuten von 1717 setzten dabei fest, dass jeder Mensch, der sich für Architektur interessiert, der École beitreten dürfe, er müsse aber mindestens 16 Jahre alt und katholisch sein, gute Sitten haben, lesen und schreiben können, die Grundregeln der Arithmetik und des Zeichnens kennen und von einem Akademiker unterstützt werden.76 Es gab aber auch Ausnahmen, wie man daran sieht, dass der Gewinner des Wettbewerbs von 1769, Jean Jacob Guerne, ein Hugenotte, also ein französischer Protestant, war.77

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1767 wurde den Mitgliedern der Akademie das Privileg verliehen, sich „Architekten des Königs“ nennen zu dürfen, die einzige gesicherte Architekten-Bezeichnung dieser Zeit.78 Damit wird wieder die schwierige Situation der Architekten angesprochen, die gegenüber Steinmetzen und Bauunternehmern im Führen des Architektentitels nicht geschützt waren. Es sei aber darauf verwiesen, dass bereits in der Renaissance gewisse Architekten den Titel „Architekt des Großherzogs“ getragen haben, so Bartolomeo Ammannati (1511-1592) unter Ferdinando I. (1549–1609).79 Im Mittelpunkt der Ausbildung der Académie stand mit der Zeit eine Reihe von Wettbewerben, bei denen sich die Studenten messen konnten. Wettbewerbe wurden aber trotz Aufforderung unregelmäßig durchgeführt, erst 1729 wurde der Prix d’architecture (Auch Grand prix oder Grand prix de Rome oder Prix de Rome genannt) eingeführt. 80 Dieser wurde zu Beginn noch sehr oberflächlich behandelt, Schöller berichtet, dass aus den Quellen ersichtlich ist, wie erst ab 1772 strengere Regeln und Vorgehen festgelegt wurden: Die Studenten machten eine Skizze unter Aufsicht und diese wurde bis zur Begutachtung verschlossen auf bewahrt. 81 Die Belohnung des Prix war ein Aufenthalt in Rom, an der französischen Akademie, auch wenn diese Belohnung nicht offiziell in den Statuten festgehalten war und nicht immer ausgesprochen wurde.82 Der Grand prix de Rome wurde dann zum Kern der aus der Académie hervorgegangenen École des Beaux-Arts. Innerhalb von einem Tag inklusive Nacht sollten Studenten eine Zeichnung – die esquisse – machen, im nächsten Schritt mussten die Ausgewählten dann auf Grundlage dieser esquisse in drei Monaten ein Projekt anfertigen. Allgemein wurden in den Wettbewerben der Académie royale d’architecture, die zwischen 1720 und 1793 stattfanden, mehrere tausend Zeichnungen abgegeben, was von einer regen Teilnahme zeugt. 83 Wie Pérouse de Montclos betont, zeigen die Themen der Wettbewerbe, dass sich die Architekten und die Ausbildung immer mehr spezialisierten, da hier keine Aufgaben behandelt wurden, die der Kompetenz der Ingenieure zuzuordnen gewesen wären. Diese erhielten ihre Ausbildung nun in der École des Ponts et des Chaussées oder in der École du génie. 84 Auf der anderen Seite betont Schöller, dass auch Ingenieure unter den Mitgliedern der Akademie waren; ihnen blieb dieser Weg also nicht verschlossen und sie nahmen zusammen mit den Architekten am Leben der Schule teil. 85 Auch nicht selten war, dass sich jemand sowohl zum Architekten wie zum Ingenieur ausbilden ließ. Das Intensivieren der Wettbewerbe ab 1772 ließ sich möglicherweise – so Pérouse de Montclos – auf die private École des Arts von Jacques-François Blondel (1705–1774) zurückführen, wo ein solcher Preis schon lange bestand. Die Themen für die Wettbewerbe hatten dabei oft einen Aktualitätsbezug.

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Abbildung 37, Robert Camelot, Concours de Rome 1933. Une église de pèlerinages, 1933

Ab 1739 besuchten die Studenten die Académie nur noch, um die Wettbewerbe zu machen, ihren Unterricht erhielten sie in der privaten Schule von Jacques-François Blondel. Dieser hatte 1740 seine École des Arts in der rue des Cordeliers eingerichtet. 86 1756 wurde Blondel zum Mitglied zweiter Klasse der Akademie, 1762 dort Professor. Die École war insofern sehr erfolgreich, als

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selbst Schüler der École des Ponts et Chaussées dort Grundsätze der Architektur erlernten.87 Ein Vergleich der Lehrpläne der École des Arts von 1747 und 1771 zeigt, wie sehr sich Blondel Gedanken darüber machte, welches Wissen den Studenten vermittelt werden solle (obschon das natürlich auch von den finanziellen Möglichkeiten der Schule abhängig war). Anfangs wurde an der Schule vor allem Mathematik, Theorie und Bauschmuck gelehrt sowie Perspektive, Modellieren, Zeichnen und Zimmerhandwerk. Dazu kamen Werkstattbesuche. Später ist der Stundenplan schon viel ausgereifter. Montag bis Samstag, von 8 bis 14 Uhr: Theorie der Architektur, Dekoration, Konstruktion und Gartenbau. Von 9 bis 11 Uhr (November/Dezember): Perspektive, Optik, und Bauphysik. 15 bis 17 Uhr: Mathematik, Geometrie, Mechanik und Hydraulik. 18 bis 21 Uhr: Steinschnitt. Dazu kommen Feldmessübungen, Unterricht in Fortifikation, Kartografie und Ornamentzeichnung sowie Exkursionen zu Pariser Bauten. 88 Die École des Arts erreichte einen großen Ruhm, weshalb auch Ausländer diese Schule besuchten, so unter anderem Simon Louis du Ry (1726–1799) aus Hessen-Kassel, William Chambers (1726–1796) aus Schottland oder Pieter de Swart (1709–1772) aus Holland. 89

École des Beaux-Arts 1793, in der Folge der Französischen Revolution, wurde die Académie geschlossen und erst 1795 als Académie des Beaux-Arts wiedereröffnet.90 Ab 1803 wurde die Architekturakademie durch Napoléon wieder eingerichtet und 1816 zur École des Beaux-Arts gemacht. Die École des Beaux-Arts ging also 1816 aus der Académie des Beaux-Arts als selbstständiges Institut hervor und wurde zur wichtigsten Ausbildungsstätte für die Architektur des 19. Jahrhunderts. Maßgeblich an der Gründung der École beteiligt war Quatremère de Quincy (1755–1849), der damit die Wiedervereinigung der Künste anstrebte, die in den einzelnen Akademien getrennt worden waren. An der École wurden Malerei, Bildhauerei, Gravur und Architektur unterrichtet. Quatrèmere de Quincy formulierte 1791 in einem Aufsatz, „De l’organisation générale de l’école“ – aus seinem Buch Considération sur les Arts du Dessin –, ein Programm für eine solche Schule, die alle Künste in sich vereinige: „Ramenons donc à un centre commun d’unité, toutes ces sections d’enseignement; rallions é un chef-lieu d’étude toutes ces écoles divisées. Que réunis, s’il est possible sous un même toit, ou du moins sous une même direction, tous ces arts s’embrassent de nouveau.“91 Ein Jahr vor ihm hatte sich J.B. Rondelet bereits mit dem Thema einer École des Arts auseinandergesetzt und deren Programm und Struktur aufgelistet.

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Die Schule wäre mit der „construction et de l’entretien de tous les édifices et ouvrages publics“92 beauftragt gewesen. Die École hatte in verschiedenen Ländern bis ins 20. Jahrhundert hinein Wirkung. Damit assoziiert war eine auf strenge und starre Symmetrie und Axialität basierende Entwurfstätigkeit, die zum Schmähwort und Feindbild gerade der Moderne wurde. So kritisiert zum Beispiel Fritz Schumacher 1926 den Beaux-Arts-Grundriss mit seinem „ästhetische[n] Eigenleben[...]“ als „Selbstzweck“.93 Immer wieder entflammte die Kritik an der École, nicht zuletzt aufgrund ihres Erfolges und ihres Monopols auf die Ausbildung von Architekten. Wichtigster Kritiker der École war der Architekt Viollet-le-Duc, der an der von Émile Trélat (1821–1907) gegründeten École Spéciale, einem Gegenmodell zur École des Beaux-Arts, maßgeblich beteiligt war. In einem Aufsatz zum Prix de Rome in der Encyclopédie d’architecture von 1863 von Viollet-le-Duc macht man sich darüber lustig, dass die Entwürfe aussähen, als ob sie von ein und derselben Person stammen würden.94 Aufgrund der zahllosen Kritiken wurde 1863 eine tiefgreifende Reform durchgesetzt, die der École des Beaux-Arts viel Macht wegnahm. Der École wurde nicht zuletzt vorgeworfen, dass Fragen der Konstruktion nur nebensächlich behandelt und, wie Viollet-le-Duc anführt, die ausgestellten Projekte nicht die Konstruktion zeigen würden.95 Nach der Reform wurden deswegen zuerst der Baron Baude (Ingenieur) und dann Brune (Ingenieur und Architekt, Gewinner des Prix de Rome 1863) mit einem Konstruktionskurs beauftragt, der diese Lücke schließen sollte.96 Die Schule wurde viel später auch eine der Hauptzielscheiben der Studentenunruhen von 1968 und noch im selben Jahr endgültig geschlossen.97 Die Lehre war wie bereits in der Académie auf eine Reihe von Wettbewerben ausgerichtet, von denen der wichtigste der bereits erwähnte Prix de Rome war, der mit einem mehrjährigen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom verbunden war und vor allem mit der Aussicht, nach der Rückkehr mit prestigeträchtigen Bauaufgaben betraut und Mitglied der Bauverwaltung zu werden. Die „pensionnaires“ der Villa Medici mussten „envois“ (Sendungen) nach Paris schicken, ihre Zeichnungen der von ihnen studierten antiken Architekturen, die dann als Vorlagen für die Studenten in Paris dienten. Die Ausbildung „basierte auf einem System von theoretischen Kursen im Lehrsaal (‚amphithéâtre‘ oder kurz ‚amphi‘), Zeichenkursen (Perspektive, Zeichnen nach [Akt]-Modellen [‚modèle-vivant‘]) und dem – für den Anfänger obligatorischen – Kopieren der Sammlungsbestände, insbesondere in der Architekturgalerie (‚musée d’architecture‘)“.98 Das System bestand aus zwei Klassen; in die erste Klasse gelangte man, wenn man bei den verschiedenen Wettbewerben erfolgreich gewesen war, und nur Angehörigen dieser ersten Klasse war dann die Teilnahme am Prix de Rome gestattet. Die Studenten arbeiteten

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dabei in dem Atelier eines Professors. Charakteristisch für das Einsammeln der Beiträge bei den Abgaben war eine Carriole, in der die Zeichnungen gesammelt wurden, woher der Begriff „charrette“ stammt, der noch heute in den meisten Architekturschulen eine Abgabe bezeichnet. Wie Jacques Lucan berichtet, waren die Professoren der École des Beaux-Arts berüchtigt für ihre schweigsame Art und die in knappen Sätzen ausgesprochene Bewertung der Arbeiten der Studenten. Aussagen wie „Cela ne me dégoûte pas“ von Laloux waren seltene Komplimente an die Studenten, die daraus entnehmen sollten, wie sie ihr Projekt weiterzuentwickeln hätten.99 Begriffe wie poché oder parti waren dabei zentral in der Doktrin der École, ohne dass diese explizit erläutert wurden. Beim ersten handelt es sich um das Ausfüllen der Schnittfläche der Wände in einem Plan. Dieses Ausfüllen konnte mit verschiedenen Farben gemacht werden und war natürlich ein wichtiger Indikator für die strukturellen Eigenschaften eines Gebäudes. Beim zweiten handelt es sich um einen recht dehnbaren Begriff, der die richtige Wahl der Anordnung und Verteilung der Elemente bezeichnet, im Sinne von „prendre parti“, also eine Entscheidung, eine Wahl treffen. 100 War man Mitglied der École oder hatte man die wichtigen Wettbewerbe gewonnen, dann konnte man sich zu den wenigen Glücklichen zählen, die sich die wichtigsten staatlichen Aufträge teilten und Teil des „Systems der Beaux-Arts“ wurden. 101 Es ging also weniger um die Ausbildung als um den Versuch, Mitglied dieser kleinen Elite zu werden. Es sei an dieser Stelle betont, wie im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts die Architektur Teil einer größeren staatlichen und städtischen Administration war. So stand jeweils ein Directeur Général des Bâtiments an der Spitze, ihm waren „der Intendant et Ordonnateur des Bâtiments du Rois, bzw. der Inspecteur Général des Bâtiments [untergeordnet]. Diese werden aus den Architects du Roi ausgewählt, unter denen der Premier Architect du Roi (1686–1708 Hardouin-Mansart, 1708–35 Cotte, 1735–42 Jacques Gabriel, seit 1742 A. J. Gabriel) den höchsten Rang einnimmt. Große Bureaus waren zur Aufrechterhaltung dieses Betriebes erforderlich. Sie bilden die Lehrstätte der zukünftigen Baumeister, und nicht etwa, wie man meinen könnte, die 1671 gegründete Académie Royale d’Architecture, welche vielmehr in erster Linie des Standes-Repräsentation der durch ihre Beziehung zum Hofe erhobenen Künstler-Architekten diente.“102 Es gab eine ganze Reihe von Institutionen mit sich teilweise überschneidenden Aufgaben: die Services des Bâtiments Civils, die Travaux de Paris, die Palais Royaux (oder Impériaux), die Edifices Diocésains und die Monuments Historiques, 103 in denen Architekten in leitender oder ausführender Position arbeiten konnten. Die Aufgabenbereiche betrafen sowohl die Beratung als auch die Erhaltung von bestehenden oder die Errichtung von neuen Gebäuden. Die wichtigste Institution war der Conseil des Bâtiments Ci-

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vils, der 1791 nach der Revolution errichtet worden war. 104 1846 waren circa 40 Prozent der lebenden Prix de Rome-Gewinner bei den Bâtiments Civils angestellt. 105 Der administrative Aufwand war dabei sehr groß: David Van Zanten berichtet von Henri Labrouste (1801–1875), dass dieser wohl vier Nachmittage in der Woche mit Sitzungen zubrachte. 106 Der Einfluss der École des Beaux-Arts auf die Ausbildung der Architekten war damit enorm, sie hatte aber nicht das Monopol: Daneben bestanden weiterhin viele Möglichkeiten, sich zum Architekten auszubilden, angefangen von der internen Ausbildung in der Verwaltung bis zu den verschiedenen Architekturbüros, die eine solche Ausbildung anboten.

École polytechnique Neben der École des Beaux-Arts gab es eine zweite wichtige Schule, die 1794 gegründete École polytechnique. Diese und der dort lehrende Architekt Jean-Nicolas-Louis Durand (1760–1834) wurden von der Architekturgeschichte zum Gegenpol der École des Beaux-Arts stilisiert: Steht die École des Beaux-Arts für den freien Künstlerarchitekten, so steht die École polytechnique für den Ingenieur(-Architekten). Diese Sicht wurde einerseits deswegen relativiert, weil die École polytechnique nur Ingenieure und nicht Architekten ausbildete und somit keineswegs die Bedeutung der École de Beaux-Arts hatte, andererseits durch die jüngste Forschung teilweise wieder bestätigt, in Anbetracht der bedeutenden Schüler, die bei Durand studiert haben. 1794 wurde die École centrale des travaux public gegründet und bereits 1795 in École polytechnique umbenannt. Sie diente der Ausbildung von Ingenieuren im Militärdienst, die auch in Architektur unterrichtet wurden. Mit der Aufgabe des Architekturunterrichts wurde ein Architekt betraut, der zum Vater des Rationalismus und des Funktionalismus schlechthin geworden ist: Jean-Nicolas-Louis Durand, seit 1794 dort angestellt, der ab 1797 als Professor seinen Vorgänger Baltard ersetzte. Tätig im Büro von Etienne-Louis Boullée, besuchte er auch die École des Beaux-Arts, wo er zwei Mal den zweiten Platz im Grand Prix de Rome errang. Danach gründete er mit Pierre-Thomas Thibault ein Büro, das viele Wettbewerbserfolge aufweisen konnte, von denen aber kein einziger Entwurf zur Ausführung kam. An der École polytechnique arbeitete er als Professor bis 1833, als er schwer erkrankte. Der Anspruch von Durand war, für dieses spezifische Zielpublikum – die Ingenieure – eine rationale Grundlage und Entwurfsmethodik zu erarbeiten. Er betont dabei, wie die Ingenieure seiner Schule, wenn sie sich auch nicht ausgiebig mit der Architektur und dem Entwurf befassen konnten – oder gerade deswegen –, zum Teil sehr originelle Projekte entwickeln würden. 107 Architektur sei dabei sowohl eine Kunst wie eine Wissenschaft: Als Wissenschaft setzt

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sie Wissen und als Kunst Talent voraus, wobei das Talent die präzise Anwendung dieses Wissens ist, das man durch Übung gewinnt. 108 Aus seiner Lehre gingen vor allem zwei Werke hervor, die sich bei den Studenten großer Beliebtheit erfreuten: der Recueil et parallèle des édifices de tout genre, anciens et modernes, remarquables par leur beauté, ou par leur singularité, der zwischen 1799 und 1801 veröffentlicht wurde, und der Précis des Leçons d’architecture données à l’École polytechnique, der zwischen 1802 und 1805 veröffentlicht wurde. In Ersterem wurden wesentliche Gebäude der Vergangenheit im selben Maßstab und auf eine systematische Art und Weise vereinfacht dargestellt. In Letzterem wurden Bauaufgaben systematisiert und die Architektur auf Fragen der Wirtschaftlichkeit und Nützlichkeit reduziert. Schönheit sei nur die Folge dieser beiden Eigenschaften und nicht eine eigenständige Qualität, was eine radikale Haltung war. Grundlage dieser so vereinfachten Entwurfslehre war das Rasterpapier, das es ermöglichte, die Dimensionen und Proportionen augenblicklich zu erfassen. Durand baute seine Methode nicht zuletzt auf einer Kritik der antiken Ordnungen auf, die nämlich nicht die Grundlagen der Architektur ausmachen würden, und war auch sonst nicht zurückhaltend in seiner Kritik. Das Schloss von Versailles sah er als negatives Beispiel an, wo eine Unzahl von Räumen und Säulen es zu keiner Schönheit gebracht hätte, ebenfalls bemerkenswert war sein auf rationellen Grundsätzen basierender Gegenvorschlag für St. Peter und dessen Vorplatz. Die rationale Entwurfsmethodik teilt sich dabei ein in ein Entwerfen in der Vertikalen – den Schnitt – und in der Horizontalen – des Plans. Wie bereits angedeutet, lässt sich bis heute der Einfluss von Durand nicht genau bemessen. Wurde er von der Geschichtsschreibung der Moderne in seiner Wirkung wohl überschätzt und als einer der ersten Modernen gesehen – um die Spaltung Ingenieur/Architekt zu instrumentalisieren –, so entsprach auch die Reaktion darauf, seine Wirkung als völlig unbedeutend einzustufen, nicht ganz der Wahrheit. Dass Durand und seine Lehre ein Begriff auch außerhalb von Frankreich waren, belegt zum Beispiel eine (negative) Äußerung Gottfried Sempers von 1834, Durand sei ein „Schachbrettkanzler für mangelnde Ideen“. 109 Zu seinen Schülern gehörten unter anderem der spätere preußische Gartenbaudirektor Peter Joseph Lenné (1789–1866), der unter anderem auch von dem Botaniker André Thouin (1747–1824) unterrichtet wurde, sowie zahlreiche Architekten aus Deutschland und der Schweiz, wie Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845). Durand wurde, wie bereits erwähnt, als Vater des Rationalismus und des Funktionalismus schlechthin bezeichnet. Der Architekturtheoretiker Alberto Perez-Gomez verfasste 1983 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel Architecture and the Crisis of Modern Science, wo er diese Vorreiterrolle von Durand für die

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„Funktionalisierung“ der Architektur betont. 110 In den rationalen Prinzipien der Entwurfslehre von Durand finde sich der Keim für die Architektur der Moderne und ihren wissenschaftlichen Anspruch. Abbildung 38, Jean-Nicolas-Louis Durand, Recueil et parallèle des édifices de tout genre, anciens et modernes, remarquables par leur beauté, ou par leur singularité, 1801

Nach Durand kam ein anderer einflussreicher Lehrer, der sowohl als Architekt an der École des Beaux-Arts wie als Ingenieur an der École des ponts et chaussées ausgebildete Léonce Reynaud (1803–1880), der in der Folge sowohl an der École polytechnique wie an der École des ponts et chaussées wirken sollte. Seine Lehre fasste er in seinem Traité d’architecture (1850) zusammen, das „zum letzten mal, die Kluft zwischen Architektur- und Ingenieurbaukunst zu überbrücken [versuchte]. Es war zugleich der Versuch, Architekturtheorie, Architekturgeschichte und Materialkunde in einer synthetischen Struktur zu kombinieren und als Rahmenwerk zu verstehen, in dem der kreative Akt schließlich der alleinigen Entscheidung des entwerfenden Architekten überlassen war.“111 Neben der École polytechnique muss noch die École centrale des Arts et Manufactures erwähnt werden, die zusammen mit Ersterer die für die Bedürfnisse des sich industrialisierenden Frankreich benötigten Ingenieure zur Verfügung stellte. Dort wirkte unter anderem ein Schüler von Durand, Charles-Louis Mary, der für den Baukurs verantwortlich war und den Ansatz von Durand weiterverfolgte. Wie Ulrich Pfammatter betont, wurde weder an der École poly-

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technique noch an der École centrale des Arts et Manufactures zwischen Architekten und Ingenieuren unterschieden. 112 Danach war aber auch in den Schulen die Trennung zwischen Architekten und Ingenieuren nicht mehr aufzuhalten: die Trennung zwischen „Bauen als Kunst“ und der „Kunst des Bauens“. 113 Damit war auch der großen Breite an möglichen Ausbildungswegen zum Architekten in Frankreich ein Ende gesetzt und der Weg zu einer Professionalisierung des Berufes offen, es „verschwinden nun die Maler-Architekten, die Bildhauer-Architekten, die Amateur-Architekten, die Bauhandwerker-Architekten, die Offizier-Architekten“ und es entsteht das Berufsbild des eigenständigen Architekten.114 Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass gerade die größten Architekten des angehenden 20. Jahrhunderts keine offizielle Architekturausbildung erhielten: Le Corbusier wird zum Gravierer und Ziseleur ausgebildet, bevor er sich selber durch Reisen und Lektüre, vor allem aber die Arbeit in Architekturbüros (Auguste Perret in Paris und Peter Behrens – ebenfalls einen Autodidakten – in Potsdam) zum Architekten ausbildet. Frank Lloyd Wright studiert Ingenieur ohne Abschluss, ehe er im Büro von Adler und Sullivan zum Architekten ausgebildet wird (er selber betont, dass die Wahl des Ingenieurstudiums aus Kostengründen erfolgt sei). 115 Ludwig Mies van der Rohe besuchte eine Kunstgewerbeschule, arbeitete als Mauerlehrling und als Zeichner für Stuckornamente, bevor er sich in einer Reihe von Architekturbüros, u.a. ebenfalls bei Peter Behrens, zum Architekten ausbildete.

Deutschland Diese französischen Institutionen hatten für ganz Europa Vorbildcharakter und wurden explizit von einer ganzen Reihe vergleichbarer Schulen und Akademien nachgeahmt. Nicht zuletzt entstanden diese Institutionen auf Initiative von ehemaligen ausländischen Studenten der Pariser Schulen. 116 In Deutschland war es vor allem der Initiative von Leibnitz zu verdanken, dass ebenfalls eine „Sozietät“ gegründet wurde, wofür er um 1670 ein Pamphlet geschrieben hatte, „Bedenken von Aufrichtung einer Societät in Deutschland“. Seine Bemühungen wurden erfüllt, als in Berlin 1700 die Academia Scientiarium gegründet wird. Bereits 1697 wurde eine Kunstakademie gegründet, die „eine recht wohlgeordnete Akademie oder Kunstschule, nicht aber eine gemeine Maler- oder Bildhauer-Akademie, wie deren aller Orten bestehen, wo man allein nach einem lebenden Modelle oder nach gipsernen Bildern zeichnet“ war. 117 Der Kampf mit den Zünften entflammte immer wieder, und die Künstler, die aus Italien zurückgekehrt waren, strebten nach Institutionen, die sie von diesen befreien würden. 118

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Als Folge entstand eine ganze Reihe von mehr oder weniger strukturierten Kunstakademien, wie die 1662 gegründete Nürnberger Akademie, die die erste in Deutschland war und die von Joachim von Sandrart (1606–1688) geführt wurde. Wichtigste Institution für die Architektur war die Bauakademie in Berlin, die 1799 gegründet wurde. Vorausgegangen waren verschiedene private Institutionen wie die 1793 gegründete Privatschule von David Gilly, später folgte auch die private Bauschule in Karlsruhe von Friedrich Weinbrenner (1766– 1826). Wie in Frankreich bestand auch in Deutschland (je nach Staat) ebenfalls eine stark ausgebildete Architektur-Verwaltung, die, neben den ersten Akademien und Polytechnika, ebenfalls eine wichtige Ausbildungsstätte für Architekten war. 119 Es muss aber betont werden, dass in Deutschland die starke Polarisierung zwischen Ingenieur und Architekt, wie sie sich in Frankreich entwickelte, nicht vorhanden war. 1871 wurde der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine gegründet, der als wichtigste berufliche Vertretung beide vertrat. Die Ausbildung war sogar noch die gleiche, bis zwischen Hochbau, Tiefbau und Wasserbau unterschieden wurde. Diese Unterteilung geht auf die entsprechende Aufspaltung der Baudeputation in Hochbau- und Tief bauabteilung innerhalb der Stadtverwaltung zurück, die zum Beispiel in Berlin 1873 entschieden wurde. 120 Der wahre Kampf war jener zwischen Privatarchitekten und Architekten in der Verwaltung, wobei sich Erstere immer wieder darüber beklagten, dass die Ausbildung zum Architekten die künstlerische Seite des Berufs zu wenig berücksichtige und darauf angelegt sei, Beamte auszubilden. Auch beklagten sie sich über die Tatsache, dass die Bauverwaltung immer mehr auch private Bauaufgaben übernehmen würde. Sowohl der 1903 gegründete Bund Deutscher Architekten wie der 1907 gegründete Deutsche Werkbund waren unter anderem deshalb entstanden, um die Privatarchitekten gegen die Beamten zu verteidigen. Die Ingenieure, die im Gegensatz zu den Architekten die Anstellung als Beamten anstrebten, mussten gegen die Vorherrschaft der Juristen kämpfen, die die höchsten Stellen der Verwaltung besetzten.

England Im europäischen Kontext soll die Situation in England noch kurz besprochen werden, nicht zuletzt aufgrund der besonderen Situation, in der sich die Architektur dort befunden hat: Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der größte Teil der Gebäude nicht von Architekten errichtet. Diese beschränkten sich auf Aufträge der obersten Schicht, während Spekulanten vor allem im Wohnungswesen dominierten. 121

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Ähnlich wie in Deutschland verwandelte Karl II. (1630–1685) einen privaten Zirkel, der sich seit 1645 traf, in eine Institution, die Royal Society 1662. 122 Wie Pevsner betont, waren die Voraussetzungen in England insofern anders als in Rom oder in Paris, als die Zünfte über keine vergleichbare Macht verfügten. 123 Trotzdem, und auch trotz des Einflusses der französischen Akademie – und der traditionellen Rivalität mit Frankreich –, entstand zwar 1768 die Royal Academy, diese hatte aber keinen direkten Einfluss auf die Ausbildung der Architekten, die weiterhin entweder an den großen königlichen Baustellen – in den Royal Works (vergleichbar mit dem Conseil des Bâtiments Civils) – oder über die Lehre bei einem Architekten stattfand. Erstere lässt sich eher mit einer mittelalterlichen Bauhütte vergleichen, sie wurde unter anderem von Architekten wie Inigo Jones (1573–1652) oder Christopher Wren (1632–1723) geleitet. Eine geregelte Ausbildung – so Mark Crimson und Jules Lubbock – fand in England erst 1895 statt, sehr spät, verglichen mit anderen europäischen Ländern. Gerade die Lehre bei einem Architekten bot Gelegenheit, die Auszubildenden auszunützen, wie es in der Satire The Life and Adventures of Martin Chuzzlewit von Charles Dickens dargestellt wird, die 1843/44 veröffentlicht wurde. Dort arbeitet der junge Martin Chuzzlewit als Lehrling bei Mr. Pecksniff, einem „Architekten“, der seine Lehrlinge ausbeutet und von ihrem Geld lebt. Ein anderes Zeugnis dieses Systems findet sich in den mémoires von George Wightwick: „No instructions, not even as to the course of my artist-study, were ever given; while the miscellaneous and unsystematized character of the mere office business left me uninformed as to the introductory knowledge necessary to its full apprehension. I expected to find a tutor: I found only an employer … I found, in short, that I had paid my premium for the opportunity of self-instruction – for the advantage of the ,run of the office‘ – for the privilege of serving my master and picking up such information as might lie in my way.“124 Gegen dieses System der Ausbildung wurden immer wieder Stimmen laut, wie jene von John Blyth der 1837 folgendes Bild des Architektenberufes liefert: „For what is the result of this state of things? The consequence is, that real merit is either depressed or remains in obscurity. The public taste continues at a low ebb; the well-stored architect is supplanted by the ignorant and boasting pretender; the profession is humbled, and art is degraded; numerous edifices, which might otherwise have become the means of proclaiming to after-ages the wealth, refinement, and magnificence of the nation, will only become the objects of ridicule and contempt.“125 Vor diesem Hintergrund zeichnete sich in England trotzdem ein Widerstand gegen die Professionalisierung der Architektur, der vor allem mit der industriellen Revolution und dem Verlust des Handwerks verbunden war, ab. Maßgebend war der Einfluss der Arts and Crafts-Bewegung und des English Gothic Revivals sowie generell die Angst vor dem Verlust des Status als Kunst (vonseiten

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der „Amateur“-Minderheit, wie eine Petition von Architekten und Künstlern in der Times beweist, die gegen diese Entwicklung protestierte). 126 Aufgrund dieser Auffassung der Architektur als Kunst entwickelte sich Widerstand gegen jede Form von Architekturausbildung und Professionalisierung, wobei sich trotzdem in der Zeit die wichtigsten Institutionen formierten: 1834 die RIBA (Royal Institute of British Architects) und 1884 die Society of Architects. Wie Andrew Saint betont, war das „künstlerische“ Argument gegen die Professionalisierung aber vonseiten der RIBA eher ein Vorwand, weil man den Beruf noch nicht zur Genüge kontrollierte und noch zu wenige Mitglieder hatte. Erst als diese Kontrolle sicher war, setzte sich die RIBA erfolgreich mit der eigenen Registration 1931 durch. 127 Auch spielten ökonomische und soziale Faktoren eine Rolle in der Etablierung dieses Arguments. Das wiederum zeigt, welchen Einfluss diese auf die Geschichte der Architektur haben. Trotzdem, das „künstlerische“ Argument setzte sich in England als Leitidee durch und beeinflusste die Haltung und die mit Frankreich und Deutschland vergleichsweise sehr späte Professionalisierung des Berufes. Die englische Situation wiederum wurde gerade von deutscher Seite teilweise als Vorbild gesehen – zum Beispiel von Hermann Muthesius (1861–1927) –, als Gegenpol zur „Beamtenausbildung“ der deutschen Ausbildungsstätten. Bei einer gemeinsamen von England und Frankreich organisierten Tagung in Paris über Architekturausbildung 1920, unterstreicht der englische Architekt und Planer Patrick Abercrombie (1879–1957) immer noch, dass die Engländer hier weniger zu lehren als zu lernen hätten: „Any real attempt to organise a system of architectural education in the United Kingdom has only been made during the last twenty –five years; whilst in France a definite scholastic method has been established and developed for over two and a half centuries. It necessarily follows, therefore, that as far as the technique of training in architecture is concerned we have come here with the object rather of receiving than of giving advice. Till the foundation of the Liverpool University in 1894 there was no institution in Great Britain giving full-time organised teaching in architecture throughout the day.“128

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B AUHAUS/H ARVARD Bauhaus Stand die École des Beaux-Arts für eine rückwärtsgewandte Architekturlehre, war sich die Moderne schnell bewusst, dass der Triumphzug ihrer Ideen nicht nur durch das Besetzen von Lehrposten in den Architekturschulen zu bewerkstelligen war, sondern auch eine neue Lehrmethodik entwickelt werden musste. Als paradigmatisches Beispiel wird dabei immer wieder das Bauhaus zitiert, wenn auch dieses zwei „Probleme“ aufweist, die von der Architekturgeschichte oft verdrängt wurde, um die Paraderolle des Bauhauses zu bewahren: Die Architekturausbildung begann erst sehr spät, zudem gab es dort unterschiedliche Strömungen, die nicht alle „fortschrittlich“ waren, doch gerade diese Koexistenz machte auch das Besondere des Bauhauses aus. Die Schule war nicht zuletzt mit der Absicht gegründet worden – so Walter Gropius, ihr Gründer –, Künstler im Maschinenzeitalter auszubilden. Das Bauhaus war also weder vollkommene Kapitulation vor der industriellen Produktion noch ein autistisches Dagegenhalten, sondern suchte einen Zwischenweg auf der Grundlage des handwerklichen Könnens. Es fällt grundsätzlich schwer, zwischen Mythos und Realität des Bauhauses zu unterscheiden. 129 Der Architekturhistoriker Joseph Rykwert, der 1968 einen sehr kritischen Aufsatz über das Bauhaus mit dem Titel „The Dark Side of the Bauhaus“ verfasst hatte, wurde laut eigener Aussagen von ehemaligen „Bauhäuslern“ heftig angegriffen, weil er die „offizielle“ Geschichte infrage gestellt hatte. 130 Das Bauhaus ist wohl das prominenteste Beispiel der sogenannten „Kunstschulreform“, einer Bewegung, die zu einer neuen Synthese der Künste führen sollte und Ausdruck der generellen Krise der Akademien vor dem Hintergrund der veränderten Produktionsprozesse im Zuge der industriellen Revolution war. 131 Diese Krise war auch eine Krise der Stile, weil im Zusammenhang mit dem Historismus das sich beliebige Bedienen bei vergangenen Formen ein noch nie dagewesenes Maß erreicht hatte. Kritiken wurden laut, dass die Akademien die Absolventen nicht auf die Berufsrealität vorbereiten würden, und die alte Frage, ob Kunst überhaupt lehrbar sei, kam wieder auf. Zu den Kritikern gehörte auch Walter Gropius: „Kunst entsteht oberhalb aller Methoden, sie ist an sich nicht lehrbar, wohl aber das Handwerk.“132 Der Künstler sei „eine Steigerung des Handwerks“. 133 Neben dem Bauhaus muss aber auch die Kunstgewerbeschule in Düsseldorf genannt werden, die in der Wirkungszeit von Peter Behrens ebenfalls eine große Veränderung erfuhr, unter anderem durch die Einführung einer allgemeinen zweijährigen Vorschule wie im Bauhaus. 134 Oder die Breslauer Akademie, die unter der Leitung des Architekten Hans Poelzig zu einem „Bauhaus

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vor dem Bauhaus“ wurde. 135 Das Bauhaus konnte somit auf die Erfahrungen gewisser Vorgänger auf bauen. Diese Modelle richteten sich nicht zuletzt auch gegen die erwähnte Ausrichtung der Hochschulen auf die Ausbildung von Beamten. Das Bauhaus entstand aus der Zusammenlegung von Kunsthochschule und ehemaliger Kunstgewerbeschule. Nach dieser Fusion verlässt ein Teil der Kunsthochschule-Studenten und -Professoren das Bauhaus. Gropius wird als Direktor eingesetzt, nachdem er sich vorher für die Stelle des Direktors der Großherzoglichen Sächsischen Kunstgewerbeschule beworben hatte. Zu den wichtigsten Lehrern gehören unter anderem Johannes Itten, der den Vorkurs leitet, aber bereits 1923 im Streit mit Gropius das Bauhaus verlässt, Lyonel Feininger, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Mart Stam, Hannes Meyer und Wassily Kandinsky. Zentraler Kern des Bauhauses war der Vorkurs (auch Vorlehre oder Grundklasse genannt), an dem alle Studenten zusammen teilnehmen mussten und in dem sie die Grundlagen der Formenlehre erlernten. Im Anschluss an den Vorkurs spezialisierte sich die Ausbildung dann zunehmend in den einzelnen Berufszweigen. Der Vorkurs war die zentrale pädagogische Institution des Bauhauses. 136 Eines der großen Paradoxe des Bauhauses ist – wie bereits erwähnt –, dass es gemeinhin als Ausbildungsstätte für Architekten gilt, eine eigentliche Ausbildung für Architekten aber erst ab 1927 mit dem Auf bau der Bauabteilung möglich war und kaum nachhaltige Wirkung hatte. Es wurde immer wieder versucht, eine Bauabteilung zu gründen, diese scheiterte aber an verschiedenen Faktoren. 1920 gab es eine erste Architekturabteilung mit Adolf Meyer (1881–1929), aber erst 1923 wurde eine solche regulär eingerichtet, unter der Leitung von Georg Muche, doch auch das war nur von kurzer Dauer. 137 Erst mit Hannes Meyer in Dessau konnte sich die Bauabteilung etablieren. Es wurde immer wieder versucht, Projekte zu initiieren, die gemeinschaftlich von den verschiedenen Disziplinen ausgeführt werden konnten, einzig die zweigeschossige Villa für den Unternehmer Sommerfeld in Berlin-Lichterfelde, von Gropius und Adolf Meyer 1920/21 geleitet, kam dieser Idee wirklich nahe. Walter Gropius selber entfernte sich immer deutlicher vom Handwerksprinzip, so zum Beispiel in der Siedlung Dessau-Törten von 1926–1928, wo der Bau der Wohnungen nach einem System der kompletten Vorfabrikation und industriellen Anfertigung organisiert war. Trotzdem stand die Architektur im Vordergrund. Im Mittelpunkt des Bauhauses war nämlich der Begriff des „Bauens“, im Unterschied zu „Entwerfen“ und „Architektur“, Begriffen, die mit einer Architekturkultur im Zusammenhang standen, von der man sich abgrenzen wollte. 138 Der Begriff „Bauen“ war

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auch ein Verweis auf die mittelalterliche Bauhütte als kollektives Unterfangen im Zeichen der Architektur, die das Vorbild des gemeinsamen Schaffens an einem Bau war: „Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhauses ist das Einheitskunstwerk – der große Bau –, in dem es keine Grenze gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst.“139 Abbildung 39, Bauhaus-Kritik, Karikatur Triumphtraum des modernen Architekten, 1930

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Aufgrund des politischen Drucks der rechtskonservativen Landesregierung zieht dann das Bauhaus nach Dessau, wo Walter Gropius ein neues Schulgebäude bauen kann, das 1926 eingeweiht und zu einer Ikone der moderne Architektur wird. 1928 tritt Gropius zurück, und an seiner Stelle wird Hannes Meyer zum neuen Direktor ernannt. 1930 wird Hannes Meyer von der Stadt Dessau entlassen und Mies van der Rohe wird zu seinem Nachfolger gekürt. Aber bereits 1930 wird das Bauhaus in Dessau aufgelöst und nach Berlin verlegt, wo es auf privater Basis bis zur endgültigen Schließung durch die Gestapo 1933 weitergeführt wird. Eine sehr witzige Beschreibung des Bauhauses und seiner Ideologie liefert der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe (geb. 1931) in seinem Buch Mit dem Bauhaus leben (Original: From Bauhaus to our House) von 1981, das eine Abrechnung mit der Architektur der Moderne ist. Darin erzählt Wolfe vor allem Anekdoten aus dem Bauhaus und um den „Silberprinzen“ (Gropius), wie jene über die dortige Kost: „Gropius unterstützte jedes Experiment, das ihnen in den Sinn kam, solange es im Namen einer sauberen und reinen Zukunft geschah. Sogar neue Religionen, wie Mazdaznan. Sogar Reformhaus-Diät. Es gab in Weimar eine Phase, da bestand die Bauhaus-Diät ausschließlich aus einem Mus von rohem, frisch geerntetem Gemüse. Das Mus war so schlaff und faserig, dass man Knoblauch beigeben musste, um irgendeinen Geschmack zu erzielen“, womit „das unvergesslichste Charakteristikum des Bauhaus-Stils … gewesen [sei], ‚wenn jemand nach Knoblauch aus dem Hals stank‘. (Alma Mahler-Gropius Werfel zitierend).“140 Einer der Studenten des Bauhauses, der Künstler Max Bill (1908-1994), war dann später Mitbegründer (mit Otl Aicher und Inge Aicher-Scholl) einer der wichtigsten Unterrichtsstätten der Nachkriegszeit in Deutschland, der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die 1953 gegründet wurde und an der das Gedankengut des Bauhauses weitergeführt wurde. Hier wurde allerdings Architektur nicht gelehrt, im Mittelpunkt stand das Design. Bei der Eröffnung der Schule in dem von Max Bill entworfenen Gebäude hielt auch Walter Gropius eine Rede. Vom Gedankengut des Bauhauses überlebte vor allem der Gedanke des Vorkurses. Auch methodische Erneuerungen wie die konzeptionelle Arbeit mit Formen, Volumen oder auch Diagrammen waren wichtiger Bestandteil der modernistischen Pädagogik, gerade aber das gemeinschaftliche Arbeiten und die Architektur als „Steigerung des Handwerks“ waren angesichts der fortschreitenden Spezialisierung des Berufsbildes Chimären.

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Har vard „Considérable aussi et très variés sont les emprunts que les Américains du nord ont fait à l’art français, par l’intermédiaire des anciens élèves de notre École nationale des Beaux-Arts.“ L OUIS L AFIT TE , 1913141

Im Vergleich zu Europa entwickelt sich die Architekturausbildung in den Vereinigten Staaten sehr spät. Ganz allgemein bemühte sich das Land sehr lange um einen originellen architektonischen Ausdruck, der nicht aus der Alten Welt importiert wäre, und man suchte diesen in der Natur. Beispielhaft ist in diesem Sinne die Arbeit und Theorie von Louis Sullivan. Mit seinem berüchtigten „Form ever follows function“ suchte er für die Architektur die gleiche Stringenz, wie es sie in der Natur beispielsweise zwischen der Form und der Funktion eines Baumes gibt. Trotzdem wird das Land der Austragungsort eines Kampfes gerade zwischen den verschiedenen Stilen, die importiert werden, und eine wichtige Rolle spielt dabei das importierte Ausbildungsmodell. Dabei war die Architektur in Amerika zu Beginn durch die Übermacht der builders und contractors gekennzeichnet, die bis zum Ersten Weltkrieg noch 90 Prozent der gesamten Bauwirtschaft kontrollierten. 142 In Boston war der erste Architekt Charles Bulfinch (1763–1844), der nicht zuletzt aufgrund einer missglückten Spekulation gezwungen war, als Architekt tätig zu werden und in den Dienst der Stadt zu treten. 1818 waren in Boston erst drei Architekten angemeldet, 1830 waren es acht und 1846 21. 143 Von diesen waren viele gleichzeitig als Bauunternehmer tätig. Mit dem Wachstum der Stadt wurde es den Architekten aber möglich, unabhängig zu werden, womit, wie bereits in Europa, der Wunsch nach einer Abgrenzung von den Unternehmern entstand. Der Fall von Boston ist umso mehr von Belang, als man bedenkt, dass dort am Massachusetts Institute of Technology (MIT) 1865 der erste Architekturunterricht stattgefunden hat. Danach folgten die University of Illinois 1867 und die Cornell University 1871. 1898 gab es neun Architekturschulen, 1912 zwanzig mit 1450 Studenten. Bei der Etablierung dieser ersten Architektur-Curricula orientierte man sich dabei vor allem am Modell der École des Beaux-Arts, deren Einfluss sich unter anderem an der großen Anzahl französischer Architekten ablesen lässt, die in amerikanischen Schulen unterrichteten, wie es Kenneth Frampton und Alessandra Latour zusammengefasst haben: Eugène Létang und nach ihm, von 1892 bis 1912, Desiré Despradelle am MIT, Johann V. Pelt, Maurice Prevot (1904–1906), Jean Hebrard (1906–1911) und George Mauxion (1911–1914) an der Cornell, E.S.A. Duquesne in Harvard zwischen 1911 und 1915, Paul Cret an der University of Pennsylvania und in den 1920er-Jahren Jean-

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Jacques Haffner in Harvard, Gabriel Ferrand an der Washington University, Léon Arnal an der University of Minnesota und Jean Labatut in Princeton, der von 1928 bis 1967 dort lehrte, womit er – wie Frampton und Latour betonen – auch Architekten wie Robert Venturi, Charles Moore, und Donlyn Lyndon als Studenten hatte. 144 Wenn es nicht französische Architekten waren, die in die Vereinigten Staaten berufen wurden, dann amerikanische Architekten, die an der École ausgebildet worden waren und das französische Modell vertraten. Diese durften an der École zwar nicht an den Grand Prix teilnehmen, aber dafür in ein Atelier gehen, und für sie speziell wurde ein eigener Architekturwettbewerb eingeführt, der Prix américain. Der berühmte amerikanische Architekt und Stadtplaner George B. Ford (1879-1930) zum Beispiel studierte Architektur zuerst in Harvard, wo er 1900 einen Bachelor bekam, und dann an der École des Beaux-Arts, wo er 1907 diplomierte. Noch heute finden sich bei einem Besuch in einer amerikanischen Architekturschule Spuren von diesem Einfluss im verwendeten Vokabular: Begriffe wie parti, charrette oder poché sind immer noch allgegenwärtig. Den methodischen Einfluss der Beaux-Arts fasste eine Untersuchung über den Stand der amerikanischen Architekturschulen von 1932 folgendermaßen zusammen: „It is not an exaggeration to say that one of the important contributions made by France to architectural training in this country was the idea that the student should teach himself.“145 Abbildung 40, Verteilung der Architekturschulen in den USA, 1932

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Höhepunkt dieses Einflusses bildete die Weltausstellung in Chicago von 1892, die aufgrund des allgegenwärtigen weißen Stucco der Beaux-Arts-Gebäude sowie der künstlichen Beleuchtung „White city“, weiße Stadt, genannt wurde. Für die amerikanische Gesellschaft bedeutete sie ein Modell, das überall anzuwenden sei, und die Akzeptanz der City-Beautiful-Bewegung beeinflusste, die mit der Person und Projekten von Daniel Burnham (1846–1912) einherging. Während sie auf die Besucher also einen sehr starken Eindruck machte, war das Urteil jener Architekten, die sich gegen die stilistische Abhängigkeit von Europa wandten, vernichtend. Louis Sullivan zum Beispiel hatte zwar selber an der École de Beaux-Arts studiert, die White city war für ihn aber ein Armutszeugnis der amerikanischen Architektur. Wie er selber in seiner Autobiografie erzählt – in der dritten Person –, war der Gang nach Paris naheliegend, weil er an die Quelle der Architektur gehen wollte. Sein Urteil über die Schule und die Stadt – (wobei er in dieser Zeit u.a. auch nach Italien reiste) – war durchaus positiv, er wurde nach der Aufnahmeprüfung ins Atelier von Emil Vaudremere (1829–1914) aufgenommen, an der Schule bemängelte er aber die Künstlichkeit ihres Systems und die Abstraktheit ihrer Methoden.146 Viel verhängnisvoller erschien ihm ihr Einfluss auf den amerikanischen Geschmack, vermittelt durch die Weltausstellung, er spricht von dem „Gestank“ und der Ansteckungsgefahr dieses architektonischen „Giftes“, das den Geschmack der Menschen verdorben hätte. 147 Vor dem Hintergrund dieser Kritik bot sich als Alternative paradoxerweise wieder eine aus Europa importierte Architektur-„Mode“ an: die Moderne. Wegen der Verschärfung der politischen Situation verließen viele der Protagonisten der Moderne Europa, vor allem Deutschland, und kamen nach Amerika, wo sie einen Gegenpol zum Einfluss der Beaux-Arts entwickelten. Die Architekturschule in Harvard ist diesbezüglich paradigmatisch. 1895 wurde in Harvard die Architekturschule unter Herbert Langford Warren gegründet. Sie wird zu Beginn noch zögerlich ihre Linie und Position im amerikanischen Kontext suchen, aber im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Architekturschulen der Welt avancieren, nicht zuletzt durch die Gründung der ersten „graduate school“ für Landschaftsarchitektur 1900 und des weltweit ersten Departements für Stadtplanung 1929. Die Koexistenz der drei Departements wird nicht immer einfach sein, auch werden immer wieder Stimmen laut, die deren Fusion fordern, trotzdem gewinnt Harvard unter anderem durch die gegenseitige Befruchtung der drei Departements seine Vormachtstellung. 148 Ihr erstes offizielles Gebäude, die zweigeschossige Robinson Hall, erhielt die Schule durch eine Spende; deren Kern war die Hall of Casts, ein Saal mit verschiedenen Architekturrepliken nach Beaux-Arts-Modell. 149 War die Schule von Anfang an eher modern ausgerichtet, erwies sich die Suche nach einem

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amerikanischen Entwurfsprofessor, der die Richtung weisen könne, unter anderem wegen einzelner Absagen, als sehr schwierig. Schlussendlich wurde doch ein französischer Absolvent der École des Beaux-Arts engagiert: EugèneJoseph-Armand Duquesne, der den Prix de Rome 1897 gewonnen hatte, keineswegs aber ein dogmatischer École des Beaux-Arts-Vertreter war. Auch dieser wollte zuerst nicht nach Amerika reisen, das Insistieren des Präsidenten der Schule, Lowell, habe ihn aber zum Umdenken geführt. Duquesne blieb nur kurze Zeit, beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte er zunächst vorläufig, dann endgültig nach Frankreich zurück. Nach einer langen Zeit der Unsicherheit wurde 1922 unter dem neuen Direktor George Harold Edgell dann wieder ein französischer Grand-Prix-Gewinner eingeladen: Jean-Jacques Haffner, der den Preis 1919 gewonnen hatte. Aber auch Haffner war kein orthodoxer Beaux-Arts-Verteter, im Gegenteil, er führte neue Lehrmethodologien ein. 150 Es war aber vor allem der Berufungsprozess von 1936, mit dem Harvard definitiv seine modernistische Ausrichtung betonte: Unter dem neuen Direktor Joseph Fairman Hudnet kamen am Ende drei Architekten für die engere Auswahl infrage: Walter Gropius, Mies van der Rohe und Jacobus Johannes Pieter Oud (1890–1963). Le Corbusier wurde nicht berücksichtigt, möglicherweise weil er – so Alfosin – kein Englisch sprach und keine Lehrerfahrungen hatte. Hudnut bereiste im Sommer 1936 Europa und traf sich mit den Kandidaten, die allesamt in der MoMA-Ausstellung von 1932, Modern Architecture: International Exhibition, vertreten gewesen waren. Am Ende erhielt Gropius, der zu der Zeit in England lebte, den Auftrag und begann im April 1937 in Harvard zu unterrichten. 151 Mies van der Rohe erhielt ebenfalls 1937 die Direktion des Architekturdepartements des Armour Institute of Technology (später Illinois Institute of Technology, IIT). Wie sich Gropius Jahre später erinnern wird, konnte er in Harvard seine Vorstellungen und Vorsätze nicht durchbringen, nicht zuletzt aufgrund verschiedener externer wie interner Widerstände, dennoch wird ein Kerngedanke seiner Lehre, jener der Kollaboration, eine nachhaltige Wirkung auf Harvard haben. 152 Einfluss hatte Gropius auf die Wahl der Entwurfsaufgaben sowie auf die Methodik und Darstellungstechnik, die die modernistische Orientierung verraten. Zu den berühmten Schülern von Gropius zählen unter anderen I.M. Pei (geb. 1917) und Philip Johnson, der nach Harvard zurückkehrte, um dort Architektur zu studieren. Ein Paradox, bedenkt man, wie einflussreich seine Modern Architecture-Ausstellung und deren Katalog auch in Harvard gewesen waren. Aus dem Anlass der von Gropius festgelegten Arbeit zu einem „post-War shelter for the average family“ entwickelt Philip Johnson ein Haus-Projekt für sich selbst, das er dann auch bauen sollte. Johnson zögerte nicht, sich zwischen Mies van der Rohe – den er verehrte – und Gropius zu entscheiden, auch wegen

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der sehr strengen und radikalen Lehrmethoden des Ersteren. Trotzdem soll Gropius Philip Johnson gerade seine Verehrung für Mies van der Rohe immer wieder implizit vorgeworfen haben. 153 Auf der anderen Seite soll Johnson nicht so begeistert von Gropius gewesen sein, dem er fehlendes Talent vorwarf. 154 Eine wichtige Etappe in der Zeit von Gropius in Harvard war die Berufung von Sigfried Giedion für die Charles Eliot Norton Lectures, die er 1938/39 hielt und dann in Buchform als eines der wichtigsten Manifeste der Architektur der Moderne veröffentlichte: Space, Time and Architecture. 155 Ebenfalls von großer Bedeutung für Gropius war die Ausstellung über das Bauhaus 1938 im Museum of Modern Art Bauhaus 1919–1928. Bei diesem Anlass aber wurde er vom Direktor des MoMA, Alfred H. Barr, Jr., kritisiert, weil er den Anlass missbrauchen würde, um das Bauhaus und damit sich selbst zu idealisieren und damit bereits am eigenen Mythos und jenem des Bauhaus zu arbeiten. 156 Abschließend sei auf die anerkennende, aber etwas oberflächliche Kritik an Gropius’ Pädagogik in Harvard verwiesen, die der Architekt Klaus Herdeg in seinem Buch The decorated diagram (1983) formuliert. Der Autor sieht in der Anverwandlung des Bauhaus-Programms den Ursprung für die Misere der amerikanischen Architektur. 157

D IE A RCHITECTURAL A SSOCIATION S CHOOL OF A RCHITECTURE UND DAS U NIT S YSTEM P E TER S TAUB Die Architectural Association School of Architecture (AA) war schon immer ein Ort des Vor-, Nach- und vor allem Querdenkens. Basierend auf der reaktionären Initiative einer Gruppe von jungen Architektur-Lehrlingen wurde die Architectural Association 1847 gegründet. Die Absicht dieser neuen Vereinigung war es, die Architekturausbildung zu akademisieren und zu institutionalisieren, denn in Großbritannien war es bis dato die Aufgabe der praktizierenden Architekten, Lehrlinge auszubilden. Als Vorbild galt das Modell der staatlich kontrollierten Pariser École des Beaux-Arts. Dort entwickelten Studierende in den ateliers, unter der Leitung von einem Meister Lösungen für die gestellte Gestaltungsprobleme: „Followed by his pupils, he went from table to table, giving his criticism to each student in turn; having made the rounds, he would put on his silk hat and quietly leave the room, but no sooner was the door shut than pandemonium would break loose and a noisy discussion of what he had said (would) follow.“158 Auf dieses pädagogische Modell der „Tischkritik“ im Rah-

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men eines jeweiligen Ateliers, zusammen mit den Vorlesungen, basierte die Beaux-Arts-Ausbildung, die weltweiten Anklang fand und sich alsbald, nicht zuletzt dank der Etablierung der Architectural Association – auch im angelsächsischen Raum durchsetzte. 159 Erst gegen 1920 wurden kritische Stimmen laut, welche den Lerneffekt des Nachahmens und des Wettbewerbssystems hinterfragten.160 Ebenfalls wurde die Objektivität des beurteilenden Jury-Systems bezweifelt. Gleichzeitig entwickelte sich am Bauhaus in Dessau ein didaktischer Gegenpol, weg von „learning by imitating“ und hin zu „learning by doing“.161 Hierbei ging es nicht mehr darum, durch das Nachahmen von Meisterwerken und ihren Erschaffern zu lernen, sondern durch ein Entwickeln und ein direktes Umsetzen mit eigenen Händen von Ideen und Produkten in Werkstätten und auf Bauplätzen innovative Lösungsansätze und Prototypen zu kreieren, welche sogleich getestet werden konnten. Das Entwurfsstudio wurde zum Labor, Werkstätten individueller Kreativität, in welchen Studierende die passenden Werkzeuge für ihre Entwürfe fanden. Die Fragestellungen an die Studierenden waren dementsprechend offen und nicht – wie im Beaux-Arts-Modell – reine Problemstellungen. Das didaktische Modell wandelte sich von der „desk-crit“ zu einer vom amerikanischen Philosophen John Dewey bezeichneten „over-the-desk-crit“, 162 bei welcher Dozierende zu aktiven Partnern im Lernprozess der Studierenden wurden. Waren die Meister der École des Beaux-Arts meistens wortkarg, basierte das neue System nicht zuletzt auf einen offenen verbalen Austausch. Der Gestaltungsprozess wurde somit auch wichtiger Bestandteil der Beurteilung, was in öffentlichen Präsentationen und Diskussionen der Arbeiten am Ende der Studienperiode führte. Die exklusive „jury“ wurde durch den inklusiven „review“ ersetzt.163 Dieses Modell hat sich alsbald an Architekturfakultäten weltweit durchgesetzt und behält auch heute seine Gültigkeit.

