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German Pages 403 Year 2007
Volkswirtschaftliche Schriften Heft 550
Mehrfachbewerbung Ist eine dezentrale Koordination der Studienplatzvergabe verteilungsoptimal, effizient und kostengünstig? – Eine allokationstheoretische Untersuchung – Mit einem Anhang zur Produktionstheorie der Hochschule
Von
Christoph Müller
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Christoph Müller · Mehrfachbewerbung
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann †
Heft 550
Mehrfachbewerbung Ist eine dezentrale Koordination der Studienplatzvergabe verteilungsoptimal, effizient und kostengünstig? – Eine allokationstheoretische Untersuchung – Mit einem Anhang zur Produktionstheorie der Hochschule
Von
Christoph Müller
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 978-3-428-12306-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für Agnes
Vorwort „Und welche Aussichten habe ich, einen Studienplatz zu bekommen?“ Mit dieser Frage ist der Verfasser als Studienberater an der Universität Karlsruhe (TH) seit Jahren konfrontiert. Ihre Beantwortung ist aber immer schwieriger und für die Studieninteressierten immer unbefriedigender geworden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die unternehmerisch gewordenen Hochschulen nunmehr auch das Studierenden-Marketing als ein Betätigungsfeld entdeckt haben. Der wachsende Zweifel, dass bloße Deregulierung im Bereich der Hochschulzulassung jene Effizienzsteigerung hervorzubringen vermag, welche die Wettbewerbspolitik sich davon erhofft, ließ den Verfasser wirtschaftswissenschaftliche Theorien zu Rate ziehen. Dabei hat sich herausgestellt, dass der in der Standardliteratur verwendete Begriff der „Nachfrage“ differenziert werden muss, wenn man den Tatbestand fassen will, dass ein Nachfrager seine Nachfrage mehrfach äußern kann. Herausgekommen ist eine Untersuchung, die sich mit den Entstehungsbedingungen und den Konsequenzen einer mehrfach geäußerten Nachfrage befasst. Das Buch versteht sich als ein Beitrag zu der Erkenntnis, dass Wettbewerb und Kooperation keine sich ausschließenden Prinzipien sind, sondern dass gerade in Fragen der Hochschulzulassung wünschenswerte Formen der Kooperation eine Voraussetzung sind für funktionierenden Wettbewerb. Karlsruhe, im Oktober 2006
Christoph Müller
Inhaltsverzeichnis I.
Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb ...................................... 1. Das Problem: Inferiores Verteilungsergebnis bei hohem Aufwand.............. 2. Wettbewerb .................................................................................................. 3. Marktwirtschaft ............................................................................................ 4. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ ....................................... 5. Ergebnisoffenheit der Interaktion................................................................. 6. Öffentliche Finanzierung.............................................................................. 7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung ..................................................
17 17 22 25 28 36 38 41
II.
Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland........................ 49
III.
Angebot und Nachfrage ................................................................................... 1. Die Struktur des Angebotes.......................................................................... 2. Unterschiedliche Nachfragegrößen .............................................................. 3. Abkürzungen ................................................................................................ 4. Zur Differenzierung der Bewerbungs- und Bewerbermengen......................
IV.
Statistische Angaben......................................................................................... 79 1. Angebot, Nachfrage und Finanzierung......................................................... 79 2. Das Bewerbungsverhalten in der amtlichen Statistik ................................... 84 3. Das Bewerbungsverhalten in repräsentativen Befragungen ......................... 87 a) Die methodischen Probleme............................................................... .... 87 b) Die Studienanfängerbefragung der HIS-GmbH ..................................... 90 c) Die Studienberechtigtenbefragung der HIS-GmbH.................................. 98 4. Die Kosten eines Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens ......................... 103 a) Die Kosten bei der ZVS ........................................................................ 105 b) Die Kosten in lokalen Zulassungsverfahren .......................................... 112 c) Die Kosten auf Bewerberseite............................................................... 118
V.
Die Entstehungsbedingungen für Mehrfachbewerbungen........................... 1. Die Gesamtzahl der Bewerbungen .............................................................. 2. Das Verhältnis von Angebots- und Nachfragestruktur ................................ 3. Kettenreaktionen .........................................................................................
VI.
Die Bewerbungen der Bewerber..................................................................... 128 1. Aufbau des Kapitels .................................................................................... 128
53 53 61 68 71
120 120 121 123
10
Inhaltsverzeichnis 2. Bewerbungskonstellationen, Kennziffern, Informationssituation................ a) Bewerbungskonstellationen und Kennziffern........................................ b) Informationssituation und empirische Statistik ..................................... 3. Individuelle Bestimmungsgründe der geäußerten Nachfrage ...................... 4. Beschreibung der aggregierten, geäußerten Nachfrage ............................... 5. Annahmen für eine Bewerbungsfunktion.................................................... 6. Das theoretische Maximum der geäußerten Nachfrage ............................... 7. Bewerbungsfunktion für ein beschränktes Fach .......................................... a) Die Variablen ........................................................................................ b) Die Bewerbungsfunktion....................................................................... 8. Die Bewerbungsfunktion für sämtliche beschränkte Fächer .......................
131 132 138 159 161 168 174 178 178 196 203
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz .......................................... 209 VIII. Verfahrensbelastung durch Mehrfachzulassungen ...................................... 224 IX.
Verfahrenskosten und Bewerbungsgebühren ............................................... 1. Bewerberseite .............................................................................................. a) Bewerberkosten und dezentrale Koordination....................................... b) Die Kostenbeteiligung der Verlierer ..................................................... c) Bewerberkosten in Abhängigkeit von den Bewerbungskosten.............. 2. Hochschulseite ............................................................................................ 3. Gebühren ..................................................................................................... 4. Verfahrenskosten insgesamt ........................................................................
234 239 239 242 245 250 253 257
X.
Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen ......................................................... 1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern .............................................. 2. Das Zulassungsverfahren in den Europa-Lehrämtern.................................. 3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband....................... a) Wissenschaftsrat.................................................................................... b) Stifterverband........................................................................................ c) Gemeinsamkeiten..................................................................................
261 262 278 280 280 284 285
XI.
Ergebnisse und Vorschläge ............................................................................. 1. Ergebnisse ................................................................................................... 2. Schlussfolgerungen ..................................................................................... a) Dilemmastrukturen................................................................................ b) Ziele des Wettbewerbs und Interessenlagen.......................................... c) Kollektive Übereinkunft........................................................................ 3. Stufen der Koordination .............................................................................. 4. Abschließende Bemerkungen ......................................................................
288 288 293 294 295 300 302 311
XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?............................. 316 1. Zusammenfassung ....................................................................................... 316
Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
13.
14.
15. 16.
Einführung................................................................................................... Annahmen ................................................................................................... Abkürzungen mit Erläuterungen ................................................................. Die Nachfrage-Funktion für Studienplätze.................................................. Die „Produktionsfunktion“.......................................................................... Der Schwund der Studierenden ................................................................... Die Umsatzfunktion und der Kapitalwert der Umsätze ............................... Die umsatzmaximale Zahl der Studienanfänger .......................................... Maximierung des Endvermögens und Studienqualität ................................ Entscheidungsdimensionen ......................................................................... Einige „Politiken“ in Hinblick auf Umsatz und Qualität............................. a) Umsatz durch Masse ............................................................................. b) Umsatz durch hohe Preise ..................................................................... Optimierung nach Umsatz und Qualität ...................................................... a) Berücksichtigung von Absolventenprämien.......................................... b) Gebühren nach Studiendauer ................................................................ Preisdifferenzierung nach Eignung ............................................................. a) Preis-Absatz-Funktionen für unterschiedliche Eignungsklassen........... b) Erste Schlussfolgerungen ...................................................................... c) Die Umsatzfunktion bei Preisdifferenzierung ....................................... d) Erläuterung an einem Beispiel .............................................................. e) Konsequenzen ....................................................................................... Preisdifferenzierung nach Eignung und Vermögensumständen .................. Ausblick: Selbstverstärkungsprozesse und Oligopolbildung.......................
11 316 323 328 332 335 341 344 346 351 352 354 354 355 355 355 360 361 362 365 368 370 378 380 383
Zusammenfassung ..................................................................................................... 385 Summary .................................................................................................................... 388 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 391 Stichwortregister ....................................................................................................... 394
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zum Wintersemester des Jahres X......................................................................................... 50 Abbildung 2: Studienplätze an öffentlichen Hochschulen für deutsche Erststudierende im ersten Semester zum Wintersemester des Jahres X ..... 55 Abbildung 3: Unterschiedliche Bewerbungs- und Bewerbermengen ........................ 73 Abbildung 4: Bewerbungs- und Informationssituation bei dezentraler Koordination............................................................................................ 131 Abbildung 5: Disjunkte Mengen von Bewerbern, Bewerbungen und Hochschulen . 142 Abbildung 6: Mengendurchschnitte bei Bewerbern und Bewerbungen.................... 147 Abbildung 7: Bewerbungen in Abhängigkeit von der Zahl der Hochschulen (multiplikative Beziehung) ................................................................. 201 Abbildung 8: Bewerbungen in Abhängigkeit von den Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen (multiplikative Beziehung) .......................... 201 Abbildung 9: Bewerbungen in Abhängigkeit von der Zahl der Hochschulen (exponentielle Beziehung) .................................................................. 202 Abbildung 10: Bewerbungen in Abhängigkeit von den Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen (exponentielle Beziehung)........................... 203 Abbildung 11: Bewerbungen und bewerbungsbedingte Bewerberkosten in Abhängigkeit von den Bewerbungskosten (exponentielle Beziehung).......................................................................................... 247 Abbildung 12: Bewerbungen und bewerbungsbedingte Bewerberkosten in Abhängigkeit von den Bewerbungskosten (multiplikative Beziehung).......................................................................................... 248 Abbildung 13: Bewerbungen und bewerbungsbedingte Bewerberkosten in Abhängigkeit von den Bewerbungskosten bei linear fallender Bewerbungsfunktion........................................................................... 249 Abbildung 14: Zahl der Studienanfänger in Abhängigkeit von der Gebührenhöhe ... 334 Abbildung 15: Absolventenzahlen und Absolventenquote in Abhängigkeit von der Zahl der Studienanfänger (bei gegebenen Qualitätsanforderungen im Examen) .................................................................... 337
Abbildungsverzeichnis
13
Abbildung 16: Ineffiziente Dienstleistungsproduktion, die sich lohnt........................ 339 Abbildung 17: Verbleibslinien: Entwicklung der Studierendenzahlen ....................... 344 Abbildung 18: Kapitalwert der Umsätze in Abhängigkeit von der Höhe der Studiengebühren ................................................................................. 349 Abbildung 19: Preis-Absatz-Funktionen bei Preisdifferenzierung für drei Klassen unterschiedlich geeigneter Studienanfänger ....................................... 372 Abbildung 20: Gesamt-Preis-Absatz-Funktionen mit und ohne Preisdifferenzierung ................................................................................................ 373
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Studienplätze, Bewerbungen, Zulassungen und Einschreibungen in den Studiengängen Biologie (Diplom) und Biologie (Lehramt an Gymnasien) an der Universität Karlsruhe zum Wintersemester 2004/2005.... 18
Tabelle 2:
Hochschulen, Studienanfänger, Studiengänge, Studienfächer, Studienvarianten, Kapazitätsbeschränkungen, Auswahlverfahren und Finanzierung an deutschen Hochschulen.......................................................... 79
Tabelle 3:
Hochschulen, Studienplätze und Bewerber in Studienfächern, die im WS 2003/04 bundesweit über die ZVS vergeben worden sind .......... 85
Tabelle 4:
ZVS: Ausgaben, Studienplätze und Bewerbungen................................. 108
Tabelle 5:
Kennziffern zum Zulassungsverfahren am Beispiel zweier Hochschulen ................................................................................................... 134
Tabelle 6:
Bewerbungsprofile für 3 Bewerber an 3 Hochschulen mit jeweils 3 kapazitätsbeschränkten Studienvarianten ............................................ 162
Tabelle 7:
Bewerbungsprofile von 9 Bewerbergruppen für 3 Hochschulen ............ 164
Tabelle 8:
Studienplätze und Bewerbungen: Bewerbungsintensität (BW/S)............ 266
Tabelle 9:
Studienplätze und Immatrikulationen nach dem Ende des Hauptverfahrens: Auslastungsquote Hauptverfahren (I/S)............................... 267
Tabelle 10: Endstand Bewerbungen und Zulassungen: Zulassungswahrscheinlichkeit (Z/BW) ....................................................................................... 268 Tabelle 11: Endstand Zulassungen und Immatrikulationen: Annahmequote (Ie/Z) ... 269 Tabelle 12: Endstand Immatrikulationen pro Studienplatz: Kapazitätsauslastung (Ie/S)........................................................................................... 270 Tabelle 13: Zahl der Bewerbungen von Bewerbern zum WS 04/05 ......................... 271 Tabelle 14: Zahl der Zulassungen, die einzelne Bewerber im Hauptverfahren erhalten haben, zum WS 04/05............................................................... 274 Tabelle 15: Bewerbungs- und Zulassungsaktivitäten im Dreijahresvergleich........... 275 Tabelle 16: Kennziffern des dezentralen Zulassungsverfahrens in BWL und Rechtswissenschaft zum WS 05/06........................................................ 283 Tabelle 17: Entwicklung der Studierendenzahlen bei unterschiedlichen Anfängerzahlen ..................................................................................................... 343
Tabellenverzeichnis
15
Tabelle 18: Maxima der Einnahmen mit und ohne Kalkulation einer Absolventenprämie..................................................................................................... 358 Tabelle 19: Umsätze, Umsatzanteile, Studienanfänger aus drei Eignungsklassen bei Preisdifferenzierung nach Eignung................................................... 375 Tabelle 20: Maxima der Kapitalwerte der eingenommenen Studiengebühren, Zahl der Studienanfänger, Zahl der Absolventen und Absolventenquoten bei Hochschulzulassung ohne und mit Preisdifferenzierung .................. 376
There is no such thing as a truly „free market“ in higher education.1
I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb 1. Das Problem: Inferiores Verteilungsergebnis bei hohem Aufwand Die Nachfrage nach Studienplätzen und vor allem nach Studienplätzen in bestimmten Fächern unterliegt Schwankungen. Am Ende des vergangenen Jahrtausends hatten in Deutschland die Wirtschaftswissenschaften einen starken Zulauf von Studienanfängern zu verzeichnen, spätestens seit Beginn des gegenwärtigen Jahrtausends erfreuen sich die Lebenswissenschaften einer hohen Beliebtheit, so auch das Studienfach Biologie. Wenn sich deutlich mehr Personen für bestimmte Studienplätze bewerben als davon vorhanden sind, ergibt sich die Notwendigkeit einer Auswahl unter diesen Bewerbern, so auch beispielsweise an den sieben Universitäten im deutschen Bundesland BadenWürttemberg, welche das Studienfach Biologie in den beiden Studiengängen Diplom und Lehramt an Gymnasien zum Wintersemester 2004/2005 angeboten haben.2 Bei dieser Auswahl und ihrer öffentlichen Rechtfertigung – insbesondere hinsichtlich der dabei zur Anwendung kommenden Kriterien – entstehen zahlreiche Fragen und Probleme. Ein ganz spezielles Problem offenbart die folgende Bewerbungs-, Zulassungs- und Einschreibungsstatistik, exemplarisch für Deutschlands älteste Technische Hochschule, die Universität Karlsruhe (TH):3
___________ 1
Jongbloed (2003), S. 134. Es handelt sich um die Universitäten Freiburg, Heidelberg, Hohenheim, Karlsruhe, Konstanz, Tübingen und Ulm. 3 Die Zahlen wurden dankenswerterweise vom Studienbüro der Universität Karlsruhe (TH) zur Verfügung gestellt. 2
18
I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Tabelle 1 Studienplätze, Bewerbungen, Zulassungen und Einschreibungen in den Studiengängen Biologie (Diplom) und Biologie (Lehramt an Gymnasien) an der Universität Karlsruhe zum Wintersemester 2004/2005
Studienplätze Bewerbungen Zulassungen Endgültige Einschreibungen
Diplom 90 132 126 81 (96)
Biologie Lehramt an Gymnasien 10 153 18 8
Der auffällige Befund: Für einen Studienplatz in Biologie (Diplom) gab es rund 1,5 Bewerbungen, für einen Studienplatz in Biologie (Lehramt) gab es rund 15 Bewerbungen. Trotz der etwa zehnfach höheren Nachfrage in Biologie (Lehramt) waren bei diesem Studiengang am Ende des gesamten Zulassungsverfahrens aber nur 80 Prozent der Studienkapazität ausgeschöpft. Zwei von zehn Studienplätzen sind unbesetzt geblieben. Wie kann ein solches Ergebnis zustande kommen? Der Grund ist bei den Auswahl- und Zulassungsverfahren zu vermuten. Biologie (Diplom) Interessenten für diesen Studiengang mussten sich bundesweit bei der „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ (ZVS) bewerben. Dort konnte ein und dieselbe Person auch nur eine einzige Bewerbung einreichen. Die ZVS hat im Falle von Biologie (Diplom) nach bestimmten Kriterien die Vorauswahl und Zulassung für alle Bewerber für Biologie (Diplom) übernommen. 132 Bewerber hatten sich an erster Stelle die in Frage stehende Universität gewünscht, davon haben 126 eine Zulassung erhalten. Da nicht alle Bewerber ihren Studienplatz angenommen haben, ist die Zahl der Zulassungen höher gewesen als die Zahl der schließlich erfolgten Einschreibungen (81). Ausländische Bewerber, welche nicht Deutschen gleichgestellt sind, sind dagegen direkt von der Hochschule (ohne „Umweg“ über die ZVS) zugelassen worden. Diese Ausländer haben die Einschreibungen an der Universität Karlsruhe von 81 auf 96 erhöht, die vorhandene Kapazität wurde damit mehr als ausgeschöpft. Biologie (Lehramt an Gymnasien) In diesem Studiengang hat die Hochschule alle Studienplätze unmittelbar selbst vergeben – ohne den „Umweg“ über einen zentralen Vermittler. Bei solcher dezentralen Vergabe der Studienplätze können sich die Bewerber auch an mehreren Hochschulen gleichzeitig bewerben. An der betrachteten Universität gab es für die Zulassung in Biologie (Lehramt) ein spezielles Verfahren. Nach den Kriterien allgemeine Abiturnote, Noten in bestimmten Fächern und sonstige Leistungen (insbes. Berufsausbildungen) wurden nach Aktenlage die 30 bes-
1. Das Problem
19
ten Bewerber zu einem Test eingeladen, in dem mathematische und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse gefragt waren. Dieser Test wurde von der Fakultät selbst entwickelt. Anschließend wurden nach diesen Testergebnissen und unter erneuter Berücksichtigung bestimmter Abiturfächer die Studienplätze an die besten der 30 vorausgewählten Bewerber vergeben. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Zulassungsverfahren: Die Bewerbung zum Studiengang Biologie (Diplom) war zentral koordiniert, die Bewerbung zum Studiengang Biologie (Lehramt) war nicht zentral koordiniert, sondern sie ist dezentral erfolgt.4 Bei einer solchen dezentralen Vergabe machen die Bewerber von der Möglichkeit der Mehrfachbewerbung an verschiedenen Hochschulen reichlich Gebrauch, um ihre individuellen Zulassungschancen für einen Studienplatz in Biologie (Lehramt) zu erhöhen. Es liegt nun nahe, dass die vorausgewählten 30 besten Bewerber noch eine Menge anderer „Eisen im Feuer“ hatten und an mehreren Hochschulen gleichzeitig eine Zulassung erhalten haben. Aus der Mehrfachbewerbung der Besten hat sich eine mehrfache Zulassung der Besten ergeben, da die Universitäten in erster Linie um dieselbe Teilmenge der Bewerber konkurriert haben. Da aber auch der beste Bewerber nur eine einzige Zulassung annehmen kann, sind seine restlichen Zulassungen verfallen. Die besten Bewerber haben auf diese Weise wahrscheinlich die Hauptmasse der Zulassungen an verschiedenen Hochschulen gleichzeitig auf sich vereinigt; sie haben aber jeweils nur eine Zulassung realisieren können und haben die anderen Zulassungen verfallen lassen. Nur 44 % der Zugelassenen haben schließlich ihren Studienplatz an der Universität Karlsruhe auch angenommen.5 Die weniger guten Bewerber sind dann in den so genannten Nachrückverfahren (für die von den Besten nicht angenommenen Studienplätzen) infolge von Zeitknappheit nicht mehr in dem Maße zum Zuge gekommen, dass dann auch alle nicht angenommenen Studienplätze besetzt wor___________ 4
Zunehmend erfolgt auch die Zulassung zu Nicht-Lehramtsstudiengängen dezentral. So haben die Universitäten Heidelberg und Konstanz zum Wintersemester 2005/2006 Bachelor-Studiengänge statt der Diplom-Studiengänge in Biologie eingerichtet. Die Studienplätze für diese Bachelor-Studiengänge werden nun ebenso wie diejenigen für Lehramtsstudiengänge nicht mehr zentral durch die ZVS vermittelt. Die Hochschulen scheinen also die Einrichtung von Bachelor-Studiengängen als Gelegenheit zu nutzen, um aus der zentralen Koordinierung der Studienplatzvergabe in zulassungsbeschränkten Fächern auszusteigen. 5 Wenn auch die Annahmequote für die von der ZVS vermittelten Studienplätze in Biologie (Diplom) nicht überwältigend hoch ist, so liegt ein Grund u.a. darin, dass es für Bewerber für Studienplätze im Lehramtstudium nahe liegt, eine nachrangige Präferenz für das Diplom-Studium zu bilden und sich also bei der ZVS dafür zu bewerben. Sie können darauf hoffen, später einmal aus dem Diplom- in den Lehramtsstudiengang wechseln zu können. Jene Bewerber, denen es auf Anhieb gelingt, einen Studienplatz im Lehramtsstudium zu bekommen, nehmen dann den Studienplatz im DiplomStudiengang nicht an, was dann auch zu sinkenden Annahmequoten bei der ZVS führt.
20
I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
den wären. Von den wenigen, heftig begehrten Studienplätzen für Biologie (Lehramt) sind auf diese Weise zum Semesterbeginn sogar noch Plätze frei geblieben. Nimmt man an: (1) Die Universität hätte die zwei letzten Studienplätze lieber mit geeigneten Bewerbern besetzt, als sie unbesetzt zu lassen; und (2) unter den abgelehnten Bewerbern, welche auch an anderen Hochschulen keinen Studienplatz erhalten haben, seien mindestens ein oder zwei geeignete Bewerber gewesen – dann ist die Endverteilung sowohl aus Anbieter- wie aus Nachfragersicht und damit in jeder Hinsicht als inferior zu bezeichnen. Dieses inferiore Verteilungsergebnis ist umso bedenklicher, wenn man den Verfahrensaufwand (s.u.) berücksichtigt. Natürlich hat die Universität aus den Verfahrensergebnissen des Wintersemesters 2004/2005 zu lernen versucht, wie die folgende Übersicht für das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren für den Studiengang Biologie (Lehramt) im folgenden Jahr (Wintersemester 2005/06) zeigt: Studienplätze: Bewerbungen: Einladungen zum Test: TeilnehmerInnen am Test Zulassungen: Einschreibungen: Endgültige Einschreibungen:
10 164 33 22 22 15 12
Die Bewerbungen sind von 153 auf 164 gestiegen. Der Lernprozess der Universität bestand darin, dass sie von vornherein noch mehr Bewerber zugelassen hat, nämlich 22 statt nur 18. Die Zugelassenen haben nun aber in höherem Maße ihre Studienplätze angenommen als die Bewerber im Vorjahr (nämlich 15 von 22, das sind 68 % gegenüber 44 % im Vorjahr), so dass sich zum WS 05/06 fünfzehn Bewerber immatrikuliert haben, von denen sich drei vor Studienbeginn schon wieder exmatrikuliert hatten, so dass am Ende des Verfahrens zwölf Studienplätze endgültig besetzt waren. Das Endergebnis ist nun für die Bewerberseite zwar befriedigender, weil insgesamt mehr Studienplätze besetzt worden sind als im Vorjahr, dafür aber für die Universität problematisch; denn waren im Jahr zuvor nur 80% der Studienplätze besetzt, sind es nun 120 %. In keinem der beiden Fälle war die Kapazität optimal ausgelastet. Des Weiteren: Der Verfahrensaufwand hat sich noch dadurch erhöht, dass sich die Bewerber selbst dann noch umorientiert haben, wenn sie sich schon immatrikuliert hatten. Immerhin 20 Prozent der eingeschriebenen Bewerber haben sich kurz vor Semesterbeginn wieder exmatrikuliert – sehr wahrscheinlich, weil sie noch sehr spät einen Studienplatz in Biologie (Lehramt) an einer anderen Universität be-
1. Das Problem
21
kommen hatten, die von ihnen höher präferiert worden war. Die Kosten, welche das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren verursacht hat, seien hier annähernd für die Zulassung zum WS 05/06 geschätzt. Auf Hochschulseite: 2.000 € für die Information und Beratung der Bewerber hinsichtlich des Zulassungsverfahrens; 5.000 € für die Entwicklung der Zulassungssatzung sowie die jährliche Veränderung, Durchführung und Bewertung des Tests durch Mitglieder der Fakultät;6 50 € für die Bearbeitung einer Bewerbung bis hin zur Zulassung oder Ablehnung durch die Verwaltung. Es ergeben sich dann als Kosten auf der Hochschulseite: 2.000 € + 5.000 € + 164 50 € = 15.200 €. Auf Bewerberseite: 15 €
70 €
pro Bewerber für die Information über das Bewerbungsverfahren, das Ausfüllen des Zulassungsantrages sowie die Zusammenstellung der sonstigen Bewerbungsunterlagen; pro Testteilnehmer (u.a. für Anreise, ggf. Übernachtung, Teilnahme).
Es ergeben sich bei diesen Annahmen als Kosten auf der Bewerberseite: 164 15 € + 22 70 € = 4.000 €. Nach dieser überschlägigen Rechnung entstanden somit an eher unterschätzten Kosten im (Teil-)Studiengang Biologie (Lehramt) im Zulassungsverfahren zum WS 05/06: Gesamte Kosten: Kosten pro besetzbarem Studienplatz: Kosten pro tatsächlich besetztem Studienplatz: Kosten pro erfolgter Zulassung Kosten pro Bewerbung: ___________ 6
15.200 + 4.000 19.200/10 19.200/12 19.200/22 19.200/164
= 19.200 € = 1.920 € = 1.600 € = 873 € = 117,07 €
Dieser Ansatz ist deutlich zu niedrig gewählt. Die Fakultät für Chemie und Biowissenschaften schätzt den Arbeitsaufwand für die Entwicklung und die Anwendung des Testverfahrens in Stunden eines Akademischen Rates folgendermaßen ein: Erstmalige Erstellung einer Satzung und deren Verabschiedung: 150 Stunden + dreimalige Durchführung des Tests zu jeweils 45 Stunden. Bei insgesamt drei durchgeführten Verfahren ergibt das 150/3 + 45 = 95 Stunden pro Verfahren – das sind mehr als zwei Monatsgehälter eines Akademischen Rates. Dabei ist die juristische Betreuung bei der erstmaligen Einrichtung des hochschuleigenen Auswahlverfahrens noch nicht mit in Anschlag gebracht.
22
I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Für jene 22 Bewerber(innen), welche eine Zulassung erhalten haben, hat sich der Aufwand gelohnt. Zehn von diesen 22 Zugelassenen konnten es sich sogar leisten, den Studienplatz an der Universität Karlsruhe nicht anzunehmen, was darauf schließen lässt, dass wenigstens noch eine andere Universität Bewerbungsaufwand für diese Bewerber gehabt hat. Ungünstig ist die Situation für die große Menge der Verlierer, so dass sich die Frage nach einer angemesseneren Beteiligung der Gewinner und der Verlierer an den Verfahrenskosten stellt. Angesichts des hohen Verfahrensaufwandes für die Durchführung des Tests bei höchst unsicherem Annahmeverhalten der Bewerber hat die Universität im darauf folgenden Jahr (also für die Zulassung zum Wintersemester 2006/2007) das aufwändige Testverfahren wieder abgeschafft. Das Auswahlverfahren mit hochschuleigenem Test war zum WS 03/04 erstmalig eingeführt worden und ist somit insgesamt nur dreimal zur Anwendung gekommen. Es stellen sich Fragen. Was sind die Gründe, welche eine dezentrale Koordination der Vergabe von Studienplätzen rechtfertigen können? Warum hat man dergleichen überhaupt eingeführt?
2. Wettbewerb Die Liste der an deutschen Hochschulen diagnostizierten Mängel ist lang. Dazu zählen: Unterfinanzierung, zu hohe Abbruchsquoten, zu lange Studienzeiten, zu geringe Bedeutung der Lehre und geringe Service-Orientierung, zu geringe Profilbildung und Nachfrageorientierung. Als ein Mittel der ersten Wahl, um die Effizienz an den Hochschulen zu steigern, gilt eine Stärkung ihrer Verfügungsrechte. Die Hochschulen sollen selbständiger und in mehr Bereichen selbst entscheiden können. Dieses betrifft insbesondere • • • •
die Ausgestaltung des Angebots an Studiengängen, den Einsatz der Ressourcen, insbesondere der Finanzmittel, das Dienstrecht des angestellten Lehrpersonals, die unmittelbare Auswahl der Studienbewerber, um die es hier geht.
In den Ländern der Bundesrepublik Deutschland wird daher den Hochschulen zunehmend ermöglicht oder sogar vorgeschrieben, dass sie im Falle der dezentralen Vergabe von Studienplätzen in kapazitätsbeschränkten Fächern nicht mehr – wie früher – nur nach Zeugnisnote und Wartezeit auswählen sollen, sondern noch andere Kriterien für die Auswahl der Studienbewerber heranziehen dürfen oder sogar müssen. Letzteres ist im Land Baden-Württemberg der Fall.
2. Wettbewerb
23
Da in Deutschland die öffentlichen Hochschulen vornehmlich aus Steuermitteln finanziert werden, liegt ein weiterer Ansatz zur Stimulierung einer höheren Effizienz und Leistungsorientierung nahe, die so genannte output-orientierte oder leistungsorientierte Mittelvergabe durch die Ministerien an die Hochschulen. Die Zuweisung von Finanzmitteln wird u.a. an die Erfüllung bestimmter Leistungskriterien gekoppelt. Für einen sich vornehmlich an ökonomischen Größen orientierenden Wettbewerb im Hochschulwesen wird allerdings erst mit der Einführung von Studiengebühren die letzte Konsequenz gezogen. Diese sind von den Nachfragern privat unmittelbar an die Hochschulen zu bezahlen, auch wenn über Möglichkeiten der öffentlichen oder öffentlich geförderten Finanzierung dieser Beträge nachgedacht wird. Die Einführung derartiger Studiengebühren hat u.a. folgende Aspekte: Erstens sollen den Hochschulen zusätzlich Finanzmittel zufließen; zweitens sollen die Studienbewerber dadurch zu einer überlegten Studienwahl und einem zügigen Studium motiviert werden; drittens sollen diejenigen, die am meisten von einer Hochschulausbildung profitieren, sich stärker an der Finanzierung ihrer Ausbildung beteiligen; und viertens bedeuten Studiengebühren eine generelle Stärkung der Nachfrageseite. Mit Studiengebühren könnten Ansätze zu einer Preisbildung für Studienplätze gegeben sein, und von einer solchen Preisbildung könnten entsprechende Anreize ausgehen, nämlich eine stärkere Nachfrage- und Service-Orientierung der Hochschulen sowie ein nachvollziehbarer Bezug zu den unterschiedlichen Kosten, die unterschiedliche Studiengänge verursachen. Des Weiteren würde eine Gebührenfinanzierung einen zusätzlichen Anreiz für die Anbieterseite darstellen, ihre Ressourcen effizient und sparsam einzusetzen. Parallel zum reinen Effizienz-Diskurs läuft die Forderung nach einer schärferen „Profilbildung“ der Hochschulen, wobei hierbei durchaus auch an eine qualitative Differenzierung gedacht ist. Insofern steht dieser (zweite) Profilierungs-Diskurs in einem weiteren Zusammenhang mit der Forderung nach einer bewussten Elitenbildung an Elite-Hochschulen. Als Zielvorstellung bildet sich dabei heraus, dass die besten Hochschulen um die besten Bewerber konkurrieren und die besten Bewerber um die besten Hochschulen. Die erwähnten Ansätze zur Hochschulreform und zur Reform der Hochschulzulassung orientieren sich dabei zunehmend an Vorgängen, wie sie sich auf „dem Markt“ abspielen, ohne dass dieses allerdings in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird. Eher wird allgemein von „mehr Wettbewerb“, „Deregulierung“, „Stärkung der Verfügungsrechte“ und „Leistungsorientierung“ gesprochen. Auch die allgemeine Forderung nach „Freiheit“ und „Befreiung“ bzw. „Entfesselung“ der Hochschulen wird erhoben. Die allgemeinen, gesellschaftli-
I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
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chen „Orientierungspunkte“1 im Sinne weithin akzeptierter „Ideologien“ (wertfrei verstanden)2 haben sich verändert von eher etatistischen oder zumindest konsensorientierten Einstellungen zur liberal und durchaus auch wirtschaftsliberal geprägten Forderung nach mehr Eigenverantwortung und mehr Wettbewerb in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – so auch im Hochschulwesen. Wenn andererseits der Begriff „Marktwirtschaft“ in der öffentlichen Diskussion um Bildungsreformen nicht oder kaum zu hören ist, liegt das vermutlich an einer in Deutschland starken Tradition, welche Angelegenheiten der Bildung durchaus auch ökonomie- und nützlichkeitsfern zu denken gewohnt ist. Die Ökonomie befasst sich ganz überwiegend mit materiellen Gütern und Anreizen, der Bereich der Bildung wird dagegen teilweise auch dem Bereich immaterieller Werte zugerechnet. Im englischen Sprachraum ist dagegen deutlicher von „Marketisation in Higher Education“3, von „Commerzialisation of Higher Education“4, ja sogar von „McDonaldization of Higher Education“5 die Rede. Ein Hintergrund für diese internationale Entwicklung dürfte die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen sein, welche im Jahr 1994 unter dem Dach der Welthandelsorganisation im Rahmen des „General Agreement on Trade in Services (GATS)“ beschlossen wurde, auch den Bildungsbereich betrifft und weitere Verhandlungsrunden nach sich gezogen hat.6 In einem derartigen Kontext liegt es nahe, dass die „Entrepreneurial University“ gefordert bzw. inzwischen auch beschrieben wird.7 Es geht in der Bildung zwar nicht nur um Geld, andererseits ist zu konstatieren, dass Denkfiguren aus dem neoklassischen Diskurs der Ökonomie in die Hochschulreform verschiedener Länder Einzug halten und entsprechende Maßnahmen motivieren, wie die hier angesprochene, dezentrale Koordination der Hochschulzulassung. Diese Maßnahmen scheinen zumindest in Deutschland im Bereich der Studienplatzvergabe nicht unbedingt das zu erfüllen, was man sich von ihnen verspricht, wie das eingangs angeführte Beispiel zeigt. Ein Zulassungsverfahren, in dem bei 153 Bewerbungen von 10 Studienplätzen nach 18 Zulassungen schließlich nur 8 Plätze besetzt sind, kann offensichtlich weder als kostengünstig noch als verteilungsoptimal bezeichnet werden. ___________ 1
Zu derartigen „Orientierungspunkten“ vgl. Homann/Suchanek (2005), S. 90f. Vgl. North (1990/1992), S. 28. 3 Vgl. den Titel des Beitrags von Jongbloed (2003). Der Begriff scheint eingeführt worden zu sein durch einen Aufsatz von G.L. Williams: The „marketization“ of higher education: ... (1995), der von Jongbloed zitiert wird. 4 Bok (2003/2005). 5 Hayes/Wynyard (2002). 6 Einführend Scherrer (2003). 7 Clark (1998). 2
3. Marktwirtschaft
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Da Schlagworte aus dem marktökonomischen Diskurs in einer vielfach diffusen Weise in die Reformdiskussion Einzug gehalten haben, soll hier um der Klarheit willen unterstellt werden, dass sie sich auch tatsächlich auf das Modell des Marktes beziehen. Es folgt daher eine Annäherung an das Problem der Studienplatzvergabe vom marktwirtschaftlichen Paradigma her.
3. Marktwirtschaft Nach dem Untergang der Zentralverwaltungswirtschaften hat die Organisationsform des „freien Marktes“ mit privatwirtschaftlich handelnden Akteuren ihre ökonomische Überlegenheit erwiesen. Als ein entscheidender Vorteil dieser Organisationsform gilt nicht nur das Privateigentum, sondern vor allem die dezentrale Koordination von Angebot von Nachfrage, und zwar auf Märkten, wo der Preis u.a. seine Funktion als Medium der Information (über Knappheit) und als Kriterium der Rationierung wahrnehmen kann. Seitens der mikroökonomischen Theoriebildung ist folgender Nachweis geführt worden:1 Wenn die Konsumenten ihren Nutzen und die Unternehmen jeweils ihren Gewinn maximieren, sind die Märkte unter vollständiger Konkurrenz im Gleichgewicht pareto-optimal, d.h. die Produktionsfaktoren werden effizient eingesetzt und die Güterverteilung ist in dem folgenden, präzisen Sinn optimal: Weder beim Faktoreinsatz noch bei der Güterverteilung kann etwas verändert werden, ohne dass ein Haushalt schlechter gestellt würde. Eine übliche Formulierung besagt, dass bei dem Gleichgewichtspreis bzw. bei den Gleichgewichtspreisen, die sich im (Walras-)Gleichgewicht einstellen, „alle Pläne erfüllt“ werden, das heißt: Zu diesem Preis werden sämtliche Anbieter, die entsprechend günstig herstellen können, ihre Güter los; und jeder Nachfrager kann zu diesem Preis das Gut kaufen. Der erste Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie besagt nun, dass derartige (Walras-)Gleichgewichte stets paretooptimal sind.2 Es gibt – bei gegebenem Volkseinkommen – im Prinzip unendlich viele Pareto-Optima, weil dieses Kriterium über die Art der Einkommensverteilung selbst nichts aussagt. Eine Verteilung, in der alle gleich viel haben, kann ebenso pareto-optimal sein wie eine, in der es wenige Reiche und viele Arme gibt. Entscheidend ist für dieses Kriterium nur, dass keine Ressourcen verschwendet werden und dass niemand besser gestellt werden könnte, ohne dass ein anderer
___________ 1 2
Insbes. Debreu (1959/1976). Einführend Weimann (2006), Kap. 3.3.2, S. 103ff.
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
schlechter gestellt werden müsste. Ein solcher Zustand muss, unabhängig von Fragen der Einkommensverteilung, als sehr vorteilhaft gelten. Der Nachweis der Pareto-Optimalität ist für eine marktwirtschaftliche Organisationsform in strengem Sinn allerdings nur unter zahlreichen, idealen Annahmen erbracht worden, darunter die folgenden: • vollständige Konkurrenz (homogene Güter, Markttransparenz: vollständige Preisinformation und hinreichende Information über die Qualität der angebotenen Güter, viele Anbieter und Nachfrager, freier Marktaustritt und Marktzutritt, volle Beweglichkeit der Preise); • keine Transaktionskosten; • bestimmte Eigenschaften der Präferenzbildung der Haushalte. Dazu gehört u.a., dass der einzelne Haushalt klare und in sich konsistente Präferenzen gebildet hat; dass diese Präferenzen ohne Rücksicht auf und unbeeinflusst von anderen Haushalten und den Produktionsplänen der Produzenten gebildet worden sind3, und dass der Grenznutzen eines Gutes mit steigendem Verbrauch abnimmt (letzteres gilt inzwischen nicht mehr als zwingende Voraussetzung); • bestimmte Eigenschaften der Produktionsfunktionen der Unternehmen, wobei normalerweise solche mit abnehmenden Grenzerträgen angenommen werden; externe Effekte positiver oder negativer Art (sozialer Nutzen, soziale Kosten) liegen nicht vor bzw. bleiben unberücksichtigt. Aus diesen Annahmen ergibt sich u.a., dass Anbieter und Nachfrager als Mengenanpasser und Preisnehmer agieren; dass der Preis gleich den Grenzkosten ist; dass keine Preisdifferenzierung (für dasselbe Gut hinsichtlich verschiedener Nachfrager) existiert, sondern das „Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise“ (für gleiche Güter) gilt und dass mit steigendem Preis eines Gutes die Nachfrage danach sinkt. Ein zentrales Merkmal dieser Theoriebildung ist die Voraussetzung der Anonymität und Unpersönlichkeit der ökonomischen Interaktionen. Die Akteure kalkulieren gewissermaßen als ökonomische Monaden, welche ansonsten nur die Preise gleichartiger Güter vergleichen. Ein Musterbeispiel für die Anonymität der auf diese Weise zustande kommenden Transaktionen ist die Wertpapierbörse. Verkäufer und Käufer interessieren sich allein für den Preis des seinerseits meist anonymen (Inhaber-)Papiers, und dieser Preis unterliegt zwischen ___________ 3 Debreu (1959/1976), S. 90. Unter sozialpsychologischem Gesichtspunkt erscheint dieses als eine besonders eingeschränkte Annahme, insbesondere für „Wohlstandsgesellschaften“, wo außerordentlich viele Güter zu „Statusgütern“ mit „demonstrativem Konsum“ (Duesenberry) geworden sind. Vgl. dazu beispielsweise Weimann (2006), Sidestep 12, S. 98ff.
3. Marktwirtschaft
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verschiedenen Börsenplätzen zu demselben Zeitpunkt allenfalls geringen Unterschieden, da größere Preisunterschiede sofort einen Arbitragehandel hervorrufen, der zur Preisangleichung führt. Wegen ihrer zahlreichen, idealen Annahmen hat diese Art der Theoriebildung Kritik und Spott hervorgerufen, welche aber teilweise den Sinn einer solchen Modellbildung verkennen. Diese kann insbesondere als Bezugspunkt dienen für die Beurteilung konkreter, auch unvollkommener Märkte sowie zur Beurteilung von Allokationssituationen in der Wohlfahrtsökonomik. „Entsprechend dem so genannten Paretokriterium lässt sich nur dann von einer Wohlfahrtssteigerung sprechen, wenn mindestens ein Individuum eine individuelle Nutzensteigerung erfahren hat, ohne dass auch nur ein anderes Individuum eine Nutzenminderung erleidet.“4 Dieses Kriterium geht von schwachen Voraussetzungen aus, da es weder einen kardinal messbaren Nutzen, noch interpersonelle Nutzenvergleiche noch eine bestimmte Einkommensverteilung voraussetzt. Nach diesem Kriterium lassen sich zumindest suboptimale Situationen eindeutig beurteilen. Wenn es möglich ist, einzelne Individuen besser zu stellen, ohne dass andere Individuen schlechter gestellt werden müssten, ist die Situation eindeutig nicht optimal (pareto-inferior). Um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen: Nach dem Paretokriterium würde eine größere Wohlfahrt realisiert, wenn die beiden im WS 04/05 nicht besetzten Studienplätze für Biologie (Lehramt) besetzt worden wären – vorausgesetzt, unter den abgelehnten Bewerbern sind zwei Bewerber gewesen, die auch an anderen Hochschulen keinen Studienplatz bekommen haben, obwohl sie für ein solches Studium geeignet gewesen und von den Hochschulen gern genommen worden wären. Gleichwohl ist jene Kritik berechtigt, die der hier skizzierten neoklassischen Theoriebildung vorwirft, dass sie • jene zahlreichen institutionellen Voraussetzungen nicht in den Blick nimmt, unter denen ökonomischen Interaktionen überhaupt erst stattfinden können, und • nur geringes Interesse zeigt an den Kosten, welche das Zustandekommen der Transaktionen selbst verursacht.5
___________ 4
Külp (1988), S. 475. Zum Zusammenhang von Transaktionskosten und Institutionen: North (1990/1992), S. 32-42. Zur Nicht-Beachtung der Transaktionskosten in der neoklassischen Theoriebildung speziell S. 36f., S. 69. 5
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Im folgenden Abschnitt soll nun gezeigt werden, dass bei der Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ • praktisch keine der genannten, idealen Annahmen gegeben sind, und • eine Berücksichtigung der besonderen, institutionellen Arrangements als zwingend geboten erscheint.
4. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ Vor irgendeiner Hypothesen- und Modellbildung ist es sinnvoll, sich zumindest die Anbahnung eines Studienbeginns näher anzuschauen. Dazu kann ein Blick in die schöne Literatur dienen. Zitiert sei die bekannte „Schüler-Szene“ aus Goethes „Faust“: Schüler.
Mephistopheles.
Schüler.
Mephistopheles. Schüler.
Mephistopheles.
Ich bin allhier erst kurze Zeit Und komme voll Ergebenheit, Einen Mann zu sprechen und zu kennen, Den alle mir mit Ehrfurcht nennen. Eure Höflichkeit erfreut mich sehr! Ihr seht einen Mann wie andre mehr. Habt ihr Euch sonst schon umgetan? Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an! Ich komme mit allem guten Mut, Leidlichem Geld und frischem Blut; Meine Mutter wollte mich kaum entfernen; Möchte gern was Rechts hieraußen lernen. Da seid ihr eben recht am Ort. Aufrichtig, möchte schon wieder fort: In diesen Mauern, diesen Hallen Will es mir keineswegs gefallen: Es ist ein gar beschränkter Raum, Man sieht nichts Grünes, keinen Baum, Und in den Sälen, auf den Bänken, Vergeht mir Hören, Sehn und Denken. Das kommt nur auf Gewohnheit an. So nimmt ein Kind der Mutter Brust Nicht gleich im Anfang willig an, Doch bald ernährt es sich mit Lust. So wird’s Euch an der Weisheit Brüsten Mit jedem Tage mehr gelüsten.
1870
1875
1880
1885
1890
4. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“
Schüler. Mephistopheles. Schüler.
Mephistopheles. Schüler.
Mephistopheles.
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An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen; Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen? 1895 Erklärt Euch, eh’ Ihr weitergeht, Was wählt Ihr für eine Fakultät? Ich wünschte recht gelehrt zu werden, Und möchte gern, was auf der Erden Und in dem Himmel ist, erfassen, 1900 Die Wissenschaft und die Natur. Da seid Ihr auf der rechten Spur; Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen. Ich bin dabei mit Seel’ und Leib; Doch freilich würde mir behagen 1995 Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib An schönen Sommerfeiertagen. Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen. ...
Es folgt die recht einseitige Vorstellung der verschiedenen Fakultäten, doch ohne dass der Schüler am Ende zu einem bestimmten Studium entschlossen ist. Er möchte einerseits erneut zurückkommen, lässt sich andererseits aber auch schon einen Eintrag in sein Stammbuch geben. Vergleicht man diese Anbahnung eines Studienbeginns mit dem Kauf eines materiellen Gutes oder einer Standard-Dienstleistung (z. B. eines Haarschnitts), so lassen sich zahlreiche Eigentümlichkeiten bemerken: 1. Der Nachfrager hat nur sehr allgemeine Vorstellungen von dem, was er begehrt. Weder Ziel, noch Weg dorthin sind konkretisiert. Er kann den „Gegenstand“ auch prinzipiell noch nicht kennen, da das Kennenlernen ja erst in der Zukunft zu erfolgen hat. Er erhofft sich vom Anbieter im Gegenteil noch Informationen über die verschiedenen Studienmöglichkeiten und eine weitere Klärung seiner Präferenzen. 2. Die überregionale Reputation des Lehrers – üblicherweise als sein „Ruf“ bezeichnet – spielt eine größere Rolle, als dieses bei Anbietern von eher standardisierten Dienstleistungen der Fall ist, z.B. bei Handwerkern und Friseuren. 3. Der Nachfrager ist sich über das gesamte Umfeld eines Studiums im Unklaren und will dieses erst noch erkunden. Es geht um eine künftige Lebenswelt, und deren Erkundung macht ihn in seinen Absichten eher wieder unsicher. Diese neue Lebenswelt hat auch etwas Beängstigendes, Risikohaftes. 4. Der Anbieter setzt seinerseits voraus, dass sich der Nachfrager durchaus nach anderen Anbietern erkundigt hat oder erkundigen wird. Auf die ent-
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sprechende Frage (V. 1874) seines Anbieter-Beraters geht der Nachfrager (der Schüler) allerdings nicht ein und lässt den Anbieter-Berater über seine alternativen Optionen und Präferenzbildungen im Unklaren. 5. Der Nachfrager kann sich nicht sicher sein, dass er für ein Studium selbst bei entsprechender Zahlungsbereitschaft angenommen werden wird. Er erwartet eine persönliche Betreuung (V. 1875) und versucht, sich selbst in einem günstigen Licht darzustellen. Dabei kommt es nicht nur auf das Geld an, das er besitzt (V. 1877), sondern auch auf seine persönliche Eigenschaften (V. 1876f., 1904). 6. Der Nachfrager geht davon aus, dass der Studienaufenthalt „Drei Jahr’“ dauern wird (V. 2005, hier nicht abgedruckt). Der Faktor „Zeit“ spielt eine sehr bedeutende Rolle bei der Inanspruchnahme dieser „Dienstleistung“. Diese Dienstleistung wird nicht kurzzeitig in Anspruch genommen. Der Nachfrager, aber auch der Anbieter gehen ggf. eine durchaus längerfristige Bindung ein. 7. Der Studieninteressent sieht zwar das Studium anscheinend nicht als Arbeit an (was es im ökonomischen Sinne auch nicht ist, da mit einem Studium kein Geld verdient wird), andererseits offensichtlich auch nicht als Konsum oder Freizeit, da er ausdrücklich den Wunsch nach angemessener Freizeit äußert (V. 1907). Es herrscht also eine starke Asymmetrie hinsichtlich des Informationsstandes über das Studium bei Anbieter und Nachfrager. Die Situation des Nachfragers ist durch große Unsicherheiten geprägt in Hinblick auf seine Zielvorstellungen, auf Art und Qualität des von ihm begehrten (Erfahrungs-)Gutes sowie hinsichtlich seiner persönlichen Erfolgsaussichten. Es ist zwar vorstellbar, dass diese Unsicherheiten auf der Nachfrageseite verringert werden können. Selbst wenn man aber einen Nachfrager voraussetzt, der genau weiß, was er will, dann bleiben immer noch gewisse Restunsicherheiten, die mit den persönlichen Voraussetzungen zusammenhängen. Offensichtlich kann ein Studienerfolg im Unterschied zu vielen Dienstleitungen nicht einfach gekauft werden, und der Erfolg muss prinzipiell unsicher bleiben. Es ist nicht möglich, den eigenen Studienerfolg mit einem „Werkvertrag“1 zu kaufen. Darum werden üblicherweise von Bildungsanbietern auch keine Garantien für einen Bildungserfolg gegeben (z.B. im Unterschied zu Reparaturwerkstätten). Die beiden Interaktionspartner müssen zwangsläufig jeweils ein Interesse an den persönlichen und fachlichen Voraussetzungen des Anderen haben, sie ste___________ 1 Das Bürgerliche Gesetzbuch unterscheidet zwischen einem „Dienstvertrag“ (§§ 611-630) und einem „Werkvertrag“ (§§ 631-651m).
4. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“
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hen vor einem gemeinsamen Projekt, in dem es auf Zusammenarbeit ankommt. Darum kann es in einer derartigen Interaktion niemals allein um einen Tausch von Dienstleistung gegen Geld gehen, bei der die persönlichen Eigenschaften der Tauschpartner unerheblich wären. Es lässt sich daraus folgern: Selbst reine Marktbedingungen und einen Verkauf von Studienplätzen vorausgesetzt, wird ein solcher Verkauf kaum jemals allein gegen Geld unter Absehung von den persönlichen Eigenschaften des Nachfragers stattfinden können; bzw. wenn denn ein solcher Verkauf meistbietend stattfinden würde (z.B. im Rahmen einer Auktion von Studienplätzen), dann wäre das Ergebnis wohl kaum wünschenswert. Vor allem reiche Studienbewerber würden in den Besitz von Studienplätzen gelangen, die wiederum die Voraussetzung darstellen für den Erwerb von akademischen Abschlüssen. Wenn dieses darauf hinausliefe, dass derjenige, welcher es sich leisten kann, einen Studienplatz zu kaufen, mit Sicherheit auch einen akademischen Abschluss erlangte, dann würde der Erwerb eines solchen Abschlusses vor allem Vermögensumstände und Eitelkeit signalisieren. An einem solchen Zustand können aber weder potentielle Arbeitgeber, noch die Öffentlichkeit, noch eine auf Reputation bedachte Hochschule selbst interessiert sein. Unter reinen Marktbedingungen, bei denen der Preis für den Zugang zum Studium eine bedeutsame Rolle spielt, konkurrieren die Bewerber nicht nur mit ihrer Zahlungsbereitschaft um Studienplätze, sondern auch mit ihren Fähigkeiten. Aus Hochschulsicht wäre unter derartigen Umständen am ehesten denkbar eine Preisdifferenzierung, nach der begabte oder sonst wie besonders geeignete Studienbewerber geringere Preise zu zahlen hätten und von weniger begabten, aber zahlungskräftigen Mitstudenten mitfinanziert würden.2 Wie auch immer das institutionelle Arrangement dann aussehen mag, zwei der wichtigsten Voraussetzungen für einen vollkommenen Markt sind nicht mehr gegeben: Die Anonymität des Tausches und die Einheitlichkeit des Preises.3
___________ 2 Dergleichen Tendenzen sind bei den US-amerikanischen Prestige- und prestigeambitionierten Universitäten durchaus zu finden: Dill (2003), S. 149. Vgl. dazu auch unten im Kap. XII („Anhang“), Unterkapitel 14, S. 361-368. 3 Der Nachweis, dass sämtliche Märkte unter vollständiger Konkurrenz paretooptimal sind, ist vor allem von Gérard Debreu geführt worden. Die beiden ersten Sätze in Debreu (1959/1976) lauten: „Die zwei zentralen Probleme der Theorie, die in dieser Monographie dargestellt werden, sind erstens die Erklärung der Güterpreise aus der Interaktion der Wirtschaftssubjekte einer Volkswirtschaft mit Privateigentum auf Märkten, zweitens die Erklärung der Rolle der Preise in einem optimalen Zustand der Volkswirtschaft. Die Untersuchung ist deshalb um den Begriff des Preissystems angeordnet, oder allgemeiner um den Begriff einer Wertfunktion, die auf dem Güterraum definiert ist.“ (Vorwort)
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Angesichts der Komplexität der Situation, in der auch der Anbieter ein Interesse an den persönlichen Eigenschaften des Studienbewerbers hat, scheint es höchst fraglich, ob man die Interaktion „Bewerbung und Annahme/Ablehnung für ein Studium“ bzw. „Besetzung eines Studienplatzes“ überhaupt mit dem Kauf und Verkauf einer Dienstleistung vergleichen kann. Die ökonomische Theorie neigt zu einer analytischen Dichotomisierung der von ihr untersuchten Wirklichkeit: Hier Kosten, dort Nutzen; hier Angebot, dort Nachfrage; hier Input, dort Output; hier Arbeit, dort Freizeit; hier Arbeitgeber, dort Arbeitnehmer; hier Konsum, dort Sparen; hier das Geld, dort die Ware usw. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ bzw. das Studieren selbst fügen sich allerdings am schlechtesten in dieses dichotomisierte Instrumentarium. Aus Nachfragersicht Ein Studium hat zweifellos Konsum-Qualitäten, für die ein Student Opfer bringt. Selbst wenn für ein Studium nichts bezahlt werden muss, ist es doch auch mit Anstrengungen und Unannehmlichkeiten verbunden. Zugleich hat ein Studium aber auch Investitionsqualitäten, da es üblicherweise die Voraussetzung dafür ist, einen bestimmten Beruf ausüben zu können, womit dann Geld verdient wird. Betrachtet der Nachfrager den Erwerb eines Studienplatzes in der von der ökonomischen Denkweise insinuierten Zweckrationalität als bloße Voraussetzung für den Erwerb eines akademischen Abschlusses, der sich rentieren soll, dann wird die Eigenschaft einer langfristigen Investition besonders deutlich, insbesondere im Moment einer erheblichen Unsicherheit. Selbst wenn der Studienanfänger über die Qualität des Gutes Studienplatz bestmöglich informiert ist, kann er sich weder sicher sein, dass er zu dem eigentlich erstrebten Abschluss gelangt, noch dass sich ein solcher Abschluss in der beabsichtigten Weise „rentiert“. Die Unsicherheit über den Studienerfolg im Sinne eines Abschlusses muss so lange bestehen bleiben, wie der „Nürnberger Trichter“ noch nicht wirklich erfunden ist, sondern hängt u.a. vom laufenden persönlichen Einsatz des Studierenden ab. Aus Hochschulsicht Mit ähnlichen Unsicherheiten hat die Hochschule zu kämpfen, wenn sie ihre Studienplätze gegen Geld verkauft und bestimmte Studienbewerber aufnimmt, andere aber abweist. Wenn es der Hochschule im eigenen Interesse darum geht, hoch qualifizierte Absolventen zu „produzieren“, dann stellt die Auswahl der Bewerber zunächst ebenfalls eher eine Investition dar, die ggf. erst im Verlauf
4. Die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“
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eines erfolgreichen Studiums ihre Früchte trägt. Will die Hochschule nicht nur kurzfristig ihren Gewinn maximieren, sondern langfristig hohe Qualität bieten, dann muss sie in den persönlichen Qualitäten der Studienbewerber einen höchst wichtigen Input-Faktor für das von ihr selbst bereitgestellte Gut Studienplatz bzw. das Produkt „Studienabschluss“ erkennen, an dessen „Produktion“ der Student bzw. die Studentin einen ganz entscheidenden Anteil hat. Die Qualität der von der Hochschule angebotenen Studienplätze und der dort erreichten Abschlüsse hängt also in erheblichem Maße von der Menge und Qualität des Inputs „Studienanfänger(in)“ und dessen weiterer Entwicklung als Student(in) ab. Also wird es sich ggf. lohnen, in die „Qualitätskontrolle“ bei der Beschaffung dieses Produktionsfaktors zu investieren. Das ist produktionstheoretisch zunächst nichts besonderes, da auch die Qualität eines x-beliebigen Outputs üblicherweise von der Qualität des Inputs abhängt. Ein großer Unterschied besteht allerdings darin, dass die Input-Qualitäten des Studenten (z.B. auch in Hinblick auf seine Mit-Studenten) sich erst im Verlauf eines längeren Zeitraums entfalten und zeigen können. Die Einschätzung bleibt mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Völlig unvergleichbar wird die Situation aber dadurch, dass in der industriellen Produktion für einen Inputfaktor bezahlt werden muss, während bei einem Verkauf von Studienplätzen der Input-Faktor „Student“ gleichzeitig zu einer Quelle des Erlöses und als Absolvent schließlich selbst zum Output wird. An der Hochschule ist Absatzpolitik (für Studienplätze) zugleich Beschaffungspolitik. Die von der industriell orientierten Produktions- und Kostentheorie vorgenommene Dichotomie zwischen kostenverursachendem Input (Beschaffung) und erlösgenerierendem Output (Absatz) lässt sich hier nicht durchhalten, was eine gewinnmaximierende Hochschule vor große Probleme bei der Erlöskalkulation stellt – wenn sie nämlich Erlös und Qualität gleichzeitig langfristig optimieren will. Dieses Thema soll hier allerdings nicht weiter vertieft werden, der interessierte Leser sei dafür auf den Exkurs „Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?“ im Anhang (Kapitel XII.) verwiesen. In einem Studium geht es offensichtlich (auch) um ein gemeinsames, mehrjähriges Projekt von Bewerber bzw. Studienanfänger und Hochschule bzw. Dozenten, in das beide Seiten Zeit, Geld und Mühe investieren und von dem sich beide Seiten sinnvoller Weise nicht nur unmittelbare, monetäre Vorteile erwarten. Wenn dabei die Hochschule bzw. die Dozenten ein besonderes Interesse an nicht nur zahlungskräftigen, sondern guten oder besonders geeigneten Studierenden haben (u.a. als wissenschaftlichem Nachwuchs), dann treten die Hochschulen nicht nur als „Anbieter“ einer Dienstleistung auf, sondern sie sind zugleich selbst Nachfrager, die um gute oder geeignete Studenten konkurrieren. Die Qualität des Gutes „Studienplatz“ hängt vom „Kunden“ selbst und seinen „Mitkunden“ ab. Die neuerdings in Mode gekommene Redeweise von Studen-
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ten als „Kunden“ reduziert die Komplexität der wechselseitigen Interessen allerdings unzulässig auf die Interaktion „Erwerb einer Dienstleistung“.4 Zahlreiche weitere Annahmen hinsichtlich eines vollkommenen Marktes sind ebenfalls nicht gegeben. Die Anbieter von Studienplätzen haben normalerweise die Marktstellung von lokalen oder regionalen Angebotsmonopolisten. Deutlich mehr als die Hälfte aller Studierenden studiert in Deutschland in Wohnortnähe, u.a. aus finanziellen Gründen. Es existieren also lokale „Märkte“ mit lokalen Angebotsmonopolisten. Um mehrere Angebote vergleichen und in Anspruch nehmen zu können, muss der Nachfrager mobil sein. Ein Studium erfordert normalerweise die persönliche Anwesenheit an der Hochschule. Ein Arbitragehandel zwischen derartigen lokalen Märkten ist unmöglich – allenfalls ein nachträglicher Tausch von Studienplätzen oder ein Wechsel der Hochschule, was allerdings ganz spezielle Arrangements voraussetzt. Mit dem Beginn eines Studiums ergibt sich eine gewisse Bindung des oder der Studierenden an die Hochschule. Ein Wechsel der Hochschule verursacht dann mehr oder weniger große Kosten. Gerade wenn man Gewinnmaximierung auf der Anbieterseite voraussetzen würde, haben diese Anbieter nun aber keinen besonderen Anreiz, von sich aus für eine hohe Kompatibilität der von ihnen angebotenen Studiengänge zu sorgen. Wenn jemand ein Studium angetreten hat, kann er umso schlechter mit Abwanderung reagieren, je weniger die Studiengänge verschiedener Hochschulen gleichen Standards folgen. Der tatsächliche Wettbewerb ist umso eingeschränkter, je mehr der Student gebunden ist bzw. je größer die Nachteile sind, die bei der Wahrnehmung alternativer Möglichkeiten in Kauf zu nehmen sind. Wettbewerber haben erhebliche Anreize, sich dem Wettbewerb zu entziehen. Eine Entstandardisierung des Studiums und die Behinderung von Abwanderung sind dafür ein geeignetes Mittel. Aus alldem lässt sich folgern: Ein sinnvoller Wettbewerb um Studienplätze und um Studienbewerber kann niemals auch nur annähernd unter den Bedingungen einer vollständigen Konkurrenz stattfinden, und dieser Wettbewerb wird, wenn er funktional sein soll, auch niemals allein über das Kriterium des Preises ausgetragen werden können. Eine vollständige Ent-Standardisierung des Studiums würde einen Wettbewerb sehr erheblich einschränken. ___________ 4 Noch fragwürdiger wird die übliche Dichotomisierung, wenn man die Studenten als zukünftige Mitproduzenten von Wissenschaft betrachtet. Bei einem Geschäftsmodell, das nur auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden abhöbe, müsste die Hervorbringung von Wissenschaftlern durch die Hochschule zwangsläufig verkümmern. In der amerikanischen Literatur scheint man vor allem die so genannten „Peer-Effekte“ im Auge zu haben. Wenn die Besten ausgewählt werden, wirken sie jeweils als „Inputs“ auf ihre Kohorte, vgl. Dill (2003), S. 142 mit Bezug auf eine Untersuchung von Caroline Hoxby.
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Es geht um die Qualitäten des Studiums, welches eine Hochschule anzubieten hat, und um die Qualitäten, welche die Studienbewerber mitbringen sollten; es geht um Qualitätswettbewerb innerhalb gewisser Standards und um individuelle Erfolgsaussichten. Wenn denn Hochschulen sinnvoll konkurrieren, dann konkurrieren sie nicht nur um zahlungskräftige, sondern um gute oder besonders geeignete Studienbewerber; und die Nachfrager konkurrieren ihrerseits – im Falle des Nachfrageüberhanges – um qualitativ hochwertige, geeignete und einigermaßen vergleichbare Studienplätze, und zwar keineswegs nur mit dem Geldbeutel. Die Situation verkompliziert sich noch einmal durch folgende, historische Entwicklung. Ist die Szene zwischen Mephistopheles als Dr. Faust und dem Schüler etwa im Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit anzusiedeln, so hat sich spätestens seit Aufklärung und Absolutismus die Lage dadurch verändert, dass zumindest in Europa sich der Staat der Bildung und Hochschulbildung in besonderer Weise angenommen hat, vor allem in Hinblick auf die Finanzierung und die Qualitätssicherung, d.h. die Gewährleistung gewisser Standards akademischer Ausbildung.5 Dass der Staat eine mehr oder weniger aktive Rolle im Bereich der Hochschulbildung spielt, kann in allen entwickelten Ländern vorausgesetzt werden. Ein Hintergrund dafür ist unter anderem, dass Bildungsgüter insbesondere im Hochschulbereich bei ausschließlich privater Finanzierung nicht in dem Maße in Anspruch genommen werden würden, wie dieses als gesellschaftlich wünschenswert erscheint. Der Staat subventioniert einen als „meritorisch“ erkannten Bedarf.6 Von einem hohen Bildungsstand wird angenommen, dass davon zahlreiche positive Effekte ausgehen, u.a. solche positiven „externen Effekte“, die langfristig der gesamten Volkswirtschaft zugute kommen. Außerdem gilt gerade die Bildung als ein ganz herausragendes Mittel, um Chancengleichheit und damit echten Wettbewerb herzustellen.7
___________ 5
Dieses Bestreben zeigt sich in Deutschland z.B. daran, dass insbes. Juristen, Mediziner und Lehrer einheitliche „Staatsexamina“ mit eigenen Prüfungsbehörden abzulegen haben. 6 Helmes (1995), S. 88-93 untersucht vor allem Probleme der Informationsmängel und der verzerrten Präferenzen, welche eine „Meritorisierung“ des Bildungsangebots begründen könnten und kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus einer solchen Meritorisierung jedenfalls nicht ableiten lässt, dass der Staat das Bildungsangebot auch selbst erstellen muss. 7 Zusammenstellung der Argumente für eine öffentliche (Teil-)Finanzierung der Hochschulbildung, überwiegend aus ökonomischer Sicht: Holtzmann (1994), S. 20-25, 41-45. Eine Zusammenstellung „Möglicher Motive staatlicher Bildungs- und Weiterbildungspolitik“ bietet außerdem Helmes (1995), S. 59-66.
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Seitdem sich der Staat der Hochschulbildung angenommen hat, gilt auf jeden Fall: 1. „Der Steuerzahler“ ist immer involviert. Die öffentliche Hand ist an der Finanzierung der Hochschulen beteiligt. Es besteht allenfalls ein lockerer Bezug zwischen den Kosten eines Studienplatzes und seinem Preis. 2. Der Staat sorgt noch offensichtlicher als in vielen anderen Bereichen für institutionelle Arrangements und Spielregeln, unter denen der Wettbewerb im Hochschulbereich stattfindet – seien diese Regelungen nun eher privatwirtschaftlicher oder eher öffentlich-rechtlicher Art. Hieraus resultiert eine ganz außerordentliche Vielfalt an institutionellen Regelungen in den verschiedenen Ländern. Reformbemühungen sollten daher gerade im Bereich der tertiären Bildung immer am konkreten status quo ansetzen. Wegen der zahlreichen ökonomischen und institutionellen Besonderheiten dieses Bereiches ist es nicht sinnvoll, von abstrakten Modellen oder allgemeinen Schlagworten her wie „mehr Wettbewerb“ oder „mehr Markt“ einzelne institutionelle Veränderungen vorzunehmen und sozusagen ins Blaue hinein auf Effizienzgewinne zu hoffen, indem „der Markt“ oder „der Wettbewerb“ oder „Deregulierung“ und „Dezentralisierung“ schon von selbst für bessere Ergebnisse sorgen werden, wenn man nur die staatlichen Regulierungsdichte verringert. Gerade im Bildungsbereich ist völlig unabweisbar, dass „Wettbewerb“ nichts irgendwie Naturwüchsiges ist, sondern eine Institution mit zahlreichen speziellen Spielregeln, welche die Gesellschaft stets schon eingerichtet hat oder einrichten muss. Im Hochschulbereich gibt es am allerwenigsten einen Punkt Null. Obwohl in dieser Untersuchung eine relativ abstrakte Modellbildung zum Bewerbungsverhalten angestrebt wird, soll daher in den folgenden Untersuchungen von einigen konkreten, institutionellen Arrangements ausgegangen werden, wie sie im Jahr 2005 in Deutschland gegeben waren. Zwei sehr wichtige Aspekte der öffentlichen Regulierung der Hochschulzulassung müssen aber noch etwas näher betrachtet werden, weil sie die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ endgültig vom idealtypischen Modell des Marktes unter vollständiger Konkurrenz entfernen.
5. Ergebnisoffenheit der Interaktion Spätestens seit dem 19. Jahrhundert ist der Zugang zu den Hochschulen in Deutschland normalerweise an den formellen Nachweis einer bestimmten Schulbildung gebunden. Die Inhaber einer solchen Hochschulzugangsberechtigung bilden das Nachfragepotential. Im Falle eines Nachfrageüberhanges nach
5. Ergebnisoffenheit der Interaktion
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Studienplätzen – wenn also die Nachfrager rationiert werden – gibt es bestimmte Verfahrensregeln für die Bewerberauswahl. Hier geht es nun nicht nach dem „Windhundprinzip“ oder nach der Regel: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, wie etwa beim Verkauf von Theaterkarten, sondern: Die gesamte Nachfrage wird zunächst gesammelt, und dann wird über dieses Gesamtaufkommen nach bestimmten Regeln entschieden, die insbesondere auf bestimmte Leistungsnachweise abheben. Hieraus folgt nun, dass die Studieninteressenten ihr Interesse für einen bestimmten Studienplatz bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geäußert haben müssen, während die Hochschulen erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt darüber entscheiden. Innerhalb dieser Zeitspanne haben – beispielsweise im Unterschied zu einem normalen Kaufvertrag – beide Seiten jeweils bestimmte Optionen offen: Die Hochschule braucht den Bewerber nicht anzunehmen, und der Bewerber braucht einen Studienplatz nicht anzunehmen. Daraus ergibt sich eine grundsätzliche Unsicherheit beider Seiten über einen längeren Zeitraum darüber, ob die angestrebte Interaktion überhaupt zustande kommen wird. Beide Seiten haben zwar die Voraussetzungen für die Interaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ geschaffen, aber sie haben sich damit noch nicht aufeinander verpflichtet. Die grundsätzliche Situation ist also nicht: „Wenn du dieses oder jenes leistest (bezahlst), dann bekommst du von mir dieses oder jenes Gut“, sondern die Hochschule sagt: „Wenn der Bewerber sich bis zum Zeitpunkt t1 beworben haben wird, dann werden wir bis zum Zeitpunkt t2 darüber entschieden haben, ob wir ihn nehmen, und zwar, nachdem wir diesen Bewerber bewertet und mit der Bewertung der Mitbewerber verglichen haben werden.“ Und die Position des Nachfragers ist: „Wenn ich mich bis zum Zeitpunkt t1 beworben haben und die Hochschule bis zum Zeitpunkt t2 über mich entschieden haben wird, werde ich mich meinerseits bis zum Zeitpunkt t3 entscheiden, ob ich ggf. den Studienplatz annehme, nachdem ich dieses Angebot eines Studienplatzes mit anderen Studienplatzangeboten verglichen haben werde.“ Beide Seiten halten sich bis zu unterschiedlichen Zeitpunkten bestimmte Entscheidungsoptionen offen. Der ganz entscheidende Unterschied zu irgendwelchen „Preisnehmern“ ist: Die Chance des Bewerbers, einen Studienplatz zu bekommen, hängt von seiner relativen Position unter seinen Mitbewerbern ab, nicht aber von der absoluten Größe irgendeiner Leistung, die er zu erbringen hätte. Die Stärke der Konkurrenz steht aber nur ex post fest – nach Abschluss des Verfahrens und nicht vorher. Der Nachfrager kann also prinzipiell den „Preis“ nicht kennen, den er für das begehrte Gut „bezahlen“ muss. Er kann auch nicht – wie etwa in einer Auktion – in Kenntnis des Gebots seiner Mitbewerber sein eigenes Gebot kurzfristig und spontan erhöhen. Umgekehrt müssen die Anbieter erst einmal einen Überblick über das gesamte Bewerbungsaufkommen haben, ehe sie sich zwi-
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schen den einzelnen Nachfragern entscheiden. Sie wissen aber bis zum Abschluss des Verfahrens weder, wie groß die tatsächliche Nachfrage ist, noch wissen sie, ob ein konkreter Bewerber einen ihm zugesagten Studienplatz überhaupt annehmen wird. Und falls der Bewerber den Studienplatz angenommen hat, müssen die Hochschulen damit rechnen, dass der Bewerber den Studienplatz wieder zurückgibt, falls er zwischenzeitlich noch ein besseres Angebot erhalten hat. Angesichts der Ergebnisoffenheit des ganzen Verfahrens ist es für die Bewerber in vielen Fällen rational, sich mehrfach zu bewerben. Hieraus resultiert eine quantitative Differenz zwischen jener Nachfrage, die eine Bewerberperson tatsächlich realisieren kann, und jener Nachfrage, welche eine solche Bewerberperson ggf. in mehreren Bewerbungen äußert. Derartige (Mehrfach-) Bewerbungen stellen bloße Optionen auf die zukünftige Wahrnehmung von Zulassungschancen dar. Vergleichbare Konstellationen, bei denen es in ähnlicher Weise auch auf die persönlichen Qualitäten der Nachfrager bzw. Anbieter ankommt, finden sich im sonstigen „Geschäftsleben“ allenfalls auf dem Arbeitsmarkt. Die quantitative Abweichung der geäußerten Nachfrage (Bewerbungen) von der tatsächlichen Nachfrage (Bewerber) bildet den Hauptgegenstand dieser Untersuchung. Die hier dargestellte Konstellation ist im übrigen keineswegs allein eine Folge staatlicher Regulierung der Bewerbungs- und Zulassungsverfahren, sondern sie liegt gewissermaßen in der Natur der Sache und tritt immer dann ein, wenn die Bevorzugung einer Person von ihrer relativen Position unter ihren Mitbewerbern abhängig gemacht werden soll – diese relative Position aber erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden kann.
6. Öffentliche Finanzierung Die Hochschulbildung wird mehr oder weniger öffentlich finanziert, in Deutschland befinden sich die Hochschulen darüber hinaus auch noch in öffentlicher Trägerschaft.1 Zugleich sind Studienplätze aber kein öffentliches Gut (Kollektivgut), sondern ein zwar öffentlich (mit Steuergeldern) finanziertes Gut, von dessen Nutzung allerdings bestimmte Gruppen zugleich ausgeschlossen werden: erstens die nicht Studienberechtigten, und im Falle des Nachfrageüberhanges auch noch diejenigen, welche zwar eine Studienberechtigung haben, aber im aktuellen Zulassungsverfahren nicht zugelassen worden sind. Bei denen, die dann in einem bestimmten Studienfach eine Zulassung erhalten ha___________ 1 Beides ist zu unterscheiden, da es durchaus die Möglichkeit gibt, Hochschulbildung öffentlich zu finanzieren, aber durch private Träger anbieten zu lassen.
6. Öffentliche Finanzierung
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ben, handelt es sich um ein so genanntes „Clubgut“2, insofern sie alle Einrichtungen und Veranstaltungen in diesem Studiengang nutzen können. Im Zusammenhang mit der Überfüllung bestimmter Studiengänge kommt es dann ggf. allerdings auch noch unter diesen Clubmitgliedern zu einer Rivalität in der Nutzung z.B. der Sitzplätze im Hörsaal oder der Praktikumsplätze im Labor. Während das Studium einerseits öffentlich subventioniert wird und kein unmittelbarer Bezug zwischen Kosten und Preisen besteht, ist das Studium für den Studierenden zwar auch mit Kosten, vor allem aber mit gewissen Prämien verbunden wie z.B. kostengünstige Befriedigung persönlicher Interessen, ausschließlicher Zugang zu bestimmten Berufen, höheres Prestige, ggf. überdurchschnittliches Einkommen und dergleichen. In einer derartigen Konstellation liegt es nahe, dass eher eine Übernachfrage nach Studienplätzen bestehen wird als ein Überangebot. Die Nachfrager müssen also damit rechnen, beim öffentlich subventionierten Angebot mengenrationiert zu werden. Einige Personen kommen zum Zuge, andere nicht. Das verschafft der Frage nach den Mechanismen und den Spielregeln der Bewerberauswahl eine dauerhafte Aktualität oder Virulenz – zumal mit den Spielregeln für die Allokation eines öffentlich finanzierten Gutes unweigerlich Fragen der (distributiven) Einkommensverteilung verbunden sind.3 Damit stellen sich Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit. Falls die Nachfrager sich häufiger auf der „langen Marktseite“ befinden (ihre Zahl ist größer als die Zahl der Studienplätze), dann bedürfen sie auch eines gewissen Schutzes gegenüber der „kurzen Marktseite“, da die Anbieter nicht nur wegen der Nachfragesituation in einer günstigeren Position sind, sondern auch, weil sie sich wegen ihrer geringeren Zahl besser organisieren lassen, z.B. für die Lobby-Arbeit bei der Regierung. Auf eine Hochschule kamen in Deutschland im Jahr 2003 rund 1000 Bewerber4; die Nachfrager nach Studienplätzen sind eine unorganisierte, anonyme Menge ohne sozialen Status und ohne finanzielle Möglichkeiten. Aus institutionenökonomischer und soziologischer Perspektive ist es nahezu ausgeschlossen, dass sich die Nachfrageinteressen auf einem „Anbietermarkt“ für Studienplätze überhaupt, geschweige denn angemessen organisieren lassen.5 ___________ 2
Einführend z.B. Weimann (2006), S. 131f., S. 387ff. Vgl. Musgrave (1964/1974), S. 25. 4 Siehe die statistischen Angaben im Unterkapitel IV. 1., S. 79f. 5 Zur Nicht-Organisierbarkeit großer, „latenter“ Gruppen: Olson (1968/2004), S. 4251, 163-164. Erschwerend kommt bei Studieninteressierten hinzu, dass sie keineswegs alle dieselben Interessen haben. 3
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Diese Sicht der Dinge gilt vor allem dann, wenn die öffentliche Subvention der Hochschulbildung ganz überwiegend den Anbietern unmittelbar zugute kommt, nicht aber über Transferleistungen an die Nachfrager (etwa in Form von Bildungsgutscheinen). Die Nachfrager haben in einer solchen Konstellation keine Möglichkeit, über ihre Zahlungsbereitschaft Einfluss auf die Anbieter zu nehmen.6 Es ist bei aller Bemühung um Wettbewerb stets zu bedenken: Die Anbieter von Hochschulbildung entscheiden nicht nur über Bildungs- und Entwicklungschancen und zukünftige Einkommensmöglichkeiten, sondern ggf. ganz konkret über den Berufszugang einzelner Personen, weil ohne ein entsprechendes, akademisches Zertifikat dieser Zugang prinzipiell verwehrt bleibt. Bei der Zulassung zu einem Studium geht es im Falle eines Nachfrageüberhanges daher keineswegs nur um die Frage: „Wie kann eine Hochschule die für sie am besten geeigneten Bewerber finden?“ und: „Wie kann der Bewerber die für ihn am besten geeignete Hochschule finden?“ Die Beschränkung auf diese Fragen beschönigt das Problem der Knappheit, der Rivalität und der Exklusion. Leider handelt es sich bei Fragen der Hochschulzulassung nicht nur um das Problem, wie jeder der Beteiligten den richtigen Partner findet, sondern auch um die Frage: Wie ist es zu rechtfertigen, dass mehr oder weniger große Gruppen von Nachfragern überhaupt keinen Partner finden bzw. von der Partnerwahl ausgeschlossen werden? Verschärft wird diese Problematik noch, wenn das System der Partnerwahl teuer ist und die Verlierer sich ganz überproportional an der Finanzierung dieses Systems beteiligen müssen.
___________ 6 Man mag aus einer zu starken öffentlichen Finanzierung der Hochschulbildung beispielsweise mit Holtzmann (1994), S. 150ff. eine „übersteigerte Nachfrage der Studierenden“ und eine entsprechende Allokationsineffizienz diagnostizieren – das ändert nichts daran, dass die Anbieter in einer relativ besseren Position sind als die Nachfrager. Die wohlfahrtsökonomische Diagnose einer Allokationsineffizienz infolge „übersteigerter Nachfrage“ ist also unabhängig zu sehen von der institutionenökonomischen Diagnose einer relativ schwachen Position der Nachfrageseite – insbesondere dann, wenn überwiegend das Angebot subventioniert wird.
7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
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7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung Gegenstand In der folgenden Untersuchung sollen die Konstellationen analysiert werden, welche ineffiziente Bewerbungs- und Zulassungssituationen entstehen lassen wie die eingangs am Beispiel von Biologie (Lehramt) dargestellte. Wie kommt es dazu, dass für die Studienplätze einer bestimmten Studienvariante eine sehr hohe Nachfrage geäußert wird (ein Vielfaches an Bewerbungen) und am Ende der Studienplatzvergabe trotz hohen Verfahrensaufwandes die vorhandene Kapazität doch nicht ausgeschöpft wird? Ist dieses nicht das zwangsläufige Ergebnis einer konsequenten Dezentralität der Bewerbungs- und Zulassungsverfahren? Das Ergebnis dieser Analyse zeigt, dass eine konsequent dezentrale Koordination der Studienplatzvergabe 1. eine teure Lösung des Verteilungsproblems ist; 2. den Wettbewerb verzerrt, weil sie bestimmte Anbieter- und Nachfragergruppen benachteiligt; 3. in der Endverteilung nur bei hohen Kosten zu verteilungsoptimalen Ergebnissen führen kann. Kurz gefasst, wird der Nachweis folgendermaßen geführt: Wenn ein Nachfrageüberhang besteht, können große Bewerbergruppen sich eines Studienplatzes nicht mehr sicher sein. Den Kalkülen individueller Rationalität folgend versuchen sie ihre Zulassungschancen durch Mehrfachbewerbungen zu erhöhen, was das „Bewerbungsaufkommen“ im Sinne einer geäußerten Nachfrage erhöht. Weder die Nachfrager noch die Hochschulen kennen die tatsächliche Nachfrage (Bewerberpersonen), was die Unsicherheit steigert. Die statistische Zulassungswahrscheinlichkeit eines einzelnen, „beliebigen Bewerbers“ wird zwar nicht erhöht, wenn sich nun alle Bewerber mehrfach bewerben; so lange aber kein institutionelles Arrangement getroffen wird, welches die Zahl der Mehrfachbewerbungen begrenzt und zugleich faire Regeln für eine koordinierte Vergabe von am Schluss noch nicht besetzten Studienplätzen aufstellt, bleiben die Nachfrager gezwungen, sich mehrfach zu bewerben, wenn sie denn ihre Chancen wahren wollen. Ein Bewerber, der nicht so verfahren würde, erlitte deutliche Nachteile. Bei einer konsequenten Dezentralisierung und Deregulierung der Hochschulzulassung ergeben sich für die Beteiligten jeweils spezifische „Dilemmastrukturen“:1 ___________ 1
Homann/Suchanek (2005), S. 31f. definieren diesen, für ihre interaktionsökonomischen Analysen zentralen Begriff in der Kurzform wie folgt: „Eine Dilemmastruktur
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
• ein Bewerber, der auf die öffentlich finanzierten Hochschulen „Rücksicht“ nehmen und deshalb seine Bewerbungsaktivität einschränken würde, würde seine Zulassungschancen gegenüber anderen Bewerbern verschlechtern, die eine solche Rücksicht nicht nehmen; • eine Hochschule, welche nicht spezielle Zulassungsverfahren für ihre stark nachgefragten Studiengänge einführt, gerät in den Verdacht, ein Studienort zweiter oder dritter Wahl zu sein; zugleich steigen ihre Verfahrenskosten, weil die Bewerber ihre nachrangigen Bewerbungen eher an Hochschulen schicken, an denen die Bewerbung wenig Aufwand kostet. Will die Hochschule diese Nachteile vermeiden, muss sie ebenfalls spezielle Auswahlverfahren einführen.2 Eine derartige Konstellation ruft eigentlich bei gleichzeitig bestehender Konkurrenz der Nachfrager und Anbieter nach neuen Formen der Kooperation in Zulassungsangelegenheiten und/oder nach einem Erhalt bestehender Regeln, welche es allen Beteiligten im Sinne kollektiver Rationalität ermöglichen, die Mehrfachbewerbungen zu reduzieren, Kosten zu sparen und die Ausschöpfung der Kapazitäten zu gewährleisten. Entsprechende Kooperationen kommen allen Beteiligten zu Gute – wenn auch in unterschiedlichem Maße. In Deutschland existiert eine derartige Kooperation noch in Gestalt der schon erwähnten „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ (ZVS). Im Jahr 2004 ist die Hochschulzulassung durch die ZVS mit einer Novellierung des Hochschulrahmengesetzes neu geregelt worden. Im Vorfeld dieser Neuregelung gab es starke Bestrebungen, eine derartige, institutionelle Koordination ganz abzuschaffen, und es gibt diese Bestrebungen weiterhin. Außerdem unterliegen in Deutschland von rund 9100 angebotenen Studienvarianten nur rund 3,5 Prozent einer ___________ charakterisiert die Situation, in der Interessenkonflikte die Realisierung der gemeinsamen Interessen verhindern.“ Ausführlicher auf S. 383f: „Für unser ,Konzept Dilemmastrukturen‘ benötigen wir nur die Gedanken (1) der Interdependenz des Verhaltens in Interaktionen, (2) des Zugleichs von gemeinsamen und konfligierenden Interessen in allen Interaktionen und (3) der Ausbeutbarkeit der individuellen Vorleistungen für das paretosuperiore Interaktionsresultat.“ Selbstverständlich existieren derartige Dilemmastrukturen nicht nur in ungeregelten Kontexten, sondern auch und gerade in institutionell geregelten Kontexten und können hier sehr erwünscht sein – wenn etwa die Kooperation von Anbietern zum Nachteil der Nachfrager (z.B. Kartellbildung) verhindert werden soll. 2 Ein Hintergrund für die mit „speziellen Auwahlverfahren“ verbundenen Prestigegewinne liegt darin, dass die so genannte „Selbstauswahl“ der Hochschulen als ein Kennzeichen der Elitenbildung gilt. Mit speziellen Auswahlverfahren signalisiert die Hochschule, dass sie gesucht ist und nur „die Besten“ nimmt. Sie verschafft sich dadurch einen Distinktionsgewinn. Als Vorbild hierfür dienen insbesondere ausländische Privat-Hochschulen, die als Elite-Institute einen hohen Bewerberüberhang vorweisen können und individuelle Auswahlverfahren anwenden. In den USA begründen u.a. die Auswahlverfahren das Prestige einer Universität. Vgl. Brewer et al. (2002), referiert von Dill (2003), S. 146ff.
7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
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zentralen Koordination durch die ZVS, während knapp 44 Prozent zwar zulassungsbeschränkt sind, aber ohne dass die Bewerbung und Zulassung koordiniert wird.3 Der Zeitgeist verspricht sich viel von Dezentralisierung und Deregulierung. Es gilt aber, eine Mahnung von Karl Homann und Andreas Suchanek zu beherzigen: „Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Ökonomik, zu einem besseren Verständnis der zahlreichen Spielregeln, die im Laufe der Zeit bereits entwickelt worden sind, beizutragen, denn es gehört zu den Grundproblemen der öffentlichen Diskussion um gesellschaftliche Probleme, dass dabei nur die vordergründigen, einzelfallbezogenen Zusammenhänge gesehen werden, nicht aber die tieferliegenden institutionellen Strukturen, die wertvolles Sozialkapital darstellen, die aber durch selektive Interven4 tionen leicht zerstört werden können.“
Es scheint mehr als fraglich, dass konsequent dezentral handelnde Akteure von sich aus zu einer Kooperation in Zulassungsfragen finden und für die Garantie der dabei zu beachtenden Regeln einstehen könnten. Angesichts der Tatsache, dass das Hochschulwesen in Deutschland auf absehbare Zeit weitgehend öffentlich finanziert bleiben wird und die Nachfrager eines gewissen Schutzes bedürfen, scheint es nicht empfehlenswert, dass der Staat sich aus Fragen der Koordination von Angebot und Nachfrage nach Studienplätzen ganz heraushält. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die gewissermaßen technischen Aspekte des Verteilungsverfahrens selbst und fragt nach den Kosten und eindeutigen Suboptimalitäten einer konsequenten Dezentralität. Das heißt: Für die Untersuchung wird eine konsequente Dezentralisierung vorausgesetzt, nicht aber das in Deutschland empirisch anzutreffende Nebeneinander von Koordination und Nicht-Koordination. Die Diskussion wird in Deutschland überwiegend pragmatisch geführt, und teilweise wird je nach Bundesland aufs Geratewohl in dieser oder jener Richtung experimentiert.5 In der hier vorgelegten Untersuchung soll dagegen das Modell der dezentralen Koordination erst einmal konsequent durchdacht werden. ___________ 3
Siehe Statistik in Unterkapitel IV. 1., S. 80. Homann/Suchanek (2005), S. 273f. Ausführlicher auf S. 373: „Wenn die außerordentliche Bedeutung des Homo oeconomicus für die positive Ökonomik an die generelle Verbreitung von Dilemmastrukturen in Interaktionen gekoppelt ist und darin ihre Bestätigung findet, dann wird damit uno actu jedem Akteur – jedem Individuum, jeder Gruppe, jedem Unternehmen, jedem Staat – ein gewaltiges Potenzial attestiert, bestehende Kooperationen zu zerstören und den Aufbau weiterer erwünschter Kooperationen zu blockieren. In Dilemmastrukturen kann – modelltheoretisch – ein einzelner die kollektive Irrationalität, die kollektive Selbstschädigung, die soziale Falle erzwingen!“ 5 Exemplarische Kritik der Ent-Koordinierung im Land Baden-Württemberg: Müller (2004). 4
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
Aufbau In Kapitel II. werden zunächst die „Spielregeln“ des dezentralen Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens an den öffentlichen Hochschulen in Deutschland in groben Zügen dargestellt. Bemerkenswerte Eigenschaften dieses Verfahrens: Es zieht sich in zulassungsbeschränkten Studiengängen ggf. über einen Zeitraum von ca. zwei Monaten hin; die Bewerber können sich mehrfach bewerben; sie brauchen ihre Zulassungen nicht anzunehmen und können schon erfolgte Einschreibungen wieder rückgängig machen. Im Kapitel III. wird das „Angebot“ und die „Nachfrage“ nach Studienplätzen hinsichtlich der dabei zu berücksichtigenden Merkmale näher charakterisiert. Eine Bestimmung dieser Merkmale ist zwingend notwendig, wenn vergleichbare Mengen aufeinander bezogen werden sollen. Das Angebot und die Nachfrage sind insbesondere zu unterscheiden nach dem Kriterium, ob eine Studienvariante einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt oder nicht, weil das Ausmaß bestehender Kapazitätsbeschränkungen der wesentliche Faktor ist für die Motivation von Mehrfachbewerbungen. Auf der Nachfrageseite ist insbesondere zu unterscheiden zwischen tatsächlicher Nachfrage, in Bewerbungen geäußerter Nachfrage und jener Nachfrage, die dann mit endgültig besetzten Studienplätzen realisiert wurde. In Kapitel IV. wird ein statistischer Überblick über das Hochschulwesen in Deutschland gegeben, um die quantitative Relevanz des Themas hervorzuheben, seine öffentliche Dimension deutlich zu machen und strukturelle Informationsdefizite aufzuzeigen, die sich aus einer konsequent dezentralen Koordination der Hochschulzulassung zum Bewerbungsverhalten bislang schon ergeben und zwangsläufig ergeben müssen. Diese Defizite können durch vorliegende repräsentative Erhebungen bei Studienanfängern und Studienberechtigten nicht ausgeglichen werden, da diese Erhebungen sich auf andere Grundgesamtheiten beziehen und nicht speziell das Bewerbungsverhalten der Bewerber beschreiben. Des Weiteren wird empirisches Material präsentiert, das eine erste Einschätzung der Kosten erlaubt, die ein Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zumindest auf Hochschulseite verursacht. Die Entwicklung der „geäußerten Nachfrage“ (Bewerbungen) ist Gegenstand der Untersuchung in den Kapiteln V., VI. und VII. Im Kapitel V. wird eine makroökonomische Perspektive eingenommen. Mit Blick auf das gesamte Angebot und die gesamte (tatsächliche) Nachfrage nach Studienplätzen (Bewerberpersonen) wird gefragt, unter welchen Bedingungen das Phänomen der Mehrfachbewerbungen infolge von Kapazitätsbeschränkungen überhaupt auftreten kann. Es zeigt sich, dass im Falle eines allgemeinen Nachfrageüberhanges Kapazitätsbeschränkungen umso häufiger auftreten müs-
7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
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sen, je besser die Struktur des Angebotes der Struktur der tatsächlichen Nachfrage entspricht. Herrscht dagegen ein Überangebot an Studienplätzen, dann treten Kapazitätsbeschränkungen nur auf, wenn die Struktur des Angebots der Nachfrage gerade nicht entspricht, weil einer Übernachfrage bei einigen Studienvarianten ein Überangebot bei anderen Studienvarianten gegenübersteht. Auch in diesem Fall können allerdings die Mehrfachbewerbungen infolge von Kettenreaktionen anschwellen. Derartige Kettenreaktionen können zu einer Vervielfachung der geäußerten Nachfrage (Bewerbungen) im Verhältnis zur tatsächlichen Nachfrage (Bewerber) führen. Im Kapitel VI. wird eine mikroökonomische Perspektive auf die Nachfrage eingenommen. Zunächst wird die Informationssituation bei dezentraler Koordination exemplarisch erläutert. Die Hochschulen kennen nicht die Präferenzen ihrer Bewerber, und die Bewerber kennen weder ihre Mitbewerber noch deren Präferenzen. Einige wichtige deskriptive Größen im Kontext dezentraler Zulassung werden erläutert: Intensität der Nachfrage, Bewerbungsintensität, Zulassungswahrscheinlichkeit, Annahmequote, Bewerbungsbelastung der Hochschulen und Bewerbungsaktivität der Bewerber. Es zeigt sich, dass ggf. die nachrangige Wahl mehr Bewerbungen auf sich vereinigen kann als die vorrangige Wahl. Es wird sodann erörtert, durch welche Methoden sich die in Kapitel IV. festgestellte, schlechte statistische Informationslage über das Bewerbungsverhalten verbessern ließe. Sodann werden die Präferenzbildung und das Bewerbungsverhalten von drei Individuen exemplarisch in Augenschein genommen, um typische Faktoren des Bewerbungsverhaltens deutlich zu machen. Das Bewerbungsverhalten von Individuen kann zu bestimmten Bewerberkollektiven zusammengefasst und insgesamt mit einer Bewerbungsmatrix beschrieben werden. Eine solche Bewerbungsmatrix kann als Anregung für empirische Untersuchungen des Bewerbungsverhaltens dienen, u.a. um Substitutionsbeziehungen zwischen verschiedenen Studienvarianten erkennbar werden zu lassen. Schließlich wird ein Modell für das Bewerbungsverhalten entwickelt, konkret: eine Funktion für das Ausmaß der „geäußerten Nachfrage“ (Bewerbungen) bei gegebener Bewerberzahl unter den Bedingungen einer konsequent dezentralen Koordination der Studienplatzvergabe bei bestehenden Kapazitätsbeschränkungen in einzelnen Studienvarianten. Dazu sind zunächst einige Annahmen und Festlegungen explizit zu machen, vor allem in Gestalt von Einschränkungen. Die dann folgende Aufstellung einer Funktion für die Bewerbungen jenes Bewerberkollektivs, dessen Individuen sich mit erster Präferenz für ein bestimmtes kapazitätsbeschränktes Studienfach F1 (z.B. Medizin) bewerben, ist als ein erster Versuch und Vorschlag zu verstehen. Es handelt sich hierbei zwar um eine Nachfragefunktion, die sich aber deutlich unterscheidet von jener PreisNachfrage-Funktion, die üblicherweise aus der Mikroökonomie bekannt ist. Erstens geht es um eine geäußerte Nachfrage (Bewerbungen), die von der tatsächlichen Nachfrage (Bewerberpersonen) zu unterscheiden ist. In den Bewer-
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
bungsbedingungen und Zulassungschancen ist allenfalls eine Analogie zum monetären Preis erkennbar. Die Konstruktion dieser geäußerten Bewerbungsnachfrage setzt außerdem – ebenfalls ungewohnt – beim Maximum der Bewerbungen an, welche die Bewerber für ein kapazitätsbeschränktes Studienfach schreiben können, und zwar aus zwei Gründen. Dieses Maximum lässt sich exakt bestimmen und bildet daher so etwas wie einen festen Ankerpunkt; und zweitens gibt es u.U. gute Gründe für einen Bewerber, der „unbedingt F1“ (z.B. Medizin) studieren will, dieses Maximum in seinem Bewerbungsverhalten anzustreben. Sodann werden allerdings Variablen eingeführt, welche dazu führen, dass das Bewerbungsmaximum nicht ausgeschöpft wird. Kriterien der Variablenauswahl sind die konkreten Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen. Diese Bedingungen unterliegen der Gestaltbarkeit. Zu derartigen Bewerbungsund Zulassungsbedingungen gehören insbesondere die Bewerbungskosten und die Einschätzung seiner Zulassungswahrscheinlichkeit durch den „repräsentativen Bewerber“. Das Problem der individuellen Zulassungserwartung ist recht komplex, lässt sich aber nicht umgehen. Denn aus der Unsicherheit des Bewerbers über seine Zulassungschancen resultiert letztlich die individuelle Rationalität der Mehrfachbewerbung bei dezentraler Koordination, und die Zulassungschance ist noch am ehesten als ein Analogon zum Preis zu sehen. Des Weiteren lassen sich aus einer Analyse dieser Unsicherheiten Handlungsempfehlungen ableiten zu einer Verbesserung der Informationssituation an den Hochschulen. Nach der Aufstellung einer Funktion für die „Bewerbungen der Bewerber mit einer ersten Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Variante des Studienfaches F1“ wird sodann versucht, eine Gesamtfunktion für die Bewerbungen für kapazitätsbeschränkte Studiengänge insgesamt aufzustellen. Es zeigt sich, dass eine solche Gesamt-Bewerbungsfunktion nicht aus einer Rechenvorschrift zu gewinnen ist, welche nur die Bewerbungsfunktionen für kapazitätsbeschränkte Studienfächer F1, F2 ... Fn zu addieren brauchte. In Kapitel VII. wird exemplarisch der Nachweis geführt, dass eine Endverteilung, die optimal ist für die Bewerber, nicht notwendig auch eine Endverteilung ist, die optimal ist für die Hochschulen und umgekehrt; des Weiteren, dass sich bei einer dezentralen Koordination eine eindeutig inferiore Endverteilung allenfalls vermeiden lässt, wenn die Bewerber sich in ausreichendem Maß mehrfach bewerben. Das Kapitel VIII. führt exemplarisch vor, dass bei Zulassungsverfahren, in welchen von den einzelnen Hochschulen die Bewerbungen, Zulassungen und Immatrikulationen streng sukzessiv abgearbeitet werden, ggf. ein außerordentlich hoher Verfahrensaufwand infolge von nicht angenommenen Zulassungen oder rückgängig gemachten Immatrikulationen entstehen kann, der zudem unterschiedliche Hochschulen unterschiedlich stark trifft und Wettbewerbs-
7. Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
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nachteile für kleine und wenig gesuchte Hochschulen mit sich bringt. Falls bestimmte „Spitzenhochschulen“ allgemein bevorzugt werden und diese Spitzenhochschulen dieselbe Art von „Spitzenbewerbern“ bevorzugen, sind Spitzenhochschulen und Spitzenbewerber die eindeutigen, relativen Gewinner einer dezentralen Koordination. Die Verfahrenskosten werden in allgemeiner Form in Kapitel IX. behandelt, und zwar zunächst getrennt für die Bewerber- und für die Hochschulseite. Zentrale Ergebnisse: Die Mehrfachbewerbungen machen u.U. einen prozentual hohen Anteil an den gesamten Verfahrenskosten aus; die nicht erfolgreichen Bewerber haben ggf. bei weitem den größten Anteil der Verfahrenskosten auf Bewerberseite zu tragen; die Hochschulen haben mit Kostenüberwälzung in Gestalt von Bewerbungsgebühren einen außerordentlich wirksamen „Hebel“, um das Bewerbungsaufkommen zu steuern. Im Verlauf der Untersuchung wird an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass die statistische Informationslage über das Bewerbungs- und Zulassungsgeschehen bei dezentraler Koordination notwendigerweise schlecht ist und schlecht sein muss. In Kapitel X. wird dennoch eine erneute Annäherung an die Empirie versucht, und zwar am Fallbeispiel der Pädagogischen Hochschulen des Landes Baden-Württemberg. An diesen Hochschulen erfolgt die Bewerbung an jeder Hochschule gesondert, also dezentral und ohne Koordination; die Verarbeitung der Daten geschieht jedoch in einer zentralen EDV, so dass sich hier einige Einsichten gewinnen lassen, für die bei dezentraler Koordination normalerweise keine Datengrundlage besteht. Leider lassen sich aber auch hier, trotz überdurchschnittlich guter Datenlage, die Präferenzen der Bewerber nicht ermitteln und über das Bewerbungsverhalten unterschiedlicher Bewerbergruppen lassen sich nur Vermutungen anstellen. Das Schlusskapitel XI. führt die im Verlauf der Untersuchung gewonnenen, einzelnen Ergebnisse noch einmal auf. Von einer konsequent dezentralen Koordination ausgehend wird die Frage gestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Kooperation der Hochschulen bei der Zulassung sinnvoll erscheint. Es werden verschiedene „Stufen der Koordination“ beschrieben, die realisiert werden könnten. Sie beginnen mit der Absprache gewisser Standards bei der Information und Leistungsmessung und enden bei der vollständigen Delegation des Verfahrens an einen Intermediär. Im Anhang (Kapitel XII.) wird schließlich das Thema einer weiter oben im Unterkapitel I. 4. schon angesprochenen Produktionstheorie der Hochschule aus einzelwirtschaftlicher Sicht erneut aufgegriffen und vertieft. Ausgehend von den Voraussetzungen eines Verkaufs von Studienplätzen nach dem Kriterium des Preises, von einer linear fallenden Preis-Absatz-Funktion und von einer ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion wird gezeigt: Das Ziel einer kurzfristi-
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I. Einführung: Hochschulzulassung und Wettbewerb
gen Umsatzmaximierung durch die anbietende Hochschule begünstigt das Vorhalten suboptimaler Studienbedingungen. Langfristige Qualitätsverbesserungen setzen hingegen einen kurzfristigen Verzicht auf Umsatz, eine Preisdifferenzierung nach Eignung und ggf. nach Vermögensumständen der Nachfrager bzw. Studienanfänger voraus. Derartige Maßnahmen gehen aber auf Kosten der Preis- und Leistungstransparenz und damit des Wettbewerbs. Von diesen Zusammenhängen dürften kapitalstarke Hochschulen profitieren. Eine dauerhafte Oligopolbildung im oberen Qualitätssegment dürfte durch Selbstverstärkungsprozesse begünstigt werden.
II. Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland Die Hochschulen sind in Deutschland ganz überwiegend öffentlich finanziert, auf jeden Fall nicht über Gebühren ihrer Nutzer. Entsprechend ist die Hochschulzulassung öffentlich-rechtlich geregelt, d.h. über Gesetze, Verordnungen und Satzungen, die einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten müssen.1 Die Besetzung eines Studienplatzes unterliegt nicht einer privatrechtlichen Vertragsgestaltung wie beispielsweise ein Kaufvertrag. Jeder Deutsche, der die entsprechende Studienberechtigung über seine Schulbildung erworben hat, hat zunächst einmal ein Recht auf einen Studienplatz. Das wird letztlich aus Artikel 12 des Grundgesetzes gefolgert, der jedem Deutschen die Freiheit der Berufswahl garantiert. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, haben die Hochschulen die Möglichkeit, ihre Kapazität nach bestimmten Vorgaben explizit festzulegen (Kapazitätsrecht) und auf dieser Grundlage einzelne Bewerber abzuweisen. Allerdings müssen die Kriterien für die Vergabe der Studienplätze (Vergaberecht) sachgerecht sein, und jeder Bewerber muss zumindest irgendwann die Möglichkeit zu einem Studium erhalten. Die in der Vergangenheit weitgehend einheitlich von allen Hochschulen angewandten Kriterien der Studienplatzvergabe waren die Durchschnittsnote des Abiturs und die Wartezeit, Ausnahmen die Kunst- und Musikhochschulen. Diese Einheitlichkeit der Kriterien wird zunehmend aufgegeben, die Hochschulzulassung wird von einzelnen Hochschulen ggf. noch nach anderen Kriterien vorgenommen, z.B. Tests, Auswahlgespräche u.ä. In der Vergangenheit existierten einheitliche „Grenzwerte“ (Durchschnittsnote, Wartezeit) aus den vorhergehenden Zulassungsverfahren, die dem Bewerber als Indikator für seine Zulassungschance im laufenden Zulassungsverfahren dienen konnten und gewissermaßen die Informationsfunktion des Preises übernahmen. Hinsichtlich der zur Anwendung kommenden Zulassungsverfahren lassen sich die angebotenen Studienvarianten in vier Kategorien einteilen: 1. Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung. Der Bewerber bewirbt sich direkt bei der Hochschule, und der Studienplatz ist ihm sicher.
___________ 1
Zur Einführung in das Recht der Hochschulzulassung: Bode/Weber (1996).
II. Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland
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2. Studienvarianten mit Kapazitätsbeschränkung, aber bundesweiter Koordination des Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens durch einen zentralen Koordinator, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). 3. Studienvarianten mit Kapazitätsbeschränkung, aber ohne Koordination des Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens („Hochschulverfahren“). Der Bewerber bewirbt sich wie bei Nr. 1 direkt an der Hochschule, aber der Studienplatz ist ihm nicht sicher. 4. Sonderfall Eignungsfeststellungsverfahren mit oder ohne Kapazitätsbeschränkung. Gegenstand dieser Untersuchung ist eine konsequente Dezentralisierung nach dem Vorbild von Nr. 1 und Nr. 3 – also eine Studienplatzvergabe ohne zentrale Koordinierung. Allerdings gelten auch in den Fällen Nr. 1 und Nr. 3 bestimmte Verfahrensregeln, die im Folgenden näher erläutert und für die weitere Untersuchung vorausgesetzt werden. Der Sonderfall Nr. 4 wird nur kurz am Ende dieses Unterkapitels erläutert. Zu Nr. 1: ohne Kapazitätsbeschränkung. Ist für ein bestimmtes Studienfach (z.B. Philosophie) in einem bestimmten Studiengang (z.B. Magister) an der Hochschule keine Kapazitätsgrenze festgesetzt, wird jeder Bewerber zugelassen, der die Hochschulreife hat und sich fristgerecht beworben hat, eine Ablehnung darf nicht erfolgen. Ein solcher Bewerber kann dann diese Zulassung annehmen und sich immatrikulieren oder nicht annehmen oder auch zunächst annehmen und bis zum Semesterbeginn den Studienplatz wieder zurückgeben. Zu Nr. 3: mit Kapazitätsbeschränkung, ohne Koordination. Ist für ein Studienfach (z.B. Sport) in einem bestimmten Studiengang (z.B. Diplom) an der Hochschule eine Kapazitätsgrenze festgesetzt (Numerus Clausus, z.B. 100 Studienplätze), dann läuft an der einzelnen Hochschule ein Bewerbungs-, Zulassungs- und Annahmeverfahren ab, das am besten an einem Zeitstrahl erläutert werden kann.
(BE) (E)
(BE) (E) BF T
H I N1, N2, N3 P L S t
Mai
Juni
Juli
August
Septemb.
Oktober
Abbildung 1: Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zum Wintersemester des Jahres X
Bis BE ist, falls verlangt, die Bewerbung für eine Eignungsprüfung abzugeben, in E findet diese Eignungsprüfung statt. Eine solche Eignungsprüfung gibt es an manchen Hochschulen in speziellen Fächer, z.B. Sport. Die Termine
II. Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland
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können auch später liegen und mit BF oder T übereinstimmen. BF ist die Bewerbungsfrist, bis zu welcher der Antrag auf Zulassung zum Studium abzugeben ist. Dabei kann sich der Bewerber für bis zu drei verschiedene Studiengänge an derselben Hochschule bewerben, und zwar nach Präferenzen geordnet. Bis T sind ggf. Tests, Auswahlgespräche o.ä. zu absolvieren, falls das Fach dergleichen durchführt. Bis H lässt die Hochschule die in einer Rangfolge geordneten Bewerber im so genannten Hauptverfahren zu, meistens bis jenseits der Kapazitätsgrenze („Überbuchung“), da erfahrungsgemäß nicht jeder zugelassene Bewerber seinen Studienplatz annimmt. Die zugelassenen Bewerber erhalten die Aufforderung, sich einzuschreiben, die abgelehnten Bewerber erhalten eine Absage. Bei I erfolgen die Immatrikulationen aufgrund der Zulassungen in H. Bei N1, N2 usw. setzen ggf. eines oder mehrere Nachrückverfahren ein, in denen zunächst abgelehnte Bewerber gemäß der bei H aufgestellten Rangfolge jetzt noch eine Zulassung erhalten, weil Studienplätze frei geblieben sind oder weil schon angenommene Studienplätze wieder zurückgegeben worden sind. Bei P wird von der Hochschule geprüft, ob diejenigen Bewerber, die für den Studiengang im Fach F1 keinen Studienplatz erhalten haben, aber bei ihrer Bewerbung noch einen ersten und evtl. einen zweiten Hilfsantrag für die Fächer F2 und F3 gestellt haben, in dem Studiengang mit der zweiten Präferenz (F2) eine Zulassung erhalten können; und falls dort auch nicht, ob dieses in dem Studiengang mit der dritten Präferenz (F3) möglich ist. Sind bei L immer noch Studienplätze in zulassungsbeschränkten Fächern unbesetzt, wird ggf. ein Losverfahren kurz vor Semesterbeginn durchgeführt, in dem die restlichen Plätze verlost werden. Zu diesem Verfahren kann sich jeder formlos bewerben – auch wenn er/sie die vorherigen Verfahren nicht durchlaufen hat. Der Zugang zu einem bestimmten Studienfach über Hilfsanträge oder über Losverfahren ist aber dann nicht möglich, wenn für diesen Zugang der Nachweis der Eignung mit bestimmten Tests nachgewiesen werden musste und der Bewerber diesen Nachweis nicht erbracht hat. Es ist also nicht möglich, beispielsweise einen Studienplatz für das Fach Sport über einen Hilfsantrag oder das Losverfahren zu bekommen, ohne zuvor an der Eignungsprüfung mit Erfolg teilgenommen zu haben. Bei S (Semesterbeginn) oder kurz danach ist das Verfahren normalerweise endgültig abgeschlossen. Es können dann (nach einer mehr oder weniger kurzen Frist) auch keine Studienplätze mehr zurückgegeben werden. Dieser Verfahrensablauf wird für die weiteren Überlegungen als gegeben vorausgesetzt. Eine Besonderheit dieses Zulassungsverfahrens ist noch hervorzuheben: Bewerber, die eine Zulassung (Z) erhalten und sich auch schon immatrikuliert haben (I), können bis zum Semesterbeginn die schon vollzogene Immatrikulation auch wieder rückgängig machen – z.B. weil sie im Nachrückverfahren noch an einer von ihnen höher präferierten Hochschule einen Studienplatz bekommen haben. Die Zahl der von einer Hochschule im Verlauf
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II. Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland
eines Zulassungsverfahrens vorgenommenen Immatrikulationen (I) ist daher nicht unbedingt identisch mit der Zahl der endgültig besetzten Studienplätze. Es ist daher zu unterscheiden zwischen Immatrikulationen (I) und endgültigen Immatrikulationen (Ie). Letztere stehen erst wenige Wochen nach Semesterbeginn fest. Da für die folgenden Überlegungen die mehrfachen Bewerbungen von Bewerbern von zentraler Bedeutung sind, soll dieser Tatbestand genauer geklärt werden. Unter Mehrfachbewerbung soll NICHT verstanden werden, dass ein Bewerber für das erste Semester bei ein und derselben Hochschule mehrere Präferenzen für unterschiedliche Studiengänge und/oder Studienfächer angibt, also einen Haupt- und bis zu zwei Hilfsanträge. Derartige Hilfsanträge an ein und derselben Hochschule sollen im Folgenden überhaupt nicht als „Bewerbung“ gelten. Als Mehrfachbewerbung soll stattdessen der Tatbestand bezeichnet werden, dass sich ein Bewerber für das erste Fachsemester an mehreren Hochschulen gleichzeitig, also parallel bewirbt. Bewirbt sich also ein Bewerber an drei Hochschulen parallel mit jeweils einem Haupt- und zwei Hilfsanträgen, ist die Zahl seiner Bewerbungen 3. Abschließend noch eine Bemerkung zu Nr. 4 der oben erwähnten Zulassungsverfahren, den Eignungsfeststellungsverfahren. Diese Verfahren entspringen der Überzeugung, dass das Studium bestimmter Studienfächer eine besondere persönliche Eignung erfordert, die mit dem Abitur noch nicht gewährleistet ist. Musterbeispiel sind die künstlerischen Studiengänge. Entsprechend soll die persönliche Eignung für das gewählte Studienfach durch eigene Eignungsprüfungen festgestellt werden – und zwar ggf. auch unabhängig von der ausgewiesenen Kapazität an Studienplätzen. Diese Eignungsfeststellungsverfahren waren bis etwa zum Jahr 2000 außerhalb der künstlerischen Studiengänge fast nur im Fach Sport von Bedeutung, sie kommen zunehmend aber auch in wissenschaftlichen Studienfächern zur Anwendung – insbesondere dann, wenn eine Fakultät prätendiert, ein einmaliges und unvergleichliches Studienangebot zu machen. Bedenklich ist diese Entwicklung aus zwei Gründen: Erstens gibt die Logik der „Eignungsfeststellung“ den Fakultäten die Möglichkeit, sich der Pflicht zu entziehen, ihre Kapazitäten auszuschöpfen. Sie haben die Möglichkeit, trotz hohen Nachfrageüberhanges Studienplätze unbesetzt zu lassen. Zweitens finden sich in diesen Verfahren vielfach hohe Ermessensspielräume für die Einschätzung der Bewerber. Das wiederum erschwert diesen die Prognose ihrer Zulassungschancen und motiviert Mehrfachbewerbungen, die hohen Aufwand verursachen.
