Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/22,1: Wirtschaft und Gesellschaft: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Teilband 1: Gemeinschaften 3161475585, 9783161475580

Der vorliegende Band prasentiert sieben nachgelassene Texte Max Webers zum Thema Gemeinschaften, die fur sein grosses un

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German Pages 401 [433] Year 2001

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Zur Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft“
Vorwort
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Schriften
[Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen]
[Hausgemeinschaften]
Ethnische Gemeinschaften
[Marktgemeinschaft]
Politische Gemeinschaften
[Machtprestige und Nationalgefühl]
[„Klassen“, „Stände“ und „Parteien“]
Anhang
Kriegerstände
Hausverband, Sippe und Nachbarschaft
Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Glossar
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister
Seitenkonkordanzen
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden
Bandfolge der Abteilung II: Briefe
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Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/22,1: Wirtschaft und Gesellschaft: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Teilband 1: Gemeinschaften
 3161475585, 9783161475580

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann t Abteilung I: Schriften und Reden Band 2 2 - 1

ARTIBUS

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Wirtschaft und Gesellschaft Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß

Teilband 1:

Gemeinschaften Herausgegeben von

Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit

Michael Meyer

ARTIBUS

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Karl-Ludwig Ay - Edith Hanke Die Herausgeberarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Freistaat Bayern, dem Land Nordrhein-Westfalen, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Werner-Reimers-Stiftung gefördert.

Die Deutsche

Bibliothek

-

ClP-Einheitsaufnahme

Weber, Max:

Gesamtausgabe / Max Weber. Im Auftr. der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Horst B a i e r . . . Tübingen: Mohr Siebeck. Abt. 1, Schriften und Reden. Bd. 22. Wirtschaft und Gesellschaft: die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte ; Nachlaß Teilbd. 1. Gemeinschaften / hrsg. von Wolfgang J. Mommsen ; Michael Meyer. - 2001 ISBN 3-16-147558-5 Leinen ISBN 3-16-147560-7 Halbleder 978-3-16-158143-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 2001 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde gesetzt und gedruckt von der Druckerei Guide in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen.

Inhaltsverzeichnis

Zur Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft" Allgemeine Hinweise der Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe

Vorwort

VII

XIX

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Einleitung

XXIII

1

Schriften Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen Editorischer Bericht Text

71 77

Hausgemeinschaften Editorischer Bericht Text

108 114

Ethnische Gemeinschaften Editorischer Bericht Text

162 168

Marktgemeinschaft Editorischer Bericht Text

191 193

Politische Gemeinschaften Editorischer Bericht Text

200 204

Machtprestige und Nationalgefühl Editorischer Bericht Text

218 222

„Klassen", „Stände" und „Parteien" Editorischer Bericht Text

248 252

VI

Inhaltsverzeichnis

Anhang Kriegerstände Editorischer Bericht Text

275 277

Hausverband, Sippe und Nachbarschaft Editorischer Bericht Text

282 291

Personenverzeichnis

331

Glossar

337

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

343

Personenregister

345

Sachregister

350

Seitenkonkordanzen

388

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden

393

Bandfolge der Abteilung II: Briefe

402

Zur Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft" Allgemeine Hinweise der Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe

Die Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft" steht im Rahmen der Max Weber-Gesamtausgabe vor einem umfangreichen und komplexen Textbestand, dem nicht abgeschlossenen Ergebnis einer zehnjährigen Schaffensperiode Max Webers. Über den Entstehungszusammenhang, die „Werkidee" und die Anordnung der einzelnen Texte wird seit langem eine zum Teil kontroverse Debatte geführt, ohne daß für alle offenen Fragen eine eindeutige Antwort gefunden worden wäre. Von Max Weber ist keine letztgültige Disposition überliefert, und die im Nachlaß vorhandenen Texte befanden sich in einem zum Teil fragmentarischen Zustand. Die von Marianne Weber begründeten und von Johannes Winckelmann revidierten Editionen haben trotz unterschiedlicher Textanordnung eine Werkgestalt geschaffen, die die Rezeptionsgeschichte bestimmt hat. Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage haben die Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe eine Reihe von Entscheidungen treffen müssen, über die im folgenden kurz berichtet wird. Werkgeschichte Als Max Weber zum Jahresbeginn 1909 das Angebot Paul Siebecks annahm, an der Herausgabe eines neuen „Handbuch(s) der politischen Ökonomie" federführend mitzuwirken, begann er ein Projekt, das ihn bis zu seinem Tode beschäftigte. Als Koordinator des Handbuches sorgte er zusammen mit Paul Siebeck dafür, den Stoff zu gliedern, die Mitarbeiter zu gewinnen, deren Beiträge aufeinander abzustimmen und auf die Fertigstellung zu drängen. Als Autor arbeitete er über zehn Jahre an seinem eigenen Beitrag. In dem von ihm entworfenen „Stoffverteilungsplan" 1 für das „Handbuch der politischen Ökonomie" vom Mai 1910 hatte er sich verschiedene Artikel, vor allem das Kapitel „Wirtschaft und Gesellschaft", zugeordnet. Dieser Beitrag war für den III. Abschnitt des Ersten Buches vorgesehen, in dem Natur, Technik und Gesellschaft als Rahmenbedingungen der Wirt-

1 Abgedruckt als Anhang in MWG II/6: Max Weber, Briefe 1909-1910. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1994, S. 766-774, und mit handschriftlichen Zusätzen in: Winckelmann, Johannes, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1986, S. 151-155.

VIII

Zur Edition von „ Wirtschaft und Gesellschaft"

schaft dargestellt werden sollten. Für seinen Beitrag hatte Weber drei Gegenstandsbereiche ausgewählt: ,,a) Wirtschaft und Recht (1. prinzipielles Verhältnis, 2. Epochen der Entwicklung des heutigen Zustands). b) Wirtschaft und soziale Gruppen (Familien- und Gemeindeverband, Stände und Klassen, Staat). c) Wirtschaft und Kultur (Kritik des historischen Materialismus)." Dieser nach Inhalt und Umfang begrenzte Beitrag sollte bis zu den festgesetzten Ablieferungsterminen - zunächst Herbst 1911, dann Juli 1912 fertiggestellt sein. Das war die Ausgangslage für sein Projekt „Wirtschaft und Gesellschaft". Da die meisten Autoren auch den Herbst 1912 als Ablieferungstermin nicht einhielten, verschob sich der Beginn der Drucklegung schließlich auf den Sommer 1914. Zu diesem Zeitpunkt war auch der neue Titel des Handbuchs, „Grundriß der Sozialökonomik" (GdS), festgelegt. Dadurch sollte jeder Anschein einer Kontinuität des neuen Handbuchs mit dem „Handbuch der politischen Ökonomie" vermieden werden, das, von Gustav von Schönberg herausgegeben, in den Jahren 1882 bis 1896 in vier Auflagen im Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung von Paul Siebeck erschienen war. Dem ersten Band des GdS wurden 1914 ein „Vorwort" und eine „Einteilung des Gesamtwerkes" vorangestellt. Letztere unterscheidet sich erheblich vom „Stoffverteilungsplan" des Jahres 1910 und gibt die inzwischen eingetretenen Veränderungen in der Gliederung des Gesamtwerkes wieder. Weber hatte mehrere Beiträge, die er zunächst sich zugeordnet hatte, an andere Autoren abgegeben und konzentrierte sich auf eine wesentlich erweiterte Abhandlung in der Abteilung III „Wirtschaft und Gesellschaft" des Ersten Buches „Grundlagen der Wirtschaft". Für diesen Beitrag findet sich in der „Einteilung des Gesamtwerkes" folgende Gliederung: „1. Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen. Wirtschaft und Recht in ihrer prinzipiellen Beziehung. Wirtschaftliche Beziehungen der Verbände im allgemeinen. 2. Hausgemeinschaft, Oikos und Betrieb. 3. Nachbarschaftsverband, Sippe, Gemeinde. 4. Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen. 5. Religiöse Gemeinschaften. Klassenbedingtheit der Religionen; Kulturreligionen und Wirtschaftsgesinnung. 6. Die Marktvergemeinschaftung. 7. Der politische Verband. Die Entwicklungsbedingungen des Rechts. Stände, Klassen, Parteien. Die Nation. 8. Die Herrschaft: a) Die drei Typen der legitimen Herrschaft, b) Politische und hierokratische Herrschaft, c) Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie

Zur Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft"

IX

der Städte, d) Die Entwicklung des modernen Staates, e) Die m o d e r n e n politischen Parteien." 2 Diese g e g e n ü b e r d e m „Stoffverteilungsplan" erweiterte Konzeption hatte Max Weber d e m Verleger Paul Siebeck bereits im Brief v o m 30. D e z e m b e r 1913 angedeutet. Er habe, so schrieb er, „eine g e s c h l o s s e n e soziologische Theorie u n d Darstellung ausgearbeitet, w e l c h e alle großen Gemeinschaftsformen zur Wirtschaft in Beziehung setzt: von der Familie u n d H a u s g e m e i n schaft zum .Betrieb', zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion (alle großen Religionen der Erde umfassend: Soziologie der Erlösungslehren u n d der religiösen Ethiken, - was Tröltsch g e m a c h t hat, jetzt für alle Religionen, nur wesentlich knapper), endlich eine u m f a s s e n d e soziologische Staats- u n d Herrschafts-Lehre. Ich darf behaupten, daß es noch nichts d e r g l e i c h e n giebt, a u c h kein .Vorbild'." 3 Diese veränderte Konzeption war das Ergebnis der Schaffensperiode von 1912 bis Ende 1913, insbesondere der Konstruktion der drei Typen der legitimen Herrschaft und der Studien über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Weber wollte diese Fassung seines Beitrages bis Ende 1914 ausarbeiten und 1915 erscheinen lassen. Eine d u r c h g e h e n d ausformulierte, druckfertige Fassung lag bei A u s b r u c h des Ersten Weltkrieges noch nicht vor, o b g l e i c h die Ausarbeitung, wie der Brief an Paul Siebeck zeigt, relativ weit g e d i e h e n war. Die n a c h g e l a s s e n e n Schriften zeigen, daß Max Weber bei Kriegsausbruch, als er die Arbeit an diesen Manuskripten unterbrach, seinen Beitrag erneut wesentlich erweitert hatte. Dies gilt insbesondere für die „Rechtssoziologie", die nach der „Einteilung des Gesamtwerkes" nur ein Unterabschnitt des Kapitels über d e n politischen Verband sein sollte. Wenngleich Max Weber 1917 und 1918 in Vorträgen und Aufsätzen mehrfach Themen aus seinen Beiträgen z u m Grundriß aufgriff, 4 so arbeitete er d o c h erst 1919 wieder intensiv an seinem Beitrag für d e n „Grundriß der Sozialökonomik". A u s d e n von ihm 1920 z u m Druck g e g e b e n e n Kapiteln läßt sich ersehen, daß er nun nicht mehr der Gliederung von 1914 folgte.

2 Die „Einteilung des Gesamtwerkes" mit der Spezifizierung des Inhaltes von Webers Beitrag ist abgedruckt in: GdS, Abt. I.-Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. Xf., sowie in: Winckelmann, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk, S.202f. 3 Brief an Paul Siebeck vom 30. Dez. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8). 4 So in einem Vortrag am 25. Oktober 1917 in Wien, von dem nur ein Pressebericht überliefert ist, und in seiner Vorlesung im Sommersemester 1918 in Wien unter dem Titel „Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung". In einer Artikelserie für die Frankfurter Zeitung, die in der Zeit von April bis Juni 1917 erschien und unter dem Titel „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland" 1918 gesondert veröffentlicht wurde (MWG 1/15, S. 432-596), behandelte er Themen, die in der „Einteilung des Gesamtwerkes" 1914 unter den Stichworten „Entwicklung des modernen Staates" und „Moderne politische Parteien" angekündigt waren.

X

Zur Edition von „ Wirtschaft und Gesellschaft"

In den Jahren von 1910 bis 1920 hatte Weber für seinen unter d e m Titel „Wirtschaft und Gesellschaft" geführten Beitrag unterschiedliche Konzeptionen vor A u g e n . Die erste, die er 1910 im „Stoffverteilungsplan" skizziert hatte, ersetzte er durch eine neue, die der „Einteilung d e s Gesamtwerkes" v o m 2. Juni 1914 z u g r u n d e liegt. In diese zweite Konzeption fügen sich die bei K r i e g s a u s b r u c h 1914 vorliegenden umfangreichen A b h a n d l u n g e n über „Religionssoziologie", „Rechtssoziologie" und „Die Stadt" nur sehr b e d i n g t ein. In d e n Jahren 1919 und 1920 setzte er abermals neu an. Drei Kapitel brachte er z u m Druck, das vierte Kapitel blieb unvollendet, und über den b e a b s i c h t i g t e n Fortgang der Darstellung gibt es nur sehr allgemeine Hinweise. Die von Marianne Weber und J o h a n n e s Winckelmann präsentierte Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft" enthält daher Texte aus einem langen Arbeitsprozeß, in d e m sich Konzeption und Darstellungsart mehrmals änderten. N a c h d e m Tode Max Webers stellte sich Marianne Weber sofort tatkräftig in den Dienst des Werkes ihres Mannes. Gleichzeitig besorgte sie die D r u c k l e g u n g der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" und der „Gesammelten Politischen Schriften", die s c h o n in d e n Jahren 1920 und 1921 erschienen, und b e m ü h t e sich um die Weiterführung von „Wirtschaft und Gesellschaft". Der von Max Weber noch zum Druck g e g e b e n e n 1. Lieferung ließ sie in den Jahren 1921 und 1922 drei weitere Lieferungen aus n a c h g e l a s s e n e n Manuskripten folgen. Von diesen s c h i e d sie die „Musiksoziologie", die A b h a n d l u n g „Die Stadt" und den Aufsatz „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft" aus und ließ sie an anderer Stelle d r u c k e n . 5 Von d e n ü b r i g e n Manuskripten nahm sie an, daß sie, mit w e n i g e n Ausnahmen, im Z u s a m m e n h a n g mit Webers Arbeit an „Wirtschaft und Gesellschaft" stünden. Die H e r a u s g a b e der n a c h g e l a s s e n e n Schriften bot, wie sie schrieb, „naturgemäß m a n c h e Schwierigkeiten. Für den A u f b a u des Ganzen lag kein Plan vor. Der ursprüngliche, auf S. X und XI, B a n d I des Grundrisses der Sozialökonomik 6 skizzierte g a b zwar noch Anhaltspunkte, war aber in wesentlichen Punkten verlassen. Die Reihenfolge der Kapitel mußte deshalb von der Herausgeberin und ihrem Mitarbeiter e n t s c h i e d e n werden. Einige Abschnitte sind unvollendet und müssen so bleiben. Die Inhaltsang a b e der Kapitel war nur für die .Rechtssoziologie' fixiert." 7 Unter Mitwir-

5 Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. Mit einer Einleitung von Th. Kroyer. - München: Drei Masken Verlag 1921 (MWG 1/14). - Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. Band, Heft 3, 1921, S. 621 - 7 7 2 (MWG I / 2 2 - 5 ) . - Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Preußische Jahrbücher, Band 187, Heft 1, 1922, S. 1 - 1 2 (MWG i / 2 2 - 4 ) . 6 Gemeint ist die „Einteilung des Gesamtwerkes" von 1914. 7 Vorwort zur ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" vom Oktober 1921; abgedruckt auch in allen späteren Auflagen.

Zur Edition von „Wirtschaft und

Gesellschaft"

XI

kung von Melchior Palyi veröffentlichte sie 1921 bis 1922 das Gesamtwerk, gliederte es in drei Teile, denen sie eigene Titel gab, und fügte „Die Stadt" wieder ein. Sie war der Meinung, daß damit der Intention ihres Mannes für sein Projekt „Wirtschaft und Gesellschaft" entsprochen sei. Den Unterschied zwischen den 1919/1920 geschriebenen und den älteren Manuskripten übersah sie zwar nicht, doch glaubte sie, daß zwischen beiden eine Beziehung bestehe, die eine Zusammenführung der heterogenen Texte in einem Buch rechtfertige. Sie sah in dem 1919 und 1920 neugefaßten Text der 1. Lieferung den „systematischen" und „abstrakten" Teil des Buches, dem sich ihrer Meinung nach ein „konkreter", „mehr schildernder" Teil anschloß. Im Vorwort vom Oktober 1921 schrieb sie: „Während aber im ersten, abstrakten Teil das auch dort überall herangezogene Historische wesentlich als Mittel zur Veranschaulichung der Begriffe dient, so treten nunmehr, umgekehrt, die ¡dealtypischen Begriffe in den Dienst der verstehenden Durchdringung welthistorischer Tatsachenreihen, Einrichtungen und Entwicklungen." 8 Auf dieser Grundentscheidung basiert die seit 1922 überlieferte Werkgestalt von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft". Sie liegt der Rezeptionsgeschichte und den Übersetzungen des Werkes in andere Sprachen zugrunde. Auch Johannes Winckelmann schloß sich dieser Auffassung an. Durch Umstellungen und Hinzufügungen in den von ihm besorgten 4. und 5. Auflagen von „Wirtschaft und Gesellschaft" (1956 und 1972) glaubte er, der Intention Webers noch besser als Marianne Weber entsprechen zu können. Er wollte „eine zuverlässige Rekonstruktion der disponierenden Kompositionsgedanken des Autors gewinnen", „die immanente Stoffgliederung von Max Webers eigenem Text herauspräparieren" und damit das Opus magnum „in einer von Max Weber beabsichtigten und vorbereiteten Gestalt wieder herstellen". 9 Die Bemühungen von Johannes Winckelmann, aus „Wirtschaft und Gesellschaft" ein in sich geschlossenes Werk zu machen, waren von Anfang an umstritten und erfüllten die Ansprüche an eine historisch-kritische Edition nicht. Sie führten auch dazu, daß die verschiedenen Auflagen von „Wirtschaft und Gesellschaft" nach Textbestand und Textanordnung erhebliche Unterschiede aufweisen. So stehen die Abhandlung „Die Stadt", die Abschnitte „Die Wirtschaft und die Ordnungen", „Politische Gemeinschaften", „Nation" und „Klasse, Stand, Parteien" in der Edition von Marianne Weber an anderer Stelle als in der von Johannes Winckelmann, ganz abgesehen davon, daß der von ihm neu komponierte Abschnitt „Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Parlamente (Staatssoziologie)" kein authentischer Webertext, sondern eine

8 Dieses Vorwort ist in allen Auflagen von „Wirtschaft und Gesellschaft" abgedruckt. 9 Winckelmann, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk, S.3.

XII

Zur Edition von „ Wirtschaft und

Gesellschaft"

Textmontage ist. Schließlich hatte Marianne Weber die A b h a n d l u n g „Die rationalen und soziologischen G r u n d l a g e n der Musik" der 2. Auflage als A n h a n g beigefügt, w a s Johannes W i n c k e l m a n n in der 5. A u f l a g e wieder r ü c k g ä n g i g machte. A u c h bei den Überschriften der „Teile", der Kapitel und der Paragraphen bestehen große A b w e i c h u n g e n . Die Mehrzahl dieser Überschriften und P a r a g r a p h e n ist nicht von Max Weber autorisiert. Sie w u r d e n nach unterschiedlichen Gesichtspunkten von den b e i d e n Herausg e b e r n eingefügt. Bei den ü b e r k o m m e n e n Editionen von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" handelt es sich um unterschiedliche Z u s a m m e n s t e l l u n g e n von heterogenen Textbeständen, die aus wenigstens drei B e a r b e i t u n g s p h a s e n stammen. Die letzte Phase m ü n d e t in die Fassung, die Weber selbst 1920 als 1. Lieferung seines Beitrags z u m „Grundriß der Sozialökonomik" z u m Druck g a b . Aus der zweiten B e a r b e i t u n g s p h a s e stammen jene Texte, die er im wesentlichen in der Zeit von 1912 bis Mitte 1914 für die von ihm für 1915 g e p l a n t e Veröffentlichung vorbereitet hatte. Die früheste B e a r b e i t u n g s p h a s e ist durch Texte repräsentiert, die von 1909 bis 1912 entstanden sind und zu d e n e n a u c h der 1913 publizierte Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie" 1 0 gehört. Diese frühen Texte lassen sich nur schwer identifizieren, d a die Manuskripte nicht überliefert sind. Außerdem dürften sie zumeist für die für 1915 g e p l a n t e Veröffentlichung überarbeitet worden sein, ohne daß dies im Detail heute noch n a c h g e w i e s e n werden kann. Die Texte, die sich im Nachlaß fanden, weisen einen sehr unterschiedlichen B e a r b e i t u n g s z u s t a n d auf. So wurde die Erstfassung der „Rechtssoziologie", von der ein Typoskript überliefert ist, von Weber überarbeitet, wohing e g e n andere Texte unvollendet und redaktionell unbearbeitet überliefert sind. In dieser Form hätte Max Weber die Masse seiner n a c h g e l a s s e n e n Texte wohl kaum z u m Druck g e g e b e n . Der Edition der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e liegen die überlieferten Manuskripte u n d Typoskripte z u m Kapitel „Die Wirtschaft und die O r d n u n g e n " sowie zu den §§ 1 - 7 der „Rechtssoziologie" zugrunde. Letztere sind von Max Weber handschriftlich korrigiert und durch handschriftlich verfaßte Deckblätter zu d e n §§ 1 - 6 mit e n t s p r e c h e n d e n Überschriften u n d Inhaltsübersichten ergänzt worden. Ferner wurde 1996 ein sechsseitiges Manuskript z u m Kapitel „Staat u n d Hierokratie" a u f g e f u n d e n . Insgesamt basiert die Edition der älteren, p o s t u m veröffentlichten Texte zu „Wirtschaft und Gesellschaft" zu über einem Fünftel auf einer durch Manuskripte oder Typoskripte gesicherten Textvorlage. Der Herstellungsprozeß der von Max

10 Zuerst in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Band 4, Heft 3, 1913, S. 253-294; später in: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 1. Aufl. - Tubingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 403-450 (MWG 1/12).

Zur Edition von „Wirtschaft und

Gesellschaft"

XIII

Weber n o c h in d e n Druck g e g e b e n e n 1. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" läßt sich a n h a n d der überlieferten Fahnenkorrekturen Max Webers aus d e m Frühjahr 1920 dokumentieren. Editionsplan Eine historisch-kritische Edition präsentiert Texte in ihrer überlieferten Form. Die H e r a u s g e b e r m a c h e n sich dies zur Maxime. Sie wollen Max Webers unvollendetes Hauptwerk nicht rekonstruieren u n d g e b e n daher die in der R e z e p t i o n s g e s c h i c h t e verbreitete Vorstellung von einem in sich geschlossenen B u c h auf. Sie unterscheiden zunächst z w i s c h e n d e m Text, d e n Weber selbst zum Druck gab, und den Texten, die sich in seinem Nachlaß fanden. D e m e n t s p r e c h e n d werden die n a c h g e l a s s e n e n Texte im B a n d M W G I/22 mit den Teilbänden MWG 1/22-1 bis 2 2 - 6 und die 1919/1920 für den Druck vorbereiteten Texte der 1. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" im Band MWG I/23 ediert. D a d u r c h wird die von Weber autorisierte Fassung letzter H a n d von d e n früheren Texten deutlich a b g e h o b e n . Der unterschiedliche E n t s t e h u n g s z u s a m m e n h a n g , die veränderte Konzeption und Begrifflichkeit werden d a d u r c h herausgehoben. A u c h die inhaltlichen V e r d o p p e l u n g e n bei d e n Darstellungen der Herrschaftstypen u n d der Klassen u n d Stände, die sich in beiden Textbeständen finden, w e r d e n erklärlich. Die Edition des Bandes MWG I/23 hat es mit einem zwar unvollständigen, aber von Weber für den Druck autorisierten Text zu tun, die Edition des B a n d e s MWG I/22 h i n g e g e n mit Texten aus v e r s c h i e d e n e n A r b e i t s g ä n g e n u n d von unterschiedlichen Bearbeitungsstufen, die zum Teil fragmentarisch g e b l i e b e n sind u n d über deren Z u o r d n u n g Max Weber noch keine e n d g ü l tige Entscheidung getroffen hatte. Im übrigen fehlt diesen Manuskripten a u c h ein Anfang. Die für die Fassung von 1912 vermutlich v o r g e s e h e n e systematische Einleitung ist durch die separate Veröffentlichung des „Kategorienaufsatzes" aufgelöst und nicht ersetzt worden. Beide B ä n d e tragen den d u r c h Zusätze spezifizierten Titel „Wirtschaft u n d Gesellschaft", wod u r c h der thematische Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n den älteren u n d jüngeren Texten dokumentiert wird. Im f o l g e n d e n wird die Gliederung der Edition kurz geschildert. Die b a n d spezifischen editorischen Fragen werden in den Einleitungen zu d e n einzelnen B ä n d e n u n d Teilbänden besprochen. Die E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e des „ H a n d b u c h ( e s ) der politischen Ökonomie", später „Grundriß der Sozialökonomik", sowie der dazu von Weber verfaßten Beiträge wird g e s o n d e r t im B a n d MWG I / 2 2 - 6 dargestellt. Dort w e r d e n a u c h die dafür relevanten Dokumente ediert.

XIV

Zur Edition von „ Wirtschaft und

Gesellschaft"

MWG 1/22 Der B a n d MWG 1/22 umfaßt die im Z u s a m m e n h a n g von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" entstandenen n a c h g e l a s s e n e n Schriften. Die in der 2. bis 4. Auflage als A n h a n g b e i g e f ü g t e A b h a n d l u n g „Die rationalen u n d soziolog i s c h e n G r u n d l a g e n der Musik" wird im Band MWG 1/14 g e s o n d e r t ediert. A n g e s i c h t s des U m f a n g s der Texte und des editorischen A p p a r a t e s - im Satz der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e mehr als 3000 Seiten - m ü s s e n Teilb ä n d e g e b i l d e t werden. Sie umfassen thematisch unterscheidbare Werkteile und tragen von d e n H e r a u s g e b e r n gewählte Bandtitel. Für d e n Teilband MWG I / 2 2 - 5 wurde auf die Überschrift der Erstveröffentlichung „Die Stadt" zurückgegriffen. Durch die Publikation der n a c h g e l a s s e n e n Texte zu „Wirtschaft u n d Gesellschaft" in verschiedenen, thematisch h o m o g e n e n B ä n d e n soll nicht der Eindruck erweckt werden, es handele sich um eine S a m m l u n g von unverb u n d e n e n Texten, gewissermaßen um Darstellungen von „speziellen Soziologien". A u c h w e n n einige Texte den Charakter umfangreicher M o n o g r a p h i en annahmen, so waren sie d o c h von Weber im Z u s a m m e n h a n g seines Projekts „Wirtschaft und Gesellschaft" entworfen. Die Teilbände stehen in einem konzeptionellen Z u s a m m e n h a n g , den Weber s c h o n im Stoffverteilungsplan von 1910 skizzierte und im Vorwort zum 1. Band des G d S 1914 formulierte. 1 1 Band MWG 1/22-1:

Gemeinschaften

enthält die n a c h g e l a s s e n e n Texte zu f o l g e n d e n A b s c h n i t t e n aus der „Einteilung des Gesamtwerkes": Wirtschaftliche Beziehungen der Verbände im allgemeinen; Hausgemeinschaft, Oikos und Betrieb; Nachbarschaftsverband, Sippe, G e m e i n d e ; Ethnische G e m e i n s c h a f t s b e z i e h u n g e n ; Marktverg e m e i n s c h a f t u n g ; politischer Verband, Stände, Klassen, Parteien; Nation.

11 „Ausgiebiger, als dies gewöhnlich geschieht, sind [...] die Beziehungen der Wirtschaft [...] zu den gesellschaftlichen Ordnungen behandelt worden. Und zwar absichtlich so, daß dadurch auch die Autonomie dieser Sphären gegenüber der Wirtschaft deutlich hervortritt: Es wurde von der Anschauung ausgegangen, daß die Entfaltung der Wirtschaft vor allem als eine besondere Teilerscheinung der allgemeinen Rationalisierung des Lebens begriffen werden müsste." Grundriß der Sozialökonomik, I. Abteilung, Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. VII.

Zur Edition von „ Wirtschaft und

Band MWG 1/22-2: Religiöse

Gesellschaft"

XV

Gemeinschaften

enthält den in der Disposition von 1914 vorgesehenen Abschnitt „Religiöse Gemeinschaften. Klassenbedingtheit der Religionen; Kulturreligionen und Wirtschaftsgesinnung". Dieser wird aus der ursprünglichen Abfolge der Gemeinschaftsformen gelöst und in einem eigenen Teilband ediert. Band MWG 1/22-3:

Recht

enthält die nach Umfang und Inhalt wesentlich erweiterte „Rechtssoziologie", die in der „Einteilung des Gesamtwerkes" nur einen Abschnitt im Kapitel „Politischer Verband" darstellen sollte. Diesem Band wird auch der Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen" zugewiesen. Er stammt vermutlich aus der Arbeitsphase von vor 1912 und steht in einem engen Zusammenhang mit dem 1913 gesondert veröffentlichten Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie". Die Edition basiert mit Ausnahme des § 8 der „Rechtssoziologie" auf den überlieferten Manuskripten. Band MWG 1/22-4:

Herrschaft

enthält die nachgelassenen Texte zum Kapitel „Die Herrschaft" aus der Disposition von 1914. Der dort angekündigte Abschnitt „Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte" hat sich zu der hinterlassenen Abhandlung „Die Stadt" ausgeweitet und wird gesondert in Band MWG I / 2 2 - 5 ediert. Zu den ebenfalls angekündigten Abschnitten über „Die Entwicklung des modernen Staates" und „Die modernen politischen Parteien" haben sich keine Texte im Nachlaß gefunden. Diesem Band wurde der Text „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft" zugeordnet, den Marianne Weber im Nachlaß vorfand, aber gesondert in den Preußischen Jahrbüchern, Band 187, 1922, S. 1 - 1 2 , veröffentlichte. Band MWG 1/22-5: Die Stadt enthält den Text „Die Stadt", postum veröffentlicht in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Band 47, Heft 3, 1921, S. 6 2 1 - 7 7 2 . Der im Plan von 1914 innerhalb des Kapitels „Die Herrschaft" ausgewiesene Abschnitt „Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte" hat sich im nachgelassenen Manuskript zu einer nicht abgeschlossenen, umfangreichen Abhandlung entwickelt, die auch angesichts der unsicheren Zuordnung innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" im letzten Teilband gesondert veröffentlicht wird.

XVI

Zur Edition von „ Wirtschaft und

Band MWG 1/22-6:

Materialien

und

Gesellschaft"

Register

enthält eine Darstellung der E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e von Max Webers Beiträgen z u m „ H a n d b u c h der politischen Ökonomie", später „Grundriß der Sozialökonomik", die Edition der dafür relevanten Dokumente u n d das Gesamtregister zu B a n d MWG 1/22. Titel Der Band MWG 1/22 trägt den Titel „Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen O r d n u n g e n und Mächte. Nachlaß". Der zusätzliche Titel „Die Wirtschaft u n d die gesellschaftlichen O r d n u n g e n u n d Mächte" ist von Weber durch die Druckfassung der „Einteilung des Gesamtwerkes" 1914 autorisiert. Er wurde eingeführt, als der A b t e i l u n g „Wirtschaft und Gesellschaft" der zuvor an anderer Stelle eingeordnete Beitrag von Eugen von Philippovich, „ E n t w i c k l u n g s g a n g der wirtschafts- u n d sozialpolitischen Systeme und Ideale", der schon 1912 fertiggestellt war, z u g e w i e sen wurde. D a d u r c h umfaßte die Abteilung „Wirtschaft und Gesellschaft" nunmehr zwei A b h a n d l u n g e n , so daß für Webers Beitrag ein eigener Titel erforderlich wurde. Der Titel „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen O r d n u n g e n u n d Mächte" charakterisiert Webers Konzeption aus d e m Jahre 1914, in deren Rahmen die n a c h g e l a s s e n e n Texte entweder entstanden sind oder überarbeitet wurden. Marianne Weber v e r w a n d t e ihn als Überschrift für die von ihr als I. Teil bezeichnete Lieferung, die Max Weber noch zum Druck g e g e b e n hat, Johannes W i n c k e l m a n n als Titel der v o n ihm als II. Teil zusammengefaßten n a c h g e l a s s e n e n Schriften. Schon 1913 bezeichnete Max Weber seinen Beitrag für „Wirtschaft u n d Gesellschaft" als „meine Soziologie", 1 2 u n d in einer Verlagsanzeige des Grundrisses der Sozialökonomik aus d e m Jahre 1914 wird der Beitrag in der A b t e i l u n g III mit d e m Titel „Soziologie" a n g e k ü n d i g t . 1 3 Man könnte daher für den B a n d M W G I/22 a u c h den Untertitel „Soziologie" wählen. Doch angesichts der Vorbehalte, die Weber zu d i e s e m Zeitpunkt g e g e n diese B e z e i c h n u n g seines Beitrages äußerte, 1 4 haben sich die H e r a u s g e b e r für den Titel entschieden, der in der „Einteilung des G e s a m t w e r k e s " erscheint. Ist der eine zwar autoreigen, so ist der andere d u r c h d e n Autor formal autorisiert.

12 Brief an Paul Siebeck vom 9. Nov. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8). 13 Verlagsanzeige im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 39. Band, 1. Heft (Juli-Heft 1914). 14 Im Brief an Paul Siebeck vom 6. Nov. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8), schreibt Weber, daß er seine „Soziologie" nie so nennen könnte.

Zur Edition von „ Wirtschaft und Gesellschaft"

MWG

XVII

1/23

Der Band MWG 1/23 enthält die 1. Lieferung des 1919/1920 neu bearbeiteten Beitrages von Max Weber für den „Grundriß der Sozialökonomik". Die Edition basiert auf den zum größten Teil von Weber handschriftlich korrigierten Druckbögen. Die ersten beiden Kapitel „Soziologische Grundbegriffe" und „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens" finden in den nachgelassenen Manuskripten keine Vorfassungen. Kapitel III, „Typen der Herrschaft", stellt eine überarbeitete und auf ein Viertel des Umfangs verdichtete Neufassung der älteren Texte zum Kapitel „Die Herrschaft" dar. Der nachgelassene Text zu „Klasse, Stand, Partelen" findet nur teilweise und In neuer begrifflicher Schärfung Eingang in das unvollendete Kapitel IV der I.Lieferung. Nach Konzeption und Darstellungsform unterscheidet sich diese Fassung grundlegend von früheren Fassungen. Sie enthält einen neuen Anfang mit einer Theorie des Handelns, sozialen Handelns und, darauf aufbauend, der sozialen Beziehungen, der gesellschaftlichen Ordnungen und der Verbände. In der Darstellungswelse ist der Text lehrbuchartig in Paragraphen gegliedert, klassifikatorisch ausdifferenziert und gerafft. Über die von Weber beabsichtigte Fortsetzung dieser Neufassung seines Beitrages gibt es nur wenige Hinweise in den gedruckten Kapiteln, so auf ein geplantes Kapitel V, das sich mit Typen der Gemeinschaften („Formen der Verbände") befassen sollte, sowie auf eine Rellgions-, Rechtsund Staatssoziologie. Als sicher kann gelten, daß er die älteren Texte aus den Jahren 1910 bis 1914 nicht unverändert in die folgenden Lieferungen übernommen hätte, dies zeigt die Neufassung der „Herrschaftssoziologie". Titel Der Band MWG I/23 trägt den Titel „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Unvollendet 1919-1920". Damit wird er in den Zusammenhang des 1909 unter diesem Titel begonnenen Projekts gestellt und der Tltelgebung im Verlagsvertrag Webers entsprochen. Zur Unterscheidung zum Band MWG I/22 wird der Zusatz „Soziologie" angefügt. Die Herausgeber begründen diese Entscheidung mit den „Neuigkeiten" des Verlags J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) vom April 1920, also noch zu Webers Lebzeiten, in denen der Beitrag Max Webers zum „Grundriß der Sozialökonomik" wie folgt angekündigt wird: „III. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie". Der Ausdruck Soziologie ist darüber hinaus schon seit 1913 als ein autoreigener Begriff nachgewiesen. Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter

Vorwort

Die hier vorgelegte Edition des Teilbandes 1/22-1 der Max Weber-Gesamtausgabe, d e m weitere Bände über „Recht" ( I / 2 2 - 3 ) und „Herrschaft" ( I / 2 2 - 4 ) folgen werden, während die Teilbände über „Religiöse Gemeinschaften" ( I / 2 2 - 2 ) und über „Die Stadt" ( I / 2 2 - 5 ) bereits vorliegen, bemüht sich, der wissenschaftlichen Öffentlichkeit die Texte über die „Gemeinschaften", die 1921/22 von Marianne Weber und Melchior Palyi als integraler Bestandteil von „Wirtschaft und Gesellschaft" veröffentlicht worden sind, in einer gesicherten Textgrundlage zugänglich zu machen. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, daß die Voreditionen von „Wirtschaft und Gesellschaft" von Marianne Weber und Melchior Palyi sowie von Johannes Winckelmann strengen wissenschaftlichen Maßstäben nicht genügen, obwohl ihre großen Verdienste für die Max Weber-Forschung außer j e d e m Zweifel stehen. Wir haben uns darum bemüht, die ursprünglichen Texte über „Gemeinschaften" und ihre Anordnung, so wie sie Max Weber selbst intendiert hat, mit größtmöglicher Akribie zu rekonstruieren, soweit dies bei der ungünstigen Quellenlage überhaupt noch möglich ist. Denn Manuskripte sind für diesen Teilbestand aus d e m Nachlaß nicht überliefert. Es ging d e m n a c h vor allem darum, einerseits durch eine sorgfältige Analyse der uns verfügbaren sekundären Quellen, namentlich der Korrespondenzen Max Webers und der Verlagskorrespondenz, andererseits durch eine genaue textkritische Prüfung der in den Voreditionen mitgeteilten Texte deren ursprünglichen Zustand, so wie sie Webers eigenen Intentionen entsprochen haben, zu ermitteln und diese gegebenenfalls von nichtautorisierten Zusätzen der Voreditoren zu befreien. Alle editorischen Schritte, insbesondere die Emendationen an den Texten, wurden sorgfältig dokumentiert, so daß die Leser diese sämtlich nachvollziehen können. Von einer von inhaltlichen Gesichtspunkten geleiteten Editionsweise wurde bewußt Abstand genommen; vielmehr soll die wissenschaftliche Öffentlichkeit in die Lage versetzt werden, sich selbst ein möglichst objektives Bild der Überlieferungslage zu verschaffen. Gleichzeitig wurde erheblicher Aufwand daran gesetzt, gemäß den Grundsätzen der Max Weber-Gesamtausgabe die Texte durch eine Sachkommentierung so weit wie möglich zu entschlüsseln. Die Arbeit an der Edition des Teilbandes „Gemeinschaften" hat sich über mehr als fünf Jahre hingezogen. Dabei konnten teilweise neuere Erkenntnisse herangezogen werden, die sich im Zuge der gegenwärtig angelaufenen Edition der Vorlesungsmanuskripte Max Webers der Jahre 1894 bis 1899

XX

Vorwort

e r g a b e n . Großen Dank schuldet der H e r a u s g e b e r der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen A k a d e m i e der Wissenschaften, aber a u c h d e m Wissenschaftskolleg zu Berlin, das d e m H e r a u s g e b e r w ä h r e n d seines Kollegjahres 1997 die Möglichkeit bot, intensive Recherc h e n über die Entstehungsgeschichte von „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie" durchzuführen, sowie schließlich a u c h der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, w e l c h e die s ä c h l i c h e n und räumlichen Voraussetz u n g e n für die Editionsarbeiten bereitgestellt hat. Dank gilt a u c h d e m Verleger Herrn G e o r g Siebeck, nicht zuletzt auch, weil er die Verlagsarchive bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. Ebenso danken wir d e m G e h e i m e n Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, in d e s s e n Besitz sich ein b e d e u t e n d e r Teilnachlaß Max Webers befindet, für die stets hilfreiche Unterstützung unserer Arbeiten. Die Hauptlast der Erstellung der Textvorlagen und des S a c h k o m m e n t a r s hat Michael Meyer getragen. Er hat die Editionsarbeiten mit großer G e d u l d und Zähigkeit, aber a u c h bemerkenswerter Umsicht durchgeführt. Von großem Wert war auch die e n g e Zus a m m e n a r b e i t mit den Mitarbeitern der Generalredaktion der Max WeberG e s a m t a u s g a b e an der Bayerischen A k a d e m i e der Wissenschaften in München, Karl-Ludwig Ay und Edith Hanke. Edith Hanke hat nicht nur zahlreiche direkte Hinweise und Informationen beigesteuert, sondern auch die redaktionelle Betreuung des v o r l i e g e n d e n Bandes übernommen; o h n e ihre oft a u f m u n t e r n d e n Ratschläge hätte ich zeitweilig beinahe das H a n d t u c h geworfen. Ingrid Pichler ist die Erstellung des Personenregisters sowie der Seitenkonkordanzen zu danken. Besonderer Dank gebührt d e n Mitarbeitern der Arbeitsstelle der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e in Düsseldorf. Manfred Schöns hervorragende Kenntnis des Hintergrunds und seine Vertrautheit mit d e m wissenschaftlichen Briefwerk Max Webers waren von größtem Wert. Er hat auch in Z u s a m m e n a r b e i t mit Klaus Scharfen die Transkription des s o g e n a n n t e n „Stichwortmanuskripts" erstellt. Ulrich Meyer d a n k e n wir für eine erste Textvorlage über die „Kriegerstände", darüber hinaus aber a u c h für zahlreiche Hinweise zu Einzelfragen der mittelalterlichen Geschichte. Carsten Haase, Silvia O s a d a u n d Sonja Wehr führten zahlreiche Recherchen d u r c h u n d trugen wesentlich zur Erstellung der Manuskripte bei. Herr Prof. M. Rainer Lepsius hat große Teile des u r s p r ü n g l i c h e n Manuskripts d u r c h g e s e h e n und zu einzelnen Fragen Teilentwürfe formuliert, die w i c h t i g e Gesichtspunkte aufwarfen. Außerdem erstellte er ein Itinerar der Arbeitsfähigkeit Max Webers im fraglichen Zeitraum, das sich für die Rekonstruktion der S c h r e i b g e s c h i c h t e als sehr hilfreich erwiesen hat. A u c h Herrn Prof. Hans G. K i p p e n b e r g d a n k e ich für wertvolle Hinweise, insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Niederschrift der „Religiösen G e m e i n s c h a f ten". Weiterhin danke ich Herrn Prof. Horst Baier u n d Herrn Prof. W o l f g a n g

Vorwort

XXI

Schluchter für kritische Stellungnahmen, die ich soweit wie m ö g l i c h zu berücksichtigen mich bemüht habe. Selbstverständlich trage ich g l e i c h w o h l allein die Verantwortung für die in diesem B a n d e getroffenen editorischen Entscheidungen. Eine Edition ist nicht der Ort für wissenschaftliche Auseina n d e r s e t z u n g e n namentlich über die Frage der Textgeschichte von „Wirtschaft und Gesellschaft"; die Edition hat sich d e m g e m ä ß bemüht, soweit dies sachlich vertretbar ist, Spielraum für unterschiedliche, gleich m ö g l i c h e Interpretationen zu belassen. Wir hoffen, mit d i e s e m Teilband eine solide Textgrundlage für die künftige Max Weber-Forschung vorgelegt zu haben. Düsseldorf, im Oktober 2001

W o l f g a n g J. M o m m s e n

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

| [] |: :| () (??> [??] f § & % 1,2,3 A A1, A2, A3 a,b,c a ... a , b ... b

Seitenwechsel Hinzufügung des Editors Einschub Max Webers Streichung Max Webers Unleserliche Streichung Ein oder mehrere Wörter nicht lesbar gestorben Paragraph und Prozent siehe Indices bei Anmerkungen des Editors Sigle für die Erstausgabe des Textes Seitenzählung der Druckvorlage Indices für textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Texteingriffen

Abschn. Abt. AFLE AfSSp a. M. Anm. a.o. Aufl. Aug.

Abschnitt Abteilung Archivo della Fondazione Luigi Einaudi Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik am Main Anmerkung außerordentlicher Auflage August

bearb. Bl. BSB bzw.

bearbeitet Blatt Bayerische Staatsbibliothek beziehungsweise

ca. cf. Co.

cirka confer Company

dass. ders. Dez. dgl. DGS d.h. Dr. med. Dr. phil.

dasselbe derselbe Dezember dergleichen Deutsche Gesellschaft für Soziologie das heißt Doctor medlcinae Doctor philosophiae

XXIV

Siglen, Zeichen,

Dr. rer. pol. dt.

Doctor rerum politicarum deutsch

ebd. ev.

ebenda eventuell

f. f., ff. Fasz. Febr. frz.

feminin folgende Faszikel Februar französisch

gänzl. umgearb. GARS GdS geb. gest. griech. GStA GuG

gänzlich umgearbeitet Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Grundriß der Sozialökonomik geboren gestorben griechisch Geheimes Staatsarchiv Geschichte und Gesellschaft. Zeltschrift für historische Sozialwissenschaft

HdStW 1 , 2 , 3

Herausgeb., Hg., hg. HZ

Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad [u.a.] [1. Aufl.], 6 Bände, 2 SupplementbändeJena: Gustav Fischer 1890-1897; 2. Aufl., 7 Bände, 18981901; 3. Aufl., 8 Bände, 1909-1911. Herausgeber, herausgegeben Historische Zeitschrift

i. Br. ital.

im Breisgau italienisch

Jan. Jh.

Januar Jahrhundert

Kap. KZfSS

Kapitel Kölner Zeltschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

lat.

lateinisch

m. Mio mlat. MWG

maskulin Millionen mittellateinisch Max Weber-Gesamtausgabe. (Die bibliographischen Angaben zu den Einzelbänden finden sich unten, S. 394ff.)

n. Chr. Nl. Nov. Nr.

nach Christus Nachlaß November Nummer

Abkürzungen

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

XXV

o. o. J. Okt.

ordentlicher ohne Jahr Oktober

p. (Priv.) Doz.

pagina (Privat-) Dozent

R Rep.

Recto Repetitorium

S. Sept. SHLB Skt. sog. Sp. SPD St.

Seite September Schleswig Holsteinische Landesbibliothek Sanskrit sogenannte Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sankt

t Tl.

Tonne Transliteration

u. u. a., u. A. u. Ä. usw. u.U.

und und andere, unter Anderem und Ähnliches und so weiter unter Umständen

V. v. VA v. Chr. vgl. Vol., Vols. vollst, neubearb. Aufl.

Verso von Verlagsarchiv vor Christus vergleiche Volume(s), Volumen, Band vollständig neubearbeitete Auflage

Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter

Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907. Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1926 (Nachdruck = 3. Aufl. Tübingen 1984) Weber, Max, Agrarverhältnisse im Altertum, in: HdStW 3 , Band 1. - Jena: Gustav Fischer 1909, S. 5 2 - 1 8 8 (MWG I/6). Weber, Max, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen. - Stuttgart: Ferdinand Enke 1889 (MWG 1/1). Weber, Max, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Band 4, Heft 3, 1913, S. 2 5 3 - 2 9 4 (MWG 1/12).

Weber, Marianne, Lebensbild Weber, Agrarverhältnisse 3 Weber, Handelsgesellschaften Weber, Kategorienaufsatz

XXVI

Siglen, Zeichen,

Weber, VorlesungsGrundriß

Weber, Max, Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische") Nationalökonomie. (1898). Nachdruck. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1990 (MWG III). Wirtschaft und Gesellschaft Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III). - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922 (MWG I/22 und I/23).

WuG WuG 1

zum Beispiel

Abkürzungen

Einleitung

I. Der wissenschaftsgeschichtliche

Hintergrund

In den Texten über „Gemeinschaften" beabsichtigte Max Weber eine geschlossene Darstellung aller „großen Gemeinschaftsformen" der uns bekannten Geschichte vorzulegen; diese sollte zugleich grundlegende soziologische Erkenntnisse über die höchst unterschiedlichen Typen gesellschaftlicher Ordnungen und ihrer jeweiligen Formen des „Wirtschaftens" erbringen. Er stand damit in einer langen Tradition von Versuchen der soziologischen, ethnologischen und nationalökonomischen Forschung des 19. Jahrhunderts, die Entstehung der modernen Zivilisation und des kapitalistischen Wirtschaftssystems seit ihren ersten Anfängen entweder als linearen Entwicklungsprozeß oder als Abfolge von Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung zu rekonstruieren. Unter den Soziologen war es Auguste Comte, 1 der erstmals eine Theorie der gesetzmäßigen Entwicklung der Menschheit seit ihren Anfängen vorgelegt hatte, gefolgt von begeisterten Propagandisten der Idee des unaufhaltsamen Fortschritts der Menschheit zu immer neuen Höhen der Kulturentwicklung, wie beispielsweise Herbert Spencer. 2 Unter den Ethnologen waren es vor allem englische und amerikanische Wissenschaftler, die hier eine Vorreiterrolle spielten. Am prominentesten und wirksamsten war Lewis Henry Morgan, der auf der Grundlage eines großenteils neu erschlossenen ethnologischen Materials über amerikanische Indianerstämme eine einflußreiche Rekonstruktion der Menschheitsgeschichte vorlegte. Morgan nahm an, daß sich in den Lebensformen und Gewohnheiten primitiver Völker zugleich die Urgeschichte auch der fortgeschrittenen Nationen der westlichen Welt vorfinde und dergestalt zuverlässig rekonstruieren lasse. 3 Die ethnologischen Theorien über die Geschichte der Menschheit vom Urzustand bis in die Gegenwart gingen von der relativ

1 Comte, Auguste, Cours de la philosophie positive, 6 Bände. - Paris: Buchelier 1830-1842. 2 Spencer, Herbert, The study of sociology, 5 Bände. - London, New York: D. Appleton 1873. 3 Vgl. z. B. Morgan, Die Urgesellschaft. Zu weiteren Literaturangaben siehe den Text „Hausgemeinschaften", unten, S. 135, Anm.33.

2

Einleitung

s i m p l e n A n n a h m e aus, daß alle V ö l k e r s c h a f t e n auf d e m Erdball d e n s e l ben Prozeß s c h r i t t w e i s e r Zivilisierung d u r c h l a u f e n h a b e n bzw. n o c h d u r c h l a u f e n w ü r d e n . Diese A n n a h m e n , die b e i m d a m a l i g e n S t a n d der e t h n o l o g i s c h e n F o r s c h u n g p l a u s i b e l e r s c h i e n e n , b e r u h t e n auf e i n e m opt i m i s t i s c h e n Fortschrittsbegriff, der d a v o n a u s g i n g , daß der Prozeß der Zivilisation sich im Prinzip stetig und linear vollziehe u n d sich in d e n höheren S t a d i e n der E n t w i c k l u n g W o h l s t a n d , R e c h t s s i c h e r h e i t u n d freiheitliche p o l i t i s c h e Verhältnisse g l e i c h s a m z w a n g s l ä u f i g einstellen w ü r d e n . V e r ö f f e n t l i c h u n g e n d i e s e s Genres f a n d e n bei d e n g r o ß b ü r g e r l i c h e n S c h i c h t e n Europas vor der J a h r h u n d e r t w e n d e großen Z u s p r u c h . Ihnen w u r d e h a n d g r e i f l i c h vor A u g e n geführt, w i e herrlich weit man es d o c h in d e n f o r t g e s c h r i t t e n e n I n d u s t r i e s t a a t e n N o r d a m e r i k a s u n d E u r o p a s gebracht habe. D a r ü b e r hinaus lösten m a n c h e T h e s e n der d a m a l s n o c h in ihren wiss e n s c h a f t l i c h e n A n f ä n g e n s t e h e n d e n Ethnologie l e i d e n s c h a f t l i c h e Debatten aus. Dies gilt i n s b e s o n d e r e für die Theorie B a c h o f e n s über die Muttergesellschaft, welche den späteren patriarchalischen Gesellschaften d u r c h w e g v o r a u s g e g a n g e n sei. 4 Die These, daß in f r ü h e n Phasen der M e n s c h h e i t s g e s c h i c h t e d a s Matriarchat die Regel g e w e s e n sei, löste in d e n w e s t l i c h e n G e s e l l s c h a f t e n , in d e n e n die Vorherrschaft d e s M a n n e s in der Ehe als g l e i c h s a m n a t u r g e g e b e n e r T a t b e s t a n d a n g e s e h e n w u r d e , einige Irritation aus. Der radikale Flügel der F r a u e n b e w e g u n g , d i e damals n o c h g e g e n einen Wall v o n m a s k u l i n e n Vorurteilen a n z u k ä m p f e n hatte, griff die T h e s e n von der M u t t e r g e s e l l s c h a f t als der u r s p r ü n g l i c h e n Form d e s m e n s c h l i c h e n Z u s a m m e n l e b e n s , die erst s p ä t e r d u r c h die pervertierten F o r m e n m ä n n l i c h e r Vorherrschaft v e r d r ä n g t w o r d e n sei, auf. Sie f a n d B u n d e s g e n o s s e n bei Teilen der s o z i a l i s t i s c h e n B e w e g u n g , die sich ihrerseits auf die Erkenntnisse über die k o m m u n i s t i s c h e n Lebensform e n der f r ü h e n G e s e l l s c h a f t e n berief, u m der Idee d e s Sozialismus zusätzliche Ü b e r z e u g u n g s k r a f t zu verleihen. A u s sozialistischer Sicht wurde die s c h r i t t w e i s e H e r a u s b i l d u n g von p r i v a t w i r t s c h a f t l i c h e n F o r m e n d e s E i g e n t u m s in der U r g e s e l l s c h a f t als A n f a n g e i n e s verfehlten Entwickl u n g s p f a d e s hin zur m o d e r n e n Zivilisation g e d e u t e t , d e n der Sozialismus z u m Wohle der M e n s c h h e i t zu korrigieren sich a n s c h i c k e . Friedrich Engels' Werk „Der U r s p r u n g der Familie" war u m die J a h r h u n d e r t w e n d e eine der e r f o l g r e i c h s t e n P o p u l a r i s a t i o n e n der T h e s e n v o n M o r g a n , kombiniert mit der P r o p a g i e r u n g der Idee der s o z i a l i s t i s c h e n Z u k u n f t s g e s e l l schaft, in der es kein P r i v a t e i g e n t u m mehr g e b e n w e r d e u n d w e l c h e die

4 Bachofen, Johann Jacob, Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, 2. Aufl. - Basel: Benno Schwabe 1897 (hinfort: Bachofen, Mutterrecht).

Einleitung

3

Erfüllung der Menschheitsgeschichte darstelle. 5 Die Kombination eines naiven Fortschrittsglaubens mit einer Geschichtstheorie, die zwangsläufig zu einer neuen, Im Grundsatz ursprünglicheren Gesellschaftsordnung führen werde, sowie einer ausgeprägten Wissenschaftsgläubigkeit fand großen Zuspruch beim Publikum. Auch August Bebel hat sich in seinem damals überaus erfolgreichen Buch „Die Frau und der Soziallsmus" in dieses Fahrwasser begeben. 6 Es lag nahe, daß auch die zeitgenössische Nationalökonomie diesem Thema Ihre Aufmerksamkeit zuwandte. 7 Neben diesen ethnologisch orientierten Theorien standen In großer Zahl Theorien der Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung seit den Anfängen der Menschheit. 8 Im deutschsprachigen Raum waren diese vielfach mit der Absicht verbunden, die rein theoretische Begrifflichkeit der klassischen Nationalökonomie durch die Einbeziehung der historischen Dimension zu überwinden. Karl Heinrich Rau beispielsweise differenzierte zwischen Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Kriterium der jeweilig vorherrschenden Formen wirtschaftlicher Tätigkelten. Er unterschied zwischen den Kulturstadien der Jäger und Sammler, der Hirten und Viehzüchter, der Ackerbauern und schließlich der Gewerbe- und Handeltreibenden. 9 Bedeutsamer wurde in der Folge die Stufentheorie Friedrich Lists. 10 Sie unterschied zwischen fünf Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung, die im Prinzip alle Völker zu durchlaufen hätten, den wilden Zustand, den Hlrtenzustand, den Agrikulturstaat, den Agrar-Manufakturstaat und den Agrar-Manufaktur-Handelsstaat. List wies der staatlichen Wirtschaftspolitik die Aufgabe zu, durch geeignete gesetzliche Maßnahmen, gegebenenfalls durch Schutzzölle, eine harmonische Entwicklung der Nationalwirtschaft zu befördern und dazu beizutragen, diese auf die jeweils nächsthöhere Stufe der Entwicklung zu heben.

5 Engels, Der Ursprung der Familie, S. 186-188. 6 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, S. 263ff. 7 Ein Beispiel dafür, das auch von Max Weber zitiert wurde, ist die Abhandlung von Brentano, Lujo, Die Volkswirthschaft und ihre konkreten Grundbedingungen, in: Zeitschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, Band 1, 1893, S. 101 - 1 4 8 . Auch Karl Bücher geht In seiner Abhandlung Die Entstehung der Volkswirtschaft, Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl. - Tübingen: Laupp 1898 (hinfort: Bücher, Volkswirtschaft) eingangs ausführlich auf die damaligen ethnologischen Theorien ein. 8 Eine knappe Übersicht bei Winkel, Harald, Die deutsche Nationalökonomie Im 19. Jahrhundert. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 1 7 5 - 1 8 0 . Vgl. auch Hoselitz, Bert F. (Hg.), Theories of Economic Growth. - Glencoe (Illinois): Free Press 1960, S. 1 9 3 - 2 3 8 . 9 Rau, Karl Heinrich, Lehrbuch der politischen Ökonomie, 3 Bände. - Leipzig: C. F. Winter 1863-1865. 10 List, Friedrich, Das nationale System der politischen Ökonomie. - Stuttgart: Cotta 1841.

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Einleitung

Die seit der J a h r h u n d e r t m i t t e im d e u t s c h e n S p r a c h r a u m d o m i n i e r e n d e u n d zur h e r r s c h e n d e n Lehre a u f s t e i g e n d e H i s t o r i s c h e S c h u l e d e r Nation a l ö k o n o m i e war s i c h d u r c h g ä n g i g d a r ü b e r einig, daß die E n t s t e h u n g d e s m o d e r n e n m a r k t o r i e n t i e r t e n W i r t s c h a f t s s y s t e m s nicht o h n e B e r ü c k s i c h t i g u n g der p o l i t i s c h e n , g e s e l l s c h a f t l i c h e n u n d kulturellen Faktoren, u n d n a m e n t l i c h der Rolle d e s Staates, erklärt w e r d e n k ö n n e u n d daß die v e r s c h i e d e n e n Nationen j e w e i l s sehr u n t e r s c h i e d l i c h e W e g e zur m o d e r nen V e r k e h r s w i r t s c h a f t b e s c h r i t t e n hätten u n d k ü n f t i g n o c h b e s c h r e i t e n w ü r d e n . Sie w a n d t e s i c h d a m i t g e g e n die g e n e r e l l e A n w e n d b a r k e i t der k l a s s i s c h e n n a t i o n a l ö k o n o m i s c h e n Theorie, die s i c h i n s b e s o n d e r e mit d e n N a m e n von A d a m Smith u n d D a v i d Ricardo v e r b a n d . Die B e r ü c k s i c h t i g u n g der g e s c h i c h t l i c h e n Wirklichkeit in ihrer g a n z e n Vielfalt e m p fahl s i c h a u c h d e s h a l b , weil m a n meinte, daß sonst der p o l i t i s c h e A s p e k t der D i n g e u n g e n ü g e n d e B e r ü c k s i c h t i g u n g f i n d e n w ü r d e . Karl Knies beis p i e l s w e i s e a r g u m e n t i e r t e , daß m a n nur d u r c h d e n Rückgriff auf die g e s c h i c h t l i c h e D i m e n s i o n „ z u m vollen Verständnis der ö k o n o m i s c h e n L a g e der G e g e n w a r t u n d der R i c h t u n g , in w e l c h e r wir uns b e w e g e n , g e l a n g e n " k ö n n e . 1 1 „Erst d a n n , w e n n sie s i c h auf d i e s e n g e s c h i c h t l i c h e n Bod e n stellt", k ö n n e die N a t i o n a l ö k o n o m i e „ s i c h e r in d a s L e b e n der Wirklichkeit e i n g r e i f e n u n d so die Früchte" ihrer A r b e i t „ n u t z b a r e r m a c h e n " . 1 2 Max W e b e r s t a n d s o l c h e n A n s i c h t e n a n f ä n g l i c h d u r c h a u s nicht fern; im G e g e n t e i l , er b e t r a c h t e t e die B e r ü c k s i c h t i g u n g der h i s t o r i s c h e n Konstellationen im Kontext n a t i o n a l ö k o n o m i s c h e r A n a l y s e n als u n e n t b e h r l i c h . In d e n ü b e r l i e f e r t e n S t i c h w o r t m a n u s k r i p t e n zu d e n V o r l e s u n g e n ü b e r „ A g r a r p o l i t i k " aus d e n 1890er Jahren heißt es b e i s p i e l s w e i s e im Z u s a m m e n h a n g v o n E r ö r t e r u n g e n über die A g r a r v e r f a s s u n g u n d d i e unters c h i e d l i c h e n F o r m e n der A n w e n d u n g d e s Rechts auf die A g r a r w i r t s c h a f t : „ V e r s t ä n d n i s nur historisch zu vermitteln. Sonst f r a g m e n t a r i s c h " . Das a g r a r i s c h e Recht, so wird weiter a u s g e f ü h r t , sei „ein Produkt h i s t o r i s c h e r ] E n t w i c k l u n g , d i e im Fluß b e f i n d l i c h ] ist". 1 3 Dies k a n n natürlich nicht ü b e r r a s c h e n , d e n n Max W e b e r k a m als Schüler A u g u s t Meitz e n s s e l b s t aus der D e n k t r a d i t i o n der H i s t o r i s c h e n Schule. A b e r er g i n g , w i e n o c h zu z e i g e n sein wird, in der Folge z u n e h m e n d auf Distanz zu einer rein h i s t o r i s c h e n Z u g r i f f s w e i s e auf n a t i o n a l ö k o n o m i s c h e u n d sozialw i s s e n s c h a f t l i c h e G e g e n s t a n d s b e r e i c h e . Er sah s i c h freilich mit e i n e m g a n z e n B ü n d e l v o n S t u f e n t h e o r i e n der Wirtschaft konfrontiert, d i e jeweils b e a n s p r u c h t e n , eine a l l g e m e i n g ü l t i g e Theorie der E n t s t e h u n g der mo-

11 Knies, Karl, Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpuncte, photomechan. Nachdruck der 2. Auflage von 1883. - Osnabrück: Zeller 1964, S.376. 12 Ebd., S.377. 13 GStA Berlin, I. HA, NI. Max Weber, Rep. 92, Nr. 31, Band 3, Bl. 323.

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d e r n e n marktorientierten W i r t s c h a f t s o r d n u n g seiner Zeit geliefert zu haben. Es g e h ö r t e fast z u m g u t e n Ton unter d e n z e i t g e n ö s s i s c h e n d e u t s c h s p r a c h i g e n N a t i o n a l ö k o n o m e n , d e r a r t i g e S t u f e n m o d e l l e d e r wirtschaftlic h e n E n t w i c k l u n g zu v e r f a s s e n . Bruno H i l d e b r a n d legte s c h o n 1848 eine Stufentheorie der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g vor, die s i c h in erster Linie an d a s Kriterium der Formen d e s w i r t s c h a f t l i c h e n A u s t a u s c h e s hielt. Er u n t e r s c h i e d n o c h sehr p a u s c h a l z w i s c h e n einer Stufe der Naturalwirtschaft, einer z w e i t e n Stufe der G e l d w i r t s c h a f t u n d einer dritten der Kred i t w i r t s c h a f t , w e l c h e erst die volle Entfaltung d e s industriellen S y s t e m s zu b r i n g e n v e r s p r e c h e . 1 4 G u s t a v v o n S c h ö n b e r g e n t w i c k e l t e in d e m Bem ü h e n , die V o r s c h l ä g e Lists mit d e n weit p r ä z i s e r e n A r g u m e n t e n Hildeb r a n d s zu k o m b i n i e r e n , ein k o m p l e x e s Modell, d a s drei h a u p t s ä c h l i c h e W i r t s c h a f t s z u s t ä n d e vorsah, n ä m l i c h H a u s w i r t s c h a f t , S t a d t w i r t s c h a f t u n d Volkswirtschaft, d i e s e a b e r in m a n n i g f a l t i g e r Weise mit d e m Entwickl u n g s s t a n d u n d d e n w i r t s c h a f t l i c h e n u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verhältnissen der einzelnen Völker in B e z i e h u n g setzte. 1 5 G u s t a v S c h m o l l e r h i n g e g e n g i n g v o n d e n h i s t o r i s c h g e g e b e n e n u n d im Laufe der G e s c h i c h t e e i n a n d e r a b l ö s e n d e n p o l i t i s c h e n Einheiten aus, i n n e r h a l b w e l c h e r s i c h die Entfaltung der W i r t s c h a f t v o l l z o g e n h a b e . Er u n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e n Stufen der D o r f w i r t s c h a f t , S t a d t w i r t s c h a f t , Territorialwirtschaft u n d Volkswirtschaft, w o b e i letztere s i c h auf d e n S i e d l u n g s b e r e i c h eines Volkes b e z o g . M a ß g e b l i c h war für Schmoller der d u r c h A u s t a u s c h , H a n d e l u n d g e w e r b l i c h e Produktion e r r e i c h t e G r a d der Integration w i r t s c h a f t l i c h e n H a n d e l n s zu e i n e m e i n h e i t l i c h e n W i r t s c h a f t s r a u m . Für ihn b e s t a n d kein Zweifel, daß die p o l i t i s c h e n O r d n u n g e n eine m a ß g e b l i c h e Funktion im Prozeß d e s w i r t s c h a f t l i c h e n W a c h s t u m s innehätten u n d insoweit ein historischer Zugriff a u c h auf die t h e o r e t i s c h e n P r o b l e m e der N a t i o n a l ö k o nomie u n v e r z i c h t b a r sei. 1 6 Bei w e i t e m a m e r f o l g r e i c h s t e n erwies s i c h in der Folge Karl B ü c h e r s e b e n f a l l s auf historischer G r u n d l a g e e n t w i c k e l t e s M o d e l l der volkswirts c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g s s t u f e n . B ü c h e r wollte „ d i e g e s a m t e w i r t s c h a f t 14 Hildebrand, Bruno, Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft. - Frankfurt a. M.: Rütten 1848. 15 Schönberg, Gustav, Handbuch der politischen Ökonomie, 2 Bände. - Tübingen: Laupp 1882. 16 Schmoller, Gustav, Studien über die wlrthschaftliche Politik Friedrichs des Großen und Preußens überhaupt von 1680-1786, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Neue Folge, 8. Jg., 1884, S. 1 -61; ders., Das Merkantilensystem in seiner historischen Bedeutung, städtische, territoriale und staatliche Wirtschaftspolitik, in: ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs-, und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert. - Leipzig: Duncker & Humblot 1898, S. 1 -60.