Vereinheitlichung der Architekturausbildung: Beispiel „Official System“ Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg brachten den nächsten Umbruch in der Architekturdidaktik. Nicht zuletzt durch die Architektur der Moderne beeinflusst, war nun eine Regulierung und Standardisierung der Architekturausbildung gefragt. Dies sowohl in den USA, u.a. mit der Studie „The Architect at Mid-Century“ (1954) von Turpin A. Bannister, in England mit der Oxford Conference von 1958. Beides waren von Architektenvereinigungen (AIA und Royal Institute of Britisch Architects – RIBA) veranlasst worden, um damit mehr Einfluss auf den Beruf zu gewinnen. 164 Crinson und Lubbock, die der Ausbildung des Architekten in England eine Studie gewidmet haben, listen die wichtigsten Empfehlungen der Konferenz wie folgt auf: „Entry should be

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raised to a minimum of two ‚A‘ levels, courses based on RIBA examinations would be progressively abolished, recognised schools should be in universities or similar institutions, courses should be either full-time or sandwich, other forms of training not leading to an architectural qualification would have to be devised, postgraduate work (i.e. research) is essential and should be expanded.“165 Das Resultat bezeichnen Crinson und Lubbock als „Official System“. 166 Damit ging eine Integration der Architekturschulen in den Universitäten, eine Entfernung der Architektur von der Praxis hin zur Akademie und die Förderung der Forschung einher. 167

Das Unit System Unabhängige Architekturschulen, wie die AA in London waren plötzlich unter Druck, sich dem „Official System“ anzupassen und sich somit auch einer Universität anzugliedern. Das Scheitern der Verhandlungen mit dem Imperial College in London bedeutete auch gleichzeitig ein bewusstes Abwenden der AA von der von der RIBA geforderten Standardausbildung, was auch dessen Sonderrolle innerhalb der verschiedenen Ausbildungsmodelle ausmacht. Alvin Boyarsky (1928–1990), einflussreicher Chairman der AA von 1971 bis zu seinem Tod 1990, baute ein didaktische Modell der Schule, das sogenannte „Unit System“ seiner Vorgänger konsequent aus, welches erstmals in den 1930er Jahren angewendet wurde und in den späten 1960er Jahren wiederbelebt wurde. Dieses basierte in seinem Grundsatz auf E.A.A. Rowse, seines Zeichens „Principal“ der AA von 1935–1938. Dessen Modell beruhte in der Integration von kleine Gruppen von Studenten in den sogenannten „units“ – Einheiten –, wo diese zusammen forschen und entwerfen sollten, was weniger vom Einfluss des Bauhauses als vom soziologischen Modell von Patrick Geddes (1854–1932) zeugt. 168 Boyarsky beschrieb die Vorteile des Systems wie folgt: „Each of the Unit Masters had to attract the students with a programme of their own making. Suddenly, people with great intelligence and potential who came through the 1960s in London were faced with the question, ‘What do you stand for?’ There was an incredible burst of energy, theoretical positions were assumed, enormous rivalry emerged between the teachers, and students could help develop the ongoing propositions.“169 Das von Boyarsky wiederbelebte Unit-System hat auch heute noch seine Gültigkeit. Es sieht vor, dass meist AA-Alumni als junge Dozierende (Unit Masters) mit Einjahresverträgen ausgestattet werden und in kompetitiven Präsentationen zu Beginn des akademischen Jahres Studierende für ihre Entwurfsklasse, die „Unit“, gewinnen müssen. Die Units haben in der Folge völlige Freiheit über das Curriculum und agieren als Gruppe von ca. 12 Studierenden und ein bis zwei Dozierenden als geschlossene Einheit, die während eines Jahres an

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einer Thematik forscht und arbeitet. So findet ein konstanter Austausch zwischen Studierenden und Dozierenden bei internen Tischgesprächen und Diskussionen statt. Die daraus resultierenden Studierendenarbeiten in Form von Portfolios, welche den gesamten Analyse- und Gestaltungsprozess aufzeigen, werden in verschiedenen öffentlichen Foren innerhalb der Schule präsentiert und kontrovers diskutiert und erst am Ende des akademischen Jahres von einem Panel von Dozierenden der Schule beurteilt. Diese Prüfung wird entweder bestanden oder nicht, Benotungen gibt es keine. Der Unit gilt die größte Aufmerksamkeit im Curriculum. Theoriefächer werden gemäß einem „Pickand-Mix-System“ von den Entwurfsdozenten empfohlen oder je nach Interesse der Studierenden gewählt. Studierende sind also frei, sich aus einem breiten Angebot von Kursen aus dem Bereichen „history and theory studies“, „technical studies“ und „media studies“ einige wenige auszusuchen, deren Inhalt ihren Entwurf unterstützt. Diejenigen Kurse, welche auf kein Interesse stoßen, werden schlicht nicht durchgeführt. Dasselbe gilt für die Units. Dieses kompetitive und pluralistische Modell provoziert Diskussionen und manchmal auch ideologische Konflikte. Es dient den Dozierenden als Labor, in welchem ihre architektonischen Ideen mit Hilfe der Studierenden getestet werden können, meist bevor sie überhaupt als bauende ArchitektInnen tätig werden. Die Resultate der Units werden in Ausstellungen und Publikationen der AA veröffentlicht und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Architekturdebatte. Die Lehre wird dank der Präsenz der Resultate in der Öffentlichkeit in ihrem Status gegenüber der gebauten Architektur gleichgestellt. Wie Crinson und Lubbock beschreiben, entwickelte sich die AA schon unter Boyarsky „from science laboratory to arts laboratory, with the unit system revived not to enable teamwork and research, but to foster the notion of education itself as an avant-garde activity and a commodity.“170

Die Unit als Modell für die Praxis Dabei stellt sich die Frage, welchen Beitrag eine Unit, ein Entwurfsstudio, für die Forschung und Entwicklung der Architektur in der Praxis leisten kann Der Ruf nach der Verwissenschaftlichung der Architekturausbildung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat besonders in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem zu zwei Entwicklungen geführt: die erste ist durch die Übernahme von wissenschaftlichen Methoden aus den Geistes- und den Naturwissenschaften gekennzeichnet, mit denen über Architektur, ihre Prozesse und ihre Bedingungen geforscht wird, die zweite versteht den Entwurf selber, als Forschungsprozess, was exemplarisch an der AA vollzogen wurde und immer noch wird. Zur ersten Gruppe zählt das viel zitierte Forschungsprojekt Project on the City, das Rem Koolhaas 1996 an der Harvard Graduate School of Design mit

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Studenten durchgeführt hat. Hier wurde grundsätzlich auf den Entwurf verzichtet – was natürlich eine radikale Entscheidung bedeutet – zugunsten von Forschungen über die sozio-ökonomische Bedingungen und ihren räumlichen Ausdruck von Phänomenen wie „shopping“. Diese Art von Lehre versteht Koolhaas als „commitment to research as prelude to design, like two things that are almost bonded or laminated together“.171 Die Resultate wurden dann in Buchform veröffentlicht. 172 Als Beispiel der zweiten Gruppe zählt das 1998 an der AA etablierte „Design Research Laboratory“ (DRL), wo in kleinen Gruppen mithilfe neuer Methoden und Instrumente durch das Entwerfen geforscht wird. Vom Erfolg dieses Laboratoriums zeugen die vielen innovativen Forschungseinheiten die von Absolventinnen des DRL innerhalb neue und etablierte Firmen aufgebaut wurden (z.B. die „Advanced Geometry Unit“ von Ove Arup, das „Parametric Research Team“ von Adams Kara Taylor oder ähnliche Departements bei Zaha Hadid Architects oder Forster and Partners).173

Didaktische Räume: von Unit Space über Karneval bis Campus Die AA zog 1917 in die Nummer 36 des Bedford Square im Zentrum von London, wo sie auch heute noch zu Hause ist. Ursprünglich nur in einem dieser Georgian townhouses, einer ehemaligen Residenz am Bedford Square angesiedelt, ist die AA mittlerweile zu einem wahren Campus gewachsen, indem die benachbarten Gebäude entlang der Westseite des Bedford Square sowie angrenzende Immobilien akquiriert werden konnten. Der Wohn-Charakter der Räumlichkeiten bleibt allerdings weiter bestehen, er ist essenzieller Bestandteil des didaktischen Konzeptes. Brett Steele, Direktor der AA seit 2005 bezeichnet die Beziehung von Raum und Didaktik wie folgt: „There is a strong relationship between the space of the school of the AA and the kind of teaching methods, emphasis on experimentation, and pedagogy that the school is famous for. […] One of the things that are interesting about the domestic architecture that we inhabit and grew up around is that there is a kind of domesticity to how we operate as a school: it is a series of small self-contained worlds that make up the bigger institution. But there aren’t these big, uniform, universal spaces that most institutions are sunk by in a modern type of architecture school.“174 Die Unit Spaces der AA sind kleine Zimmer, welche jeder Unit zugeordnet werden und nur Platz für wenige Personen und somit zu klein für Arbeitsplätze sind. Es ist ein Rückzugsort für intensive Diskussion im kleinen Rahmen. Im Herzen des Campus befindet sich die AA Bar. Sie kommt einem öffentlichen Wohnzimmer gleich, in welchem ein steter informeller Austausch stattfindet und man sich vor und nach Veranstaltungen trifft. Öffentliche Vorträge finden in der kleinen lecture hall statt, welche selten genügend Platz für alle Zuhörer bietet. Die AA Gallery ist neben den front und back members rooms der

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Raum für Ausstellungen, der soft room derjenige für Gespräche, Performances und Debatten. Abbildung 41, AA Carnival, 1978

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Weitaus wichtiger für die Reputation und den kommerziellen Erfolg dieser Privatschule ist allerdings deren Ruf als kritische Vordenkerin des Architekturschaffens und als eine Art social club, der seinen Mitgliedern weit mehr als das Angebot einer traditionellen Architekturschule bietet; die AA ist auch berühmt (und berüchtigt) für seine member soirées, parties und ausgefallenen Aktionen. So schreibt Edward Bottoms, der Archivar der AA über den AA Carnival von 1978: „One night of 3 March 1978 over 1,000 people crammed into the halls and corridors of 34-36 Bedford Square – The AA Carnival had been revived. What followed was a hedonistic performance of such proportions and such anarchic lawlessness that it was to enter into AA folklore. […] Orchestrated primarily by two second-year students, […], the carnival was heralded by a series of publicity events calculated to build momentum. […] Anticipation was ramped up further with the appearance of a circus elephant in Bedford Square, which was ridden rather shakily by AA Chairman Alvin Boyarsky, nervously smiling under his pith helmet.“175 Was folgte war eine Abfolge von kuriosen Auftritten und Interventionen, darunter die Band Throbbing Gristle (bekannt als „pioneers of industrial noise“), welche aus einer Suche nach der schlechtesten Band Londons hervorgingen. Bottoms erzählt weiter: “In the library a snake show and glass-walking/ fire-eating act held court – together with an overenthusiastic clown outperforming the hired male and female stippers. […] Top billing, however, was given to Roy Fransen, whose Dive of Death, from a 20m-high platform into a 2m-deep tup of flaming water, was scheduled to take place in Bedford Square at 3.30am (duration 1.7 seconds). As it was, the party never made it to 3.30am (and Fransen was to meet his end a few years later performing the same trick).“176 Gleichzeitig wird über die eigene Galerie und das eigene Publikationshaus, die AA Publications und dessen vielfältiges Angebot generiertes Wissen und Projekte nach außen getragen. Die Öffentlichkeitsarbeit war schon früh als Notwendigkeit erkannt, um gegenüber den etablierten Universitäten zu bestehen. 1859 wurde denn auch schon der erste Prospekt der Schule publiziert. Die didaktischen Räume der AA wandeln und erweitern sich ständig. Was bleibt, ist eine akademische Atmosphäre, die die Diskussion rund um die Architektur fördert und fordert. Zusammen mit stets innovativer Lehre basierend auf dem didaktischen Modell des unit systems ist diese das eigentliche Markenzeichen der Schule. Mit ihr können sich viele, die einmal Mitglied der AA waren, identifizieren. Die verschiedenen öffentliche Plattformen wie das eigene Publikationshaus (AA Publications), die globale Visiting School und nicht zuletzt die Ausgelassenen Feste am Bedford Square wie der AA Carnival sind wichtige Bestandteile einer gekonnten Inszenierung und Vermittlung der Marke AA. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die AA eine der wenigen

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

erfolgreichen und unabhängigen Architektur-Privatschulen weltweit ist. Als charity, also offiziell als Wohltätigkeitsorganisation und nicht als Firma registriert, verfolgt sie aber keine kommerziellen Ziele. Ihre Unabhängigkeit ermöglicht es ihr, mit Konventionen zu brechen und akademische und professionelle Entwicklungen in der Architektur öffentlich zu hinterfragen. Diese Rolle in Kombination mit ihrer Internationalität macht sie automatisch zum Brennpunkt der weltweiten kritischen Architekturdebatte und somit zum vielleicht letzten „enfant terrible“ unter den Architekturschulen. In diesem Sinne feierte 2013 die Architectural Association School of Architecture, die älteste Architekturschule Großbritanniens, ihr 166-jähriges Bestehen mit einer ausgelassenen Geburtstagsparty, einer „Extravaganza in black and white.“ Abbildung 42, AA Carnival, 1978

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Metageschichte der Architektur

A NMERKUNGEN 1 | Saint, Andrew, The Image of the Architect, New Haven, London: Yale University Press, 1983, S. 138. 2 | „Silhouettes de clients“, in: L’architecture. Journal hebdomadaire. Société Centrale des Architectes Français, 23e année, nr. 17, samedi 23 Avril 1910, S. 145. 3 | Oechslin, Werner, „Das Berufsbild des Architekten – eine Erinnerung als Einführung“, in: Oechslin, Werner (Hg.), Architekt und/versus Baumeister. Die Frage nach dem Metier, Zürich: gta, 2009, S. 7. 4 | „Le morcellement, l’émiettement de l’architecture en spécialités ridicules a eu ce résultat de détruire l’architecte proprement dit, de lui retirer sa véritable force. […]. De toutes ces spécialités extraites de l’architecture, une seule est vivace: le corps des ingénieurs. Il menace de dévorer toutes les branches éparses du grand art de l’architecture; et si l’on n’y prend garde, il deviendra le tronc, tronc nu, dépouillé, froid, inflexible, arbre stérile comme toute chose issue d’une spécialité.“ Viollet-le-Duc, „Un mot sur l’architecture en 1852“, in: Revue générale de l’architecture et des travaux publics. Journal des architectes et des ingénieurs, des archéologues des industriels et des propriétaires, sous la direction de M. César Daly architecte, n. 10, 1852, S. 375. 5 | Lipstadt, Hélène, „Avant-propos“, in: Lipstadt, Hélène, Mendelsohn, Harvey (Hsg.), Architectes et ingénieur dans la presse: polémique, débat, conflit, Paris: C.O.R.D.A/I.E.R.A.U, 1980, S. 22. 6 | Sullivan, Louis, The Autobiography of an Idea [1924], New York: Dover Publications, Inc., 1956, S. 234. 7 | Siehe diesbezüglich auch: Warnke, Martin, Hofkünstler: zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln: DuMont, 1985, sowie: Kimpel, Dieter, „Die Soziogenese des modernen Architektenberufs“, in: Möbius, Friedrich, Sciurie, Helga (Hsg.), Stil und Epoche. Periodisierungsfragen, Dresden: Verlag der Kunst, S. 106-143. 8 | Saint 1983, S. 20. 9 | Ebd., S. 22/23. 10 | Pouillon, Fernand, Singende Steine. Die Aufzeichnungen des Wilhelm Balz, Baumeister des Zisterzienserklosters Le Thoronet [1962], aus dem Französischen von Gudrun Trieb, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2008, S. 52, 95. 11 | Follett, Ken, The Pillars of the Earth [1989], New York: New American Library, 2002. 12 | Le Corbusier, Quand les cathédrales étaient blanches. Voyage au pays des timides, Paris: Plon, 1937. 13 | http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/architektur/ Der-boese-Le-Corbusier/story/12999618_26.10.2013.

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was? 14 | Bourruey, René, „Urbaniste a Marseille. 1931–1949. L’isolement de ‚l’expert‘ face à la société locale“, in: Quels dess(e)ins pour les villes? De quelques objets de planification pour l’urbanisme de l’entre-deux-guerres, Journée d’études qui se sont tenues les 1er et 2 julliet 1991, Ministère de l’Equipement, du Logement et des Transports Direction de la Recherche et des Affaires Scientifiques et Techniques, no 20/21, Octobre 1992. 15 | Cassius Dio, Römische Geschichte, Band V, Buch 69, übersetzt von Otto Veh, Zürich: Artemis, 1987, S. 225/226. 16 | „L’Adresse de Mansart étoit d’engager le Roi, par des riens en apparence, en des entreprises fortes ou longues, et de lui montrer des plans imparfaits, surtout pour ses jardins, qui tout seuls lui missent le doigt sur la lettre. Alors Mansart s’écrioit qu’il n’aurait jamais trouvé ce que le Roi proposoit ; il éclatoit en admirations, protestoit que’auprès de lui il n’étoit qu’un ecolier et le faisoit tomber de la sorte où il vouloit, sans que le Roy s’en doutât le moins du monde.“ Degeorge, Hector, „Portraits de Hardouin Mansart et de Le Nôtre par Saint-Simon“, in: L’architecture, Journal de la Société Centrale des Architectes Français, 18e année, Samedi 30 Septembre 1905, S. 370. 17 | Hardt, Michael, Negri, Antonio, Empire, Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 2001. 18 | Davis, Mike, City of Quartz, London: Verso, 1990, S. 231. 19 | „Critics, if not architects manqués, are characteristically scholars brought up in the study of the humanities, and so bring to architecture from the other arts a tradition of honouring artistic expression as pre-eminent. They make of architecture, in fact, an analogue with poetry or music, and ascribe exclusive or primary virtue to its original creator.“ Saint 1983, S. 6. 20 | Freidrichs, Chad, The Pruitt-Igoe Myth, 2011. 21 | Jacobs, Jane, Tod und Leben grosser amerikanischer Städte [1961], Berlin: Ullstein, 1963, S. 10. 22 | Bruch, Ernst, „Berlin’s bauliche Zukunft und der Bebauungsplan“, in: Deutsche Bauzeitung, Wochenblatt, 3.3.1870, S. 95. 23 | Christiane F., Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Nach Tonbandprotokollen aufgeschrieben von Kai Hermann und Horst Rieck [1978], Hamburg: Stern, 2009, S. 16. 24 | „Devant les résultats catastrophiques des grand ensembles, on concède parfois que l’urbanisme a évolué, que cela se passait il y a 10 ans. Non! Ces formes d’urbanisme ne sont pas ,maintenant‘ dépasseés, elles ont toujours été une erreur. [...]. A vrai dire, les principes de ce que l’on a dénommé emphatiquement ‚Charte‘, et plus abusivement encore ‚d’Athènes‘ sont à l’origine de ce que l’on a obtenu de plus certain: l’ennui.“ Aillaud, Émile, „Une ville. Essai de réponse“, in: Aillaud, Émile, La grande Borne, Paris: Hachette, 1972, S. 35.

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Metageschichte der Architektur 25 | Bosworth Jr., F.H., Jones, Roy Child, A study of architectural schools, for

the association of collegiate schools of architecture, New York: Charles Scribner’s Sons, 1932, S. 107/108. 26 | Saint 1983, S. 6. 27 | Schnapp, Jeffrey T. „Chi é l’architetto moderno?“, in: Beltrametti, Guido, Burns, Howard (Hg.), L’architetto: ruolo, volto, mito, Venedig: Marsilio, 2009, S. 306/307. 28 | Amt, Stefan, „Von Vitruv bis zur Moderne – Die Entwicklung des Architektenberufes“, in: Johannes, Ralph, Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Geschichte – Theorie – Praxis, Hamburg: Junius, 2009, S. 14. 29 | Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, übersetzt und mit Anmerkung versehen von Dr. Curt Fensterbusch [1964], Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987, S. 25. 30 | Steffens, Jo, Unpacking My library: architects and their books, New Haven: Yale University Press, 2009, S. 63. Das gleiche wurde dann von der Internetseite Designersandbooks.com für 50 Designer gemacht. 31 | Burioni, Matteo, Die Renaissance der Architekten. Profession und Souveränität des Baukünstlers in Giorgio Vasaris Viten, Berlin: Gebr. Mann, 2008, S. 40. 32 | Pevsner, Nikolaus, „Zur Geschichte des Architektenberufs (Martin Briggs, The Architect in history)“, in: Kritische Berichte, 1930–1932, S. 111/112. 33 | Burckhardt, Jacob, Die Cultur der Renaissance in Italien, Basel: Schweighäuser, 1860. 34 | Tafuri, Manfredo, Ricerca del Rinascimento. Principi, città, architetti, Turin: Giulio Einaudi editore, 1992, S. 21. 35 | Rossi, Sergio, Dalle botteghe alle accademie. Realtà sociale e teoria artistiche a Firenze dal XIV al XVI secolo, Mailand: Giacomo Feltrinelli Editore, 1980, S. 52. 36 | Wackernagel, Martin, Der Lebensraum des Künstlers in der florentinischen Renaissance, Aufgaben und Aufftraggeber, Werkstatt und Kunstmarkt, Leipzig: E.A. Seemann, 1938, S. 308. 37 | Ebd. 38 | Ebd. 39 | Ebd. 40 | Burioni 2008, S. 9/10. 41 | Lipstadt, Hélène (Hg.), The Experimental Tradition. Essays on Competitions in Architecture, The Architectural league of New York: Princeton Architectural Press, 1989. 42 | Blum, Gerd, Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, München: C. H. Beck, 2011, S. 67/68.

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was? 43 | Minvielle, Geo, Histoire et condition juridique de la profession d’architecte, Bordeaux: Imprimerie de l’université, 1921, S. 53. 44 | Kiene, Michael, „Das Berufsbild des Architekten im 16. Jahrhundert: Bartolomeo Ammannati als letzter Dombaumeister und als Hofarchitekt in Florenz“, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 26, 1999, S. 162. 45 | Barzman, Karen-edis, The Florentine Academy and the Early Modern State. The discipline of disegno, Cambridge: Cambridge University Press, 2000, S. 1. 46 | Ebd., S. 29. 47 | Burioni 2008, S. 74. 48 | Blum 2011, S. 66. 49 | Rossi, 1980, S. 167. 50 | Pevsner, Nikolaus, Academies of Art. Past and present [1940], New Preface by the Author, New York: Da Capo Press, 1973. 51 | Burioni 2008, S. 10. 52 | Ebd., S. 46. 53 | Barzman 2000, S. 69. 54 | Es sei abeschliessend auch auf die 1657 gegründete Accademia del cimento verwiesen. 55 | Schlimme, Hermann, „Die frühe Accademia et Compagnia dell’Arte del Disegno in Florenz und die Architekturausbildung“, in: Johannes 2009, S. 340. 56 | Pietrangeli, Carlo (et al.), L’Accademia Nazionale di San Luca, Rom: De Luca Editore, 1974, S. 10. 57 | Cipriani, Angela, „Die Accademia di San Luca in Rom“, in: Johannes 2009, S. 346. 58 | Zuccari, Federigo, L’Idea dé Pittori, Scultori et Architetti, Divisa in due libri, Rom: Stamperia di Marco Pagliarini, 1607, S. 35. 59 | Marconi, Paolo, Cipriani, Angela, Valeriani, Enrico, I disegni di architettura dell’Archivio storico dell’Accademia di San Luca, Rom: De Luca Editore, 1974, S. XIV. 60 | Scano, Gaetano, „Insegnamento e concorsi“, in: Pietrangeli 1974, S. 31 (Übersetzung AG). 61 | Valadier, Giuseppe, L’architettura pratica, dettata nella scuola e cattedra dell’insigne accademia di San Luca [1828], Rom: Angelo Ruggieri, 1992, S. 7. 62 | Marconi 1974, S. 19. 63 | Ebd., S. XIV. 64 | Pietrangeli 1974, S. 17. 65 | Pevsner 1973, S. 110. 66 | Laffitte, Louis, „Cités modernes et Hygiène civique. A propos de l’exposition de la cité moderne“, in: Exposition de la „Cité moderne“ organisée par la Chambre de Commerce de Nancy et la Société Industrielle de l’Est, Nancy, 4–17 Mai 1913, Nancy: Bulletin de la Chambre de Commerce de Nancy, 11e année, N. 53, Juliet-Août 1913, S. 268.

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Metageschichte der Architektur 67 | Pevsner 1973, S. 82. 68 | Minvielle 1921, S. 66/67. 69 | Ebd., S. 70/71. 70 | Pevsner 1973, S. 16. 71 | Schöller, Wolfgang, Die „Académie royale d’architecture“ 1671–1793, Ana-

tomie einer Insitution, Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1993, S. 51. 72 | Ebd., S. 184. 73 | Minvielle 1921, S. 60. 74 | Pérouse de Montclos, Jean-Marie (Hg.), „Les Prix de Rome“, Concours de l’Académie royale d’architecture au XVIIIe siècle, Paris: Berger-Levrault, 1984, S. 9. 75 | Schöller 1993, S.164/165. 76 | Pérouse de Montclos 1984, S. 7/8. 77 | Ebd., S. 8. 78 | Schöller 1993, S. 146. 79 | Kiene 1999, S. 164. 80 | Schöller 1993, S. 163. 81 | Ebd., S. 207. 82 | Ebd., S. 208. 83 | Pérouse de Montclos 1984, S. 7. 84 | Ebd., S. 17. 85 | Schöller 1993, S. 281. 86 | Ebd., S. 236/237. 87 | Picon, Antoine, Architectes et ingénieurs au siècle des lumières, Marseille: Éditions Parenthèses, 1988, S. 116. 88 | Johannes 2009. 89 | Schmidt, Freek H., „Expose Ignorance and Revive the ‚Bon Goût‘: Foreign Architects at Jacques-François Blondel’s École des Arts“, in: Journal of the Society of Architectural Historians, Vol. 61, No. 1, March 2002, S. 4–29. 90 | Garleff, Jörn, „Die École polytechnique und die École des beaux-arts in Paris“, in: Johannes 2009, S. 432. 91 | Zitiert in: Epron, J.-P. et al. (Hg.), Architecture. Architectes. Enseignements. Institutions. Profession. Anthologie 1790–1948, Paris: Institut français d’architecture, 1981, S. 94. 92 | Zitiert in: Epron 1981, S. 90. 93 | Schumacher, Fritz, Handbuch der Architektur, Vierter Teil: Entwerfen. Anlage und Einrichtung der Gebäude, 1926, S. 15. 94 | „Ce qui frappe avant tout, quant on examine les huit projets exposés à l’École des beaux-arts, c’est la parfaite uniformité de style répandue partout. On dirait des conceptions sorties d’un même cerveaux.“ „Concours du GrandPrix de Rome, Section d’architecture. N. 9“, in: Encyclopédie d’architecture, deuxième série, Gazzette des architectes et du bâtiment, Revue bi-mensuelle

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was?

publiée sous la direction de M. E. Viollet-le-Duc fils et par M. Cortroyer, 1ere Année 1863, S. 122. 95 | Zitiert in: Epron 1981, S. 40. 96 | Ebd. 97 | Denès, Michel, Le fantôme des Beaux-Arts. L’enseignement de l’architecture depuis 1968, Paris: Les éditions de la Villette, 1999. 98 | Garleff 2009, S. 411/412. 99 | Zitiert in: Lucan, Jacques, Composition, non-compostion. Architecture et théories, XIXe-XXE siècles, Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes, 2009, S. 174. 100 | Ebd., S. 181. 101 | Ebd., S. 192. 102 | Pevsner 1930–1932, S. 116. 103 | Van Zanten, David, Building Paris, Architectural Institutions and the Transformation of the French Capital, 1830–1870, Cambridge: Cambridge University Press, 1994, S. 46. 104 | O’Connell, Lauren M., „Redefining the Past: Revolutionary Architecture and the Conseil des Bâtiments Civils“, in: The Art Bulletin, Vol. 77, No. 2, June 1995, S. 207. 105 | Van Zanten 1994, S. 50. 106 | Ebd., S. 47/48. 107 | Durand, J.N.L., Précis des leçons d’architecture données à l’ecole royale polytechnique, Second volume, Paris: Firmin Didot, 1819, S. 1. 108 | Ebd. 109 | Garleff 2009, S. 401/402. 110 | Perez-Gomez, Alberto, Architecture and the Crisis of Modern Science, Cambridge: MIT Press, 1983. 111 | Garleff 2009, S. 403. 112 | Pfammatter, Ulrich, „Die Erfindung des modernen Architekten und Ingenieurs – die École Centrale des Arts et Manufactures in Paris“, in: Johannes, Ralph, Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Geschichte – Theorie – Praxis, Hamburg: Junius, 2009, S. 442. 113 | Ebd., S. 457. 114 | Pevsner 1930–1932, S. 121. 115 | Peter, John, The Oral History of Modern Architecture. Interviews with the Greatest Architects of the Twentieth Century, New York: Harry Abrahams, 1994, S. 114. 116 | Heckmann, Hermann, „Barockarchitektur im deutschen Sprachraum“, in: Johannes 2009, S. 286. 117 | Pevsner 1973, S. 119. 118 | Meder, Joseph, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung [1919],

zweite verbesserte Auflage, Wien: Kunstverlag 1923, S.238/239.

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Metageschichte der Architektur 119 | Pevsner 1930–1932, S. 119. 120 | Magistrat (Hg.), Tiefbauverwaltung, Berlin: Julius Springer, 1914, S. 1. 121 | Crinson, Mark, Lubbock, Jules, Architecture. Art or Profession? Three

Hundred Years of Architectural Education in Britain, Manchester: Manchester University Press, 1994, S. 2. 122 | Pevsner 1973, S. 20. 123 | Ebd., S. 126. 124 | Zitiert in: Saint 1983, S. 54. 125 | Blyth, John, „The necessity of a national School of Architecture“, in: Civil Engineer and Architect’s Journal, 1837, S. 158. 126 | The Times, Tuesday, March 3, 1891, S. 9. 127 | Saint 1983, S. 66. 128 | Abercrombie, Patrick, „The School of Architecture Liverpool University“, in: The builder, an illustrated weekly magazine for the architect, engineer, archaeologist, constructor, sanitary reformer and art-lover, Volume CXIX, November 19, 1920, S. 579. 129 | Siehe auch: Baumhoff, Anja, Droste, Magdalena (Hsg.), Mythos Bauhaus, Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2009. 130 | Rykwert, Joseph, „The Dark Side of the Bauhaus“ [1968], in: Rykwert, Joseph, The Necessity of Artifice, London: Academy Editions, 1982, S. 44–49. 131 | Wick, Rainer K. „Kunstschulreform 1900–1933,“ in: Johannes 2009, S. 586. 132 | Zitiert in: Wick 2009, S. 593. 133 | Gropius, Walter, Programm des staatlichen Bauhauses in Weimar, April 1919. 134 | Wick 2009, S. 605. 135 | Ebd. 136 | Stelzert, Otto, „Der Vorkurs in Weimar und Dessau“, in: Bauhaus, eine Veröffentlichung des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, Stuttgart: Cantz, 1982, S. 33. 137 | Winkler, Klaus-Jürgen, „Bauhaus 1919–1933. Baulehre und Entwerfen“, in: Johannes 2009, S. 622. 138 | Ebd., S. 617. 139 | Gropius, Walter, Programm des staatlichen Bauhauses in Weimar, April 1919. 140 | Wolfe, Tom, Mit dem Bauhaus leben. Die Dikatur des Rechtecks [1981], aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt, Königstein: Athenäum, 1981, S. 16. 141 | Laffitte 1913, S. 268. 142 | Saint 1983, S. 72. 143 | Ebd., S. 76.

Lektion 2: Die Geschichte der Architekturausbildung: Was? 144 | Frampton, Kenneth, Latour, Alessandra, „Note sull’insegnamento dell’architettura in America. Dalla fine del diciannovesimo secolo agli anni ‘70“, Lotus International Nr. 27, 1980/II, S. 5-39. 145 | Bosworth, Jr., 1932, S. 54. 146 | Sullivan 1956, S. 213. 147 | Ebd., S. 321/322. 148 | Alofsin, Anthony, The Struggle for Modernism. Architecture, Landscape Architecture, and City Planning at Harvard, New York: W. W. Norton & Company, 2002, S. 11. 149 | Ebd., S. 29. 150 | Ebd., S. 55. 151 | Ebd., S. 131. 152 | Peter 1994, S. 189/190. 153 | Schulze, Franz, Philip Johnson. Life and Work, New York: Alfred A. Knopf, 1994, S. 148. 154 | Ebd., S. 149/150. 155 | Alofsin 2002, S. 156/157. 156 | Ebd., S. 163/164. 157 | Herdeg, Klaus, The decorated diagram. Harvard architecture and the Failure of the Bauhaus Legacy, Cambridge: The MIT Press, 1983. 158 | Anthony, „Studio Culture and Student Life“, zitiert in; Ockman, Joan (Hg.), Architecture school: three centuries of educating architcts in North America, Washington D. C: MIT Press, 2012, S. 396. 159 | Siehe diesbezüglich: Banzer, Scherrer, Staub, „Das Projektstudio als Grundlage der Studienganggestaltung und Fachdidaktik Architektur“, in: Bachmann, Heinz (Hg.), Hochschullehre variantenreich gestalten, Bern: HEP, 2013, S. 137-159. 160 | Anthony 2012. S. 397. 161 | Ebd. 162 | Ebd., S. 398. 163 | Ebd. 164 | Ockman, Joan, „The Turn of Education“, in: Ockman 2012, S. 24. 165 | Crinson, Lubbock 1994, S. 138. 166 | Ebd., S. 90. 167 | Banzer, Scherrer, Staub 2013, S. 140. 168 | Sunwoo, Irene, „From the ‘Well-Laid Table’ to the ‘Market Place’: The Architectural Association Unit System“, in: Journal of Architectural Education, Nr. 65, Washington D. C.: Association of Collegiate Schools of Architecture, 2012, S. 25. 169 | Design Book Review, Winter 1987, N. 11, S. 10. 170 | Crinson, Lubbock 1994, S. 173.

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Metageschichte der Architektur 171 | Zitiert in: Salomon, David, „Experimental Cultures: On the ‘End’ oft he De-

sign Thesis and the Rise oft he Research Studio“, in: Journal of Architectural Education, Nr. 65, Washington D. C.: Association of Collegiate Schools of Architecture, 2011, S. 36. 172 | Koolhaas, Rem, Great Leap Forward, Köln: Taschen, 2001 und Koolhaas, Rem, Harvard Design School Guide to Shopping, Köln: Taschen, 2001. 173 | Banzer, Scherrer, Staub 2013, S. 139. 174 | Domeisen, „Prototype AA“, in: Archithese 3.2010, Sulgen: Niggli Verlag 2010, S. 42. 175 | Bottoms, Edouard, „AA Carnival 1978“, in: AA Files 65. London: AA Publications, 2012, S. 24. 176 | Ebd.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie? „Wenn wir die Architektur der Vergangenheit betrachten, versuchen wir als Architekten, ohne Ausnahme glaube ich, in ihr Geheimnis einzudringen. […] Was uns an Architektur interessiert, ist ihre Technik, die Art und Weise ihrer Entstehung, ihre Beschaffenheit, das Wie. Wir betrachten sie, um zu lernen, wie man es macht.“ G IORGIO G RASSI1

E INFÜHRUNG Die Geschichte der Architektur ist auch eine Geschichte des Machens der Architektur: der Werkzeuge, der Instrumente und der Methoden des Entwurfs, derer sich der Architekt bedient, um aus seinen Ideen ein Projekt und ein Gebäude entstehen zu lassen. Werkzeuge und Methoden sind die Instrumente des Entwurfs: ein Prozess, der schwer nachvollziehbar ist und aus einer unübersichtlichen Mischung aus Produzieren und Reflektieren, Machen und Denken sowie aus den Einflüssen des technischen, ökonomischen wie gesellschaftlichen Kontexts besteht.2 Der Entwurfsprozess ist weder ein linearer Prozess, bei dem eine Theorie aufgestellt wird, die dann durch Experiment (Handeln) verifiziert wird, noch eine Theorie, die durch das Handeln verifiziert werden muss, wie dies in der Wissenschaft der Fall ist.3 Es handelt sich um einen Prozess, bei dem Machen und Denken parallel laufen und sich mit unterschiedlicher Intensität abwechseln. Zwar ergibt sich daraus eine Akkumulation von Kenntnissen und Erfahrung, diese lässt sich aber nicht automatisch als Anleitung zum Entwerfen abrufen. Trotzdem kann gerade das wiederholte Einsetzen bestimmter Methoden und Instrumente eine gewisse Kontrolle über diesen Prozess ermöglichen. So gehört zum Rüstzeug guter Architekten meistens auch eine bevorzugte Methode oder Instrumente, die oft spezifisch für deren Arbeit und besonderes Vorgehen transformiert werden, wie die Zeichnungen bei Aldo Rossi oder die Texte bei Peter Eisenman.

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Je nachdem, ob sich die Architektur näher an der Kunst, der Wissenschaft oder dem Handwerk situierte, wurde dabei entweder das Machen oder das Denken besonders betont und die Möglichkeit einer rationalen Erklärung des Prozesses versucht oder verworfen. Bleibt dieser Prozess bis heute nur bedingt nachvollziehbar, so hat sich gezeigt, dass eine Besprechung der Methoden und Instrumente, die innerhalb dieser Prozesse zur Anwendung kommen, helfen kann, diese Prozesse besser zu verstehen. Eine solche Besprechung der Methoden und Instrumente gehört dabei zur Tradition der Architekturgeschichte: Gerade die Zeichnung und das Modell wurden bereits ausgiebig aus der Perspektive der Architekturgeschichte untersucht. Auch die von Architekten formulierten Theorien haben sich gründlich mit den Methoden auseinandergesetzt, man denke dabei nur an Gottfried Semper, der 1884 in seinem Aufsatz „Über Baustil“ eine direkte Korrelation zwischen „Kunsterscheinung“ und „Entstehungsgeschichte“ erkennt. Er betont, dass Stil der Griffel sei, „das Instrument, dessen sich die Alten zum Schreiben und Zeichnen bedienten, daher ein sehr bezeichnendes Wort für jenen Bezug zwischen der Form und der Geschichte ihrer Entstehung“. 4 Abbildung 43, Stephan Oehri, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

Es ist auffällig, wie konstant die Methoden und Instrumente des Entwerfens in der Geschichte der Architektur geblieben sind. Zirkel, Dreieck und Winkel finden sich in ikonografischen Darstellungen des Architekten von der Antike bis

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

ins 20. Jahrhundert, darin ändert sich also wenig, was angesichts des Wandels, die der Beruf im Laufe dieser Jahrhunderte durchgemacht hat, überrascht. Eine Sammlung von Architekturutensilien wie jene von Andrew Alpern zeigt diese Konstanz, aber auch den Berufsstolz in den veredelten Auf bewahrungsformen dieser Instrumente.5 Auch die Zeichnungstische werden stets weiterentwickelt, von den einfachen Holztischen der École des Beaux-Arts bis zu den automatisierten Zeichnungstischen der 1980er-Jahre. Auch das Papier bleibt im Grunde genommen das gleiche, es wird aber allgemein verfügbar, quadriert und schließlich durchsichtig, was dann das Kopieren erlaubt. Vom Ölpapier, das das Abzeichnen ermöglichte, sagt Gottfried Semper – durchaus kritisch –, es sei ein „Zaubermittel“, mit dem „wir unumschränkte Meister über alte, mittlere und neue Zeit“ geworden sind.6 Das Einführen der Lithografie, dann der Fotokopie, der Fotografie und damit der Montage und Collage waren weitere, durch neue Techniken bedingte Entwicklungsschritte, die aber keine radikalen Umwälzungen der Architektur zur Folge hatten. Es ist eher so, dass der Architekt, wenn er eine Veränderung der Architektur anstrebte, auch nach neuen Methoden und Instrumenten suchte, also die Architektur nach neuen Mittel zum Ausdrücken neuer Ideen verlangte. Oft erprobte der Architekt auf der Suche nach dieser Veränderung neue Methoden und Instrumente. Das eine bedingte das andere. So war das Rasterpapier eine wichtige Voraussetzung für die Entwurfsmethodik Jean-Nicolas-Louis Durands, nicht aber deren Auslöser; erstmals eingesetzt wurde es vermutlich im Umfeld der Bauhütte von St. Peter. Die atmosphärischen Bilder der Revolutionsarchitekten hingegen wären technisch gesehen durchaus schon früher möglich gewesen, waren aber Ausdruck einer Vorstellung von Architektur, die sich deutlich von der ihrer Vorgänger absetzte. Auch Modelle gibt es schon in der Antike – wie man zumindest aus Beschreibungen weiß –, dienten aber wohl erst seit der Renaissance auch als Entwurfsinstrument und nicht mehr nur als Grundlage für die Ausführung oder Darstellung eines Vorhabens. Wiederum im Zusammenhang mit dem Bau von St. Peter haben wir dabei einen eindrucksvollen Bericht über Nutzen und Bedeutung des Modells: Antonio da Sangallo der Jüngere (1484–1546) erhob mit einem detailgetreuen Modell – das so viel wie eine neue Kirche gekostet haben soll, viertausendfünfhundert Scudi7 – den Anspruch auf die Gültigkeit seines Entwurfs über den eigenen Tod hinaus und wurde deswegen von seinem Nachfolger Michelangelo belächelt. Statt ein „ewiges“ Modell zu bauen, ließ Michelangelo gleichzeitig an verschiedenen Stellen bauen, damit ein allfälliger Nachfolger nur mit größten Kosten seinen Entwurf abändern könne. Das war in der Tat wirksamer, als ein Modell zu realisieren.

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Einen wichtigen Einfluss auf die Architektur hatten indirekt die verschiedenen Baukastensysteme für Kinder, die ab 1800 in verschiedenen Formaten eingeführt wurden, insbesondere die Elementarbaukästen von Friedrich Fröbel (1782–1852), die er für seine Kindergartenpädagogik eingeführt hatte und die aus verschiedenen einfachen Volumen bestanden.8 Eine ganze Generation von Architekten wurde von diesen und ähnlichen Baukästen beeinflusst, worauf Frank Lloyd Wright ausdrücklich hinweist.9 Auch bei Walter Gropius und der Bauhauspädagogik blieben sie nicht ohne Wirkung. „Neu“ ist das Diagramm als Entwurfsinstrument – wenn man nicht bereits die Schemen von Durand als Diagramme bezeichnen will –, es entspricht dem Bedürfnis nach einem methodischen Zwischenschritt, zwischen Idee und Projekt, der beides in sich tragen könne. Bereits 1910 spricht der Englische Architekt Gerald Horsley davon, dass Architekturzeichnungen als Diagramme betrachtet werden müssen und damit nicht nur dem Selbstzweck des Zeichnen dienen. 10 Das Diagramm ist in der Folge, aufgrund seiner Relevanz, Inhalt zweier Abschnitte. Relativ neu ist die Karte als Instrument des Entwerfens, wobei man zahlreiche Vorgänger wie den Campo Marzio von Piranesi nennen könnte. Auch die Szenariotechnik, wie sie vor allem in Holland in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, ist nicht neu; sie geht auf die Arbeit des Physikers und Zukunftsforschers Herman Kahn zurück. Gerade im Städtebau, im Kontext der Stadt- und Siedlungsplanung, wurde sie zu einem zentralen Instrument, das aber bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in anderer Form verwendet wurde, als es darum ging, die zukünftige Entwicklung einer Region zu planen. 11 Grundsätzlich stammen Diagramm, Szenario und Kartografie aus anderen Disziplinen – Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften, besonders Physik und Geografie, und dem Militär – ihre „Anverwandlung“ durch die Architektur entsprach einem Bedürfnis, das über neue Methoden und Instrumente erfüllt wurde. Generell aber verweist es auf den Einfluss des Zeitgeists auf die Architekten. Welche Instrumente und Methoden man auch anwendet, sie sind Teil dieses zwischen Idee, Entwurf (Zeichnung, Modell, Diagramm usw.) und Reflexion über den Entwurf usw. oszillierenden Prozesses, eines zirkulären Prozess, von der Zeichnung zum Modell und zurück zur Zeichnung usw., wie ihn der italienische Architekt Renzo Piano beschreibt. Dabei betont Piano, dass Denken und Machen mittels der Hand immer gleichzeitig ablaufen: Man denkt und macht, indem die Hand zeichnet. 12

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In der Geschichte des Verhältnisses von Architektur und Methoden/Instrumenten lassen sich dabei zwei technische Revolutionen identifizieren, die einen nachhaltigen Einfluss nicht nur auf die Art, wie Architektur gemacht wird, sondern auch auf die Architektur selber hatten. D.h. Revolutionen, bei denen der Architekt auf neue Methoden/Instrumente reagieren musste und sich dabei auch die Architektur durch das veränderte Entwerfen teilweise verändert hat. Die erste ist naheliegend, und wir befinden uns noch mittendrin: Sie beruht auf der Einführung der Computertechnologie und allen darauffolgenden Veränderungen in der Architektur. Die größten Konsequenzen aus unserer Sicht sind zwei: erstens die Tatsache, dass die Computermaus die Hand als Vermittlung zwischen Kopf und Entwurf ersetzt hat und zweitens, dass durch das sogenannte algorithmische Entwerfen – das Entwerfen mit Algorithmen, die „Probleme“ lösen und unzählige Resultate zur Verfügung stellen –, der klassisch entwerfende Architekt immer mehr verdrängt wird. Die zweite ist weniger naheliegend und durch eine weniger auffällige Neuerung eingeführt worden: die neue weiträumige Verfügbarkeit von Skizzenpapier und Bleistift in der Renaissance, was, im Vergleich zum Einritzen des Mittelalters – das Reißen –, das mit einem großen Materialwiderstand verbunden ist und sehr statisch war, das freie Skizzieren auf Papier und damit ein ganz anderes Entwerfen und Umsetzen von Ideen erlaubt. Damit wurde eine ganz andere Entfaltung von Ideen auf Papier möglich, die sich deutlich von jener der Vorbilder aus der Antike unterschied: Fortan wurde nicht mehr nur kopiert, sondern frei entworfen. Hier muss aber betont werden, dass diese Neuerung im Gegensatz zur ersten, wie oben angedeutet, wohl dem suchenden Architekten entgegenkam ist und nicht alleiniger Auslöser dieser Revolution war. Diese zwei epochalen Veränderungen, die durch neue technische Hilfsmittel ausgelöst wurden, sind Inhalt der ersten zwei Teile dieses Kapitels. Anschließend wird das Diagramm als das wohl „neueste“ und relevanteste Entwurfsinstrument in der Architektur der letzten Jahrzehnte von Holger Schurk besprochen. Dabei ist es nicht nur als neues Entwurfsinstrument eingeführt worden, sondern hat bereits früher – zu Beginn des 20. Jahrhunderts – den Architekten und Architekturhistorikern dabei geholfen, die räumliche Natur der Architektur spezifischer zu beschreiben, wovon ein anderer Abschnitt berichtet. Bemerkenswert ist dabei, wie die Anwendung des Diagramms als Entwurfsinstrument in der Architektur durch diese frühere Verwendung des Diagramms beeinflusst wurde. Am Ende wird Uli Herres noch ein Thema besprechen, das im Buch bislang nur latent vorhanden gewesen ist: das Handwerk.

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Denkende Hand „Sometimes it’s my hand that works before my mind [works] because of its habits, its possibilities. It’s extraordinary. The human hand is wonderful.“ L E C ORBUSIER , 196113

Bei der Auffassung des Entwurfs als oszillierendem Prozess zwischen Denken und Machen spielt die skizzierende, zeichnende oder modellierende Hand eine zentrale Rolle: die Hand, die mit einem Bleistift Wissen und Erfahrung in eine bestimmte Form zu bringen versucht, die Hand, die zu einer Synthese führen kann. Dazu besitzt sie selber Erfahrung und Wissen, wofür der Begriff der „denkenden Hand“ eingeführt wurde. Mit diesem Begriff wird die eigentümliche Vermischung von Denken und Machen in der Bewegung der Hand beschrieben. Hand und Kopf sind nicht zu trennen, dennoch hat die Hand eine gewisse Eigenständigkeit, von der hier die Rede ist. 14 Abbildung 44, Alvaro Siza, Der skizzierende Architekt, 1980

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Es war vor allem der finnische Architekturtheoretiker Juhani Pallasmaa (geb. 1936), der sich mit der Frage nach der Rolle der Hand im Entwurf auseinandergesetzt hat. In seinem Buch The Thinking Hand von 2009 entwickelte er eine Theorie der denkenden Hand mit Bezug auf ihre Rolle im Entwurf (dabei hat er viele seiner Konzepte in früheren Büchern und Aufsätzen bereits angedeutet). Für Pallasmaa spielt die Hand im Rahmen von künstlerischen Prozessen eine Hauptrolle bei der Bewusstseinswerdung und der Gewinnung von Wissen, ja dank der Hand, die zeichnet, schreibt oder Materie formt, können Ideen überhaupt erst Form annehmen. 15 Pallasmaa bemerkt dabei, dass die Hand und ihre Rolle als Übersetzerin von der Idee zur Form bisher von der Theorie vernachlässigt wurde, nicht zuletzt aufgrund der Dichotomie und Trennung von Geist und Körper, welche die westliche Gesellschaft seit Jahrhunderten dominiert. Sowie auch die Tatsache, dass historisch gesehen nicht nur die Entwicklung des Gehirns Einfluss auf die Entwicklung der Hand genommen hat, sondern auch umgekehrt die Entwicklung der Hand einen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns hatte. 16 Dabei spielen auch die Werkzeuge, mit denen die Hand die Ideen zur Form bringt, eine große Rolle, sie sind – so Pallasmaa – eine Spezialisierung der Hand, die ihre Fähigkeiten erweitert. 17 Für den Architekten sind es auf der einen Seite die technischen Instrumente wie Zirkel und Dreieck, auf der anderen Seite die verschiedenen Typen von Stiften, Tuschestift, Bleistift sowie die dazugehörigen Unterlagen. Erst durch das Machen – und das weiß jeder Architekt, der stundenlang damit beschäftigt war –, erst, wenn man den Weg findet, Ideen zur Form zu bringen, wenn man mit der Hand sucht, finden diese Ideen, die meistens auch dann erst klarer werden, eben eine Form und werden überprüf bar und mitteilbar. Ohne die Hand und ihre Tätigkeit bleiben Ideen Ideen und werden nicht zu Projekten. Eine weitere bemerkenswerte Auseinandersetzung mit der denkenden Hand stammt von Richard Sennett aus seinem dem Handwerk gewidmeten Buch, das sich – so Sennett – bezeichnenderweise auf die Formel „Machen ist Denken“ bringen lässt. 18 Sennett spricht dabei von der „intelligenten Hand“ und verweist auf Christ Bell und sein Buch von 1833, The Hand, wo zum ersten Mal die Rede davon war. Er verweist dabei auch auf die etymologische Wurzel von „begreifen“, das den Akt des Erfassens mit der Hand und damit den bereits in der Bedeutung des Wortes enthaltenen Verweis auf die Rolle der Hand beim Erkenntnisprozess beschreibt. Auch der Philosoph Vilém Flusser hat sich mit dem Thema der denkenden Hand auseinandergesetzt sowie mit der Schwierigkeit, deren Rolle im Erkenntnisprozess zu beschreiben. Sein Buch ist der „Geste“ gewidmet, die er als „eine Bewegung des Körpers oder eines mit ihm verbundenen Werkzeugs [bezeichnet], für die es keine zufriedenstellende kausale Erklärung gibt“. 19 Auch Flusser verweist auf die Etymologie der Wörter und auf die kognitive

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Funktion der Hand, die vergessen gegangen sei: „Die Wörter, die wir verwenden, um diese Bewegung unserer Hände zu beschreiben – ‚nehmen‘, ‚greifen‘, ‚begreifen‘, ‚fassen‘, ‚handeln‘, ‚hervorbringen‘, ‚erzeugen‘ –, sind zu abstrakten Begriffen geworden, und wir vergessen oft, dass die Bedeutung unserer Hände abstrahiert wurde. Das lässt erkennen, wie sehr der Prozess unseres Denkens von unseren Händen durch die Geste des Machens und durch den Druck geformt ist, den die Hände auf die Gegenstände ausüben, um sich miteinander zu treffen.“20 Eine letzte theoretische Auseinandersetzung mit der denkenden Hand, die u.a. das allgemeine Interesse für diese Vorstellung einer „Hand, die denkt“, bezeugt, stammt von Christoph Gänshirt, der die bisher wohl ausgereifteste Theorie des Entwerfens mittels Werkzeugen aufgestellt hat, nicht zuletzt mit Bezug auf Flusser.21 Diese Beispiele zeugen von der Aufmerksamkeit für das Thema der denkenden Hand, das, wie gesagt, auch die Trennung von Geist und Körper hinterfragt.