III. Angebot und Nachfrage Unter „Angebot“ wird hier verstanden die Menge der angebotenen Studienplätze. Soll einer so verstandenen Angebotsmenge eine entsprechende Nachfrage gegenübergestellt werden, dann sind die jeweiligen Mengen nach ihren Merkmalen genau zu definieren, weil anderenfalls nicht vergleichbare Größen aufeinander bezogen werden. Die Menge der angebotenen Studienplätze ist also nach Bedarf zu spezifizieren nach folgenden Merkmalen: Art der Anbieter (öffentlich/privat), Hochschulart, Art des Studiums (grundständig/weiterführend), Art der Studienberechtigten (Deutsche/Ausländer), Zeitpunkt oder Zeitraum, sowie nach jenen drei Merkmalen, welche eine einzelne Studienvariante bestimmen: Hochschule, Studienfach, Studiengang. Die Studienplätze derartiger Studienvarianten lassen sich nach Bedarf zu größeren Mengen aggregieren. Eine derartige Mengenbestimmung der angebotenen Studienplätze sei im Folgenden exemplarisch durchgeführt.
1. Die Struktur des Angebotes Studienplätze werden in Deutschland angeboten von öffentlichen Hochschulen, von privaten Hochschulen und sonstigen Einrichtungen, die ein „Studium“ anbieten. Im Folgenden wird nur das Angebot der öffentlichen Hochschulen betrachtet. Zwar gibt es in Deutschland inzwischen rund 60 private Hochschulen, doch fällt deren Angebot insgesamt bislang quantitativ nicht besonders ins Gewicht. Die öffentlichen Hochschulen setzen sich zusammen aus Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Theologischen Hochschulen, Kunsthochschulen, Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen mit teilweise spezifischen Zugangswegen. Es wäre ggf. zu diskutieren, ob und inwieweit diese einzelnen Hochschularten eigene Angebotssegmente begründen, die von vornherein nur für bestimmte Nachfragergruppen in Frage kommen. Diese Frage ist für empirische Erhebungen relevant, ihr soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden. Die öffentlichen Hochschulen bieten Studienplätze an in grundständigen Studiengängen sowie in Aufbau- und Weiterbildungsstudiengängen. Im Folgenden werden nur die grundständigen Studiengänge betrachtet.
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III. Angebot und Nachfrage
In grundständigen Studiengängen werden Studienplätze angeboten für erste Semester (Studienanfänger) und für höhere Semester. Im Folgenden werden nur die Studienplätze für Studienanfänger betrachtet. Die grundständigen Studiengänge für Erstsemester werden zu unterschiedlichen Konditionen und Mengen angeboten für Deutsche bzw. solche Personen, die Deutschen gleichgestellt sind (dieses trifft weitgehend für EU-Ausländer zu) und für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Des Weiteren unterscheiden sich die Konditionen der Anbieter teilweise danach, ob die studierwillige Person ein Erststudium oder ein Zweitstudium beabsichtigt. Hier sollen nur die Studienplätze für Deutsche bzw. Deutschen gleichgestellte Personen betrachtet werden, die erstmalig ein Studium beginnen. Diese Studienplätze werden entweder zu einem Wintersemester oder zu einem Sommersemester oder zu beiden Semestern bereitgestellt. Im Folgenden sollen nur die Studienplätze für ein Wintersemester des Jahres X betrachtet werden. Als gesamtes „Angebot“ ist also zu verstehen die Gesamtmenge der Studienplätze deutscher, öffentlicher Hochschulen für deutsche und ihnen gleichgestellte Studienanfänger, die erstmalig ein Studium beginnen zum Wintersemester des Jahres X. Die Zahl dieser Studienplätze sei bezeichnet mit S. Die Menge dieser Studienplätze lässt sich nach Bedarf unterteilen in verschiedene Untermengen. Die kleinste, derart bestimmbare Untermenge sind die Studienplätze einer bestimmten Studienvariante. Die verschiedenen Studienvarianten sind charakterisiert durch die Merkmale Hochschule (H1, H2, H3 ...), Studienfach (F1, F2, F3...) und Studiengang (SG1, SG2, SG3...).1 Die Studienplätze einer solchen Variante können einer Kapazitätsbeschränkung (k) unterliegen oder nicht (ohne Kapazitätsbeschränkung: o). Für den Fall, dass 3 Hochschulen jeweils dieselben 3 Studienfächer in jeweils denselben 3 Studiengängen anbieten, von denen einige kapazitätsbeschränkt sind und andere nicht, kann die Struktur des Angebotes an Studienplätzen durch das Schaubild auf der folgenden Seite verdeutlicht werden.
___________ 1 Durch das Merkmal „Hochschule“ ist das hier nicht besonders berücksichtigte Merkmal „Hochschulart“ implizit miterfasst.
1. Die Struktur des Angebotes
Studienplätze an Hochschule H1
Studienplätze im Fach F1
Studienplätze im Fach F2
SG 1:o
SG 1:k
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Studienplätze im Fach F3
SG 1:o SG 2:o
SG 2:k SG 3:o
SG 2:o SG 3:o
SG 3:o SG 1:o
SG 1:k SG1:o
Studienplätze an Hochschule H2
SG 2:o SG 2:o SG2:o SG 3:o SG 3:o
SG 3:o
SG1:k SG 1:o Studienplätze an Hochschule H3
SG 2:o
SG 1:o SG 2:o
SG 3:o
SG 2:o SG 3:o
SG 3:k
Abbildung 2: Studienplätze an öffentlichen Hochschulen für deutsche Erststudierende im ersten Semester zum Wintersemester des Jahres X
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III. Angebot und Nachfrage
Erläuterungen Die drei Hochschulen H1, H2 und H3 bieten jeweils dieselben drei Studienfächer F1, F2 und F3 jeweils in den drei Studiengängen SG1, SG2 und SG3 an. Ein nach Hochschule, nach Studienfach und nach Studiengang spezifiziertes Studienangebot soll als „Studienvariante“ bezeichnet werden. Die Elemente einer Studienvariante sind die Studienplätze dieser Variante. Im obigen Beispiel gibt es: 3 3 3 = 27 Studienvarianten, wobei die unterschiedliche Flächengröße in der Abbildung andeuten soll, dass in den einzelnen Studienvarianten jeweils unterschiedlich viele Studienplätze angeboten werden. Einzelne dieser Varianten können kapazitätsbeschränkt sein, angedeutet durch den Buchstaben „k“ und eine Diagonale. Dahinter verbirgt sich folgender Sachverhalt: Aus ökonomischer Sicht besteht für jede einzelne Variante eine Kapazitätsgrenze, da es keine Studienvariante gibt, die beliebig viele Studenten verkraften könnte. Aus juristischer Sicht existiert eine solche Kapazitätsgrenze aber nur dann, wenn diese Kapazität (die Zahl der Studienplätze) für die Zulassung zum Wintersemester des Jahres X nach den Verwaltungsvorschriften des Kapazitätsrechts explizit definiert worden ist, wofür bestimmte Berechnungsvorschriften anzuwenden sind. Die Definition einer solchen Kapazität heißt „Numerus Clausus“ (NC). Nur wenn ein solcher NC definiert worden ist, besteht ggf. die Möglichkeit, überzählige Bewerber abzulehnen, die ansonsten studienberechtigt sind. In der Realität kann noch folgender Tatbestand de facto wie ein NC wirken: Falls für die Zulassung zu einer Studienvariante eine „Eignungsprüfung“ vorgeschrieben ist (z.B. für einen künstlerischen Studiengang) oder ein „Eignungsfeststellungsverfahren“ eingeführt worden ist und falls dort keine kardinale Messzahl vorgegeben ist, ab wann ein Bewerber als geeignet zu gelten hat und wann nicht, dann haben die Hochschulen die Möglichkeit, die Zahl der Zulassungen allein über eine solche „Eignungsprüfung“ zu steuern, indem sie die Anforderungen – je nach Bewerberandrang – einmal höher, einmal niedriger ansetzen. In diesen Fällen wirkt die „Eignungsprüfung“ de facto wie ein NC – ohne dass allerdings die Zahl der Studienplätze explizit definiert worden ist. Deshalb sollen im folgenden unter „kapazitätsbeschränkt“ auch solche Studienvarianten verstanden werden, bei denen die Kapazität formell gar nicht durch einen NC festgelegt worden ist, bei denen aber eine Eignungsprüfung der geschilderten Art zur Anwendung kommt und faktisch wie ein NC wirkt. Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen kapazitätsbeschränkten Studienvarianten und/oder Studienvarianten mit Eignungsprüfung/Eignungsfeststellungsverfahren ist die Tatsache, dass sich der Bewerber seines Studienplatzes nicht mehr sicher sein kann. Genau dieser Tatbestand motiviert Mehrfachbewerbungen. Im obigen Beispiel (Abb. 2) ist das Studienfach F2 im Studiengang SG1 an allen drei Hochschulen kapazitätsbeschränkt. Außerdem sind an Hochschule
1. Die Struktur des Angebotes
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H1 das Studienfach F1 im Studiengang SG2 und an Hochschule H3 das Studienfach F3 im Studiengang SG3 kapazitätsbeschränkt. Sämtliche anderen Studienvarianten sind ohne Kapazitätsbeschränkung, d.h.: die Zahl der dort zur Verfügung stehenden Studienplätze ist (im juristischen Sinn) nicht definiert. Die Studienplätze ein und derselben Studienvariante sind ein vollkommen homogenes Gut, der erste und der letzte Studienplatz einer solchen Variante unterscheiden sich nicht. Die Studienplätze unterschiedlicher Studienvarianten sind heterogene Güter, wobei – je nach den Präferenzen der Nachfrager – unterschiedlich starke Beziehungen der Substituierbarkeit bestehen können. Nimmt man nun eine Aggregation der Studienplätze unterschiedlicher Studienvarianten vor (zum Beispiel „Alle Studienplätze an Hochschule 1“ oder „Alle Studienplätze im Fach 1“), so werden heterogene Güter aggregiert. Entsprechend besteht die höchste Aggregation „das gesamte Angebot an Studienplätzen S in Deutschland“ aus der Aggregation der Studienplätze sämtlicher Studienvarianten dieses Landes. Diese Aggregation umfasst dann die Studienplätze für „Medizin (Staatsexamen) an Hochschule 14“ ebenso wie „Indologie (Bachelor) an Hochschule 73“. Es sei hier angemerkt, dass in einer „reichen Hochschullandschaft“, also einer solchen mit vielen Hochschulen, die viele Fächer in unterschiedlichen Studiengängen anbieten, sehr schnell eine Vielzahl von Teilmengen an Studienplätzen vorzufinden ist, also eine große Zahl an Studienvarianten und damit eine große Heterogenität des Angebots an Studienplätzen. Bieten beispielsweise 300 Hochschulen jeweils dieselben 20 Fächer in jeweils denselben 2 Studiengängen an, dann beträgt die Zahl der angebotenen Studienvarianten bereits: V(arianten)=H(ochschulen) F(ächer) SG(Studiengänge) = 300 20 2 = 12.000. Derartige Überlegungen mögen als „Zahlenspielereien“ erscheinen, wenn man beispielsweise an das Studienfach Humanmedizin denkt, weil dieses Fach an den Hochschulen in Deutschland nur in einem einzigen Studiengang angeboten wird, nämlich mit dem Abschluss „Staatsexamen“. Völlig anders sieht es in anderen Studienfächern aus. So kann beispielsweise das Studienfach Evangelische Theologie in folgenden Studiengängen studiert werden: Kirchliches Examen, Diplom, Magister, Bachelor sowie in mindestens 3 verschiedenen Lehramtsstudiengängen, die sich wiederum nach 16 Bundesländern unterscheiden. Bei aller Komplexität des Angebots an Studienplätzen lässt sich wenigstens ein einfacher Sachverhalt festhalten. Eine Studienvariante kann nur kapazitätsbeschränkt sein oder nicht. Daraus ergibt sich z.B. folgende Beziehung: H = Ho + Hk. Die Gesamtzahl der Hochschulen (H) besteht aus der Summe der Hochschulen, die mindestens eine Studienvariante kapazitätsbeschränkt anbieten
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III. Angebot und Nachfrage
(Hk), und der Summe der Hochschulen, bei denen überhaupt keine Studienvariante kapazitätsbeschränkt ist (Ho). Für die Studienplätze gilt eine entsprechende Beziehung im juristischen Sinn nicht: S = Sk + So(?) Besteht die Gesamtmenge der angebotenen Studienplätze aus jenen Studienplätzen, die einer Kapazitätsbeschränkung unterliegen und jenen, die keiner Kapaziätsbeschränkung unterliegen? Die Gesamtzahl der Studienplätze wäre im juristischen Sinn nur dann definiert, wenn nicht nur die Zahl der Studienplätze in jeder kapazitätsbeschränkten Studienvariante juristisch definiert wäre, sondern auch die Zahl der Studienplätze in Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung. Letzteres ist aber nicht der Fall. Für die Zwecke dieser Untersuchung soll folgendes angenommen werden: Die Zahl der Studienplätze in kapazitätsbeschränkten Studienvarianten ist im juristischen und im ökonomischen Sinne definiert; die Zahl der Studienplätze in Studiengängen ohne Kapazitätsbeschränkung ist nur im ökonomischen Sinne definiert. Diese Annahme ist sinnvoll, weil für Studienvarianten spätestens dann eine Kapazitätsgrenze auch juristisch definiert wird, wenn sie dauerhaft „überlaufen“ sind. Im ökonomischen Sinn gilt daher S = Sk + So und damit auch So = S Sk sowie Sk = S So. Eine analoge Beziehung besteht noch für eine andere Größe, die für das Bewerberverhalten von besonderer Bedeutung ist, wenn man voraussetzt, dass Bewerber sich vor allem für Studienplätze in einem ganz bestimmten Fach in einem ganz bestimmten Studiengang an verschiedenen Hochschulen interessieren. Für das Studienfach F1 im Studiengang SG1 gilt dann: HF1,SG1 = HF1,SG:k + HF1,SG:o. Die Gesamtzahl der Hochschulen, die das Fach F1 im Studiengang SG1 anbieten (HF1,SG1), setzt sich zusammen aus der Summe Hochschulen mit Kapazitätsbeschränkungen für das Fach F1 im Studiengang SG1 (HF1,SG1:k), und der Summe der Hochschulen ohne Kapazitätsbeschränkung für dieses Fach in diesem Studiengang (HF1,SG:o). Damit gilt auch: HF1,SG1: k = HF1,SG1 HF1,SG:o bzw. HF1,SG1: o = HF1,SG1 HF1,SG:k Diese Hochschulzahlen sind identisch mit der Menge der Studienvarianten des Faches F1 im Studiengang SG1. Wird etwa das Fach Betriebswirtschaftslehre (Diplom) an 40 Hochschulen angeboten, dann gibt es 40 Varianten von „BWL (Diplom)“. Besteht an 10 Hochschulen eine Kapazitätsbeschränkung, dann sind die restlichen 30 Varianten ohne Kapazitätsbeschränkung: HBWL,Diplom: o = HBWL,Diplom HBWL,Diplom: k. Aus der Unterscheidung von juristisch definierter Kapazität und ökonomischer Kapazität lässt sich in Hinblick auf Mehrfachbewerbungen von Bewerbern schon eine erste Schlussfolgerung ziehen. Mehrfachbewerbungen machen aus Bewerbersicht insbesondere dann Sinn, wenn der Bewerber sich seiner Zu-
1. Die Struktur des Angebotes
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lassung nicht sicher sein kann. Dieses ist in Deutschland nur dann der Fall, wenn erstens die Kapazität juristisch definiert wurde (Einführung eines Numerus Clausus) und es zweitens in der Vergangenheit auch zu Ablehnungen von Bewerbern gekommen ist – mithin ein stark begründeter Anlass besteht für die Annahme, dass es auch im laufenden Bewerbungsverfahren zu Ablehnungen infolge eines Nachfrageüberhanges kommen wird. Ist ein solcher Numerus Clausus nicht eingeführt worden, dann kann der Bewerber sich seiner Zulassung sicher sein und es entfällt die Motivation für eine Mehrfachbewerbung.
Eine erste Schlussfolgerung Sollen Mehrfachbewerbungen reduziert oder vermieden werden, dann empfiehlt es sich, die Möglichkeit einer Zurückweisung von Bewerbern durch die Hochschulen abhängig zu machen von einer explizit eingeführten Kapazitätsbeschränkung, die vor Beginn des Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens bekannt gegeben worden sein muss. Dieses ist in Deutschland normalerweise auch der Fall. Sollten die Hochschulen dagegen je nach Bewerbungslage im laufenden Bewerbungsverfahren noch nachträglich und kurzfristig eine Kapazitätsbeschränkung einführen können, dann erhöht sich die Unsicherheit der Bewerber und damit die Motivation für Mehrfachbewerbungen. Es wäre in diesem Fall wünschenswert, dass die Hochschulen wenigstens vorab (schon vor Beginn des Bewerbungsverfahrens) ihre Kapazität definiert und die Zahl der Bewerbungen aus vergangenen Jahren bekannt gegeben haben müssen. Denn nur wenn der Bewerber diese Kapazität kennt und ggf. in Beziehung setzen kann zu den Bewerberzahlen früherer Jahre, hat er einen Ansatzpunkt für die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der Ablehnungen erfolgen werden. Existieren derartige Informationen vor Beginn des Bewerbungsverfahrens dagegen nicht, dann muss dieses bei sicherheitsbewussten Bewerbern zahlreiche Mehrfachbewerbungen provozieren. Jede Unsicherheit über die Zulassung zum Studium, welche vermieden wird, führt also zwangsläufig zu einer Reduzierung des Aufkommens an Mehrfachbewerbungen. Dieses gilt erst recht für „Eignungsfeststellungsverfahren“ durch die Hochschule, insofern dieselben unabhängig von der Kapazität die Eignung eines Bewerbers erst einmal feststellen sollen. Bei derartigen Verfahren kann der Bewerber sich nicht einmal in den Fällen, wo gar kein Nachfrageüberhang existiert, seiner Zulassung sicher sein und hat deshalb einen Grund, sich vielfältig zu bewerben. Je weniger Eignungsfeststellungsverfahren es gibt, umso weniger Mehrfachbewerbungen wird es geben. Es wird im Folgenden angenommen, dass es keine Preisunterschiede für ein Studium an den betrachteten Hochschulen gibt. In Deutschland war ein Erststudium an öffentlichen Hochschulen bis zum Jahr 2005 gebührenfrei. Folglich bestanden hierfür auch keine Preisunterschiede bei den einzelnen Studienvari-
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III. Angebot und Nachfrage
anten. In den kommenden Jahren werden zwar Studiengebühren eingeführt werden, die Preisunterschiede werden aber voraussichtlich gering sein (in Relation zu den tatsächlichen Kosten eines Studiums). Schließlich wird für die Zwecke dieser Untersuchung noch angenommen, dass das Studienangebot für Erstsemester keiner ausgesprochen starken Segmentierung unterliegt. Damit ist folgendes gemeint: Würde es ausgesprochen starke Qualitätsunterschiede im Studium ein und desselben Faches an unterschiedlichen Hochschulen geben, so dass es dort gewissermaßen A-, B- und CHochschulen gäbe, die von vornherein auch nur für A-, B- und C-Bewerber in Frage kämen; und würden außerdem noch zwischen den Hochschulen starke Preisunterschiede für die von ihnen angebotenen Leistungen bestehen – dann würde ein derartiges Angebot durch eine ausgesprochen starke Segmentierung gekennzeichnet sein und de facto jeweils auch nur von bestimmten, korrespondierenden Bewerbergruppen in Anspruch genommen werden können. Im Hinblick auf das Bewerbungsverhalten der Studieninteressierten wäre es dann nicht mehr sinnvoll, ein derart segmentiertes Angebot zu „dem“ Angebot von Studienplätzen (in demselben Studienfach) zusammenfassen. Ein derartiger Zustand ist beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika zweifellos gegeben, weil dort bestimmte Privathochschulen schon durch ihre Preisgestaltung eher Bewerbern aus entsprechend vermögenden Familien vorbehalten sind. Für Deutschland ist zu bemerken: Es gibt zweifellos Tendenzen zu einer qualitativen Differenzierung der Hochschullandschaft, welche durch die Einführung von Studiengebühren vermutlich noch vorangetrieben werden wird. Diese Tendenzen sind aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass hier von einer echten Segmentbildung im oberen, mittleren und unteren Bereich gesprochen werden könnte. Am ehesten gibt es eine solche Segmentierung noch zwischen dem Bereich der Fachhochschulen einerseits und der Universitäten andererseits: erstens, weil hier die Zugangsberechtigungen nicht dieselben sind (wer eine Fachhochschulreife hat, darf nur an Fachhochschulen studieren), und zweitens, weil die entsprechenden Studiengänge inhaltlich teilweise deutlich unterscheidbar ausgestaltet sind und tendenziell für unterschiedliche Tätigkeitsmerkmale qualifizieren. Hinsichtlich der Segmentbildung Fachhochschulen/ Universitäten sind aber wiederum gegenläufige Ansätze erkennbar, diese Unterschiede insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung von Bachelorund Mastergraden aufzulockern. Die Zweiteilung bzw. die Dreiteilung des Angebots von Studienplätzen an Universitäten, Kunsthochschulen, Fachhochschulen und die Segmentierung des Angebots insgesamt soll hier keine weitere Berücksichtigung finden, weil das die eher modelltheoretisch ausgerichtete Untersuchung noch weiter verkomplizieren würde.
2. Unterschiedliche Nachfragegrößen
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2. Unterschiedliche Nachfragegrößen Jene Merkmale, nach welchen die Menge der angebotenen Studienplätze jeweils zu spezifizieren ist, sind auch auf die Menge der nachgefragten Studienplätze anzuwenden, wenn korrespondierende Mengen in eine Beziehung zueinander gesetzt werden sollen. Die Nachfrage nach Studienplätzen ist daher mindestens so komplex wie das Angebot, tatsächlich aber noch bedeutend komplexer. Ein Nachfrager interessiert sich nicht für „irgendeinen Studienplatz in Deutschland“, sondern für irgendeinen Studienplatz einer bestimmten Studienvariante und ggf. alternativ für einen Studienplatz in einer oder mehrerer anderen Studienvarianten, falls er diese als Substitute für seinen ersten Wunsch betrachtet. Im Falle des Nachfrageüberhanges und einer Kapazitätsbeschränkung bei der ersten Präferenz wird der Nachfrager oder die Nachfragerin also weitere Präferenzen bilden und sich also ggf. mehrfach bewerben und seine/ihre Nachfrage nach einem Studienplatz mehrfach äußern. Im Falle eines Nachfrageüberhanges resultiert hieraus im Falle einer dezentralen Koordination der Studienplatzvergabe eine Diskrepanz zwischen jener Menge an Studienplätzen, die tatsächlich nachgefragt wird (tatsächliche Nachfrage) und jener Menge an Studienplätzen, für die eine Nachfrage in Bewerbungen unterschiedlicher Präferenz geäußert wird (geäußerte Nachfrage). Diese Diskrepanz zwischen tatsächlicher und geäußerter Nachfrage bringt einige unangenehme Konsequenzen für die Endverteilung der Studienplätze auf die Nachfrager und für das Allokationsverfahren insgesamt mit sich, die den eigentlichen Gegenstand dieser Untersuchung darstellen. Die Menge der potentiellen Nachfrager (das Nachfragepotential) wird von vornherein begrenzt durch die Zahl jener Personen, die eine Studienberechtigung erworben haben, normalerweise über die Schule. Diese Hochschulzugangsberechtigung kann das Studium an allen Hochschulen ermöglichen (Allgemeine Hochschulreife) oder nur an bestimmten Hochschulen (Fachhochschulreife) oder nur in bestimmten Studienfächern an allen Hochschulen (Fachgebundene Hochschulreife). Durch die Art der Hochschulzugangsberechtigung findet also eine Segmentierung der Nachfrage unter den Studienberechtigten statt, weil die Nachfrage der Personen mit eingeschränkter Hochschulreife auf die Menge der entsprechenden Studienvarianten beschränkt ist, während die Besitzer einer Allgemeinen Hochschulreife sich für sämtliche Studienvarianten bewerben können.1 ___________ 1 Weitere Wege zu einem Hochschulstudium, etwa für besonders qualifizierte Berufstätige, bleiben hier außer Betracht.
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III. Angebot und Nachfrage
Diese Segmentierung des Nachfragepotentials bleibt im Verlauf dieser Untersuchung außer Betracht, sie wäre aber ggf. bei empirischen Untersuchungen der potentiellen Nachfrage zu beachten. Im Übrigen sollen und müssen folgende Differenzierungen des Begriffes „Nachfrage“ für die Zwecke dieser Untersuchung vorgenommen werden. 1. Nach dem Kriterium der Studienvarianten und deren Aggregation Wie erwähnt, richtet sich die Nachfrage immer auf einen beliebigen Studienplatz aus einer oder mehrerer Studienvarianten, wobei die Studienplätze unterschiedlicher Varianten wiederum mehr oder weniger heterogene Güter darstellen. Es ist also jeweils anzugeben, von welchen Varianten die Rede ist und welche Varianten ggf. zu einer größeren Gesamtmenge zusammengefasst werden. 2. Nach dem Kriterium des Zeitpunkts bzw. Zeitraums Wenn in dieser Untersuchung von „Nachfrage“ die Rede ist, dann ist stets jene Nachfrage gemeint, die sich auf Studienplätze bezieht, die zu einem bestimmten Semester vergeben werden, bzw. noch konkreter: Studienplätze zum Wintersemester des Jahres X. 3. Nach dem Kriterium der Bewerberpersonen 3.1 Mit „ tatsächlicher Nachfrage“ sei die Menge jener Personen bezeichnet, die Deutsche oder Deutschen gleichgestellt sind und sich als erstmalig Studierende (also nicht für ein Zweitstudium) für mindestens eine Studienvariante zum ersten Semester bewerben. Nur diese Bewerber konkurrieren untereinander nach gleichen Konditionen um dieselben Studienplätze. Beispiel: 1000 Deutsche haben sich für einen Studienplatz in den verschiedenen Hochschulvarianten von „Medizin (Staatsexamen)“ beworben. Die tatsächliche Nachfrage nach Studienplätzen für Deutsche in „Medizin (Staatsexamen)“ ist 1000 gewesen. 3.2 Mit „potentieller Nachfrage“ bzw. Nachfragepotential sei die Menge jener studienberechtigten Personen bezeichnet, die sich um einen Studienplatz bewerben würden, wenn dem nicht bestimmte, jeweils zu bezeichnende Restriktionen entgegenstünden. Bei diesen Restriktionen ist im Rahmen dieser Untersuchung insbesondere an Zulassungshindernisse gedacht. Beispiel: Wenn in „Medizin“ keine Zulassungshindernisse bestanden hätten, dann hätten sich für dieses Fach 1.200 studienberechtigte Personen deutscher Staatsangehörigkeit beworben.
2. Unterschiedliche Nachfragegrößen
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3.3 Mit „nicht aktualisierter Nachfrage“ sei die Menge jener studienberechtigten Personen bezeichnet, die wegen jeweils zu bezeichnender Restriktionen (z.B. wegen Zulassungsbeschränkungen) auf eine Bewerbung gänzlich verzichten und infolgedessen auch nicht zum Kreis der Bewerberpersonen gehören. Es handelt sich hier um die Differenz zwischen potentieller und tatsächlicher Nachfrage. Beispiel: Da sich von den 1.200 potentiell interessierten Personen (3.2) nur 1.000 tatsächlich beworben haben (3.1), beträgt die nicht aktualisierte Nachfrage 1.200 1.000 = 200 Studienplätze. 3.4 Mit „realisierter Nachfrage“ sei die Menge jener Studienplätze bezeichnet, welche nach Abschluss eines Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens endgültig besetzt worden sind. Beispiel: Am Ende des Zulassungsverfahrens sind von 630 angebotenen Studienplätzen in „Medizin“ nur 600 Studienplätze tatsächlich und endgültig besetzt worden. Die „realisierte Nachfrage“ für Studienplätze in „Medizin“ ist damit trotz Nachfrageüberhangs niedriger gewesen als die Zahl der angebotenen Studienplätze. 4. Nach dem Kriterium der Bewerbungen 4.1 Mit „geäußerter Nachfrage“ sei die Menge der Bewerbungen bezeichnet, welche die Personen nach 3.1 verfasst und abgeschickt haben. Beispiel: Die 1.000 Bewerberpersonen für einen Studienplatz in „Medizin“ haben 3.000 Bewerbungen geschrieben, weil sich jede Person im Durchschnitt dreimal beworben hat. Die geäußerte Nachfrage nach Studienplätzen in Medizin hat 3.000 Studienplätze betragen. 4.2 Mit „virtueller Nachfrage“ sei die Menge der Bewerbungen bezeichnet, welche die Personen nach 3.1 verfasst und abgeschickt hätten, wenn dem nicht bestimmte Restriktionen entgegengestanden hätten. Beispiel: die 1.000 Bewerberpersonen für Medizin (3.1) hätten nicht nur 3.000 Bewerbungen abgeschickt (4.1), sondern sie hätten sich insgesamt 5.000mal beworben, wenn einer derartigen Bewerbungsaktivität nicht gewisse Restriktionen entgegengestanden hätten – z.B. Bewerbungsgebühren. Die Einführung der ungewöhnlichen Begriffe „nicht aktualisierte Nachfrage“ (3.3), „realisierte Nachfrage“ (3.4) und „virtuelle Nachfrage“ (4.2) ist zu begründen. Zu 3.1, 3.3, 4.1: Da die geäußerte Nachfrage nach Studienplätzen von der Zahl der Bewerberpersonen und der Zahl der von diesen Personen verfassten Bewerbungen abhängt, kann eine Veränderung der Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen auch bei beiden Größen wirksam werden, und zwar ggf. in gegensätzlicher Weise. Beispielsweise ist es denkbar, dass wegen Verschärfung der Zulassungsbedingungen immer mehr studienberechtigte Bewerberpersonen
III. Angebot und Nachfrage
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auf jegliche Bewerbung verzichten, so dass die tatsächlich nachgefragte Menge an Studienplätzen abnimmt (3.1) und die nicht aktualisierte Nachfrage nach Studienplätzen zunimmt (3.3), während gleichzeitig diejenigen, die sich trotzdem bewerben, immer mehr Bewerbungen schicken und somit die geäußerte Nachfrage nach Studienplätzen zunimmt (4.1). Der gemeinte Zusammenhang lässt sich formal wie folgt verdeutlichen: Bezeichne maxB :
das maximale Bewerberpotential, welches als konstant angenommen wird B: die Zahl der tatsächlichen Bewerber (= tatsächliche Nachfrage) maxBew : die maximale Zahl der von einem Bewerber verfassbaren Bewerbungen, welche als konstant angenommen wird Bew: die Zahl der tatsächlich von einem Bewerber im Durchschnitt verfassten Bewerbungen BW: die Zahl aller verfassten Bewerbungen (= geäußerte Nachfrage) K:
die Kosten für eine Bewerbung auf Bewerberseite
S:
die Zahl der Studienplätze.
Es gilt dann für BW: (1)
BW = BBew mit: B und Bew B und: Bew>1 falls: >1, ansonsten Bew1 S
Die geäußerte Nachfrage ergibt sich als Produkt der Bewerberzahl (B) mit der Zahl der von einem Bewerber im Durchschnitt verfassten Bewerbungen (Bew). Die Zahl der von einem Bewerber im Durchschnitt verfassten Bewerbungen ist größer als 1, wenn ein Überhang an tatsächlicher Nachfrage herrscht, d.h. wenn mehr als ein Bewerber auf einen Studienplatz kommt. Bew1 (jeder Bewerber verfasst mindestens eine Bewerbung) muss in jeder Nachfragesituation gelten, anderenfalls wären Ausdrücke möglich wie: 1000 Bewerber haben jeweils eine halbe Bewerbung, also insgesamt 500 Bewerbungen verfasst – ein Widerspruch in sich, da ein Bewerber definitionsgemäß eine Person ist, die mindestens eine Bewerbung schreibt. Wegen Bew>1 falls (2)
B >1 folgt aus (1): S BW>B falls:
B >1 S
2. Unterschiedliche Nachfragegrößen
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Die Zahl der in Bewerbungen geäußerten Nachfrage ist im Falle des Nachfrageüberhanges größer als die Zahl der Bewerberpersonen. Für die tatsächliche Nachfrage (B) möge gelten: (3)
B = g ( maxB , S, K) dg dg >0 und S). In diesem Fall der allgemeinen Übernachfrage muss mindestens bei einer einzelnen Studienvariante eine Übernachfrage auftreten. Wenn diese Übernachfrage nur groß genug ist, dann kann sie theoretisch auch bei allen angebotenen Studienvarianten auftreten. Dieses wäre bei steigenden Bewerberzahlen und gleich bleibendem Angebot umso schneller der Fall, je besser die Struktur des Angebots der Struktur der Nachfrage entspricht. Hiermit ist gemeint, dass sich die ersten Bewerberpräferenzen proportional gleichmäßig auf die Studienplätze der angebotenen Varianten verteilen. Eine solche Strukturgleichheit von Angebot und Nachfrage wäre eigentlich wünschenswert. In einem solchen Fall würde beispielsweise gelten: Wenn die Studienplätze im Studiengang „Medizin“ an
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V. Die Entstehungsbedingungen für Mehrfachbewerbungen
Hochschule H1 genau 1% aller verfügbaren Studienplätze ausmachen, dann wollen auch genau 1% aller Bewerber an Hochschule H1 Medizin studieren. Allgemeiner: Die Struktur der Nachfrage entspricht genau der des Angebotes, wenn für die Zahl Bewerber (B), die mit erster Präferenz die Studienvarianten V1, V2, ... Vn wählen, und für die Zahl der Studienplätze (S) in den Varianten V1, V2 ... Vn folgende Beziehung gilt: BV1/B = SV1/S; BV2/B = SV2/S; BV3/B = SV3/S; . . . BVn/B = SVn/S. Oder allgemein: BVi/B = SVi/S mit: i = 1,2,3,...,n. In dem Fall, dass B>S, ergibt sich bei einer solchen strukturgleichen Verteilung, dass bei jeder Studienvariante „ein bisschen“ Übernachfrage herrscht, weil sich die Übernachfrage nicht auf wenige Varianten konzentriert, sondern über alle Varianten proportional gleichmäßig verteilt. Die eigentlich wünschbare Strukturgleichheit von Angebot und Nachfrage hat im Falle einer hinreichend großen, allgemeinen Übernachfrage den unangenehmen Effekt, dass es zu Kapazitätsbeschränkungen in allen Studienvarianten kommen muss, die sofort ein hohes Aufkommen an Mehrfachbewerbungen provozieren.1 Es würde in diesem Fall gelten Bk = B bzw. Bk/B = 1: Alle Bewerber würden sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante bewerben und damit Anlass zu Mehrfachbewerbungen haben. Bei allgemeinem Nachfrageüberhang stellt die wünschenswerte Ähnlichkeit von Angebots- und Nachfragestruktur also den denkbar schlechtesten Fall dar in Hinblick auf den Bewerbungsaufwand, der infolge von Mehrfachbewerbungen entstehen wird. 2. Die Gesamtzahl der Bewerber ist kleiner als die Gesamtzahl der Studienplätze (BB) offensichtlich nur dann auftreten, wenn die Struktur des Angebotes der Struktur der Nachfrage gerade nicht entspricht und deswegen eine Übernachfrage sich bei einzelnen Studienvarianten konzentriert, während bei anderen Varianten ein Überangebot an Studienplätzen herrscht. Hier sind dann vor allem folgende Konstellationen zu unterscheiden: ___________ 1 Die Notwendigkeit, für alle Studienvarianten Kapazitätsbeschränkungen einzuführen, ist bei Strukturgleichheit genau dann erreicht, wenn es für jede Variante mindestens einen Bewerber „zu viel“ gibt, wenn also gilt: B (S+Vn).
3. Kettenreaktionen
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a) Die Nachfrager ziehen ganz bestimmte, attraktive Hochschulen vor und bilden für andere Hochschulen eher nachgeordnete Präferenzen; b) die Nachfrager ziehen bestimmte, attraktive Studienfächer vor und vernachlässigen andere Studienfächer; c) eine Kombination von a) und b). Der Fall a) kann die Folge einer starken, überregionalen Differenzierung des Hochschulwesens sein, in der „gute“, „weniger gute“ und evtl. sogar „schlechte“ Hochschulen nebeneinander dieselben Studiengänge anbieten (von unterschiedlichen Preisen wird in dieser Untersuchung ja abgesehen), oder es handelt sich hier um regionale Unausgewogenheiten im Angebot. Der Fall b) reflektiert offensichtlich weniger qualitative Unterschiede des Angebotes in denselben Studienfächern, sondern quantitative Ungleichgewichte derart, dass in einigen Studienfächern Überkapazitäten vorhanden sind, die in anderen Studienfächern gebraucht würden. In diesem Falle könnte also der Nachfrageüberhang in einigen Studienvarianten und damit das Auftreten von Mehrfachbewerbungen mittel- bis langfristig dadurch beseitigt werden, dass bestehende Überkapazitäten in wenig nachgefragten Fächern abgebaut und umgewidmet würden. Dergleichen nimmt aber Zeit in Anspruch. Zwischenzeitlich ist es höchst wahrscheinlich, dass es – obwohl es keine allgemeine Übernachfrage gibt – von einer Übernachfrage in einzelnen Studienvarianten ausgehend zu Kaskadeneffekten oder Kettenreaktionen bei der Einführung von Zulassungsbeschränkungen kommt.
3. Kettenreaktionen Wenn für irgendeine Studienvariante eine Übernachfrage besteht und deshalb Kapazitätsbeschränkungen eingeführt werden; und wenn ein erheblicher Anteil der Bewerber mit erster Präferenz für diese Studienvariante andere Varianten als gute Substitute betrachtet und sich dann auch noch für derartige Substituts-Varianten bewirbt, dann beginnt die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Bewerberpersonen zu übersteigen. Da die Hochschulen aber nur die Zahl der Bewerbungen, nicht aber die Zahl der Bewerberpersonen kennen, liegt es nahe, dass zunehmend auch in den Substituts-Varianten zumindest präventive Kapazitätsbeschränkungen eingeführt werden müssen, welche wiederum weitere Mehrfachbewerbungen motivieren, nämlich bei jenen Bewerbern, welche diese Substituts-Varianten mit erster Präferenz wählen möchten. Aus diesem Grund ist der Fall gut denkbar, dass – von einer einzigen kapazitätsbeschränkten Variante ausgehend – die Zahl der Bewerbungen zunehmend anschwillt und in anderen Varianten die Einführung von Kapazitätsbeschränkungen provoziert, ob-
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V. Die Entstehungsbedingungen für Mehrfachbewerbungen
wohl die tatsächliche Nachfrage insgesamt überhaupt nicht zugenommen hat. Es dürfte dann ggf. eine längere Zeit dauern, bis die Hochschulen gelernt haben, dass hinter der großen Zahl von Bewerbungen – aus Hochschulsicht – viel „heiße Luft“ steckt, so dass man beispielsweise von Erfahrungswerten ausgehend die Hälfte der eingehenden Bewerbungen als solche abzieht, bei denen der Studienplatz im Falle einer Zulassung gar nicht angenommen werden würde. Erst die dauerhafte Bildung von solchen Erfahrungswerten erlaubt es dann, an Hand der eingegangenen Bewerbungen die Zahl der dahinter stehenden Personen abzuschätzen und entsprechend bei der Zulassung zu „überbuchen“. Eine dauerhaft erfolgreiche Überbuchungspraxis ermöglicht dann ggf. sogar die Wiederabschaffung der zuvor eingeführten Kapazitätsbeschränkung. Der hier postulierte Kaskadeneffekt sei an einem hypothetischen Beispiel erläutert: Sämtliche Studienplätze werden über die Jahre hinweg gleichbleibend von 2 Hochschulen angeboten, und zwar jeweils ein Studiengang Medizin und ein Studiengang Jura mit jeweils 25 Studienplätzen. Das Angebot umfasst also 100 Studienplätze in 4 Studienvarianten. Gleichbleibend über die Jahre hinweg besteht eine Nachfrage von 96 Bewerbern für diese 100 Studienplätze. Es herrscht also ein Überangebot von 4 Studienplätzen. Wenn sich nun die Nachfrage geringfügig zugunsten einer bestimmten Studienvariante verlagert, dann ist trotz weiterbestehenden, allgemeinen Überangebotes theoretisch folgende, extreme Entwicklung des Bewerbungsverhaltens denkbar: Jahr 1 Plätze Bewerber Bewerbungen Kapazitätsbeschränkung
Hochschule 1 Medizin Jura 25 25 24 24 24 24 Nein Nein
Hochschule 2 Medizin Jura 25 25 24 24 24 24 Nein Nein
Summe 100 96 96
Kommentar: Die Nachfrage verteilt sich proportional auf das Angebot. Es herrscht nirgends eine Übernachfrage. Jahr 2 Plätze Bewerber Bewerbungen Kapazitätsbeschränkung
Hochschule 1 Medizin Jura 25 25 27 23 27 23 Nein Nein
Hochschule 2 Medizin Jura 25 25 23 23 23 23 Nein Nein
Summe 100 96 96
3. Kettenreaktionen
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Kommentar: Im Medizinstudiengang der Hochschule 1 ist die Nachfrage um 3 gestiegen, dafür ist die Nachfrage in Medizin an der Hochschule 2 und in den Jura-Studiengängen jeweils um 1 gesunken. Hochschule 1 war auf den gestiegenen Anstieg nicht vorbereitet und hat deshalb alle Bewerber aufnehmen müssen. Zum Jahr 3 führt Hochschule 1 daher eine Kapazitätsbeschränkung ein, was den Bewerbern des Jahres 3 bekannt ist. Jahr 3 Plätze Bewerber mit 1. Präferenz Bewerber mit 2. Präferenz Bewerbungen Kapazitätsbeschränkung
Hochschule 1 Medizin Jura 25 25 27 23 0 0 27 23 Ja Nein
Hochschule 2 Medizin Jura 25 25 23 23 27 0 50 23 Nein Nein
Summe 100 96 27 123
Kommentar: Die Bewerber mit erster Präferenz für Medizin an Hochschule 1 wussten wegen der eingeführten Kapazitätsbeschränkung, dass sie sich ihres Studienplatzes nicht mehr sicher sein können. Sie haben sich deshalb allesamt (das ist gewiss der Extremfall) mit der zweiten Präferenz auch noch für Medizin an Hochschule 2 beworben. Dort ist nun die Zahl der eingegangenen Bewerbungen enorm nach oben gesprungen und Hochschule 2 führt zum kommenden Jahr 4 ebenfalls Kapazitätsbeschränkungen ein. Dieses ist den Bewerbern des Jahres 4 bekannt. Im Jahr 3 ist die geäußerte Nachfrage mit 123 Bewerbungen schon deutlich höher als die tatsächliche Nachfrage, die weiterhin nur 96 Bewerber betragen hat. Zugleich ist hier der Fall gegeben, dass sich an der weniger präferierten Hochschule 2 die Bewerbungen häufen, weil sich die Bewerber dort wegen der fehlenden Kapazitätsbeschränkung mit ihrer zweiten Präferenz eine höhere Zulassungschance ausrechnen als an Hochschule 1. Jahr 4 Plätze Bewerber mit 1. Präferenz Bewerber mit 2. Präferenz Bewerbungen Kapazitätsbeschränkung
Hochschule 1 Medizin Jura 25 25 27 23 23 0 50 23 Ja Nein
Hochschule 2 Medizin Jura 25 25 23 23 27 0 50 23 Ja Nein
Summe 100 96 50 146
Kommentar: Nunmehr hatten auch die 23 Bewerber mit erster Präferenz für Medizin an Hochschule 2 Anlass, sich sicherheitshalber ihrerseits an Hochschule 1 für Medizin zu bewerben. Daher beträgt die geäußerte Nachfrage für
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V. Die Entstehungsbedingungen für Mehrfachbewerbungen
Medizin inzwischen 100 Bewerbungen, obwohl die tatsächliche Nachfrage für einen Studienplatz in Medizin weiterhin nur aus 50 Bewerberpersonen besteht und die gesamte Nachfrage sich nicht verändert hat. Jahre 5ff. Theoretisch und praktisch ist es nun möglich, dass die Mehrfachbewerbungen von Medizin auf das Fach Jura übergreifen, falls einige Medizininteressenten auch ein Jura-Studium mit nachrangiger Präferenz als ein Substitut in Betracht ziehen. Im Extremfall könnte es dann passieren, dass sich sämtliche Bewerber für alle Studienmöglichkeiten bewerben, so dass die 96 Bewerber dann 96 4 = 384 Bewerbungen schreiben würden. Eine derart extreme Entwicklung ist allerdings unwahrscheinlich. Erstens wird nicht jeder Medizin-Bewerber auch noch ein Jura-Studium als Alternative in Betracht ziehen und umgekehrt. Zum anderen machen die Hochschulen die Erfahrung, dass bei weitem nicht jede Zulassung angenommen wird, so dass sie von vornherein mehr Zulassungen aussprechen, als sie überhaupt Studienplätze haben. Die Bewerber wiederum lernen, dass trotz eines hohen Bewerbungsaufkommens ihre Zulassungschancen deutlich besser sind, als das Bewerbungsaufkommen auf den ersten Blick vermuten lässt. Tendenziell werden die Bewerber wieder weniger Bewerbungen verfassen und die eine oder andere Kapazitätsbeschränkung kann möglicherweise wieder aufgehoben werden – vorausgesetzt, die Hochschulen und die Bewerber sind sich in der Prognose der tatsächlichen Nachfrage relativ sicher. Große Schwankungen bei der tatsächlichen Nachfrage würden eine derartige Prognose erheblich erschweren, ja unmöglich machen und weiterhin eine starke Bewerbungsaktivität motivieren. Ergebnis Für eine dezentrale Koordination der Studienplatzvergabe lässt sich im Hinblick auf die „Marktlage im allgemeinen“ vorhersagen: Das Phänomen der mehrfachen Bewerbung durch einzelne Bewerber infolge von Kapazitätsbeschränkungen wird umso häufiger auftreten, • je besser im Falle einer allgemeinen Übernachfrage nach Studienplätzen die Struktur des Angebots der Struktur der Nachfrage entspricht; • je schlechter im Falle eines allgemeinen Überangebots an Studienplätzen die Struktur des Angebots der Struktur der Nachfrage entspricht. Mit der gebotenen Vorsicht, doch gut begründet lässt sich vermuten: Für den Fall, dass massenhaft Kapazitätsbeschränkungen und Mehrfachbewerbungen auftreten, obwohl ein allgemeiner Nachfrageüberhang gar nicht vorliegt und das qualitative Gefälle zwischen den Hochschulen nicht ausgesprochen groß ist
3. Kettenreaktionen
127
und obwohl keine starken regionalen Unausgewogenheiten im Studienangebot gegeben sind, dürfte dieses v.a. die Folge von Kapazitätsengpässen bei einzelnen Studienfächern sein, welche kaskadenhaft Mehrfachbewerbungen und weitere Kapazitätsbeschränkungen auslösen. Derartige Unausgewogenheiten lassen sich ggf. beseitigen oder mildern durch die Bildung von Erfahrungswerten bei sich einpendelnden Annahmequoten und/oder durch Kapazitätsverlagerungen zu Gunsten der besonders nachgefragten Studienvarianten. Mehrfachbewerbungen sind eine Folge der Unsicherheit der Bewerber darüber, ob der von ihnen gewünschte Studienplatz erlangt werden kann. Der erste Anlass für eine solche Unsicherheit liegt in der Existenz einer Kapazitätsbeschränkung für diese Studienvariante, von der normalerweise angenommen werden kann, dass sie der juristische Ausdruck einer ökonomischen Knappheitssituation ist, welche eine Rationierung notwendig macht. Würden Studienplätze von gewinnmaximierenden Unternehmen auf dem Markt verkauft, dann fänden derartig unterschiedliche Knappheitssituationen in unterschiedlichen Preisen ihren Ausdruck, die zur Erweiterung bzw. zur Umwidmung von Kapazitäten in jenen Bereichen führen würden, wo die Nachfrage besonders groß ist. Es sind also Anreize für die Hochschulen zu schaffen, zumindest langfristig kapazitäre Unausgewogenheiten zu mildern oder zu beseitigen. Der „Blick auf das Ganze“ konnte zu einigen grundlegenden Einsichten in die Entstehungsbedingungen für Mehrfachbewerbungen verhelfen. Nunmehr ist der Frage nachzugehen, wie sich die Situation aus der Sicht eines einzelnen Studieninteressierten bzw. einer Gruppe von Studieninteressierten darstellt. Wovon hängt die Zahl der von diesen Bewerbern geschriebenen Bewerbungen ab, wenn sie sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante interessieren?
VI. Die Bewerbungen der Bewerber Ziel dieses Kapitels ist es, eine Bewerbungsfunktion aufzustellen, welche das Bewerbungsverhalten einer gegebenen Zahl von Bewerbern beschreibt, indem sie einige wichtige Faktoren als Variablen berücksichtigt, von denen einigermaßen plausibel angenommen werden kann, dass sie das Bewerbungsverhalten dieser Bewerber beeinflussen. Der Blickwinkel ist dabei eher mikroökonomischer Art. Vom Verhalten einzelner Bewerber ausgehend wird gefragt, wie sich ein derartiges Verhalten sinnvoll zu bestimmten Bewerberkollektiven zusammenfassen lässt; wie sich das Verhalten derartiger Kollektive durch eine Funktion beschreiben lässt; und wie sich schließlich das Verhalten der Bewerber insgesamt aus derartigen Funktionen aggregieren lässt. Die Aufstellung einer Bewerbungsfunktion für ein bestimmtes Bewerberkollektiv macht zwar den Kern dieses Kapitels aus; dabei handelt es sich aber nur um einen ersten Versuch, der mit zahlreichen Einschränkungen verbunden ist. Mindestens eben so wichtig wie diese Bewerbungsfunktion sind Einsichten und Nebenergebnisse, die sich auf dem Weg zu diesem Ziel ergeben.
1. Aufbau des Kapitels In den Unterkapiteln 1. bis 3. soll untersucht werden, mit welchen Bewerbungsverhältnissen man bei konsequent dezentraler Koordination zu rechnen hat; was die relevanten Kennziffern für das Bewerbungsverhalten und die Zulassungsverfahren sind und wie eine komplexe Bewerbungssituation beschrieben werden kann. Im Unterkapitel VI. 2. wird zunächst einmal die „Urszene“ der Bewerbungssituation bei dezentraler Koordination erläutert: Die Bewerber wissen nichts von einander, und die Hochschulen wissen nichts voneinander. Diese Informationssituation hat gravierende Auswirkungen auf das Bewerbungsverhalten und den möglichen Ablauf der Zulassungsverfahren. Es wird gezeigt, dass die Bewerbungsbelastung der Hochschulen ggf. sehr unterschiedlich sein kann. Es werden außerdem die Umstände aufgezeigt, unter denen sich auch bei dezentraler Koordination statistische Daten über das Bewerberverhalten und die tatsächliche Nachfrage gewinnen lassen. Insofern bietet dieses Unterkapitel ei-
1. Aufbau des Kapitels
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ne Antwort auf die in den Unterkapiteln IV. 2. und IV. 3. festgestellte unbefriedigende Situation in der empirischen Statistik. Im Unterkapitel VI. 3. wird die Präferenzbildung von drei konkreten Bewerberinnen in den Blick genommen, denen gemeinsam ist, dass sie sich mit erster Präferenz für die kapazitätsbeschränkte Studienvariante „BWL(Diplom)“ an derselben Hochschule interessieren. Es soll daran beispielhaft erläutert werden, dass die Präferenzbildung von ganz unterschiedlichen, persönlichen Faktoren beeinflusst wird, die sich schwerlich alle in irgendeiner Gesamtfunktion für derartige Bewerber berücksichtigen ließen. Die Aufstellung einer Bewerbungsfunktion muss sich von vornherein auf einige Aspekte beschränken, von denen man einigermaßen plausibel annehmen kann, dass sie das Bewerbungsverhalten in größeren Kollektiven beeinflussen. Wie können aber die einzelnen Bewerber zu derartigen Kollektiven zusammengefasst werden? Dafür macht Unterkapitel VI. 4. einen Vorschlag: Es werden die Bewerber zusammengefasst, die sich mit erster Präferenz für die kapazitätsbeschränkten Varianten eines bestimmten Studienfaches (z.B. BWL/ Diplom) beworben haben. Es wird exemplarisch gezeigt, wie komplex die konkrete Bewerbungs- und Zulassungssituation wegen möglicher Mehrfachbewerbungen schon dann sein kann, wenn man sich nur auf drei Hochschulen beschränkt, die jeweils nur drei Studienvarianten anbieten. Im Unterkapitel VI. 5. sind die Annahmen und Einschränkungen explizit zu machen, unter denen die angekündigte Bewerbungsfunktion aufgestellt werden soll. Diese Annahmen sind überwiegend recht einfacher oder definitorischer Art. Gravierend ist dagegen die Einschränkung, dass die Zahl der Bewerberpersonen als konstant angenommen werden soll, auch wenn die Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen sich ändern. Unterkapitel VI. 6.: Ausgangspunkt der Konstruktion einer konkreten Bewerbungsfunktion bildet das theoretische Maximum an Bewerbungen, welche die Interessenten mit erster Präferenz für kapazitätsbeschränkte Varianten eines konkreten Studienfaches F1 verfassen können. Das individuelle Maximum lässt sich exakt bestimmen als die Zahl der Hochschulen, die dieses Fach mit einer Kapazitätsbeschränkung anbieten (+ 1 Hochschule ohne Kapazitätsbeschränkung). Das kollektive Maximum ergibt sich als Produkt zweier Variablen. Variable 1: Zahl der Bewerber mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Variante des Studienfaches F1: BF1:k. Variable 2: Zahl der Hochschulen, die solche kapazitätsbeschränkten Varianten anbieten: HF1:k. Nun liegt die Vermutung nahe, dass einige Bewerber zwar ggf. Anlass haben, dieses Maximum anzustreben, wenn sie „unbedingt“ das Studienfach F1 studieren wollen und wenn sie mobil sind. Dieses gilt insbesondere, wenn dieses Fach an allen Hochschulen kapazitätsbeschränkt ist und es keine Alternati-
130
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
ven ohne Kapazitätsbeschränkung gibt; dass aber ein „repräsentativer Bewerber“ dieses Maximum umso weniger ausschöpfen wird, je größer die Zahl der Hochschulen ist, an der er sich dann bewerben müsste. Es sind eine Fülle von Faktoren denkbar, welche das konkrete Bewerbungsverhalten eines Individuums beeinflussen und es veranlassen, das Bewerbungsmaximum nicht auszuschöpfen und sich nur an einer oder wenigen Hochschulen zu bewerben. In der Bewerbungsfunktion, die hier vorgeschlagen werden soll, werden nur einige solcher Faktoren berücksichtigt. Der Grundgedanke besteht darin, diese Variablen so zu formulieren, dass sie das Maximum verringern. Dafür werden folgende Variablen berücksichtigt (Unterkapitel VI. 7. a)): Variable 3: Knappheitssituation beim Studienfach F1. Grundgedanke: Je kleiner der Anteil der Hochschulen, die für F1 eine Kapazitätsbeschränkung eingeführt haben, an allen Hochschulen ist, welche dieses Fach anbieten (HF1:k/HF1), um so eher weichen die Bewerber auf Hochschulen ohne Kapazitätsbeschränkung für dieses Fach aus und schöpfen das Bewerbungsmaximum nicht aus. Variable 4: Informations- und Bewerbungsaufwand. Je höher der Aufwand für eine Bewerbung beim Bewerber (KBW(B)) ist, umso weniger Bewerbungen wird ein „repräsentativer Bewerber“ verfassen. Variablen 5 und 6: Konkurrenzsituation und subjektive Zulassungserwartung. Grundgedanke: Je geringer die Konkurrenz für die Zulassung an der präferierten Hochschule ist, umso sicherer ist sich der Bewerber seiner Zulassung und umso geringer ist seine Bewerbungsaktivität. Als Maß für die Zulassungserwartung wird angesetzt das Verhältnis von Studienplätzen und Bewerbungen für das kapazitätsbeschränkte Studienfach F1 im Vorjahr (Vj): (SF1:k/BWF1:k)Vj. Die Bildung eines Maßes für die subjektive Zulassungserwartung und entsprechende Verhaltensannahmen sind zwar besonders problematisch. Die hier anzustellenden Überlegungen können aber als Nebenergebnis bestimmte Forderungen an die Informationspolitik der Hochschulen begründen. Es gilt, die Sicherheit der Bewerber über eine Ablehnung oder eine Zulassung zu erhöhen, weil die Sicherheit über eine Zulassungschance nahe 0 („keine Chance“) und nahe 1 („nahezu sicher“) die Bewerbungsaktivität der Bewerber reduziert. Wenn in Unterkapitel VI. 7. b) eine mathematische Formulierung der Bewerbungsfunktion geboten wird, ist dieses als ein erster Versuch zu verstehen, der insbesondere vom mathematisch uninteressierten Leser überschlagen werden kann. Entsprechendes gilt für die Aufstellung einer Gesamtfunktion für die Bewerbungen in allen kapazitätsbeschränkten Studienfächern F1, F2 ... Fn in Unterkapitel VI. 8. Allerdings ist auf eine einzige mathematische „Angelegenheit“ besonders hinzuweisen, die in dem späteren Kapitel IX. („Verfahrenskosten“) noch einmal eine Rolle spielen wird. Gemeint ist die Variable 4: Bewerbungsaufwand
2. Bewerbungskonstellationen, Kennziffern, Informationssituation
131
eines repräsentativen Bewerbers (KBW(B)). Wenn angenommen werden kann, dass steigende Bewerbungskosten auf Bewerberseite die Bewerbungsaktivität reduzieren, dann ist dieser Zusammenhang bei der Fragestellung zu berücksichtigen, wie sich die Verfahrenskosten insgesamt entwickeln, falls die Kosten einer Bewerbung für den Bewerber steigen. Hier ist der Fall durchaus denkbar, dass steigende Bewerberkosten die Verfahrenskosten insgesamt senken – wenn nur die Bewerbungsaktivität in Folge steigender Bewerbungskosten genügend stark abnimmt. Die Variable 4 (Bewerbungsaufwand) ist also in Hinblick auf Kapitel IX. („Verfahrenskosten“) im Kopf zu behalten.