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liehe E n t w i c k e l u n g , w e n i g s t e n s für die zentral- u n d w e s t e u r o p ä i s c h e n Völker, w o sie s i c h mit h i n r e i c h e n d e r G e n a u i g k e i t historisch v e r f o l g e n läßt, in drei Stufen" teilen: „1. die Stufe der geschlossenen Hauswirtschaft (reine E i g e n p r o d u k t i o n , t a u s c h l o s e Wirtschaft), auf w e l c h e r die Güter in d e r s e l b e n Wirtschaft v e r b r a u c h t w e r d e n , in der sie e n t s t a n d e n sind; 2. die Stufe der Stadtwirtschaft ( K u n d e n p r o d u k t i o n o d e r Stufe d e s direkten A u s t a u s c h e s ) , auf w e l c h e r die Güter aus der p r o d u z i e r e n d e n W i r t s c h a f t unmittelbar in die k o n s u m i e r e n d e ü b e r g e h e n ; 3. die Stufe der Volkswirtschaft ( W a r e n p r o d u k t i o n , Stufe d e s G ü t e r u m l a u f e s ) , auf w e l c h e r die Güter in der Regel eine Reihe v o n W i r t s c h a f t e n passieren m ü s s e n , e h e sie z u m V e r b r a u c h g e l a n g e n . " 1 7 B ü c h e r antizipierte d a r ü b e r hinaus eine k ü n f t i g e neue Stufe der „ W e l t w i r t s c h a f t " , ü b e r die s i c h freilich Konkretes n o c h nicht s a g e n lasse. 1 8 Er b e a n s p r u c h t e , d i e s e drei Stufen der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g j e w e i l s „in ihrer t y p i s c h e n Reinheit zu erfassen", o h n e s i c h „ d u r c h d a s z u f ä l l i g e Auftreten von Ü b e r g a n g s b i l d u n g e n o d e r v o n e i n z e l n e n E r s c h e i n u n g e n beirren zu lassen, die als N a c h b l e i b sel früherer o d e r Vorläufer späterer Z u s t ä n d e in eine Periode h i n e i n r a g e n u n d in ihr e t w a historisch n a c h g e w i e s e n w e r d e n k ö n n e n . " 1 9 Dieses M o d e l l hat Max W e b e r a n f ä n g l i c h o f f e n b a r als v o r b i l d l i c h betrachtet. Eine g l e i c h a r t i g e S e q u e n z s o z i o - ö k o n o m i s c h e r Formationen findet s i c h in leicht v e r ä n d e r t e r Form in d e n f r ü h e n V o r l e s u n g e n Max Webers, u n d d a n n allerdings stärker d i f f e r e n z i e r e n d a u c h in d e n Texten über die „ G e m e i n s c h a f t e n " . Vermutlich fühlte s i c h Max W e b e r v o n der v e r g l e i c h s w e i s e hohen b e g r i f f l i c h e n Klarheit a n g e z o g e n , mit der Karl Büc h e r an d i e s e P r o b l e m e h e r a n g i n g . Die N ä h e zu W e b e r s e i g e n e n B e m ü h u n g e n , die k o m p l e x e h i s t o r i s c h e Wirklichkeit mit rational k o n s t r u i e r t e n i d e a l t y p i s c h e n Begriffen zu erfassen, ist nicht zu ü b e r s e h e n . Bei B ü c h e r f i n d e n sich bereits die G r u n d l i n i e n der E n t w i c k l u n g der H a u s g e m e i n s c h a f t , w e l c h e die G r u n d f o r m der w i r t s c h a f t l i c h e n Tätigkeit auf der Stufe der H a u s w i r t s c h a f t bildet, i n s b e s o n d e r e die B e t o n u n g der h e r a u s g e h o b e n e n Stellung des H a u s v a t e r s mit seiner u r s p r ü n g l i c h u n b e s c h r ä n k t e n H e r r e n g e w a l t , s o w i e die s c h r i t t w e i s e A u s w e i t u n g der u r s p r ü n g l i c h auf e i n z e l n e n Familien b e r u h e n d e n g e s c h l o s s e n e n H a u s w i r t s c h a f t zu N a c h b a r s c h a f t s v e r b ä n d e n auf der G r u n d l a g e der S i p p e , a n d e r e r s e i t s a b e r der E n t s t e h u n g unfreier Arbeiter als Folge der s c h r i t t w e i s e n A u s w e i t u n g der h a u s v ä t e r l i c h e n potestas. A u c h die B e s t i m m u n g d e s C h a r a k t e r s der g e s c h l o s s e n e n S t a d t w i r t s c h a f t d e s mittelalterlichen Europa, w e l c h e nicht nur die Institution d e s Marktes, als einer g e r e g e l t e n Form d e s Tausches,

17 Bücher, Volkswirtschaft (wie oben, S. 3, Anm. 7), S. 58. 18 Ebd., S. 115. 19 Ebd., S. 58.

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h e r v o r g e b r a c h t hat, s o n d e r n a u c h d e n freien Bürger u n d eine g e n o s s e n s c h a f t l i c h a b g e s t u f t e S e l b s t v e r w a l t u n g , hat eine E n t s p r e c h u n g in der Studie Max W e b e r s über die „Stadt". 2 0 Nicht zufällig s c h ä t z t e Max W e b e r die A r b e i t e n von Bücher, von d e m es 1897 einmal heißt, daß dieser „erst im E m p o r w a c h s e n " sei, 2 1 d a m a l s sehr h o c h ein. A l l e r d i n g s k o n n t e n Max W e b e r die S c h w ä c h e n , die B ü c h e r s auf d e n ersten Blick so e i n l e u c h t e n d e Rekonstruktion der Stufen der wirtschaftlic h e n E n t w i c k l u n g im O k z i d e n t aufwies, s c h w e r l i c h e n t g e h e n . Dies betraf i n s b e s o n d e r e die Linearität d e s M o d e l l s , d a s mit m a n c h e r l e i A b w e i c h u n g e n im e i n z e l n e n d o c h drei o r g a n i s c h a u f e i n a n d e r f o l g e n d e Wirtschaftsstufen von der A n t i k e bis zur G e g e n w a r t postulierte. G e g e n die These, daß es in d e n f r ü h e n Stufen der M e n s c h h e i t s g e s c h i c h t e u n d i n s b e s o n d e re der antiken Welt, mit der B ü c h e r a u f g r u n d e i g e n e r e i n s c h l ä g i g e r Arbeiten gut vertraut war, nur eine „ g e s c h l o s s e n e H a u s w i r t s c h a f t " o h n e nennenswerte Tauschbeziehungen g e g e b e n habe, und wenn, dann ü b e r w i e g e n d s o l c h e , die sich auf der G r u n d l a g e der N a t u r a l w i r t s c h a f t v o l l z o g e n , w u r d e massiver W i d e r s p r u c h laut. G l e i c h e s gilt v o n der Stufe der S t a d t w i r t s c h a f t , in der sich laut B ü c h e r A u s t a u s c h nur auf der G r u n d lage von K u n d e n b e z i e h u n g e n entfaltet habe. Vor allem a b e r e r h o b sich g e g e n seine A n n a h m e , daß es in der antiken Welt keinen n e n n e n s w e r t e n ö k o n o m i s c h e n Fortschritt g e g e b e n h a b e , ein Sturm der Entrüstung auf seiten der Historikerschaft, mit Eduard M e y e r 2 2 u n d G e o r g von B e l o w 2 3 an der Spitze; s p ä t e r w u r d e d i e s w i e d e r a u f g e g r i f f e n v o n Alfons D o p s c h 2 4 und M i c h a e l I. Rostovtzeff. 2 5 Max Weber, der mit Below be-

20 MWG I/22-5. 21 Vgl. Vorlesung über „Allgemeine (.theoretische') Nationalökonomie", GStA Berlin, I. HA, Nl. Max Weber, Rep. 92, Nr. 31, Band 3, Bl. 155. 22 Meyer, Eduard, Die wirtschaftliche Entwlckeiung des Altertums. - Jena: Gustav Fischer 1895. 23 Below, Georg von, Über Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung der Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirthschaft des deutschen Mittelalters, in: HZ, Band 86, 1901, S. 1 - 7 7 ; ders., Zur Würdigung der historischen Schule der Nationalökonomie, Tell IV: Schmollers Stufentheorie, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft, 7. Jg., 1904, S. 3 6 7 - 3 9 1 . Vgl. dazu auch Finley, Moses I. (Hg.), The Bücher-Meyer Controversy. Reprint of five contributions by J. Beloch, K. Bücher and E. Meyer, originally published between 1899 and 1924 In various publications. - New York: Arno Press 1979. 24 Dopsch, Alfons, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung aus der Zeit von Cäsar bis auf Karl den Großen, 2 Teile, 2. Aufl. - Wien: L. W. Seidel & Sohn 1923-1924. 25 Rostovtzeff, Michael I., Rezension von Johannes Hasebroek, Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Band 92, 1932, S. 3 3 3 - 3 3 9 .

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freundet war und sich selbst mit Eduard Meyer auseinandergesetzt hatte, war dies alles natürlich wohlbekannt. 2 6 In der 3. Auflage seiner „Agrarverhältnisse im Altertum" hat er Karl Bücher g e g e n die Kritik der Historikerschaft in Schutz genommen und ausdrücklich darauf verwiesen, daß dieser die „Rodbertussche Kategorie des ,Oikos' als den d e m Altertum charakteristischen Typus der Wirtschaftsorganisation aufgefaßt" habe, „jedoch [...] im Sinne einer .¡dealtypischen' Konstruktion einer Wirtschaftsverfassung, die im Altertum in spezifisch starker Annäherung an die .begriffliche' Reinheit mit ihren spezifischen Konsequenzen auftrat, ohne daß j e d o c h das ganze Altertum, räumlich oder zeitlich, von ihr beherrscht wurde [...]". 2 7 Hier wird, nach d e m Vorlauf des „Objektivitätsaufsatzes", explizit der Begriff des „Idealtypus" auf diese Stufenmodelle angewandt. 2 8 Max Weber war d e m n a c h sowohl mit den Theorien der Entwicklung der Menschheit seit ihren frühesten Anfängen, die sich auf ethnologische Befunde beriefen, wie auch mit den zeitgenössischen wirtschaftlichen Stufentheorien bestens vertraut. Erstere hat er in seinen Vorlesungen der 1890er Jahre ausführlich behandelt. Die älteren Theorien, die eine lineare Abfolge von primitiven Gesellschaften von Jägern und Sammlern über Viehhaltung und Viehzucht betreibende Gesellschaften hin zu seßhaften Ackerbaugesellschaften postulierten, hielt Max Weber für „in dieser Allgemeinheit w a h r s c h e i n l i c h ] unrichtig". 2 9 Jedenfalls aber seien sie nicht auf mitteleuropäische Verhältnisse anwendbar, allein schon aus klimatischen Gründen. Auch wollte er von vornherein zwischen der „europäischen und der asiatischen [...] Culturentwicklung" unterscheiden. 3 0 Für den Okzident betrachtete er die Kombination von A c k e r b a u und Haustierhaltung als einen entscheidenden Faktor, im Gegensatz zu den Verhältnissen im Orient, in China und Teilen von Südamerika. Lineare Entwicklungsschemata teleologischen Charakters, wie sie sich etwa bei Morgan finden, hielt Max Weber grundsätzlich für unangemessen; die Vielgestaltigkeit der historischen Wirklichkeit ließ sich nach seiner Ansicht nicht in Aussagen mehr oder minder gesetzmäßigen Charakters fassen.

26 Weber, A g r a r v e r h ä l t n i s s e 3 , S. 5 2 - 7 3 . 27 Ebd., S. 55. 28 Weber, Max, Die „Objektivität" s o z i a l w i s s e n s c h a f t l i c h e r u n d sozialpolitischer Erkenntnis, in: AfSSp, B a n d 19, 1904, S . 2 2 - 8 7 ; M W G I/7 (hinfort: Weber, Objektivität). Z u m „Oikos" vgl. a u c h M W G I/2, S . 3 1 7 . 29 Vorlesung über „ A l l g e m e i n e (.theoretische') N a t i o n a l ö k o n o m i e " , D e p o n a t Max Weber, BSB M ü n c h e n , A n a 446, O M 3, Bl. 53. 30 Ebd., Bl. 54.

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Mit großem Interesse v e r f o l g t e Max W e b e r die z e i t g e n ö s s i s c h e Diskussion über die „ältesten m e n s c h l i c h e n G e m e i n s c h a f t s f o r m e n " . 3 1 Für ihn war, wie für die z e i t g e n ö s s i s c h e F o r s c h u n g ü b e r h a u p t , unstrittig, daß die Familie im w i r t s c h a f t l i c h e n Sinn als H a u s h a l t s g e m e i n s c h a f t , oder, w i e es d a n n s o g l e i c h heißt, als „ H a u s g e m e i n s c h a f t " , im Regelfall die unterste Form einer W i r t s c h a f t s g e m e i n s c h a f t darstellte, auf d e r G r u n d l a g e der (oft nur f i n g i e r t e n ) G e s c h l e c h t s - und B l u t s g e m e i n s c h a f t . 3 2 A u c h späterhin hat W e b e r stets h e r v o r g e h o b e n , daß sexuelle B e z i e h u n g e n nicht an sich eine „ G e m e i n s c h a f t " b e g r ü n d e n , s o n d e r n nur eine K o m p o n e n t e der E n t s t e h u n g einer H a u s g e m e i n s c h a f t als „ V e r s o r g u n g s g e m e i n s c h a f t von Eltern und K i n d e r n " d a r s t e l l e n . 3 3 Diese bildet, bei w e c h s e l n d e r Größe, die G r u n d f o r m w i r t s c h a f t l i c h e r Tätigkeit, o h n e freilich n a c h außen volls t ä n d i g a b g e s c h l o s s e n zu sein. Sie „ d e c k t [ d e n ] A l l t a g s b e d a r f an A r b e i ten u n d S a c h g ü t e r n e i g e n w i r t s c h a f t l i c h " , greift a b e r v o n Fall zu Fall auf die Hilfe der „ N a c h b a r s c h a f t " bzw. d e s „ N a c h b a r s c h a f t s v e r b a n d e s " u n d im weiteren Sinne, der „Sippe", als eines religiös s a n k t i o n i e r t e n Person e n v e r b a n d e s , der auf g e m e i n s a m e r wirklicher o d e r v e r m e i n t l i c h e r A b s t a m m u n g ruht, 3 4 sowie d e s „ S t a m m e s " als der Keimzelle d e s Staates z u r ü c k . A u s d i e s e n G e m e i n s c h a f t s f o r m e n e n t w i c k e l n sich d a n n sehr unt e r s c h i e d l i c h e Formen der B e d a r f s d e c k u n g u n d d e s W i r t s c h a f t e n s . In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g setzte sich Max W e b e r a u s f ü h r l i c h mit d e n d a m a l s weithin diskutierten Theorien d e s M u t t e r r e c h t s sowie d e n a n g e b lich in der U r g e s e l l s c h a f t v o r h e r r s c h e n d e n F o r m e n e i g e n t u m s l o s e r bzw. k o m m u n i s t i s c h e r G e s e l l s c h a f t e n auseinander. Diese T h e o r i e n w u r d e n von ihm e i n g e h e n d referiert, i n s b e s o n d e r e a u c h die E n t s t e h u n g d e s Vat e r r e c h t s u n d der Einehe als Folge des E i n d r i n g e n s d e s E i g e n t u m s g e d a n k e n s in die k o m m u n i s t i s c h e Wirtschaft der Horde. J e d o c h wies Max W e b e r mit einiger V e h e m e n z die Existenz einer a n f ä n g l i c h d u r c h Mutterrecht g e p r ä g t e n U r g e s e l l s c h a f t z u r ü c k , w e l c h e erst im Z u g e der Einführ u n g d e s P r i v a t e i g e n t u m s d u r c h die Vorherrschaft d e s M a n n e s a b g e l ö s t w o r d e n sei. Es sei äußerst u n w a h r s c h e i n l i c h , daß es unter d e n Verhältnissen der U r g e s e l l s c h a f t „volle Promiscuität" g e g e b e n h a b e , und G l e i c h e s gelte für die A n n a h m e einer generellen G y n a i k o k r a t i e . 3 5 „ M u t t e r r e c h t " könne, w e n n ü b e r h a u p t , d a n n nur im Sinne der v o r z u g s w e i s e n B e r ü c k -

31 Ebd., Bl. 55f. 32 Ebd., Bl. 55. 33 Vgl. das Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S.291. 34 Vorlesung über „Allgemeine (.theoretische') Nationalökonomie", Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 3, Bl. 58. 35 Ebd., Bl. 55.

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s i c h t i g u n g der R e c h t e u n d A n s p r ü c h e der m ü t t e r l i c h e n V e r w a n d t s c h a f t einen k o n k r e t e n Sinn h a b e n . 3 6 Für die E n t s t e h u n g der m o n o g a m e n „Paar u n g s e h e " , die ein lockerer, seitens d e s M a n n e s meist lösbarer V e r b a n d g e w e s e n sei, hätten v o r w i e g e n d a u c h ö k o n o m i s c h e Motive eine Rolle gespielt. Die T h e s e n der s o z i a l d e m o k r a t i s c h e n Autoren, n a m e n t l i c h von Friedrich Engels u n d A u g u s t B e b e l , 3 7 w u r d e n d e m g e m ä ß e n t s c h i e d e n abgelehnt. D o c h z u r ü c k zu u n s e r e m A u s g a n g s p u n k t , n ä m l i c h der Frage, wie sich Max W e b e r g e g e n ü b e r d e n z e i t g e n ö s s i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n über die v e r s c h i e d e n e n Theorien b e z ü g l i c h der E n t s t e h u n g d e r Volksw i r t s c h a f t positionierte u n d , n o c h g r u n d s ä t z l i c h e r , w e l c h e r Stellenwert h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g s s c h e m a t a o d e r G e s e t z e n innerhalb der Nation a l ö k o n o m i e z u z u m e s s e n sei. Als S c h ü l e r A u g u s t M e i t z e n s s t a n d Max Weber, wie bereits d a r g e l e g t w u r d e , mit seinen f r ü h e n A r b e i t e n , n a m e n t lich der Dissertation über mittelalterliche H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n , a b e r a u c h der „ R ö m i s c h e n A g r a r g e s c h i c h t e " , in der Tradition der H i s t o r i s c h e n S c h u l e . 3 8 J e d o c h löste er sich s c h o n relativ früh v o n d i e s e r d a m a l s im D e u t s c h e n Reich n o c h d o m i n a n t e n R i c h t u n g der N a t i o n a l ö k o n o m i e , d e ren u n b e s t r i t t e n e s H a u p t G u s t a v von S c h m o l l e r war. Von großer B e d e u t u n g war d a b e i W e b e r s frühe intensive B e s c h ä f t i g u n g mit der Grenznutzenlehre Carl M e n g e r s u n d E u g e n von B ö h m - B a w e r k s . 3 9 Seine bis 1898 e n t s t a n d e n e V o r l e s u n g ü b e r „ A l l g e m e i n e (.theoretische') N a t i o n a l ö k o n o mie" greift in ihrem ersten Teil „Die b e g r i f f l i c h e n G r u n d l a g e n der Volksw i r t s c h a f t s l e h r e " w e i t g e h e n d die T h e s e n der G r e n z n u t z e n l e h r e auf, betont a b e r g l e i c h z e i t i g , daß d i e s e ihren D e d u k t i o n e n e i n e n konstruierten M e n s c h e n t y p u s z u g r u n d e lege, der „ausschließlich b e s e e l t ist v o n d e m Streben, seine g e g e n w ä r t i g e n und alle d e n k b a r e n z u k ü n f t i g e n wirts c h a f t l i c h e n B e d ü r f n i s s e m ö g l i c h s t a u s g i e b i g , n a c h h a l t i g u n d rationell zu d e c k e n " . Der S a c h e n a c h setze dies voraus, daß der w i r t s c h a f t e n d e M e n s c h „ b e s t i m m t e intellektuelle u n d e t h i s c h e Q u a l i t ä t e n " besitze. Jed o c h s i n d ;,bei d e n e m p i r i s c h e n I n d i v i d u e n u n d Typen d e s M e n s c h e n "

36 Ebd., Bl. 56f. 37 Engels, Der Ursprung der Familie; Bebel, Die Frau und der Sozialismus. 38 Weber, Max, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach Südeuropäischen Quellen. - Stuttgart: F. Enke 1889 (MWG 1/1); ders., Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht (MWG I/2). 39 Siehe insbesondere Menger, Carl, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. Allgemeiner Teil. - Wien: Braunmüller 1871; ders., Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere. - Leipzig: Duncker & Humblot 1883; ders., Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. -Wien: Holder 1884, sowie Böhm-Bawerk, Eugen von, Kapital und Kapitalzins, 2 Bände. - Innsbruck: Wagner 1884, 1889.

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die auf „einem a l l g e m e i n e n zivilisatorischen, j a h r t a u s e n d e l a n g e n , stoßw e i s e v o r s c h r e i t e n d e n u n d a b e b b e n d e n , [ . . . ] Erziehungsprozeß beruh e n d e n Q u a l i t ä t e n in h ö c h s t v e r s c h i e d e n e m Maße e n t w i c k e l t . " A n d e r s g e s a g t , der „ e m p i r i s c h e u n d g e s c h i c h t l i c h e M e n s c h " sei, im G e g e n s a t z z u m „ h o m o o e c o n o m i c u s " „nur in u n v o l l k o m m e n e m Maße z u m Wirtschaften e r z o g e n u n d fähig." Die G r e n z n u t z e n l e h r e g e h e v o m „ m o d e r n e n eur o p ä i s c h e n M e n s c h e n t y p u s " aus, „wie ihn die h e u t i g e Form der [ . . . ] Wirts c h a f t e r z o g e n hat [ , . . ] . " 4 0 G e l e g e n t l i c h hat W e b e r d e n n a u c h e i n g e räumt, daß sich die M e n s c h e n in der g e g e n w ä r t i g e n k a p i t a l i s t i s c h e n O r d n u n g in g e w i s s e m Sinne d e m a b s t r a k t e n Typus d e s „ w i r t s c h a f t e n d e n M e n s c h e n " der G r e n z n u t z e n t h e o r e t i k e r a n n ä h e r t e n . 4 1 U n g e a c h t e t dieser E i n s c h r ä n k u n g e n begrüßte Max W e b e r die E n t w i c k l u n g rational konstruierter Typen, w i e sie die G r e n z n u t z e n t h e o r e t i k e r v o r g e n o m m e n hatten, als einen großen w i s s e n s c h a f t l i c h e n Fortschritt. Er sah in ihnen ein wertvolles Instrument zur Erfassung der e m p i r i s c h e n Wirklichkeit in ihrer K o m p l e x i t ä t . Es ist ersichtlich, daß von hier ein direkter W e g zur Konzip i e r u n g des I d e a l t y p u s führt, o b w o h l dort n o c h der G e d a n k e der B i l d u n g d e s I d e a l t y p u s unter G e s i c h t s p u n k t e n der K u l t u r b e d e u t u n g fehlt. A n d e rerseits hielt Max W e b e r d e n G r e n z n u t z e n t h e o r e t i k e r n e n t g e g e n , daß die v o n ihnen v o r a u s g e s e t z t e n bzw. p o s t u l i e r t e n „ B e d ü r f n i s s e " nicht nur d u r c h äußere B e d i n g u n g e n materieller Art, s o n d e r n in h o h e m Maße historisch, d. h. d u r c h d e n jeweils erreichten K u l t u r z u s t a n d einer G e s e l l s c h a f t u n d d e r e n W e r t h a l t u n g e n , b e d i n g t seien. Insofern b e s t a n d er auf d e m E i g e n r e c h t einer v o n der F r a g e s t e l l u n g n a c h der K u l t u r b e d e u t u n g historis c h e r bzw. g e s e l l s c h a f t l i c h e r E n t w i c k l u n g e n a n g e l e i t e t e n Sozialwissens c h a f t h i s t o r i s c h e n Z u s c h n i t t s . Es galt daher, b e i d e M e t h o d e n miteinander zu k o m b i n i e r e n . Dies war der W e g , auf d e m Max W e b e r nun seinerseits v o r a n z u g e h e n g e d a c h t e . D e m g e m ä ß war Max W e b e r z u n e h m e n d bestrebt, die s o z i a l w i s s e n s c h a f t l i c h e A n a l y s e auf d e n z a h l r e i c h e n Feldern der z e i t g e n ö s s i s c h e n N a t i o n a l ö k o n o m i e mit Hilfe v o n t h e o r e t i s c h g e b i l d e t e n M o d e l l e n o d e r Begriffen, die nicht d e n G e g e n s t ä n d e n selbst e n t n o m m e n w e r d e n d ü r f t e n , v o r z u n e h m e n und d i e s e d a m i t auf ein neues Niveau zu h e b e n . In d i e s e m Punkte a b e r öffnete sich eine s c h a r f e D i s k r e p a n z zur älteren H i s t o r i s c h e n S c h u l e der N a t i o n a l ö k o n o m i e , i n s b e s o n d e r e zu ihren A l t m e i s t e r n Wilhelm R o s c h e r u n d Karl Knies. Seine n u n m e h r g e w o n n e n e m e t h o d o l o g i s c h e Position explizierte Max W e b e r e x e m p l a r i s c h in einer A b h a n d l u n g über

40 Vorlesung über „Allgemeine (.theoretische') Nationalökonomie", GStA Berlin, I. HA, NI. Max Weber, Rep. 92, Nr. 31, Band 1, Bl. 133. 41 Weber, Max, Die Grenznutzlehre und das „psychophysische Grundgesetz", in: AfSSp, Band 27, 1908, S. 546-558, hier S. 555 (MWG 1/12).

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„Roscher u n d Knies u n d die l o g i s c h e n Probleme der h i s t o r i s c h e n Nation a l ö k o n o m i e " , die in d e n Jahren 1903 bis 1906 e n t s t a n d und d i e in vieler Hinsicht eine Art d e r S e l b s t v e r g e w i s s e r u n g Max W e b e r s über d i e s e Prob l e m e darstellte. U r s p r ü n g l i c h war dieser Text für eine Festschrift der Universität H e i d e l b e r g z u m G e d e n k e n an R o s c h e r b e s t i m m t g e w e s e n , d o c h w u c h s er s i c h immer mehr zu einer weit a u s h o l e n d e n F u n d a m e n t a l kritik an einer, der Tradition der Romantik v e r p f l i c h t e t e n , o r g a n i s c h e n Ges c h i c h t s a u f f a s s u n g aus und blieb a m Ende u n v o l l e n d e t . 4 2 Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit R o s c h e r und Knies gehört in d e n u n m i t t e l b a r e n Z u s a m m e n h a n g der E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e der Texte über die „ G e m e i n s c h a f ten". Sie war ein B e f r e i u n g s s c h l a g g e g e n die historistische M e t h o d e in d e n S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n . Vermutlich fiel die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e n b e i d e n A l t m e i s t e r n der d e u t s c h e n N a t i o n a l ö k o n o m i e vor a l l e m d e s halb u n g e w ö h n l i c h , u m nicht zu s a g e n u n a n g e m e s s e n , scharf aus. Es ist kein Zufall, daß Max W e b e r g e g e n die ü b e r m ä c h t i g e V o r h e r r s c h a f t der H i s t o r i s c h e n S c h u l e in der d e u t s c h e n S o z i a l w i s s e n s c h a f t S c h ü t z e n h i l f e bei der z e i t g e n ö s s i s c h e n G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e s u c h t e . H e i n r i c h Rikkerts Theorie d e r K o n s t i t u i e r u n g der historischen O b j e k t e d u r c h die Bez i e h u n g auf Kulturwerte, die dieser g e r a d e e b e n in s e i n e m b e d e u t e n d e n Werk „Die G r e n z e n der n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e g r i f f s b i l d u n g " 4 3 vorg e l e g t hatte, lag auf der Linie seiner e i g e n e n Vorstellungen. Max W e b e r hatte Rickerts B u c h , wie er d a m a l s M a r i a n n e W e b e r b e r i c h t e t e , w e n i g zuvor in Florenz mit viel Z u s t i m m u n g g e l e s e n : „Rickert h a b e ich aus. Er ist sehr gut, z u m großen Teil f i n d e ich darin d a s , w a s ich s e l b s t , w e n n a u c h in l o g i s c h nicht b e a r b e i t e t e r Form g e d a c h t h a b e " . 4 4 Rickert lieferte Max W e b e r die t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e für die K o n z e p t i o n d e s „Idealt y p s " , als eines n o m o l o g i s c h e n Konstrukts, mit d e m die K u l t u r b e d e u t u n g historischer O b j e k t e bzw. E n t w i c k l u n g e n thematisiert w e r d e n konnte, o h n e sich in Werturteile zu v e r s t r i c k e n . 4 5 A n d e r e r s e i t s d i s t a n z i e r t e er

42 Weber, Max, Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie, I. Roschers historische Methode, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 27. Jg., Heft 4, 1903, S. 1 - 4 1 ; dass., II. Knies und das Irrationalitätsproblem, in: ebd., 29. Jg., Heft 4, 1905, S . 8 9 - 1 5 0 ; dass., II. Knies und das Irrationalitätsproblem (Fortsetzung), in: ebd., 30. Jg., Heft 1, 1906, S. 8 1 - 1 2 0 (MWG I/7; hinfort: Weber, Roscher und Knies I, 11,1 bzw. II,2). 43 Rickert, Heinrich, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1902. 44 Weber, Marianne, Lebensbild, S.273. 45 Weber, Max, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik, in: AfSSp, Band 22, Heft 1, 1906, S. 143-207. Vgl. die verdeckte Kritik an der älteren Historischen Schule, S. 185, Anm. 26 (MWG I/7). Vgl. auch Bruun, Hans Henrik, Weber On Rickert: From Value Relation to Ideal Type, in: Max Weber Studies, Vol. 1, 2001, S. 138-160.

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sich von Rickerts Theorie der „objektiven Kulturwerte", als Richtpunkt aller kulturwissenschaftlichen Erkenntnis. Es kann nicht weiter überraschen, daß Max Weber mit den Auffassungen Roschers schlechterdings nichts anfangen konnte. Roschers Vorstellung, daß die Völker, ebenso wie die Individuen, einem Prozeß des Wachstums, der Reife und schließlich des Sterbens unterliegen, d e m er die Qualität eines Naturgesetzes zuschrieb, war für Max Weber ebenso wenig nachvollziehbar wie die dieser Vorstellung z u g r u n d e liegende Idee des Volkes, als eines letztlich aus Gottes Hand stammenden Subjekts des geschichtlichen Lebens. Die von Roscher beobachteten Vergleichbarkeiten der Entwicklung der großen Kulturvölker oder auch der großen politischen Formationen in der Universalgeschichte 4 6 waren nach Webers Ansicht nicht zwingend. Ähnliche Phänomene seien dort bloß additiv nebeneinandergestellt; es fehle j e d o c h jede Erklärung dafür, weshalb dies denn so sein solle, außer d e m S c h e m a von Wachstum, Reife und Absterben. Alle derartigen organischen Theorien des geschichtlichen Geschehens betrachtete Weber als unhaltbar. Beiläufig wurde auch Karl Lamprechts Hypostasierung der Nation als des kollektiven Trägers der jeweiligen kollektiv-psychologischen Zustände zurückgewiesen. 4 7 O b s c h o n sich Karl Knies g e g e n ü b e r Roschers Kreislauftheorie eines immerwährenden Auf- und Abstiegs der Völker, die in Giambattista Vico einen frühen Vorläufer besitzt, durchaus distanziert verhielt, erfuhr dessen Theorie, daß alles geschichtliche Geschehen letztendlich auf die Irrationalität des einzelnen Individuums zurückgehe, ebenfalls harsche Kritik, hier nun freilich unter Aufbietung einer breiten Phalanx zeitgenössischer Geschichtstheoretiker und Psychologen. Beider, sowohl Roschers wie Knies' erkenntnistheoretische Positionen, wurden schließlich als die „verkümmerten und nach der anthropologisch-biologischen Seite a b g e b o g e n e n Reste der großen Hegeischen Gedanken" beiseitegeschoben. 4 8 Das war eine kaum ganz gerechtfertigte Verurteilung, die aber das leistete, was Max Weber suchte, nämlich die Bahn für eine neue Form einer historischen Sozialwissenschaft freizumachen, die sich konsequent von d e m Erbe der emanatistischen Volkslehre des 19. Jahrhunderts löste. Sowohl die Kreislaufmodelle Roschers als auch Knies' Annahme einer linearen Entwicklung der Menschheitsgeschichte, als Produkt der schöpferischen Kraft des Individuums, waren nach Webers Auffassung

46 Vgl. Roscher, Wilhelm, Politik: Geschichtliche Naturlehre der Monarchie, Aristokratie und Demokratie. - Stuttgart: Cotta 1892; vgl. auch Weber, Roscher und Knies I (wie oben, S. 12, Anm.42), S.28. 47 Ebd., S. 25, Anm.5. 48 Weber, Roscher und Knies II, 2 (wie oben, S. 12, Anm.42), S. 120.

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u n g e e i g n e t , einer mit rationalen Begriffen u n d M o d e l l e n o p e r i e r e n d e n his t o r i s c h e n S o z i a l w i s s e n s c h a f t als Vorbild zu dienen. A u c h die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit E d u a r d Meyer, der a n s o n s t e n einer der w i c h t i g s t e n G e w ä h r s m ä n n e r Max W e b e r s war u n d ihn nicht unmaßg e b l i c h beeinflußt hat, 4 9 muß in d i e s e m Lichte g e l e s e n w e r d e n . Der v o n Meyer vertretene unreflektierte Begriff der h i s t o r i s c h e n Kausalität w u r d e v o n Max W e b e r z u r ü c k g e w i e s e n , weil er einer o b j e k t i v i s t i s c h e n Erkenntnis v e r g a n g e n e r Wirklichkeit d a s Wort redete, w e l c h e d e n t h e o r e t i s c h e n Zugriff d e s h e u t i g e n B e o b a c h t e r s auf die v e r g a n g e n e W i r k l i c h k e i t ausb l e n d e t e . Es g i n g Max W e b e r d a b e i um etwas F u n d a m e n t a l e s , n ä m l i c h die B e g r ü n d u n g eines neuen, an t h e o r e t i s c h konstruierten B e g r i f f e n orientierten Z u g r i f f s auf die h i s t o r i s c h e Wirklichkeit in ihrer u n e n d l i c h e n Vielfalt, die über die v e r m e i n t l i c h o b j e k t i v e Rekonstruktion evolutionärer E n t w i c k l u n g s p r o z e s s e , die idealiter j e w e i l s in der G e g e n w a r t terminierten, h i n a u s g i n g . Ihre a b s c h l i e ß e n d e , definitive F o r m u l i e r u n g hat d i e s e neue m e t h o d i s c h e Position Max Webers, in A b g r e n z u n g von e i n e m vermeintlich o b j e k t i v i s t i s c h e n Historismus, a b e r a u c h v o n der a b s t r a k t e n Theorie der n e o k l a s s i s c h e n N a t i o n a l ö k o n o m i e , d a n n in der b e r ü h m t e n A b h a n d l u n g über „Die .Objektivität' s o z i a l w i s s e n s c h a f t l i c h e r u n d sozialpolitischer Erkenntnis" g e f u n d e n . 5 0 Hier heißt es, „daß i d e a l t y p i s c h e Entw\ck\ungskonstruktion u n d Geschichte zwei streng zu s c h e i d e n d e D i n g e sind u n d daß die K o n s t r u k t i o n " l e d i g l i c h als Mittel d i e n e , „ p l a n v o l l die gültige Z u r e c h n u n g eines h i s t o r i s c h e n V o r g a n g e s zu seinen w i r k l i c h e n U r s a c h e n aus d e m Kreise der n a c h L a g e unserer Erkenntnis möglichen zu v o l l z i e h e n . " 5 1 Max W e b e r m a c h t e d i e s e A u s s a g e unter unmittelbarer B e z u g n a h m e auf M o d e l l e der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g , w i e wir sie o b e n v o r g e s t e l l t h a b e n . Er w a r n t e davor, daß „die I d e a l k o n s t r u k t i o n einer E n t w i c k l u n g mit der b e g r i f f l i c h e n Klassifikation v o n I d e a l t y p e n b e s t i m m ter K u l t u r g e b i l d e ( z . B . der g e w e r b l i c h e n B e t r i e b s f o r m e n von der .ges c h l o s s e n e n H a u s w i r t s c h a f t ' [ d i e s ist b e k a n n t l i c h ein S c h l ü s s e l b e g r i f f der Stufentheorie B ü c h e r s ] [...]), zu einer genetischen Klassifikation ine i n a n d e r g e a r b e i t e t wird. Die n a c h d e n g e w ä h l t e n B e g r i f f s m e r k m a l e n s i c h e r g e b e n d e R e i h e n f o l g e der Typen e r s c h e i n t d a n n als eine g e s e t z lich n o t w e n d i g e h i s t o r i s c h e A u f e i n a n d e r f o l g e d e r s e l b e n " . 5 2 E b e n dies a b e r m ü s s e u n b e d i n g t v e r m i e d e n w e r d e n . In d e m konkreten Kontext war

49 Vgl. Tenbruck, Friedrich, H., Max Weber und Eduard Meyer, in: Mommsen, Wolfgang J., Schwentker, Wolfgang (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. - Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 337-379. 50 Weber, Objektivität (wie oben, S. 8, Anm. 28). 51 Ebd., S. 77. 52 Ebd., S. 77f.

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Einleitung d i e s v o r a l l e m a u f M a r x ' G e s c h i c h t s t h e o r i e g e m ü n z t , traf a b e r

fraglos

a u c h auf B ü c h e r s „Volkswirtschaftliche Stufen" zu, w e l c h e r der Versuc h u n g , auf d i e s e r G r u n d l a g e e i n e r e a l h i s t o r i s c h e E n t w i c k l u n g z u h y p o stasleren, nicht hatte w i d e r s t e h e n k ö n n e n . 5 3 Z u g l e i c h a b e r s i n d d i e s e als A n w e i s u n g z u m Verständnis von Max Webers eigener Theorie der großen G e m e i n s c h a f t s f o r m e n zu lesen.

II. Zur Entstehung und Anordnung der Texte über die „Gemeinschaften" im Zusammenhang der nachgelassenen Manuskripte D i e in d i e s e m T e i l b a n d v o n „ W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " v e r e i n i g t e n Text e ü b e r d i e „ G e m e i n s c h a f t e n " s i n d Im Z u s a m m e n h a n g d e r A r b e i t e n a n d e m „ G r u n d r i s s d e r S o z i a l ö k o n o m i k " ( u r s p r ü n g l i c h hieß e s

„Handbuch

der polltischen Ö k o n o m i e " ) entstanden.1 Dieser sollte an die Stelle d e s

53 Max Weber hat sich denn auch, ungeachtet der sachlichen Nähe zu Bücher in vielen Einzelpunkten, von dessen Tendenz distanziert, die Abfolge der von ihm beschriebenen Wirtschaftsstufen zu einem förmlichen Entwicklungsschema zu verdichten. Wenn Bücher für eine Vermittlungsposition zwischen einer rein deskriptiven Volkswirtschaftslehre historistischen Charakters und der Methode ,,isolierende[r] Abstraktion" und ,,logische[r] Deduktion" (Bücher, Volkswirtschaft (wie oben, S.3, Anm.7), S. 123) plädierte, so kam dies Webers Ansichten entgegen. Aber wenn Bücher mit einer historistisch angelegten Gesamtschau seiner Theorie der Entwicklungsstufen die historischen Entwicklungen gleichsam in ihrer Gesamtheit abzubilden beanspruchte, so ging Max Weber dies viel zu weit. Er hielt es für unabdingbar, die Probleme der Entstehung der modernen Verkehrswirtschaft in einer Weise zu behandeln, die alle teleologischen Konstruktionen grundsätzlich vermied und die Offenheit der Geschichte nicht durch quasi-objektive Gesetze oder auch nur determinierte Entwicklungslinien verstellte. 1 Zur Entstehungsgeschichte des „Grundrisses" vgl. Tenbruck, Friedrich H., „Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft", in: Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft, Band 133, 1976, S. 703-736; Wlnckelmann, Johannes, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1986 (hinfort: Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk); Schluchter, Wolfgang, „Wirtschaft und Gesellschaft". Das Ende eines Mythos, in: ders., Religion und Lebensführung, Band 2, Studien zu Max Webers Religions- und Herrschaftssoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988, S. 5 9 7 - 6 3 4 (hinfort: Schluchter, Das Ende eines Mythos); ders., „Max Webers Beitrag zum Grundriß der Sozialökonomik", in: KZfSS, 50. Jg., 1998, S. 3 2 7 - 3 4 3 (hinfort: Schluchter, Webers Beitrag zum Grundriß); ders., „Kopf" oder „Doppelkopf" - Das ist hier die Frage. Replik auf Hiroshi Orihara, in: KZfSS, 51. Jg., 1999, S. 7 3 5 - 7 4 3 (hinfort: Schluchter, Doppelkopf); sowie jüngst ergänzend ders., Individualismus, Verantwortungsethik und Vielfalt. - Weilerswist: Velbrück 2000, S. 177-236; Mommsen, Wolfgang J., Zur Entstehung von Max Webers hinterlassenem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie", in: Staats- und Euro-

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Schönbergschen Handbuchs treten, das 1882 erschienen war und zwei Jahrzehnte lang als das führende Lehrbuch der Nationalökonomie im deutschsprachigen Europa gegolten hatte. Schon seit 1905 hatte Paul Siebeck den Plan verfolgt, eine grundlegende Erneuerung des „Schönberg" vorzunehmen, und dabei wiederholt auch Max Webers Rat eingeholt. Dies lag schon deshalb nahe, weil Max Weber als Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik seit 1904 eng mit dem Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) zusammengearbeitet hatte. 2 Weber bekundete Interesse und signalisierte Ende Dezember 1908 dem Verleger seine Bereitschaft zur Mitarbeit. 3 Bevor er aber auf das Ersuchen Paul Siebecks einging, die Herausgabe des Handbuchs zu übernehmen, besprach sich Max Weber mit Karl Bücher, Ordinarius in Leipzig und einer der angesehensten Fachvertreter der Nationalökonomie im Deutschen Reich. In einer Unterredung am 25. Januar 1909, für die Max Weber eigens nach Leipzig reiste, bestärkte ihn Bücher, die Aufgabe des Herausgebers des neuen „Schönbergs" zu übernehmen, ungeachtet seiner Außenseiterstellung im Fach, hatte er doch seine Professur an der Universität Heidelberg 1903 definitiv niedergelegt. Eugen von Philippovich, ein langjähriger Freund und Ratgeber Paul Siebecks, empfahl Max Weber ebenfalls als Herausgeber. Auch späterhin hat Max Weber größten Wert auf die Mitwirkung Karl Büchers gelegt, und ihn im weiteren Verlauf immer wieder konsultiert. Bereits im Frühjahr 1909 begann Max Weber in enger Fühlungnahme mit dem Verleger und anfänglich auch mit Karl Bücher, dem er eine Schlüsselstellung in diesem Projekt zumaß, mit der Planung des umfassend angelegten Handbuchs. 4 Es war eine schwere wissenschaftliche Bürde, die Max Weber damit auf sich nahm, zumal er zum gleichen Zeitpunkt mit großem persönlichen Engagement die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie betrieb und eine große Enquete über die Presse auf den Weg zu bringen bemüht war. In der zweiten Maihälfte

pawissenschaften, Band 1, 2002 (hinfort: Mommsen, Zur Entstehung von Max Webers hinterlassenem Werk); ders., Max Weber's Grand Sociology. The Origins and Composition of „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie", in: History and Theory, vol. 39, 2000, S. 3 6 4 - 3 8 3 (hinfort: Mommsen, Max Weber's Grand Sociology); ders., Die Siebecks und Max Weber. Ein Beispiel für Wissenschaftsorganisation in Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Verlegern, In: GuG, 22. Jg., 1996, S. 1 9 - 3 0 (hinfort: Mommsen, Die Siebecks und Max Weber); sowie Roth, Guenther, Abschied oder Wiedersehen? Zur fünften Auflage von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft", In: KZfSS, 31. Jg., 1979, S. 318-327. 2 Vgl. Mommsen, Die Siebecks und Max Weber (wie oben, Anm. 1). 3 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 26. Dez. 1908, MWG II/5, S.705f. 4 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 3. Jan. 1909, MWG II/6; S. 15ff.

Einleitung

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1909 übermittelte Max Weber dem Verleger einen ersten „Stoffverteilungsplan" für das „Handbuch der politischen Ökonomie", den er freilich noch als „ganz provisorisch" bezeichnete 5 und der in der Folge in enger Zusammenarbeit mit Paul Siebeck noch zahlreiche Umgestaltungen erfahren sollte. 6 Er ist uns nicht überliefert. 7 Ein Jahr später, am 26. März 1910 konnte er dann Siebeck einen Gesamtplan mit „Bogenzahlen und Adressen" vorlegen, der uns ebenfalls nicht überliefert ist. 8 Erst im Mai 1910 lag dann ein definitiver Stoffverteilungsplan vor, den Max Weber vorab Karl Bücher zur Kenntnis brachte 9 und der wenig später von seiten des Verlages allen Autoren mit einer von Max Weber verfaßten, aber nicht gezeichneten Vorbemerkung zugesandt wurde. 1 0 Zu diesem Zeitpunkt war als Termin für die Ablieferung der Manuskripte der 15. Januar 1912 ins Auge gefaßt. 11 Dies zeigt, daß Max Weber die Erstellung des „Handbuchs" zügig vorantreiben wollte. Max Weber lehnte es nachdrücklich ab, nach außen hin als Herausgeber dieses Sammelwerkes aufzutreten, unter anderem, um die persönlichen Eitelkeiten der ins Auge gefaßten Autoren zu schonen. 1 2 Vielmehr sollte das ursprünglich auf drei Bände mit 160 Bogen angelegte Werk unter der kollektiven Verantwortung aller Verfasser erscheinen. Dennoch war der „Grundriss der Sozialökonomik", wie das Handbuch schließlich hieß, gleichwohl ganz wesentlich sein Werk. Er entwarf den Gesamtplan und prägte ihm unverwechselbar seine universalhistorische Sichtweise auf, auch wenn er auf die Beiträge in sehr unterschiedlichem Maße Ein-

5 Briefe Max Webers an Paul Siebeck vom 23. und 31. Mai 1909, MWG II/6, S. 132, 136 f. 6 Vgl. dazu Mommsen, Die Siebecks und Max Weber (wie oben, S. 16, Anm. 1), S. 25. 7 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 31. Mai 1909, MWG II/6, S.136f., hier S. 136, Anm.2. 8 Briefe Max Webers an Paul Siebeck vom 23., 24. und 26. März 1910, MWG Ii/6, S. 439, 441 f. und 445, hier S. 439. 9 Schon Mitte März 1910 hatte Weber Bücher eine „Gesammtübersicht über Stoffund Mitarbeiter-Verteilung" zuschicken wollen. Brief Max Webers an Karl Bücher vom 3. März 1910, MWG II/6, S.421. 10 Abgedruckt ist der Stoffverteilungsplan in: MWG M/6, S. 766ff.; demnächst auch in MWG I / 2 2 - 6 . 11 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 1. Mai 1910, MWG M/6, S.484f. 12 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 19. Sept. 1908, MWG M/5, S.659f.; ebenso: Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 31. Juli 1909, MWG M/6, S.210f.: „Ich habe allen Herren erklärt, daß ich nicht als ,Herausgeber' figurieren werde"; sowie der Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 3. Sept. 1909, MWG M/6, S. 248f.: „Daß ich mich bei ihm [d. i. Philippovich] und seinesgleichen nur als .Correspondenten', nicht als .Herausgeber' einführe, hat gute Gründe [...]. Den Jüngeren gegenüber bin ich .Herausgeber', wenn auch nicht dem Titel nach."

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fluß g e n o m m e n u n d e i n z e l n e n Autoren, so n a m e n t l i c h P h i l i p p o v i c h , sogar die T h e m a t i k freigestellt hatte. Dahinter s t a n d die w i s s e n s c h a f t s p o l i t i s c h e A b s i c h t , d e n S t a n d der N a t i o n a l ö k o n o m i e im Ü b e r g a n g von der H i s t o r i s c h e n S c h u l e zu einer, die M e t h o d e n der G r e n z n u t z e n t h e o r i e aufg r e i f e n d e n u n d insoweit t h e o r e t i s c h a u s g e r i c h t e t e n , aber z u g l e i c h die his t o r i s c h e D i m e n s i o n e i n b e g r e i f e n d e n , e m p i r i s c h e n W i s s e n s c h a f t zu dokumentieren, w e l c h e die „ K u l t u r b e d e u t u n g " der w i r t s c h a f t l i c h e n und sozialen V o r g ä n g e zur D a r s t e l l u n g b r i n g e n sollte. In m a n c h e r Hinsicht sollte d a m i t d a s Postulat d e s O b j e k t i v i t ä t s a u f s a t z e s e i n g e l ö s t w e r d e n , nämlich einer „ W i r k l i c h k e i t s w i s s e n s c h a f t " , w e l c h e die „ K u l t u r b e d e u t u n g " der sozialen E r s c h e i n u n g e n in ihrer j e w e i l i g e n Eigenart zur D a r s t e l l u n g zu b r i n g e n s u c h t . 1 3 Im k o n k r e t e n Fall hieß dies freilich vor allem eines, nämlich die B e d e u t u n g u n d die K o n s e q u e n z e n d e s universellen Vordringens des K a p i t a l i s m u s in allen B e r e i c h e n der G e s e l l s c h a f t h e r a u s z u a r b e i t e n . Dies geht s c h o n d a r a u s hervor, daß sich Max Weber, über d e n v o n ihm zu b e a r b e i t e n d e n A b s c h n i t t „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " h i n a u s g e h e n d , eine g a n z e Reihe von T h e m e n v o r b e h a l t e n wollte, w e l c h e die Einwirkung e n der k a p i t a l i s t i s c h e n E n t w i c k l u n g auf zahlreiche B e r e i c h e d e r g e g e n w ä r t i g e n G e s e l l s c h a f t z u m G e g e n s t a n d hatten, u. a. „Der m o d e r n e Staat u n d der K a p i t a l i s m u s " , „ A l l g e m e i n e B e d e u t u n g der m o d e r n e n Verkehrsb e d i n g u n g e n u n d d e s m o d e r n e n N a c h r i c h t e n d i e n s t e s für die kapitalistis c h e W i r t s c h a f t " , „Grenzen d e s K a p i t a l i s m u s in der L a n d w i r t s c h a f t " , „ A g r a r k a p i t a l i s m u s u n d B e v ö l k e r u n g s g r u p p i e r u n g " , „Der sog. neue Mitt e l s t a n d " , „Wesen und g e s e l l s c h a f t l i c h e L a g e der A r b e i t e r k l a s s e " , „Die T e n d e n z e n zur U m b i l d u n g d e s K a p i t a l i s m u s " (letzteres z u s a m m e n mit Alfred W e b e r ) . 1 4 Diesen G e s i c h t s p u n k t hat er s p ä t e r im Vorwort z u m 1. B a n d d e s „ G r u n d r i s s e s " in sehr viel allgemeinerer Form z u m A u s d r u c k g e b r a c h t . Dort heißt es, d a s S a m m e l w e r k sei von der A n s c h a u u n g ausg e g a n g e n , „daß die Entfaltung der Wirtschaft vor allem als eine b e s o n d e re T e i l e r s c h e i n u n g der a l l g e m e i n e n Rationalisierung d e s L e b e n s b e g r i f fen w e r d e n m ü s s e " . 1 5 I n s g e s a m t hatte Max W e b e r sich selbst im S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n nicht w e n i g e r als 14 von i n s g e s a m t 81 projektierten B e i t r ä g e n v o r b e h a l t e n , all e r d i n g s in zwei Fällen in Z u s a m m e n a r b e i t mit e i n e m weiteren Autor. Dies g e s c h a h j e d o c h v o n vornherein mit der M a ß g a b e , daß er für die Mehrzahl

13 Weber, Objektivität (wie oben, S. 8, Anm. 28). 14 Vgl. den Stoffverteilungsplan von 1910, in: MWG II/6, S. 766ff. 15 GdS, Abt. I, 1914, S. VII; auch bei Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), Anhang 3, S. 166.

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dieser B e i t r ä g e statt seiner selbst a n d e r e A u t o r e n zu f i n d e n b e m ü h t sein w o l l t e . 1 6 Immerhin zeigt die v o r l ä u f i g e Reservierung zahlreicher, die Bed e u t u n g d e s K a p i t a l i s m u s b e t r e f f e n d e r T h e m e n die R i c h t u n g d e s Intere s s e s an, d a s Max Weber mit d i e s e m Projekt v e r b a n d . Hier sollen freilich nur jene T h e m e n näher in d e n Blick g e n o m m e n w e r d e n , die für die Ents t e h u n g d e s B e i t r a g s über „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " u n d speziell für die hier unter d e m Titel „ G e m e i n s c h a f t e n " e d i e r t e n Texte relevant sind. Es ist dies vor allem der im „Ersten B u c h . Wirtschaft u n d W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t " d e s S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n s v o n 1910 unter Ziffer III „ W i r t s c h a f t , Natur u n d G e s e l l s c h a f t " a u f g e f ü h r t e A b s c h n i t t : „4. W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t . a) Wirtschaft u n d Recht (1. p r i n z i p i e l l e s Verhältnis, 2. E p o c h e n der E n t w i c k l u n g d e s h e u t i g e n Z u s t a n d s ) . b) W i r t s c h a f t u n d soziale G r u p p e n (Familien- u n d G e m e i n d e v e r b a n d , S t ä n d e u n d Klassen, Staat). c) W i r t s c h a f t u n d Kultur (Kritik d e s h i s t o r i s c h e n Materialismus)."17 Ferner ist der unter „2. N a t u r b e d i n g u n g e n der W i r t s c h a f t " a u f g e f ü h r t e U n t e r a b s c h n i t t b) „Wirtschaft u n d R a s s e " 1 8 von B e d e u t u n g , d e n Max Weber später an Robert M i c h e l s a b g e t r e t e n hat. 1 9 A u ß e r d e m w a r im „Stoffv e r t e i l u n g s p l a n " v o n 1910 im Ersten B u c h unter A b s c h n i t t IV „Wirts c h a f t s w i s s e n s c h a f t e n " ein U n t e r a b s c h n i t t „1. O b j e k t u n d l o g i s c h e Natur der F r a g e s t e l l u n g e n " v o r g e s e h e n , d e n Max Weber e b e n f a l l s ü b e r n e h m e n wollte. Weitere Beiträge, die über die unter d e m A b s c h n i t t s t i t e l „ W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " g e n a n n t e n Texte h i n a u s g i n g e n , hat Max W e b e r am E n d e nicht mehr geliefert, o b s c h o n n o c h 1914 v o n ihm die M ö g l i c h k e i t ins A u g e gefaßt w o r d e n ist, die Beiträge „Der m o d e r n e Staat u [ n d ] d [ e r ] K a p i t a l i s m u s " , „ G r e n z e n d [ e s ] K a p i t a l i s m u s i[n] d [ e r ] L a n d w i r t s c h a f t ] " sowie „Agrarkapitalismus und Bevölkerungsgruppier u n g " für eine s p ä t e r e L i e f e r u n g zu v e r f a s s e n . J e d o c h s i n d d i e s e Beit r ä g e nie ü b e r d a s P l a n u n g s s t a d i u m hinaus g e d i e h e n . 2 0 16 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 1. Mai 1910, MWG II/6, S.484f. „Von den jetzt unter meinem Namen gehenden kleinen Artikeln wird ein Teil noch an Andre abgegeben, falls ich geeignete finde." 17 MWG II/6, S. 766ff. 18 Ebd. 19 Über den möglichen Zusammenhang mit dem Text „Ethnische Gemeinschaften" vgl. den entsprechenden Editorischen Bericht, unten, S. 162. 20 Provisorische Gliederung des GdS durch den Verlag mit handschriftlichen Änderungen Max Webers vom März 1914, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8 und MWG I/22-6).

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In d e m U n t e r a b s c h n i t t 4b „Wirtschaft u n d soziale G r u p p e n " f i n d e n sich j e n e T h e m e n , die z u m i n d e s t z u m größeren Teil In d e n n a c h s t e h e n d edierten Texten über „ G e m e i n s c h a f t e n " a b g e h a n d e l t w o r d e n sind, w ä h r e n d sich unter „Staat" die s p ä t e r e n Texte über „Herrschaft" a n k ü n d i g e n . 2 1 E b e n s o darf m a n die T h e m a t i k d e s U n t e r a b s c h n i t t s 4 a „Wirtschaft und Recht" mit einiger Sicherheit mit d e m Kapitel „Die W i r t s c h a f t u n d die Ordn u n g e n " u n d der s o g e n a n n t e n R e c h t s s o z i o l o g i e in V e r b i n d u n g bring e n . 2 2 Hinter der K o n z e p t i o n eines Kapitels über „Wirtschaft u n d Kultur (Kritik d e s h i s t o r i s c h e n M a t e r i a l i s m u s ) " darf man w o h l die w e n i g s p ä t e r e n t s t e h e n d e R e l i g i o n s s o z i o l o g i e v e r m u t e n ; es ist b e k a n n t , daß Max Weber 1918 in Wien eine Vorlesung unter d e m T h e m a „Kritik der materialistis c h e n G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g " g e h a l t e n hat, die sich im w e s e n t l i c h e n auf die A u s f ü h r u n g e n über die „religiösen G e m e i n s c h a f t e n " stützte. 2 3 Der S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n v o m Mai 1910 darf für die von Max W e b e r selbst In Angriff g e n o m m e n e n Beiträge als r i c h t u n g w e i s e n d a n g e s e h e n w e r d e n , o b s c h o n sich im Z u g e der A r b e l t immer neue Erweiterungen u n d Veränd e r u n g e n e r g e b e n h a b e n . Bis z u m Frühjahr 1912 ist der Stoffverteilungsplan o f f e n s i c h t l i c h im w e s e n t l i c h e n u n v e r ä n d e r t g e b l i e b e n . J e d e n f a l l s konnte der Verlag d e n A u t o r e n Im Februar 1912 n o c h m a l s ein E x e m p l a r d e s S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n s v o m Mai 1910 zu Ihrer O r i e n t i e r u n g z u s e n den.24 In der z w e i t e n Jahreshälfte 1909 u n d im Jahre 1910 hat sich Max Weber, soweit wir d i e s aus der freilich lückenhaft überlieferten K o r r e s p o n d e n z e n t n e h m e n k ö n n e n , In erster Linie auf die u m f a n g r e i c h e n Korres p o n d e n z e n mit d e n z a h l r e i c h e n A u t o r e n konzentriert u n d mit der Nied e r s c h r i f t der e i g e n e n B e i t r ä g e z u r ü c k g e h a l t e n . Im Mal 1910 s c h r i e b er d e m Verleger, dieser m ö g e v o m A b s c h l u ß von V e r l a g s v e r t r ä g e n vorderh a n d A b s t a n d n e h m e n , d a er n o c h nicht a b s e h e n könne, w e l c h e Füllund E r g ä n z u n g s a r t i k e l er s e l b s t n a c h E i n g a n g der M a n u s k r i p t e der and e r e n A u t o r e n n o c h w e r d e s c h r e i b e n m ü s s e n . 2 5 Er g i n g d a v o n aus, daß er dafür n o c h m i n d e s t e n s 3 B o g e n b e n ö t i g e n werde. Z u d i e s e m Zeltpunkt w a r e n seine e i g e n e n Beiträge d e m n a c h v e r m u t l i c h n o c h nicht weit über d a s P l a n u n g s s t a d i u m hinaus g e d i e h e n . Bereits jetzt k ü n d i g t e n sich j e d o c h U m f a n g p r o b l e m e an, die Ihn, n e b e n a n d e r e n G r ü n d e n , d a z u veranlaßten, d e n u r s p r ü n g l i c h v o r g e s e h e n e n , allerdings außerhalb d e s Them e n b e r e i c h s v o n „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " g e p l a n t e n B e i t r a g über 21 WuG 1 , S. 6 0 3 - 8 1 7 (MWG I/22-4). 22 WuG 1 , S. 3 6 8 - 3 8 5 (MWG I/22-3). 23 Kippenberg, Hans G., Editorischer Bericht zu „Religiöse Gemeinschaften", MWG I/22-2, S.92f. 24 Vgl. Webers Entwurf eines Rundschreibens an die Autoren des GdS; Beilage zu dem Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Febr. 1912, MWG il/7, S.432f. 25 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 1. Mai 1910, MWG II/6, S.484f.

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„Objekt und logische Natur der Fragestellungen" nicht innerhalb des „Grundrisses" zu veröffentlichen. 2 6 Die Konturen der eigenen Beiträge Max Webers haben sich dann erst nach und nach präziser herauskristallisiert. Offenbar hat sich die, durch andere Engagements, vor allem aber durch gesundheitliche Krisen, die ihn zeitweilig arbeitsunfähig machten, immer wieder unterbrochene Arbeit an den Manuskripten länger hingezogen, als ursprünglich absehbar war. 2 7 Erst seit Herbst 1911 hat er kontinuierlicher an den Manuskripten für „Wirtschaft und Gesellschaft" gearbeitet. Dabei stellte sich immer deutlicher heraus, daß der ursprünglich für die Fertigstellung der Manuskripte gesetzte Termin vom 15. Januar 1912 ohnehin nicht eingehalten werden konnte. Dieser wurde zunächst auf den 31. Juli 1912 und schließlich sogar auf das Frühjahr 1914 verschoben, vor allem weil zahlreiche Autoren ihre Beiträge nicht termingerecht oder - in einigen wenigen Fällen - überhaupt nicht lieferten, aber auch, weil sich die Fertigstellung der Manuskripte Max Webers immer mehr in die Länge zog. Teilweise wurde Max Weber zur Ausweitung seiner Beiträge durch seine Unzufriedenheit mit den Manuskripten einer Reihe anderer Autoren veranlaßt. Dies machte er insbesondere im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Beitrag von Karl Bücher über „Volkswirtschaftliche Entwicklungsstufen" 2 8 geltend, in den er große Erwartungen gesetzt und den er anfänglich für die Realisierung des Gesamtprojekts als zentral angesehen hatte, und ebenso bezüglich des Ausfalls des von Bücher ursprünglich übernommenen Beitrags über „Handel". Weber glaubte nunmehr seinerseits „in die Bresche springen" zu müssen, um das Gesamtprojekt zu retten. 2 9 Es ist unübersehbar, daß Max Weber im Zuge seiner Arbeiten an den Manuskripten, die er offensichtlich parallel nebeneinander betrieb, immer weiter über seine ursprünglichen Zielsetzungen hinaus getrieben wurde, ohne daß wir dies im Einzelfall nachzeichnen können. Am 8. Februar 1913 schrieb er an Siebeck, daß er „eifrig an der Arbeit" sei: „der große

26 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 1. Mai 1910, MWG II/6, S.484f. Vgl. auch die Rechtfertigung des Verzichts auf diesen Beitrag Im Vorwort, GdS, Abt. I, S.VIIf., die darauf abhebt, daß man angesichts der Vielgestaltigkeit der methodologischen Positionen keine starre Linie habe vorgeben können. Der Artikel Ist, soweit wir sehen, nie erschienen. Ob er zu Teilen in den sogenannten Kategorienaufsatz eingegangen ist, läßt sich nicht sagen. 27 Ich verdanke M. Rainer Lepsius eine Ausarbeitung, welche den ständig wechselnden Gesundheitszustand Max Webers dokumentiert, leider aber keine sicheren Rückschlüsse über den Zeitpunkt der Entstehung einzelner Texte erlaubt. 28 GdS, Abt. I, S. 1 ff. 2 9 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 28. Jan. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).

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Artikel: .Wirtschaft, G e s e l l s c h a f t Recht u n d Staat' wird d a s systematisch Beste, w a s ich bisher g e s c h r i e b e n h a b e , g r a d e weil ich ihn jetzt Bücher's w e g e n u m a r b e i t e n mußte [ , . . ] . " 3 0 A m 3. N o v e m b e r 1913 heißt es a n a l o g : „Ich selbst h a b e m e i n e n Beitrag zu einer Soziologie a u s g e a r b e i t e t , um Ersatz für Bücher's M i n d e r l e i s t u n g zu bieten [ . . . ] " . 3 1 Das A r g u m e n t , daß er für die F e h l l e i s t u n g e n seiner K o l l e g e n eintreten u n d für die v o n d i e s e n u n z u r e i c h e n d b e h a n d e l t e n T h e m e n seinerseits Ersatz s c h a f f e n m ü s s e , d u r c h z i e h t die g a n z e K o r r e s p o n d e n z mit Paul S i e b e c k in d i e s e n Jahren. O f f e n s i c h t l i c h b e n u t z t e Max Weber d i e s e s A r g u m e n t in erster Linie, um die s i c h immer d e u t l i c h e r a b z e i c h n e n d e Ü b e r s c h r e i t u n g d e s U m f a n g s der v o n ihm ü b e r n o m m e n e n Beiträge zu rechtfertigen. So heißt es in einem Brief v o m 6. N o v e m b e r 1913, in d e m Weber um eine e r h e b l i c h e Umf a n g e r w e i t e r u n g für d e n Beitrag von Friedrich von Gottl über „Wirtschaft u n d Technik" u n d für s e i n e n e i g e n e n Beitrag über „Wirtschaft u n d Gesells c h a f t " n a c h s u c h t e , ein a n g e s i c h t s d e s bisher von ihm s e l b s t g e g e n ü b e r d e n a n d e r e n A u t o r e n e x e k u t i e r t e n s t r e n g e n R e g i m e n t s in S a c h e n der L ä n g e der Beiträge g r a v i e r e n d e r Schritt: „ D i e s e b e i d e n A r b e i t e n b r i n g e n prinzipiell g a n z N e u e s [...]. Das gilt für Gottl, d e s s e n Beitrag g a n z vortrefflich u n d h ö c h s t originell ist. A b e r es gilt a u c h für m e i n e .Soziologie', d e n n d a z u wird der A b s c h n i t t a n n ä h e r n d , o b w o h l ich ihn nie so nennen k ö n n t e . " 3 2 Hier blitzt e r s t m a l s d a s auf, w a s in der Folge immer d e u t l i c h e r w e r d e n sollte, daß s i c h n ä m l i c h W e b e r s Beiträge für d e n „ G r u n d r i s s " zu einer u m f a s s e n d e n „ S o z i o l o g i e " a u s z u w a c h s e n b e g a n n e n . Z w e i M o n a t e später, am J a h r e s e n d e 1913, s c h r i e b Max Weber d a n n an Paul S i e b e c k , daß er „eine g e s c h l o s s e n e s o z i o l o g i s c h e Theorie u n d D a r s t e l l u n g a u s g e arbeitet" h a b e , „ w e l c h e alle großen G e m e i n s c h a f t s f o r m e n zur W i r t s c h a f t in B e z i e h u n g setzt: v o n der Familie u n d H a u s g e m e i n s c h a f t z u m .Betrieb', zur S i p p e , zur e t h n i s c h e n G e m e i n s c h a f t , zur Religion (alle großen Relig i o n e n der Erde u m f a s s e n d : Soziologie der Erlösungslehren u n d der relig i ö s e n Ethiken, - w a s Tröltsch g e m a c h t hat, jetzt für alle Religionen, nur w e s e n t l i c h k n a p p e r ) ^ e n d l i c h eine u m f a s s e n d e s o z i o l o g i s c h e Staatsu n d H e r r s c h a f t s - L e h r e . Ich darf b e h a u p t e n , daß es n o c h nichts d e r g l e i c h e n g i e b t , a u c h kein .Vorbild'". 3 3 Dies b e d e u t e t e , allein s c h o n w e g e n der d a m i t v e r b u n d e n e n b e d e u t e n d e n Ü b e r s c h r e i t u n g d e s u r s p r ü n g l i c h ins A u g e gefaßten U m f a n g s , daß der „ S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n " v o m Mai 1910 nun definitiv v e r l a s s e n war. Leider ist uns die I n h a l t s ü b e r s i c h t seines n u n m e h r als „ S o z i o l o g i e " b e z e i c h n e t e n Beitrags, die Weber d e m Ver-

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Brief Brief Brief Brief

Max Max Max Max

Webers Webers Webers Webers

an an an an

Paul Paul Paul Paul

Siebeck Siebeck Siebeck Siebeck

vom vom vom vom

8. Febr. 1913, ebd. 3. Nov. 1913, ebd. 6. Nov. 1913, ebd. 30. Dez. 1913, ebd.

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leger „in vierzehn Tagen" in Aussicht stellte, nicht überliefert, sie wurde vermutlich nie a b g e s a n d t . 3 4 Angesichts dieser Sachlage wurde eine radikale Umstrukturierung des „Grundrisses" erforderlich, nicht zuletzt, um Platz für die 30 Bogen zu schaffen, die Weber nunmehr für seine Beiträge für erforderlich hielt, 3 5 außerdem aber, um das Erscheinen des „Grundrisses" nicht unnötig aufzuhalten, d a der Abschluß seines eigenen Manuskripts noch nicht abzusehen war. Darüber hinaus wurde Anfang des Jahres 1914 eine neue Gliederung des „Grundrisses" in Abteilungen vorgesehen. Die III. Abteilung des „Ersten Buches", die den von Siebeck angeregten Titel: „ G e s e l l s c h a f t l i c h e ] B e d i n g u n g e n der W i r t s c h a f t ] " erhalten sollte, sollte nahezu ausschließlich aus Webers eigenem Beitrag bestehen; nur ein Artikel von Philippovich über den „Entwicklungsgang der wirtschafts- und sozialpolitischen Systeme und Ideale" wurde noch hinzugegeben. 3 6 Allerdings war es Max Weber nicht recht, daß Siebeck den schon länger vorliegenden Beitrag von Philippovich nunmehr bereits in Satz g e b e n wollte; d o c h konnte er sich d e m Wunsch des Verlegers jetzt nicht mehr entziehen. 3 7 Max Weber und Paul Siebeck verfolgten mit der Umstrukturierung des „Grundrisses" und der nunmehr vorgesehenen Veröffentlichung in Lieferungen das Ziel, eine möglichst zügige Drucklegung der vorhandenen Manuskripte zu ermöglichen, gleichzeitig aber den Satzbeginn der Abteilung III (mit Webers eigenen Beiträgen) so weit wie möglich hinauszuschieben. Demgemäß bedrängte Max Weber den Verleger, Abteilung IV und V bereits in Satz zu geben, mit d e m Druck von Abteilung III aber weiter zuzuwarten. 3 8 Diese neue „Einteilung des Gesamtwerkes", die den veränderten Gegebenheiten Rechnung zu tragen suchte, entstand im Laufe des März 1914; sie wurde dann Anfang Juni 1914 im ersten Band des nunmehr „Grundriss der Sozialökonomik" genannten Werkes a b g e d r u c k t . 3 9 Sie brachte g e g e n ü b e r d e m Stoffverteilungsplan von 1909/10 wesentliche Erweiterungen und Präzisierungen, zugleich aber auch Verschiebungen in der ursprünglich vorgesehenen Anordnung der Gegenstandsbereiche. Die hier relevanten Passagen der „Einteilung" lauten:

34 Dieser Schluß liegt nahe, weil in der im fraglichen Zeitraum ziemlich dicht überlieferten Korrespondenz zwischen Max Weber und dem Verleger nirgends davon die Rede ist und auch Im Verlagsarchiv keine derartige Aufstellung überliefert Ist. 35 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 16. Jan. 1914, ebd. 36 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 18. März 1914, ebd. 37 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 15. April 1914, ebd. Siebeck versprach allerdings Im Gegenzug, den Beitrag zwar zu setzen, aber noch nicht auszudrucken. 38 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 21. April 1914, ebd. 39 GdS, Abt. I, S. VII —XIII (MWG I/22-6).

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„C. Wirtschaft und Gesellschaft. I. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen O r d n u n g e n und Mächte. 1. Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen. Wirtschaft und Recht in ihrer prinzipiellen Beziehung. Wirtschaftliche Beziehungen der Verbände im allgemeinen. 2. Hausgemeinschaft, Oikos und Betrieb. 3. N a c h b a r s c h a f t s v e r b a n d , Sippe, Gemeinde. 4. Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen. 5. Religiöse Gemeinschaften. Klassenbedingtheit der Religionen; Kulturreligionen und Wirtschaftsgesinnung. 6. Die Marktvergemeinschaftung. 7. Der politische Verband. Die E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n des Rechts. Stände, Klassen, Parteien. Die Nation. 8. Die Herrschaft. a) Die drei Typen der legitimen Herrschaft. b) Politische und hierokratische Herrschaft. c) Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte. d) Die Entwicklung des modernen Staates. e) Die modernen politischen Parteien." 4 0 Im Stoffverteilungsplan von 1910 hatten Max Webers Beiträge einen gesonderten Abschnitt unter d e m Titel „Wirtschaft und Gesellschaft" gebildet. Da aber der Beitrag von Eugen von Philippovich „II. Entwicklungsg a n g der wirtschafts- und sozialpolitischen Systeme" nunmehr der Abteilung „C. Wirtschaft und Gesellschaft" zugeordnet worden war, wurde zwecks A b g r e n z u n g von diesem Max Webers Beiträgen nunmehr der Titel „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte" g e g e b e n . Wenig zuvor hatte dieser, wie bereits erwähnt, noch „Gesellschaftliche B e d i n g u n g e n der Wirtschaft" geheißen, eine Formulierung, die vermutlich auf einen Vorschlag des Verlages zurückging. 4 1

4 0 GdS, Abt. I, S . X - X I (MWG I / 2 2 - 6 ) . Vgl. a u c h die Vorbemerkung „Zur Edition von .Wirtschaft und Gesellschaft'", oben, S.VIIIf. 41 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 18. März 1914, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, A n a 446 (MWG II/8).