R ISS VS . D ISEGNO „Im Zeichnen, das man mit anderem Namen auch die Kunst des Entwerfens nennt, gipfeln Malerei, Skulptur und Architektur. Die Zeichnung ist Urquell und Seele aller Arten des Malens und Wurzel jeder Wissenschaft. Wer so großes erreicht hat, dass er des Zeichnens mächtig ist, dem sage ich, dass er einen köstlichen Schatz besitzt, denn er kann Gestalten schaffen, höher als irgend ein Turm, sowohl mit dem Pinsel als mit dem Meißel.“ F RANCISCO DE H OLLANDA 22

Der Übergang vom Mittelalter in die Renaissance war, wie bereits im vorherigen Kapitel betont, kein plötzlicher. Die Einwohner der toskanischen Städte sind nicht eines Morgens aufgewacht und draußen hat die Renaissance begonnen … Vieles, was sich politisch, ökonomisch und sozial im Spät- oder Hochmittelalter entwickelt hatte, war unumgängliche Voraussetzung für die Renaissance – und bestand danach auch weiterhin –, so das Erstarken der Stadt-Staaten in Mittelitalien, die die Stadt nicht nur als funktionellen Behälter von Untertanen sahen, sondern als etwas Organisches, das nicht nur Anforderungen bezüglich der Hygiene und der Sicherheit stellte, sondern auch zu einem ästhetischen Problem wurde, wie sich zum Beispiel am Errichten des

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Ornato della città in Siena, einem Stadtverwaltungsamt, das sich mit Problemen der Schönheit der Stadt befasste, zeigen lässt. Der Übergang vom Mittelalter zur Renaissance ist auch der Wechsel in der Art, wie Architektur entworfen und ausgeführt wurde, und der Rolle des Architekten in diesem Prozess. Im Mittelalter war der Architekt sehr nahe an der Bauhütte und an der Ausführung. Seine Arbeit war sehr stark an jene der Maurer gebunden – und oft stammte er selbst aus den Reihen der Maurer. Seine Zeichnungen waren oft Risse, die direkt der Umsetzung in der Bauhütte dienten. In der Renaissance hingegen etabliert sich eine Trennung zwischen Entwurf und Ausführung. Dieser Prozess war ebenfalls nicht ohne Zwischenschritte, wie die Entwicklung der Zeichnungsunterlagen bezeugt: von einer Schreibtafel, die mit Wachs überzogen war, zu einem Täfelchen, das mit Pergament bespannt und mit Knochenmehl grundiert war, zum Skizzenbuch.23 Vermutlich bestand bereits im Spätmittelalter die Gewohnheit, den ersten Entwurf in spezifische Zeichnungen oder Risse für die Baustelle zu übersetzen. Eine solche Trennung zwischen Entwurf und Ausführung gab es wahrscheinlich bereits in der Antike, wo eine „hohe intellektuelle Abstraktionsleistung“24 vorauszusetzen ist. Diese Entwicklung wurde aber ohne Zweifel in der Renaissance einerseits durch die Verbesserung der Zeichnungsunterlagen, andererseits und damit verbunden durch das Einführen des Bleistifts vorangetrieben. Die neuen Mittel ermöglichten einen Wechsel, der auch die Art, wie Architektur gedacht wird, verändert. War im Mittelalter das Projekt vor allem im Plan und dann in der Ansicht gedacht und meist nur als System von Proportionen, nicht zuletzt weil die Zeicheninstrumente – Feder, Silberstift oder das Einritzen – sehr statisch waren, was die Bewegung der Hand einschränkte, so konnte sich in der Renaissance die Hand dank Papier und Bleistift, Kreide oder Rötel frei bewegen und unbeschränkt „suchen“. Damit entsteht ein ganz anderes Verständnis der Architektur, das nicht nur im Plan, sondern auch in Perspektive und Schnitt den Raum „denkt“ und entwirft. Die Hand mit dem Stift entwirft, indem sie skizziert. Die technischen Veränderungen waren bestimmt nicht die alleinigen Auslöser dieser Transformation, ohne sie aber kaum vorstellbar gewesen. Es sei betont, wie unsere architektonische Sprache bis heute noch beeinflusst ist vom „Reißen“, wie das Christian Gänshirt an der Etymologie des Begriffes verfolgt hat.25 Die These eines durch neue technische Mittel bedingten Wechsels verfolgte unter anderem der französische Architekturtheoretiker Karim Basbous, der sich tiefgehend damit auseinandergesetzt hat. Als Lackmuspapier des Wechsels von einer Zeichnungsarbeit, die zwischen Entwurf und Ausführung kaum trennt, zu einer, die trennt und damit den Beginn einer reinen Entwurfszeich-

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nung markiert, erwähnt er die Projekte für den Dom von Mailand. Alle diese Projekte lassen sich auf die erste, noch in sich verbundene Entwurfs- und Ausführungspraxis zurückführen und basieren auf dem Erforschen von Proportionen, nur bei einem lassen sich Anzeichen der zweiten Art finden: Dabei handelt es sich um das Projekt von Antonio di Vincenzo (1350–1401), bei dem Plan und Schnitt nicht mehr getrennt sind, sondern gemeinsam gedacht werden, und bei dem auch Skizzen vorhanden sind, die vom freien Suchen nach einer angemessen Lösung zeugen.26 Der Entwurf vollzieht sich nicht zuletzt durch die Gleichzeitigkeit von Ansicht, Schnitt und Grundriss im Skizzieren. Die Zeichnung ist damit nicht mehr Teil der Ausführung, sondern wird zu deren Voraussetzung. Der gotische Architekt verfügte nur über harte Metallstifte und Pergament oder „harte“ Oberflächen wie Gips, Wachs oder Schiefer, womit die entwerfende Hand sich nur schwer und eingeschränkt bewegen konnte. Zudem bedingten die knappen Ressourcen die Notwendigkeit, möglichst viel Informationen auf wenig Oberfläche zu konzentrieren.27 Erst die freie Verfügbarkeit von Papier – Basbous erwähnt die Geburt des Papierherstellers Fabriano um 1250 – sowie das Einführen von neuen Zeichenmitteln wie der pierre-noire, der Bleistiftmine, bringen eine neue Art zu entwerfen, ja das moderne Entwerfen in unserem Sinne mit sich und damit auch eine ganz andere Art, ein Projekt zu entwerfen.28 Erst jetzt ist die denkende Hand frei, mit dem Bleistift Ideen zu übersetzen und zu überprüfen. Dabei sei aber nochmals betont, dass der Wechsel und der Prozess der Etablierung neuer technischer Hilfsmittel ein langsamer war und zum Beispiel das Pergament als „statische Grundlage“ neben dem Papier noch lange verwendet wurde. Vor Basbous haben bereits andere Historiker diesen Wandel auch auf die neuen technischen Mittel zurückgeführt, wie Wackernagel 1938, der aber betont, dass das eine mit dem anderen zusammen geschieht und nicht so monokausal sei, wie bei Basbous beschrieben: „Nochmals wird dabei bemerkbar, wie – Hand in Hand mit dem allgemeinen Stilwandel in der Strichführung und der ganzen Formauffassung – auch das Zeichenmaterial sich entsprechend ändert. Der Silberstift, das bevorzugte Instrument der behutsam delikaten Zeichenweise des frühen und mittleren Quattrocento, findet sich gegen den Ausgang des Jahrhunderts mehr und mehr zurückgedrängt, einerseits durch die Tuschfeder, – deren rascher, kecker, scharf pointierender Strich sich gern mit breiter Pinsellavierung, in Tusche oder braunem Bister oder mit weichtoniger Kreide verbindet –, andererseits durch die breite, flüssige Kreidetechnik und die gegen 1500 aufgekommene Rötelzeichnung.“29 Die Künstler der Renaissance hatten damit eine vollkommen neue Voraussetzung für ihre Arbeit und für ihr Verständnis der eigenen Rolle als Architekten: „Als Michelangelo und Raffael an sich selbst den Umschwung einer

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Epoche erlebten, d.h. die Ziele der Kunst andere geworden waren, die nicht mehr in einer linienscharfen Ausdrucksweise, sondern in der Bewältigung plastischer Massen lagen, tauschten sie die Zeichenmittel.“30 Abbildung 45, Joseph Meder, Originale Strichproben, 1919

Es ist auch kein Zufall, dass ein Schwerpunkt der Renaissance-Theorie die Frage des disegno war und damit das Verhältnis zwischen Entwurf und Zeichnung.

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Es ist diesbezüglich bemerkenswert, dass Giorgio Vasari, neben seiner Sammlung von Biografien – den Vite –, im Laufe seines Lebens auch eine Sammlung von Künstlerzeichnungen aufgebaut hat. Das Libro de’ disegni, wie Vasari es nannte, war als Unterfangen ebenso komplex und aufwändig wie die Vite und zeugt davon, dass es nicht nur um das Beispiel der Leben und Lebensläufe derjenigen ging, die große Kunst gemacht haben, sondern auch um den zeichnerischen Ausdruck, der dazu geführt hat.31 Trotzdem geriet es in Vergessenheit und erfuhr somit ein ganz anderes Schicksal als die äußerst erfolgreichen Vite. Das Libro sollte zur Dokumentation wie auch als Instrument zur Geschmacksbildung und Wissensvermittlung dienen.32 Vasari war somit der erste, der eine Theorie des disegno formulierte, wenn auch Zuccaro mit seinem bereits erwähnten Traktat L’Idea dé Pittori, Scultori et Architetti von 1607 mit der Unterscheidung zwischen disegno interno und disegno esterno die erste ernst zu nehmende Theorie aufstellte. Zuccaro wird Vasari auch Ungenauigkeit vorwerfen, da dieser zwischen Zeichnen und Abstraktion noch nicht unterscheidet.33 Damit steht außer Zweifel, dass die Voraussetzung dieser ersten Revolution die neuen technischen Hilfsmittel waren, die der „formsuchenden Phantasie“ entsprachen.34 Dabei spielte die Herkunft und Ausbildung des Architekten eine große Rolle: Ob er ein Amateur-Architekt, Maler oder Bildhauer war, bedingte die Art und Weise, wie er sich durch welche Art von Zeichnung ausdrückte. Ein Maler wird anders skizzieren als ein Bildhauer, weil Zweck und Ziel der Skizze andere sind. Auch die zur Verfügung stehende Zeit, die persönlichen Vorlieben und die Unterlage, auf die zu zeichnen war, bedingten die Materialwahl.35 Eine spezifische architektonische Zeichnung – nicht der Malerei oder Skulptur – findet sich aber erst bei Michelangelo, der, trotz seiner vielfältigen Tätigkeiten, die Differenzen wahrgenommen und ausgearbeitet hat. Bei Michelangelo – so Cammy Brothers – drückt die Zeichnung gleichfalls die Emanzipation der Architektur von den anderen Künsten und ihre Fähigkeit, frei von antiken Vorlagen zu entwerfen, aus.36 Erst mit Michelangelo hätte also diese neue Form des Entwurfs mit Bleistift und Papier auch eine spezifische architektonische Form gefunden. Diese These, die auch Brothers mangels Vergleichsmaterial nicht ausreichend belegen kann, begründet sie nicht zuletzt damit, dass in vielen Zeichnungen, die Michelangelo von antiken Vorbildern gemacht hat, anders als bei seinen Zeitgenossen, Maßeinheiten fehlten, was beweisen soll, dass es ihm eben nicht um Proportionen ging, sondern um formale und architektonische Vorlagen.37 Architektur dient bei Michelangelo nicht mehr dazu, einen Rahmen oder Hintergrund für die Malerei oder Skulpturen zu schaffen, wo diese

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aufs Vorteilhafteste „gezeigt“ werden, sondern wird zu einer selbstständigen Instanz, die ihren eigenen Regeln und Bedingungen folgt. Diese Tatsache liessse sich – so Brothers – anhand der Entwicklung von Michelangelos Art zu zeichnen prozesshaft verfolgen. Abbildung 46, Francesco Borromini, St. Ivo alle Sapienza, 1642–1664, Schnittperspektive

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Auf vergleichbare Art betrachtet der italienische Architekt Maurizio Sacripanti (1916–1996) die Zeichnungen von Bernini und Borromini (und damit verlassen wir die Renaissance). Die klaren Linien der Zeichnungen von Borromini zeigen – so Sacripanti –, dass dieser nicht mehr Bildhauer ist, sondern in seinem ganzen Wesen Architekt, während die bewegten Zeichnungen Berninis davon zeugen, dass dieser immer noch als Bildhauer die Architektur „denkt“.38 Bernini – so Sacripanti – entwerfe also als Bildhauer, Borromini als Architekt. Ob dieser Unterschied auch einen Einfluss auf die Architektur hat, sagt Sacripanti leider nicht, er verweist aber auf unterschiedliche Möglichkeiten, mit der Hand zu denken. Abbildung 47, Vanvitelli, Progetto di una grande Corte, Perspektive

Paradoxerweise erkannte 1839 einen anonymen Englischen Autor in der Tatsache, dass der Architekt Christopher Wren (1632-1722) wie ein Maler entwerfen würde, dass dieser deswegen die Räumlichkeit der Architektur am besten zum Ausdruck bringe: „Wren had the conception of a painter. Architects often fail from the poverty and meagreness of the masses and returns. They compose their buildings out of screens and facades. They seem to forget that a building is to be viewed from more than one point of view, and in various lights. One of the pleasures which we derive from the contemplation of architecture, arises from the manner in which the objects unfolds and varies as we approach.”39

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Im Rahmen der Ausbildung der École des Beaux-Arts nahmen malerische Darstellungen einen immer größeren Stellenwert ein, bis es 1785 zu einem „Skandal“ kam, als bei der Prämierung des Wettbewerbs der von allen als besser eingestufte Fontaine gegen Moreau unterliegt. Die Begründung der Jury – das Urteil ist sehr knapp gehalten – lautet, man habe damit ein Zeichen gegen die sich immer stärker ausbreitende Tendenz der Schüler setzen wollen, ihre Entwürfe, um sich damit Vorteile zu verschaffen, mit Farbe auszuschmücken. 40 Diese Kritik währte aber nur kurz, die Verwendung von Farbe bleibt ein Wesenszug vieler Architektendarstellungen, auch an der École des Beaux-Arts, nicht zuletzt in dem, was man als „Appetitriss“ bezeichnete, einer Darstellung, die den Auftraggeber überzeugen muss. 41 Adolf Loos brachte die Gefahr die mit diesem „Ausschmücken“ verbunden ist, 1909 in seinem Aufsatz „Architektur“ folgendermassen auf den Punkt: „Die baukunst ist durch den architekten zur graphischen kunst herabgesunken. Nicht der erhält die meisten aufträge, der am besten bauen kann, sondern der, dessen arbeiten sich auf dem papier am besten ausnehmen. Und diese beiden sind antipoden.“42 Hier spielt die denkende Hand eine untergeordnete Rolle, geht es doch vor allem um das „Ausschmücken“ eines Entwurfs. Ähnliche Diskussionen wird es in der Geschichte immer wieder geben, zwischen jenen, die in der malerischen Ausgestaltung einer Darstellung einen Mehrwert sehen, und jenen, die darin den Versuch einer Verblendung und eine Abweichung von der reinen Architektur sehen, womit wieder das Thema der Autonomie und Heteronomie angesprochen wäre. Die heutigen Renderings haben diesem Problem natürlich eine neue Dimension eröffnet. Man könnte also durchaus eine Geschichte der Architektur aus dem Blickwinkel der Zeichnung aufstellen, wobei Letztere unterschiedlich stark die Architektur beeinflusst hat. Die Axonometrie und deren Anwendung in der Moderne – besonders bei De Stijl – und spätere Wiederaneignung in der Postmoderne, z.B. durch Eisenman unter neuen Vorzeichen, würde darin einen wichtigen Platz einnehmen. Ansätze einer solchen Geschichte finden sich zum Beispiel bei Werner Oechslin 43 oder, spezifisch zur Axonometrie, bei Massimo Scolari. 44 Es ist auch kein Zufall, dass die Zeichnungen von Architekten mittlerweile zu einer eigenen Kunstgattung geworden sind, die in Sammlungen wie jener des Museum of Modern Art 2002 in New York gezeigt werden. 45 Dass die Art zu zeichnen auf einen besonderen Hintergrund sowie auf verschiedene Architekturauffassungen verweisen kann, belegt der Vergleich zwischen dem Zeichnungsstil von Robert Venturi und jenen von Daniel Libeskind. Es handelt sich dabei um extrem divergierende Vorstellungen von Architektur, wie sie keine Erläuterung und kein Projekt besser zeigen könnten.

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Die Zeichnungen von Venturi sind „flach“, meist ohne Detaillierung und Tiefe, und zeigen, dass es ihm nur um die Gestaltung einer Fassade geht, sie ist mit grobem Stift in wenigen Linien gezeichnet. Die Zeichnung von Libeskind ist dagegen „räumlich“ und zeugt von der Suche nach räumlicher Komplexität. Abbildung 48, Daniel Libeskind, City Edge, 1987

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Betrachtet man jüngere Beispiele von Architekten und ihren Zeichnungen gerade angesichts der Problematik der Einführung von Computern und des Verlusts und des Aufgebens der Handzeichnung, was gleich anschließend besprochen wird, ist es bemerkenswert, dass ein Architekt wie Peter Cook (geb. 1936), Mitglied des englischen Kollektivs Archigram, der mit seinem Grazer Kunstmuseum von 2003 eine Ikone der Computerarchitektur geschaffen hat, 2008 der Architekturzeichnung ein Buch widmet – Drawing: The Motive Force of Architecture –, worin er die vielen Facetten der Zeichnung, sei es Handoder Computerzeichnung, untersucht. Auch er betont die Rolle der denkenden Hand und ihrer Werkzeuge, um Projekte zu entwickeln, wobei er keinen großen Unterschied zwischen Handzeichnung und Computerzeichnung erkennt. 46 Gerade Zaha Hadid (geb. 1950), deren frühere Arbeiten durch aufwändige handgemalte Bilder begleitet wurden, die, wie sie selber betont, ein Suchen implizieren, hat sehr erfolgreich den Computer in ihre eigene Arbeitsweise integriert und dadurch einen neuen Mehrwert gewonnen. Abschließend ist es interessant, die zwei bereits im letzten Kapitel erwähnten Darstellungen mittelalterlicher Architekten – jene von Pouillon und Follett – auch in Bezug auf ihre Vorstellungen vom mittelalterlichen Entwerfen zu vergleichen. In der Darstellung von Pouillon wird der Baumeister in seiner Entwurfsmethodik als einsames Genie gezeigt, das mit einem Stift entwirft. Wilhelm Baltz quält sich lange, bevor er seine Ideen Form annehmen lässt, und verrät damit das Bild des romantischen Genies: „Das stimmt, ich zeichne wenig; kaum, dass ich an der Ecke meines Tisches einzige winzige Skizzen mache, die ich sofort wieder auswische. Es ist mir lieber, dass die Gestalt in aufeinanderfolgenden Visionen in mir entsteht, die sich dann in den Tiefen meines Bewusstseins festsetzen. Bei dieser langsamen und mühseligen Arbeit muss ich sprechen, herumgehen, muss sie mit in den Schlaf und in die Träume nehmen und auch während des Tageslaufs ständig die Kraft des im Entstehen begriffenen Werkes spüren. Ist dann der richtige Augenblick gekommen, zeichne ich an meinem Tisch in einem Zug das Wesentliche dieser innerlich entstandenen Welt. Ich glaube, dass es den Musikern ebenso geht, denn um ein Werk niederzuschreiben, müssen sicherlich auch sie warten, bis die ganze Komposition in ihnen erklingt.“47 Dann aber, wenn seine Ideen genügend gereift sind, kann der Tuschestift auf dem Papier diese Formen festhalten, ja er „fließt“ und „umschließt die Räume, die Steine“, womit ein widerstandloses Entwerfen suggeriert wird. 48 Pouillon wählt in seiner Darstellung einen Mittelzustand. Zwar entwirft Baltz mit Tusche – ob auf Papier, Pergament oder Tierhaut, Pouillon verrät es nicht –, dann aber wird dieser Entwurf, der eigentlich zur Besprechung dient,

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in Risszeichnungen für die Bauausführung übersetzt, die der Baustellenleitung übergeben werden. 49 Bei Ken Follett wird der Akt des Entwurfs sehr detailgetreu wiedergegeben. Tom Builder macht einerseits vorbereitende Skizzen auf Schiefer, dann ritzt er mit einer Nadel, Lineal und Zirkel Grundriss, Aufriss und Schnitt in eine Mischung aus Gips und Kreide, die er in einen Rahmen gegossen hat. 50 Diese erste Zeichnung soll dabei nur den Prior von der Schönheit der neuen Kathedrale überzeugen; wenn Tom Builder den Auftrag erhalten würde, wäre er die nächsten Jahren mit dem Zeichnen der Vorlagen für die unzähligen Teile der Kathedrale beschäftigt.51 Gerade in der filmischen Übersetzung von 2010 spürt man den Kontrast zwischen dem vermittelten Bild des Künstler-Genies und einem Vorgehen, das ein solches kaum ermöglicht. Es handelt sich nicht um den Renaissance-Architekten, der auf Papier skizziert, sondern um den mittelalterlichen Baumeister, der einritzt, ein Prozess, der mühseliger ist und mit viel Widerstand für die denkende Hand einhergeht. Ken Follett lässt seinen Baumeister auch von der Bedeutung der Proportionen für eine Kirche sprechen und zeigt, wie gut er dies für sein Buch dokumentiert hat. Richtige Proportionen würden die Schönheit einer Kirche ausmachen.52 In beiden Vorlagen denkt die Hand, im ersten Fall ist sie frei und fließt, im zweiten muss sie gegen den Widerstand des Materials Risse ziehen, obschon auch Tom Builder kleine Skizzen auf Schiefer macht.

PAR AME TER /A LGORITHMUS „Nevertheless, art can never be nature copied, for nature is so infinite as to repel the presumption of a mere transcript.“ THOMAS M AWSON , 1911 53

Von einer parametrischen Architektur zu sprechen ist im eigentlichen Sinne ein Pleonasmus, denn Architektur ist immer parametrisch, da sie Parameter unterschiedlicher Natur – technische, ökonomische, gesellschaftliche usw. – integriert und in einem Projekt zusammenbringen muss. Zentral ist die Frage, wie diese Parameter zu einem Projekt transformiert werden. War es in der Architektur eine Mischung aus Intuition und Notwendigkeit, so hat das Entwerfen mit Algorithmen eine neue Dimension eröffnet: Ein Programm wird geschrieben, das die Parameter so verknüpft, dass es ein oder mehrere Probleme lösen kann. Die entwerferische Haltung liegt sowohl im Schreiben des

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Programms als auch im Aussuchen einer der unzähligen Lösungen, die das Programm vorschlagen kann. Ein Beispiel: 2006 gewann das Kollektiv EZCT (Philippe Morel und Jelle Feringa) den Wettbewerb für den Pavillon Seroussi, eine Erweiterung des Anwesens von André Bloc (1896–1966) in Meudon bei Paris, wo neben dem Haus – in dem heute der Auftraggeber des Wettbewerbs, ein Kunstsammler und Galerist, lebt – zwei berühmte Pavillons stehen. Daneben sollte ein neuer Pavillon entstehen, für einen Teil der Kunstsammlung. Das Projekt von EZCT lässt sich schwer in Worte fassen und ist das Resultat eines äußerst komplexen Programms, das folgendes Problem lösen sollte: ein Pavillon, der durch natürliches Licht beleuchtet werden kann, bei dem aber die Kunstwerke nie direkt beleuchtet werden. Dem ersten Programm wurde ein zweites hinzugefügt, das folgendes Problem lösen sollte: Die Projektvarianten, die die erste Bedingung erfüllen, müssen in sich statisch sein, d.h., der Pavillon muss von alleine stehen können. Abbildung 49, EZCT Architecture & Design Research, Winning proposal for the 2007 Seroussi pavilion competition

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Der Algorithmus sollte also architektonische Varianten erzeugen, bei denen diese zwei Probleme gelöst sind. Dazu wurde ein spezifisches Programm geschrieben, ein Unterfangen von höchster Komplexität, das „fehlerfreie“ Lösungen ergibt, von denen hinterher eine ausgesucht werden kann. Die Architektur ist also rein funktionell determiniert, ohne ästhetische Wertigkeit, diese kommt erst in der Wahl der „passenden“ Variante zum Zuge beziehungsweise zu Beginn mit der Wahl der Probleme, die das Programm lösen soll. Die Komplexität dieser Prozedur lässt im Moment kaum absehen, wie sich diese Art von Entwerfen – gegen die sich viele Architekturschulen wehren – im Berufsalltag durchsetzen wird. Eine Entwicklung aber zeichnet sich ab: in der Verwandlung des Algorithmus in einen „Knopf“, eine Option wie in jedem anderen 3D-Programm. Damit sind das Programm und die Probleme, die sich damit lösen lassen, zwar einerseits gegeben, beschränkt und nicht weiter anpassbar,54 andererseits können auch Parameter integriert werden, die bereits die Möglichkeiten der Ausführung beinhalten und eine fast fehlerfreie Umsetzung garantieren.

Wer hat es erfunden …? Wer aber ist der Vater des algorithmischen Entwerfens? Meistens wird Jean Nicolas Louis Durand erwähnt, der mit seiner rationalen Entwurfsmethodik ein System entwickelt hat, das fast von alleine Projekte generieren würde. Bemerkenswert ist in diesem Kontext ein Aufsatz von Gottfried Semper (1803–1879), „Entwurf eines Systems der vergleichenden Stillehre“, der auf einem Vortrag, den er in London 1853 gehalten hat, basiert. Hier hält er die Möglichkeiten eines solchen algorithmischen Entwerfens erstaunlich klar fest: „Jedes Kunstwerk ist ein Resultat, oder, um mich eines mathematischen Ausdruckes zu bedienen, eine Funktion einer beliebigen Anzahl von Agentien oder Kräften, welche die variablen Koeffizienten ihrer Verkörperung sind. Y = F (x,y,z, etc.) In dieser Formel steht Y für das Gesamtresultat und x,y,z etc. stellen ebenso viele verschiedene Agentien dar, welche in irgend welcher Richtung zusammen oder aufeinander wirken, oder voneinander abhängig sind. Die Art dieser gegenseitigen Beeinflussung oder Abhängigkeit ist hier das Zeichen F (Funktion) ausgedrückt.“55 Semper fährt fort und erläutert die Abhängigkeiten, die eine solche Funktion beinhaltet: „Sobald einer oder einige der Koefficienten sich verändern, muss diese Veränderung in dem Resultat einen entsprechenden Ausdruck finde. Wenn x zu x + a wird, so wird das Resultat U ganz verschieden zwar von dem früheren Resultate Y sein, im Prinzip aber wird es mit letzterem doch identisch bleiben, indem es mit demselben durch eine gemeinsame Beziehung verbunden ist, welche wir mit dem Buchstaben F ausdrücken. Wenn die Faktoren x,y,z etc. diesselben bleiben, dagegen F verändert wird, so wird Y in einer anderen Weise als vorher sich umgestalten, es wird fundamen-

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tal verschieden werden von seiner früheren Beschaffenheit. Dieses neue Prinzip wird selbstverständlich seinerseits wieder modifiziert, je nachdem wir uns veranlasst sehen, für die Buchstaben x,y,z etc. neue Werte einzusetzen.“56 Semper dient diese äußerst logische Beweisführung, die vom Einfluss der exakten Wissenschaften zeugt, aber auch nur zur Erläuterung des Entwurfsprozesses, er betont selber, dass eine solche niemals die Intuition des Entwerfenden ersetzen könne: „Man wird einwenden, dass ein künstlerisches Problem, kein mathematisches sei und dass künstlerische Resultate schwerlich durch mathematische Berechnung erreicht werden können. Dies ist sehr wahr, und ich bin der letzte zu glauben, dass es bloßer Reflexion und Berechnung jemals gelingen werde, Talent und natürlichen Geschmack zu ersetzen.“57 Semper skizziert hier sehr früh die gesamte Problematik des Einsatzes des Computers in der Architektur: die Frage nach der Rolle der Intuition, des künstlerischen Talents in einem Prozess, der von einem Mathematiker-Architekten aufgebaut wird.58 Eine amüsante – wenn auch nicht ganz bewusste – Kritik des Glaubens an die mathematische Lösbarkeit solcher architektonischen Probleme stammt von dem rumänischen Künstler Isidore Isou (1925–2007), der 1945 nach Paris kommt und eine neuen Kunstbewegung gründet, den Lettrismus, aus dem dann der weit erfolgreichere Situationismus um Guy Debord (1931–1994) hervorgehen soll. Der Grundgedanke des Lettrismus ist eine Reduktion der Künste und der Wissenschaften auf ihr Grundelement, den Buchstaben – die lettre –, und dessen Rekombination. Für Isou besteht die Geschichte aus zwei Phasen: eine Phase der sinnlosen Erweiterung – die phase amplique – und eine der notwendigen Reduktion auf das Wesentliche – die phase ciselant –, die „meißelnden“ Phase. Isou wendet dieses Verfahren (Reduktion und Rekombinationsprozess) vor allem in der Malerei und der Dichtung an, theoretisch reflektierte er es in Büchern von mehreren tausend Seiten auch mit Bezug auf Medizin, Recht, Politik usw. Der Grund, wieso der Lettrismus erfolglos blieb, liegt einerseits an der Person von Isou, vor allem aber an der Tatsache, dass die Bewegung relativ apolitisch blieb, weshalb auch der Situationismus sich davon trennte, der mit seinen starken politischen Mitteilungen eher den Nerv der Zeit getroffen hat. In seinem Buch Le Bouleversement de l’architecture von 1966 befasst sich Isou mit der Architektur, deren „Buchstabe“ der Backstein resp. Backsteinpulver ist, das dann zu neuen fantastischen Architekturen kombiniert werden soll. Mit der in einer einzigen mathematischen Formel zusammengefassten Architektur suggeriert er die wissenschaftliche „Lösbarkeit“ des architektonischen „Problems“:

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THA = [(TAa) (TPha) (TSa) (TTea)] = (TH,A) wobei T ou TH = thème; A = art; Ph = Philosophie; a ou A = Architecture; S = science; Te = Technique ist.59 Hier werden die Folgen einer solchen Reduktion der Architektur auf ein mathematisch lösbares Problem künstlerisch auf die Spitze getrieben, wobei alle möglichen Parameter – Architektur, Kunst, Wissenschaft und Technik – miteinbezogen werden. Abbildung 50, Isidore Isou, Le Bouleversement de l’architecture, 1980, Umschlagbild

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Andere Parameter wären ebenso möglich, einer insbesondere zeigt auch die Grenzen jedes algorithmischen Entwerfens, vor allem im Kontext des Städtebaus: Der Mensch als fühlender Körper und als Individuum innerhalb einer Gesellschaft lässt sich höchstens als Parameter von Dichte oder Nähe abstrahieren, was aber in keiner Weise genügt.60 Betrachtet man die Renderings vieler algorithmischer Städteentwürfe – wie jene von Zaha Hadid –, so wirken diese wie Skulpturen, sind maßstabslos und durch das Fehlen von Menschen gekennzeichnet, was in meinen Augen paradigmatisch ist für die Unfähigkeit, diese und die Gesellschaft als Parameter zu berücksichtigen. Bereits Raymond Unwin, einer der Väter des modernen Städtebaus und der Gartenstadt-Bewegung, warnte 1925 vor der Gefahr, sich zu sehr auf wissenschaftliche Parameter zu stützen, und kritisierte jene Städteplaner, „who think that a design can be compiled from scientific data, that the planner can absorb the mass of statistical information which represents all the requirements of the various aspects of city life, and can provide for them one by one, ticking them off his list as dealt with. It is not so that great designs are made.“61 Die ersten Anwendungen von Computertechnologie in der Architektur zeugten davon, dass man sich des Potenzials der neuen Technologie noch nicht bewusst war. 3D-Software wie FormZ oder Maya wurden vor allem für formale Spielereien benutzt, die von der Realität und praktischer Anwendung weit entfernt waren. Paradigmatisch diesbezüglich waren die Experimente von Greg Lynn, der zwar einer der Ersten war, die sich auch der Frage nach der unmittelbaren Übertragung der Formen in vorfabrizierte Teile stellten, beim Projekt für die Kirche in New Jersey aber an den damaligen Möglichkeiten der Industrie scheiterte. Lynn ist der prominenteste Vertreter einer Generation, die erfolglos biologische Prozesse zu simulieren versuchte. Die Natur als Vorbild, wie schon so oft in der Architektur – in jüngster Zeit bei den Metabolisten, die aber die Natur nur als Bild und nicht in ihrer Wirkungsweise in Architektur übersetzt haben. Das Form ever follows function von Louis Sullivan beinhaltete vor allem den Wunsch, die Prozesse der Natur, die in einer bestimmten Form resultieren, auch auf die Architektur übertragen zu können. Die letzte Konsequenz des algorithmischen Entwerfens aber wäre die Replikation der Komplexität natürlicher Prozesse. Die Programme sollten also natürliche Prozesse simulieren können – Stichwort emergence – und nicht mehr nur ein Modell, eine Vereinfachung oder wie so oft in der Architektur ein Bild davon geben. Wenn der Physiker E. Fredkin 1992 behauptete, dass das, was nicht programmierbar sei, nicht zur Physik gehöre,62 so sprach er den Traum der modernen Wissenschaft an, die Komplexität der Natur – wie zum Beispiel das Funktionieren des Gehirns – durch einen Supercomputer reproduzieren zu

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können. Eine Position, die D’Arcy Wentworth Thompson (1860–1948) in seinem einflussreichen On Growth and Form von 1917 bereits angedeutet hatte und die ihn zu einer der meist zitierten Quellen dieser zeitgenössischen Bewegung auch in der Architektur macht. Natur und Kunst wären dann das gleiche, was Thomas Mawson im Eingangszitat noch für eine Unmöglichkeit gehalten hat. Abbildung 51, Nicholas Herot, Using context in Sketch Recognition, 1974

Es ist diesbezüglich hilfreich, auf die Pioniere der Einführung der Computertechnologie in der Architektur zurückzugreifen, insbesondere auf Nicholas Negroponte (geb. 1943), der am MIT 1968 das Architecture Machine Group und 1985 das MIT Media Lab gegründet hat, eines der vielen Thinktanks dieser Zeit, die sich in den 1960ern spezifisch mit den Möglichkeiten der neuen Computertechnologie im Zusammenhang mit Architektur auseinandergesetzt haben. Negroponte entwickelte mit seinem Team verschiedene Programme, die in erster Linie den Architekten bei ihrer Arbeit helfen sollten. Diese Programme

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waren durch ihre Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet und sollten der besonderen Art des Entwerfens eines jeden Architekten angepasst werden. Das setzt für den Computer eine künstliche Intelligenz voraus, die den Kontext – worunter auch der Architekt fällt – verstehen kann.63 Das Ziel ist eine bessere Umwelt, die von der Intelligenz des Computers profitiert. Unter den vielen Experimenten und Programmen von Negroponte ist eines besonders bemerkenswert, URBAN 5, ein Programm, bei dem eine solche Interaktion zwischen Architekt und Computer erstaunlich weit fortgeschritten war und das es ermöglichte, die Entscheidungen direkt in einem rudimentären dreidimensionalen Linienmodell zu visualisieren.64 URBAN 5 interagierte mit dem Architekten und konnte auf einfache funktionale Widersprüche des Projekts reagieren. In einem späteren Buch – Soft Architectural Machines –, das 1972 geschrieben wurde und 1975 herauskam, betont Negroponte, wie in der kurzen Zeit zwischen den Annahmen und den ersten Experimenten bei der Gründung der Architecture Machine Group und dem Wissensstand von 1972 riesige Fortschritte gemacht wurden.65 Dabei bedeute diese Entwicklung nichts Gutes für die Architektur, denn mittlerweile gehe es darum, dem Kontext die Fähigkeit zu geben, selber reagieren zu können, und damit den Architekten überflüssig zu machen. Es ist hier die Rede von einem „antiarchitect“ und einer Architektur ohne Architekten, die mittlerweile überflüssig geworden seien.66 Auch der in Wien geborene, nach Amerika ausgewanderte Architekt Christopher Alexander (geb. 1936), der zuerst Mathematik studiert hatte, entwickelte in seiner Dissertation, die als Notes on the Synthesis of Form 1964 veröffentlicht wurde, ein Modell, das die Architektur als Problem bezeichnet, das in einzelne „patterns“ – Muster – zerlegt werden kann.67 Diese können dann im Entwurfsprozess zu einem Projekt kombiniert werden. Alexander versuchte dieses Modell auch in ein Computerprogramm am MIT zu übertragen. Er scheiterte mit seinem Ansatz aber insofern, als er zwar Formen auf Einzelteile reduzieren konnte, keine Antwort aber gefunden hat, wie diese einzelnen patterns dann wieder als Synthese zu einem Projekt zusammenfinden könnten. Er selber ließ diesen mathematischen Ansatz, der später als „Pattern Language“ (Mustersprache) bezeichnenderweise einen großen Einfluss auf die objektorientierte Softwareentwicklung hatte, wieder fallen. Kommen wir zurück auf den Begriff der „denkenden Hand“, so hat die Einführung der Computer an den Architekturfakultäten zu Beginn der 1990er-Jahre als erste Konsequenz ein neues Werkzeug für die Hand gebracht: die Mouse. Und damit war die Hand nicht mehr unmittelbar mit dem Medium – das Papier, das Modell usw. – verbunden, sondern es entstand eine zusätzliche Ebene der Vermittlung. Damit wurde die Art der Hand, zu „denken“, eine ganz andere: Sie musste ein ganz neues Denken erlernen, ein Prozess, der noch lange

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andauern wird und dessen Konsequenzen wir noch nicht vollständig erahnen können. Kritiker betonen immer wieder, dass durch die Bewegungen der Hand – das Skizzieren, Modellieren usw. – nicht nur nach einer Lösung gesucht, sondern auch der Kontext kennengelernt wird. Und zwar auf eine Art, die nicht „rationell“ über das Lesen von Programmen, Bildern usw., sondern zu einem großen Teil intuitiv geschieht. Man lernt den Kontext durch das stundenlange Zeichnen oder Ausschneiden von Höhenlinien, Gebäuden usw. auf eine sehr sinnliche Art und Weise kennen.68 Der Kontext prägt sich auf eine Weise ein – wie Sennett sagt –, die nicht mit der Arbeit mit der Mouse vergleichbar ist. Auf der anderen Seite haben die Voraussetzungen der heutigen Touchscreens sowie der virtuellen Realität neue Möglichkeiten des Entwerfens und der Manipulation von Raum eröffnet: das Navigieren oder Öffnen und Verschieben von Fenstern und Ikonen. So wie ich mit dem Finger auf einem iPad navigiere, die verschiedenen Fenster öffne oder verschiebe, wird auch ein neues Denken der Hand vorausgesetzt, das nicht mit dem gewöhnlichen zu vergleichen ist und viele neue Möglichkeiten eröffnet. Wiederum von Vilém Flusser stammt ein interessanter Vergleich zwischen Software und Hardware, wobei das erste ein “Unding“ sei, weil man es nicht (be-)greifen könne, während das zweite noch ein “Ding“ sei, das aber gegenüber der Software immer mehr an Bedeutung verliere. Die Software setze Informationen voraus, die ebenfalls „undinglich“ seien.69 In dem Moment aber, wo sich der Kontakt mit einem Interface nicht auf das Drücken von Knöpfen oder das Bewegen einer Mouse beschränkt, sondern in dem Manipulieren von virtuellen Räume entwickelt, bekommt die Hand die Möglichkeit, auch das „Flüssige“, „Weiche“ der Software zu begreifen. Darin liegt meines Erachtens eines der vielen Potenziale der neuen Technologien in der Architektur. Eine weitere Konsequenz ist die wesentliche Veränderung der Rolle und Position des Modells innerhalb des architektonischen Prozesses: Durch das Einführen verschiedener Verfahren computergesteuerter Herstellung wie des CNC wird das Modell als Zwischenschritt übersprungen. Das Modell – wie die Hand, die das Modell macht – verliert dabei die Rolle als Vermittler zwischen Idee und Gebäude und verliert auch seine Maßstäblichkeit: Das Modell ist kein Zwischenschritt mehr, sondern kann in (fast) jedem Maßstab realisiert werden. Es wird gleichzeitig zum ausgeführten Projekt, selbst wenn die Entwicklung von 3D-Druckern für Häuser wohl noch nicht ganz ausgereift ist.70

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D IAGR AMM H OLGER S CHURK „Not all figurative data should disappear, and especially, a new figuration, that of figure, should emerge from the diagram and carry sensation to the clear and the precise.“ G ILLES D ELEUZE71

„Was ist eigentlich ein Diagramm?“,72 fragt der Architekturtheoretiker Anthony Vidler im Jahre 2006, zu einem Zeitpunkt also, als das Diagramm in der Architektur keineswegs mehr neu ist, sondern bereits seit ungefähr 200 Jahren in verschiedenen Formen benutzt und diskutiert wird. Viele Beobachter sehen den entscheidenden Durchbruch in Rudolf Wittkowers Verwendung des Quadratrasters zur Analyse der Villen Palladios in den 1940er-Jahren. Von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre ist das Diagramm dann Gegenstand intensiver Diskurse unter französischen Philosophen. Und mit einer Flut von Beiträgen, beispielsweise innerhalb der Zeitschrift ANY 23: Diagram Work oder in Peter Eisenmans Diagram Diaries, geht in den späten 1990er-Jahren ein Höhepunkt der Debatte zur Anwendung im architektonischen Entwurf zu Ende. Die große Mehrheit der Architekten geht im Jahre 2006 daher längst davon aus, dass zum Thema des Diagramms nur noch unbedeutende Details zu klären und letzte Feinabstimmungen vorzunehmen seien, dass die Zeit der großen Fragen und Antworten aber längst vorüber sei. Tatsächlich kreist um den Begriff des Diagramms in der Architektur, ungeachtet der intensiven Auseinandersetzungen, bis heute eine hartnäckige Mischung aus Klarheit und Verwirrung. Je länger, je mehr erhärtet sich der Verdacht, dass dies auch noch lange so weitergehen wird, denn irgendetwas im Zusammenhang mit der Gestalt und der Wirkung des Diagramms entzieht sich dem dauerhaften Zugriff. Vielleicht hängt dies mit der Veränderung der Zeit – dem Diagramm in der Geschichte – zusammen? Vielleicht liegt es auch an der Kombination der Themen – dem Diagramm innerhalb der Architektur? Vielleicht hat das Diagramm aber auch mehr mit der Arbeitsweise der denkenden Architekten zu tun, als den denkenden Beobachtern und Analytikern lieb ist? Jedenfalls, soviel wird beim Lesen von Vidlers gleichnamigem Text schnell deutlich, ist sein nochmaliger Vorstoß durchaus berechtigt und auch die Struktur seines Vorgehens folgerichtig. Er arbeitet sich nicht nur präzise und rasch vom Allgemeinen (das Diagramm in der Semiotik) zum Speziellen (dem

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Diagramm in der Architektur) voran, sondern setzt seinen Schwerpunk auch genau dort, wo die Verwirrung des Diagramms ihr potenzielles Zentrum zu haben scheint, nämlich innerhalb der mentalen und physischen architektonischen Produktion im Wechsel der Zeit. Wichtig ist dabei vor allem die Verknüpfung von formalen, funktionalen, sozialen und geschichtlichen Themen. Niemals stehen die Dinge bei Vidlers Analyse einzeln, sondern immer in Zusammenhängen. So wird deutlich, dass Diagramme aus Austauschprozessen hervorgehen und die Konstellation eines Senders und eines Empfängers zwingend voraussetzen.73 Dieses ganz grundsätzliche Wesen des Diagramms wird damit im Format von Vidlers Text gespiegelt. Das im Titel begonnene Fragespiel (Was ist eigentlich ein Diagramm?) wird aufgenommen, verfeinert und konsequent bis zum Schluss beibehalten. Der Dialogcharakter (in Vidlers Text wie auch generell im Diagramm) gestattet Vertiefungen immer nur punktuell und verhindert dadurch Abschweifungen. Stattdessen entsteht ein ungewöhnlich sprunghafter Informationsaustausch an der Oberfläche, wo Verknüpfungen ihre Direktheit und Unmittelbarkeit behalten.

Das Wesen des Diagramms In der begrifflichen Annäherung orientiert sich Vidler an den Studien des Philosophen und Zeichentheoretikers Charles Sanders Peirce (1839–1914). Dieser unterscheidet zunächst zwischen drei Arten von Zeichen, dem Ikon, dem Index und dem Symbol, wobei der Unterschied in den Regeln und Konventionen liegt, derer sich eine Gemeinschaft von Zeichenverwendern jeweils bedient. Beim Ikon handelt es sich dabei um Qualitäten, beim Index um Tatsachen und beim Symbol um Interpretationen. Das Diagramm gehört nun weder zum Index noch zum Symbol, sondern kann, gemäß Peirce, als eine spezielle Form des Ikons betrachtet werden. Auch hier unterscheidet er zwischen drei Typen: Hypericons, beispielsweise Gemälde, die ihren Objekten in vielen Einzelheiten gleichen, Images, die den Charakter ihrer Objekte durch eine Art Parallelität repräsentieren, und eben Diagrammen, die innere und äußere Beziehungen ihrer Objekte in abstrakter Weise herausstellen. Im Wesen der Abstraktion erkennt Peirce den eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Diagramms. Dabei sind für Peirce nicht nur Zeichen diagrammatisch, sondern auch das Denken. Erst durch die Abstraktion eines Sachverhalts kann beispielsweise eine Hypothese entwickelt und getestet werden. Die Kunst der Abstraktion liegt in der (mentalen) Auswahl derjenigen Komponenten, denen besondere Beachtung zukommen soll, und der (zeichenhaften) Art und Weise ihrer Darstellung.74

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Jeder Auswahl- und Darstellungsschritt geht aber auch mit Veränderungen und Transformationen des behandelten Sachverhalts einher. Denn Diagramme bilden nicht nur ab, sie werden auch produktiv und streben nach Zuständen, die erst im Werden sind. Sie streben ganz grundsätzlich nach „Neuem“. Gerade weil sie keinen eigenen Inhalt besitzen, können bestimmte Eigenschaften des einen Diagramms plötzlich in einem anderen Diagramm zum Vorschein kommen. So wirken sie als Katalysator von weiteren Übertragungen und provozieren Veränderungen. Niemals werden Diagramme aber zum Gegenstand des Denkens selbst. Sie sind Werkzeuge und gleichzeitig Spiegel des Denkens.75 Abbildung 52, Jean-Nicholas-Louis Durand, Diagramme, 1809

Innerhalb der Produktion von Architektur, wo das Denken letztendlich immer in die Auseinandersetzung mit der (noch nicht vorhandenen) Form mündet, setzt sich das Diagramm (als Zeichen) vorübergehend selbst an die Stelle dieser Form. Hier wird die Unterscheidung zwischen Objekt und Repräsentation oder zwischen Realität und Kopie vorübergehend aufgehoben, und darin liegt auch die ganz grundsätzliche Verbindung zur Utopie, die Bestandteil vieler diagrammatischer Prozesse ist. Mitten im Verständnisprozess vergisst der Entwerfer die Abstraktheit des Diagramms und verwechselt das Diagramm mit der (ihm noch unbekannten) Zukunft. Die Realität einer Form, die bereits im Werden ist, wird eine Zeit lang in der Schwebe gehalten oder, wie Peirce sich ausdrückt: „It is for the moment a pure dream.“76

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Diagramm und Architektur Eine grundsätzliche Orientierung innerhalb der Architektur erlaubt Peter Eisenmans Unterscheidung zwischen dem Diagramm als analytischem und als entwerferischem Instrument: „There are two kinds of work on diagrams. One is theoretical and analytic, the other is operational and synthetic. The former takes existing buildings and analyzes them to find diagrams that animate these buidings. The latter is something teased out of a program or site that permits these conditions to be seen in a different way.“77 Damit hält Eisenman zunächst an einer Trennung zwischen Theorie und Praxis fest und unterscheidet, wenig überraschend, auch zwischen einem Umgang in Geschichte und Gegenwart. Rudolf Wittkowers Darstellungen zu den Arbeiten Palladios würden zur ersten Kategorie gehören, denn die Entwicklung und Erstellung dieser Gebäude ist längst abgeschlossen, ehe Wittkower mit Diagrammen ansetzt und Ordnungs- und Organisationsprinzipien herausarbeitet. Wittkowers Darstellungen sind daher Diagramme der (nachträglichen) Analyse, nicht der architektonischen Produktion. Bei der zweiten Kategorie denkt Eisenman vermutlich in erster Linie an seine eigene Praxis. Die ausführlichen Transformationen, Rotationen, Skalierungen, Überlagerungen oder Faltungen seiner Entwurfsstudien zeigen die Bearbeitungen von Architektur an genau jenem instabilen Punkt zwischen Denken und Formen, den das Diagramm per Definition besetzt. Seine Untersuchungen und Projekte – oder sind es Experimente? – weisen in eine offene, nicht vorbestimmte Zukunft. Das Diagramm ist dabei gleichzeitig ein Text und eine Form oder, wie er selbst formuliert: „The diagram is formed but may not be formal.“78 Was Eisenman allerdings unterschlägt, ist, dass sich beide Kategorien – Analyse und Entwerfen – während der architektonischen Produktion in aller Regel nochmals vermischen. Architekten, sofern sie ihre Entwurfspraxis nicht als Laborexperiment betreiben, müssen die reale Umgebung im Auge behalten und sind dabei zu regelmäßigen Reflexions- und Analyseschritten gezwungen. Dazu zerlegen sie die externen Anforderungen – beispielsweise aus der baulichen Umgebung oder aus dem Nutzungsprogramm – immer wieder in Einzelteile oder gruppieren sie neu in unterschiedlichen Formationen. Nur selten vollzieht sich hier ein derart klarer Bruch zwischen Analyse und Projektproduktion, sodass die formale Entwicklung des Projekts dann ausschließlich anhand klassischer Werkzeuge – Zeichnung und Modell – weitergeführt wird. Viel öfter werden auch bereits die Analyseergebnisse mit (Analyse-)Diagrammen dargestellt und können so jene, gemäß Eisenman, (entwerferischen) Diagramme direkt beeinflussen. Die Analyse und der Vor-

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gang der Formfindung laufen dabei ineinander. Selbstredend vermischen sich innerhalb dieser Prozesse dann auch die beiden (von Eisenman grundsätzlich unterschiedenen) Diagrammtypen. Genau in dieser Kombination von Analytischem und Synthetischem nimmt das Diagramm dann den Platz der Zeichnung ein, indem es diese in ihrem grundsätzlichen Wesen und ihrer Wahrnehmung verändert. Diese (wissenschaftlich-operative) Wirkungsweise des Diagramms kann daher auch als Verdrängung oder zumindest als Ergänzung der (künstlerisch-repräsentativen) Zeichnung verstanden werden.79 Abbildung 53, Rudolf Wittkower, Diagramme, 1949

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Diagramm und Gesellschaft Als Entwurfswerkzeug hat das Diagramm seinen Ursprung in der beginnenden modernen Gesellschaft und entstand als Gegengewicht zum Vorgehen der École des Beaux-Arts und ihrer bildlich-zeichnerisch ausgerichteten Kompositionslehre. Es ist die Zeit, als der Architekturlehrer Jean-Nicolas-Luis Durand unter Anleitung des Vermessungsingenieurs Gaspard Monge (1746–1818) die Architektur selbst in diagrammatischer Form darstellt, eine Zeit, die auf der einen Seite nüchtern und funktional dachte, auf der anderen aber euphorisch nach Erneuerung strebte. Das Diagramm wirkt dabei als „schematisches Instrument im Dienst einer Zeit, die an die Realisierbarkeit der Utopie glaubte […], ein Produkt der Aufklärung, ein Vehikel der Fortschrittsphilosophie“. 80 Es entstand parallel zur Erfindung der Axonometrie, der Entwicklung des metrischen Systems und der Verfeinerung der geologischen Vermessungstechniken. Das Diagramm war das vorherrschende Instrument zum Entwurf der „Maschinen“ des 18. Jahrhunderts. Das waren Krankenhäuser, die „Maschinen zum Heilen“, Gefängnisse, die „Maschinen zur Bestrafung“, Schulen, die „Maschinen zur Erziehung“, oder Kommunen, die „Maschinen der Gemeinschaft“. Mithilfe der Diagramme wurden verschiedene und bis dahin getrennte Darstellungsformen zur gleichzeitigen Betrachtung der funktionalen Anforderungen, der räumlichen Beziehungen und der maßlich-rechnerischen Anforderungen zusammengefasst. Angewendet wurden sie zunächst nicht von Architekten, sondern von den Fachpersonen dieser neuen Disziplinen: Ärzten, Rechtsphilosophen, Sozialphilosophen usw. Dieser Kurzschluss – zwischen dem Zeitgeist einer Gesellschaft und ihrer baulichen Gestalt – wird während der Moderne des 20. Jahrhunderts noch einige Jahrzehnte weitergeführt und tritt mit allen Stärken und Schwächen auch deutlich in Erscheinung. Erstaunlicherweise wird dies erst kurz vor dem Beginn der Krise der modernen Architektur – in den 1960er-Jahren – von Michel Foucault geisteswissenschaftlich thematisiert. Jede Art der Produktion einer Gesellschaft ist, gemäß Foucault, unmittelbar mit den Denksystemen ebendieser Gesellschaft verknüpft. Was zunächst als die bewusste Wahl einer Mehrheit und später als das Diktat einer planerischen Elite wahrgenommen wurde, ist bei Foucault eine geradezu zwingende Verbindung zwischen Diskurs, Ereignis und Materialität. Diskurse stehen dabei für das Denken einer Gruppe – nicht unbedingt der ganzen Gesellschaft, aber immer einer genügend großen Gruppe, sodass eine eigene Regelhaftigkeit erkennbar wird – in Relation zu einer anderen Gruppe. Sobald ein Diskurs als Ereignis betrachtet wird, fällt die Verbindung zur materiellen Welt ins Auge, denn das Ereignis, obwohl es nicht zur Ordnung der Körper gehört, wird auf der Ebene der Materialität wirksam. Es „hat seinen Ort und besteht in der Beziehung, der Koexistenz, der Streuung, der Überschneidung, der Anhäufung, der Selektion materieller Elemente“. 81

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So ist das berühmte Beispiel des Panopticons von Jeremy Bentham (1748– 1832) für Foucault zwar vordergründig ein Beispiel der Koexistenz zwischen Maschine und Gebäude. Vor allem aber ist es ein Beispiel der Verflechtung zwischen den Denkformen einer Gesellschaft und deren baulicher Gestalt, denn die Gefängnisse gleichen, gemäß Foucault, „den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern […], die allesamt den Gefängnissen gleichen“. 82 Foucaults Denkschritt relativiert eine bis dahin konsequent respektierte Trennlinie, und es ist genau jene Trennlinie, die Peirce, mehr als fünf Jahrzehnte früher, in der Wirkungsweise des Diagramms bereits überschritten sah, nämlich jene zwischen Dingen und Funktionen oder zwischen der sichtbaren Welt des Raums und der unsichtbaren Welt der Sprache. Dabei hält Foucault zwar grundsätzlich an der Wesensdifferenz von Sichtbarem und Sagbaren fest, die Grenze ist für ihn aber eher eine gemeinsame Grenze, die zwar trennt, vor allem aber in Beziehung zueinander setzt. Die Bereiche Raum und Sprache bilden dabei eine Art „Verflechtung“ oder gemeinsame „Schicht“83 . Als Gilles Deleuze diese Logik in seinen eigenen poststrukturalistischen Untersuchungen und insbesondere in seiner Beschäftigung mit der Lehre Foucaults in den 1980er-Jahren explizit machte, waren die Weichen für die postmoderne Epoche (in der Gesellschaft und in der Praxis des Bauens) also längst gestellt. Das Diagramm zeichnet sich innerhalb der Vorgänge im Übergang zwischen Moderne zur Postmoderne, als die Gesellschaft mehr und mehr zu einer sich kontinuierlich verformenden Einheit wird, als ein Schlüsselinstrument ab. Ursprünglich ein „Produkt der Aufklärung“, 84 gewinnt es gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer weiter an Bedeutung. Je schneller die maßgeblichen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen voranschreiten und je komplexer die Verflechtungen zwischen den unzählbaren Einflussfaktoren (Natur- und Sozialwissenschaften, Politik, Ökonomie, Ökologie etc.) werden, desto unverzichtbarer wird dieses Instrument, das einen schnellen und unmittelbaren Zugriff auf den Gegenstand der Produktion erlaubt. In diesem Moment, als offensichtlich wird, dass der gegenwärtige Zustand der Zeit nur noch jenseits des Bewusstseins – im Diagramm – erkannt und verarbeitet werden kann, beginnt auch ein Teil der Architekten, das Diagramm als Entwurfsmethode ins Zentrum seiner Arbeitsweise zu rücken.