2. Bewerbungskonstellationen, Kennziffern, Informationssituation Wenn das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren vollkommen dezentralisiert ist und kein Informationsaustausch zwischen den Bewerbern, zwischen den Hochschulen und zwischen Bewerbern und Hochschulen stattfindet, dann können sich ungewöhnliche Bewerbungssituationen ergeben, die hier für den hypothetischen Fall erläutert seien: Das gesamte Studienangebot konzentriert sich auf zwei Hochschulen, die jeweils nur eine Studienvariante anbieten. Für diese Studienvarianten bestehen an jeder einzelnen Hochschule Kapazitätsbeschränkungen. Dieses ist den Bewerbern bekannt, und sie können sich einer Zulassung an einer bestimmten Hochschule nicht sicher sein.
Abbildung 4: Bewerbungs- und Informationssituation bei dezentraler Koordination
Erläuterung zu Abb. 4: Das Zeichen „>“ bedeutet hier: „wird vorgezogen“. Die erste Präferenz ist durch eine durchgezogene Linie, die zweite Präferenz ist
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VI. Die Bewerbungen der Bewerber
durch eine gepunktete Linie angedeutet. Der Bewerber B1 zieht also einen Studienplatz an der Hochschule H1 einem Studienplatz an der Hochschule H2 vor. Ein Studienplatz bei H1 ist die erste Präferenz, ein Studienplatz bei H2 ist die zweite Präferenz des Bewerbers B1.
a) Bewerbungskonstellationen und Kennziffern Im Beispiel der Abb. 4 ist angenommen, dass H1 und H2 jeweils Studienplätze nur für eine einzige Studienvariante in einer definierten Kapazität von jeweils 5 anbieten, das gesamte Angebot an Studienplätzen ist also S = 10. Dafür gibt es 9 Bewerber, B = 9, die tatsächliche Nachfrage ist 9. Fasst man alle Studienplätze zu einem Gesamtangebot zusammen, und fasst man alle Bewerber zu einer Gesamtnachfrage zusammen, dann herrscht kein Nachfrageüberhang, da B ‹ S, bzw. B/S ‹ 1, nämlich 9/10 = 0,9 Bewerber pro Studienplatz. Eine solche Gegenüberstellung von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage setzt allerdings voraus, dass für jeden Bewerber „im Prinzip“ jeder Studienplatz des Gesamtangebots in Frage kommt, auch wenn er sich nicht an allen Hochschulen gleichzeitig beworben hat. Die Bewerber B2, B5, und B9 bewerben sich jeweils einmal bei Hochschule H2. Der Bewerber B7 bewirbt sich auch nur einmal, aber bei H1. Die Bewerber B1, B3, B4, B6 und B8 bewerben sich dagegen jeweils zweimal, nämlich parallel bei H1 und bei H2. Es gibt also 5 Zweifachbewerbungen. Die 6 Bewerber mit erster Präferenz für H1 (B1, B3, B4, B6, B7, B8) schicken insgesamt 11 Bewerbungen ab, nämlich 6 an H1 und zusätzlich noch 5 Bewerbungen mit zweiter Präferenz an H2, weil alle Bewerber außer B7 zwei Bewerbungen schicken. Die 8 Bewerber für H 2 (bis auf die Bewerber B2, B5, B9 identisch mit den Bewerbern für H1) schicken insgesamt 13 Bewerbungen ab, weil sich 5 davon auch noch parallel bei H1 bewerben. An H1 gehen 6 Bewerbungen mit erster, und 0 Bewerbungen mit zweiter Präferenz ein, zusammen: 6 Bewerbungen; an H2 gehen 3 Bewerbungen mit erster Präferenz ein und 5 Bewerbungen mit zweiter Präferenz ein, zusammen 8 Bewerbungen. Auf diese Weise entsteht an jeder Hochschule ein Überhang an geäußerter Nachfrage, während insgesamt kein Nachfrageüberhang im Gesamtgebiet besteht. Ein derartiges Verhalten der Bewerber macht offensichtlich deshalb Sinn, weil wegen der Kapazitätsbeschränkungen kein Bewerber sich seines Studienplatzes sicher sein kann und kein Bewerber weiß, wie viele Mitbewerber er für die von ihm präferierte Studienvariante hat und mit welchen Präferenzen sich diese Mitbewerber ggf. dort beworben haben. Die Informationssituation der einzelnen Hochschule ist aber ebenfalls sehr eingeschränkt:
2. Bewerbungskonstellationen, Kennziffern, Informationssituation
133
Die einzelne Hochschule weiß nicht, • an wie vielen anderen Hochschulen sich ihre Bewerber außerdem beworben haben; • welche Präferenz die bei ihr eingegangene Bewerbung bei dem Bewerber hat. Aus diesen Voraussetzungen können sich die merkwürdigen Bewerbungsund Zulassungsverhältnisse des hier angeführten Beispiels ergeben: Für die 6 Bewerber mit erster Präferenz für H1 (und 0 Bewerber mit zweiter Präferenz für H1) stehen nur 5 Studienplätze zur Verfügung, darum können auch nur 5 Zulassungen ausgesprochen werden, ZH1 = 5. An H1 hat ein Nachfrageüberhang bestanden. Nehmen wir an, die fünf Zugelassenen seien die Bewerber B1, B3, B4, B6 und B8 gewesen. Dann ist B7 leer ausgegangen. Es sei außerdem angenommen, dass diese Zulassungen von diesen Bewerbern auch sämtlich angenommen wurden, und dass sie sich auch alle bei H1 immatrikuliert und keiner seine Immatrikulation wieder rückgängig gemacht hat: SH1 = ZH1 = IH1 = IeH1 = 5. Bei den Bewerbern von H1 besteht auch kein Grund, die Zulassungen nicht anzunehmen oder vollzogene Immatrikulationen wieder rückgängig zu machen, da sie sich ja alle mit erster Präferenz bei H1 beworben hatten. Ganz anders sehen die Verhältnisse hingegen bei H2 aus: Diese Hochschule spricht insgesamt 8 Zulassungen aus, von denen aber fünf nicht angenommen wurden, weil die Bewerber B1, B3, B4, B6 und B8 ja den Studienplatz an H1 präferiert und dort auch einen Platz bekommen und angenommen haben. Wegen nicht erfolgter Annahme der Studienplätze sind deswegen an H2 jeweils „Nachrücker“ zugelassen worden. Am Ende des gesamten Verfahrens haben an H2 nur die Bewerber B2, B5 und B9 ihren Studienplatz angenommen. Es erfolgen an H2 also 8 Zulassungen (ZH2 = 8) auf 8 Bewerbungen (BW(H2) = 8)1, aber nur 3 endgültige Immatrikulationen (IH2 = IeH2 = 3). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im hier untersuchten Beispiel insgesamt die Zahl der endgültig besetzten Studienplätze (Ie = 8) kleiner ist als die Zahl der Bewerber (B =9). Dieses ist darauf zurückzuführen, dass der Bewerber B7 gar keinen Studienplatz bekommen hat, weil er sich nur an H1 beworben hatte (wo er abgelehnt wurde), nicht aber auch noch an H2. Des Weiteren ist die Zahl der Bewerber kleiner ist als die Zahl der zur Verfügung stehenden Studienplätze (S = 10), während die Zahl der Bewerbungen 14 beträgt (BW=14): Ie1. Daraus folgt BW > B > S bzw. BW/S > BW/B > B/S >1. Im obigen Beispiel gibt es 1,46 Bewerber pro Studienplatz (Sp.4, Z.10), 2,45 Bewerbungen pro Bewerber (Sp.14, Z.12) und 3,57 Bewerbungen pro Studienplatz (Sp.14, Z.11). Hieraus lässt sich zunächst einmal folgern, dass die Bearbeiter von Bewerbungen (an den Hochschulen) zahlenmäßig stärker von mehrfachen Bewerbungen „betroffen“ sind als diejenigen, die diese mehrfachen Bewerbungen schreiben. Genauer: Steigt nur die Bewerbungsaktivität der Bewerber, dann steigt die Bewerbungsaktivität der Bewerber und die Bewerbungsbelastung der Hochschulen prozentual zwar in gleicher Weise; steigen dagegen die Bewerberzahlen (bei gleich bleibender oder steigender Bewerbungsaktivität der Bewerber), sind die Hochschulen durch diesen Anstieg prozentual stärker betroffen.1 Des Weiteren wird auf dieser mittleren Aggregationsebene erneut eine mögliche unterschiedliche Betroffenheit der Studiengänge durch mehrfache Bewerbungen deutlich, wenn man nämlich (wie in dem obigen Beispiel) annimmt, dass zwischen den einzelnen Studienvarianten unterschiedliche Substitutionsbeziehungen für die Bewerber bestehen. Beispielsweise betrachten die Bewerber mit erster Präferenz für H1V1 offensichtlich die Alternative H2V1 als ein gutes Substitut, da sich 80 % dort eben___________ 1 Diesen Zusammenhang kann man sich leicht folgendermaßen verdeutlichen: Kommen zwei Bewerber auf einen Studienplatz, und schreibt jeder Bewerber zwei Bewerbungen und verdoppelt sich die Zahl der Bewerber, dann verdoppelt sich die Zahl der Bewerbungen pro Studienplatz, während die Zahl der Bewerbungen pro Bewerber gleich geblieben ist.
4. Beschreibung der aggregierten, geäußerten Nachfrage
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falls bewerben. Die Bewerber für H3V3 betrachten H1V3 als einziges Substitut und bewerben sich allesamt für beide Varianten. Die Bewerber für H3V2 finden allesamt an H2 Substitute vor, aber jeweils in unterschiedlichen Studienvarianten dieser Hochschule. Aus diesen unterschiedlichen Substitutionsbeziehungen und daraus folgenden Bewerbungspräferenzen können sich zumindest theoretisch Konstellationen ergeben wie für die Studienvariante H1V3: Es existiert hier nur ein geringer Überhang von 1,25 Bewerbern mit erster Präferenz für H1V3 (Sp.4, Z.3), dennoch gibt es eine geäußerte Nachfrage von 7,5 Bewerbungen pro Studienplatz (Sp.7, Z.11), weil offensichtlich die Erstbewerber für andere Studienvarianten die Variante H1V3 als ein gutes Substitut ansehen, das aber für sie auch nur zweite, dritte, vierte ... Wahl ist. Hier tritt also wieder das schon in Unterkapitel VI. 2. a), S. 136f. erwähnte Phänomen der Bewerbungshäufung bei der nachrangigen Präferenz auf. Würde man nun von Anfang an „alle Bewerber, die sich mit erster Präferenz für irgendeine kapazitätsbeschränkte Studienvariante interessieren“ fächerübergreifend zu einem einzigen Kollektiv zusammenfassen, dann ließen sich die erwähnten Substitutionsbeziehungen und Bewerbungsprofile bestimmter Bewerbergruppen nicht mehr rekonstruieren. Man hätte dann nur noch die undifferenzierte Gesamtzahl der Studienplätze mit Kapazitätsbeschränkung, die Gesamtzahl der Bewerber für diese Studienplätze und die Gesamtzahl der Bewerbungen für diese Studienplätze. Bei einer derart hohen Aggregation wäre viel Information verloren gegangen. Die Hypothesenbildung zum Bewerbungsverhalten setzt deshalb auf einem mittleren Aggregationsniveau an, indem alle Bewerber zusammengefasst werden, die sich für ein bestimmtes Fach in einer kapazitätsbeschränkten Variante mit erster Präferenz beworben haben. Es soll also auf Fach-Ebene aggregiert werden. „Repräsentativer Bewerber“ Es wird unterstellt, dass jedes Studienfach an jeder Hochschule nur in einem einzigen Studiengang angeboten wird. Zusammengefasst werden alle Bewerber, die sich mit erster Präferenz für ein bestimmtes Studienfach (z.B. F1) an einer Hochschule interessieren, wo dieses Fach einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt (F1:k). Die Zahl dieser Bewerber ist BF1:k. Würden in dem obigen Beispiel die Varianten H1V1, H2V1 und H3V1 jeweils Varianten ein und desselben Studienfaches sein, dann würden die Bewerber mit jeweils erster Präferenz für diese Varianten also zu einer einzigen Größe zusammengefasst. Es wären in dem obigen Beispiel: 100 + 150 +90 = 340 Bewerber insgesamt, die sich mit erster Präferenz für F1 an den drei Hochschulen beworben haben. Die Summe sämtlicher Bewerber mit erster Präferenz für dasselbe Studienfach F1 bildet nunmehr den Ausgangspunkt für die Frage, wie viele Bewerbungen ein
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VI. Die Bewerbungen der Bewerber
„repräsentativer Bewerber“ dieser Bewerbermenge wohl schreiben wird. Der Grund, warum die Bewerber mit erster Präferenz für dasselbe Fach und nicht beispielsweise für dieselbe Hochschule zusammengefasst werden, liegt in der Annahme, dass die Präferenzbildung eher von der Situation des Faches abhängt als von der Situation der Hochschule. Normalerweise studiert jemand lieber ein bestimmtes Fach woanders, als dass die Präferenzbildung für die Fächer vollständig von der Hochschule abhängig gemacht wird. Des Weiteren sei angenommen, dass das Qualitätsgefälle zwischen den verschiedenen Hochschulen nicht so groß ist, dass gleichsam eine deutliche Segmentierung des Angebotes für ein Studienfach in sehr unterschiedliche Qualitätsklassen bis hin zur Unvergleichbarkeit vorliegt.2 Unter dieser Annahme scheint es plausibel, dass für den „repräsentativen Bewerber“ ein Studium in demselben Fach, für dessen kapazitätsbeschränkte Variante er seine erste Präferenz gebildet hat, auch bedeutsam ist für die Bildung seiner weiteren Präferenzen, indem er normalerweise nach weiteren Studienmöglichkeiten in demselben Fach an den weiteren Hochschulen suchen wird, welche dieses Fach anbieten, wenn er nur einigermaßen mobil ist. Wie viele Bewerbungen werden nun die Bewerber schreiben, die sich mit erster Präferenz für die kapazitätsbeschränkte Variante eines bestimmten Studienfaches F1 beworben haben? Wie angekündigt, soll diese Frage der Bewerbungsfunktion von dem Maximum der Bewerbungen her angegangen werden, das diese Bewerber schreiben können. Zuvor sind nun allerdings die Annahmen, die in den bisherigen Ausführungen großenteils schon implizit enthalten sind, explizit zu machen, und bestimmte Einschränkungen sind vorzunehmen.
5. Annahmen für eine Bewerbungsfunktion 1. Annahme: Dezentralisierung und Parallelbewerbung Das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren ist vollkommen dezentralisiert. Eine solche Dezentralisierung und Nicht-Koordinierung des Angebots und der Nachfrage ist ja genau der Gegenstand dieser Untersuchung. Hieraus folgt: Der ___________ 2 Würde dagegen eine ganz eindeutige Segmentbildung beim Angebot unterstellt, z.B. ein starkes Qualitätsgefälle zwischen A-, B- und C-Hochschulen, dann liegt es natürlich näher, dass ein Bewerber mit der ersten Präferenz für das Studienfach F1 an einer A-Hochschule einen Studienplatz in demselben Fach an einer B- oder C-Hochschule nicht mehr unbedingt als die beste Alternative ansieht, sondern stattdessen seine nachrangigen Präferenzen lieber für andere Studienfächer bildet, wenn er nur Aussicht hat, an einer A-Hochschule angenommen zu werden.
5. Annahmen für eine Bewerbungsfunktion
169
Bewerber kann an mehrere Hochschulen gleichzeitig jeweils eine Bewerbung schicken. Die Bewerber kennen sich untereinander nicht, und zwischen den Hochschulen findet kein Abgleich dieser Bewerbungen statt. Jeder Akteur agiert für sich allein und kennt das Verhalten bzw. die Verhältnisse bei den anderen Akteuren nicht. 2. Annahme: Hilfsanträge sind keine Bewerbungen An ein und dieselbe Hochschule kann ein deutscher Bewerber neben dem Hauptantrag auch noch maximal zwei Hilfsanträge schicken (vgl. Kapitel II „Das Bewerbungsverfahren in Deutschland“, S. 51). Diese sollen hier aber nicht als „Bewerbungen“ zählen. Die Hochschule ist über derartige Hilfsanträge informiert, und sie können dort deshalb nachrangig abgearbeitet werden, während Bewerbungen an verschiedenen Hochschulen zu einer parallelen Bearbeitung an diesen Hochschulen führen. n „Bewerbungen“ richten sich daher immer an n unterschiedliche Hochschulen. 3. Annahme: Ausland bleibt außer Betracht Nicht berücksichtigt wird die Nachfrage von Inländern für Studienplätze im Ausland oder die Präferenzen von Ausländern, die nicht Deutschen gleichgestellt sind, für Studienplätze im Inland. 4. Annahme: Keine virtuellen Bewerbungen Angenommen sei, das Fach F1 werde von 30 Hochschulen angeboten: HF1 PH2,F1:k PH3,F1:k = 30. Eine Interessentin habe die Präferenzen: PH1,F1:k H30,F1:k P . Sie interessiert sich ausschließlich für das Studienfach F1 (wo... bei ihr die Studiengänge egal sind) und zieht grundsätzlich das Angebot von 30 Hochschulen in Betracht, die dieses Fach anbieten. An allen Hochschulen, die das Fach F1 anbieten, unterliegt dieses Fach einer Kapazitätsbeschränkung, d.h.: HF1 = HF1:k = 30. Die Interessentin möchte unbedingt F1 studieren und würde „im Prinzip“ irgendeinen Studienplatz in ihrem Fach an einer der 30 Hochschulen einem Nicht-Studium vorziehen, die Zahl ihrer Präferenzen P ist 30. Das besagt allerdings noch lange nicht, dass sie die von ihr in Betracht gezogenen 30 Möglichkeiten auch ausschöpft und nun auch 30 Bewerbungen schreibt. Es ist beispielsweise denkbar, dass ihre 30 Präferenzen nur zu 10 Bewerbungen (BW) führen: BW = 10. Die restlichen 20 Präferenzen bleiben bei dieser Bewerberin eine virtuelle Nachfrage, die 10 Bewerbungen sind dagegen die von ihr geäußerte Nachfrage. Auf ihre Bewerbungen kann die Bewerberin sodann zwischen 0 und 10 Zulassungen (Z) für einen Studienplatz erhalten. Die Bewerberin kann aber letztlich nur einen einzigen Studienplatz annehmen, darum ist die Zahl der von ihr tatsächlich nachgefragten Studienplätze 1. Falls die Bewerberin schließlich tatsächlich annimmt und eine endgültige Immatrikula-
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
170
tion (Ie) vornimmt, handelt es sich um eine realisierte Nachfrage, die dann den Wert 1 (endgültige Annahme des Studienplatzes) annimmt. Falls sie keine endgültige Immatrikulation vornimmt, hat Ie den Wert 0. Offensichtlich gilt: Zahl der Präferenzen (Virtuelle Nachfrage): P Zahl der Bewerbungen (Geäußerte Nachfrage): BW Zahl der Bewerber (Tatsächliche Nachfrage): B Zahl der Zulassungen (Z) Zahl der endgültigen Immatrikulationen (Ie = 0 oder Ie = 1 pro Bewerber = Realisierte Nachfrage). Zwischen der geäußerten Nachfrage und der realisierten Nachfrage ist die tatsächliche Nachfrage zu lokalisieren. Unter der Voraussetzung, dass die oben erwähnte Bewerberin zum Zeitpunkt der Bewerbung einen der von ihr nachgefragten Studienplätze tatsächlich annehmen will, kann die tatsächliche Nachfrage einer Bewerberin nur 1 sein. Eine Bewerberin kann zwar nur einen Studienplatz besetzen; in manchen Fällen wird die Bewerberin aber trotz Zulassung schließlich doch keine Immatrikulation vornehmen oder eine schon vorgenommene Immatrikulation wieder rückgängig machen, so dass die zum Zeitpunkt des Studienbeginns realisierte Nachfrage (wegen inzwischen eingetretener Veränderung ihrer Präferenzen zugunsten eines Nicht-Studiums) kleiner als die tatsächliche Nachfrage ist, nämlich 0. Man sieht: Infolge der komplexen institutionellen Bedingungen und des langen Verfahrensablaufes bei einer Studienplatzvergabe kann man nicht von „der“ Nachfrage (genauer: „der“ nachgefragten Menge) ausgehen, sondern es ist genau anzugeben, von welcher Menge jeweils die Rede ist:3 von jener virtuellen Menge an Studienplätzen, die „im Prinzip“ bei den zum Studium entschlossenen Personen in Frage kommen; von jener Menge, für die von diesen Personen formell ein Interesse geäußert wird; von jener Menge, welche die Bewerber tatsächlich besetzen könnten (wenn sie vorhanden wäre); und von jener Menge, die schließlich tatsächlich in Anspruch genommen wird. Im Folgenden sollen Präferenzen, die eine virtuelle Nachfrage bleiben und nicht auch zu einer Bewerbung und damit zu einer geäußerten Nachfrage führen, nicht als Präferenzen berücksichtigt werden. Wenn daher im Folgenden von „Präferenzen“ die Rede ist, wird immer unterstellt, dass diese Präferenzen auch zu Bewerbungen und damit zu einer geäußerten Nachfrage führen. Es sind Bewerbungspräferenzen. Erläuterung und Nebenergebnis Die Einführung der Kategorie „virtuelle Nachfrage“ scheint auf den ersten Blick seltsam und unmotiviert, da selbstverständlich nur eine geäußerte Nachfrage als Nachfrage bei den Anbietern auch wirksam werden kann. Der Begriff gewinnt seinen Sinn aber vor folgendem Hintergrund: Wenn die Nachfrage und ___________ 3
Vgl. hierzu auch Unterkapitel III. 2., S. 61-68.
5. Annahmen für eine Bewerbungsfunktion
171
das Angebot nicht dezentral, sondern zentral koordiniert ist, dann ist es durchaus denkbar, dass die Nachfragerin ihre Präferenzen folgendermaßen äußern PH2,F1: k PH3,F1: k JokerH4 bis H30, F1: k. Mit dem „Joker“ bekann: PH1,F1: k wirbt sie sich pauschal für alle restlichen 27 Hochschulen für den Fall, dass sie an H1, H2 und H3 keinen Studienplatz in F1 bekommt. Es kann von der Art der Koordination eines Bewerbungsverfahrens und dem damit verbundenen Bewerbungsaufwand abhängen, ob aus einer virtuellen Nachfrage eine geäußerte Nachfrage werden kann oder nicht. Eine konsequent dezentrale Koordination macht eine hochschul-unspezifische „Joker“-Bewerbung („Das Wichtigste ist für mich, dass ich überhaupt einen Studienplatz in meinem Fach bekomme“) offensichtlich unmöglich, sondern die Dezentralisierung erzwingt ggf. die Mehrfachbewerbung von der Person, die „unbedingt einen Studienplatz in F1“ bekommen möchte. Es liegt nahe, dass unter derartigen Umständen eine studierwillige Person ihre Nachfrage nicht in einem Ausmaß (oder nur mit hohem Aufwand) äußern kann, wie es eigentlich ihren Interessen entspricht und wie sie mit einer Joker-Bewerbung geäußert werden könnte. Diese nicht geäußerte Nachfrage bleibt eine bloß virtuelle Nachfrage. 5. Annahme: Keine weitere Präferenz nach einer Präferenz für einen Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung. Betrachtet seien folgende Präferenzen eines Nachfragers: P1 PH2,F5;SG1:o
P2 PH36,F7,SG3: k
P3
Kein Studium
P4 P5 PH3,F1,SG2:o PH47,F16 ,SG1:k
Dieser Bewerber (gemäß Annahme Nr. 4 gelten nur die Präferenzen als Bewerbungspräferenzen, die auch zu Bewerbungen führen), scheint auf den ersten Blick „nicht ganz richtig im Kopf“. Zuerst fällt auf, dass sich seine Bewerbungen über die verschiedensten Hochschulen, Fächer und Studiengänge verteilen. Des Weiteren: Seine erste Präferenz ist eine Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung, ein solcher Studienplatz ist ihm auf jeden Falls sicher, d.h. seine persönliche Zulassungswahrscheinlichkeit für diesen Studiengang ist pE = pz = 1. Dann macht es aber keinen Sinn, noch nachgeordnete Präferenzen zu bilden und dafür Bewerbungen abzuschicken. Es soll daher gelten: Wenn an der Stelle n eine Präferenz für eine (zulassungssichere) Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung auftritt, kann es keine Präferenz der Stelle n+1 mehr geben. Die Präferenzbildung bricht dort vielmehr ab. 6. Annahme: Keine Optionsbewerbungen Betrachtet sei weiterhin das Beispiel des Bewerbers aus Annahme 5: Zwischen der 2., 3., 4. und 5. Präferenz ist er indifferent, ausgedrückt durch das
172
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
Zeichen „ “. Schließlich: Unter den Präferenzen, zwischen denen er indifferent ist, befindet sich auch die Möglichkeit des Nicht-Studiums. Was auf den ersten Blick als sinnlos erscheinen könnte, kommt in der Realität durchaus vor und macht durchaus Sinn, wenn man folgendes bedenkt: Zwischen einer Bewerbung und einer Zulassung zum Studium liegen mehrere Wochen, und zwischen einer Bewerbung und einer endgültigen Immatrikulation liegen ggf. mehrere Monate. Für einen Bewerber, der sich zum Zeitpunkt der Bewerbung seiner Präferenzen noch unsicher ist oder bei dem veränderte Lebensumstände eintreten können, kann es also sinnvoll sein, bis zum Zeitpunkt der Bewerbungsfrist Optionen zu erwerben für Entscheidungen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erfolgen haben. Hier soll nun folgende Vereinbarung gelten: Derartige Optionsbewerbungen werden nicht zu den Präferenzen gerechnet in folgenden Konstellationen: Indifferenz gegenüber einem Nicht-Studium, d.h.: In der folgenden Präferenzbildung P1 P2 Kein Studium zählt P2 nicht als Präferenz (obwohl sie zu einer Bewerbung führt). Als Bewerbung werden nur Bewerbungen gezählt, die mit der Absicht abgeschickt wurden, ein Studium tatsächlich auch aufzunehmen. Indifferenz zwischen mehreren Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung („o“), etwa: P1o P2o P3o P4o. Indifferente Präferenzen dieser Art sollen mit 1 gezählt werden, auch falls Sie im Einzelfall zu mehreren Bewerbungen führen. Derartige Mehrfachbewerbungen machen nur dann Sinn, falls einzelne Hochschulen auch für Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung die Einhaltung einer vorgelagerten Bewerbungsfrist verlangen und dadurch Optionsbewerbungen gewissermaßen provozieren. Grundsätzlich soll die Menge der Optionsbewerbungen aufgrund unklarer Präferenzen als ein Thema ganz eigener Art beiseite gelassen werden. Mehrere Bewerbungen aufgrund von Indifferenzen zwischen kapazitätsbeschränkten Studienvarianten sind dagegen möglich: P1k P2k P3k P4k führt zu 4 Bewerbungen. Dabei wird angenommen, dass sich die hier noch vorhandenen Indifferenzen durch Befragen auf eine Präferenzfolge bringen ließen. Nebenergebnis aus Annahme 6: Ob und in welchem Umfang Optionsbewerbungen errichtet werden, wird vor allem von zwei Faktoren abhängen: Erstens vom Ausmaß, in dem Studieninteressenten zum Zeitpunkt der Bewerbungsfrist sich im Unklaren darüber sind, was sie eigentlich wollen; und zweitens von der Länge der Frist zwischen dem Zeitpunkt der Bewerbung und dem Zeitpunkt der Entscheidung – wenn denn die Einhaltung einer solchen Bewerbungsfrist von den Hochschulen auch bei Studiengängen ohne Kapazitätsbeschränkung verlangt wird. Je länger diese
5. Annahmen für eine Bewerbungsfunktion
173
Frist ist, umso größer ist der Anreiz, über Optionsbewerbungen „Zeit zu gewinnen“ bzw. sich hinsichtlich veränderter Lebensumstände und möglicher Präferenzänderungen abzusichern. 7. Annahme: Keine weitere Präferenz nach sicherer Präferenz Kein Bewerber kann eine Bewerbungspräferenz n+1 für eine Studienvariante bilden, wenn er sich (in seiner subjektiven Erwartung) sicher ist, bei der nten Bewerbungspräferenz einen Studienplatz zu bekommen – wenn dort also für ihn gilt: pE = 1. Die Situation ist ähnlich wie in Annahme 5, aber nicht dieselbe. Die Sicherheit eines einzelnen Bewerbers in Hinblick auf den Erhalt eines Studienplatzes kann nämlich auch für einen kapazitätsbeschränkten Studiengang bestehen, und zwar dann, wenn dieser einzelne Bewerber sich sicher ist, dass er im Unterschied zu anderen Bewerbern für dieselbe Studienvariante einen Studienplatz erhalten wird, z.B. weil er außergewöhnliche Leistungen vorweisen kann. Bei Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung können dagegen sämtliche Bewerber für diese Varianten sich eines Studienplatzes sicher sein. 8. Annahme: Keine Präferenz für eine Studienvariante ohne Zulassungschance Umgekehrt kann ein Bewerber keine Bewerbungspräferenz für eine Studienvariante bilden, wenn er sich sicher ist, dass er diesen Studienplatz auf keinen Fall bekommen kann, wenn also gilt: pE = 0. 9. Annahme: Keine Überschneidungen von Testterminen Wenn die Hochschulzulassung nicht nur dezentral ist, sondern an jeder Hochschule und in jedem Fach auch noch unterschiedliche, hochschulspezifische Tests, Bewerbungsgespräche und dergleichen durchgeführt werden, zu denen der Bewerber persönlich erscheinen muss, dann soll angenommen werden, dass es einem Bewerber „im Prinzip“ möglich wäre, an allen derartigen Terminen teilzunehmen, weil sich diese Termine nicht überschneiden. Es wird beansprucht, dass die hier gemachten Annahmen nicht fern der tatsächlichen Bewerbungsrealität sind. Die Annahmen 7 und 8 scheinen in der Nähe der Trivialität zu liegen, wenn dort etwa gesagt wird, dass sich ein Bewerber nicht bewirbt, wenn er sich keine Chancen ausrechnet, und sich nicht für weitere Studienplätze bewirbt, wenn er sich eine nahezu sichere Chance ausrechnet. Dennoch verbirgt sich dahinter die schwierige Frage, anhand welcher Kriterien denn ein Bewerber seine individuelle Zulassungswahrscheinlichkeit bei kapazitätsbeschränkten Studienvarianten in der Realität erkennen kann und „ausrechnet“. Im Zusammenhang mit der Frage der Einschätzung seiner Zulassungschancen durch den Bewerber steht die grundsätzliche Annahme, dass es für einen Bewerber im Falle einer Unsicherheit über seine Zulassung
174
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
zum Studium in jedem Falle sinnvoll ist, sich mehrfach zu bewerben, was in den bisherigen Ausführungen stets als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Diese Annahme ist hier nun aber ebenfalls explizit zu machen: 10. Annahme: Mehrfachbewerbung ist individuell rational Im Falle individueller Unsicherheit über die Zulassung zu einem Studium ist es für einen Bewerber sinnvoll, sich mehrfach zu bewerben, weil dadurch die Zulassungschancen erhöht werden können. Die Begründung dieser Annahme wird in einem eigenen Exkurs am Ende von Unterkapitel VI. 7. a), S. 195f. nachgeholt. Eine letzte, allerdings gravierende Einschränkung ist noch zu machen, die erst im folgenden Unterkapitel begründet wird: 11. Annahme: Mindestens eine Bewerbung Ein Bewerber bewirbt sich bei einer Veränderung der Zulassungsbedingungen mindestens einmal (Bew1) und wechselt seine erste Präferenz nicht. Diese Annahme wird erst im folgenden Unterkapitel VI. 7. a), S. 179ff. begründet.
6. Das theoretische Maximum der geäußerten Nachfrage Definitionsgemäß (s. Annahme 2) kann ein Bewerber sich an einer Hochschule nur einmal bewerben, und die Präferenzbildung bricht bei der ersten Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung ab (s. Annahme 5). Hier sei zunächst nur der Fall betrachtet, dass sich ein bestimmter Bewerber (z.B. B1) ausschließlich für das Studium in einem bestimmten Fach (z.B. F1) und in einem bestimmten Studiengang (z.B. SG1) interessiert, also beispielsweise ausschließlich für den Studiengang BWL (Diplom). Für die maximale Zahl der Bewerbungen von B1 gilt dann: max BWFB11, SG1:k = HF1, SG1:k + 1 Dieses ist das individuelle Maximum an Bewerbungen. Für das Beispiel F1,SG1=„BWL (Diplom)“ besagt dieses: Wenn B1 sich ausschließlich für das Studienfach BWL im Studiengang Diplom interessiert und sich mit erster Präferenz dafür an einer Hochschule bewirbt, wo diese Variante kapazitätsbeschränkt ist, dann kann er maximal so viele Bewerbungen für „BWL (Diplom)“ schreiben, wie es Hochschulen gibt, die „BWL (Diplom)“ kapazitätsbeschränkt anbieten. Ggf. kommt noch eine weitere Bewerbung hinzu, falls es eine oder mehrere Hochschulen gibt, an denen die Variante nicht kapazitätsbeschränkt ist, wenn also gilt: HF1,SG1 > HF1, SG1:k. Nehmen wir zusätzlich an, dass sämtliche Bewerber für F1,SG1 sich ausschließlich für dieses Fach in diesem Studiengang interessieren und mit erster
6. Das theoretische Maximum der geäußerten Nachfrage
175
Präferenz an einer Hochschule mit Kapazitätsbeschränkung für diese Variante bewerben; und nehmen wird außerdem an, dass die Studienvariante F1,SG1 an sämtlichen Hochschulen einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt – dann gilt für die maximale Zahl der Bewerbungen dieser Bewerber: maxBWF1, SG1:k = BF1, SG1:k HF1, SG1 , falls HF1, SG1 = HF1, SG1:k
(1)
Für den Fall, dass ein Teil der Hochschulen F1,SG1 kapazitätsbeschränkt, ein anderer Teil aber ohne Kapazitätsbeschränkung anbietet, gilt: maxBWF1, SG1:k = BF1, SG1:k (HF1, SG1:k + 1) , falls HF1, SG1 > HF1, SG1:k
(2)
Die Gleichungen (1) und (2) geben das kollektive Bewerbungsmaximum von Bewerbern an, die sich ausschließlich für ein bestimmtes Fach interessieren.1 Beispiel Wenn es 8.000 Studieninteressierte gibt, die ausschließlich das Studium BWL(Diplom) in Betracht ziehen (BF1, SG1= 8000); und wenn es 40 Hochschulen gibt, die diese Studienvariante anbieten (HF1, SG1 = 40); und wenn diese Studienvariante an 35 dieser Hochschulen einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt (HF1, SG1:k = 35), dann liegt das individuelle Maximum der Bewerbungen eines Bewerbers bei 35 Bewerbungen (+ 1 Bewerbung für eine nicht zulassungsbeschränkte Variante). Das kollektive Maximum an Bewerbungen, die jene Interessierten für BWL(Diplom) verfassen können, die sich mit erster Präferenz an einer Hochschule mit Kapazitätsbeschränkung für dieses Fach bewerben wollen, ist sodann: max BWF1, SG1:k = 8000 (35 + 1) = 288.000 Bewerbungen.
Diese hohe Zahl würde dann zustande kommen, wenn sämtliche Bewerber ihre ersten Bewerbungspräferenzen (P1 bis P35) für jene Hochschulen bilden, an denen das Fach F1 im Studiengang SG1 kapazitätsbeschränkt ist und erst die sechsunddreißigste Präferenz für eine Hochschule, an der F1,SG1 keiner Kapazitätsbeschränkung unterliegt. Ist die Studienvariante dagegen an allen 40 Hochschulen kapazitätsbeschränkt, dann gilt: maxBWF1,SG1 = 8000 40 = 320.000 Bewerbungen (BWF1,SG1 = BWF1,SG1:k , da: HF1, SG1 = HF1,SG1:k = 40). Würde dagegen nur eine einzige ___________ 1 Hier ist erneut vor einer möglichen Verwechselung zu warnen: Bei BWF1,SG1:k handelt es sich nicht um die Zahl der Bewerbungen, die für das kapazitätsbeschränkte Studienfach F1 im Studiengang SG1 bei den Hochschulen eingehen, sondern um die Zahl der Bewerbungen der Bewerber, welche sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante des Studienfaches F1 im Studiengang SG1 beworben haben.
176
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
Hochschule den gewünschten Studiengang anbieten, dann würde gelten: maxBWF1,SG1 = 8000 1 = 8000 Bewerbungen = BF1,SG1. Nur in diesem Sonderfall ist die Zahl der Bewerber für eine zulassungsbeschränkte Studienvariante gleich dem theoretischen Maximum der Bewerbungen dieser Bewerber: maxBWF1, SG1: k = BF1, SG1: k , falls: HF1, SG1: k = HF1, SG1 = 1. Es bleibt also festzuhalten: Das theoretische, kollektive Maximum der Bewerbungen der Bewerber mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante eines Faches, für das diese Bewerber sich ausschließlich interessieren, ergibt sich als Produkt der Zahl dieser Bewerber mit dem individuellen Maximum der Bewerbungen, die von ihnen geschrieben werden können. Dieses individuelle Maximum ist gleich der Zahl der Hochschulen, die das entsprechende Studienfach und den entsprechenden Studiengang kapazitätsbeschränkt anbieten – immer unter der Annahme, dass die Bewerber sich ausschließlich für ein bestimmtes Fach bewerben wollen. Hieraus lässt sich schon folgern: Eine „reich gegliederte Hochschullandschaft“, in der viele Hochschulen dieselben oder ähnliche Studienfächer in denselben oder ähnlichen Studiengängen anbieten, wird ceteris paribus viel stärker von zahlreichen Bewerbungen pro Studienplatz betroffen sein, als eine Hochschullandschaft mit nur wenigen Anbietern, wenn nur der Nachfrageüberhang hinreichend groß ist und an entsprechend vielen Hochschulen Kapazitätsbeschränkungen eingeführt worden sind. Das theoretische individuelle und kollektive Maximum würde allerdings ggf. beträchtlich reduziert, wenn die Annahme 9 (keine Überschneidung von Anwesenheitsterminen) aufgegeben wird. Angenommen, die Hochschulzulassung sei so stark dereguliert, dass jede Hochschulen für eine Bewerbung die Anwesenheit der Bewerber zu jeweils hochschuleigenen Tests, Bewerbungsgesprächen oder Ähnlichem verlangt, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Überschneidungen zwischen diesen Anwesenheitsterminen kommt. Diese Wahrscheinlichkeit ist um so größer, je mehr Hochschulen/Fächer derartige Anwesenheitstermine verlangen und je kürzer der Zeitraum ist, in dem diese Anwesenheitstermine sich drängen. Der Bewerber kann dann gar nicht alle Termine wahrnehmen, welche er „im Prinzip“ wahrnehmen möchte. Diese, bei starker Nicht-Kooperation auftretende Möglichkeit wird in diesem Kapitel nicht weiter verfolgt, aber an späterer Stelle wieder aufgegriffen (Kapitel VII. „Verteilungsoptimalität“). Nun sei die Annahme aufgegeben, dass sich ein konkreter Bewerber B1 ausschließlich für die Studienvarianten (Hochschulvarianten) von F1,SG1 „BWL (Diplom“) interessiert. Dann kann die Zahl der Bewerbungen, die B1 in der Empirie verfasst, sinken, und zwar dann, wenn sich seine Präferenzen frühzei-
6. Das theoretische Maximum der geäußerten Nachfrage
177
tig auf Studienvarianten ohne Kapazitätsbeschränkung erstrecken, insbesondere auch in anderen Studiengängen und Studienfächern. Diese wären dann nicht kapazitätsbeschränkte Substitute für die kapazitätsbeschränkten Studienvarianten von F1,SG1. Das theoretische Maximum an Bewerbungen steigt dagegen noch an, und zwar dann, wenn B1 das Pech hat, dass auch die Studienvarianten anderer Fächer, für die er sich interessiert, einer Kapazitätsbeschränkung unterliegen. Er kann dann theoretisch so viele Präferenzen bilden, wie es überhaupt Hochschulen gibt, an denen mindestens eine Studienvariante kapazitätsbeschränkt ist plus eine Bewerbung an einer weiteren Hochschule, wo er eine Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung wählt. Infolgedessen gilt für das Maximum an Bewerbungen, welche die Bewerber verfassen können, die sich ausschließlich für kapazitätsbeschränkte Studiengänge interessieren: maxBWk = Bk (Hk + 1) falls: H > Hk
und maxBWk = Bk Hk
falls: H = Hk
Ergebnis: Das theoretische Maximum an Bewerbungen der Bewerber, die sich ausschließlich für kapazitätsbeschränkte Studienvarianten (über alle Fächer hinweg) interessieren, ist das Produkt aus Bewerberzahl und der Zahl der Hochschulen, die mindestens eine Studienvariante kapazitätsbeschränkt anbieten. Wenn es keine einzige Studienvariante ohne Kapazitätsbeschränkung gibt, dann gilt für das theoretische Maximum: maxBWk = maxBW = B H . Im Falle dieses Maximums würde sich jeder Bewerber, der sich überhaupt für ein Studium interessiert, mit erster Präferenz zwangsläufig nur für einen kapazitätsbeschränkten Studiengang bewerben können, weil sämtliche Studienvarianten an allen Hochschulen einer Kapazitätsbeschränkung unterliegen. Sodann wären die Bewerber sehr bewerbungsaktiv und würden sich an sämtlichen Hochschulen jeweils einmal bewerben. Ein solcher Fall ist keineswegs undenkbar. Man stelle sich beispielsweise ein kleines Land vor, in dem es nur 3 Hochschulen gibt, deren sämtliche Studiengänge einer Kapazitätsbeschränkung unterliegen. Dann liegt es nahe, dass die Bewerber ggf. eine hohe Bewerbungsaktivität entfalten dergestalt, dass viele Bewerber ihr individuelles Bewerbungsmaximum von drei Bewerbungen ausschöpfen. Nimmt man ein großes Land mit vielen Hochschulen und vielen Bewerbern an, wäre das folgende Szenario der denkbar schlechteste Fall, was den allgemeinen Bewerbungsaufwand infolge von Mehrfachbewerbungen betrifft: Es herrscht eine allgemeine Übernachfrage nach Studienplätzen. Die Struktur des Angebots entspricht besonders gut der Struktur der Nachfrage, deshalb sind sämtliche Studienvarianten kapazitätsbeschränkt. Alle Studienbewerber sind regional unbeschränkt mobil und finden an jeder Hochschule ein akzeptables
178
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
Substitut für ihren ersten Studienwunsch. Infolgedessen bewirbt sich jeder Bewerber an jeder Hochschule einmal. Die Bestimmung des theoretischen Maximums an möglichen Bewerbungen von Bewerbern dient als Ausgangspunkt. Dieses Maximum markiert sozusagen die obere Grenze des möglichen Bewerbungsaufkommens, während die untere Grenze (das Minimum) dadurch bestimmt würde, dass jeder Bewerber – aus welchen Gründen auch immer – nur eine einzige Bewerbung an eine einzige Hochschule richten würde. Welche Faktoren führen nun dazu, dass ein repräsentativer Bewerber aus dem Kollektiv derer, die sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Variante des Studienfaches F1 interessieren, sein Bewerbungsmaximum nicht ausschöpft? Wie oben in Unterkapitel VI. 3., S. 159ff. angedeutet, kann eine Fülle von Faktoren dazu führen, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin nur eine beschränkte Auswahl von Möglichkeiten wahrnimmt oder sich auch nur ein einziges Mal bewirbt. Ein besonders wichtiger Faktor ist eine eingeschränkte Mobilität. Im Folgenden sollen nur einige dieser Faktoren explizit berücksichtigt werden, und zwar jene, von denen angenommen wird, dass sie a) für viele Personen wichtig sind und b) durch die Gestaltung der Bewerbungs- und Zulassungsverfahren beeinflusst werden können. Ihre institutionelle Gestaltbarkeit macht die Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen besonders interessant. Die Frage soll also lauten: Welchen Einfluss haben die Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen auf das Bewerbungsverhalten der Bewerber, und wie lassen sich diese Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen in einer Bewerbungsfunktion berücksichtigen?
7. Bewerbungsfunktion für ein beschränktes Fach Als Faktoren der Funktion, welche die Zahl der von den Bewerbern mit erster Präferenz für ein bestimmtes Fach verfassten Bewerbungen angeben könnte, seien die folgenden fünf Variablen zur Berücksichtigung vorgeschlagen.
a) Die Variablen Variable 1: Zahl der Bewerber mit erster Präferenz für eine zulassungsbeschränkte Variante des Faches F1: BF1:k. Das ist nicht mehr weiter zu erläutern. Variable 2: Zahl der Hochschulen mit Kapazitätsbeschränkung in F1. HF1:k bezeichnet die Zahl der Hochschulen, an denen F1 kapazitätsbeschränkt angeboten wird, und gibt das Maximum an Bewerbungen an, die ein Bewerber für
7. Bewerbungsfunktion für ein beschränktes Fach
179
das Studienfach F1 abschicken kann. Das kollektive Maximum der Bewerbungen ist das Produkt aus Variable 1 und Variable 2: maxBWF1:k = BF1:k HF1:k. Hinweis: Wie in Gleichung (1) und (2) des Unterkapitels VI. 6., S. 175 dargelegt, müsste es eigentlich heißen: maxBWF1:k = BF1:k (HF1:k+1), falls HF1:k0 und für die zweite Ableitung dH F 1:k
= 0 . Für die erste Ableitung nach q gilt:
und für die zweite Ableitung:
d 2 BW F 1:k dq 2
dBW F 1:k = B F 1:k H F 1:k >0 dq
=0.
Zur Verdeutlichung folgt hier eine graphische Darstellung, für welche folgende Werte angenommen werden (wobei der Zusatz „F1:k“ weggelassen wird): • Es gibt 500 Bewerberpersonen, die sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante interessieren, B = 500 = const. • Die Zahl der Hochschulen, welche F1 anbieten, sei variabel zwischen 2 und 25: HF1 {2,3,...,25} . Zugleich wird angenommen, dass das Fach F1 an allen Hochschulen einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt: HF1:k/HF1 = 1. • q sei konstant, q = 0,5. Dieses impliziert, dass der Aufwand für eine Bewerbung und die Zulassungserwartung der Bewerber konstant bleiben. • Außerdem sei angenommen, dass die Zahl der Studienplätze für das kapazitätsbeschränkte Fach F1 konstant 400 betrage, S = 400.
7. Bewerbungsfunktion für ein beschränktes Fach
201
Abbildung 7: Bewerbungen in Abhängigkeit von der Zahl der Hochschulen (multiplikative Beziehung)
Sind B = 500 und H = 25 gegeben, q dagegen variabel zwischen
1 und 1, 25
dann lässt sich die Abhängigkeit wie folgt veranschaulichen:
Abbildung 8: Bewerbungen in Abhängigkeit von den Bewerbungsund Zulassungsbedingungen (multiplikative Beziehung)
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
202
Alternativ kann auch eine Potenzfunktion bzw. Exponentialfunktion (je nachdem, welche Variablen verändert werden) angenommen werden, ebenfalls mit 0 q 1: (10)
BWF1:k = BF1:k HF1:k q
Diese Funktion hat folgenden Vorteil: Geht q gegen 0, dann nähert sich die Zahl der von einem „repräsentativen Bewerber“ verfassten Bewerbungen, also BWF1:k /BF1:k = H Fq 1:k dem Wert 1, was der in Unterkapitel VI. 7. a) gestellten Bedingung entgegenkommt, dass jeder Bewerber mindestens eine Bewerbung schreiben muss. Bei einer solchen Funktion stiege die Zahl der Bewerbungen mit der Zahl der Hochschulen (Potenzfunktion) zunächst stark und dann immer schwächer: dBWF 1:k d 2 BWF1:k = q H Fq1:1k BF 1:k >0 und = q (q 1) H q 2 B 0 und = B F 1:k ln H F1:k >0. dq dq 2
Mit wachsendem q wächst die Zahl der Bewerbungen progressiv. Auch hier soll eine graphische Veranschaulichung des Zusammenhanges folgen.
Abbildung 9: Bewerbungen in Abhängigkeit von der Zahl der Hochschulen (exponentielle Beziehung)
8. Die Bewerbungsfunktion für sämtliche beschränkte Fächer
203
Sind B = 500 und H = 25 gegeben, der Exponent q dagegen variabel zwischen 0 und 1, dann lässt sich die Abhängigkeit wie folgt veranschaulichen:
Abbildung 10: Bewerbungen in Abhängigkeit von den Bewerbungsund Zulassungsbedingungen (exponentielle Beziehung)
Die Zeichnungen verdeutlichen die wachsende Diskrepanz zwischen Bewerbungen und Studienplätzen bzw. zwischen Bewerbungen und Bewerberpersonen, wenn ceteris paribus die Zahl der Hochschulen oder der Wert von q wächst – immer vorausgesetzt, dass alle Hochschulen das Fach kapazitätsbeschränkt anbieten. Selbstverständlich ließe sich die Bewerbungsfunktion auch für unterschiedliche Abschnitte unterschiedlich definieren.
8. Die Bewerbungsfunktion für sämtliche beschränkte Fächer Bisher wurden nur mögliche Bewerbungsfunktionen von Bewerbern diskutiert, die sich mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Variante des Studienfaches F1 interessieren. Nun sind auch die entsprechenden Bewerbungsfunktionen der Bewerber mit jeweils erster Präferenz für kapazitätsbeschränkte Varianten der anderen Studienfächer F2, F3, ..., Fn in den Blick zu nehmen mit der Absicht, eine aggregierte Bewerbungsfunktion für sämtliche Bewerber aufzustellen, die sich mit erster Präferenz für die kapazitätsbeschränkte Variante eines Studienfaches interessieren. Dabei wird wieder von
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
204
dem einfacheren Spezialfall der Funktion q ausgegangen, d.h. dem Fall: Wenn in einem Fach Kapazitätsbeschränkungen bestehen, dann bestehen diese Kapazitätsbeschränkungen an allen Hochschulen. Die Bewerbungsfunktionen sämtlicher Bewerber, die mit erster Präferenz die kapazitätsbeschränkte Variante eines Studienfaches F1, F2, ..., Fn gewählt haben, sollen nun addiert werden, woraus sich dann die Werte für die aggregierte Gesamtfunktion ergeben. Variable 1 2 3 4 5 BWF1:k = BF1:k f (HF1:k; q1); q1 = b1/ KBW(B,F1:k) 1 (SF1:k/BWF1:k)Vj + BWF2:k = BF2:k f (HF2:k; q2); q2 = b2/ KBW(B,F2:k) 1 (SF2:k/BWF2:k)Vj . . . + BWFn:k = BFn:k f (HFn:k; qn); qn = bn/ KBW(B,Fn:k) 1 (SFn:k/BWFn:k )Vj
Es seien nun zusammengefasst der Funktionswert Zusammenfassung Funktionswert
BWFi:k
Bezeichnung, Schreibweise BWk
i
i = 1, ..., n
Beschreibung Summe aller Bewerbungen für kapazitätsbeschränkte Studienvarianten
sowie die Variablen 1 und 2: Variable
1
Zusammenfassung
Bezeichnung, Schreibweise
BFi:k
i
Bk
i = 1, ..., n
2
HF1:k HF2:k
… HFn:k
H(F1...Fn):k = Hk
Beschreibung
Summe aller Bewerber mit erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante Vereinigungsmenge aller Hochschulen, die eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante im Fach F1, F2, ..., Fn anbieten
Hinweis: Die Variable 2 der Gesamtfunktion kann nicht einfach als Summe jener Hochschulen bestimmt werden, die jeweils das Fach F1, F2, ..., Fn kapa-
8. Die Bewerbungsfunktion für sämtliche beschränkte Fächer
205
zitätsbeschränkt anbieten, da dieses teilweise dieselben Hochschulen sein können. Würden dagegen die Zahlen sämtlicher Hochschulen, die das Fach F1 kapazitätsbeschränkt anbieten und sämtlicher Hochschulen, die das Fach F2 kapazitätsbeschränkt anbieten usw., zu einer Gesamtzahl addiert, dann könnte am Ende leicht eine Gesamtzahl von Hochschulen herauskommen, die mehrfach so groß ist wie die Zahl der Hochschulen, die es tatsächlich gibt; denn die Hochschulen, die F1 kapazitätsbeschränkt anbieten, und jene die F2 usw. kapazitätsbeschränkt anbieten, sind teilweise dieselben. Diese identischen Element dürfen nicht doppelt gezählt werden, daher ist die Vereinigungsmenge durch empirischen Abgleich auf identische Elemente zu bestimmen. Die Variablen 3 bis 5 der aggregierten Gesamtfunktion seien nun bezeichnet mit: Variable 3: b/ K BW ( B F:k ) mit b K BW ( B F:k ) . K BW ( B F:k ) soll die durchschnittlichen Bewerber-Kosten für eine Bewerbung in einem kapazitätsbeschränkten Studiengang bezeichnen. Variablen 4, 5: 1Sk/BWkVj. Das ist die durchschnittliche Zulassungserwartung, abhängig vom Verhältnis von Studienplätzen und Bewerbungen in kapazitätsbeschränkten Studiengängen im Vorjahr. Die Funktion q der aggregierten Gesamtfunktion lässt sich nun leider nicht durch Summen- oder Durchschnittsbildung oder Anwendung einer sonstigen Rechenvorschrift auf die einzelnen Variablen 3 bis 5 ermitteln, sondern q lässt sich nur nachträglich „passend“ zu dem ermittelten Funktionswert BWk , zu der Zahl der Bewerber Bk und der Vereinigungsmenge Hk bestimmen. Im Falle einer Multiplikationsbeziehung gilt dann für die aggregierte Gesamtfunktion: (11)
BWk = Bk Hk q mit nachträglich bestimmtem q = BWk/(Bk Hk).