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Die neue Gliederung der Beiträge Max Webers brachte gegenüber d e m Stoffverteilungsplan von 1910 erhebliche Erweiterungen. So wurde ein neues Einleitungskapitel mit d e m Titel „Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen" vorgesehen. Weiterhin findet sich hier die Aufnahme eines neuen Abschnitts über „Religiöse Gemeinschaften", von d e m in dieser expliziten Form 1910 noch nicht die Rede gewesen war. 42 Vor allem aber war ein neuer Abschnitt über „Die Herrschaft" angefügt, der offenbar über die Thematik, welche ursprünglich unter d e m Titel „Die politischen Gemeinschaften" abgehandelt werden sollte, weit hinausging. Wichtiger noch ist, daß nunmehr eine neue Terminologie angestrebt war; der Begriff der „politischen Gemeinschaft" wurde nun durch den Begriff „politischer Verband" ersetzt. Hier kündigt sich eine partielle Abkehr von der bisher in den diversen Texten über die „Gemeinschaften" vorzugsweise verwendeten Terminologie von Gemeinschaft und Gemeinschaftshandeln zugunsten von Gesellschaft und Gesellschaftshandeln an, wohl im Einklang mit der wenig zuvor im Kategorienaufsatz entwickelten Terminologie. J e d o c h ist dieser Plan nur teilweise zur Ausführung gelangt. Die „Einteilung des Gesamtwerkes" vom Frühjahr 1914 eilte, was Webers eigene Beiträge angeht, den Tatsachen um einiges voraus. Viele der hier vorgesehenen Kapitel waren im Frühjahr 1914 noch nicht abgeschlossen. Andererseits aber wurde die hier ins Auge gefaßte Disposition durch den immer größeren Umfang insbesondere der Abschnitte über „Die Entwickl u n g s b e d i n g u n g e n des Rechts" und die „Soziologie der Erlösungslehren", vor allem aber der „Soziologie der Herrschaft" zunehmend gesprengt. Ende 1913 hatte Weber noch gemeint, daß er für seine Beiträge insgesamt 25 Bogen benötigen werde, obschon dies mit den entsprechenden Vorgaben des „Grundriss" keinesfalls vereinbar war. Weber brachte das Dilemma auf die Formel: „die Schicksalsfrage wird sein, geht das?" 4 3 Anfang 1914 schätzte er den Umfang seiner Beiträge auf nunmehr 30 Bogen. 4 4 Seine „geschlossene soziologische Theorie und Darstellung" aller großen Gemeinschaftsformen war zum damaligen Zeitpunkt nichts weniger als abgeschlossen, g e s c h w e i g e denn die umfassende „soziologische Staats- und Herrschafts-Lehre", an der er bis 1914 mit ungeheurer Energie gearbeitet hat. Was im Juli 1914 vorlag, war ein

42 W e n n a u c h v e r m u t e t w e r d e n darf, daß u n d Kultur" a n d i e r e l i g i o n s s o z i o l o g i s c h e n S. 20. 43 Brief M a x W e b e r s a n Paul S i e b e c k v o m BSB M ü n c h e n , A n a 4 4 6 ( M W G II/8). 44 Brief M a x W e b e r s a n Paul S i e b e c k v o m

s c h o n d a m a l s unter d e m Titel „ W i r t s c h a f t U n t e r s u c h u n g e n g e d a c h t war, vgl. o b e n , 30. Dez. 1913, VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t 16. J a n u a r 1914, e b d .

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g i g a n t i s c h e s Konvolut v o n teils a b g e s c h l o s s e n e n , ü b e r w i e g e n d a b e r n o c h nicht d r u c k r e i f e n M a n u s k r i p t e n , die sich in der v o r l i e g e n d e n Form s c h w e r l i c h o h n e weiteres in d e n „ G r u n d r i s s " hätten e i n f ü g e n lassen. 4 5 Max W e b e r hat die für „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " b e s t i m m t e n M a n u skripte d a n n n a c h A u s b r u c h d e s Ersten W e l t k r i e g e s über l a n g e Zeit hinw e g l i e g e n g e l a s s e n , mit d e m nicht e b e n z w i n g e n d e n A r g u m e n t , daß an eine Fertigstellung d e s „ G r u n d r i s s e s " w ä h r e n d d e s K r i e g e s nicht zu d e n ken bzw. er selbst j e d e n f a l l s d a z u nicht in der L a g e sei. 4 6 Statt d e s s e n hat er sich seit 1915 auf die H e r a u s g a b e der A u f s ä t z e über die „Wirts c h a f t s e t h i k der Weltreligionen" konzentriert, d e r e n T h e m a t i k s i c h an jene der „religiösen G e m e i n s c h a f t e n " anschloß und an d e n e n er s c h o n vor 1914 parallel zu d e n B e i t r ä g e n für d e n „ G r u n d r i s s " g e a r b e i t e t hatte. Man kann sich d e s E i n d r u c k s nicht e r w e h r e n , daß dies z u m i n d e s t teilweise eine Flucht vor d e n S c h w i e r i g k e i t e n darstellte, w e l c h e eine U m a r b e i t u n g der v o r l i e g e n d e n Texte mit sich g e b r a c h t h a b e n w ü r d e , d i e erforderlich g e w e s e n wäre, u m d i e s e hinsichtlich ihres U m f a n g s u n d ihrer A n l a g e d e n V o r g a b e n d e s „ G r u n d r i s s e s " a n z u p a s s e n u n d ihnen d e n v o r g e s e h e nen l e h r b u c h a r t i g e n C h a r a k t e r zu g e b e n . Die uns ü b e r l i e f e r t e n M a n u s k r i p t e aus d e m Nachlaß d e c k e n sich d e m n a c h nur teilweise mit d e n A n g a b e n der „Einteilung d e s G e s a m t w e r k e s " v o m Frühjahr 1914. Der Text „Die W i r t s c h a f t u n d die O r d n u n g e n " , der s c h o n im S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n v o n 1910 unter d e m Titel „Wirtschaft u n d Recht" E r w ä h n u n g findet, ist von Max W e b e r 1913/14 a u s w e i s l i c h d e s in d i e s e m Falle überlieferten M a n u s k r i p t s in u n m i t t e l b a r e m Z u s a m m e n h a n g mit e i n e m u m f a n g r e i c h e n Konvolut über „ R e c h t s s o z i o l o g i e " z u m Druck vorbereitet w o r d e n . 4 7 A u c h d i e s e s M a n u s k r i p t war e r s i c h t l i c h weit ü b e r die T h e m a t i k d e s e n t s p r e c h e n d e n U n t e r a b s c h n i t t s innerhalb d e s Kapitels „Der p o l i t i s c h e V e r b a n d " , g e m ä ß der D i s p o s i t i o n v o m Frühjahr 1914, h i n a u s g e w a c h s e n . Die „ R e c h t s s o z i o l o g i e " w u r d e d a m i t zu e i n e m e i g e n s t ä n d i g e n T e x t b e s t a n d , der allerdings v e r m u t l i c h w e i t e r h i n im A n s c h l u ß an d e n A b s c h n i t t 7 über d e n „Politischen V e r b a n d " plaziert w o r d e n wäre. Die H e r a u s g e b e r der M W G h a b e n d e m g e m ä ß einen e i g e n s t ä n d i g e n Teilb a n d „Recht" v o r g e s e h e n . 4 8 B e d e u t s a m e r ist, daß a u c h der A b s c h n i t t 5 „Religiöse G e m e i n s c h a f t e n " ü b e r seine u r s p r ü n g l i c h e T h e m a t i k weit hin-

45 Allein die uns überlieferten, unfertigen Texte belaufen sich auf ca. 40 Bogen. 46 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 21. Febr. 1915, ebd. (MWG II/9). 47 In beiden Manuskripten finden sich umfangreiche Setzeranweisungen von Webers Hand In gleichem Duktus und mit gleicher Feder, die den Schluß auf eine einheitliche Disposition für beide Manuskriptbestände unabweisbar machen. VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG I/22-3). 48 MWG I/22-3. Vgl. die Allgemeinen Hinweise der Herausgeber zur Edition von „Wirtschaft und Gesellschaft", oben, S.XIII-XV.

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a u s g e w a c h s e n war und z u g l e i c h einen b e t r ä c h t l i c h e n U m f a n g a n g e n o m men hatte. A u c h d i e s e n Textbestand h a b e n die H e r a u s g e b e r , o b s c h o n dies eine A b w e i c h u n g v o n der u r s p r ü n g l i c h von Max Weber v o r g e s e h e nen A b f o l g e v o n Typen v o n „ G e m e i n s c h a f t e n " b e d e u t e t e , e i n e m e i g e n e n Teilband z u g e w i e s e n . 4 9 Die Texte über die „ G e m e i n s c h a f t e n " d e c k e n sich in der uns überlieferten Form e b e n f a l l s nur b e g r e n z t mit d e n A n g a b e n der „Einteilung d e s G e s a m t w e r k e s " . Man wird d a v o n a u s g e h e n müssen, daß Max W e b e r b e a b s i c h t i g t e , d i e s e Texte g e m ä ß der A n o r d n u n g und der Terminologie n o c h einmal zu ü b e r a r b e i t e n , w a s aber, soweit wir s e h e n , größtenteils nicht mehr g e s c h e h e n ist. I n s b e s o n d e r e ist die offenbar b e a b s i c h t i g t e Modifikation der Terminologie, die laut der D i s p o s i t i o n v o m Frühjahr 1914 v o r z u g s w e i s e von „Verband" anstelle v o n „ G e m e i n s c h a f t " s p r a c h , nur teilweise d u r c h g e f ü h r t w o r d e n . 5 0 Vielmehr dient in d i e s e m B a n d e die S e q u e n z u n t e r s c h i e d l i c h e r Typen von „ G e m e i n s c h a f ten" d u r c h g ä n g i g als A c h s e der Darstellung. Umstritten ist, wie der A n f a n g d e s älteren M a n u s k r i p t b e s t a n d e s v o n „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " a u s g e s e h e n hat. Im S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n von 1910 f i n d e t sich kein Hinweis auf eine „Einleitung" zu W e b e r s Beiträg e n . In der D i s p o s i t i o n von 1914 stellte Max W e b e r d e n S a c h d a r s t e l l u n g e n ein e i n l e i t e n d e s Kapitel mit d e m Titel „ K a t e g o r i e n der g e s e l l s c h a f t l i c h e n O r d n u n g . W i r t s c h a f t u n d Recht in ihrer prinzipiellen B e z i e h u n g . W i r t s c h a f t l i c h e B e z i e h u n g e n der V e r b ä n d e im a l l g e m e i n e n " voran. D a b e i fällt auf, daß es zu d e n an zweiter und dritter Stelle g e n a n n t e n T h e m e n b e r e i c h e n M a n u s k r i p t e gibt, nicht aber zu d e m e r s t g e n a n n t e n T h e m e n b e r e i c h „ K a t e g o r i e n der g e s e l l s c h a f t l i c h e n O r d n u n g " . Dieser Text, v o n d e m u n s i c h e r ist, o b es ihn ü b e r h a u p t g e g e b e n hat, könnte der Platzhalter für eine h a n d l u n g s t h e o r e t i s c h und m e t h o d o l o g i s c h a r g u m e n t i e r e n d e a l l g e m e i n e Einleitung g e w e s e n sein. Es ist immerhin m ö g l i c h , w i e Wolfg a n g S c h l u c h t e r vermutet, daß Max W e b e r d i e s e s M a n u s k r i p t 1919 aus d e m alten Konvolut h e r a u s g e l ö s t u n d für die Formulierung der „Soziolog i s c h e n G r u n d b e g r i f f e " v o n 1919 v e r w e n d e t sowie a n s c h l i e ß e n d vernichtet hat. 5 1 U r s p r ü n g l i c h ist W o l f g a n g S c h l u c h t e r d a v o n a u s g e g a n g e n , daß der z w e i t e Teil der A b h a n d l u n g „Über einige K a t e g o r i e n der v e r s t e h e n d e n Soziologie" (der s o g e n a n n t e K a t e g o r i e n a u f s a t z ) als A n f a n g s k a p i t e l g e d i e n t h a b e n dürfte. Es hätte z u s a m m e n mit „Die W i r t s c h a f t u n d die Ordn u n g e n " eine Einführung in die Terminologie der Texte über „ G e m e i n -

49 MWG I/22-2. 50 Vgl. den Editorischen Bericht zu dem Text „Politische Gemeinschaften", unten, S. 200f. 51 Vgl. auch Schluchter, Doppelkopf (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 742.

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schatten" g e g e b e n . 5 2 Schluchter hat diese seine These aber i n z w i s c h e n revidiert.53 Hiroshi O r i h a r a h i n g e g e n hat a u f g r u n d einer

umfangreichen

Analyse der Textverweise d e n Nachweis zu führen gesucht, daß

„Die

Wirtschaft und die Ordnungen" und der „Kategorienaufsatz" a m Anfang d e r Texte ü b e r d i e „ G e m e i n s c h a f t e n " g e s t a n d e n b e z i e h u n g s w e i s e ,

wie

er e s g e n a n n t h a t , d e n „ K o p f " d e s G a n z e n g e b i l d e t h a b e n . 5 4 Er h a t s e i n e n S t a n d p u n k t u n t e r H i n w e i s a u f d a s N e t z w e r k d e r V e r w e i s e in „ W i r t schaft und Gesellschaft" jüngst noch einmal nachdrücklich

bekräftigt.55

Es ist j e d o c h w e n i g w a h r s c h e i n l i c h , d a ß d i e s t a t s ä c h l i c h d e r Fall g e w e s e n ist, s c h o n g a r n i c h t z u m Z e i t p u n k t d e r in A u s s i c h t

genommenen

D r u c k l e g u n g d e r ä l t e r e n M a n u s k r i p t e i m J a h r e 1 9 1 4 . 5 6 Z u m e r s t e n ist a u s der A n m e r k u n g , die M a x W e b e r a n g e l e g e n t l i c h d e r V e r ö f f e n t l i c h u n g im „ L o g o s " d e r A b h a n d l u n g b e i g a b , k e i n e s w e g s mit G e w i ß h e i t zu s c h l i e ß e n , d a ß d i e s e r , o d e r g e g e b e n e n f a l l s a n d e r e , a n f ä n g l i c h d a z u g e h ö r e n d e Texte w i r k l i c h für e i n e V e r ö f f e n t l i c h u n g in „ W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " v o r g e s e h e n w a r e n . 5 7 W e i t e r h i n ist i n z w i s c h e n klar g e w o r d e n , d a ß d i e ä l t e r e n

52 Vgl. Schluchter, Das Ende eines Mythos (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 628. 53 Vgl. Schluchter, Doppelkopf (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 740f. 54 Schluchter, Das Ende eines Mythos (wie oben, S. 15, Anm. 1); Orihara, Hiroshi, Der Kopf des „Torsos". Zur Rekonstruktion der begrifflichen Einleitung ins „alte Manuskript 1911-13" von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft", in: Working Papers No. 57. - Tokio: Unlversity of Tokyo 1995. 55 Orihara, Hiroshi, Zur Rekonstruktion der alten Vorkriegsfassung von Max Webers Beitrag zum „Grundriss der Sozialökonomik". Eine Erwiderung auf Schluchters Replik, in: Working Paper No. 1, Sugiyama Jogakuen University März 2001. 56 Die von Orihara als Beweis für seine These angeführten Rückverweise aus anderen Manuskripten sind jedenfalls nicht zwingend; sie finden an den angegebenen Stellen des Kategorienaufsatzes nur eine kursorische Entsprechung, so daß Zweifel darüber bestehen, ob sie sich wirklich auf diesen beziehen. Zwar Ist dort von gleichartigen Sachverhalten die Rede, aber klare Begriffsbestimmungen der Art, wie man sie erwarten sollte, finden sich dort nicht. Die von Orihara angezogen Rückverweise aus dem Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen" hingegen beziehen sich mit einer Ausnahme vermutlich auf den Abschnitt „Die Politischen Gemeinschaften", welcher dem Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen" unmittelbar vorgeordnet war. Sie gehören der letzten Schicht des Manuskripts an und sind daher nicht vor 1912, wahrscheinlich sogar noch später entstanden. Das macht es extrem unwahrscheinlich, daß sich diese Verweise auf den Kategorienaufsatz bezogen haben könnten, umso mehr als es sich herausgestellt hat, daß die Terminologie des Kategorienaufsatzes zu einem späten (vermutlich zum gleichen) Zeitpunkt In das Manuskript „Die Wirtschaft und die Ordnungen" eingearbeitet worden ist. 57 Weber, Kategorienaufsatz, S.253, Anm. 1. Hier heißt es, daß „der zweite Teil des Aufsatzes [...] ein Fragment aus einer schon vor längerer Zeit geschriebenen Darlegung" sei, „welche der methodischen Begründung sachlicher Untersuchungen, darunter eines Beitrags (Wirtschaft und Gesellschaft) für ein demnächst erscheinendes Sammelwerk dienen sollte und von welcher andre Teile wohl anderweit gelegentlich publiziert werden".

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Teile d e s K a t e g o r i e n a u f s a t z e s in der uns im „ L o g o s " überlieferten Fass u n g letzter Hand auf Ende 1 9 1 2 / A n f a n g 1913 datiert w e r d e n m ü s s e n . Diese s i n d ü b e r d i e s im Z u g e der V e r ö f f e n t l i c h u n g 1913 in nicht u n e r h e b l i c h e m U m f a n g ü b e r a r b e i t e t o d e r e r g ä n z t w o r d e n . 5 8 Dies e r l a u b t d e n Schluß, daß der K a t e g o r i e n a u f s a t z j e d e n f a l l s in dieser teils ü b e r a r b e i t e ten, teils neu f o r m u l i e r t e n F a s s u n g s i c h e r l i c h nicht a m A n f a n g der Texte ü b e r „ G e m e i n s c h a f t e n " g e s t a n d e n h a b e n kann, z u m a l d i e s b e z ü g l i c h e H i n w e i s e von W e b e r s e l b s t in d i e s e m Punkte fehlen. Die H e r a u s g e b e r der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e h a b e n sich d a h e r e n t s c h i e d e n , d e n Kat e g o r i e n a u f s a t z nicht in „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " a u f z u n e h m e n u n d an d e n A n f a n g der Edition d e s B a n d e s „ G e m e i n s c h a f t e n " zu stellen, g a n z u n a b h ä n g i g von der Frage, o b Teile der älteren Kapitel, o b s c h o n d i e s e laut W e b e r s Mitteilung v o m 5. S e p t e m b e r 1913 „schon seit 3 A J a h r e n " , also Ende 1912 „fertig" v o r l a g e n , bereits w e s e n t l i c h früher e n t s t a n d e n waren u n d m ö g l i c h e r w e i s e u r s p r ü n g l i c h als Einleitung hätten d i e n e n sollen. 5 9 O r i h a r a s These, daß der K a t e g o r i e n a u f s a t z u n d der Text „Die W i r t s c h a f t u n d die O r d n u n g e n " z u s a m m e n mit d e m Text „ W i r t s c h a f t l i c h e B e z i e h u n g e n der G e m e i n s c h a f t e n im a l l g e m e i n e n " d e n „ K o p f " der n a c h g e l a s s e n e n M a n u s k r i p t e g e b i l d e t h a b e n , kann hier e b e n f a l l s offen b l e i b e n , d a Max Weber, wie bereits erwähnt, selbst 1913 o d e r 1914 Dispositionen getroffen hat, die d e n Text „Die W i r t s c h a f t u n d die O r d n u n g e n " e n g mit der s o g e n a n n t e n „ R e c h t s s o z i o l o g i e " v e r k n ü p f e n u n d einen g e m e i n s a m e n D r u c k vorsehen. Es ist unstrittig, daß „Die Wirtschaft u n d die O r d n u n g e n " im Kern ein „früher" Text ist, o b s c h o n für eine Datierung vor 1910 keine p h i l o l o g i s c h e n A n h a l t s p u n k t e b e s t e h e n , u n d der Text in der Tat w o h l u r s p r ü n g l i c h eine e i n l e i t e n d e Funktion hat h a b e n sollen, wie d i e s a u c h d u r c h d e n Stoffv e r t e i l u n g s p l a n von 1910 n a h e g e l e g t wird. A b e r der Text b e h a n d e l t nur die R e c h t s o r d n u n g , w ä h r e n d die a n d e r e n O r d n u n g e n , die l o g i s c h e r w e i s e hätten f o l g e n m ü s s e n , nur p a u s c h a l a n g e s p r o c h e n w e r d e n . Wie d e m a u c h sei, j e d e n f a l l s hat Max Weber selbst sich s p ä t e s t e n s 1913 o d e r 1914 dafür e n t s c h i e d e n , d e n w a h r s c h e i n l i c h u r s p r ü n g l i c h an einer vorderen Stelle plazierten Text „Die W i r t s c h a f t u n d die O r d n u n g e n " g e m e i n s a m mit der

58 Dies läßt sich aus dem Umstand erschließen, daß Max Weber wegen der Umarbeitung eine genaue Umfangschätzung nicht mehr möglich war. Vgl.den Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 5. Sept. 1913, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr.25, Bl. 78f. (MWG II/8). 59 So auch Schluchter, Doppelkopf, (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 741 f.

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„ R e c h t s s o z i o l o g i e " im A n s c h l u ß an die „Politischen G e m e i n s c h a f t e n " zu plazieren, wie unter a n d e r e m aus d e n S e t z e r a n w e i s u n g e n h e r v o r g e h t . 6 0 A u c h inhaltliche G r ü n d e s p r e c h e n d a g e g e n , daß der K a t e g o r i e n a u f s a t z o d e r Teile d e s s e l b e n a m A n f a n g der älteren M a n u s k r i p t e v o n „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " g e s t a n d e n h a b e n . In der A k z e n t u i e r u n g d e s rational orientierten „ G e s e l l s c h a f t s h a n d e l n s " - eines Begriffs, der dort n o c h nicht a u f t a u c h t - o d e r d e s „ L e g i t i m i t ä t s - E i n v e r s t ä n d n i s s e s " als einer Voraussetz u n g von stabiler H e r r s c h a f t , des „ Z w e c k v e r b a n d e s " u n d eines „spezifis c h e n Interesses d e s rationalen k a p i t a l i s t i s c h e n .Betriebs' an .rationalen' O r d n u n g e n " geht der „ K a t e g o r i e n a u f s a t z " über das I n t e r p r e t a t i o n s n i v e a u der Texte über „ G e m e i n s c h a f t e n " hinaus. Er übertrifft d i e s e in seiner begrifflichen Präzision bei w e i t e m . In m a n c h e r Hinsicht f i n d e t s i c h hier die Q u i n t e s s e n z der in d e n - ihm, wie m a n v e r m u t e n darf, zeitlich v o r a u s l a u f e n d e n - T e x t e n über „ G e m e i n s c h a f t e n " e n t w i c k e l t e n Begrifflichkeit. W a h r s c h e i n l i c h e r ist, daß es einen e i n l e i t e n d e n Text g e g e b e n hat, der die a m B e g i n n zu e r w a r t e n d e n B e g r i f f s d e f i n i t i o n e n bereitstellte, v o n d e m uns a l l e r d i n g s nur ein F r a g m e n t überliefert ist. Es ist d i e s d e r längere A b s a t z zu B e g i n n d e s Textes „Wirtschaftliche B e z i e h u n g e n der G e m e i n s c h a f t e n im a l l g e m e i n e n " . 6 1 Dieser A b s a t z ist mit d e m n a c h f o l g e n d e n Text d u r c h d e n E i n s c h u b eines Satzes, der v e r m u t l i c h v o n d e n Ersthera u s g e b e r n s t a m m t , um d i e B r ü c k e zu d e n d a n n f o l g e n d e n E r ö r t e r u n g e n über v e r s c h i e d e n e Typen „ w i r t s c h a f t e n d e r G e m e i n s c h a f t e n " herzustellen, nur u n z u l ä n g l i c h v e r k n ü p f t . 6 2 Man darf v e r m u t e n , daß er d u r c h die E r s t h e r a u s g e b e r an dieser Stelle in d a s M a n u s k r i p t e i n g e f ü g t w o r d e n u n d d u r c h eine s y n t a k t i s c h w i e inhaltlich nicht d a z u p a s s e n d e Ü b e r b r ü k k u n g s f o r m u l i e r u n g an d e n n a c h f o l g e n d e n Text a n g e b u n d e n w o r d e n ist. Das F r a g m e n t b r i n g t eine Definition d e s Begriffs „Wirtschaft", w i e m a n sie an dieser Stelle e r w a r t e n w ü r d e ; d a b e i ist auffällig, daß d i e s e sich pointiert an der Begrifflichkeit der G r e n z n u t z e n s c h u l e orientiert. 6 3 Dieser S a c h v e r h a l t legt eine relativ frühe E n t s t e h u n g nahe, trat d o c h d e r Konflikt z w i s c h e n der G r e n z n u t z e n l e h r e u n d der h i s t o r i s c h e n N a t i o n a l ö k o n o m i e in W e b e r s Werk s p ä t e r h i n z u n e h m e n d z u r ü c k . Es ist zu v e r m u t e n , daß es

60 Das Manuskript findet sich im und OM 10. 61 Vgl. den Text „Wirtschaftliche unten, S. 77-79. 62 Vgl. den Editorischen Bericht ten im allgemeinen", unten, S.71. 63 Vgl. den Text „Wirtschaftliche unten, S.77f.

Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 6 Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", zu „Wirtschaftliche Beziehungen der GemeinschafBeziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen",

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sich dabei um ein Bruchstück bzw. den Rest eines Textes gehandelt hat, der dem in der „Einteilung des Gesamtwerkes" vom Frühjahr 1914 vorgesehenen Text „Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen" zugeordnet werden kann. Es ist immerhin möglich, daß es der Rest eines Manuskripts ist, das 1919 zur Abfassung des Kapitels „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens" der ersten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie" 6 4 verwendet und anschließend vernichtet worden ist. 65 Wenn diese Annahme richtig ist, so würde dies bedeuten, daß nur die inzwischen entbehrlich gewordenen Ausführungen über die Definition der Wirtschaft im Sinne der Grenznutzentheorie diesem Schicksal entgangen sind. 6 6 Jedoch läßt sich dies nicht mit Sicherheit nachweisen. Vielmehr handelt es sich bei Lage der Dinge um eine nur auf Indizien gestützte hypothetische Deduktion. Demgemäß folgt die Edition, ungeachtet dieser Erwägungen, in der Präsentation des Textes der Voredition von Marianne Weber und Melchior Palyi. Dem Abschnitt „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", der, wie wir annehmen dürfen, als Rest einer ursprünglich wohl umfänglicheren Einleitung erhalten geblieben ist, folgte dann in einer durchaus systematischen Abfolge die Darstellung der verschiedenen „Gemeinschaftsformen", die der „Hausgemeinschaft" und ihrer verschiedenen Derivate, die „ethnischen Gemeinschaften", die „Marktgemeinschaft" und die „Politischen Gemeinschaften" (während die ursprünglich der „Marktgemeinschaft" nachfolgenden „Religiösen Gemeinschaften" sich zu einer eigenständigen Darstellung verselbständigten). Daran schlössen sich, mit den Ausführungen der „Politischen Gemeinschaften" inhaltlich eng verbunden, die Texte über „Machtprestige und Nationalgefühl" sowie über „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" an. Diese Texte stehen in einem engen Sachzusammenhang miteinander. Jedoch können nur die ersten beiden Texte als mehr oder minder abgeschlossen gelten; während die übrigen unvollendet geblieben sind. Deshalb rechtfertigt es sich auch, sie jeweils als eigenständige Texte zu edieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß es sich insgesamt um einen kontinuierlichen Textbestand gehandelt habe. Es ist im übrigen nicht anzunehmen, daß der Text „Machtprestige und Nationalgefühl" ebenso wie die hier im Anhang edierten Texte über „Kriegerstände" überhaupt für eine Veröffentlichung im Rahmen von „Wirtschaft und Gesellschaft" bestimmt waren. Bei

64 WuG 1 , S. 3 1 - 1 2 1 (MWG I/23). 65 Vgl. den Editorischen Bericht zu dem Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", unten, S. 73. 66 Vgl. unten, S.43f.

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dem Text „Machtprestige und Nationalgefühl" handelt es sich allerdings um eine inhaltlich bedeutsame Vorfassung zu dem Unterabschnitt über die „Nation", der in der Disposition von 1914 angekündigt war, dann aber nicht mehr zustande gekommen ist. Dieser Text weist überdies bemerkenswerte Parallelen zu den entsprechenden Passagen in dem Abschnitt über „Ethnische Gemeinschaften" auf. Für eine Aufnahme in die Abfolge der Texte über „Gemeinschaften" spricht der Umstand, daß sich diese Texte in dem Konvolut der Manuskripte befanden, das Marianne Weber im Schreibtisch ihres Mannes fand und die Grundlage der Erstedition von „Wirtschaft und Gesellschaft" abgegeben hat. Unter den Manuskripten des Nachlasses fand sich darüber hinaus ein Stichwortmanuskript über „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", das Max Weber aller Wahrscheinlichkeit nach als Vorlage für die Abfassung der entsprechenden Textpassagen in dem Abschnitt über die „Hausgemeinschaften" gedient hat und aus diesem Grunde im Anhang dieses Bandes mitgeteilt wird. 67 Man darf mit Gewißheit davon ausgehen, daß Max Weber die nachgelassenen Manuskripte von „Wirtschaft und Gesellschaft" 1919/20 nicht mehr in der vorliegenden Form publizieren, sondern sie grundlegend überarbeiten wollte, in Übereinstimmung mit dem inzwischen erreichten Stand seiner theoretischen Auffassungen. „Das dicke alte Manuskript muß ganz gründlich umgestaltet werden [...]", schrieb er am 27. Oktober 1919 an Paul Siebeck. 68 Es ist ihm wegen seines plötzlichen Todes am 14. Juni 1920 bekanntlich nicht mehr möglich gewesen, diese Umarbeitung zur Gänze durchzuführen. 69 1920 begann Max Weber damit, diese Neufassungen zu veröffentlichen; sie werden in Band MWG I/23 ediert. Von den Texten über die „Gemeinschaften" hat nur das Kapitel über „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" eine dort publizierte Überarbeitung erfahren. Die Abfolge der Texte über „Gemeinschaften", so wie diese hier präsentiert werden, ergibt sich teilweise aus der Verweisstruktur, über die in den Editorischen Berichten das Notwendige gesagt wird, zugleich aber auch aus ihrem inneren Zusammenhang. Einzelne der Texte setzen einander jeweils voraus. Von einer rein chronologischen Anordnung gemäß ihrer Entstehungszeit ist hingegen Abstand genommen worden, schon deshalb,

67 Vgl. die in Abschnitt III. gegebene Charakterisierung des Stichwortmanuskripts, unten, S. 36-38, sowie den Editorischen Bericht, unten, S. 288f. 68 Brief Max Webers an Paul Siebeck undat. [27. Okt. 1919], VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG 11/10). 69 Vgl. Mommsen, Zur Entstehung von Max Webers hinterlassenem Werk (wie oben, S. 15f., Anm. 1), sowie ders., Max Weber's Grand Sociology (wie oben, S. 16, Anm. 1).

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weil sich die Texte s ä m t l i c h nicht präzise datieren lassen. Eine A u s n a h m e m a c h t in dieser Hinsicht nur der Text über „ M a c h t p r e s t i g e und Nationalgefühl", der, wie sich aus inhaltlichen H i n w e i s e n erschließen läßt, vor Juli 1911 n i e d e r g e s c h r i e b e n w o r d e n sein muß. Ü b e r d i e s d ü r f t e n die Texte nicht selten u n t e r s c h i e d l i c h e S c h i c h t e n a u f w e i s e n , die zu v e r s c h i e d e n e n Z e i t p u n k t e n e n t s t a n d e n sind, a u c h w e n n wir dies m a n g e l s der M a n u s k r i p te nicht mehr im e i n z e l n e n n a c h w e i s e n k ö n n e n . I n s g e s a m t dürften die n a c h s t e h e n d e d i e r t e n Texte im w e s e n t l i c h e n z w i s c h e n 1910 und 1912 ents t a n d e n sein, allerdings mit der Wahrscheinlichkeit späterer Ü b e r a r b e i t u n gen. Dies betrifft vor allem die Verweise auf a n d e r e , z u m e i s t s p ä t e r ents t a n d e n e S e g m e n t e von „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " , i n s b e s o n d e r e die „ H e r r s c h a f t s s o z i o l o g i e " , a b e r a u c h die „ R e c h t s s o z i o l o g i e " , die b e i d e ihre uns b e k a n n t e G e s t a l t e r s t 1912/13 erhalten h a b e n . A n s o n s t e n a b e r w e i s e n die Texte über „ G e m e i n s c h a f t e n " , wie bereits d a r g e l e g t w u r d e , n o c h keine S p u r e n der g r u n d l e g e n d e n V e r ä n d e r u n g e n der Terminologie Max W e b e r s auf, die mit d e m auf Ende 1 9 1 2 / A n f a n g 1913 zu d a t i e r e n d e n K a t e g o r i e n aufsatz einsetzen. In dieser B e z i e h u n g m a c h t allerdings der Text über „Politische G e m e i n s c h a f t e n " eine A u s n a h m e . Er hat offensichtlich eine Übera r b e i t u n g erfahren, w e l c h e die neuen A n s ä t z e d e s K a t e g o r i e n a u f s a t z e s , aufgreift, i n s b e s o n d e r e die K o n z e p t i o n der „Legitimität" p o l i t i s c h e r Ordn u n g e n kraft d e s „ E i n v e r s t ä n d n i s h a n d e l n s " der G e m e i n s c h a f t s a n g e h ö r i g e n , die als partielle A n t i z i p a t i o n der „Drei reinen Typen legitimer Herrschaft" g e l t e n kann. 7 0 Allerdings ist g e r a d e dieser Text unvollendet g e b l i e ben. Vermutlich hat Max W e b e r es v o r g e z o g e n , in d e m A b s c h n i t t „Herrs c h a f t " 7 1 einen g r u n d l e g e n d e n N e u a n s a t z zu u n t e r n e h m e n , statt d e n älteren A n s a t z f o r t z u s c h r e i b e n , wie er in d e n „Politischen G e m e i n s c h a f t e n " n o c h v o r h e r r s c h t , n ä m l i c h „Herrschaft" und „Staat" als S o n d e r f o r m e n „politischer G e m e i n s c h a f t e n " zu b e h a n d e l n . I n s g e s a m t gilt für die Texte über „ G e m e i n s c h a f t e n " einschließlich d e s Textes „Politische G e m e i n s c h a f t e n " , daß die begrifflichen und t h e m a t i s c h e n N e u e r u n g e n , die in der Disposition v o m Frühjahr 1914 a n g e k ü n d i g t w u r d e n , in ihnen n o c h keinen Nieders c h l a g g e f u n d e n h a b e n . 7 2 Sie w e r d e n v i e l m e h r d u r c h g ä n g i g b e s t i m m t d u r c h die V e r w e n d u n g der Begrifflichkeit v o n „ G e m e i n s c h a f t " u n d „Ge-

70 Vgl. unten, S. 51 - 53 und den Editorischen Bericht zu dem Text „Politische Gemeinschaften", unten, S.200f. 71 MWG I/22-4. 72 Die Disposition ist unter dem Datum vom 6. Juni 1914 im ersten Band des GdS im Druck erschienen, jedoch lag sie, was die thematische Gestaltung von „Wirtschaft und Gesellschaft" angeht, bereits im März 1914 vor. Vgl. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 18. März 1914, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).

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meinschaftshandeln", während die Begriffe „Gesellschaft" und „Gesellschaftshandeln" so gut wie überhaupt nicht verwendet werden, wohl aber „Vergesellschaftung" als Bezeichnung für die zweckrationale Gestaltung bestimmter Dimensionen oder Aspekte des „Gemeinschaftshandelns". Max Weber hat, wie bereits erwähnt, immer wieder darauf Bezug genommen, daß er w e g e n der „Minderleistung" Karl Büchers in die Bresche habe springen müssen, n a c h d e m dieser statt eines vorgesehenen umfassenden Artikels über „Wirtschaftsstufen" am Ende nur eine knappe Zusammenfassung seiner bekannten Thesen geliefert hatte. Schon in einem Brief an Paul Siebeck vom 23. Januar 1913 heißt es, daß es von d e m bevorstehenden Manuskript Büchers abhänge, ob er seinen „großen Beitrag (Wirtschaft und Gesellschaft - i n c l u s i v e ] Staat und Recht)" schon in „nächster Zukunft oder auch erst Ende April zusenden" könne, von d e m Weber hoffte, er werde „zu den besseren oder besten Sachen gehören, die ich schrieb". 7 3 Am 5. Mai 1914 schließlich teilte Weber d e m Verleger mit, er sei „noch in scharfer Arbeit w e g e n Büchers Versagen". 7 4 Dies legt den Gedanken nahe, daß Max Weber die in d e m Schreiben v o m 30. Dezember 1913 direkt angesprochene Theorie und Darstellung des Verhältnisses aller „großen Gemeinschaftsformen" zur Wirtschaft erst nach Eing a n g des unzulänglichen Manuskripts Büchers niedergeschrieben oder zumindest erheblich erweitert habe. Doch ist dies wenig wahrscheinlich. Max Webers Typologie der „Gemeinschaftsformen" sollte etwas ganz anderes sein als die von Bücher erwartete Theorie der Wirtschaftsstufen, und er hätte auf der Grundlage seiner Texte Büchers „Minderleistung" schwerlich in nennenswertem Umfang ausgleichen können. Weber lag dies vielmehr durchaus fern. Er suchte Johann Plenge dafür zu gewinnen, kurzfristig die Lücke, die Bücher gelassen hatte, zu schließen und ihm „auf einem Bogen" eine Theorie der Wirtschaftsstufen zu schreiben, welche er sofort unbesehen zu drucken bereit war. 7 5 Im übrigen meinte er, daß seine eigenen Auffassungen über Stufentheorien gegenwärtig in starkem Wandel begriffen seien und er frühestens in der zweiten Auflage

73 „Er giebt eigentlich eine vollständige soziologische Staatslehre Im Grundriß und hat harten Schweiß gekostet, das kann ich wohl sagen" Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 23. Jan. 1913, ebd. 74 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 5. Mai 1914, ebd. 75 „Setzen Sie sich, sobald Sie Luft haben, hin und schreiben In 1 Bogen Ihre Stufentheorie nieder, ganz populär, unsolgnlert und rein didaktisch. Büchers M [ a n u ] s c r [ l p t ] ist so miserabel [...], daß Ich dann diese Sache von Ihnen sofort drucke." Brief Max Webers an Johann Plenge vom 4. Nov. 1913, UB Bielefeld, Nl. Johann Plenge (MWG

II/S).

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des „Grundriss" eine eigene Stufentheorie werde liefern können. 7 6 Dies schließt aus, daß Weber die Sequenz seiner „Gemeinschaftsformen" als eine Art von Ersatz für Büchers „Wirtschaftsstufen" angesehen hat. Allenfalls ist denkbar, daß Weber im Hinblick auf den ziemlich schematischen, nicht sehr informativen Beitrag Büchers seine eigenen Texte noch einmal durchgesehen und hie und da ergänzt hat. Gewiß aber hat er diese Büchers w e g e n nicht substantiell verändert. Vielmehr diente ihm der Hinweis auf Büchers „Versagen" in erster Linie als Rechtfertigung für die Umfangüberschreitungen seiner eigenen Texte. 77 Im übrigen taucht diese Argumentationsfigur auch in anderen Z u s a m m e n h ä n g e n und bezogen auf andere Autoren auf. 7 8 In einem Rundschreiben an die Mitherausgeber des H a n d b u c h s vom 8. Dezember 1913 heißt es, w e g e n „des fast völligen Ausfalls mehrerer besonders wichtiger Beiträge", für die zumeist „ein Ersatz überhaupt nicht zu schaffen war", habe er, Weber, geglaubt, „für das Werk, um ihm ein anderweitiges [Hervorhebung d. Hg.] Äquivalent zu liefern und so seine Eigenart zu heben, unter Opferung anderer", ihm „weit wichtigerer Arbeiten in d e m Abschnitt .Wirtschaft und Gesellschaft' eine ziemlich umfassende soziologische Erörterung liefern zu sollen, eine Aufgabe", die er „sonst in dieser Art niemals unternommen hätte." 7 9 Er wollte also ein „anderweitiges Äquivalent" für die ausgefallenen bzw. unbefriedigenden Beiträge leisten, nicht aber die hier gebliebenen Lücken schließen. Man darf d e m n a c h füglich davon ausgehen, daß Webers „große Soziologie", deren frühe Teile nachstehend ediert werden, in allem wesentlichen unabhängig von den Fehl- bzw. Minderleistungen anderer Autoren des „Grundriss der Sozialökonomik" entstanden ist.

76 Brief Max W e b e r s an J o h a n n Plenge v o m 11. A u g . 1913, e b d . Dort heißt es unter B e z u g n a h m e auf die g e p l a n t e n A r b e i t e n Plenges zur „Stufentheorie": „Meine persönlic h e n A n s i c h t e n über diesen Punkt sind z . Z . in starkem W a n d e l b e g r i f f e n u n d - n a c h d e m Bücher m i c h im Stich g e l a s s e n hat, d e n n was er lieferte, taugt nichts - w e r d e ich frühestens bei einer e t w a i g e n N e u a u f l a g e d e s . H a n d b u c h s ' in der L a g e sein, zu meinem Teil etwas zu diesem P r o b l e m b e i z u t r a g e n [...]. Diesmal bietet mein Artikel .Wirtschaft u n d Gesellschaft' g a n z andre D i n g e als .Wirtschaftsstufen'." 77 Brief Max W e b e r s an Paul S i e b e c k v o m 2. April 1914, VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 4 4 6 (MWG II/8): Er m ü s s e „einen g a n z d i c k e n A b s c h n i t t z u f ü g e n " . Vgl. Schluchter, D o p p e l k o p f (wie o b e n , S. 15, A n m . 1), S . 7 4 1 . 78 So heißt es n o c h a m 21. Juni 1914 zur R e c h t f e r t i g u n g des A u s b l e i b e n s seiner eig e n e n Beiträge: „ I c h kann ja gar nichts dafür, daß d u r c h die U n z u l ä n g l i c h k e i t der Beit r ä g e von Bücher, Sieveking, a u c h S o m b a r t [...] u n d einiger A n d e r e r es nötig wurde, daß ich e i n s p r a n g . " Brief Max W e b e r s an Paul S i e b e c k v o m 21. Juni 1914, VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 4 4 6 (MWG II/8). 79 R u n d s c h r e i b e n an die M i t h e r a u s g e b e r des H a n d b u c h s v o m 8. Dez. 1913, e b d .

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III. Die „großen

Gemeinschaftsformen"

Max Weber hat sich, wie bereits erwähnt wurde, offenbar schon vor Beginn seiner Arbeit am „Handbuch" mit den verschiedenen Formen von Gemeinschaften in der Menschheitsgeschichte befaßt. 1902, als er seine schwere psychische Erkrankung zu überwinden begann, wandte er sich im Zusammenhang mit der Arbeit seiner Frau an ihrem damals begonnenen Buch „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" 1 dieser Thematik erneut zu. 2 Er nahm an ihren Forschungen ein intensives Interesse und trieb sie, wie Marianne Weber bekundet, dabei „von einer Stufe zur anderen" voran. Dies hat nach dem Zeugnis Marianne Webers zu seiner Gesundung einiges beigetragen. 3 In ihrem Werk wurden die Stellung der Frau in frühen Gesellschaften und das Mutterrecht sowie das angenommene ursprüngliche Matriarchat und ebenso die Frage der Entstehung des Eigentums eingehend behandelt. 4 Damals erstellte Max Weber eine ausführliche Ausarbeitung dieser Probleme in einem Stichwortmanuskript mit dem Titel „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", das im Herbst 1906 entstanden sein dürfte. Dieses Stichwortmanuskript besteht aus zwei Schichten, die erste gibt einen stichwortartigen Abriß der Entwicklung der „Hausgemeinschaft" seit ihren ersten Anfängen bis hin zu Nachbarschaft, Sippe und Stamm, die zweite, die wohl etwas später in den ersten Text eingeschoben wurde, behandelt die Entwicklung der Institution der „Ehe" vor universalhistorischem Hintergrund. Die Ausarbeitung über die „Ehe" war vermutlich eine Zuarbeit zu Marianne Webers Buch; sie könnte allerdings auch als Material für eine Studie über „Prostitution und Familie" gedient haben, welche Max Weber Anfang 1905 dem Verein für Socialpolitik in Aussicht gestellt hatte. 5 Dies ergibt sich aus einem Ver-

1 Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter. 2 Siehe jetzt Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800-1950 mit Briefen und Dokumenten. - Tübingen: Mohr Siebeck 2001, S. 5 6 5 - 5 6 7 (hinfort: Roth, Max Webers Familiengeschichte). 3 Marianne Weber berichtet am 29. Januar 1902 ihrer Schwiegermutter Helene Weber, daß Max wieder lese und eine Unmenge von historischer und sonstiger Literatur in sich hinein schlinge; Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 29. Jan. 1902, Deponat Max Weber-Schäfer, BSB München, Ana 446. Offenbar war Weber dabei, sich von seiner tiefen Depression zu befreien; nur termingebundene Verpflichtungen lösten immer noch depressive Anfälle bei ihm aus. 4 Marianne Weber bestätigt selbst, daß sie in dieser letzteren Frage „in den Hauptpunkten den Gedankengängen" ihres Mannes gefolgt sei. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S.63, Anm. 1. 5 Eine Ankündigung mit dem Zusatz: „erst für später" findet sich in: Verein für Socialpolitik, Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses in Berlin am 6. Jan. 1905, British Library of Political & Economic Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114. Ich ver-

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merk in der linken oberen Ecke des ersten Blattes des Manuskripts: „Sexualität, Prostitution". 6 Das Stichwortmanuskript gibt, vermutlich gestützt auf die einschlägigen Passagen der Vorlesung über „Allgemeine (.theoretische') Nationalökonomie", eine generelle Exposition dieser Thematik. 7 Es stellt eine Vorstufe zu den einschlägigen Ausführungen in dem Text „Hausgemeinschaften" dar und wird deshalb in diesem Band im Anhang veröffentlicht. 8 Es behandelt die „Hausgemeinschaft" als die ursprünglichste Form gesellschaftlicher Organisation und wirtschaftlicher Aktivität, sowie die Herausbildung des Nachbarschaftsverbandes, der Sippe und des Stammes als frühe Formen gesellschaftlicher Ordnungen, die als Träger des wirtschaftlichen Lebens fungierten. Aus der ursprünglichen Hausgemeinschaft gingen, worauf Weber besonderen Wert legte, radikal unterschiedliche Typen wirtschaftlicher Aktivität hervor, nämlich zum einen der moderne kapitalistische Betrieb, zum anderen die im wesentlichen auf unfreier Arbeit beruhende Grundherrschaft des „ O i k o s " 9 In dieses Manuskript hat Max Weber wahrscheinlich nur wenig später eine Ausarbeitung über „Die Entwicklung der Sexualbeziehungen und der Ehe" eingeschoben, die vermutlich als Handreichung für Marianne Weber gedacht war, welche die hier formulierten Gesichtspunkte in der Folge dann auch weitgehend in ihrem Buch „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" behandelt hat. Weber rühmte damals gegenüber Paul Siebeck die von seiner Frau vorgetragene Theorie der Entstehung der legitimen Ehe als Folge des Strebens der Frauen nach Sicherstellung der materiellen Versorgung ihrer Kinder als eine ganz neue, bedeutsame These. 1 0 Diese Argumente gehen vermutlich in weiten Teilen auf ihn selbst zurück. Möglicherweise hat der Tatbestand, daß dieses Fragment für Marianne Weber von einiger Bedeutung gewesen ist, dazu geführt, daß es uns erhalten geblieben ist, während Max Weber ansonsten seine Vorstudien zu „Wirtschaft und Gesellschaft", soweit wir wissen, in aller Regel nicht aufgehoben hat. 11 danke Frau Dr. Hanke den Hinweis auf diese Information, welche die Datierung des Stichwortmanuskripts auf das Jahr 1906 stützt. 6 Siehe unten, S.291. 7 Siehe den Editorischen Bericht zu „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S. 2 8 3 - 2 8 5 . 8 Vgl. unten, S. 291-327. Vgl. auch den entsprechenden Edltorischen Bericht, unten, S. 288f. 9 Vgl. das Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S. 3 0 0 - 3 0 2 . 10 Vgl. den Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 11. Sept. 1906, MWG II/6, S. 1 5 6 159, hier S. 158. 11 Auch Marlanne Weber hat, von den frühen Vorlesungsmanuskripten und einigen Notizen und Exzerpten im Nachlaß abgesehen, nur die Materialien für erhaltungswürdig angesehen, die der Abfassung ihres „Lebensbildes" zugrunde gelegen haben.

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Das S t i c h w o r t m a n u s k r i p t weist e n g e B e z ü g e zu anderen T h e m e n auf, an d e n e n Max W e b e r seit 1903 arbeitete, d e n „ A g r a r v e r h ä l t n i s s e n im A l t e r t u m " , 1 2 der A b h a n d l u n g „Die S t a d t " , 1 3 der A b h a n d l u n g über „R. S t a m m l e r s . Ü b e r w i n d u n g ' der m a t e r i a l i s t i s c h e n G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g " 1 4 sowie d e n A u f s ä t z e n zur „Protestantischen Ethik". 1 5 Hier f i n d e n sich zahlreiche Begriffe u n d A u s s a g e n , w e l c h e zentrale T h e s e n seines s p ä t e r e n s o z i o l o g i s c h e n Werks v o r w e g n e h m e n , nicht zuletzt die von der „Einzigartigkeit d e s O k z i d e n t s " . M ö g l i c h e r w e i s e hat Max W e b e r b e a b s i c h t i g t , im G e g e n z u g zu d e n Theorien v o n Karl Marx, a b e r a u c h d e n o r g a n o l o g i s c h e n G e s c h i c h t s t h e o r i e n der älteren H i s t o r i s c h e n Schule, ein e i g e n e s Modell der, wie wir heute s a g e n w ü r d e n , g e s e l l s c h a f t l i c h e n F o r m a t i o n e n im A b l a u f der G e s c h i c h t e a u s z u a r b e i t e n . 1 6 Er wollte freilich nicht bloß eine n e u e T h e o r i e der „Wirtschaftsstufen" v o r l e g e n , wie dies Roscher, Schmoller, Bücher, S o m b a r t u n d a n d e r e mit w e c h s e l n d e m Erfolg u n t e r n o m m e n hatten, sond e r n eine T y p o l o g i e der, wie er d a s d a n n 1913 g e n a n n t hat, „großen Gemeinschaftsformen" entwickeln. Max W e b e r war sich a n f ä n g l i c h nicht s c h l ü s s i g , w e l c h e B e z e i c h n u n g er d a f ü r w ä h l e n sollte. Die z e i t g e n ö s s i s c h e a n t h r o p o l o g i s c h e Literatur v e r w e n d e t e fast d u r c h w e g d e n Begriff „ G e m e i n s c h a f t e n " , a u s g e h e n d von der u r s p r ü n g l i c h s t e n Form m e n s c h l i c h e r G r u p p e n b i l d u n g , n ä m l i c h der „ H a u s g e m e i n s c h a f t " . W e b e r selbst spielte mit d e m G e d a n k e n , statt „ G e m e i n s c h a f t " d e n e n g e r e n und v e r g l e i c h s w e i s e präziseren Begriff d e s „ V e r b a n d e s " zu w ä h l e n ; dieser wird a u c h im S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n v o n 1910 v e r w e n d e t . A u s d e n h a n d s c h r i f t l i c h e n Korrekturen der Titulatur d e s S t i c h w o r t m a n u s k r i p t s „ H a u s v e r b a n d , S i p p e u n d N a c h b a r s c h a f t " läßt sich e n t n e h m e n , daß er in d i e s e m Punkte v o n A n b e g i n n g e s c h w a n k t hat. 1 7 D o c h e n t s c h i e d er sich d a n n für d e n Begriff der „ G e m e i n s c h a f t e n " , offenbar, weil dieser u m f a s s e n d e r war als der Begriff d e s „ V e r b a n d e s " . Dies w u r d e ihm d u r c h die d a m a l i g e e t h n o g r a p h i s c h inspirierte Literatur über E n t w i c k l u n g s m o d e l l e n a h e g e l e g t . I n s b e s o n d e r e Ernst G r o s s e ver-

12 Weber, Agrarverhältnisse3. 13 Weber, Max, Die Stadt, MWG I/22-5. 14 Weber, Max, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, in: AfSSp, Band 24, Heft 1, 1907, S. 94-151 (MWG I/7). 15 Max Weber, Die protestantische Ethik und der „Geist" des Kapitalismus. I. Das Problem, in: AfSSp, Band 20, Heft 1, 1904, S. 1-54; ders., Die protestantische Ethik und der „Geist" des Kapitalismus. II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus, in: ebd., Band 21, Heft 1, 1905, S. 1-110 (MWG I/9). 16 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dez. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG ll/8).Vgl. oben, S. 22. 17 Vgl. unten, S.291.

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w e n d e t e d e n Begriff der „ G e m e i n s c h a f t " in s e i n e m von Weber mit Sicherheit b e n u t z t e n Werk „Die Formen der Familie u n d die Formen der Wirts c h a f t " in einer a n a l o g e n W e i s e . 1 8 A u c h in der Vorlesung „ A l l g e m e i n e (.theoretische') N a t i o n a l ö k o n o m i e " f i n d e t d u r c h w e g der Begriff „ G e m e i n s c h a f t " V e r w e n d u n g , a u c h w e n n die Begriffe „ G e m e i n s c h a f t s f o r m e n " u n d „ V e r b a n d " g e l e g e n t l i c h e b e n f a l l s auftreten. Freilich hatte es e i n e n system a t i s c h e n G r u n d , w e s w e g e n W e b e r schließlich d e m Begriff „ G e m e i n s c h a f t " d e n Vorzug g a b u n d die Texte d e s älteren Teils von „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " als eine Vielfalt von u n t e r s c h i e d l i c h e n , w e n n a u c h auseinander h e r v o r g e h e n d e n „ G e m e i n s c h a f t e n " präsentierte. Es liegt nahe, die Wahl dieser Begrifflichkeit auf d e n Einfluß v o n Ferdin a n d T ö n n i e s z u r ü c k z u f ü h r e n , d e s s e n B u c h „ G e m e i n s c h a f t u n d Gesells c h a f t " 1887 in erster A u f l a g e e r s c h i e n e n w a r 1 9 u n d d e s s e n „ G e d a n k e n g a n g " s i c h Max W e b e r n a c h s e i n e m s p ä t e r e n Bericht „seinerzeit in A u s z ü g e n skizziert" hatte. 2 0 W e b e r hatte von Tönnies eine sehr h o h e Mein u n g , g e l e g e n t l i c h hat er ihn als „eine der allerersten s o z i o l o g i s c h e n Kap a z i t ä t e n , nicht nur D e u t s c h l a n d s " b e z e i c h n e t . 2 1 J e d o c h war seine Einstellung g e g e n ü b e r Tönnies' Werk eher z u r ü c k h a l t e n d ; es e n t s p r a c h nicht seiner Weise d e s D e n k e n s . 2 2 1920 hat er Tönnies' „ G e m e i n s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " mit c h a r a k t e r i s c h e r A m b i v a l e n z als ein „ s c h ö n e s Werk" bezeichnet.23 Max W e b e r v e r w e n d e t e die Begriffe „ G e m e i n s c h a f t " u n d „Gesells c h a f t " d a m a l s in g a n z anderer Weise, als d i e s bei T ö n n i e s der Fall ist. 2 4

18 Grosse, Ernst, Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaft. - Freiburg i.Br., Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1896. 19 Tönnies, Ferdinand, Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirische Culturformen. - Leipzig: Reisland 1887. Vgl. Merz-Benz, Peter-Ulrich, Tiefsinn und Scharfsinn. Ferdinand Tönnies' begriffliche Konstitution der Sozialwelt. - Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S.310ff. 20 Brief Max Webers an Ferdinand Tönnies, vom 29. Aug. 1909, MWG II/6, S . 2 3 7 239. Der Brief zeigt das gespaltene Verhältnis Webers zu den Vorstellungen von Tönnies. 21 Brief Max Webers an Robert Wilbrandt, v o r d e m 18. Mai 1912, MWG II/7, S.543. 22 Zum Verhältnis Tönnies zu Weber vgl. Cahnman, Werner J., Weber and Toennies. Comparative Sociology in Historical Perspective. - New Brunswick (NJ): Transaction Publication 1995; ders., Toennies and Weber. Comparison and Excerpts, in: ders., Ferdinand Toennies. A New Evaluation. Essays and Documents. - Leiden: E. J. Brill 1973, S. 2 5 7 - 2 8 3 (hinfort: Cahnman, Toennies and Weber); ferner Weber, Max, Economy and Society. An outline of interpretive sociology, 3 Bände, hg. von Guenther Roth und Claus Wittich. - New York: Bedminster Press 1968, hier: Band 1, S.XCI-XCVII (hinfort: Weber, Economy and Society). 23 WuG 1 , S. 1 (MWG I/23). 24 Vgl. König, René, Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies, in: KZfSS, 7. Jg., 1955, S. 3 4 8 - 4 2 0 , hier: S.382ff.

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Während Tönnies in „Gemeinschaft und Gesellschaft" eine realgeschichtlich gemeinte „Verfallsgeschichte" schrieb, in der die mittelalterliche „organische Gemeinschaft" durch die moderne „mechanische Gesellschaft" unheilvoll ersetzt wurde, entwickelte Max Weber eine perspektivische Sichtweise, welche an die Stelle der substantialistisch gedachten Größen „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" „Vergemeinschaftung" und „Vergesellschaftung" als Grundmuster aller historischen Prozesse setzte. 2 5 Die Rekonstruktion der unterschiedlichen Formen der Gemeinschaft im Ablauf der Geschichte ist Tönnies insoweit verwandt, als er die modernen Formen gesellschaftlicher Organisation gleichermaßen vor universalhistorischem Hintergrund abhandelte, wenn auch in weit größerer Breite und unter stärkerer Berücksichtigung der antiken Welt. Aber die dichotomische Entgegensetzung von „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", wie sie bei Tönnies vorherrscht, findet sich bei Weber nicht. „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" sind - so sah Max Weber dies damals - keine einander ausschließenden, sondern komplementäre Begriffe; ja in gewissem Sinne figurierte „Gesellschaft" in den frühen Texten als eine der „Gemeinschaft" nachgeordnete Kategorie. Es ist überdies auffällig, daß Weber den Begriff „Gesellschaft" als solchen ganz selten benutzte und statt dessen in aller Regel nur von „Vergesellschaftung" sprach. Weber sah in „Gemeinschaft" keineswegs eine ausschließlich durch affektuelle oder emotionale Beziehungen begründete Entität, die in einem unaufhebbarem Gegensatz zu allen Formen rationaler Vergesellschaftung stehe. Vielmehr kann „Gemeinschaft" nach Max Weber sowohl durch affektuelle, als auch im Grenzfall durch rein zweckrationale Sozialbeziehungen konstituiert werden. Eine partielle oder gar vollständige „Vergesellschaftung" bestimmter Lebensbereiche bedeutet keine Minderung des Charakters einer sozialen Formation als „Gemeinschaft". In den Texten der Jahre 1910 bis 1913 verwendete Weber, wie Werner J. Cahnman mit einigem Recht gesagt hat, den Begriff „Gemeinschaft" „in a pre-Toenniesian general sense of .social group'". 2 6 Wenn Tönnies die These vertrat, daß die „Gemeinschaft", als die gleichsam urwüchsige Form menschlichen Zusammenlebens, im Zuge der fortschreitenden Entfaltung der „Gesellschaft", als einer zweckrationalen Ordnung, mit der modernen Großstadt als ihrer vorläufig letzten Ausformung, immer mehr zerstört worden sei und allenfalls in kryptischer Form ein Fortleben

25 Diese Formulierung in Anlehnung an Oexle, Otto Gerhard, Priester - Krieger - Bürger. Formen der Herrschaft in Max Webers .Mittelalter 1 , in: Hanke, Edith, Mommsen, Wolfgang J. (Hg.), Max Webers Herrschaftssoziologie. Studien zu Entstehung und Wirkung. - Tübingen: Mohr/Slebeck 2001, S. 2 0 3 - 2 2 2 , hier: S. 220. 26 Cahnman, Toennies and Weber (wie oben, S. 39, Anm. 22), S. 259.

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bzw. eine Wiedergeburt erfahren könne, so lag Weber eine derartige A u s d e u t u n g des Prozesses der Rationalisierung fern. Er war von Tönnies beeindruckt, aber seine Verwendung des Begriffs „Gemeinschaft" war ungleich pragmatischer; er war weit davon entfernt, sich die darin enthaltene potentiell antizivilisatorische Tendenz zu eigen zu machen. Seit 1912/13, mit der Entstehung des Aufsatzes „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie", setzte sich bei Max Weber eine neue Terminologie durch. 2 7 Neben den Begriff der Vergemeinschaftung trat gleichberechtigt der Begriff der Vergesellschaftung, b e z o g e n auf zweckrationale O r d n u n g e n unterschiedlicher Art. Ebenso s p r a c h Weber nun von „sozialem Handeln", nicht mehr von „Gemeinschaftshandeln" als der zentralen Kategorie seiner „Verstehenden Soziologie". Der Begriff „Gemeinschaft" trat nun tendenziell hinter den Begriff der „Gesellschaft" zurück. In den 1919/20 verfaßten „Soziologischen Grundbegriffen" kam diese Entwicklung seiner Begrifflichkeit zu einem definitiven Abschluß. Die nunmehr gewonnene begriffliche Ebene seiner Soziologie erlaubte jetzt eine klare Gegenüberstellung von „Vergemeinschaftung" und „Vergesellschaftung" als unterschiedlichen Formen sozialer Beziehungen, die Tönnies formal näherkam, als dies bislang der Fall g e w e s e n war. 28 Aber auch dann noch v e r b a n d Max Weber mit der Verwendung des Begriffspaars von „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" keinesfalls eine antizivilisatorische Tendenz, wie sie bei Tönnies, wenn auch mit w e c h s e l n d e n Akzenten, anklingt. Weber distanzierte sich denn auch vorsichtig von d e m „wesentlich spezifischeren Inhalt", den Tönnies seiner Terminologie geg e b e n habe, die für seine Zwecke j e d o c h nicht nützlich sei. 2 9 Max Weber entschied, einen anderen Weg zu gehen, der sich von allen Interpretationen fernhielt, welche eine eindeutige Stufenfolge bzw. eine lineare Entwicklung von Gemeinschaften, Gesellschaften bzw. Wirtschaftsformen oder ökonomischen Formationen im Verlauf des geschichtlichen Prozesses postulierten. Er beabsichtigte, alle großen „Gemeinschaftsformen" und die sie konstituierenden, im einzelnen höchst unterschiedlichen Faktoren, welche zu einer „Vergemeinschaftung" oder unter zweckrationalen Gesichtspunkten zu einer „Vergesellschaftung" führten, in gleichgewichtiger Weise zu behandeln. Alle großen gemeinschaftsbildenden Kräfte, die Blutsverwandtschaft und die aus dieser herv o r g e h e n d e n primären gesellschaftlichen Gebilde, wie Nachbarschaft, Sippe und Stamm, die ethnischen Faktoren, die, o b s c h o n sie im Regelfall nicht auf biologischen Tatbeständen, sondern auf subjektiv b e g r ü n d e t e m

27 Weber, Kategorienaufsatz; vgl. oben, S. 30, 33. 28 Vgl. die Begriffsdefinition in WuG 1 , S. 21 f. (MWG I/23). 29 Ebd., S. 22.

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Gemeinsamkeitsglauben beruhen, d e n n o c h große Wirksamkeit entfalten und unter neuzeitlichen Verhältnissen in der Entstehung der Nationen kulminieren, die religiösen Mächte, deren gemeinschaftsbildende Kraft jene anderer Mächte von Fall zu Fall weit übersteigen, Klasse, Stand und Parteien als gemeinschaftsbildende Faktoren besonderer Art, der Markt als ein Grenzfall einer sich rein auf zweckrationale Beziehungen gründ e n d e Form der Vergemeinschaftung, dies ist das große Thema. Hinzu tritt die Politik, inhaltlich definiert als A u s ü b u n g bzw. Hinnahme von Macht und Herrschaft im Innenverhältnis und in den Außenbeziehungen von Gemeinschaftsgebilden, sowie schließlich die Ü b e r w ö l b u n g dieser Gemeinschaftsformen durch die A u s b i l d u n g von Rechtsordnungen, die grundsätzlich die Erzwingbarkeit der Rechtsprinzipien voraussetzen, aber vielfach auch ohne das Vorhandensein entsprechender Z w a n g s a p parate analoge Verhaltensweisen bewirken. Allerdings ist dieses idealtypische Modell der Mannigfaltigkeit weltgeschichtlicher Entwicklungen in Raum und Zeit unvollendet geblieben. Einzelne Abschnitte, wie die „Marktgemeinschaft" und die „Politischen Gemeinschaften", liegen uns nur in fragmentarischer Form vor, während andere Segmente, insbesondere die „Religiösen Gemeinschaften", die „Rechtsordnung" und die „Herrschaft" am Ende über diesen Rahmen hinausgewachsen sind und eigenständige Konturen annahmen. Aber auch so noch ist dieses gewaltige Panorama von unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen, ethnischen und kulturellen Gemeinschaftsformen, das hier vor d e m Hintergrund der ganzen uns bekannten Menschheitsgeschichte ausgebreitet wird, äußerst eindrucksvoll. Max Webers Interesse galt weniger der Erklärung von langfristigen Entwicklungen, sondern vor allem den Prozessen der Ausdifferenzierung von unterschiedlichen gesellschaftlichen Ordnungen nicht nur in synchroner, sondern auch in diachroner Richtung. Er ging damit konsequent der naheliegenden Versuchung aus d e m Wege, eine lineare Stufenfolge von „Gemeinschaften" der Frühzeit der Menschheitsgeschichte bis hin zur modernen Gesellschaft zu entwerfen. Die von ihm auf der Grundlage eines reichen historischen und ethnologischen Materials präsentierten idealtypischen Entwicklungsmodelle sagen nichts über die realen historischen Prozesse als solche aus, sondern nur über das in den einzelnen Gemeinschaftsformen jeweils angelegte Potential zu einer fortschreitenden Ausdifferenzierung bzw. Entfaltung in durchaus unterschiedlichen, bisweilen in direkt konträren Richtungen. Andererseits stellen sie eine präzise Begrifflichkeit für die exakte Erfassung historischer Entwicklungen oder Formationen und deren Interpretation unter d e m Gesichtspunkt der Kulturbedeutsamkeit bereit. In der „Hausgemeinschaft" zum Beispiel sind sowohl die Entstehung des modernen kapitalistischen „Betriebs",

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mit seiner gleichsam explosiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik, als auch des „Oikos" der Spätantike, also einer geschlossenen, zu Stagnation und w o m ö g l i c h zu Versteinerung führenden gesellschaftlichen Formation, angelegt. Dies ist die Leitidee dieser „geschlossenen soziologischen Theorie und Darstellung [...], w e l c h e alle großen Gemeinschaftsformen [...] von der Familie und Hausgemeinschaft zum .Betrieb', zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion" sowie zum Staat und Herrschaft „zur Wirtschaft in Beziehung setzt". 3 0 Der nachstehende Band „Gemeinschaften" stellt die Einlösung der ersten Hälfte dieses eindrucksvollen Programms dar. Seit 1913 veränderte sich allerdings die Stoßrichtung dieses Programms. In den Texten über Religion, Recht und Herrschaft trat nun der Gesichtspunkt der fortschreitenden Rationalisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen, der bislang nur ein Aspekt unter anderen gewesen war, b e h e r r s c h e n d in den Vordergrund. J e d o c h hielt Max Weber auch späterhin noch daran fest, daß „Gemeinschaftshandeln", o b s c h o n es an subjektiven Sinnhaltungen der Individuen orientiert ist, gleichwohl unter den B e d i n g u n g e n zweckrationaler Ordnungen stattfinden kann. Aber jetzt trat mehr und mehr das Theorem der Vergesellschaftung, also der rationalen bzw. der zweckrationalen Gestaltung aller Sozialbeziehungen in den Vordergrund, ohne allerdings jemals alleinherrschend zu werden. Die Kategorie der „Gemeinschaft", als Synonym für die gesellschaftliche Einheit einer G r u p p e von Menschen unter jeweils unterschiedlichen Aspekten, verlor hingegen ihre bislang dominante Funktion. Die in diesem Bande vereinigten Texte wurden allerdings von diesen Veränderungen, die mit der im Kategorienaufsatz von 1913 vorgestellten Handlungstheorie und d e m Begriff des „Einverständnishandelns" einsetzen, nur zu einem geringen Teil erfaßt. Das Verständnis der Texte wird erleichtert, wenn man sich der Veränderungen in der Terminologie des Werks Max Webers bewußt ist und die frühen Texte nicht mit der später entwickelten Begrifflichkeit zu lesen versucht. Dies gilt natürlich insbesondere für die „soziologischen Grundbegriffe" des späteren Teils von „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie", den Max Weber seit 1919, teilweise unter Benutzung der älteren Manuskripte, ganz neu konzipierte. 3 1 Wie wir bereits gesehen haben, fehlt den Texten, so wie sie uns überliefert sind, eine Einleitung in die Terminologie. Es ist allerdings anzuneh-

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B r i e f M a x W e b e r s a n P a u l S i e b e c k v o m 3 0 . D e z . 1 9 1 3 , VA M o h r / S i e b e c k ,

Deponat

B S B M ü n c h e n , A n a 4 4 6 ( M W G II/8), hier in l e i c h t e r s y n t a k t i s c h e r U m s t e l l u n g d e r W o r t folge. 31

W u G 1 , S. 3 1 - 1 2 1 ( M W G

I/23).