Diagrammatische Praxis Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts konkurrieren eine ganze Reihe unterschiedlicher Konzepte als Reaktion auf den Niedergang des modernen Projekts in der Architektur. Eine Strömung steht beispielsweise für die mehr oder weniger unbeirrte Fortführung eingeübter Mechanismen und vertraut weiterhin auf die Abbildung von technischen Sachverhalten (technologisch-tektonisch)

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oder abstrakten Kompositionen (ästhetisch-minimalistisch). Eine andere Strömung wendet sich konsequent von der Zukunftsorientierung der Moderne ab und versucht eine vorwiegend an Bildern orientierte Rückbesinnung auf die Geschichte (postmodern-historisch). Wieder eine andere Strömung besinnt sich auf einen Kern der Architektur und eine Autonomie der „Form“, die sich aus der Gegenüberstellung mit dem „Anderen“ der Architektur (Struktur, Programm, Ort, Material etc.) ergibt. 85 Abbildung 54, OMA/Rem Koolhaas, Bibliothèque de France, Paris, 1989, Überlagerung der öffentlichen Räume

Diejenigen Architekten, die der „diagrammatischen Praxis“ zugeordnet werden, versuchen hingegen eine Art Neuerfindung des Projekts der Moderne. Dabei unterscheidet sich das „Diagramm der Moderne“ vom „Diagramm der

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Postmoderne“ nicht in seiner Art, sondern nur in seiner Wirkung. Die stabilen Zuordnungen (erst die Gesellschaft und ihre Theorie, danach die Form) sind flexiblen Zuordnungen (die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlichen, theoretischen und formalen Veränderungen) gewichen. Das Werkzeug des Computers, das gegen Ende der 1980er-Jahre Einzug in die Architekturbüros hält, erlaubt die Betrachtung von einzelnen Schichten der Zeichnung (als Datei) in unterschiedlichen Zuordnungen zueinander bei gleichzeitiger Anreicherung der Datei mit immer mehr Informationen. Das Diagramm wird auf diese Weise im Verlauf des Entwurfsprozesses gar nicht mehr durch die Zeichnung abgelöst, sondern nimmt von Beginn an deren Stelle ein. Die so entstehende Form unterliegt zwar immer noch der Kontrolle des Entwerfers, ist aber weniger das Ergebnis von bewussten Entscheidungen, als vielmehr das Produkt zueinander in Beziehung gesetzter (sichtbarer und unsichtbarer) Kräfte. Abbildung 55, SANAA, Museum in Kanazawa, 2004, Grundriss Erdgeschoss

Mit der Verwendung des Diagramms als Entwurfsinstrument in der Architektur bestätigt sich, was Wolfgang Welsch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts als Hypothese formulierte, dass nämlich die Moderne von der Postmoderne in Wirklichkeit gar nicht abgelöst wird, sondern eigentlich in ihr fortlebt. Sein Begriff der „modernen Postmoderne“86 bildet sich im Ne-

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beneinander der „alten“ und „neuen“ Entwurfsmethoden genauso ab wie in der Koexistenz von hartnäckig mechanisch ausgerichteten Bautechniken auf der einen Seite und weitgehend digitalisierten Prozessen innerhalb der Planungsansätze und Nutzerwelten auf der anderen Seite. Die zeitgenössische Gesellschaft zeigt dabei ein Nebeneinander multipler und fragmentierter Einheiten, die – jede für sich – durchaus klare Konzepte erkennen lassen können, die in der Summe aber ein hierarchieloses und unübersichtliches System abbilden. 87 Gilles Deleuze und Felix Guattari benennen derartige Systeme, die sich durch „Mannigfaltigkeiten“, „Heterogenitäten“, „Konnexionen“ und „asignifikante Brüche“ definieren, als „Rhizome“88 . Der Kern der diagrammatischen Entwurfspraxis liegt nun vor allem im Versuch der Architekten, sich selbst (und das Entwurfsprojekt) in eine zur gesamten Gesellschaft gespiegelte Situation zu versetzen. Auf diese Weise verwandelt sich, was anhand der Protagonisten der diagrammatischen Praxis (allen voran Eisenman, aber auch Koolhaas oder Sejima) zunächst als eigene Strömung wahrgenommen wurde, schleichend und subversiv in generelle Mechanismen der entwerferischen Arbeit, die eine Architektur im Einklang mit ihrer Zeit aufrechterhalten kann. 89 Die theoretische Auseinandersetzung (mit Struktur, Programm, Ort, Material und auch mit der Gesellschaft) geschieht dabei nicht losgelöst von einer (als handwerkliches Vorgehen verstandenen) Formfindung. Theorie und Form wird vielmehr direkt innerhalb der Praxis kurzgeschlossen. Das Diagramm entfaltet dabei sein Potenzial zur Kopplung von Sprache und Raum, von Gegenwart und Zukunft oder ganz generell von Heterogenem und Widersprüchlichem ungeachtet dessen, ob sich die entwerfenden Architekten bewusst mit seinen Mechanismen auseinandersetzen und sich zu seiner Verwendung in ihrer Arbeit bekennen.

Die schleichende Verbreitung des Diagramms In diesem Zusammenhang können die frühen Projekte von Eisenman auch als Trainingsfeld der geometrischen Manipulationsmöglichkeiten für eine ganze Architektengeneration gelesen werden. Unter postmodernen Bedingungen verlangt das Zusammentreffen der Kräfte im Entwurf ganz generell nach unmittelbaren und differenzierten Reaktionen jenseits des (naturgemäß begrenzten) formalen Repertoires der Architektur- und Formengeschichte. Das „Streben nach Unterschieden“,90 das dem Diagramm ganz grundsätzlich eigen ist, führt durch die schleichende Verbreitung der diagrammatischen Praxis daher auch dort zu neuen Strukturen und Formen, wo dies von den Entwerfern ursprünglich gar nicht angestrebt wurde. 91 Dabei sind die Formen und Strukturen allerdings kaum mehr dechiffrierbar, denn in der diagrammatischen Praxis gibt es keine Evaluation der Form anhand bekannter Regeln oder Prinzipien mehr. Da die Theoriebildung – mehrheitlich unbewusst – im

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Diagramm selbst geschieht und mit der Formbildung direkt einhergeht, kann sie im besten Fall nachträglich aus dem Projekt herausgelesen werden. Mit anderen Worten: Die Theorie eines jeden Projekts ist so einzigartig wie das Projekt selbst. Für die Rezeption der Architektur ist dies aber gar nicht mehr entscheidend, denn im dynamischen und pluralistischen postmodernen Kontext verlieren Bewertungen sowieso jede Permanenz.92 In den Fokus rücken stattdessen Qualitäten, die universell erkennbar sind und den Betrachtern und Nutzern unmittelbare Verbindungen zu Erfahrungen aus anderen Bereichen des Lebens erlauben. Es sind Qualitäten wie jene Spannungen, die in den Projekten von Herzog & de Meuron zwischen der Oberfläche und dem Volumen spürbar werden; jene Instabilitäten und Mehrdeutigkeiten innerhalb der Körper von OMA; jenes Oszillieren zwischen Einfachheit und Komplexität in den Zeichnungen und Gebäuden von SANAA; jene Gleichzeitigkeit von räumlichem Luxus und materieller Primitivität bei Lacaton & Vassal; jene widersprüchliche Überlagerung von Fassade und Raum bei de Vylder Vinck Taillieu und so weiter. Abbildung 56, Herzog & de Meuron, Prada Tokyo Shop and Offices, 2002, Fassadenabwicklung

Das Diagramm zeigt sich als ein Mittel, das ebenso flexibel wie subversiv ist. Es ist weder an eine bestimmte Disziplin (Semiotik, Soziologie, Architektur etc.) noch an eine bestimmte Zeit und auch nicht an eine bestimmte Architekturpraxis gebunden. Es zeigt sich als ein Instrument der Veränderung, das Veränderungen in Gang setzt, indem es Momente der Erkenntnis erzeugt oder zumindest vortäuscht. Durch Abstraktion erlaubt es ein Operieren innerhalb

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von Situationen, die so komplex sind oder sich so schnell wandeln, dass sie alleine mit dem Bewusstsein nicht mehr beherrschbar wären. Hierin liegt das Wesen des Diagramms, sein Potenzial und seine Stärke. Vielleicht liegt hierin letztendlich auch seine Schwäche, denn wer überprüft, dass die auf diese Weise produzierten Fakten und Formen für die Gesellschaft überhaupt einen Mehrwert darstellen? Wer reflektiert über Qualität, wenn die Reflexion ein Teil der Produktion geworden ist? Die Epoche der Moderne und auch die moderne Architektur haben ganz grundsätzlich auf Verbesserungen durch Veränderungen vertraut. Gilt das noch immer? Und wenn ja, wie lange noch? Abbildung 57, Architekten De Vylder Vinck Taillieu, Shop Twiggi, Gent, 2011, Rückfassade

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

D AS D IAGR AMM IN DER A RCHITEK TURGESCHICHTE Nicht nur die Architektur steht in einem engen Verhältnis mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten und Methoden, zur Vermittlung ihrer Inhalte. Auch die Architekturgeschichte zeugt in ihrer Geschichte vom Suchen nach neuen Methoden des Schreibens, Beschreibens und Erzählens, die sich eignen, das Spezifische der Architektur besser zu erfassen und zu vermitteln. Damit knüpfen wir hier an die im ersten Kapitel bereits skizzierte Geschichte der Emanzipation der Architekturgeschichte aus der Kunstgeschichte an sowie ganz allgemein an die Theorie der Geschichte, hier aus der Perspektive des Geschichteschreibens und seiner Mittel. Als sich die Kunstgeschichte mit dem Thema der Architektur und ihrer Räumlichkeit auseinandergesetzt hat, entstand bei vielen Architekten, aber auch Kunsthistorikern der Eindruck, damit sei der Eigentümlichkeit der Architektur in Abgrenzung zu Malerei und Skulptur nicht genügend Rechnung getragen worden. Und so entstand eine Reihe von Arbeiten, meistens von Architekten verfasst, die allesamt versuchen, das Spezifische der Architektur in ihrer Räumlichkeit zu beschreiben. Ja ein regelrechter Wettkampf entbrannte, wer am besten das räumliche Wesen der Architektur erfassen könne. Was diese Beispiele für uns so wertvoll macht, ist die Tatsache, dass sie in Abgrenzung zu den kritisierten – aber oft auch gleichzeitig gelobten – Arbeiten der Kunsthistoriker nicht nur Text und Bild verwenden, sondern auch eine ganze Reihe von Diagrammen einführten, mit denen sie die Räumlichkeit der Architektur besser zu erfassen versuchten. Zwar nennen sie diese nicht „Diagramme“, sondern, wenn überhaupt „Schemen“, sie zeigen aber, wie der Architekt nicht zuletzt aufgrund seiner Ausbildung auch im schriftlichen Zugang zur Geschichte nach einem „räumlichen“ Instrument greift. Das Interesse daran, diese Fallbeispiele einzuführen, liegt natürlich in der eigenen Arbeit mit dem Diagramm als einer Methode des theoretischen Nachdenkens und in der Arbeit der Studierenden in Liechtenstein mit ihren Diagrammen, wovon im ersten Kapitel die Rede war. Damit wird klar, dass lange vor der Geschichte eines Übersetzungsprozesses des Diagramms – von Rudolf Wittkower über Colin Rowe zu Peter Eisenman, auf die im vorherigen Abschnitt verwiesen wurde –, Diagramme in der Architekturgeschichte eingeführt wurden und möglicherweise auch einen Einfluss auf Architekten hatten.93 Bei den untersuchten Fallbeispielen finden sich dabei grundsätzlich drei verschiedene Formen von Diagrammen: Der erste Typus versucht in Grundriss und Schnitt die räumlichen Qualitäten – es ist meistens die Rede von „Rhythmus“ – und Abfolge der Räume lesbar zu machen; der zweite knüpft daran an und versucht die Unterschiede zwischen den Künsten anschaulich zu machen, der dritte wiederum zeigt in Form einer Tabelle ebenfalls die Unter-

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schiede zwischen Architektur, Plastik und Malerei auf und klassifiziert deren unterschiedliche Inhalte und deren Wirken. Erste Beispiele eines Diagramms des dritten Typus finden sich bereits bei August Schmarsow in seinem Buch Plastik, Malerei und Relief kunst in ihrem gegenseitigen Verhältnis von 1899, wobei es ihm vor allem darum geht, ein „Schema“ zu entwickeln, das das unterschiedliche Verhältnis der Künste zueinander zum Ausdruck bringen kann, wobei ihm die kreisrunde Form am geeignetsten zu sein scheint. Abbildung 58, Schmarsow, August, Plastik, Malerei und Relief kunst in ihrem gegenseitigen Verhältnis, 1899

Paul Frankl Ein erstes Fallbeispiel in diesem Sinne bildet der Architekt Paul Frankl (1878– 1962), der auch Kunstgeschichte studierte. In seinem Buch Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst, das 1914 veröffentlicht wurde, bezieht sich Frankl explizit auf die Analysemethode von Wölfflin – dem das Buch gewidmet ist –, übernimmt von Schmarsow die Kategorien von Architektur (Raum), Skulptur (Körper) und Malerei (Licht) und verweist weiter auf Alois Riegl und Jacob Burckhardt, deren Arbeiten er in eine Synthese zusammenführen will. Mit den drei Kategorien „Raum“, „Körper“ und „Licht“, denen er noch „Funktion“ hinzufügt, baut er eine Interpretationsmatrix für die Besprechung vergangener Architektur auf, insbesondere von Renaissance und Barock in ihrem gegenseitigen Verhältnis. Dabei betont er, dass Wölfflins Ansatz „das Problem hier noch nicht endgültig gelöst“ habe,94 er aber trotzdem der Frage eine eigenständige Antwort geben könne, weil er „von der Architektur kommend zu anderen sehr verwandten Polaritäten gelangt war“.95 Er ist sich also bewusst, dass er, weil als Architekt ausgebildet, notwendigerweise eine andere Betrachtungsweise entwickeln würde als die oben genannten Kunsthistoriker. Bemerkenswert ist, wie seine Position also einerseits auf einer Anerkennung, andererseits auf einer Kritik seiner Vorgänger auf baut und er damit eine eigene Theorie der Geschichte aufstellt.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Frankl sucht, „was die Raumbildungen in aufeinanderfolgenden Phasen einer Epoche polar entgegengesetzt wirken lässt und was sie innerhalb einer Epoche trotzdem gemeinsam haben gegenüber den Raumbildungen anderer Epochen“.96 Er versucht also die historische Abfolge der Stile anhand von Unterschieden hinsichtlich Zweck, Licht, Körper, vor allem aber Raum (als Raumbildung) zu verstehen und zu beschreiben. Dafür führt er die Begriffe „Raumform“, „Körperform“ und „Bildform“ ein, wobei Raumform nochmals in „Raumgruppen“, „Raumreihung“ und „Raumaddition“ unterteilt wird. Damit baut Frankl eine Reihe von Begriffen und Kategorien auf, mit denen er spezifischer die Raumqualitäten der Architektur und deren Unterschiede beschrieben kann. Wie bei allen Fallbeispiele, die in der Folge besprochen werden, ist hier die Rede von „Schema“ und nicht von „Diagramm“, davon finden sich verschiedene, die neben Grundrissen und wenigen Bildern seine Untersuchung erläutern sollen. Es handelt sich um Diagramme des ersten Typus. Abbildung 59, Paul Frankl, Diagramm, 1914

Hermann Sörgel Das nächste Fallbeispiel ist der vor allem für sein Projekt Atlantropa – das durch einen Staudamm an der Straße von Gibraltar das Mittelmeer hätte senken und damit neues, fruchtbares Land schaffen sollen – bekannte Architekt Hermann Sörgel (1885–1952). Dieser hat sich aber auch stark mit theoretischen Fragen um die Architektur als „raummäßige Kunst“ befasst. So in der Ein-

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führung zu seiner Architektur-Ästhetik, 1918 veröffentlicht,97 wo er zuerst eine sehr überzeugende (und auch in der Folge viel zitierte) Zusammenfassung aller vorangegangenen Raumtheorien vorstellt und, ausgehend von Vitruv, Alberti, Schinkel und Semper, über Kant zu Vischer, Fechner, Lipps, Wölfflin, Schmarsow, Brinckmann und Hildebrand kommt. Damit wird klar, dass er seine eigene Position in Anlehnung an und Abgrenzung zu diesen vielen Vorgängern auf baut. Seine Besprechung der Architektur kommt ohne Bilder aus, neben ein paar Skizzen werden aber vor allem zwei Diagramme verwendet, um die Architektur zu situieren und deren räumliche Qualität in Abgrenzung zu Malerei und Skulptur zu erläutern. Diese liegt in der Konkavität des architektonischen Raums. Obschon er bei der Etablierung einer Theorie der Kunst von der notwendigen Zusammenarbeit von Ästhetik, Geschichte und Stillehre ausgeht – Letztere als Resultat der ersten beiden –, beschränkt er sich in seinem Buch auf die Ausarbeitung der Ästhetik, die beiden anderen Themen sollten in zwei weiteren, nie erschienenen Bänder besprochen werden. Dafür entwickelt Sörgel drei „gleichberechtigte“ Wahrnehmungsmodelle der Architektur als Raumwahrnehmung, die auf dem seelischen – Schönheit, Gefühlskonstanten, Mystik –, dem verstandesgemäßen – Zweck, Material, Konstruktion – und dem optischen Gehalt –Wirkungsgesetze, Reliefauffassung – auf baut. Dabei geht es ihm darum, die Eigenart der Architektur zu erfassen, in ihrer Abgrenzung zu den anderen Künsten. Die Architektur müsse immer wieder gegen Bild und Körper kämpfen, um das „Raumhafte“ zu etablieren.98 Sörgel grenzt damit, in Anlehnung an Schmarsow, die Architektur als Raumkunst von der Malerei als Flächenkunst und der Plastik als Körperkunst ab. Jochen Meyer betont in seiner Einführung zur 1998 veröffentlichten Neuausgabe der Architektur-Ästhetik explizit, dass es eines der Grundmotive von Sörgel gewesen sei, eine Gegenposition zu Wölfflins Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen von 1915 und zu Adolf von Hildebrands Problem der Form von 1893 aufzubauen, weil diese keine Architekten waren. Die Diagramme, mit denen Sörgel diese Thesen erläutert, gehören dem zweiten und dritten Typus an. Im ersten wird die räumlichen Eigenschaften der Architektur, im Vergleich zu Plastik und Malerei schematisch beschrieben, im zweiten das Wesen der Architektur. Abbildung 60, Hermann Sörgel, Diagramm, 1918

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Abbildung 61, Hermann Sörgel, Diagramm, 1918

Hermann Eicken In seinem gleichfalls 1918 veröffentlichten Buch Der Baustil, Grundlegung zur Erkenntnis der Baukunst entwickelt Hermann Eicken eine Theorie der Architektur, die auf der Wahrnehmung ihrer Körperform gründet.99 Zwar betont

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er den Einfluss von Hildebrand und Fiedler und deren Einteilung der Künste in Malerei, Bildhauerei und Baukunst, gleichzeitig aber kritisiert er, dass sie keine Unterscheidung gemacht hätten in der Art, wie man diese wahrnehme. Um diese Unterschiede zu betonen, führt Eicken die Begriffe „Bildform“ und „Körperform“ ein, Abbildung 62, Hermann Eicken, Diagramm, 1918

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Letzteres mache den spezifischen Inhalt der Architektur aus. Damit untersucht Eicken die Geschichte der Architektur und verwendet neben Bildern auch Diagramme, von denen einzelne auf das Proportionalsystem vergangener Architektur Bezug nehmen, wie es bereits bei Frankl der Fall war. Während aber die Untersuchung von Frankl auf der Besprechung von Grundrissen basierte, führt Eicken axonometrische Darstellungen ein, die eine Verräumlichung dieser Proportionalsysteme vollziehen. Es handelt sich dabei also um Diagramme des ersten Typus. Die Betrachtung vergangener Architektur durch den Begriff der Körperform sollte helfen – so Eicken –, diese besser zu verstehen. Seine Position hat starke pädagogische Züge: Wie Maler und Bildhauer ein Bewusstsein für die Bildform, so müssen Architekten ein Bewusstsein für die Körperform entwickeln. 100

Paul Klopfer In seinem Buch Das Wesen der Baukunst, 1919 veröffentlicht, beschreibt der Architekturhistoriker Paul Klopfer Architektur als „räumliches Schaffen“, das von der Fantasie des Architekten abhängig sei. 101 Verweise auf Wölfflin, Riegl und Schmarsow werden nur indirekt gemacht, ihr Einfluss auf Klopfer ist aber unbestreitbar. Seine Untersuchung der Geschichte der Architektur beruhe auf der Stillehre, aber keiner gewöhnlichen, denn sie würde die Vergangenheit nach neuen Kriterien besprechen. Ein erstes Diagramm des dritten Typus soll diesbezüglich Übersicht gewähren: Es wird zwischen Gerüstbau (Tektonik) und Massenbau (Stereometrie) sowie zwischen Ruhe (statisch) und Bewegung (dynamisch) unterschieden. Raum wird somit nur implizit und nicht als eigentliches Untersuchungskriterium verwendet. Neben der Verwendung von Bildern und Planmaterial finden sich in der Arbeit von Klopfer auch Diagramme des ersten Typus, die die Proportionssysteme in der Fassade aufzeichnen, wie zum Beispiel bei der Kathedrale von Mainz. Dennoch muss betont werden, dass solche Darstellungen – wie zum Beispiel für den Dom von Mailand überliefert – die mittelalterliche Entwurfsmethodik am Aufriss zeigen und damit historisch hergeleitet, also keine Erfindung sind. Klopfer hat verschiedene Bücher zu diesem Thema verfasst, auch im späteren Von der Seele der Baukunst von 1929 beschreibt er die Architektur (Baukunst) als „Raumschaffen aus künstlerischer Intuition heraus“. 102 In seiner Untersuchung der Architektur der Vergangenheit verwendet er eine bemerkenswerte Klassifikation nach „Kulturtemperamenten“: das cholerisch-immanente, das phlegmatisch-transzendente, das melanchonisch-transzendente und das sanguinisch-immanente Kulturtemperament. Das Buch ist illustriert mit handgezeichneten Grundrissen, Perspektiven, aber auch Proportions-

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schemen, die auf Ansichten verzeichnet sind, sowie einem bemerkenswerten Grundriss-Diagramm der Villa Rotonda von Palladio, das er im Text folgendermassen erläutert: „In seiner Villa Rotonda beweist er trotz aller Einfachheit und geometrischen Strenge in der Grundrissanlage den gleichen konzentrierenden Geist, der kein rhythmisches Sein, sondern nur Herrschen und Dienen als Raumgliederung erkennt.“103 Abbildung 63, Paul Klopfer, Villa Rotonda, Diagramm, 1927

Albert Erich Brinckmann Das nächste Fallbeispiel, der Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann (1881– 1958), war ein Student von Wölfflin. Er gilt als einer der Begründer der Städtebaugeschichte, die er in verschiedenen Büchern vor allem aus der Perspektive der Raumwirkung erzählt hat. In seinem Buch Plastik und Raum als Grundformen künstlerischer Gestaltung, das 1922 veröffentlicht wurde, bezieht er sich explizit nicht nur auf Wölfflin, sondern auch auf Riegl, Schmarsow, Sörgel und Wulff und übernimmt von ihnen gewisse Begriffe und Konzepte wie „Raumwille“ oder „Raumform“, um

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wiederum auf die Räumlichkeit der Architektur zu verweisen. Er betont dabei, dass sein Ziel das Aufstellen einer Theorie der Anschauung sei, die aber noch folgen solle, und baut seine „empirischen Untersuchungen“ auf eine Kritik der Anschauungsbegriffe: „Wie groß die Verwirrung ist, zeigt neben vielem anderen die unbedenkliche Gleichsetzung von Skulptur und Plastik, von architektonischem und malerischem Raum.“104 Auch Brinckmann ist bei seiner Untersuchung also nicht zuletzt durch diese unsorgfältige Trennung zwischen den Künsten motiviert. Abbildung 64, Albert Erich Brinckmann, Diagramm, 1922

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Brinckmann spricht dabei von einem Raumgefühl und unterscheidet zwischen Raumformen und Plastikformen. Weiter gliedert er die Architektur in Raumgruppen und Raumteile. In der Besprechung der vergangenen Architektur – von der Gotik zur Neuzeit – vergleicht er durch Diagramme des ersten Typus die unterschiedliche Raumgruppen, d.h. die Anordnung von Räumen um spezifische Konfigurationen, besonders der Renaissance und des Barock. Die Spezifizität eines Architekturstils wird von Brinckmann somit über die jeweilige Anordnung der Räume erläutert. Er nennt diese Darstellungen „schematischer Grundriss“ und „schematischer Aufriss“. Anhand eines anderen Diagramms desselben Typus erläutert Brinckmann die Raumentwicklungen im Kirchenlanghaus von der Renaissance über den deutschen Rokoko – als Beispiel von Raumdurchdringung – bis zum Barock. Im Mittelpunkt stehen die Proportionen der Räume. Er spricht dabei von „Raumverlangen“ und „Raumkraft“. 105 Erst durch diese Diagramme, die Brinckmann wiederum „Schemata“ nennt, lässt sich die Entwicklung der Stile über die Entwicklung der Räume erläutern.

Leo Adler Auch der Architekt Leo Adler beschäftigte sich in seinem 1926 veröffentlichten Buch Vom Wesen der Baukunst mit der Architektur als „Raumschaffung“ und der Notwendigkeit einer Theorie, die sowohl Geschichte wie Morphologie der Architektur berücksichtige. 106 Architektur sei „nicht der bloße Tummelplatz formal-ästhetischer Ideen, auch nicht allein die praktische Lösung zweckvoller Aufgaben, sie ist und als Kunst formgewordener Kulturinhalt in der Dreidimensionalität des empirischen Raumes“. 107 Adler argumentiert damit für eine Geschichte der Architektur, die diese eben nicht nur nach ästhetischen Kriterien, sondern auch nach „außerästhetischen Faktoren“ bespricht. 108 Der Untertitel des Buches – Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaft – verweist auf den Anspruch, in Analogie zur Kunstwissenschaft eine Architekturwissenschaft zu etablieren, die sich mit der Morphologie der Architektur im Sinne einer „Gestaltlehre“ auseinandersetzt. Diese soll erklären können, wie Architektur entsteht und wieso sie über die Jahrhunderte ihre Gestalt verändert. Dabei bemerkt Adler, wie es in der Geschichte der Architektur immer um die Spannung zwischen einer materialistischen (z.B. Semper) und einer idealistischen (z.B. Riegl) Beschreibung der Architektur geht.109 Für Adler stellen beide bewährte Begegnungsmethoden der Form dar, in der Kombination der beiden liege aber der notwendige Mittelweg. Dabei kommt Adler zum Schluss, dass im Mittelpunkt einer Untersuchung der Architektur der Raum stehen müsse, als „Wesenskern der Architektur“. 110

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Er definiert die Baukunst etwas umständlich als „physisch-zweckvolle Raumgestaltung unter Umsetzung einer ästhetisch-zwecklosen Raumidee (in die dreidimensionale Realität des empirischen Raumes) durch Aufrichtung von dreidimensionalen Blockflächen“. 111 Abbildung 65, Leo Adler, Diagramm, 1926

In seinem Verständnis der Architektur bezieht er sich auch auf Schmarsow, wobei er aber von dessen Definition darin abweicht, dass er den Ursprung des architektonischen Raums in der Notwendigkeit, sich zu schützen, sieht und damit den Aspekt der Funktion einführt. An einer Reihe von Diagrammen des dritten Typus versucht er die Spezifizität der Architektur im Vergleich zu den anderen Künsten zu erklären. Die Künste werden dabei in subjektiv/objektiv, mittelbar/unmittelbar und apollinisch/dionysisch eingeteilt. Mit diesem Diagramm und den verschiedenen Kategorien versucht Adler eine möglichst präzise Abgrenzung der Architektur zu erreichen. Neben Schmarsow, Wölfflin und Riegl erwähnt Adler unter anderem auch Sörgel, kritisiert aber dessen Definition der Architektur als Raumgestaltung, weil ungenau, eine Lücke, die er mit seiner Arbeit zu füllen versucht. Andere Diagramme als die bereits erwähnten finden sich aber nicht.

Fritz Schumacher Der Architekt und Städtebauer Fritz Schumacher (1869–1947) stellt einen besonderen Fall dar, weil er nicht nur theoretisch über Raum reflektiert, sondern auch praktisch an der Umsetzung interessiert ist. Er wird auch in der nächsten Lektion als Beispiel für das „räumliche Wissen“ besprochen. Schumacher verfasste verschiedene Bücher zum Thema des Raums und der Erziehung des Ar

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chitekten, die oft das gleiche wiederholten und weiterentwickelten. Im seinem Beitrag für das 1926 veröffentlichte Architektonische Komposition, Handbuch der Architektur, Vierter Teil: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude mit dem Titel „Das bauliche Gestalten“ geht es um eine Definition des Künstlerischen in der Architektur. Kunst ist in der Definition von Schumacher – und dies gilt für alle Künste – „[…] die Kraft, lebendige Organismen zu schaffen aus Tönen, aus Worten, aus Farben, aus Formen, aus Räumen, aus Körpern“. 112 Schumacher unterscheidet dabei zwischen einer verstandesmäßigen, einer sinnlichen und einer seelischen Wirkung des baulichen Kunstwerks, wobei er Letztere als Synthese der beiden ersten sieht. 113 Abbildung 66, Fritz Schumacher, Diagramm, 1926

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Im Mittelpunkt der Architektur steht der Raum, den Schumacher durch verschiedene Begriffe wie übergeordneten und eingeordneten, positiven oder negativen Raum einzugrenzen versucht, und er kommt zu folgender Definition der Architektur: „Architektur ist die Kunst doppelter Raumgestaltung durch Körpergestaltung.“114 Das Ziel ist das Entwerfen von Raum, und das Entwerfen von Körper ist das Mittel zu diesem Ziel, wobei er zwischen innerem und äußerem Raum unterscheidet. Dieser Zusammenhang, vor allem aber die Unterschiede in der Wahrnehmung der Artefakte der verschiedenen Künste, stellt er in einem bemerkenswerten Diagramm des zweiten Typus dar, das eben diese Unterschiede sichtbar macht und als vierte Kategorie auch ein Gebäude in einem städtebaulichen Kontext einführt. Er nennt dieses Diagramm „Schema“ und bezieht sich dabei auf Wölfflin, Schmarsow, Brinckmann und Sörgel, unterstreicht aber, dass diese Referenzen unvollständig seien, weil sie, obschon sie den Raum in den Vordergrund stellen, den körperlichen Aspekt der Wahrnehmung der Architektur vergessen hätten. Der Grund für die Wahl einer solchen Darstellungsform liege in der Schwierigkeit, die Wahrnehmung und die dazugehörige Bewegung zu fassen, wieso er auf ein grafisches Mittel zurückgegriffen habe. Neben „begrifflichen Fixierungen“ brauche es also auch „graphische Fixierungen“. 115

Hans Sedlmayr Als nächstes Fallbeispiel muss an dieser Stelle kurz noch auf Hans Sedlmayr verwiesen werden. In seiner 1930 veröffentlichten Untersuchung der Arbeit des Architekten Borromini, Die Architektur von Borromini, ein Beispiel seiner „Strukturanalyse“, führt Sedlmayr neben einer Reihe von Bildern auch eine Reihe von Diagrammen ein, die dazu dienen, die räumlichen Qualitäten bzw. die einzelnen „Schichten“ der Räumlichkeit der Architektur von Borromini zu isolieren und identifizieren. Die räumliche Einheit wird somit reduziert auf und zerlegt in ihre wichtigsten Bestandteile: vor allem konvexe und konkave Flächen. Für die Diagramme bedient sich Sedlmayr bei Plänen und Axonometrien. Bezeichnenderweise hatten die Diagramme von Sedlmayr – wie bereits in der zweiten Lektion erwähnt – einen großen Einfluss auf den italienischen Architekten Paolo Portoghesi und dessen Untersuchung zu Borromini, die er 1967 in Buchform veröffentlichte. Portoghesi transformierte bekanntlich seine Diagramme der Analyse in Diagramme des Entwerfens und war dabei zweifellos von der Arbeit Sedlmayrs beeinflusst.

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Abbildung 67, Hans Sedlmayr, Diagramm, 1939

Rudolf Wittkower Der bereits von Holger Schurk eingeführten Architekturhistoriker Rudolf Wittkower, ein englischer Staatsbürger, der in Deutschland geboren wurde und aufgewachsen ist, studierte Kunstgeschichte bei Wölfflin und später in Berlin. In seiner monumentalen Studie über die Renaissance, Architectural Principles in the Age of Humanism, 1949 veröffentlicht, befasst er sich u.a. mit den zahlreichen Proportionssystemen der Renaissancearchitektur, deren Ursprung in der Mathematik und in ihrem Verhältnis zu Proportionssystemen der Musik. Diesbezüglich nimmt er vor allem Bezug auf Alberti und Palladio und beweist, wie die Anwendung solcher Proportionssysteme keine einfache Übertragung war, sondern aus der Überzeugung entstanden ist, sie würden das räumliche

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Befinden in den so entworfenen Räumen beeinflussen. 116 Während zeichnerische Evidenz der Anwendung solcher Proportionssysteme aus dieser Zeit sehr rar sind – Wittkower zeigt einzig ein Beispiel aus Serlios Erstem Buch –, produzierte Wittkower eine ganze Reihe von Diagrammen des ersten Typus, die, von Rowe weiterentwickelt, eben auch einen Einfluss auf Eisenman hatten. Bemerkenswert ist die Bezeichnung, die Wittkower dafür verwendet: Er unterscheidet zwischen Schema (Grundrisszeichnungen) und Diagramm (Fassadenzeichnungen), ohne aber den Hintergrund dieser Unterscheidung zu nennen. Wir können davon ausgehen, dass der Unterschied darin liegt, dass beim Schema eine Zeichnung (hier: Grundriss) reduziert wird – es wird etwas weggenommen, um das Wesentliche zu zeigen –, während beim Diagramm die Zeichnung (hier: Fassade) ergänzt wird – es werden Linien hinzugefügt, um etwas zu zeigen, was sonst nicht erkennbar gewesen wäre. Abbildung 68, Rudolf Wittkower, Diagramme, 1949

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H ANDWERK U LI H ERRES Was ist Handwerk? In der postindustriellen Gesellschaft und besonders in gestaltenden Berufen wird Handwerk heute verstärkt thematisiert. Symposien, Bücher und Texte im Kontext von Architektur, Design und Kunst befassen sich mit dem Thema. Das Interesse ist vorhanden, jedoch überraschend oft, ohne vorher die Frage zu stellen: Was ist Handwerk eigentlich? So banal die Frage klingt, so unklar ist bei näherem Hinsehen die Antwort. Der Begriff „Handwerk“ selber ist heute mit den widersprüchlichsten Konnotationen, Wertungen und Definitionen belegt und wird je nach Kontext immer noch mit einem geringeren Sozialprestige verbunden, ein atavistisches Relikt. Andererseits werden Komponenten des Handwerks glorifiziert und im Kontext bestimmter „Lifestyles“ vereinnahmt. Das „Machen“ im Sinne von selber herstellen, aber auch von aktiv an der Gesellschaft teilhaben wird bewusst gesucht und als kritisches Gegenmodell zur Konsumgesellschaft aufgestellt. Nachdem besonders um die Jahrtausendwende in der Euphorie um Internet und Virtualität bereits der „Sturz der Materie“117 postuliert wurde, wächst nun als Reaktion darauf das allgemeine Interesse am Physischen, dem „Echten“; der Hype wird relativiert. In diesem Kontext ist auch oft von Handwerk die Rede. Handwerk dient als Projektionsfläche, als Gegenentwurf und Utopie. „Nicht entfremdete Arbeit als Sehnsuchtsmodell im Neoliberalismus“118 verspricht selbstbestimmtes Arbeiten, eine Balance aus Machen und Denken, aus Kopf und Hand, aus Physis und Virtuellem. Handwerkliche Objekte werden mit Reparierbarkeit, Wertigkeit und Identität verknüpft und so vermarktet. Heutige Realitäten eigentlich handwerklicher Berufe jedoch werden dem Ideal immer seltener gerecht; und „Machen“ an sich mit Handwerk zu verwechseln ist bereits ein Beispiel dafür, wie mit einzeln herausgegriffenen Komponenten und bestimmten Konnotationen des Handwerks gespielt wird, während andere Aspekte ignoriert werden. Die positive Betrachtung des Handwerks kann zu einer Überhöhung führen, die ihm so wenig gerecht wird wie eine geringschätzende Haltung andererseits. Je mehr Handwerk als positiv empfunden wird und je mehr Gebiete Handwerkliches für sich beanspruchen, umso wichtiger wird es, der Offenheit des Begriffs durch klare Definitionen zu begegnen, um schließlich eine Einschätzung der zeitgenössischen Potenziale des Handwerks zu ermöglichen.

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Reflexion/Machen/Ethos Handwerk ist fester Bestandteil der materiellen Welt, während die Reflexion des Machens, das Überführen von Erfahrungswissen in explizites, kommunizierbares Wissen, zur geistigen Sphäre gehört. Handwerkliche Arbeit berührt also direkt beide Welten, und eine Betrachtung des Handwerks muss dieser besonderen Situation Rechnung tragen. Drei einflussreiche Schriften erscheinen mir besonders geeignet, um dieser speziellen Grundvoraussetzung des Handwerks gerecht zu werden und eine Skizze für eine Definition von Handwerk im Kontext der Architektur zu umreißen. Obwohl alle drei sich dem Handwerk von verschiedenen Seiten annähern, zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie sowohl die physische wie die geistige Komponente des Handwerks zueinander in Beziehung setzen. Richard Sennett hat 2008 das in den letzten Jahren wohl wichtigste Buch zum Handwerk veröffentlicht.119 Als Soziologe liegt für ihn der Fokus klar auf dem Subjekt, dem Handwerker. Seine Definition von Handwerk ist offener als andere und schließt als einzige nicht die Produktion physischer Objekte mit ein. Handwerk ist für ihn ein grundlegender menschlicher Antrieb, eine Arbeit um ihrer selbst Willen gut zu machen, und geht daher weit über qualifizierte manuelle Arbeit hinaus.120 Diese Formel umfasst zwei wichtige Aspekte des Handwerks: Können und Ethos. Zu betonen ist hier, dass es nicht um das Machen um seiner selbst willen geht, sondern um das gut machen. Erst durch diesen Ethos, durch den Willen, etwas gut zu machen, kann für Sennett die qualifizierte Arbeit zu Handwerk werden, wenn die entsprechenden Fertigkeiten sich entwickeln, „motivation matters more than talent“.121 Dieses dem Handwerk immanente Ethos ist zugleich eingebaute Qualitätssicherung und Motivation. Der britische Architekt, Kunsthandwerker, Möbeldesigner und Hochschullehrer David Pye schrieb schon 1968 das damals viel beachtete und bis heute besonders im angelsächsischen Raum einflussreiche Buch The Nature and Art of Workmanship 122. Im Unterschied zu Sennett geht Pye konsequent vom Produkt des Handwerks aus und behandelt Handwerk mit dem Fokus auf dessen Auswirkungen auf die Erscheinung von Objekten; nicht zufällig beschreibt er im selben Buch eine ästhetische Qualität, die er „diversity“ nennt. Interessant ist Pyes völlige Ablehnung von „Handarbeit“ als zulässigem Kriterium: „Is anything made by hand?“, fragt er rhetorisch. Die Art der Energieeinwirkung auf das Werkzeug, ob „elektrisch, per Fuß, Lehrling oder Esel angetrieben“, ist für ihn irrelevant, da sie nicht per se eine Auswirkung auf das Produkt hat. Als Kriterium schlägt er stattdessen die Menge an Risiko für den Bearbeiter vor, das Ergebnis des Schaffensprozesses während der Produktion zu verderben. „Workmanship of risk“ beschreibt diesen Prozess, bei dem die Verantwortlichkeit für das Ergebnis nur beim Ausführenden liegt und von dessen „skill, dex-

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terity and care“ abhängt; Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit oder Ungeschick können jederzeit zum Scheitern führen. Mit „workmanship of certainty“ beschreibt er dagegen eine Arbeitstechnik, bei der schon vor dem eigentlichen Produktionsbeginn eine völlige Sicherheit in Bezug auf die Erscheinung des fertigen Produkts besteht. Dies ist das Resultat eines Systems von „verteiltem Wissen“, sei es durch den Gebrauch von Schablonen, Führungen, durch Maschinen allgemein, auch durch Computerprogramme. Während Letztere besonders in mechanisierten Prozessen vorherrscht und Erstere im Handwerk typisch ist, so betont Pye doch, dass beide Arbeitsweisen selten in reiner Form vorliegen. Die „riskante Verarbeitung“ bedeutet das direkte Agieren mit dem physischen Material: Handwerkliche Arbeit ist ein schrittweise aufeinander auf bauender, iterativer Prozess. Er erlaubt das direkte Arbeiten mit individuellen, nicht-homogenisierten Materialien, wie einem Stein mit spezifischem Schichtenverlauf oder einem Brett mit Ästen und schwieriger Maserung. Die Rolle des Könnens, der Fertigkeiten, ist in Pyes Definition zentral, während „care“ wiederum das Ethos des Ausführenden beschreibt. Als drittes Beispiel sei Toshio Odates Buch Japanese Woodworking Tools. Their Tradition, Spirit and Use 123 genannt. Odate, der in seiner Jugend selbst eine traditionelle Handwerksausbildung durchlief, nutzt die Beschreibung der Werkzeuge des japanischen (Bau-)Schreiners als Vehikel zur Erklärung des Wesens des Shokunin, des japanischen vorindustriellen Handwerkers. Odates Beschreibung seiner Ausbildung macht die bei Pye und Sennett genannte Rolle der persönlichen Fertigkeiten eindrucksvoll deutlich. In einem langwierigen Prozess eignete sich der Lehrling durch stetige Wiederholung auch einfachster Bewegungsabläufe nicht nur die Fähigkeiten des Handwerks an. Auch die Einstellung zum Werkzeug, zum Material und zur Arbeit selbst wird so nicht nur theoretisch erlernt, sondern umfassend bis ins Unbewusste eingebettet. Pyes skill und dexterity kehren hier ebenso wieder wie das Ethos Sennetts. Es wird hier besonders deutlich, dass Handwerk verschiedene Arten von Wissen braucht. Das rationale Wissen ist die bewusste Ebene, die als explizites Wissen bezeichnet wird („knowing that“)124. Es ist kommunizierbar, formalisierbar und technisierbar. Für das Handwerk ist dabei das „know-how“ wichtig, das Wissen, wie etwas gemacht wird. Dieses ist prinzipiell auch kommunizierbar, wird aber viel effizienter durch Abschauen und Üben gelernt. Darüber hinaus ist für das Handwerk eine weitere Wissensform bezeichnend, das implizite Wissen, das wie das Radfahren nur durch Wiederholung, Üben, Machen gewonnen und nicht verbal erklärt werden kann. Zu dieser Komponente des Wissens gehört auch die Intuition im Sinne eines unbewussten Erkennens von Mustern, welches eine Einschätzung von Situationen gleichsam aus dem Bauch heraus erlaubt. Handwerk wird durch das implizite Wissen (die Fertigkeiten und die Intuition) des Ausführenden bestimmt, welches das Risiko des Verderbens eines Produkts bei der Produktion eingrenzt. Das unbewusste

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Erlernen von Bewegungsabläufen ist dabei oft an das Werkzeug geknüpft, das diese Abläufe stark mitbestimmt. Jedes Handwerk hat sein spezifisches Werkzeug, die Auswahl der Werkzeuge bestimmt die Erscheinung des Objekts mit. Sie ist auch Teil des Erfahrungswissens. Beim Handwerk geht es um ein zielgerichtetes Machen: Es wird letztendlich am Produkt gemessen. Hier liegt auch die Grenze von Sennetts soziologischer (vom Subjekt ausgehender) Definition: Handwerk in der Architektur ist nicht prozess-, sondern zielorientiert. Der Maßstab, an dem sich das physische Ergebnis messen lassen muss, ist die im Entwurf abstrahiert festgelegte Zielvorgabe. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Entwurf durch einen Architekten, den Handwerker selber oder durch eine als Tradition oder Typus vorliegende Vorgabe festgelegt wurde: Handwerk ist die Herstellung physischer Objekte gemäß einer Zielvorgabe, einem Entwurf, dessen Resultat während der Bearbeitung durch die Ausführenden verdorben werden kann. Pye unterscheidet zwischen „regulated“ und „free workmanship“: Die Begriffe beschreiben, wie stark sich das ausgeführte Objekt der im Entwurf festgehaltenen, abstrakten Idealform annähert. Beide Begriffe sind prinzipiell wertfrei; nicht die absolute Annäherung an den Entwurf entscheidet über die Qualität der Ausführung, sondern die Angemessenheit dieser Annäherung.125 Eine vollkommene Übereinstimmung mit dem Entwurf ist nicht automatisch positiv. Der Ausführende entscheidet selbst, wie nahe er der Zielvorgabe kommen muss und wann es „gut genug ist“: „What a waste of time and money it would have been to insist upon perfection in […] nearly invisible areas.“ Handwerk hat auch immer mit Ökonomie zu tun, in erster Linie der Ökonomie der eingesetzten Kräfte126. So kann ein sehr direktes Umsetzen eines Entwurfs an einem Platz, wo er ein Zuviel an Energieaufwand bedeutet, unnötig und sogar falsch sein: Handwerk ist kontrollierter Kontrollverlust. Dies gilt selbst im für seine handwerkliche Perfektion bekannten Japan, wie Odate beschreibt, wo es bei der Bewertung von Handwerk um die Gleichzeitigkeit von Fertigkeit und Geschwindigkeit geht.127 Pye zeigt Beispiele von Objekten, bei denen eine gut ausgeführte Sichtfläche mit einer optisch eher nachlässig gefertigten Rückseite einhergeht. Die Regel bzw. das gesunde Maß ist das „gut genug für den bestimmten Zweck“. Die eingesetzten Mittel sind immer in Bezug auf das angestrebte Ergebnis (den Entwurf) im Sinne der Angemessenheit zu wählen, genauso der Perfektionsanspruch. Diese Wahl trifft der Ausführende während der Bearbeitung; dies macht Handwerk zu einer prinzipiell selbstbestimmten Tätigkeit.

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Abbildung 69, Der Rahmen am Spiegel dieses Bootes ist optisch nicht perfekt, aber technisch makellos. Nach Auf bringen des Decks wird er nur noch bei Reparaturen sichtbar sein. Optische Perfektionsansprüche an dieser Stelle wären sinnlos. Der zum „Schnitzen“ genutzte Winkelschleifer zeigt übrigens, dass „workmanship of risk“ nicht an Handwerkzeuge gebunden ist. 75m2 Nationale Kreuzeryacht Vinga, Michelsen Werft Friedrichshafen, 2011

So verschieden die Hintergründe der drei Autoren sind, zeigen sie doch alle, dass Handwerk nicht allein technisch definiert werden kann. Die Verknüpfung aus verschiedenen Wissensformen, Ethos und spezifischen Abläufen machen Handwerk zu einer speziellen Arbeitsweise mit besonderen Stärken und Schwächen. Es wird deutlich, dass jede gedankliche Trennung von Kopf und Hand, von Physis und Intellekt, wie sie seit der Moderne vorherrscht, auf das Handwerk einen großen Einfluss haben muss. Richard Sennetts Satz „making

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is thinking“128 ist eine Brücke zwischen den Welten, auf der das Handwerk angesiedelt ist. Die Tätigkeit der Architektur hat unzweifelhaft handwerkliche Komponenten insbesondere in Bezug auf die Art des Wissens und die Rolle von implizitem Wissen und Fertigkeiten.129 Im Unterschied zum Handwerk sind Architekten jedoch nicht unmittelbar an der Herstellung eines Gebäudes beteiligt, die Ausführung bleibt stets dazwischengeschaltet. Der Entwurf als konkretes Ergebnis des architektonischen Arbeitens kann, wie ein handwerkliches Produkt, während des Prozesses verdorben werden und hängt zum Teil von der (durch Erfahrung gewonnenen) Intuition ab; physische unbewusste Tätigkeiten spielen hier jedoch eine geringere Rolle. Die direkte Interaktion mit dem konkreten Baumaterial bleibt außen vor. In Bezug auf die Erstellung des Gebäudes kann das Architektur-Schaffen somit auch als Meta-Handwerk bezeichnet werden, da es auf einer übergeordneten Ebene abläuft. Die kurze Analyse des Wesens handwerklicher Arbeit mag beim Blick auf heutige Baurealität romantisch erscheinen; zu beachten ist hier aber die Unterscheidung zwischen Handwerk und manueller Arbeit. Letztere ist noch heute im Bauwesen allgegenwärtig. Mit einer starken Verspätung gegenüber anderen Industrien – und mit einer ebensolchen gegenüber den Versprechungen der Moderne – hält erst heute das industrielle Bauen seinen schleppenden Einzug, indem der Bauprozess mehr und mehr zu einem Montageprozess industriell hergestellter Produkte wird. Diese Montage geschieht gerade am Bau noch oft genug „von Hand“; die Individualität der einzelnen Bauwerke, die Größe der Objekte und die Unmöglichkeit, diese an einer zentralen Produktionsstätte zu fertigen, bilden noch immer eine Grenze für die völlige Mechanisierung des Bauens. Diese Tendenz vertieft noch die Spaltung zwischen reflektierter Arbeit und rein manueller Tätigkeit: Die unter hohem physischem Druck ausgeführten Montagearbeiten verdrängen das eigentliche Handwerk. Heutige Baurealität hat immer noch einen hohen Anteil an manueller, aber immer weniger handwerklicher Arbeit, mit den entsprechenden Folgen für die Attraktivität dieser Arbeit.