Im Falle einer Exponentialfunktion gilt für die aggregierte Gesamtfunktion: (12)
BWk = Bk Hkq mit nachträglich bestimmtem q = log Hk (BWk/Bk) = ln (BWk/Bk)/ ln Hk.
Wird (12) in Gleichung (3) aus Unterkapitel V. 1., S. 121 eingesetzt, ergibt sich als Funktion für die Gesamtzahl aller Bewerbungen im Falle einer Potenzbzw. Exponentialfunktion: (13)
BW = Bo + Bk Hkq (+ Optionsbewerbungen) mit nachträglich bestimmtem: q = log Hk (BWk/Bk) .
Für den hier gewählten Weg, eine Gesamtfunktion für die Bewerbungen in sämtlichen kapazitätsbeschränkten Studiengängen aufzustellen, lässt sich festhalten: Auch wenn die einzelnen Bewerbungsfunktionen für einzelne kapazi-
206
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
tätsbeschränkte Studienfächer bekannt sind, dann lässt sich eine Gesamtfunktion für sämtliche kapazitätsbeschränkten Fächer und Varianten rechnerisch nicht unmittelbar aus den Bewerbungsfunktionen der einzelnen Fächer gewinnen, sondern die Gesamtfunktion lässt sich nur nachträglich bestimmen, wenn man die konkreten Werte der Variablen und damit die Funktionswerte der Einzelfunktionen ermittelt hat. Dieses liegt u.a. daran, dass sich die Gesamtzahl der betroffenen Hochschulen nicht durch Summenbildung ermitteln lässt, sondern nur als Vereinigungsmenge. Noch größere Schwierigkeiten für die Aufstellung einer Gesamtfunktion würden sich ergeben, wenn nicht – wie hier geschehen – der einfachere Spezialfall der Funktion q zugrunde gelegt wird (vgl. Gleichung 8), sondern die komplexere Funktion s (vgl. Gleichung 7). Hieraus lässt sich die Empfehlung ableiten, dass beispielsweise empirische Untersuchungen über das Bewerbungsverhalten auf der hier gewählten mittleren Ebene ansetzen sollten, also bei dem Bewerbungsverhalten von Bewerbern mit erster Präferenz für ein ganz bestimmtes Studienfach. Würde man dagegen sogleich auf der allgemeinsten Ebene ansetzen und unspezifisch das Bewerbungsverhalten von Bewerbern für kapazitätsbeschränkte Studienvarianten generell untersuchen, dann würde man darauf verzichten, das konkrete Bewerbungsverhalten mit begründeten Hypothesen tatsächlich zu modellieren. Eine unmittelbar auf der allgemeinsten Ebene aufgestellte Bewerbungsfunktion „für kapazitätsbeschränkte Studienfächer überhaupt“ ließe auch keine Rückschlüsse auf das Verhalten in einzelnen, konkreten Studienfächern zu. Es ist allerdings in Erinnerung zu rufen, dass die tatsächliche Bewerbungsrealität noch deutlich komplexer sein dürfte, da in der hier gewählten, formalen Fassung des Problems ja davon ausgegangen wurde, dass eine Veränderung der Bewerbungsund Zulassungsbedingungen sich zwar auf die Zahl der verfassten Bewerbungen auswirkt, nicht aber auf die Bewerberzahlen selbst und auch nicht auf die Bildung der ersten Präferenz der Bewerber (vgl. die Erläuterung der Annahme 11 in Unterkapitel VI. 7. a), S. 179ff.). Der hier vorgelegte Versuch, Ansätze für eine mathematische Formulierung von Bewerbungsfunktionen zu liefern, mag Kritik hervorrufen und als wenig übersichtlich erscheinen. Diese Unübersichtlichkeit dürfte allerdings in der Komplexität der Sache selbst begründet sein. Im Übrigen sind alternative Vorschläge gefragt. Des Weiteren ist eine empirische Überprüfung der hier getroffenen Annahmen zu fordern. Dem Verfasser sind dazu aber keine Studien bekannt.1 ___________ 1 In der Studie von Helberger/Palamidis (1992) werden verschiedene Einflussfaktoren auf die Bildungsnachfrage in Deutschland empirisch untersucht für die Zeit 1950 bis 1990, nicht aber der Einfluss von Kapazitätsbeschränkungen. Hierzu werden nur Vermutungen aufgestellt. Auf S. 43 wird vermutet, dass die Einführung von Zulassungsbe-
8. Die Bewerbungsfunktion für sämtliche beschränkte Fächer
207
Ergebnisse Umso sinnvoller ist es, einige Ergebnisse dieses Kapitels noch einmal festzuhalten, die auch unabhängig von der Formulierung einer konkreten Bewerbungsfunktion bestehen bleiben: • • •
• • •
Es lässt sich ein Maximum an Bewerbungen bestimmen. Dieses ergibt sich als Produkt der Bewerberpersonen mit der Zahl der Hochschulen, welche Studienvarianten kapazitätsbeschränkt anbieten. Es ist mit einer umso höheren Bewerbungsaktivität der Bewerber zu rechnen, je mehr Studienvarianten kapazitätsbeschränkt sind. Die Unsicherheit der Bewerber über ihre Zulassungschancen nehmen bei konsequenter Dezentralisierung und Deregulierung der Hochschulzulassung zu und motivieren Mehrfachbewerbungen. Dieses gilt insbesondere bei unterschiedlichen und schwer prognostizierbaren Leistungsmessverfahren an den einzelnen Hochschulen. Auch bei einer geringen Zulassungschance macht es vom Gesichtspunkt individueller Rationalität aus Sinn, sich mehrfach zu bewerben. Ein hoher Bewerbungsaufwand und/oder äußere Bewerbungshindernisse sind geeignet, den Bewerbungseifer zu dämpfen. Wenn es gelingt, Bewerbungsfunktionen für einzelne kapazitätsbeschränkte Fächer aufzustellen, lässt sich eine Bewerbungsfunktion für alle kapazi-
___________ schränkungen zu einer Abnahme von Bewerbungen für Numerus-Clausus-Fächer führt. Auf S. 61 wird dann aus dem ähnlichen Verlauf von „Studienanfängerquote“ und „Studiennachfragequote“ (jeweils in Bezug auf die gleichaltrige Bevölkerung) der Schluss gezogen, dass die Einführung von Zulassungsbeschränkungen keinen Einfluss auf die Studiennachfrage insgesamt gehabt habe, sondern allenfalls eine Verlagerung auf nicht zulassungsbeschränkte Studiengänge, vgl. auch die Graphik 9 auf S. 62. Merkwürdiger Weise wird aber der gemeinsame Rückgang des prozentualen Anteils der Studieninteressierten und der Studienanfänger an den Studienberechtigten ca. 1974 bis 1985 (Graphik 10 auf S. 64 und Tabellen S. 120f.) nicht in Beziehung zu der Einführung von Kapazitätsbeschränkungen gesetzt. Als Erklärung für den Rückgang der Übergangsquoten werden vielmehr rückläufige Einkommensvorsprünge von Akademikern, verschlechterte Arbeitsmarktchancen, verschlechterte Studienfinanzierung sowie einer veränderte Zusammensetzung der Studienberechtigten vermutet (S. 95) und allgemein auf einen zu kurzen Beobachtungszeitraum verwiesen. Im Übrigen sei auf die im Unterkapitel IV. 3. c), S. 98-101 besprochene Studienberechtigten-Befragung der HIS-GmbH, Heine/Spangenberg/Sommer (2005): Studienberechtigte verwiesen, aus welcher sich freilich nur Anhaltspunkte dafür gewinnen lassen, warum und in welchem Umfang potentielle Studienbewerber auf eine Bewerbung gänzlich verzichten. Angesichts der zahlreichen Motive, die bei der Aufnahme bzw. Nichtaufnahme eines Studiums eine Rolle spielen, scheint es äußerst schwierig, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Verschärfung von Zulassungsbedingungen und einem generellen Studienverzicht empirisch nachzuweisen.
208
VI. Die Bewerbungen der Bewerber
tätsbeschränkten Fächer nicht durch Summierung oder eine ähnlich einfache Rechenoperation gewinnen. Wenn angenommen werden kann, dass eine Erhöhung der Bewerbungskosten den Bewerbungseifer dämpft: Könnten Bewerbungsgebühren nicht ein sinnvolles Mittel sein, die Mehrfachbewerbungen einzudämmen? Im folgenden Kapitel wird gezeigt, dass eine solche Maßnahme ggf. sehr unerwünschte Effekte in Hinblick auf die Verteilungsoptimalität haben kann.
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz In diesem Kapitel soll die Frage erörtert werden, ob und unter welchen Umständen eine konsequent dezentrale Koordination zu einer aus Bewerbersicht optimalen Endverteilung bei der Besetzung der Studienplätze führt und inwiefern eine derartige Endverteilung der Studienbewerber aus Hochschulsicht effizient ist. Mit diesen Überlegungen wird an den im Einführungskapitel unter I. 3. eingeführten Begriff der Pareto-Optimalität unter vollständiger Konkurrenz angeknüpft.1 Es soll u.a. gezeigt werden, dass eine Endverteilung, die aus Hochschulsicht effizient ist, nicht auch aus Bewerbersicht optimal sein muss und umgekehrt; des Weiteren, dass ein hinreichendes Maß an in Bewerbungen geäußerter Nachfrage eine zwingende Voraussetzung ist, wenn eine Endverteilung nicht eindeutig inferior sein soll.
Definitionen „Bewerberoptimal“ soll eine Endverteilung der Bewerber auf die Studienplätze der Hochschulen heißen, in der kein Bewerber besser gestellt werden kann, ohne dass ein anderer Bewerber schlechter gestellt werden müsste. Die Studienplätze werden hier als die zu verteilenden Güter betrachtet. „Hochschuleffizient“ soll eine Endverteilung der Bewerber auf die Studienplätze der Hochschulen heißen, in der keine Hochschule besser gestellt werden kann, ohne dass eine andere Hochschule schlechter gestellt werden müsste. Wenn hier der Begriff „effizient“ auf die Bewerberverteilung aus Hochschulsicht angewendet wird, impliziert das folgende Sichtweise: Die Hochschulen als „Produzenten“ betrachten die Studienbewerber bzw. die Studienanfänger als (externe) „Produktionsfaktoren“ für die von den Hochschulen angebotenen Dienstleistungen. „Optimal“ soll eine Verteilung der Bewerber auf die Hochschulen heißen, die sowohl bewerberoptimal wie hochschuleffizient ist. Eindeutig „inferior“ soll eine Verteilung der Bewerber auf die Hochschulen heißen, die weder bewerberoptimal noch hochschuleffizient ist. Dieses betrifft insbesondere den Fall, dass Studienplätze unbesetzt geblieben sind, obwohl es ___________ 1
Siehe oben S. 25-28.
210
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
(a) dafür noch Interessenten gegeben hätte, welche (b) von einer oder mehreren Hochschulen gern genommen worden wären. Soll die Frage systematisch untersucht werden, ob und unter welchen Umständen ein dezentrales Allokationsverfahren bewerberoptimal, hochschuleffizient, optimal ist und wann es eindeutig inferior ist, bedürfte es umfangreicher Untersuchungen. Eine große Zahl von Variablen beeinflussen das konkrete Verteilungsgeschehen, insbesondere die Intensität der Nachfrage insgesamt (B/S, Bewerber pro Studienplatz) und die mehr oder weniger proportionale Verteilung dieser Nachfrage auf die einzelnen kapazitätsbeschränkten Studienvarianten (BFi:k/SFi:k).2 Des Weiteren sind zu berücksichtigen • die Zahl der kapazitätsbeschränkten Varianten (Vk), • die Verteilung dieser kapazitätsbeschränkten Varianten auf einzelne Hochschulen, • die Zahl der Hochschulen (H), • Die Bewerbungsintensität insgesamt (BW/S) sowie für die einzelnen kapazitätsbeschränkten Studienvarianten (BWFi:k/SFi:k), • die Zahl und Art der Bewerbungs-Präferenzen der Bewerber in Hinblick auf Fächer und Hochschulen, • die Art der Präferenzbildung der Hochschulen in Hinblick auf ihre Bewerber. Hier seien nur die beiden letzten Punkte kurz an zwei unterschiedlichen Extremen erläutert, die jeweils zu unterschiedlichen Verteilungen führen können, je nachdem, ob ein allgemeiner Nachfrageüberhang besteht oder nicht. In einer allgemeinen Untersuchung der sich ergebenden Verteilungen wären die komplizierten Mengenrelationen zwischen den Präferenzfolgen der Hochschulen in Hinblick auf ihre Bewerber und der Bewerber in Hinblick auf die Hochschulen darzustellen. Angenommen, die Bewerber B1, B2, ..., Bm interessieren sich allesamt nur für die verschiedenen Hochschulvarianten des Faches F1 an den Hochschulen H1, H2 ... Hj, dann können theoretisch folgende extreme Konstellationen eintreten: B1, B2 ... Bm haben alle dieselbe Reihenfolge bei ihren Präferenzen: H1 H2 ... Hj – das wäre das größtmögliche Maß an Ordnung; oder B1, B2, ..., Bm haben alle unterschiedliche Präferenz-Reihenfolgen, so dass z.B. PB1: H1 H2 ... Hj, während für Bm genau die umgekehrte Reihenfolge gilt: PBm: Hj H(j1) ... H1. Zwischen diesen beiden Extremen sind ver___________ 2 Zur Strukturgleichheit oder -ungleichheit von Angebot und Nachfrage vgl. die Ausführungen im Unterkapitel V. 2., S. 121-123.
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
211
schiedene Mischformen mit Präferenzhäufungen für bestimmte Hochschulen möglich. Dieselben Überlegungen gelten aber auch für die Präferenzbildungen der Hochschulen. Wollen sie alle denselben Bewerbertyp? Dann werden sie in Hinblick auf die Bewerber, welche sich an mehreren Hochschulen beworben haben, auch dieselben Präferenzen bilden und um dieselben Spitzenbewerber konkurrieren. Genau der umgekehrte Fall ist gegeben, wenn die Hochschulen jeweils unterschiedliche Präferenzen in Hinblick auf ihre Bewerber entwickeln. In der Präferenzbildung der Hochschulen in Hinblick auf ihre Bewerber und in der Präferenzbildung der Bewerber in Hinblick auf die Hochschulen sind nun theoretisch die unterschiedlichsten Konstellationen denkbar, wobei es im Konfliktfall jeweils fraglich ist, ob die Bewerber ggf. ihre eigenen Präferenzen gegen die Präferenzen der Hochschulen durchsetzen können (dann ist die Endverteilung bewerberoptimal, aber nicht hochschuleffizient) oder die Hochschulen ihre Präferenzen gegen die Bewerber durchsetzen können (dann ist die Endverteilung hochschuleffizient, aber nicht bewerberoptimal), oder ob die Endverteilung in jeder Hinsicht optimal ist, weil die Hochschulen genau die Bewerber präferieren, welche die jeweilige Hochschule präferiert haben, oder ob die Endverteilung in jeder Hinsicht inferior ist, weil z.B. Studienplätze nicht besetzt worden sind, obwohl es noch Bewerber gegeben hat, die diese Studienplätze gern in Anspruch genommen hätten, und es auch Hochschulen gegeben hat, die lieber diese Bewerber aufgenommen hätten, als die Studienplätze unbesetzt zu lassen. Wegen der Vielzahl von Variablen soll die angesprochene Problematik hier nicht in systematischer Breite abgehandelt werden. Der methodische Anspruch ist bescheidener. Für die Zwecke dieser Untersuchung soll es genügen, wenn die Widerlegung einer bestimmten Behauptung gelingt, z.B. der Behauptung: Ein dezentrales Allokationsverfahren ist immer bewerberoptimal. Als widerlegt gilt diese Behauptung dann, wenn ein Gegenbeispiel präsentiert wird. Dieser methodischen Vorgabe entsprechend werden im Folgenden verschiedene Behauptungen zum dezentralen Allokationsverfahren aufgestellt, die anschließend durch ein Gegenbeispiel widerlegt werden. Um die Widerlegung möglichst einfach zu gestalten, werden auch die Beispiele sehr einfach gewählt. Für diese Elementar-Beispiele werden folgende Annahmen gemacht: • Die maximale Zahl der Hochschulen (H1, H2, H3) ist 3. • Alle Hochschulen bieten nur ein einziges Studienfach F1 an. • Alle Hochschulen bieten dieses Studienfach F1 mit demselben Abschluss an.
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
212
Die Bewerber können sich nicht an allen Hochschulen sicher sein, eine Zulassung zu erhalten. Eine Mehrfachbewerbung macht für einen Bewerber infolgedessen Sinn, wenn er sich mit erster Präferenz an einer Hochschule bewirbt, wo das Fach F1 einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt, obwohl dasselbe Fach an anderen Hochschulen keiner Kapazitätsbeschränkung unterliegt und insgesamt kein Nachfrageüberhang für das Fach F1 besteht. Die Begründung für die letzte Annahme sei hier noch einmal mit einem Elementar-Beispiel gegeben.
Behauptung Nr. 1 Mehrfachbewerbungen sind nur dann eine Voraussetzung für eine nicht inferiore Endverteilung, wenn alle Studienvarianten einer Kapazitätsbeschränkung unterliegen. Gegenbeispiel: Hochschule H1 H2 Summe:
Plätze Präferenzen bzgl. Bewerber k: 1 B1 B2 >1 B1 B2 >2
Bewerber B1 B2
Präferenzen bzgl. Hochschule H1( 0) H1 H2
Bewerbung bei H1 H1, H2
Erläuterungen Die Hochschule H1 bietet nur einen Studienplatz an, der einer Kapazitätsbeschränkung unterliegt. H2 bietet zwar mehr als einen Studienplatz an, hat die Zahl ihrer Studienplätze aber ansonsten nicht definiert. Daher hat sie jedenfalls im deutschen Hochschulsystem kein Recht, einen Bewerber mit Zugangsberechtigung abzuweisen, es gibt keinen Numerus Clausus. Es besteht insgesamt kein Nachfrageüberhang, da die Gesamtzahl der Studienplätze für das begehrte Studienfach größer ist als die Zahl der Bewerber für dieses Fach. Bewerber B1 will entweder an H1 studieren oder überhaupt nicht. Deshalb hat er sich auch nur bei H1 beworben. B2 will auch am liebsten an H1 studieren, hat sich aber zur Sicherheit noch an H2 beworben, weil diese Hochschule für ihn als zweite Wahl ebenfalls in Frage kommt. Ablauf der Studienplatzvergabe Hochschule H1 H2
Freie Plätze 1 >1
Zusage an B1 B2
Absage an B2
Annahme durch B1 B2
Endverteilung
Freie Plätze
B1 B2
0 >0
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
213
Jeder der beiden Bewerber hat einen Studienplatz bekommen, die Endverteilung ist auch optimal. Dieses Ergebnis wäre aber nicht zustande gekommen, wenn sich B2 nicht sowohl bei H1 wie bei H2 beworben hätte. Wäre die Bewerbung von B2 für die Hochschule H2 – z.B. wegen institutioneller Hindernisse – eine bloß virtuelle Nachfrage geblieben, dann hätte er keinen Studienplatz bekommen. Bei konsequent dezentraler Koordination muss sogar im Falle eines Angebotsüberhanges in einem Fach die geäußerte Nachfrage (Mehrfachbewerbungen) die tatsächliche Nachfrage beträchtlich übersteigen, wenn eindeutige Inferiorität bei der Endverteilung vermieden werden soll. Des Weiteren ist an ein Ergebnis aus Unterkapitel V. 3. zu erinnern: Wenn ein Teil der Hochschulen Kapazitätsbeschränkungen einführt, dann provoziert dieses Mehrfachbewerbungen auch an denjenigen Hochschulen, an denen bislang keine Kapazitätsbeschränkung bestand, so dass es in einer Kettenreaktion zu einer flächendeckenden Einführung von Kapazitätsbeschränkungen selbst dann kommen kann, wenn insgesamt gar kein Nachfrageüberhang besteht. Würden sich in der obigen Konstellation sowohl B1 wie B2 jeweils zweimal beworben haben, dann hätte es doppelt so viel Bewerbungen wie Bewerber an jeder Hochschule gegeben. Die von B1 und B2 geäußerte Nachfrage nach Studienplätzen wäre doppelt so hoch gewesen wie die Zahl der Studienplätze, die sie letztendlich besetzen können. Hochschule 2 käme ggf. in Zugzwang, ebenfalls eine Kapazitätsbeschränkung einzuführen – obwohl eigentlich genügend Studienplätze vorhanden sind. Es lässt sich festhalten: Mehrfachbewerbungen sind im Falle dezentraler Koordination keineswegs ein Übel, das man möglichst reduzieren müsste, sondern Mehrfachbewerbungen sind ggf. eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die vorhandenen Kapazitäten für ein Studienfach überhaupt ausgeschöpft werden. Das gilt selbst dann, wenn kein allgemeiner Nachfrageüberhang besteht. Diese Erkenntnis muss den Bemühungen, die Mehrfachbewerbung beispielsweise durch Gebühren zu reduzieren, Grenzen setzen.3
___________ 3 Siehe dazu weiter unten die Bemerkungen am Ende von Unterkapitel IX. 2. („Verfahrenskosten“), S. 255.
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
214
Behauptung Nr. 2 Ein dezentrales Allokationsverfahren ist immer bewerberoptimal. Gegenbeispiel: Hoch- Plätze schule H1 k: 1 H2 k: 1 Summe 2
Präferenzen bzgl. Bewerber B2 B1 B1 B2
Bewerber B1 B2
Präferenzen bzgl. Hochschule H1 H2 H2 H1
Bewerbung bei H1, H2 H1, H2
Erläuterung Die Bewerber bewerben sich mit jeweils unterschiedlichen Präferenzfolgen jeweils an beiden Hochschulen. Die Hochschulen haben unterschiedliche Präferenzfolgen in Hinblick auf ihre Bewerber. An beiden Hochschulen ist die Kapazität auf 1 Studienplatz beschränkt. Es gibt also insgesamt 2 Studienplätze, für die sich 2 Bewerber mit insgesamt 4 Bewerbungen bewerben. Ablauf der Studienplatzvergabe Hochschule H1 H2
Freie Plätze 1 1
Zusage an B2 B1
Absage an B1 B2
Annahme durch B2 B1
Endverteilung der Bewerber B2 B1
Freie Plätze 0 0
Die Endverteilung scheint insoweit zufriedenstellend, als keine Plätze mehr frei geblieben sind, obwohl es noch geeignete Bewerber gegeben hätte. Aber ansonsten ist diese Endverteilung zumindest aus Bewerbersicht sehr unbefriedigend: B1 hat einen Studienplatz an H2 erhalten, obwohl er lieber nach H1 wollte, und B2 hat einen Studienplatz an H1 erhalten, obwohl er H2 vorgezogen hätte. Das heißt: Bei einem Tausch der Studienplätze könnte jeder Bewerber besser gestellt werden, ohne dass der jeweilige andere Bewerber schlechter gestellt werden müsste. Diese Endverteilung ist hochschuleffizient, aber nicht bewerberoptimal. Eine solche Konstellation kommt bei Nachfrageüberhang (B > S, ja auch bei B = S, wie im hier gewählten Beispiel) dann zustande, wenn die Präferenzfolgen der Bewerber bzgl. der Hochschulen und die Präferenzfolgen der Hochschulen bzgl. ihrer Bewerber nicht positiv korrelieren. Bei dezentraler Auswahl gelingt es den Hochschulen in diesem Fall, ihre Präferenzen gegen die Präferenzen der Bewerber durchzusetzen – freilich, ohne dass die Hochschulen wissen, was sie „anrichten“. Denn H1 weiß ebenso wenig, dass B2 eigentlich lieber nach H2 möchte, wie H2 weiß, dass B1 viel lieber an H1 studieren möchte.
VII. Verteilungsoptimalität und Verteilungseffizienz
215
Ebenso wenig wissen B1 und B2 voneinander, so dass sie ihre Plätze auch nicht kurz vor Studienbeginn noch tauschen könnten. Bei einer zentralen Koordination wäre die Situation zumindest dann anders, wenn der Koordinator den Präferenzen der Bewerber Vorrang einräumen würde, oder wenn es ein institutionelles Arrangement gäbe, durch das die Hochschulen Kenntnis von den Präferenzen ihrer Bewerber bekommen und diese von sich aus berücksichtigen könnten. Eine derartige Konstellation der nicht bewerberoptimalen Endverteilung tritt allerdings nur bei Nachfrageüberhang auf (BS), wie aus dem folgenden Beispiel deutlich wird, in dem das Angebot größer ist als die Nachfrage (B1) gilt: Die Zahl der Bewerbungen pro Studienplatz (BW/S) ist größer als die Zahl der Bewerbungen pro Bewerber (BW/B) und von einem Anstieg der Bewerberzahlen sind die Hochschulen hinsichtlich des Verfahrensaufwandes besonders betroffen. Die Kosten für die Besetzung eines Studienplatzes steigen auf Hochschulseite deutlich, während sie auf Bewerberseite bei gleich bleibender Bewerbungsaktivität für den „Durchschnittsbewerber“ gleich bleiben. Also haben die Hochschulen ein besonderes Interesse, wenn schon nicht die Bewerberzahlen, dann wenigstens die Bewerbungsaktivität der Bewerber durch Kostenüberwälzung einzudämmen.
3. Gebühren
255
Zur Interpretation des Ergebnisses sind nun allerdings andere Ergebnisse aus früheren Kapiteln heranzuziehen. Wie im Kapitel VII. „Verteilungsoptimalität“ dargelegt, ist bei dezentraler Koordination der Studienplatzvergabe ein gewisses Maß an Mehrfachbewerbungen zwingend notwendig, damit überhaupt gewährleistet ist, dass sämtliche besetzbaren Studienplätze auch besetzt werden, wenn es dafür noch geeignete Interessenten gibt. Soll in diesem Sinne Verteilungsoptimalität gewährleistet sein, dann sind der Kostenreduktion auf der Hochschulseite durch Gebührenüberwälzung auf die Bewerber Grenzen gesetzt. Setzen die Hochschulen diesen Hebel ein, dann können sie zwar sehr effektiv die Zahl der Bewerbungen und ihre eigenen Kosten reduzieren, zugleich wächst mit dieser Reduktion des Bewerbungsaufkommens allerdings auch die Wahrscheinlichkeit einer inferioren Endverteilung. Dieses wäre erst recht der Fall, wenn aufgrund steigender Bewerbungskosten nicht nur die Zahl der Bewerbungen der Bewerber abnehmen würde, sondern zunehmend ganze Gruppen von Bewerberpersonen aus dem Kreis der Bewerber ausscheiden würden. Wie im Kapitel VIII. „Verfahrensbelastung“ dargelegt, stehen weniger gesuchte Hochschulen in besonderem Maße vor der Notwendigkeit, für die Besetzung ihrer Studienplätze mehrfach Zulassungen vornehmen, ja schon getätigte Einschreibungen wieder rückgängig machen zu müssen. Dieser Zusammenhang kommt in der hier aufgeführten Kostenrechnung nicht zum Tragen. Es liegt zumindest die Vermutung nahe, dass es bei sehr gesuchten Hochschulen zwar mehr Bewerbungen pro Studienplatz geben wird; dass dafür aber die weniger gesuchten Hochschulen mehr Zulassungen, Immatrikulationen und Exmatrikulationen pro endgültig besetzten Studienplatz vorzunehmen haben. Welcher Hochschultyp „kostenmäßig“ am Ende besser dastehen wird, hängt insbesondere davon ab, wie aufwändig die Bewerbungsverfahren gestaltet sind und wie diese möglicherweise rationalisiert werden – z.B. durch Vorauswahlen. Es kann jedenfalls nicht von vornherein gesagt werden, dass die sehr gesuchten Hochschulen, welche also viele Bewerbungen pro Studienplatz zu bearbeiten haben, unbedingt auch höhere Kosten für die Besetzung eines Studienplatzes haben müssen. Kostenbeteiligung der Erfolgreichen Wie im Kapitel VIII. „Verfahrensbelastung“ weiterhin gezeigt, ziehen Spitzenbewerber einen besonderen Nutzen aus Mehrfachbewerbungen, insofern diese Mehrfachzulassungen nach sich ziehen, unter denen sie dann wählen können. Des Weiteren blockieren diese mehrfach zugelassenen Spitzenbewerber zeitweise die Zulassung von anderen Bewerbern und verursachen über die Nachrückverfahren erhöhte Verfahrenskosten. In Verbindung mit der weiter oben im Unterkapitel IX. 1. b) festgestellten hohen Kostenbelastung der Verlie-
256
IX. Verfahrenskosten und Bewerbungsgebühren
rer stellt sich die Frage, ob sich die strukturelle Begünstigung der Gewinner nicht durch Gebührenpolitik mildern ließe. Hierfür kämen folgende Maßnahmen in Betracht: Während die Gebühren für eine Bewerbung durchaus moderat festgesetzt werden, werden jeweils (verursachungsgerecht) weitere Gebühren fällig, nämlich a) für die Einschreibung, b) für die Nicht-Annahme eines Studienplatzes durch den Bewerber, c) für eine kurzfristige Rückgabe nach schon erfolgter Annahme. Auf die Einschreibgebühren könnten von der Hochschule die Kosten für die Bearbeitung der Bewerbungen teilweise umgelegt werden. Es wäre außerdem möglich, dass ein Teil der Bewerbungsgebühren erst dann fällig wird, wenn sich jemand einschreibt. Die Einschreibgebühren nach a) würden im Unterschied zu allgemeinen Bewerbungsgebühren nur jene Bewerber treffen, welche tatsächlich einen Studienplatz bekommen haben. Wegen der teilweisen Umlage der Bewerbungskosten auf die Einschreibgebühr würden die Erfolgreichen einen höheren Anteil an den Bewerbungskosten tragen. Durch die Gebühren nach b) und vor allem c) würden vor allem jene mehrfach Erfolgreichen verursachungsgerecht belastet, welche sich über den Weg mehrfacher Zulassung oder sogar mehrfacher Annahme von Studienplätzen die Optionen auf Wahlmöglichkeiten möglichst lange offen halten und ggf. sogar eine möglichen Verhandlungsspielraum gegenüber der Hochschule verbessern wollen. Je häufiger derartige Bewerber ihre Studienplätze nicht annehmen oder schon angenommene Studienplätze zurückgeben, umso stärker werden sie verursachungsgerecht an den Verfahrenskosten beteiligt, während die erfolglosen Bewerber nur die Bewerbungsgebühren zu bezahlen hätten. Statt oder in Ergänzung zu einer Gebühr für die Nicht-Annahme eines Studienplatzes wäre auch eine (Teil-)Rückzahlung der Bewerbungsgebühr durch die jeweilige Hochschule an jene Bewerber zu erwägen, die keine Zusage eines Studienplatzes an der Hochschule erhalten haben. Auch hierdurch würden die nicht erfolgreichen Bewerber entlastet.
Ergebnisse Mit der Erhebung von Bewerbungsgebühren haben die Hochschulen einen außerordentlich wirkungsvollen Hebel, um einerseits ihre eigenen Kosten auf die Bewerberseite zu überwälzen und andererseits das Bewerbungsaufkommen insgesamt zu reduzieren. Die Ausnutzung dieses Hebels gerät allerdings schnell
4. Verfahrenskosten insgesamt
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in Konflikt mit dem Ziel der Verteilungsoptimalität, welches ein gewisses Maß an Mehrfachbewerbungen voraussetzt. Weniger gesuchte Hochschulen haben einen Kostennachteil dadurch, dass sie mehr Zulassungen und Immatrikulationen für die Besetzung eines Studienplatzes vornehmen müssen als gesuchte Hochschulen. Ob dieser Nachteil dadurch kompensiert wird, dass sehr gesuchte Hochschulen mehr Bewerbungen pro Studienplatz zu bearbeiten haben, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Die Beantwortung dieser Frage hängt von den Kosten ab, die eine einzelne Bewerbung, Zulassung, Immatrikulation oder Exmatrikulation jeweils verursacht. Um die strukturelle Begünstigung der „Gewinner“ zu mildern, wäre es sinnvoll, die Gebühr für eine Bewerbung durch eine Gebühr für die Nicht-Annahme eines Studienplatzes zu ergänzen.
4. Verfahrenskosten insgesamt Die Gesamtkosten eines Zulassungsverfahrens bestehen aus der Summe der Kosten, die den Bewerbern entstehen, Gleichung (1), und jenen Kosten, die den Hochschulen entstehen, Gleichung (10): (14)
GK = GK(B) + GK(H) = B KI(B) + BW KBW(B) + H KI(H) + BW KBW(H) = B KI(B) + H KI(H) + BW (KBW(B) + KBW(H))
Die gesamten Kosten für die endgültige Besetzung eines Studienplatzes hängen dann einerseits ab von der Höhe der einzelnen Kosten KI(H), KBW(H), KI(B) und KBW(B); andererseits von der Zahl der Hochschulen, von der Zahl der Bewerber und schließlich von der Zahl der Bewerbungen, die ein Bewerber schreibt. Die Bewerbungsfunktion BW gibt an, wie die Bewerber auf die Höhe von KBW(B) mit ihrer Bewerbungsaktivität reagieren. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Frage, ob und in welchem Maße es den Hochschulen gelingt, die Bewerber an den Hochschulkosten durch Bewerbungsgebühren zu beteiligen. Beispiel 3 Die Beispiele 1 (Unterkapitel VI. 1., S. 242f.) und 2 (Unterkapitel VI. 2., S. 252) für das Fach Medizin (F1) werden hier nun zusammengeführt in der Gleichung GK = GK(B) + GK(H) = B KI(B) + H KI(H) + B Bew KBW(B) + KBW(H). Nach den in den Beispielen 1 und 2 gewählten Zahlen ergibt sich:
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IX. Verfahrenskosten und Bewerbungsgebühren
GK = 10.000 20 + 25 2.000 + 10.000 5 (70+100) = 8,75 Mio Euro bzw. GK/S = 8,75 Mio/1000 = 8.750 Euro Verfahrensaufwand für die endgültige Besetzung eines Studienplatzes in Medizin. Diese Kosten würden drastisch sinken, wenn eine kleinere Zahl von Hochschulen dieselbe Zahl von Studienplätzen anböte. Die Bewerber könnten weniger Bewerbungen schreiben; die Informationskosten auf Bewerber- und Hochschulseite würden reduziert und – abhängig vom Fixkostenanteil bei den Hochschulen – würden dieselben in den Genuss von Rationalisierungsvorteilen und der Fixkostendegression gelangen, insbesondere bei der Durchführung von Tests. Ergebnis: Die Kosten für die endgültige Besetzung eines Studienplatzes werden um so höher sein, je aufwändiger das Bewerbungsverfahren gestaltet ist, je größer der Überhang an Bewerbern ist und je mehr Bewerbungen ein Bewerber verfasst. Diese Bewerbungshäufigkeit hängt u.a. von der Zahl der Hochschulen ab, die das gewünschte Fach anbieten. Die Informationskosten hängen ebenfalls ab von der Zahl der Hochschulen und von der Komplexität der Informationen, die zu vermitteln und einzuholen sind.
Kosten infolge von Mehrfachbewerbungen Eine besonders interessante Frage ist bei dezentralem Allokationsverfahren, welcher Anteil an den entstehenden Gesamtkosten durch die Mehrfachbewerbungen verursacht wird (GKMFB). Diese Zahl lässt sich einfach dadurch ermitteln, dass man von der Zahl der Bewerbungen, welche die Bewerber verfassen, die Zahl der Bewerber wieder abzieht (BWB). Wird Gleichung (14) entsprechend verändert, ergibt sich (15)
GKMFB = B KI(B) + H KI(H) + (BW – B) (KBW(B) + KBW(H))
Vereinfachend wurde angenommen, dass die Kosten für die Bereitstellung von Information bei jeder Hochschule Fixkosten sind, unabhängig von der Zahl der Interessenten, die sich informieren und bewerben. Ähnlich wurde vereinfachend angenommen, dass die Informationskosten eines Bewerbers unabhängig sind von der Zahl der Hochschulen. Vernachlässigt man die beiden ersten Summanden B KI(B) und H KI(H) und betrachtet man nur die beiden anderen Kostenkomponenten KBW(H) und KBW(B), dann lässt sich für diesen, von der Zahl der Bewerbungen abhängigen Teil der Gesamtkosten erkennen: Je größer bei gegebener Bewerberzahl (B) die Zahl der Bewerbungen dieser Bewerber (BW) ist, um so höher ist der prozentuale Anteil an den Gesamtkosten, welcher allein durch die Mehrfachbewerbungen verursacht wird. Unter Vernachlässigung der hier als fix behandelten Informationskosten auf Hochschul- und Bewerberseite
4. Verfahrenskosten insgesamt
lässt sich dieser Anteil bestimmen als
BW B B = 1 BW BW
259
.
Um auf das obige Re-
chenbeispiel mit 25 Hochschulen, die Medizin anbieten, zurückzukommen: Schreiben die 10.000 Bewerber jeweils durchschnittlich 5 Bewerbungen und damit insgesamt 50.000 Bewerbungen, dann ist der Anteil an jenen variablen Kosten KBW(H) und KBW(B), der durch Mehrfachfachbewerbungen verursacht wird: 110.000/50.000 = 4/5 = 80 %. Selbst, wenn jeder Bewerber sich nur zweimal bewirbt, verursachen die Mehrfachbewerbungen immer noch 1½ = ½ = 50 % der Kosten dieses Allokationsverfahrens – sieht man einmal ab von den Informationskosten, die Hochschulen und Bewerbern sowieso entstehen. Ergebnis: Der prozentuale Anteil der durch Mehrfachbewerbungen verursachten Kosten an den variablen Gesamtkosten (ohne die Informationskosten auf Hochschul- und Bewerberseite) ist umso höher, je mehr Bewerbungen ein Bewerber im Durchschnitt schreibt. Er beläuft sich auf 1B/BW. Kostenentwicklung: Steigen c.p. auf der Hochschulseite KI(H) und/oder , dann steigen die gesamten Kosten. Steigen c.p. auf der Bewerberseite K die Kosten für eine Bewerbung KBW(B), dann hängt das Verhalten der Gesamtkosten von der Bewerbungsfunktion BW in derselben Weise ab, wie dieses oben für die Kostenentwicklung auf der Bewerberseite ausgeführt worden ist. Je nach Art der Bewerbungsfunktion können die Gesamtkosten steigen, gleich bleiben oder fallen und ggf. ein lokales Minimum oder ein lokales Maximum erreichen. BW(H)
Interessen Fragt man nach der Interessenkonstellation bei starkem Nachfrageüberhang, ergeben sich auf Bewerber- und Hochschulseite unterschiedliche Perspektiven. Bewerberseite Das Bewerberkollektiv insgesamt hat zwar ein Interesse an niedrigen Informations- und Bewerbungskosten, jedoch sind innerhalb dieses Kollektivs die Interessen keineswegs einheitlich. Unter den Bewerbern sind bei hohen Kosten diejenigen relativ gut gestellt, die mit einer Zulassung rechnen können, während diejenigen mit geringen Chancen einen umso höheren Anteil der Kosten zu tragen haben, je mehr Bewerber um einen Studienplatz konkurrieren (B/S). Für den Fall, dass die Hochschulen ihre Kosten ganz oder teilweise auf die Bewerber in Gestalt von Gebühren überwälzen können oder dürfen, können sich außerdem diejenigen Bewerber davon eine Verbesserung ihrer Chancen erhoffen, die bereit oder in der Lage sind, dafür entsprechend zu bezahlen. In gewissem Maße wird es dann möglich, sich verbesserte Zulassungschancen zu
260
IX. Verfahrenskosten und Bewerbungsgebühren
kaufen. Dieses würde erst recht gelten, wenn infolge hoher Bewerbungskosten sich nicht nur die Zahl der Bewerbungen, sondern sogar der Bewerberkreis selbst verkleinerte. Hochschulseite Die Hochschulseite befindet sich in Zielkonflikten. Verwendet sie aufwändige Test- und Auswahlverfahren, dann steigen zwar die Kosten pro Bewerbung, es sinkt aber auch die Zahl der Bewerbungen. Das kann nur in einem begrenzten Maße erwünscht sein, weil sonst die Auswahlmöglichkeiten unter den Bewerbern nicht mehr gegeben sind. Dieses Problem verschärft sich, wenn die Hochschulen die Möglichkeit haben, die Kosten auf die Bewerber zu überwälzen. Sie können dadurch zwar ihre eigenen Kosten senken, geraten dann aber in die Gefahr, gut betuchte statt gut geeignete Bewerber zu bekommen. Insgesamt besteht ein Konflikt zwischen dem Ziel einer optimalen Allokation der Studienplätze und dem Ziel einer Senkung der Zahl der Mehrfachbewerbungen und damit der Verfahrenskosten durch aufwändige Bewerbungs- und Zulassungsverfahren und durch eine hohe Kostenbeteiligung der Bewerber an diesen Verfahrenskosten.
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen Bisher wurden die Fragen „Wie viele Bewerbungen schreiben die Bewerber?“, „Ist ein dezentrales Allokationsverfahren für Studienplätze verteilungsoptimal?“, „Ist ein dezentrales Allokationsverfahren kostengünstig?“ überwiegend theoretisch abgehandelt. Nun soll wenigstens eine kleine Annäherung an die Empirie der dezentralen Koordination vollzogen werden, wobei allerdings die Kostenberechnung wegfallen muss. Grundsätzlich ist es schwierig, für dezentrale Allokationsverfahren geeignetes statistisches Material zu bekommen, da diese Daten nicht zusammengeführt werden. An verschiedenen Stellen ist auch darauf hingewiesen worden, dass ohne einen Abgleich der eingegangenen Bewerbungen auf identische Bewerberpersonen zwischen den beteiligten Hochschulen nicht feststellbar ist, wie viele Personen sich hinter den eingegangenen Bewerbungen „verbergen“. Diese Situation gilt generell für dezentralisierte Zulassungsverfahren in Deutschland. Eine Besonderheit stellen die Pädagogischen Hochschulen im Land BadenWürttemberg dar. Die Bewerbung zum Studium ist dort zwar ebenfalls dezentral; die Daten werden dann aber in einer gemeinsamen EDV bearbeitet, so dass sich identische Bewerberpersonen tatsächlich feststellen lassen, allerdings nicht die Präferenzen dieser Bewerber. Die statistischen Bewerbungs- und Zulassungsverhältnisse sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Im Land Baden-Württemberg findet die Ausbildung der Grund- und Haupt-, Real- und Sonderschullehrer nicht an Universitäten statt, sondern ausschließlich an Pädagogischen Hochschulen. Es gibt sechs solcher Hochschulen, nämlich in Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Ludwigsburg, Schwäbisch Gmünd und Weingarten (am Bodensee). Alle diese Hochschulen bieten die genannten Studiengänge an, mit einer Ausnahme: Das Lehramt an Sonderschulen konnte zwar bis zum Wintersemester 2004/2005 an allen Pädagogischen Hochschulen begonnen werden; nach dem vierten Semester müssen die Studierenden aber entweder an die PH Heidelberg oder an die PH Ludwigsburg wechseln, um dort den sonderpädagogischen Teil ihres Studiums fortzusetzen und zu beenden. Die hier erwähnten Studiengänge sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Außer diesen Studiengängen werden aber auch noch weitere Studiengänge an den Pädagogischen Hochschulen angeboten, die quantitativ von geringer Bedeutung sind, hier aber erwähnt werden müssen, weil sie teilweise ebenfalls ihren Niederschlag in der Statistik finden. Es sind dieses: Bestimmte grund-
262
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
ständige Diplomstudiengänge, ein Aufbaustudium zum Lehramt an Sonderschulen (nur in Heidelberg und Ludwigsburg) sowie das Europalehramt (nur in Freiburg und Karlsruhe).
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern Das Studium in den Studiengängen für die Lehrämter an Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Sonderschulen ist landesweit reguliert, weil es landesweit einheitlichen Prüfungsordnungen folgt. Die Bewerbung und Zulassung ist aber dezentralisiert, d.h. jeder Bewerber bewirbt sich an jeder Hochschule gesondert, eine Vermittlung über einen Koordinator findet nicht statt. Die Hochschulen haben auch unterschiedliche Zulassungssatzungen erlassen, d.h. die Auswahlkriterien bzw. deren Gewichtung können sich unterscheiden. Allerdings führen alle Hochschulen ein so genanntes Aktenverfahren durch, das heißt: Der Bewerber braucht nicht an irgendwelchen Tests o.ä. teilzunehmen, sondern muss nur ggf. umfangreichere Belege über Berufstätigkeiten und andere außerschulische Qualifikationen beilegen. Nur in den Fächern Kunst, Musik und Sport gibt es eigene Eignungsprüfungen, deren Ergebnisse (geeignet oder nicht geeignet) in den weiteren Auswahlprozess unter den geeigneten Bewerbern aber nicht eingehen. Eine erfolgreich abgelegte Eignungsprüfung wurde bis zum Wintersemester 2004/2005 von den Hochschulen gegenseitig anerkannt, weil sie nach landeseinheitlichen Verordnungen abgenommen wurden, was sich im Verlauf weiterer Deregulierungsbemühungen inzwischen geändert hat. Bewerbungsgebühren wurden bislang nicht erhoben. Hieraus folgt, dass der Bewerbungsaufwand eines Bewerbers nicht besonders hoch ist. Wenn er ein Bewerbungsformular für eine Hochschule einmal ausgefüllt hat und wenn er alle Bewerbungsunterlagen sogleich mehrfach kopiert hat, dürfte der Aufwand für jede zusätzliche Bewerbung nicht mehr als eine Stunde sein. Für die Bewerbung existierten einheitliche Bewerbungsformulare, und die einzelnen Bewerbungen werden – nachdem sie bei den einzelnen Hochschulen eingegangen und bearbeitet worden sind – in einer zentralen EDV der so genannten Planungsgruppe Reutlingen verarbeitet. Hieraus ergibt sich, dass einerseits eine dezentrale Bewerbung und Zulassung gegeben ist, dass die Daten aber zusammengeführt werden und infolgedessen die aggregierten Daten der 6 Pädagogischen Hochschulen zur Verfügung stehen. Des Weiteren ist es möglich, mit Hilfe entsprechender Suchläufe in den vorliegenden Bewerbungen identische Bewerberpersonen festzustellen und ihnen ihre mehrfachen Bewerbungen zuzuordnen. Es besteht allerdings nicht die Möglichkeit, die Präferenzen dieser Bewerber zu identifizieren, da die Bewerber diese Präferenzen wegen der dezentralen Bewerbung von Anfang an nicht angeben müssen.
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
263
Zum Wintersemester 2004/2005 unterlagen die hier näher betrachteten Studiengänge • Lehramt an Grund- und Hauptschulen (GHS), • Lehramt an Realschulen (RS), • Lehramt an Sonderschulen (SS) an sämtlichen sechs Pädagogischen Hochschulen einer Kapazitätsbeschränkung. Es waren also nicht einzelne Studienfächer kapazitätsbeschränkt (wie z.B. Mathematik im Lehramt an Realschulen), sondern jeweils die gesamten Studiengänge. Da die Bewerbungen an einer zentralen Stelle schließlich verarbeitet werden, sind folgende Daten zentral verfügbar: • die Zahl der Studienplätze jeder einzelnen Studienvariante und damit auch die Gesamtzahl der Studienplätze; • die Zahl der für diese Studienvarianten eingegangenen Bewerbungen und damit die Gesamtzahl der Bewerbungen; • die Zahl der für die Studienplätze der einzelnen Studienvarianten ausgesprochenen Zulassungen im Hauptverfahren und damit die Gesamtzahl dieser Zulassungen; • die Zahl der im Anschluss an das Hauptverfahren vollzogenen Immatrikulationen in den einzelnen Studienvarianten und damit die Gesamtzahl der Immatrikulationen nach dem Hauptverfahren; • der Endstand der nach Abschluss der Nachrückverfahren in den einzelnen Studienvarianten ausgesprochenen Zulassungen und damit der Endstand der Gesamtzahl aller Zulassungen; • der Endstand der nach Abschluss der Nachrückverfahren vollzogenen Immatrikulationen und damit der Endstand der Gesamtzahl aller Immatrikulationen. Des Weiteren lassen sich durch die erwähnten Suchläufe die identischen Bewerberpersonen identifizieren. Es ist daher weiterhin bekannt: • Die Zahl der Personen, die sich einmal, zweimal, dreimal ... sechsmal beworben haben. • Die Zahl der Personen, die ein, zwei, drei, ..., sechs Zulassungen gleichzeitig bekommen haben (an jeweils unterschiedlichen Hochschulen). Aus diesen Daten lassen sich interessante Einblicke in die quantitativen Verhältnisse bei den Bewerbungs- und Zulassungsaktivitäten gewinnen, die im nächsten Abschnitt vorgestellt werden. Die so erzielbaren Erkenntnisse haben
264
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
allerdings auch klare Grenzen, da sich andere, interessante Informationen aus dem Datenmaterial wiederum nicht gewinnen lassen: • Da die Bewerber ihre Präferenzen nicht anzugeben brauchen, lassen sich keine Substitutionsbeziehungen ermitteln etwa folgender Art: Bewerber für das Lehramt an Sonderschulen betrachten das Lehramt an Grund- und Hauptschulen in hohem Maße als ein gutes Substitut, oder: Bewerber für die PH Freiburg betrachten einen Studienplatz an der PH Heidelberg als ein gutes Substitut o.ä. Es wäre zwar theoretisch denkbar, auch ohne solche Präferenzangaben korrelationsstatistische Untersuchungen anzustellen, die derartige Substitutionsbeziehungen aufdecken, aber dem Verfasser ist unbekannt, ob sich derartige Suchläufe im Datenmaterial durchführen lassen. • Es liegen naturgemäß keine Daten darüber vor, welche anderen Bewerbungen die Bewerber für einen Studienplatz an einer baden-württembergischen PH sonst noch geschrieben haben, z.B. an Universitäten in- und außerhalb von Baden-Württemberg. Das tatsächliche Bewerbungsgebiet dieser Bewerber ist also unbekannt, und es liegen nur die Daten über einen Teil-Gebiet vor, nämlich für das Informationsgebiet der baden-württembergischen Pädagogischen Hochschulen.1 Es lassen sich daher nur Aussagen darüber treffen, wie häufig sich die Bewerber für einen Studienplatz an badenwürttembergischen Pädagogischen Hochschulen durchschnittlich an diesen Hochschule beworben haben, keineswegs aber darüber, wie groß die Bewerbungsaktivität dieser Bewerbers insgesamt gewesen ist. Für einen einzelnen Bewerber B1, der sich für einen Lehramtsstudiengang an einer Pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg interessierte, war die maximale Zahl an Bewerbungen, die er im Gebiet dieser Hochschulen verfassen konnte 6, also beispielsweise für das Lehramt Grund- und Hauptschulen: 1 max BW(BGHS :k ) = H (GHS : k ) = 6. Entsprechend gilt für das kollektive Maximum aller Bewerber, die an einem Studienplatz für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen interessiert sind: maxBW(GHS:k) = B(GHS:k) H(GHS:k) = B(GHS:k) 6. Da alle anderen Studiengänge zum ersten Semester an allen anderen Hochschulen ebenfalls einer Kapazitätsbeschränkung unterlagen, gilt: maxBW(PH) = B(PH) H(PH) = B(PH) 6. Die Subskripte sind hier ausnahmsweise in Klammern gesetzt worden. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass nichts über die Präferenz gesagt wird, mit der ein Studium an einer baden-württembergischen Pädagogischen Hochschule von einem Bewerber begehrt wurde, insbesondere wird damit nicht ___________ 1 Zum Verhältnis von Informationsgebiet (Informationsverbund) der Hochschulen und Bewerbungsgebiet der Bewerber s. Unterkapitel VI. 2. b), S. 140ff.
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
265
gesagt, dass jemand, der sich für einen Studienplatz an einer baden-württembergischen Pädagogischen Hochschule beworben hat, dieses mit einer ersten Präferenz getan hat. Mit anderen Worten: Das kollektive Maximum an Bewerbungen für Studienplätze in den Lehramtsstudiengängen an den Pädagogischen Hochschulen des Landes Baden-Württemberg zum ersten Semester lag beim Sechsfachen der Bewerber für solche Studienplätze – womit weder etwas über die Präferenz der Bewerbungen gesagt ist, noch über die Bewerbungen, welche die Bewerber möglicherweise noch an andere Hochschulen geschickt haben. Wie sah nun das tatsächliche Bewerberverhalten im Wintersemester 04/05 aus? Darüber geben die folgenden Tabellen Auskunft.2 Bei den Tabellen 8 bis 10 ist folgendes zu berücksichtigen: Als „Bewerbung“ wird der Hauptantrag für einen Studienplatz an einer Hochschule gezählt. Neben einem solchen Hauptantrag kann der Bewerber/die Bewerberin auch noch ein oder zwei Hilfsanträge (auf demselben Bewerbungsformular) an der jeweiligen Hochschule stellen für den Fall, dass er oder sie im Hauptantrag oder im ersten Hilfsantrag nicht zum Zuge gekommen ist. Derartige Hilfsanträge werden aber erst dann berücksichtigt, wenn über alle Hauptanträge entschieden worden ist und noch Plätze frei sind. Abkürzungen Lehrämter GHS RS SS
Lehramt an Grund- und Hauptschulen Lehramt an Realschulen Lehramt an Sonderschulen
Pädagogische Hochschulen FR HD KA LU SG WG
Freiburg Heidelberg Karlsruhe Ludwigsburg Schwäbisch Gmünd Weingarten
___________ 2 Ich danke der Planungsgruppe Reutlingen, insbesondere Frau Andrea Mayer, für die sehr hilfsbereite und unglaublich geduldige Aufbereitung der Daten.
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
266
Tabelle 8 Studienplätze und Bewerbungen: Bewerbungsintensität (BW/S) 1 2 3 4 Studienplätze für deutsche Bewerber GHS RS SS ZUS 1 FR 450 135 30 615 2 HD 414 128 95 637 3 KA 494 152 30 676 4 LU 415 137 115 667 5 SG 287 98 30 415 6 WG 321 110 30 461 7Summe 2381 760 330 3471
5
6 7 8 Bewerbungen deutscher Bewerber GHS RS SS SS 1353 800 534 2687 1529 738 919 3186 1384 822 439 2645 1069 816 689 2574 736 494 349 1579 799 629 376 1804 6870 4299 3306 14475
9 10 11 12 Bewerbungen pro Studienplatz GHS RS SS SS 3,0 5,9 17,8 4,37 3,7 5,8 9,7 5,0 2,8 5,4 14,6 3,91 2,6 6,0 6,0 3,86 2,6 5,0 11,6 3,8 2,5 5,7 12,5 3,91 2,9 5,7 10,0 4,17
Kommentar Sp.12, Z.7
In den drei Studiengängen kamen an den sechs Hochschulen insgesamt 4,17 Bewerbungen auf einen Studienplatz.
Sp.11, Z.7 Sp.9, Z.7
Auf das Lehramt an SS kamen insgesamt 10 Bewerbungen pro Studienplatz, auf das Lehramt an GHS nur 2,9 Bewerbungen pro Studienplatz.
Sp.12, Z.2 Sp.12, Z.5
Mit 5,0 Bewerbungen pro Studienplatz war Heidelberg die gesuchteste, mit 3,8 Bewerbungen pro Studienplatz war Schw. Gmünd die am wenigsten gesuchte Hochschule.
Sp.11, Z.1 Sp.9, Z.6
Mit 17,8 verzeichnet Freiburg, Lehramt an SS, die höchste Bewerbungsintensität für eine Studienvariante, und mit 2,5 verzeichnet Weingarten, Lehramt an GHS, die niedrigste Bewerbungsintensität für eine Studienvariante.
Nach Abschluss der Bewerbungsfrist findet zunächst das so genannte „Hauptverfahren“ für die Zulassung der Bewerber statt. Dabei lassen die Hochschulen meist mehr Bewerber zu, als sie Studienplätze haben („Überbuchung“). In diesem Hauptverfahren kommen nur die Hauptanträge zum Zuge. Bemerkenswert ist die unterschiedliche Kapazitätsauslastung bei den Hochschulen nach dem Hauptverfahren.