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men, wie oben dargelegt worden ist, daß der erste Abschnitt des Textes „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" den Anfang eines derartigen Einleitungskapitels darstellen sollte. Dieses Kapitel könnte an die Stelle eines in seinem Kern älteren Textes, nämlich „Die Wirtschaft und die Ordnungen", getreten sein. 3 2 Die hier eingangs g e g e b e n e Definition von „Wirtschaft" hält sich eng an die Begrifflichkeit der Grenznutzentheorie und geht davon aus, daß Wirtschaft nicht durch zweckrationales Handeln zwecks Gütererwerb an sich, sondern ausschließlich durch Wirtschaften unter Bedingungen relativer Knappheit von Gütern des jeweiligen Bedarfs konstituiert wird. Dabei wird ausdrücklich offengehalten, auf welche Inhalte sich dieser Bedarf jeweils richtet. Es kann sich durchaus um ganz unterschiedliche Formen des Bedarfs handeln, solche materieller wie ideeller, religiöser oder künstlerischer Art oder was auch immer. Man würde erwarten, daß sich hier andere Begriffsbestimmungen angeschlossen hätten, doch bricht der Text offenbar ab. Der nachfolgende Teil des Textes „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Typen des Gemeinschaftshandelns, sofern und soweit es sich auf wirtschaftliche Aktivitäten erstreckt. Man darf auf Grund des Kontexts annehmen, daß am Anfang statt des Wortes „Gesellschaftshandeln" der Begriff „Gemeinschaftshandeln" gestanden hat; es steht dahin, ob, wann und wer hier einen nachträglichen Texteingriff vorgenommen hat. 3 3 Weber unterscheidet verschiedene Formen des Gemeinschaftshandelns, aus denen dann auch unterschiedliche Gemeinschaftstypen resultieren, „Wirtschaftsgemeinschaften" beziehungsweise „wirtschaftliche Gemeinschaften", „wirtschaftende Gemeinschaften" sowie „wirtschaftsregulierende Gemeinschaften". In der Folge grenzt sich Weber von der sogenannten materialistischen Geschichtsauffassung ab: „Gemeinschaften" werden in sehr unterschiedlichem Grade von ökonomischen Faktoren bestimmt. In j e d e m Falle fehle, so heißt es, die „Eindeutigkeit der ökonomischen Determiniertheit des Gemeinschaftshandelns durch ökonomische Momente". 3 4 Grundsätzlich haben die Strukturformen des Gemeinschaftshandelns vielmehr ihre Eigengesetzlichkeit; sie lassen sich nicht

32 Wie bereits erwähnt, hat W e b e r diesen Text später aus der S e q u e n z der „ G e m e i n s c h a f t e n " a u s g e g l i e d e r t u n d mit der R e c h t s s o z i o l o g i e v e r b u n d e n . Vgl. o b e n , S . 2 6 . 33 Es ist zu v e r m u t e n , daß dieser Texteingriff im Z u s a m m e n h a n g mit der Inserierung des v o r a n s t e h e n d e n v e r b i n d e n d e n Satzes v o r g e n o m m e n w o r d e n Ist. Vgl. d e n Text „ W i r t s c h a f t l i c h e B e z i e h u n g e n der G e m e i n s c h a f t e n im a l l g e m e i n e n " , unten, S . 7 9 . 34 Vgl. e b d . , S . 8 0 f .

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ausschließlich auf ökonomische Bedingungen zurückführen. Ungeachtet dieser Gegenposition zu Marx, die einem Plädoyer für eine grundsätzlich pluralistische Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit gleichkommt, betont Weber gleichwohl, daß wirtschaftliche Gruppeninteressen in aller Regel zur Monopolisierung von sozialen oder ökonomischen oder auch anderen Chancen tendieren, mit der Folge einer partiellen oder vollständigen „Schließung" der betreffenden „Gemeinschaft" bzw. der Monopolisierung bestimmter Aspekte des Gemeinschaftshandelns zugunsten einzelner Gruppen. Eine derartige „Vergesellschaftung" aber kann umgekehrt den Ansatz für die Bildung einer „übergreifenden Vergemeinschaftung" abgeben; es handelt sich also nicht um eine Einbahnstraße von „Vergemeinschaftung" hin zu „Vergesellschaftung", sondern um ein Wechselspiel beider, mit anderen Worten um einen offenen Prozeß der Schließung und Öffnung sozialer Beziehungen. An zahlreichen Beispielen wird anschaulich demonstriert, wie dieser Prozeß der Monopolisierung von Gemeinschaftshandeln durch bestimmte Interessen zu G r u p p e n b i l d u n g e n und scharfen Gegensätzen sowohl im gesellschaftlichen wie im politischen Raum zu führen pflegt. In der anschließenden kasuistischen Auflistung der verschiedenen Typen der Aufbringung der finanziellen Mittel für verschiedene Formen des Gemeinschaftshandelns steht die Frage im Vordergrund, welche dieser Typen für die Entwicklung des Kapitalismus günstig oder auch nachteilig gewesen sind. Der Text „Hausgemeinschaften" schließt an die „Wirtschaftlichen Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" unmittelbar an. Es ist zu vermuten, daß die einleitenden Bemerkungen, welche darauf verweisen, daß hier nur die „allgemeinen Strukturformen menschlicher Gemeinschaften" erörtert werden sollen, nicht aber deren Beziehung zu bestimmten Inhalten, zu einem späten Zeitpunkt hinzugefügt worden sind, zumal ausdrücklich auf die Texte zur „Herrschaft" verwiesen wird, die anfänglich noch gar nicht konzipiert, geschweige denn niedergeschrieben waren. 3 5 Ansonsten greift der Text auf die Ausarbeitung „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft" zurück, die Max Weber 1906 in anderen Zusammenhängen erstellt hat. 3 6 Die „Hausgemeinschaft" erscheint „heute", wie sich Max Weber mit charakteristischem Bemühen um Distanz ausdrückt, als die urwüchsige Form einer „Gemeinschaft" überhaupt, die in frühen Phasen der Menschheitsgeschichte eine dominante Rolle gespielt hat und aus der heraus sich dann eine Vielzahl von „Gemeinschaften"

35 Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", unten, S. 114. 36 Vgl. oben, S. 3 6 - 3 8 , sowie den Editorischen Bericht zu „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S . 2 8 8 f .

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bzw. v o n „ V e r g e m e i n s c h a f t u n g e n " e n t w i c k e l t hat. Sie e n t s t a n d aus einer sexuellen D a u e r b e z i e h u n g , war a b e r z u g l e i c h immer s c h o n Versorg u n g s g e m e i n s c h a f t , u n d erst als s o l c h e e r l a n g t e sie relative Dauer u n d Stabilität. Im e i n z e l n e n w e r d e n die sehr u n t e r s c h i e d l i c h e n Varianten der „ G e m e i n s c h a f t " von Vater, Mutter u n d K i n d e r n d a r g e s t e l l t . Sie variieren nicht nur in ihrer Binnenstruktur, s o n d e r n a u c h in ihrer Größe. Max W e b e r sieht in d e m S t r e b e n n a c h Exklusivität der V e r f ü g u n g über die Frau d e n U r s p r u n g d e s E i g e n t u m s u n d d a m i t die s c h r i t t w e i s e A b l ö s u n g d e s urs p r ü n g l i c h g e g e b e n e n H a u s k o m m u n i s m u s z u g u n s t e n einer Struktur, die eine d o m i n a n t e Stellung d e s H a u s v a t e r s a u s b i l d e t , w e l c h e d a n n sekund ä r e „ V e r g e m e i n s c h a f t u n g e n " a l l g e m e i n e r e r Art wie die N a c h b a r s c h a f t u n d die G e m e i n d e , u n d a n d e r e r s e i t s a u c h die S i p p e als eine v o r g e b l i c h d u r c h die B l u t s v e r w a n d t s c h a f t b e g r ü n d e t e „ G e m e i n s c h a f t " aus s i c h heraus entwickelt. Die Theorie d e s „ M u t t e r r e c h t s " , als der a n g e b l i c h in allen frühen G e s e l l s c h a f t e n universal h e r r s c h e n d e n Form der G e s c h l e c h t e r b e z i e h u n g e n , wird in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g als u n h a l t b a r z u r ü c k g e w i e sen. A n d e r e r s e i t s w i r d d e m Prozeß der f o r t s c h r e i t e n d e n A b s c h w ä c h u n g der u n b e s c h r ä n k t e n „ V a t e r g e w a l t " , die s i c h v o r w i e g e n d aus ö k o n o m i s c h e n G r ü n d e n e r g a b , große A u f m e r k s a m k e i t g e w i d m e t u n d d i e A u s d i f f e r e n z i e r u n g u n t e r s c h i e d l i c h e r Formen des Verhältnisses von M a n n u n d Frau u n d schließlich der m o d e r n e n Ehe als S e k u n d ä r f o l g e d i e s e s Prozesses g e z e i g t . B e d e u t s a m e r ist, daß s i c h die „ H a u s g e m e i n s c h a f t " z u g l e i c h zu einer a n f ä n g l i c h nur d e n T a g e s b e d a r f d e c k e n d e n , „ w i r t s c h a f t e n d e n G e m e i n s c h a f t " e n t w i c k e l t , aus der in der Folge sehr u n t e r s c h i e d l i c h e Typ e n w i r t s c h a f t l i c h e r O r g a n i s a t i o n h e r v o r g e g a n g e n sind. Die d a d u r c h a u s g e l ö s t e n „ V e r g e s e l l s c h a f t u n g e n " entfalten ihre e i g e n e D y n a m i k u n d stellen indirekt A n t r i e b s k r ä f t e für w i r t s c h a f t l i c h e u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e V e r ä n d e r u n g e n dar, die auf l a n g e Sicht neue Formen w i r t s c h a f t l i c h e r Aktivität h e r v o r g e b r a c h t h a b e n . I n s b e s o n d e r e k o m m t es zu der nur d e m O k z i d e n t e i g e n e n f ö r m l i c h e n Trennung von „ H a u s " u n d „ B e t r i e b " , u n d d a m i t zu einer w i c h t i g e n V o r a u s s e t z u n g für die E n t w i c k l u n g d e s , im Verg l e i c h mit der A n t i k e qualitativ e i n z i g a r t i g e n , m o d e r n e n m a r k t o r i e n t i e r t e n K a p i t a l i s m u s . Die A n a l y s e führt heran bis zu j e n e n F o r m e n d e s W i r t s c h a f tens, die, wie W e b e r s a g t , „ d i e qualitative Einzigartigkeit der E n t w i c k l u n g z u m modernen K a p i t a l i s m u s mit a m d e u t l i c h s t e n k e n n z e i c h n e n " , 3 7 nämlich kapitalintensive, auf d e m Prinzip der „ R e c h e n h a f t i g k e i t " b e r u h e n d e U n t e r n e h m u n g e n aller Art. D o c h b l e i b t es hier bei A n d e u t u n g e n ; die realh i s t o r i s c h e E n t w i c k l u n g d e s m o d e r n e n K a p i t a l i s m u s sollte a n a n d e r e r Stelle b e h a n d e l t w e r d e n .

37 Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", unten, S. 152.

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Anschließend wird noch eine, in ihrer historischen Wirkung eher retardierende, Variante der Entwicklung der „Hausgemeinschaft" vorgestellt, die Herausbildung des „Oikos", als einer Form gewerblichen Wirtschaftens, welche die „Hausgemeinschaft" in einen Großbetrieb umformte, normalerweise unter Einsatz von „unfreien" Arbeitskräften, die freilich gleichwohl d e m Haus des jeweiligen „Herrn" angehörten, einer in der Antike weit verbreiteten, aber auch in der frühen Neuzeit und zuweilen noch im 19. Jahrhundert anzutreffenden Form des Wirtschaftens, die, wie Max Weber an anderer Stelle selbst gezeigt hat, 3 8 erhebliche soziale und politische Konsequenzen gehabt hat. Weber stützte sich hier auf die Arbeiten von Rodbertus, 3 9 g a b der Thematik aber aufgrund seiner eigenen souveränen Kenntnis der antiken Sozialverfassung eine besondere Wendung. Die Wirtschaftsform des „Oikos" war die Geburtsstätte der patrimonialen Herrschaft. Aber darüber hinaus war die in ihr angelegte Tendenz zur Stagnation und schließlich zur Erstarrung der gesellschaftlichen Ordnungen unter universalhistorischen Gesichtspunkten von besonderem Interesse; die Versteinerung der okzidentalen Gesellschaften in einer zweiten Spätantike war nach Webers Überzeugung eine mögliche zukünftige Entwicklung. Bereits hier werden, wie wir sehen, in nuce zentrale Elemente des weitgespannten Panoramas der Soziologie Max Webers angesprochen. In d e m Text „Ethnische Gemeinschaften" wandte sich Max Weber dann einer Thematik von erheblicher politischer Brisanz zu, der Frage nach der Rolle ethnisch beziehungsweise rassisch bedingten Gemeinschaftshandelns, sei es auf wirtschaftlichem, sei es auf politischem Gebiet. Max Weber war an der Frage der Rasse und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen lebhaft interessiert, zumal damals in Deutschland heftige Auseinandersetzungen über die Funktion der Rasse im gesellschaftlichen Raum geführt wurden. Unter anderem wurde gegen den Ausbau der Sozialgesetzgebung das sozialdarwinistische Argument ins Feld geführt, eine die Unterschichten unterstützende Sozialpolitik würde durch Ausschaltung der „natürlichen Auslese" langfristig zu einer Minderung der rassischen Qualität der Bevölkerung führen. Max Weber hielt dafür, daß die Rolle rassischer Faktoren insbesondere im Wirtschaftsleben eine intensive wissenschaftliche Untersuchung verdiene. Aber andererseits verurteilte

38 Vgl. z. B. Weber, Max, Die r ö m i s c h e A g r a r g e s c h i c h t e in ihrer B e d e u t u n g für d a s Staats- u n d Privatrecht 1891, M W G I/2, S. 317; und ausführlicher, Weber, A g r a r v e r h ä l t nisse 3 , S . 5 7 f . Ferner s c h o n in Weber, Max, Die sozialen G r ü n d e d e s U n t e r g a n g s der antiken Kultur, in: Die Wahrheit. H a l b m o n a t s s c h r i f t zur Vertiefung in die F r a g e n u n d A u f g a b e n d e s M e n s c h e n l e b e n s , B a n d 6, 1. Maiheft, 1896, S. 5 7 - 7 7 ( M W G I/6). 39 R o d b e r t u s , Zur G e s c h i c h t e der r ö m i s c h e n Tributsteuern.

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er die damals geläufigen rassistischen Theorien in den Sozialwissenschaften sämtlich als unwissenschaftlich. 4 0 Schon auf d e m ersten Soziologentag hatte er die Ansicht vertreten, daß sich Rassenzugehörigkeit in erster Linie auf soziale Faktoren zumeist subjektiver Natur, nicht auf objektive Tatsachen gründe. In d e m Text „Ethnische Gemeinschaften" zeigte er ebenfalls, daß Rassenzugehörigkeit in erster Linie auf subjektive Faktoren zurückzuführen ist. G e g l a u b t e Andersartigkeit werde, wie er betonte, in aller Regel als rassische Verschiedenheit gedeutet. Dies gilt, wie Weber zeigt, in einem noch allgemeineren Sinne. J e d w e d e Form ethnischen Gemeinschaftsglaubens werde d u r c h subjektive Einschätzungen konstituiert, selbst dann, wenn objektive Faktoren dabei mitspielen. Auf der Basis der Erinnerung an kollektives Gemeinschaftshandeln entwickele sich häufig ein übergreifendes „Gemeinsamkeitsbewußtsein", das unter modernen Verhältnissen vielfach seinen höchsten Ausdruck in den „pathetischen Empfindungen" g e f u n d e n habe, die wir mit d e m Begriff der „Nation" verbinden. 4 1 O b s c h o n Weber sich persönlich uneingeschränkt mit der Idee der d e u t s c h e n Nation als eines subjektiv verpflichtenden Wertes identifizierte, hielt er gleichwohl dafür, daß das „Nationalgefühl" sich keineswegs in erster Linie auf objektive Faktoren wie eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Kultur, und schon gar nicht auf eine objektiv g e g e b e n e ethnische Gemeinsamkeiten gründe, sondern auf sehr heterogene Faktoren ü b e r w i e g e n d subjektiver Natur. Max Weber nahm damit eines vorweg, was heute die herrschende Auffassung der Forschung geworden ist, daß nämlich die „Nation" eine „ i m a g i n e d Community" 4 2 sei, die durch schmale Intellektuelleneliten geschaffen wurde und dann allmählich im Bewußtsein der breiten Schichten eines Volkes Fuß gefaßt habe. Spezifisch für Max Webers Deutung des Nationalgefühls war allerdings, daß er der Komponente des Machtprestiges besonderes Gewicht einräumte. Es scheint, daß Max Weber auf d e m

4 0 Vgl. Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1 8 9 0 - 1 9 2 0 , 2. Aufl. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Slebeck) 1974, S.43; ferner Weber, Max, Diskusslonsbeltrag zu dem Vortrag von Alfred Ploetz „Die Begriffe Rasse und Gesellschaft und einige damit zusammenhängende Probleme", In: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 1 9 . - 2 2 . Oktober 1910 in Frankfurt a. M. - T ü b i n g e n : J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S. 1 5 1 - 1 5 7 (MWG 1/12); hier S. 153; sowie den Brief Max Webers an Robert Michels vom 7. April 1911, MWG II/7, S. 171 ff.: „nach heutigem Stand der Kenntnisse" seien „angeborene Rassenqualitäten als letztes causales Element ökonomischer Qualifikationen" schwerlich nachweisbar. Ebd., S. 172. 41 Vgl. den Text „Ethnische Gemeinschaften", unten, S. 185. 42 Anderson, Benedict, Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism. - London: Verso 1983; in deutscher Übersetzung: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts. - Frankfurt a. M.: Campus 1988.

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2. Deutschen Soziologentag 1912 liebend gern ein Hauptreferat zu diesem Thema gehalten hätte, aber als seine vorsichtigen Sondierungen ohne Resonanz blieben, zog er sich wieder zurück. 4 3 Immerhin skizzierte er d e m Vorstand der DGS, was seiner Ansicht nach der Inhalt dieses Vortrags hätte sein müssen. Dieser hätte seines „Erachtens rein referierend die verschiedenen Arten von faktisch vorkommenden .Nation'-Begriffen festzustellen: z. B. staatliche Gemeinschaft, Sprachgemeinschaft, Abstammungs- und ethnische Gemeinschaft, .Kultur'-Gemeinschaft (in ihren verschiedenen möglichen Bedeutungen, lediglich um so die Sprachverwirrung zu beseitigen, und ohne sich für eine dieser Bedeutungen als die .eigentliche' zu entscheiden). Casuistische Gliederung der faktisch vorkommenden Sachverhalte, welche denkbarer Weise eine .Nation' konstituieren, wäre die Aufgabe." 4 4 Die engen sachlichen Berührungen mit den Ausführungen im Text „Ethnische Gemeinschaften" über Nation und Nationalgefühl liegen auf der Hand. Dieses antizipiert in gewissem Umfang die Darlegungen, die in d e m in der Disposition von 1914 vorgesehenen Kapitel über „Nation" zu erwarten gewesen wären. An diesen Abschnitt sollte ursprünglich derjenige über „Religiöse Gemeinschaften" unmittelbar anschließen. Dies liegt schon deshalb nahe, weil religiöse Einstellungen und Verhaltensweisen vielfach eine wesentliche Rolle bei der Konstitution ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens und speziell eines spezifischen Nationalbewußtseins spielen. Doch wurde Max Weber bei der Untersuchung der Wirkung religiöser Einstellungen auf die Lebensführung und die Wirtschaftsordnung von vornherein weit über diesen begrenzten Gesichtspunkt hinausgetragen. 4 5 Gleichwohl betonte er, daß es kein „Gemeinschaftshandeln" g ä b e - und man darf wohl interpolieren, auch jenes der modernen Nationen nicht - „das nicht seinen Spezialgott hätte und auch, wenn die Vergesellschaftung dauernd verbürgt sein soll, seiner nicht bedürfte". 4 6 Die Untersuchung der Auswirkungen religiöser Werthaltungen auf die Entstehung und Entwicklung der „Gemeinschaften" verlagerte sich zunehmend auf die Frage nach deren Bedeutung für die Lebensführung des einzelnen Individuums und die da-

43 In d e m Brief Max W e b e r s an H e r m a n n Beck v o m 18. Nov. 1911, M W G II/7, S . 3 6 2 f . , heißt es zwar, auf einen Vortrag e r h e b e er keinen A n s p r u c h . Tatsächlich a b e r hat er sich d a r u m bemüht, z o g j e d o c h sein A n g e b o t mit d e m f r a g w ü r d i g e n A r g u m e n t zurück, zwei Brüder [d. i. er und Alfred W e b e r ] dürften nicht gleichzeitig auf d e m selben Soziologentag reden. Vgl. d e n Brief Max W e b e r s an d e n Vorstand der DGS v o m 21. März 1912, M W G II/7, S. 4 8 3 f . 44 Vgl. e b d . 45 Vgl. aber die b e d e u t e n d e Funktion, w e l c h e Weber der Religion s c h o n bei der Konstituierung der H a u s g e m e i n s c h a f t zumißt, MWG I / 2 2 - 2 , S. 1 4 0 - 1 4 2 . 46 M W G I / 2 2 - 2 , S. 140, mit der hier ü b e r n o m m e n e n Emendation.

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von a u s g e h e n d e n W i r k u n g e n auf die g e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k l u n g , i n s b e s o n d e r e auf die E n t s t e h u n g d e s m o d e r n e n , marktorientierten Kapitalismus.47 Der u n v o l l e n d e t e A b s c h n i t t über d i e „Marktgemeinschaft" n i m m t in der S e q u e n z von i d e a l t y p i s c h e n G e m e i n s c h a f t s f o r m e n eine s t r a t e g i s c h e S o n d e r s t e l l u n g ein. Er z e i c h n e t sich vor allen anderen Typen der „ G e m e i n s c h a f t e n " d a d u r c h aus, daß hier, a n d e r s als bei allen a n d e r e n „ G e m e i n s c h a f t s f o r m e n " , keine partielle Rationalisierung d e s „ G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n s " vorliegt, s o n d e r n die Marktteilnehmer ausschließlich von rationalen, u n d zwar z w e c k r a t i o n a l e n M o t i v e n geleitet w e r d e n u n d nicht von ethis c h e n N o r m e n , religiösen G e b o t e n o d e r p e r s ö n l i c h e n E i n s t e l l u n g e n g l e i c h v i e l w e l c h e r Art. Insofern stellt die „ M a r k t g e m e i n s c h a f t " d e n Grenzfall einer G e m e i n s c h a f t s b i l d u n g ü b e r h a u p t dar. Sie ist, wie es heißt, der „Typus alles rationalen G e s e l l s c h a f t s h a n d e l n s " 4 8 s c h l e c h t h i n . Der freie Tausch v o n G ü t e r n o d e r A r b e i t zu d e n B e d i n g u n g e n d e s M a r k t e s kennt kein A n s e h e n der Person u n d e b e n s o keine N o r m e n d e s g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verhaltens, die d u r c h n i c h t ö k o n o m i s c h e Faktoren, seien d i e s e kultureller, religiöser o d e r sozialer Art, konstituiert w e r d e n , w e n n m a n v o n d e n M a r k t r e g u l i e r u n g e n a b s i e h t . Der G e g e n s a t z zur Terminologie v o n Ferdin a n d Tönnies könnte in d i e s e m Punkte nicht schärfer sein. V e r m u t l i c h hatte M a r i a n n e W e b e r d e s h a l b B e d e n k e n , d e n Titel „ M a r k t g e m e i n s c h a f t " zu v e r w e n d e n u n d z o g die neutralere B e z e i c h n u n g „Markt" vor. 4 9 A b e r die c h a r a k t e r i s t i s c h e Z u s p i t z u n g des Begriffs „ M a r k t g e m e i n s c h a f t " als e i n e s z w e c k r a t i o n a l e n G e b i l d e s , d a s d u r c h z w e c k r a t i o n a l e B e z i e h u n g e n dauerhaft erhalten wird, war von W e b e r gewollt, in bewußter E n t g e g e n s e t z u n g zu d e n a n d e r e n , im v o r a n g e h e n d e n d a r g e s t e l l t e n „ G e m e i n s c h a f t e n " . 5 0 Die M a r k t g e m e i n s c h a f t wird d u r c h d a s allen Teilnehmern a m Markt g e m e i n s a m e Interesse an der M ö g l i c h k e i t d e s Tauschs von für wertvoll gehaltenen Gütern b e g r ü n d e t . E b e n s o wird ihr relative Dauer verliehen, weil die T a u s c h p a r t n e r in der Regel ein Interesse an der F o r t s e t z u n g der Hand e l s b e z i e h u n g e n besitzen. A u s d i e s e m T a t b e s t a n d e r g i b t s i c h a u c h der G l a u b e an die Legalität d e s Marktes u n d d a s Vertrauen in d i e R e c h t m ä ßigkeit d e s H a n d e l n s d e s j e w e i l i g e n Partners. Hier findet s i c h im A n s a t z

47 Vgl. oben, S.46. 48 Vgl. den Text „Marktgemeinschaft", unten, S. 193. 49 WuG1, S. 364. 50 Insofern fügt sich die Marktgemeinschaft voll in die Sequenz der „großen Gemeinschaftsformen" ein. Allerdings kam es dann 1913/14 zu einer Akzentverschiebung. In der Rechtssoziologie spricht Weber von der ,,universelle[n] Herrschaft der Marktvergesellschaftung", WuG1, S. 385 (MWG I/22-3). In der Disposition von 1914 heißt es hingegen: „Marktvergemeinschaftung". Vgl. den Editorischen Bericht zu „Marktgemeinschaft", unten, S. 191f.

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bereits jener Idealtyp der kapitalistischen Verkehrswirtschaft {hier heißt es noch: „Erwerbswirtschaft"), 51 der tendenziell einen irreversiblen Prozeß der Rationalisierung aller Wirtschaftsbeziehungen gemäß den rein sachlichen Erfordernissen des Marktes In Gang setzt. Allerdings listet Weber hier zunächst alle jene Kräfte auf, seien diese religiöser, ethischer oder auch ständischer Natur, die in den unterschiedlichsten Gesellschaften der Vergangenheit dem Voranschreiten des freien Marktes Im Wege standen. Gleichzeitig aber wird die Tendenz der Marktgemeinschaft dargestellt, bei fortschreitender Ausschaltung aller traditionellen Hindernisse der freien Marktentfaltung neue monopolistische Strukturen hervorzubringen, die auf eine Einschränkung des Marktes zugunsten einiger weniger Marktteilnehmer hinauslaufen und schließlich die Freiheit des Marktes wieder einschränken. Grundsätzlich also Ist demnach die Entwicklungsdynamik der „Marktgemeinschaft" offen und kann sich In unterschiedlicher Richtung auswirken. Die „Marktgemeinschaft" ist von der Existenz politischer Herrschaft und von deren Möglichkeiten, die Einhaltung der Regeln des Marktes durch Sanktionen zu garantieren, unabhängig. Die durch das gemeinsame Interesse an geregelten Tauschbeziehungen begründete Rationalität der „Marktvergemeinschaftung" transzendiert im Prinzip die Grenzen der politischen Herrschaftsgebilde, ein Sachverhalt, der sich in dem gegenwärtig bestehenden globalen ökonomischen Weltsystem Immer wieder neu bestätigt. Faktisch aber bestand immer schon und besteht auch weiterhin ein Schutzbedürfnis der Marktteilnehmer gegenüber nichtökonomischen Interessen und Gewalten, und dies gehört in aller Regel zu den Aufgaben der „Polltischen Gemeinschaft". Unter diesen Gesichtspunkten lag es für Max Weber nahe, sich unmittelbar anschließend eingehender mit den ,,Politische[n] Gemeinschaften" zu befassen, die In den bisherigen Ausführungen meist nur eine marginale Erwähnung gefunden hatten. Das eigentliche Thema bildet die Entstehung von Staaten als Endstadium eines Prozesses der „Vergemeinschaftung" einer Großgruppe von Menschen. Die Aufgabe der „Polltischen Gemeinschaft" besteht ursprünglich nur In einer Schutzfunktion vor äußerer Bedrohung. Aus dieser Urform entwickelt sich der Staat, indem die „Polltische Gemeinschaft" immer größere Bereiche des „Gemeinschaftshandelns" monopolisiert und schrittweise die Funktionen konkurrierender Herrschaftsverbände an sich zieht. Auffallend ist dabei, daß Max Weber das Kriterium der physischen Gewaltanwendung ganz In

51 Vgl. den Text „Marktgemeinschaft", unten, S. 197.

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den Vordergrund rückt, und zwar nicht nur g e g e n ü b e r potentiell bedrohlichen Gegnern nach außen, sondern auch nach innen. Das Recht des Staates, g e g e n die eigenen Bürger gewaltsame Mittel einzusetzen und von ihnen prinzipiell die Bereitschaft zu verlangen, g e g e b e n e n f a l l s Leib und Leben zu opfern, wird besonders betont. Die ungewöhnliche Schärfe, mit der dies geschieht, erklärt sich wohl daraus, daß Max Weber das Bauprinzip der „politischen Gemeinschaften" scharf g e g e n ü b e r den anderen Gemeinschaften abzugrenzen bemüht war, nämlich das Recht zur A n w e n d u n g legitimer Z w a n g s g e w a l t seitens des oder der Herrschenden. Als zweites Kriterium, nach w e l c h e m sich der Staat g r u n d l e g e n d von zahlreichen anderen, mehr oder minder lose geknüpften Herrschaftsverbänden vielfältigster Art unterscheidet, sah Max Weber die Herrschaft über ein angebbares, eindeutig abgegrenztes Territorium an. 5 2 Der Entwicklungsprozeß, der von den vielfältigen Formen politischer Einungen und Kriegerbünden früherer Gesellschaften bis hin zum modernen Anstaltsstaat geführt hat und seinen bedeutsamsten Ausdruck in der Monopolisierung legitimer Gewaltsamkeit gefunden hat, wird hier in idealtypischer Form skizziert. Der Tatsache, daß das Handeln der „Politischen Gemeinschaften" durch das für sie t y p i s c h e Mittel des Gewalthandelns, welches gegebenenfalls von den Gemeinschaftsangehörigen das Opfer des Lebens einfordert, wird in diesem Z u s a m m e n h a n g besonderes Gewicht zugewiesen. Denn d a d u r c h werden Erinnerungsgemeinschaften begründet, welche die Bürger oft stärker als die Bande der Kultur-, Sprach- und A b s t a m m u n g s g e m e i n s c h a f t an den „Politischen Verband" binden. Durch den G e w a l t g e b r a u c h der „Politischen Gemeinschaft" beziehungsweise des Staates wird vielfach ein spezifisches Pathos der Macht erzeugt, das d e m „Nationalitätsbewußtsein" erst die letzte ents c h e i d e n d e Note verleihe. Macht und Machtprestige werden d e m g e m ä ß als wesentliche Komponenten des Selbstverständnisses „Politischer Gemeinschaften" und - in besonderem Maße - des modernen Staates beschrieben. Andererseits entwickelt sich, und hier betrat Max Weber selbst Neuland, mit der Entstehung von politischen Verbänden, die das politische Gemeinschaftshandeln z u n e h m e n d monopolisieren, ein spezifischer Glaube an die Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftshandelns, mit anderen Worten eine besondere Form des Legitimitätseinverständnisses, das seine Wurzel im Einverständnishandeln der Verbandsmitglieder besitzt. Damit setzte Max Weber einen ganz neuen Akzent. Einerseits wird d e m „Politischen Verband", und dann speziell d e m Staat, das uneingeschränkte Recht zur A u s ü b u n g physischen Z w a n g s sowohl im Verhältnis zu ande-

5 2 Vgl. den Text „Politische Gemeinschaften", unten, S . 2 0 4 .

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ren Staaten wie auch g e g e n ü b e r den eigenen Genossen zugestanden; andererseits bedarf dieser des Legitimitätseinverständnisses der Verbandsmitglieder. Die hier gemeinte Form der „Legitimität" von Herrschaft ist freilich noch d u r c h w e g auf die „Normativität des Faktischen" gegründet; sie fragt noch nicht nach unterschiedlichen G e l t u n g s g r ü n d e n von Herrschaft, sondern nur nach ihrer faktischen Geltung. Legitimität dieser Art wächst den „Politischen Verbänden" freilich in aller Regel relativ mühelos zu, well insbesondere seitens der ökonomischen Interessenten ein überwältigendes Bedürfnis nach Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens besteht. Aus den gleichen Gründen wird dem „Politischen Verband" zunehmend die Funktion des alleinigen Friedens- und Rechtswahrers zugesprochen, die Im Aufbau einer legitimen Rechtsordnung, deren Geltung ausschließlich vom Staate zu gewährleisten Ist, ihren krönenden Abschluß findet. Diese Thematik hat Max Weber dann In d e m Textkonvolut über „Recht", das eigentlich an dieser Stelle hätte folgen sollen, in umfassender Form behandelt. 5 3 Hingegen hat er die Darstellung der jüngsten Entwicklung der „Politischen Gemeinschaften" bzw. des Staates hier nicht weitergeführt, sondern In der „Herrschaftssoziologie" die unterschiedlichen Typen der Legitimität der Herrschaft beschrieben und jeweils unterschiedlichen polltischen Herrschaftsgebilden zugerechnet. 5 4 Die oben erwähnte These von der bedeutsamen Funktion des Pathos der Macht, das „Politische Gemeinschaften" auszubilden pflegen, Im Prozeß der Entstehung des „Nationalltätsbewußseins" und der „Nation" hat Max Weber zwar nicht mehr in einem e i g e n s t ä n d i g e n Unterkapitel des Abschnittes „Der politische Verband" über „Nation", wie Ihn die Disposition von 1914 vorgesehen hatte, ausführlicher darlegen können. Wohl aber finden sich entsprechende Erörterungen in einem Text über „Machtprestige und Nationalgefühl", der (wie andere Texte auch) wahrscheinlich gar nicht für die Veröffentlichung im „Grundriss" vorgesehen war, aber zu d e m Konvolut der für diesen bestimmten Manuskripte gehörte. 5 5 Schon Marianne Weber hat sich seinerzeit entschieden, diesen Text im Verband von „Wirtschaft und Gesellschaft" zu veröffentlichen, und inhaltlich gehört er fraglos in den Kontext des Teils über „Gemeinschaften", handelt er d o c h In enger Anlehnung an die Ausführungen In den „Ethnischen Gemeinschaften" sowie den „Polltischen Gemeinschaften" über das Verhältnis von M a c h t a u s ü b u n g und Nationalbewußtsein. Der Text über „Machtprestige und Nationalgefühl" ist unvollendet. Seine genaue Entstehung Ist uns nicht bekannt, j e d o c h dürfte er vor d e m 53 Vgl. MWG I / 2 2 - 3 . 54 Vgl. MWG I / 2 2 - 4 . 55 Denkbar wäre, daß Max Weber dieses Thema für einen Vortrag auf der bevorstehenden Tagung der DGS ausgearbeitet hat. Vgl. oben, S. 49, Anm. 43.

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S o m m e r 1911 verfaßt w o r d e n sein. Hier liegt der S c h w e r p u n k t auf d e n Interaktionen „politischer G e m e i n s c h a f t e n " untereinander, mit a n d e r e n Worten, ihren a u ß e n p o l i t i s c h e n B e z i e h u n g e n . D a b e i wird vor allem der Frage n a c h g e g a n g e n , w a r u m p o l i t i s c h e G e m e i n s c h a f t e n in aller Regel eine e x p a n s i v e M a c h t p o l i t i k n a c h außen entfalten. In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g w e r d e n die „Prestige"-Prätentionen d e r jeweils f ü h r e n d e n Eliten einer p o l i t i s c h e n G e m e i n s c h a f t als w i c h t i g e A n t r i e b s m o m e n t e a u s g e m a c h t ; a l l e r d i n g s s i n d d i e s e w i e d e r u m v e r k n ü p f t mit d e m g e h o b e n e n ges e l l s c h a f t l i c h e n u n d ö k o n o m i s c h e n Status der b e t r e f f e n d e n g e s e l l s c h a f t lichen G r u p p e n , w e l c h e hoffen k ö n n e n , v o n einer M a c h t s t e i g e r u n g der e i g e n e n p o l i t i s c h e n G e m e i n s c h a f t z u m e i s t u n m i t t e l b a r oder mittelbar zu profitieren. Die A u s s i c h t auf w i r t s c h a f t l i c h e G e w i n n c h a n c e n im Falle einer e r f o l g r e i c h e n E x p a n s i o n s p o l i t i k k o m m t als ein z u s ä t z l i c h e s M o m e n t hinzu. Eines v o n vielen Motiven i m p e r i a l i s t i s c h e r Politik sei die A u s s i c h t auf die Erschließung v o n Märkten in Ü b e r s e e , ein a n d e r e s , w e l c h e s historisch von weit größerer B e d e u t u n g g e w e s e n sei, b i l d e die Erschließung neuer E i n n a h m e q u e l l e n in Gestalt v o n G r u n d r e n t e n aus a g r a r i s c h e r Prod u k t i o n bzw. als Tribute an die M e t r o p o l e n in Form v o n S c h u l d z i n s e n und S t e u e r a b g a b e n . A u c h d a s Interesse der B a n k e n an der Emittierung v o n Staatsanleihen z w e c k s f i n a n z i m p e r i a l i s t i s c h e r O p e r a t i o n e n in außereurop ä i s c h e n L ä n d e r n , b e f l ü g e l t von der A u s s i c h t , die b e t r e f f e n d e n Papiere a n s c h l i e ß e n d e i n e m breiten Publikum von „Staatsrentnern" mit meist bea c h t l i c h e r Provision v e r k a u f e n zu k ö n n e n , wird hier g e n a n n t , u n d weiterhin d a s B e s t r e b e n b e s t i m m t e r W i r t s c h a f t s k r e i s e , m o n o p o l i s t i s c h e Gew i n n c h a n c e n in kolonialen o d e r h a l b k o l o n i a l e n G e b i e t e n e t w a mittels Eis e n b a h n b a u s zu e r l a n g e n , sowie nicht zuletzt d a s Interesse der Rüs t u n g s p r o d u z e n t e n an einer e x p a n s i v e n Politik, die n o r m a l e r w e i s e mit s t e i g e n d e r N a c h f r a g e an K r i e g s m a t e r i a l u n d „ K r i e g s m a s c h i n e n " einherg e h e . Der „ i m p e r i a l i s t i s c h e K a p i t a l i s m u s , z u m a l koloniale[r] B e u t e k a p i t a lismus auf der G r u n d l a g e direkter G e w a l t u n d Z w a n g s a r b e i t " h a b e „zu allen Zeiten die w e i t a u s größten G e w i n n c h a n c e n g e b o t e n . " 5 6 Der m o d e r ne marktorientierte K a p i t a l i s m u s sei nicht n o t w e n d i g e r w e i s e imperialistisch, s o n d e r n prinzipiell auf f r i e d l i c h e n G ü t e r a u s t a u s c h a u s g e r i c h t e t , ein A r g u m e n t , d a s s p ä t e r h i n vor allem J o s e p h S c h u m p e t e r a u f g e g r i f f e n hat. A l l e r d i n g s k ö n n e der K a p i t a l i s m u s unter b e s t i m m t e n p o l i t i s c h e n Bed i n g u n g e n - u n d d i e s e sah W e b e r in seiner G e g e n w a r t manifest g e g e b e n - i m p e r i a l i s t i s c h e Z ü g e a n n e h m e n . Die z u n e h m e n d e V e r l a g e r u n g der G e w i n n c h a n c e n der Wirtschaft z u g u n s t e n m o n o p o l i s t i s c h e r A u f t r ä g e seitens d e s Staates h a b e , so m e i n t e er, j ü n g s t h i n zu e i n e m universellen W i e d e r a u f l e b e n d e s „ i m p e r i a l i s t i s c h e n " K a p i t a l i s m u s und d a m i t a u c h

56 Vgl. den Text „Machtprestige und Nationalgefühl", unten, S.236.

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des „politischen Expansionsdrangs" der europäischen Machtstaaten geführt. Allerdings war Max Weber keineswegs ein uneingeschränkter Anhänger einer ökonomischen Imperialismustheorie. Im Gegenteil, er betonte, daß imperialistische Politik in aller Regel primär auf die sozialen und politischen Interessen der jeweiligen politischen Eliten zurückzuführen sei, deren gesellschaftliche Position regelmäßig durch eine erfolgreiche imperialistische Politik gestärkt werde. Dazu komme die emotionale Mobilisierbarkeit der breiten Massen für eine imperialistische Außenpolitik, die sich in aller Regel der Idee der „Nation" bediene. In diesem Zusammenhang legte Max Weber, wie schon zuvor in dem entsprechenden Abschnitt der ,,Ethnische[n] Gemeinschaften" 5 7 einmal mehr dar, daß „Nation" und „Nationalgefühl" äußerst vieldeutige Begriffe seien, hinter denen sich sehr verschiedene Arten von Gemeinsamkeitsempfindungen verbergen können. Andererseits wies er darauf hin, daß die Trägerschichten der Idee der Nation - vor allem die Intellektuellen - dabei in erster Linie hervorzutreten pflegen, weil sie sich in besonderem Maße zur Pflege und Förderung der Kulturgüter der jeweiligen politischen Gemeinschaft berufen fühlen und ihre gesellschaftliche Stellung von der Größe des Geltungsbereichs der eigenen nationalen Kultur abhänge. Leider ist diese eindringliche Analyse imperialistischer Expansionspolitik und ihrer nationalistischen Antriebskräfte, die Max Weber möglicherweise in den von ihm laut der Disposition von 1914 geplanten Abschnitt über „Die Nation" einzubringen gedachte, unvollendet geblieben. Jedoch darf sie auch in der fragmentarischen Form, in der sie uns überliefert ist, als eine auch heute noch unvermindert aktuelle Analyse des Imperialismus und des imperialistischen Nationalismus gelten. Unvollendet geblieben ist auch der Text über „,Klassen', ,Stände' und ,Parteien"', der nach der Disposition von 1914 ebenfalls eine weitere Ausgestaltung erfahren sollte. 58 Es handelt sich offenbar um eine früh, zumindest in Teilen bereits vor 1910 entstandene Abhandlung, die noch den im Stoffverteilungsplan von 1910 vorgesehenen Abschnitt über „Wirtschaft und Recht" voraussetzte. Der Text über „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" rundet in gewissem Sinne die tour d'horizon der verschiedenen Formen von Gemeinschaften ab. Hier steht zur Frage, ob die Klassenlage oder die ständische Zugehörigkeit als solche gemeinschaftsbildend sein können. Dies wurde von Max Weber für die Klassenlage ver-

57 Vgl. den Text „Ethnische Gemeinschaften", unten, S. 185-190. 58 Er hat allerdings dann die Grundlage des Kapitels IV „Stände und Klassen" in der ersten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" abgegeben; WuG1, S. 1 7 7 - 1 8 0 (MWG I/23).

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neint. B e i d e , Klasse u n d Stand, s e t z e n d a s B e s t e h e n einer G e m e i n s c h a f t voraus, im ersten Falle d a r ü b e r hinaus ein b e s t i m m t e s Maß an rationaler V e r g e s e l l s c h a f t u n g , o d e r genauer, eine M a r k t g e m e i n s c h a f t , weil s i c h sonst eine u n g l e i c h e Verteilung der L e b e n s c h a n c e n b e s t i m m t e r Grupp e n einer G e m e i n s c h a f t a u f g r u n d der V e r f ü g b a r k e i t von G ü t e r n , Besitz o d e r K a p i t a l g e w i n n einerseits, der V e r w e r t u n g von A r b e i t s l e i s t u n g e n andererseits nicht einstellen könne. J e d o c h führe die „ K l a s s e n l a g e " keinesfalls z w a n g s l ä u f i g zu e i n e m e n t s p r e c h e n d e n G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n der b e t r o f f e n e n G r u p p e n , s o n d e r n nur, sofern u n d soweit d i e s e als solc h e in ihren U r s a c h e n u n d Folgen rational erkannt u n d als ein a b z u s c h a f f e n d e r Z u s t a n d w a h r g e n o m m e n w e r d e . In der großen Mehrzahl d e r historisch b e k a n n t e n Fälle sei vielmehr eine irrationale u n d d a h e r f o l g e n l o s e Protesthaltung festzustellen. In j e d e m Fall sei die Klasse keine „ G e m e i n s c h a f t " u n d d a h e r könne es a u c h so e t w a s wie ein objektives, von d e n s u b j e k t i v e n E i n s t e l l u n g e n der Betroffenen u n a b h ä n g i g e s K l a s s e n b e wußtsein nicht g e b e n . Im G e g e n s a t z zu d i e s e m v e r g l e i c h s w e i s e e n g gefaßten K l a s s e n b e g r i f f , der nur im Bereich d e s A r b e i t s m a r k t e s , d e s G ü t e r m a r k t s u n d d e s k a p i t a listischen B e t r i e b s voll z u m Tragen k o m m e , s p r a c h Max W e b e r d e n Ständen, die d u r c h e i n e n s p e z i f i s c h e n Begriff der sozialen Ehre u n d eine s p e zifisch g e a r t e t e L e b e n s f ü h r u n g konstituiert w e r d e n , d a m a l s n o c h d u r c h aus d e n Status v o n „ G e m e i n s c h a f t e n " zu, die zu e i n v e r s t ä n d l i c h e m Gem e i n s c h a f t s h a n d e l n von e r h e b l i c h e r B e d e u t u n g b e f ä h i g t seien. S t ä n d e g e b e es, dieser A r g u m e n t a t i o n z u f o l g e , k e i n e s w e g s nur in v o r m o d e r n e n G e s e l l s c h a f t e n . S t ä n d i s c h e Differenzierungen, die s i c h an s p e z i f i s c h e n L e b e n s f o r m e n orientieren, h i n g e g e n z u m e i s t v o n rein k a p i t a l i s t i s c h e n S t a t u s s y m b o l e n nichts w i s s e n wollen, b r e m s e n d a s Fortschreiten der kap i t a l i s t i s c h e n M a r k t w i r t s c h a f t in e r h e b l i c h e m Maße ab, u n d e b e n s o s c h w ä c h e n sie die B e d e u t u n g von M a s s e n h a n d e l n , w e l c h e s aus spezifis c h e n K l a s s e n l a g e n resultiert. Parteien h i n g e g e n - u n d mit d i e s e n w e n i g e n B e m e r k u n g e n b r i c h t die B e t r a c h t u n g , die u r s p r ü n g l i c h eine u m f a s s e n d e Kasuistik des Parteiwesens in u n i v e r s a l h i s t o r i s c h e r Sicht b r i n g e n sollte, e i n i g e r m a ß e n a b r u p t a b - seien in der S p h ä r e der „ M a c h t " zu Hause; ihr Ziel sei die E r r i n g u n g von Einfluß auf d a s G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n . B e m e r k e n s w e r t an d i e s e m A n s a t z ist, daß Max Weber Parteien, e b e n s o wie a u c h Klassen u n d Stände, prinzipiell als G e b i l d e b e t r a c h t e t e , deren Tätigkeit s i c h k e i n e s w e g s nur im R a h m e n einer p o l i t i s c h e n G e m e i n s c h a f t bzw. eines Staates b e w e ge. Vielmehr k ö n n e n sie mit ihren Aktivitäten s e l b s t nicht „an die G r e n z e n je einer e i n z e l n e n p o l i t i s c h e n G e m e i n s c h a f t g e b u n d e n " sein. 5 9 Sie besit-

5 9 Vgl. den Text „.Klassen', .Stände' und .Parteien'", unten, S. 271.

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zen tendenziell überstaatlichen - wir würden heute sagen: transnationalen - Charakter. Ihr Streben nach Machtgewinn vollzieht sich nach Webers Auffassung gleichsam noch im vorstaatlichen Raum: Sie suchen für sich und ihre Klientel jeweils eine eigenständige Sphäre „sozialer Macht" aufzubauen, die potentiell über die Grenzen bestimmter politischer Verbände hinausreicht und nicht selten internationale Dimensionen annimmt. Max Weber hatte die Absicht, diese „Strukturformen sozialer Herrschaft" der Parteien, die sich gleichsam im Vorfeld des politischen Herrschaftssystems etablieren, noch eingehender zu analysieren. Denn an dieser Stelle heißt es: „Diesem zentralen Phänomen alles Sozialen wenden wir uns daher jetzt zu." 6 0 Zwei Fragmente über „Kriegerstände", die uns erhalten sind, ohne daß ein unmittelbarer Z u s a m m e n h a n g mit den sonstigen Texten erkennbar ist, dürfen als Ausweis dafür dienen, daß Max Weber diese universalhistorisch angelegte Kasuistik des Themas „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" noch wesentlich breiter entfalten wollte. Die Ausführungen zu „Stände und Klassen" hat Max Weber 1919/20 für die Drucklegung überarbeitet und begrifflich verschärft sowie die Erörterung der Parteien aus diesem Z u s a m m e n h a n g herausgelöst; dieser Text ist allerdings ebenfalls unvollendet. 6 1 Die hier mitgeteilten Texte bilden den ersten Teil einer umfassend angelegten soziologischen Darstellung, die Max Weber 1913 als „seine .Soziologie'" 6 2 bezeichnet und d e m Verleger Paul Siebeck für eine baldige Drucklegung avisiert hat - ins A u g e gefaßt war als Termin der Druckleg u n g Ende Frühsommer 1915. Die Texte sind im wesentlichen bereits in den Jahren 1910 bis 1912 entstanden; d o c h dürften sie in der hektischen Arbeitsphase im Herbst 1913 und im Frühjahr 1914, als Weber darum bemüht war, die zahlreichen für den „Grundriss der Sozialökonomik" bestimmten Manuskripte zu einer „geschlossenen soziologischen Theorie und Darstellung" des Verhältnisses der Wirtschaft zu den verschiedenen sozialen O r d n u n g e n zusammenzufügen, g e r i n g f ü g i g e Überarbeitungen erfahren haben. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sind Änderungen an den Texten nicht mehr erfolgt. Wir haben es mit einem zwar in Teilen fragmentarischen, aber insgesamt relativ geschlossenen Textbestand zu tun, der vor universalhistorischem Hintergrund die verschiede-

6 0 Vgl. den Text „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" unten, S.270. Allerdings muß man in Betracht ziehen, daß dieser vieldeutige Satz möglichenweise von den Ersthera u s g e b e r n eingefügt wurde, um die Brücke zur Herrschaftssoziologie zu schlagen. 61 Vgl. WuG 1 , S. 1 7 7 - 1 8 0 (MWG I / 2 3 ) . 6 2 Vgl. den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 6. Nov. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).

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nen F o r m e n der „ G e m e i n s c h a f t e n " u n d ihrer h ö c h s t

unterschiedlichen

A u s f o r m u n g e n in der G e s c h i c h t e s y s t e m a t i s c h a b h a n d e l t .

IV. Zu dieser Edition und insbesondere zur Frage der Titelgestaltung der Manuskripte aus dem Nachlaß D e m hier v o r g e l e g t e n B a n d 1/22-1 der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e lieg e n , w i e e i n g a n g s bereits d a r g e l e g t w u r d e , die in der von M a r i a n n e Weber u n d M e l c h i o r Palyi 1 9 2 1 - 2 2 v e r ö f f e n t l i c h t e n 1. A u f l a g e - g e n a u e r in der z w e i t e n , dritten u n d vierten L i e f e r u n g - von „ W i r t s c h a f t u n d Gesells c h a f t " m i t g e t e i l t e n Texte z u g r u n d e , die d e n Intentionen Max W e b e r s a m n ä c h s t e n stehen. A l l e r d i n g s v e r f o l g t e n M a r i a n n e W e b e r u n d M e l c h i o r Palyi d a m a l s eine Editionsstrategie, die k e i n e s w e g s mit Max W e b e r s e i g e nen A b s i c h t e n z u m Z e i t p u n k t s e i n e s p l ö t z l i c h e n Todes a m 14. Juni 1920 ü b e r e i n g e h t . D e n n W e b e r hatte nie die A b s i c h t , die z a h l r e i c h e n für d a s „ H a n d b u c h der p o l i t i s c h e n Ö k o n o m i e " bzw. d e n „ G r u n d r i s s der Sozialö k o n o m i k " b e s t i m m t e n M a n u s k r i p t e aus d e n Jahren 1910 bis 1914 in der v o r l i e g e n d e n Form zu v e r ö f f e n t l i c h e n . A u c h die A n o r d n u n g der Texte, die M a r i a n n e W e b e r u n d M e l c h i o r Palyi n a c h l a n g e n E r w ä g u n g e n u n d Verh a n d l u n g e n mit d e m Verlag v o r n a h m e n , kann auf w e i t e n Strecken nicht als autorisiert gelten. M a r i a n n e Weber hatte d a s Ziel, die n o c h von ihrem M a n n s e l b s t z u m D r u c k g e b r a c h t e n Texte - die s o g e n a n n t e n „Soziologis c h e n G r u n d b e g r i f f e " - u n d die M a n u s k r i p t e aus d e m Nachlaß als ein m ö g l i c h s t g e s c h l o s s e n e s einheitliches Werk zu v e r ö f f e n t l i c h e n . In d e n älteren M a n u s k r i p t e n sah M a r i a n n e Weber die e m p i r i s c h e D o k u m e n t i e r u n g der „ s y s t e m a t i s c h e n s o z i o l o g i s c h e n Begriffslehre", die sie als Ersten Teil d e n von ihr e d i e r t e n Schriften aus d e m Nachlaß voranstellte. 1 Das B e m ü hen, die „große S o z i o l o g i e " Max W e b e r s auf d i e s e Weise der F a c h w e l t u n d der breiteren Öffentlichkeit e r s t m a l s als G a n z e s z u g ä n g l i c h zu mac h e n , war unter d e n d a m a l i g e n U m s t ä n d e n verdienstvoll, und, wie die E n t w i c k l u n g g e z e i g t hat, ü b e r a u s e r f o l g r e i c h . J o h a n n e s W i n c k e l m a n n ist dieser Editionslinie d a n n in der von ihm h e r a u s g e g e b e n e n 4. u n d 5. Auflage von „ W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " g e f o l g t , a l l e r d i n g s mit e r h e b l i c h e n A b w e i c h u n g e n h i n s i c h t l i c h der A n o r d n u n g der M a n u s k r i p t e u n d z a h l r e i c h e n Eingriffen in die Texte selbst, g i p f e l n d in d e m Versuch einer R e k o n s t r u k t i o n der s o g e n a n n t e n „ S t a a t s s o z i o l o g i e " , auf der G r u n d l a g e einer S y n o p s e von a n g e b l i c h von Werturteilen g e r e i n i g t e n Texten aus

1 Vgl. das Vorwort zur 2. Lieferung, WuG 1 , S. III.

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den „Gesammelten Politischen Schriften". 2 Jedoch hat die Fachkritik, beginnend mit Friedrich Tenbrucks glänzender Studie „Abschied von .Wirtschaft und Gesellschaft"', den problematischen Charakter dieser Editionen deutlich gemacht. 3 Hier wird statt dessen ein anderer Weg eingeschlagen, nämlich die Texte „Gemeinschaften" und deren Anordnung gemäß den autoreigenen Intentionen zuverlässig zu rekonstruieren, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer historisch-kritischen Edition. Dies ist angesichts der Tatsache, daß uns für diesen Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft" keinerlei Manuskripte überliefert sind, keine leichte Aufgabe. Für diesen hier vorgelegten Teilband sind wir durchweg auf die Textüberlieferung angewiesen, so wie sie in der von Marianne Weber und Melchior Palyi herausgegebenen ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" vorgelegt worden ist. Allerdings erlauben die wenigen erhaltenen Manuskripte anderer Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft" in begrenztem Umfang Rückschlüsse auch auf den ursprünglichen Zustand der hier zum Abdruck kommenden Texte. Es sind dies „Die Wirtschaft und die Ordnungen", 4 die Paragraphen 1 - 7 der sogenannten „Rechtssoziologie", 5 eine sechsseitige Passage aus dem Text „Staat und Hierokratie" 6 sowie ein fragmentarisches Blatt aus der „Religionssoziologie". 7 Für die übrigen Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft" müssen die Manuskripte als definitiv verloren gelten. 8 Darüber hinaus gibt die umfangreiche, allerdings nicht vollständig überlieferte Korrespondenz zwischen Marianne Weber, Melchior Palyi und dem Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) wichtige Anhaltspunkte. Außerdem erlauben die Textverweise, deren Zuverlässigkeit Hiroshi Orihara nachgewiesen hat, 9 Rückschlüsse auf die ursprünglich beabsichtigte Anordnung der einzelnen Texte.

2 Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrlss der verstehenden Soziologie, hg. von Johannes Winckelmann, 4. Aufl. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1956. 3 Vgl. oben, S. 15, Anm. 1. 4 WuG1, S. 368-385 (MWG I/22-3). 5 WuG1, S. 386-502; es fehlt nur das Manuskript für Paragraph 8, WuG1, S. 502-512 (MWG I/22-3). 6 Das Manuskript umfaßt WuG1, S. 782-790 (MWG I/22-4). 7 Das Fragment war höchstwahrscheinlich die Druckvorlage zu WuG1, S.292 (jetzt: MWG I/22-2, S. 278-280); vgl. auch den Faksimileabdruck in: MWG I/22-2, S.449f. 8 Mommsen, Zur Entstehung von Max Webers hinterlassenem Werk (wie oben, S. 15f„ Anm. 1). 9 Vgl. Orihara, Hiroshi, Über den .Abschied' hinaus zu einer Rekonstruktion von Max Webers Werk: „Wirtschaft und Gesellschaft". Working Papers No. 30. - Tokio: Department of International Relations, University of Tokyo, 1992; sowie ders., Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft". Die Authentizität der Verweise im Text des „2. und 3. Teils" der 1. Auflage, in: KZfSS, 46. Jg., 1994, S. 103-121.

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Die s p ä t e r e n Editionen von „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " , i n s b e s o n d e re die i n z w i s c h e n in mehreren A u f l a g e n v o r l i e g e n d e Edition v o n „Wirts c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t " d u r c h J o h a n n e s W i n c k e l m a n n , sind h i n g e g e n , w a s die Rekonstruktion der Texte als s o l c h e a n g e h t , zu v e r n a c h l ä s s i g e n , weil sie der a u t o r e i g e n e n Ü b e r l i e f e r u n g ferner stehen. A l l e r d i n g s hat sich s c h o n W i n c k e l m a n n intensiv d a r u m b e m ü h t , D r u c k f e h l e r u n d Verschreib u n g e n in d e n Texten a u f z u s p ü r e n und e n t s p r e c h e n d e E m e n d a t i o n e n v o r z u n e h m e n . Soweit d i e s e s i c h bei kritischer Prüfung der Texte als ang e m e s s e n e r w e i s e n , sind sie im F o l g e n d e n b e r ü c k s i c h t i g t w o r d e n . Jed o c h hatte W i n c k e l m a n n die N e i g u n g , E m e n d a t i o n e n , w e l c h e aus inhaltlichen G r ü n d e n n a h e l a g e n , a u c h d a n n v o r z u n e h m e n , w e n n keinerlei Anh a l t s p u n k t e für ein Textverderbnis v o r l a g e n . In der 5. A u f l a g e hat Winc k e l m a n n gar auf d e r e n N a c h w e i s g a n z verzichtet. Ein s o l c h e s Verfahren ist mit d e n G r u n d s ä t z e n einer h i s t o r i s c h - k r i t i s c h e n Edition nicht zu vere i n b a r e n . Vielmehr g e h t es hier d a r u m , d i e u r s p r ü n g l i c h e n Texte mit g r ö ß t m ö g l i c h e r Z u v e r l ä s s i g k e i t zu präsentieren, a u c h w e n n d i e s e S a c h fehler o d e r V e r d e r b n i s s e a u f w e i s e n , und E m e n d a t i o n e n nur d a n n vorzun e h m e n , w e n n d i e s e u n a b w e i s b a r sind, im ü b r i g e n a b e r alle Texteingriffe zu v e r m e i d e n . H i n g e g e n sind d i e s p ä t e r e n Editionen von „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " v o n J o h a n n e s W i n c k e l m a n n , die er selbst in seiner Schrift „ M a x W e b e r s h i n t e r l a s s e n e s H a u p t w e r k " 1 0 g e g e n die Fachkritik e l o q u e n t u n d materialreich v e r t e i d i g t hat, für die Frage der A n o r d n u n g der Texte, a b e r a u c h für die T i t e l g e s t a l t u n g u n d die K o m m e n t i e r u n g v o n e r h e b l i c h e r B e d e u t u n g . In dieser Hinsicht s i n d ihm die H e r a u s g e b e r und B e a r b e i t e r d i e s e s B a n d e s zu Dank v e r p f l i c h t e t , a u c h w e n n sie weithin a n d e r e W e g e g e g a n g e n sind. In g e w i s s e m U m f a n g gilt dies a u c h für die d r e i b ä n d i g e e n g l i s c h e A u s g a b e von G u e n t h e r Roth u n d Claus Wittich, die seinerzeit hinsichtlich der Anordn u n g der Texte b e d e u t s a m e Fortschritte b r a c h t e . 1 1 D o c h gilt a u c h für sie, daß die Präsentation v o n „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " als e i n e s einheitlic h e n , aus zwei Teilen b e s t e h e n d e n Werkes, d e m v o n Max W e b e r n o c h selbst z u m D r u c k g e b r a c h t e n s o g e n a n n t e n „Ersten Teil" und d e m s o g e nannten „älteren Teil", w e l c h e r die zahlreichen Texte aus d e m Nachlaß enthält, der w i s s e n s c h a f t l i c h e n Kritik nicht s t a n d g e h a l t e n hat. Die Frage der T i t e l g e s t a l t u n g erfordert eine e t w a s weiter a u s h o l e n d e Erörterung, unter E i n b e z i e h u n g unserer K e n n t n i s s e über d e n u r s p r ü n g lichen Z u s t a n d aller M a n u s k r i p t e aus d e m Nachlaß. M e l c h i o r Palyi und

10 Winckelmann, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1) 11 Weber, Economy and Society (wie oben, S. 39, Anm. 22).

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M a r i a n n e W e b e r h a b e n s i c h bei der Edition der M a n u s k r i p t e aus d e m Nachlaß für die V e r ö f f e n t l i c h u n g von „Wirtschaft u n d G e s e l l s c h a f t " hins i c h t l i c h der Einführung v o n A b t e i l u n g s - o d e r Kapiteltiteln völlig frei gefühlt u n d s i c h im ü b r i g e n in der f o r m a l e n G e s t a l t u n g an d e n n o c h von Max W e b e r s e l b s t z u m Druck g e b r a c h t e n Teilen orientiert. Klare Vorgab e n g a b es h i n g e g e n nicht. S c h o n Friedrich Tenbruck hat darauf h i n g e w i e s e n , daß d e n von M a r i a n n e Weber im S c h r e i b t i s c h Max W e b e r s vorg e f u n d e n e n M a n u s k r i p t e n keinerlei H i n w e i s e für eine A n o r d n u n g b e i g e g e b e n w a r e n . 1 2 Dies kann a u c h nicht v e r w u n d e r n , d a W e b e r d a m a l s gar nicht mehr b e a b s i c h t i g t e , d i e s e Texte in der v o r l i e g e n d e n Form z u m D r u c k zu b r i n g e n . Zwar h a b e n , wie wir a u f g r u n d von P r ä z e d e n z e n verg l e i c h b a r e r Art a n n e h m e n d ü r f e n , 1 3 die e i n z e l n e n M a n u s k r i p t e , die Maria n n e W e b e r unmittelbar n a c h d e m Tode ihres M a n n e s in s e i n e m S c h r e i b t i s c h f a n d u n d die v e r m u t l i c h in g e b r a u c h t e n b r a u n e n V e r s a n d t a s c h e n a u f b e w a h r t w o r d e n w a r e n , s t i c h w o r t a r t i g e B e z e i c h n u n g e n g e t r a g e n , die j e d o c h als A b t e i l u n g s - bzw. K a p i t e l ü b e r s c h r i f t e n nicht t a u g l i c h waren u n d a u c h nicht als s o l c h e g e d a c h t g e w e s e n sein dürften, d a Max W e b e r d i e s e M a n u s k r i p t e ja o h n e h i n nur als Material für eine n o c h zu erstellend e D r u c k f a s s u n g b e t r a c h t e t hatte. M a r i a n n e Weber listete d i e s e Bez e i c h n u n g e n in e i n e m Brief an d e n Verleger in f o l g e n d e r Weise auf: „Relig i o n s s o z i o l o g i e , R e c h t s s o z i o l o g i e , d a n n Formen der G e s e l l s c h a f t : (Ethn i s c h e G e m e i n s c h a f t . S i p p e n . Nation Staat u [ n d ] Hierokratie etc)" s o w i e „Charismatismus[,] Patrimonalismus^] F e u d a l i s m u s ^ ] B ü r o k r a t i s m u s " . 1 4 A u f g r u n d der überlieferten O r i g i n a l m a n u s k r i p t e darf m a n d a v o n a u s g e hen, daß nur d a s Kapitel über „Die Wirtschaft u n d die O r d n u n g e n " mit einer zur V e r ö f f e n t l i c h u n g g e e i g n e t e n K a p i t e l ü b e r s c h r i f t v e r s e h e n war. 1 5 H i n s i c h t l i c h der Z w i s c h e n t i t e l bzw. der P a r a g r a p h e n t i t e l in d e n M a n u s k r i p t e n d ü r f t e die L a g e nicht w e s e n t l i c h a n d e r s g e w e s e n sein. In d e n Texten b e t r e f f e n d die „ R e l i g i ö s e n G e m e i n s c h a f t e n " f a n d e n s i c h Zwischentitel, die u r s p r ü n g l i c h wohl eine a r a b i s c h e Bezifferung a u f w i e s e n . Nur die „ R e c h t s s o z i o l o g i e " hatte autor-eigene Z w i s c h e n t i t e l u n d eine G l i e d e r u n g in P a r a g r a p h e n sowie kurze I n h a l t s a n g a b e n der e i n z e l n e n

12 Tenbruck, Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft (wie oben, S. 15, Anm. 1). 13 Bei einem Besuch des Herausgebers bei Alfred Weber und Else Jaffe wurden diesem eine größere Zahl von Fahnenkorrekturen von „Wirtschaft und Gesellschaft" in solchen, noch aus Webers Lebenszelt stammenden, Versandhüllen überlassen; auch die Vorlesungsmanuskripte Im GStA Berlin weisen Reste solcher Versandtaschen auf. 14 Brief Marianne Webers an Paul Siebeck vom 30. Juni 1920, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 15 Brief Max Webers an Paul Slebeck vom 19. Mal 1920; VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG 11/10).

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Einleitung

Abschnitte. Max Weber hat für die Gliederung der einzelnen Abschnitte ursprünglich durchweg arabische oder römische Ziffern verwendet, Paragraphen sind offenbar, wenn überhaupt, dann erst anläßlich der Drucklegung eingeführt worden. Das zeitlich frühe Manuskript von „Die Wirtschaft und die Ordnungen" beispielsweise besitzt keine Paragraphengliederung, sondern eine Gliederung mit arabischen Ziffern. Auch die beiden unvollendeten Manuskripte „Die Marktgemeinschaft" sowie „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" weisen keine Paragraphengliederung auf. In „Die Stadt" fehlten ebenfalls Paragraphen; diese sind dort von Marianne Weber nachträglich inseriert worden. Überdies variieren die Zwischentitel in „Die Stadt" zwischen der Archivfassung und der Fassung in WuG 1 , außerdem ergeben sich erhebliche inhaltliche Bedenken gegen die Authentizität des offenbar sinnlosen Zwischentitels „Die Plebejerstadt". 16 In den Texten über „Religiöse Gemeinschaften" ist die ursprünglich numerische Bezifferung von insgesamt 12 Unterabschnitten im Zuge der Drucklegung von den Erstherausgebern unter Beibehaltung der Zwischentitel in eine Paragraphengliederung überführt worden. 1 7 Die „Herrschaftssoziologie" scheint ursprünglich ebenfalls keine Untergliederung nach Paragraphen aufgewiesen zu haben. Nur die ersten drei Texte besitzen eine Untergliederung nach Paragraphen; dann bricht dieses Gliederungsschema ab. 18 Ersichtlich haben die Erstherausgeber sich bemüht, die fehlende Paragraphengliederung nach dem Vorbild der „Rechtssoziologie" und der 1. Lieferung nachträglich für alle Manuskripte durchzuführen. Dies haben sie aber dann nicht durchgehalten, was vermutlich ursächlich auf das vorzeitige Ausscheiden Melchior Palyis zurückzuführen ist, der die vierte Lieferung großenteils nicht mehr bearbeitet hat. 19 Gleichermaßen führten Marianne Weber und Melchior Palyi bei der Vorbereitung der Manuskripte aus dem Nachlaß für den Druck in die Texte neue oder bei Max Weber an anderer Stelle verbürgte Abteilungs- bezie16 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Die Stadt", MWG I/22-5, S. 56. 17 Für die ursprüngliche Lage vgl. den Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 29. März 1921; VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446, sowie den Editorischen Bericht zu „Religiöse Gemeinschaften", MWG I/22-2, S. 105f. Das uns erhaltene Fragment des Manuskripts (vgl. MWG I/22-2, S. 448-450) weist die Kapitelzugehörigkeit des Blatts In römischen Ziffern aus, vermutlich von der Hand Marlanne Webers. 18 Es handelt sich um das Kapitel „Herrschaft", WuG1, S. 603-612 (MWG I/22-4), sowie die Texte „Politische Gemeinschaften", ebd., S.613-618, und „Machtgebilde. .Nation'", ebd., S.619-630; die beiden letzteren Texte sind in diesem Band ediert, unten, S. 204-217 und der zweite unter dem Titel „Machtprestige und Nationalgefühl", unten, S. 223-247. 19 Vgl. die Briefe Marianne Webers an den Verlag vom 26. Okt. 1921 und 2. Mai 1922; VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, Ana 446.