Vor-Perfektion vs. Post-Perfektion Bis zur Industrialisierung war Handwerk als qualifizierte Produktionsmethode weitgehend alternativlos; die Veränderung der Produktionstechniken verändert auch die allgemeine Erscheinung von Architektur ganz massiv. Im Gegensatz zu Fotografien oder Visualisierungen werden Gebäude in verschiedenen Annäherungsstufen wahrgenommen. Besonders in der Nahwahrnehmung können die Spuren von Herstellungstechniken und -prozessen prägend sein. Der Zeitraum, in dem Handwerk vorherrschend war und damit handwerkliche Produkte die Regel, ist nicht mit historischen Epochen gleichzusetzen

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und erst recht nicht an einem bestimmten Datum festzumachen. Als Gedankenexperiment soll hier der heutigen Zeit gleichsam als Kontrastmittel eine „Epoche“ gegenübergestellt werden, um den sich verändernden Blick auf das Handwerk sichtbar zu machen: Vor-Perfektion wird Post-Perfektion gegenübergestellt. Die Grenze zwischen beiden „Epochen“ ist die allgemeine Verfügbarkeit von quantitativer Perfektion in der gestalteten Umwelt. Perfektion meint in diesem Falle eine völlige, messbare Übereinstimmung mit einem definierten Ideal (was Pye „regulated workmanship“ nennt), die perfekte Annäherung an eine Abstraktion, wie sie durch Industrieprodukte gewährleistet ist. Quantitative Perfektion bzw. ihr Fehlen kann und soll hier nicht mit dem Handwerk gleichgesetzt werden; vielmehr ist es diese optische Eigenschaft, die sehr deutlich die Veränderungen am Gesamtbild unserer gestalteten Umwelt deutlich macht. So soll Vor-Perfektion als Zeitraum bis zum Erreichen einer bestimmten kritischen Masse an Perfektion in einer Gesellschaft beschrieben werden, Post-Perfektion hingegen beschreibt als Schlagwort eine Epoche, in der die flächendeckende Verfügbarkeit von quantitativer Perfektion die Rezeption der Umwelt mitprägt. Auch vor dieser Schwelle gab es quantitative Perfektion – Handwerk kann sehr wohl eine weitgehende Annäherung an eine abstrakte Idealform erreichen –, nur war sie in der beschriebenen Zeit noch die Ausnahme. Mithilfe einiger Beispiele versuche ich Hinweise zu finden, wie sich die Einstellung zum Handwerk – besonders in Bezug auf die spezifische Erscheinung seiner Produkte – in der Post-Perfektion verändert hat. Erst das Verschwinden der Selbstverständlichkeit handwerklicher Objekte bewirkt ein Bewusstsein für den handwerklichen Ausdruck von Objekten. Erst mit dem Überschreiten einer kritischen Masse an Verfügbarkeit von quantitativer Perfektion, erst mit dem Entstehen einer Alternative wird dieser erkennbar und relevant. Für diese Stufe der Rezeption soll der Begriff Post-Perfektion stehen. Die handwerkliche Holztechnik erreichte in der frühen Neuzeit einen Höhepunkt. Während heute eine sichtbare Zinkenverbindung durchaus salonfähig ist, wird man bei Möbeln dieser Zeit sichtbare Holzverbindungen jedoch selten anders als an versteckten Stellen oder bei reinen Gebrauchsgegenständen finden; eine Inszenierung oder Zurschaustellung der teilweise – aber nicht ausschließlich – kunstvoll gearbeiteten Verbindungen ist selten. Auch bei nicht furnierten Möbeln verdecken oft Leisten die Verbindungen; manchmal kommt auch die verdeckte Zinkung zum Einsatz, die relativ kompliziert herzustellen ist, aber am Ende von außen wie eine einfache Gehrung aussieht. Diese Art des Umgangs mit handwerklichen Konstruktionen lässt sich auch bei architektonischen Bauteilen beobachten, wenn auch hier wegen Größe und Aufgabe der einzelnen Bauteile weniger plakativ als bei Möbel-Meisterstücken. Eine Inszenierung von technischen Verbindungen oder Bearbeitungsspuren betont

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die handwerkliche Fertigung an sich; das war naturgemäß zu einer Zeit, als Handwerk alternativlos war, sinnlos. Gerade das Erzeugen der Illusion, ein Objekt ganz ohne die Zwänge von Konstruktion und Technik zu erstellen, zeigte die Meisterschaft des Handwerkers. In der Post-Perfektion sind Objekte umfassend verfügbar, deren Erscheinung nicht mehr von Konstruktionsdetails bestimmt wird, was durch neue Materialien wie Kunststoffe und Leime noch verstärkt wird. Viele industrielle Fertigungsmethoden haben nicht die dem Handwerk oft innewohnende Ästhetik der verwendeten Konstruktion, das plakativste Beispiel hierbei ist vielleicht der Druckguss. Erst in diesem Kontext bekommt das Verstecken der Konstruktion eine neue Bedeutung: Handwerklich gefertigte Objekte, die das tun, gleichen sich mehr und mehr Industrieprodukten an und werden unsichtbar, eine nicht gezeigte Konstruktion bedeutet nicht mehr ohne weiteres, dass eine solche darunter versteckt sein muss. Auch in der Vor-Perfektion konnte Handwerk selbstreferenziell sein. Das handwerkliche Können konnte auf eine Weise inszeniert werden, wie es wiederum heute fast unmöglich wäre. Ernst Gombrich zeigt als Beispiel die aus Lindenholz geschnitzte Krawatte des virtuosen Holzschnitzers Grinling Gibbons, ein „Wunderwerk von geradezu übermenschlicher Geschicklichkeit“.130 Hier erreicht ein Handwerker quantitative Perfektion: „Jeder hatte sehen können, dass das, was der Handwerker aus seinem Material gemacht hat, die Frucht ungeheurer Geschicklichkeit und Arbeit war, und niemand dachte daran, den Wert einer solchen Virtuosität zu bezweifeln.“131 Der Unterschied zur Post-Perfektion liegt auf der Hand. Je perfekter heute das handwerkliche Objekt sich an eine abstrakte Zielvorgabe annähert, je „perfekter“ es ist, desto eher kann es mit einem Industrieprodukt verwechselt und damit entwertet werden. Dies verändert die Grundvoraussetzungen der Bewertung dieser Objekte. In Bezug auf das Kriterium der Angemessenheit weist Gibbons’ Krawatte über das Handwerk hinaus. Gombrich: „In der Geschichte aller Künste gibt es Beispiele für diesen Drang, so weit wie menschlich möglich gegen die Beschränkung durch das Material anzukämpfen und den Geist über den Stoff triumphieren zu lassen. […] Je mehr Widerstand das Material leistet, desto größer ist der Sieg.“132 Gibbons hat die Grenzen seines Fachs erweitert, indem er die Aufgabe künstlich schwieriger gemacht und dennoch Perfektion erreicht hat; eine Seidenkrawatte aus Lindenholz ist bei Lichte besehen nur verständlich, wenn es um die Thematisierung von Virtuosität und Perfektion geht. Handwerk wird in diesem Extrembeispiel selbstreferenziell, aber in anderem Sinne, als das heute möglich wäre: Es thematisiert sich selbst, indem es die Perfektion als Ideal inszeniert. An dem Punkt, wo das Handwerk und das Können in diesem Sinne selbstreferenziell wird, überschreitet es die Schwelle zum Kunsthandwerk. Das Erreichen eines Ideals im Handwerk wiederspricht nicht nur der Angemessenheit, sondern ist auch ein gutes Mittel zum Scheitern, und zwar

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auch physisch – und ökonomisch. Vielmehr geht es um ein Abwägen zwischen Perfektion und „gut genug“ im Sinne der bereits beschriebenen Ökonomie der Kräfte.133 Heute ist die Rolle der Perfektion eine andere. Ein Ideal kann nur annähernd erreicht werden; es ist entwertet, sobald es flächendeckend vorhanden ist. Je näher handwerkliche Arbeit heute dem Ideal der Perfektion kommt, umso mehr nimmt die selbstverständliche Erkennbarkeit der eigenen Leistung ab. Darüber hinaus ist jedoch mit dem Auftreten von Alternativen die Inszenierung der handwerklichen Fertigung an sich möglich geworden. Neben handwerklichem Können kann in der Post-Perfektion nun Handwerk selbst betont werden, und auch im quantitativen Sinn „unperfektes“ Handwerk kann gerade deshalb neu einen besonderen Wert entwickeln. Gerade die potenzielle Qualität des Unperfekten führt allerdings auch zu seltsamen Blüten wie dem gewollten Herbeiführen oder sogar Imitieren einer Ästhetik des Pfuschs, zu Kitsch und Fake.

Moderne Propaganda Die in Le Corbusiers Manifest Kommende Baukunst (1923)134 kommunizierten Ideale bieten Hinweise dafür, dass die klassische Moderne in dieser Einordnung aus mehreren Gründen in die Vor-Perfektion einzuordnen ist. Nur vor dem Kontext vorherrschender Unperfektion ist die utopische Komponente der Moderne – Licht, Luft, Hygiene und technischen Fortschritt für alle zu liefern – verständlich, und nur vor dem Hintergrund einer durch Handwerk geprägten Umwelt ist das kompromisslose Idealisieren der abstrakten, perfekten industriellen Ästhetik wirklich verständlich. Im Kontext überfüllter, enger, schmutziger mittelalterlicher Stadtstrukturen, die europäische Städte noch lange ins 20. Jahrhundert prägten und deren eventuelle ästhetische und soziale Qualitäten vor ganz pragmatischen und existenziellen Mängeln zurücktraten, sind die Konnotationen von Licht, Luft und weißen Körpern im Sonnenlicht positiv: Sie stehen für die Lösung existenzieller Probleme. Die Überhöhung des industriellen Bauens und seiner Möglichkeiten für die gesamte Gesellschaft 135 waren ein Gegenentwurf zu einem vorhandenen Gesamtbild. Darüber hinaus sind auch die Protagonisten der Moderne tief eingebunden in direkte Kontinuitäten. Besonders deutlich wird die propagandistische Überhöhung ihrer Traditions- und Geschichtslosigkeit in der Bautechnik. Sollte eigentlich die neue Formensprache ein Bild neuer Techniken sein, so hinkten diese doch so weit hinterher, dass sich unter dem weißen Glattputz statt der postulierten Bauprodukte der Großindustrie vielmehr handwerkliche Mauern verbargen. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Phase zwischen architektonischer Idee und physischem Haus ausgeblendet wird, sind die Bilder vom Rohbau der Villa La Roche (1923–1925), wie sie Marc Wigley gegenübergestellt

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hat.136 In Le Corbusiers Manifest für die neue Architektur wird das vorhandene Handwerk verleugnet: Es ist in seiner Utopie nicht vorhanden – und nicht nötig. Die Industrieproduktion ist hier die Baukonstruktion der Zukunft („Es gibt eine Fülle von Werken des neuen Geistes, man begegnet ihnen vor allem in der industriellen Produktion“137), während das Handwerk zu überwinden ist. Im Dienste einer optimistischen Argumentation für das Neue wurde eine Polarität geschaffen, die es eigentlich nicht gibt, deren Nachwirkungen aber bis heute anhalten. Le Corbusier steht an einem Wendepunkt im Umgang mit dem Handwerk, der erst heute sichtbar wird. In Bezug auf Angemessenheit und Perfektionsstreben ist die Utopie in Le Corbusiers Buch noch zutiefst im Handwerk verwurzelt. Das Ideal der Perfektion ist plötzlich durch die Mechanisierung in erreichbare Nähe gerückt. Angemessenheit verhindert flächendeckende Perfektion nicht mehr, denn durch die neuen Maschinen ist Perfektion mit angemessenem Aufwand erreichbar. Das ist für den Le Corbusier des Manifests kein Problem; der Unterschied zwischen Perfektion als abstraktem Ideal und Perfektion als konkreter Zielvorgabe wird erst mit der Post-Perfektion sichtbar. Im Manifest macht die Serienfertigung es möglich, die der neuen Zeit entsprechende Ästhetik zu verwirklichen. „Die ersten Wirkungen der industriellen Entwicklung im ,Bauwesen‘ zeigen sich in folgendem Anfangsstadium: die natürlichen Baustoffe werden durch künstliche Baustoffe ersetzt, Baustoffe mit heterogener und zweifelhafter Zusammensetzung durch homogene, künstlich hergestellte Stoffe […]“ – auch Unwägbarkeiten aus natürlichen Materialien werden durch die Möglichkeiten der Industrieproduktion ausgeschaltet. Diese sind mit dem Handwerk verknüpft, welches durch seine iterative Arbeitsweise mit inhomogenen Materialien umgehen kann. Die Homogenisierung endet im Manifest nicht bei den Materialien, sondern umfasst auch die Bauteile in einer postulierten „Einheitlichkeit der konstruktiven Elemente“.138 Auch hier ist die Industrie die Lösung: „Man muss warten […] bis die Großindustrie aufgewacht ist, die ja die Typenelemente herstellen soll.“139 Im Manifest schimmert immer wieder durch, dass Architektur die Idee, die Komposition ist: „Die Durchbildung der Form ist reine Schöpfung des Geistes.“140 Das Gebäude ist eine manifestierte Idee; Ausführung, Konstruktion sind „Grammatik“, die man kennen muss. Industrieprozesse werden vage als notwendige Zwischenschritte zwischen der „Durchbildung der Form“ (im Kopf) und dem fertigen, physischen Gebäude genannt. Die Trennung zwischen Kopf und Hand ist hier bereits ausformuliert; an dieser Stelle hat Le Corbusier das handwerkliche Denken bereits verlassen. Die flächendeckende Verbreitung von homogenisierten Materialien und Bauteilen und die ästhetische Annäherung an quantitative Perfektion – und damit an Abstraktion – ist mit der Post-Perfektion erreicht. Wo Le Corbusier in einer von Unperfektion geprägten Umwelt noch industrielle Perfektion vor-

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spiegelte, ist heute das Gegenteil aktuell. In einer von quantitativer Perfektion geprägten Umgebung kann die Annäherung an durch Handwerk geprägte Ästhetik gesucht werden. Le Corbusiers Utopie konnte nicht voraussehen, dass bei ihrer flächendeckenden Anwendung auch architektonische Qualitäten verloren gehen würden. Ihre abstrakten, eigentlich perfekten Gebäude sind wie Gibbons’ Krawatte nur vor dem Kontext vorherrschender Unperfektion und Handwerklichkeit wirkungsvoll. Bei Überschreiten einer kritischen Masse, in einer durch Perfektion geprägten Umwelt, kann Perfektion ins Negative umschlagen. Als Ideal ist sie in der Post-Perfektion infrage gestellt; an ihre Stelle kann nun ein neues Ideal treten. Abbildung 70, Inszenieren von industrieller Fertigung, wo keine ist: Villa La Roche in Auteuil, wie von Sigfried Giedion veröffentlicht in Der Cicerone, 1927

Der heutige Blick auf das handwerkliche Objekt In der Post-Perfektion verschwinden mit dem Zurückdrängen des Handwerks als Fertigungstechnik auch alle Qualitäten, die direkt daraus entstehen. Diese sind vielschichtig: Die wichtigste ist, dass handwerkliche Techniken potenziell einen Reichtum visueller Details im Nahbereich hervorrufen, die besonders durch Bearbeitungsspuren, durch das (im Handwerk mögliche) Arbeiten mit individuellen Materialien oder auch durch handwerkliche Freiheiten bei der Umsetzung abstrakter Entwürfe („free workmanship“) hervorgerufen werden können. Darüber hinaus ist die Regelhaftigkeit des Herstellungsprozesses am handwerklichen Objekt meistens noch ablesbar. Die industrialisierte Bautechnik verändert damit die Ausprägung von Gebäuden besonders in diesem Bereich der Nahwahrnehmung: Gerade dort, wo wir dem Gebäude nah sind,

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verschwindet heute der Detailreichtum zugunsten einer starken Homogenität.141 Mit der völligen Annäherung der Ausführung an abstrakte Pläne bleiben Fassaden auch in Wirklichkeit abstrakt. Die mit der handwerklichen Fertigung flächendeckend verschwindenden Qualitäten werden erst mit ihrem Fehlen erkannt und dann diffus herauf beschworen: Man reist nach Rothenburg ob der Tauber, appliziert Alphütten auf Betongebäude und beschäftigt sich intensiv mit der Ästhetik von Slums und vernakulärer Architektur. Abbildung 71, Inszenieren von Handwerk, wo keines ist: Ein Bild von „Handwerklichem Ausdruck“ fällt mit einem angestrebten Bild spezifisch alpenländischer Ästhetik zusammen. Engelberg OW, 2010

Abbildung 72, Die Rezeption von Perfektion ist gesellschaftsabhängig. Gegenüberstellung positiver und negativer Beispiele von Urbanität, erstellt 1947 zur Erläuterung der Vorzüge modernen Städtebaus.

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Diese Merkmale handwerklicher Objekte bilden in verschiedenen Zusammensetzungen und Gewichtungen eine spezielle, objektiv erkennbare Ästhetik des Handwerklichen, welche am Objekt ohne Vorwissen erkennbar sind. Neben rustifizierenden Strategien gibt es in der Architektur Versuche, einen handwerklichen Ausdruck als Objekteigenschaft gezielt herbeizuführen und so Gebäude im Detail ästhetisch aufzuladen, ohne dabei in Kitsch zu verfallen. Peter Zumthor tut dies bei der Therme in Vals, und auch OMA mit der Casa da Musica in Porto: Hier wurde eine Collage des Handwerklichen komponiert und inszeniert, in der auch die Sanitärinstallationen genutzt wurden, um Detailreichtum im Nahbereich herzustellen. Handwerk und der handwerkliche Ausdruck von Objekten können Mittel sein, einer diffus wahrgenommenen Entfremdung von der direkten Umwelt entgegenzutreten142. Hierbei ist nicht nur die Entfremdung von physischer Arbeit gemeint, sondern auch die fehlenden Möglichkeiten, in eine aktive Beziehung zu den uns umgebenden Dingen zu treten.143 Das handwerkliche Objekt ist nicht nur durch äußere Merkmale bestimmt, sondern auch Träger von Konnotationen, von Bedeutung. Neben den physischen Merkmalen handwerklich gefertigter Architektur bestehen also auch konnotative Eigenschaften, deren Rezeption vom Wissen des Betrachters um die handwerkliche Herstellung abhängig ist, welches wiederum vom kollektiven Wissen einer Gesellschaft bestimmt wird. In einer Führung durch ein historisches Gebäude wird es sich der Führer beim Präsentieren eines besonders spektakulären Objekts nicht nehmen lassen, explizit darauf hinzuweisen, dass dieses handwerklich hergestellt wurde – gefolgt von der kollektiven Be- und Verwunderung des Publikums. Mit diesem Vorwissen wird auch das „perfekte“ handwerkliche Objekt aufgewertet: Nur mit diesem Wissen funktioniert Gibbons’ Krawatte heute noch als handwerkliches Objekt, was früher offensichtlich gewesen wäre. Objekte werden als „authentisch“ angesehen, wenn sie das einlösen, was sie versprechen, wenn sie kein „Fake“ sind. Darüber hinaus sind handwerklich gefertigte Objekte individuell. Die Individualität kann aus der Wiedererkennbarkeit des einzelnen Objekts aufgrund objektiver Merkmale herrühren, aber auch aus dem Wissen, dass das betreffende Objekt handwerklich hergestellt ist. Eine Beziehung zu einem Objekt kann nur aufgebaut werden, wenn es unverwechselbar ist – es muss „echt“ sein. 144 Der Extremfall eines Objekts mit einer Identität ist die von Walter Benjamin beschriebene „Aura“145 eines Kunstwerks. „Das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet“,146 gilt jedoch auch für die Teile eines Gebäudes, nur dass diese erst dann als individuelle Gegenstände wahrgenommen werden, wenn man das Gebäude kennenlernt: Die Individualität der einzelnen Teile erlaubt, zu dem Gebäude eine Beziehung aufzubauen, es sind konkrete Einzelstücke anstatt abstrakter Typen. Das ist nicht neu; neu ist das Ausmaß

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an nicht-individualisierbaren Bauteilen in der Architektur. Handwerkliche Objekte sind Träger von Zeitlichkeit: Sie sind physische Manifestation der investierten Arbeitszeit und der „Hingabe“ des Herstellers.147 Industrielle Bauteile ähneln sich jedoch auch in der Nahwahrnehmung so sehr, dass sie zu semiotischen Platzhaltern werden; wie Zeichnungsblöcke im CAD (computer-aided design)-Programm oder Texturen im Rendering sind sie nur noch Fenster, Wand oder Boden, nicht mehr ein bestimmtes Fenster etc. Wie die technische Reproduktion des Kunstwerks sein „Hier und Jetzt … entwerten“ kann, so ist auch das Hier und Jetzt, die Identität der seriellen Bauteile, entwertet, da sie alle genaueste Reproduktionen eines einzigen Ideals sind. Sie bieten wie gewisse neue Materialien kaum Angriffsflächen, um mit ihnen in Beziehung zu treten; ein ästhetischer Lotuseffekt. Sie werden, in jeder Hinsicht, austauschbar. Identität entsteht neben der Herstellung auch aus dem Altern von Objekten, indem diese eine eigene Geschichte entwickeln. Die „Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von ihrem Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft“.148 Die physische Manifestation dieser Geschichte eines (Alltags-)Gegenstandes ist die Patina. Das funktioniert nicht bei Wegwerfartikeln oder solchen, die nicht „schön“ altern können, die keine Patina ansetzen und damit an Symbolwert gewinnen können, sondern einfach schäbig aussehen und dann entsorgt werden. Handwerkliche Objekte werden dagegen oft mit Langlebigkeit gleichgesetzt (obwohl streng genommen kein technischer Zusammenhang besteht) und mit Reparierbarkeit (Reparieren ist direktes Arbeiten mit dem nicht-homogenisierten Material, somit sehr handwerklich); das Ethos bei der Herstellung spiegelt sich im fertigen Objekt wider. Der größte Alltagsgegenstand, der uns umgibt, ist die Architektur.

Propaganda Die Unklarheit der Definitionen von Handwerk und die im heutigen Kontext positiven Konnotationen damit bedeuten auch, dass Handwerk als Propagandainstrument gebraucht wird – wie schon in Le Corbusiers Manifest, nur mit veränderten Vorzeichen. Im Zusammenhang mit dem computerunterstützten Entwerfen und Konstruieren wird auffällig oft das Wort Handwerk gebraucht.149 Seit einigen Jahren beziehen dessen Protagonisten auch das Physische ein, das Material. Nach der Phase der immateriellen Blobs soll nun das Material und dessen „Performanz“150 nicht mehr erst nach Fertigstellung des Entwurfs dazukommen, sondern diesen schon mitbestimmen.151 Der Rechner und das CAM sollen „eine enge Schnittstelle zwischen dem virtuellen und dem realen Raum schaffen“.152 Eine erste Parallele zur Rhetorik Le Corbusiers drängt sich auf: das Überbrücken des physischen Herstellungsprozesses. Ist es nun nicht mehr die

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Industrie, welche (wie auch immer) mit der „Durchbildung der plastischen Form“ in Physis kurzen Prozess macht, so ist es nun der verlängerte (Roboter-) Arm des Computers selber, der die virtuellen Formen, das Abstrakte, direkt in Physis übersetzt. Die während der Produktion selber möglichen Einflüsse auf die Erscheinung werden minimiert. Die zweite Parallele zur Rhetorik Le Corbusiers ist das Negieren der tatsächlich notwendigen, physischen Arbeit. Wie bei Le Corbusier wird der tatsächliche Anteil an manueller Arbeit (die oft nur Montage ist) als noch nicht perfektionierter Teil der Utopie verschwiegen. In den meisten Fällen aber müssen die computergenerierten Teile zusammengesetzt oder die vom Roboter gebauten Komponenten – von Menschen – montiert werden.153 Die dritte Parallele zur Rhetorik Le Corbusiers ist die Homogenisierung. Obwohl ein Hauptargument des CAM (computer-aided manufacturing) ist, dass eine unendliche Anzahl verschiedener, durch parametrisches Entwerfen in ihrer Form bestimmter Komponenten entstehen kann, sind diese doch nur in homogenisierten Materialien denkbar. Auch die Einzelkomponenten sind nicht wirklich individuell, sondern Graduierungen des immer gleichen Motivs. Auch dies hat natürlich Auswirkungen auf die Erscheinung des Objekts. Auch der Begriff der „Formfindung“ offenbart ein Denken in der Tradition der Moderne: Der Begriff „finden“ impliziert, dass Formen tief in rationalen Gesetzmäßigkeiten begründet sein müssen, man muss sie also finden können. Dabei täuscht der Begriff über die vielen ästhetisch begründeten subjektiven Entscheidungen hinweg, die letztendlich die Form auch computergenerierter Objekte bestimmen. Im Kontext der CAD/CAM besteht eine Rhetorik des Rationalen, die sowohl subjektiv-ästhetische Entscheidungen wie auch physische Interaktion negiert und tief in Ideen und Rhetorik der Moderne verhaftet ist. Die meisten Ansätze, computerunterstütztes Entwerfen und Produzieren mit dem Handwerk gleichzusetzen, gehen von einer vereinfachenden Sicht auf das Handwerk aus und greifen einzelne Aspekte heraus, um vermeintliche Parallelen aufzuzeigen. Wie in der klassischen Moderne werden aber spezifische Aspekte des Handwerks ausgeblendet, obwohl sie eine Bereicherung auch der neuen Techniken sein können und gerade in Kombination mit diesen ihr Potenzial noch vergrößern könnten. Das Überbrücken der Ausführung – namentlich des Handwerks – bedeutet zwar einen Zugewinn an Kontrolle des Entwerfers über das Endprodukt, es negiert aber, dass auch in Freiräumen außerhalb dieser direkten Kontrolle Qualitäten entstehen können, auf die der Architekt allerdings nur mittelbar Einfluss hat.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

Fazit Der kurze Vergleich der beiden „Epochen“ Vor-Perfektion und Post-Perfektion zeigt, dass handwerkliche Arbeit und handwerkliche Objekte in der heutigen postindustriellen Gesellschaft neu bewertet werden können. Der Bedarf nach Handwerk und seinen Produkten auch in der Architektur ist ein Indikator für eine sich stark verändernde architektonische Eigenschaft, die bis vor kurzem so selbstverständlich war, dass sie praktisch keine Beachtung fand. Handwerk kann heute eine neue Bedeutung haben, indem es Objekte mit Eigenschaften herstellt, die auf andere Weise nicht erreichbar sind; ein Potenzial, das noch explizit zu entdecken ist. Der handwerkliche Ausdruck als die Summe der Objekteigenschaften, welche bei der Ausführung durch Handwerk entstehen, betrifft den kleinsten Nenner der menschlichen Interaktion mit Architektur: die Nahwahrnehmung, die Haptik, den Bezug zum Objekt, die Physis des Gebäudes, und geht über rein physische Merkmale hinaus; es kann nicht imitiert werden. Architekten müssen bewusst mit Handwerk umgehen, gerade weil es heute auch in der Architektur nicht mehr alternativlos ist. Der handwerkliche Ausdruck ist dabei nicht per se eine architektonische Qualität, er kann aber bewusst zum Erzeugen bestimmter räumlicher Wirkungen oder im Dienste architektonischer Konzepte eingesetzt werden. Architektur hat nicht nur selbst ausgeprägte handwerkliche Komponenten als Meta-Handwerk, sie muss überdies den Entwurf als Zielvorgabe für das eigentliche Handwerk liefern. Diese Sonderstellung erklärt die große Relevanz von Handwerk für die Architektur. Der Architekt muss nicht Handwerker sein; aber es hilft, wenn er sich beim Entwerfen der Auswirkungen und Potenziale jener Phase zwischen Abstraktion und Konkretisierung bewusst ist. Gerade hier hat Handwerk die Fähigkeit, Qualitäten zu entwickeln, die dem Gesamtbild der Architektur zugute kommen können. Dazu braucht es einerseits Freiräume (und nicht totale Kontrolle), andererseits eine Form der Kommunikation, welche die Zielvorgabe der Arbeiten im Sinne des Gesamtbildes sicherstellt – und natürlich qualifizierte und motivierte Handwerker. Hier ist ein Gegensteuern zum Ersatz handwerklicher Arbeit durch reine Montagetätigkeiten gefragt. Anstatt mit der Industrieproduktion um das Ideal der Perfektion zu konkurrieren, kann Handwerk Objekte herstellen, die als Alternative und Ergänzung das Gesamtbild der Architektur bereichern. Es ist nichts Neues, dass Handwerk Prinzipien folgt, die mit denen der Moderne und der Mechanisierung zum Teil inkompatibel sind. Das Handwerk selber wird durch das Schisma zwischen Machen und Denken in seine physische und geistige Komponente aufgeteilt, obwohl es seinem Wesen nach in beiden gleichsam verankert ist. Gerade heute, wo weder Moderne noch Mechanisie-

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rung unantastbar sind, können diese Prinzipien wieder aktuell werden und aus der speziellen Situation des Handwerks zwischen Physis und Reflexion neues Potenzial entfalten. Die echten Potenziale des Handwerks liegen auch in einer speziellen Ästhetik und in den Eigenschaften seiner Produkte. Sie können erkannt und genutzt werden, in einer zeitgemäßen Form und auch in Kombination mit neuen Techniken. Dabei ist die Frage interessant, welche Ideale Handwerk in der Post-Perfektion entwickeln kann und wie sich diese manifestieren. Hierzu muss dem Thema jedoch auf sachlicher Ebene begegnet werden. Klischees sind zum Teil so tiefsitzend, dass sie nur schwer auszumachen sind; und sie schaden langfristig. Die Überhöhung des Virtuellen und der „Wissensgesellschaft“ ging polarisierend mit einer Entwertung des Materiellen einher. Nach diesem Höhepunkt um die Jahrtausendwende ist nicht zuletzt das steigende Interesse an Handwerk ein Indiz neben anderen für eine Relativierung dieser Positionen und einen ausgewogeneren Blick auf die Dinge. Die Trennung jedoch besteht noch immer, was durch die unklare Rolle des Handwerks reflektiert wird. Polarisierungen sind immer Vereinfachungen, welche den klaren Blick auf die Sache verhindern können. Branko Kolarevic postuliert optimistisch, dass „[t]he designers are in continuous control of design and production …“.154 Es bleibt die Frage, warum sollten sie das, wenn auf diese Weise so viele weitere Möglichkeiten auf der Strecke bleiben?

A NMERKUNGEN 1 | Grassi, Giorgio, „Befreite, nicht gesuchte Form. Zum Problem architektonischen Entwerfens“, in: Daidalos Nr. 7, S. 24. 2 | Schurk, Holger, „Die Befragung der Gegenwart. Haltung und Entwerfen im Zustand der Desorientierung“, in: Trans 22, März 2013, S. 113–117. 3 | Es sei bemerkt, wie seit langem auch in der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte an diesem Modell gezweifelt wird, bis zu einem Punkt, wo nicht mehr das wissenschaftliche Experiment zum Vorbild für den architektonischen Entwurf, sondern umgekehrt der Entwurf zum Vorbild für das wissenschaftliche Experiment geworden ist. Siehe dazu auch: Gerber, Andri, Unruh, Tina, Geissbühler, Dieter, Forschende Architektur, Luzern: Quart, 2010. 4 | Semper, Gottfried, „Über Baustil“ [1884], in: Semper, Hans, Semper, Manfred (Hsg.), Gottfried Semper. Kleine Schriften [1884], Mittenwald: Mänder Kunstverlag, 1979, S. 402. 5 | Catalogue of the Andrew Alpern Collection of Drawing Instruments at the Avery Architectural and Fine Arts Library Columbia University in the City of New York, New York: Norton, 2010.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie? 6 | Zitiert in: Philipp, Klaus Jan, Das Reclam Buch der Architektur, Stuttgart:

Philipp Reclam jun., 2006, S. 330. 7 | Bredekamp, Horst, Bau und Abbau von Bramante bis Bernini. Sankt Peter

in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung, Berlin: Klaus Wagenbach, 2002, S. 61. 8 | Siehe dazu: Noell, Matthias, „Des Architekten liebstes Spiel. Baukunst aus dem Baukasten“, in: Figurationen, 01, 2004, S. 23–40. 9 | Peter, John, The Oral History of Modern Architecture. Interviews with the Greatest Architects of the Twentieth Century, New York: Harry Abrahams, 1994, S. 112. 10 | Horsley [Gerald], „Drawings as Diagrams“, in: The builder, an illustrated weekly magazine for the architect, engineer, archaeologist, constructor, sanitary reformer and art-lover, Volume XCIX, 19. November 1910, S. 605. 11 | Salewski, Christian, Dutch new worlds, Rotterdam: 020 Publishers, 2012. 12 | Renzo Piano zitiert in: Pallasmaa, Juhani, The Thinking Hand. Existential and Embodied Wisdom in Architecture, Chicester: Wiley, 2009, S. 68. 13 | Zitiert in: Peter 1994, S. 63. 14 | Siehe dazu: Goldschmidt, Gabriela, „The Dialectis of Sketching“, in: Creativity Research Journal, Volume 1, 1991, S.123-129. 15 | Pallasmaa, Juhani, The Thinking Hand. Existential and Embodied Wisdom in Architecture, Chicester: Wiley, 2009, S. 17. 16 | Siehe diesbezüglich insbesondere: Mallgrave, Harry Francis, The Architect’s Brain. Neuroscience, Creativity, and Architecture, Chichester: Wiley-Blackwell, 2010. 17 | Ebd., S. 47/48. 18 | Sennett, Richard, Handwerk [2008], aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff, Berlin: Berlin Verlag, 2008, S. 39. 19 | Flusser, Vilém, Gesten. Versuch einer Phänomenologie [1991], Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1994, S. 8. 20 | Ebd., S. 50. 21 | Gänshirt, Christian, Werkzeuge für Ideen: Einführung ins architektonische Entwerfen, Basel: Birkhäuser, 2007. 22 | Zitiert in: Meder, Joseph, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung [1919], zweite verbesserte Auflage, Wien: Kunstverlag Anton Schroll & Co., 1923, S. 26. 23 | Wackernagel, Martin, Der Lebensraum des Künstlers in der florentinischen Renaissance. Aufgaben und Auftraggeber, Werkstatt und Kunstmarkt, Leipzig: E.A. Seemann, 1938, S. 327. 24 | Amt, Stefan, „Von Vitruv bis zur Moderne – Die Entwicklung des Architektenberufes“, in: Johannes, Ralph, Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Geschichte – Theorie – Praxis, Hamburg: Junius, 2009, S. 14.

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Metageschichte der Architektur 25 | Gänshirt 2007. 26 | Basbous, Karim, Avant l’œuvre. Essai sur l’invention architecturale, Paris:

Les Éditions de l’Imprimeur, 2005, S. 13. 27 | Ebd., S. 42/43. 28 | Ebd., S. 47. 29 | Wackernagel 1938, S. 327. 30 | Meder 1923, S. 22. 31 | Ragghianti Collodi, Licia, Il Libro de’ Disegni del Vasari, Florenz: Vallecchi,

1974, S. 3. 32 | Ebd., S. 18. 33 | Rossi, Sergio, Dalle botteghe alle accademie. Realtà sociale e teoria artistiche a Firenze dal XIV al XVI secolo, Mailand: Giacomo Feltrinelli Editore, 1980, S. 153/154. 34 | Meder 1923, S. 10. 35 | Ebd., S. 22. 36 | Brothers, Cammy, Michelangelo, Drawing, and the Invention of Architecture, New Haven: Yale University Press, 2008, S. 1. 37 | Ebd., S. 45. 38 | Sacripanti, Maurizio, Il disegno puro e il disegno nell’Architettura, Rom: Fratelli Palombi Editori, 1953, S. 56. 39 | “Application and intent of the various styles of architecture”, in: Civil Engineer and Architect’s Journal, Scientific and Railway Gazette, Volume II, July 1839, S. 249. 40 | Schöller, Wolfgang, Die „Académie royale d’architecture“ 1671–1793, Anatomie einer Institution, Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1993, S. 400/401. 41 | Philipp, Klaus Jahn, Das Reclam Buch der Architektur, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2006, S. 230/231. 42 | Loos, Adolf, „Architektur“, in: Loos, Adolf, Trotzdem [1931], Wien: Georg Prachner Verlag, 1988, S. 94. 43 | Oechslin, Werner, „Von Piranesi zu Libeskind. Erklären mit Zeichnung“, in: Daidalos 1, 1981, S. 15–19; Oechslin, Werner, „Die wohltemperierte Skizze“, in: Daidalos 5, 1982, S. 99–112. 44 | Scolari, Massimo, „Elementi per una storia dell’assonometria“, in: Casabella 550, März 1984, S. 42–49. 45 | McQuaid, Mathilda, Envisioning Architecture. Drawings from the Museum of Modern Art, New York: Museum of Modern Art, 2002. 46 | Cook, Peter, Drawing: The Motive Force of Architecture, Chichester: Wiley & Sons Ltd., 2008, S. 9. 47 | Pouillon, Fernand, Singende Steine. Die Aufzeichnungen des Wilhelm Balz, Baumeister des Zisterzienserklosters Le Thoronet [1962], aus dem Französischen von Gudrun Trieb, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2008, S. 142/143.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie? 48 | Ebd., S. 161. 49 | Ebd., S. 195. 50 | Follett, Ken, The Pillars of the Earth [1989], New York: New American Li-

brary, 2002, S. 287. 51 | Ebd., S. 290. 52 | Ebd., S. 289. 53 | Mawson, Thomas H., Civic Art. Studies in town planning, parks boulevards and open spaces, London: Batsford, 1911, S. 23. 54 | Die Erweiterung für das Programm Rhino, „Grasshopper“, geht in die Richtung einer solchen Vereinfachung (http://www.grasshopper3d.com). 55 | Semper, Gottfried, „Entwurf eines Systemes der vergleichenden Stilllehre“ [1853], in: Karge, Henrik (Hg.), Gottfried Semper. Gesammelte Schriften. Band 4. Kleine Schriften, Hildesheim: Olms-Weidmann, 2008, S. 267/268. 56 | Ebd., S. 268. 57 | Ebd. 58 | Nicht nur Semper greift auf einen solchen mathematischen Vergleich zurück. Auch der deutsche Kunsthistoriker Paul Frankl (1878–1962) verwendet eine mathematische Formel, um das Verhältnis von Menschen unterschiedlicher Kultur zur Welt zu beschreiben, bleibt aber bei einer Methode der Analyse: Frankl, Paul, „Abhandlung. Meinungen über Herkunft und Wesen der Gotik“, in: Timmling, Walter, Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft, Leipzig: Koehler & Volckmar A.G. & Co., 1923. 59 | Isou, Isidore, Le Bouleversement de l’architecture [1966], Paris: Sabatier, Satie, 1980, S. 53. 60 | Zu diesem Thema habe ich mit Brent Patterson und Jacques Sautereau einen round-table an der École Spéciale 2011 organisiert, „Le paramètre humain?“ mit Albena Yaneva, Jeff Kipnis, Antoine Picon und Daniel Dendra. 61 | Unwin, Raymond, „The art of city planning“, in: City Planning, Regional Planning – Rural Planning – Town Planning, Official Organ American City Planning Institute National Conference on City Planning, Vol. I, July 1925, No. 2, S. 73/74. 62 | Fredkin, E., „Finite Nature“, in: Proceedings of the XXVIIth Rencontre de Moriond, 1992, http://64.78.31.152/wp-content/uploads/2012/08/finite_ nature.pdf. 63 | Negroponte, Nicholas, The Architecture Machine. Toward A More Human Environment, Cambridge: MIT Press, 1970, S. 1. 64 | Ebd., S. 71. 65 | Negroponte, Nicholas, Soft Architecture Machines, Cambridge: MIT Press, 1975, S. 1. 66 | Ebd. 67 | Alexander, Christopher, Notes on the Synthesis of Form, Cambridge: Harvard University Press, 1964.

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Metageschichte der Architektur 68 | Pallasmaa 2009, S. 97. 69 | Flusser, Vilém, Dinge und Undinge: Phänomenologische Skizzen, Mün-

chen: Hanser, cop, 1993, S. 81/82. 70 | Feringa, Jelle, „The Promotion of the Architectural Model“, in: Gerber, Andri, Patterson, Brent, (Hsg.), Metaphors in architecture. An introduction, Bielefeld: Transcript, 2013, S. 185–200. 71 | Deleuze, Gilles, „The Diagram“, [1981] in: Boundas, Constantin V., The Deleuze Reader, New York: Columbia University Press, 1993, S. 200. 72 | Vidler, Anthony, „What is a diagram anyway?“, in: Eisenman, Peter, Feints, Mailand: Skira Editore, 2006, S. 19–27. 73 | „Signals do not contain either signs or diagrams. Signs and diagrams are after-effects of the reception of a signal, i.e., of the reorganization of the receiver by a signal. In any reception, signs and diagrams are always distinct, but a signal can never be partitioned into sign and diagram apriori, nor do signs and diagrams work autonomously on the receiver.“ Kipnis, Jeffrey, „Re-originating Diagrams“, in: Eisenman 2006, S. 198. 74 | „More generally he (Peirce) claims, all reasoning, whatever the object, is diagrammatic in form, as it works through abstraction to develop hypothesis and test them: we construct an icon of our hypothetical state of things and proceed to observe it …We not only have to select the features of the diagram which it will be pertinent to pay attention to, but it is also of great importance to return again and again to certain features … But the greatest point of art consists in the introduction of certain abstractions.“ Vidler 2006, S. 20. 75 | „[...] as an icon, or ,schematic image‘, that embodies the meaning of its object – in the case of thought, a ,general predicate‘ – it serves in itself only as an object, the observations of which produces another general predicate. In other words ,the diagram in itself is not what reasioning is concerned with‘, but rather it operates as a vehicle of transmission and production of reasoning.“ Ebd. 76 | Peirce, Charles Sanders, „On the Algebra of Logic“ [1933], in: Hartshorne, Charles, Weiss, Paul (Hg.), Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Volume 3, Exact Logic and Volume 4, The Simplest Mathematics, Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, S. 211. 77 | Eisenman, Peter, „Feints: The Diagram“, in: Eisenman 2006, S. 204. 78 | Ebd. 79 | „In general, the fundamental technique and procedure of architectural knowledge has seemingly shifted, over the second half of the twentieth century, from the drawing to the diagram. This is not to suggest that a diagram of one form or another was not always constitutive to architecture at various points in its history, but simply that it has only been in the last thirty years or so that the diagram has become fully ,actualized‘, that it has become almost completely the matter of architecture.“ Somol, Robert E., „Dummy Text, or the Diagram-

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

matic Basis of Contemporary Architecture“, in: Eisenman, Peter, Diagram Diaries, London: Thames & Hudson, 1999, S. 7. 80 | Vidler, Anthony, „Diagramme der Utopie“, in: Daidalos 74, Zeichnung als Medium der Abstraktion, Berlin, 2000, S. 9. 81 | Foucault, Michel „Die Ordnung des Diskurses“, in: Foucault, Michel, Die Ordnung des Diskurses, mit einem Essay von Ralf Konersmann (Originaltitel: L’Ordre du discours, Paris; Gallimard, 1972), Frankfurt am Main: Fischer, 1991, S. 37. 82 | Foucault, Michel, „Der Panoptismus“, in: Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Originaltitel: Surveiller et punir. La naissance de la prison, Paris: Gallimard, 1975), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, S. 292. 83 | Deleuze, Gilles, „Die Schichten oder historische Formationen: Das Sichtbare und das Sagbare (Wissen) [1992]“, in: Deleuze, Gilles, Foucault (Originaltitel: Foucault, Paris: Editions Minuit, 1986), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 95. 84 | Vidler, Anthony, „Diagramme der Utopie“, in: Daidalos 74, Zeichnung als Medium der Abstraktion, Berlin, 2000, S. 9. 85 | Somol, Robert E., „The Diagrams of Matter“, in: ANY 23: Diagram Work, New York, 1998, S. 23–26. 86 | Welsch, Wolfgang, Unsere Postmoderne Moderne [1987], 6. Auflage, Berlin: Akademie, 2002. 87 | „Ich werde daher der Reihe nach folgende konstitutive Merkmale der Postmoderne aufgreifen: […] eine fundamentale Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie, die ihrerseits für ein neues Wirtschaftsystem steht.“ Jameson, Fredric: „Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus“ (Original: „Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism“, 1984), in: Huyssen, Andreas, Scherpe, Klaus R. (Hsg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986, S. 50. 88 | Deleuze, Gilles, Guattari, Felix, „Rhizome“, in: Deleuze, Gilles, Guattari, Felix, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (frz.: Mille Plateaux, Paris: Editions de Minuit, 1980), Berlin: Merve, 1992, S. 11–42. 89 | „Proceeding with halting steps through serial obsessions with form, language, and representation – though, as will be seen, equally with program, force and performance – the diagram has seemingly emerged as the final tool, in both its millenial and desperate guises, for architectural production and discourse.“ Somol 1999, S. 7. 90 | „This unfolding of a diagrammatic approach constitutes the neo-avant-garde’s contribution to the theory and practice of an alternative mode of repetition, one founded not on resemblance and a return to origines but on modes of becoming and the emergence of difference.“ Somol 1998, S. 23.

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„Relatively impervious to the specific ideology being promoted, the diagram has instigated a range of contemporary practices.“ Ebd. 91 | Somol 1999, S. 7. 92 | Eine kritische Beurteilung dieses Prozesses findet sich beispielsweise bei Pier Vittorio Aureli und Gabriele Mastrigli: „Despite the fact that architecture and urban planning over the past fifty years has been pervaded by the ambition to render reality as found, reality has had right of access in architecture only in the form of icons images and signs.“ Aureli, Pier Vittorio, Mastrigli, Gabriele, „Beyond the Diagram. Iconography, Discipline, Architecture“, in: Eisenman 2006, S. 116. 93 | Man kann diesbezüglich auch auf die Diagramme des Englischen Architekten Banister Fletcher (1866–1953) aus seinem Buch A History of Architecture on the Comparative Method von 1896 verweisen. 94 | Frankl, Paul, Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst, Leipzig, Berlin: B.G. Teubner, 1914, S. V. 95 | Ebd., S. VI. 96 | Ebd., S. 15. 97 | Sörgel, Hermann, Einführung in die Architektur-Ästhetik. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München: Piloty & Loehle, 1918. 98 | Sörgel, Hermann, Architektur-Ästhetik. Theorie der Baukunst [1921], mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Jochen Meyer, Berlin: Gebr. Mann, 1998, S. 201. 99 | Eicken, Hermann, Der Baustil, Grundlegung zur Erkenntnis der Baukunst, Berlin: Ernst Wasmuth, 1918. 100 | Ebd., S. 153. 101 | Klopfer, Paul, Das Wesen der Baukunst, Einführung in das Verstehen der Baukunst, Grundsätze und Anwendungen, Leipzig: Oskar Leiner, 1919, S. 1. 102 | Klopfer, Paul, Von der Seele der Baukunst, Dessau: G. Dünnhaupt, 1927, S. 1. 103 | Ebd., S. 67. 104 | Brinckmann, A.E., Plastik und Raum als Grundformen künstlerischer Gestaltung, München: R. Piper & Co., 1922, keine Seitenangabe. 105 | Ebd. 106 | Adler, Leo, Vom Wesen der Baukunst. Die Baukunst als Ereignis und Erscheinung. Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaft, Leipzig: Verlag der Asia Major, 1926, S. 14. 107 | Ebd., S. 16/17. 108 | Ebd., S. 17. 109 | Ebd., S. 23. 110 | Ebd., S. 25. 111 | Ebd., S. 51.

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie? 112 | Schumacher, Fritz, „Das bauliche Gestalten“, in: Architektonische Kom-

position, Handbuch der Architektur, Vierter Teil: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude, Leipzig: J. M. Gebhardt, 1926, S. 10. 113 | Ebd., S. 33. 114 | Ebd., S. 28. 115 | Ebd., S. 29. 116 | Wittkower, Rudolf, Architectural Principles in the Age of Humanism [1949], London: Alec Tiranti LTD, 1952, S. 99. 117 | Dyson, Esther, Gilder, George, Keyworth, George, Toffler, Alvin, „Magna Charta für das Zeitalter des Wissens“, in: Bollmann, Stefan, Heibach, Christiane (Hsg.), Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 104–117, 2008. 118 | Gerda Breuer auf der Konferenz „Handwerk und Design“ am 26. April 2013 in Wuppertal. 119 | Sennett, Richard, The Craftsman, London: Allen Lane, 2008. 120 | Ebd., S. 9. 121 | Ebd., S. 11. 122 | Pye, David, The Nature and Art of Workmanship, Cambridge: Cambridge University Press, 1968. 123 | Odate, Toshio, Japanese Woodworking Tools. Their Tradition, Spirit and Use, Newtown: Taunton Press, 1984. 124 | Vgl. Cross, Nigel, Designerly Ways of Knowing, London: Springer, 2006. Für eine Einführung in die Rolle der verschiedenen Wissensformen, besonders im Hinblick auf den architektonischen Entwurfsprozess, siehe dazu: Gerber, Andri, Unruh, Tina, Geissbühler, Dieter, Forschende Architektur, Luzern: Quart Verlag, 2010. 125 | Pye 1968, S. 60. 126 | Harry Brian beschrieb den Aspekt der Angemessenheit sehr eindrücklich im Artikel „Turning Professional“ (WoodenBoat, Nr. 208, Mai 2009) im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen dem aus Spaß arbeitenden Amateur und dem wirtschaftlichen Zwängen unterworfenen professionellen Handwerker. 127 | Odate 1984, S. viii. 128 | Ebd., Acknowledgements. 129 | Vgl. hierzu die im vorigen und in diesem Kapitel zitierte Figur des Baumeisters Wilhelm Balz aus Pouillons Buch Singende Steine. 130 | Gombrich, Ernst, Ornament und Kunst. Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens, Stuttgart: Klett-Cotta, 1982, S. 77. 131 | Ebd. 132 | Ebd., S. 78. 133 | Eine interessante Randbemerkung ist, dass Adolf Loos auch mit der Ökonomie der Kräfte argumentiert, wenn er gegen das Ornament wettert: „Aber es

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ist ein verbrechen an der volkswirtschaft, daß dadurch menschliche arbeit, geld und material zugrunde gerichtet werden. Diesen schaden kann die zeit nicht ausgleichen. […] Ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit. So war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material, und beides bedeutet vergeudetes kapital.“ Loos, Adolf, Ornament und Verbrechen, 1908, S. 3, 5. 134 | Le Corbusier, Kommende Baukunst [1923], Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1926. 135 | Le Corbusier 1926, S. 24. 136 | Wigley, Marc, White Walls, Designer Dresses. The Fashioning of Modern Architecture, Cambridge, Mass.: MIT Press, 1995. 137 | Le Corbusier 1926, S. 22. 138 | Ebd., S. 182. 139 | Ebd., S. 183. 140 | Ebd., S. 24. 141 | David Pye hat bereits in den 1960er-Jahren als Teil der ästhetischen Qualität, die er „diversity“ nennt, darauf hingewiesen, dass ein kongruentes Maß an visuellen Details in allen Stufen der Annäherung an ein Gebäude ein wichtiges ästhetisches Kriterium ist. 142 | In einem Bericht über die Verleihung des Pritzker-Preises an Wang Shu 2012 sprach Wilfried Wang in Bauwelt 11/2012 in Verbindung mit Wang Shus Architektur von „gebauter Gesellschaftskritik“ gegenüber einer „geschichtslose[n] und menschenverachtende[n], globale[n] und industrialisierte[n] Bauweise“, einer „Kritik an allem, was durch die rationalisierte Aufklärung im Sinne von Adorno und Horkheimer falsch gelaufen ist“. 143 | Unter dem Begriff des „Fetischismus“ hat Hartmut Böhme das Verhältnis der Moderne zu den Dingen untersucht. Seiner These nach ist dieses Verhältnis eben nicht so sachlich-rational wie gemeinhin angenommen: Böhme, Hartmut, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006. 144 | „Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit.“ Benjamin, Walter, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang 5, 1936, S. 12. 145 | Ebd., S. 13. 146 | Ebd., S. 11. 147 | Claudia Sbrissa beschreibt die Konsequenzen des durch „obsessive attention to detail and painstaking labor“ geprägten Herstellungsprozesses für ein handwerklich gefertigtes Objekt. Ihre Beurteilung ist allerdings hypothetisch; genaugenommen kennt sie den Prozess nicht, sondern schließt von der Betrachtung des Objekts auf diesen zurück. Dies reflektiert den direkten Zusammenhang zwischen handwerklicher Produktion, deren Ethos und Objektei-

Lektion 3: Die Geschichte des Architekturmachens: Wie?

genschaften. Sbrissa, Claudia, „Exhibition Review: Poetics of the Handmade“, in: Journal of Modern Crafts, Jahrgang 1, Nr. 2, 2008, S. 303–306. 148 | Benjamin, S. 13. 149 | Vgl. zum Beispiel „Digital Craftsmanship“, Titel einer Vorlesungsreihe von Gramazio Kohler/ETH Zürich. 150 | Menges, Achim, „Am Anfang … einer neuen Architektur des Performativen“, in: Arch+, Nr. 188, Juli 2008, S. 16. 151 | In einem Beitrag über den am Bauhaus tätigen Kunsttheoretiker und Pädagogen Josef Albers betonte Carolin Höfler am Symposium „Seriell Individuell, Handwerk im Design“ der Bergischen Universität Wuppertal am 26. April 2013, dass dieser bereits am Bauhaus über „die Selbstorganisation der Dinge“ und „selbsterzeugende Formen“ gelehrt hat. 152 | Menges 2008, S. 16. 153 | Dies vor dem Hintergrund der „Trennung von Kopf und Hand“, die im Hype um das Virtuelle um die Jahrtausendwende einen Höhepunkt erreichte. Malcolm McCullough postulierte 1997, dass „today the craft medium need not have a material substance, and the craftsperson need not touch the material directly“. McCullough, Malcolm, Abstracting Craft. The Practiced Digital Hand, Cambridge, Mass.: MIT Press, 1997, S. 22. 154 | Kolarevic, Branko, „The (Risky) Craft of Digital Making in: Archithese, 3, 2013, S. 58–61.