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
267
Tabelle 9 Studienplätze und Immatrikulationen nach dem Ende des Hauptverfahrens: Auslastungsquote Hauptverfahren (I/S) 1 2 3 4 Studienplätze für deutsche Bewerber GHS RS SS Zus. 1 FR 450 135 30 615 2 HD. 414 128 95 637 3 KA. 494 152 30 676 4 LU 415 137 115 667 5 SG 287 98 30 415 6 WG 321 110 30 461 7Summe 2381 760 330 3471
5 6 7 8 Immatrikulationen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 429 121 27 577 295 90 93 478 667 90 24 781 271 136 100 507 198 82 18 298 190 121 23 334 2050 640 285 2975
9 10 11 12 Immatrikulationen pro Studienplatz GHS RS SS Zus. 0,95 0,9 0,9 0,94 0,71 0,7 0,98 0,75 1,35 0,59 0,8 1,16 0,65 1,0 0,87 0,76 0,69 0,84 0,6 0,72 0,59 1,1 0,77 0,72 0,86 0,84 0,86 0,86
Kommentar Sp.9-11, Z.7 Die Auslastungsquote nach dem Hauptverfahren ist bei den drei verschiedenen Studiengängen insgesamt etwa dieselbe, nämlich rund 86 %. Spalte 12
Nimmt man als Ziel der Verwaltungen an, am Ende des Hauptverfahrens möglichst dicht bei einer hundertprozentigen Auslastung zu liegen, dann hat die PH Freiburg am besten bei der „Überbuchung“ geschätzt, die PH Karlsruhe hat im Lehramt GHS deutlich „zu viele“ Bewerber zugelassen und kommt so auf eine Auslastung von 116 %. Die Hochschulen in Schwäb. Gmünd und Weingarten haben mit besonders niedrigen Annahmequoten zu kämpfen (s. Tabelle 11), weshalb für sie die Abschätzung der Überbuchungsquoten besonders schwierig ist. Beide Hochschulen kommen daher nach dem Hauptverfahren nur auf eine Auslastungsquote von 72 %.
Nach dem Hauptverfahren findet ein Nachrückverfahren statt, um die frei gebliebenen Studienplätze aufzufüllen, und danach gibt es noch weitere Zulassungen an den einzelnen Hochschulen. Ganz am Schluss werden ggf. auch noch Studienplätze aufgrund von „Hilfsanträgen“ von Bewerbern vergeben. Die Endverteilung findet sich in den folgenden Tabellen.
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
268
Tabelle 10 Endstand Bewerbungen und Zulassungen: Zulassungswahrscheinlichkeit (Z/BW) 1
2 3 4 Bewerbungen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 1 FR 1353 800 534 2687 2 HD 1529 738 919 3186 3 KA 1384 822 439 2645 4 LU 1069 816 689 2574 5 SG 736 494 349 1579 6 WG 799 629 376 1804 7Insges. 6870 4299 3306 14475
5
6s 7 8 Zulassungen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 1134 365 70 1569 1233 388 173 1794 1384 302 89 1775 1296 315 274 1885 912 429 111 1452 999 334 103 1436 6958 2133 820 9911
9 10 11 12 Zulassungen pro Bewerbung GHS RS SS Zus. 0,84 0,46 0,13 0,58 0,81 0,53 0,19 0,56 1,0 0,37 0,2 0,67 1,21 0,39 0,4 0,73 1,24 0,87 0,32 0,92 1,25 0,53 0,27 0,8 1,0 0,5 0,25 0,68
Kommentar Die Größe „Zulassungen pro Bewerbung“ (Z/BW) gibt die fiktive, statistische Zulassungswahrscheinlichkeit pZ eines „beliebigen Bewerbers“ an. Sp.9, Z.4-6
Die Zulassungswahrscheinlichkeit für einen Studienplatz im Lehramt an GHS an den Hochschulen Ludwigsburg, S. Gmünd und Weingarten betrug zwischen 121 % und 127 %. Diese hohen Werte von über 100 % kommen dadurch zustande, dass auch Studienplätze aufgrund von „Hilfsanträgen“ vergeben worden sind, die aber definitionsgemäß nicht als „Bewerbungen“ gezählt werden. Nur „Hauptanträge“ werden als Bewerbungen gezählt.
Sp.9-11, Z.7 Hochschulübergreifend war die Zulassungswahrscheinlichkeit im Lehramt GHS mit 100 % am höchsten; halb so groß war sie im Lehramt RS mit 50 %, und im Lehramt SS hatte ein „beliebiger Bewerber“ nur eine Zulassungswahrscheinlichkeit von 25 %. Ohne spezielle Berücksichtigung ihres Studienwunsches hatten die Studienbewerber an einer baden-württembergischen Pädagogischen Hochschule eine Zulassungschance von 68 %. Dieses ist angesichts von 4,17 Bewerbungen pro Studienplatz (BW/S) eine hohe Zulassungschance und belegt eindrücklich, dass die Relation BW/S bzw. der Kehrwert S/BW bei dezentraler Koordination ein gänzlich unbrauchbares Maß zur Ermittlung der statistischen Zulassungswahrscheinlichkeit eines „beliebigen Bewerbers“ ist. Die Mehrfachbewerbungen der Bewerberpersonen schlagen sich unmittelbar in der Tatsache nieder, dass die Hochschulen pro besetzbarem Studienplatz
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
269
mehr als eine Zulassung vornehmen müssen. Das ist schon indirekt aus der Tabelle zum Hauptverfahren (Tabelle 9) zu entnehmen. Über den Endstand gibt die folgende Tabelle Auskunft. Tabelle 11 Endstand Zulassungen und Immatrikulationen: Annahmequote (Ie/Z) 1
2 3 4 Zulassungen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 1 FR 1134 365 70 1569 2 HD 1233 388 173 1794 3 KA 1384 302 89 1775 4 LU 1296 315 274 1885 5 SG 912 429 111 1452 6 WG 999 334 103 1436 7Insges. 6958 2133 820 9911
5 6 7 8 Immatrikulationen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 444 130 31 605 413 124 99 636 578 151 29 758 405 134 113 652 234 148 30 412 284 118 30 432 2358 805 332 3495
9 10 11 12 Immatrikulationen pro Zulassung GHS RS SS Zus. 0,39 0,36 0,44 0,39 0,33 0,32 0,57 0,35 0,42 0,5 0,33 0,43 0,31 0,42 0,41 0,35 0,26 0,34 0,27 0,28 0,28 0,35 0,29 0,30 0,34 0,38 0,4 0,35
Kommentar Mit der Größe „Endgültige Immatrikulationen pro Zulassung“ (Ie/Z) wird die Quote angegeben, mit der zugelassene Bewerber ihren Studienplatz überhaupt angenommen haben (Annahmequote). Sp.9, Z.2
An der PH Heidelberg betrug die Annahmequote für einen Studienplatz im Lehramt an GHS genau ein Drittel. Von drei zugelassenen Bewerbern hat dort im Durchschnitt nur ein einziger seinen Studienplatz auch angenommen.
Sp.10, Z.3
Die höchste Annahmequote in einem Studiengang verzeichnet die PH Karlsruhe im Lehramt an RS mit 50 %.
Sp.9, Z.5
Die niedrigste Annahmequote ist an der Hochschule in Schwäbisch Gmünd im Lehramt an GHS zu finden. Dort nahm nur jeder vierte Bewerber seinen Studienplatz an.
Sp.9-11, Z.7 Die Annahmequoten bei den einzelnen Studiengängen bewegen sich zwischen 34% und 40%. Die niedrige Annahmequote beim Lehramt an RS und SS gibt Rätsel auf angesichts der Tatsache, dass die Bewerbungsintensität bei diesen Lehrämtern – vor allem im Lehramt an SS – um ein Vielfaches höher war als beim Lehramt an GHS. Vgl. Tabelle 8, Sp. 10-11, Z.7. Sp.12, Z.7
Fasst man alle Studiengänge und alle Hochschulen zusammen, dann zeigt sich, dass nach Haupt- und Nachrückverfahren nur 35% der Zulassungen zu endgültigen Immatrikulationen führten.
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
270
Der Kehrwert zur Annahmequote Ie/Z, also Z/Ie ist ein unmittelbares Maß für die Verfahrensbelastung, die den Hochschulen infolge der Nicht-Annahme von Studienplätzen entstehen, insbesondere wenn Nachrückverfahren durchgeführt werden müssen. Es bleibt festzuhalten, dass eine hohe Bewerbungsintensität (BW/S) auch sehr gesuchte Hochschulen nicht davor schützt, mit niedrigen Annahmequoten konfrontiert zu sein. Umgekehrt kann eine niedrigere Bewerbungsbelastung von weniger gesuchten Hochschulen durchaus mit einer höheren Verfahrensbelastung infolge niedrigerer Annahmequoten einhergehen. Während die Hochschulen in Karlsruhe und Weingarten dieselbe Bewerbungsintensität von 3,91 vorzuweisen haben (s. Tabelle 8), hat Karlsruhe eine deutlich höhere Annahmequote (0,43) als Weingarten (0,30), woraus insgesamt eine höhere Verfahrensbelastung der weniger gesuchten Hochschule resultiert. Zum Schluss soll noch ein Blick auf die Frage geworfen werden, ob und in welchem Maße am Ende die Kapazitäten ausgelastet waren. Dazu gibt die folgende Tabelle Auskunft. Tabelle 12 Endstand Immatrikulationen pro Studienplatz: Kapazitätsauslastung (Ie/S) 1 2 3 4 Studienplätze für deutsche Bewerber GHS RS SS Zus. 1 FR 450 135 30 615 2 HD 414 128 95 637 3 KA 494 152 30 676 4 LU 415 137 115 667 5 SG 287 98 30 415 6 WG 321 110 30 461 7Insges. 2381 760 330 3471
5 6 7 8 Immatrikulationen deutscher Bewerber GHS RS SS Zus. 444 130 31 605 413 124 99 636 578 151 29 758 405 134 113 652 234 148 30 412 284 118 30 432 2358 805 332 3495
9 10 11 12 Immatrikulationen pro Studienplatz GHS RS SS Zus. 0,99 0,96 1,03 0,98 1,0 0,97 1,04 1,0 1,17 1,0 0,97 1,12 0,98 0,98 0,98 0,98 0,81 1,51 1,0 0,99 0,88 1,07 1,0 0,94 0,99 1,06 1,0 1,0
Kommentar Sp.12, Z.7
Am Ende des Verfahrens beträgt die Auslastung 100%. Diese „Punktlandung“ ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass
Sp.12, Z.3
die Hochschule in Karlsruhe jenseits der Kapazitätsgrenze arbeitet und dass
Sp. 9-10, Z.5
die Hochschule in Schwäb. Gmünd offensichtlich die Kapazitäten, welche im Lehramt an GHS frei geblieben sind, an das Lehramt an RS umgewidmet und für dieses Lehramt Zulassungen weit jenseits der dafür ursprünglich vorgesehenen Kapazitäten vorgenommen hat.
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
271
Nähere Charakterisierung der Bewerbungsaktivitäten Wie erwähnt, werden die dezentral bearbeiteten Bewerbungen in einer zentralen EDV weiterverarbeitet, und dort ist es möglich, identische Bewerberpersonen festzustellen. Als Ergebnis entsprechender Suchläufe wurden von der „Planungsgruppe Reutlingen“ die folgenden Ergebnisse für das Wintersemester 2004/05 geliefert. Tabelle 13 Zahl der Bewerbungen von Bewerbern zum WS 04/05 Zahl der Bewerbungen Einfach Zweifach Dreifach Vierfach Fünffach Sechsfach Insgesamt
Zahl der Bewerber 4182 1266 698 461 393 410 7410
In Prozent 56,4 17,1 9,4 6,2 5,3 5,5
Bewerbungen insgesamt 4182 2532 2094 1844 1965 2460 15077
In Prozent 27,4 16,8 13,9 12,2 13,0 16,3
Kommentar Die in dieser Aufstellung genannte Zahl von insgesamt 15.077 Bewerbungen übersteigt die in Tabelle 8 genannte Summe von 14.475 Bewerbungen um 602. Eine Erklärung für diese Abweichung liegt darin, dass die Bewerbungen in der Aufstellung für Tabelle 13 auch die Bewerbungen für Diplomstudiengänge, Aufbaustudiengänge und das Europalehramt umfassen, die in der Tabelle 8 nicht mit erfasst worden sind. Um einen Anhalt für die Bewerbungsintensität zu haben, sind die bisher gelieferten Zahlen teilweise zu ergänzen. Die Zahl sämtlicher Bewerberpersonen kann direkt aus Tabelle 13 übernommen werden, B = 7410. Die Zahl der Studienplätze aus Tabelle 8 (S = 3.471) ist allerdings zu ergänzen um die Studienplätze für die in Tabelle 8 nicht erfassten Studienplätze in den Diplomstudiengängen, Aufbaustudiengängen und im Europalehramt, nämlich um 346 Studienplätze3, woraus sich als Gesamtzahl der Studienplätze ergibt: S = 3.471+346 = 3.817 Studienplätze. ___________ 3 Für das Europalehramt ist die Zahl der Studienplätze formell nicht definiert, vgl. weiter unten das Unterkapitel X. 2. Ersatzweise wurde die Zahl der tatsächlich ausgesprochenen Zulassungen als Zahl der Studienplätze angesetzt.
272
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
Es ergeben sich somit folgende Summen: Studienplätze (S): 3.817
Bewerberpersonen (B): 7.410
Bewerbungen (BW): 15.077
Hieraus lassen sich die folgenden Quotienten berechnen: • Bewerber pro Studienplatz (B/S), Intensität der Nachfrage: 1,94 • Bewerbungen pro Studienplatz (BW/S), Bewerbungsintensität: 3,95 • Bewerbungen pro Bewerber (BW/B = Bew), Bewerbungsaktivität: 2,03 Die Bewerbungsintensität hat wegen der Berücksichtigung weiterer Studiengänge im Vergleich zur entsprechenden Bewerbungsintensität nur für die Lehramtsstudiengänge etwas abgenommen. Dieser Wert betrug dafür 4,17 (s. Tabelle 8). Für einzelne Studienvarianten lässt sich die Intensität der Nachfrage nicht angeben, da dies voraussetzen würde, dass die Mehrfachbewerber ihre Präferenzen hätten angeben müssen. Nur wenn sich ein Bewerber jeweils mit seiner ersten Präferenz einer bestimmten Studienvariante zuordnen lässt, lässt sich dafür jeweils auch die Nachfrageintensität im Unterschied zur Bewerbungsintensität bestimmen.4 Die Mehrzahl der Bewerber (56,4%) hat sich zwar nur einmal beworben – ihre Bewerbungen machen aber auch nur 27,4% aller Bewerbungen aus, während jene knapp 11% der bewerbungsaktivsten Bewerber (fünffache und sechsfache Bewerbung) zusammen fast 30% aller Bewerbungen geschrieben haben. Jenes gute Viertel der Bewerber, das sich dreimal oder noch häufiger beworben hat (26,4%), verursachte gut 55% des gesamten Bewerbungsaufwandes. 2,03 Bewerbungen pro Bewerber erscheinen insgesamt als nicht überraschend hoch. Für die Interpretation dieser nicht unbedingt überwältigenden Bewerbungsaktivität des „Durchschnittsbewerbers“ ist folgendes zu berücksichtigen: (1) Durch die Statistik wird nur die Zahl jener Bewerbungen erfasst, welche die Bewerber für einen Studienplatz an einer baden-württembergischen Pädagogischen Hochschule an eine solche Hochschule gerichtet haben. Nicht dagegen wird erfasst, wie viele Bewerbungen diese Bewerber möglicherweise au___________ 4
Vgl. die Tabelle 7 im Unterkapitel VI. 4., S. 164, wo die Bewerberpersonen mit ihrer ersten Präferenz bestimmten Studienvarianten zugeordnet sind, für die sich dann jeweils die Intensität der Nachfrage im Unterschied zur Bewerbungsintensität bestimmen lässt.
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
273
ßerdem noch an andere Hochschulen innerhalb und außerhalb von BadenWürttemberg gerichtet haben.5 (2) Bei den hier präsentierten Zahlen handelt es sich um die Zahlen zum Wintersemester 2004/2005. Im Vorjahr, nämlich im WS 2003/2004, war das Studium in den Lehrämtern GHS und RS an den Hochschulen in Ludwigsburg, Schwäb. Gmünd und Weingarten noch zulassungsfrei, also ohne Kapazitätsbeschränkung. Dort war also eine Zulassung auf jeden Fall sicher. Dieser Zustand galt für das SS 04 allerdings nur noch für die Hochschule in Weingarten. Es ist anzunehmen, dass sich ein Teil der Bewerber noch an den Zulassungsgegebenheiten des WS 03/04 orientiert und mit einer sicheren Zulassung gerechnet hat, als diese keineswegs mehr sicher war. Die Bewerbungsintensität dürfte weiter zunehmen, wenn sich erst herumgesprochen hat, dass sämtliche Studienplätze für ein Lehramtsstudium an baden-württembergische Pädagogischen Hochschulen einer Zulassungsbeschränkung unterliegen, und wenn sich erst einmal ein gewisser Rückstau von nicht zugelassenen Bewerbern gebildet hat. (3) Schließlich sind in den 15.077 Bewerbungen auch die Bewerbungen für Studienplätze in Diplomstudiengängen, für das Aufbaustudium in Sonderpädagogik und für das Europalehramt enthalten. Gerade diese Bewerber haben aber keinen Anlass, sich an allen 6 Hochschulen zu bewerben, da die von ihnen gewünschten Studiengänge zumeist nur von 2 Hochschulen angeboten werden. Aus diesen Daten lässt sich nun nicht entnehmen, was für eine Art von Bewerbern besonders bewerbungsaktiv gewesen ist. Dazu lässt sich nur vermuten, dass jene Bewerber, die mit erster Präferenz das Lehramt an Sonderschulen studieren möchten, wegen der relativ geringen Zulassungswahrscheinlichkeit in diesem Studiengang besonders viele Bewerbungen für diesen Studiengang abschicken. Gleiches gilt mit Abstrichen für die Bewerber mit erster Präferenz für das Lehramt an Realschulen. Es liegt aber auch nahe, dass gerade die Bewerber mit erster Präferenz für die genannten Studiengänge in hohem Maß Bewerbungen der nachrangigen Wahl für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen abschicken und dort für die geringen Annahmequoten mitverantwortlich sind. Diese Substitutionsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Studiengängen lassen sich aber aus dem vorliegenden Material nicht ermitteln. Des Weiteren könnte vermutet werden, dass Bewerber mit eher mittelmäßigen oder schlechten Schulabschlüssen sich besonders häufig bewerben, während besonders gute Bewerber sich weniger häufig bewerben, weil sie ihrer Sa___________ 5
Zum Unterschied zwischen der (kleineren) Menge an Bewerbungen, welche in einem „Informationsverbund der Hochschulen“ eingehen, und der (größeren) Menge an Bewerbungen, welche die Bewerber dieses Informationsverbundes in ein (größeres) Bewerbungsgebiet richten, vgl. Unterkapitel VI. 2. b), S. 147ff.
274
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
che relativ sicher sind. Diese Vermutung lässt sich aber nicht unbedingt belegen, wie aus der folgenden Tabelle sichtbar wird. Tabelle 14 Zahl der Zulassungen, die einzelne Bewerber im Hauptverfahren erhalten haben, zum WS 04/05 Zahl der ZulasZahl der BeIn Prozent Zulassungen insgesungen werber samt Einfach 2839 62,7 2839 Zweifach 820 18,1 1640 Dreifach 414 9,1 1242 Vierfach 217 4,8 868 Fünffach 145 3,2 725 Sechsfach 93 2,0 558 Insgesamt 4528 7872 Keine Zulassung 2882 38,9 Insgesamt 7410 Durchschnittliche Zahl der Zulassungen pro Bewerber: 1,74
In Prozent 36,1 20,8 15,8 11,0 9,2 7,1
Kommentar Die Tabelle gibt die Zulassungen im Hauptverfahren an, nicht den Endstand (10.290 Zulassungen). Bei Berücksichtigung des Endstandes würde sich v.a. die Zahl der Bewerber mit Einfach- oder Zweifachzulassungen erhöhen. Die Zahl der Zulassungen insgesamt (7.872) liegt in dieser Aufstellung um 379 höher als die Summe der Zulassungen nach dem Hauptverfahren gemäß Tabelle 9. Diese Abweichung kommt wiederum zustande, weil Tabelle 14 auch die Zulassungen für die grundständigen Diplomstudiengänge, das Aufbaustudium zum Lehramt an Sonderschulen sowie für das Europalehramt enthält. Die Zahl derjenigen, die keine Zulassung erhalten haben (2.882), wurde durch Differenzbildung zur Bewerberzahl insgesamt laut Tabelle 13 ermittelt: 39% der Bewerber haben keine Zulassung im Hauptverfahren erhalten. Von denjenigen, die eine Zulassung im Hauptverfahren erhalten haben, machen diejenigen, welche an vier oder mehr Hochschulen gleichzeitig eine Zulassung erhalten haben, immerhin 4,8+3,2+2,0 = 10% der Bewerber aus. Auf diese Gruppe kommen 11,0+9,2+7,1 = 27,3% aller Zulassungen, die ausgesprochen wurden. Dieses deutet zwar darauf hin, dass sich auch leistungsstarke Bewerber mehrfach bewerben, mit Sicherheit kann dieser Schluss aber nicht gezogen werden. Eine hohe Zahl von Mehrfachzulassungen kann z.B. auch durch „mittelmäßige“ Bewerber für das Lehramt an GHS zustande kommen, wenn diese Bewerbergruppe besonders sicherheitsbewusst gehandelt und sich
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
275
infolgedessen auch in einem Studiengang mehrfach beworben hat, wo sie einer starken Konkurrenz gar nicht ausgesetzt gewesen ist. Trotz ausnahmsweise besonders günstiger statistischer Ausgangslage an den Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg lassen sich daher zur Korrelation von Bewerbungsintensität und Konkurrenzsituation bzw. Leistungsstärke einzelner Bewerbergruppen in einzelnen Studienvarianten keine weiteren Aussagen machen. Die Entwicklung im Dreijahresvergleich Die Frage der weiteren Entwicklung lässt sich nicht allgemein beantworten, aber Ansätze zu einem Trend sind zu erkennen, wenn man einige Zahlen aus dem Wintersemester 2004/2005, die bisher präsentiert wurden, den entsprechenden Zahlen aus den Wintersemestern 2005/06 und 2006/07 gegenüberstellt. Dieses geschieht in der folgenden Tabelle. Die Zahlen betreffen grundsätzlich sämtliche Studiengänge. Tabelle 15 Bewerbungs- und Zulassungsaktivitäten im Dreijahresvergleich Studienplätze (S) Bewerberpersonen (B) Bewerbungen (BW) Zulassungen, Endstand (Z) Intensität der Nachfrage: B/S Bewerbungsaktivität: BW/B Bewerbungsintensität: BW/S Zulassungswahrscheinlichkeit: Z/BW Zulassungen pro Studienplatz: Z/S
WS 04/05 3.817 7.410 15.077 10.290 1,94 2,03 3,95 0,68 2,696
WS 05/06 3.743 8.440 17.763 10.094 2,25 2,10 4,75 0,57 2,697
WS 06/07 3.596 9.366 21.897 10.104 2,60 2,34 6,09 0,46 2,81
Kommentar Die obige Tabelle legt folgende Zusammenhänge nahe: Wenn der Nachfrageüberhang (die Intensität der Nachfrage) zunimmt, dann nimmt auch die Bewerbungsaktivität der Bewerber zu. Je schärfer die Konkurrenz, umso häufiger bewerben sich die Bewerber mehrfach, womit die Bewerbungsaktivität der Bewerber auch als Kollektiv steigt. Dieser empirische Befund bestätigt eine Hypothese bei der Modellierung der Bewerbungsfunktion in Unterkapitel VI. 7. a), S. 192f., wo bei der Einführung der Variablen 5 (Subjektive Zulassungserwartung) angenommen wurde: Die Bewerber verstärken ihre Bewerbungsaktivitäten, wenn sie Anlass für die Annahme haben, dass die Konkurrenz
276
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
um Studienplätze zunehmen wird und die Zulassungswahrscheinlichkeit eines „beliebigen Bewerbers“ abnehmen wird. In noch höherem Maße steigt allerdings die Bewerbungsintensität an den Hochschulen, also die Verfahrensbelastung durch Bewerbungen pro Studienplatz. Während die Bewerbungsaktivität der Bewerber von 2,03 auf 2,34, das ist um 15 Prozent gestiegen ist, ist die Bewerbungsbelastung der Hochschulen von 3,95 auf 6,09 oder um 54 Prozent gestiegen. Dieses ist vor allem auf die Zunahme der Bewerberzahlen zurückzuführen (vgl. Unterkapitel VI. 4., dort Kommentar zu Tabelle 7, S. 166). Während also der allgemeine Verfahrensaufwand wegen steigender Bewerberzahlen und steigender Bewerbungsaktivität dieser Bewerber zunimmt, sinkt die Zulassungswahrscheinlichkeit eines „beliebigen Bewerbers“. Dieses ist zwar nicht verwunderlich, bestätigt aber auch die Konsequenz, die hieraus im Unterkapitel IX. 1., S. 242-244 hinsichtlich der Kostenbeteiligung der „Verlierer“ aufgezeigt wurde. Am Beispiel der Pädagogischen Hochschulen: Während die Zulassungswahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres von 68 Prozent auf 46 Prozent gesunken ist, verhält es sich mit der Kostenbeteiligung der Verlierer tendenziell umgekehrt. Ihre Beteiligung an jenen Verfahrenskosten, welche der Bewerberseite insgesamt entstehen, wird sich erhöht haben, da der Anteil der Bewerber ohne Studienplatz sich erhöht haben wird. Bemerkenswert ist schließlich das Annahmeverhalten: Bei steigender Konkurrenz um Studienplätze ist der Wert von 2,696 Zulassungen pro Studienplatz zunächst konstant geblieben und dann auf 2,81 angestiegen. Nimmt man an, dass die Kapazitätsauslastung am Ende der Verfahren jeweils 100 Prozent betragen hat, so dass Ie = S, dann hat die Annahmequote von 1/2,696 = 0,371 auf 1/2,81 = 0,356 abgenommen. Damit scheint sich auf dieser hohen Aggregationsstufe jedenfalls die in Kap. VIII., S. 232f. postulierte Scherenentwicklung von Abnehmenden Annahmequoten bei steigender Bewerbungsintensität zu bestätigen. Andererseits ist festzustellen, dass die Annahmequote mit steigender Konkurrenz jedenfalls auch nicht mehr stark fällt. Möglicherweise haben die Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg inzwischen den oben auf S. 233 postulierten Grenzwert erreicht, von dem an die Annahmequote nicht mehr oder nicht mehr wesentlich sinkt. Zusammenfassung Zum Wintersemester 2004/05 gab es an den baden-württembergischen Pädagogischen Hochschulen 1,94 Bewerberpersonen pro Studienplatz, 3,95 Bewerbungen pro Studienplatz und 2,03 Bewerbungen, die ein Bewerber für einen Studienplatz an einer Pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg an
1. Das Zulassungsverfahren in den Lehrämtern
277
diese Hochschulen geschickt hat. Die Zahl der Bewerbungen, die ein solcher Bewerber außerdem noch an andere Hochschulen geschickt hat, ist unbekannt. Da nicht bekannt ist, in welchem Maße und mit welchen Präferenzen sich Bewerber an baden-württembergischen Pädagogischen Hochschulen auch noch an anderen Hochschulen beworben haben, lässt sich nicht angeben, wie groß die Bewerbungsaktivität eines Durchschnittsbewerbers unter Berücksichtigung dieses größeren Bewerbungsgebietes gewesen ist. Sie ist auf jeden Fall höher als 2,03 gewesen. Die Bewerbungsintensität an den einzelnen Pädagogischen Hochschulen ist unterschiedlich, aber diese Unterschiede sind insgesamt nicht gravierend. Bei den einzelnen Studiengängen divergiert die Bewerbungsintensität aber stark. Entsprechend unterschiedlich ist die Zulassungswahrscheinlichkeit eines Bewerbers in den einzelnen Studiengängen GHS, RS, SS (Tabelle 10). Eine Zulassungswahrscheinlichkeit eines „beliebigen Bewerbers“ von 68% – bezogen auf sämtliche Studienplätze der genannten Studiengänge – ist angesichts der hohen Bewerbungsintensität nicht als niedrig anzusehen. Die Hochschulen stehen im so genannten „Hauptverfahren“ vor der Schwierigkeit, die Annahmequoten abschätzen und entsprechende „Überbuchungen“ vornehmen zu müssen. Sie zeigen ein deutlich unterschiedliches Geschick, mit der ersten Zulassungsrunde dicht an 100 Prozent Kapazitätsauslastung zu kommen. Offensichtlich stehen die weniger gesuchten Hochschulen vor größeren Problemen, die Annahmequote vorab einschätzen zu können (Tabelle 9). Die niedrige Annahmequote der Bewerber für die Lehrämter GHS, RS, SS von insgesamt 35 % belegt einen relativ hohen Verfahrensaufwand für die Besetzung eines Studienplatzes infolge von Mehrfachbewerbungen. Insbesondere die weniger gesuchten Hochschulen Schwäb. Gmünd und Weingarten haben noch geringere Annahmequoten und deshalb auch einen höheren Verfahrensaufwand für die Besetzung eines Studienplatzes zu tragen als die stärker gesuchten Hochschulen (Tabelle 11). Erklärungsbedürftig ist die Tatsache, dass die Annahmequoten (endgültige Immatrikulationen pro Zulassung) auch in den Studiengängen mit deutlich höherer Bewerbungsintensität (Lehramt an RS, Lehramt an SS) kaum wesentlich höher sind als in dem Studiengang mit einer geringeren Bewerbungsintensität (Lehramt an GHS). Eine naheliegende Erklärung könnte sein, dass bei den Studiengängen mit großer Konkurrenz gerade die guten und sehr guten Bewerber es sind, die sich an vielen Hochschulen gleichzeitig beworben und dann auch alle vielfachen Zusagen erhalten haben. Jeder Bewerber kann aber nur eine Zusage realisieren, woraus am Ende eine geringe Annahmequote auch bei sehr
278
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
gesuchten Studiengängen resultiert. Angesichts der Tatsache, dass auf eine Gruppe von nur 10% der Bewerber rund 27% der Zulassungen entfallen, lässt sich die Annahme zumindest nicht stützen, dass sehr gute Bewerber weniger Bewerbungen schreiben. Sie lässt sich aber auch nicht widerlegen. Bezogen auf sämtliche Studienplätze im Informationsgebiet der badenwürttembergischen Pädagogischen Hochschulen ist die durchschnittliche Bewerbungsaktivität eines Bewerbers mit rund zwei Bewerbungen angesichts des nicht sehr großen Aufwandes für eine Bewerbung (Ausnahme: Kunst, Musik und Sport) nicht gravierend (s. Tab. 15). Allerdings zeigt sich, dass die Bereitschaft einzelner Bewerbergruppen, die Möglichkeit der Mehrfachbewerbung auszuschöpfen, durchaus vorhanden ist, und dass diese Gruppen dabei auch bis zum individuellen Bewerbungsmaximum von 6 Bewerbungen gehen. Die Bereitschaft, vier und mehr Bewerbungen zu schreiben (17% der Bewerber), dürfte – ceteris paribus – noch zunehmen, wenn insgesamt ein Nachfrageüberhang dauerhaft bestehen bleibt und die verschärfte Zulassungssituation sich allgemein herumgesprochen hat. In welchem Maß die Bewerber sich auch noch außerhalb des Informationsgebietes der Pädagogischen Hochschulen beworben haben, lässt sich mit dem gegebenen statistischen Material nicht ermitteln.
2. Das Zulassungsverfahren in den Europa-Lehrämtern Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, stellen die Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zu den Studiengängen des Europa-Lehramts an den Pädagogischen Hochschulen in Freiburg und Karlsruhe einen Sonderfall dar. Dieser Sonderfall soll hier nicht in gleicher Ausführlichkeit dargestellt werden. Aber hieran lassen sich bestimmte Einsichten zu den Eignungsfeststellungsverfahren und zur Durchführung von Tests demonstrieren. Obwohl die Studienplätze im Europalehramt sehr begehrt sind, existiert offiziell kein Numerus Clausus, d.h.: Die Zahl der verfügbaren Studienplätze ist nicht explizit definiert worden. Stattdessen müssen die Bewerberinnen und Bewerber aber einen Spracheignungstest absolvieren, für den man sich frühzeitig zu bewerben hat. Wer einen solchen Test bestanden hat, der erhält dann allerdings auch mit Sicherheit einen Studienplatz. Die Anforderungen in diesem Test werden aber nur vage formuliert. Insbesondere existiert keine veröffentlichte Messskala, aus der sich ergeben würde, mit welchen Testleistungen eine Bewerberin oder ein Bewerber als sprachlich geeignet gilt oder nicht. Hieraus ergibt sich:
2. Das Zulassungsverfahren in den Europa-Lehrämtern
279
• Die Hochschule hat die Möglichkeit, die Anforderungen an die Eignung der Bewerber je nach Nachfragesituation höher oder niedriger anzusetzen. • Die Bewerber wissen weder, wie viele Studienplätze es gibt; noch wie viele Bewerber es in der Vergangenheit für diese Plätze gegeben hat; noch wie viele Zulassungen und Immatrikulationen es in der Vergangenheit gegeben hat. Erst recht nicht kennen die Bewerber irgendwelche „Grenzwerte“ (im Testergebnis), bis zu denen Bewerber in der Vergangenheit zugelassen worden sind. Aus Sicht der Bewerber ist dieses in Hinblick auf die Informationssituation der denkbar schlechteste Fall. Bei ihnen muss eine extreme Unsicherheit in Hinblick auf die persönliche Zulassungswahrscheinlichkeit bestehen. Hieraus würde nahezu zwingend die Notwendigkeit der Mehrfachbewerbung folgen, wenn der Bewerber seine Chance auf einen Studienplatz erhöhen will. 1 Diese Möglichkeit haben die Hochschulen aber in folgender Weise eingeschränkt: Die Eignungstests werden zwar an jeder Hochschule gesondert durchgeführt, aber an demselben Termin. Der Bewerber hat also nur die Möglichkeit, in Freiburg oder in Karlsruhe am Test teilzunehmen, nicht aber an beiden Orten gleichzeitig. Andererseits erkennen die beiden Hochschulen einen an der jeweiligen anderen Hochschule erfolgreich bestandenen Test nicht selbstverständlich an. Im Ergebnis läuft diese Einschränkung der Mehrfachbewerbung für einen Test darauf hinaus, dass die Bewerber zwar gezwungen sind, ihre Präferenzen zu offenbaren, zugleich aber auf eine der beiden Hochschulen zu reduzieren.2 Diese Situation kontrastiert deutlich mit den Eignungsprüfungen in den Fächern Kunst, Musik und Sport in den Lehrämtern GHS, RS, SS zumindest bis zum Wintersemester 2004/2005 – denn bis zu diesem Zeitpunkt wurden diese Prüfungen von den Hochschulen grundsätzlich gegenseitig anerkannt. Sowohl für die Hochschulen wie für die Bewerber ist es allerdings günstig, dass die Termine für die Eignungsprüfungen so früh gelegt sind, dass ein Bewerber das jeweilige Ergebnis erfährt, bevor er sich formell für einen Studienplatz bewirbt; d.h. an den Hochschulen ist die Bewerbung für eine Eignungsprüfung und die Bewerbung für einen Studienplatz zeitlich entkoppelt. Wäre dieses nicht der Fall, dann würde es beispielsweise für einen Bewerber für einen Studienplatz im „Europa-Lehramt an Grund- und Hauptschulen“ eine erhebliche Motivation geben, zusätzlich noch weitere Bewerbungen zu schreiben für einen Studienplatz im „normalen“ Grund- und Hauptschullehrerstudium. ___________ 1 2
Vgl. am Ende von Unterkapitel VI. 7. a), S. 195f. Vgl. den Abschnitt „Verzerrte Präferenzbildung“ in Kapitel VII., S. 218-220.
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
280
Auf diese Weise würde das allgemeine Bewerbungsaufkommen noch einmal deutlich erhöht. Die dargestellten Verhältnisse können folgende Forderungen unterstreichen: • Wenn Hochschulen bestimmte Eignungstests verlangen, sollten diese möglichst nach gemeinsamen Standards erfolgen und dann gegenseitig anerkannt werden. • Wenn möglich, sollten die Messmethoden veröffentlicht werden. • Der Test sollte vor der Bewerbung zum Studium stattfinden und dann eine Voraussetzung für die Bewerbung sein. • Wenn ein bestandener Test nicht nur eine Zulassungsvoraussetzung, sondern zugleich „das“ (alleinige) Zulassungskriterium ist, sollten die Hochschulen verpflichtet werden, die Zahl der Studienplätze sowie der Bewerbungs- und Zulassungsverhältnisse nach dem Vorbild von Numerus-Clausus-Fächern zu veröffentlichen, da dieses die Transparenz erhöht.
3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband Die ausnahmsweise günstige, statistische Informationslage bei den Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg gibt Gelegenheit, sich mit Aussagen und Forderungen des Wissenschaftsrates (WR) und des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft auseinander zu setzen.
a) Wissenschaftsrat Der Wissenschaftsrat (WR) ist der Ansicht, dass bei einer Bewerbung der Bewerber unmittelbar an der Hochschule die Annahmequote dieser Bewerber höher sei als bei einer Vergabe der Studienplätze unmittelbar durch einen Koordinator und begründet dieses mit statistischen Untersuchungen zum Annahmeverhalten bei Studienplätzen, die durch die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vergeben worden sind. Die Schlussfolgerungen des Wissenschaftsrates scheinen aber weder in sich selbst schlüssig, noch lassen sie sich jedenfalls mit dem Beispiel der Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg belegen. Der WR schreibt in seiner Stellungnahme zu den Zulassungsergebnissen jener Studiengänge, die von der ZVS vergeben worden sind1: ___________ 1
Satzzählung durch den Verfasser (C.M.).
3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband
281
„(1) Am niedrigsten liegt der Anteil der Zugelassenen, die sich letztlich auch einschreiben, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre in den Fächern Betriebswirtschaft und Lebensmittelchemie (um 50 %), am höchsten in den medizinischen Fächern, der Psychologie und der Rechtswissenschaft (zwei Drittel und mehr). (2) Gründe für diese mangelhafte Verfahrenseffizienz sind insbesondere in der unbeschränkten Möglichkeit der Mehrfachbewerbung für verschiedene Fächer und in den Eigenarten der individuellen Lebensplanung der Studieninteressierten zu suchen. (3) Demgegenüber ist das Verhältnis von Einschreibungen zu Zulassungen bei von den Hochschulen selbst durchgeführten Auswahlverfahren in aller Regel weit günstiger als bei Zulassungen über die ZVS. (4) Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass hochschuleigene Auswahlverfahren Potenziale für eine verbesserte Vergabe von Studienplätzen an Bewerber schaffen können.“2
Zu Satz 1: Der WR zieht hierfür die Angaben der ZVS heran, die – wie schon im Unterkapitel IV.2, S. 86 dargelegt – bundesweit überhaupt die einzige Institution ist, die verlässliche Daten insbesondere zum Aufkommen an Bewerberpersonen liefert und veröffentlicht. Die niedrigen Annahmequoten (Ie/Z) von rund 50 % in BWL und Lebensmittelchemie hängen vermutlich damit zusammen, dass in diesen Fächern die Intensität der Nachfrage geringer war und hier auch leicht Substitute zu finden sind, z.B. BWL an Fachhochschulen oder VWL an Universitäten oder Chemie an Universitäten. Derartige Substitute sind in den medizinischen Fächern, in Psychologie und Rechtswissenschaft dagegen nicht oder kaum zu finden.3 Der hohe Konkurrenzdruck und der Mangel an naheliegenden Alternativen dürften die Gründe dafür sein, dass die Bewerber für die letztgenannten Fächer ggf. auch „ungeliebte“ Studienorte zweiter oder dritter Wahl häufig akzeptieren. Es fehlen ihnen schlichtweg die Alternativen in anderen Fächern und Studiengängen. In Satz 2 wird zutreffend bemerkt, dass die Möglichkeit der Mehrfachbewerbung4 der institutionelle Hintergrund für die „mangelhafte Verfahrenseffizienz“ sei. Entsprechend wäre jetzt eigentlich die Schlussfolgerung zu erwarten, dass die Möglichkeit der Mehrfachbewerbung einzuschränken sei, was aber zwangsläufig auf eine verstärkte Koordination des Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens hinauslaufen müsste. Zu Satz 3 und 4: Die Schlussfolgerungen, die hier gezogen werden, laufen auf das genaue Gegenteil dessen hinaus, was man nach Satz 2 erwarten dürfte. ___________ 2 Wissenschaftsrat (2004): Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs vom Januar 2004, S. 28. 3 Zum Problem eines Nebeneinanders von dezentraler und zentraler Koordination der Studienplatzvergabe von Studienvarianten, zwischen denen eine hohe Substituierbarkeit besteht, s. Unterkapitel IV. 2., S. 86f. 4 Es können nur weitere Bewerbungen unmittelbar an den Hochschulen in anderen Studiengängen gemeint sein, die nicht durch die ZVS vermittelt werden.
282
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
Zum Beleg beruft sich der WR auf eine Tabelle der ZVS, wonach die Annahmequote in allen durch die ZVS vergebenen Fächern im WS 2002/03 deutlich höher war, wenn diese Studienplätze (nach vorheriger Vermittlung durch die ZVS) unmittelbar von den Hochschulen vergeben worden waren (89%), als wenn diese Studienplätze direkt von der ZVS vergeben worden waren (62,3%). Hiermit hat es folgende Bewandtnis: In bestimmten Quoten hat die ZVS jene Bewerber selbständig ausgewählt, welche die besten Abiturnoten (Quote von 51% der Studienplätze) und die längste Wartezeit (Quote von 25% der Studienplätze) hatten, zus. 76%. Das sind diejenigen, bei denen die Annahmequote, wie vom WR moniert, nur bei 62,3% lag. Für die Ortsverteilung dieser Bewerber ging die ZVS wiederum nach zwei Quoten vor: eine geringere für die Bewerber mit den besten Abiturnoten (25%), und eine größere, in der auch bestimmte Sozialkriterien eine Rolle spielen (75%). Wenn nun die restlichen Bewerber (24%), die dann – nach einer Vorauswahl durch die ZVS – direkt von den Hochschulen ausgewählt wurden, auch zu einem höheren Prozentsatz ihren Studienplatz angenommen haben, ist dieses geradezu zwangsläufig. Für diese Bewerber war die Direktauswahl an der Hochschule „die letzte Chance“, während diejenigen mit den besten Abiturnoten vermutlich auch noch Alternativen in anderen Studiengängen hatten, die einer lokalen Zulassungsbegrenzung unterlagen und mithin nicht von der ZVS vergeben wurden. Außerdem brauchten die Hochschulen selbst weder Wartezeit noch Sozialkriterien zu berücksichtigen, und am Auswahlverfahren der Hochschulen nahmen die Bewerber nach ihren eigenen Ortswünschen teil. Hieraus folgt, dass ein Bewerber, der in die 24%-Quote für die direkte Auswahl durch die Hochschule gekommen ist, weder ein Sozialbewerber gewesen ist, noch ein Bewerber nach Wartezeit, sondern ein Bewerber, der jetzt die letzte Chance hatte, erstens einen Studienplatz überhaupt und zweitens dann auch noch genau an der gewünschten Hochschule zu erhalten. Dass bei diesen Bewerbern die Annahmequote besonders hoch ist, liegt auf der Hand, das Verhalten dieser Bewerbergruppe ist nicht repräsentativ für „das“ Bewerberverhalten bei der „Selbstauswahl“. Wenn eine derart spezielle Bewerbergruppe hohe Annahmequoten zeigt, kann das jedenfalls nicht einfach auf die Dezentralisierung des Auswahlverfahrens und die unmittelbare Auswahl durch die Hochschule selbst zurückgeführt werden. Dafür müsste Gleiches mit Gleichem verglichen werden. Das Annahmeverhalten der Bewerber an Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg mit einer Annahmequote von 35 Prozent bei einem Bewerberüberhang von 1,94 kann jedenfalls nicht die Hoffnung des WR bestätigen, dass in einem konsequent dezentralisierten Zulassungsverfahren und bei unmittelbarer Auswahl der Bewerber durch die Hochschulen die Annahmequote höher wäre als bei einer zentral koordinierten Zulassung. Es ist vielmehr zwangsläufig, dass es gerade mit der Dezentralisierung der Zulassung auch zu einer
3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband
283
Zunahme der Mehrfachbewerbungen kommen muss und damit zu jenen niedrigen Annahmequoten, die der WR für eine mangelhafte Verfahrenseffizienz verantwortlich macht. Diese Feststellung wird auch durch eine Erhebung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) bestätigt. Nachdem die Studiengänge Rechtswissenschaft (Staatsexamen) und Betriebswirtschaftslehre (Diplom) wegen rückläufiger Nachfrage nicht mehr durch die ZVS vergeben worden waren, hat die ZVS bei den Hochschulen die Zahl der Studienplätze (S), der eingegangenen Bewerbungen (BW), erfolgten Zulassungen (Z) und endgültigen Immatrikulationen (Ie) für das Wintersemester 2005/06 und das Sommersemester 2006 erhoben. Aus diesen Daten hat der Verfasser die folgenden Quotienten für das WS 05/06 errechnet: Tabelle 16 Kennziffern des dezentralen Zulassungsverfahrens in BWL und Rechtswissenschaft zum WS 05/06 Universitäten
Bewerbungsintensität BW/S Min
Max
Ø
BWL 33
1,16
15,2
Recht 39
1,24
11,1
Zulassungswahrscheinlichkeit Z/BW
Annahmequote Ie/Z
Kapazitätsauslastung Ie/S
Min Max*
Ø
Min
Max
Ø
Min
Max
Ø
3,06
0,22
3,7
0,6
0,1
0,5
0,45
0,42
1,02
0,83
3,69
0,35
2,75
0,76 0,18
0,83
0,31
0,64
1,16
0,87
* An einigen Universitäten in Nordrhein-Westfalen gab es deutlich mehr Zulassungen als Bewerbungen. In diesem Bundesland wird die Studienplatzvergabe weiterhin durch die ZVS koordiniert, welche aber jeder Hochschule nur die erste Präferenz als „Bewerbung“ zuordnet, während dort auch nachrangige Bewerbungen (ggf. zunächst nur pauschal für sämtliche Hochschulen des Landes bei der ZVS abgegeben) ebenfalls zu einer Zulassung führen können.
Auch hier geben die niedrigen Annahmequoten keinen Anlass zu der Hoffnung, dieselben könnten sich bei dezentraler „Selbstauswahl“ durch jede einzelne Hochschule erhöhen. Der ZVS-Umfrage lässt sich im Übrigen auch entnehmen, dass die beliebtesten und gesuchtesten Hochschulen keineswegs auch die höchsten Annahmequoten haben. So hatte die Hochschule mit der höchsten Bewerbungsintensität in BWL (Rechtswissenschaft) eine Annahmequote von 0,22 (0,21). Die Zahl der Bewerberpersonen und damit die tatsächliche Nachfrage lässt sich aus der erwähnten Erhebung naturgemäß nicht ermitteln. In seinen Empfehlungen fordert der WR durchaus ein „auf das Notwendige beschränkte(s) Maß an zentraler Koordinierung“ im Sinne logistischer Unter-
284
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
stützung, Informationsdienstleistung und ggf. auch einer Beschränkung der Mehrfachbewerbungen durch den Koordinator.5 Allerdings sind folgende Forderungen des WR tendenziell widersprüchlich: Einerseits sollen die Hochschulen und Fächer verstärkt hochschuleigene Eignungsfeststellungs- und Auswahlverfahren durchführen6, andererseits soll der Koordinator die Studienbewerber, welche noch keinen Studienplatz bekommen haben, darüber informieren, an welchen Hochschulen nach der ersten Auswahlrunde noch Studienplätze frei geblieben sind. Wenn aber derartige Bewerber noch eine weitere Chance erhalten sollen, dann bedeutet das für die Hochschulen, dass sie entweder auch noch zweite oder sogar dritte Auswahlrunden veranstalten müssen, oder aber gerade auf standardisierte und damit gemeinsame Messinstrumente für die Eignungsfeststellung zurückgreifen müssen, denen sich die Bewerber zuvor unterzogen haben müssen. Der Hinweis des WR auf den „University and College Admission Service“ (UCAS) in England/Wales7 als einer vorbildlichen Einrichtung verdeutlicht noch einmal, dass der WR einerseits die Notwendigkeit einer zentralen Koordination zur Einschränkung der Mehrfachbewerbungen sieht, andererseits die dezentrale Auswahl der Bewerber durch die Hochschulen befürwortet, drittens aber auch die Ausschöpfung der Kapazitäten gewährleistet sehen möchte.
b) Stifterverband Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie die Landesstiftung Baden-Württemberg unterstützen die Individualisierung der Zulassung an den Hochschulen. Die „Entscheidungshilfe“, welche sie den Hochschulen an die Hand geben8, konzentriert sich dabei vor allem auf Fragen der anzuwendenden Test- und Auswahlverfahren. Dabei wird ausgegangen von jenen neuen rechtlichen Regelungen, welche durch die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) im Juli 2004 für die bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengänge eingeführt worden sind. Danach können sich die Hochschulen 60 Prozent der Bewerber nach eigenen Kriterien aussuchen. Das Verfahren wird durch die ZVS koordiniert, die Bewerber können sich für bis zu 6 Hochschulen bewerben. Nachdem die verschiedenen Testverfahren vorgestellt und verschiedene Ent___________ 5
Ebd. S. 44. Ebd. S. 40. 7 Ebd. S. 44 und S. 91ff. 8 Trost/Haase (2005). 6
3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband
285
scheidungshilfen für die auswählenden Hochschulen formuliert worden sind, kommt die Schrift ganz am Ende auch noch auf „Fragen der Koordinierung“ zu sprechen: „Bei einer zunehmenden Individualisierung der Auswahlverfahren und der Bewerbungsprozesse erscheint es sinnvoll, Informationen über die Angebotsprofile, die Auswahlkriterien und die Auswahlverfahren der einzelnen Hochschulen jederzeit und mühelos abrufbar zu machen. Ferner sollten gleichzeitige Bewerbungen an mehreren Hochschulen koordiniert werden. In dem Falle, in dem ein Bewerber Zusagen mehrerer Hochschulen erhält, sollte das Freibleiben ungenutzter Plätze verhindert werden ... Die Hochschulen und die Wissenschaftsbehörden sollten prüfen, in welcher Form und durch welche Einrichtung diese Koordinierungsaufgaben geleistet werden können.“9
c) Gemeinsamkeiten Die „Empfehlungen“ des Wissenschaftsrates und die „Entscheidungshilfe“ des Stifterverbandes haben durchaus Gemeinsamkeiten: • Sie greifen die Tendenz zur Individualisierung und Deregulierung der Hochschulzulassung auf und verstärken die Forderung danach. • Sie erläutern diese Forderung aber durchweg mit Blick auf noch bestehende Formen der Koordination, nämlich in Hinblick auf jene Studiengänge, die bundesweit durch die ZVS vergeben wurden oder deren Vergabe auch in Zukunft weiterhin durch die ZVS koordiniert wird. Jene zahlreichen Studienvarianten, die einer solchen Koordination nicht unterliegen, weil die Studienplätze schon längst direkt durch die Hochschulen und ohne Vermittlung durch einen Koordinator vergeben werden („Örtlicher Numerus Clausus“), kommen auf diese Weise aber nicht in den Blick. Es geht dabei immerhin um knapp 4000 Studienvarianten oder rund 44 Prozent aller in Deutschland angebotenen Studienmöglichkeiten.10 • Es wird am Ende in mehr oder weniger allgemeiner Form die Notwendigkeit der Koordination betont. Die „Denkbewegung“ folgt also folgendem Muster: Die Kritik setzt am Schematismus bestehender Formen der Koordination an; es werden verschiedene Formen der Individualisierung der Hochschulzulassung vorgeschlagen, um dann wieder zu der Forderung nach Kooperation zu gelangen. Implizit wird ___________ 9
Ebd. S. 52. Vgl. die Statistik in Unterkapitel IV. 1., S 80.
10
X. Fallbeispiel Pädagogische Hochschulen
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dabei außerdem vorausgesetzt, dass es weiterhin so etwas gibt, wie eine Identität der Studienfächer über die Hochschulen hinweg; denn genau eine solche Identität war bisher die Voraussetzung für die Einbeziehung der entsprechenden Hochschulvarianten in die bundesweite Koordination der Studienplatzvergabe durch die ZVS. Die bestehenden Formen der Nicht-Koordination geraten dabei überhaupt nicht in den Blick, obwohl die „örtlichen Zulassungsbeschränkungen“ quantitativ doch von großer Bedeutung sind. In Hinblick auf die Hochschulzulassung gibt es in Deutschland drei Mengen von Studienplätzen11: 1. Zulassungsfreie Studienvarianten. 2. Zulassungsbeschränkte Studienvarianten in denselben Fächern mit zentraler Koordination. 3. Zulassungsbeschränkte Studienvarianten ohne zentrale Koordination. Bei der dritten Menge werden sich aber mit der Preisgabe gemeinsamer Standards die Probleme der Intransparenz und der Mehrfachbewerbungen in verstärkter Form stellen – vor allem, wenn sich die Identität der Fächer im Zuge der so stark befürworteten „Profilbildung“ der Hochschulen und der von ihnen angebotenen Studiengänge noch weiter auflösen sollte. Ziel der hier vorgelegten Untersuchung ist es gewesen, das Szenario einer konsequenten Dezentralisierung und Deregulierung auch konsequent durchzuspielen. Wenn sich die Nachteile des Standardisierungs- und Kooperationsverzichts bei der dritten Menge auf Dauer zeigen werden, ist folgende Entwicklung denkbar: Auch für die Studienvarianten nach Nr. 3 werden gerade wegen der individualisierten Zulassungsverfahren neue und veränderte Formen der Kooperation entwickelt – zumindest auf Landesebene. Ein deutlich schlechteres Szenario würde sich ergeben, wenn man sich noch einmal ein Ergebnis dieser Untersuchung am Ende von Kapitel VII., S. 222f. in Erinnerung ruft: Ein höchst zweifelhafter „Vorteil“ einer konsequent dezentralen Koordination der Studienplatzvergabe ohne Informationsaustausch liegt gerade darin, dass deren Suboptimalitäten und Ineffizienzen überhaupt nicht offen zu Tage treten können und deshalb auch nicht kritisierbar und verbesserbar sind. Die Herangehensweise des Wissenschaftsrates und des Stifterverbandes bestätigt diese Diagnose, weil sie sich zwar ausführlich mit den Problemen der bestehenden Koordination auseinandersetzen, ohne auch nur einen Blick auf jene Probleme zu werfen, die sich aus der schon längst bestehenden Nicht___________ 11
Vgl. Kapitel II., S. 49f.
3. Zu Stellungnahmen von Wissenschaftsrat und Stifterverband
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Koordination ergeben. Deren Ineffizienzen werden nur deshalb nicht wahrgenommen, weil niemand die Daten dafür erhebt, während der zentrale Koordinator schon allein deshalb kritisierbar ist, weil er die einzige Institution ist, die in der Lage ist, die relevanten Daten zu erheben, zu aggregieren und dann auch zu veröffentlichen.12
___________ 12 Vgl. Unterkapitel IV. 2., S. 85ff. und IV. 3., S. 103f., sowie Unterkapitel VI. 2. b), S. 140-161.
XI. Ergebnisse und Vorschläge 1. Ergebnisse Einige Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung einer konsequent deregulierten und dezentralisierten Vergabe von Studienplätzen seien hier noch einmal zusammengefasst.
Abkürzung MFB = Mehrfachbewerbung(en) Seite Statistik Wenn die in Bewerbungen geäußerte Nachfrage die tatsächliche Nachfra- 85f., ge übersteigt, ist die Informationslage über die tatsächliche Nachfrage bei de- 101f. zentraler Koordination zwangsläufig schlecht. Das zeigt sich auch in der amtlichen Statistik. Eine empirische Erforschung des Bewerbungsverhaltens der Bewerber durch eine repräsentative Befragung steht vor großen methodischen 88ff. Problemen, wenn dadurch die tatsächliche Nachfrage (die Zahl der Bewerberpersonen) ermittelt werden soll. Die tatsächliche Nachfrage nach Studienplätzen lässt sich für eine Teil- 157 menge aller Hochschulen umso schlechter ermitteln, je kleiner diese Teilmenge im Verhältnis zum sonstigen Bewerbungsgebiet der Bewerber ist. Das gilt auch für die Durchführung repräsentativer Befragungen. Suboptimalitäten und Ineffizienzen in der Endverteilung werden bei kon- 221f. sequent dezentraler Studienplatzvergabe ohne Informationsaustausch nicht offenbar und sind damit auch nicht kritisierbar. Dezentrale vs. Zentrale Koordination Eine pauschale „Joker“-Bewerbung für irgendeinen Studienplatz im ge- 171f. wünschten Studienfach ist bei konsequenter Dezentralisierung nicht möglich. Diese Unmöglichkeit zwingt auch den indifferenten Bewerber zur MFB.