Einleitung

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hungsweise Kapitelüberschriften ein. Auch die Zwischentitel wurden vielfach modifiziert, beziehungsweise, soweit solche in den Texten nicht vorhanden waren, neue Zwischentitel eingefügt, gelegentlich unter Unterbrechung des kontinuierlichen Textflusses. 2 0 Die Einführung von Paragraphen, Zwischentiteln und Inhaltsübersichten diente d e m Ziel, aus der ungeordneten Masse von Manuskripten und Texten unterschiedlicher Entstehungszeit und unterschiedlichen Bearbeitungszustands ein einheitliches Werk entstehen zu lassen. Unter diesen Umständen wird man die Authentizität der Titulatur des älteren Teils von „Wirtschaft und Gesellschaft" insgesamt als ungesichert ansehen müssen. Dieser Befund wird durch die Verlagskorrespondenz erhärtet. Aus der Korrespondenz Marianne Webers mit dem Verlag geht mit Zuverlässigkeit hervor, daß sie die sogenannten Abteilungstitel mit d e m Verlag vereinbart hat, diese also mit Sicherheit nicht authentisch sind. Dies erstreckt sich auch auf den Abteilungstitel des ersten Teils „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte". 2 1 Daß die Kapitelüberschriften großenteils nicht autor-eigen sind, ergibt sich aus d e m Sachverhalt, daß Marianne Weber mit d e m Gedanken spielen konnte, die Texte „Politische Gemeinschaften", „Machtprestige und Nationgefühl" und „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" in einem einzigen Kapitel zusammenzufassen. Wenn diese Konvolute originale Kapitelüberschriften gehabt hätten, wäre dies nicht möglich gewesen. 2 2 Marianne Weber und Melchior Palyi haben vielmehr keine Bedenken getragen, nicht nur Kapitel mehrfach hin- und herzuschieben, sondern auch einzelne Textbestände innerhalb dieser Kapitel andernorts zu plazieren. 2 3 Der Schluß ist unabweisbar, daß die Kapitelüberschriften der „Gemeinschaften" ganz überwiegend von den Erstherausgebern in die Manuskripte eingefügt worden sind, vielfach in Anlehnung an den damals schon in U m b r u c h b ö g e n vorliegenden sogenannten „Ersten Teil" von „Wirtschaft und Gesellschaft". Dies trifft analog auch für die Paragraphenüberschriften und Inhaltsangaben zu. Sie sind ebenfalls zumeist erst von den Erstherausgebern eingeführt worden. 2 4 Auch rein stilistische Beobachtun-

20 Eine a u s f ü h r l i c h e D a r l e g u n g der Probleme der Z w i s c h e n t i t e l findet sich bei M o m m s e n , Max Weber's G r a n d S o c i o l o g y (wie o b e n , S. 16, A n m . 1), S. 1 1 - 1 3 . 21 Briefe Marianne W e b e r s an Oskar S i e b e c k v o m 14. u n d 15 Okt. 1920 u n d v o m 20. Okt. 1921, VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 446; ferner M o m m s e n , Max Weber's G r a n d S o c i o l o g y (wie o b e n , S. 16, A n m . 1), S. 11. 22 Vgl. die Beilage zu d e m S c h r e i b e n Marianne W e b e r s an Oskar S i e b e c k v o m 25. März 1921, VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t BSB M ü n c h e n , A n a 446. 23 Dazu e i n s c h l ä g i g Schluchter, Das Ende eines Mythos (wie o b e n , S. 15, A n m . 1), S. 6 1 3 f f . 24 Vgl. o b e n , S . 6 1 f .

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Einleitung

gen stützen diesen Befund. Nicht selten unterbrechen die von den Erstherausgebern e i n g e s c h o b e n e n Zwischentitel den Gang der Darlegungen in einer syntaktisch störenden Weise. 2 5 Eine sorgfältige Prüfung der Zwischentitel an den Texten selbst gemäß den Grundsätzen der inneren historischen Quellenkritik ergibt, daß die Paragraphentitel die überschriebenen Inhalte in zahlreichen Fällen nicht angemessen wiedergeben; ja mehr noch, daß sie vielfach den Sinn der jeweiligen D a r l e g u n g e n Max Webers verfälschen. 2 6 Die Texte des Teils „Gemeinschaften" sind transparenter und verständlicher, wenn die vielfach sinnentstellenden, zuweilen den S a c h z u s a m m e n h a n g unterbrechenden, Zwischenüberschriften, die den jeweiligen Paragraphen von den Erstherausgebern b e i g e g e b e n worden sind, vernachlässigt werden. Es ist kein Zufall, daß alle späteren Herausgeber bzw. kritischen Interpreten von „Wirtschaft und Gesellschaft", von Winckelmann 2 7 und Roth bis Orihara, den Wortlaut der Zwischenüberschriften nicht für authentisch angesehen und diese in unterschiedlichster Weise modifiziert haben. Die Grundsätze einer historisch-kritischen Edition erlauben es nur in Ausnahmefällen, durch Einführung von Titeln oder Zwischentiteln ordnende Eingriffe in die Texte vorzunehmen. Dem wird in d e m hier vorgelegten Bande der MWG Rechnung getragen und auf den W i e d e r a b d r u c k der Paragraphengliederung sowie der dazugehörenden, nicht authentischen Zwischentitel der Erstausgabe verzichtet. Allerdings wird in die durch die Einführung von Zwischentiteln verursachten Zäsuren im Text nicht eingegriffen; diese werden jeweils durch eine Leerzeile gekennzeichnet. Ebenso werden die von den Erstherausgebern eingeführten Zwischentitel sowie alle sonstigen Eingriffe der Erstherausgeber im textkritischen A p p a rat mitgeteilt, um die hier getroffenen editorischen Entscheidungen für

25 Ein Beispiel dafür findet sich etwa im Text „Machtprestige und Nationalgefühl". Hier unterbricht der offensichtlich später inserierte § 3 . Die „Nation" regelrecht den Argumentationsgang. Am Ende des § 2 ist von der starken Wirkung „emotionaler Beeinflussung" die Rede. Der in den § 3 geratene Folgesatz schließt unmittelbar daran. Hier heißt es: „Das Pathos dieser emotionalen Beeinflussung aber ist dem Schwerpunkt nach nicht ökonomischen Ursprungs [...]." Vgl. unten, S. 240. 26 Ein eingehender Nachweis, wie er von dem Herausgeber vorgenommen worden ist, kann an dieser Stelle nicht vorgestellt werden, da dies den Charakter und den Umfang der Einleitung sprengen würde. Vgl. aber die Ausführungen in den Editorischen Berichten zu den einzelnen Texten. 27 Winckelmann weist Im Vorwort zur 4. Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft", S. XIII, ausdrücklich darauf hin, daß „die bisherigen Überschriften und Inhaltsangaben der Kapitel mannigfache Änderung erfahren" hätten, soweit das Bedürfnis der Neugliederung in Anpassung an den ursprünglichen Plan und das Bedürfnis nach einer sinnadäquateren Zusammenfassung des Inhalts sie nahelegten."

Einleitung

65

d e n L e s e r t r a n s p a r e n t z u m a c h e n . S ä m t l i c h e Ü b e r s c h r i f t e n bzw. Untertitel d e r E r s t a u s g a b e , soweit sie nicht definitiv als v o n M a x W e b e r s e l b s t h e r r ü h r e n d g e l t e n können, w e r d e n in e c k i g e K l a m m e r n g e s e t z t und d a mit als H e r a u s g e b e r r e d e g e k e n n z e i c h n e t . Nur in s o l c h e n Fällen, in d e nen d i e s u n a b w e i s b a r ist, s i n d unter A n l e g u n g e i n e s s t r e n g e n M a ß s t a b s n e u e Titel eingeführt o d e r überlieferte Titel modifiziert w o r d e n , jeweils in e n g e r A n l e h n u n g an d e n Text b e z i e h u n g s w e i s e an Titel u n d Begriffe, d i e in d e n Texten an a n d e r e r Stelle n a c h g e w i e s e n sind. A u c h w e n n es s i c h d a b e i um B e g r i f f e o d e r F o r m u l i e r u n g e n handelt, d i e bei W e b e r an a n d e rer Stelle v e r w e n d e t sind, w e r d e n sie in e c k i g e K l a m m e r n g e s e t z t u n d d a m i t als H e r a u s g e b e r r e d e g e k e n n z e i c h n e t . D a r ü b e r h i n a u s w e r d e n alle Eingriffe d i e s e r Art in d e n E d i t o r i s c h e n B e r i c h t e n jeweils im e i n z e l n e n begründet, unter Mitteilung der v o n d e n E r s t h e r a u s g e b e r n e i n g e f ü h r t e n Titeln. Hier wie a u c h s o n s t ist die Edition d u r c h g ä n g i g d a r u m bemüht, d i e a u t o r - e i g e n e n Texte in m ö g l i c h s t e r P r ä z i s i o n z u p r ä s e n t i e r e n u n d v o n allen E r g ä n z u n g e n o d e r Eingriffen Dritter H a n d z u befreien. A n d e r e r s e i t s ist e s d e m L e s e r stets m ö g l i c h , auf d i e älteren A u s g a b e n z u r ü c k z u g r e i fen und d i e v o r g e n o m m e n e n Ä n d e r u n g e n n a c h z u v o l l z i e h e n .

Photographie Max Webers vor 1912, veröffentlicht in Meyers Großes Konversations-Lexikon, Jahres-Supplement 1911-1912.

Schriften

[Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen]

Editorischer Bericht Zur

Entstehung

Der nachstehende Text ist, seinem Duktus nach zu urteilen, in unterschiedlichen Schreibphasen entstanden, auch wenn diese nicht präzise voneinander zu unterscheiden sind. Er beginnt mit einer Definition von „Wirtschaft", die sich in Abgrenzung zu anderen zeitgenössischen Begriffsbestimmungen von „Wirtschaft" an der Theorie des Grenznutzens orientiert; der Begriff der „Wirtschaft" setzt die Knappheit von nachgefragten Gütern voraus und dient der Deckung des jeweiligen Bedarfs an diesen. Dabei wird ausdrücklich betont, daß dieser Bedarf sich auf die unterschiedlichsten Zwecke erstrecken kann, „von der Nahrung bis zur religiösen Erbauung". 1 Diese Definition findet sich in analoger Weise schon im „Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische") Nationalökonomie". 2 Am Ende des ersten Absatzes bricht diese Argumentation abrupt ab. Es findet sich dann der Satz „Das soziale Handeln kann nun zur Wirtschaft in verschiedenartige Beziehung treten", 3 der weder an die vorherigen noch an die folgenden Passagen inhaltlich anbindet und mit einiger Sicherheit als späterer Einschub zu gelten hat, der den Zweck verfolgte, das vorstehende Textfragment (höchstwahrscheinlich der Rest einer längeren Deduktion von Begriffsbestimmungen) mit den nachfolgenden Ausführungen zu verbinden. 4 Dafür spricht die Verwendung des in dieser Phase terminologisch bei Max Weber noch nicht gebräuchlichen Begriffs „soziales Handeln". 5 Die nachfolgenden Darlegungen geben eine Übersicht über die verschiedenen Formen des Gemeinschaftshandelns in ihrer Beziehung zur Wirtschaft. Weber legt dabei besonderes Gewicht auf den Nachweis, daß alle 1 Vgl. unten, S. 78. 2 Weber, Vorlesungs-Grundriß. 3 Vgl. unten, S. 79. 4 Orihara, Hiroshl, Über den „Abschied" hinaus zu einer Rekonstruktion von Max Webers Werk: „Wirtschaft und Gesellschaft", 3. Teil: Wo findet sich der Kopf des „Torsos"? Die Terminologie Max Webers im „2. und 3.Teil" der I.Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft". - Tokio: University of Tokyo, Department of Social and International Relations 1993, S. 12. 5 So auch Orihara, ebd., S. 15.

72

Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen

Formen des Gemeinschaftshandelns, nicht nur solches wirtschaftlicher Art, eine wirtschaftliche Dimension besitzen. Im gleichen Zuge wird dargelegt, daß, entgegen den Annahmen der marxistischen Theorie, weder ein eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis des Gemeinschaftshandelns von wirtschaftlichen Tatbeständen bestehe, noch umgekehrt Gemeinschaftshandeln bestimmte Wirtschaftsformen determiniere. Stattdessen wird die „Eigengesetzlichkeit der Strukturen des Gemeinschaftshandelns" betont, und um deren Untersuchung geht es dann auch im Folgenden. Im übrigen wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf das bedeutsame Phänomen der „Schließung" des Gemeinschaftshandelns gelenkt, das zur Monopolisierung bestimmter Interessen führe und die Tendenz aufweise, übergreifende „Vergesellschaftungen mit rationalen Ordnungen" entstehen zu lassen. Schließlich werden die Wirtschaftsregulierenden Auswirkungen behandelt, die unterschiedliche Formen der Bedarfsdeckung von Gemeinschaften haben können, und, wie es heißt, „nur noch in Kürze" die Arten der Bedarfsdeckung von Gemeinschaften in Form einer Kasuistik von „reinen Typen" abgehandelt. Dabei wird der Frage, welche dieser Typen für die Entwicklung des Kapitalismus am günstigsten gewesen sind, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der Text gleitet dann über in eine Erörterung der Rolle des Kampfes konkurrierender politischer Gebilde, nicht zuletzt der Großmächte der Gegenwart, welcher immer wieder zu einer Privilegierung des Kapitalismus Anlaß gegeben habe und bricht mit einer Anspielung auf das damalige europäische Mächtesystem ab. In Bezug auf die Einordnung innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" deutet vieles auf eine Funktion des Textes als Einleitungskapitel, zumindest aber auf eine vordere Position hin. Weber verweist darauf, daß „schon früher allgemein" festgestellt worden sei, „daß fast jeder auf rein freiwilligem Beitritt ruhende Zweckverband über den primären Erfolg hinaus, [...] Beziehungen zwischen den Beteiligten zu stiften pflegt, welche Grundlage eines [...] auf ganz heterogene Erfolge ausgerichteten Gemeinschaftshandelns werden können." 6 Da dieser Verweis innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht ohne weiteres aufzulösen ist, spricht manches dafür, daß den ,,Wirtschaftliche[n] Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" ursprünglich ein anderer Text vorangestellt gewesen sein könnte. Orihara und ihm folgend Schluchter haben angenommen, daß es sich dabei um den Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie" gehandelt haben müsse. 7 Allerdings sind in der uns überlieferten Fassung des Kate-

6 Siehe den Text, unten, S. 91. 7 Orihara, Hiroshi, Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft". Die Authentizität der Verweise im Text des „2. u. 3. Teils" der 1. Aufl., in: KZfSS, 46. Jg., 1994, S. 103-121; Schluchter, Webers Beitrag zum Grundriss.

Editorischer

Bericht

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gorienaufsatzes die b e s a g t e n Verweise nicht zuverlässig identifizierbar. 8 Die Frage, ob tatsächlich ein Vorläufer des Kategorienaufsatzes ursprünglich den A n f a n g des älteren Manuskriptes von „Wirtschaft und Gesellschaft" gebildet hat, muß hier offengelassen werden. Es ist dies eigentlich eher unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte ein Kapitel über „Kategorien der wirtschaftlichen O r d n u n g e n " , von d e m uns nur der erste Absatz des n a c h s t e h e n d e n Textes als Fragment erhalten ist, den A n f a n g von „Wirtschaft und Gesellschaft" gebildet haben, 9 während der Text über die „Wirtschaftlichen Bezieh u n g e n der G e m e i n s c h a f t e n im allgemeinen" als Überleitung zu d e n nachf o l g e n d e n Ausführungen über die v e r s c h i e d e n e n Typen der G e m e i n s c h a f ten, b e g i n n e n d mit der Hausgemeinschaft, gedient haben dürfte. Für eine vordere Stellung spricht die Verweisstruktur des n a c h f o l g e n d e n Textes, insb e s o n d e r e ein Vorausverweis, w o n a c h bei „ w i r t s c h a f t e n d e ^ ] Gemeinschaften [...] normalerweise ein gewisses Maß von rationaler Vergesellschaftung" erforderlich sei, w e l c h e s aber „den aus der H a u s g e m e i n s c h a f t e m p o r w a c h s e n d e n , später zu erörternden G e b i l d e n " fehle. 1 0 Eben diese G e b i l d e aber w e r d e n in d e m nächsten Abschnitt e i n g e h e n d a b g e h a n d e l t . Wenn ferner d a v o n die Rede ist, daß Strukturformen d e s Gemeinschaftshandelns ihre Eigengesetzlichkeit besitzen, „wie wir immer wieder sehen w e r d e n , " 1 1 oder darauf hingewiesen wird, daß A d ä q u a n z b e z i e h u n g e n zwis c h e n G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n und Wirtschaftsformen „immer wieder zu besprechen" sein w e r d e n , 1 2 so sind solche Formulierungen nur in einem vorderen Kapitel sinnvoll. Innerhalb des sogenannten „älteren Teils" von „Wirtschaft und Gesellschaft" finden sich insgesamt acht Verweise, die sich nur in d e m n a c h s t e h e n d e n Text auflösen lassen. Sie beziehen sich auf M o n o p o lisierungs- b e z i e h u n g s w e i s e A b s c h l i e ß u n g s m e c h a n i s m e n innerhalb unterschiedlicher Gemeinschaften und sind als Rückverweise formuliert, mit anderen Worten, sie setzen den Inhalt dieses Textes voraus. 1 3 Die b e i d e n aus

8 Weber, Kategorienaufsatz; die möglicherweise zutreffende Textstelle findet sich S. 275. 9 Es ist zu vermuten, daß Max Weber 1919 diesen Text bei der Abfassung des Kapitels über „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens", WuG1, S. 31 ff. (MWG I/23), zugrunde gelegt und dann weggeworfen hat, mit Ausnahme der auf die Grenznutzentheorie bezüglichen Passagen, die er nun für entbehrlich gehalten hat, und die deshalb der Vernichtung entgangen sein dürften. 10 Siehe den Text, unten, S. 96. 11 Siehe den Text, unten, S. 81. 12 Ebd., S. 81. 13 Ein Verweis findet sich im Text „Hausgemeinschaften", unten, S. 124, Anm. 17, und drei Verweise im Text „Ethnische Gemeinschaften", unten, S. 169, Anm. 2, S. 173, Anm. 10. Die anderen vier Verweise befinden sich in den Texten .„Klassen1, .Stände1 und .Parteien'", unten, S.265, Anm. 25, sowie Innerhalb der „Herrschaftssoziologie", WuG1, S.731, 743, 777 (MWG I/22-4). Darüber hinaus finden sich In WuG1 noch fünf Verweise, die sowohl in dem nachstehenden Text als auch an anderen Stellen aufzulösen sind.

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Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen

dem Text herausführenden Verweise sind Vorverweise, die sich auf Ausführungen in den „Hausgemeinschaften" bzw. in der sogenannten „Herrschaftssoziologie" beziehen. 1 4 An eindeutigen Datierungshinweisen findet sich in d e m Text ein Bezug auf den 1909 gegründeten „Verband Deutscher Diplom-Ingenieure". Der 28. Juni 1909 hat als Gründungsdatum des Verbandes daher als Datum post quem für die Entstehung dieses Textes zu gelten. 1 5 Desweiteren enthält der Text einen Hinweis auf den Boykott sozialdemokratischer Versammlungslokale durch Reichswehrangehörige, der im Sommer 1913 aufgehoben wurde. 1 6 Demnach müßte der Text vor diesem Zeitpunkt verfaßt worden sein. Verweise auf zeitgenössische Literatur, die zur genaueren Datierung dienen könnten, finden sich in dem Text nicht. Es gibt also nur wenige Anhaltspunkte für eine Datierung. Gleichwohl spricht vieles dafür, daß dieser Text 1910 bis 1911 niedergeschrieben sein könnte, zumal er und die nachfolgenden Kapitel eine eindeutige Sequenz aufweisen, 1 7 allerdings mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit späterer Veränderungen und Ergänzungen. Der Text weist allerdings keine Spuren einer Einarbeitung der begrifflichen Innovationen des Kategorienaufsatzes in seiner im Logos zum Druck gebrachten Fassung auf, die um die Jahreswende 1912/13 datiert werden kann. 1 8 Veränderungen der Art, wie sie zu diesem Zeitpunkt in d e m Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen" vorgenommen worden sind, sind jedenfalls nirgends erkennbar. Angesichts des Fehlens der Originalmanuskripte sind sichere Aussagen jedoch nicht möglich. Jedenfalls aber müßte der Text vor der Konzipierung der Einteilung vom Frühjahr 1914 entstanden sein, in der eine andere Anordnung ins Auge gefaßt war.

Zur Überlieferung

und

Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung zugrunde gelegt, die in dem Handbuch: Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Lieferung. - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. 181-193, erschienen ist (A).

14 Vgl. d e n Text, unten, S . 9 6 , A n m . 2 9 , S. 106, A n m . 4 8 . 1 5 Siehe d e n Text, unten, S. 83. 16 Vgl. d e n Text, unten, S. 8 9 f . 17 Vgl. die Einleitung, o b e n S. 31 - 3 3 . 18 Brief Max W e b e r s a n Heinrich R i c k e r t v o m 5 . S e p t . 1913, GStA Berlin, Rep. 92, N I . M a x Weber, Nr. 25, Bl. 7 8 - 7 9 ( M W G II/8).

Editorischer

Bericht

75

Die dort verwendete Kapitelüberschrift „Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen" ist bei Weber n i r g e n d w o belegt. Weder in der K o r r e s p o n d e n z n o c h im Stoffverteilungsplan von 1910 oder in der Disposition von 1914 findet sich ein ähnlicher Titel. Wie o b e n im einzelnen d a r g e l e g t ist, s t a m m e n die Titel der Kapitel und auch die Überschriften der P a r a g r a p h e n mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von Weber, s o n d e r n sind später von d e n Erstherausgebern eingefügt w o r d e n . 1 9 Im v o r l i e g e n d e n Fall handelt es sich mit Sicherheit um einen Eingriff der Erstherausgeber. In der Disposition von 1914 hatte Weber innerhalb des Kapitels I einen Abschnitt „Wirtschaftliche Beziehungen der Verbände im allgemeinen" v o r g e s e h e n . 2 0 Dieser Abschnitt ist aber offensichtlich nicht z u s t a n d e g e k o m m e n , und der Titel läßt sich keinem der uns überlieferten Abschnitte innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" zuordnen. A u c h der n a c h s t e h e n d e Text löst d e n Inhalt dieser Überschrift nicht ein, d a er d u r c h w e g von G e m e i n s c h a f t e n und nicht von Verbänden handelt. In A n l e h n u n g an die von Weber autorisierte Formulierung der Disposition von 1914 wird hier daher die Überschrift „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" gewählt. Dieser Titel wird als H e r a u s g e b e r r e d e in eckige Klammern gesetzt und die offensichtlich von den Erstherausgebern gebildete Überschrift im textkritis c h e n A p p a r a t mitgeteilt. Die Paragraphentitel dieses Textes können angesichts der weitreichenden Einwirkung der Erstherausgeber auf die Gestaltung der Titel innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht als authentisch gelten. Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls von den Erstherausg e b e r n eingefügt worden. 2 1 Der Text war in der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" in fünf Paragraphen gegliedert. Der Titel „§ 1. Wesen der Wirtschaft. Wirtschafts-, wirtschaftende und wirtschaftsregulierende Gemeinschaft" hat eher d e n Charakter einer Inhaltsangabe als einer Überschrift. Darüber hinaus wäre anstelle von „Wesen der Wirtschaft" eher „Begriff der Wirtschaft" zu erwarten, eine B e z e i c h n u n g die Weber für eine frühere Definition von Wirtschaft in seinem „Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine (.theoretische') Nationalökonomie" verwendet hat. 2 2 Irreführend ist der Titel „ § 4 . Wirtschaftsformen". In d i e s e m Abschnitt ist vielmehr nur von unterschiedlichen Arten der A u f b r i n g u n g der Kosten des Gemeinschaftshandelns die Rede. Ebenso ist die von den Erstherausgebern

19 Vgl. die Einleitung, oben, S. 60-65. 20 GdS, Abt. I: Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft. Bearb. von Karl Bücher, Joseph Schumpeter, Friedrich von Wieser. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. X - X l (MWG I/22-6). 21 Vgl. die Einleitung, oben, S. 6 0 - 6 5 . 22 Vgl. Weber, Vorlesungs-Grundriß, S. 29.

76

Wirtschaftliche Beziehungen

der Gemeinschaften

im

allgemeinen

gewählte Überschrift „§5. Formen der Wirtschaftsregulierung" viel zu allgemein gehalten. In d e m Textteil ist ausschließlich von d e n A u s w i r k u n g e n der B e d a r f s d e c k u n g des G e m e i n s c h a f t s h a n d e l n s auf die Wirtschaft die Rede. Es ist davon auszugehen, daß es in den n a c h g e l a s s e n e n Manuskripten der Texte über die „Gemeinschaften" überhaupt keine Paragraphen- bzw. Zwischentitel g e g e b e n hat. 2 3 Dies ergibt sich auch aus der f r a g w ü r d i g e n Formulierung der Mehrzahl der in der Erstausgabe befindlichen Überschriften. Daher wird hier auf die W i e d e r g a b e der Paragraphentitel verzichtet; die Überschriften des Erstdrucks w e r d e n j e d o c h im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die P a r a g r a p h e n g l i e d e r u n g als solche wird durch Leerzeilen optisch kenntlich g e m a c h t . Eine Z ä h l u n g der Einzelabschnitte erfolgt nicht. Die A n m e r k u n g e n der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, sondern im textkritischen A p p a r a t w i e d e r g e g e b e n . Die Emendationen stützen sich teilweise auf Ä n d e r u n g e n , die a u c h J o h a n n e s Winckelmann (Hg.), Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

2 3 Vgl. die Einleitung oben, S. 6 0 - 6 5 .

a[Wirtschaftliche

Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen]3

Die Vergemeinschaftungen haben ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl nach irgendwelche Beziehungen zur Wirtschaft. Unter Wirtschaft soll hier nicht, wie ein unzweckmäßiger Sprachgebrauch will, jedes zweckrational angelegte Handeln verstanden werden.1 Ein nach den Lehren irgendeiner Religion zweckmäßig eingerichtetes Gebet um ein inneres „Gut" ist für uns kein Akt des Wirtschaftens. Auch nicht jedes Handeln oder Schaffen, welches dem Prinzip der Sparsamkeit folgt. Nicht nur ist eine, noch so bewußt bei einer Begriffsbildung geübte, Denkökonomie 2 gewiß kein Wirtschaften, sondern auch etwa die Durchführung des künstlerischen Prinzips der „Ökonomie der Mittel" hat mit Wirtschaften nichts zu tun und ist, an Rentabilitätsmaßstäben gemessen, ein oft höchst unökonomisches Produkt immer erneuter vereinfachender Umschaffensarbeit. Und ebenso ist die Befolgung der universellen technischen Maxime des „Optimum": relativ größter Erfolg mit geringstem Aufwand, rein an sich noch nicht Wirtschaften, sondern:

a A: Kapitel I.Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen. In A folgt die Zwischenüberschrift: § 1. Wesen der Wirtschaft. Wirtschafts-, wirtschaftende und Wirtschaftsregulierende Gemeinschaft. 1 Diese Definition von Wirtschaft war um die Jahrhundertwende allgemein verbreitet und fand Aufnahme in Meyers Konversationslexikon. Eine Encyklopädle des allgemeinen Wissens, Band 16, 4. gänzl. umgearb. Aufl. - Leipzig/Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts 1890, S.690f., wo Wirtschaft als „jede auf die Befriedigung von Bedürfnissen, demgemäß auf Erzeugung und Verwendung von Gütern gerichtete schaffende Thätigkeit des Menschen" definiert wurde. Diese Definition wurde auch in der 6. Auflage von 1908 beibehalten. 2 Der Begriff wurde von Ernst Mach geprägt, wie Weber in seinem Aufsatz „Energetische" Kulturtheorien, in: AfSSp, Band 29, 1909, S. 575-598 (MWG I/7), hier: S.575f., ausführte. Für Mach beruht Denkökonomie „auf der Vermeidung aller unnötigen Gedanken, auf der größten Sparsamkeit der Denkoperationen", die durch Wissenschaft erreicht wird. Deren Aufgabe ist es, „möglichst vollständig die Thatsachen mit dem geringsten Gedankenaufwand darzustellen". D. h. Wissenschaft soll Erfahrungen zusammenfassen, so daß die Ergebnisse jedermann verfügbar sind, ohne daß die Erfahrungen erneut gemacht werden müssen. Mach, Ernst, Populärwissenschaftliche Vorlesungen. - Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1896, S. 209-212; ders., Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Historisch kritisch dargestellt. - Leipzig: F. A. Brockhaus 1883, S.461f.

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zweckrational orientierte Technik. Von Wirtschaft wollen wenigstens wir hier vielmehr nur reden, wo einem Bedürfnis oder einem Komplex solcher, ein, im Vergleich dazu, nach der Schätzung des Handelnden, knapper Vorrat von Mitteln und möglichen Handlungen zu seiner Deckung gegenübersteht und dieser Sachverhalt Ursache eines spezifisch mit ihm rechnenden Verhaltens wird. Entscheidend ist dabei für zweckrationales Handeln selbstverständlich: daß diese Knappheit subjektiv vorausgesetzt und das Handeln daran orientiert ist. Alle nähere Kasuistik und Terminologie bleiben hier außer Erörterung. Man kann unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten wirtschaften. Einmal zur Deckung eines gegebenen eigenen Bedarfs. Dieser kann Bedarf für alle denkbaren Zwekke, von der Nahrung bis zur religiösen Erbauung sein, wenn dafür im Verhältnis zum Bedarf knappe Güter oder mögliche Handlungen erforderlich werden. Es ist an sich konventionell, daß man allerdings in spezifisch betontem Sinn an die Deckung der Alltagsbedürfnisse, an den sog. materiellen Bedarf denkt, wenn von Wirtschaft die Rede ist. Gebete und Seelenmessen können in der Tat ebensogut Gegenstände der Wirtschaft werden, wenn die für ihre Veranstaltung qualifizierten Personen und deren Handeln knapp und daher nur ebenso gegen Entgelt zu beschaffen sind, wie das tägliche Brot. Die künstlerisch meist hoch gewerteten Zeichnungen der Buschmänner 3 sind nicht Objekte der Wirtschaft, überhaupt nicht Produkte von Arbeiten im ökonomischen Sinn. Wohl aber werden Produkte künstlerischen Schaffens, die meist weit niedriger gewertet zu werden pflegen, Gegenstände wirtschaftlichen Handelns, wenn der spezifisch ökonomische Sachverhalt: Knappheit im Verhältnis zum Begehr, sich einstellt. Gegenüber der Wirtschaft zur Deckung des eigenen Bedarfs ist die zweite Art des

3 Als Buschmänner wird ein Volksstamm im südlichen Afrika bezeichnet, der ohne festgelegten S t a m m e s v e r b a n d in kleinsten G r u p p e n als Jäger und Sammler lebte. Die Höhlenzeichnungen der Buschmänner, die in Deutschland vor allem Gustav Fritsch bekannt g e m a c h t hat, w u r d e n in der zeitgenössischen Literatur als handwerklich gute Malereien beschrieben und oft als W a n d s c h m u c k gedeutet. Fritsch, Gustav, Drei Jahre in Südafrika. Reiseskizzen nach Notizen des Tagebuchs zusammengestellt. - Breslau: Ferdinand Hirt 1868, S.99, 101; Hahn, Theophilus, Die Buschmänner. Ein Beitrag zur südafrikanischen Völkerkunde, 4. Teil, In: Globus. Illustrlrte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde mit besonderer Berücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie, Band 18, 1870, S. 1 2 0 123.

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Wirtschaftens Wirtschaft zum Erwerb: die Ausnutzung des spezifisch ökonomischen Sachverhalts: | Knappheit begehrter Güter, zur A Erzielung eigenen Gewinns an Verfügung über diese Güter. b Das soziale Handeln kann nun zur Wirtschaft in verschiedenartige Beziehung treten. 0 Gesellschaftshandeln kann, seinem von den Beteiligten subjektiv irgendwie erfaßten Sinne nach, ausgerichtet sein auf rein wirtschaftliche Erfolge: Bedarfsdeckung oder Erwerb. Dann begründet es Wirtschaftsgemeinschaft. Oder es kann sich des eigenen Wirtschaftens als Mittel 0 für die anderweiten Erfolge, auf die es ausgerichtet ist, bedienen: wirtschaftende Gemeinschaften. Oder es finden sich wirtschaftliche mit außerwirtschaftlichen Erfolgen in der Ausgerichtetheit eines Gemeinschaftshandelns kombiniert. Oder endlich: es ist keins von alledem der Fall. Die Grenze der beiden erstgenannten Kategorien ist flüssig. Ganz streng genommen ist der erstgenannte Tatbestand ja nur bei solchen Gemeinschaften vorhanden, welche durch Ausnutzung des spezifisch ökonomischen Sachverhalts Gewinn zu erzielen streben. Also bei den Erwerbswirtschaftsgemeinschaften. Denn alle auf Bedarfsdeckung, gleichviel welcher Art, gerichteten Gemeinschaften bedienen sich des Wirtschaftens nur soweit, als dies nach Lage der Relation von Bedarf und Gütern unumgänglich ist. Die Wirtschaft einer Familie, einer milden Stiftung oder Militärverwaltung, einer Vergesellschaftung zur gemeinsamen Rodung von Wald oder zu einem gemeinsamen Jagdzuge stehen darin einander gleich. Gewiß scheint ein Unterschied zu bestehen: ob ein Gemeinschaftshandeln wesentlich deshalb überhaupt zur Existenz gelangt, um dem spezifisch ökonomischen Sachverhalt bei der Bedarfsdeckung gerecht zu werden, wie dies unter den Beispielen z. B. bei der Rodungsvergesellschaftung der Fall ist, oder ob primär andere Zwecke (Abrichtung für den Kriegsdienst) verfolgt werden, die nur, weil sie eben faktisch auf den ökonomischen Sachverhalt stoßen, das Wirtschaften erzwingen. Tatsächlich ist das aber eine sehr flüssige und nur so weit deutlich vollziehbare Scheidung, als das Gemeinschaftshandeln Züge aufweist, die auch beim Fortdenken des ökonomischen Sachb Dieser Satz hat weder zu den vorherigen noch zu den nachfolgenden Ausführungen eine direkte Anbindung und ist als nachträglicher Einschub anzusehen. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.72. c A: Mittels

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Verhalts, bei Unterstellung also einer Verfügung über praktisch unbeschränkte Vorräte von Gütern und möglichen Handlungen der möglichen Art, die gleichen bleiben müßten. Auch ein weder wirtschaftliche noch wirtschaftende Gemeinschaften darstellendes Gemeinschaftshandeln aber kann in seiner Entstehung, seinem Fortbestand, der Art seiner Struktur und seines Ablaufs durch wirtschaftliche Ursachen, welche auf den ökonomischen Sachverhalt zurückgehen, mitbestimmt sein und ist insoweit ökonomisch determiniert. Umgekehrt kann es seinerseits für die Art und den Verlauf eines Wirtschaftens ein ins Gewicht fallendes ursächliches Moment bilden: ökonomisch relevant sein. Meist wird beides zusammentreffen. Gemeinschaftshandeln, welches weder eine Wirtschaftsgemeinschaft noch eine wirtschaftende Gemeinschaft darstellt, ist nichts Ungewöhnliches. Jeder gemeinsame Spaziergang kann ein solches konstituieren. Gemeinschaften, die nicht ökonomisch relevant sind, sind ebenfalls recht häufig. Einen Sonderfall innerhalb der wirtschaftlich relevanten Gemeinschaften bilden solche, welche zwar ihrerseits keine „Wirtschaftsgemeinschaften" sind, d. h.: deren Organe nicht durch eigene Mitarbeit oder durch konkrete Anordnungen, Gebote und Verbote, den Verlauf einer Wirtschaft kontinuierlich bestimmen, deren Ordnungen aber das wirtschaftliche Verhalten der Beteiligten regulieren: „Wirtschaftsregulierende Gemeinschaften", wie alle Arten politischer, viele religiöse und zahlreiche andere Gemeinschaften, darunter solche, welche eigens zu dem Zweck der Wirtschaftsregulierung vergesellschaftet sind (Fischerei- und Markgenossenschaften u.dgl.). Gemeinschaften, die nicht irgendwie ökonomisch determiniert sind, sind wie gesagt^ 4 höchst selten. Dagegen ist der Grad, in dem dies der Fall ist, sehr verschieden, und vor allem fehlt - entgegen der Annahme der sog. materialistischen Geschichtsauffassung 5 - die Eindeutigkeit der ökonomischen Determiniertheit 4 Siehe oben, S. 77. 5 Anspielung auf die bekannte These des orthodoxen Marxismus, derzufolge die Produktionsverhältnisse den Überbau, d.h. die kulturellen und geistigen Ideale determinieren. Mit dieser Thematik hat sich Weber bereits 1907 in dem Aufsatz Weber, Max, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, in: AfSSp, Band 24, Heft 1, 1907, S. 94-151 (MWG I/7), befaßt. Auch in dem Abschnitt „Recht" von „Wirtschaft und Gesellschaft" setzte sich Weber mehrfach explizit mit Stammler auseinander. Vgl. WuG 1 , S. 378f., 381, 396 (MWG I/22-3).

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des Gemeinschaftshandelns durch ökonomische Momente. Erscheinungen, welche die Analyse der Wirtschaft als „gleich" beurteilen muß, sind sehr häufig mit einer, für die soziologische A183 Betrachtung sehr stark verschiedenen Struktur der sie umschlie5 ßenden oder mit ihnen koexistierenden Gemeinschaften aller Art, auch der Wirtschafts- und wirtschaftenden Gemeinschaften, vereinbar. Auch die Formulierung: daß ein „funktioneller" Zusammenhang der Wirtschaft mit den sozialen Gebilden bestehe, ist ein historisch nicht allgemein begründbares Vorurteil, wenn darunter 10 eine eindeutige gegenseitige Bedingtheit verstanden wird. Denn die Strukturformen des Gemeinschaftshandelns haben, wie wir immer wieder sehen werden, 6 ihre „Eigengesetzlichkeit" und können auch davon abgesehen im Einzelfall stets durch andere als wirtschaftliche Ursachen in ihrer Gestaltung mitbestimmt sein. Dage15 gen pflegt allerdings an irgendeinem Punkt für die Struktur fast aller, und jedenfalls aller „kulturbedeutsamen" Gemeinschaften der Zustand der Wirtschaft ursächlich bedeutsam, oft ausschlaggebend wichtig, zu werden. Umgekehrt pflegt aber auch die Wirtschaft irgendwie durch die eigengesetzlich bedingte Struktur des Gemein20 schaftshandelns, innerhalb dessen sie sich vollzieht, beeinflußt zu sein. Darüber, wann und wie dies der Fall sei, läßt sich etwas ganz Allgemeines von Belang nicht aussagen. Wohl aber läßt sich Allgemeines über den Grad der Wahlverwandtschaft konkreter Strukturformen des Gemeinschaftshandelns mit konkreten Wirtschafts25 formen aussagen, d. h. darüber: ob und wie stark sie sich gegenseitig in ihrem Bestände begünstigen oder umgekehrt einander hemmen oder ausschließen: einander „adäquat" oder „inadäquat" sind. Solche Adäquanzbeziehungen werden wir immer wieder zu besprechen haben. 7 Und ferner lassen sich wenigstens einige allge30 meine Sätze über die Art, wie ökonomische Interessen überhaupt zu Gemeinschaftshandeln bestimmten Charakters zu führen pflegen, aufstellen. 0 d In A folgt die Zwischenüberschrift: § 2 . „ O f f e n e " u n d „ g e s c h l o s s e n e " W i r t s c h a f t s b e z i e hungen. 6 Dieser allgemein formulierte Vorverweis läßt sich nicht eindeutig auflösen. Der angesprochene Sachverhalt findet sich an zahlreichen Stellen Innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft". 7

Desgleichen.

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Eine bei allen Formen von Gemeinschaften sehr häufig vorkommende Art von wirtschaftlicher Bedingtheit wird durch den Wettbewerb um ökonomische Chancen: Amtsstellungen, Kundschaft, Gelegenheit zu okkupatorischem oder Arbeitsgewinn und dergleichen, geschaffen. Mit wachsender Zahl der Konkurrenten im Verhältnis zum Erwerbsspielraum wächst hier das Interesse der an der Konkurrenz Beteiligten, diese irgendwie einzuschränken. Die Form, in der dies zu geschehen pflegt, ist die: daß irgendein äußerlich feststellbares Merkmal eines Teils der (aktuell oder potenziell) Mitkonkurrierenden: Rasse, Sprache, Konfession, örtliche oder soziale Herkunft, Abstammung, Wohnsitz usw. von den anderen zum Anlaß genommen wird, ihren Ausschluß vom Mitbewerb zu erstreben. Welches im Einzelfall dies Merkmal ist, bleibt gleichgültig: es wird jeweils an das nächste sich darbietende angeknüpft. Das so entstandene Gemeinschaftshandeln der einen kann dann ein entsprechendes der anderen, gegen die es sich wendet, hervorrufen. Die gemeinsam handelnden Konkurrenten sind nun unbeschadet ihrer fortdauernden Konkurrenz untereinander doch nach außen eine „Interessentengemeinschaft" geworden, die Tendenz, eine irgendwie geartete „Vergesellschaftung" mit rationaler Ordnung entstehen zu lassen, wächst, und bei Fortbestand des monopolistischen Interesses kommt der Zeitpunkt, wo sie selbst oder eine andere Gemeinschaft, deren Handeln die Interessenten beeinflussen können (z.B. die politische Gemeinschaft), eine Ordnung setzen, welche Monopole zugunsten der Begrenzung des Wettbewerbs schafft, und e fortan zu deren Durchführung, eventuell mit Gewalt, sich bestimmte Personen ein für allemal als „Organe" bereithalten. Dann ist aus der Interessentengemeinschaft eine „Rechtsgemeinschaft" geworden: die Betreffenden sind „Rechtsgenossen". Dieser Prozeß der „Schließung" einer Gemeinschaft, wie wir ihn nennen wollen, ist ein typisch sich wiederholender Vorgang, die Quelle des „Eigentums" am Boden ebenso wie aller zünftigen und anderen Gruppenmonopole. Handle es sich um die „genossenschaftliche Organisation", und das heißt stets: um den nach außen geschlosseA184 nen, mono|polistischen Zusammenschluß von z.B. ihrer örtlichen Provenienz nach bezeichneten Fischereiinteressenten eines be-

e In A folgt: daß

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stimmten Gewässers, oder etwa um die Bildung eines „Verbandes der Diplomingenieure", 8 welcher das rechtliche oder faktische Monopol auf bestimmte Stellen für seine Mitglieder gegen die Nichtdiplomierten zu erzwingen sucht, oder um die Schließung der Teilnahme an den Äckern, Weide- und Allmendnutzungen eines Dorfs gegen Außenstehende, oder um „nationale" Handlungsgehilfen, 9 oder um landes- oder ortsgebürtige Ministerialen, Ritter, Universitätsgraduierte, Handwerker, oder um Militäranwärter oder was sie sonst seien, die zunächst ein Gemeinschaftshandeln, dann eventuell eine Vergesellschaftung entwickeln, - stets ist dabei als treibende Kraft die Tendenz zum Monopolisieren bestimmter, und zwar der Regel nach ökonomischer Chancen beteiligt. Eine Tendenz, die sich gegen andere Mitbewerber, welche durch ein gemeinsames positives oder negatives Merkmal gekennzeichnet sind, richtet. Und das Ziel ist: in irgendeinem Umfang stets Schließung der betreffenden (sozialen und ökonomischen) Chancen gegen 8 Der „Verband Deutscher Diplom-Ingenieure" wurde am 28. Juni 1909 als Standesvertretung der akademischen Ingenieure gegründet, die ihre Interessen im „Verein Deutscher Ingenieure" nicht genug berücksichtigt sahen. Nach der Jahrhundertwende war es zu einem Überschuß an Ingenieuren gekommen, und die Absolventen der Ingenieurs-Mitteischulen wurden in den Betrieben wegen der praxisorientierten Ausbildung gegenüber den akademischen Ingenieuren bevorzugt. Im Gegensatz zum VDI, der für den Erhalt der Mittelschulen eintrat, forderte der VDDI, daß Ingenieure nicht mehr der Arbeitergesetzgebung unterliegen sollten sowie die Errichtung von Berufskammern nach dem Vorbild der Anwalts- und Ärztekammern und den Schutz der Berufsbezeichnung für Absolventen der Technischen Hochschulen. Von den 13000 Ingenieuren, die zwischen 1900 und 1910 an den Technischen Hochschulen ausgebildet wurden, waren 1910 1000 und 1913 4000 Mitglieder im Verband. Vgl. Lang, Alexander, Ein Jahr Verband Deutscher Diplom-Ingenieure, in: Zeitschrift des Verbandes deutscher Diplom-Ingenieure, Band 1, 1910, S.333349; ders., Der Verband deutscher Diplom-Ingenieure und die Diplom-Ingenieure bei den Kommunal-Verwaltungen, in: ebd., Band 4, 1913, S. 256-267; König, Wolfgang, Die Ingenieure und der VDI als Großverein in der wilhelminischen Gesellschaft. 1900-1918, S. 247-259, in: Ludwig, Karl-Heinz, (Hg.), Technik, Ingenieure und Gesellschaft. Geschichte des Vereins deutscher Ingenieure 1856-1981. - Düsseldorf: VDI-Verlag 1981, S. 235-288. 9 Dies bezieht sich vermutlich auf den Deutschen Handlungsgehilfenverband, der im September 1893 gegründet worden war, um dem sozialdemokratischen Einfluß auf diese Berufsgruppe entgegenzuwirken. Seine nationalkonservative Ausrichtung wurde am 1. Dezember 1895 durch die Umbenennung in Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband zum Programm. Der Verband beanspruchte den Rang einer Gewerkschaft; wegen seines großen sozialpolitischen Engagements wuchs seine Mitgliederzahl sehr schnell auf 160.000 im Jahr 1914. Er lehnte Auseinandersetzungen über die Lohnfrage und Streiks ab und bemühte sich, für seine Mitglieder eine Monopolstellung bei der Stellenvergabe zu erreichen. Offiziell war der Verband politisch neutral, jedoch bestanden enge Beziehungen zum Alldeutschen Verband.

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Außenstehende. Diese Schließung kann, wenn erreicht, in ihrem Erfolg sehr verschieden weit gehen. Namentlich insofern, als die Zuteilung monopolistischer Chancen an die einzelnen Beteiligten dabei in verschiedenem Maße definitiv sein kann. Jene Chancen können dabei innerhalb des Kreises der monopolistisch Privilegierten entweder ganz „offen" bleiben, so daß diese unter sich frei darum weiter konkurrieren. So z. B. bei den auf Bildungspatentbesitzer bestimmter Art: geprüfte Anwärter auf irgendwelche Anstellungen bezüglich dieser, oder z. B. Handwerker mit Meisterprüfung bezüglich des Kundenwettbewerbs oder der Lehrlingshaltung, in ihrer Zugänglichkeit beschränkten Chancen. Oder sie können irgendwie auch nach innen „geschlossen" werden. Entweder so, daß ein „Turnus" stattfindet: die kurzfristige Ernennung mancher Amtspfründeninhaber gehörte dem Zweck nach dahin. Oder so, daß die einzelnen Chancen nur auf Widerruf an Einzelne vergeben werden. So bei den in der „strengen" Flurgemeinschaft z.B. des russischen Mir 10 an die Einzelnen vergebenen Verfügungsgewalten über Äcker. Oder so, daß sie lebenslänglich vergeben werden - die Regel bei allen Präbenden, Ämtern, Monopolen von Handwerksmeistern, Allmendackerrechten, namentlich auch ursprünglich beif den Ackerzuteilungen innerhalb der meisten flurgemeinschaftlichen Dorfverbände u. dgl. Oder so, daß sie endgültig an den Einzelnen und seine Erben vergeben werden und nur eine Verfügungsgewalt des einzelnen Prätendenten im Wege der Abtretung an andere nicht zugelassen wird oder doch die Abtretung auf den Kreis der Gemeinschaftsgenossen beschränkt ist: der x/o]Qog,11 die Kriegerpräbende des Altertums, die Dienstlehen der Ministerialen, f Fehlt in A; bei sinngemäß ergänzt. 10 Bezeichnung für die sogenannten Umteilungsgemeinden in Rußland, die sich in Abgrenzung zu dem häufig analog verwendeten Begriff „Obschtschina" eher auf die Gemeindemitglieder bezieht. In diesen Gemeinden wurde den einzelnen Bauern ihr Anteil des kommunalen Landbesitzes in periodischen Abständen von der Dorfgemeinschaft zugewiesen. Die Gemeinden hafteten bis 1903 kollektiv für die Steuerzahlungen und bestimmten über die Aufnahme in bzw. Ausweisung aus der Dorfgemeinschaft. Im europäischen Teil Rußlands waren über 80% des Ackerlandes im Besitz von Umteilungsgemeinden, wobei ihre Bedeutung in den westlichen Gouvernements eher gering war. 11 Kleros (griech.: Landlos) bezeichnet in Griechenland ein in erblichem Privateigentum befindliches Grundstück, im Gegensatz zu den Grundstücken der Götter oder des Königs innerhalb des Gemeindelandes. Weber benutzt den Begriff hier im spezifischeren Sinn als Versorgungsgrundlage der wehrhaften Bürger einer Polis.

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Erbämter- und Erbhandwerkermonopole gehören dahin. Oder schließlich so, daß nur die Zahl der Chancen geschlossen bleibt, der Erwerb jeder einzelnen aber auch ohne Wissen und Willen der anderen Gemeinschafter durch jeden Dritten vom jeweiligen Inhaber möglich ist, so wie bei den Inhaberaktien. Wir wollen diese verschiedenen Stadien der mehr oder minder definitiven inneren Schließung der Gemeinschaft Stadien der Appropriation der von der Gemeinschaft monopolisierten sozialen und ökonomischen Chancen nennen. Die völlige Freigabe der appropriierten Monopolchancen zum Austausch auch nach außen: ihre Verwandlung in völlig „freies" Eigentum, bedeutet natürlich die Sprengung der alten monopolisierten Vergemeinschaftung, als deren caput mortuum nun sich appropriierte Verfügungsgewalten als „erworbene Rechte" in der Hand der Einzelnen im Güterverkehr befinden. Denn ausnahmslos alles „Eigentum" an Naturgütern ist historisch aus der allmählichen Appropriation monopolistischer Genossenanteile entstanden, und Objekt der Appropriation waren, anders als heute, nicht nur konkrete Sachgüter, sondern ganz ebenso soziale und ökonomische Chancen aller denkbaren Art. Selbstverständlich ist Grad und Art der Appropriation und ebenso die Leichtigkeit, mit der sich der Appropriationsprozeß im Innern der Gemeinschaft überhaupt vollzieht, sehr verschieden je nach der technischen Natur der Objekte und der Chancen, um die es sich handelt und welche die Appropriation 9 in | sehr verschiedenem A 185 Grade nahelegen können. Die Chance z. B. aus einem bestimmten Ackerstück durch dessen Bearbeitung Unterhalts- oder Erwerbsgüter zu gewinnen, ist an ein sinnfälliges und eindeutig abgrenzbares sachliches Objekt: eben das konkrete unvermehrbare Ackerstück gebunden, was in dieser Art etwa bei einer „Kundschaft" nicht der Fall ist. Daß das Objekt selbst erst durch Meliorierung Ertrag bringt, also in gewissem Sinn selbst „Arbeitsprodukt" der Nutzenden wird, motiviert dagegen die Appropriation nicht. Denn das pflegt bei einer acquirierten „Kundschaft" zwar in anderer Art, aber in noch weit höherem Maß zuzutreffen. Sondern rein technisch ist eine „Kundschaft" nicht so leicht - sozusagen - „einzutragen" wie ein Stück Grund und Boden. Es ist naturgemäß, daß auch das Maß der Appropriation darnach verschieden weit zu gehen g A: Appropriation,

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pflegt. Aber hier kommt es darauf an, festzuhalten: daß prinzipiell die Appropriation in einem wie im andern Fall der gleiche, nur verschieden leicht durchführbare Vorgang ist: die „Schließung" der monopolisierten, sozialen oder ökonomischen, Chancen auch nach Innen, den Genossen gegenüber. Die Gemeinschaften sind darnach in verschiedenem Grade nach außen und innen „offen" oder „geschlossen".11 Diese monopolistische Tendenz nimmt nun spezifische Formen an, wo es sich um Gemeinschaftsbildungen von Menschen handelt, welche andern gegenüber durch eine gleiche, vermittelst Erziehung, Lehre, Übung zu erwerbende periodische Qualität ausgezeichnet sind: durch ökonomische Qualifikationen irgendwelcher Art, durch gleiche oder ähnliche Amtsstellung, durch ritterliche oder asketische oder sonst irgendwie spezifizierte Richtung der Lebensführung und ähnliches. Hier pflegt das Gemeinschaftshandeln, wenn es eine Vergesellschaftung aus sich hervortreibt, dieser die Formen der „Zunft" zu geben. Ein Kreis von Vollberechtigten monopolisiert die Verfügung über die betreffenden ideellen, sozialen und ökonomischen Güter, Pflichten und Lebensstellungen als „Beruf". Er läßt nur den zur vollen Ausübung des gleichen Berufs zu, der 1. ein Noviziat zwecks geregelter Vorbildung durchgemacht, 2. seine Qualifikation dargetan, 3. eventuell noch weitere Karenzzeiten und Leistungen hinter sich hat. In ganz typischer Art wiederholt sich das von den pennalistischen Vergesellschaftungen des Studententums12 bis zu den Rittereinungen13 einerseits, den Zünften der Handwerker andererseits und den Qualifikationserfordernissen der moderh In A folgt die Zwischenüberschrift: § 3. Gemeinschaftsformen und ökonomische Interessen. 12 Pennalismus, abgeleitet von d e m iat. Penna (die Feder), bezeichnet das Dienstverhältnis zwischen neuen und älteren Studenten an den Universitäten Im 16. und 17. Jahrhundert. Die neuen Studenten galten in der Regel ein Jahr 6 Monate und 6 Tage als nicht gleichberechtigt und mußten die unterschiedlichsten Schikanen über sich ergehen lassen, bis sie nach einem Aufnahmezeremoniell Mitglied der „Nationen" wurden. Seine Hochzeit erlebte der Pennalismus während des dreißigjährigen Krieges. Seitdem wurde er von Universitäten und Behörden bekämpft und 1654 auf dem Reichstag von Regensburg verboten. 13 Die Rittereinungen des 14. und 15. Jahrhunderts waren genossenschaftliche Vereinigungen von Angehörigen des niederen Adels. Sie konstituierten sich durch Eid und gemeinsames Mahl und dienten speziell d e m Fehdeschutz Ihrer Mitglieder und der Gewährleistung des Landfriedens. Darüber hinaus waren sie auch ein Machtinstrument in den Auseinandersetzungen mit den Landesherren.

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nen Beamten und Angestellten. Dabei kann zwar überall auch das Interesse an der Sicherung der guten Leistung mitspielen, an welcher alle Beteiligten unbeschadet ihrer eventuell fortbestehenden Konkurrenz untereinander ideell und materiell mitinteressiert sein 5 können: die örtlichen Handwerker im Interesse des guten Rufs ihrer Waren, Ministerialen und Ritter einer bestimmten Einung im Interesse des Rufs ihrer Tüchtigkeit und auch direkt im eigensten Interesse ihrer militärischen Sicherheit, Asketengemeinschaften aus dem Interesse heraus, daß die Götter und Dämonen nicht durch 10 falsche Manipulationen gegen alle Beteiligten erzürnt werden (wer z. B. bei einem rituellen Singtanz falsch singt, wird ursprünglich bei fast allen „Naturvölkern" alsbald zur Sühne erschlagen).14 Normalerweise aber steht voran das Interesse an der Einschränkung des Angebots von Anwärtern auf die Pfründen und Ehren der betref15 fenden Berufsstellung. Die Noviziate und Karenzzeiten ebenso wie die „Meisterstücke" und was sonst gefordert wird (namentlich: ausgiebige Regalierung der Genossen) stellen oft mehr ökonomische als eigentliche Qualifikationsansprüche an die Anwärter. Solche monopolistischen Tendenzen und ihnen verwandte öko20 nomische Erwägungen haben historisch oft eine bedeutende Rolle bei der Hemmung der Ausbreitung von Gemeinschaften gespielt. Die attische Bürgerrechtspolitik der Demokratie z. B., welche den Kreis der an den Vorteilen des Bürgerrechts Teilnehmenden zunehmend zu schließen trachtete, hat der politischen Machtexpan25 sion Schranken | gesetzt.15 Eine ökonomische Interessenkonstella- A 186 14 Die Verhängung der Todesstrafe bei falscher Ausführung ritueller Tänze war bei Naturvölkern weit verbreitet. Schurtz, Altersklassen, S. 373, berichtet über Tanzrituale auf dem Bismarck-Archipel: „Verliert einer der Tänzer seine Kopfmaske oder fällt er so hin, dass deren Spitze die Erde berührt, so wird er getötet." Breysig, Kurt, Die Völker ewiger Urzeit, Band 1: Die Amerikaner des Nordwestens und des Nordens. - Berlin: Georg Bondi 1907, S. 151,311 ff., erwähnt dieTötung von Jünglingen bei Indianerstämmen des amerikanischen Nordwestens im Falle falscher Tanzschritte bei den Ritualen der Männerweihe. Ähnliches berichtet Schurtz, Altersklassen, S. 363, aus dem Nordwesten Afrikas und aus Brasilien. 15 Bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. wurden in Athen nur Kinder von einem attischen Vater in die Bürgerrechtslisten eingetragen. Nach 451 v.Chr. mußten sogar beide Elternteile das Bürgerrecht Athens besitzen. Infolge dieser strengen Bürgerrechtspolitik standen für die vielfältigen Verwaltungs- und Militäraufgaben nur eine geringe Anzahl von Bürgern zur Verfügung. Daneben verhinderte sie eine Annäherung an die Mitglieder des delisch-attischen Seebundes, die zunehmend als Untertanen angesehen wurden. Vgl. Meyer, Eduard, Geschichte des Alterthums, Band 4: Das Perserreich und die Griechen. - Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1901, S. 12ff. (hinfort: Meyer, Geschichte des Altertums, Band 4).

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tion anderer, aber letztlich doch ähnlicher Art brachte die Propaganda des Quäkertums zum Stillstand. 16 Das ursprüngliche religiös gebotene Bekehrungsinteresse des Islam fand seine Schranken an dem Interesse der erobernden Kriegerschicht: daß eine nicht islamische und daher minderberechtigte Bevölkerung dabliebe, welcher die für den Unterhalt der vollberechtigten Gläubigen erforderlichen Abgaben und Lasten auferlegt werden konnten - ein Sachverhalt, welcher den Typus abgibt für sehr viele ähnliche Erscheinungen. Typisch ist auf der andern Seite der Fall, daß Menschen „von" der Übernahme der Interessenvertretung oder in anderer Art von der Existenz einer Gemeinschaft ideell oder auch ökonomisch ihre Existenz fristen und daß infolgedessen das Gemeinschaftshandeln propagiert wird, fortbesteht und sich zur Vergesellschaftung entwickelt in Fällen, wo dies sonst vielleicht nicht eingetreten wäre. Ideell kann ein solches Interesse in der verschiedensten Art begründet sein: die Ideologen der Romantik und ihre Nachzügler z. B. haben im 19. Jahrhundert zahlreiche verfallende Sprachgemeinschaften „interessanter" Völkerschaften erst zu bewußter Pflege ihres Sprachbesitzes erweckt. Deutsche Gymnasiallehrer und Professoren haben kleine slawische Sprachgemeinschaften, mit denen sie sich beschäftigten und über die sie Bücher zu schreiben das ideelle Bedürfnis fühlten, vor dem Untergang bewahren helfen. 17 Immerhin ist dieses rein ideologische „Leben" einer Gemeinschaft ein nicht so tragfähiger Hebel[,] wie ihn die ökonomische Interessiertheit abgibt. Wenn insbesondre eine Gruppe von Menschen je16 Dies bezieht sich wahrscheinlich auf den sogenannten Quietismus der Quäker, der sich Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte. Wegen ihrer neutralen Haltung während der amerikanischen Revolution stießen die Quäkergemeinden in der amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend auf Ablehnung, und ihre politischen Parteien mußten sich nach der Gründung der Vereinigten Staaten auflösen. Als Reaktion darauf stellten die Quäker ihre Missionierung ein, schotteten sich zunehmend nach außen ab und konzentrierten sich auf die eigene Gemeinschaft. 17 Auf welche Sprachen hier speziell Bezug genommen wird, konnte nicht ermittelt werden. Um die Jahrhundertwende befaßten sich im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Polnischen im Osten Preußens eine Reihe von Wissenschaftlern mit den Resten slawischer Sprachen vor allem in Pommern. Unter den nicht an eine Universität angebundenen Wissenschaftlern ist Friedrich Lorentz hervorzuheben, der sich insbesondere mit den slovinzischen Dialekten befaßt hat. Vgl. Lorentz, Friedrich, Slovinzische Grammatik. Leipzig: Voss 1903; ders., Slovinzische Texte. - St. Petersburg: Akademie der Wissenschaften 1905.

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manden dafür bezahlt, daß er zu planvoller Wahrnehmung der allen gemeinsamen Interessen sich ständig (als „Organ") bereit hält und handelt, oder wenn eine solche Interessenvertretung sich sonstwie direkt oder indirekt „bezahlt" macht, so ist damit eine Vergesellschaftung geschaffen, die unter allen Umständen eine starke Garantie für den Fortbestand des Gemeinschaftshandelns darstellt. Mag es sich etwa um die entgeltliche Propaganda von (verhüllten oder unverhüllten) Sexualinteressen oder von anderen „ideellen" oder endlich von ökonomischen Interessen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden k und ähnlichen Organisationen) handeln, sei es in Gestalt von in Stücklohn bezahlten Vortragsrednern oder von in1 Gehalt entlohnten „Sekretären" und dergleichen, immer sind nun Personen da, welche „berufsmäßig" an der Erhaltung der vorhandenen und der Gewinnung neuer Mitglieder interessiert sind. Ein planmäßiger rationaler „Betrieb" ist an die Stelle des intermittierenden und irrationalen Gelegenheitshandelns getreten und funktioniert weiter, auch wenn der ursprüngliche Enthusiasmus der Beteiligten selbst für ihre Ideale längst verflogen ist. Eigentlich „kapitalistische" Interessen können in der allerverschiedensten Art an der Propaganda eines bestimmten Gemeinschaftshandelns interessiert sein. So z. B. wie die Besitzer von Vorräten deutschen Frakturdruckmaterials an der fortdauernden Verwendung dieser „nationalen" Schriftform. 18 Oder so, wie diejenigen Gastwirte, welche trotz des Militärboykotts ihre Räume für

k A: Arbeitgeberverbänden,

I Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt.

18 Die Frakturschrift war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch in Deutschland verbreitet. Der Streit um diese „deutsche Schrift" zog sich durch das ganze 19. Jahrhundert. Goethe betrachtete die Frakturschrift als Leseschrift für das gemeine Volk und Antiqua als Schrift für die Gebildeten. Vgl. Kapr, Albert, Fraktur: Form und Geschichte der gebrochenen Schriften. - Mainz: Hermann Schmidt 1993, S. 6 3 - 6 7 . Die Gebrüder Grimm waren vehemente Gegner der Frakturschrift, weil diese im Ausland nicht gelesen werden könne und somit die deutsche Bildungselite isoliere. Vgl. die Vorbemerkung in „Deutsches Wörterbuch" von J a c o b Grimm und Wilhelm Grimm, Band 1. - Leipzig: Hirzel 1854, S. U l f . Eine Entscheidung im „Schriftenstreit" w u r d e auch in der Reichstagssitzung v o m 4. Mai 1911 nicht getroffen, weil das Parlament nicht beschlußfähig war. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, II. Session, Band 2 6 6 . - B e r l i n : Norddeutsche Buchdruckerei 1911, S . 6 3 6 1 - 6 3 7 8 .

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sozialdemokratische Versammlungen zur Verfügung halten, 19 an der Mitgliederzahl der Partei. Ungezählte Beispiele dieses Typus liegen für jede Art von Gemeinschaftshandeln jedermann nahe. Das allen Fällen derartiger ökonomischer Interessiertheit, sei es seitens der Angestellten oder seitens kapitalistischer Mächte, Gemeinsame ist: daß das Interesse am „Inhalt" der gemeinsamen Ideale der Mitglieder notwendig hinter dem Interesse an dem Fortbestand oder der Propaganda der Gemeinschaft rein als solchem, gleichviel welches der Inhalt ihres Handelns ist, zurücktritt. Ein großartiges Beispiel dieser Art ist die vollkommene Entleerung der amerikanischen Parteien von festen sachlichen Idealen. 20 Das größte ist aber natürlich die typische Verknüpfung kapitalistischer Interessen mit der Expansion politischer Gemeinschaften, wie es von jeher bestanden hat. Einerseits ist die Möglichkeit der Beeinflussung des Wirtschaftslebens durch diese Gemeinschaften außerordentlich groß, und andererseits können sie sich zwangsweise ungeheure Einkünfte verschaffen und darüber disponieren, so daß sich an ihnen, direkt und indirekt, am meisten verdienen läßt; diA 187 rekt durch entgeltliche | Übernahme von Leistungen oder durch Bevorschussung von Einkünften, indirekt durch Ausbeutung von Objekten, welche sie politisch okkupieren. Das Schwergewicht des kapitalistischen Erwerbs lag in der Antike und in der beginnenden Neuzeit in solchen durch Beziehungen zur politischen Gewalt rein als solcher zu erzielenden „imperialistischen" Gewinnen, und es m verschiebt sich heute wieder zunehmend nach dieser Richtung hin.

m A: er 19 Die Militärbehörden des Deutschen Kaiserreichs verboten Soldaten den Besuch von Lokalen, in denen sozialdemokratische Versammlungen stattfanden. Vielerorts übernahmen auch die Kriegervereine diese Verbote, so daß die Gastronomlebetriebe wirtschaftliche Verluste erlitten. Gastwirte, die dennoch der SPD Versammlungsräume zur Verfügung stellten, mußten ihre Einbußen durch sozialdemokratische Gäste kompensieren. Im Laufe der Jahre wurde die beabsichtigte Behinderung der sozialdemokratischen Parteiarbeit immer unerheblicher, so daß am 20. Juni 1913 der Reichstag den Reichskanzler schließlich ersuchte, auf eine Beendigung des Boykotts hinzuwirken. 20 Dies bezieht sich auf das sogenannte „spoils system", in dem sich die amerikanischen Partelen nicht an festen politischen Inhalten orientieren, sondern ihre Ziele an dem Wählerinteresse ausrichten und bei einem Wahlsieg ihre wichtigste Aufgabe in der Versorgung Ihrer Mitglieder durch Verwaltungsposten sehen. Vgl. Bryce, James, The American Commonwealth, Vol. II, second Edition. - London and New York: Macmillan and Co. 1890, S. 125 ff.

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Jede Ausdehnung des Machtgebiets einer solchen Gemeinschaft vermehrt dann die Gewinnchancen der betreffenden Interessenten. Diesen ökonomischen Interessen, welche in der Richtung der Propagierung einer Gemeinschaft wirken, treten nun, außer den schon besprochenen monopolistischen Tendenzen, 21 unter Umständen andere Interessen entgegen, welche gerade umgekehrt durch die Geschlossenheit und Exklusivität einer Gemeinschaft gespeist werden. Wir stellten schon früher allgemein fest, 22 daß fast jeder auf rein freiwilligem Beitritt ruhende Zweckverband über den primären Erfolg hinaus, auf den das vergesellschaftete Handeln ausgerichtet ist, Beziehungen zwischen den Beteiligten zu stiften pflegt, welche Grundlage eines unter Umständen auf ganz heterogene Erfolge ausgerichteten Gemeinschaftshandelns werden können: an die Vergesellschaftung knüpft sich regelmäßig eine „übergreifende" Vergemeinschaftung. Natürlich nur bei einem Teil der Vergesellschaftungen, denjenigen11 nämlich, deren Gemeinschaftshandeln eine irgendwelche, nicht rein geschäftliche, „persönliche" gesellschaftliche Berührung voraussetzt. Die Qualität eines „Aktionärs" zum Beispiel erwirbt man ohne alle Rücksicht auf persönlich-menschliche Eigenschaften und regelmäßig ohne Wissen und Willen der Mitbeteiligten rein kraft eines ökonomischen Tauschakts über die Aktie. Ähnliches gilt für alle diejenigen Vergesellschaftungen, welche den Beitritt von einer rein formalen Bedingung oder Leistung abhängig machen und auf die Prüfung der Person des Einzelnen verzichten. Dies ist besonders häufig bei gewissen Arten von reinen Wirtschaftsgemeinschaften, ebenso bei manchen Vereinen mit rein politischem Zweck der Fall und wird im allgemeinen überall um so mehr zur Regel, je rationaler und spezialisierter der Zweck der Vereinigung ist. Immerhin gibt es der Vergesellschaftungen sehr viele, bei denen einerseits die Zulassung, ausdrücklich oder stillschweigend, gewisse spezifische Qualifikationen voraussetzt und bei denen andererseits, im Zusammenhang damit, jene übergreifende Vergemeinschaftung regelmäßig stattfindet. n A: d e m j e n i g e n 2 1 Siehe oben, S. 8 2 - 8 6 . 2 2 Ein sehr kurz und allgemein gehaltener B e z u g s p u n k t findet sich in: Weber, Kategorienaufsatz, S. 275.