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Lektion 4: Architekturtheorie: Wieso? „Il me semble que dans les arts qui ne sont pas purement méchaniques, il ne suffit pas que l’on fache travailler, il lui importe sur-tout que l’on apprenne à penser.“ M ARC -A NTOINE L AUGIER , 17531

E INFÜHRUNG Nach dem bisher verschiedene Geschichten der Architektur erzählt wurden, versucht die letzte Lektion, grundsätzlicher über die Architektur nachzudenken, im Sinne einer Theorie der Architektur. Es geht also nicht um eine Theorie der Geschichte, sondern um einen theoretischen Zugang zur Architektur, der sich auch der Geschichte bedient. Das ist natürlich auch Teil einer Theorie der Geschichte, der Zugang ist aber nicht historisch, sondern theoretisch und knüpft an die in der ersten Lektion bereits aufgestellte Theorie der Architektur (Architektur zwischen Autonomie, Heteronomie und Engagement) an. Dabei unterscheidet sich diese Lektion wesentlich von der Vorlesung im letzten Semester, auf der es basiert. Dort wurden jeweils Kernbegriffe der Architektur eingeführt – Form, Struktur, Funktion, Ornament, Utopie und Raum – und diese eben an einer Reihe von Beispielen historisch besprochen. Diese Vorlesungen waren damit stärker fragmentiert als die drei davor und beruhten in viel größerem Maße auf Bildmaterial. Hätte ich versucht, dies auch in Buchform zu „übersetzen“, wäre die letzte Lektion sehr aus der Reihe gefallen und zu stark auf Bilder aufgebaut gewesen. Entsprechend werden hier nur Themen behandelt – Metapher, Raum und Utopie –, die eine größere theoretische und historische Aufarbeitung benötigen, und nicht solche, die auf einem Fundus an Untersuchungen und Literatur beruhen, wie Form, Struktur oder Ornament. Im Mittelpunkt dieser theoretischen Annäherung an die Architektur steht die Metapher als Element der Sprache, das zwei Pole verbindet, die an sich nicht zusammengehören. Dieser Begriff taucht sehr oft auf, sowohl im Diskurs der Architekten wie im Diskurs über die Architektur, und steht paradigmatisch

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für das Wesen der Architektur, das, wie die Metapher, ebenfalls „Extreme“ verbindet: Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst, Technologie und Handwerk, Engagement und Autonomie usw. Wie die Metapher macht die Architektur diese Verbindung von Gegensätzlichem möglich. Während die Metapher aber immer bildhaft und in der Ebene der Sprache bleibt, wo alles möglich ist – durch die Metaphern macht man sich ein Bild von etwas, die Metapher beschreibt aber keinen realen Zustand –, muss die Architektur wörtlich und real werden, d.h., sie muss Strategien finden, um das Unvereinbare in einem Projekt zu verwirklichen. Das Resultat ist deswegen oft gerade das plakative Umsetzen von Bildern oder der Versuch, sich auf die eine oder andere Seite zu „retten“: Autonomie oder Engagement, Wissenschaft oder Kunst. Das bereits beschriebene Flüchten in die Autonomie oder das Engagement ist aus dieser Perspektive als eine Verleugnung des metaphorischen Charakters der Architektur zu sehen. Der Architekt entscheidet sich – ob bewusst oder unbewusst – für einen der Pole und versucht nicht, das der Architektur zugrunde liegende Ungleichgewicht zu erreichen. Abbildung 73, Fatma Karaokutan, Diagramm, Universität Liechtenstein, 2012

In der Architektur und im Städtebau werden viele Metaphern verwendet, weil Erstere keine eigene und eigentliche Sprache haben, mit der sie von sich sprechen könnten. In diesem Kontext jedoch kommen die Metaphern meistens zu kurz, weil sie einerseits zwar etwas hervorheben, andererseits aber vieles verdrängen, um die Komplexität zu verringern. Die Metapher ist somit sowohl

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso?

Spiegel der Natur der Architektur wie Indikator des Fehlens einer eigenen Sprache der Architektur. Metaphern sind zudem auch exzellente Indikatoren einer bestimmten politischen Ideologie, die sich im Diskurs verbirgt. So weist zum Beispiel die häufig verwendete Metapher des lebenden Körpers, die man unter anderem bei Le Corbusier, aber auch allgemein im Städtebaudiskurs der erweiterten Jahrhundertwende findet, nicht nur auf den Wunsch des Städtebauers hin, die „kranke Stadt“ zu heilen, sondern auch darauf, dass die Vergangenheit – Geschichte – tot ist, während die Gegenwart, um die es in den Diskursen geht, lebendig ist. Das motiviert implizit Interventionen, die die Vergangenheit nicht respektieren. Das, was nun die Architektur metaphorisch überbrückt, das, was zwischen den Extremen steht und das Eigentliche der Architektur ausmacht, ist der Raum: Aufgrund der Komplexität und Unbeschreibbarkeit des Raums bildet er eine Art unerreichbares Zentrum, dem man aber so nahe wie möglich kommen sollte. Es ist kein Zufall, dass in den zeitgenössischen Beispielen zu Autonomie und Engagement „Raum“ kein Thema ist. Indem man sich in das eine oder andere Extrem „rettet“, kann man sich nicht mit dem befassen, was in der Mitte aufgespannt ist: der Raum. Die Tatsache, dass Architektur Raumgestaltung ist, Raum aber kaum begreif bar oder vermittelbar ist, erklärt wiederum die große Anzahl an Metaphern, die im Architekturdiskurs verwendet werden: Sie sind Zeugen der Unmöglichkeit, vom Eigentlichen der Architektur – dem Raum – zu sprechen. Die Unmöglichkeit, dieses Zentrum zu erreichen, den Raum zu „beherrschen“ und auf eine nichtmetaphorische Art von der Architektur zu sprechen, ist eine der vielen Utopien, die die Architektur auszeichnen und derer man sich bewusst sein sollte. Die Architektur ist Teil und Ausdruck des kapitalistischen Systems, das jedes Ausbrechen – im Sinne der Utopie – verunmöglicht. Die Utopie – oder besser: ihre Unmöglichkeit – und ihr Gegenpart, die Ideologie, sind der Spiegel, in dem die Architektur ihre Grenzen und Möglichkeiten wahrnehmen sollte. Diese drei Begriffe bilden den Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Architektur. Abschließend ergänzt Urs Meister mit einer Reflexion über die Tektonik ein wichtiges Thema der Architekturlehre in Vaduz, das in der Architekturgeschichte kaum noch Erwähnung findet, dessen Bedeutung aber – ähnlich dem Handwerk – noch heute unbestreitbar ist. Alberto Alessi schließt dann mit einem Vergleich der unterschiedlichen Wahrnehmung und Definition von Architektur diese Untersuchung ab.

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R ÄUMLICHES W ISSEN 2 „A satisfactory history of architecture has not yet been written because we are still not accustomed to thinking in terms of space, and because historians of architecture have failed to apply a coherent method of studying buildings from a spatial point of view.“ B RUNO Z EVI, 19573

melius quam penna In der 1714 veröffentlichten 6. Ausgabe ihrer Mathesis Compendiaria sive Tyrocinia Mathematica Tabulis comprehensa unterstreichen die Autoren Johann Christoph und Leonhard Christoph Sturm – Vater und Sohn –, dass man die Verwendung von Architekturmodellen besser in der Praxis als durch Wörter (eben: melius quam penna) erklären könne. 4 Damit sprechen die Autoren eines der Grundprobleme der Architektur an: die Schwierigkeit, Architektur in Worte zu fassen und von der Architektur zu sprechen. Architektur als das „bewusste Machen von Räumen“, um Louis Kahn zu zitieren, besteht aus dem Entwerfen und Realisieren von Räumen – und dem Wissen und der Erfahrung, die dazu notwendig sind. Aber diese Räume sind eben kaum zu fassen, kaum zu erklären, kaum zu vermitteln, nicht zuletzt weil jeder Mensch, aufgrund seines kulturellen und persönlichen Hintergrundes, anderes erfahren wird; jeglicher Versuch, diese Erfahrung zu vermitteln, wird also fruchtlos bleiben. In der Architektur haben wir keine vergleichbare Theorie des Raums, wie wir eine Theorie der Form, der Struktur oder der Ornamente haben. In den Worten von William Gass, einem amerikanischen Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, der mit Peter Eisenman zusammengearbeitet hat: „Architecture is inherently the most abstract of the arts because the medium is neither words nor wood nor paint but space, and space … space? … does it exist?“5 Architektur ist dabei nicht die einzige Disziplin, die sich mit Raum beschäftigt, auch die Soziologie, die Phänomenologie oder die Wahrnehmungspsychologie setzen sich damit auseinander; das Spezifische der Architektur ist dabei, dass sie sich sowohl mit der Wahrnehmung wie auch mit der entwerferischen Produktion von Raum befasst. Der Architekt stellt gleichzeitig Raum her, erlebt ihn und reflektiert sowohl über das Erleben wie das Herstellen von Raum. Damit stellt sich die für uns zentrale Frage: Wie kann man die Produktion und die Erfahrung von Raum erlernen und vermitteln? Um was für ein Wissen handelt es sich dabei? Der Architekt muss beim Herstellen von Räumen auch

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso?

versuchen, deren Wirkung zu kontrollieren, ja diese mit bestimmten Inhalten zu füllen, wenn auch die Erfahrung eines jeden Einzelnen unterschiedlich sein wird. Damit wird klar, dass die Architektur auf einem „räumlichen Wissen“ basiert und dass die Untersuchung dieses Wissens zentraler Inhalt der Architekturausbildung sein sollte.6 Einer der ersten Architekten die dieses Problem angesprochen hat, war Nicolas Le Camus de Mézieres (1721–1789), der in seinem Buch Le génie de l’architecture, ou l’analogie de cet art avec nos sensations von 1780 die Frage verfolgt, wie man in der Architektur beim Benutzer bestimmte Emotionen erwecken kann.7 Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer genauen Kenntnis der Elemente der Architektur – von „Raum“ ist natürlich noch nicht die Rede – und ihrer Wirkung kritisiert er die mechanische Anwendung antiker Stilvorlagen. 8 Dies blieb selten, so beim anonymen Verfasser eines Aufsatzes von 1839, „Application and intent of the various styles of architecture” der für die Wirkung (meaning) eines Gebäudes und der Notwendigkeit sich von Systeme von Stilvorlagen zu befreien, plädiert.9 Die Schwierigkeit, über Raum zu sprechen und dies zum Inhalt einer Architekturlehre zu machen, sollte kein Hindernis sein, sondern ein Ansporn im Versuch, die Architektur besser zu verstehen. 10 Von dieser Schwierigkeit finden sich immer wieder Zeugnisse, wie beispielsweise in einer bemerkenswerten Diskussion zwischen dem französischen Architekten Christian de Portzamparc (geb. 1944) und dem nouveau roman-Schriftsteller Philippe Sollers (geb. 1936), bei der dieses Problem angesprochen wurde. Portzamparc stellt dabei die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit eines Denkens ohne Sprache 11 und betont, wie ihn als Architekt, wenn er ein Projekt beschreibt, das Gefühl überrollt, das Wesentliche, den Raum, verloren zu haben. 12 Die Sprache ist für den Architekten ein ungenügendes Instrument, um die Architektur auszudrücken. 13 Angesichts dieser Schwierigkeit, über Sprache und Text den Raum zu übersetzen und, ganz allgemein, eine Theorie des Raums aufzustellen, überrascht es nicht, wenn es in der Architektur kaum einen Ansatz zu einem solchen theoretischen Modell gibt, der konsensfähig wäre. Zwar gab es immer wieder punktuelle Ansätze einer solchen Theorie, diese sind aber alle ohne Folge und sind zum größten Teil vergessen geblieben. Dabei bezieht sich der architektonische Diskurs immer wieder auf wenige usual suspects außerhalb der Disziplin, die zwar von Raum sprechen, sich aber allesamt außerhalb der Sprache der Architektur befinden. Es handelt sich um Especes d’espaces von Georges Perec (1974), La poétique de l’espace von Gaston Bachelard (1957) und Bauen, Wohnen, Denken (1951/52) von Martin Heidegger.

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Raum: der blinde Fleck der Architektur Eines der vielen zeitgenössischen Paradigmen unserer Kultur ist der sogenannte spatial turn – die „räumliche Wende“ –, ein turn, der sich zum ersten Mal eher zufällig in einem Buch von Edward W. Soja, Postmodern Geographies von 1989, angekündigt, dann aber zu einem allgegenwärtigen Paradigma der zeitgenössischen Kultur und Gesellschaft entwickelt hat. Alles wird verräumlicht und Räume werden gelesen und interpretiert. Der spatial turn ist damit eine der vielen Wenden, die uns seit dem 1967 von Richard Rorty angekündigten linguistic turn ins „Drehen“ gebracht haben. Bezeichnenderweise ist das Hauptinstrument des spatial turn die Anthologie, 14 in der Texte aller Disziplinen, die etwas mit Raum zu tun haben, besprochen werden. Hier wird dann immer wieder beklagt, es gäbe keine Texte aus der Architektur, der „räumlichsten“ aller Disziplinen. So werden auch hier, stellvertretend für die Architektur, Texte von Paul Virilio, einem Philosophen, der sich mit Architektur befasst hat, August Schmarsow und Henri Lefebvre, einem Soziologen, präsentiert, aber keiner aus der Architektur. Selbst die letzte Anthologie, von den Architekten Michael Hensel, Christopher Hight und Achim Menges, wo die Autoren Raum als „blind spot of architecture“15 bezeichnen, beinhaltet außer Texten von Bernard Tschumi nur Texte von Nicht-Architekten, vor allem von Philosophen oder Soziologen wie nochmals Henri Lefebvre. Auch der jüngste Versuch von Christina Hilger, den sie als „Plädoyer für den spatial turn in der Architektur“ bezeichnet, schafft es nicht, auf überzeugende Weise zu zeigen, was der spatial turn für die Architektur leisten und bedeuten kann. 16 Ein anderer turn scheint uns diesbezüglich erkenntnisreicher. Es handelt sich um den pictorial oder iconic turn, der sich mit der Rolle von Bildern innerhalb des Erkenntnisprozesses auseinandersetzt und der vor allem im Kontext der Kunstgeschichte untersucht und besprochen wurde. Hier wurde vorbildlich gezeigt, wie nicht nur Sprache Wissen schafft und vermittelt, sondern auch Bilder, und zwar auf eine andere Art und Weise, als es über die Sprache geschieht. Bilder zu produzieren ist eine Form von nichtverbaler Forschung, die nicht zuletzt das Wissen schafft, um andere Bilder „lesen“ zu können. Es ist in diesem Zusammenhang die Rede von einem visual knowledge, einem Bildwissen, das, so Gui Bonsiepe, die Herrschaft des „verbocentrism“ brechen könne. Diese Diskussion zielt also darauf, zu beweisen, dass Wissen nicht nur durch Forschung gewonnen wird, die durch Worte artikuliert wird, sondern dass es auch andere Wissensformen gibt, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht sprachlich vermittelt werden können, wie eben das Bildwissen. 17 Dieses Bildwissen wird immer wieder am Beispiel des Radiologen erläutert:

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Dieser erlernt die Fähigkeit, Radiografien – Bilder – zu lesen und daraus eine Diagnose zu erstellen. Er kann nicht in Worte fassen, wie er das Bild „liest“ und daraus seine Schlüsse zieht, er kann nur erklären, welches Gebrechen er daraus interpretiert hat. Dass gerade die Kunstgeschichte diese Form von Wissen besonders erfolgreich untersucht hat, liegt nicht zuletzt an deren Tradition der Bildinterpretation – angefangen bei der klassischen ekphrasis, also der Übung im Lesen von Bildern und dem Entschlüsseln ihrer mehr oder weniger geheimen Botschaften. 18 Der pictorial oder iconic turn zeigt uns auf eindrückliche Art und Weise, was im Kern einer Theorie des Raums der Architektur stehen sollte: die Untersuchung eines räumlichen Wissens. Das Wissen, das ein Architekt dadurch gewinnt, dass er entwirft und sich dabei Gedanken macht; dass er andere Räume, Architekturen, studiert und sich bewusst wird, was für Qualitäten wie – mit welchen Entwurfsinstrumente und Methoden – er in seine eigenen Projekte einfließen lassen kann. Das räumliche Wissen setzt sich dabei, wie jedes anderes Wissen, aus Erfahrungen und Forschung zusammen. Das wiederum verlangt, dass wir Entwerfen als Form von Forschung bezeichnen können. Was aber ist Architektur und was muss ein Architekt wissen? Le Corbusier hat uns eine prägnante Definition dessen gegeben, was Architektur ist: „Die Baukunst ist das weise, korrekte und großartige Spiel der unter der Sonne sich sammelnden Baukörper.“19 Diese Definition (als solche) greift insofern zu kurz, als sie sich nur mit dem Äußeren der Architektur, der Form, auseinandersetzt (was Le Corbusier in seinen Projekten natürlich nicht gemacht hat, man denke nur an die „Promenade architecturale“), und das, was im Inneren wie Äußeren der Architektur geschieht und sie eigentlich auszeichnet, ausklammert: den Raum. Diese Definition ist paradigmatisch für eines der Hauptprobleme der Architektur: Sie ist im Wesen Raumgestaltung, Raum als solches ist aber etwas kaum Greif bares, kaum Beschreibbares, was als Konsequenz für die Architektur bedeutet, dass sie das, worauf sie basiert, nie richtig beherrschen wird. Le Corbusier steht dabei – und darauf kommen wir gleich anschließend zu sprechen – paradigmatisch für eine moderne Architektur, die sich stark auf eine visuelle Wahrnehmung ausrichtet und die den fühlenden Körper ausschließt, ja diesen auf einen Körper reduziert, der vollkommen vermessen und mechanisiert sein sollte. Damit wird der Raum eben auf ein optisches Problem vereinfacht und als Thema marginalisiert. Gegen diese Reduktion kämpfen wir noch heute.20 Was das angeht, so sind bezeichnenderweise 2011 gleich zwei Bücher erschienen, die das „Wissen der Architektur“ thematisieren. Es handelt sich um die Textsammlung Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften, herausgegeben von Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Ro-

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land Meyer, sowie um Das Wissen der Architektur von Gerd de Bruyn und Wolf Reuter. Jenseits der unterschiedlichen Akzentsetzung betonen beide Untersuchungen, dass die Frage nach dem Wissen der Architektur notwendig sei, um die Architektur zu verorten, ja um sie zu definieren. De Bruyn und Reuter suchen die Architektur in ihrer Abgrenzung zu Kunst und Wissenschaft und zielen auf das Begreifen der „Tätigkeit des Entwerfens in epistemologischer Perspektive als eigenständige kognitive Handlungsweise“,21 wobei die Autoren betonen, dass das Wissen der Architektur transdisziplinär vernetzt sei und auf das Wissen sowohl der Kunst wie der Wissenschaft zurückgreife bzw. auf die Art und Weise, wie es von der Architektur angeeignet werde. Sie verorten diese These in der Darstellung architektonischer Wissensformen und deren Wandel von der Kreis- zur Netzstruktur.22 Es geht also darum zu verstehen, welches Wissen die Architektur wie generiert und wie sich dieses Wissen beim Wissen von Kunst und Wissenschaft bedient. Das Buch von Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyer ist hingegen eine Textsammlung, die von einem „erweiterten Architekturbegriff“ ausgeht und entsprechend eine neue Theorie fordert.23 Die Architektur wird hier vor allem auf der Ebene der Ästhetik und der Logistik besprochen, wobei das Wissen der Architektur gleichzeitig implizit, explizit und Erfahrungswissen ist. Ohne die Thesen der beiden Bücher hinterfragen zu wollen, soll in der Folge der Akzent auf dieses Eigene der Architektur gelegt werden, das weniger aus der Differenz dieser angeeigneten Wissensformen entsteht, als möglicherweise die Voraussetzung ist, um diese Wissensformen überhaupt erst anzueignen. Es geht also nicht um die Restfläche der Überlagerung der anderen Disziplinen, sondern um etwas, was nur die Architektur auszeichnet: Raumwissen. Eine der besten Darstellungen räumlichen Wissens findet sich im Film Inception (2010) von Christopher Nolan, und zwar nicht in der viel zitierten Szene, wo innerhalb der Traumwelt eine Straße samt Häusern gefaltet wird, sondern dort, wo Cobb – die Hauptfigur – einen neuen Architekten für diese Traumwelt sucht. Dafür besucht er seinen Vater, der Architekturprofessor in Paris ist – wo sonst? –, und dieser vermittelt ihm eine junge Studentin, Ariadne. Cobb stellt ihr eine Aufgabe, um ihr räumliches Wissen zu testen: Sie soll auf einem Blatt Papier ein Labyrinth zeichnen, das sich nicht allzu leicht erfassen lässt. Nach ein paar gescheiterten Versuchen dreht Ariadne den Zeichnungsblock, um nicht die Rasterung als Grundlage zu haben, und zeichnet eine Variante, die Cobb nicht auf Anhieb lösen kann. Damit hat Ariadne bewiesen, dass sie über ein starkes räumliches Wissen verfügt, mit dem sie eine solche Aufgabe lösen kann. Sie ist fähig, eine bestimmte räumliche Qualität – in diesem Fall „labyrinthische“ Komplexität – in einem Projekt umzusetzen.

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Gerade das räumliche Wissen unterscheidet Architekten – und es gibt solche mit besserem und mit weniger gutem räumlichem Wissen – von Nicht-Architekten. Dieses Wissen äußert sich nämlich nicht zuletzt darin, dass man fähig ist, Räume zu abstrahieren beziehungsweise diese aus abstrakten Darstellungen wie Plan oder Schnitt gedanklich zu rekonstruieren. So bemerkte vor mehr als hundert Jahren Dr. von Seidlitz, dass im Rahmen der Städteausstellung von 1903 in Dresden glücklicherweise nicht nur abstrakte Darstellungsweisen vorhanden waren, sondern auch Modelle, die jeder verstehen könne.24 Die gleiche Beobachtung macht Hanswernfried Muth 1987 im Zusammenhang mit einer Ausstellung über Balthasar Neumann, wenn er behauptet, dass Fotos nicht das „Architekturerlebnis vermitteln, das [wir] beim Umwandern eines Bauwerkes, beim Durchschreiten des Raumes“ haben und dass man dabei „der Gefahr [erliegt], dass wir uns mit der schönen, aber auch flüchtigen Impression begnügen“.25 Der Begriff des räumlichen Wissens findet sich möglicherweise zum ersten Mal 1923, sowohl bei Otto Höver (1889–1963), der von einem „raumhaften Denken“ spricht, 26 wie bei Hermann Ehlgötz (1880–1943), der im gleichen Jahr von einem „dreidimensionalen Denken“ für den Städtebau spricht. 27

Raumwahrnehmung Betrachten wir die wichtigsten Beiträge zu einer Theorie des Raums nicht nur von Architekten, sondern auch von Kunsthistorikern, so fokussieren die meisten nur auf die Frage der Wahrnehmung von Raum und vernachlässigen die Frage der Produktion. Raum als Thema der Kunstgeschichte und der Architekturgeschichte explodiert förmlich am Ende des 19. Jahrhunderts in einer Reihe von Arbeiten, die sich beeinflusst von den damaligen Entdeckungen in Wahrnehmungspsychologie und -physiologie, damit beschäftigen. Dieses Phänomen entwickelt sich dabei im deutschsprachigen Raum unter Kunsthistorikern.28 Allen voran handelt es sich um die bereits in der ersten Lektion besprochenen Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin und August Schmarsow. Neben Wölfflin und Schmarsow gab es unzählige weitere Besprechungen von Raum im Kontext der Architektur, und Albert Erich Brinkmann (1881– 1958) erweiterte diese auch auf den Städtebau, trotzdem blieb diese unglaublich spannende und intensive Diskussion ohne Folge und ohne konkrete Auswirkungen auf die Architekturpraxis.29 Ein bemerkenswerter Beweis des Einflusses dieses Diskurses findet sich im Aufsatz „Die Entwickelung des Raumes in der Baukunst“ des Architekten Hans Auer, bereits 1883.30 Und der Architekt Friedrich Ostendorf behauptet 1912 konsequent, „[d]as eigentliche Ziel der Baukunst ist das, Räume zu schaffen“.31

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Der Grund dafür, dass dieser Diskurs in Vergessenheit geriet, muss im geringen Interesse liegen, das die Architektur der Moderne – siehe die Definition von Le Corbusier am Anfang – für das Thema Raum hatte. „Raum“ wurde in einem Atemzug mit „Stil“ und „Heimat“ verwendet, so zum Beispiel von Bruno Taut, und damit als rückschrittlich eingestuft.32 Nicht zuletzt geht dieses Verdrängen auch auf die Tatsache zurück, dass das verhasste Kunsthandwerk gerne auch als „Raumkunst“ bezeichnet wurde. Schon 1951 erkannte der Architekturhistoriker Paul Zucker den Einfluss der Moderne im Verdrängungsprozess dieses Themas.33 Und dies, obschon einer der Apologeten der Moderne, Sigfried Giedion, gerade sein einflussreichstes Buch – Space, Time and Architecture. The Growth of a New Tradition – zum Thema des neuen, der Moderne zugrunde liegenden Raum-Zeit-Verhältnisses geschrieben hat. Die Definition von Raum bleibt bei Giedion aber vage.34 Für Le Corbusier stand einerseits ein normiertes und rationales Menschenbild im Vordergrund, dessen leibliche Gefühle nicht zu berücksichtigen seien, zudem war er, vor allem, was seine städtebauliche Theorie angeht, auf eine optische Wahrnehmung der städtebaulichen Räume fixiert. Paradoxerweise verbindet gerade die Absage des Raums die Architektur der Moderne mit der Postmoderne. Vor allem Venturi Scott Brown, aufgrund ihrer Entdeckung der Zeichenlandschaft von Las Vegas, unterstreichen, wie Raum ein überholtes Konzept der Architektur sei, das vor dem Zeichen kapituliert habe, was die Wiederaufnahme des Themas „Raum“ wenn nicht verhindert, sicher erschwert habe. Seitdem ist Raum immer wieder, aber nur vereinzelt, ein Thema der Architekturtheorie geworden. So nannte der italienische Architekt Luigi Moretti seine zwischen 1950 und 1953 erschienene Zeitschrift spazio, also Raum, worin sich bemerkenswerte Auseinandersetzungen mit dem architektonischen Raum finden, wie eine Reihe von „Füllmodellen“ ausgewählter Projekte. Oder Bruno Zevis (1918–2000) Buch Saper vedere l’architettura von 1948, 35 das in der englischen Übersetzung zu Architecture as Space wurde – der Untertitel der italienischen Ausgabe – und worin Zevi die Geschichte der Architektur aus der Perspektive des Raums zu erzählen versucht und unter anderem Giedion angreift.36 Oder das Buch von Cornelis van de Ven, Space in Architecture. The Evolution of a New Idea in the Theory and History of the Modern Movements, 1977 veröffentlicht, wo der Autor unter anderem über eine philosophische Herleitung des Raumbegriffs die Architektur zu besprechen versucht.37 Nicht vergessen werden darf das epochale Buch des französischen Soziologen Henri Lefebvre, La production de l’espace von 1974, worin dieser das Phänomen der Waren-Wer-

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dung von Raum beschreibt und eine sehr präzise Kategorisierung ebendieses Raums entwirft. Ein letztes Beispiel wäre dann das Buch Questions of Perception. Phenomenology of Architecture von Juhani Pallasmaa, das dieser 1994 zusammen mit Steven Holl (geb. 1947) und Alberto Pérez-Gomez veröffentlicht hat.38 Gerade aber in den letzten Jahren ist Raum in der Architektur wieder breiter besprochen worden. So ist es kein Zufall, dass zwei der interessantesten Architekturbüros in Deutschland das Präfix „Raum“ aufgenommen haben: Raumtaktik39 und Raumlabor. 40 Von großer Bedeutung war die Arbeit des französischen Architekten Philippe Boudon (geb. 1941), wo Raum das zentrale Thema seiner Theorie der „architecturologie“ war. Boudon diskutiert Raum in der Architektur gerade als Wissensform, vor allem im Zusammenhang mit der Frage des Maßstabs. 41 Auch von großer Bedeutung ist die Theorie des deutschen Philosophen Gernot Böhme, der über seine Auseinandersetzung mit Ästhetik 42 in der Diskussion um den architektonischen Raum den Begriff der Atmosphäre eingeführt hat. Der Begriff, der aus der Meteorologie entnommen ist, soll helfen, die Qualitäten des Raums und dessen körperliches Erlebnis – in Angrenzung zur optischen Erfassung – zu beschreiben. 43 Obschon die Arbeit von Böhme einen wichtigen Beitrag für eine Raumtheorie der Architektur bedeutet, bleibt auch bei ihm die Perspektive jene der Wahrnehmung und nicht der Produktion von Raum. Bezeichnenderweise wird der Begriff der Atmosphäre immer wieder durch Projekte des Künstlers Olafur Eliasson – wie die künstliche Sonne (The Weather Project) in der Tate Modern 2003/04 oder seine Installation The Mediated Motion von 2001 im Kunsthaus Bregenz – illustriert. 44 Ebenfalls als Bilder zur Atmosphäre werden Projekte von Décosterd & Rahm gezeigt und deren „physiologische Architektur“. Neben Böhme dürfen der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk (geb. 1947) und seine Sphären-Trilogie (1998/99) nicht unerwähnt bleiben. Darin entwickelt er eine Theorie des Verhältnisses der Gesellschaft zum Raum und führt drei Konzepte ein – Blasen, Schäume und Globen –, die eine Untersuchung von Raumbildern begleiten. 45 Sloterdijk betont, dass ein alternativer Titel für die Trilogie auch Sein und Raum hätte sein können, wobei er seine Arbeit als eine Form von Raum-Hermeneutik sieht, die einer Theorie des Raums zugrunde liegen sollte. 46

Raumproduktion Neben dem erwähnten Diskurs um die Wahrnehmung von Raum besteht, wie bereits mehrmals erwähnt, auch ein Diskurs um die Frage der Produktion von

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Raum, der von Ersterem nicht getrennt werden darf. Eine Raumtheorie der Architektur müsste beide Aspekte gleichzeitig berücksichtigen. In der Folge werden eine Reihe von Positionen besprochen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich ausdrücklich mit der Produktion von Raum auseinandergesetzt, teilweise diese auch mit Überlegungen zur Wahrnehmung verknüpft haben. Es handelt sich um sehr verschiedene Positionen mit unterschiedlich ausgereiften Überlegungen, allen ist aber ein Betonen der Methode gemeinsam, als wichtiger Grundstein hinsichtlich der Frage nach der Art und Weise, wie Raum entworfen werden kann. Es handelt sich dabei um fünf Architekten, Fritz Schumacher, Walter Gropius, Louis Kahn, Bernard Tschumi (geb. 1944) und Peter Zumthor.

Fritz Schumacher Das erste Fallbeispiel ist jenes von Fritz Schumacher, einem äußerst erfolgreichen Architekten und Städtebauer, von dem bereits die Rede war. Beeinflußt von den oben genannten Kunsthistorikern, fügte er in seine Theorie eine ausgereifte Reflexion zum Thema Raum ein. Im Gegensatz zu diesen aber baute er die Frage des Raums auch um die Dimension der Produktion aus. In seinen 1916 veröffentlichten Grundlagen der Baukunst. Studien zum Beruf des Architekten erläutert Schumacher zum Beispiel, was aus seiner Sicht ein Architekturstudent lernen müße. Er unterscheidet dabei zwischen Kennen, womit er die technische Seite anspricht, und Können, womit die künstlerische Seite gemeint ist. Im Zusammenhang mit Letzterem spricht er von „architektonischer Kunstbegabung“ als eine Form von Kunst-Talent, das hauptsächlich auf einem rhythmischen Sinn beruhe. Das steht im Gegensatz zum Form-Talent, das auf einem formalen Sinn beruhe. Der rhythmische Sinn sei die Voraussetzung für einen guten Architekten und beruhe auf drei Aspekten: Oberfläche, Körper und Raum. 47 Während aber jemand einen rhythmischen Sinn für Oberflächen besitzen kann, setzt ein rhythmischer Sinn für Raum sowohl ein Gefühl für Raum wie für den Körper voraus. Der Sinn für Oberflächen bleibt damit zweidimensional. 48 Das Spezifische der Architektur besteht aber darin, sich alles gleichzeitig, negativ wie positiv, als Raum und als Masse sowie diese Räume sowohl von innen wie von außen vorzustellen. 49 Im Fall des Sinns für Raum ist die Vorstellung von Raum, die Vorstellungswelt, dreidimensional und beinhaltet das Verhältnis von positiven und negativen Volumen, von Räumen und Folgen von Räumen, Innen- wie Außenräumen gleichermaßen.50 Schumacher untersucht dabei auch die architektonischen Mittel und Methoden, mit denen der erdachte Raum übersetzt werden kann.51 Die Zeichnung sei dabei die natürliche Sprache der Architektur, und diese Sprache – so Schumacher – müsse der Architekt erlernen.52

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In einem späteren Buch von 1926, Das Bauliche Gestalten, 53 unterteilt Schumacher die Frage des Raums in die zwei Kapitel von Wahrnehmung bzw. Produktion von Raum. Im ersten bespricht er die seelischen Wirkungen der Architektur und des Raums auf den Betrachter, im zweiten Teil untersucht er die Prozesse, die Instrumente und die Ziele des Entwurfs, die den erwünschten Wirkungen zugrunde liegen. In diesem zweiten Kapitel kritisiert er Grundriss und Schnitt als zweidimensionale Instrumente, weil sie die räumlichen Qualitäten der Projekte zerstörten und eine Mechanisierung der „Vorstellungswelt“ zur Folge hätten.54 In Bezug auf die Perspektive müsse man unterscheiden zwischen der Perspektive als Entwurfsinstrument und der Perspektive als Mittel, um Nicht-Architekten von einem Projekt zu überzeugen.55 In seinem Stadtplanungsbüro in Hamburg hatte Schumacher als eine Konsequenz dieser Auseinandersetzung mit Raum die Praxis eingeführt, für jede neue Stadtplanung zuerst ein Modell zu erstellen, womit geplante Projekte in ihrer räumlichen Wirkung überprüft werden konnten.56

Walter Gropius Die Auseinandersetzung mit Raum fand bei Walter Gropius vor allem innerhalb seiner Lehre statt, was angesichts seines Hintergrunds am Bauhaus und später in Harvard nicht überrascht. Er sprach vor allem die Notwendigkeit eines Gleichgewichts an, zwischen Erfahrung und Wissen, dessen Vermittlung im Zentrum der Architekturlehre stehen sollte. Aus diesem Grunde sollte der Student auch Erfahrungen außerhalb der Schule gewinnen können, zum Beispiel im Beruf.57 Im Mittelpunkt steht aber der Entwurf mit den Instrumenten der Architektur, wobei diese nicht genügen würden, um ein Gespür für den Raum – „sense of space“ – zu entwickeln. Vor allem die Arbeit mit Materialen und deren Eigenschaften sei hierfür wichtig.58 Die Architekturlehre ist also eine Kombination aus Selbst-Erfahrung und Entwurfswissenschaft (science of design), die nicht zuletzt Wahrnehmungspsychologie beinhalten sollte – der Entwerfende muss lernen, zu „sehen“ – und einen genaueren Umgang mit den Begriffen – er spricht zum Beispiel von „Atmosphäre“ – voraussetzt.59 Um Raum zu entwerfen, muss der Architekturstudent lernen, wie der Raum wahrgenommen wird, oder besser gesagt, wie er gesehen wird. Gropius war entsprechend vor allem an der optischen Wahrnehmung interessiert, in seinem Aufsatz „Is There a Science of Design?“ befasste er sich auch mittels Diagrammen mit der Art und Weise, wie die Augen funktionieren.60 Für Gropius müsste folglich viel mehr Wert auf das Erlernen der Grundsätze der Raumwahrnehmung gelegt werden sowie auf deren Umsetzung im Entwurf,

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wo der Student im Sinne eines Wissens über das Wirken von Räumen wirkliche Erfahrungen hinzugewinnen kann.

Louis Kahn Es ist nicht überraschend, dass sich auch Louis Kahn mit der Frage nach dem Raum und den räumlichen Qualitäten seiner Projekte auseinandergesetzt hat, vor allem in Bezug auf das Licht. In seinen eigenen Worten: Ohne Licht gibt es keinen Raum.61 Verbunden mit seiner Unterscheidung zwischen „dienenden“ und „bedienten“ Räumen, baute sein System der Gliederung auf eine starke Modulierung der verschiedenen Räume in ihrem Verhältnis untereinander. Diese Arbeit mit Räumen entwickelte er vor allem über Diagramme und Skizzen. Mit Ersteren untersuchte er die Relationen der Räume untereinander, mit Letzteren die Intensität dieser Relationen. Besonders einleuchtend sind die Diagramme im Zusammenhang mit dem Entwurf für das Konsulat der Vereinigten Staaten in Luanda, Angola (1959– 1961), die seine Auseinandersetzung mit Raum in Bezug auf Nähe der Räume und Breite der Übergänge bezeugen. Zwar hinterlässt Kahn keine ausgeprägte Theorie seiner Architektur im Allgemeinen noch des Raums im Spezifischen, dennoch lassen verschiedene Äußerungen vermuten, dass sich Kahn sehr wohl bewusst war, worum es im Zusammenhang mit Raum geht – wovon auch die räumliche Wirkung seiner Projekte zeugt. Eine Aussage wie „Architecture can be said to be the thoughtful making of spaces“62 zeigt, dass er sich bewusst war, dass sich die Arbeit mit Raum auch in einem räumlichen Wissen äußert – das „thoughtful“ –, das er auch ganz klar als Eigenschaft des Architekten bezeichnet, in Abgrenzung zum Maler oder Bildhauer, die jeweils nicht wie der Architekt einer Funktion gerecht werden müssen.63

Bernard Tschumi Der Architekt Bernard Tschumi stand im Mittelpunkt vieler Architekturexperimente der 1960er-und 1970er-Jahre, im Umfeld seiner Lehre an der AA in London und seiner Tätigkeit als Architekt. Es war vor allem der Sieg im Wettbewerb für den Parc de la Villette in Paris von 1983, der größtenteils realisiert wurde, der ihn weltbekannt machte. Seine Arbeit war stets von theoretischen, durch Kino, Philosophie und Literatur(-theorie) beeinflussten Reflexionen begleitet, die dazu angetan waren, die Architektur zu verändern.64 Raum als gemeinsamer Grund, wo diese Einflüsse zusammenkommen, spielte eine zentrale Rolle, und so ist es nicht überraschend, dass seine 1990 veröffentlichte Textsammlung den Titel Questions of Space trägt, was sein Interesse für das Thema bezeugt. Tschumi setzte sich dabei vor allem mit der Theorie und

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Geschichte des Raums in den verschiedenen künstlerischen Avantgarden der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und deren Einfluss auf die Architektur auseinander. Abbildung 74, Louis Kahn, United States Consulate Buildings, Luanda, Diagramme, 1959-61

Gemäß Tschumi können wir dabei nicht gleichzeitig etwas erfahren und diese Wahrnehmung theoretisch reflektieren, womit für ihn klar wird, dass die Theorie des Raums nicht im Raum selber zu suchen ist, sprich in dessen Erfahrung.65 Für Tschumi sind Wahrnehmung und Produktion von Raum zwei Seiten derselben Medaille, die sich entsprechend nie treffen können.

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Tschumi arbeitete dabei sehr stark mit Diagrammen, die zu diesem gemeinsamen Grund von Film, Literatur usw. und Architektur wurden. Der Ort also, wo die Differenzen aufgelöst werden und eine Synthese stattfinden kann, bei der filmische Qualitäten in architektonische Räume fließen, wie das programmatisch im Parc de la Villette der Fall war. Von seinen neueren Projekten sei vor allem Le Fresnoy (1991–1997) erwähnt, bei dem er die Aufgabenstellung des Wettbewerbs – das Abreißen der bestehenden Hallen und ein neues Projekt an der Stelle des Alten – brillant umgekehrt hat, indem er über die bestehenden Hallen ein neues Dach gebaut hat, um diese zu schützen. Was an diesem Projekt so besonders ist, ist das System von Erschließungen, das zwischen den Dächern – den bestehenden und dem neuen – einen Zwischenraum erleben lässt, den man zuvor nicht erleben konnte.

Peter Zumthor Es ist kein Zufall, dass Peter Zumthor die Architektur von Louis Kahn bewundert, beide Architekten haben es geschafft, mit formal sehr unterschiedlichen Mitteln in ihren Gebäuden eine sehr starke räumliche Wirkung zu erzielen. Zumthor beschreibt die Entdeckung der Architektur von Kahn folgendermassen: „Mir ist zum ersten Mal das Buch von Heinz Ronner in die Hände gefallen, das hat mich sehr beeindruckt: Diese räumliche Konzeption, eine Ordnung von Räumen, Serien von Räumen, geschlossene Räume, offene Räume, Zwischenräume. Das hatte ich damals so noch nie gesehen, in dieser Klarheit. Da war auch eine gewisse Repetition drin, auf eine neue Art und Weise, aber die Hierarchie der Räume war interessant. Und dann hat man gesehen, dass das sehr direkt an der wirklichen Erfahrung der Räume fest gemacht war. Das ist mir immer geblieben. Ich bin eigentlich nur an Architekten interessiert, die an Räumen interessiert sind. Und das hat man bei ihm gespürt. Ein grosses, architektonisches Interesse, an Licht, an Schatten, an wirklichen Räumen.“66 2006 veröffentlichte Zumthor ein Buch mit dem Titel Atmosphären, in dem er seine Projekte und seine Art, zu entwerfen, erläutert, bezeichnenderweise nicht mit Bildern dieser Projekte, sondern mit „atmosphärischen“ Bildern, die ihn beeinflusst haben. Damit versucht Zumthor auch zu zeigen, was er von diesen Bildern gelernt hat – welche Qualitäten hat ein bestimmter Raum, wie kann ich etwas ähnliches in meinen eigenen Projekten erreichen?67 Zumthor spricht dabei von „Bildern der Erinnerung“, die er beim Entwerfen abrufen könne.68 Mit Bezug auf Goethe betont er, wie es ihm darum gehe, zu verstehen, was und wie er etwas wahrnimmt, als „Sehlustiger“.69 Zumthor befasst sich also sehr stark mit dem Machen der Architektur und der Art und Weise, wie man durch dieses Machen bestimmte Qualitäten in die Architektur einfließen lassen kann. Entwerfen bezeichnet er dabei als „assoziatives, wildes, freies, geordnetes und systematisches Denken in Bildern,

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in architektonischen, räumlichen, farbigen und sinnlichen Bildern – das ist meine liebste Definition des Entwerfens“.70 Diese Fragen versucht er auch in der Lehre zu vermitteln, betont dabei, dass jeder Student eine solche Erinnerung von Räumen und Situationen, die ihn beeinflusst und die auf ihn nachhaltig gewirkt haben, mitbringe und er lernen müsse, diese in seinen Entwürfen abzurufen.71 Zumthor selber hat entsprechend eine eigene Methodik und Instrumente entwickelt, um dieses Ziel zu erreichen, es handelt sich meistens um übergrosse Modelle, die möglichst realistisch sein und bereits einen Eindruck der Wirkung der Räume, Materialien und der Lichtstimmung geben sollen. Er arbeitet zudem mit Skizzen, die meist sehr abstrakt und mit dicken Farbstiften vom Suchen dieser Stimmungen erzählen. Das Buch Atmosphären kann sehr gut mit der bereits erwähnten Scientific Autobiography von Aldo Rossi von 1981 verglichen werden, da auch dort die eigene Architektur nicht unmittelbar gezeigt wird, sondern Stimmungsbilder aus seinem Umfeld, die ebenfalls Bilder der Erinnerung sind und die er auf seine Projekte hat wirken lassen. Es ist wohl kein Zufall, dass auch Rossi dort von „Atmosphäre“ spricht, wenn auch nur am Rande, im Zusammenhang mit dem italienischen Wort tempo. Er unterstreicht dabei die doppelte Bedeutung dieses Wortes, sowohl als Zeit wie auch als Wetter, Atmosphäre.72

Raumtheorie Die Besprechung dieser fünf Architekten bildet die Grundlage einer architektonischen Theorie des Raums, die leider noch aussteht. Es wären noch viele andere zu ergänzen, wie der Japaner Kazuo Shinohara (1925–2006), der sich ebenfalls auch theoretisch mit der Frage des Raums – gerade hinsichtlich der Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Raumtheorien – auseinandergesetzt hat.73 Oder von Christian Kerez, der sich – von Shinohara beeinflusst – ebenfalls intensiv mit dem Thema befasst hat.74 Die bemerkenswerten räumlichen Qualitäten ihrer Projekte zeugen von dieser Auseinandersetzung. Diese Theorie des Raums ist auch eine Theorie der Bewegung der Körper im Raum, wie ebenfalls Pouillon in Singende Steine unterstreicht, wenn er zwischen dem „zweidimensional gezeichnete[n] Plan“, der „keine wirkliche Beurteilung zu[lässt]“, und „[der] bewegte[n] Wahrnehmung des Bauwerks“75 unterscheidet. Ergänzt werden sollte diese Theorie auch durch die Erkenntnisse aus der kognitivien Psychologie und sonst aus den Neurowissenschaften, die vieles über die Art und Weise, wie wir (räumlich) denken, verraten können. Es sei an dieser Stelle nochmals auf das Buch von Harry Mallgrave, The Architect’s Brain, von 2010 verwiesen, das eine ausgezeichnete Übersicht über das Thema vermittelt.76

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All diese Versuche zeugen von der episodischen Erkenntnis um die Rolle der Wahrnehmung und Produktion von Raum in der Architektur und ihr Scheitern an der Unmöglichkeit einer vollendeten Raumtheorie, die aber gleichwohl als „unvollendet“ im Mittelpunkt jeder Architekturausbildung stehen sollte.

M E TAPHER UND A RCHITEK TUR 77 „Im Übergang der Brücke treten die Ufer erst als Ufer hervor. Die Brücke lässt sie eigens gegeneinander über liegen. Die andere Seite ist durch die Brücke gegen die eine abgesetzt. Die Ufer ziehen auch nicht als gleichgültige Grenzstreifen des festen Landes den Strom entlang. Die Brücke bringt mit den Ufern jeweils die eine und die andere Welt der rückwärtigen Uferlandschaft an den Strom. Sie bringt Strom und Ufer und Land in die wechselseitige Nachbarschaft. Die Brücke versammelt die Erde als Landschaft um den Strom.“ M ARTIN H EIDEGGER , 195178

Architektur könnte man, aufgrund des bisher Gesagten, als eine Brücke beschreiben, die verschiedene Pole und Extreme verbindet und sich über einen (Leer-)Raum spannt. Die Tatsache, dass sie eine Brücke ist, bedeutet, dass man stets in Bewegung ist, von einem Ufer zum anderen, man nicht stehen bleiben kann. Man steht über dem Raum unter der Brücke, diesen kann man aber nicht besitzen, nicht begreifen, und weil es den Raum gibt, braucht es auch die Brücke – die Architektur –, die alles versammelt, wie es Heidegger betont (auch wenn er seine Metapher weiter ausführt als hier besprochen). Die Brücke/Architektur verbindet die zwei Ufer und damit das Unvereinbare: Wissenschaft und Kunst, Handwerk und Technik, Autonomie und Engagement etc. Der bereits zitierte Viel De Saint-Maux erklärte die Überlegenheit der Architektur gegenüber den anderen Künsten damit, dass Erstere sich im Mittelpunkt allen Wissens befinde, sie somit die einzige Disziplin sei, die ein Teil allen anderen Wissens sei.79 Die Architektur steht in der Mitte, aber sie steht nicht auf dem Grund der Dinge, sondern über dem Grund, den sie nicht erreichen kann: den Raum. Das ist gleichzeitig das Paradox und die Qualität der Architektur. Die Architektur ist eine Brücke, sie bindet und löst über eine unerreichbare Leere hinweg, die sie überbrückt, aber nie umfassen kann. Es ist kein Zufall, dass ich, um die Architektur zu beschreiben, eine Metapher – die Brücke –verwendet habe. Metaphern sind seit der Antike Bestandteil

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der Architektur, sowohl in der Entwurfssprache wie im Diskurs über die Architektur aufgrund dieser Konvergenzen. Wieso aber besteht eine solch starke Beziehung zwischen Architektur und Metaphern? Es gibt im Wesentlichen zwei Gründen. Der erste – das Beispiel der Brücke – liegt in der instabilen Natur der Architektur. Die Architektur als Disziplin ist schwer zu verorten, sie ist sowohl Kunst wie Wissenschaft, Handwerk und Technik, Autonomie wie Engagement. Sie ist eine eigentümliche Überlagerung und Verbindung von Antinomien. Dabei entwickeln sich immer wieder neue Formen und Gleichwichte zwischen diesen Polen. Auch die Metapher funktioniert auf eine vergleichbare Art und Weise, weil sie zwei Extreme – Bildspeicher und Bildspender – vereint, die derart vereint eigentlich gar nicht bestehen könnten. Metaphern sind immer vage und instabil, sie nehmen keine endgültige Form an. Aus diesem Grund verweisen die unzähligen Metaphern der Architektur auf dieses wesenhaft Vergleichbare von Metapher und Architektur. So wie die Metapher, weil sie Gegensätze zusammenbringt, instabil und vage bleibt, so ist die Disziplin Architektur instabil und „weich“: Sie kann, was den Entwurfsprozess angeht, auch keinen stabilen (End-)Zustand erreichen, da an der „Schnittstelle von Kunst, Technik und Wissenschaft“ ein „instabile[s] Feld von Widersprüchen“ entsteht. 80 Dennoch entsteht bei der Architektur ein Projekt als Synthese, das diese Widersprüche irgendwie verfestigen muss. Die Metapher hingegen bleibt auf der Ebene der Sprache. Diese Spiegelung von Metapher und Architektur ist eben mit der Metapher der Brücke am deutlichsten erklärbar. Der zweite Grund für die häufige Verwendung von Metaphern in der Architektur ist problematischer und wiederum an die Frage des Raums geknüpft: Metaphern werden in der Sprache nicht zuletzt deshalb verwendet, weil sie Bilder von etwas schaffen, von dem man sich eigentlich gar kein Bild machen kann. Das klassische Beispiel wäre „Richard ist ein Löwe“. Ich kann mir das zwar nicht unmittelbar als Bild vor Augen führen – höchstens als Chimäre, halb Mensch, halb Tier –, aber ich kann den Sinn trotzdem verbildlichen und mir vorstellen, was gemeint ist. Brauchen wir in der Sprache die Metapher, um etwas zu beschreiben, was sonst nicht beschreibbar wäre – nicht zuletzt auch im kreativen Sinne –, so sind die Metaphern nie wortwörtlich zu nehmen, sondern immer figürlich zu verstehen. In der Architektur brauchen wir Metaphern wiederum, um das zu beschreiben, was nicht sein kann, die Architektur als wörtliche Verbindung – Projekt als Synthese – dessen, was schwer oder kaum verbunden werden kann: Kunst und Wissenschaft, Technik und Handwerk, Autonomie oder Engagement usw., sowie der Raum. Dieser kann nur über Metaphern und nur annähernd beschrieben werden, weil es keine eigentliche Sprache der Architektur gibt. Metaphern helfen der Annäherung an

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das, was nie erreicht werden kann. Es gibt keine Sprache des Raums, nur eine metaphorische Annäherung an den Raum der Architektur, die aber meistens unbewusst geblieben ist. Fehlt eine Begrifflichkeit des Raums, so bedeutet das, wenn man den „Begriff als Ersetzung der Gegenwärtigkeit“ versteht, dass Raum gerade diese Gegenwärtigkeit ausmacht. 81 Es gibt keine Begrifflichkeit des Raums, weil dieser nur individuell erlebt werden kann. Der Begriff ist nämlich „aus der actio per distans, aus dem Handeln auf räumliche und zeitliche Entfernung entstanden“82 und nicht aus dem unmittelbaren Erleben, was im Raum geschieht, denn das „Ideal der Klarheit gehört seinem Ursprung nach der räumlichen Distanz“. 83 Die Metapher ersetzt diese fehlende klare Begrifflichkeit durch ihre bildhafte, ungenaue und „unwahre“ Sprache. Trotzdem wurden und werden Metaphern immer wieder zu selbstständigen Bildern, die wortwörtlich in die Architektur umgesetzt werden, d.h., das Bild wird zur Architektur. Es ist folglich nicht überraschend, wenn Charles Jencks den Metaphern ein Kapitel seines The Language of Post-modern Architecture widmet.