1. Ergebnisse
289 Seite
Besteht neben der dezentralen Koordination für einen Teil der Studien- 86f. varianten eine zentrale Koordination, dann erfasst die Strategie der MFB auch die zentral koordinierte Studienplatzvergabe, wenn Substitutionsbeziehungen zu den Studienvarianten ohne Koordination bestehen. In diesem Fall ist auch bei zentral koordinierter Studienplatzvergabe mit sinkenden Annahmequoten (endgültige Immatrikulationen pro Zulassung, Ie/Z) zu rechnen. Durch die Empirie lässt sich die Behauptung nicht stützen, dass die An- 282f. nahmequoten (Ie/Z) höher sind, wenn die Studienplätze unmittelbar durch die Hochschulen vergeben werden, als wenn sie durch einen Koordinator vergeben werden. Entstehungsbedingungen für MFB Zahlreiche Kapazitätsbeschränkungen entstehen im Falle einer allgemei- 126f. nen Übernachfrage nach Studienplätzen dann, wenn die Struktur des Angebots der Struktur der Nachfrage sehr gut entspricht. Im Falle eines allgemeinen Überangebots an Studienplätzen ist mit zahlreichen Kapazitätsbeschränkungen dann zu rechnen, wenn die Struktur von Angebot und Nachfrage sich gerade nicht entsprechen. Die Einführung von Kapazitätsbeschränkungen für einzelne Studienvari- Ebd. anten kann Kettenreaktionen hervorrufen, in deren Verlauf für immer mehr Studienvarianten Kapazitätsbeschränkungen eingeführt werden, ohne dass die tatsächliche Nachfrage gestiegen ist. Es entsteht eine zunehmende Diskrepanz zwischen geäußerter und tatsächlicher Nachfrage. Unsicherheit MFB werden motiviert durch die Unsicherheit des Nachfragers darüber, 58f. ob ein gewünschter Studienplatz erlangt werden kann. Im deutschen Hochschulsystem entsteht eine solche Unsicherheit bei der Einführung von Kapazitätsbeschränkungen und bei hochschulspezifischen Eignungsfeststellungsverfahren unabhängig von einer formellen Festsetzung der Kapazität. Bei Unsicherheit über die individuelle Zulassungschance ist eine MFB aus 195f. der Sicht eines individuellen Bewerbers rational. Die Zahl der MFB erhöht sich um bloße Optionsbewerbungen, denen noch 171ff. gar keine echte Präferenzbildung zu Grunde liegt. Die Zahl der Bewerbungen eines Bewerbers verringert sich, wenn der Be- 193 werber die Wahrscheinlichkeit für die Zulassung in einer Studienvariante nahe 0 (unmöglich) oder nahe 1 (sicher) einschätzen kann.
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XI. Ergebnisse und Vorschläge Seite
Ist es den Hochschulen erlaubt, erst im laufenden Bewerbungsverfahren 59 die Kapazität zu definieren und damit kurzfristig die Zahl der Studienplätze zu beschränken, dann provoziert dieses Zulassungsunsicherheit bei den Bewerbern und damit MFB. Die Unsicherheit der Bewerber erhöht sich des Weiteren, wenn die Hoch- 52 schulen sich große Ermessensspielräume bei der Bewertung der Bewerber offen halten. Dieses betrifft insbesondere die Bewertung außerschulischer Leistungen. Des Weiteren steigt die Unsicherheit, wenn hochschuleigene Tests 194, erst nach der Bewerbung durchgeführt werden, deren Ergebnis also vor der 220 Bewerbung noch nicht feststeht. Die Unsicherheit über die individuellen Erfolgschancen im Falle einer Ka- 194f. pazitätsbeschränkung ist eine Folge unvollständiger Information über eine noch zukünftige Konkurrenzsituation und bei Eignungsfeststellungsverfahren über die Bewertungskriterien und Erfolgschancen. Die Unvollständigkeit der Information liegt einerseits in der Natur der Sache (z.B. schwankende Bewerberzahlen), zum anderen erhöht sich diese Unsicherheit bei einer großen Vielzahl der anbietenden Hochschulen, bei einer Unvergleichbarkeit der Auswahlverfahren sowie infolge der Nicht-Bereitstellung der erforderlichen Informationen. Die einzige, im Prinzip zugängliche und zugleich zuverlässige Angabe für die fiktive, statistische Zulassungswahrscheinlichkeit pz eines „beliebigen Bewerbers“ für eine bestimmte Studienvariante aus der Vergangenheit ist die Relation Zulassungen pro Bewerbung (Z/BW). Diese Angabe ist aber nur eine sehr eingeschränkt taugliche Messgröße für die tatsächliche, individuelle Zulassungserwartung pE eines konkreten Bewerbers. Eine einigermaßen sichere Abschätzung der individuellen Zulassungswahrscheinlichkeit würde die Bereitstellung außerordentlich differenzierter Informationen durch die Hochschulen voraussetzen, die insbesondere im Falle jeweils unterschiedlicher Zulassungsverfahren kaum zu erwarten ist. Führen die Hochschulen hochschuleigene Tests durch, dann gibt die Quote Z/BW die statistische Zulassungswahrscheinlichkeit der Testteilnehmer zu gering an.
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Verfahrensbelastung Die Einführung hochschulspezifischer Tests durch einige Hochschulen 220f. begründet bei hinreichend großem Nachfrageüberhang einen Systemdruck für die anderen Hochschulen, derartige Tests ebenfalls einzuführen, um sich vor Bewerbungen nachrangiger Präferenz zu schützen. Der Fall ist theoretisch denkbar, dass die Bewerbungsintensität (Bewer- 135f., bungen pro Studienplatz: BW/S) bei Hochschulen der nachrangigen Wahl 167 höher ist als bei Hochschulen der vorrangigen Wahl. Die Bewerbungsinten-
1. Ergebnisse
291 Seite
sität braucht mit der Nachfrageintensität (Bewerber pro Studienplatz: B/S) bei 135f. der einzelnen Hochschule nicht positiv zu korrelieren. Dieses gilt erst recht für die Bewerbungsbelastung der Hochschulen (Bewerbungen pro endgültige Immatrikulation: BW/Ie) und auch für die Kapazitätsauslastung Ie/S. Kleine und wenig gesuchte Hochschulen haben mit einer höheren Verfah- 229 rensbelastung infolge niedriger Annahmequoten (endgültige Immatrikulationen pro endgültige Zulassung, Ie/Z) zu rechnen als beliebte und große Hochschulen. Andere Konstellationen sind denkbar. Eine Zunahme der Nachfrageintensität (Bewerber pro Studienplatz: B/S) 232f. wird zunächst zu sinkenden Annahmequoten führen (endgültige Immatrikulationen pro Zulassung: Ie/Z), wenn die Hochschulen dieselben Spitzenbewerber bevorzugen. Steigt die Anzahl der Bewerber pro Studienplatz, sind die Hochschulen 166 von einer Zunahme der Mehrfachbewerbungen durchschnittlich mehr betroffen als der einzelne Bewerber: Die Zahl der Bewerbungen pro Studienplatz steigt stärker als die Zahl der Bewerbungen, die ein einzelner Bewerber schreibt: BW/S>BW/B. Der Verfahrensaufwand infolge nicht angenommener oder zurückgegebe- 229 ner Studienplätze ist außerordentlich hoch, wenn die Präferenzen der Bewerber und die Präferenzen der Hochschulen nicht korrelieren und wenn kein Nachfrageüberhang besteht. Die variablen Kosten für die endgültige Besetzung eines Studienplatzes 104, sind – bei gegebener Zahl der Studienplätze – insbesondere abhängig von den 241 Kosten für die Bearbeitung einer Bewerbung, von der Zahl der Bewerber (B) und von der Zahl der Bewerbungen, welche diese Bewerber im Durchschnitt schreiben (= Bew = BW/B). Wegen der zugrunde liegenden Multiplikationsbeziehung BBew ist eine besonders erfolgversprechende Strategie zur Kostensenkung die Reduzierung von Bew (bzw. BW). Gesamtkosten pro Bewerbung aus der Vergangenheit taugen bei mehrstu- 116ff. figen Auswahlverfahren nicht für prognostische Zwecke. Steigt die Zahl der Bewerbungen Bew eines repräsentativen Bewerbers, 258f. erhöht sich der prozentuale Anteil der gesamten Bewerbungskosten erheblich, welche allein durch MFB verursacht werden. Dieser Anteil beträgt 1B/BW (B = Bewerber, BW = Bewerbungen). Bei starkem Bewerberüberhang haben die nicht erfolgreichen Bewerber 243 bei weitem den größten Teil jener Kosten zu tragen, die der Bewerberseite insgesamt entstehen. Ihr Kostenanteil ist mindestens 1S/BW (S = Studienplätze, BW = Bewerbungen) und liegt wahrscheinlich noch höher.
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XI. Ergebnisse und Vorschläge Seite
Mit der Einführung von Bewerbungsgebühren haben die Hochschulen ei- 254 nen außerordentlich wirkungsvollen „Hebel“, um ihre eigenen Kosten pro Bewerbung zu reduzieren und gleichzeitig die absolute Zahl der Bewerbungen zu senken. Reduziert sich die Zahl der Mehrfachbewerbungen, sei es infolge von Be- 221, werbungsgebühren, sei es infolge von Terminüberschneidungen für Tests, 255 Bewerbungsgespräche und dgl., dann steigt die Wahrscheinlichkeit einer inferioren Allokation: Studienplätze bleiben unbesetzt, obwohl es dafür eigentlich noch geeignete Bewerber gegeben hätte. Äußerliche und zufällige Ereignisse (wie Terminüberschneidungen) können zu einer Verzerrung der geäußerten Präferenzen führen. Ob die Gesamtkosten der Bewerberseite und des Allokationsverfahrens 250, insgesamt mit steigenden Bewerberkosten für eine Bewerbung steigen, gleich 259 bleiben oder sinken, hängt davon ab, welche konkrete Gestalt die fallende Bewerbungsfunktion (in Abhängigkeit von den Bewerbungskosten der Bewerber) hat. Bewerbungsfunktion Das theoretische Maximum an Bewerbungen, welche die Bewerber für 174f. kapazitätsbeschränkte Studienvarianten verfassen können, steigt mit der Zahl der Hochschulen, welche kapazitätsbeschränkte Studienvarianten anbieten. Die konkrete Zahl der Bewerbungen eines Bewerbers mit erster Präferenz 161 für eine kapazitätsbeschränkte Studienvariante hängt von der Art seiner Präferenzbildung ab und lässt sich im Einzelfall nicht vorhersagen. Es liegt aber die Hypothese nahe, dass die Bewerbungsaktivität eines „repräsentativen Be- 197 werbers“ für ein kapazitätsbeschränktes Fach u.a. von der Konkurrenzsituation in der Vergangenheit und von dem Aufwand abhängt, den eine einzelne Bewerbung beim Bewerber verursacht. Zunehmende Konkurrenz um Studienplätze wirkt gemäß dieser Annahme steigernd auf die Bewerbungsaktivität, zunehmender Aufwand pro Bewerbung wirkt dämpfend. Versucht man eine Bewerbungsfunktion für die Zahl der Bewerbungen 207f. von Bewerbern mit erster Präferenz für ein bestimmtes, kapazitätsbeschränktes Studienfach F1 aufzustellen, in welche die Variablen Bewerberzahl (B) und Hochschulzahl (H) eingehen sowie eine Größe q (q 1), welche das individuelle Bewerbungsmaximum H als Faktor (B·H·q) oder Exponent (B·Hq) erniedrigt, dann lässt sich eine Gesamtfunktion der Bewerbungen für alle kapazitätsbeschränkte Fächer F1, F2, ..., Fn nicht unmittelbar aus den Bewerbungsfunktionen für sämtliche kapazitätsbeschränkte Fächer gewinnen. Empirische Untersuchungen über das tatsächliche Bewerbungsverhalten sollten auf der fächerspezifischen Ebene ansetzen.
2. Schlussfolgerungen
293 Seite
Verteilungseffizienz Eine Inferiorität des Allokationsverfahrens (kein Studienplatz bleibt unbe- 213 setzt, wenn es dafür noch geeignete Interessenten gibt) lässt sich nur vermeiden, wenn es hinreichend viele MFB der Bewerber gibt. Im Extremfall ist Nicht-Inferiorität nur dann gewährleistet, wenn sich die Bewerber an sämtlichen Hochschulen bewerben, die für sie überhaupt nur in Frage kommen. Es kann ein Zielkonflikt bestehen hinsichtlich der Verteilungsoptimalität 214, aus Bewerbersicht und Verteilungseffizienz aus Hochschulsicht. Eine bewer- 216 beroptimale Verteilung ist nur dann gewährleistet, wenn kein Nachfrageüberhang besteht und die Bewerber sich mehrfach beworben haben. Im Falle eines Nachfrageüberhanges können die Hochschulen dagegen im Konfliktfall ihre Präferenzen gegen die Bewerber durchsetzen. Eine sowohl aus Bewerbersicht wie aus Hochschulsicht optimale Endver- 222 teilung ist bei dezentraler Allokation nur dann gewährleistet, wenn die Präferenzfolgen der Bewerber in Hinblick auf die Hochschulen und die Präferenzfolgen der Hochschulen in Hinblick auf ihre Bewerber positiv hoch korreliert sind; wenn also eine Hochschule genau jene Bewerber bevorzugt, welche diese Hochschule bevorzugen.
2. Schlussfolgerungen Es zeigt sich, dass ein konsequent dezentralisiertes und dereguliertes Allokationsverfahren für Studienplätze im Falle eines relativ großen Nachfrageüberhanges erhebliche Nachteile mit sich bringt. Ein solches Verfahren ist vor allem sehr aufwändig und führt zu ungleicher Kostenbelastung der Beteiligten. Außerdem gibt es einen Zielkonflikt zwischen einer Reduktion der Mehrfachbewerbungen und einer optimalen Güterallokation bzw. effizienten Verteilung der Studierenden auf die Hochschulen. Lassen sich diese Nachteile verringern? Zur Beantwortung dieser Frage beziehe ich mich auf Grundlinien der Argumentation, wie sie von Homan/Suchanek in ihrer Interaktions-Ökonomik vorgetragen werden. Wettbewerb ist danach grundsätzlich als eine erwünschte Institution anzusehen, welche die Erzielung von Kooperationsgewinnen ermöglicht.1 Die Einigung auf bestimmte Spielregeln erlaubt es den Akteuren, ggf. ___________ 1
Homann/Suchanek, S. 16.
294
XI. Ergebnisse und Vorschläge
bestimmte Dilemmastrukturen zu überwinden und erwünschte Formen der Kooperation zu entwickeln, welche die kooperierenden Akteure vor Ausbeutung durch nicht kooperierende Akteure schützen. Es bedarf ggf. institutioneller Einrichtungen und gesellschaftlicher Garantien, um derartige Dilemmastrukturen zu überwinden, Kooperation und Wettbewerb sind kein Widerspruch. Insbesondere die Nachfrager nach Studienplätzen, aber auch die Anbieter sehen sich bei einer konsequent dezentralen Koordination der Studienplatzvergabe vor die folgenden Dilemmata gestellt.
a) Dilemmastrukturen Nachfrager/Bewerber Ein Bewerber kann zweifellos erkennen, dass eine hohe Bewerbungsaktivität sämtlicher Bewerber die Erfolgschancen des einzelnen Bewerbers nicht erhöht, während sein persönliches Aufwandsniveau und das gesamte Aufwandsniveau des Bewerberkollektivs steigt. Da der Bewerber aber nicht voraussetzen kann, dass seine Mitbewerber sich in ihren Bewerbungsaktivitäten beschränken werden, würde er selbst Nachteile erleiden, wenn er dieses täte. Es ist grundsätzlich wünschenswert, dass Nachfrager ihre Präferenzen offenbaren, insbesondere durch Signalisierung ihrer Zahlungsbereitschaft. In Bewerbungsverfahren gibt es aber starke Anreize, die wahren Präferenzen zu verbergen, z.B. wenn die gewünschte Hochschule eigentlich nur dritte oder vierte Wahl des Bewerbers ist. Würde der Bewerber dieses ehrlich angeben, müsste er ggf. Nachteile gegenüber Bewerbern hinnehmen, die nicht ehrlich sind.
Anbieter/Hochschulen Es hat sich in Deutschland gezeigt, dass die so genannte „Selbstauswahl“ unmittelbar durch die Hochschulen vor allem von solchen Hochschulen oder Studiengängen eingeführt worden ist, die sehr begehrt sind. Diese Erscheinung steht in Zusammenhang mit Vorgängen der erwünschten Eliten- und Profilbildung. Mit der Einführung einer solchen „Selbstauswahl“ sind einstweilen Prestige- und Distinktionsgewinne verbunden, weil die Hochschule signalisiert, dass die Auswahl der richtigen Bewerber ihr einerseits etwas wert ist, und dass sie keineswegs gezwungen ist, jeden Bewerber zu nehmen, kurz: dass die Hochschule selbst und die von ihr Erwählten „etwas Besonderes“ sind. Auf der anderen Seite sind mit der Einführung solcher individualisierter Auswahlverfahren allgemeine Verluste an Transparenz und Vergleichbarkeit sowie ein erhöhter Aufwand verbunden. Eine Hochschule, die weiterhin an herkömmlichen,
2. Schlussfolgerungen
295
eher anonymen und standardisierten Zulassungsverfahren festhält, setzt sich damit der Gefahr aus, in den Ruf einer wenig gesuchten, profillosen „Allerweltshochschule“ zu gelangen, und sie hat höheren Verfahrensaufwand infolge nachrangiger Präferenzen zu befürchten. Von denen, die sich gemeinsamen Auswahlregeln entziehen, geht also ein Druck aus auf andere, die Regelkonformität ebenfalls zu verlassen. Führen aber alle Hochschulen individualisierte Auswahlverfahren ein, schwinden die Distinktionsgewinne jedenfalls teilweise wieder – allerdings auf einem insgesamt erhöhten Aufwandsniveau. Eine ähnliche Problematik besteht in Hinblick auf die „Informationspolitik“ hinsichtlich der Zulassungsverfahren. Von der Bewerberseite her wäre es eigentlich wünschenswert, klare und eindeutige statistische Daten zu bekommen. Es ist aber leicht vorstellbar, dass insbesondere einer wenig gesuchten Hochschule die ehrliche und vollständige Veröffentlichung solcher Daten zum Nachteil ausschlägt gegenüber einer vergleichbaren Hochschule, die derartige Daten nicht oder unvollständig veröffentlicht. Die wünschenswerte Veröffentlichung vollständiger Daten ist daher nur dann zu erwarten, wenn dem Ehrlichen dadurch kein Nachteil entsteht. Dieses wäre nur dann zu gewährleisten, wenn sich sämtliche Hochschulen auf gemeinsame Informationsstandards einigen würden. Bevor nun gefragt wird, ob sich derartige Dilemmastrukturen durch Kooperation überwinden lassen, ohne dass dadurch erwünschte Formen des Wettbewerbs behindert werden, ist wenigstens in groben Zügen zu klären, was vom Wettbewerb zwischen Hochschulen und Bewerbern sinnvollerweise zu erwarten ist und wie die Interessenlage der Akteure ist.
b) Ziele des Wettbewerbs und Interessenlagen Mit dem Wettbewerb unter den Hochschulen sollten sinnvoller Weise – neben anderen – die folgenden Ziele verbunden sein: • • • • •
Effizienter Einsatz der Ressourcen Nachfrageorientierung des Angebots Ausschöpfung der Kapazitäten Qualitativ hochwertiges Angebot Auswahl der am besten geeigneten Bewerberinnen und Bewerber.
Auf der Bewerberseite sollten mit dem Wettbewerb um Studienplätze sinnvoller Weise – neben anderen – folgende Ziele verbunden sein: • Leistungsorientierung • Gezielte und überlegte Studienwahl.
296
XI. Ergebnisse und Vorschläge
Im besten Falle konkurrieren die jeweiligen Studienvarianten um die für sie jeweils am besten geeigneten Bewerber, und die Bewerber konkurrieren um die für sie jeweils am besten geeigneten Studienvarianten. Die Interessenlage der Beteiligten ist aber nicht in jeder Hinsicht dieselbe.
Nachfrager/Bewerber Insbesondere bei einem Überhang der Nachfrage befinden sich die Nachfrager in einer deutlich schwächeren Position. Ihre Konkurrenz verschärft sich, die Unsicherheit wächst und motiviert steigende Bewerbungsaktivität und damit steigende Bewerbungskosten. Die anonyme Menge individualisierter Nachfrager ist nicht organisierbar, die Anbieterseite ist marktökonomisch und institutionenökonomisch in einer ungleich besseren Position.2 Es besteht daher ein gewisses, allgemeines Interesse, dass die Position der Nachfrager gestärkt und zur Geltung gebracht werden kann. Die Nachfrageseite insgesamt hat tendenziell ein Interesse daran, dass im Falle des Nachfrageüberhanges die Informationsund die Bewerbungskosten auf der Bewerberseite gering sind. Insgesamt besteht bei den Nachfragern auch ein Interesse an verlässlichen und umfassenden Informationen über die Zulassungsverfahren, da diese den Bewerbern erlauben, ihre Bewerbungsstrategien entsprechend einzurichten, überflüssige Bewerbungen zu vermeiden und ihre Informations- und Bewerbungskosten zu senken. Die Interessen sind aber auf der Bewerberseite nicht durchweg dieselben. Falls hohe Kosten für eine Bewerbung entstehen, könnten wohlhabende Bewerber an diesem Zustand sogar ein Interesse haben, weil sich ihre Zulassungschancen dadurch gegenüber weniger zahlungskräftigen Bewerbern erhöhen würden. Des Weiteren ist die Situation von solchen Bewerbern eine viel bessere, die mit einer relativ sicheren Zulassung rechnen können, als die Position derjenigen, die ihrer Zulassung sehr unsicher sind. Den mittelmäßigen oder „schlechten“ Bewerbern entstehen bei dezentraler Koordination deutlich mehr Kosten als den guten bzw. sehr guten.
___________ 2 Dieses zeigt sich schon allein daran, dass in allen Diskussionen über die Hochschulzulassung verschiedene Institutionen und insbesondere die Hochschulen reichlich zu Wort kommen, während die Seite der potentiellen Bewerber faktisch ohne jede Interessenvertretung und ohne jede Stimme ist – im Unterschied beispielsweise zu den Studenten. Diese Sprachlosigkeit der einen Seite des Geschehens ist ein unhaltbarer Zustand. Im Übrigen vgl. Olson (1968/2004), S. 163-164.
2. Schlussfolgerungen
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Vorausgesetzt, dass es derart eindeutige Kriterien für die Hochschulzulassung gibt, welche „Spitzenbewerbern“ eine relativ sichere Zulassung vorauszusehen erlauben, dann kann eine solche Spitzengruppe sogar ein Interesse an individualisierten Zulassungsverfahren haben, falls sie auf diese Weise z.B. in die Lage gerät, bestimmte, vorteilhafte Studienbedingungen aushandeln zu können. Des Weiteren können die Mitglieder solcher Spitzengruppe ggf. Vorteil davon ziehen, dass sie gleichzeitig mehrere Eisen (Bewerbungen) erfolgversprechend „im Feuer“ haben, so dass sie in der Lage sind, noch zu einem relativ späten Zeitpunkt aus mehreren Angeboten auswählen zu können. Schließlich kann es sein, dass die Mitglieder der Spitzengruppe sogar ein Interesse an einer Verknappung des Angebotes haben: Die Exklusivität der Ausgewählten steigt dadurch und – ceteris paribus – verbessern sich noch ihre Studienbedingungen. Die Bewerbergruppe der Unentschiedenen wiederum hat ein spezielles Interesse daran, sich mit möglichst kostengünstigen Mehrfachbewerbungen viele Optionen möglichst lange offen halten zu können. Dieses Interesse kann insbesondere dann wirksam werden, wenn der Nachfrageüberhang nicht sehr erheblich ist. Die Interessen dieser Bewerbergruppe kollidieren mit den Interessen der „entschlossenen“ Bewerber, da die Optionsbewerbungen der Unentschlossenen das gesamte Bewerbungsaufkommen erhöhen und die relative Position der Entschlossenen verschlechtert. Die Bewerbergruppe der Kurz- und der Spätentschlossenen hat schließlich ein Interesse daran, sich noch kurzfristig in ein laufendes Bewerbungs- und Zulassungsverfahren „einklinken“ zu können und einen Studienplatz zu bekommen. Das betrifft insbesondere – aber nicht nur – Studiengänge, die nicht kapazitätsbeschränkt sind. Die nicht sehr begüterten Bewerber haben auf keinen Fall ein Interesse daran, dass erhebliche Bewerbungsgebühren erhoben werden, und die mittelmäßigen und schlechten Bewerber können kein Interesse daran haben, dass das Angebot möglicherweise noch weiter eingeschränkt wird. Als Gruppe insgesamt haben sie auch kein (kollektives) Interesse daran, dass sie nur mit einer außerordentlich hohen Bewerbungsaktivität ihre Chancen auf einen Studienplatz überhaupt wahren können.
Hochschulen Jede Hochschule muss ein Interesse haben, unter den für sie am besten geeigneten Bewerbern auswählen zu können. Ein gewisses Maß (nicht zu viel, nicht zu wenig) an Nachfrageüberhang sollte ihr deshalb erwünscht sein. Sodann haben die Hochschulen ein Interesse daran, die Kosten der Auswahlverfahren gering zu halten. Damit ist die Frage nach kostengünstigen und
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XI. Ergebnisse und Vorschläge
verlässlichen Messinstrumenten bzw. „Filtern“ dringlich. Einen derartigen Filter liefert üblicherweise das Schulsystem mit Zeugnisnoten und ähnlichen standardisierten Informationen. Das Hochschulsystem muss daher schon unter Auswahlgesichtspunkten an der Verlässlichkeit und der Vergleichbarkeit der vom Schulsystem gelieferten Leistungsbeurteilung interessiert sein. Wenn die Hochschulen noch weitere Instrumente der „Personalauswahl“ einsetzen wollen, dann sollten diese ebenfalls kostengünstig und zuverlässig sein. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Hochschulen den Einsatz derartiger Instrumente aus dem eigenen Etat zu bezahlen haben. Um die Kosten des Auswahl- und Besetzungsverfahrens gering zu halten (hohe Annahmequoten bei Überbuchung), liegt es im Interesse der Hochschulen, verlässliche Daten über das tatsächliche Bewerberaufkommen (Bewerberpersonen) und die tatsächlichen Präferenzen der Bewerber zu bekommen. Dieses wäre z.B. der Fall, wenn die Hochschulen die Bewerbungen mit erster Präferenz erkennen könnten. Keineswegs ganz eindeutig ist das Interesse der auswählenden Institutionen und Personen, dass die Auswahlkriterien und -verfahren detailliert auf sozusagen nachvollziehbare Algorithmen festgelegt sind. Subjektive Bewertungsspielräume können sachlich gerechtfertigt sein, andererseits kann sich dahinter auch das Interesse verbergen, sich einer Überprüfbarkeit der Entscheidungen zu entziehen, um in einer „Grauzone“ ungestört operieren zu können. Insbesondere im Falle eines großen Nachfrageüberhanges kann auch ein Interesse bestehen, sich durch offene oder verdeckte Kooperation dem Wettbewerb zu entziehen und dafür zu sorgen, dass ein allen Hochschulen erwünschtes Maß an Nachfrageüberhang dauerhaft bestehen bleibt. Die Chancen für die Realisierbarkeit einer Angebotsverknappung durch Hochschul-Kartelle stehen nicht schlecht – es sei denn, die Verwaltungsgerichte schieben dem einen Riegel vor. Bei einer konsequent deregulierten Zulassung ergibt sich für die Hochschulen aber auch noch eine andere Chance, den Wettbewerb zu unterlaufen: Wenn die Zulassungsbedingungen, -verfahren und -ergebnisse sich in der vielfältigsten Weise unterscheiden, schwindet beim Nachfrager die Möglichkeit des Vergleichs. Derartige Vergleichsschwierigkeiten infolge unterschiedlicher Konditionen sind beispielsweise bekannt aus dem „Tarifdschungel“ von TelekomAnbietern oder bei der unterschiedlichen Gestaltung von Kreditkonditionen durch Kreditgeber. Ansonsten ist die Interessenlage in Hinblick auf dezentrale Koordination auf Hochschulseite zu differenzieren: Kleine und weniger gesuchte Hochschulen haben relative Nachteile gegenüber großen und sehr beliebten Hochschulen.
2. Schlussfolgerungen
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Die Öffentlichkeit Insbesondere, wenn (steuer-)zahlende Dritte das Hochschulsystem mehr oder weniger (mit-)finanzieren, muss diesem Personenkreis an einem funktionierenden und zugleich kostengünstigen Wettbewerb gelegen sein. Die Auswahlsituation betreffend, dürfte ein leichter Nachfrageüberhang auf beide Seiten besonders leistungsmotivierend wirken. Ein hoher Nachfrageüberhang verschafft den Hochschulen dagegen eine ungünstige Marktmacht. Damit verringert sich auch der Anreiz, das Angebot an der Nachfrage auszurichten.3 Außerdem entwickeln hoch formalisierte Auswahlverfahren in dieser Situation leicht eine pseudoexakte Rechtfertigungsfunktion, die sachlich nicht zu begründen ist (Zehntelpunkte, welche für Bewerber A gegen Bewerber B den Ausschlag geben usw.). Werden aber solche formalisierten Auswahlverfahren nicht eingesetzt, dann setzt sich die auswählende Institution sofort dem Verdacht der Willkür aus. Bei schwer nachprüfbaren, nicht formalisierten Zulassungsverfahren und einer entsprechenden Publikation ihrer Ergebnisse besteht auf lange Frist auch die Gefahr der Korruption. Schon an der Möglichkeit des Verdachts der Korruption bei der Studienplatzvergabe kann die Öffentlichkeit kein Interesse haben.4 Ein dauerhafter, starker Nachfrageüberhang scheint auch verfassungsrechtlich bedenklich, wenn dadurch die Freiheit der Berufswahl in der Konsequenz stark eingeschränkt wird. Im Falle eines allgemeinen Nachfrageüberhanges besteht stets ein öffentliches Interesse an einer gewissen Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Verfahren. Angesichts der großen Bedeutung des tertiären Bildungsbereichs für verschiedene gesellschaftliche und ökonomische Bereiche liegt es auch nahe, dass die Erfüllung bestimmter gesellschaftspolitischer Ziele an die Hochschulen herangetragen wird – bei der Hochschulzulassung z.B. die Berücksichtigung bestimmter sozialer Faktoren oder von Minderheiten. So gibt es z.B. gute Gründe ___________ 3
Es ist aber daran zu erinnern, dass eine hohe Strukturgleichheit von Angebot und Nachfrage im Falle eines allgemeinen Nachfrageüberhanges auch zu flächendeckender Einführung von Kapazitätsbeschränkungen führt und dann im Falle der dezentralen Koordination ein außerordentlich hohes Maß an Mehrfachbewerbungen motiviert, vgl. Unterkapitel V. 2., S. 121f. 4 Spricht man dem „subjektiven Faktor“ eine unhintergehbare Berechtigung in Angelegenheiten der Personalauswahl zu, dann ergibt sich zwangsläufig in einer öffentlich so bedeutsamen Angelegenheit wie der Studienplatzvergabe die Wahl zwischen zwei Übeln. Verzichtet man auf diesen subjektiven Ermessensspielraum, wird der Vorwurf des „bloßen Schematismus“ erhoben, welcher der Persönlichkeit des Bewerbers nicht gerecht werden könne. Führt man aber Möglichkeiten der subjektiven Persönlichkeitseinschätzung ein, kann sofort der Vorwurf einer nicht kontrollierbaren „Willkür“ erhoben werden, in der „Beziehungen“ und dergleichen eine Rolle spielen.
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XI. Ergebnisse und Vorschläge
dafür, dass Schwerbehinderte oder junge Familien mit Kindern bei der Wahl eines bestimmten Studienortes in einem gewissen Maße besonders zu berücksichtigen sind. Die Berücksichtigung derartiger Faktoren liegt aber weder im unmittelbaren Interesse der Hochschulen noch der großen Mehrheit der Bewerber. Die Berücksichtigung sozialer Faktoren ist bei dezentraler Zulassung deutlich schlechter zu gewährleisten und zu überprüfen als bei stärker koordinierter Zulassung.
Verfahrenskooperation Es zeigt sich, dass sowohl auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite jeweils gemeinsame wie konfligierende Interessen bestehen, des Weiteren gemeinsame und unterschiedliche Interessen zwischen Nachfrage- und Angebotsseite. Am wenigsten interessiert an stärkerer Kooperation sind besonders gesuchte Hochschulen, Bewerber mit hohen Zulassungschancen und ggf. besonders vermögende Bewerber. Immerhin sind aber alle Beteiligten an einer Ausschöpfung der bestehenden Kapazitäten und an geringen Transaktionskosten bei der Bewerberauswahl und der Besetzung der Studienplätze interessiert, Letzteres mit der Ausnahme der betuchten Bewerber. Die Kapazitätsausschöpfung ließe sich dann garantieren, und die Verfahrenskosten ließen sich dann senken, wenn sich die Beteiligten auf bestimmte Regeln der Kooperation einigen und die Einhaltung dieser Regeln garantieren könnten – vorausgesetzt, die Kooperationskosten sind nicht höher als die dadurch erreichbaren Kostensenkungen. Das Ziel der Kostensenkung ließe sich erreichen, wenn insbesondere • die Mehrfachbewerbungen reduziert werden könnten, • Möglichkeiten der Leistungsmessung gemeinsam genutzt würden, und • bei den zulassungsrelevanten Informationen hohe Vergleichbarkeit und Transparenz hergestellt würde.
c) Kollektive Übereinkunft Es sprechen also gute Gründe dafür, einige Grundregeln der Studienplatzvergabe im Sinne einer kollektiven Übereinkunft aufzustellen und den Ablauf derselben nicht allein den Kalkülen der aktuellen, individuellen Rationalität einzelner Hochschulen und einzelner Bewerber zu überlassen. Den Akteuren ist gewissermaßen dabei zu helfen, die Dilemmastrukturen produktiv zu machen, denen sie sich bei einer dezentralen Koordination gegenübersehen. Ein Denk-
2. Schlussfolgerungen
301
modell für eine solche kollektive Übereinkunft, welche nicht allein von den unmittelbaren, partikularen Interessen ausgeht, bietet die Idee eines „Schleiers des Nicht-Wissens“, wie sie John Rawls seiner vertragstheoretischen Begründung der Verteilungsgerechtigkeit aus einem „Urzustand“ (original position) zu Grunde gelegt hat.5 Man könnte im Sinne dieser Denkfigur also fragen: Auf welche Regeln der Koordination bei der Studienplatzvergabe würden sich Hochschulen, Bewerber und der Steuerzahler einigen, wenn insbesondere Hochschulen und Bewerber nicht wüssten, in welcher Position sie sich hinterher wiederfinden; wenn ein Bewerber also nicht wüsste, ob er als ein guter oder als ein schlechter Bewerber; als ein Bewerber mit viel Geld oder mit wenig Geld an dem Verteilungsverfahren teilnehmen wird bzw. ob ein Interessenvertreter der Hochschulen die Interessen einer sehr gesuchten oder einer weniger gesuchten Hochschule wahrzunehmen hat. Führt man ein solches Gedankenexperiment durch, dann gibt es zahlreiche Gründe dafür, dass insbesondere für den Fall eines allgemeinen Nachfrageüberhanges einige Maßnahmen zu einer stärker geregelten Koordination von Angebot und Nachfrage ergriffen würden. Eine solche Koordination könnte Transparenz herstellen, die Verfahrenskosten insgesamt senken und für eine Ausschöpfung der Kapazitäten sorgen. Insbesondere die letztlich nicht erfolgreichen Bewerber würden sich deutlich besser stehen und die Wettbewerbsnachteile kleiner und wenig gesuchter Hochschulen ließen sich vermeiden. Die „Testfrage“ für einen solchen „hypothetischen Konsens“ lautet: Darf mit einem solchen Konsens gerechnet werden, weil für alle Beteiligten Kooperationsgewinne anfallen? Des Weiteren wäre die Frage zu klären, ob die entsprechenden Institutionen der Kooperation die Kooperationsgewinne nicht aufzehren.6 Im Folgenden werden einige mögliche „Stufen der Koordination“ vorgeschlagen. Zuvor sind allerdings die möglichen Hindernisse zu benennen, welche höhere Stufen der Koordination erschweren oder ganz unmöglich machen würden. Derartige Hindernisse wären: • Das Angebot an Studienvarianten ist bei denselben Fächern und Fächergruppen äußerst heterogen, a) wegen ausgesprochen starker Spezialisie___________ 5
Rawls (1971/1979), Kap. 3, Abschnitt 24 (S. 159-166). Brennan/Buchanan (1985/1993), S. 37-41 machen die grundlegende Unterscheidung zwischen einer Entscheidung über Handlungsalternativen und einer Entscheidung über Regeln. Hinsichtlich der Entscheidung über Regeln rekurrieren sie nicht auf die starke bzw. ideale Annahme des Nicht-Wissens, sondern auf die schwächere Annahme der Unsicherheit der Individuen darüber, wie sich eine allgemeine Regel auf die persönliche Position auswirken wird. Eine solche Unsicherheit erleichtert dann die Konsensfindung. 6 Homann/Suchanek, S. 89, S. 168.
302
XI. Ergebnisse und Vorschläge
rungs- und Hybridisierungstendenzen, so dass praktisch nur noch unvergleichbare Unikate als Studienvarianten angeboten werden; oder b) weil ein und dasselbe Studienfach mit extremen Qualitätsunterschieden angeboten wird. • Die Anbieter und die Bewerber können sich nicht einmal in Teilbereichen auf Vorstellungen darüber einigen, was von Bewerbern für bestimmte Fächer erwartet werden soll. • Die Anbieter und die Bewerber können sich nicht auf Instrumente einigen, mit denen die Eignung der Bewerber für ein Studienfach gemessen werden soll. • Die Voraussetzungen, welche die Bewerber mitbringen, sind sehr heterogen. Wenn die Bewerber äußerst heterogene Voraussetzungen mitbringen; wenn selbst bei gleichen oder ähnlichen Studienfächern sehr unterschiedliche Vorstellungen von den erforderlichen Qualifikationsprofilen bestehen; wenn man sich nicht auf gemeinsame Verfahren zur Bewertung von Qualifikationen einigen kann – dann stehen die Chancen für höhere Stufen der Kooperation bei der Bewerberauswahl und bei den Zulassungsverfahren schlecht. Weil es keine gemeinsamen Standards der Eignungsfeststellung unter den Hochschulen gäbe, müssten sich die Bewerber für jede unterschiedliche, kapazitätsbeschränkte Studienvariante an jeder Hochschule und in jedem Fach jeweils unterschiedlichen, individuellen Beurteilungs- und Auswahlverfahren unterziehen. Ein derartiges, konsequent dezentralisiertes, dereguliertes und individualisiertes Allokationsverfahren für Studienplätze wäre voraussichtlich die teuerste aller denkbaren Lösungen – insbesondere, wenn dabei eine Ausschöpfung der Kapazitäten gewährleistet sein soll.
3. Stufen der Koordination Die folgenden Vorschläge beschränken sich grundsätzlich auf Studienfächer mit einem starken Nachfrageüberhang. Erste Stufe Es ist weiterhin ein vollkommen dezentralisiertes Bewerbungs-, Auswahlund Zulassungsverfahren gegeben, die Hochschulen wählen nach eigenen Kriterien und mehr oder wenig aufwändig aus und lassen unabhängig voneinander die Bewerber zu. Es besteht unter den Bewerbern und Hochschulen kein In-
3. Stufen der Koordination
303
formationsaustausch. Wie lässt sich unter diesen Umständen die Zahl der Mehrfachbewerbungen (MFB) senken? Die dafür geeigneten Maßnahmen sind an verschiedenen Stellen dieser Untersuchung größtenteils schon implizit angesprochen worden und sollen hier nun in einer Übersicht auf den folgenden Seiten zusammengestellt werden. Maßnahme
Kommentar
Kapazität ausweiten bzw. umwidmen
Hiermit entfällt die Notwendigkeit der Kapazitätsbeschränkung und damit die Voraussetzung der MFB. Wenn der Prozentsatz kapazitätsbeschränkter Studienvarianten gering ist und sich nur ein geringer Prozentsatz der Bewerber für solche Varianten interessiert, tritt auch das Phänomen der MFB nur in geringem Maß auf. Setzt den politischen Willen zu einer entsprechenden Finanzierung bzw. zu einer Umwidmung von Kapazitäten an der Hochschule aus Eigeninteresse voraus.
Starkes Qualitätsgefälle
Würden extreme Qualitätsunterschiede zwischen den angebotenen Studienvarianten eines bestimmten Faches bestehen (deutlich unterscheidbare Segmentierung des Angebotes), könnte das zu einer Abnahme der MFB führen. Bestimmte Segmente kämen dann für eine Bewerbung bei bestimmten Bewerbergruppen gar nicht in Frage.
Kapazitätsbeschränkte Fächer auf wenige Hochschulen konzentrieren
Hierdurch würde zwar nicht der Nachfrageüberhang beseitigt, aber die Zahl der möglichen Bewerbungen würde auf wenige Hochschulen reduziert.
Restriktive Einführung von Kapazitätsbeschränkungen, Veröffentlichungspflichten
Kapazitätsbeschränkungen „provozieren“ MFB mit sich ausweitenden Folgeeffekten für andere Fächer und Hochschulen. Die Einführung von Kapazitätsbeschränkungen kann von einer Erlaubnis abhängig gemacht werden. Ein dauerhafter Nachfrageüberhang wäre über einen längeren Zeitraum nachzuweisen. Kettenreaktionen ließen sich vermeiden. Sollen die Hochschulen das Recht haben, kurzfristig und erst im laufenden Bewerbungsverfahren Kapazitätsbeschränkungen einzuführen, dann ist diese Möglichkeit davon abhängig zu machen, dass die Kapazität schon vor Beginn des Bewerbungsverfahrens öffentlich gemacht worden ist und die Zulassungszahlen vergangener Jahre veröffentlicht werden. Durch eine derartige Information kann die Zahl präventiver MFB verringert werden.
XI. Ergebnisse und Vorschläge
304 Maßnahme
Kommentar
Transparente Leistungsmessung
Je transparenter und vergleichbarer die Leistungsmessungen (die Auswahlkriterien) der Hochschulen sind, umso besser sind die Auswahlergebnisse durch die Bewerber prognostizierbar. Hohe Ermessensspielräume bei der Bewertung außerschulischer Leistungen erhöhen dagegen die Unsicherheit. Reduzierung der Unsicherheit führt zu einer Reduktion der MFB.
Wenige Eignungsfeststellungsverfahren
Solche Verfahren wirken wie Kapazitätsbeschränkungen und ziehen entsprechende Folgeeffekte nach sich. Außerdem verbietet ihre Logik, dass frei gebliebene Studienplätze kurz vor Studienbeginn noch kurzfristig an Bewerber vergeben werden können, die sich der Eignungsfeststellung an der Hochschule zuvor nicht unterzogen hatten, aber gleichwohl Interesse an einem Studienplatz gehabt hätten.
Vergleichbare Testverfahren bzw. deren wechselseitige Anerkennung
Dieselbe Argumentation gilt generell für Testverfahren. Nur wenn gemeinsame Tests durchgeführt oder die jeweiligen Tests wechselseitig anerkannt werden, kann gewährleistet sein, dass Studienplätze, welche an einer Hochschule noch frei geblieben sind, an Bewerber vergeben werden können, die sich dort nicht fristgerecht beworben haben oder wegen Terminüberschneidungen überhaupt nicht bewerben konnten. Außerdem ermöglicht die gemeinsame Nutzung einheitlicher Testverfahren Rationalisierungsgewinne.
Tests früher als Bewerbung
Finden die Tests vor dem eigentlichen Bewerbungsverfahren statt, dann weiß der Bewerber schon, welche Leistungen er daraus in das Auswahlverfahren einbringen kann. Die prognostische Sicherheit wird erhöht.
Qualitätsstandards schulischer Abschlüsse sichern
Wenn schulische Abschlusszeugnisse vergleichbar sind und hinreichend Sicherheit bieten über die Fähigkeiten der Bewerber, senkt dieses Bewertungs- und Auswahlkosten bei den Hochschulen.
Sicherheit der Studienwahl erhöhen
Es verringert sich die Motivation für bloße Bewerbungsoptionen. Derartige Maßnahmen können nur im Vorfeld einer Studienentscheidung, also normalerweise in der Schulzeit, erfolgreich sein.
3. Stufen der Koordination
305
Maßnahme
Kommentar
Information über Zulassungswahrscheinlichkeit verbessern
Schätzt der Bewerber seine Zulassungswahrscheinlichkeit mit nahe 0 oder nahe 1 ein, führt dieses zu keiner bzw. zu keiner zusätzlichen Bewerbung. Eine Verbesserung der Einschätzungsmöglichkeiten durch den Bewerber setzt zumindest voraus, dass von den Hochschulen für vergangene Zulassungsverfahren • nicht nur der Quotient BW/S, sondern auch der Quotient Z/BW bekannt gemacht wird; und • wenn möglich leicht nachvollziehbare metrische Grenzwerte für die Zulassung angegeben werden, und • die Leistungsverteilung (Konkurrenzsituation) in einem angemessenen Intervall um diesen Grenzwert mitgeteilt wird. Generell senken klare, zuverlässige und leicht zugängliche Informationen den Bewerbungsaufwand bei den Bewerbern und können aussichtslose oder überflüssige Mehrfachbewerbungen reduzieren.
Keine Bewerbungsfrist für zulassungsfreie Studiengänge
Es entfällt die Motivation für eine „Sicherheitsbewerbung“ für eine zulassungsfreie Studienvariante bei erster Präferenz für eine kapazitätsbeschränkte Variante.
Frist zwischen Bewerbung und Immatrikulation verkürzen
Der Wert einer Optionsbewerbung sinkt und damit die Motivation dafür, bloße Optionen auf verschiedene Studienplätze zu erwerben.
Bewerbungsgebühren
Sind in Grenzen voraussichtlich ein sehr wirksames Mittel zur Verringerung der Mehrfachbewerbungen. Könnten insbesondere die Zahl der Optionsbewerbungen senken. Wann und in welchen Bandbreiten dieses Mittel wirksam und sinnvoll ist, hängt von der konkreten Bewerberkosten-/Bewerbungsfunktion ab. Bis zu einer gewissen Grenze mögen Gebühren auch die Motivation für eine überlegte Bewerbung erhöhen. Ansonsten geht eine solche Maßnahme auf einem „Anbietermarkt“ eindeutig zu Lasten der Nachfrager, insbesondere aber zu Lasten der „Verlierer“ und kann eine optimale Güterallokation verhindern.
XI. Ergebnisse und Vorschläge
306 Maßnahme
Kommentar
Gebühren für Einschreibung, Nicht-Annahme und Rückgabe eines Studienplatzes
Die Hochschule könnte die Bewerbungskosten teilweise auf Einschreibungsgebühren umlegen bzw. teilweise erst bei der Einschreibung erheben. Derartige Gebühren würden die erfolgreichen Bewerber stärker an den Verfahrenskosten beteiligen. Sie würden insbesondere jene strukturell begünstigten Bewerber mit guten Zulassungschancen verursachungsgerecht stärker belasten, welche sich auf dem Weg der mehrfachen Bewerbung, Nicht-Annahme und Rückgabe von Studienplätzen besonders viele Wahlmöglichkeiten möglichst lange offen halten wollen. Motiviert eine überlegte Studienwahl noch stärker als eine direkte Bewerbungsgebühr.
Angabe der ersten Präferenz motivieren
Wenn Hochschulen die Tatsache honorieren, dass sich ein Bewerber mit erster Präferenz beworben hat, dann ließen sich bei entsprechenden institutionellen Arrangements ggf. die Mehrfachbewerbungen reduzieren. Man erhielte außerdem zuverlässige Informationen über das Ausmaß der tatsächlichen Nachfrage für zulassungsbeschränkte Studienvarianten.
Zweite Stufe Die Anbieter gleichartiger Fächer verständigen sich auf einen gemeinsamen Katalog von Kriterien, die bei der Bewerberauswahl zum Tragen kommen sollen, wenn auch in jeweils anderer Gewichtung. Dieses können z.B. sein Abiturnoten, Fächernoten, Berufsausbildungen, praktische Tätigkeiten, Testergebnisse, soziales Engagement usw. Insbesondere bei der Einbeziehung von Tests wäre es dann sinnvoll, dass die Anbieter sich auf jeweils einheitliche Tests verständigen, die sie gemeinsam nutzen. Die Präsentation der Auswahlkriterien sollte sodann in einer einheitlichen Form erfolgen, die dem Nachfrager einen einfachen und schnellen Vergleich ermöglicht (Transparenz!). Dasselbe gilt für die Präsentation der Bewerbungs-, Zulassungs- und Immatrikulationsstatistik sowie der Auswahlergebnisse (Grenzwerte). Die Koordination der Information könnte z.B. darin bestehen, dass die Anbieter sich auf eine gemeinsame Messskala von 1 bis 100 einigen.
Dritte Stufe Die Anbieter führen die in der ersten und zweiten Stufe erwähnten Informationen zentral zusammen – entweder in einem einzigen Informationspool oder
3. Stufen der Koordination
307
aber in mehreren Zentren. Dieses würde dem Bewerber die Informationsarbeit zu den Zulassungsbedingungen und Zulassungsergebnissen erleichtern und für zusätzliche Transparenz sorgen.
Vierte Stufe Die Anbieter geben kurz vor Semesterbeginn bekannt, ob und wie viele Studienplätze in den kapazitätsbeschränkten Studiengängen noch unbesetzt geblieben sind. Wenn die kostentreibenden Mehrfachbewerbungen reduziert werden sollen, dann kann nur eine solche Maßnahme sicherstellen, dass wirklich alle verfügbaren Studienplätze besetzt werden. Wenn die Anbieter für die Erstauswahl der Logik gefolgt sind, dass die Eignung für das gewählte Studium nur durch die jeweilige Hochschule selbst festgestellt werden kann, dann müssten sie freilich jetzt auch bereit sein, für die Vergabe der zuletzt noch frei gebliebenen Plätze eine solche Eignungsfeststellung ein zweites Mal durchzuführen. Es besteht hier zweifellos ein Zielkonflikt zwischen der Rationalisierung dieser Eignungsfeststellung dadurch, dass man sie nur einmal pro Zulassungsverfahren durchführt, und dem Interesse an einer Ausschöpfung der Kapazitäten, welche eine „zweite Runde“ kurz vor Semesterbeginn erforderlich machen könnte.
Fünfte Stufe Es findet ein Datenabgleich zwischen den Anbietern in Hinblick auf identische Bewerberpersonen nach Ablauf der Zulassungsverfahren statt (ex post). Nur auf diese Weise stünden den Nachfragern und den Hochschulen wirklich zuverlässige, globale Daten über das Ausmaß der tatsächlichen Nachfrage zur Verfügung. Diese anonymisierten Daten können den Nachfragern und den Hochschulen im dann jeweils folgenden Bewerbungs- und Zulassungsverfahren als eine verlässliche statistische Grundlage über die tatsächliche Nachfrage (Bewerberpersonen) und die geäußerte Nachfrage (Bewerbungen) dienen.
Sechste Stufe Der angesprochene Datenabgleich findet schon im laufenden Bewerbungsverfahren statt, und die Bewerber werden verpflichtet, bei ihrer Bewerbung die Nummer ihres Personalausweises oder ein anderes Identifikationsmerkmal und die Reihenfolge ihrer Präferenzen anzugeben. Anhand eines solchen Identifikationsmerkmals könnte dann ein Datenabgleich erfolgen. Eine solche Informa-
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XI. Ergebnisse und Vorschläge
tion würde es den Hochschulen ermöglichen, die Hochschulpräferenzen der Bewerber bei der Erstellung ihrer eigenen Präferenzen bezüglich der Bewerber zu berücksichtigen. Die Offenbarungspflicht hätte eine disziplinierende Wirkung auf die Präferenzbildung und auf das Bewerbungsverhalten der Bewerber. Außerdem wäre es möglich, die Zahl der Bewerbungspräferenzen zu begrenzen. Die Hochschulen könnten sich auch auf einheitliche Regeln bei der Berücksichtigung dieser Präferenzen in ihren Auswahlverfahren einigen, sei es, dass nachrangige Präferenzen auch erst nachrangig zugelassen werden; sei es, dass die Rangfolge der Präferenzen bei der Vergabe von „Auswahlpunkten“ durch die jeweilige Hochschule berücksichtigt wird. Würden nach Abschluss der Bewerbungsverfahren die entsprechenden Daten anonymisiert veröffentlicht, dann stünde den Hochschulen und den Bewerbern des folgenden Bewerbungsverfahrens eine außerordentlich zuverlässige Information über die tatsächliche „Marktlage“ in Hinblick auf einzelne Studienvarianten, Hochschulen und Studienfächer zur Verfügung.
Siebente Stufe Die Bewerbung erfolgt gar nicht direkt bei den Hochschulen, sondern über einen Intermediär, der hier als „der Makler“ bezeichnet sei. Die Zwischenschaltung des Maklers hat für die Bewerber den Vorteil, dass sie sich ggf. mit mehreren Bewerbungen nur an eine einzige Adresse wenden müssen. Ansonsten ist die Einschaltung des Maklers vor allem unter folgenden Bedingungen sinnvoll, die sich gegenseitig ergänzen können: Wie in der sechsten Stufe werden die Bewerber gezwungen, ihre Präferenzen offen zu legen.1 Wie in der sechsten Stufe kann die Zahl der möglichen Präferenzen begrenzt werden. Ergänzend können die Bewerber eine Pauschal-Bewerbung für ein bestimmtes Studienfach abgeben.2 Das würde auf die einfachste Weise für die Ausschöpfung der Kapazitäten sorgen, weil der Makler von sich aus die Bewerbung an Hochschulen mit freien Studienplätzen weiterleitet, wenn die höheren Präferenzen des Bewerbers nicht zum Erfolg geführt haben. ___________ 1 Bei dem zum Jahr 2005 eingeführten neuen Bewerbungs- und Zulassungsverfahren der ZVS können sich die Hochschulen 60 Prozent der Bewerber nach eigenen Kriterien und Auswahlverfahren aussuchen. Dabei wird den Hochschulen auch die Präferenzbildung der Bewerber mitgeteilt, und sie können diese Präferenzbildung bei der Gestaltung ihrer Auswahlverfahren berücksichtigen. 2 Vgl. Unterkapitel VI. 4., dort: Annahme 4, S. 169ff.
3. Stufen der Koordination
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Der Makler könnte zudem als zentrale Informationsstelle dienen, falls die Hochschulen sich auf einigermaßen abgestimmte Zulassungsverfahren einigen könnten (s.o. zweite und dritte Stufe). Grundsätzlich stellt sich für die sechste und siebente Stufe die Frage: Wenn die Nachfrager veranlasst werden, ihre Präferenzen zu offenbaren – ist es dann möglich, die parallele Bearbeitung von Mehrfachbewerbungen an den Hochschulen umzuwandeln in eine Reihenfolge? Wenn dieses organisatorisch möglich wäre, dann würde die Bewerbung des Bewerbers B1 an den Hochschulen H2, H3,... usw. gar nicht mehr bearbeitet werden, falls sie an der von B1 eigentlich präferierten Hochschule H1 schon zum Erfolg geführt hat. Eine derartige sukzessive Abarbeitung der einzelnen Bewerbungen würde zwar das kostentreibende Problem der mehrfachen, parallelen Zulassung an verschiedenen Hochschulen beseitigen, zugleich aber große Probleme der zeitlichen Koordination aufwerfen. Die Hochschulen müssten sich dann auf eine zeitlich sehr genau und eng abgestimmte Reihenfolge in der Durchführung ihrer Auswahlverfahren einigen.