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Dies ist natürlich besonders dann der Fall, wenn die Gemeinschaften 0 die Zulassung jedes neuen Beteiligten an eine Prüfung und Zustimmung zur Aufnahme seiner Person knüpfen. Der einzelne Beteiligte wird dann, normalerweise wenigstens, nicht nur nach seinen Funktionen und nach seiner für den ausdrücklichen Zweck des 5 Verbandes wesentlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch nach seinem „Sein", nach der Wertschätzung seiner Gesamtpersönlichkeit von Seiten der anderen Mitbeteiligten geprüft. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Vergesellschaftungen darnach zu klassifizieren, wie stark oder wie schwach dieses Auslesemoment bei ihnen wirkt. 10 Genug, daß es bei den allerverschiedensten Arten tatsächlich existiert. Eine religiöse Sekte nicht nur, sondern ebenso ein geselliger Verein, etwa ein Kriegerverein, selbst ein Kegelklub läßt im allgemeinen niemanden zur Beteiligung zu, dessen Gesamtpersönlichkeit von den anderen Beteiligten verworfen wird. Eben dies nun 15 „legitimiert" den Zugelassenen nach außen, Dritten gegenüber, weit über seine für den Zweck des Verbandes wichtigen Qualitäten hinaus. Die Beteiligung am Gemeinschaftshandeln ferner schafft ihm Beziehungen („Konnexionen"), welche zu seinen Gunsten ebenfalls weit über den Kreis der speziellen Verbandszwecke wirk- 20 sam werden. Es ist daher etwas Alltägliches, daß Leute einem religiösen oder studentischen oder politischen oder anderen Verband angehören, obwohl ihnen die dort gepflegten Interessen an sich durchaus gleichgültig sind, lediglich um jener wirtschaftlich nutzbaren „Legitimationen" und „Konnexionen" willen, welche diese Zu- 25 gehörigkeit mit sich bringt. Während nun diese Motive an sich einen starken Anreiz zur Beteiligung an der Gemeinschaft zu enthalten und also ihre Propagierung zu fördern scheinen, wirkt in gerade entgegengesetztem Sinn das Interesse der Beteiligten daran, A 188 jene Vorteile zu | monopolisieren und auch in ihrem ökonomischen 30 Nutzwert dadurch zu steigern, daß sie auf einen möglichst kleinen und exklusiven Kreis beschränkt bleiben. Und je kleiner und exklusiver er ist, desto höher steht neben dem direkten Nutzwert überdies auch das soziale Prestige, welches die Zugehörigkeit verleiht. 35 Endlich ist noch eine häufige Beziehung zwischen Wirtschaft und Gemeinschaftshandeln kurz zu streifen: die bewußte Inauso A: Gemeinschafter

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sichtstellung konkreter wirtschaftlicher Vorteile im Interesse der Propagierung und Erhaltung einer primär außerwirtschaftlichen Gemeinschaft. Sie pflegt naturgemäß besonders da aufzutreten, wo mehrere Gemeinschaften ähnlicher Art miteinander um Mitglieder konkurrieren. So namentlich politische Parteien und religiöse Gemeinschaften. Die amerikanischen Sekten konkurrieren durch Arrangement von künstlerischen und anderen Darbietungen und Unterhaltungen aller Art einschließlich des Sports, durch Unterbietung in den Bedingungen der Zulassung geschiedener Gatten zur Einsegnung neuer Ehen (das schrankenlose Unterbieten auf diesem Gebiet ist neuestens durch eine reguläre „Kartellbildung eingeschränkt worden). 23 Die religiösen und politischen Parteien veranstalten neben Landpartien und ähnlichem noch allerhand Gründungen von „Jugendverbänden", „Frauengruppen" u.dgl., und überall beteiligen sie sich eifrig an rein kommunalen oder andern an sich unpolitischen Angelegenheiten, die ihnen Gelegenheit geben, in Konkurrenz miteinander lokalen Privatinteressenten ökonomische Gefälligkeiten zu erweisen. Die Invasion kommunaler oder genossenschaftlicher oder anderer Gemeinschaften durch solche politische, religiöse und andere Gruppen ist in sehr starkem Maße ganz direkt dadurch ökonomisch bedingt, daß sie Gelegenheit gibt, Funktionäre der Gemeinschaft direkt durch Amtspfründen und soziales Prestige zu versorgen und damit zugleich die Kosten des eignen Betriebs auf andre Gemeinschaften zu überwälzen. Kommunale oder genossenschaftliche oder Konsumvereinsämter, Ämter in Krankenkassen und Gewerkschaften und Ähnliches sind Objekte, die sich dazu eignen. Und in größtem Maßstab selbstverständlich politische Ämter und Pfründen oder andre, von der politischen Gewalt zu vergebende, soziale oder als Versorgungsgelegenheiten geschätzte Stellungen, die Universitätsprofessuren ein23 Dies bezieht sich vermutlich auf Erfahrungen, die Weber w ä h r e n d seiner USA-Reise 1904 anläßlich eines Vortrages im Rahmen der Weltausstellung in St. Louis g e m a c h t hat. An anderer Stelle schreibt Weber: „Vielfach waren daher Kartelle zwischen d e n konkurrierenden Denominationen üblich, [...] zur Ausschließung der [...] leichtfertigen Trauung eines [...] G e s c h i e d e n e n . Hier sollten, angeblich, einige Baptistengemeinschaften zeitweise lax gewesen sein, während sowohl der katholischen wie der lutherischen (Missouri-) Kirche korrekte Strenge nachgerühmt wurde, die aber bei b e i d e n d e n Mitgliederbestand (angeblich) schmälerte." Weber, Max, Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, in: GARS, Band 1. - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1920, S. 2 0 7 - 2 3 6 , hier: S . 2 1 1 , Anm. 1 (MWG I/9).

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geschlossen. Das „parlamentarische" System bietet Gemeinschaften aller Art, wenn sie hinlänglich stark an Zahl sind, die Möglichkeit, sich ähnlich den politischen Parteien selbst - zu deren normalem Wesen gerade dies gehört - derartige Versorgungsmittel für ihre Führer und Mitglieder zu verschaffen. In unserem Zusammenhang ist speziell nur die allgemeine Tatsache festzustellen: daß auch die direkte Schaffung ökonomischer Organisationen, namentlich zu propagandistischen Zwecken, seitens außerökonomischer Gemeinschaften verwendet wird. Ein beträchtlicher Teil des modernen karitativen Betriebs der religiösen Gemeinschaften dient ihm. Erst recht die Gründung von „christlichen", „liberalen", „sozialistischen", „nationalen" Gewerkschaften und Hilfskassen, die Gewährung von Gelegenheit zum Sparen und zur Versicherung. In sehr großem Maßstabe ferner die Konsumvereins- und Genossenschaftsgründung: bei manchen italienischen Genossenschaften mußte der Beichtzettel vorgelegt werden, um Arbeit zu erhalten.24 Für die Polen in Deutschland13 ist die Organisation des Kredits, der Entschuldung, der Ansiedlung in ungewöhnlich großartiger Weise entwickelt,25 und die russischen Parteien aller Richtungen beschritten in der Revolutionszeit01 sofort systematisch ähnliche

p In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber a n : V o r 1918. (Anm. d. Herausgeb.), q In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 2 ) 1905-1906 (Anm. d. Herausgeb.). 24 Eine entsprechende Genossenschaft konnte nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlich bezieht sich dies auf katholische Genossenschaften und Gewerkschaften, die die Kirche während der Auseinandersetzungen mit dem italienischen Nationalstaat gegründet hatte. Dieser Konflikt ging so weit, daß 1870 eine päpstliche Bulle bei Androhung der Exkommunikation die Teilnahme an staatlichen Wahlen verbot. Um die Jahrhundertwende gründete die katholische Kirche mehrere Genossenschaften, um ihre bäuerliche Klientel nicht an bürgerliche und sozialistische Organisationen zu verlieren. 25 Die ersten langfristig bestehenden polnischen Genossenschaften in Preußen wurden zu Beginn der 1860er Jahre gegründet und entwickelten bald ein System der Kreditvermittlung, das durch Kreditgenossenschaften erweitert wurde. Als Reaktion auf das am 7. April 1886 verabschiedete preußische Ansiedlungsgesetz entstanden polnische Banken, die polnischen Kleinbauern bei der Parzellierung von agrarischen Großbetrieben günstige Kredite zur Verfügung stellten. Nach der Novelle des Ansiedlungsgesetzes 1904 verlegten sich diese Institute auf die Vergabe von Hypotheken und die Umschuldung polnischer Betriebe, um zu verhindern, daß diese von der Ansiedlungskommission aufgekauft wurden. Aus politischen und nationalen Motiven legten auch Polen aus anderen Teilen des Reiches ihre Sparguthaben bei diesen Banken an, was zu einem raschen Anwachsen des verfügbaren Kapitals und damit des Geschäftsumfanges führte.

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höchst moderne Wege. 26 Gründung von Erwerbsbetrieben: Banken, Hotels (wie die sozialistische „Hotellerie du Peuple" in Ostende) 27 und schließlich auch von gewerblichen Produktionsbetrieben (auch in Belgien) kommen ebenfalls vor. Die im Besitz der Macht 5 innerhalb einer politischen Gemeinschaft befindlichen Gruppen, namentlich also das Beamtentum, pflegen dann zur Erhaltung ihrer eigenen Machtstellung ähnliche Wege zu beschreiten, von der Züchtung „patriotischer" Vereine und Veranstaltungen aller Art mit Gewährung ökonomischer Vorteile angefangen bis zur Schaf10 fung von bürokratisch kontrollierten Kreditfonds („Preußen- A189 kasse") 28 und ähnlichem. Die technischen Einzelheiten aller dieser Mittel der Propaganda gehören nicht hierher. Das Mit- und Gegeneinanderwirken von einerseits propagandistisch, andererseits monopolistisch wirkenden ökonomischen Inter15 essen innerhalb aller möglichen Arten von Gemeinschaften war hier nur im allgemeinen festzustellen und durch einige besonders typische Beispiele zu illustrieren. Es weiter ins Einzelne zu verfolgen^] müssen wir uns versagen, da dies eine Spezialuntersuchung aller einzelnen Arten von Vergesellschaftungen bedingen würde/ 20 Wir haben vielmehr nur noch in Kürze der allernächst liegenden Art der Verknüpfung von Gemeinschaftshandeln mit „Wirtschaft" zu gedenken: des Umstandes, daß außerordentlich viele Gemeinr In A folgt die Zwischenüberschrift: § 4. Wirtschaftsformen. 26 Welche konkreten „Wege" hier gemeint sind, ist nicht eindeutig zu klären. In seiner Schrift „Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus" bezieht sich Weber insbesondere auf „die Schaffung der verschiedenen .Wohlfahrtseinrichtungen1 zu sozialen Herrschaftszwecken" (MWG 1/10, S.559f.). 27 Weber kannte das „Hotel du Peuple" in Ostende aus eigener Anschauung. Im August 1903 hatte er dort einige Tage gewohnt und vor allem für bemerkenswert erachtet, daß ihm dort „kleine Beamte und bessere Arbeiter" sowie einige belgische „Fabrikarbeiter" begegneten. Vgl. Briefe Max Webers an Marianne Weber vom 20., 21. und 22. Aug. 1903; Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). 28 Allgemein eingebürgerter Name für die am 1. Oktober 1895 gegründete „Preußische Zentralgenossenschaftskasse", die als zentrales genossenschaftliches Kreditinstitut kleineren Landwirtschafts- und Handwerksbetrieben Personalkredite gewährte, um so der zunehmenden Verschuldung der ländlichen Betriebe entgegenzuwirken. Der preußische Staat brachte das Betriebskapital ein. Vgl. Ruhland, Gustav, Ein Dokument zur Entstehungsgeschichte der „Preußenkasse", in: ders., Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge, hg. vom Bund der Landwirte. - Berlin: Kairos Verlag für aktuelle Wirtschaftspolitik 1910, S. 112-116; Heiligenstadt, Carl, Central-Genossenschafts-Kasse, Preußische, in: HdStW1, 2. Supplementband. - Jena: Gustav Fischer 1897, S. 280-302.

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Schäften „wirtschaftende" Gemeinschaften sind. Damit sie dies sein können, ist allerdings normalerweise ein gewisses Maß von rationaler Vergesellschaftung erforderlich. Nicht unentbehrlich: den aus der Hausgemeinschaft emporwachsenden, später zu erörternden Gebilden 29 fehlt sie. Aber sie ist das durchaus Normale. Ein zur rationalen „Vergesellschaftung" entwickeltes Gemeinschaftshandeln besitzt, wenn es ökonomischer Güter und Leistungen für das Gesellschaftshandeln bedarf, eine gesatzte Regel, nach der jene aufgebracht werden. Prinzipiell kann dies geschehen in folgenden „reinen" Typen (deren Beispiele wir möglichst dem politischen Gemeinschaftsleben entlehnen, weil dieses die entwickeltsten Systeme für ihre Aufbringung besitzt): 1. „oikenmäßig", d.h. rein gemeinwirtschaftlich und rein naturalwirtschaftlich: Auferlegung direkter persönlicher Naturalleistungen der Gemeinschafter nach festen Regeln, gleich für alle oder spezifiziert („allgemeine" Wehrpflicht der Kriegstauglichen und spezifizierte Militärdienstpflicht als „Ökonomiehandwerker") und Umlegung der sachlichen Bedarfsgegenstände (z. B. für die fürstliche Tafel oder für die Heeresverwaltung) in Form von festen pflichtmäßigen Naturalabgaben. Ihre Verwendung erfolgt in Form einer nicht für den Absatz arbeitenden Gemeinwirtschaft, welche einen Teil des Gemeinschaftshandelns bildet (z.B.: ein rein eigenwirtschaftlicher^] grundherrschaftlicher oder fürstlicher Haushalt, (der reine Typus des „Oikos") 30 oder z.B. im speziellen eine ganz auf Naturaldienst und Naturalabgaben ruhende Ordnung der Heeresverwaltung, wie annähernd - in Altägypten) s . 31 - 2. Abgaben und (marktmäßig): als s Klammer fehlt in A. 29 Siehe unten, S. 1 1 9 - 1 2 6 , 1 5 0 f „ 1 5 4 - 1 6 1 , und WuG 1 , S . 6 8 2 f . (MWG I / 2 2 - 4 ) . 30 Von Karl Rodbertus g e p r ä g t e B e z e i c h n u n g für einen autarken landwirtschaftlichen Haushalt in der Antike, der im Idealfall alle benötigten G e b r a u c h s g e g e n s t ä n d e mit eigenen Sklaven produziert und die benötigten Rohstoffe aus d e n eigenen Ländereien gewinnen kann, so daß ein Produkt während seines g a n z e n produktiven Prozesses nicht den Eigentümer wechselt. Vgl. Rodbertus, Zur Geschichte der römischen Tributsteuern, Teil II, S. 343. 31 Das g e s a m t e ägyptische Steuersystem beruhte auf Naturalabgaben. Von der Landwirtschaft w u r d e n bis zu 2 0 % der Ernteerträge eingezogen, und Handwerker mußten einen Teil ihrer Produktion an d e n Staat a b g e b e n . Mit diesen A b g a b e n versorgte der ägyptische Staat d e n Königshof, seine Beamten und die Armee, wobei zur Besoldung der Truppen, insbesondere der Söldner, darüber hinaus die Erträge aus G o l d b e r g w e r k e n eine wichtige Rolle spielten. Innerhalb der A r m e e bildete der Kriegsadel, der vom Streitwagen

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Pflicht auferlegte Steuern, (regelmäßige) Beiträge oder an bestimmte Vorgänge geknüpfte Gelegenheitsabgaben in Geldform seitens der Gemeinschafter nach bestimmten Regeln, geben die Möglichkeit zur Beschaffung der Mittel für die Bedarfsdeckung 5 auf dem Markt, also durch Ankauf von sachlichen Betriebsmitteln, Miete von Arbeitern, Beamten, Söldnern. - Die Abgaben können daher auch Kontributionscharakter haben. So die Belastung aller Personen, auch der am Gemeinschaftshandeln sonst nicht beteiligten, welche entweder a) an gewissen Vorteilen und Chancen, wel10 che die Gemeinschaft darbietet, namentlich an Leistungen eines durch die Gemeinschaft geschaffenen gesellschaftlichen Gebildes (z. B. einer Grundbuch- oder anderen „Behörde") oder wirtschaftlichen Guts (z.B. einer von ihr gebauten Chaussee) teilnehmen, nach dem Prinzip eines speziellen Leistungsentgelts (Gebühren im 15 technischen Wortsinn) - oder welche b) einfach rein physisch in die faktische Machtsphäre der Gemeinschaft geraten (Abgaben von bloßen Gebietsinsassen, Zölle von Personen und Gütern beim Passieren des beherrschten Gebiets). - 3. Erwerbswirtschaftlich-, durch Marktabsatz von Produkten oder Dienstleistungen'eines eigenen 20 Betriebs, der einen Teilbestandteil des Gemeinschaftshandelns darstellt und dessen Gewinne für die Gesellschaftszwecke verwendet werden. Dieser kann ein „freier" Betrieb ohne formelle Monopolgarantie sein (Preußische Seehandlung, 32 Grande Chartreuse 33 ) oder ein monopolistischer Betrieb, wie sie in der Vergangenheit 25 und auch in der Gegenwart (Post) | zahlreich vorhanden waren und A 190 sind. Es liegt auf der Hand, daß zwischen diesen drei rein begrifflich konsequentesten Typen jede Art von Kombination möglich ist.

aus kämpfte, die militärisch wichtigsten Einheiten. U m sich selbst ausrüsten und sich ganz auf die Kriegführung konzentrieren zu können, w u r d e n dieser Kriegerschicht umfangreiche Ländereien und die benötigten Arbeitskräfte v o m Staat übertragen. 32 Die 1772 durch Friedrich den Großen g e g r ü n d e t e Preußische Seehandlungs-Gesellschaft besaß als staatliche Schiffahrtslinie zahlreiche Handelsmonopole (z.B. Salzhandel). Seit Beginn des 19. Jahrhunderts z u n e h m e n d auch in Geldgeschäften tätig, wurde die Seehandlung 1820 in ein selbständiges Bankinstitut umgewandelt, das allerdings der Aufsicht des preußischen Finanzministeriums unterstand. 1918 erfolgte schließlich die U m b e n e n n u n g In Preußische Staatsbank. 33 Das 1084 g e g r ü n d e t e Stammkloster Grande Chartreuse des Kartäuserordens bei Grenoble produzierte einen gleichnamigen Kräuterlikör und finanzierte sich weitgehend durch dessen Verkauf.

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Naturalleistungen können in Geld „abgelöst", Naturalien auf dem Markt in Geld verwandelt werden, die Sachgüter des Erwerbsbetriebs können direkt durch Naturalabgaben oder auf dem Markt aus den durch Geldabgaben aufgebrachten Mitteln beschafft, überhaupt die Bestandteile dieser einzelnen „Typen" miteinander kombiniert werden, wie dies tatsächlich die Regel ist. - 4. Mäzenatisch: durch rein freiwillige Beiträge ökonomisch dazu Befähigter 1 und irgendwie am Gesellschaftszweck materiell oder ideell Interessierter", seien sie nun im übrigen Teilnehmer der Gemeinschaft oder nicht (typische Form der Bedarfsdeckung von religiösen und Parteigemeinschaften: Stiftungen für religiöse Zwecke, Subventionierung von Parteien durch Großgeldgeber; ebenso aber: Bettelorden und die freiwilligen „Geschenke" an die Fürsten der Frühzeit). Es fehlt die feste Regel und Verpflichtung und der Zusammenhang von Leistung und sonstiger Beteiligung am Gemeinschaftshandeln: der Mäzen kann ganz außerhalb des Kreises der Beteiligten stehen. - 5. Durch privilegier ende Belastung - und zwar positiv oder negativ privilegierend. a) Die positiv privilegierende Belastung findet nicht nur, aber hauptsächlich statt gegen Garantie eines bestimmten ökonomischen oder sozialen Monopols und umgekehrt: bestimmte privilegierte Stände oder monopolisierte Gruppen sind ganz oder teilweise abgabenfrei. Die Abgaben und Leistungen werden also nicht nach allgemeinen Regeln der einzelnen Vermögensund Einkommensstufen oder den (prinzipiell wenigstens) frei zugänglichen Besitz- und Erwerbsarten auferlegt, sondern sie werden gefordert je nach der Art der bestimmten, Einzelnen oder Gruppen durch die Gemeinschaft garantierten, spezifisch ökonomischen oder politischen oder anderen Machtstellungen und Monopole (Rittergutsbesitz, zünftige und ständische Steuerprivilegien oder Spezialabgaben). Und zwar als „Korrelat" oder als „Entgelt" dieser privilegierenden Garantie oder Appropriation. Die Art der Bedarfsdeckung schafft oder fixiert dann also eine monopolistische Gliederung der Gemeinschaftsbeteiligten auf der Grundlage der „Schließung" der sozialen und ökonomischen Chancen der einzelnen Schichten. Zu dieser Form der Bedarfsdeckung gehören begrifflich auch, als wichtiger Sonderfall, alle unter sich höchst ver-

t A: befähigter

u A: interessierter

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schiedenen Formen der „feudalen" oder „patrimonialen" Deckung des Bedarfs an politischen Machtmitteln, welche mit appropriierten Machtstellungen für die Leistung des vergesellschafteten Handelns selbst verknüpft sind (der Fürst als solcher hat im ständischen Gemeinwesen prinzipiell die Lasten des politischen Gemeinschaftshandelns aus seinem patrimonialen Besitz zu bestreiten, die feudalen Teilhaber an der politischen oder patrimonialen Gewalt und sozialen Ehre: Vasallen, Ministerialen usw. bringen die Kriegsund Amtsbedürfnisse aus eignen Mitteln auf). Bei dieser Art der Bedarfsdeckung handelt es sich meist um Abgaben und Leistungen in natura (ständisch-naturale privilegierende Bedarfsdeckung). Es können aber, auf dem Boden des Kapitalismus, ganz analoge Vorgänge privilegierender Bedarfsdeckung auftreten: die politische Gewalt garantiert z. B. einer Gruppe von Unternehmern ausdrücklich oder indirekt ein Monopol und legt ihnen dafür direkt oder in Abgabenform Kontributionen auf. Diese in der „merkantilistischen" Epoche verbreitete Form der privilegierenden Belastung hat in der Gegenwart wieder eine zunehmende Rolle zu spielen begonnen (Branntweinsteuer in Deutschland). 34 - b) Die negativ privilegierende Bedarfsdeckung ist die leiturgische: es werden ökonomisch kostspielige Leistungen spezifizierter Art an eine bestimmte Höhe des nackten^ nicht monopolistisch privilegierten Vermögensbesitzes rein als solchen, eventuell unter den Qualifizierten im Turnus umgehend, geknüpft (Trierarchen 35 und Chore-

3 4 Der Versuch Bismarcks, 1886 ein Reichsbranntweinmonopol einzuführen, stieß einerseits bei den ostelbischen Gutsbetrieben wegen ihrer Kartoffelbrennereien auf Widerstand. Der Reichstag hingegen lehnte das Gesetz ab, weil er In dem Verkauf von Brennrechten eine Einnahmequelle der Regierung vermutete, die nicht der parlamentarischen Budgetgewalt unterlag. 1887 wurde daraufhin eine einheitliche Branntweinsteuer geschaffen, die als Verbrauchsabgabe ein bestimmtes Kontingent sehr niedrig besteuerte. Erst die darüber hinausgehende Produktion unterlag dem vollen Steuersatz. 1908/09 wurde erneut über die Branntweinsteuer im Reichstag diskutiert, wobei letztere „Liebesgabe" für die Brennereien der Großgrundbesitzer der Hauptstreltpunkt war. 3 5 Mit der Einführung der Trierarchie (abgeleitet von Triere, Dreiruderer) im Jahr 483/82 v. Chr. durch Themistokles wurde den reichsten Bürgern Athens für ein Jahr die Instandhaltung jeweils eines Kriegsschiffes auferlegt. Wegen der hohen Kosten konnten sich ab 410 v. Chr. 2 Trierarchen den Unterhalt teilen und ab 357 v. Chr. mußten 60 Personen (Symmorie) für ein Schiff aufkommen. Die Schiffe wurden vom Staat gestellt und In der Regel auch bemannt.

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gen 3 6 in Athen, Zwangssteuerpächter in den hellenistischen Staaten): Klassenleiturgie; - oder sie werden mit bestimmten Monopolgemeinschaften derart verbunden, daß die Pflichtigen im Interesse der gesellschaftlichen Bedarfsdeckung diesen Monopolgemeinschaften sich nicht einseitig entziehen dürfen, sondern an sie ge- 5 A 191 bunden sind (solidarisch haftend). Zwangszünfte | Altägyptens und des späten Altertums, 37 erbliche Gebundenheit der russischen Bauern an die für die Steuern haftende Dorfgemeinschaft, 3 8 mehr oder minder starke Schollenfestigkeit der Colonen und Bauern aller Zeiten und Solidarhaft ihrer Gemeinden für die Steuern und 10 eventuell: Rekruten, Solidarhaft der römischen Dekurionen 3 9 für die von ihnen zu erhebenden Abgaben usw.: Standesleiturgie. - D i e zuletzt (Nr. 5) genannten Arten der Aufbringung des Gemeinschaftsbedarfs sind der Natur der Sache nach normalerweise auf anstaltsmäßige Zwangsgemeinschaften (vor allen die politischen) 15 beschränkt/ Die Arten der Bedarfsdeckung, stets das Resultat von Interessenkämpfen, haben oft weittragende Bedeutung jenseits ihres direkten Zweckes. D e n n sie können in starkem Maße „wirtschaftsregu-

v In A folgt die Zwischenüberschrift: § 5. Formen der Wirtschaftsregulierung.

36 Für staatliche Feste wurde einzelnen Bürgern die Aufstellung und Finanzierung eines Chores auferlegt. Ursprünglich nur Chorleiter, mußten die Choregen schließlich u . a . für Kleidung und Nahrung des von Ihnen aufgestellten Choreis aufkommen. Als Lohn fiel d e n Choregen die Hauptehre des Sieges bei den Gesangswettkämpfen zu. 37 Nach d e m Vorbild eines erblichen Priesterstandes entwickelte sich In Ä g y p t e n durch A n w e r b u n g libyscher Söldner ein erblicher Kriegerstand, bis schließlich zu Beginn des 1. Jahrtausends sämtliche Berufe erblich wurden und ein Wechsel des G e w e r b e s oder die A u s ü b u n g mehrerer Berufe gesetzlich verboten wurde. Eine ähnliche Entwicklung, die zu erblichen Zwangsberufen führte, setzte Im 4. Jahrhundert n. Chr. im Römischen Reich ein. 38 Die in U m t e i l u n g s g e m e i n d e n (Mir) lebenden Bauern durften w e g e n der kollektiven Steuerhaftung nur mit Zustimmung der übrigen Dorfbewohner aus der G e m e i n d e ausscheiden. Vgl. oben, S. 84, Anm. 10. 39 Als Decurlonen wurden vor allem die Stadträte In Städten römischen u n d latinischen Rechts bezeichnet, denen die inneren Verwaltungsaufgaben oblagen. Die Mitgliedschaft setzte Unbescholtenheit, freie Geburt und ein ausreichendes Einkommen voraus. Die Decurlonen hafteten persönlich und bis zur Zelt Konstantins solidarisch für das Steueraufkommen Ihrer Gemeinden. Das Amt entwickelte sich Im Z u g e der wirtschaftlichen Krisen im 3. Jahrhundert n.Chr. von einem Ehrenamt zu einem erblichen Z w a n g s s t a n d , zu d e m auch Zwangsrekrutierungen möglich waren.

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lierende" Ordnungen zur Folge haben (wie namentlich die zuletzt genannten Arten) und, wo dies nicht direkt der Fall ist, dennoch die Entwicklung und Richtung des Wirtschaftens sehr stark beeinflussen. So z.B. die standesleiturgische Bedarfsdeckung für die „Schließung" der sozialen und ökonomischen Chancen und die Fixierung der Ständebildung und 3 damit für die Ausschaltung der privaten Erwerbskapitalbildung. So ferner jede umfassende gemeinwirtschaftliche oder erwerbswirtschaftliche oder Monopole schaffende Bedarfsdeckung. Die beiden ersteren stets in der Richtung der Ausschaltung der privaten Erwerbswirtschaft, die letztere je nach den Umständen sehr verschieden, immer natürlich in der Richtung der Verschiebung, zuweilen in der der Stimulierung, zuweilen der Hemmung der privatkapitalistischen Gewinnchancen. Das kommt auf Maß, Art und Richtung des staatlich geförderten Monopolismus an. Der zunehmende Übergang des Römerreichs zur standesleiturgischen (und daneben teilweise zur gemeinwirtschaftlichen) Bedarfsdeckung erstickte den antiken Kapitalismus. Die erwerbswirtschaftlichen Gemeinde- und Staatsbetriebe der Gegenwart verschieben teils, teils verdrängen sie den Kapitalismus: die Tatsache, daß die deutschen Börsen seit der Verstaatlichung der Eisenbahnen keine Eisenbahnpapiere mehr notieren, 40 ist für ihre Stellung nicht nur, sondern für die Art der Vermögensbildung wichtig. Jede Begünstigung und Stabilisierung von Monopolen in Verbindung mit staatlichen Kontributionen (wie etwa in der deutschen Branntweinsteuer 41 usw.) schränkt die Expansion des Kapitalismus ein (ein Beispiel: die Entstehung rein gewerbli-

a Fehlt in A; und sinngemäß ergänzt..

40 N a c h der R e i c h s g r ü n d u n g trat Bismarck aus politischen G r ü n d e n für die Vereinheitlic h u n g d e s w e i t g e h e n d privaten d e u t s c h e n E i s e n b a h n n e t z e s ein, d o c h lehnten die Bund e s s t a a t e n aus f ö d e r a l i s t i s c h e n G r ü n d e n eine Ü b e r f ü h r u n g der E i s e n b a h n e n in Reichsbesitz ab. Z w i s c h e n 1879 und 1884 w u r d e n die E i s e n b a h n e n z u n ä c h s t In Preußen verstaatlicht. Die Eisenbahnaktien w u r d e n in festverzinsliche Staatspapiere u m g e t a u s c h t , die nicht mehr frei g e h a n d e l t w e r d e n konnten. U m d e n Ankauf ihrer Elsenbahnlinien d u r c h Preußen zu verhindern, verstaatlichten die B u n d e s s t a a t e n ebenfalls die meisten Privatbahnen. 41 Vgl. o b e n , S . 9 9 , A n m . 3 4 .

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eher Brennereien). 42 Die Handels- und Kolonialmonopole des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit stimulierten umgekehrt zunächst - da unter den gegebenen Umständen nur durch Monopolisierung ausreichender Gewinnspielraum für eine kapitalistische Unternehmung zu sichern war - die Entstehung des Kapitalismus. Im weiteren Verlauf aber - so in England im 17. Jahrhundert - wirkten sie dem Rentabilitätsinteresse des das Optimum der Anlagechancen suchenden Kapitals entgegen und stießen daher auf erbitterte Opposition, der sie erlagen. 43 Die Wirkung ist also im Fall der steuerbedingtSn Monopolprivilegien nicht eindeutig. Eindeutig der kapitalistischen Entwicklung günstig ist dagegen die rein abgabenmäßige und marktmäßige Bedarfsdeckung, also, ins Extreme gesteigert gedacht, die Deckung möglichst b allen Bedarfs 0 der Verwaltung durch Vergebung auf dem freien Markt. Mit Einschluß z.B. auch der Vergebung der Heeresanwerbung und „Ausbildung" an private Unternehmer (wie die condottieri in der beginnenden Neuzeit es waren) und der Aufbringung aller Mittel durch Geldsteuern. Dies System setzt natürlich vollentwickelte Geldwirtschaft, ferner aber, rein verwaltungstechnisch, einen streng rationalen und präzis funktionierenden und das heißt: „bürokratischen" Verwaltungsmechanismus voraus. Speziell gilt dies für die Besteuerung des beweglichen „Besitzes", welche überall, und gerade in der „Demokratie", eigenartigen Schwierigkeiten begegnet. Diese sind hier kurz zu erörtern, weil sie unter den gegebeb A: alles Bedarfs an 4 2 Nach dem Branntweinsteuergesetz von 1887 wurde jeweils ein bestimmtes Produktionskontingent zu einem niedrigen Satz besteuert, und begünstigte damit die kleinen und mittleren Brennereien der ostelbischen Gutsbesitzer, die fast sämtlich dem gemäßigten Steuersatz unterlagen. Die Kritiker des Gesetzes hoben hervor, daß dadurch Neugründungen von Brennereien außerordentlich erschwert würden, während der Marktanteil der landwirtschaftlichen Brennereien faktisch garantiert würde. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode. I. Session, Band 1. Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei und Verlags-Anstalt 1887, S. 519-521. 4 3 Für die englische Krone war die Vergabe von Monopolen seit Elisabeth I. eine vom Unterhaus unabhängige Geldquelle. Der Kampf des Parlaments gegen die Monopolvergabe (1624 Antimonopolstatut, 1640 Aufhebung wichtiger Monopole) war in erster Linie politisch motiviert, fand allerdings eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit wegen der durch die Monopole bedingten Preissteigerungen und der Behinderung des Wettbewerbs zugunsten von Höflingen. 1689 wurde die Vergabe von Monopolen schließlich an die Zustimmung des Unterhauses gebunden, so daß die englischen Inlandsmonopole fast gänzlich verschwanden.

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nen Bedingungen der abendländischen Zivilisation in hohem Maße an der Entwicklung des spezifisch modernen Kapitalismus mitbeteiligt waren. Jede Art von | Belastung des Besitzes als sol- A chen ist überall, auch wo die Besitzlosen den Einfluß in Händen haben, an gewisse Schranken gebunden, wenn den Besitzenden das Ausscheiden aus der Gemeinschaft möglich ist. Das Maß dieser Möglichkeit hängt nicht nur, wie selbstverständlich, von dem Grade der Unentbehrlichkeit der Zugehörigkeit gerade zu dieser konkreten Gemeinschaft für sie ab, sondern ebenso von der durch die Eigenart des Besitzes bestimmten, ökonomischen Gebundenheit an eben jene Gemeinschaft. Innerhalb der anstaltsmäßigen Zwangsgemeinschaften, also in erster Linie der politischen Gebilde, sind alle Arten von gewinntragender Besitzverwertung, welche in besonders starkem Maße an Grundbesitz gebunden sind, spezifisch abwanderungsunfähig 0 , im Gegensatz zu den „beweglichen", das heißt: den in Geld oder spezifisch leicht in Geld austauschbaren Gütern bestehenden, nicht ortsgebundenen Vermögen. Austritt und Abwanderung von besitzenden Schichten aus einer Gemeinschaft läßt nicht nur die Abgabelast der darin Verbleibenden stark anwachsen, sondern kann auch in einer auf dem Markttausch und namentlich auf dem Arbeitsmarkttausch ruhenden Gemeinschaft die unmittelbaren Erwerbschancen der Besitzlosen (namentlich ihre Arbeitsgelegenheit) so stark beeinträchtigen, daß sie um dieser unmittelbaren Wirkung willen auf den Versuch einer rücksichtslosen Heranziehung des Besitzes zu den Gemeinschaftslasten verzichten, ja ihn sogar ganz bewußt privilegieren. Ob dies geschieht[,j hängt von der ökonomischen Struktur der betreffenden Gemeinschaft ab. Für den attischen Demos, der in starkem Maß von Tributen der Untertanen lebte und unter einer Wirtschaftsordnung stand, für welche der Arbeitsmarkt im modernen Sinn des Wortes noch nicht die Klassenlage der Massen beherrschend bestimmte, traten die erwähnten Motive und Rücksichten hinter dem stärker wirkenden Anreiz direkter Auferlegung von Kontributionen auf den Besitz zurück. Unter modernen Verhältnissen ist es meist umgekehrt. Gerade solche Gemeinschaften, in welchen die Besitzlosen den maßgebenden Einfluß ausüben, ver-

c A: abwandrungsunfähig

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fahren heute nicht selten sehr schonsam gegen den Besitz. Speziell in den Händen sozialistischer Parteien befindliche Gemeinwesen, wie etwa die Stadt Catania, haben Fabriken durch weitgehende Privilegierung geradezu gezüchtet, 44 weil die erhoffte Erweiterung der Arbeitsgelegenheit, also die unmittelbare Besserung ihrer Klassenlage, den Anhängern wichtiger war als die „gerechte" Besitzverteilung und Besteuerung. Wohnungsvermieter, Baugeländebesitzer, Detaillisten, Handwerker pflegen trotz aller Interessengegensätze im Einzelfall ebenso zuerst an das nächstliegende, durch die Klassenlage direkt bestimmte Interesse zu denken, und alle Arten von „Merkantilismus" sind daher eine bei allen Gattungen von Gemeinschaften verbreitete, im einzelnen sehr abwandlungsfähige und in den mannigfachsten Formen bestehende Erscheinung. Um so mehr als auch das Interesse an der Erhaltung der „Steuerkraft" und an dem Vorhandensein von großen, zur Kreditgewährung fähigen Vermögen innerhalb der eigenen Gemeinschaft, den an der Machtstellung der Gemeinschaft als solcher andern Gemeinschaften gegenüber Interessierten, eine ähnliche Behandlung des irgendwie „beweglichen" Besitzes aufnötigt. Der „bewegliche" Besitz hat daher, selbst wo die Macht in einer Gemeinschaft in den Händen der Besitzlosen liegt, wenn nicht immer für direkte „merkantilistische" Privilegierung, so doch für weitgehende Verschonung mit leiturgischer oder abgabemäßiger Belastung überall da eine weitgehende Chance, wo eine Vielzahl von Gemeinschaften, zwischen denen er für seine Ansiedelung die Wahl hat, miteinander konkurrieren, wie etwa die Einzelstaaten der amerikanischen Union - deren partikularistische Selbständigkeit der wesentliche Grund des Scheiterns aller ernstlichen Einigung der bedarfskapitalistischen Interessen ist - oder in be44 Dies bezieht sich auf die M u n i z i p a i i s i e r u n g s b e w e g u n g in Italien, die um die J a h r h u n d e r t w e n d e zahlreiche K o m m u n a l b e t r i e b e hervorbrachte. So w u r d e in C a t a n i a im H e r b s t 1902 eine G e m e i n d e b ä c k e r e i g e g r ü n d e t , die Innerhalb kürzester Zelt eine M o n o p o l s t e l lung erlang. Diese, mit einer t ä g l i c h e n Brotproduktion v o n 4 5 - 6 0 Tonnen w a h r s c h e i n l i c h „größte Bäckerei Europas", mußte Im A u g u s t 1906 allerdings w i e d e r schließen, d a die G e m e i n d e aus sozialen G r ü n d e n Rücksicht auf die e h e m a l i g e n B e s c h ä f t i g t e n d e s privaten B ä c k e r g e w e r b e s n e h m e n mußte u n d die Bäckerei selbst In finanzielle S c h w i e r i g k e i t e n geriet. Darüber hinaus verstieß sie g e g e n ein G e s e t z aus d e m Jahre 1903, d a s italienis c h e n G e m e i n d e b e t r i e b e n eine M o n o p o l s t e l l u n g untersagte. Vgl. Michels-Llndner, Gisela, G e s c h i c h t e der m o d e r n e n G e m e i n d e b e t r i e b e in Italien (Schriften d e s Vereins für Socialpolitik, B a n d 130, Teil 2). - Leipzig: D u n c k e r & H u m b l o t 1909, S. 7 4 - 9 3 .

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schränktem, aber dennoch fühlbarem Maße, die Kommunen eines Landes oder schließlich die ganz und namentlich unabhängig nebeneinanderstehenden politischen Gebilde. Im übrigen ist natürlich die Art der Lastenverteilung im stärksten Maße mitbestimmt einerseits durch die Machtlage der verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gemeinschaft zueinander, andererseits durch die Art der Wirtschaftsordnung. Jedes | An- A193 wachsen oder Vorwalten naturalwirtschaftlicher Bedarfsdeckung drängt zum Leiturgiesystem. So stammt das ägyptische Leiturgiesystem aus der Pharaonenzeit und ist die Entwicklung des spätrömischen Leiturgiestaats nach ägyptischem Muster durch den stark naturalwirtschaftlichen Charakter der Binnengebiete, welche einverleibt wurden und die relativ sinkende Bedeutung und Gewichtigkeit der kapitalistischen Schichten bedingt, welche ihrerseits wieder durch die den Steuerpächter und die Auswucherung der Untertanen ausschaltende Umwandlung der Herrschaftsstruktur und Verwaltung herbeigeführt wurde. Vorwaltender Einfluß des „beweglichen" Besitzes führt umgekehrt überall zur Abwälzung der leiturgiemäßigen Deckung der Lasten seitens der Besitzenden und zu einem Leistungs- und Abgabensystem, welches die Massen belastet. An Stelle der leiturgisch nach dem Besitz abgestuften, auf Selbstausrüstung der vermögenden Bürger ruhenden Wehrpflicht trat in Rom die faktische Militärdienstfreiheit der Leute vom Ritterzensus45 und das staatlich equipierte Proletarierheer, anderwärts das Soldheer, dessen Kosten durch Massenbesteuerung gedeckt wurden. An Stelle der Aufbringung des außerordentlichen Bedarfs durch Vermögenssteuer oder zinslose Zwangsanleihe, also leiturgisches Einstehen der Besitzenden für den Notbedarf der Gemeinschaftswirtschaft, tritt im Mittelalter überall die Deckung durch verzinsliche Anleihen, Verpfändung von Land, Zöllen und andern Abgaben, - also die Fruktifizierung des Notbedarfs der Gemeinschaftswirtschaft durch die Besitzenden als Gewinn- und Rentenquelle, ein Zustand, der zuweilen - so zeitweise in Genua -

45 Die römische Bürgerschaft wurde zum Zweck der Besteuerung in Zensusklassen eingeteilt, wobei der Ritterzensus die zweithöchste Klasse war. Ursprünglich stellte die Ritterschaft die römische Reiterei, doch war sie kein einheitlicher Stand, da in Ihr fast alle Berufsgruppen vertreten waren. Besonders häufig traten Ritter als Steuerpächter, Im Offizierskorps und in der kaiserlichen Verwaltung In Erscheinung.

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fast den Charakter der Verwaltung der Stadt und ihrer Steuerkraft im Interesse der Staatsgläubigerinstitutionen an sich trägt. 46 Und endlich: die mit wachsendem politisch bedingtem Geldbedarf zunehmende Gesuchtheit des Kapitals seitens der verschiedenen miteinander um die Macht konkurrierenden, ihren Bedarf immer mehr geldwirtschaftlich deckenden, politischen Gebilde zu Beginn der Neuzeit führte d damals jenes denkwürdige Bündnis zwischen den staatenbildenden Gewalten und den umworbenen und privilegierten Kapitalmächten herbei, welches zu den wichtigsten Geburtshelfern der modernen kapitalistischen Entwicklung gehörte und der Politik jener Epoche mit Recht den Namen der „merkantilistischen" eingetragen hat. Obwohl es an sich, wie wir sahen, 47 „Merkantilismus" im Sinn der faktischen Schonung und Privilegierung des „beweglichen" Besitzes überall und immer gab und auch heute gibt, wo überhaupt mehrere selbständige Zwangsgebilde nebeneinander stehen und mit den Mitteln der Steigerung der Steuerkraft und zur Kreditgewährung fähigen Kapitalkraft ihrer Mitglieder miteinander konkurrieren, in der Antike wie in der Neuzeit. Daß dieser „Merkantilismus" in der beginnenden Neuzeit einen spezifischen Charakter annahm und spezifische Wirkungen hatte, war die Folge teils der später zu erörternden Eigenart der Herrschaftsstruktur 48 der konkurrierenden politischen Gebilde und ihrer Gemeinschaftswirtschaft, teils aber und namentlich der andersartigen Struktur des damals im Entstehen begriffenen modernen Kapitalismus gegenüber dem antiken, speziell der Entwicklung des dem Altertum unbekannten modernen Industriekapitalismus, dem

d A: führten 46 Dies bezieht sich auf die 1407 in G e n u a g e g r ü n d e t e St. Georgsbank. N a c h der Konsolidierung der Staatsschulden, die sich auf über 47 Millionen Lire beliefen, sollte diese Institution die Wahrnehmung der Interessen der Staatsgläubiger übernehmen. Die Bank zahlte keine Zinsen, sondern eine Dividende, und finanzierte sich neben B a n k g e s c h ä f t e n durch die A u s b e u t u n g der Kolonien, deren Nutzeigentum ihr v o m Staat übertragen wurde. Damit verfügte die St. G e o r g s b a n k über d e n Großteil der Staatseinnahmen u n d w u r d e zu einer Art Staatsbank, die bis 1816 bestand. Vgl. Goldschmidt, Levin, H a n d b u c h des Handelsrechts, 1. Abt., Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung. - Stuttgart: Ferd i n a n d Enke 1891, S. 2 9 6 - 2 9 8 (hinfort: Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts); vgl. a u c h unten, S. 154, Anm. 74. 47 Vgl. oben, S. 104. 48 Siehe W u G 1 , S. 744 (MWG I / 2 2 - 4 ) .

Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen

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jene Privilegierung auf die Dauer besonders zugute kam. Jedenfalls aber blieb seitdem der Konkurrenzkampf großer, annähernd gleich starker, rein politischer Machtgebilde um politische Macht nach außen, wie bekannt, eine der wichtigsten spezifischen Trieb5 kräfte jener Privilegierung des Kapitalismus, die damals entstand und, in anderer Form, bis heute anhält. e Weder die Handels- noch die Bankpolitik der modernen Staaten, also die am engsten mit den zentralen Interessen der heutigen Wirtschaftsform verknüpften Richtungen der Wirtschaftspolitik, sind nach Genesis und Verlauf 10 ohne jene sehr eigenartige politische Konkurrenz- und „Gleichgewichts"-Situation der europäischen Staatenwelt des letzten halben Jahrtausends zu verstehen, welche schon Rankes Erstlingsschrift 49 als das ihr welthistorisch Spezifische erkannt hat. |

e - e Textverderbnis; in A lautet der Satz: Jedenfalls aber blieb seitdem der Konkurrenzkampf großer, annähernd gleich starker, rein politischer Machtgebilde eine politische Macht nach außen und ist, wie bekannt, eine der wichtigsten spezifischen Triebkräfte jener Privilegierung des Kapitalismus, die damals entstand und, in anderer Form, bis heute anhält.

4 9 Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker, S. III-VIII

[Hausgemeinschaften]

Editorischer Bericht Zur

Entstehung

Der nachfolgende Text ist in sich abgeschlossen. Eine genaue Datierung des Textes ist nicht möglich. Allerdings spricht viel dafür, ihn einer frühen Bearbeitungsphase von „Wirtschaft und Gesellschaft" zuzuordnen. Bereits im Stoffverteilungsplan von 1910 hatte Weber ein Kapitel „Wirtschaft und soziale Gruppen" vorgesehen, das u. a. Abschnitte über Familien- und Gemeindeverbände enthalten sollte. 1 Und in dem Abschnitt „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" wird auf „aus der Hausgemeinschaft emporwachsende, später zu erörternde Gebilde" verwiesen. 2 Den nachstehenden Text über „Hausgemeinschaften" und die aus ihr hervorgehenden Gemeinschaftsformen, einschließlich des „Oikos", wird man als Einlösung dieses frühen Programms zu sehen haben. Für eine Datierung der Niederschrift noch auf das Jahr 1910 spricht im übrigen die inhaltliche Nähe der Ausführungen über wirtschaftliche Unternehmungen in Familienbesitz 3 zu analogen Passagen in dem Anfang Januar 1910 entstandenen Artikel „Antikritisches zum .Geist' des Kapitalismus". 4 Dafür, daß der Text „Hausgemeinschaften" nicht nur sehr früh konzipiert, sondern in seiner Substanz bereits auch niedergeschrieben worden ist, spricht die enge Anlehnung an das Buch Marianne Webers „Ehefrau und Mutter" 5 bezüglich der Behandlung des Ehe- und Erbrechts. Die Beispiele, die in d e m vorliegenden Text angeführt werden, finden sich fast durchweg bereits in dem Buch Marianne Webers, an dem Max Weber intensiv mitgearbeitet hat 6 und von dem er noch im Frühjahr 1910, vermutlich für eine eige-

1 Abgedruckt als Anhang in MWG II/6, S. 766-774, und mit handschriftlichen Zusätzen in: Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151155. 2 Vgl. den Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", oben, S. 96. 3 Vgl. unten, S. 120. 4 Weber, Max, Antikritisches zum „Geist" des Kapitalismus, in: AfSSp, Band 30, 1910, S. 176-202, hier: S. 189f. (MWG I/9). Vgl. auch den Brief Max Webers an Paul Siebeck vor oder am 7. Jan. 1910, MWG II/6, S.354. 5 Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, erschien 1907. 6 Vgl. dazu die Bemerkungen in dem Vorwort, Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter,

Editorischer Bericht

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ne intensive Benutzung, vom Verlag ein ungebundenes Exemplar erbat. 7 Außerdem ist im Bestand der Vorlesungen über „Agrarpolitik" bzw. „Agrargeschichte" ein Stichwortmanuskript überliefert, das den Titel „Haus(gemeinschaft)verband, Sippe u[nd] Nachbarschaft(sverband) trägt. 8 Es ist mit einiger Sicherheit im Jahre 1906 entstanden. Der erste Teil dieses Stichwortmanuskripts dürfte Max Weber, wie die Übereinstimmung zahlreicher Sachaussagen zeigt, offenbar als Vorlage für den Text „Hausgemeinschaften" gedient haben. Insbesondere ist in dem nachstehenden Text die dortige Anordnung fast vollständig übernommen worden. 9 In den Grundzügen war Max Weber demnach die Thematik bereits seit längerem präsent. In einem Brief an Arthur Salz vom Februar 1912 werden die „Hausgemeinschaften" ausführlich erörtert, ihre Entwicklung als Folge der Auflösung des Hauskommunismus beschrieben und der Einfluß der außerhäuslichen Tätigkeit auf die Hausgemeinschaft angesprochen. Es heißt dort in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Ausführungen in dem nachfolgenden Text, daß eine Hausgemeinschaft „nur dann [...] auch innerlich ihre Angehörigen" bindet, „wenn sie auf unbezweifelbare gemeinsame Aufgaben ausgerichtet ist," also eine „,produktive' Gemeinschaft" sei. Aber „nachdem [...] Werkstatt, Kontor, Bureau sich von der Familie gelöst haben [...] und nachdem unsre moderne Lebenstechnik der Hausgemeinschaft [...] ihre .produktiven' Aufgaben entzogen hat, kann sie grade nicht die Form für das Normale, sondern [...] nur die Form für das /4ußer-Weltliche, genauer: des AußerAlltäglichen, darstellen" und ist heute etwas „Heiliges für die Einzelnen". 10 Die Formulierung des Briefes deutet darauf hin, daß Weber zu diesem Zeitpunkt bereits eine gefestigte Meinung über die Entwicklung der Hausgemeinschaft gewonnen hatte. Berücksichtigt man, daß er von Anfang 1911 bis Mitte 1912 so stark durch gerichtliche Prozesse in Anspruch genommen war, daß er kaum Zeit für wissenschaftliche Arbeit gefunden haben dürfte, 11 so spricht viel dafür, daß der Text im wesentlichen bis Ende 1910 entstanden ist. In der Disposition von 1914, die Webers damalige Intentionen wiedergeben dürfte, war eine von den uns überlieferten Texten abweichende GliedeS. Vif., sowie den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 11. Sept. 1906, MWG II/5, S. 156-159. Vgl. auch den Editorischen Bericht zu dem Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S.287. 7 Brief Webers an Paul Slebeck vom 1. März 1910, MWG II/6, S.418. 8 Siehe unten, S. 291-327. 9 Vgl. den Editorischen Bericht zu dem Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S.288f. 10 Brief Max Webers an Arthur Salz vom 15. oder 22. Febr. 1912, MWG II/7, S. 4 2 8 - 4 3 0 . 11 Vgl. die Korrespondenz Webers aus den Jahren 1911-1912, in: MWG II/7. Zu den Bearbeitungsphasen von „Wirtschaft und Gesellschaft" vgl. die Einleitung, oben, S. 2 0 - 2 6 .

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Hausgemeinschaften

rung in Aussicht genommen. Das 2. Kapitel sollte „Hausgemeinschaften, Oikos, Betrieb" heißen und das folgende 3. Kapitel „Nachbarschaftsverband, Sippe, Gemeinde". 12 Offensichtlich hatte Weber damals beabsichtigt, die Ausführungen über die „Nachbarschaftsgemeinschaft, Wirtschaftsgemeinschaft und Gemeinde", „Die Sippe" und die „Vatergewalt" aus dem Komplex der „Hausgemeinschaft" herauszunehmen und beide Abschnitte wesentlich zu erweitern. Vermutlich sollte die Herauslösung des modernen Betriebs aus der Hausgemeinschaft eingehender dargestellt werden, was im vorliegenden Text nur ansatzweise der Fall ist. Weiterhin war beabsichtigt, auf der Grundlage von Nachbarschaftsgemeinschaft und Sippe die Konstituierung politischer Gemeinschaften zu behandeln. Doch ist die entsprechende Umarbeitung unterblieben. Die Annahme, daß der nachfolgende Text innerhalb der Abfolge von „Wirtschaft und Gesellschaft" eine vordere Stellung eingenommen hat, wie es durch die inhaltliche Analyse des Textes nahegelegt wird, wird durch die Verweisstruktur gestützt. Es gibt insgesamt sechs Verweise, die aus dem Text herausführen. Einer davon ist ein Rückverweis 13 auf den Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen". Die anderen Verweise, die dem Wortlaut nach Vorverweise darstellen, lassen sich in den Texten zu den „Religiösen Gemeinschaften" und zur „Herrschaft" auflösen. 14 Umgekehrt finden sich innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" neun Verweise, die nur in dem nachfolgenden Text aufzulösen sind. In den „Religiösen Gemeinschaften" wird an zwei Stellen darauf verwiesen, daß schon dargelegt worden sei, daß die Hausgemeinschaft eine „Quelle" der Tischgemeinschaft sei bzw. daß die „brüderliche Nothilfe" aus dem Nachbarverband stamme. 15 Der Hinweis im „Recht" auf die Trennung der „Einzelvermögen" von dem „Gesamtvermögen" der Familie, „wie wir dies als Folge geschäftlicher Zersetzung der Brüderlichkeit früher kennenlernten", bezieht sich eindeutig auf den nachstehenden Text. Gleiches gilt für Webers Aussage: „wir sahen", daß das „Recht der offenen Handelsgesellschaften [...] direkt die rationale Fortbildung der hausgemeinschaftlichen Beziehung für Zwecke des kapitalistischen Betriebes" sei. 16 In der „Stadt" wird mit dem „schon bekannten .Männerhaus'" und den Ergasterien, von denen „schon früher die Rede gewesen" ist,17 auf Themen verwiesen, die u. a. auch im nachfolgenden Kapitel behandelt werden. Wiederum eindeutig auf den

12 GdS, Abt. I, S. X-Xl (MWG I/22-6). 13 Vgl. unten, S. 124, Anm. 17. 14 Vgl. unten, S. 114, Anm. 2, S. 125, Anm. 19, S. 131, Anm. 26, S. 151, Anm. 68 und S. 161, Anm. 92. 15 Weber, Religiöse Gemeinschaften, MWG I/22-2, S. 170, 371. 16 WuG1, S. 439f. (MWG I/22-3). 17 Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 180, Anm. 130 und S.258, Anm. 172.

Editorischer

Bericht

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nachstehenden Text beziehen sich die zwei Hinweise in der „Herrschaft", daß „wir [...] früher, bei der Besprechung der Hausgemeinschaft" deren „urwüchsigen Kommunismus" gesehen haben und „als Gegenpol [...] des aus der Erwerbswirtschaft des Hauses [...] sich aussondernden kapitalistischen .Betriebs' [...] den Oikos" kennenlernten. 18 Ein Vorverweis ist in dem Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" vorhanden. 19 Insgesamt ergibt sich, daß der vorliegende Text mit fast allen anderen Teilen von „Wirtschaft und Gesellschaft" durch Verweise verbunden ist und daß ihm innerhalb der Manuskripte von Max Webers Beitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik" eine zentrale Stellung zukam.

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Im Bestand der Vorlesungen über „Agrarpolitik" bzw. „Agrargeschichte" ist allerdings ein Stichwortmanuskript vorhanden, das mit „Haus(gemeinschaft)verband, Sippe u[nd] Nachbarschaft(sverband)" überschrieben ist. 20 Die ersten Seiten dieses Stichwortmanuskripts 21 haben offenbar als Vorlage für die „Hausgemeinschaften" gedient. Weber hat sie bei der Niederschrift des Textes in ihrer dortigen Anordnung fast vollständig übernommen. 22 Der Edition wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung zugrunde gelegt, die in dem Handbuch: Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Lieferung. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. 194-215, erschienen ist (A). Der in der Erstauflage mitgeteilte Titel dieses Textes „Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung" ist von den Erstherausgebern eingeführt worden. Dies geht aus einem Brief des Verlags an Marianne Weber hervor, in dem der nachstehende Text noch als 4. Kapitel „Hausgemeinschaften und Nachbarverband" tituliert ist. 23 Wahrscheinlich wurde der Titel im Zuge der Drucklegung in Anlehnung an die Überschrift zu Kapitel III „Die Typen der Herrschaft" in der ersten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" noch verändert. 24 Daß der Titel „Typen der Vergemeinschaftung und 18 WuG1, S. 681 f. (MWG I/22-4). 19 Vgl. oben, S.96, Anm.29. 20 GStA Berlin, I. HA, Nl. Max Weber, Rep. 92, Nr. 31, Band 2, Bl. 289-303; unten, S. 291-327, ediert. 21 Ebd., Bl. 289-295, unten, S. 291 -302. 22 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S. 288f. 23 Vgl. den Brief Oskar Siebecks an Marianne Weber vom 29. März 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 24 WuG1, S. 122-176 (MWG I/23).

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Hausgemeinschaften

Vergesellschaftung" für den v o r l i e g e n d e n Text viel zu weit gefaßt war, hat schon Marianne Weber gesehen. Sie hat ihn unter Inkaufnahme einer Verd o p p e l u n g a u c h d e m von ihr z u s a m m e n g e s t e l l t e n „Zweiten Teil" von „Wirtschaft und Gesellschaft" vorangestellt. 2 5 Nachweislich werden im vorlieg e n d e n Text „Vergesellschaftungen" j e d o c h nicht behandelt. Weber benutzt den Begriff zwar insgesamt an acht Stellen, j e d o c h nur als Hinweis auf die Entwicklung verschiedener Gemeinschaftsformen. 2 6 Der Begriff „Vergemeinschaftung" als solcher wird nur ein einziges Mal verwendet. 2 7 In Anlehnung an d e n Brief Max Webers an Paul Siebeck v o m 30. D e z e m b e r 1913, in d e m von Gemeinschaftsformen „von der Familie und H a u s g e m e i n s c h a f t zum Betrieb" die Rede ist, 28 wird d e m n a c h f o l g e n d e n Text der Titel „Hausgemeinschaften" vorangestellt. O b w o h l dieser Titel bei Weber belegt ist, wird er, weil seine Verwendung an dieser Stelle nicht als gesichert a n g e s e hen w e r d e n kann, als H e r a u s g e b e r r e d e in eckige Klammern gesetzt. Der von den Erstherausgebern v e r w e n d e t e Titel wird im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Paragraphen- bzw. Zwischentitel dieses Textes können a n g e s i c h t s der weitreichenden Einwirkung der Erstherausgeber auf die Gestaltung der Titel innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht als authentisch gelten. Sie sind mit an Sicherheit g r e n z e n d e r Wahrscheinlichkeit ebenfalls von den Erstherausgebern eingeführt w o r d e n . 2 9 Für d e n Text „Hausgemeinschaften" läßt sich durch einen Vergleich mit d e m Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und N a c h b a r s c h a f t " ein zu WuG 1 alternatives Glieder u n g s s c h e m a erkennen. Dort sind die Passagen über die Entstehung der Hausgemeinschaft, der N a c h b a r s c h a f t und der Sippe in vier Punkte untergliedert, an die sich als 5. Gliederungspunkt eine Darstellung des Stammes anschließt. Diese Abschnitte sind nur teilweise mit Überschriften versehen. 3 0 Die Darstellungen des „ V e r h ä l t n i s s e s ] zwischen: Haus, Dorf, Mark, Sippe, Stamm" sind nicht mehr in die Numerierung e i n b e z o g e n und anders als in „Wirtschaft und Gesellschaft" von der „Entstehung" der Sippe getrennt. Schließlich ist die Herausbildung des „Betriebs" und des „Oikos" aus der H a u s g e m e i n s c h a f t unter der Überschrift „Entwicklung der H a u s g e m e i n schaft" zusammengefaßt. 3 1 25 WuG1, S. 181-600; vgl. den Brief Marianne Webers an Oskar Siebeck vom 20. Okt. 1921 und den Brief Wilhelm Siebecks an Marianne Weber vom 24. Okt. 1921, VA Mohr/ Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 26 Vgl. unten, S. 124f„ 128, 147, 151. 27 Vgl. unten, S. 115. 28 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dez. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8). 29 Vgl. die Einleitung, oben, S. 60-65. 30 Vgl. das Stichwortmanuskript, unten, S. 291, Zeile 6 bis S. 295, Zeile 6. 31 Vgl. ebd., unten, S. 297-302.

Editorischer

Bericht

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Der hier mitgeteilte Text war in der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" in insgesamt sieben Paragraphen gegliedert. Die dort aufgeführten Überschriften „§ 5. Beziehungen zur Wehr- und Wirtschaftsverfassung. Das .eheliche Güterrecht' und Erbrecht." sowie „ § 6 . Die Auflösung der Hausgemeinschaft: Ä n d e r u n g e n ihrer funktionellen Stellung und zunehm e n d e .Rechenhaftigkeit'. Entstehung der modernen Handelsgesellschaften" h a b e n den Charakter von Inhaltsangaben und sind d a r ü b e r hinaus inhaltlich irreführend. In den in der ersten Auflage als § 5 b e z e i c h n e t e n Pass a g e n wird die fortschreitende „ A b s c h w ä c h u n g " der anfänglich „schrankenlosen Vatergewalt" in der Hausgemeinschaft behandelt sowie deren Ursachen, die in der Militärverfassung und in ö k o n o m i s c h e n Konstellationen zu s u c h e n sind, des Näheren erörtert. Außerdem wird die mehrere Zwischenstufen durchlaufende Herausbildung der „legitimen" Ehe dargestellt. Das eheliche Güter- und Erbrecht findet d a g e g e n nur marginale Erwähnung. Der Titel des § 6 der ersten Auflage dürfte auf das Bedürfnis der Ersth e r a u s g e b e r z u r ü c k g e h e n , diesen frühen Text im Hinblick auf die „Zweiteilungsthese" zu modernisieren. Von Handelsgesellschaften im engeren Sinn des Wortes ist dort j e d o c h überhaupt nicht die Rede, sondern nur von g a n z unterschiedlichen wirtschaftlichen Unternehmungen, die aus Familienbetrieben hervorgehen. Darüber hinaus beschreibt der in der ersten A u f l a g e mit „§ 7. Die Entwicklung z u m ,Oikos"' ü b e r s c h r i e b e n e Abschnitt eine alternative Entwicklungslinie der Auflösung der Hausgemeinschaft, die aber für Weber nicht zwangsläufig war, sondern g l e i c h s a m nur eine unter vielen darstellte. Der Begriff „Entwicklung", den die Erstherausgeber bei der Titelgestaltung verwendet haben, suggeriert indessen eine gewisse Z w a n g s l ä u f i g keit. Es ist, wie bereits d a r g e l e g t wurde, davon auszugehen, daß es in d e n n a c h g e l a s s e n e n Manuskripten der Texte über die „Gemeinschaften" überhaupt keine Paragraphentitel g e g e b e n hat. 3 2 Dies ergibt sich auch aus der f r a g w ü r d i g e n Formulierung der Mehrzahl der in der Erstausgabe befindlichen Überschriften. Daher wird hier auf die W i e d e r g a b e der Paragraphentitel verzichtet; die Überschriften der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" w e r d e n j e d o c h im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Parag r a p h e n g l i e d e r u n g als solche wird durch Leerzeilen optisch kenntlich g e m a c h t . Eine Zählung der Einzelabschnitte erfolgt nicht. Die A n m e r k u n g e n der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, h i n g e g e n im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Emendationen stützen sich teilweise auf Änderungen, die bereits J o h a n n e s Winckelmann (Hg.), Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

32 Vgl. die Einleitung, oben, S. 63f.

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Die Erörterung der speziellen, oft höchst verwickelten Wirkungen der Bedarfsdeckung der Gemeinschaften gehört nicht in diese allgemeine, auf alles einzelne nur exemplifizierende Betrachtung. 1 Wir wenden uns vielmehr, unter Verzicht auf jede systematische Klassifikation der einzelnen Gemeinschaftsarten nach Struktur, Inhalt und Mitteln des Gemeinschaftshandelns - welche zu den Aufgaben der allgemeinen Soziologie gehört b - zunächst einer kurzen Feststellung des Wesens der für unsere Betrachtung wichtigsten Gemeinschaftsarten zu. An dieser Stelle ist dabei nicht die Beziehung der Wirtschaft zu den einzelnen Kulturinhalten (Literatur, Kunstwissenschaft usw.), sondern lediglich ihre Beziehung zur „Gesellschaft", das heißt in diesem Fall: den allgemeinen Strukturformen menschlicher Gemeinschaften zu erörtern. Inhaltliche Richtungen des Gemeinschaftshandelns kommen daher nur soweit in Betracht, als sie aus sich heraus spezifisch geartete Strukturformen desselben erzeugen, welche zugleich ökonomisch relevant sind. Die dadurch gegebene Grenze ist zweifellos durchaus flüssig, bedeutet aber unter allen Umständen: daß nur einige sehr universelle Arten von Gemeinschaften behandelt werden. Dies geschieht im folgenden zunächst nur in allgemeiner Charakteristik, während - wie wir sehen werden - ihre Entwicklungsformen in einigermaßen präziser Art erst später im Zusammenhang mit der Kategorie der „Herrschaft" besprochen werden können. 2 Als besonders „urwüchsig" erscheinen uns heute die durch sexueile Dauergemeinschaft gestifteten Beziehungen zwischen Vater, Mutter und Kindern. Allein losgelöst von der ökonomischen Versorgungsgemeinschaft, dem gemeinsamen „Haushalt", welcher doch wenigstens begrifflich davon getrennt zu halten ist, sind a A: K a p i t e l I I . T y p e n d e r V e r g e m e i n s c h a f t u n g u n d V e r g e s e l l s c h a f t u n g . In A folgt die Überschrift: § 1. D i e H a u s g e m e i n s c h a f t . b In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: ' ) Vgl. Teil I d i e s e s Werkes. 1 Vgl. d e n Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", o b e n , S. 9 5 - 1 0 7 . 2 Siehe W u G \ S. 681 f. (MWG I / 2 2 - 4 ) .

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jedenfalls die rein sexuell zwischen Mann und Weib und die nur physiologisch begründeten Beziehungen zwischen Vater und Kindern in ihrem Bestände gänzlich labil und problematisch; die Vaterbeziehung fehlt ohne stabile Versorgungsgemeinschaft zwischen 5 Vater und Mutter überhaupt gänzlich und ist selbst da, wo jene besteht, nicht immer von großer Tragweite. „Urwüchsig" ist von den auf dem Boden des Geschlechtsverkehrs erwachsenen Gemeinschaftsbeziehungen nur die zwischen Mutter und Kind und zwar, weil sie eine Versorgungsgemeinschaft ist, deren naturgegebene 10 Dauer die Zeit bis zur Fähigkeit des Kindes zur selbständigen ausreichenden Nahrungssuche umfaßt. Demnächst 0 die Aufzuchtsgemeinschaft der Geschwister. „Milchgenossen" (öiioycdcr/Teg)3 ist daher ein spezifischer Name für die Nächstversippten. Auch hier ist nicht die Naturtatsache: der gemeinsame Mutterleib, sondern die 15 ökonomische Versorgungsgemeinschaft entscheidend. Gemeinschaftsbeziehungen aller Art kreuzen erst recht die sexuellen und physiologischen | Beziehungen, sobald es sich um die Entstehung A 195 der „Familie" als eines spezifischen sozialen Gebildes handelt. Der historisch durchaus vieldeutige Begriff ist nur brauchbar, wenn im 20 Einzelfall sein Sinn klargestellt ist. Darüber später. 4 Wenn die „Muttergruppe" (Mutter und Kinder) 5 unvermeidlich als die primitivste im heutigen Sinn „familienartige" Gemeinschaftsbildung angesehen werden muß, so ist damit in keiner Art gesagt, sondern vielmehr direkt undenkbar: daß es je eine menschliche Existenz25 form gegeben habe, welche an Gemeinschaftsbildungen nichts als nebeneinanderstehende Muttergruppen gekannt hätte. Stets, soviel wir wissen, stehen bei Vorwalten der Muttergruppe als „Familienform" daneben die Vergemeinschaftungen der Männer unter sich: ökonomische und militärische - und solche der Männer mit den 30 Frauen: sexueller und ökonomischer Art. Als eine normale, aber offensichtlich sekundäre Gemeinschaftsform kommt die „reine"

c Lies: d e m am nächsten 3 Der Begriff (Tl. homogalaktes) bezeichnet als Milchbruder alle, die mit der Milch der gleichen Amme aufgezogen worden sind. 4 Siehe unten, S.117f„ 128, 133f„ 139f. 5 Bezeichnung für Familienverhältnisse, in denen die Mutter mit Ihren Kindern räumlich vom Vater getrennt lebt, ohne daß damit besondere rechtliche Bestimmungen einhergehen. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 25.