Metaphorologie Metaphern genossen und genießen heute noch einen schlechten Ruf, als Schmuck, als Ornament der Sprache, die im Rahmen der Rhetorik auch vom eigentlichen Sinn wegführen. In Wirklichkeit hatten die Metaphern bereits in der Antike vielfältige Aufgaben, sie sollten nämlich – im De optimo genere oratorum (46 v. Chr.) von Cicero – nicht nur delectare (erfreuen) und movere (bewegen), sondern auch docere (lehren). An den Metaphern wurden vor allem ihre „bildliche Evokation, die verborgene Sinnwelten herauf beschwört“, die „Durchsetzung fragwürdiger Autoritäten“ und die „trügerische Evidenz metapherngeleiteter Argumentationswege“ kritisiert. 84 Trotzdem haben Metaphern nach dem Zweiten Weltkrieg eine Renaissance erlebt, vor allem im Kontext der Wissenschaftstheorie, wo man sich über deren Potenzial, Fortschritte und Veränderungen auszulösen, bewusst wurde. Metaphern bestimmen die Art, wie wir denken, und erlauben es, Modelle zu formulieren von etwas, das eigentlich gar nicht vorstellbar ist. Entsprechend findet sich vor allem in der Wissenschaftstheorie – und erstaunlicherweise nicht in der Literaturwissenschaft – eine sehr große Anzahl an Untersuchungen über Metaphern. 85 Ralf Konersmann betont, dass es in der „Vermittlungsfunktion begründet [ist], dass die Metaphern des Wissens transponiert und in vielfältiger Weise fortgesponnen werden können.“86

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Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute keine Einigung darüber besteht, wie Metaphern wirklich wirken und was sie genau sind. 87 Auch sind sie stark vom Kontext abhängig und wirken sehr unterschiedlich, je nachdem, ob sie in einem Architekturtext oder in einem wissenschaftlichen Bericht vorkommen. Es gibt deswegen noch heute keine eigentliche Theorie der Metapher, im Sinne einer Metaphorologie, sondern nur verschiedene Arbeiten, die spezifische Wirkungen in spezifischen Kontexten der Metapher besprechen. Einer der wenigen Versuche einer Metaphorologie findet sich beim bereits zitierten Philosophen Hans Blumenberg (1920–1996), der ihr 1960 ein Buch – Paradigmen zu einer Metaphorologie – gewidmet hat. Blumenberg beschreibt die Metaphern als etwas Produktives, das beim Übergang von Mythos zu Logos übrigbleibe, weil es nicht vollständig im Bereich der Logik verbleiben bzw. nicht logisch erklärt werden kann. Sie stehen für das, was nie wörtlich werden kann. Aufgrund der Tatsache, dass Metaphern nicht durch Logik beschrieben werden können, nennt er diese unmögliche logische Metapher „absolute Metapher“. Zu diesem Zweck bespricht Blumenberg eine ganze Reihe von Metaphern, unter anderem jene des „Buches“, die er 1979 in Die Lesbarkeit der Welt im Detail untersuchen wird. Seine Metaphorologie – die er selbst als etwas unmöglich zu Realisierendes bezeichnet – beruht nicht zuletzt auf dem Versuch einer Systematisierung der Metaphern. Auch der französische Philosoph Jacques Derrida (1930-2004) hat dem Thema Metaphern 1971 eine einleuchtende Studie, „La mythologie blanche“, gewidmet, wobei auch für ihn der zentrale Punkt die Unmöglichkeit einer „Wörtlichkeit“ der Metaphern ist. Im Rahmen seiner Kritik des Logozentrismus entspricht dieser Glaube an eine eigentliche, wörtliche Bedeutung der Metapher – im Reich des Logos von Blumenberg – dem Glauben an eine absolute Wahrheit, die Derrida hinterfragt. 88 Derrida spricht von der Notwendigkeit einer Analyse der Metapher im Kontext der Philosophie, wozu aber ein Leben wohl nicht genügen werde. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht der Begriff der usure – des Verbrauchs; Metaphern verbrauchen sich, wenn sie zur Anwendung kommen, und immer neue Metaphern werden eingeführt, um diesem Verbrauch entgegenzuwirken. Dazu kommt, dass man eine Metapher nur mit einer anderen Metapher erklären kann. Metaphern sind andauernd in Bewegung, lassen sich nicht festhalten, sie sind in einem Zustand des skidding – wie er ihn nennt –, des Schleuderns oder Rutschens. 1978 kommt Derrida wieder auf das Thema der Metaphern zu sprechen, in Antwort auf eine Kritik von Paul Ricœur, der in seinem Buch La metaphore vive 1975 Derridas Theorie hinterfragt hatte. Derrida spricht hier wieder sowohl die Unmöglichkeit einer eigentlichen, wörtlichen Bedeutung der Metapher an wie

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auch, den metaphorischen Prozess zu stoppen. Der einzige Weg, um die Metapher in ihrem Prozess zu stoppen, würde nämlich ihre Zerstörung bedeuten. Die Untersuchungen von Blumenberg und Derrida bestätigen und ergänzen die Annahmen, die ich eingangs in Bezug auf die Relation von Architektur und Metapher besprochen habe: die wandelbare, instabile Natur der Metaphern und die Unmöglichkeit einer eigentlichen, wörtlichen Bedeutung und ihrer Konsequenzen für die Architektur. Wie wörtlich können dabei die Metaphern in einem Gebäude werden, wenn die Metapher eigentlich nie wörtlich sein kann? Beschreibt die Metapher einen Prozess, ist sie inhaltlich und muss als Entwurfsstrategie übersetzt werden (wurde aber oft auch als Bild des Prozesses übersetzt, wie bei den Metabolisten). Beschreibt sie ein Bild, wird sie auch als Bild übersetzt. Bleibt es beim Vergleich, handelt es sich um eine Analogie und nicht um eine Metapher. Bei Peter Eisenman zum Beispiel, der zwischen 1978 und 1986 die Metapher der „Stadt als Text“ verwendet, verweist die Text-Metapher nicht auf Bücher oder wörtliche Texte, sondern auf die Schreibstrategien verschiedener Autoren der amerikanischen Postmoderne wie William Gass oder Thomas Pynchon. Eisenman versucht deren Schreibstrategien als Entwurfsmethoden zu übersetzen. Damit geht es nicht um ein Bild, das aus der Literatur in die Architektur übersetzt wird, sondern um einen Prozess, mit dem eine ähnliche Wirkung wie in der Literatur erreicht werden soll. Wie der Leser eines Romans von Pynchon ein bestimmtes Gefühl der Verwirrung haben wird, soll der Besucher eines seiner Projekte ähnliches im gebauten Raum erleben. Mallgrave betont dabei, dass auch die Metaphern der Antike und der Renaissance, vor allem jene, die auf den Körper Bezug genommen haben, von einer unmittelbaren und nicht figürlichen Beziehung zwischen Leben und Architektur zeugen. 89 Diese Problematik wurde bisher selten reflektiert. Ein Beispiel stammt von dem französischen Sprachwissenschaftler Roland Barthes, der in einem kurzen Text von 1970 auf das Verhältnis von Stadt und Sprache Bezug genommen hat und zum folgenreichen Schluss kam, dass der wahre Fortschritt darin liege, von der Sprache der Stadt in einem nichtmetaphorischen Sinne zu sprechen. 90 Damit nimmt er die Sprache der Stadt wörtlich und eben nicht figürlich, wie das in der Architektur meistens geschehen ist. Diese Wörtlichkeit sollte aber nicht in einem Bild der Metaphern enden, sondern in einer Übersetzung der metaphorischen Prozesse wie bei Eisenman. Vor ihm hatte bereits Claude Lévi-Strauss 1955 davor gewarnt, eine Stadt metaphorisch mit einem Gedicht zu vergleichen, wobei er eher die Grenzen eines solchen Vergleichs wahrgenommen hatte.91 Spätere Hinweise finden sich in der Arbeit von Peter Collins92 oder Spiro Kostof, die in ihren Werken bewusst nur von Analogie und nicht von Metapher sprechen. Kostof unterstreicht dabei die Tatsache, dass es sich bei den biologischen Referenzen im Städtebau

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nur um Analogien handele.93 Die Architektur wäre dann eine Brücke im Sinne einer Analogie, nicht einer Metapher. Es ist bezeichnend, dass Aldo Rossi nicht von der Metapher, sondern von der Analogie und der analogen Architektur spricht: Dabei geht es ihm weniger um das metaphorische Verschmelzen von Gegensätzen als das Nebeneinander der Unterschiede, wie das in seinen Projekten, insbesondere beim Deutschen historischen Museum in Berlin von 1988 zum Ausdruck gekommen ist. Abbildung 75, Beispiel organischer Metapher bei Gaston Bardet, 1941

Die Modelle/Projekte, die wir mit Metaphern schaffen, werden also irgendwann wörtlich und dann meistens als Bild in das Projekt übersetzt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Absage jeglicher „metaphorischen“ Interpretation ihrer „Wolke“ in Yverdon durch Diller & Scofidio. Man solle dieses Projekt eben nicht in einer postmodernen Bilderwelt vereinfachen.94 Auch das Atelier Bow Wow mit seinen subtilen städtebaulichen Analysen erteilt den metaphorischen Vorbildern, die die Stadt auf „Bilder“ reduziert haben und damit ihrer Komplexität nicht gerecht wurden, eine Absage.95 Dennoch gehören Metaphern zur Architektur, wir brauchen sie, um Modelle zu entwerfen – diese sollten die metaphorischen Anleihen als Prozesse und nicht als Bilder übertragen –, und vor allem zeigen sie uns immer wieder, was die Architektur eigentlich ist: eine Brücke, ein Prozess der Übertragung, der als solcher aber immer instabil bleibt und nicht, selbst wenn in einem Gebäude realisiert, ruhen kann. Die Brücke/Architektur spannt ein Projekt zwischen den Gegensätzen über den unerreichbaren – weil un-beschreibbaren – Raum auf. Die Brücke ist dabei auch der Weg, den man zum Projekt beschreitet über die Methoden – griechisch „der Weg“ – des Entwurfs. Sich als Architekt dieses Wegs über die Brücke bewusst zu werden, impliziert auch das Reflektieren

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über die Methoden des Entwerfens. Blumenberg hält fest, dass „[e]ine Methodenlehre […] die Schritte auf einem Wege nach einer Regel [beschreibt]. Insoweit kann sie strikt begrifflich vorgehen. Aber die Vorstellung des Weges ist bezogen auf eine Totalität, die sich schwerlich anders als metaphorisch angeben lässt: der Weg führt durch eine Landschaft, er umgeht oder überbrückt Hindernisse, im günstigsten Fall hat er sogar ein Ziel, statt zum Ausgangspunkt zurückzuführen.“96 Die Totalität, von der Blumenberg spricht, wäre in der Architektur einerseits der Entwurf, andererseits der Raum, beide lassen sich aber nur metaphorischen beschreiben. Wenn sich dann die Architektur in Stein verwandelt, verliert sie auch jegliche metaphorische Qualität, außer sie wird zu einem postmodernen Bild-Ausdruck der Metapher oder, wie die Projekte von Behrens und Fischer, verwirklicht diese Spannung im Gebäude und wird ablesbar. Diese Auseinandersetzung zeigt uns, dass nicht nur die Metapher die Architektur erklären kann, sondern auch umgekehrt die Architektur die Metapher. Die Architektur ist Metapher, und die Metapher ist Architektur.

U TOPIE UND A RCHITEK TUR (A RCHITEK TUR Z WISCHEN A UTONOMIE , H E TERONOMIE UND E NGAGEMENT II) 97 Der introvertierte Gedankenarchitekt wohnt hinter dem Mond, den die extrovertierten Techniker beschlagnahmen. THEODOR A DORNO, 1966 98

Die Utopie scheint ein überholtes Thema zu sein, nicht zuletzt für die Architektur, die mit dem Projekt von Rem Koolhaas/OMA, Exodus, or The Voluntary Prisoners of Architecture, von 1972 wohl das letzte große utopische Projekt feiert, während Koolhaas selber später jede Form von Utopie stark kritisiert.99 Aufgrund des bisher Gesagten scheint die Kritik der Utopie nicht zuletzt eine Kritik der Architekur beziehungsweise ihrer utopischen Natur zu sein, die die Architektur selber immer wieder zu verdrängen versucht hat. Gerade deswegen ermöglicht eine Besprechung der Utopie verschiedene Befragungen der Architektur, auch mit Bezug auf ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft, womit wir wieder an die Frage der Autonomie und der Heteronomie, des Engagements und der Partizipation anknüpfen können. Meine erste Auseinandersetzung mit dem Thema geht zurück auf eine Einladung des Direktors der Saline Royale in Arc-et-Senans (1778) von Claude Nicolas Ledoux, der mich und meinen Kollegen Brent Patterson angefragt hatte, eine Tagung zum Thema Utopie zu organisieren. Zunächst waren wir sehr skeptisch hinsichtlich der Relevanz und des möglichen Interesses an diesem Thema. Zwar hatten wir bereits mit unseren Studenten von der École Spéciale

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in Paris ein „utopisches“ Projekt an der Saline realisiert – und kaum ein anderer Ort wäre für eine solche Tagung so geeignet –, doch sprach vieles dagegen. Einerseits, weil das Thema aus einer historischen Perspektive mehr als durchleuchtet erschien; unzählige Bücher und Artikel, angefangen mit einem zentralen Buch von Lewis Mumford von 1922 über die Utopien, hatten sich mit den verschiedenen Utopien der Vergangenheit auseinandergesetzt. Auch bestand eine reiche Literatur über die Utopien der 1960er- und 1970er-Jahre (von Archigram, Superstudio, Archizoom usw.), und verschiedene Ausstellungen hatten dieses Thema einem breiten Publikum präsentiert.100 Hier, so schien es, gäbe es wenig hinzuzufügen, vielleicht eine kritische Hinterfragung einzelner dieser Bewegungen, die allzu begeistert zelebriert worden waren, nicht zuletzt vor dem Hintergrund dessen, wovon sie mit ihren Utopien geflüchtet sind, aber wenig mehr. 101 Abbildung 76, Alexandre Goinard, Anna Mallac-Sim, Pauline Marie d’Avigneau, Marco Lavit Nicora, Fermons l’oeil, École Spéciale d’architecture de Paris/Saline Royale, Siegerprojekt des Wettbewerbs der Centre de Rencontres Culturelles, 2009

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Andererseits waren wir vom Thema wenig angetan, weil neben dem inflationären Gebrauch des Begriffs „Utopie“ in den Medien und allgemein in der Populärkultur – der auch die Dehnbarkeit des Begriffs unterstreicht – dieser im heutigen Architektur- und Städtebaudiskurs kaum verwendet wird und somit seine Nützlichkeit, um zeitgenössische Probleme und Themen anzusprechen und zu durchleuchten, infrage gestellt ist. 102 Im Gegenteil, die Utopie scheint ein überholtes Thema, das eher für eine antiquierte Betrachtungsweise steht; das Kollektiv Raumlabor betitelte eine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz 2010 bezeichnenderweise mit Bye bye Utopia und wollte damit eine auf Interventionen in der Realität abgerichtete Praxis beschreiben, die entsprechend alles andere als utopisch ist und im Rückgriff auf die Utopie ein Versagen und Verzagen kritisiert. 103 Utopie wird somit als Gegensatz zu Partizipation und Engagement gesehen. Zwar behauptet der französische Städtebautheoretiker Thierry Paquot in einer Ausgabe seiner dem Thema Utopie gewidmeten Zeitschrift L’urbanisme 2004, dass das Thema in zyklischen Abständen immer wieder auftauche, trotzdem scheint es in den letzten Jahren vollkommen verschwunden zu sein. 104 Doch gerade das Fehlen der Utopie kann möglicherweise mehr über die Architektur verraten als seine Anwesenheit, so die Motivation zu einer Tagung zu diesem Thema. Das Fehlen der Utopie ist nämlich, weil wir in einer Zeit der multiplen Krisen leben – ökonomischen, sozialen, aber auch städtebaulichen – suspekt. Der slowenische Psychoanalytiker Slavoj Žižek (geb. 1949) formulierte im Rahmen einer bemerkenswerten Gesprächsrunde mit Peter Sloterdijk, die im Mai 2011 in Paris stattgefunden hat, vier Krisen/Probleme, die unsere Zeit bestimmen: die ökologische Krise, das undemokratische chinesische Kapitalismusmodell, die biogenetische Revolution mit ihren Folgen sowie die wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten.105 Bezeichnenderweise erschienen in der Vorbereitungszeit zur Tagung dann doch eine ganze Reihe von Zeitschriften und Aufsätzen zum Thema Utopie im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise. Allen gemeinsam war die Verwunderung, dass eine solche Krise keine Utopien hervorgerufen hätte. Le Monde diplomatique zum Beispiel widmete dem Thema eine seiner Sonderausgaben, 106 darin beklagte der Journalist Dominique Vidal das Fehlen eines Ideals und der allgemein defensiven Haltung der Bevölkerung, die mehr bedacht sei, Privilegien zu verteidigen als nach besseren Zuständen und Lebensbedingungen zu streben. 107 Diesem Wunsch entsprachen aber später die vielen Reaktionen, wie Occupy Wall Street oder die Proteste in der Türkei. Diese Rolle der Utopie als Infragestellung und das Sich-nicht-zufrieden-Geben könnte man mit Ernst Bloch – und seiner während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Trilogie Das Prinzip Hoffnung – illustrieren. Die Sozialutopie be-

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zeichnet er „als ein Teil der Kraft, sich zu verwundern und das Gegebene so wenig selbstverständlich zu finden, dass nur seine Veränderung einzuleuchten vermag“. 108 Zentrale Unterscheidung ist jene zwischen „Hoffnung“ und „Flucht“ durch Tagträume. Dabei entstehen die Utopien von Plato und von Thomas Morus, zwei der klassischen Utopien, wie es Lewis Mumford unterstreicht, gerade in Zeiten höchster Krise: der gesellschaftlichen Auflösung nach dem Peloponnesischen Krieg für Plato, dem Übergang vom Mittelalter zur Renaissance für Morus. 109 Auch Emile Magne (1877–1953) betont, wie gerade die Vorstellung eines utopischen zukünftigen Staates auf den Ursprung der Welt zurückgeht und dabei sowohl Hoffnung wie die Vorstellung vermehrter Tugend der Menschen beinhaltet. 110 Und wie sagte es August Endell bereits 1908 so treffend: „Ohne Ideale ist ein Leben überhaupt nicht denkbar.“111 Auch die interdisziplinäre Zeitschrift Cités kam fast gleichzeitig mit einer Ausgabe zum Thema Utopie heraus. Yves Alain Zarka äußerte in seinem Editorial keine große Hoffnung gegenüber dem Modell der Utopie, was sein Titel zusammenfasst: Il n’y a plus d’ailleurs, es gibt kein anderswo mehr, im Sinne der Möglichkeit einer Utopie, die einen anderen, besseren Ort eröffnet.112 Damit wäre auch eine Antwort auf die Frage gefunden, wieso die vielen tiefgreifende Krisen, die uns umgeben, nach keinen Utopien rufen: Es gibt keine Möglichkeit beziehungsweise keinen Glauben mehr an einen Ausweg aus dieser Krise. Oft aber sind die Utopien nicht nur kritisch, sondern machen das Jetzt annehmbar („tolerable“).113 Manfredo Tafuri spricht in diesem Zusammenhang von „regressiven Utopien“, die die Zeit anhalten möchten. 114 Trotzdem, Utopien sind mehr als Flucht, sondern vor allem Kritik des Jetzt, mit dem Ziel, diesem Jetzt ein besseres Jetzt gegenüberzustellen. Die einführenden Referenzen scheinen die Abwesenheit der Utopie und damit die Antwort auf diese Frage auf zweierlei Weise zu begründen: der aussichtslosen Situation und damit verbunden der fehlenden Kampfkraft jener, die sich vor dem Hintergrund der Niederlagen der Vergangenheit nicht zufrieden geben sollten. Wir haben die Hoffnung auf eine bessere Welt, auch über die Kritik dieser Welt durch die Utopie, aufgegeben. Gerade die Art, wie das kapitalistische System in der westlichen Gesellschaft alles eingegliedert hat, erklärt möglicherweise das Fehlen von Utopien: Es macht jedes (utopische) Ausbrechen unmöglich, wenn selbst das Ausbrechen vermarktet wird. In den Worten von Adorno und Horkheimer: „Kein Ausdruck bietet sich mehr an, der nicht zum Einverständnis mit herrschenden Denkrichtungen hinstrebte, und was die abgegriffene Sprache nicht selbsttätig leistet, wird von den gesellschaftlichen Maschinerien präzis nachgeholt.“115

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Befindet sich die westliche Gesellschaft also in einem Zustand der Krise, stellt sich die Frage, wieso wir keine Hoffnung haben (und ob Hoffnung notwendigerweise nur durch Utopie artikuliert werden kann) und wieso die Projektion eines anderes Ortes gerade auch durch die Architektur, die so vielen Utopien durch ihre räumliche Ausformulierung erst einen Sinn gegeben hat, so aussichtslos ist. Architektonische Utopie sowohl im Sinne eines gesellschaftskritischen Projekts wie des Monumento Continuo von Superstudio (zum ersten Mal im Rahmen der Grazer Biennale Trigon 1969 ausformuliert), das durch eine Überhöhung des Realen dieses in seiner ganzen tragischen Tragweite räumlich vor Augen stellt (eine Dystopie also), als auch eines eher bejahenden Projekts wie jenem von Archigram, das in seiner Vermischung von Pop und Technologie eine durchaus positive Utopie für die Zukunft vertrat. Um eine Antwort zu finden, muss man von einer generellen Behauptung ausgehen: Heutzutage sind wir nicht nur scheinbar ausweglos im kapitalistischen System gefangen, dieses hat auch dazu geführt, dass es keinen „Ort“ mehr gibt. Wir leben in einem Zustand der Atopie, der Ortlosigkeit (nicht zuletzt ausgelöst durch die pervasive Welt der Medien, der Kommunikationstechnologien, die eine uns umfassende virtuelle Welt aufgebaut haben), in identitätslosen Lebens- und Gesellschaftsformen wie dem sprawl oder den Einkaufszentren. Es ist kein Zufall, dass der Ethnologe Marc Augé, der mit seinem bemerkenswerten Buch Nicht-Orte von 1992 diesen neuen gesellschaftlichen Formen einen Namen gegeben hat, im Nicht-Ort das Gegenteil von Utopie erkennt. 116 Wir leben also in einem Zustand der verwirklichten Utopie im Sinne eines anderen, nicht erreichbaren Ortes, nur dass sich dieser als Alptraum der Eigenschaftslosigkeit und der Abstraktion erwiesen hat. 117 Gegenüber diesem Zustand der Ortlosigkeit lassen sich in der zeitgenössischen Architektur zwei mögliche Reaktionen erkennen: Die erste sieht diesen Zustand als unumgänglich an und versucht, das Beste daraus zu machen, oft in großem Maßstab; die andere versucht, dagegen anzugehen und aus dem Nicht-Ort einen Ort werden zu lassen, dies geschieht meistens auf einer maßstäblich sehr kleinen Ebene und mit einer Absage an den Architekten als „grossen“ Planer. Das zurzeit sehr erfolgreiche dänische Architekturbüro BIG hat in der Person von Bjarke Ingels ein Manifest der ersten Haltung verfasst. In einem 2009 veröffentlichten Buch konstruiert es eine Art Herleitung seines Leitgedankens, die zugleich dessen Titel ist: „Yes is more.“ Diese Herleitung – und BIG bezieht sich dabei explizit auf Charles Darwin – baut auf eine Reihe von Referenzen und deren Leitgedanken auf – Rem Koolhaas, Philip Johnson, Robert Venturi und Barack Obama – und kulminiert in einem Bild von Ingels selber, der provokativ, die Beine auf dem Tisch, diesen Leitgedanken verkörpern soll. Ihre Haltung umschreiben sie als „pragmatic utopianism“ und als die Überla-

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gerung von zwei unfruchtbaren Extremen: des „petrifying pragmatic“ und des „naively utopian“. 118 Es ist natürlich so, dass Utopien niemals pragmatisch sein können, dabei verlören sie ihr gesamtes kritisches Potenzial. Die Verwendung des Begriffs Utopie zeigt, wie dieser im Zusammenhang mit der Arbeit von BIG als leere Worthülse verwendet wird. Utopie wird hier dem affirmativen Leitgedanken des Büros untergeordnet. Interessanterweise beinhaltet die Herleitung ihres Leitspruches Yes is more eine wichtige Auslassung: Rem Koolhaas wird mit dem Spruch „more is more is more“ eingeführt, die Verwendung eines anderen seiner Sprüche wäre aber naheliegender gewesen, nämlich das affirmative „¥€$“, zusammengesetzt aus den Symbolen für Yen, Euro und Dollar, womit Koolhaas seine programmatische Komplizenschaft mit dem kapitalistischen System 1999 ankündigte. 119 Dieses Auslassen lässt vermuten, dass BIG sich zwar einer gewissen Marktlogik verschreibt, sich dazu aber trotzdem nicht allzu öffentlich bekennen will, wie Koolhaas es gemacht hat. „¥€$ is more“ hätte einerseits einen zu starken Verweis auf Koolhaas bedeutet, andererseits die gewünschte Ironie und „Leichtigkeit“ der Firma kaum vertreten können. Koolhaas selber, wie bereits erwähnt, verwendet harte Worte für die Utopie: Einerseits bedeute sie den heimlichen Wunsch, die Architektur würde einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten, andererseits, und damit verbunden, assoziiert Koolhaas mit der Utopie vor allem deren Misserfolge, die sich in tota quantifizieren lasse. Diese Haltung entspricht dem, was er mit seinem ¥€$ ausdrücken wollte: eine Hingabe ans bestehende System und ein Arbeiten mit den Bedingungen, die dieses zur Verfügung stellt. Koolhaas wertet die Utopie somit als naive Instanz, die gleichwohl eine große, wenn auch meist negative Wirkung erzielt habe. Architektur darf für ihn nicht daran glauben, die Welt verbessern zu können, sie ist unausweichlich Teil des Systems. Auch die Saline Royale, der Austragungsort der Tagung, kann zur Darstellung dieser ersten Haltung herhalten. Dabei wäre sie fast ebenfalls zu einem realen Nicht-Ort geworden: Der letzte Besitzer sprengte die markanten Rustico-Säulen des Direktorenhauses aus Protest, als die Saline unter Denkmalschutz gestellt wurde, ja die ganze Anlage hätte dem TGV, der schlussendlich umgeleitet wurde und dessen Streckenführung heute die Umfriedung der Saline fast berührt, eigentlich zum Opfer fallen müssen. Die Saline ist deswegen von so großer Bedeutung für die hier angesprochenen Fragen, weil sie einerseits eine architektonische Ikone des 18. Jahrhunderts ist, gleichzeitig als Unterdrückungsmaschine konzipiert war (zudem diente sie während des Zweiten Weltkriegs als Internierungslager für Zigeuner), in der die Arbeiter unter schlimmsten Bedingungen arbeiten mussten. Zum Beispiel führten die gefährlichen Dämpfe der Produktionsstätten durch Lukarnen im Dach, keine gute Lösung für die Arbeiter, oder, in den Worten von Anthony Vidler: „[O]bwohl Ledoux glaubte, er habe so das Ideal einer Produktionsstät-

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te entworfen, deren Fenster einen dicken ‚ägyptischen‘ Rauch ausspieen wie von einem primitiven Scheiterhaufen, waren die Arbeitsbedingungen einfach unerträglich. Der schwere Dunst, angereichert mit ätzenden Dämpfen und Partikeln von Russ, machte in dieser fürchterlichen Hitze das Atmen fast unmöglich.“120 Einer Fabrik einen besonderen Ausdruck zu verleihen war eine radikale architektonische Glanzleistung, trotzdem wurde daraus eine unmenschliche Maschine. Bei seinem Entwurf für eine Kanonenschmiede lässt Ledoux hingegen den Rauch expressiv über pyramidale Kamine herausspeien, womit klar ist, dass es sich bei seiner Wahl vor allem um eine ästhetische handelt. Die Saline ist nicht zuletzt deswegen eine so bemerkenswerte Anlage, weil Ledoux sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Grundlage eines Idealstadtentwurfs – der Idealstadt Chaux – machte und den Gesamtentwurf zurückzudatieren versuchte. Obschon die Quellenlage alles andere als gesichert ist, kann man behaupten, dass diese Ausrichtung des Projekts als soziale Utopie in die Zeit seiner Internierung nach der Revolution (Dezember 1793 bis Januar 1795) fällt, wobei er sich vor der Guillotine retten konnte (wie aber Vidler zeigt, mag der Gedanke einer Erweiterung der Saline zu einer Stadt viel früher gefallen sein; ob diese als soziale Utopie gedacht war oder nicht, lässt sich kaum eruieren, ist aber unwahrscheinlich). 121 Dies gelang, obwohl hauptsächlich französische Aristokraten zu seinen Auftraggeber zählten und einer seiner letzten ausgeführten Bauten die Barrières de Paris waren: ein System von Zollhäusern um Paris, die mit als erste dem Hass der aufgebrachten Bevölkerung zum Opfer fielen (was im Spruch „Le mur murant Paris rend Paris murmurant“ verewigt wurde). Nur wenige dieser Zollhäuser überlebten den Volkssturm. Ledoux versuchte also, um seine Läuterung vorzuweisen – es sei dahingestellt, wie ehrlich diese war –, nachträglich aus einem unglaublich radikalen und innovativen, aber „grausamen“ Projekt eine soziale Stadtutopie zu schaffen. Bernard Stoloff hat diese Sachlage in einem Buch mit dem bezeichnenden Titel Die Affäre Ledoux erläutert. 122 Eine ganz andere Richtung schlagen jene Architekten und Gruppen ein, die gegen den bestehenden Zustand reagieren wollen, mit Projekten, die – meist in einem kleinen Maßstab – tatsächlich realisiert werden und meistens auf Partizipation gründen. Es handelt sich um Interventionen, die sich explizit gegen das System richten, indem sie improvisierte, zum Teil ephemere Architekturen erzeugen. Ihr Ziel ist es, aufzuzeigen, wie die Architektur trotz allem einen Beitrag leisten, nämlich aus dem Nicht-Ort einen Ort schaffen kann. Als beste Darstellung dieser Tendenz kann die Ausstellung Small Scale, Big Change: New Architecture of Social Engagement gelten, die 2010/11 im MoMA in New York gezeigt wurde. Der Ausstellungstitel unterstreicht die zwei Hauptthemen der „neuen“ Entwicklung: der kleine Maßstab sowie die soziale Komponente

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso?

dieser Projekte. Gemeinsam sei den ausgestellten Projekten eine Absage gegenüber „grand manifestos“ und „utopian theories“, womit die Utopie klar als Feindbild assoziiert wird. 123 Oder in den Worten des Kurators Andres Lepik (über die ausgestellten Projekte): „They are not intended to solve large, systemic problems by applying preconceived political theories or utopian concepts. Instead, each has identified a specific need and set out to meet it, whether in conjunction with a nongovernmental organization or a larger city initiative. The active participation of the community lends these endeavors additional value.“124 Architektur wird in diesem Fall gerade wegen ihrer Materialhaftigkeit mit Realität assoziiert und so zu einem Hafen der Ruhe innerhalb eines sich auflösenden sozialen Umfelds, gegen dessen Auflösung sie wirken soll.- 125 Einer der Teilnehmer der Tagung, Michel Pregardien, sprach in diesem Zusammenhang treffend von „Edotopia“, ein Oxymoron („hier-Ort“), das mit der Notwendigkeit spielt, aus einem Nicht-Ort einen Ort zu machen. Es ist bezeichnend, dass die beiden oben skizzierten Tendenzen die Utopie verabschieden: die erste, weil die Utopie mit einer Absage des bestehenden Systems assoziiert wird, die zweite, weil sie mit Utopie die Flucht ins Allgemeine, in die Abstraktion assoziiert. Utopie ist hier also insofern ein Thema, als die eingeführten Architekturströmungen das Gegenteil erreichen wollen: realitätsnahe Architektur, weil sie dem kapitalistischen System gehorcht beziehungsweise dieses auf Basis einer alternativen „realen“ Realität herausfordern möchte. Der Begriff Utopie ist also keineswegs aus dem zeitgenössischen Architekturdiskurs verschwunden, er wurde zu einem Lackmustest für das, was die Architektur nicht sein will, eine Art Negativ ihres eigentlichen Vorhabens.

Utopie und Ideologie Eine dritte Tendenz, die sich in der zeitgenössischen Architekturpraxis unter dem Einfluss des computational turns, den wir unter dem Begriff des algorithmischen Entwerfens bereits mehrmals erwähnt haben, abzeichnet, soll an dieser Stelle ebenfalls aus der Perspektive der Utopie besprochen werden. Dazu lohnt es sich, die Utopie um die Ideologie zu erweitern und zu ergänzen. Dabei sei vorweggenommen, dass diese Perspektive vor allem bei den in der Folge zitierten Autoren – Adorno, Horkheimer und Tafuri – im Zeichen marxistischer Ideologiekritik steht, womit Ideologie eine negative Konnotation erfährt und mit Verschleierung gleichgesetzt wird. Dem Verhältnis zwischen Utopie und Ideologie widmete Karl Mannheim (1893–1947) 1929 eine viel beachtete – und viel kritisierte – Studie. Er war damit einer der Ersten, die die beiden Begriffe in ihrem Zusammenhang untersuchten. Utopie bedeutet für ihn „ein Bewusstsein, das sich mit dem es umgebenden ‚Sein‘ nicht in Deckung befindet“ und den Versuch, diesen Zu-

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stand durch ein Handeln zu „sprengen“. 126 Die Ideologie beinhalte ebenfalls „seinstranszendente Vorstellungen“, die aber niemals „zur Verwirklichung des in ihnen vorgestellten Gehaltes gelangen“.127 Damit wird klar, dass die Utopie für Mannheim etwas Transzendentales ist, was eine Veränderung anstrebt, während die Ideologie sich mit einem bestehenden Zustand zufrieden erklärt und darin einrichtet. Von großer Bedeutung für unsere These ist zu betonen, wie in der Realisierung die Inhalte umgebogen werden, d.h. sich anpassen. In der Folge wurden diese beiden Konzepte in ihrem Zusammenhang immer wieder besprochen, diesbezüglich sei aber einzig auf das gleichnamige Buch von Paul Ricœur aus dem Jahr 1986 verwiesen, das aber für die Diskussion hier von keinerlei Belang ist.128 In der Besprechung des algorithmischen Entwerfens müssen wir nun den Fokus auf den Entwurf legen. Das architektonische Machen, der Entwurf, kann nämlich auch als eine Utopie aufgefasst werden, weil es einen Raum zwischen der beeinflussenden Gesellschaft und der Kultur, deren Interpretation durch den Architekten sowie dessen Ausdruck im realisierten Projekt (und damit dessen Auseinandersetzung mit der Realität) eröffnet. Das Machen der Architektur aber auch als größtenteils irrationaler Vorgang, der einen Raum schafft, der nicht vollkommen beherrschbar ist und wo die Inhalte noch „vollkommen“ sind, bevor sie in die Realität umgesetzt werden. Gerade diese Art von Utopie sprach auch Philippe Morel an der Tagung an: Es handle sich um die notwendige Utopie des Architekten als Schöpfer, eine Utopie der Kreativität, die nur im Prozess selber bestehen kann. Utopie nicht zuletzt deshalb, weil das Aufspannen dieses Raums – wie wir in den Lektionen zuvor gesehen haben – oft ein bewusster Prozess der Realitätsverweigerung ist. Das Entwerfen ist somit immer insofern Utopie, als die Realität nie seiner Absolutheit entsprechen wird. Die Umsetzung durch den Entwurf beinhaltet nämlich immer die Gefahr eines Verlusts sowie das Potenzial der Transformation dieser Inhalte in der spezifischen Sprache der Architektur. Dieser Schritt zur Affirmation ist somit ein Schritt, bei dem etwas verloren geht und anderes gewonnen wird. Im Falle des Verlusts liegt dieser für Horkheimer und Adorno besonders in dessen kritischem Gehalt (wobei sich die beiden Autoren allerdings nicht explizit auf die Architektur beziehen): „Die Metamorphosen von Kritik in Affirmation lassen auch den theoretischen Gehalt nicht unberührt, seine Wahrheit verflüchtigt sich.“129 Mit dieser Umsetzung verbunden ist aber auch die Gefahr, dass die Utopie des Entwurfs zum eigentlichen Gehalt der Architektur erhöht wird, dass man darin das wahre Wesen der Architektur erkennt – Autonomie – und die Problematik der Übersetzung ausklammert, ja dass man sich mit dem Realen – Engagement – nicht konfrontiert. Und dass man das Schöpferische des Entwurfs als Vorwand nimmt, um das kritische Potenzial der Konfrontation mit dem Realen zu vernachlässigen. Aus der Utopie des Entwurfs wird dann eine

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Ideologie der Form und der Technologie. Ideologie, weil es die Auseinandersetzung mit dem Realen im Sinne der sozialen Komponente der Architektur flieht und an einen Fortschritt der Architektur glaubt, der aber nur in diesem utopischen Raum des Entwurfs realisiert wird und durch die neuen Technologien bedingt ist. Bereits Manfredo Tafuri kritisierte die Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre als Utopie der Form. Diese Utopie der Form in der Architektur – am Beispiel von Peter Eisenman, aber auch Robert Venturi – sei eine Konsequenz des Untergangs der sozialen Utopie und damit des Aufgebens der Ideologie gegenüber der Logik der Dinge, der Konsumgesellschaft, gewesen. 130 Tafuri setzt hier zwar andere Vorzeichen für Utopie und Ideologie, der Grundgedanke aber ist der gleiche: Der Entwurf seiner Zeitgenossen beschränke sich auf Fragen der Form in Entwurf und Ausführung und vernachlässige die Konfrontation mit dem Realen, in seinen Augen, weil das Reale aussichtslos von der Konsumgesellschaft beherrscht werde. Die Utopie wird zum Vorwand, weil das Reale durch das Projekt nicht kritisch hinterfragt werden kann. Die Architektur sei zwar immer Utopie, weil sie die Realität transzendiere, wenn aber aus dieser Realität selber nicht mehr auszubrechen ist und sie jegliches Ideal verloren hat, dann verliert die Architektur ihre utopische Komponente, wie Tafuri sie zum Beispiel in der Saline wiederfindet: eine Idee, die jenseits des Gebäudes manifest wird. 131 In seiner Kritik der Architektur seiner Zeit betonte er, wie bereits in der ersten Lektion besprochen, deren zwei Extremformen, die er als die Sphäre und das Labyrinth bezeichnete: Entweder bleibt der Architekt in der Welt der autonomen Architektur zurück und betrachtet diese in sich – die Sphäre –, oder er öffnet sich in einem Spiel ohne Ende von Referenzen, die ihn immer weiter von der Architektur wegführen, das Labyrinth und das Engagement. 132 Diese beiden Modelle kann man nun in einer etwas eigenwilligen Interpretation, die Tafuri aufgrund seiner eigenen Unklarheit zum Teil selber verschuldet, auch als Ideologie, die sich nicht mit dem Realen konfrontiert (die Sphäre), und Utopie (das Labyrinth, das sich endlos mit dem Realen konfrontiert) verstehen. Beide sind Teil der Architektur, ja die Spannung zwischen diesen beiden Extremen beschreibt am besten die Realität der Disziplin, im Sinne der negativen Dialektik. Als Illustration dieser doppelten Natur soll die Installation, die Martial Marquet, ein ehemaliger Student der Ecole Spéciale, für die Tagung in der Saline konzipierte, dienen: ein architektonisches Hybrid aus der absoluten Isolation – dem Hochstand – und der Kommunikation und Relation – dem Picknicktisch. Die Installation vermochte sehr schön aufzuzeigen, wie die Architektur genau aus diesem Gleichgewicht besteht: der Isolation, dem Rückzug auf ihr Wesen als Ideologie, und der Öffnung als Utopie. Und wie diese Isolation, die wir hier

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als Ideologie der Form im Zusammenhang mit dem algorithmischen Entwerfen genannt haben, eine solche ist, weil sie gerade auf den Vergleich mit der gesellschaftlichen Realität verzichtet. Das Projekt vermochte ein Hybrid aus diesen beiden Zuständen zu verwirklichen und damit eine treffende Darstellung von deren Wesen zu vermitteln. Es kann entsprechend als eine Metapher gesehen werden, die Autonomie und Engagement verbindet. Dass Architektur sowohl Utopie wie auch Ideologie in sich trägt, bewies auch das eingangs erwähnte Studentenprojekt. Die Studenten, die sehr beeindruckt (und bedrückt) von dem Ort waren, als wir ihn zum ersten Mal besuchten, entwickelten als Projekt ein Spiel, bei dem es darum ging, in die Saline einzudringen und ungesehen zu deren zentralem Punkt zu gelangen, dem großen runden Glas des Direktorenhauses, von welchem man die gesamte Anlage überwachen kann. Damit sollte man der Kontrolle dieses Fensters, das einem überwachenden Auge gleichgesetzt wird, entkommen. Dazu entwarfen sie einen „kit du furtif“, einen Bausatz des Flüchtigen, des Heimlichen, der es einem fiktiven Besucher der Saline ermöglichen sollte, über Mauern und Wände hinweg oder durch Fenster heimlich einzudringen und das Spiel zu spielen. Zu diesem Kit gehörten verschiedene Seile mit Haken, eine Maske und das Buch Surveiller et punir von Michel Foucault. Der von ihnen selber durchgeführte „Einbruch“ in der Saline, der in einem Film festgehalten wurde, endete mit der Inbesitznahme des Fensters des Direktorenhauses und, damit verbunden, der schmerzhaften Erkenntnis, dass man nun selber zum Beobachter und somit zum Teil eines Systems geworden war, das man eben noch kritisch zu umgehen versuchte. Jeder Ausbruch aus einer Ideologie durch die Utopie läuft somit Gefahr, in eine andere Ideologie zu führen oder, anders ausgedrückt, Architektur ist sowohl Ideologie als auch Utopie, sie muss aber, um sich ihrer selbst bewusst zu werden, diesen Prozess immer wieder durchlaufen. Es ist der Prozess von Autonomie zu Engagement, aus dem der Architekt nicht ausbrechen kann; doch wäre es genug, wenn er sich dessen bewusst werden würde. Denn genauso wie Autonomie zu Ideologie werden kann, so kann auch das Engagement zu einer Ideologie werden, einer, die auf die positive Kraft der Architektur vertraut. Werner Oechslin hat diesbezüglich unterstrichen, dass, selbst wenn der Dienst an der Gesellschaft der Architektur schon immer eingeschrieben gewesen sei, ihm dieser meistens sehr schwer falle.133 Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass der utopische Gehalt der modernen Architektur zur Zeit der Moderne bereits durchaus wahrgenommen wurde, wie es Karl Scheffler 1913 sehr präzise festhält: „Das von unbedingt modernen Baukünstlern und von leidenschaftlichen Kulturagitatoren geprägte Schlagwort vom ‚neuen Stil‘ erinnert lebhaft an ähnlich utopische Formulierungen unserer Zeit, zum Beispiel an die Rufe nach einem ‚Zukunftsstaat‘,

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nach einer ‚Umwertung aller Werte‘ oder nach dem ‚Übermenschen‘. Wie in allen solchen Begriffen, ist auch in diesem so lapidar gegebenen Architekturprogramm viel dogmatisch Groteskes; denn es weist dem wollenden Bewusstsein eine Arbeit zu, die nur vom unbewussten Kulturdrang geleistet werden könnte.“134 Es ist augenfällig, wie dieser „Dienst der Gesellschaft“ periodisch wieder auftaucht und für kurze Zeit die Architektur dominiert. Es scheint aber so, dass die Enttäuschungen immer wieder zum Gegenteil zwingen, in die vertraute und tröstende Autonomie. Philip Ursprung spricht in einer Beschreibung der Stararchitekten der 1980er- und 1990er-Jahre davon, dass diese für Themen wie Armut oder Nachhaltigkeit „auf einem Auge blind“ waren. Diese Metapher könnte man in Bezug auf das oben Gesagte insofern erweitern, als die Architekten ständig „blinzeln“ würden, abwechselnd das eine oder das andere Auge geöffnet hätten, nie aber beide gleichzeitig zu oder offen halten würden. 135 Dass aber das Engagement für den Architekten oft leider nur vorgetäuscht ist, beweist zum Beispiel die Biennale in Venedig von 2002, die zwar unter dem Titel More ethics, less asthetics an die soziale Verantwortung der Architekten appellierte – und damit den Trend oder die Mode als Erste erkannt hatte –, trotzdem waren die präsentierten Projekte wie immer mehr oder weniger die gleichen wie die Jahre zuvor, nur unter einem anderen Titel, aber dennoch kaum als sozial engagiert zu bezeichnen. Abbildung 77, Martial Marquet, Rise above, Saline Royale, 2010

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Ernesto Nathan Roger sprach 1962 von der „Utopie der Realität“ und der Notwendigkeit, an eine bessere Gesellschaft zu denken, im Sinne des Fortschritts. 136 Doch, so mein Schlusswort, so wie es noch nie einen wirklichen Fortschritt in der Gesellschaft gegeben hat, im Sinne einer besseren Gesellschaft für alle, so wird auch die Architektur, wie auch immer sie sich auf diese Gesellschaft bezieht, nicht besser oder schlechter. Dennoch wollte sie immer anders werden, nicht zuletzt im Zeichen des Fortschritts, der Neuigkeit oder der Mode. Die Utopie lehrt uns einmal mehr, den Traum der Totalität aufzugeben – der, so Beat Wyss, sich zur totalitären Wirklichkeit entwickelt 137 –, sei es in der reinen Autonomie oder im reinen Engagement, beides Formen der Ideologie. Die Utopie wäre das unmögliche Erstreben der unerreichbaren (räumlichen) Mitte. Dies zu verstehen, zu reflektieren und in den Projekten zu repräsentieren ist die Aufgabe der Architektur.

D AS R ÄTSEL DER TEK TONIK U RS M EISTER Tektonik – ein geheimnisvoller Begriff, der vom Geologieunterricht noch vage in Erinnerung geblieben ist, wo die Lehre des Auf baus der Erdkruste und die von ungeheuren Kräften getriebenen Plattenverschiebungen der Kontinentalmassen damit gemeint waren. Im Bereich der Architektur erschließt er sich nicht ohne weiteres und wird auch in den unterschiedlichsten Auslegungen diskutiert. In der Vorlesungsreihe „Tektonik“ am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein im Sommersemester 2012 und 2013 haben wir versucht, dem Begriff auf die Schliche zu kommen und in all seinen Facetten auszuleuchten. In diesem Kontext sind die nachfolgenden Überlegungen zu situieren. Definitionen zur Tektonik wurden genügend angeboten, angefangen im 19. Jahrhundert mit Gottfried Sempers grundlegender Festlegung der Tektonik als „Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmig gestalteter Teile zu einem in sich unverrückbaren System“138 bis hin zu zeitgenössischeren Auslegung von Eduard Sekler, der in einem bemerkenswerten Aufsatz rund hundert Jahre später mit einer Art „Triangulation“ eine beachtliche Klarheit in den Dickicht der Begriffe zu bringen vermochte: „STRUKTUR als Prinzip und immanente Ordnung wird verwirklicht durch KONSTRUKTION, aber erst die TEKTONIK macht Struktur und Konstruktion künstlerisch sichtbar und verhilft ihnen zum Ausdruck.“139 Nichtsdestotrotz bleibt uns eine Vagheit in der Auslegung des Begriffs Tektonik vorhanden, die wir aber durch-

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aus als produktiven Nährboden zur Interpretation des Inhalts innerhalb der Architektur verstehen können.

Der Ort der Tektonik In der Einführung des Begriffs verdient die Einbettung der Tektonik in der Lehre ein sicherlich eigenes Augenmerk. In der Architektenausbildung, welche weltweit an den meisten Architekturschulen weitgehend ähnlich praktiziert wird, ist der Entwurf das klare Herzstück, das in der Regel die Hälfte des Arbeitspensums der Studierenden einnimmt. Um dieses zentrale Gefäß, wo das Herstellen von Architektur vermittelt wird, kreisen theoretische Vorlesungen, in denen die Grundlagen für das Entwerfen erlernt werden sollen. In dieser Konfiguration hat die Tektonik neben den anderen Vorlesungen insofern einen eigenen Stellenwert, als sie zwar eindeutig dem Entwerfen zudient, darüber hinaus aber über das Potential verfügt, die Inhalte einer ganzen Reihe von Vorlesungen zu interpretieren und zu vermitteln. Neben der Kunst- und Architekturgeschichte und der Architekturtheorie betrifft dies genauso die Bautechnik, das Konstruieren und die Statik und im Speziellen die Arbeit im Entwurfsstudio. In unserem Verständnis hat Tektonik also die spezielle Aufgabe, als Schlüssel für das Verständnis von parallelen Inhalten zu dienen und damit Wissen zu vernetzen. In diesem Perspektivwechsel steht Tektonik im Zentrum der Ausbildung und ist im Stande, weitere Inhalte magnetisch anzuziehen und wechselseitig zu informieren. Abbildung 78, Vorlesungsskript Tektonik, Wintersemester 2012/2013, Universität Liechtenstein, Urs Meister, Carmen Rist

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Vom Machen Dass der Zimmermann – griechisch tekton – am Ursprung des Begriffs steht, ist eine entscheidende Hilfe, um in das Thema einsteigen zu können. Im traditionellen Bauen verfügt der Zimmermann im Unterschied zum Maurer nicht über einen vermittelnden Stoff, der die einzelnen Teile des zu Bauenden zusammenzuhalten vermag. Der Mörtel des Maurers gibt dem Backsteinbau die notwendige Toleranz und verzeiht dem Ziegel, der im Brennofen um einen beträchtlichen Volumenteil schrumpft, seine Ungenauigkeiten. Der klassische Holzbau hingegen beruht in einer gewissen Weise auf der Reinheit des Materials und damit im Wesentlichen auf der Kunst der Verbindungen. Die Baumstämme können nicht nur – als Rohware oder Halbprodukt – zu Balken, Brettern oder Latten gesägt werden, der Zimmermann muss in der Folge den Bauteilen mit dem Formulieren von Anschlussstellen die Möglichkeit zum Ineinandergreifen geben. Wenn mehrere Holzstäbe in einem Gelenk oder Knoten – ein wunderbarer Ausdruck, dem sich Semper in Abschnitt zur textilen Kunst ausführlich widmet – zusammen kommen, muss die Hierarchie der Teile geklärt werden. Dies erfordert neben handwerklichem Können ein Wissen um die Eigenheiten des Materials und um die Struktur des Bauwerks. Darüberhinaus aber wird im Knoten eine Kultur oder Sprache offenbar, die einen Wortschatz und eine eigene Grammatik besitzt. Je nach Region und Tradition sind die Spielregeln des Fügens unterschiedlich, die Formulierungen vollkommen gegensätzlich. Diese kulturelle Eigenheiten werden im Vergleich von europäischen und asiatischen Beispielen offenbar, die Klaus Zwerger auf außerordentlich anschauliche Weise in seinem Standardwerk zu Holzverbindungen 140 versammelt hat. Obwohl die Systeme heute hybrider geworden sind und der Einsatz von Stahlverbindungen im Holzbau nicht mehr wegzudenken ist, bleibt der Zimmermann ein Tektoniker im grundlegendsten Sinne.

Charakter und Ausdruck Der Zimmermann muss sich zwangsläufig mit der Ordnung der Teile seiner Konstruktionen auseinandersetzen. Wie kommen die vertikalen zu den horizontalen Gliedern, welche zusätzlichen Bauteile sind notwendig, um dem Bauwerk Stabilität zu geben? Über die logische und nachvollziehbare Struktur hinaus entsteht in einem gelungenen Bauwerk aber ein Ausdruck des Tragens und Haltens, etwas, das der Betrachter spüren und entziffern kann. Dieser Zusammenhalt der Teile ist nun nicht mehr auf den Holzbau allein beschränkt, sondern lässt sich genauso auf alles Gebaute ausdehnen. Genau das meint Sekler mit das „Sichtbar machen und zum Ausdruck verhelfen“ in seiner eingangs erwähnten Begriffsklärung. Karl Friedrich Schinkel hat dazu in seinem Entwurf zu einem Lehrbuch der Architektur auf einem überaus

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dichten Skizzenblatt eindrückliche Notizen zusammengetragen. 141 In seiner Betrachtung werden über die Formulierung von Stützen, Öffnungen und Massenverteilungen in einer repräsentativen Massivbaufassade entschieden ablesbare Charaktere definiert, die von „standhaft“ bis zu „gewagt“ gehen können. Damit steht ein weiterer Begriff im Raum, der in der heutigen Architekturausbildung nirgendwo richtig eingeordnet werden kann: Ausdruck. Womit wir den Begriff der Tektonik in die Nähe von Kenneth Framptons Definition als „Poesie der Konstruktion“142 rücken können. Die Auswahl der sechs Architekten, die „Frampton Six“, welche er zur Illustration seiner These heranzieht, scheint uns denn auch zur Klärung des Begriffs außerordentlich hilfreich. Neben Auguste Perret und Mies van der Rohe haben Frank Lloyd Wright, Louis Kahn oder Jørn Utzon (1918–2008) den Begriff ihrem Werk auf äußert charakteristische Weise einverleibt, in dem sie ihrer Architektur mit Hilfe von gezieltem Materialeinsatz eine tektonische Lesbarkeit einschrieben. Sie alle verstanden das Material als knetbare Masse, die erst zugeschnitten wird, um danach gemäß einer eigenen Logik zu einem Bauwerk gefügt zu werden. Wright hat das im Falle der quasi einzeln von Hand gegossenen Beton-Reliefs des Millard House prototypisch durchgeführt und damit Frampton’s Deutung seiner Architektur als „textil-tektonisch“ wohl verdient. Abbildung 79, Perspektivische Schnittzeichnung eines typischen eingeschossiges Hauses

Anatomie der Architektur Im französischen Kulturraum des 19. Jahrhunderts haben Auguste Choisy (1841-1909) und Eugène Viollet-le-Duc eine besondere Stellung, wenn es um

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die Begriffsklärung der Tektonik geht. Obwohl beide den Begriff Tektonik nicht ausdrücklich erwähnen, weist Richard Etlin darauf hin, dass Viollet-le-Duc’s eigene Referenz zur vergleichenden Anatomie in seiner Evolution der architektonischen Formen offensichtlich ist und auf ein grundlegendes Interesse am Auseinandernehmen und wieder Zusammenfügen der Teile der Architektur verweist. 143 Choisy verfolgte in seinen Architekturzeichnungen generell und im Speziellen in den bahnbrechenden Schnittaxonometrien, in denen er fast chirurgisch versuchte, zum Kern der Konstruktion vorzustoßen, eine ganz verwandte Haltung. Seine eindrücklichen Schnittperspektiven dienten uns denn auch als vorbildliche Werkzeuge, um Räume und Bauten zu untersuchen. Die legendären Froschperspektiven, in welchem der Grundriss vollständig lesbar bleibt, aber von unten betrachtet wird und so um die axonometrische oder perspektivische Darstellung des Raums erweitert wird, lassen eine vielschichtige Lektüre von Bauwerken zu. Neben räumlichen Informationen sind ebenso konstruktive und atmosphärische Sachverhalte darstellbar, womit die ganze tektonische Palette angesprochen werden kann. Noch weiter ging Wilhelm Büning an der Hochschule der Künste im Berlin der 1920er Jahre, wo er die Schnittaxonometrie als Arbeitsmittel für den konstruktiven Unterricht kultivierte und buchstäblich zu einer „Bauanatomie“ trieb – so denn auch der Titel seines äußerst lesbaren Lehrbuchs für angehende Architekten 144 . In anschaulichen Tafeln wird Schicht um Schicht des Gebauten förmlich voneinander abgeschält, um den Vorgang des Bauens wie auch das Zusammenspielen der Bauteile zu erläutern. Explizit als Konstruktionshilfsmittel gedacht, geht die Bedeutung der Buchs aber weit über das rein Technische hinaus in den Bereich der Tektonik.