Achte Stufe Dem Makler wird von den Bewerbern und von den Hochschulen die Aufgabe einer Vorauswahl übertragen. Der Sinn einer solchen Vorauswahl läge darin, die Zahl jener Bewerbungen zu reduzieren, die dann von den Hochschulen dezentral parallel oder sukzessive zu bearbeiten sind. Für eine solche Vorauswahl bestehen grundsätzlich folgende Möglichkeiten: 1. Ein Teil der Bewerber wird vom Makler als chancenlos vorab aussortiert. 2. Ein Teil der Bewerber wird vom Makler vorab im Auftrag der Hochschulen zugelassen oder für die direkte Zulassung an die jeweilige Hochschule vermittelt. 3. Eine Verbindung von 1. und 2. Eine solche Tätigkeit des Maklers würde den Bewerbungsaufwand zweifellos je nach dem Umfang der ihm zur Aussonderung oder Auswahl übertragenen Quoten mehr oder weniger stark reduzieren. Damit der Makler eine solche Vorauswahl vornehmen kann, benötigt er aber standardisierte Kriterien, auf die sich die Hochschulen gemeinsam einigen müssten. Mit solchen Vorauswahlen würde der Makler allerdings beginnen, seine reine Vermittlungstätigkeit zu verlassen und anfangen, eine Art von Auftragsverwaltung im Namen der Hochschulen zu betreiben.
XI. Ergebnisse und Vorschläge
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Neunte Stufe Der Makler wählt die Bewerber direkt im Auftrag der Hochschulen (und der Bewerber) aus und weist sie den Hochschulen zu. Dieses wäre wahrscheinlich die kostengünstigste Lösung, die mit Sicherheit auch zu einer weitgehenden Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten führte. Sie würde allerdings voraussetzen, dass die Hochschulen (und die Bewerber) sich auf völlig einheitliche Kriterien der Zulassung für ein bestimmtes Fach und für eine bestimmte Hochschule einigen können, z.B. auch darüber, ob bestimmte „Sozialkriterien“ (wie Familiennähe u. dgl.) bei der Zuweisung eines Bewerber zu einer bestimmten Hochschule berücksichtigt werden sollen oder nicht. In dem Maße, wie Mehrfachbewerbungen vermieden werden können, entstehen mit großer Wahrscheinlichkeit Kostenvorteile infolge von Kooperation und Koordination. Es sprechen viele Gründe dafür, dass eine vollkommen dezentrale Allokation von Studienplätzen eine sehr teure Lösung ist und dass eine bessere Endverteilung der Bewerber sich auch mit geringeren Kosten erreichen lässt. Die Bestreitung dieser naheliegenden Annahme steht und fällt letztlich mit der Behauptung, dass es unmöglich sei, sachlich begründete, gemeinsame Auswahlkriterien für ein Studienfach zu bestimmen, auf die sich Hochschulen und Bewerber verständigen können. Würde dagegen zugegeben, dass es solche Kriterien gibt, dann lassen sich höhere Stufen der Koordination von Angebot und Nachfrage wohl kaum mit Kostenargumenten ablehnen. Um die hier behaupteten Kostenvorteile einer koordinierten Zulassung quantifizieren zu können, wäre allerdings für jede der angestrebten Stufen der Koordination empirisch festzustellen, welche Kosten die Koordination selbst verursacht. Es entstehen hier insbesondere Verhandlungs- und Einigungskosten, und wenn eine koordinierende Institution selbst tätig werden soll, ist auch die Tätigkeit eines solchen „Maklers“ nicht kostenfrei zu haben. Das ist selbstverständlich. Einstweilen ist die Situation in Deutschland so, dass sich die Kosten dieses Maklers, insoweit Studienplätze durch die ZVS vergeben werden, zwar sehr genau an Hand des Haushalts dieser Einrichtung feststellen lassen, während die Kosten dezentraler Koordination schon deswegen weitgehend unbekannt sind, weil das Ausmaß der Mehrfachbewerbungen nicht bekannt ist.3 Grundsätzlich wäre es wünschenswert, dass insbesondere die Hochschulen sich selbst auf höhere Formen der Kooperation einigen. Dafür gibt es allerdings zahlreiche Hindernisse. Erstens ist die Zahl der Akteure sehr groß, was die Einigung erschwert; zweitens haben die Hochschulen keineswegs ein eindeutiges Interesse, für die aus Nachfragersicht wichtige statistische Transparenz am ___________ 3
Vgl. Unterkapitel IV. 4., S. 103-119.
4. Abschließende Bemerkungen
311
„Markt“ zu sorgen; und drittens bestehen gerade für die Spitzeninstitute hohe Anreize, sich der Kooperation wieder zu entziehen und dadurch Distinktionsgewinne zu realisieren. Es spricht viel dafür, dass eine derartige kollektive Einigung der staatlichen Initiative und Garantie bedarf. So lange der Steuerzahler in ganz erheblichem Maß an der Finanzierung des Hochschulwesens beteiligt ist, hat er auch das Recht und die Pflicht, bei der Gestaltung des Allokationsverfahrens ein gewichtiges Wort mitzureden und in dieser Hinsicht initiativ zu werden. Es sei noch darauf hingewiesen, dass die hier idealtypisch skizzierten „Stufen der Koordination“ jeweils für Gebiete unterschiedlicher Größe existieren können, in Deutschland also z.B. auf Landesebene, auf der Ebene mehrerer Länder oder im gesamten Bundesgebiet.
4. Abschließende Bemerkungen Markt als Modell? Angesichts der Komplexität der gesamten Allokations-, Auswahl- und Bewertungsfragen sowie der voraussehbaren Schwierigkeiten einer kollektiven Einigung insbesondere im deutschen Bildungsföderalismus liegt folgende Reaktion nahe: „Das ist alles viel zu kompliziert. Das setzt wieder einen Wust von Verfahrensvorschriften und Regulierungen voraus. Orientieren wir uns doch einfach an der Preisbildung auf anderen Märkten. Das ist die einfachste und konsequenteste Lösung.“ Dieses Thema ist schon in der Einleitung behandelt worden. Dennoch wird es hier noch einmal aufgegriffen mit der Absicht zu begründen, dass selbst bei einem auf keinen Fall wünschbaren, meistbietenden Verkauf von Studienplätzen Formen der Kooperation sinnvoll wären. Einer allgemeinen, konsequent über den Preis gesteuerten Allokation von Bildungsgütern stehen zahlreiche Hindernisse entgegen. Das Ideal eines „vollkommenen Marktes“ ist auch nicht annähernd erreichbar, so lange die Hochschulen nur irgendein Interesse an den persönlichen Qualitäten ihrer Bewerber haben. Selbst wenn man aber eine Allokation über den Preis versuchen würde, dann würden sich zahlreiche der in dieser Untersuchung angesprochenen Koordinations- und Informationsprobleme in gleicher oder ähnlicher Weise stellen. Wenn sich jene Personen, die Bildungsgüter im tertiären Sektor nachfragen, nur einem einigermaßen vielfältigen Angebot gegenübersehen, „ruft“ diese Konstellation geradezu nach Intermediären, welche beide Seiten zusammenbringen, beispielsweise in Gestalt von Informations-, Beratungs- oder Vermittlungsagenturen; denn ein Nachfrager steht vor umso größeren Informations-, Bewer-
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XI. Ergebnisse und Vorschläge
tungs- und Selektionsproblemen, je vielfältiger das Angebot ist. Würde man allerdings annehmen, dass sich bei einem solchen, über den Markt verkauften Bildungsangebot ausgesprochen starke Qualitätsunterschiede in Verbindung mit entsprechenden Preisunterschieden entwickeln, dann würde dieses zu einer starken Segmentierung des Angebots führen mit der Folge, dass dadurch die Komplexität des Angebotes wieder erheblich reduziert würde. Für einen Nachfrager, der nur über ein bestimmtes Einkommen und/oder nicht über außergewöhnliche Begabungen/Fähigkeiten/Interessen/Leistungsnachweise verfügte, reduzierte sich das Angebot sogleich auf ein unteres Segment. Mit Blick auf die Transaktionskosten kann eine derartige Segmentierung des Angebots geradezu als eine Reaktion auf sonst kaum lösbare Informations- und Bewertungsprobleme in Hinblick auf ein äußerst komplexes Angebot im tertiären Bildungsbereich gesehen werden, das vom Ideal der vollständigen Information weiter entfernt ist als jeder andere wirtschaftliche Bereich. Wer für eine Allokation über den Preis plädiert, hätte insbesondere nachzuweisen, dass „der Markt“ für Studienplätze mittel- bis langfristig dazu tendiert, 1. für Informationstransparenz zu sorgen, 2. einen Nachfrageüberhang zu beseitigen, weil die Hochschulen ihr Angebot ausweiten; und dass 3. die privatwirtschaftlichen Intermediäre ihre Aufgabe sinnvoll erfüllen sowie dass ggf. 4. eine starke Segmentierung des Angebots nach Qualität und Preis wünschenswert ist. Zu 1.: Diese Hoffnung ist alles andere als berechtigt. Anbieter haben vielmehr ein erhebliches Interesse, über unterschiedliche Konditionen etc. eine Nicht-Vergleichbarkeit ihrer Leistungen herzustellen. Zu 2.: Es ist zumindest fraglich, ob bei einer derartigen Marktlösung Studienplätze in einem Maße und in einer Qualität vorgehalten würden, wie dieses gesellschaftlich bislang für wünschenswert gehalten wurde. Wenn man aber in eine Richtung von „mehr Markt“ im Sinne von Deregulierung und freier Preisgestaltung gehen will, dann ist es nahezu zwingend, dass den Nachfragern mehr Geld in die Hand gegeben wird, z.B. in Gestalt von Bildungsgutscheinen. So lange das Hochschulwesen überwiegend öffentlich finanziert wird, ist es wenig sinnvoll, dass die Anbieterseite vom Steuerzahler erheblich subventioniert wird und dann die Konditionen der Auswahl nach Belieben gestaltet, während die Nachfrager über keinerlei Marktmacht verfügen. Zu 3.: Es handelte sich hier letztlich um eine Aufgabe der Verbraucherberatung und des Verbraucherschutzes. Es ist zumindest fraglich, ob mit dem Ziel
4. Abschließende Bemerkungen
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der Gewinnerzielung angebotene Rankings, Eignungs-, Studien-, Bewerbungsund Karriereberatung mehr Transparenz in den Markt brächte. Eine derartige Dienstleistung würde ja gerade umso besser florieren, je intransparenter der gesamte Markt ist. Zu 4.: Segmentierung des Bildungsmarktes bedeutet zweifellos Komplexitätsreduktion. Je früher eine derartige Segmentierung aber einsetzt (ggf. schon im Kindergarten), umso bedenklicher sind die gesellschaftlichen Folgen. Aspekte der Sozialpsychologie In der Bundesrepublik gibt es zweifellos noch starke Institutionen der Koordination der Hochschulzulassung, insbesondere in Gestalt des Abiturzeugnisses und gleicher oder ähnlicher Zulassungsverfahren. Vor allem gibt es noch die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Der Trend geht aber in die Gegenrichtung, und starke, neoliberal orientierte Kräfte haben für eine Abschaffung der ZVS plädiert. Diese Institution der Koordination hat u.a. das Problem, dass sie öffentlich wie eine „Behörde“ wahrgenommen worden ist, die obrigkeitlich handelt und der bestenfalls zugebilligt wurde, dass ihre Einrichtung von den Gerichten erzwungen wurde – und zwar unter Gesichtspunkten des Kapazitätsrechts und des Vergaberechts. Als äußerst nachteilig für das Image der ZVS hat sich erwiesen, dass in der öffentlichen Diskussion der Zulassungsfragen nicht hinreichend differenziert wird zwischen den beiden Aspekten des Kapazitätsrechts einerseits („Wie viele Studienplätze sind anzubieten?“) und solchen des Vergaberechts andererseits („Nach welchen Verfahrensvorschriften sind die Bewerber auszuwählen?“). Die Erörterung einer sinnvollen Koordination der Studienplatzvergabe leidet in Deutschland insbesondere unter dem Widerstand der Hochschulen gegen die Vorschriften, nach denen sie ihre Kapazitäten berechnen müssen („Zwangsbewirtschaftung“), während sie ihre öffentliche Kritik aber in besonderer Weise gegen die Verwaltungsvorschriften des Vergaberechts richten. Es ist theoretisch und praktisch aber sehr wohl möglich, dass den Hochschulen bei entsprechender Anreizgestaltung die Ausweisung ihrer Kapazitäten weitgehend überlassen wird, und diese Hochschulen in Fragen der Studienplatzvergabe dennoch kooperieren. Einstweilen entwickeln die Hochschulen u.a. deswegen Strategien der Nicht-Kooperation, weil es ihnen in lokalen Auswahlverfahren eher gelingen kann, sich der Transparenz des Kapazitätsrechts und der Veröffentlichung jener Informationen zu entziehen, die der Öffentlichkeit auf jeden Fall dann zur Verfügung stehen, wenn die Studienplätze über die ZVS vergeben oder vermittelt werden.1 ___________ 1
Vgl. die statistischen Angaben in Unterkapitel IV. 2., S. 84-87.
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XI. Ergebnisse und Vorschläge
Grundsätzlich stellt sich für Maßnahmen der freiwilligen, kollektiven Koordination das Problem, dass entsprechende Einrichtungen dauerhaft nur bestehen können, wenn sie von allen Beteiligten dauerhaft unterstützt werden, und zwar auch dann, wenn der einzelne Beteiligte ggf. auch individuelle Nachteile erfährt. Allerdings ist zu unterscheiden zwischen der Beurteilung von Allokationsverfahren unter rein ökonomischen Gesichtspunkten und solchen der Sozialpsychologie. Aus ökonomischer Sicht wird von einem Allokationsverfahren eine optimale Güterverteilung, Transparenz, Anonymität, eine Motivation zur Offenbarung der Präferenzen und Kosteneffizienz erwartet. Diese Forderungen sind im Falle eines Nachfrageüberhanges besser durch Einschaltung eines zentralen Intermediärs gewährleistet als bei dezentraler Koordination. Aus psychologischer und sozialpsychologischer Sicht ist es aber von ganz besonderem Vorteil, wenn Anbieter und Nachfrager gerade nicht den Eindruck haben, dass sie als Ergebnis eines anonymen Prozesses einander „zugeteilt“ worden sind, sondern dass beide Seiten in einem persönlich gestalteten Verfahren einander ausgesucht haben. Dass die wechselseitige Bindung im Allgemeinen größer sein wird, wenn die Beteiligten zuvor gewisse Opfer oder Leistungen für einander erbracht haben, liegt auf der Hand. Die Messqualitäten eines individualisierten Auswahlverfahrens mögen sogar schlechter sein als die eines Standardverfahrens – das ändert nichts daran, dass in einem individualisierten Auswahlverfahren eine Beziehungsrealität besonderer Art geschaffen wird. Ein solches Verfahren misst nicht nur, sondern bewirkt auch etwas – im besten Fall entfaltet es eine beidseitige Bindungswirkung. Was unter dem Gesichtspunkte einer ökonomischen Zweck-Mittel-Relation nur als „teuer“ erscheint, kann sozialpsychologische Effekte besonders vorteilhafter Art entfalten: Ein gebrachtes „Opfer“ bzw. eine erbrachte Leistung entfaltet u.U. eine sozialpsychologische Bindungswirkung. Die deutsche „Massenuniversität“ hat zweifellos schwer unter der Entpersonalisierung der Studienbedingungen in den 70er und 80er Jahren gelitten. Es fragt sich allerdings, ob unkoordinierte und personalisierte Zulassungsverfahren das Mittel der ersten Wahl sind, um diesen eigentlichen Missstand zu beheben. Bemühungen um Koordination stehen nur dann unter einem guten Stern, wenn den Beteiligten klar ist, dass eine derartige Koordination dem Vorteil aller dient und in gewissem Maß dann auch durch kollektive Übereinkunft garantiert werden muss. Eliten Die Diskussion um eine Deregulierung der Hochschulzulassung steht in Deutschland teilweise in Beziehung zu einer Forderung verstärkter ElitenFörderung, und zwar vornehmlich nach dem Vorbild US-amerikanischer
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Elitehochschulen, die sich allesamt die Bewerber selbst auswählen, wobei diese Elite-Hochschulen selbst vor allem die so genannten „Peer-Effekte“ herausstellen. Man unterliegt allerdings einem Fehlschluss, wenn man aus der Existenz ausländischer Elite-Hochschulen und ihrer Auswahlverfahren die Folgerung ziehen wollte, anders sei eine akademische Elitenbildung nicht gut möglich. Erstens können auch bei einer Koordination der Hochschulzulassung die einzelnen Hochschulen unterschiedliche bzw. unterschiedlich hohe Anforderungen stellen; und zweitens ist es keineswegs zwingend, dass die Bildung künftiger Leistungseliten sich von Anfang an (also zu einem frühen Zeitpunkt) auf bestimmte Hochschulen konzentrieren müsste. Ein Hochschulsystem ist als ganzes zu betrachten, und es gibt zahlreiche Gründe dafür, dass ein System, welches die Existenz und die Beachtung gemeinsamer Basisstandards in der Hochschulausbildung in der Breite garantiert, eine optimale Basis darstellt für die dezentrale Bildung einer Leistungselite im Studienverlauf, die sich dann allerdings zunehmend auf einzelne Hochschulen konzentrieren mag. Jedenfalls geben die an den so genannten Elitehochschulen zu beobachtende Bildung von lebenslangen Netzwerken unter den frühzeitig Auserwählten, die „grade inflation“, die Preisdifferenzierung und zahlreiche andere Erscheinungen durchaus auch zu ambivalenten Betrachtungen Anlass. Die Herstellung und Erhaltung eines gesunden Wettbewerbs zwischen Hochschulen und Bewerbern stellt kein Hindernis dar für eine gewisse Koordination der Hochschulzulassung. Im Gegenteil ist anzunehmen, dass ein Mindestmaß an Koordination eher förderlich ist für einen Wettbewerb nach transparenten Regeln.
XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren? Eine produktions- und absatztheoretische Untersuchung aus einzelwirtschaftlicher Sicht
1. Zusammenfassung Ausgehend von den Voraussetzungen eines Verkaufs von Studienplätzen nach dem Kriterium des Preises, von einer linear fallenden Preis-AbsatzFunktion und von einer ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion wird gezeigt: Das Ziel einer kurzfristigen Umsatzmaximierung durch die anbietende Hochschule begünstigt das Vorhalten suboptimaler Studienbedingungen. Langfristige Qualitätsverbesserungen setzen hingegen einen kurzfristigen Verzicht auf Umsatz, eine Preisdifferenzierung nach Eignung und ggf. nach Vermögensumständen der Nachfrager bzw. Studienanfänger voraus. Derartige Maßnahmen gehen aber zu Lasten der Preis- und Leistungstransparenz und damit des Wettbewerbs. Von diesen Zusammenhängen dürften kapitalstarke Hochschulen profitieren. Eine dauerhafte Oligopolbildung im oberen Qualitätssegment wird durch Selbstverstärkungsprozesse begünstigt.
2. Einführung Ein gravierendes Hindernis für einen wirklich effizienten Markt im Bildungsbereich liegt in Informationsproblemen. So können beispielsweise Preisbildung und Leistungstransparenz im Bildungssektor wohl kaum jemals jene Funktionen wahrnehmen, die ihnen nach den Modellvorstellungen der vollständigen Konkurrenz (Debreu 1959/1976) zukommen sollen. Abgesehen von den außerordentlichen Schwierigkeiten und hohen Risiken, vor die sich der „Consumer“ (der zugleich ein Investor in sich selbst ist!) beim Qualitäts- und Preisvergleich für sein mehrjähriges Konsum- und Investitions-Projekt „Studium“ hinsichtlich der Anbieter gestellt sieht, wäre ein Hochschulsystem eindeutig dysfunktional, bei dem auf Anbieterseite die Zahlungsbereitschaft allein darüber entschiede, ob ein Nachfrager in den Besitz eines Studienplatzes gelangte oder nicht. Der zahlende Nachfrager wird beim Anbieter (der Hochschule) vielmehr seinerseits zum „Produktionsfaktor“, und schon aus diesem Grund muss die einzelne Hochschule nicht nur an der Zahlungsbereitschaft, sondern auch an
2. Einführung
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den persönlichen „Input-Qualitäten“ derer interessiert sein, die zugleich ihre „Kunden“ sind. Diese Verschränkung der Interessen verleiht der Transaktion „Besetzung eines Studienplatzes“ und der Durchführung eines Studiums auch unter Marktbedingungen eine Komplexität, die sie von einfachen Tauschverhältnissen „Ware gegen Geld“ weit entfernt. Ein mehrjähriges Bildungsprojekt, dessen Ziel in den meisten Fällen ein Examen ist, ist auch mit einem Verkauf der meisten Dienstleistungen nicht vergleichbar – etwa eines Haarschnitts oder einer Theatervorstellung. Parallelen bestehen am ehesten noch zum Arbeitsmarkt mit all den Unsicherheiten, vor die sich die Parteien gestellt sehen, welche einen Arbeitsvertrag abschließen. Wie aber soll ein Konkurrenzgleichgewicht auf einem Markt für Studienplätze formal hergeleitet werden – beispielsweise nach dem Vorbild von Walras (1874/77)? Bei einer gegebenen Knappheit von Studienplätzen unterschiedlicher Art und Qualität wären dort die Interessen unterschiedlich zahlungsfähiger und -bereiter Nachfrager nach möglichst billigen Studienplätzen in Wohnortnähe bei möglichst sicherem Hochschulzugang und möglichst passender Studienqualität bei möglichst hoher Erfolgswahrscheinlichkeit im Examen in Übereinstimmung zu bringen mit den Interessen der Hochschulen (die zugleich regionale Angebotsmonopolisten sind) an möglichst hohen Preisen und möglichst geeigneten Studierenden. Die zahlreichen wirtschaftstheoretischen Fragestellungen, welche sich aus einer konsequenten „Marketization“ des tertiären Bildungssektors ergeben – etwa allokations-, transaktions-, und institutionentheoretischer Art – sind allerdings nicht unmittelbar Gegenstand dieser Untersuchung, und erst recht nicht sind es die wachstums- und wohlfahrtsökonomischen Konsequenzen einer solcherart marktwirtschaftlich ausgerichteten Ordnungspolitik. Der Ansatz ist bescheidener, zugleich aber auch konkreter und als eine Art Vorarbeit für die „großen Fragen“ zu betrachten. Im Sinne eines Gedankenexperimentes soll untersucht werden, welche Konsequenzen sich für Produktion und Umsatz aus einzelwirtschaftlicher Sicht ergeben würden, wenn man denn eine vollständige Kommerzialisierung des Studiums als gegeben voraussetzte. Vor welche Probleme sieht sich die unternehmerische Hochschule als Produzentin und Nachfragerin gestellt, wenn man annimmt, dass sie ihre Dienstleistung „Lehre“ ausschließlich über den Markt gegen Geld absetzt und allein auf diese Weise ihre Einkünfte generiert? Mit dieser Fragestellung gelangt man in den Bereich der Theorie der Dienstleistungsproduktion. Dienstleistungen haben in der Produktions- und Kostentheorie der Betriebswirtschaftslehre erst in den letzten drei Jahrzehnten verstärkte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Einigkeit dürfte inzwischen darüber bestehen, dass im Unterschied zur Warenproduktion der „externe Faktor“ in der Dienstleistungsproduk-
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XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?
tion besonders zu berücksichtigen ist. Dieser externe Faktor – also das Objekt, an dem die Dienstleistung erbracht wird oder das sie als menschliche Person in Anspruch nimmt – kann an der Erstellung des Endprodukts passivisch oder aktivisch beteiligt sein und ist der Disposition des Produzenten bzw. Erbringers der Dienstleitung zumindest teilweise entzogen (Maleri 1998). Bei einem Hochschul-Unternehmen ist dieser externe Faktor bzw. sind die externen Faktoren die Studierenden. Als weitere Besonderheiten von Dienstleistungen sind insbesondere hervorgehoben worden: Immaterialität, ggf. Auftragsindividualität, Qualitätsunterschiede beim Input, schwierige Messbarkeit des Outputs, Indeterminiertheit des Ergebnisses, Prozesshaftigkeit der Produktion, Parallelität von Produktion und Absatz. Fandel/Blaga (2004) vertreten die Auffassung, dass bei entsprechender Berücksichtigung des externen Faktors in der Dienstleistungsproduktion keine Besonderheiten vorkommen, welche sie grundsätzlich jenem analytischen Instrumentarium der Produktionstheorie entzögen, das für die Sachgüterproduktion entwickelt worden ist. Ohne eine ergebnis-(output-)orientierte Betrachtungsweise seien insbesondere Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit eines bestimmten Produktionsverfahrens nicht möglich. Bei entsprechender Ergänzung des Gutenbergschen Faktorsystems sei es durchaus möglich, die Koopmanssche Aktivitätsanalyse auf die Produktion von Dienstleistungen zu übertragen und implizite Produktionsfunktionen aufzustellen.1 H. Corsten verfolgt einen Weg, der konsequent der Indertiminiertheit und der Prozesshaftigkeit der Dienstleistungserstellung Rechnung tragen will. Dabei zeichnet sich zudem eine Psychologisierung des „Produktions“problems ab, da die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen und Interaktionen der beteiligten internen und externen Akteure zu berücksichtigen sind. In dem „Modellentwurf“ von Corsten/Gössinger (2005) werden Dienstleistungen als ein „Problemtransformationsprozess“ beschrieben, in dessen Verlauf für ein vom Nachfrager mehr oder weniger unvollständig formuliertes Problem vom Anbieter eine Lösungsvorstellung entwickelt wird. Aus unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen resultiert ggf. eine unterschiedliche Einschätzung der Prozessund Ergebnisqualitität. U.a. wegen der Beteiligung des externen Faktors ist der Erstellungsprozess nicht determiniert, es existieren „beidseitig mehrdeutige Beziehungen“ zwischen Eigenschaftsänderungen beim Input und Output (S. 167). Die Entscheidungsträger müssen sich im Verlauf des komplexen Transformationsprozesses für unterschiedliche Alternativen entscheiden, als Modell wird die stochastische Netzplantechnik vorgeschlagen. ___________ 1 Fandel/Blaga (2004), S. 15 unter Berufung auf Gutenberg (1994) und Koopmans (1951).
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Dieser Modellentwurf berücksichtigt zwar zahlreiche Besonderheiten des Dienstleistungsbereiches, bedürfte aber in Hinblick auf die Planung und Durchführung eines Hochschulstudiums einer Konkretisierung und Operationalisierung. Einstweilen scheint das Ergebnis von Brinkmann (1991, insbes. S. 67) weiterhin Gültigkeit zu besitzen, der in einem Übersichtsartikel feststellte, dass eine befriedigende Operationalisierung von Input- und Outputgrößen für Forschung und Lehre an Hochschulen ansatzweise allenfalls in einigen amerikanischen Untersuchungen zur Hochschullehre zu finden sei. Die folgende Untersuchung ist nun kein weiterer Beitrag zu einer empirisch abgesicherten Theorie der höchst komplexen „Dienstleistungsproduktion“ im Hochschulbereich. Die Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt vielmehr bei einer radikalen Vereinfachung, indem sie zu einer der frühesten und elementarsten Beobachtungen der entstehenden Wirtschaftswissenschaft aus dem 18. Jahrhundert zurückkehren, zum klassischen „Gesetz“ der zunächst steigenden, dann abnehmenden Ertragszuwächse. Ein derartiger „Produktions“Zusammenhang wird für die folgende Untersuchung bei Konstanz der internen Produktionsfaktoren (an der Hochschule) und Variation des externen Faktors (Studienanfänger) im Hinblick auf die Zahl der zu erwartenden Examina (Absolventen) schlichtweg unterstellt.2 Diese Annahme (im Sinne einer begründbaren Hypothese) einer expliziten „Produktionsfunktion“ (und damit ein gewisser Modell-Platonismus) ist notwendig, um die folgende Frage überhaupt stellen und beantworten zu können: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass die Studierenden mit ihren jeweiligen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten und einem bestimmten Zeitbudget für Lernaktivitäten als externe Faktoren ein unerlässlicher Bestandteil und Input des „Produktionsprozesses“ sind – zugleich aber auch Quelle der Umsatzerlöse, wenn man denn eine vollständige Kommerzialisierung des Studiums voraussetzt? Die besonders engen Interdependenzen der verschiedenen betrieblichen Funktionen bei der Produktion von Dienstleistungen werden in der Literatur zwar hervorgehoben und ein „integratives Dienstleistungsmanagement“ wird deshalb gefordert (Corsten 1998) – der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Beschaffung des externen Faktors und der Umsatzentwicklung mit seinen Rückwirkungen auf die „Produktion“ scheint bislang aber noch nicht systema-
___________ 2 Gegen bestimmte Vereinfachungen derartiger Modellannahmen spricht nicht, dass in der Realität beispielsweise eine „Homogenität der Abschlüsse“ nicht gegeben ist, wie Fandel/Pfaff (2000), S. 195 bemerken.
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tisch in den Blick gekommen zu sein.3 Dieser spezielle Zusammenhang ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Wenn der externe Faktor zugleich Quelle der Erlöse ist, dann wird Absatzpolitik zwangsläufig und unmittelbar zu Beschaffungspolitik mit direkten Auswirkungen auf den Input der „Produktion“ und umgekehrt. So ändert sich z.B. die Qualität des Gutes Studienplatz – ceteris paribus – in Abhängigkeit von der Zahl der aufgenommenen Studierenden, und hieraus ergeben sich zahlreiche Probleme für die rationale Umsatzkalkulation eines Unternehmens Hochschule. Weil sich die eingehenden Zahlungen (Studiengebühren) der Studierenden in dem Projekt Studium ggf. über mehrere Jahre erstrecken, sind außerdem Aspekte der Investitionsrechnung zu berücksichtigen. Von den erwähnten Voraussetzungen ausgehend, wird im Folgenden gezeigt werden, dass • kurzfristige, monetäre Anreize für die Hochschule bestehen, die Zahl der Studienanfänger bis in den Bereich suboptimaler, ja sogar ineffizienter „Produktion“ zu erhöhen; • ein längerfristiges Streben nach Qualität einen kurzfristigen Verzicht auf Umsatz und daher eine entsprechende Kapitalstärke der Hochschule oder Einnahmen aus anderen Quellen voraussetzt; • dass infolgedessen eine dauerhafte Oligopolbildung von kapitalstarken Spitzenhochschulen zu erwarten ist; • festgesetzte Höchstpreise eine Politik des „Umsatzes durch Masse“ und eine Verschlechterung der Studienbedingungen begünstigen; • die Spendenbereitschaft dankbarer Absolventen keinen eindeutigen Anreiz darstellt, die Studienbedingungen zu verbessern; • eine Politik des „Umsatzes durch Masse“ stärker leistungsorientierte Züge trägt als eine Politik der hohen Preise. ___________ 3 Engelhardt (1990) resümiert auf S. 280: „Ein Dienstleistungsprozeß liegt demnach vor, wenn ein Anbieter einen externen Faktor derart mit einer Bereitstellungsleistung kombiniert, daß dieser dadurch zum Produktionsfaktor wird und im Leistungserstellungsprozeß eine Veränderung erfährt. Mithin kommt dem Nachfrager eine Doppelfunktion zu: Er ist Mitproduzent und Abnehmer zugleich.“ Die hieraus sich ergebende Konsequenz, dass der externe Produktionsfaktor zugleich Erlösquelle ist, wird allerdings nicht in den Blick genommen. Ähnlich Maleri (1998), der auf S. 128 hervorhebt, „daß der Absatz der Dienstleistung stets vor der Produktion derselben erfolgen muß, da ansonsten die für die Leistungserstellung zwingend erforderlichen externen Faktoren nicht verfügbar sind.“ Es wird aber nur die daraus folgende Unsicherheit des Käufers hinsichtlich der Qualität der noch zu erbringenden Leistung erörtert, nicht dagegen die Frage, welche Folgen das Absatzinteresse für die Effizienz bzw. Ineffizienz des Produktionsprozesses hat.
2. Einführung
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Des Weiteren soll für die nahe liegende Strategie einer Preisdifferenzierung nach Eignung der Studienanfänger (also der externen Faktoren) gezeigt werden: • Versuchen die Hochschulen auf diesem Weg, Umsatz und Qualität gleichermaßen langfristig zu steigern bzw. zu sichern, ergeben sich produktionsund absatztheoretische Optimierungsprobleme, von denen anzunehmen ist, dass sie mit Erfahrung und „nach Gefühl und Wellenschlag“ besser bewältigt werden können als auf rechnerischem Weg und durch die Aufstellung von expliziten „Produktionsfunktionen“. • Sollte es den Hochschulen darauf ankommen, weiterhin Nutzen aus einem Image als Non-Profit-Organisationen auch in einem marktökonomisch bestimmten Umfeld ziehen zu wollen, dann geraten sie über Preisdifferenzierungen geradezu zwangsläufig auf die (schiefe?) Bahn einer individualisierten und infolgedessen intransparenten Preisgestaltung sowie einer Diskrepanz von offiziellem Leitbild und tatsächlichem Handeln, was einen „freien Bildungsmarkt“ zwangsläufig und endgültig von allen idealen Annahmen einer vollständigen Konkurrenz entfernt. Methodologische Zwischenbemerkung Die Reduktion eines komplexen, prozesshaften, interaktiven Hochschulstudiums auf einen einfachen „Produktions“-Zusammenhang mit Variation des „externen Faktors“ erfordert freilich eine zusätzliche methodologische Reflexion. Das Wort „Produzieren“ mit seinen Derivaten wird – wie schon im bisherigen Text – so auch im Folgenden konsequent in Anführungszeichen gesetzt werden. Die beteiligten Personen sind Bildungsprozessen ja keineswegs nur als Objekte unterworfen, sondern sie sind daran in außerordentlichem Maße als Subjekte und „aktivisch“ beteiligt. Die Reduktion von Bildungs-, Unterrichtsund Erziehungsprozessen auf zweckrationale Input-Output-Zusammenhänge stellt eine derartige Verkürzung von subjektiv, intersubjektiv und institutionell bestimmten, hoch-komplexen und auch dialektischen Zusammenhängen dar, dass der Verfasser energisch dagegen protestieren würde, wenn er die Subjektivität seiner eigenen Bildungsanstrengungen von einer Hochschule auf die Funktionen eines „Kunden“, eines „externen Faktors“ und einer Outputgröße reduziert sähe.4 Außerdem kann ein über lange Zeit am Maschinenwesen orien___________ 4 „Subjektivität“ durchaus im Hegelschen Sinn: Ritter (1961). Interessanterweise greift nun auch H. Corsten in seinem Modellentwurf der Dienstleistungsproduktion verstärkt auf das Wort „Subjekt“ zurück, z.B. Corsten/Gössinger (2005), S. 178: „In der produktionstheoretischen Modellierung sind folglich neben dem Produzenten weitere Subjekte zu berücksichtigen, die den Produktionsprozess beeinflussen.“
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tiertes Input-Output-Denken der Produktionstheorie keineswegs jenen längerfristigen, durch Rückkopplungen bestimmten Dynamiken gerecht werden, die dort wirksam sind, wo Menschen in Gruppen mit- oder gegeneinander etwas unternehmen und auf einander reagieren – z.B. in gemeinsamen Bildungsanstrengungen. Bildung ist ein offener Prozess und mitunter ein Abenteuer, das sich den Kategorien einer eindimensionalen Zweck-Mittel-Relation entzieht, nach denen schon vorher festzustehen hat, was am Ende herauskommt. Des Weiteren: Man mag in den Diskurs der Ökonomie noch so viele salvatorische Klauseln einstreuen, welche auf die „Aspekthaftigkeit“ der angewandten Betrachtungsweisen und Methoden hinweisen: Insbesondere der methodologische Individualismus und die Verhaltenshypothese der ökonomischen Zweckrationalität haben den Bereich akademischer Theoriebildung längst verlassen und sind selbst zu einem mentalitätsstiftenden Faktor des sozialen Lebens geworden. Beispielsweise ist die akademische Sozialisation in einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium schon rein quantitativ zu einem derartigen Massenphänomen geworden, dass dieses kaum ohne Auswirkungen auf die soziale Realität bleiben kann. Die in einem Studium der Wirtschaftswissenschaften vermittelte Denkungsart gestaltet gewollt oder ungewollt in einem erheblichen Maße jene soziale Realität mit, welche zunächst nur Gegenstand ihrer Untersuchung ist. Wie sollte die Modellannahme der individuellen Nutzenmaximierung nicht schließlich auch verhaltensbeeinflussend auf die große Zahl derjenigen zurückwirken, die sie berufsmäßig zunächst nur als fundamentale Verhaltenshypothese anzuwenden erlernt? Das gilt nicht zuletzt für die soziale Realität in den Hochschulen, deren Organisation zunehmend dem analytischen Instrumentarium der Betriebswirtschaftslehre unterworfen wird. Wenn denn Ökonomie Sozialwissenschaft ist (Frey 1990), dann hat diese Sozialwissenschaft den Einfluss ihrer eigenen Theoriebildung auf die von ihr untersuchten „Objekte“ zu bedenken. Sie hat es nicht mit Objekten der physikalischen Welt zu tun – mag ihre Theoriebildung sich einst auch noch so sehr am Vorbild der klassischen Mechanik ausgerichtet haben. Als Ausdruck solcher Einsicht wird in diesem Aufsatz auch weiterhin nur von Absolventen-„Produktion“ die Rede sein, nicht aber von deren Produktion. Mit den Anführungszeichen soll deutlich gemacht werden, dass zahlreiche subjektive, intersubjektive, dynamische und institutionelle Qualitäten, welche in einem Studium eine Rolle spielen, durch die hier vorgelegte, produktionsund absatztheoretische Reduktion ausgeblendet und infolgedessen verfehlt werden.
3. Annahmen
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3. Annahmen 1. Eine Präsenzhochschule H biete erstmalig das Studienfach X mit dem Abschluss Y als Einheitsstudiengang ohne Differenzierungsmöglichkeiten an, z.B. Betriebswirtschaftslehre im Studiengang Diplom. In diesem Einheitsstudiengang besuche jeder Student im Verlauf des Curriculums dieselben Lehrveranstaltungen. Der „Ruf“ dieses erstmalig angebotenen Einheits-Studienganges sei weder positiv, noch negativ, sondern neutral. 2. Die Hochschule agiere auf einem freien Markt für Hochschulausbildungen, was nicht ausschließt, dass der Staat eine Subvention des Studiums betreibt in Form eines Sockelbetrages pro Student. Wenn der Staat hier aktiv ist, sei angenommen, dass er (sinnvoller Weise) eine Subvention der Nachfrage betreibt (z.B. in Form von Bildungsgutscheinen), und nicht (wie z.B. in Deutschland nahezu ausschließlich) eine Subventionierung des Angebots. Minimalziel der Hochschule sei es, mit dem Verkauf von Studienplätzen ihre Kosten zu decken und ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Darüber hinaus sei sie an Gewinnen interessiert. Ob sie das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgt und binnen welcher Frist sie mit ihrem neuen Studiengang nachhaltige Gewinne erzielen will, sei offen gelassen.1 3. Der Studienzyklus sei auf T Jahre angelegt, zugleich sei es nicht möglich, das Studium früher als in T Jahren abzuschließen oder länger als T Jahre zu studieren. Jeder Student durchlaufe in T Jahren also dieselben Lehrveranstaltungen. 4. Zum Zweck einer kurzfristigen Betrachtung wird nur eine erste Studienanfängerkohorte im Verlauf ihres Studiums untersucht, die im Zeitpunkt t = 0 (t0) mit dem Studium beginnt. 5. Die „Produktionsfaktoren“ für das Projekt „erster Jahrgang im erstmalig angebotenen Studiengang BWL(Diplom)“ mögen bestehen aus a) den internen Produktionsfaktoren: Gebäude, deren Einrichtung samt Bibliothek, Computern etc., sowie einem festen Zeitkontingent für das Lehrpersonal und einem festen Zeitkontingent für das Verwaltungspersonal; ___________ 1 Zu den Annahmen 1 und 2: Aus verschiedenen Gründen wird es wohl in keinem entwickelten Land der Welt tatsächlich einen „freien Markt“ für primäre Hochschulausbildungen geben. Aber es gibt durchaus Hochschulen, die in der Form der Kapitalgesellschaft vor allem im Fernstudium am Bildungsmarkt agieren. In den USA werden beispielsweise die Aktien der Apollo-Group, Inc. an der Börse für Technologiewerte, Nasdaq, gehandelt. Die Gruppe betreibt die auf Erwachsenenbildung spezialisierten Hochschulen Phoenix University und Western International University und verschiedene Colleges. Siehe: www.apollogrp.edu.
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XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?
b) den externen Faktoren – das sind die Lernaktivitäten der Studienanfänger bzw. Studierenden. Es wird angenommen, dass jeder Studierende ein bestimmtes Zeitbudget für seine Lernaktivitäten zur Verfügung hat. Innerhalb des vorgesehenen Studienzyklus von T Jahren seien die internen Produktionsfaktoren, also die Gebäude, die Einrichtung, sowie die Zeitkontingente für das Lehr- und Verwaltungspersonal nicht veränderbar. Es wird allerdings angenommen, dass das Verwaltungs- und Lehrpersonal die Aktivitäten innerhalb der gegebenen Zeitkontingente verändern kann. So kann z.B. das Lehrpersonal Kleingruppen-Veranstaltungen für die Studierenden durch Großgruppenveranstaltungen ersetzen und dadurch Standardisierungs- und Rationalisierungseffekte bei gegebenem Zeitbudget zu realisieren versuchen. Quantitativ veränderbar sei dagegen allein der externe Faktor, also die Zahl der aufzunehmenden Studienanfänger. 6. Die Kosten für Gebäude, Einrichtung, und die Zeitkontingente des Verwaltungs- und Lehrpersonals seien reine Fixkosten, die unabhängig von der Zahl der Studierenden zu Beginn eines jeden Jahres und stets in derselben Höhe anfallen. Diese Kosten sind von der Hochschule selbst zu tragen. Variable Kosten entstehen nicht. 7. Die internen Produktionsfaktoren Gebäude, Einrichtung, Zeitkontingente von Lehrpersonal und Verwaltungspersonal werden effizient eingesetzt; denn da die Hochschule als selbständiges Unternehmen auf dem Markt agiert (Annahme 2), hat sie ein Interesse daran, bei jenen Produktionsfaktoren keine Verschwendung zuzulassen, für deren Einsatz ihr selbst Kosten entstehen (Annahme 6). 8. Die Hochschule kenne ihre „Produktionsfunktion“ in Hinblick auf die Zahl der aufzunehmenden Studienanfänger. D.h.: Sie wisse, wie viele erfolgreiche Absolventen in Abhängigkeit von der Zahl der aufgenommenen Studienanfänger sie „produzieren“ wird, wenn die internen Produktionsfaktoren und die Qualitätsanforderungen im Examen konstant gehalten werden. In Hinblick auf die Zahl der Studienanfänger gebe es an der Hochschule H einen optimalen Bereich, was die Nutzungsintensität der gegebenen Einrichtungen, Gebäude und die Betreuungsintensität durch das Verwaltungs- und Lehrpersonal betrifft. In diesem optimalen Bereich sei die Absolventenquote am höchsten und die korrespondierende Abbruchsquote am niedrigsten. Werden dagegen nur wenige Studienanfänger aufgenommen, dann seien die Studienbedingungen ebenso suboptimal (Überversorgung, Schlendrian, erschwerte Bildung passender Gruppen, zu geringe Verschiedenheit der Studierenden) wie bei der Aufnahme von sehr vielen Studierenden (beengte Räumlichkeiten, ungünstige Betreuungsrelation, Ersatz von Kleingruppen-Veranstaltungen durch Großveranstaltungen,
3. Annahmen
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vermehrtes Selbststudium statt Unterricht etc.). Bei suboptimalen Studienbedingungen (zu hohe oder zu niedrige Studierendenzahlen) sinke die Absolventenquote im Vergleich zum Bereich mit optimalen Studienbedingungen. Für die „Produktionsfunktion“ wird also ein s-förmiger (ertragsgesetzlicher) Verlauf angenommen bei partieller Variation des externen Faktors. Ertragsgesetzliche Produktionsfunktionen wurden ursprünglich für die Landwirtschaft entwickelt und reflektierten dort die Beobachtung, dass bei ständiger Erhöhung eines einzigen Produktionsfaktors (Arbeitseinsatz bei einer gegebenen Bewirtschaftungsfläche) der Ertrag zunächst unterproportional, dann überproportional, dann wieder unterproportional steigt (Turgot 1767, S. 645) und ab einer gewissen Grenze evtl. sogar wieder abnehmen kann. Ein solcher ertragsgesetzlicher Verlauf wird hier also auch für die Entwicklung der Absolventenzahlen in Abhängigkeit von der Zahl der Studienanfänger angenommen. Die Annahme eines solchen Zusammenhanges zwischen Studienanfänger- und Absolventenzahlen bei Konstanz der restlichen Produktionsfaktoren dürfte einige Plausibilität für sich beanspruchen können. Um einen Zusammenhang aus Gartenbau und Landwirtschaft direkt zu übertragen: Wenn immer mehr Samenkörner auf eine gegebene Fläche ausgesät werden, dann wird bei Konstanz der sonstigen Produktionsfaktoren (Arbeit, Düngung etc.) der Ertrag pro Fläche zunächst schwach, dann stärker steigen bis zu einem Optimum, dann nur noch in geringem Maße zunehmen und bei zu großer Samen- bzw. Pflanzendichte ggf. wieder sinken. Es dürfte zumindest nicht fern liegen, einen ähnlichen Wachstumsund Ertragszusammenhang zu unterstellen, wenn eine Hochschule bei gegebener Gebäudefläche, Ausstattung und Zeitkontingenten des Personals von einem niedrigen Niveau ausgehend immer mehr Studienanfänger zulässt – falls diese Studienanfänger nur ein gegebenes Zeitbudget für ihre Lernaktivitäten zur Verfügung haben. Der ertragsgesetzliche Zusammenhang impliziert eine Substitutionalität zwischen dem externen Faktor und den internen Produktionsfaktoren, so dass es Absolventen-Isoquanten gibt: Ein und dieselbe Absolventenzahl kann mit unterschiedlichen Kombinationen von internen und externen Produktionsfaktoren „produziert“ werden. Die Analogie von Bildungsprozessen zu Wachstumsprozessen in Ackerbau und Viehzucht liegt zumindest näher als zur maschinellen Fertigung industrieller Produkte. Bei dieser Überlegung ist von einer gleichbleibenden Eignung des „durchschnittlichen Studienanfängers“ (bzw. von einer gleich bleibenden Eignungsverteilung innerhalb der Studienanfänger) auszugehen, einerlei wie viele davon zugelassen werden. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Annahme einer derartigen, explizit formulierbaren Produktionsfunktion bei Konstantsetzung der internen Produktionsfaktoren mit der Absicht, die Entwicklung der Absolventenzahlen zu beschreiben, sich unterscheidet beispielsweise von der ausführlichen Arbeit
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XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?
von Stieger (1980), in der von verwaltungsrechtlich bestimmten Gegebenheiten in Deutschland ausgehend feste (lineare) Betreuungsrelationen im Hochschulstudium angenommen werden und die Erfolgsquote der Studierenden als eine Gegebenheit schon vorausgesetzt, nicht aber durch Faktorvariation erklärt wird.2 9. Die Einnahmen der Hochschule für den neu angebotenen Studiengang bestehen aus Studiengebühren. Die Studiengebühren sind jährlich am Beginn eines Studienjahres im Voraus zu bezahlen, und ihre Höhe ändere sich in den T Jahren des Studienzyklus nicht. 10. Obwohl die Hochschule an Gewinnen interessiert ist und wie ein privates Dienstleistungsunternehmen auf dem Bildungsmarkt agiert (vgl. Annahme 2), sei angenommen, dass Hochschulen nach der „Kultur“ des Landes durchaus auch noch das Image besitzen, Non-Profit-Organisation zu sein. Dieses sei u.a. ein Grund dafür, dass sich erfolgreiche Absolventen (Alumni) bei ihrer Hochschule teilweise später durch Spenden erkenntlich zeigen. Es sei daher außerdem angenommen, dass die Hochschule mit derartigen Spenden als einer weiteren Einkunftsart insbesondere dann kalkulieren kann, wenn es ihr gelingt, nach innen und außen hin das Image einer Organisation zu vermeiden, „der es nur auf Profit ankommt“ – auch wenn sie durchaus an Gewinnen interessiert ist. 11. Es liege ein Anbietermarkt für das Studium des Faches X mit dem Abschluss Y an der Hochschule H vor, d.h. es bestehe ein gewisser Nachfrageüberhang, so dass die Hochschule insbesondere nicht gezwungen ist, „jeden zu nehmen“, sondern gewisse Auswahlmöglichkeiten unter den Bewerbern hat. 12. Im Übrigen hänge die nachgefragte Menge der Studienplätze von der Höhe der Studiengebühren ab. Mit steigenden Studiengebühren soll die nachgefragte Menge an Studienplätzen sinken. Die Hochschule kenne ihre Preis-Absatz-Funktion. Sie wisse also, wie sich die Zahl der Nachfrager nach Studienplätzen in Abhängigkeit von der Höhe der Studiengebühren entwickelt.
___________ 2 Stieger (1980), insbes. S. 127-134. Dieser Autor ist stark an Fragen der (staatlichen) Kapazitätsplanung und -berechnung interessiert. Insofern kommt es ihm vor allem auf die Beantwortung der Frage an, mit welchen Berechnungsvorschriften bei gegebenen Kapazitäten, Lehrveranstaltungsformen und Absolventenquoten die Zahl der Studienplätze bestimmt werden kann, die vorzuhalten sind. Dabei geht er von einem linearen Zusammenhang aus. Vgl. dazu insbesondere S. 184-188.
3. Annahmen
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13. Die Bereitschaft der Nachfrager nach Studienplätzen, Studiengebühren in einer bestimmten Höhe zu bezahlen, korreliere „im Durchschnitt“ mit ihren Vermögensumständen bzw. den Vermögensumständen ihrer Herkunftsfamilien. D.h.: Reiche Nachfrager sind im allgemeinen bereit, höhere Studiengebühren zu bezahlen als wohlhabende Nachfrager, und wohlhabende Nachfrager nach Studienplätzen sind im allgemeinen bereit, höhere Studiengebühren zu bezahlen, als Studieninteressierte aus Familien mit geringem Einkommen bzw. Vermögen. 14. Jeder einzelne Nachfrager wisse nicht, wie viele Studienanfänger die Hochschule tatsächlich aufnehmen wird. Er kenne allenfalls das von der Hochschule vorgesehene Maximum der Studienanfängerzahl. 15. Die Hochschule sei in der Lage, die Eignung ihrer Bewerber für das gewählte Studium (Begabung, Vorkenntnisse, Leistungsmotivation) zumindest so weit zu messen, dass die Bewerber verschiedenen Eignungsklassen zugeordnet werden können. 16. Die Eignung der Studienbewerber für das gewählte Studium korreliere nicht mit deren Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft bzw. mit den Vermögensumständen und Einkommen der Herkunftsfamilien. Mit anderen Worten: Unter Studienbewerbern aus reichen Familien seien persönlich und fachlich anteilsmäßig nicht mehr und nicht weniger für ein akademisches Studium geeignete Personen zu finden als unter Studienbewerbern aus Familien mit mittlerem oder niedrigem Vermögen bzw. Einkommen. Dieses ist zweifellos eine Idealisierung. Denn einerseits wird es kaum ein konkretes Land geben, in dem schulische Bildungschancen vollkommen unabhängig von den Vermögensumständen der Herkunftsfamilien sind; zum anderen honorieren gerade so genannte Elitehochschulen Eignungsmerkmale ihrer Bewerber, die stark schichtenspezifisch und an „Persönlichkeit“ orientiert und teilweise auch ausgesprochen vermögensbestimmt sind. Infolgedessen korreliert dort die akademische Eignung ggf. auch stark mit den Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen der Herkunftsfamilien.3 17. Die Hochschule sei in der Lage, die Studienleistungen ihrer Absolventen im Examen mit einer Punktzahl kardinal zu messen. Die Hochschule verfüge also über ein Messverfahren, in dem sie die akademische Leistung eines Absolventen nicht nur relativ zu anderen Absolventen, sondern in einer absoluten Punktzahl jahrgangsübergreifend bewerten kann. Die Hochschule habe des Weiteren die minimale, absolute Punktzahl festgesetzt, ab der ein Examen be___________ 3 Vgl. Hartmann (2004), Kap. 5: „Nationale Bildungssysteme und Elitenrekrutierung“ (S. 109-147). Jetzt auch ausführlich zu Harvard, Yale und Princeton: Karabel (2005).
328
XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?
standen ist und ein Student zum erfolgreichen Absolventen wird. Es liegt auf der Hand, dass in diese Qualitätsmesszahl keine arbeitsmarktbezogenen Größen eingehen dürfen wie Vermittelbarkeit oder erzieltes Ersteinkommen nach dem Studium, weil in diesem Fall die Qualität der akademischen Ausbildung von den Konjunkturen und Rekrutierungsmethoden auf dem Arbeitsmarkt für Akademiker abhängig gemacht würde. 18. Schließlich wird angenommen, dass zwischen den in Punkten bewerteten, minimalen Anforderungen im Abschlussexamen gemäß Nr. 17 und der ebenfalls in Punkten messbaren akademischen Qualität eines Durchschnittsabsolventen eine positive Korrelation besteht.
4. Abkürzungen mit Erläuterungen Abkürzung
Bedeutung
Erläuterung/Beispiel
T
Dauer des gesamten Studienzyklus in Jahren
t =1,2,3,...,T
Zeitpunkt am Ende des t = 3: Zeitpunkt am Ende des dritten Studienersten, zweiten, ... , jahres. Dieses ist der Zeitpunkt t3 (welcher T-ten Studienjahres zugleich der Beginn des vierten Studienjahres ist).
t = 0 (t0)
Zeitpunkt des Studienbeginns
t1
Zeitpunkt am Beginn eines Studienjahres
T = 4: Das gesamte Studium ist auf eine Dauer von 4 Jahren angelegt.
Wenn t = 3, dann bezeichnet (t1) den Zeitpunkt t2, welcher der Beginn des dritten (und zugleich Ende des zweiten Studienjahres) ist. Wenn t = 1, dann ist (t1) = 0 und bezeichnet den Zeitpunkt t0 als Studienbeginn.
St
Zahl der Studierenden eines bestimmten Zulassungsjahrganges zum Zeitpunkt t
S2 = 95. Am Ende des 2. Studienjahres studieren (noch) 95 Personen von denen, die einmal gleichzeitig mit dem Studium begonnen haben.
4. Abkürzungen mit Erläuterungen Abkürzung
Bedeutung
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Erläuterung/Beispiel
S0
Zahl der Studienanfänger eines bestimmten Zulassungsjahrgangs
Ist ein Spezialfall von St für t = 0. S0 = 100: Hundert Anfänger haben mit dem Studium gleichzeitig begonnen.
A
Zahl der Absolventen (mit Examen) eines bestimmten Zulassungsjahrganges
A = 85. Nach Ablauf des Studienzyklus von T Jahren verlassen 85 Personen eines Zulassungsjahrganges die Hochschule mit Examen/Abschluss.
Absolventenquote
Wenn von 100 Studienanfängern eines Zulassungsjahrganges 85 schließlich die Hochschule mit einem Examen verlassen, dann ist die Absolventenquote a = 85/100 = 0,85 bzw. 85 %.
v
Jährliche Verlustrate der Studierenden
v = 0,05: Es brechen 5 Prozent der Studierenden eines Jahrganges im Verlauf eines jeden Studienjahres das Studium ab.
b
Jährliche Verbleibsrate b = (10,05) = 0,95: Es verbleiben 95 Proder Studierenden: zent der Studierenden eines Jahrganges im b = (1v) Verlauf eines jeden Studienjahres im Studium.
bt
Verbleibsfaktor
St = S0bt. Bei b = 0,95 und t = 3 ist am Ende des dritten Jahres noch ein Anteil von 0,95 0,95 0,95 = 0,953 = 0,857 oder 85,7 Prozent der Studienanfänger (S0) im Studium.
Ei
Eignungsklassen der Nachfrager nach Studienplätzen. E1 bezeichnet die am besten Geeigneten, En bezeichnet die am wenigsten Geeigneten.
Die Studierinteressierten, welche bereit sind, für einen Studienplatz einen bestimmten Preis zu bezahlen, lassen sich beispielsweise in die drei Klassen (n = 3) einteilen der bestens (E1), der durchschnittlich (E2) und der weniger Geeigneten (E3).
a (=
A ) S0
i = 1,2,…,n
XII. Anhang: Umsatzmaximierung durch Studiengebühren?
330 Abkürzung
Bedeutung
Erläuterung/Beispiel
Relativer Anteil der Individuen in den einzelnen Eignungsklassen (E1, E2,...En) der Nachfrager nach Studienplätzen an allen Nachfragern nach Studienplätzen
Wenn 1 = 0,1; 2 = 0,7 und 3 = 0,2 (n = 3), dann machen die Studienbewerber der ersten Eignungsklasse (E1) 10% unter allen Bewerbern aus, die Studienbewerber der zweiten Eignungsklasse (E2) 70%, die Studienbewerber der dritten Eignungsklasse (E3) 20%.
i i =1,2,…, n mit: i >0 und: 1