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Muttergruppe grade da nicht selten vor, wo das Alltagsdasein der Männer zunächst zu militärischen, dann auch zu andern Zwecken in der Dauergemeinschaft des „Männerhauses" 6 kaserniert ist, wie dies bei vielen Völkern der verschiedensten Gebiete als einer spezifischen Form militaristischer Entwicklung, also sekundär bedingt, sich findet. Von einer „Ehe" kann man im Sinne einer bloßen Kombination einer sexuellen mit einer Aufzuchtsgemeinschaft von Vater, Mutter, Kindern begrifflich überhaupt nicht reden. Denn der Begriff der „Ehe" selbst ist nur durch Bezugnahme auf noch andere als jene Gemeinschaften zu definieren. „Ehe" entsteht als gesellschaftliche Institution überall erst durch den Gegensatz zu anderen, nicht als Ehe angesehenen sexuellen Beziehungen. Denn ihr Bestehen bedeutet: 1. daß das Entstehen einer Beziehung gegen den Willen: entweder der Sippe einer Frau oder derjenigen des schon in deren Besitz befindlichen Mannes, also von einem Verband, - in ältester Zeit: der Sippe entweder des Mannes oder der Frau oder beider, nicht geduldet und eventuell gerächt wird, - namentlich aber 2. daß nur die Abkömmlinge bestimmter sexueller Dauergemeinschaften im Kreise einer umfassenderen ökonomischen, politischen, religiösen oder sonstigen Gemeinschaft, welcher ein Elternteil (oder jeder von beiden) angehört, kraft ihrer Abstammung als geborene gleichstehende Verbandsgenossen (Hausgenossen, Markgenossen, Sippegenossen, politische Genossen, Standesgenossen, Kultgenossen) behandelt werden, Abkömmlinge eines Elternteils aus anderen Sexualbeziehungen dagegen nicht. Einen andern Sinn hat was wohl zu beachten ist - die Unterscheidung von „ehelich" und „unehelich" überhaupt nicht. Welche Voraussetzungen die „Ehelichkeit" hat: welche Klassen von Personen in jenem Sinn gültige Dauergemeinschaften nicht miteinander eingehen können, welche Zustimmungen welcher d Sippen- oder noch anderer e Verbandsd A: Zustimmungen, welche

e A: andere

6 Dies bezieht sich auf Schurtz, Altersklassen, S.203. Dieser definiert bei Naturvölkern „das typische Männer- oder Junggesellenhaus [...] als ein Gebäude [...], in dem sich die mannbar gewordenen, aber noch nicht verheirateten Jünglinge aufhalten", das als Arbeits-, Eß- und Schlafplatz dient, der nur von unverheirateten Frauen betreten werden darf, und eine bestimmte Altersklasse von der Gesellschaft ausschließt. Andere Formen des Männerhauses dienen als Wohnstätten aller Krieger oder als Ratsplätze, zu denen Frauen keinen Zutritt haben. Ebd., S. 205-209; vgl. auch unten, S. 137.

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genossen für die Gültigkeit erfordert werden, welche Formen erfüllt werden müssen, dies alles regeln die als heilig geltenden Traditionen oder gesatzte Ordnungen jener anderen Verbände. Die Ehe trägt also ihre spezifische Qualität stets von solchen Ordnungen anderer als bloßer Sexual- und Aufzuchtsgemeinschaften zu Lehen. Die Wiedergabe der ethnographisch ungemein wichtigen Entwicklung dieser Ordnungen ist hier nicht beabsichtigt, sie gehen uns nur in ihren wichtigsten ökonomischen Beziehungen an. Die sexuellen und die durch Gemeinsamkeit beider Eltern oder eines von ihnen zwischen den Kindern gestifteten Beziehungen gewinnen ihre normale Bedeutung für die Erzeugung eines Gemeinschaftshandelns nur dadurch, daß sie die normalen, wenn auch nicht die einzigen, Grundlagen eines spezifisch ökonomischen Verbandes werden: der Hausgemeinschaft. Die Hausgemeinschaft ist nichts schlechthin Primitives. Sie setzt nicht ein „Haus" in der heutigen Bedeutung, wohl aber einen gewissen Grad planmäßiger Ackerfruchtgewinnung voraus. Unter den Bedingungen rein okkupatorischer Nahrungssuche scheint sie nicht existiert zu haben. Aber auch auf der Grundlage eines technisch schon weit entwickelten Ackerbaus ist die Hausgemeinschaft oft so gestaltet, daß sie als eine sekundäre Bildung gegenüber einem vorangehenden Zustand | erscheinen kann, welcher einerseits A196 den umfassenden Gemeinschaften der Sippe und des Nachbarverbandes mehr Gewalt, andrerseits dem Einzelnen mehr Ungebundenheit gegenüber der Gemeinschaft von Eltern, Kindern, Enkeln, Geschwistern zuteilte. Namentlich die, gerade bei geringer gesellschaftlicher Differenzierung, sehr häufige fast völlige Trennung der Güter und des Erwerbes der Frau von dem des Mannes scheint dahin zu weisen, ebenso die zuweilen vorkommende Sitte, daß Frau und Mann prinzipiell mit dem Rücken gegeneinander gekehrt oder ganz getrennt essen und daß auch innerhalb des politischen Verbandes selbständige Frauenorganisationen mit weiblichen Häuptlingen neben der Männerorganisation sich finden. Indessen muß man sich hüten, daraus auf Verhältnisse eines individualistischen „Urzustandes" zu schließen. Denn sehr oft handelt es sich um sekundäre, durch militärorganisatorisch bedingte Aushäusigkeit des Mannes während seiner „Militärdienstzeit" entstandene, daher zu einer männerlosen Haushaltführung der Frauen und Mütter führende Zustände, wie sie in Resten noch in der, auf Aushäu-

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sigkeit des Mannes und Gütertrennung ruhenden, Familienstruktur der Spartiaten 7 erhalten war. Die Hausgemeinschaft ist nicht universell gleich umfassend. Aber sie stellt dennoch die universell verbreitetste „Wirtschaftsgemeinschaft" dar und umfaßt ein sehr kontinuierliches und intensives Gemeinschaftshandeln. Sie ist die urwüchsige Grundlage der Pietät und Autorität, der Grundlage zahlreicher menschlicher Gemeinschaften außerhalb ihrer. Der „Autorität" 1. des Stärkeren, 2. des Erfahreneren, also: der Männer gegen Frauen und Kinder, der Wehrhaften und Arbeitsfähigen gegenüber den dazu Unfähigen, der Erwachsenen gegen die Kinder, der Alten gegenüber den Jungen. Der „Pietät" sowohl der Autoritätsunterworfenen gegen die Autoritätsträger wie untereinander. Als Ahnenpietät geht sie in die religiösen Beziehungen, als Pietät des Patrimonialbeamten, Gefolgsmanns, Vasallen, in diese Beziehungen über, die ursprünglich häuslichen Charakter haben. Hausgemeinschaft bedeutet ökonomisch und persönlich in ihrer „reinen" - wie schon bemerkt, 8 vielleicht nicht immer „primitiven" - Ausprägung: Solidarität nach außen und kommunistische Gebrauchs- und Verbrauchsgemeinschaft der Alltagsgüter (Hauskommunismus) nach innen in ungebrochener Einheit auf der Basis einer streng persönlichen Pietätsbeziehung. Das Solidaritätsprinzip nach außen findet sich rein entwickelt noch in den periodisch kontraktlich regulierten, kapitalistische Unternehmungen betreibenden, Hausgemeinschaften der mittelalterlichen, und zwar gerade der kapitalistisch fortgeschrittensten, nord- und mittelitalienischen Städte: die solidarische Haftung gegenüber den Gläubigern mit Besitz und Person (unter Umständen auch kriminell) trifft alle Hausangehörigen, 9 7 In Sparta gehörte wegen des dortigen Erbrechts ein Großteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche Frauen, die ihren Besitz auch selbst verwalteten. Die vergleichsweise selbständige Stellung der spartanischen Frauen wurde noch verstärkt durch die häufige Abwesenheit der Männer in Kriegen sowie deren Kasernierung in Gemeinschaftshäusern in Friedenszeiten, in denen sie seit frühester Jugend lebten, um dort eine einheitliche Erziehung zu erhalten. Vgl. Aristoteles, Politik 2, 1269a-1270a; Plutarch, Lykurgos, 16; vgl. auch unten, S. 137, Anm. 38. 8 Siehe oben, S. 117. 9 Ausgehend von der Haftungspflicht des Vaters für die Familienmitglieder (Sippenhaftung) entwickelte sich in Norditalien ein Haftungssystem, bei dem eine Firma mit dem gesamten gemeinsamen Vermögen für die Schulden eines Teilhabers aufzukommen hatte. Seit dem 14. Jahrhundert rückte die persönliche Haftung der Firmenmitglieder wegen der zunehmenden Höhe der Kreditgeschäfte stärker in den Vordergrund. Durch eine Verschuldung eines Teilhabers wurden alle zu Schuldnern und mußten mit ihrem Vermögen haften. Vgl. Weber, Handelsgesellschaften, S. 6 0 - 6 6 .

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einschließlich zuweilen selbst der kontraktlich in die Gemeinschaft aufgenommenen Kommis und Lehrlinge. Dies ist die historische Quelle der für die Entwicklung moderner kapitalistischer Rechtsformen wichtigen Solidarhaftung der Inhaber einer offenen Handelsgesellschaft für die Schulden der Firma. - Etwas unserem „Erbrecht" Entsprechendes kennt der alte Hauskommunismus nicht. An dessen Stelle steht vielmehr der einfache Gedanke: daß die Hausgemeinschaft „unsterblich" ist. Scheidet eins ihrer Glieder aus durch Tod, Ausstoßung (wegen religiös unsühnbaren Frevels), Überlassung in eine andere Hausgemeinschaft (Adoption), Entlassung („emancipatio") 10 oder freiwilligen Austritt (wo dieser zulässig ist), da ist bei „reinem" Typus von keiner Abschichtung eines „Anteils" die Rede. Sondern der lebend Ausscheidende läßt durch sein Ausscheiden eben seinen Anteil im Stich und im Todesfall geht die Kommunionwirtschaft der Überlebenden einfach weiter. Dergestalt ist noch bis heute die Schweizer „Gemeinderschaft" 11 konstituiert. - Der hauskommunistische Grundsatz, daß nicht „abgerechnet" wird, sondern daß der Einzelne nach seinen Kräften beiträgt und nach seinen Bedürfnissen genießt (soweit der Gütervorrat reicht), lebt noch heute als wesentlichste Eigentümlichkeit der Hausgemeinschaft unserer „Familie" fort, freilich meist nur als ein auf den Haushaltskonsum beschränkter Rest. | Dem reinen Typus ist Gemeinschaft der Wohnstätte essentiell. A Vergrößerung der Zahl zwang dann zur Teilung und Entstehung gesonderter Hausgemeinschaften. Doch konnte im Interesse des Zusammenhalts der Arbeitskräfte und des Besitzes der Mittelweg einer örtlichen Dezentralisation ohne Teilung eingeschlagen werden, mit der unvermeidlichen Folge einer Entstehung von irgendwelchen Sonderrechten für die einzelnen Sonderhaushalte. Eine solche Zerlegung kann bis zur völligen rechtlichen Trennung und

10 Zur emancipatio vgl. unten, S. 150, Anm. 64. 11 Begriff aus dem Zivilrecht einiger Schweizer Kantone, der eine vertraulich vereinbarte Vermögensgemeinschaft zwischen Geschwistern bezeichnet. Im Todesfall eines Mitgliedes (Gemeinder) entscheiden die Kinder, der Gemeinderschaft beizutreten oder ihren Erbteil herauszulösen. Stirbt ein Gemeinder ohne Nachkommen, fällt sein Anteil an die Gemeinderschaft, wobei andere Erbansprüche nicht berücksichtigt werden. Vgl. Huber, Eugen, System und Geschichte des Schwelzerischen Privatrechtes, Band 3. - Basel: C. Detloff's Buchhandlung 1889, S. 758-765; dass., Band 4. - Basel: R. Reich 1893, S . 2 5 1 256.

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Selbständigkeit in der Leitung des Erwerbs getrieben werden und dabei dennoch ein überraschend großes Stück Hauskommunismus erhalten bleiben. Es kommt in Europa, besonders in den Alpengebieten vor, z. B. bei Schweizer Hoteliersfamilien, aber auch anderwärts gerade bei ganz großen, in Familien erblichen Welthandelsgeschäften, daß als Rest der, im äußeren Sinn des Wortes, völlig geschwundenen Hausgemeinschaft und Hausautorität gerade nur noch der Kommunismus des Risikos und Ertrages: das Zusammenwerfen des Gewinns und Verlustes sonst gänzlich selbständiger Geschäftsbetriebe weiterbesteht. Mir sind Verhältnisse von Welthäusern mit Millionenerträgnissen bekannt, 12 deren Kapitalien überwiegend, aber nicht einmal vollständig, Verwandten sehr verschiedenen Grades gehören und deren Geschäftsführung überwiegend, aber nicht ausschließlich, in den Händen von Familiengliedern liegt. Die einzelnen Betriebe arbeiten in ganz verschiedenen und wechselnden Branchen, haben ein ungemein verschieden großes Maß von Kapital, Arbeitsanspannung und höchst verschiedene Erträge. Dennoch aber wird der bilanzmäßige Jahresgewinn aller nach Abzug des üblichen Kapitalzinses einfach in einen Topf geworfen und nach verblüffend einfachen Teilungsschlüsseln (oft nach Köpfen) repartiert. Die Aufrechterhaltung des Hauskommunismus auf dieser Stufe geschieht um des gegenseitigen ökonomischen Rückhalts willen, der den Ausgleich von Kapitalbedarf und Kapitalüberschuß zwischen den Geschäften gewährleistet und so die Inanspruchnahme des Kredits Außenstehender erspart. Die „Rechenhaftigkeit" hört also auf, sobald der Bilanzstrich überschritten ist, sie herrscht nur innerhalb des „Betriebes", welcher den Gewinn erzeugt. Dort freilich unbedingt: ein noch so naher Verwandter, der, kapitallos, als Angestellter tätig ist, erhält nie mehr als jeder andere Kommis, denn hier handelt es sich um kalkulierte Betriebskosten, die zugunsten eines Einzelnen nicht ohne Unzufriedenheit der Anderen alteriert werden können. Unterhalb 12 Die f o l g e n d e n Sachverhalte hat Max W e b e r in seiner Schrift, Antikritisches z u m „Geist" d e s Kapitalismus, in: AfSSp, B a n d 30, 1910, S. 1 7 6 - 2 0 2 , hier S. 198f. ( M W G I/9), w e s e n t l i c h detaillierter dargestellt, o h n e j e d o c h die e n t s p r e c h e n d e Firma zu b e n e n n e n . M ö g l i c h e r w e i s e handelt es sich u m d a s H a n d e l s h a u s der Familie B u n g e , z u d e m Weber v e r w a n d t s c h a f t l i c h e B e z i e h u n g e n hatte. Vgl. d e n Brief Max Webers an M a r i a n n e W e b e r v o m 18. Aug. 1907, M W G II/5, S. 3 6 2 f . Zu d e n H a n d e l s u n t e r n e h m u n g e n der Familie Bung e vgl. Roth, Max W e b e r s F a m i l i e n g e s c h i c h t e (wie o b e n , S. 36, A n m . 2), S. 8 8 ff.

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des Bilanzstrichs aber beginnt für die glücklichen Beteiligten das Reich der „Gleichheit und Brüderlichkeit". f 13 Der Hausverband ist die Gemeinschaft, welche den regulären Güter* und Arbeitsbedarf des Alltages deckt. Wichtige Teile des außerordentlichen Bedarfs an Leistungen bei besonderen Gelegenheiten, akuten Notlagen und Gefährdungen, deckt unter den Verhältnissen agrarischer Eigenwirtschaft ein Gemeinschaftshandeln, welches über die einzelne Hausgemeinschaft hinausgreift: die Hilfe der „Nachbarschaft". Wir wollen darunter nicht nur die „urwüchsige" Form: die durch Nachbarschaft der ländlichen Siedelung, sondern ganz allgemein jede durch räumliche Nähe und dadurch gegebene chronische oder ephemere Gemeinsamkeit einer Interessenlage verstehen, wenn wir auch, und wo nichts näheres gesagt ist, a potiori die Nachbarschaft von nahe beieinander angesiedelten Hausgemeinschaften meinen wollen. Die „Nachbarschaftsgemeinschaft" kann dabei natürlich äußerlich, je nach der Art der Siedelung, um die es sich handelt: Einzelhöfe oder Dorf oder städtische Straßen oder „Mietskaserne", sehr verschieden aussehen, und auch das Gemeinschaftshandeln, welches sie darstellt, kann sehr verschiedene Intensität haben und unter Umständen, speziell unter modernen städtischen Verhältnissen, zuweilen bis dicht an den Nullpunkt sinken. Obwohl das Maß von Gegenseitigkeitsleistungen und | Opferfähigkeit, welches noch A198 heute zwischen den Insassen der Mietskasernen der Armenviertel oft genug heimisch ist, jeden in Erstaunen setzen kann, der zum erstenmal damit in Berührung tritt, so ist es doch klar, daß das Prinzip nicht nur der ephemeren Tramway- oder Eisenbahn- oder Ho-

f In A folgt die Zwischenüberschrift: § 2. Nachbarschaftsgemeinschaft, Wirtschaftsgemeinschaft und Gemeinde. 13 Verkürzung der französischen Revolutionsparole „Liberté, égalité et fraternité". Die Begriffe spielten in der gesamten Literatur der Aufklärung eine wesentliche Rolle und wurden in verschiedenen Zusammensetzungen verwendet, ohne daß sich die Erstverwendung konkret benennen ließe. Während der französischen Revolution wurden sie schnell zu einem allgemein bekannten Schlagwort, und die 3. Republik erklärte die Parole zu ihrer offiziellen Devise. Vgl. Heuvel, Gerd van den, Der Freiheitsbegriff der französischen Revolution. Studien zur Revolutionsideologie. - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 214ff.

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telgemeinsamkeit, sondern auch der perennierenden MietshausGemeinsamkeit im ganzen eher auf Innehaltung möglichster Distanz trotz (oder auch gerade wegen) der physischen Nähe als auf das Gegenteil gerichtet ist und nur in Fällen gemeinsamer Gefahr mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein gewisses Maß von Gemeinschaftshandeln gezählt werden kann. Warum dieser Sachverhalt gerade unter den modernen Lebensbedingungen als Folge einer durch diese geschaffenen spezifischen Richtung des „Würdegefühls" besonders auffällig hervortritt, ist hier nicht zu erörtern. Vielmehr haben wir nur festzustellen, daß auch die stabilen Verhältnisse ländlicher Siedlungs-Nachbarschaft und zwar von jeher, die gleiche Zwiespältigkeit aufweisen: der einzelne Bauer ist weit davon entfernt, eine noch so wohlgemeinte Einmischung in seine Angelegenheiten zu wünschen. Das „Gemeinschaftshandeln" ist nicht die Regel, sondern die, sei es auch typisch wiederkehrende, Ausnahme. Immer ist es weniger intensiv und namentlich diskontinuierlich im Vergleich mit demjenigen der Hausgemeinschaft, ganz abgesehen davon, daß es schon in der Umgrenzung der jeweils am Gemeinschaftshandeln Beteiligten weit labiler ist. Denn die Nachbarschaftsgemeinschaft ruht, allgemein gesprochen, noch auf der einfachen Tatsache der Nähe des faktischen kontinuierlichen Aufenthaltsortes. Innerhalb der ländlichen Eigenwirtschaft der Frühzeit ist das „Dorf", eine Gruppe dicht zusammengesiedelter Hausgemeinschaften, der typische Nachbarschaftsverband. Die Nachbarschaft kann aber auch über die sonst festen Grenzen anderer, z. B. politischer Bildungen hin wirksam werden. Nachbarschaft bedeutet praktisch, zumal bei unentwickelter Verkehrstechnik, Aufeinanderangewiesensein in der Not. Der Nachbar ist der typische Nothelfer, und „Nachbarschaft" daher Trägerin der „Brüderlichkeit" in einem freilich durchaus nüchternen und unpathetischen, vorwiegend wirtschaftsethischen Sinne des Wortes. Formen 9 gegenseitiger Aushilfe nämlich in Fällen der Unzulänglichkeit der Mittel der eigenen Hausgemeinschaft durch „Bittleihe", d.h. unentgeltliche Leihe von Gebrauchsgütern, zinsloses Darlehen von Verbrauchsgütern, unentgeltliche „Bittarbeit", d. h. Arbeitsaushilfe im Fall besonders dringlichen Bedarfs^] werden in ihrer h Mitte ge-

g A: In der Form

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boren, aus dem urwüchsigen Grundprinzip der ganz unsentimentalen Volksethik der ganzen Welt heraus: „wie du mir, so ich dir" 1 4 (was der römische Name „mutuum" für das zinslose Darlehen hübsch andeutet). Denn jeder kann in die Lage kommen, der Nothilfe des anderen zu bedürfen. Wo ein Entgelt gewährt wird, besteht er - wie bei der „Bittarbeit", in typischer Form bei der überall auf den Dörfern, z.B. auch noch unseres Ostens, verbreiteten Hausbaubeihilfe der Dorfnachbarn - im Regalieren der Bittarbeiter. 15 Wo ein Tausch stattfindet, gilt der Satz: „Unter Brüdern feilscht man nicht", 16 der das rationale „Marktprinzip" für die Preisbestimmung ausschaltet. „Nachbarschaft" gibt es nicht ausschließlich unter Gleichstehenden. Die praktisch so ungemein wichtige „Bittarbeit" wird nicht nur dem ökonomisch Bedürftigen, sondern auch dem ökonomisch Prominenten und Übermächtigen freiwillig gewährt, als Erntebeihilfe zumal, deren grade der Besitzer großer Landstrecken am dringendsten bedarf. Man erwartet dafür vor allem Vertretung gemeinsamer Interessen gegen Bedrohung durch andere Mächtige, daneben unentgeltliche oder gegen die übliche Bittarbeitshilfe gewährte Leihe von überschüssigem Land (Bittleihe: „precarium"); Aushilfe aus seinen Vorräten in Hungersnot und andere karitative Leistungen, die er seinerseits gewährt, weil auch er immer wieder in die Lage kommt, auf den guten Willen seiner Umwelt angewiesen zu sein. Jene rein konventionelle Bittarbeit zugunsten der Honoratioren kann dann im weiteren Verlauf der Entwicklung Quelle einer herrschaftlichen Frohnwirtschaft, also eines patrimonialen Herrschaftsverhältnisses, werden, wenn die Macht des Herrn und die Unentbehrlichkeit seines Schutzes nach außen steigt und es ihm gelingt, | aus der „Sitte" A 199 ein „Recht" zu machen. Daß die Nachbarschaftsgemeinschaft die 14 Verkürzte Form des Spruches Salomon 24, 29: „Wie einer mir tut, so will ich ihm auch tun und einem jeglichen sein Tun vergelten." 15 Im Zuge der Nachbarschaftshilfe stellten die Nachbarn auf Anfrage ihre Arbeitskraft ohne Entgelt zur Verfügung, in der Erwartung, im Bedarfsfall ebenfalls Hilfestellung zu erhalten. Ihr direkter Lohn bestand lediglich im Regalieren, d. h. in der Bewirtung während der Arbeitszeit. Daraus entwickelte sich unter gutsherrlichen Verhältnissen ein außerordentlicher Frondienst, den der Grundherr bei besonderen Gelegenheiten (Hausbau, Jagd) einforderte. 16 Als Zitat nicht nachgewiesen. Es handelt sich um eine sprichwörtliche Abwandlung der in der Bibel mehrfach aufgeführten Bestimmung, daß der Bruder nicht übervorteilt werden solle. Vgl. z. B. 3. Mose 25, 14; 1. Thessaloniker 4,6.

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typische Stätte der „Brüderlichkeit" sei, bedeutet natürlich nicht etwa, daß unter Nachbarn der Regel nach ein „brüderliches" Verhältnis herrsche. Im Gegenteil: wo immer das von der Volksethik postulierte Verhalten durch persönliche Feindschaft oder Interessenkonflikte gesprengt wird, pflegt die entstandene Gegnerschaft, gerade weil sie sich als im Gegensatz zu dem von der Volksethik Geforderten stehend weiß und zu rechtfertigen sucht und auch weil die persönlichen Beziehungen besonders enge und häufige sind, zu ganz besonders scharfem und nachhaltigem Grade sich zuzuspitzen. Die Nachbarschaftsgemeinschaft kann ein amorphes, in dem Kreise der daran Beteiligten flüssiges, also „offenes" und intermittierendes Gemeinschaftshandeln darstellen. Sie pflegt in ihrem Umfang nur dann feste Grenzen zu erhalten, wenn eine „geschlossene" Vergesellschaftung stattfindet, und dies geschieht regelmäßig dann, wenn eine Nachbarschaft zur „Wirtschaftsgemeinschaft" oder die Wirtschaft der Beteiligten regulierenden Gemeinschaft vergesellschaftet wird. Das erfolgt in der uns generell bekannten typischen Art 1 7 aus ökonomischen Gründen, wenn z.B. die Ausbeutung von Weide und Wald, weil sie knapp werden, „genossenschaftlich" und das heißt: monopolistisch reguliert wird. Aber sie ist nicht notwendig Wirtschaftsgemeinschaft oder Wirtschaftsregulierende Gemeinschaft, und wo sie es ist, in sehr verschiedenem Maße. Das nachbarschaftliche Gemeinschaftshandeln kann seine, das Verhalten der Beteiligten regulierende, Ordnung entweder selbst sich durch Vergesellschaftung setzen (wie die Ordnung des „Flurzwangs") 18 oder von Außenstehenden, Einzelnen oder Gemeinwesen, mit denen die Nachbarn als solche ökonomisch oder politisch vergesellschaftet sind, oktroyiert bekommen (z. B. Hausordnungen vom Mietshausbesitzer). Aber all das gehört nicht notwendig zu sei1 7 Siehe oben, S. 7 9 - 8 1 . 1 8 Die klassische Dreifelder- oder Fruchtfolgewirtschaft setzt die Aufteilung der Flur in einzelne Felder voraus, um die Regeneration des Bodens als Brachland o d e r Viehweide zu ermöglichen. Da Wirtschaftswege In aller Regel fehlten, war die Gleichzeitigkeit des Pflügens, der Aussaat und der Ernte notwendig. In S ü d d e u t s c h l a n d b e s t a n d der Flurz w a n g bis Ins 19. Jahrhundert fort. Vgl. Meltzen, August, Wanderungen, A n b a u und Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen, 1. Abt.: Siedelung und A g r a r w e s e n der W e s t g e r m a n e n und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen, B a n d 1. - Berlin: Wilhelm Hertz 1895, S.70f.; vgl. a u c h Weber, Max, Agrarpolitik, In: MWG I/4, S . 7 4 3 790, hier: S . 7 5 1 .

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nem Wesen. Nachbarschaftsgemeinschaft, Waldnutzungsordnungen von politischen Gemeinschaften, aber namentlich: Dorf, ökonomischer Gebietsverband (z.B.: Markgemeinschaft) und politischer Verband fallen auch unter den Verhältnissen der reinen Hauswirtschaft der Frühzeit nicht notwendig zusammen, sondern können sich sehr verschieden zueinander verhalten. Die ökonomischen Gebietsverbände können je nach den Objekten, die sie umfassen, sehr verschiedenen Umfang haben. Acker, Weide, Wald, Jagdgründe unterliegen oft der Verfügungsgewalt ganz verschiedener Gemeinschaften, die sich untereinander und mit dem politischen Verband kreuzen. Wo das Schwergewicht der Nahrungsgewinnung auf friedlicher Arbeit beruht, wird die Trägerin gemeinsamer Arbeit: die Hausgemeinschaft, wo auf speergewonnenem Besitz, der politische Verband Träger der Verfügungsgewalt sein und ebenso eher für extensiv genutzte Güter: Jagdgründe und Wald größerer Gemeinschaften als für Wiesen und Äcker. Ganz allgemein wirkt ferner mit: daß die einzelnen Kategorien von Landbesitz in sehr verschiedenen Stadien der Entwicklung im Verhältnis zum Bedarf knapp und also Gegenstand einer die Benutzung ordnenden Vergesellschaftung werden - der Wald kann noch „freies" Gut sein, wenn Wiesen und ackerbares Land schon „wirtschaftliche" Güter und in der Art ihrer Benutzung reguliert und „appropriiert" sind. Daher können sehr verschiedene Gebietsverbände die Träger der Appropriation für jede dieser Arten von Land sein. Die Nachbarschaftsgemeinschaft ist die urwüchsige Grundlage der „Gemeinde" - eines Gebildes, welches, wie später zu erörtern, 19 in vollem Sinn erst durch die Beziehung zu einem, eine Vielzahl von Nachbarschaften umgreifenden politischen Gemeinschaftshandeln gestiftet wird. Sie kann ferner, wenn sie ein „Gebiet" beherrscht wie das „Dorf", auch selbst die Basis für ein politisches Gemeinschaftshandeln darstellen und überhaupt, im Wege fortschreitender Vergesellschaftung, Tätigkeiten aller Art (von der Schulerziehung und der Übernahme religiöser Aufgaben bis zur systematischen Ansiedelung notwendiger Handwerker) in das Gemeinschaftshandeln einbeziehen oder von der politischen Gemeinschaft als Pflicht oktroyiert erhalten. Aber das ihrem generel19 Siehe WuG 1 , S. 449ff. (MWG I/22-3), WuG 1 , S. 691 (MWG I/22-4) sowie MWG I/22-5, S . 8 4 f „ 108 f.

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A 200 len Wesen nach eigene spezifische Ge|meinschaftshandeln ist nur jene nüchterne ökonomische „Brüderlichkeit" in Notfällen mit ihren spezifischen Folgen.1 Wir kehren nun zunächst zur Hausgemeinschaft, als dem urwüchsigsten nach außen „geschlossenen" Gemeinschaftshandeln, zurück. Der typische Entwicklungsgang vom alten vollen Hauskommunismus aus ist der gerade umgekehrte gegenüber demjenigen von dem vorhin erwähnten Beispiel 20 der Erhaltung der Ertragsgemeinschaft trotz äußerer Trennung der Haushalte: innere Lockerung des Kommunismus, Fortschreiten also der „Schließung" der Gemeinschaft auch nach innen bei Fortbestand der äußerlichen Einheit des Hauses. Die frühesten tiefgreifenden Abschwächungen der ungebrochenen kommunistischen Hausgewalt gehen nicht direkt von ökonomischen Motiven, sondern offenbar von der Entwicklung exklusiver sexueller Ansprüche der Hausteilhaber an die der gemeinsamen Hausautorität unterworfenen Frauen aus, die zu einer, gerade bei sonst wenig rationalisiertem Gemeinschaftshandeln[,j oft höchst kasuistischen, immer aber sehr streng innegehaltenen Regulierung der Geschlechtsverhältnisse geführt hat. Auch Sexualgewalten zwar finden sich gelegentlich „kommunistisch" (polyandrisch). A b e r wo sie vorkommen, stellen diese polyandrisch geteilten Rechte in allen bekannten Fällen nur einen relativen Kommunismus dar: einen nach außen exklusiven Mitbesitz eines bestimmt begrenzten Personenkreises (Brüder oder Insassen eines „Männerhauses") kraft gemeinsamen Erwerbs einer Frau. Nirgends, auch nicht wo Sexualverhältnisse zwischen Geschwistern als anerkannte Institution bestehen, findet sich eine ordnungsfremde amorphe sexuelle Promiskuität innerhalb des Hauses. Wenigstens nie der Norm nach. Im Gegenteil ist gerade das im Güterbesitz kommunistische Haus diejenige Stätte, aus welcher kommunistische Freiheit des Geschlechtsverkehrs am vollständigsten verbannt ist. Die Abschwächung des Sexualreizes durch das i In A folgt die Zwischenüberschrift: §3. Die sexuellen Beziehungen in der Hausgemeinschaft. 20 Gemeint sind hier die „Verhältnisse von Welthäusern mit Milllonenerträgnlssen"; siehe oben, S. 120.

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Zusammenleben von Kind auf gab die Möglichkeit und Gewöhnung daran. Die Durchführung als bewußter „Norm" lag dann offensichtlich im Interesse der Sicherung der Solidarität und des inneren Hausfriedens gegen Eifersuchtskämpfe. Wo durch die gleich 5 zu erwähnende 21 „Sippenexogamie" die Hausgenossen verschiedenen Sippen zugewiesen wurden, so daß Geschlechtsverkehr innerhalb des Hauses nach sippenexogamen Grundsätzen zulässig wäre, müssen gerade die betreffenden Mitglieder des Hauses einander persönlich meiden: die Hausexogamie ist gegenüber der Sip10 penexogamie die ältere, neben ihr fortbestehende Institution. Vielleicht ist die Durchführung der Hausexogamie durch Frauentauschkartelle von Hausgemeinschaften und den durch deren Teilung entstehenden Sippengemeinschaften der Anfang der regulierten Exogamie gewesen. Jedenfalls besteht die konventionelle Miß15 billigung des Sexualverkehrs auch für solche nahe Verwandte, welche nach dem Blutsbandekodex der Sippenstruktur davon nicht ausgeschlossen sind (z. B. sehr nahe väterliche Verwandte bei ausschließlicher Mutterfolge in der Sippenexogamie). Die Geschwister- und Verwandtenehe als Institution dagegen ist normalerweise 20 auf sozial prominente Geschlechter, speziell Königshäuser, beschränkt. Sie dient dem Zusammenhalt der ökonomischen Machtmittel des Hauses, daneben wohl dem Ausschluß politischer Prätendentenkämpfe, endlich auch der Reinerhaltung des Bluts, ist also sekundär. - Das durchaus normale ist also: wenn ein Mann ein 25 von ihm erworbenes Weib in seine Hausgemeinschaft zieht oder wenn er, weil er die Mittel dazu nicht hat, seinerseits zu einem Weibe in dessen Hausgemeinschaft eintritt, so erwirbt er die sexuellen Rechte an der Frau für seinen exklusiven Gebrauch. Tatsächlich ist oft genug auch diese sexuelle Exklusivität prekär gegen30 über dem autokratischen Inhaber der Hausgewalt: die Befugnisse, welche sich z.B. der Schwiegervater innerhalb einer russischen A 201 Großfamilie bis in die Neuzeit herausnahm, sind bekannt. 22 Trotz21 Siehe unten, S. 128f. 22 Der Hausvorstand der patriarchalisch organisierten russischen Großfamilie bestimmte nicht nur die Ehepartner für seine Kinder, sondern unterhielt häufig auch geschlechtliche Beziehungen zu den in seinem Haus lebenden Schwiegertöchtern. Vgl. Weber, Marlanne, Ehefrau und Mutter, S.69; Slmkhowitsch, Wladimir G., Die Feldgemeinschaft in Rußland. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte und zur Kenntnis der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage des russischen Bauernstandes. - Jena: Gustav Fischer 1898, S.366f.

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dem gliedert sich die Hausgemeinschaft innerlich normalerweise in sexuelle Dauergemeinschaften mit ihren Kindern. Die Gemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern bildet mit persönlicher Dienerschaft, allenfalls der einen oder anderen unverehelichten Verwandten, den bei uns normalen Umfang der Hausgemeinschaft. Die Hausgemeinschaften älterer Epochen sind keineswegs immer sehr große Gebilde. Im Gegenteil zeigen diese namentlich, wenn die Art des Nahrungserwerbs zur Zerstreuung nötigte, oft kleine Hauseinheiten. Allerdings aber weist die Vergangenheit massenhafte Hausgemeinschaften auf, welche zwar auf Eltern- und Kindesverhältnissen als Kern ruhen, aber weit darüber hinausgreifen durch Einbeziehung von Enkeln, Brüdern, Vettern, gelegentlich auch Blutsfremden in einem heute bei Kulturvölkern mindestens sehr seltenen Umfang („Großfamilie"). Sie herrscht einerseits, wo Arbeitskumulation angewendet wird - daher beim arbeitsintensiven Ackerbau - , außerdem aber da, wo der Besitz im Interesse der Behauptung der sozialen und ökonomischen Machtstellung zusammengehalten werden soll, also in aristokratischen und plutokratischen Schichten. Abgesehen von dem sehr frühen Ausschluß des Geschlechtsverkehrs innerhalb der Hausgemeinschaft, ist die Sexualsphäre gerade bei sonst wenig entfalteter Kultur sehr häufig besonders stark eingeengt durch soziale Gebilde, welche die Hausgewalt derart durchkreuzen, daß man sagen kann: die erste entscheidende prinzipielle Durchbrechung ihrer Schrankenlosigkeit liege gerade auf diesem Gebiet. Der Begriff der Blutschande greift mit steigender Beachtung des „Blutsbandes" über das Haus hinaus auf weitere Kreise aushäusiger Blutsverwandter und wird Gegenstand kasuistischer Regulierung durch die SippeJ Die Sippe ist keine so „urwüchsige" Gemeinschaft, wie die Hausgemeinschaft und der Nachbarverband es sind. Ihr Gemeinschaftshandeln ist regelmäßig diskontinuierlich und entbehrt der Vergesellschaftung, es ist geradezu ein Beispiel dafür, daß Gemeinschaftshandeln bestehen kann, auch wo sich die Beteiligten gar nicht kennen und kein aktives Handeln, sondern nur ein Unterlasj In A folgt die Zwischenüberschrift: § 4. Die Sippe und die Regelung der Sexualbeziehungen.

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sen (sexuellenVerkehrs) stattfindet. Die „Sippe" setzt den Bestand anderer Sippen neben sich innerhalb einer umfassenden Gemeinschaft voraus. Der Sippenverband ist der urwüchsige Träger aller „Treue". Freundesbeziehungen sind ursprünglich künstliche Blutsbrüderschaften. Und der Vasall wie der moderne Offizier sind nicht nur Untergebene, sondern auch Brüder, „Kameraden" (= Hausgenossen ursprünglich) des Herren. Dem Inhalt ihres Gemeinschaftshandelns nach ist die Sippe eine auf dem Sexualgebiet und in der Solidarität nach außen mit der Hausgemeinschaft konkurrierende, unsere Sicherheits- und Sittenpolizei ersetzende Schutzgemeinschaft und zugleich regelmäßig auch eine Besitzanwartsgemeinschaft derjenigen früheren Hauszusammengehörigen, die aus der Hausgemeinschaft durch Teilung oder Ausheirat ausgeschieden sind, und deren Nachfahren. Sie ist also Stätte der Entwicklung der außerhäuslichen „Vererbung". Sie schafft vermittelst der Blutrachepflicht eine persönliche Solidarität ihrer Angehörigen gegen Dritte und begründet so, auf ihrem Gebiet, eine der Hausautorität gegenüber unter Umständen stärkere Pietätspflicht. Festzuhalten ist: daß die Sippe nicht etwa generell als eine erweiterte oder dezentralisierte Hausgemeinschaft oder als ein ihr übergeordnetes, mehrere Hausgemeinschaften zu einer Einheit verbindendes, soziales Gebilde verstanden werden darf. Das kann sie sein, ist es aber nicht der Regel nach. Denn ob im Einzelfall ihr Umkreis quer durch die Hausgemeinschaften hindurchschneidet oder die Gesamtheit der Hausgenossen umschließt, hängt - wie später zu erörtern 23 - von ihrem Strukturprinzip ab, welches unter Umständen Väter und Kinder verschiedenen Sippen zuweist. Die Wirkung der Gemeinschaft kann sich beschränken auf das | Verbot der Heirat A 202 unter den Genossen (Exogamie) und zu diesem Zweck können gemeinsame Erkennungszeichen und der Glaube an die Abstammung von einem als solches dienenden Naturobjekt (meist ein Tier) bestehen, dessen Genuß dann den Sippengenossen verboten zu sein pflegt (Totemismus). 24 Dazu tritt das Verbot des Kampfes 23 Siehe unten, S. 132-135. 24 Bei dieser religiösen Vorstellung von Naturvölkern glauben Einzelpersonen oder Gruppen, in einem mystisch begründeten Verwandtschaftsverhältnis zu einem Totem zu stehen, das als Beschützer und Helfer angesehen wird. Die Vorstellung gemeinsamer Abstammung führt zur Annahme blutsverwandtschaftlicher Verhältnisse innerhalb der Gruppe, was verbandsinterne Heiraten in der Regel ausschließt.

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gegeneinander und die (unter Umständen auf bestimmte nähere Verwandtschaftsgrade begrenzte) Blutrachepflicht und Blutrachehaftung füreinander. Aus dieser wieder folgt die gemeinsame Erhebung der Fehde im Fall des Totschlags und das Recht und die Pflicht der Sippegenossen, im Fall der Sühne durch Wehrgeld an diesem empfangend und zahlend beteiligt zu sein. Wie gegenüber der Rache der Menschen, so haftet die Sippe, indem sie im Rechtsgang die Eideshelfer stellt, auch gegenüber der Rache der Götter für einen Falscheid solidarisch. Sie ist auf diese Art die Garantie für die Sicherheit und Rechtsgeltung des Einzelnen. Es ist nun ferner auch möglich, daß der durch die Siedelung geschaffene Nachbarverband (Dorf, Markgenossenschaft) mit dem Umkreis der Sippengemeinschaft zusammenfällt und dann in der Tat das Haus als der engere Umkreis innerhalb des weiteren der Sippe erscheint. Aber auch ohne dies können oft sehr fühlbare Rechte der Sippengenossen gegenüber der Hausgewalt dauernd fortbestehen: Einspruchsrecht gegen Veräußerung von Hausvermögen, Recht der Mitwirkung beim Verkauf von Töchtern in die Ehe und Beteiligung am Brautpreis, Recht, den Vormund zu stellen u. dgl. Die urwüchsige Form der Geltendmachung von verletzten Interessen ist die solidarische Selbsthilfe der Sippe. Und die ältesten Kategorien eines dem „Prozeß" verwandten Verfahrens sind einerseits die Schlichtung von Streit innerhalb der Zwangsgemeinschaften: des Hauses durch den Inhaber der Hausautorität, der Sippe durch den „Ältesten" als den, der den Brauch am besten kennt, andererseits zwischen mehreren Häusern und Sippen, der vereinbarte Schiedsspruch. Als eine, aus wirklicher oder fiktiver oder künstlich durch Blutsbrüderschaft geschaffenen Abstammung abgeleitete, Pflichten- und Pietätsbeziehung zwischen Menschen, die unter Umständen nicht nur verschiedenen häuslichen, sondern auch verschiedenen politischen Einheiten und selbst verschiedenen Sprachgemeinschaften angehören können, steht die Sippe dem politischen Verband in konkurrierender, ihn durchkreuzender Selbständigkeit gegenüber. Sie kann ganz unorganisiert, eine Art passives Gegenbild des autoritär geleiteten Hauses sein. Sie bedarf an sich für ihre normalen Funktionen keines dauernden Leiters mit irgendwelchem Herrenrecht, untersteht auch faktisch der Regel nach keinem solchen, sondern bildet einen amorphen Personenkreis, dessen äußeres Einigungsmerkmal allenfalls in einer positi-

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ven Kultgemeinschaft oder einer negativen Scheu vor Verletzung oder Genuß des gemeinsamen heiligen Objekts (Tabu) 25 besteht, deren religiöse Gründe später zu erörtern sind. 26 Die kontinuierlich mit einer Art von Regierung an der Spitze organisierten Sippen als die ältere Form anzunehmen, wie es z. B. Gierke tat, 27 ist als Regel jedenfalls kaum möglich, - das Umgekehrte: daß auch die Sippe nur da „vergesellschaftet" ist, wo es ökonomische oder soziale Monopole nach außen zu „schließen" gilt, muß vielmehr als Regel angesehen werden. Existiert ein Sippenhaupt und funktioniert die Sippe überhaupt als politischer Verband, so ist dies zuweilen nicht aus den inneren Bedingungen des Sippenverbands erwachsen, sondern Folge seiner Ausnutzung für ihm ursprünglich fremde, politische, militärische oder andere gemeinwirtschaftliche Zwecke und seiner dadurch bedingten Stempelung zu einer Unterabteilung ihm an sich heterogener sozialer Einheiten (so die „gens" 28 als Unterabteilung der „curia", die „Sippen" als Heeresabteilungen usw.). - Es ist auch und vielfach gerade für Epochen sonst wenig entfalteten Gemeinschaftshandelns charakteristisch, daß Haus, Sippe, Nachbarschaftsverband, politische Gemeinschaft einander derart kreuzen, daß die Haus- und Dorfangehörigen verschiedenen Sippen, die Sippenangehörigen verschiedenen politischen Gemeinschaften und selbst verschiedenen Sprachgemeinschaften zugehören und also gegebenenfalls Nachbarn, politische Genossen, selbst Hausgemeinschafter in die Lage kommen, gegeneinander Blut-

25 Schurtz, Altersklassen, S. 359f., übersetzt das polynesische Wort Tabu (Tapu, Tambu) als etwas Verbotenes und im übertragenen Sinn als etwas Heiliges bzw. Göttliches, das er von der Scheu vor den Geistern der Verstorbenen ableitet. Leichen zu berühren war nur einem bestimmten Personenkreis erlaubt, während alle übrigen gewissermaßen verunreinigt wurden. A u f g r u n d dieser Vorstellung war es möglich, d e n eigenen Besitz durch Ahnenbilder zu schützen. Häuptlingen wurde schon zu Lebzelten die Fähigkeit zuerkannt, ein Tabu zu verhängen, womit sie ein wirksames Rechtsmittel in die Hand bekamen. 26 Siehe Weber, Religiöse Gemeinschaften, MWG 1/22-2, S. 167. 27 Otto von Gierke sah in der Sippe die älteste Form eines organisierten Herrschaftsverbandes, den die einzelnen Hausvorstände g e m e i n s a m und gleichberechtigt leiteten. Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 1 4 - 1 7 . 28 Lateinische B e z e i c h n u n g für einen S i p p e n v e r b a n d mit einer gemeinsamen, oft allerdings fiktiven Abstammungslinie, dessen ursprüngliche erbrechtliche B e d e u t u n g sich im republikanischen Rom zugunsten der Familie verschob. Die staatsrechtliche Bedeutung ist unsicher. Weber folgt hier der Ende des 19. Jahrhunderts a u f g e g e b e n e n Vorstellung, die gentes seien ursprünglich 300 Unterabteilungen der Curien gewesen. Der weiterhin a n g e n o m m e n e Z u s a m m e n h a n g zwischen gentes und der Senatorenzahl blieb umstritten.

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A 203 räche | üben zu sollen. Erst die allmähliche Monopolisierung der Anwendung von physischer Gewalt durch die politische Gemeinschaft beseitigt diese drastischen „Pflichtenkonflikte". Für Verhältnisse aber, welche das politische Gemeinschaftshandeln nur als intermittierendes Gelegenheitshandeln, im Fall der akuten Bedrohung, oder als einen Zweckverband von Beutelustigen kennt, ist die Bedeutung der Sippe und der Grad der Rationalisierung ihrer Struktur und Pflichten oft - so z.B. in Australien - zu einer fast scholastischen Kasuistik entwickelt. 29 Wichtig ist die Art der Ordnung der Sippenbeziehungen und der durch sie regulierten Sexualbeziehungen durch deren Rückwirkung auf die Entwicklung der persönlichen und ökonomischen Struktur der Hausgemeinschaften. Je nachdem das Kind zur Sippe der Mutter zählt („Mutterfolge") oder zu der des Vaters („Vaterfolge"), gehört es der Hausgewalt an, und hat Anteil an dem Besitz einer anderen Hausgemeinschaft und insbesondre an den dieser innerhalb anderer Gemeinschaften (ökonomischer, ständischer, politischer) appropriierten Erwerbschancen. Jene andren Gemeinschaften sind daher an der Art der Regelung der Zugehörigkeit zum Hause mitinteressiert, und aus dem Zusammenwirken der, in erster Linie ökonomisch, daneben politisch, bedingten Interessen ihrer aller erwächst diejenige Ordnung, welche im Einzelfall dafür gilt. Es ist wichtig, sich von vornherein klar zu machen, daß die einzelne Hausgemeinschaft, sobald neben ihr noch andere, sie mit einschließende, Verbände bestehen, welche über ökonomische und andre Chancen verfügen, keineswegs schlechthin autonom ist in der Verfügung über die Art der Zurechnung und, je knapper jene Chancen werden, desto weniger autonom bleiben kann. Die mannigfachsten, hier im einzelnen unmöglich zu analysierenden Interessen bestimmen die Frage: ob Vater- oder Mutterfolge, mit ihren 29 Die Verbände der Aborigines gliederten sich in drei Altersklassen, wobei die unterste von den Kindern eines Verbandes gebildet wurde, die mit der Geschlechtsreife In die mittlere aufgenommen wurden. Sobald das älteste Kind einer Familie die mittlere Altersklasse erreicht hatte, stiegen die Eltern in die oberste Klasse auf. Unabhängig von den tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen wurden alle Mitglieder einer unteren Klasse als Söhne bzw. Töchter und die der oberen als Vater bzw. Mutter bezeichnet. Hochzeiten waren nur innerhalb einer Altersklasse, mit der jeweils bestimmte Rechte und Pflichten verbunden waren, erlaubt. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 10f.; Cunow, Heinrich, Die Verwandtschafts-Organisationen der Australneger. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Familie. - Stuttgart: J.H.W. Dletz 1894, S. 2 5 - 5 4 .

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Konsequenzen. Im Fall der Mutterfolge sind es - da eine förmliche Hausherrschaft der Mutter selbst zwar vorkommt, aber zu den durch besondere Umstände bedingten Ausnahmen zählt - nächst dem Vater die Brüder der Mutter, deren Schutz und Zuchtgewalt das Kind untersteht und von denen ihm sein Erbe kommt („Avunculat"). Im Fall der Vaterfolge untersteht es nächst seinem Vater der Gewalt der väterlichen Verwandten und erbt von dorther. Während in der heutigen Kultur Verwandtschaft und Erbfolge normalerweise „kognatisch", d. h. zweiseitig nach der Vater- und Mutterseite hin gleichmäßig wirken, die Hausgewalt aber stets dem k Vater und, wenn er fehlt, einem meist, aber nicht notwendig, aus den nächsten Kognaten berufenen, durch die öffentliche Gewalt bestätigten und kontrollierten Vormund zusteht, findet in der Vergangenheit sehr häufig ein schroffes Entweder-Oder jener beiden Prinzipien statt. Aber nicht notwendig so, daß innerhalb einer Gemeinschaft eins von beiden für alle Hausgemeinschaften allein gälte, sondern auch so, daß innerhalb derselben Hausgemeinschaft teils das eine, teils das andere, aber natürlich in jedem Einzelfall stets nur eins von beiden durchgreift. Der einfachste Fall dieser Konkurrenz ist durch Vermögensdifferenzierung bedingt. Die Töchter gelten, wie alle Kinder, als nutzbarer Besitz der Hausgemeinschaft, in der sie geboren sind. Sie verfügt über ihre Hand. Der Leiter kann sie, ebenso wie seine Frau, seinen Gästen sexuell zur Verfügung stellen, sie zeitweilig oder dauernd gegen Abgaben oder Dienste sexuell nutzen lassen. Diese prostitutionsartige Verwertung der Haustöchter bildet einen beträchtlichen Teil der unter dem unklaren Sammelnamen des „Mutterrechts" verstandenen Fälle: Mann und Frau bleiben in diesem Fall jeder in seiner Hausgemeinschaft, die Kinder in der der Mutter, der Mann bleibt ihnen ganz fremd und leistet nur, in der heutigen Sprache ausgedrückt: „Alimente" an ihren Hausherrn. Es besteht also keine Gemeinschaft des Hauses von Mann, Frau und Kindern. Diese kann auf der Basis von Vater- oder Mutterfolge entstehen. Der Mann, welcher die Mittel besitzt^ eine Frau bar zu bezahlen, nimmt sie aus ihrem Haus und ihrer Sippe in das seinige. Seine Hausgemeinschaft wird ihr voller Eigentümer und damit Besitzer ihrer Kinder. Der

k A: den

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Zahlungsunfähige muß dagegen, wenn ihm die häusliche Vereinigung mit dem begehrten Mädchen von dessen Hausherren gestattet wird, in dessen Hausgemeinschaft eintreten, entweder zeitweise, A 204 um sie abzuverdienen | („Dienstehe") 30 oder dauernd, und der Hausgemeinschaft der Frau verbleibt dann die Gewalt über sie und die Kinder. Das Haupt einer vermögenden Hausgemeinschaft also kauft einerseits von minder vermögenden andern Hausgemeinschaften Frauen für sich und seine Söhne (sog. „Digaehe") 31 und zwingt andererseits unvermögende Freier seiner Töchter zum Eintritt in den eigenen Hausverband („Binaehe"). Vaterfolge, d.h. Zurechnung zum Hause und zur Sippe des Vaters^ und Mutterfolge, d. h. Zurechnung zum Hause und zur Sippe der Mutter, Vaterhausgewalt, d.h. Gewalt des Manneshauses[,j und Mutterhausgewalt, d. h. Gewalt der Hausgemeinschaft der Frau, bestehen dann nebeneinander für verschiedene Personen innerhalb einer und derselben Hausgemeinschaft. In diesem, einfachsten, Fall aber immer: Vaterfolge mit Gewalt des Vaterhauses und Mutterfolge mit Gewalt des Mutterhauses verbunden. Dies Verhältnis kompliziert sich nun, wenn zwar der Mann die Frau in seine Hausgemeinschaft überführt und also Vaterhausgewalt entsteht, dennoch aber Mutterfolge, also: ausschließliche Zurechnung der Kinder zur Sippe der Mutter als ihres exogamen Sexualverbandes, ihrer Blutrachegemeinschaft und als der Gemeinschaft, von der allein sie erben, bestehen bleibt. Auf diesen Fall sollte man den Namen „Mutterrecht" im technischen Sinn beschränken. 32 In dieser Form, welche die Stellung des Vaters zu den Kindern ja auf das engste einschnürt, Vater und Kinder trotz der Hausgewalt des ersteren einander

30 Die Dienstehe, auch Erdienungs- oder Binaehe genannt, ist in der Regel vorübergehend. Wenn der Bräutigam den Kaufpreis für seine Braut abgedient hat, wechselt die Verfügungsgewalt über die Frau vom Brautvater auf den Ehemann. Kommt es vorher zu einer Trennung der Ehepartner, verbleibt der gesamte Besitz in der Hausgemeinschaft der Frau. 31 Eine Digaehe bezeichnet die übliche Form der Kaufehe, bei der der Mann den Brautpreis bezahlt und die Frau in seinen Hausverband überführt. 32 Üblicherweise wurde der Begriff „Mutterrecht" mit Bachofen, Mutterrecht (wie oben, S.2, Anm.4), S. VI, in allgemeinerem Sinne benutzt und auf alle Fälle bezogen, in denen die Kinder in der ausschließlichen Erbfolge der mütterlichen Sippe standen, ohne Rücksicht auf sonstige rechtliche Stellungen.

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rechtlich fremd leben läßt, kommt der Zustand, soviel bekannt, nicht vor. Wohl aber in mannigfachen Zwischenstufen: das Mutterhaus behält, indem es die Frau in das Haus des Mannes gibt, dennoch bestimmte Teile seiner Anrechte an Frau und Kindern zurück. Besonders oft besteht, infolge der Festigkeit der einmal eingelebten superstitiösen Angst vor der Blutschande, die nach der Mutterseite gerechnete Sippenexogamie für die Kinder fort. Oft auch verschieden große Bestandteile der Erbfolgegemeinschaft mit dem Mutterhaus. Speziell auf diesem Gebiet kämpfen Vater- und Muttersippe einen Kampf, dessen sehr verschiedener Ausgang durch Bodenbesitzverhältnisse, speziell auch die Beeinflussung des dörflichen Nachbarschaftsverbandes und durch militärische Ordnungen bedingt ist.1 Leider gehören die Beziehungen von Sippe, Dorf, Markgenossenschaft und politischer Gliederung noch zu den dunkelsten und wenigst erforschten Gebieten der Ethnographie und Wirtschaftsgeschichte. Es gibt bisher keinen Fall, für den diese Beziehungen wirklich restlos aufgeklärt wären, weder für die primitiven Verhältnisse der Kulturvölker, noch für die sog. Naturvölker, insbesondere auch z. B. nicht, trotz Morgans Arbeiten, 33 die Indianer. Der Nachbarschaftsverband eines Dorfes kann im einzelnen durch Zerspaltung einer Hausgemeinschaft im Erbgang entstanden sein. In Zeiten des Übergangs vom nomadisierenden zum seßhaften Bodenanbau kann die Landzuteilung sich an die Sippengliederung halten, da diese in der Heeresgliederung berücksichtigt zu werden pflegt, so daß die Dorfgemarkung als Sippenbesitz gilt. Dies scheint im

I In A folgt die Zwischenüberschrift: §5. Beziehungen zur Wehr- und Wirtschaftsverfassung. Das „eheliche Güterrecht" und Erbrecht.

33 Lewis Henry Morgan, einer der damals führenden amerikanischen Ethnologen, veröffentlichte zahlreiche Arbelten über das Gesellschaftssystem der nordamerikanischen Indianer, wobei die Irokesen im Mittelpunkt seines Interesses standen. Morgan, Lewis Henry, Houses a n d House-Life of the American Aborigines. - Washington: Government Printing Office 1881; ders., League of the Ho-De'-No Sau-Nee or Iroquois, 2 Vols. - New York: Burt Franklin 1901. Seine bekannteste Arbelt: Ancient Society. - New York: Gordon Press 1877, erschien 1891 in deutscher Übersetzung als: Die Urgesellschaft. Weber hatte Morgan, Urgesellschaft, bereits In seinem Vorlesungs-Grundriß, S. 11, aufgeführt.

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germanischen Altertum nicht selten gewesen zu sein, da die Quellen von „genealogiae" als Besitzern von Gemarkungen 34 auch da sprechen, wo anscheinend nicht eine Landnahme durch ein adliges Geschlecht mit seinem Gefolge gemeint ist. Aber die Regel war dies schwerlich. Die Militärverbände (Tausendschaften und Hundertschaften), welche aus Personalcadres zu Gebietsverbänden wurden, standen mit den Sippen und diese wieder mit den Markgemeinschaften, soviel bekannt, in keiner eindeutigen Beziehung. Allgemein läßt sich nur sagen: Der Grund und Boden kann 1. entweder in erster Linie als Arbeitsstätte gelten. In diesem Fall wird, solange der Anbau vornehmlich auf Frauenarbeit ruht, im Verhältnis zwischen den Sippen oft aller Bodenertrag und Bodenbesitz den Frauen zugerechnet. Der Vater hat den Kindern alsdann A 205 Bodenbesitz ¡ nicht zu hinterlassen, die Erbfolge an ihm geht durch Mutterhaus und Muttersippe, vom Vater erbt man nur militärische Gebrauchsgüter, Waffen, Pferde und Werkzeuge männlicher gewerblicher Arbeit. In ganz reiner Form kommt freilich dieser Fall kaum vor. Oder umgekehrt: 2. der Boden gilt als mit dem Speer gewonnener und behaupteter Männerbesitz, an dem Waffenlose und also insbesondere Frauen keinen Anteil haben können. Dann kann der lokale politische Verband des Vaters das Interesse haben, dessen Kinder als militärischen Nachwuchs in seiner Mitte festzuhalten, und da die Söhne in die Waffengemeinschaft des Vaters eintreten, so wird dann das Land vom Vater her auf sie vererbt und nur beweglicher Besitz kann nach Mutterfolge erben. Stets hält ferner 3. der Nachbarverband des Dorfes oder einer Markgenossenschaft als solcher die Hand über den durch gemeinsame Rodung, also Mannesarbeit, gewonnenen Boden und duldet nicht, daß der Boden im Erbgang an Kinder geht, die nicht in jeder Hinsicht dauernd an den Pflichten ihres Verbandes teilnehmen. Der Kampf dieser und unter Umständen noch verwickelterer Determinanten ergibt sehr verschiedene Resultate. Es läßt sich aber 4. auch nicht sagen - wie es darnach scheinen könnte - , daß der vorwiegend mi-

34 In der Lex Alamannorum werden z. B. zwei Gemeinden, die sich über den Verlauf der Gemeindegrenze streiten, als „genealogiae" bezeichnet. Vgl. Monumenta Germaniae Histórica, Legum Sectio I, Legum Natlonum Germanicarum, Band V, Teil 1, Leges Alamannorum, hg. von Karl August Eckardt. - Hannover: Impensis Bibliopolii Hahniani 1966, LXXXi, LXXXIV, S. 145-148.

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litärische Charakter einer Gemeinschaft schon an sich eindeutig in der Richtung der Vaterhausgewalt und einer rein vaterrechtlichen („agnatischen") Verwandschafts- und Vermögenszurechnung wirkte. Sondern das hängt durchaus von der Art der Militärorganisation ab. Wo diese in einem dauernden exklusiven Zusammenschluß der waffenfähigen Jahrgänge der Männer zu einer besondren kasernen- oder kasinoartigen Gemeinschaft führt, wie sie das von Schurtz geschilderte typische „Männerhaus"35 und die spartiatischen Syssitien 36 als reinste Typen darstellen - da konnte sehr wohl und hat recht oft dieses Ausscheiden des Mannes aus dem infolgedessen als „Muttergruppe"37 konstituierten Familienhaushalt entweder die Zurechnung der Kinder und des Erwerbs zum Mutterhause oder doch eine relativ selbständige Stellung der Hausmutter herbeigeführt, wie sie z. B. für Sparta berichtet wird. 38 Die zahlreichen, eigens zur Einschüchterung und Plünderung der Frauen erfundenen superstitiösen Mittel (z.B. das periodische Erscheinen und der Plünderungszug des Duk-Duk) 3 9 stellen die Reaktion der aushäusig gewordenen Männer gegen diese Gefährdung ihrer Autorität dar. Wo dagegen die Glieder der Militärkaste als Grundherren über das Land zerstreut saßen, ist die Tendenz zur patriarchalen und zugleich agnatischen Struktur von Haus und Sippe fast durchweg alleinherrschend geworden. Die großen Reichsgrün-

35 Vgl. oben, S. 116, Anm.6. 36 Als Syssition (PI. Syssitia) wurde in Griechenland jede Form einer „Essensgemeinschaft" bezeichnet. In Sparta war die Mitgliedschaft seit Lykurgos Voraussetzung für das volle Bürgerrecht und die Teilnahme bis auf bestimmte Ausnahmen verpflichtend, wobei die Mitglieder festgelegte Beiträge in Naturalien zu leisten hatten. 37 Vgl. oben, S. 115, Anm.5. 38 Durch die außerhäusliche „Kasernierung" der Männer in Gemeinschaftsunterkünften und den eigenen Landbesitz erlangten spartanische Frauen eine Selbständigkeit, die im übrigen Griechenland nicht nachvollziehbar war. Aristoteles nahm z. B. an, daß spartanische Frauen keinen Gesetzen unterworfen seien, ihre Männer beherrschten und dadurch auch den Staat regieren würden. Vgl. Aristoteles, Politik, 2, 1269a. 39 Der Duk-Duk des Bismarck-Archipels galt in der zeitgenössischen Literatur als der bekannteste Gehelmbund Polynesiens. In mehr oder weniger periodischen Abständen erschien der Duk-Duk auf den Inseln und übernahm die Herrschaft in den Dörfern. Dabei wurden Festmähler abgehalten, durch den Duk-Duk rituelle Züchtigungen vorgenommen und ihm Geldgeschenke übergeben. Die Frauen und andere Nicht-Eingeweihte mußten dem Duk-Duk bei Strafe ausweichen. Die Deutung der Rituale ist in der Literatur uneinheitlich und reicht von legitimen Plünderungszügen bis zur Ausübung der Rechtsprechung und dem Eintreiben von Steuern. Vgl. Schurtz, Altersklassen, S. 369-377. Zum Duk-Duk vgl. auch den Text „Polltische Gemeinschaften", unten, S.212.

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dungsvölker im fernen Orient und in Indien ebenso wie in Vorderasien, am Mittelmeer und im europäischen Norden, haben, soweit historische Kunde reicht, sämtlich (die Ägypter nicht, wie oft angenommen wird, 40 ausgeschlossen) die Vaterfolge einschließlich (außer bei den Ägyptern) der exklusiv agnatischen Verwandtschafts- und Vermögenszurechnung entwickelt. Dies hat seinen Grund im wesentlichen darin, daß die Gründung großer politischer Gebilde dauernd nicht leicht von stabartig zusammengesiedelten und monopolistischen kleinen Kriegergemeinschaften nach Art des „Männerhauses" getragen werden kann, sondern - unter naturalwirtschaftlichen Bedingungen - normalerweise die patrimonale und grundherrliche Unterwerfung der Landgebiete bedingt, auch wo sie von örtlich eng zusammengesiedelten Kriegern ausging, wie in der Antike. Die Entwicklung der Grundherrschaft mit ihrem Amtsapparat geht naturgemäß von der unter einem Vater als Hausherrn sich zum Herrschaftsapparat organisierenden Hausgemeinschaft aus und erwächst also überall aus der Vatergewalt heraus. Keinerlei ernsthafte Beweise stützen dementsprechend die Behauptung, daß diesem Zustand vorherrschenden „Vaterrechts" bei jenen Völkern jemals ein anderer vorangegangen sei, seitdem überhaupt bei ihnen die Familienbeziehungen Gegenstand einer Äec/iisbildung waren. Insbesondere ist die Hypothese von der einst universellen Herrschaft einer „Ehe nach Mutterrecht" 41 eine wertlose Konstruktion, welche ganz Heterogenes: das primitive Fehlen jeder rechtlichen Regelung der Kindesbeziehungen und das dann allerdings normalerweise bestehende nähere persönliche VerhältA 206 nis der Kinder zur Mutter, die sie säugt und | erzieht, mit demjeni-

40 Daß in Ägypten keine Vaterfolge entwickelt worden sei, nehmen z.B. an Nietzhold, Johannes, Die Ehe in Ägypten zur ptolemäisch-römischen Zeit. Nach den griechischen Heiratskontrakten und verwandten Urkunden. - Leipzig: Veit & Comp. 1903, S. 18 (hinfort: Nietzhold, Ehe in Ägypten); Bachofen, Mutterrecht (wie oben, S. 2, Anm. 4), S. 303f. 41 Von einer ursprünglichen Vorherrschaft des Mutterrechts gehen aus, Bachofen, Mutterrecht (wie oben, S. 2, Anm. 4), S. VI, Nietzhold, Ehe in Ägypten (wie Anm. 40); Grosse, Ernst, Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaft. - Freiburg i. Br., Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1896 (hinfort: Grosse, Formen der Familie). In dem Stichwortmanuskript „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, S.303, wendet sich Weber in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch gegen Bebel, Die Frau und der Sozialismus, sowie Engels, Der Ursprung der Familie.

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gen /?ec/ii.s'zustande,m der allein den Namen Mutterrecht 42 verdient, vermischt. Ganz ebenso irrig ist natürlich die Vorstellung: daß von einer „ursprünglichen" universellen Mutterfolge zur Geltung des „Vaterrechts" 43 ein Zustand der „Raubehe" als universelle Zwischenstufe geführt habe. Rechtsgültig kann eine Frau nur durch Tausch oder Kauf aus einem fremden Haus erworben werden. Der Frauenraub führt zu Fehde und Sühne. Den Helden freilich schmückt, wie der Skalp des Feindes, so die geraubte Frau als Trophäe, und daher ist der Hochzeitsritus oft ein fingierter Frauenraub, ohne daß realer Frauenraub doch eine rechtshistorische „Stufe" darstellte. 44 Die Entwicklung der inneren vermögensrechtlichen Struktur der Hausgemeinschaft ist demgemäß bei den großen Reichsgründungsvölkern eine stete Abschwächung der schrankenlosen Vatergewalt. Zu den Folgen ihrer ursprünglichen Schrankenlosigkeit gehörte namentlich das Fehlen der Unterscheidung „legitimer" und „illegitimer" Kinder, wie es sich, als Rest der einst freien Willkür des Hausherrn in der Bestimmung darüber: wer „sein" Kind sei, noch im nordischen Recht des Mittelalters findet 4 5 Erst das Eingreifen politischer oder ökonomischer Gemeinschaften, welche die Zugehörigkeit zu ihrem Verband an die Abstammung aus „legitimen" Verbindungen, d. h. Dauerverbindungen mit Frauen aus dem eigenen Kreise, knüpfen, ändert dies endgültig. Die wichtigste m A: „RecAiszustande 42 Vgl. o b e n , S. 134. 4 3 Beim Vaterrecht richtet sich die Erbfolge der Kinder n a c h d e n Verwandtschaftsverhältnissen d e s Vaters. Sie sind nur innerhalb seiner S i p p e e r b b e r e c h t i g t . 44 Dies w e n d e t sich g e g e n e n t s p r e c h e n d e V e r m u t u n g e n z. B. v o n Grosse, Formen der Familie (wie o b e n , S. 138, A n m . 4 1 ) , S. 105, und Brunner, Heinrich, G r u n d z ü g e der deuts c h e n R e c h t s g e s c h i c h t e , 3. Aufl. - Leipzig: D u n c k e r & H u m b l o t 1908, S . 2 0 8 (hinfort: Brunner, D e u t s c h e R e c h t s g e s c h i c h t e ) . 45 Diese A u s s a g e findet in der z e i t g e n ö s s i s c h e n Literatur keine Bestätigung. Einer der b e d e u t e n d s t e n Forscher d e s n o r d i s c h e n Rechts, K o n r a d v o n Maurer, betonte, daß der Akt der Legitimation nichtehelicher Kinder im nordischen Recht nur als A u f n a h m e eines Kind e s in die S i p p e ( d u r c h „Aettleiding", Sippenleite) e r f o l g e n konnte, nicht aber als Einbez i e h u n g In d e n Haushalt. Diese A u f f a s s u n g b e g r ü n d e t e er u. a. damit, „ d a s s die altnordis c h e S p r a c h e w e d e r für d e n Begriff der Familie, n o c h für d e n der väterlichen Gewalt eine t e c h n i s c h e B e z e i c h n u n g besitzt." Vgl. Maurer, K o n r a d von, Die u n ä c h t e Geburt n a c h altn o r d i s c h e m Rechte, in: S i t z u n g s b e r i c h t e der p h i l o s o p h i s c h - p h i l o l o g i s c h e n Classe der königlich b a y e r i s c h e n A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n zu M ü n c h e n , 1883, 1. Heft. - München: F. Straub 1884, S . 3 - 8 6 .