Der tektonische Blick Was ist nun der Kern der Tektonik? Um es nochmals mit Seklers Worten klar auszudrücken: Struktur meint die Anordnung von Bestandteilen in einem Organisationsprinzip, Konstruktion hingegen bedeutet die bewusste Tätigkeit des Zusammenbauens, um die Verwirklichung des Systems mit Hilfe verschiedener Materialien zu erreichen. Erst Tektonik aber liefert uns die Werkzeuge, um das Kräftespiel im Bauwerk und die Anordnung der Einzelteile lesbar zu machen. Dieser Kampf zwischen Schwere und Starrheit am Bauwerk generiert „Ausdruck“ als ein Ergebnis jener allgemeineren künstlerischen Tätigkeit des „Sichtbar Machens“ im Sinne von Paul Klee 145 . Interessanterweise hat Klee im Bezug auf die malerische Bildkomposition die Analogie zwischen der menschlichen Anatomie und der ‚Konstruktion‘ eines Bildes festgehalten: „Wie der Mensch so hat auch das Bild Skelett, Muskeln und Haut. Man kann von einer besonderen Anatomie des Bildes sprechen.“146 Eine Analogie, die wir wieder-

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um ganz im Sinne von Viollet-le-Duc und Choisy mühelos auf die Architektur übertragen können. Abbildung 80, Auguste Choisy, Cirque de Maxence, 1873

Den Begriffen Ausdruck und dem Sichtbar Machen sind wir während der gesamten Vorlesung in unterschiedlichen Kapiteln nachgegangen. Nach einer Einführung über Schinkel, Semper, Viollet-Le-Duc und Choisy bot der Vergleich von Antike und Gotik anschauliches Material zu Grundhaltungen in

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tektonischer Hinsicht. In einem zweiten Block gab die Bündelung auf vier Materalitäten – Holz, Backstein, Stein und Beton – den differenzierten Blick auf Eigenheiten der verschiedenen Konstruktionsweisen frei. Abbildung 81, Bahnschwellenhaus, Miyake Jima, Shin Takasuga, 1980. Explosionszeichnung von Fabian Ruppanner, Christina Schläpfer

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Im letzten Teil hingegen konzentrierte sich der Blick ganz konkret auf in die Tiefe von einzelnen Bauwerken mit dem Medium der Zeichnung. Die Studierenden sollten über das Skizzieren der Vorlesungsinhalte einerseits und über das analytische Zeichnen andererseits, Architektur aus einem tektonischen Blickwinkel betrachten lernen. Abbildung 82, Jørn Utzon, Bagsværd Church, Copenhagen. Explosionszeichnung von Philipp Entner, Nathalie Haspel

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Schnell und intuitiv mit dem Zeichenstift, präziser und interpretativer mit den am Computer hergestellten Schnittperspektiven „à la mode de Choisy“. Mit der Betonung des „Wissens der Hände“, des Herstellens oder auch des Nachbauens versuchten wir, das Verständnis der Tektonik als ein Einstieg in die Baukunst oder Kunst des Bauens über das Machen herzustellen. Tektonik verstehen wir also weniger als ein rein theoretisches Fach für historisch Interessierte, sondern vielmehr als einen Brückenschlag zwischen Tun und Reflexion für den Praktiker, den Architekten. Dies ganz im Sinne des „Sichtbar Machens“ der Kräfte und insofern wieder verwandt zur geologischen Auslegung des Begriffs, den wir noch aus den geologischen Lektionen tief im Hinterkopf behalten hatten.

THAT ’S ALL A RCHS! C RITICISM WITHOUT C RITICS IM Z EITALTER VON G OOGLE I MAGES A LBERTO A LESSI Gebrauchsanweisungen Ň In seinen Mnemosyne-Atlas fügte Aby Warburg persönliche und kollektive Referenzen durch psychische und kulturelle Assoziationen ein. Google Images hingegen funktioniert durch ein kollektives Unbewusstes, das nicht als Ganzes gesteuert werden kann und daher spontan und voller Einsichten ist. Ň Wenn man für einen Begriff wie Architektur die dazu passenden Bilder sucht, taucht eine unvorhersehbare Palette von potenziell nützlichen und aussagekräftigen Ergebnissen auf. Die Indizierung (Reihung) der Seiten und Bilder im Internet ist nicht gemäß sachlicher Urteile gefiltert, sondern nach der Menge der Operationen und Kontakte, gelinkten Seiten und für diesen Zweck entwickelten Algorithmen. Welche spontanen Assoziationen können aus dieser Sammlung von möglichen Antworten entstehen? Ň Die Suchgeschwindigkeit ist oft wichtiger als die Genauigkeit der Ergebnisse. Das Fehlen eines Filters ermöglicht gleichzeitig die Banalität des Klischees wie die Tiefe der Überraschung einer Wunderkammer. Web-Browsing scheint die letzte Chance für ein Abenteuer auf unsicherem Terrain. Ň Welchen Einfluss haben die Kommunikations-Tools auf die Sichtbarkeit der architektonischen Reflexion? Und auf ihre Qualität? Wie neutral und wie aktiv sind diese Suchmaschinen?

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Gebrauchsbeispiel Die auf den folgenden Seiten aufgelisteten Begriffe wurden in den zehn verbreitetsten Sprachen der Welt plus Italienisch (aus persönlichen Gründen) und Esperanto (wegen seines artifiziellen Charakters als ideeller und universeller Entwurf) untersucht. Arabisch, Chinesisch, Englisch, Esperanto, Französisch, Deutsch, Hindi, Italienisch, Japanisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch – alphabetisch geordnet (nach englischem Wörterbuch). Die untersuchten Begriffe. Zuoberst: Ň Architektur Dann die vitruvianische Trias: Firmitas, Utilitas, Venustas – sie sind (waren?) für fast 2000 Jahre die Basis der westlichen architektonischen Disziplin. Wie stark sind diese heute im anonymen und unkritischen Bewusstsein des Netzes noch präsent? Ň Architektur Stabilität Ň Architektur Nützlichkeit Ň Architektur Anmut Weiter, die Studien- und Reflexionsmodalitäten der Disziplin als solcher: Ň Architekturtheorie Ň Architekturgeschichte Ň Architekturkritik Schlussendlich die möglichen Projektionen des zeitlichen Imaginariums: Ň Architekturtradition Ň Architekturvergangenheit Ň Architekturzukunft

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Abbildung 83, Alberto Alessi

Einige Screenshots der Ergebnisse werden auf diesen Seiten gezeigt. Welche Konsequenzen leiten sich daraus ab? Muss man die logische Zuordnung +Menge = +Universalität kritisch revidieren? Existiert heute endlich eine wirkliche Universalität der Ergebnisse, oder geht es noch immer nur um eine vermutete und gewünschte Gleichmäßigkeit? Welche Unterschiede in den Ergebnissen erhält man, wenn man im Netz allgemeine Begriffe in Englisch statt in Hindi oder Russisch sucht? Wie stark geht dieser Unterschied auf die Besonderheiten verschiedener Kulturen, Sprachen ein? Welches Bild der Architektur entsteht abhängig von der Sprache, in der man den Begriff eingibt? Woher kommt dieses Bild? Warum? Ist es etwas, das man schon im Voraus erwartet hat, oder wird man davon eher überrascht? Die Übersetzung der englischen Begriffe ist durch http://translate.google.ch/ realisiert worden.

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Abbildung 84, Google Search Architektur arabisch

Abbildung 85, Google Search Architektur englisch

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Abbildung 86, Google Search Architektur deutsch

Abbildung 87, Google Search Architektur hindi

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Abbildung 89, Alberto Alessi, InterpretationsSchema

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A NMERKUNGEN 1 | Laugier, Marc-Antoine, Essai sur l’architecture, Paris: Duchesne, 1753, S.

iii–iv. 2 | Dieser Abschnitt beruht auf dem folgenden Aufsatz: Gerber, Andri, Brandl,

Anne, „A plea for spatial knowledge“, Speciale Z, N. 4, École Spéciale, Paris, S.66-79. 3 | Bruno Zevi, Architecture as space. How to look at architecture, translated by Milton Gendel, New York: Horizon Press, 1957, S. 22. 4 | Zitiert in: Oechslin, Werner, „Architekturmodell, ‚Idea materialis‘“, in: Sonne, Wolfgang, Die Medien der Architektur, Berlin, München: Deutscher Kunstverlag, 2011, S. 153. 5 | William Gass in: Eisenman, Peter, Gass, William, House VI. House by Peter Eisenman, Text by William Gass, 1977, unveröffentlicht. 6 | Der Begriff „räumliches Wissen“ entstand im Zusammenhang mit dem Projekt des „Epistemischen Raumes“ an der Hochschule Luzern mit Tina Unruh und Dieter Geissbühler und steht im Mittelpunkt des Buches Forschende Architektur, Luzern: Quart, 2010. 7 | „Ce sont donc les dispositions des formes, leur caractère, leur ensemble qui deviennent le fond inépuisable des illusions. C’est de ce principe qu’il faut partir, lorsqu’on prétend dans l’Architecture produire des affections, lorsqu’on veut parler à l’esprit, émouvoir l’ame, & ne pas se contenter, en bâtissant, de placer pierres sur pierres, & d’imiter au hasard des dispositions, des ornements convenus ou empruntés sans méditation. L’intention motivée dans l’ensemble, les proportions & l’accord des différentes parties produisent les effets & les sensations.“ Le Camus de Mézieres, Nicolas, Le génie de l’architecture, ou l’analogie de cet art avec nos sensations, Paris: Benoit Morin, 1780, S. 4. 8 | „Mais combien d’Artistes n’ont employé ces ordres que machinalement, sans saisir las avantages d’une combinaison qui pût faire un tout caractérisé, capable de produire certaines sensations ; ils n’ont pas conçu plus heureusement l’analogie & le rapport de ces proportions avec les affections de l’ame.“ Ebd. S. 1–2. 9 | „We study the play of the perspective and the changes of the shadowing. The spectator wishes to have a spectacle of which the merits are not to be made out at once. A building destitute of these powers of stimulus and provocation, is like a fair woman’s countenance without intelligence or passion, a second look begets indifference, a third satiety. Wren fully understood the method of giving architectural expression. […]. The claims of any particular style, and the merit of any building may be estimated according to a very simple and intelligible principle. The real architect ought not to work by line and rule; he should recollect that he is composing a work which ought to have a given intent. Whenever he determines to adopt any system which prevents him from yielding to the meaning of

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso?

his structure, he ought to apprehend that he is in the wrong.” “Application and intent of the various styles of architecture”, in: Civil Engineer and Architect’s Journal, Scientific and Railway Gazette, Volume II, July 1839, S. 249. 10 | Es ist hier nur die Rede von Raum im Zusammenhang mit Architektur. Eine Erweiterung auf den Städtebau wäre natürlich auch wünschenswert. 11 | Christian de Portzamparc, in: de Portzamparc, Christian, Sollers, Philippe, Writing and Seeing Architecture, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2008, S. 21/22. 12 | Ebd., S. 26. 13 | Ebd., S. 2. 14 | Dünne, Jörg, Günzel, Stephan (Hsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006; Döring, Jörg, Thielmann, Tristan (Hsg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld: Transcript, 2008; Günzel, Stephan (Hg.), Raumwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009; Günzel, Stephan (Hg.), Raum: ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart: Metzler, 2010. 15 | Hensel, Michael, Hight, Christopher, Menges, Achim, „En route: Towards a Discourse on Heterogeneous Space beyond Modernist Space-Time and Post-Modernist Social Geography“, in: Hensel, Michael, Hight, Christopher, Menges, Achim (Hsg.), Space Reader. Heterogeneous Space in Architecture, Chichester: John Wiley & Sons LTD, 2009, S. 7. 16 | Christina, Hilger, Vernetzte Räume: Plädoyer für den spatial turn in der Architektur, Bielefeld: Transcript, 2011. 17 | Bonsiepe, Gui, „Von der Praxisorientierung zur Erkenntnisorientierung oder: Die Dialektik von Entwerfen und Entwurfsforschung“, in: Erstes Design Forschungssymposium, HGK Basel, Swissdesignnetwork, 2004, S. 2. 18 | Beyer, Andreas, Lohoff, Markus (Hsg.), Bild und Erkenntnis, Formen und Funktionen des Bildes in Wissenschaft und Technik, München: Deutscher Kunstverlag, 2005, S. 11. 19 | Le Corbusier, Kommende Baukunst [1923], übersetzt und herausgegeben von Hans Hildebrandt, Berlin und Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1926, S. 16. 20 | Siehe diesbezüglich: Brandl, Anne, Die sinnliche Wahrnehmung von Stadtraum: Städtebautheoretische Überlegungen, Dissertation, ETH Zürich, 2013. 21 | De Bruyn, Gerd, Reuter, Wolf, Das Wissen der Architektur, Bielefeld: Transcript, 2011, S. 14. 22 | Ebd., S. 15. 23 | Hauser, Susanne, Kamleithner, Christa, Meyer, Roland, „Das Wissen der Architektur“, in: Hauser, Susanne, Kamleithner, Christa, Meyer, Roland (Hsg.),

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Metageschichte der Architektur

Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kunstwissenschaften, Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes, Bielefeld: Transcript, 2011, S. 9. 24 | Geh. Reg. Rat Dr. von Seidlitz, „Die Fürsorge für die Kunst“, in: Wuttke, Robert, Die deutschen Städte. Geschildert nach den Ergebnissen der ersten deutschen Städteausstellung zu Dresden 1903, Leipzig: Friedrich Brandstetter, 1904, Band I, S. 127/128. 25 | Muth, Hanswernfried, „Vorwort“, in: Aus Balthasar Neumanns Baubüro. Pläne zur Sammlung Eckert zu Bauten des großen Barockarchitekten, Würzburg: Mainfränkisches Museum Würzburg, 1987, S. 7. 26 | „Massenbau und Gliederbau sind Manifestationen plastischen Bauens, und dieses geht raumhaftem Denken voraus.“ Höver, Otto, Vergleichende Architekturgeschichte, München: Allgemeine Verlagsanstalt, 1923, S. 27. 27 | Ehlgötz, Hermann, „Stand des Bebauungsplanwesens“, Mitteilungen der Vereinigung der technischen Oberbeamten Deutscher Städte, in: Technisches Gemeindeblatt, Jahrgang XXV, Berlin, den 20. Januar 1923, N. 20, S. 140. 28 | Eine besonders gute Einführung dazu findet sich in: Mallgrave, Harry, Elefetherios, Ikonomou, Empathy, Form and Space. Problems in German Aesthetics 1873–1893, Santa Monica: Getty Center for the History of Art and the Humanities, 1994. 29 | „Städte bauen heißt: mit dem Hausmaterial Raum gestalten!“ Brinckmann, A.E., Platz und Monument. Untersuchungen zur Geschichte und Ästhetik der Stadtbaukunst in neuerer Zeit, Berlin: Ernst Wasmuth A.-G., 1912. 30 | Auer, Hans, „Die Entwickelung des Raumes in der Baukunst“, in: Allgemeine Bauzeitung, Wien, 1883, S. 65–68, 73/74. 31 | Ostendorf, Friedrich, „Zur Einführung in eine Theorie des architektonischen Entwerfens“, in: Centralblatt der Bauverwaltung, XXXII. Jahrgang, 9. November 1912, Nr. 91, S. 593. 32 | Taut, Bruno, „Nieder der Seriosismus!“, in: Stadtbaukunst alter und neuer Zeit, Heft 1, 1920, S. 13. 33 | Zucker, Paul, „The Paradox of Architectural Theories at the Beginning of the ‚Modern Movement‘“, in: Journal of the Society of Architectural Historians, Vol. 10, No. 3, Oct. 1951, S. 8–14. 34 | Sigfried, Giedion, The Growth of a New Tradition [1941], Third Edition, Cambridge: Harvard University Press, 1959, S. 432. 35 | Zevi 1957. 36 | Ebd., S. 20. 37 | Cornelis van de Ven, Space in Architecture. The Evolution of a New Idea in the Theory and History of the Modern Movements, Amsterdam: Van Gorcum Assen, 1977, S. XI. 38 | Holl, Steven, Pallasmaa, Juhani, Pérez-Gomez, Alberto, Questions of Perception. Phenomenology of Architecture, Architecture and Urbanism, July 1994, Special issue.

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso? 39 | http://www.raumtaktik.de/. 40 | http://www.raumlabor.net/. 41 | Boudon, Philippe, Sur l’espace architectural. Essai d’épistemologie de l’ar-

chitecture, Paris: Dunod, 1971. 42 | Böhme, Gernot, Aisthetik: Vorlesung über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München: Wilhelm Fink, 2001. 43 | Gernot Böhme, Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. 44 | Pars pro toto: Arch+ 178, June 2006, „Die Produktion von Präsenz“. 45 | Peter Sloterdijk, „Architekten machen nichts anderes als In-Theorie. Peter Sloterdijk im Gespräch mit Sabine Kraft und Nikolaus Kuhnert“, in: Archplus, Nr. 169/170, Mai 2004, S. 16. 46 | Ebd. 47 | Schumacher, Fritz, Grundlagen der Baukunst. Studien zum Beruf des Architekten, München: Georg D.W. Callwey, 1916, S. 23. 48 | Ebd., S. 24. 49 | Ebd., S. 25. 50 | Ebd., S. 24. 51 | Ebd., S. 25. 52 | Ebd., S. 26/27. 53 | Schumacher, Fritz, Das Bauliche Gestalten. Handbuch der Architektur (4), 1. Halbband, Leipzig: J.M. Gebhardt, 1926. 54 | Ebd., S. 46. 55 | Ebd., S. 47. 56 | Schumacher, Fritz, Das Werden einer Wohnstadt. Bilder vom neuen Hamburg, Hamburg: Georg Westermann, 1932, S. 39f. 57 | Gropius, Walter, „Blueprint of an Architect’s Education“, in: Gropius, Walter, Scope of total architecture [1939], New York: Collier Book, 1962, S. 56. 58 | Ebd., S. 53. 59 | Gropius, Walter, „Is There a Science of Design?“, in: Ebd. S. 33. 60 | Gropius, Walter, Architektur. Wege zu einer optischen Kultur, Frankfurt am Main und Hamburg: Fischer, 1956. 61 | Kahn, Louis, Light is the Theme. Louis I. Kahn and the Kimbell Art Museum [1975], New Haven und London: Yale University Press, 2011, S. 15. 62 | Louis Kahn, „Space and the inspirations“ [1967], in: Robert Twombly (Hg.), Louis Kahn. Essential Texts, New York: W.W. Norton, & Company Inc., S. 223. 63 | Louis Kahn, zitiert in: Feldman, Eugene, Wurman, Richard Saul, The Notebooks and Drawings of Louis I. Kahn, Cambridge, Mass.: MIT Press, 1973, S. 72. 64 | Tschumi, Bernard, „Preface“, in: Tschumi, Bernard, Questions of Space, Lectures on Architecture, London: Architectural Association, 1990, S. 9. 65 | Ebd., S. 27.

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Metageschichte der Architektur 66 | Zitiert in: Kries, Matteo (Hg.), Louis Kahn. The Power of Architecture, Weil am Rhein: Vitra Design Museum, 2012, S. 260. 67 | Zumthor, Peter, Atmosphären. Architektonische Umgebungen – die Dinge um mich herum, Basel: Birkhäuser, 2006, S. 11. 68 | Zumthor, Peter, „Bilder befragen, Interview mit Peter Zumthor“, in: Daidalos 68, Juni 1998, S. 90. 69 | Zumthor, Peter, „Körper und Bild“, in: Zwischen Bild und Realität. Ralf Konersmann, Peter Noever, Peter Zumthor, Zürich: GTA, 2006, S. 59. 70 | Zumthor, Peter, Architektur Denken [1998], zweite, erweiterte Auflage, Basel: Birkhäuser, 2006, S. 69. 71 | Ebd. 72 | Rossi, Aldo, A Scientific Autobiography, Cambridge: The MIT Press, 1981, S. 3. 73 | Shinohara, Kazuo, „The Japanese Conception of Space“ [1964], in: Kazuo Shinohara. Houses, 2G, N. 58/59, 2011, S. 242–245. 74 | Kerez, Christian, „Der Raum selbst: einige Überlegungen zu den Mitteln der Architektur“, in: Werk, Bauen & Wohnen, Juni 2004, S. 24-34. 75 | Pouillon, Fernand, Singende Steine. Die Aufzeichnungen des Wilhelm Balz, Baumeister des Zisterzienserklosters Le Thoronet [1962], aus dem Französischen von Gudrun Trieb, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2008, S. 27/28. 76 | Mallgrave, Harry Francis, The Architect’s Brain. Neuroscience, Creativity, and Architecture, Chichester: Wiley-Blackwell, 2010. 77 | Dieser Abschnitt beruht auf folgendem Aufsatz: Gerber, Andri, „Introduction“, in: Gerber, Andri, Patterson, Brent (Hsg.), Metaphors in Architecture and Urbanism, Bielefeld: Transcript, 2013, S. 13-32 und auf folgendem Buch: Gerber, Andri, Theorie der Städtebaumetaphern. Peter Eisenman und die Stadt als Text, Zürich: Chronos, 2012. 78 | Heidegger, Martin, „Bauen, Wohnen, Denken“ [1951], in: Heidegger, Martin, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen: Günter Neske, 1954, S. 152. 79 | De Saint-Maux, Viel, Première Lettre sur l’architecture. A Monsieur Le Comte de Wannenstin, Bruxelles, 1779–1784, S. 6. 80 | Schurk, Holger, „Die Befragung der Gegenwart. Haltung und Entwerfen im Zustand der Desorientierung“, in: Trans 22, März 2013, S. 113. 81 | Blumenberg, Hans, Theorie der Unbegrifflichkeit. Aus dem Nachlass herausgegeben von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2007, S. 9. 82 | Ebd., S. 11. 83 | Ebd., S. 12. 84 | Konersmann, Ralf, „Metaphorisches Wissen“, in: Zwischen Bild und Realität, Zürich: gta Verlag, 2006, S. 18. 85 | Lakoff, George, Johnson, Mark, Metaphors We Live By, Chicago: The University of Chicago Press, 1980.

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso? 86 | Konersmann 2006, S. 11. 87 | Rolf Eckard zählt insgesamt 25 verschiedene Metapherntheorien (Eckard,

Rolf, Metapherntheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie, Berlin: Walter der Gruyter, 2005). 88 | Derrida, Jacques, „La mythologie blanche (la métaphore dans le texte philosophique)“ [1971], in: Derrida, Jacques, Marges de la philosophie, Paris: Les éditions de minuit, 1972. 89 | Mallgrave 2010, S. 180. 90 | Barthes, Roland, „Sémiologie et urbanisme“, in: L’architecture d’aujourd’hui, Nr. 153, Urbanisme, décembre 1970–Janvier 1971, S. 12. 91 | Lévi-Strauss, Claude, Tristes Tropiques, Paris: Plon, 1955, S. 122. 92 | Collins, Peter, Changing Ideals in Modern Architecture, 1750–1950, London: Faber & Faber, 1965. 93 | Kostof, Spiro, The City Shaped, Boston: Little, Brown and Company, 1991. 94 | Diller & Scofidio, Blur: the making of nothing, New York: Harry N. Abrams, Inc., Publishers, 2002, S. 325. 95 | Kajima, Momoyo, Kuroda, Junzo, Tsukamoto, Yoshiharu, Made in Tokyo, Tokyo: Kajima Institute Publishing, 2001, S. 10. 96 | Blumenberg 2007, S. 47. 97 | Dieser Abschnitt beruht auf folgendem Aufsatz: Gerber, Andri, „Was ist die Rolle der Utopie im zeitgenössischen Architekturdiskurs?“, in: Wagner, Anselm, Was bleibt von der Grazer Schule?, Berlin: Jovis, 2012. 98 | Adorno, Theodor W., „Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit“ [1966], in: Tiedemann, Rolf (Hg.), Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften, Band 6 [1970], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, S. 15. 99 | Koolhaas, Rem, „Utopia Station“, in: Koolhaas, Rem, Content: triumph of realization, Köln: Taschen, 2004, S. 39. 100 | Z.B. Schaik, Martin Van (Hg.), Exit Utopia. Architectural Provocations 1956–76, München 2005; Jane Alison, Future City. Experiment and Utopia in Architecture, London: Thames & Hudson, 2007. 101 | Als Beispiel einer solch kritischen Hinterfragung siehe die Arbeit von Fabien Danesi über den Situationismus: Danesi, Fabien, Le mythe brisé de l’internationale situationniste, Dijon: Presses du réel, 2008. 102 | Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Buch von Reinhold Martin zum Thema Utopie: Martin, Reinhold, Utopia’s Ghost. Architecture and Postmodernism, Again, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2010. 103 | „Raumlaborberlin produziert nicht innerhalb projektiver Utopien, sondern innerhalb greifbarer Möglichkeitsfelder.“ Raumlaborberlin, Katalog Bye bye Utopia, 2010, ohne Seitenangaben. 104 | Thierry Paquot, L’urbanisme, Nr. 336, Mai, Juin, 2004, S. 2. 105 | Slavoj Žižek in: Žižek, Slavoj, Sloterdijk, Peter, „Comment sortir de la crise de la civilisation occidentale?“, in: Le Monde, 28. Mai 2011, S. 22.

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Metageschichte der Architektur 106 | Le Monde diplomatique, Manière de Voir, Le temps des utopies, N. 112, August/September 2010. 107 | „Et surtout, partout, les peuples semblent orphelins d’un idéal. Or les deux décennies écoulées depuis l’ont démontré: sans l’horizon d’un idéal, les combats sociaux manquent d’âme. Ils se déroulent le plus souvent sur la défensive, avec pour objectif de défendre des acquis menacés.“ Dominique Vidal, „Besoin d’utopie“, in: Le Monde diplomatique. Manière de Voir, Le temps des utopies, N. 112, August/September 2010, S. 4. 108 | Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung [1959], Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1978, S. 557. 109 | Lewis Mumford, The Story of Utopias [1922], New York: Viking Press, 1970, S. 31, 63. 110 | Magne, Émile, L’esthétique des villes [1908], Gollion: Infolio, 2012, S. 227. 111 | Endell, August, Die Schönheit der großen Stadt [1908], Berlin: Archibook, 1984, S. 9. 112 | Cités, Nr. 42, 2010. 113 | „As a matter of fact, it is our utopias that make the world tolerable.“ Mumford 1970, S. 11. 114 | Tafuri, Manfredo, Progetto e Utopia. Architettura e sviluppo capitalistico, Roma: Laterza 1973, S. 245. 115 | Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947], Frankfurt am Main: Fischer, 1998, S. 2. 116 | Marc Augé, Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit [1992], Aus dem Französischen von Michael Bischoff, Frankfurt am Main: Fischer, 1994, S. 130/131. 117 | Siehe dazu: Gerber, Andri, „Sprawl wars“, in: Speziale Z, Nr. 2, Paris 2011, S. 56–67. 118 | Bjarke Ingels Group, Yes is more. An Archicomic on Architectural Evolution, Copenhagen: Bjarke Ingels Group, 2009. 119 | Rem Koolhaas, „Bigness & Velocity“, in: OMA@work, a + u, Tokio: A+U Publishing Co.Ltd, 2000, S. 197. 120 | Vidler, Anthony, Claude-Nicolas Ledoux. Architektur und Utopie im Zeitalter der französischen Revolution [2005], Basel 2006, S. 63. 121 | Ebd., S. 118. 122 | Stoloff, Bernard, Die Affäre Ledoux. Autopsie eines Mythos [1977], aus dem Französischen von Ulrich Raulff, Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1983, S. 114. 123 | http://www.moma.org/visit/calendar/exhibitions/1064 (abgerufen am 17.7.2011). 124 | Lepik, Andres (Hg.), Small Scale, Big Change: New Architectures of Social Engagement, New York: Museum of Modern Art 2010, S. 12.

Lektion 4: Architektur theorie: Wieso? 125 | „Architecture has always been the realm of reality: bricks and mortar, house and home. When everything else became destabilized, dislocated, we could always return to architecture as place of solidity, foundations, construction“, aus: Eisenman, Peter, „Architecture in a Mediated Environment“, in: Middleton, Robin (Hg.), The Idea of the City, London: Architectural Association, 1996, S. 59. 126 | Mannheim, Karl, Ideologie und Utopie [1929], Bonn: Cohen,1930, S. 169. 127 | Ebd. 128 | Ricœur, Paul, L’idéologie et l’utopie [1986], Paris : Seuil, 1997, S. 17/18. 129 | Horkheimer, Adorno 1998, S. 2. 130 | Tafuri 1973, S. 47. 131 | Ebd., S. 241. 132 | Tafuri, Manfredo, La sfera e il labirinto, Torino: Einaudi, 1980. 133 | „Der ,Dienst der Gesellschaft‘, wie das in vitruvianischer Tradition Leon Battista Alberti schon im Vorwort zu seinem De Re Aedificatoria zwecks Legitimation des Architektenberufes eindringlich vorführt und illustriert, klingt im Vergleich dazu altmodisch, wird eher beiläufig und oft genug als Behinderung wahrgenommen. Dabei war gerade dies bei Alberti als offensichtlich und ‚nicht verhandelbar‘ herausgestellt worden. In unserer, an modischen Begleiterscheinungen so reichen Zeit, in der der Architekt das Schwarz wie ein Ordenskleid trägt, ist der Kontext weiteren, ‚ausserkünstlerischen‘ Begründens seines Tuns oft genug abhanden gekommen. Und trotzdem kann man natürlich nicht übersehen, dass gerade in moderner Zeit das Tun des Architekten in Ausrichtung auf nicht nur ästhetische, sondern in umfassender Weise auf gesellschaftliche Ziele immer wieder in den Vordergrund gerückt worden ist. Reyner Banham hat im Zeichen des ,Brutalismus‘ gerade darin, nämlich in einer ‚funktionalen Ethik‘, die Differenz gegenüber der – vorausgegangenen – ‚formalen Ästhetik‘ eines Le Corbusier ausgemacht.“ Oechslin, Werner, „Das Berufsbild des Architekten – eine Erinnerung als Einführung“, in: Oechslin, Werner (Hg.), Architekt und/ versus Baumeister. Die Frage nach dem Metier, Zürich: gta, 2009, S. 8. 134 | Scheffler, Karl, Die Architektur der Großstadt [1913], Berlin: Gebr. Mann, 1998, S. 56. 135 | Ursprung, Philip, „Von der Rezession zur Stararchitektur und zurück. Der Architektenberuf seit den frühen 1970er-Jahren“, in: Nerdinger, Winfried, Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, Band 1, München: Prestel, 2012, S. 240. 136 | Roger, Ernesto N., „Utopia della realtà“, in: Casabella-Continuità, Nr. 259, Januar 1962, S. 1. 137 | Wyss, Beat, „Editorische Notiz“, in: Wyss, Beat (Hg.), Etienne-Louis Boullée, Architektur. Abhandlung über die Kunst, Zürich: Artemis, 1987, S. 5. 138 | Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, 2. Bände, Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860-1863.

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Metageschichte der Architektur 139 | Sekler, Eduard „Struktur, Konstruktion und Tektonik“, in: Kepes, Gyorgy

(Hg.), Struktur in Kunst und Wissenschaft, Brüssel: La Connaissance, 1967. 140 | Zwerger Klaus, Das Holz und seine Verbindungen: Traditionelle Bautech-

niken in Europa, Japan und China, Basel: Birkhäuser, 1997. 141 | Schinkel, Karl Friedrich, „Das Lange Blatt“, in: Das architektonische Lehrbuch, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 1979. 142 | Frampton, Kenneth, Grundlagen der Architektur: Studien zur Kultur des Tektonischen, München: Oktagon, 1993. 143 | Etlin, Richard A., “Auguste Choisy’s Anatomy of Architecture,” in: Auguste Choisy (1841-1909): L’Architecture et l’art de bâtir, Actas del Simposio Internacional celebrado en Madrid, 19-20 de noviembre de 2009, eds. Javier Girón and Santiago Huerta, Madrid: Instituto Juan de Herrera, 2009, S. 151-81. 144 | Büning, Wilhelm, Bauanatomie, Berlin: Deutsche Bauzeitung, 1928. 145 | Klees Credo „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ wird breit diskutiert in: Eggelhöfer, Fabienne, Paul Klees Lehre vom Schöpferischen, Bern: L. Eggelhöfer, 2012. 146 | Paul Klee zitiert in: Ebd.

Schluss und Danksagung „Architektur ist das Allerernsteste, aber so ernst wieder auch nicht.“ AG FREI NACH THEODOR A DORNO 1

„Was Sie auch studieren mögen, vernachlässigen Sie nicht die Geschichte Ihrer Wissenschaft. Denken Sie nicht, dass Sie Erkenntnis einsammeln können, ohne sich mit den Persönlichkeiten innerlich zu berühren, denen man sie verdankt, und ohne den Weg zu kennen, auf dem sie gefunden worden sind. Keine höhere wissenschaftliche Erkenntnis ist eine bloße Tatsache; eine jede ist einmal erlebt worden, und an dem Erlebnis haftet ihr Bildungswert. Wer sich damit begnügt, nur die Resultate sich anzueignen, gleicht dem Gärtner, der seinen Garten mit abgeschnittenen Blumen bepflanzt.“ A DOLF VON H ARNACK , 1900 2

Die gewählte „Schwere“ (METAGESCHICHTE, Lehrbuch...) des Titels ist bis zu einem gewissen Grad ironisch und weist explizit auf den Anachronismus dieses Buches hin: In einer Zeit, wo der offizielle Architekturdiskurs vollkommen den Themen der ökologischen, vor allem aber sozialen Nachhaltigkeit verfallen ist, plädiert dieses Buch für eigennütziges Nachdenken über die Disziplin und ihre Geschichte, nicht aber im Sinne der Autonomie, sondern der Kritik und der Krise der Disziplin. Das Buch ist zum grössten Teil von mir selber geschrieben worden, einzelne Abschnitte wurden von „Gastautoren“ verfasst. Damit wollte ich der Tatsache Rechnung tragen, dass ein Buch, das auf einer Vorlesungsreihe basiert, vom Kontext, in dem diese Vorlesungen entstanden sind – in diesem Fall die Universität Liechtenstein – beeinflusst wird. Die Gastautoren, mit Ausnahme von Holger Schurk und Uli Herres, sind bzw. waren an der Universität Liechtenstein mit mir tätig, und es war nicht zuletzt im Dialog mit ihnen, dass ich

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Metageschichte der Architektur

meine Gedanken und Ideen entwickelt habe. Dies schien mir wichtig und sollte auch in diesem Buch berücksichtigt werden. Das Buch ist im ersten und letzten Kapitel stark theoretisch angelegt, in den anderen eher historisch. Der erste Teil mag gerade für das Zielpublikum – Studierende der Architektur – etwas recht komplex sein, ist aber hoffentlich trotzdem von Interesse. Dabei war ich etwas hin und her gerissen, dem Buch eine größere Tiefe und Vielfalt der Themen zu geben, am Ende habe ich mich entschlossen, es abzuschließen, um damit die Erinnerung an die Vorlesungen nicht ganz erlöschen zu lassen. Das Buch mag deshalb etwas asymmetrisch wirken, es variiert zwischen tieferen und oberflächicheren Abschnitten, was mir, wie ich hoffe, der Leser verzeihen wird. Einzelne Abschnitte und Personen hätten ausführlicher behandelt werden müssen, was in diesem Rahmen nicht möglich war. Das Buch erhebt nicht den Anspruch auf Vollkommenheit, ausgewählte Beispiele dienen der Anschauung meiner Thesen. Sicher zu kurz gekommen sind die konkrete Objekte der Architektur, die Gebäude, deren Besprechung aber alles andere voraussetzt. Einzelne Abschnitte beruhen – wie jeweils in den Fußnoten vermerkt – auf früheren Aufsätzen. Dass aus diesen Fragmenten ein Gesamtbild entstanden ist, hat mich selber überrascht und war keineswegs beabsichtigt. In einer Zeit der scharfen Kritik auch der Eigenplagiate ein nicht ungefährliches Unterfangen. Eine der Entdeckungen, die das Verfassen dieses Buches mit sich gebracht hat: dass trotz der Zeit, in der wir leben, etwas noch Sinn – wenn auch vielleicht nur für mich – machen kann. Vieles ist mir dabei erst beim Schreiben und beim Überarbeiten dieser Aufsätze klar geworden. In diesem Sinne ist auch meine Schrift, wie jene von Tafuri, performativ. Bedanken muss ich mich an erster Stelle bei den Studenten in Vaduz, die meine Experimente toleriert, ja, durch kritische Fragen, Nachhaken, begeistertes Mitmachen in den Seminaren unterstützt haben. Ich hoffe, dass ihnen nun mit dem Buch etwas klarer wird, wovon ich damals gesprochen habe. Auch bedanke ich mich bei Hugo Dworzak, dem Leiter des Instituts für Architektur und Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein für die großzügige Unterstützung dieses Buches und für die gemeinsame Zeit in Vaduz. Ein großer Dank geht natürlich auch an meine Mitautoren, die trotz der Unklarheit des Unterfangens und der darin enthaltenen Thesen die Hoffnung nicht aufgegeben haben und keine Angst hatten, mit ihrer Teilnahme ihren Ruf zu ruinieren. Miriam Wiesel hat den Text lektoriert und damit überhaupt erst lesbar gemacht. Ihr gebührt ebenfalls ein großer Dank. Wenige Mutige haben das Manuskript gelesen und mir wertvolle Anregungen gegeben, die ich umzusetzen versucht habe. So haben Stefan Kurath, Tibor Joannelly, Eliana Perrotti und Britta Hentschel das Manuskript in einer sehr frühen Form kritisch begutachtet, Anne Brandl und Rainer Schützeichel das

Schluss und Danksagung

ganze Manuskript gelesen und wesentliche Kritikpunkte formuliert, die das Buch stark verbessert haben. Ihnen allen gilt mein großer Dank. Dieses, wie alles andere, ist für Beti.

A NMERKUNGEN 1 | Nach Adorno, Theodor W., Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit

[1966], in: Tiedemann, Rolf (Hg.), Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften, Band 6 [1970], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, S. 26: „Philosophie ist das Allerernsteste, aber so ernst wieder auch nicht.“ 2 | Zitiert in: Dennewitz, Bodo, Die Systeme des Verwaltungsrechts, Hamburg: Hansischer Gildenverlag, 1948, S. 5.

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1, © Andri Gerber Abbildung 2, © Andri Gerber Abbildung 3, © Universität Liechtenstein Abbildung 4, © Universität Liechtenstein Abbildung 5, Jencks, Charles, Architecture 2000, predictions and methods, London: Studio Vista, 1971, S. 42 © Charles Jencks Abbildung 6, Sedlmayr, Hans, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit [1948], Salzburg: Otto Müller, 1951, S. 32 Abbildung 7, Sedlmayr, Hans, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit [1948], Salzburg: Otto Müller, 1951, S. 31 Abbildung 8, Architecture: Choice or Fate by Léon Krier, Papadakis, London, 1996. Courtesy Léon Krier Abbildung 9, Hoeber, Fritz, Peter Behrens, München: Georg Müller, Eugen Rentsch, 1913, S. 111 Abbildung 10 Nerdinger, Winfried, Theodor Fischer. Architekt und Städtebauer, Berlin: Ernst & Sohn, 1988, S. 107. Courtesy Theodor Fischer Archiv Abbildung 11, Venturi, Scott Brown Collection, The Architectural Archives, University of Pennsylvania Abbildung 12, Courtesy Paolo Portoghesi Abbildung 13, Courtesy Ricardo Bofill Abbildung 14, © Ludger Paffrath Abbildung 15, © David Franck Abbildung 16, © David Franck Abbildung 17, Courtesy Maison Édouard François Abbildung 18, © Universität Liechtenstein Abbildung 19, Courtesy Fondazione Piero Portaluppi, Milano Abbildung 20, Courtesy BIG Abbildung 21, Tafuri, Manfredo, La sfera e il labirinto, Avanguardie e architettura da Piranesi agli anni ‘70, Torino: Giulio Einaudi Editore, 1980, Tafel 19

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Abbildung 22, Ronner, Heinz, Jhaveri, Sharad, Vasella, Alessandro, Louis I. Kahn, Complete Work, 1935-74, Basel: Birkhäuser, 1977, S. 129 Abbildung 23, Facoltà di Architettura del politecnico di Milano, Gruppo di ricerca diretto da Aldo Rossi, L’analisi urbana e la progettazione architettonica, Milano: clup, 1970 Abbildung 24, Courtesy Paolo Portoghesi Abbildung 25, Courtesy Paolo Portoghesi Abbildung 26, Courtesy Ricardo Bofill Abbildung 27, Courtesy Ricardo Bofill Abbildung 28, © Universität Liechtenstein Abbildung 29, César Abin, Karikatur Le Corbusier, 1933, in: Abin, César, Leurs figures: 56 portraits d‘artistes, critiques et marchands d‘aujourd‘hui, Paris: Imprimerie Müller, [1933], Tafel 32 Abbildung 30, Die Gropiusstadt. Ein neuer Stadtteil Berlins in Kommentaren, Plänen und Bildern, Berliner Forum, 4/1972, S. 25 © Klaus Lehnartz Abbildung 31, Aillaud, Émile, La grande Borne, Paris: Hachette, 1972, S. 110 Abbildung 32, Courtesy Sabina Bobst Abbildung 33, Kunst und Künstler, Zwölftes Heft, 1917, S. 565 Abbildung 34, Courtesy François Roche Abbildung 35, Courtesy Archivio storico. Accademia di San Luca Abbildung 36, L’Architecture, Journal hebdomadaire. Société Centrale des Architectes Français, 23e année, Samedi 16 Avril 1910, Numéro 16, 1910, s. 136 Abbildung 37, L’Architecture, Journal hebdomadaire. Société Centrale des Architectes Français 1933, S. 452 Abbildung 38, Foto Andri Gerber, Exemplar aus der Sammlung Alte Drucke und Seltene Drucke, ETH Bibliothek Abbildung 39, Deutsche Bauhütte, 8. Januar 1930, S. 19 Abbildung 40, Bosworth Jr., F.H., Jones, Roy Child, A study of architectural schools, for the association of collegiate schools of architecture, New York: Charles Scribner’s Sons, 1932, S. 190 Abbildung 41, © Architectural Association Photo Library Abbildung 42, © Feri Sanjar/Architectural Association Photo Library Abbildung 43, © Universität Liechtenstein Abbildung 44, © Alvaro Siza Abbildung 45, Meder, Joseph, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung [1919], zweite verbesserte Auflage, Wien: Kunstverlag Anton Schroll & Co., 1923, S. 56 Abbildung 46, Sacripanti, Maurizio, Il disegno puro e il disegno nell’Architettura, Roma: Fratelli Palombi Editori, 1953, S. 57 Abbildung 47, Sacripanti, Maurizio, Il disegno puro e il disegno nell’Architettura, Roma: Fratelli Palombi Editori, 1953, S. 59 Abbildung 48, Courtesy Daniel Libeskind

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 49, Courtesy Jelle Feringa/EZCT Abbildung 50, Isou, Isidore, Le Bouleversement de l’architecture [1966], Paris: Sabatier, Satie, 1980 Abbildung 51, Courtesy Nicholas Negroponte Abbildung 52, Foto Andri Gerber, Exemplar aus der Sammlung Alte Drucke und Seltene Drucke, ETH Bibliothek Abbildung 53, Wittkower, Rudolf, Architectural Principles in the Age of Humanism [1949], London: Alec Tirandi ltd., 1952, S. 65. Courtesy Warburg Archive Abbildung 54, OMA/Rem Koolhaas: Bibliothèque de France, Paris, 1989, Überlagerung der öffentlichen Räume, aus: Jacques Lucan. OMA. Rem Koolhaas, Artemis & Winkler, Zürich und München, 1991, S.137. Courtesy Rem Koolhaas/OMA Abbildung 55, SANAA: Museum in Kanazawa, 2004, Grundriss Erdgeschoss, aus: El Croquis 121/122, 2004, S. 74. Courtesy SANAA Abbildung 56, Herzog deMeuron: Prada Tokyo Shop and Offices, 2002, Fassadenabwicklung, aus: El Croquis109/110, 2002, S. 297. Courtesy Herzog & de Meuron Abbildung 57, Courtesy De Vylder Vinck Taillieu Abbildung 58, Schmarsow, August, Plastik, Malerei und Relief kunst in ihrem gegenseitigen Verhältnis von Leipzig: Verlag von S. Hirzel, 1899, S. 226 Abbildung 59, Frankl, Paul, Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst, Leipzig, Berlin: B.G. Teubner, 1914, S. 25 Abbildung 60, Sörgel, Hermann, Einführung in die Architektur-Ästhetik. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München: Piloty & Loehle, 1918, S. 142 Abbildung 61, Sörgel, Hermann, Einführung in die Architektur-Ästhetik. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München: Piloty & Loehle, 1921, S. 188 Abbildung 62, Eicken, Hermann, Der Baustil, Grundlegung zur Erkenntnis der Baukunst, Berlin: Ernst Wasmuth, 1918, S. 64 Abbildung 63, Klopfer, Paul, Das Wesen der Baukunst, Einführung in das verstehen der Baukunst, Grundsätze und Anwendungen, Leipzig: Oskar Leiner, 1919, S. 13 Abbildung 64, A.E. Brinckmann, Plastik und Raum als Grundformen künstlerischer Gestaltung, München: R. Piper & Co., 1922, keine Seitenangabe. Abbildung 65, Adler, Leo, Vom Wesen der Baukunst. Die Baukunst als Ereignis und Erscheinung. Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaft, Leipzig: Verlag der Asia Major, 1926, S. 48 Abbildung 66, Schumacher, Fritz Architektonische Komposition, Leipzig: Gebhardt, 1926, S. 31 Abbildung 67, Sedlmayr, Hans, Die Architektur Borrominis, Berlin: Frankfurter Verlags-Anstalt, 1930, S. 58

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Metageschichte der Architektur

Abbildung 68, Wittkower, Rudolf, Architectural Principles in the Age of Humanism [1949], London: Alec Tirandi ltd., 1952, S. 40. Courtesy Warburg Archive. Abbildung 69, Foto Uli Herres Abbildung 70, Giedion, Sigfried, „Zur Situation der französischen Architektur II“, in: Der Cicerone, März-Heft 6, 1927, S. 188 Abbildung 71, Foto Hanspeter Bürgi Abbildung 72, Durth, Werner, Gutschow, Niels, Träume in Trümmern, Band 2, Braunschweig: Vieweg, 1988, S. 913 Abbildung 73, © Universität Liechtenstein Abbildung 74, Ronner, Heinz, Jhaveri, Sharad, Vasella, Alessandro, Louis I. Kahn, Complete Work, 1935-74, Basel: Birkhäuser, 1977, S. 140 Abbildung 75, Bardet, Gaston, Problèmes d’urbanisme, Paris: Dunod, 1941, S. 43 Abbildung 76, Foto Andri Gerber Abbildung 77, Foto Martial Marquet Abbildung 78, © Urs Meister Abbildung 79, © Universität Liechtenstein Abbildung 80, © Universität Liechtenstein Abbildung 81, © Universität Liechtenstein Abbildung 82, © Universität Liechtenstein Abbildung 83, © Alberto Alessi Abbildung 84, © Google Abbildung 85, © Google Abbildung 86, © Google Abbildung 87, © Google Abbildung 88, © Alberto Alessi Es wurde versucht, alle Bildrechte zu klären. Sollten ungeklärte Rechtsansprüche bestehen, bitten wir die Inhaber, sich beim Autor zu melden.

Autoren

Andri Gerber (geb. 1974 in Bergamo). Architekturstudium ETHZ, Diplom 2000; 2000-2002 Projektmitarbeiter und -leiter für Peter Eisenman in New York; 2008 Promotion ETHZ, mit ETH-Medaille ausgezeichnet; 2008-2011 Assistenzprofessor an der Ecole spéciale d’architecture in Paris, Auf bau und Leitung des 3. Cycle Mutations urbaines; 2010-2012/2014- Dozent Architekturgeschichte und -theorie, Universität Liechtenstein; seit 2011 Dozent Städtebaugeschichte ZHAW; seit 2012 Habilitationsprojekt am gta Institut, ETHZ mit einem SNF-Ambizione Stipendium; verschiedene Aufsätze, Tagungen und Vorträge; verschiedene Bücher: 2010 Forschende Architektur, Quart Verlag (mit Tina Unruh und Dieter Geissbühler); 2012 Theorie der Städtebaumetaphern, Chronos Verlag; 2013 Raumkultur und Identität, Niggli Verlag (mit Alberto Alessi und Peter Staub); 2013 Metaphors in Architecture and Urbanism (Hg.), Transcript Verlag (mit Brent Patterson); 2013 Methodenhandbuch, ZHAW (mit Stefan Kurath, Holger Schurk und Roland Züger). Alberto Alessi (geb. 1964 in Caravaggio) studierte Architektur am Politecnico di Milano, ETH Zürich und an der Ecole d’architecture Paris-Villemin. Seit 1995 führt er sein  Architekturatelier in Rom und Zürich. Zwischen 1998 und 2005 unterrichtete er als Assistent an der ETH Zürich und an der Accademia di Architettura di Mendrisio, und in 2006 als Gastdozent an der Cornell University Ithaca. Seit 2006 ist er Dozent für Architekturtheorie und Entwurf an der Universität Liechtenstein, an der HSLU Luzern, und an der Facoltà di Architettura in Ferrara. Zahlreiche internationaler Veranstaltungen und Publikationen als freier Kurator und Kritiker. Zurzeit leitet er die Architekturzeitschrift materialegno und die webplatform www.italian-architects.com. Er wohnt in Zürich. www.albertoalessi.com. Uli Matthias Herres (geb. 1979) studierte nach einer Bauzeichnerlehre bei Engel & Engel-Tizian in Trier Architektur in Kaiserslautern und Trondheim. Nach Praktika bei OMA, Diplom bei Luc Merx und Anstellungen in international

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tätigen Architekturbüros in Luxemburg und Deutschland arbeitete er für drei Jahre als Assistent im Master of Arts in Architecture (Studierende des vierten und fünften Studienjahres) der Hochschule Luzern – Technik & Architektur, wo er anschliessend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die Forschung wechselte. Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Fertigungstechniken für den Ausdruck der Architektur schlug sich in verschiedenen Projekten nieder. Neben Erfahrungen im Bootsbau und praktischer Tätigkeit im Bauhandwerk sind das z.B. Forschungsaufenthalte am EKWC, dem Europäischen Keramik-Forschungszentrum in s‘Herttogenbosch mit Luc Merx und Holmer Schleyerbach.Das Thema vertieft er in einer vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützten Dissertation „Handwerklichkeit“, die an der ETH Zürich von Prof. Annette Spiro und an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur von Prof. Dieter Geissbühler betreut wird. Die eigene architektonische Arbeit mit dem Schwerpunkt auf Altbauten versucht, die theoretische Auseinandersetzung in die Praxis zu überführen und durch weitere Erkenntnisse zu ergänzen. Urs Meister ist Professor an der Universität Liechtenstein und führt mit Johannes Käferstein ein Architekturbüro in Zürich, von 1984-1991 Architekturstudium an der ETH Zürich; 1987-1989 Architekturstudium an der Hochschule der Künste, Berlin; 1992-1993 Architekt bei Ernst Gisel, Zürich;  seit 1995 Käferstein & Meister Architekten, Zürich; 1999-2002 Assistenz an der ETH Zürich, Prof. Deplazes; seit 2002 Professor für Entwurf und Konstruktion an der Universität Liechtenstein. Holger Schurk (geb. 1969). 1997 Architekturdiplom an der Universität Stuttgart; 1998-2001 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Stuttgart, Rotterdam und Amsterdam; seit 2001 Architekturbüro dform in Zuerich; 2001-2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Marc Angélil; 20052008 Dozent im Studiengang Joint Master of Architecture der Berner Fachhochschule; seit 2008 Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur; seit 2012 Doktorat an der Akademie der Bildenden Künste Wien zur Rolle der Abstraktion im architektonischen Entwurfsprozess; EAAE Prize 2011-12 for Writings in architectural education für seinen Essay „Design Or Research in Doing“. Peter Staub (geb. 1977 in Zürich) ist Architekt und Wissenschafter an der Schnittstelle zwischen Architektur und visueller Kultur. Er besuchte das Liceo Artistico di Zurigo, studierte an der Accadamia di Architettura di Mendrisio, der Architectural Association School of Architecture (Dipl AA) in London und an der London School of Economics and Political Science (MSc City Design and Social Science). Seine Lehrtätigkeit führten in als Tutor/ Unit Master an die Di-

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ploma School der AA (2005-2008), die Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (2006-2007) und die Universität Liechtenstein, an welcher er die Professur für Architektur und Visuelle Kultur inne hält und akademischer Direktor des Masterstudiengangs in Architektur ist. Sein Augenmerk in Lehre, Forschung und persönlicher künstlerischer Arbeit liegt auf der kritischen Betrachtung, Darstellung und Vermittlung von Architektur und Baukultur. Peter Staub kuratierte Ausstellungen u.a. in der AA Gallery (London, 2006), der Chemistry Gallery (London, 2007) und im Kunstmuseum Liechtenstein (Vaduz, 2012). 2014 wurde er mit der Kuratierung des ersten Auftritts Liechtensteins an der Biennale in Venedig beauftragt. 2011 erschien sein Buch Mediating Architecture bei AA Publications (mit Theo Lorenz) und er ist Herausgeber mehrerer Publikationen, u.a. Architektur Liechtenstein (Niggli 2010 und 2011) oder Positionen 5: Interviews with Tony Fretton, Sulan Kolatan, Andreas Bründler, CJ Lim und André Schmidt (Niggli, 2012) und Positionen 6: Raumkultur und Identität (mit Alberto Alessi und Andri Gerber, Niggli 2013).

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Architekturen 1

Eduard Heinrich Führ DIE MAUER Mythen, Propaganda und Alltag in der DDR und in der Bundesrepublik März 2015, ca. 352 Seiten, Hardcover, durchgehend vierfarbig bebildert, 24,99 €, ISBN 978-3-8376-1909-6

Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes 2011, 366 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1551-7

Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes 2013, 448 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1568-5

Architekturen Susanne Hauser, Julia Weber (Hg.) Architektur in transdisziplinärer Perspektive Von Philosophie bis Tanz. Aktuelle Zugänge und Positionen April 2015, ca. 250 Seiten, kart., 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2675-9

Sonja Hnilica, Markus Jager, Wolfgang Sonne (Hg.) Auf den zweiten Blick Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen 2010, 280 Seiten, Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1482-4

Jörn Köppler Die Poetik des Bauens Betrachtungen und Entwürfe Juli 2015, ca. 180 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,99 €, ISBN 978-3-8376-2540-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Architekturen Anita Aigner (Hg.) Vernakulare Moderne Grenzüberschreitungen in der Architektur um 1900. Das Bauernhaus und seine Aneignung

Achim Hahn (Hg.) Erlebnislandschaft – Erlebnis Landschaft? Atmosphären im architektonischen Entwurf

2010, 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1618-7

2012, 364 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2100-6

Michael Falser, Monica Juneja (Hg.) Kulturerbe und Denkmalpflege transkulturell Grenzgänge zwischen Theorie und Praxis

Sonja Hnilica Metaphern für die Stadt Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie

2013, 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2091-7

2012, 326 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2191-4

Julia Gill Individualisierung als Standard Über das Unbehagen an der Fertighausarchitektur

Joaquín Medina Warmburg, Cornelie Leopold (Hg.) Strukturelle Architektur Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik

2010, 290 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1460-2

2012, 208 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1817-4

Christian J. Grothaus Baukunst als unmögliche Möglichkeit Plädoyer für eine unbestimmte Architektur

Kerstin Plüm (Hg.) Mies van der Rohe im Diskurs Innovationen – Haltungen – Werke. Aktuelle Positionen

Juni 2014, 320 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2631-5

2013, 228 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2305-5

Nadine Haepke Sakrale Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur John Pawson – Peter Kulka – Peter Zumthor 2013, 458 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2535-6

Ute Poerschke Funktionen und Formen Architekturtheorie der Moderne Juli 2014, 282 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2315-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de