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Etappe auf dem Wege der Herstellung dieses Prinzips aber: eben jene Scheidung „legitimer" und „illegitimer" Kinder und die erbrechtliche Sicherung der ersteren, wird meist dann erreicht, wenn innerhalb der besitzenden oder ständisch privilegierten Schichten, nach Zurücktreten der Schätzung der Frau lediglich als Arbeitskraft, die Tendenz erwacht: die rechtliche Stellung der in die Ehe verkauften Haustochter, und vor allem diejenige ihrer Kinder, durch Kontrakt gegen jene ursprüngliche freie Willkür des Käufers der Frau zu sichern: sein Vermögen soll an die Kinder aus dieser Ehe und nur an sie "vererbt werden." Nicht das Bedürfnis des Mannes, sondern dasjenige der Frau nach „Legitimität" ihrer Kinder also ist die treibende Kraft. Das Haus stattet, weiterhin mit zunehmenden Ansprüchen an die Lebenshaltung und demnach wachsender Kostspieligkeit „standesgemäßen" Haushaltensj,] das in die Ehe verkaufte Mädchen, welches nun nicht mehr Arbeitskraft, sondern Luxusbesitz ist, zunehmend mit einer „Mitgift" aus, welche zugleich seine Abfindung vom Besitz seiner Hausgemeinschaft darstellt (in dieser Art besonders klar im altorientalischen und althellenischen Recht entwickelt) und ihm dem kaufenden Mann gegenüber auch das „materielle Schwergewicht" verleiht, seine schrankenlose Willkür zu brechen, da er sie im Fall der Verstoßung zurückerstatten muß. In höchst verschiedenem Grade und nicht immer in der Form eigentlicher Rechtssätze wird dieser Zweck allmählich erreicht, oft aber so vollständig, daß nur die Mitgiftehe als Vollehe (eyYecicpog yä^og in Ägypten) gilt.46 Auf die weitere Entwicklung des „ehelichen Güterrechts" soll hier nicht eingegangen werden. Entscheidende Wendungen finden sich überall dort, wo die militärische Bewertung des Bodenbesitzes als speererworbenen Guts oder als Basis für die Ausstattung ökonomisch wehrfähiger (zur Selbstequipierung fähiger) Existenzen zurücktritt, und der Grundbesitz, wie namentlich unter städtischen Verhältnissen, vorwiegend ökonomisch gewertet wird, mithin auch n A:erben. 4 6 „Engraphos gamos" bezeichnet eine vertragliche Ehe, die eine Mitgift der Ehefrau voraussetzte und den Kindern einer Beziehung Erbansprüche erst gesetzlich sicherte. Die Rechtsauffassung, daß nur eine Mitgift eine Ehe legitimieren würde, führte in Ägypten zu einer Art Scheinmitgift. Der Ehemann überließ der mittellosen Familie der Braut eine bestimmte Summe, die ihm die Braut in Form der Mitgift zurückführte. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 104f.

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die Töchter zum Bodenerbrecht gelangen. Je nachdem der Schwerpunkt der Existenz mehr auf dem gemeinsamen Erwerb der Familie ruht oder umgekehrt auf der Rente des ererbten Besitzes, gestaltete sich das Kompromiß zwischen den in Betracht kommenden Interessen des Mannes und denen der Frau und ihrer Sippe höchst mannigfaltig. Im ersteren Fall ist im okzidentalen Mittelalter oft eine Entwicklung zur „Gütergemeinschaft" erfolgt, im letzteren die sog. „Verwaltungsgemeinschaft" (Verwaltung und Nutznießung des Mannes am Frauengut) vorgezogen worden, während in den feudalen Schichten das Streben, die Grundstücke nicht aus der Familie gelangen zu lassen, die (in typischer Art in England entwickelte) „Wittumsehe" 47 (Versorgung der Witwe durch eine Rente, die am Grundbesitz haftet) erzeugte. Im übrigen greifen | die mannigfal- A 207 tigsten Determinanten ein. Römische und englische Aristokratie zeigen in ihrer sozialen Lage manche Ähnlichkeit. Aber in der römischen Antike entstand die völlige ökonomische und persönliche Emanzipation der Ehefrau durch Entwicklung der jederzeit kündbaren „freien Ehe", 48 erkauft durch ihre völlige Unversorgtheit als Witwe und gänzliche Rechtlosigkeit als Mutter gegenüber der schrankenlosen Gewalt des Vaters über ihre Kinder - in England blieb die Ehefrau ökonomisch und persönlich in der ihre Rechtspersönlichkeit gänzlich vernichtenden „coverture",49 bei zugleich 47 Wittum war ursprünglich die Bezeichnung für den zu entrichtenden Preis beim Brautkauf. Im Zuge der weiteren Entwicklung stand dieser Betrag der Braut zu und sollte ihrer Witwenversorgung dienen. Vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte (wie oben, S. 139, Anm. 44), S. 209. In England hatte die Witwe Anspruch auf eine lebenslange Pension aus den Erträgen des Grundbesitzes ihres verstorbenen Mannes. Ein Anspruch auf den Grundbesitz selbst oder auf das bewegliche Vermögen bestand hingegen nicht. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 254f. 48 Die „freie Ehe" setzte sich mit Beginn der Kaiserzeit im römischen Reich durch. Die Ehefrau hatte keinerlei Rechte an ihren Kindern und unterstand der Strafgewalt ihres Vaters bis zu dessen Tod. Nach dessen Ableben war sie bis auf wenige Ausnahmen eine voll handlungsfähige Rechtsperson und geriet in keine Abhängigkeit vom Ehemann. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 165. 49 Coverture bezeichnet einen bestimmten rechtlichen Ehestand der Frau. In England galt die Ehefrau bis in die 1880er Jahre als rechtlich nicht handlungsfähig und konnte rechtsgültige Verträge selbst mit Zustimmung ihres Mannes nur bedingt abschließen. Von der Handlungsunfähigkeit der Ehefrau wurde ihre juristische Unverantwortlichkeit abgeleitet, so daß der Ehemann für alle, außer das Leben Dritter gefährdende, Vergehen seiner Frau zur Verantwortung gezogen wurde. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 250f.

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für sie - fast völliger Unlöslichkeit der feudalen „Wittumsehe". Die größere Stadtsässigkeit des Römeradels und die Einwirkung des christlichen Ehepatriarchalismus in England dürften den Unterschied bedingt haben. Dem Fortbestand des feudalen Eherechts in England und der kleinbürgerlich und militaristisch (im Code Napoleon durch den persönlichen Einfluß seines Inspiratoren) motivierten Gestaltung des französischen Eherechts 50 stehen bürokratische Staaten (Österreich und namentlich Rußland) mit starker Nivellierung der Geschlechtsunterschiede im Ehegüterrecht gegenüber, die im übrigen da am weitesten fortzuschreiten pflegt, wo der Militarismus in den maßgebenden Klassen am weitesten zurückgedrängt ist. Im übrigen wird die Vermögensstruktur der Ehe bei entwickeltem Güterverkehr wesentlich durch das Bedürfnis nach Sicherung der Gläubiger mitbedingt. Die höchst bunten Einzelergebnisse dieser Entwicklungsmomente gehören nicht hierher. Die aus Interessen der Frau heraus entstandene „legitime" Ehe muß dabei keineswegs alsbald die Alleinherrschaft der Monogamie mit sich bringen. Die in bezug auf das Erbrecht ihrer Kinder privilegierte Frau kann als „Hauptfrau" aus dem Kreise der übrigen Frauen herausgehoben werden, wie dies im Orient, in Ägypten und in den meisten asiatischen Kulturgebieten der Fall war. Selbstverständlich aber ist die Polygamie auch in dieser Form („Halbpolygamie") 51 überall Privileg der Besitzenden. Denn der Besitz einer 50 Die Abfassung des im August 1800 in Auftrag gegebenen und im März 1804 veröffentlichten code civil (seit 1807 auch Code Napoleon genannt) wurde von Napoleon durch Generalanweisungen beeinflußt; als Vorsitzender des Staatsrates intervenierte er teilweise auch in Detailfragen. In bezug auf das Eherecht revidierte der Code Napoleon die liberalen Scheidungsmöglichkeiten der Revolutionszeit und trug damit den Moralvorstellungen des Bürgertums Rechnung. Neben der streng geregelten einvernehmlichen Trennung waren Scheidungsklagen gegen den Ehepartner im Falle grausamer Behandlung oder grober Beleidigung, bei einer entehrenden Strafe oder bei Untreue möglich. Bei Untreue der Ehefrau wurde diese nach der Scheidung zu einem Arbeitsdienst verurteilt. Insgesamt war die Frau wirtschaftlich abhängig, da sie das gemeinsame Eigentum nicht verwalten und vor Gericht nur mit Zustimmung des Mannes auftreten durfte. Vgl. Code Napoleon. Edition seule officielle pour le Grand-Duche de Berg, Buch 1. - Düsseldorf: Großherzoglich-Bergische Regierungs-Buchdruckerey 1810, S. 7 0 - 1 3 7 . Zu Webers Bewertung des französischen Eherechts vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 320 51 Weber benutzt hier einen von seiner Frau eingeführten Begriff, der neben den erbrechtlichen auch die moralischen Aspekte dieser Mischform aus monogamer und polygamer Ehe mit einer „Hauptfrau" und mehreren nicht erbberechtigten „Nebenfrauen" berücksichtigte. Die juristische Literatur ging dagegen für Ägypten von nur einer legitimen Ehefrau und damit von monogamen Verhältnissen aus. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter, S. 93f.

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Mehrzahl von Frauen ist zwar da, wo im Ackerbau noch die Frauenarbeit vorwiegt, und allenfalls auch da, wo die textilgewerbliche Arbeit der Frau besonders einträglich ist, (wie dies noch der Talmud voraussetzt) 52 lukrativ: der große Frauenbesitz der Kaffernhäuptlinge gilt als nutzbare Kapitalanlage, 53 setzt aber beim Mann auch den Besitz der zum Frauenkauf nötigen Mittel voraus. In Verhältnissen mit vorwiegender Bedeutung der Männerarbeit und vollends in sozialen Schichten, in welchen sich die Frauen an der für freie Leute unwürdig geltenden Arbeit nur als Dilettantinnen oder für Luxusbedarf beteiligen, verbietet die Kostspieligkeit der Polygamie diese für alle mittleren Vermögen von selbst. Die Monogamie als Institution ist zuerst bei den Hellenen (aber bei diesen in den fürstlichen Schichten, selbst der Diadochenzeit, noch ziemlich labil) und den Römern durchgeführt worden, in der Epoche des Übergangs zur Herrschaft eines patrizischen Stadtbürgertums, dessen Haushaltsformen sie adäquat war. Alsdann hat das Christentum sie aus asketischen Gründen zur absoluten Norm erhoben, im Gegensatz zu (ursprünglich) allen anderen Religionen. Die Polygamie behauptete sich namentlich da, wo die streng patriarchale Struktur der politischen Gewalt auch der Erhaltung der Willkür des Hausherren zugute kam. Für die Entwicklung der Hausgemeinschaft als solcher kommt jene Entwicklung der Mitgiftehe zwiefach in Betracht: einmal dadurch, daß nun die „legitimen" Kinder als Anwärter auf das väterliche Vermögen durch eine Sonderrechtsstellung innerhalb des Hauses gegenüber Konkubinenkindern differenziert sind. Ferner und namentlich dadurch, daß die Einbringung der, je nach dem Reichtum der Frauenfamilie verschieden großen Mitgiften seitens der in das Haus einheiratenden Mädchen, die naturgemäße Tendenz hat, die ökonomische Lage ihrer Männer zu differenzieren. Die eingebrachten Mitgiften pflegen zwar formell (so namentlich 5 2 Der Talmud b e s c h r e i b t in der 3. Ordnung, 2. Traktat, 5. Kapitel, die von einer Ehefrau für d e n E h e m a n n zu verrichtenden Arbeiten. Diese verringerten sich mit der Z a h l der Dienerinnen, die die Ehefrau in die Ehe einbrachte. Nur zur Verarbeitung von Wolle konnte sie in j e d e m Fall h e r a n g e z o g e n werden. 5 3 Der Begriff Kaffer ist von d e m a r a b i s c h e n Kafir (Ungläubiger) abgeleitet und wurde oft als Sammelbegriff für Völker der B a n t u s p r a c h g r u p p e im s ü d l i c h e n Afrika benutzt. Die bed e u t e n d s t e n V o l k s g r u p p e n waren Zulu, X h o s a und Herero. D a die Landwirtschaft vor allem von Frauen betrieben wurde, ermöglichte eine hohe Zahl von Ehefrauen die Bewirts c h a f t u n g größerer Flächen, w a s einen höheren Ertrag einbrachte.

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auch im römischen Recht) einfach der Gewalt des Hausherrn anheimzufallen. 54 Materiell aber pflegt doch irgendwie dem betreffenden Mann die Mitgift seiner Frau auf ein „Sonderkonto" zugerechnet zu werden. Das „Rechnen" beginnt so in die Beziehungen der Gemeinschafter einzudringen. | A 208 Diese Entwicklung zur Zersetzung der Hausgemeinschaft pflegt aber auf dieser Stufe regelmäßig bereits von anderen ökonomischen Motiven her in Gang gekommen zu sein. Die ökonomisch bedingten Abschwächungen des undifferenzierten Kommunismus liegen in ihren Anfängen weit zurück, so weit, daß seine völlige Ungebrochenheit historisch vielleicht nur in Grenzfällen bestanden hat. Bei Gebrauchsgütern, welche Artefakte sind, Werkzeugen, Waffen, Schmuck, Kleidungsstücken u.dgl. gilt0 das Prinzip, daß der individuelle Hersteller sie, als Ertrag seiner individuellen Arbeit, allein oder vorzugsweise zu benutzen befugt sei und daß sie nach seinem Tode nicht notwendig der Gesamtheit, sondern bestimmten anderen, für ihre Nutzung spezifisch qualifizierten Einzelnen zufallen (so: Reitpferd und Schwert, im Mittelalter das „Heergewäte", 55 die „Gerade" 5 6 usw.). Diese ersten Formen individuellen „Erbrechts" sind auch innerhalb des autoritären Hauskommunismus sehr früh entwickelt, stammen wahrscheinlich aber aus den Zuständen vor der Entwicklung der Hausgemeinschaft selbst und sind überall verbreitet, wo und soweit individuelle Werkzeugherstellung stattfand. Bei manchen, z. B. den Waffen, beruht die gleiche Entwicklung wohl auch auf dem Eingreifen des Interes-

O A: ist 54 Zur r ö m i s c h e n Mitgiftregelung, d e m J u s dotium", vgl. M o m m s e n , Theodor, u n d Krüger, Paul (Hg.), C o r p u s Iuris Civilis, 1. B a n d : Institutiones. Dlgesta, 12. Aufl. - Berlin: Weidm a n n 1911, D, 23,3, S. 3 3 5 - 3 4 2 ; dass., 2. Band: C o d e x lustinianus, 3. Aufl. - Berlin: W e i d m a n n 1884, C, 5, 12, S. 2 0 4 - 2 0 6 . 55 Die H e e r g e w ä t e galten als ritterliches S o n d e r v e r m ö g e n , d a s aus der n o r m a l e n Erbfolg e h e r a u s g e n o m m e n und e i n e m e i g e n s b e s t i m m t e n N a c h k o m m e n v e r m a c h t w u r d e . Die H e e r g e w ä t e b e s t a n d e n aus Pferd, Waffen u n d Rüstung sowie in späterer Zeit a u c h aus Haushaltsgegenständen. 56 Unter G e r a d e sind die Teile d e s e h e l i c h e n V e r m ö g e n s zu verstehen, die als persönlicher Besitz der Frau galten und an die n ä c h s t e w e i b l i c h e Verwandte vererbt w u r d e n . Zunächst waren dies vor allem S c h m u c k u n d Kleidung, im S a c h s e n s p i e g e l w u r d e n alle Geg e n s t ä n d e , die nur v o n Frauen benutzt wurden, d a z u gezählt.

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ses militärischer Gewalten an der ökonomischen Ausstattung des Diensttauglichsten.13 Die inneren und äußeren Motive, welche das Schrumpfen der straffen Hausgewalt bedingen, steigern sich im Verlauf der Kulturentwicklung. Von innen her wirkt die Entfaltung und Differenzierung der Fähigkeiten und Bedürfnisse in Verbindung mit der quantitativen Zunahme der ökonomischen Mittel. Denn mit Vervielfältigung der Lebensmöglichkeiten erträgt schon an sich der Einzelne die Bindung an feste undifferenzierte Lebensformen, welche die Gemeinschaft vorschreibt, immer schwerer und begehrt zunehmend, sein Leben individuell zu gestalten und den Ertrag seiner individuellen Fähigkeiten nach Belieben zu genießen. Von außen her wird die Zersetzung gefördert durch Eingriffe konkurrierender sozialer Gebilde: z. B. auch rein fiskalischer Interessen an intensiverer Ausnutzung der individuellen Steuerkraft - welche den Interessen an der Zusammenhaltung des Besitzes zugunsten der militärischen Prästationsfähigkeit entgegenwirken können. Die normale Folge jener Zersetzungstendenzen ist zunächst die Zunahme der Teilung der Hausgemeinschaften im Erbfall oder bei Heirat von Kindern. Die historische Entwicklung hat, nachdem in der Frühzeit, also bei relativ werkzeuglosem Ackerbau, die Arbeitskumulation das einzige ertragssteigernde Mittel gewesen war, und der Umfang der Hausgemeinschaften eine Periode der Zunahme durchgemacht hatte, mit der Entwicklung des individualisierten Erwerbs im ganzen seine stetige Abnahme herbeigeführt, bis heute die Familie von Eltern und Kindern ihr normales Ausmaß bildet. Dahin wirkte die grundstürzende Änderung der funktionellen Stellung der Hausgemeinschaft, welche derart verschoben ist, daß für den Einzelnen zunehmend weniger Anlaß besteht, sich einem kommunistischen^] großen Haushalt zu fügen. Abgesehen davon, daß die Sicherheitsgarantie für ihn nicht mehr durch Haus und Sippe, sondern durch den anstaltmäßigen Verband der politischen Gewalt geleistet wird, haben „Haus" und „Beruf" sich auch örtlich geschieden^,] und ist der Haushalt nicht mehr Stätte p In A folgt die Zwischenüberschrift: § 6. Die Auflösung der Hausgemeinschaft: Änderungen ihrer funktionellen Stellung und zunehmende „Rechenhaftigkeit". Entstehung der modernen Handelsgesellschaften.

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gemeinsamer Produktion, sondern Ort gemeinsamen Konsums. Der Einzelne empfängt ferner seine gesamte Schulung für das Leben, auch das rein persönliche, zunehmend von außerhalb des Hauses und durch Mittel, welche nicht das Haus, sondern „Betriebe" aller Art: Schule, Buchhandel, Theater, Konzertsaal, Vereine, Versammlungen, ihm liefern. Er kann die Hausgemeinschaft nicht mehr als die Trägerin derjenigen objektiven Kulturgüter anerkennen, in deren Dienst er sich stellt, und es ist nicht eine als sozialA 209 psychische „Stufe" auftretende Zunahme des | „Subjektivismus", sondern der die Zunahme bedingende objektive Sachverhalt, weleher jene Verkleinerung der Hausgemeinschaften begünstigt. Dabei ist nicht zu übersehen, daß es auch Hemmungen dieser Entwicklung gibt und zwar gerade auf den „höchsten" Stufen der ökonomischen Skala. Auf agrarischem Gebiet ist die Möglichkeit freier Teilung des Bodens an technisch-ökonomische Bedingungen geknüpft: ein mit wertvollen Baulichkeiten belastetes in sich abgerundetes Gut, selbst ein großes Bauerngut, kann nur mit Verlusten geteilt werden. Die Teilung wird technisch erleichtert durch Gemengelage von Äckern und Dorfsiedelung, erschwert durch isolierte Lage. Einzelhöfe und größere kapitalintensive Besitzungen neigen daher zur Einzelerbfolge, der kleine, im Gemenge liegende arbeitsintensiv bewirtschaftete Besitz zur immer weiteren Zersplitterung, um so mehr als der erstere ein weit geeigneteres Objekt für die Belastung mit Tributrechten an den beweglichen Besitz in Gestalt unserer zur Vermögensanlage geeigneten Dauerhypotheken und Pfandbriefe ist, die ihn zugunsten der Gläubiger zusammenschmieden. Der große Besitz ferner lockt, einfach weil er Besitz und als solcher Träger einer sozialen Position ist, schon an sich zur Zusammenhaltung in der Familie, im Gegensatz zu dem kleinbäuerlichen Boden, der bloße Arbeitsstätte ist. Das seigneuriale Niveau der Lebensführung, welches seinen Stil in festgefügten Konventionen findet, begünstigt das subjektive Ertragen großer Hausgemeinschaften, welche, in der Weiträumigkeit etwa eines Schlosses und bei der auf diesem Unterbau sich von selbst einstellenden „inneren Distanz" auch zwischen den nächsten Angehörigen, den Einzelnen nicht in dem Maße in der von ihm beanspruchten Freiheitssphäre beengt, wie ein an Personenzahl ebensogroßer, räumlich aber begrenzterer und des adligen Distanzgefühls entbehrender bürgerlicher Haushalt es gegenüber seinen, in

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ihren Lebensinteressen meist weit mehr differenzierten, Insassen tut. Außerhalb jener seigneurialen Lebensformen ist die große Hausgemeinschaft heute nur etwa auf dem Boden intensivster ideeller Gemeinschaft einer sei es religiösen oder etwa sozial-ethischen oder auch künstlerischen Sekte eine adäquate Lebensform entsprechend Klöstern und klosterartigen Gemeinschaften der Vergangenheit. Auch dort[,j wo die Hauseinheit äußerlich ungetrennt erhalten bleibt, schreitet im Verlauf der Kulturentwicklung der innere Zersetzungsprozeß des Hauskommunismus durch die zunehmende „Rechenhaftigkeit" unaufhaltsam fort. Wir betrachten hier die Art der Wirkung dieses Motivs noch etwas näher. In den großen kapitalistischen Hausgemeinschaften der mittelalterlichen Städte (z.B. Florenz) 57 hat schon jeder Einzelne sein „Konto". Er hat ein Taschengeld (danari borsinghi) zur freien Verfügung. 58 Für bestimmte Ausgaben (z.B. Logierbesuch, den der Einzelne einlädt) sind Maxima vorgeschrieben. Im übrigen wird mit ihm abgerechnet, wie in jedem modernen Handelsgeschäft unter den Teilhabern. Er hat Kapitalanteile „innerhalb" der Gemeinschaft und Vermögen („fuori della compagnia"), welches er zwar in ihren Händen läßt und welches sie ihm verzinst, das aber nicht als Kapital gerechnet wird und daher nicht am Gewinn teilnimmt. 59 An die Stelle der „geborenen" Teilnahme am Gemeinschaftshandeln des Hauses mit seinen Vorteilen und Pflichten ist also eine rationale Vergesellschaftung getreten. Der Einzelne wird in die 5 7 Dies bezieht sich wahrscheinlich auf die florentinischen Bankiersfamilien Perruzzi und Alberti, die Weber schon in seiner Dissertation (Weber, Handelsgesellschaften, S. 128— 148) behandelt hatte. 5 8 Das Taschengeld scheint ursprünglich Teil der Kosten gewesen zu sein, die auf alle Firmenmitglieder umgelegt wurden, ebenso wie Lebensmittel, Pferde und Büromaterial. Seit Anfang des 14. Jahrhunderts wurden Taschengeld und Bekleidungskosten jedem einzelnen in Rechnung gestellt. Vgl. Weber, Handelsgesellschaften, S. 140. 5 9 Das Kapital einer Handelsgesellschaft (Corpo della compagnia) setzte sich aus den Einlagen der einzelnen Teilhaber zusammen, die auf bestimmte Zelt unabänderlich waren. Entsprechend seiner Einlage erhielt der Teilhaber bei der Abrechnung (saldemento) einen Gewinnanteil und konnte dann auch die Höhe seiner Einlage ändern. Eine weitere Form des Firmenkapitals bestand aus den fuori del corpo della compagnia, Gelder, die die Teilhaber der Firma zu einem bestimmten Zinssatz zur Verfügung stellten, die sie jedoch auch jederzeit wieder aus dem Firmenvermögen herausziehen konnten. Diese Gelder hatten keinerlei Einfluß auf die Gewinnbeteiligung der Firmenmitglieder. Vgl. Weber, Handelsgesellschaften, S. 145.

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Hausgemeinschaft zwar „hineingeboren", aber er ist als Kind schon potentieller „Kommis" und „Kompagnon" des rational geordneten Erwerbsgeschäfts, welches durch die Gemeinschaft getragen wird. Es liegt offen zutage, daß eine solche Behandlung erst auf dem Boden reiner Geldwirtschaft möglich wurde und daß deren Entfaltung also die führende Rolle bei dieser inneren Zersetzung spielt. Die Geldwirtschaft ergibt einerseits die objektive Berechenbarkeit der individuellen Erwerbsleistungen der Einzelnen und ihres Verbrauchs und eröffnet ihnen nach der anderen Seite - durch die Entfaltung des geldvermittelten „indirekten Tauschs" - überhaupt erst die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse frei zu befriedigen. Keineswegs freilich ist der Parallelismus von Geldwirtschaft und Schwächung der Hausautorität ein auch nur annähernd vollständiA 210 ger. Hausgewalt und Hausgemeinschaft stellen vielmehr den jeweiligen ökonomischen Bedingungen gegenüber trotz deren großer Bedeutung ein an sich selbständiges, von ihnen aus gesehen: irrationales, Gebilde dar, welches oft seinerseits durch seine historisch gegebene Struktur die ökonomischen Beziehungen stark beeinflußt. Die ungebrochene Fortdauer der patria potestas des römisehen Familienhaupts 60 bis an sein Lebensende z.B. ist in ihrer Entstehung teils ökonomisch und sozial, teils politisch, teils religiös bedingt gewesen (Zusammenhalt des Vermögens des vornehmen Hauses, militärische Gliederung nach Sippen und, vermutlich, Häusern, Hauspriesterstellung des Vaters). Sie hat aber die denkbar verschiedensten ökonomischen Entwicklungsstadien überdauert, ehe sie, unter den politischen Bedingungen der Kaiserzeit, auch den Kindern gegenüber Abschwächungen erfuhr. In China ist der gleichartige Zustand durch das, von dem Pflichtenkodex ins Extrem gesteigerte, von der Staatsgewalt und bürokratischen Standesethik des Konfuzianismus auch aus Zwecken politischer Domestikation der Untertanen geförderte, Pietätsprinzip bedingt, dessen Durchführung teilweise (so in den Trauervorschriften) immer wieder zu nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch undurchführbaren und bedenklichen Konsequenzen führte (massenhafte Ä m 60 Die faktisch und zeitlich völlig uneingeschränkte Herrschaft des römischen Familienvaters über die Mitglieder seiner Familie und seines Haushaltes erlaubte ihm jegliche Verfügungsgewalt bis hin zur Entscheidung über Leben und Tod.

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tervakanzen, weil die Pietät gegen den toten Hausvater - ursprünglich: die Angst vor dem Neid des Toten - wie die Nichtbenutzung andren Besitzes, so den Verzicht auf das Amt fordert).61 Ganz ebenso ist die Antwort auf die Frage: ob nach dem Tode des Hausherrn Einzelnachfolge (oder Anerbenrecht) oder Teilung stattfindet, zwar, wie dargelegt,62 in ihrem Ursprung sehr stark ökonomisch bedingt gewesen und unter ökonomischen Einflüssen auch wandelbar, aber (wie namentlich die modernen Arbeiten Serings u. A. gezeigt haben) 63 schlechterdings nicht rein ökonomisch, vollends aber nicht aus den heutigen ökonomischen Bedingungen, ableitbar. Denn unter gleichartigen Bedingungen und in unmittelbarer Nachbarschaft bestehen darin sehr oft, speziell nach der ethnischen Zugehörigkeit (z. B. Polen oder Deutsche) ganz verschiedene Systeme. Die weittragenden ökonomischen Folgen dieser verschiedenen Strukturen resultieren also aus ökonomisch oft weitgehend, entweder von Anfang an irrationalen oder, infolge Änderung der ökonomischen Bedingungen, irrational gewordenen Motiven. Unbeschadet dessen greifen aber doch die ökonomischen Tatbestände in einschneidender Weise ein. Vor allem bestehen charakteristische Unterschiede, je nachdem der Erwerb mehr dem Ertrag 61 Um den Zorn und den Neid der Verstorbenen zu besänftigen, wurden in China den Toten umfangreiche Grabbeigaben mitgegeben und teilweise Witwen- oder andere Menschenopfer dargebracht. Die Erben mußten während der Trauerzeit (1882 betrug sie 100 Tage) nicht nur die Hinterlassenschaft der Toten meiden, sondern auch auf die Nutzung ihres eigenen Besitzes weitgehend verzichten. Da chinesische Beamte ihre Ämter häufig als Privatpfründe verstanden, legten sie im Trauerfall diese nieder. Verordnungen verschiedener Kaiser mit dem Ziel, die entstandenen Ämtervakanzen zu beschränken, griffen nicht und wurden meist aus Angst vor den Toten wieder aufgehoben. Vgl. Webers spätere Ausführungen in MWG 1/19, S. 219. 62 Siehe oben, S. 146 f. 63 Max Sering führt die Vererbungssitten auf die germanische Zeit zurück. Die Verbreitung von ungeteilter Erbfolge bzw. Realteilung macht er an den früheren Siedlungsgrenzen von Sachsen und Franken bzw. an den mittelalterlichen Besitzverhältnissen fest. Vgl. Sering, Die Vererbung, S. 2 2 - 6 9 ; Gierke, Otto, Die Fidelkommisse, in: HdStW 2 , Band 3, 1900, S. 880-892, und Miaskowski, August von, Das Erbrecht und die Grundeigenthumsverthellung Im Deutschen Reiche. Ein sozialwlrthschaftlicher Beitrag zur Kritik und Reform des deutschen Erbrechts (Schriften des Vereins für Socialpolltlk, Band 25). - Leipzig: Duncker & Humblot 1884, S. 6f., beschreiben die verbreitete ungeteilte Erbfolge in Adelsfamilien als den Versuch, über die soziale Position den politischen Einfluß der Familien zu sichern. Staatliche Eingriffe in die Vererbungssitten seien politisch motiviert gewesen. So zeigt v. Miaskowski, daß die Versuche, nach der Revolution von 1848 in Süddeutschland die Realteilung zu unterbinden, mit der Erfahrung zusammenhingen, daß Kleinbauern weit revolutionärer eingestellt gewesen seien, als die Betreiber größerer Höfe; ebd., S. 91 ff.

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gemeinsamer Arbeit oder mehr dem gemeinsamen Besitze zugerechnet wird. Ersterenfalls ist die Hausgewalt, mag sie an sich noch so autokratisch sein, oft labil in ihrem Bestände. Die bloße Trennung vom Elternhaus zwecks Begründung eines eigenen Haushalts genügt, um sich der Hausgewalt zu entziehen. So meist bei den großen Hausgemeinschaften primitiver Ackerbauvölker. Die sog. „emancipatio legis Saxonicae" 64 des deutschen Rechts hat ihren ökonomischen Grund sicherlich in der zur Zeit ihrer Entstehung vorwiegenden Bedeutung der persönlichen Arbeitsleistung. Dagegen ist die Hausgewalt dort besonders unzerbrechlich, wo Viehbesitz, überhaupt aber Besitz als solcher die vornehmliche Grundlage der Existenz bildet. Namentlich der Bodenbesitz, sobald der Bodenüberfluß sich in Bodenknappheit verwandelt hat. Überall ist der feste Zusammenhalt des Geschlechtes, aus den schon mehrfach erwähnten Gründen, 65 ein spezifisches Attribut des Grundadels, und der grundbesitzlose oder grundbesitzarme Mann entbehrt überall auch des Geschlechtsverbandes. - Der gleiche Unterschied aber findet sich auf kapitalistischer Stufe wieder. Zur gleichen Zeit, wo die Florentiner und andere qnorditalienische große q Hausgemeinschaften das Prinzip der Solidarhaft und der Zusammenhaitung des Besitzes vertraten,66 war in Handelsplätzen des Mittelmeers, speziell auch Siziliens und Süditaliens, das gerade Umgekehrte der Fall: jeder erwachsene Hausgenosse konnte jederzeit die Abschichtung mit seinem Anteil schon bei Lebzeiten des Erblassers verlangen, und auch die persönliche Solidarhaft nach außen bestand nicht. Bei jenen norditalienischen Familienbetrieben stellte das ererbte Kapital schon in höherem Grade die Grundlage der A 211 ökonomischen Machtstellung dar als die persönliche | Erwerbsarbeit der Beteiligten. Im Süden dagegen war das Umgekehrte der Fall und wurde der gemeinsame Besitz daher als Produkt gemeinq - < J A: norditalienischen großen 64 Im Gegensatz zum römischen Recht bewirkte nach den germanischen Volksrechten die Begründung eines eigenen Hausstandes (Abschichtung) die Entlassung des Kindes aus der väterlichen Gewalt (Munt). Diese Norm setzte sich im mittelalterlichen Recht durch und wurde seit dem „Gemeinen Recht" aus dem 12. Jahrhundert als „emancipatio legis Saxonicae" bezeichnet, obwohl sie keineswegs nur auf das sächsische Volksrecht beschränkt war. 65 Siehe oben, S. 128, 146f. 66 Vgl. oben, S. 147, Anm. 59.

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samer Arbeit behandelt. Mit steigender Bedeutung des Kapitals gewann die erstere Behandlung an Boden. Die in einer theoretisch konstruierbaren Reihe der Entwicklungsstufen, vom ungebrochenen Gemeinschaftshandeln an gerechnet, „spätere", kapitalistische, Wirtschaftsform bedingt hier die theoretisch „frühere" Struktur: größere Gebundenheit der Haushörigen und größere Ungebrochenheit der Hausgewalt. - Eine weit gewichtigere und dem Okzident eigentümliche Umformung der Hausgewalt und Hausgemeinschaft aber hatte sich deutlich schon in diesen Florentiner und den ihnen gleichartigen kapitalistisch erwerbenden Hausgemeinschaften des Mittelalters vollzogen. Die Ordnungen für das gesamte ökonomische Leben der großen Hausgemeinschaft werden periodisch durch Kontrakte geregelt. Und während ursprünglich dabei die Regelung des „Taschengeldes" mit der Regelung der Geschäftsorganisation in Eins geht, änderte sich das allmählich. Der kontinuierlich gewordene kapitalistische Erwerb wurde ein gesonderter „Beruf", ausgeübt innerhalb eines „Betriebes", der sich im Wege einer Sondervergesellschaftung aus dem hausgemeinschaftlichen Handeln zunehmend in der Art aussonderte, daß die alte Identität von Haushalt, Werkstatt und Kontor, wie sie der ungebrochenen Hausgemeinschaft und auch dem später zu erörternden 67 „Oikos" des Altertums selbstverständlich war, zerfiel. Zunächst schwand die reale Hausgemeinschaft als notwendige Basis der Vergesellschaftung im gemeinsamen Geschäft. Der Kompagnon ist nicht mehr notwendig (oder doch normalerweise) Hausgenosse. Damit mußte man notwendig das Geschäftsvermögen vom Privatbesitz des einzelnen Teilhabers trennen. Ebenso schied sich nun der Angestellte des Geschäfts vom persönlichen Hausdiener. Vor allem mußten die Schulden des Handlungshauses als solche von den privaten Haushaltsschulden der einzelnen Teilhaber unterschieden und die Solidarhaft der Teilhaber auf die ersteren beschränkt werden, welche man nun daran erkannte, daß sie unter der „Firma", dem Gesellschaftsnamen des Geschäftsbetriebes abgeschlossen waren. Das Ganze ist offensichtlich eine genaue Parallelentwicklung zu der bei der Analyse der „Herrschaft" zu besprechenden 68 Sonderung des bürokratischen Amtes als „Berufs" aus 6 7 Siehe unten, S. 154-161. 68 Siehe WuG1, S. 650 (MWG I/22-4).

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dem Privatleben, des „Büros" aus dem Privathaushalt des Beamten, des aktiven und passiven Amtsvermögens von seinem Privatvermögen, der Amtshandlungen von seinen Privatgeschäften. Der kapitalistische „Betrieb", den derart die Hausgemeinschaft aus sich heraus setzt und aus dem sie sich zurückzieht, zeigt so im Keime schon die Ansätze der Verwandtschaft mit dem „Büro", und zwar jener heute offensichtlichen Bürokratisierung auch des Privatwirtschaftslebens. Aber nicht etwa die räumliche Sonderung des Haushalts von der Werkstatt und dem Laden ist hier das entscheidende Entwicklungsmoment. Denn diese ist gerade dem Bazarsystem des Orients, welches durchweg auf der für islamische Städte charakteristischen Trennung von Burg (Kasbeh), 69 Bazar (Suk) 70 und Wohnstätten beruht, eigentümlich. 71 Sondern die „buchmäßige" und rechtliche Scheidung von „Haus" und „Betrieb" und die Entwicklung eines auf diese Trennung zugeschnittenen Rechts: Handelsregisters, Abstreifung der Familiengebundenheit der Assoziation und der Firma, Sondervermögen der offenen und Kommanditgesellschaft und entsprechende Gestaltung des Konkursrechts. Daß diese fundamental wichtige Entwicklung dem Okzident eigentümlich ist und nur hier die Rechtsformen unseres noch heute geltenden Handelsrechts fast alle schon im Mittelalter entwickelt sind, - während sie dem Recht des Altertums mit seinem quantitativ in manchen Zeiten großartiger entwickelten Kapitalismus fast ganz fremd geblieben waren, - dies gehört in den Kreis jener zahlreichen Erscheinungen, welche die qualitative Einzigartigkeit der Entwicklung zum modernen Kapitalismus mit am deutlichsten kennzeichnen. Denn sowohl die Zusammenhaltung des Vermögens der 69 Kasbeh (Tl.: Kasaba) bezeichnet vor allem im Islamischen Westen eine außerhalb einer Stadt gelegene Garnison oder befestigte Residenz. Diese Niederlassungen entstanden häufig aus den befestigten Lagern, die die Araber nach der Eroberung einer Stadt zur Unterbringung der militärischen Besatzung errichteten. 70 Suk (Tl.: Suq) Ist die arabische Bezeichnung für einen Markt, die In der Regel weiter spezifiziert wird, während der persische Bazar ein Sammelbegriff für alle überdachten Ladenstraßen ist. Der zentrale Markt bildete den gewerblichen Mittelpunkt einer islamischen Stadt und variierte in der Größe von einer einzelnen Markthalle bis hin zu einem mehrere Straßenzüge umfassenden Gewerbeviertel, wobei die Anordnung der einzelnen Gewerbe zueinander weitgehend normiert war. 71 Der Markt und die Hauptmoschee galten im Islamischen Raum lange Zelt als das Hauptmerkmal einer Stadt und symbolisierten zusammen mit Reglerungsgebäuden die städtische Einheit, während die Wohngebiete häufig nach ethnischen Gruppen getrennt angelegt und teilweise sogar ummauert waren.

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Familien zum Zweck gegenseitiger ökonomischer Stützung wie die Ansätze der Entwicklung einer „Firma" aus dem Familiennamen finden wir z.B. auch in China. Auch hier steht die | Solidarhaft der A 212 Familie hinter den Schulden des Einzelnen. Die im Geschäftsverkehr übliche Bezeichnung einer Handlung gibt auch hier über den wirklichen Inhaber keine Auskunft: die „Firma" ist auch hier an den Geschäftsbetrieb und nicht an den Haushalt gebunden. Aber die konsequente Entwicklung eines Sondervermögens- und entsprechenden Konkursrechts nach europäischer Art scheint zu fehlen. Vor allem aber gilt zweierlei: Assoziation ebenso wie Kredit waren bis in die Gegenwart der Tatsache nach im höchsten Grade an Sippengemeinschaft gebunden. Und auch die Zwecke der Zusammenhaltung des Vermögens in den wohlhabenden Sippen und der gegenseitigen Kreditgewährung innerhalb der Sippe waren spezifisch andre. Nicht vornehmlich um kapitalistischen Gewinn, sondern vornehmlich um Zusammenbringung der Kosten für die Vorbereitung von Familiengliedern zum Examen und nachher für den Kauf eines Amts für ihn handelte es sich. War das Amt einmal erlangt, dann gab es den Verwandten die Chance, aus den legalen und noch mehr den illegalen Einkünften, die es abwarf, ihre Auslagen mit Gewinn erstattet zu erhalten und daneben noch die Protektion des Amtsinhabers sich zunutze zu machen. Die Chancen des politisch, nicht des ökonomisch bedingten Erwerbs also waren es, die hier zum „kapitalistischen" Zusammenhalt der, auch und gerade der ökonomisch starken, Familie führten. 72 - Die wenigstens formal völlig von aller sippenhaften und persönlichen Unterlage losgelöste Art der kapitalistischen Assoziation, unserer „Aktiengesellschaft" entsprechend, findet ihre Antezedenzien im Altertum wesentlich nur auf dem Gebiet des politisch orientierten Kapitalismus: für die Steuerpächtergesellschaften, 73 im Mittelalter zunächst ebenfalls teils für kolonisatorische Unternehmungen (wie die 72 Zu den sippengebundenen „Betriebsformen" in China vgl. ausführlich MWG 1/19, S. 96 ff. 73 In der römischen Republik konnten Privatpersonen von den Zensoren Lizenzen zur Steuererhebung ersteigern. Diese privaten Steuereintreiber rekrutierten sich meist aus dem Ritterstand und bildeten häufig Gesellschaften, um einerseits die hohe Pacht aufzubringen, vor allem aber, um mögliche Verluste zu begrenzen. Mit der Kaiserzeit begann der Aufbau eines einheitlichen Steuersystems mit einer Finanzverwaltung, so daß die Steuerverpachtung stetig abnahm, bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts n, Chr. nur noch Zölle verpachtet wurden.

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Großkommanditen der Maone in Genua), 74 teils für Staatskredit (wie die Gläubigerassoziation in Genua, welche die Stadtfinanzen faktisch in Sequester hatte). 75 Innerhalb des Privaterwerbs ist die rein geschäftliche und rein kapitalistische Assoziation zunächst ganz der Art des Gelegenheitshandelns entsprechend - nur in Form der Gelegenheitsgesellschaft (commenda) 76 für den Fernhandel (Kapitaleinlage eines Geldgebers bei einem reisenden Kaufmann für die konkrete Reise mit Gewinn- und Verlustteilung) entwickelt, die sich schon im altbabylonischen Recht 77 und dann ganz universell findet. Die von der politischen Gewalt monopolistisch privilegierten Unternehmungen, namentlich die Kolonialunternehmungen in Form von Aktiengesellschaften^ bildeten dann den Übergang zur Verwendung dieser Formen auch im rein privaten Geschäft/ Diese Unternehmungsformen, welche als Unterlage eines kapitalistischen Betriebs, dessen radikalste Loslösung von der urwüchsigen Identität mit der Hausgemeinschaft bedeuten, haben uns hier r In A folgt die Zwischenüberschrift: §7. Die Entwicklung zum „Oikos". 74 Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts (wie oben, S. 106, A n m . 4 6 ) , S. 2 9 2 - 2 9 8 , führt den Begriff „Maona" auf das arabische my-ünah zurück, w a s soviel wie „außerordentliche Beihilfe" oder „Handelsgesellschaft" bedeutet. Maone Ist eine für Genua typische Bezeichnung für Staatsanleihen, die in Norditalien üblicherweise monte genannt w u r d e n und zur Staatsfinanzierung a u s g e g e b e n wurden. Die einzelnen Papiere (in Genua immer mindestens 100 Lira wert) waren frei verkäuflich, vererblich u n d steuerfrei. Die Rückzahlung erfolgte durch die Verpachtung von Staatseinkünften. Mit z u n e h m e n d e r Verbreitung der Staatsanleihen schlössen sich die Gläubiger in Organisationen zusammen (societas comperarum). Kolonisatorisch wirkte z. B. die Maone der Guistiniani. 1346 rüsteten Privatpersonen 29 Schiffe zur Eroberung Phökiens aus, dessen Nutzeigentum der genuesische Staat der Gesellschaft überließ. 75 Vgl. oben, S. 106, A n m . 4 6 . 76 Der Begriff C o m m e n d a bezeichnet ein In d e n italienischen Städten d e s Mittelalters entwickeltes gesellschaftsähnliches Vertragsverhältnis zwischen zwei Partnern, von denen einer das Kapital und der andere die Transportmittel zur Verfügung stellte und d e n Verkauf übernahm. Weber definiert C o m m e n d a als ein Geschäft, „durch w e l c h e s j e m a n d die Verwertung von Waren eines anderen auf dessen Gefahr, g e g e n G e w i n n b e t e i l i g u n g übernimmt." Vgl. Weber, Handelsgesellschaften, S. 17. 77 W e g e n der relativ geringen Geldmittel in der babylonischen Gesellschaft schlössen sich häufig mehrere Personen zu einer Gesellschaft zusammen, um ein Haus zu kaufen, Felder zu bestellen oder Handelsgeschäfte zu tätigen. Bei der Auflösung einer solchen Gesellschaft wurden Sachwerte, Kapital und Sklaven wieder unter den Teilhabern aufgeteilt. Vgl. Meissner, Bruno, Beiträge zum Altbabylonischen Privatrecht. - Leipzig: J. C. Hinrlchs'sche B u c h h a n d l u n g 1893, Fragment 7 8 - 8 0 , S. 6 4 - 6 6 .

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nicht speziell zu beschäftigen. Vielmehr geht uns jetzt eine Evolution der Hausgemeinschaft an, welche einen, in den entscheidenden Punkten gerade entgegengesetzten, Typus zeigt. Der inneren Zersetzung der Hausgewalt und Hausgemeinschaft durch - im weite5 sten Sinn - „Tausch nach außen" und seine Folgen bis zur Geburt des kapitalistischen „Betriebes" steht als eine gerade entgegengesetzte Art der Entwicklung gegenüber: die innere Gliederung der Hausgemeinschaft: ihre Ausgestaltung zum „Oikos", wie Rodbertus die hier zu besprechende Erscheinung genannt hat. 78 Ein „Oi10 kos" im technischen Sinne ist nicht etwa einfach jede „große" Hausgemeinschaft oder jede solche, die mannigfache Produkte, z.B. gewerbliche neben landwirtschaftlichen, in Eigenproduktion herstellt, sondern er ist der autoritär geleitete Großhaushalt eines Fürsten, Grundherrn, Patriziers, dessen letztes Leitmotiv nicht ka15 pitalistischer Gelderwerb, sondern organisierte naturale Deckung des Bedarfs des Herrn ist. Dazu kann er sich aller Mittel, auch des Tauschs nach außen, in größtem Maßstab bedienen. Entscheidend bleibt: daß das formende Prinzip für ihn „Vermögensnutzung" und nicht „Kapitalverwertung" ist. Der „Oikos" bedeutet seinem ent20 scheidenden Wesen nach: organisierte Bedarfsdeckung, mögen ihm zu diesem Zweck auch erwerbswirt| schaftliche Einzelbetriebe an- A 213 gegliedert sein. Zwischen beiden Prinzipien gibt es natürlich eine Skala unmerklicher Übergänge und auch ein häufiges Gleiten und Umschlagen vom einen in das andre. In der Realität des Empiri25 sehen ist der „Oikos", bei irgend entwickelter materieller Kultur, in wirklich rein gemeinwirtschaftlicher Form notwendig selten. Denn ganz rein, d. h. unter dauernder Ausschaltung des Tauscherwerbsgesichtspunkts[,j kann er allerdings nur bestehen, wenn er, mindestens dem Streben nach, in ökonomischer „Autarkie", d. h. also: als 78 G e m e i n t ist R o d b e r t u s , Zur G e s c h i c h t e der r ö m i s c h e n Tributsteuern, Teil II, S. 343. Vgl. a u c h o b e n , S. 96, A n m . 30. Das f o l g e n d e bezieht sich auf eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Debatte z w i s c h e n Karl B ü c h e r u n d Eduard Meyer. Bücher ü b e r n a h m von R o d b e r t u s die These, daß in der Antike eine reine Oikenwirtschaft b e s t a n d e n habe, in der die Einzelhaushalte lediglich ihre e i g e n e n B e d ü r f n i s s e befriedigt hätten. Eine wirkliche Volkswirtschaft mit G ü t e r a u s t a u s c h ist n a c h B ü c h e r erst mit d e m m o d e r n e n Staat entstanden. Meyer w e n d e t d a g e g e n ein, daß bereits in d e n g r i e c h i s c h e n Stadtstaaten die Bürger eig e n e wirtschaftliche Interessen verfolgten. Vgl. Bücher Karl, Die Entstehung der Volkswirtschaft. - T ü b i n g e n : L a u p p 1893, S. 1 4 - 1 6 ; Meyer, Eduard, Die wirtschaftliche Entw i c k l u n g d e s Altertums, in: J a h r b ü c h e r für Nationalökonomie u n d Statistik, 3. Folge, B a n d 9, 1895, S. 6 9 6 - 7 5 0 .

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möglichst tauschlose Eigenwirtschaft auftritt. Ein Apparat von haushörigen Arbeitskräften mit oft sehr weitgehender Arbeitsspezialisierung erzeugt dann den gesamten, nicht nur ökonomischen, sondern auch militärischen und sakralen, Bedarf des Herrn an Gütern und persönlichen Diensten, der eigene Boden gibt alle Rohstoffe her, eigene Werkstätten mit eigenhörigen Arbeitskräften erzeugen alle anderen Sachgüter, eigenhörige Dienstboten, Beamte, Hauspriester, Kriegsmannen beschaffen die sonstigen Leistungen, und der Tausch dient nur allenfalls der Abstoßung gelegentlicher Überschüsse und der Ergänzung des schlechterdings nicht selbst Erzeugbaren. Dies ist ein Zustand, welchem in der Tat die Königswirtschaften des Orients, namentlich Ägyptens, und in kleinerem Maßstab die Wirtschaft der Adligen und Fürsten des homerischen Typus sich weitgehend annähern und mit dem die Hofhaltungen der Perser- und auch der Frankenkönige starke Verwandtschaft besitzen, in dessen Richtung sich die Grundherrschaften der römischen Kaiserzeit mit zunehmendem Umfang, zunehmender Knappheit der Sklavenzufuhr und zunehmender bürokratischer und leiturgischer Einengung des kapitalistischen Erwerbs zunehmend entwickelten - während die mittelalterlichen Grundherrschaften im ganzen mit wachsender allgemeiner Bedeutung des Güterverkehrs, der Städte und der Geldwirtschaft die gerade entgegengesetzte Entwicklungstendenz zeigten. Rein eigenwirtschaftlich ist aber der Oikos in all diesen Formen niemals gewesen. Der Pharao trieb auswärtigen Handel und ebenso die große Mehrzahl gerade der primitiven Könige und Adligen des Mittelmeerbeckens: sehr wesentlich auch auf dessen Erträgen beruhten ihre Schätze. Die Einnahmen der Grundherren enthielten schon im Frankenreich zum erheblichen Teil Geld oder geldeswerte Bezüge und Renten aller Art. Die Kapitularien setzen den Verkauf der für den Bedarf des Hofes und Heeres nicht erforderlichen Überschüsse der königlichen fisci 79 als ziemlich regelmäßige Erscheinung vor7 9 W e b e r meint hier die Kapitularien, d . h . die in Artikel (capitulae) eingeteilten K ö n i g s gesetze, die u. a. die Verwaltung der königlichen D o m ä n e n (fiscus) normierend b e s c h r e i ben. D a s bekannteste G e s e t z d i e s e r Art ist d a s .Capitulare d e villis', d a s Karl der Große z w i s c h e n 790 und 800 erließ. Es b e h a n d e l t e n e b e n der B e s c h r e i b u n g der materiellen Domänenausstattung die V e r s o r g u n g s p f l i c h t e n d e s f i s c u s g e g e n ü b e r d e m r e i s e n d e n Königshof, d e n S c h u t z der H ö r i g e n und die Aufsichtspflicht der Verwalter (iudices, maiores), a u c h die Techniken von Viehzucht und A c k e r b a u .

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aus. Die unfreien Arbeitskräfte der großen Boden- und Menschenbesitzer sind in allen näher bekannten Beispielen nur zum Teil gänzlich in die Herrenwirtschaft gebannt gewesen. Im strengen Sinn gilt dies für die persönlichen Dienstboten und für diejenigen anderen Arbeitskräfte, welche in einer gänzlich der naturalen Bedarfsdeckung des Herrn dienenden Wirtschaft tätig sind und vom Herrn vollständig verpflegt werden auf der einen Seite: „eigenwirtschaftliche Verwendung" - andererseits aber gerade auch für solche unfreie Arbeiter, welche der Herr in einem eigenen Betrieb für den Markt arbeiten ließ, wie die karthagischen, sizilianischen und römischen Grundherren ihre kasernierten Sklaven in den Plantagen 80 oder wie etwa der Vater des Demosthenes seine Sklaven in seinen beiden Ergasterien,81 und wie in moderner Zeit russische Grundherren ihre Bauern in ihren „Fabriken":82 - „erwerbswirtschaftliche Verwendung". Diese Plantagen- und Ergasterien-Sklaven aber sind zum sehr bedeutenden Bruchteil Kaufsklaven, also ein auf dem Markt gekauftes, nicht selbst erzeugtes Produktionsmittel. Im eignen Haushalt erzeugte unfreie Arbeiter setzen die

80 Römischen Landsklaven war das Verlassen der Latifundien grundsätzlich verboten. Nur dem Aufseher (viliicus) wurden auch Aufgaben außerhalb des Landgutes zugeteilt. Seit Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. wurden die Feldsklaven in Ketten zur Arbeit geführt und nachts In das Ergastulum gesperrt, einem speziellen, meist unterirdischen Gefängnis. Vgl. Cato, de agri cultura 151-152; Columella, de re rustica I, 8. 81 In dem Prozeß gegen seinen Vormund erwähnt Demosthenes eine Waffenmanufaktur mit 32 oder 33 Sklaven und eine Möbelmanufaktur mit 20 Sklaven. Vgl. Demosthenes, Aphobus, I, 9. 82 Vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzten adelige russische Gutsbesitzer als Reaktion auf die staatlichen Förderungen der nicht-adeligen Fabrikunternehmer unter Peter dem Großen ihre leibeigenen Bauern auch als Fronarbeiter in gutseigenen Betrieben ein. Die Bauern wurden zu dieser Zwangsarbeit oft gewaltsam gezwungen und wie Sträflinge behandelt. Erst durch die Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 wurden die Reste dieses Systems beseitigt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser sog. Erbguts- oder Adeligenfabriken war bei den Zeitgenossen durchaus umstritten. Während der russische Wirtschaftshistoriker Tugan-Baranowsky konkrete Aussagen über das Ausmaß dieser Fabriken für nicht möglich hielt, glaubte Schulze-Gävernitz, daß die gutsherrlichen Fabriken die staatlich geförderten Manufakturen bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Zahl und Bedeutung deutlich übertrafen. Vgl. Tugan-Baranowsky, Michael Ivanovic, Geschichte der russischen Fabrik (Socialgeschichtliche Forschungen, hg. von Stephan Bauer und Ludo Moritz Hartmann, Heft 5). - Berlin: Emil Felber 1900, S. 120-128; Schulze-Gävernitz, Gerhart von, Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland. - Leipzig: Duncker & Humblot 1899, S. 19-29.

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Existenz von unfreien „Familien" 83 voraus, also eine Dezentralisierung der Hausgebundenheit und normalerweise einen teilweisen Verzicht auf restlose Ausnutzung der Arbeitskraft für den Herren. Weitaus die Mehrzahl solcher erblich unfreien Arbeitskräfte wird daher nicht in zentralisierten Betrieben verwendet, sondern hat dem Herrn nur einen Teil ihrer Leistungsfähigkeit zur Verfügung zu stellen oder liefert ihm Abgaben in mehr oder minder willkürlicher oder traditionsgebundener Höhe, sei es in Naturalien, sei es in Geld. Ob der Herr vorzieht, die Unfreien als Arbeitskräfte oder als Rentenfonds zu benutzen, hängt vor allem davon ab, wie er sie am A 214 einträglichsten verwerten kann. | Familienlose Kasernensklaven setzen zur Ergänzung des Arbeiterbedarfs große Billigkeit und Stetigkeit des Sklavenangebots, also stetige Menschenraubkriege und billige Ernährung der Sklaven: südliches Klima, voraus. Erblich abhängige Bauern ferner können Geldabgaben nur zahlen, wenn sie ihre Produkte auf einen ihnen zugänglichen, also im allgemeinen: einen lokalen, Markt bringen können, wenn mithin die Städte des Gebiets entwickelt sind. Wo die städtische Entwicklung dürftig war und also die Ernte nur durch Export voll verwertet werden konnte, - wie im deutschen und europäischen Osten in der beginnenden Neuzeit im Gegensatz zum Westen und auf der „schwarzen Erde" 8 4 Rußlands im 19. Jahrhundert, - da war die Benutzung der Bauern als Arbeitskräfte in einer eigenen Fronwirtschaft des Herrn oft der einzige Weg, sie zur Erzielung von Geldeinnahmen nutzbar zu machen^] und entwickelte sich daher innerhalb des „Oikos" ein landwirtschaftlicher „Großbetrieb". Die Schaffung von eignen gewerblichen Großbetrieben mit unfreien Arbeitskräften oder unter Zuhilfenahme oder ausschließlicher Verwendung gemieteter unfreier oder noch freier Arbeitskräfte in

83 Während die Sklavenehe im griechischen Kulturraum durchaus verbreitet war, war sie im republikanischen Rom nahezu unbekannt. Vgl. Plautus, Casina, 6 7 - 7 4 ; Tituli ex Corpore Ulpiani, V, 5, in: Fontes Iuris Romani Antelustiniani, hg. v. Johannes Baviera. - Florenz: S.A. G. Barbèra 1968, S.268. Das römische Recht regelte nur das Besitzverhältnis der Kinder aus Sklavenverbindungen, indem es die Nachkommen dem Besitzer der Mutter zuschrieb. Mit dem Rückgang des Sklavenangebotes im 1. Jahrhundert n. Chr. wurden Sklavinnen für die Geburt von Söhnen mit Arbeitsbefreiung oder Freilassung belohnt. Vgl. Columella, de re rustica, I, 8, 19. 84 Das landwirtschaftlich besonders ertragreiche Schwarzerdegebiet erstreckt sich von Moldawien über die südliche Ukraine hin zum unteren und mittleren Lauf der Wolga.

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eignen oder auch in gemieteten Ergasterien kann den Herren eines Oikos, der sich solche Betriebe angliedert, ganz dicht an einen kapitalistischen Unternehmer heranrücken oder ganz in einen solchen umschlagen lassen, wie dies z. B. bei den Schöpfern der schlesischen „Starosten-Industrie" 85 vollständig geschehen ist. Denn nur der letzte Sinn: rentenbringende Nutzung eines vorhandenen Vermögensbestandes, charakterisiert den „Oikos", und dieser kann von einem primären Verwaltungsinteresse vom Unternehmerkapital tatsächlich ununterscheidbar und schließlich auch inhaltlich mit ihm identisch werden. Innerhalb einer „Starosten-Industrie" wie der schlesischen ist z.B. der Umstand, der an die grundherrliche Entstehung erinnert, vor allem die Art der Kombination verschiedener Unternehmungen: etwa riesiger Forstbetriebe mit Ziegeleien, Brennereien, Zuckerfabriken, Kohlengruben, also: von Betrieben, welche nicht so verknüpft sind, wie etwa eine Reihe von Betrieben, die miteinander in einer modernen „kombinierten" oder „gemischten" Unternehmung vereinigt werden, weil sie verschiedene Verarbeitungsstadien der gleichen Rohstoffe: Ausnutzung von Nebenprodukten und Abfall enthalten oder sonst durch A/ar/cibedingungen verbunden werden. Allein der Grundherr, der an seine Kohlengruben ein Hüttenwerk und eventuell Stahlwerke, an seine Forstwirtschaft Sägmühlen und Zellulosefabriken angliedert, kann praktisch dasselbe Ergebnis herbeiführen, und nur der Ausgangspunkt, nicht das Resultat, sind dann hier und dort verschieden. Ansätze zu durch den Besitz eines Rohstoffs gegebenen Kombinationen finden sich schon auf dem Boden der Ergasterien der Antike. Der Vater des Demosthenes, einer attischen Kaufmannsfamilie entstammend, war Importeur von Elfenbein, welches er (xco ßouXo^ievqj) verkaufte und das zur Einlage sowohl in Messergriffe wie in Möbel verwendet wurde. Er hatte schon begonnen,

8 5 In Rußland wurden die nach der Bauernbefreiung von 1861 von den Dorfgemeinden gewählten Dorfvorsteher als Starosten bezeichnet. Die polnischen Starosten waren hingegen adelige Lehensleute auf den königlichen Gütern, später Landräte. Weber spielt wahrscheinlich auf die Grafen Henckel-Donnersmarck in dem schon stark industrialisierten Kreis Tarnowitz (Regierungsbezirk Oppeln) an, die er schon 1904 als „spezifische Repräsentanten der schlesischen Starostenindustrie" bezeichnet hatte. Für diese Art der Industrie war die systematische Ausbeutung von Bodenschätzen charakteristisch. Vgl. Weber, Max, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen, in: MWG I/8, S. 92-188, hier S. 134.

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eigne angelernte Sklaven in eigner Werkstatt Messer herstellen zu lassen^,] und mußte von einem zahlungsunfähigen Möbeltischler dessen Ergasterion, d. h. wesentlich: die darin arbeitenden Sklaven, übernehmen. Er kombinierte von dem Besitze je ein Messerschmiede- und ein Tischler-Ergasterion.86 Die Entwicklung der 5 Ergasterien hat dann auf hellenistischem, besonders wohl alexandrischem und auch noch auf altislamischem Boden Fortschritte gemacht. Die Ausnutzung gewerblicher unfreier Arbeitskräfte als Rentenquelle ist im ganzen Altertum, im Orient wie im Okzident, im frühen Mittelalter und in Rußland bis zur Aufhebung der Leib- 10 eigenschaft üblich gewesen. Der Herr vermietet seine Sklaven als Arbeitskräfte: so tat ess Nikias mit ungelernten Sklaven in größtem Maßstab an die Bergwerksbesitzer. 87 Er läßt sie eventuell zum Zweck besserer Verwertung zu gelernten Handwerkern ausbilden, was sich im ganzen Altertum, angefangen von einem Kontrakt, in 15 dem der Kronprinz Kambyses als Besitzer des Lehrmeisters genannt ist,88 bis zu den Pandekten ganz wie noch in Rußland im 18. und 19. Jahrhundert findet. Oder er überläßt es ihnen, nachdem er sie hat ausbilden lassen, ihre Arbeitskraft als Handwerker zu eigenem Nutzen zu verwerten, und sie müssen ihm dafür eine Rente 20 A 215 (griechisch: apophora, babylonisch: | mandaku, deutsch: Halssteuer, russisch: obrok) 8 9 zahlen. Der Herr kann ihnen dabei auch die Arbeitsstätte stellen und sie mit Betriebsmitteln (peculium) 90 und

s Fehlt in A: es sinngemäß ergänzt. 86 Vgl. die Prozeßrede des Demosthenes gegen seinen Vormund. Demosthenes, Aphobus, I, 9, 20, 2 4 - 2 5 , 2 7 , 3 0 , 3 2 . 87 Nikias vermietete z. B. 1000 Bergwerkssklaven an einen Silberminenbesitzer, der pro Tag einen bestimmten Betrag zu zahlen und eventuelle Ausfälle zu ersetzen hatte. Die Vermietung von Minensklaven war in Griechenland durchaus üblich, wenn auch normalerweise in geringerem Umfang. Vgl. Xenophon, Poroi, IV, 14, 15. 88 Ein entsprechender Vertrag konnte nicht nachgewiesen werden. 89 Die Begriffe bezeichnen die in Naturalien oder Geld entrichteten Zinsabgaben der Bauern an Gutsbesitzer oder an den Staat. In Rußland mußte der Obrok bis zur Bauernemanzipation von 1861 gezahlt werden. 90 Peculium bezeichnete im römischen Recht alle Formen von Vermögen, die eine besondere rechtliche Stellung einnahmen; insbesondere bezeichnete der Begriff solche finanziellen Mittel, die der Hausherr einem Sklaven oder sonstigen Mitglied seines Haushaltes zur selbständigen Verwaltung übertragen hatte, wobei diese im Besitz des Hausherren verblieben.

Hausgemeinschaften

161

Erwerbskapital (merx peculiaris) 91 ausrüsten. Von einer, der Tatsache nach, fast völligen Bewegungsfreiheit bis zu gänzlicher Einschnürung in eine kasernenartige Existenz im Eigenbetrieb des Herrn sind alle denkbaren Zwischenstufen historisch bezeugt. Die 5 nähere ökonomische Eigenart der so, sei es in der Hand des Herren, sei es in der der Abhängigen, auf dem Boden des Oikos erwachsenen „Betriebe" gehört im einzelnen in einen anderen Problemkreis. Die Entwicklung des „Oikos" zur patrimonialen Herrschaft dagegen werden wir im Zusammenhang mit der Analyse der 10 Herrschaftsformen zu betrachten haben. 92 I

91 „ M e r x peculiaris" b e z e i c h n e t Waren, die der Besitzer e i n e m a n d e r e n z u m G e b r a u c h überläßt, w i e z. B. Werkzeuge, Bei d e n lateinischen B e z e i c h n u n g e n für Betriebsmittel bzw. Erwerbskapital scheint an dieser Stelle eine V e r w e c h s l u n g vorzuliegen. 92 Siehe W u G 1 , S. 682ff. ( M W G I / 2 2 - 4 ) .

Ethnische Gemeinschaften

Editorischer Bericht

Zur

Entstehung

In dem Text über die verschiedenen Formen ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens und die subjektiven Komponenten des Begriffs Nation finden sich keine konkreten Anhaltspunkte, die eine Datierung zulassen. Wie dem Stoffverteilungsplan von 1910 entnommen werden kann, hatte Max Weber dem Verleger in Aussicht gestellt, neben dem Hauptartikel „Wirtschaft und Gesellschaft" zusätzlich mehrere kleinere Beiträge zu übernehmen, von denen einer die Bezeichnung „Wirtschaft und Rasse" tragen sollte. 1 Allerdings wollte er diese Abschnitte nur dann selbst liefern, wenn er dafür keine anderen geeigneten Mitarbeiter würde gewinnen können. 2 Über das Kapitel „Wirtschaft und Rasse" verhandelte er 1910 mit Franz Eulenburg, wurde mit diesem aber nicht einig. 3 Schließlich übernahm Robert Michels im Sommer 1911 die Bearbeitung dieses Abschnittes; sein Beitrag „Wirtschaft und Rasse" ist dann 1914 im „Grundriß der Sozialökonomik" erschienen. 4 Doch gibt es einigen Anlaß zu vermuten, daß Weber vor der Übernahme des Beitrags über „Wirtschaft und Rasse" durch Michels selbst an dieser Thematik gearbeitet und gegebenenfalls Teile davon später in sein Manuskript über die „Ethnischen Gemeinschaften" übernommen hat. Es ist demgemäß davon auszugehen, daß bereits 1910 die Absicht bestanden hat, im Rahmen von „Wirtschaft und Gesellschaft" auch die ethnischen Gemeinschaften zu behandeln. In dem Text „Machtprestige und Nationalgefühl", der bereits 1910 oder in der ersten Hälfte des Jahres 1911 entstanden sein dürfte, findet sich ein allerdings unspezifischer Rückverweis auf den Abschnitt über „ethnische Gemeinschaften" 5 Dort wird darauf verwiesen, daß

1 Abgedruckt in MWG II/6, S. 766-774, sowie Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151-155. 2 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 1. Mai 1910, MWG Ii/6, S.484f. 3 Brief Max Webers an Robert Michels vom 9. Jan. 1911, MWG II/7, S.26f. 4 Brief Max Webers an Robert Michels vom 29. Juli 1911, ebd., S. 254f. Michels Beitrag ist erschienen in: Grundriß der Sozialökonomik. Abt. II: Die natürlichen und technischen Beziehungen der Wirtschaft. - Tübingen: J.C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. 9 7 - 1 0 2 . 5 Vgl. den Text „Machtprestige und Nationalgefühl", unten, S. 244, Anm. 41.

Editorischer

Bericht

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das ethnische Gemeinsamkeitsgefühl e b e n s o wie jenes der „Nation" aus v e r s c h i e d e n e n Quellen, keineswegs nur aus jener der A b s t a m m u n g s g e meinschaft heraus zu entstehen pflegt. Dieser Sachverhalt findet in d e m Text über „Ethnische Gemeinschaften" im Z u s a m m e n h a n g mit der Entstehung des ethnischen G e m e i n s a m k e i t s g l a u b e n s ausführliche Behandlung; die sachliche Übereinstimmung der Argumentation beider Texte ist bemerkenswert hoch. 6 Im selben Z u s a m m e n h a n g findet sich im n a c h s t e h e n d e n Text ein Rückverweis auf eine Passage über die U m d e u t u n g einer rationalen Vergesells c h a f t u n g in persönliche G e m e i n s c h a f t s b e z i e h u n g e n , 7 der innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nur b e d i n g t einen tauglichen B e z u g s p u n k t findet, 8 sich j e d o c h auf den nicht überlieferten Abschnitt über „Kategorien der wirtschaftlichen O r d n u n g e n " , der, wie wir vermuten, ursprünglich den A n f a n g des älteren Manuskripts von „Wirtschaft und Gesellschaft" gebildet hat, b e z o g e n haben dürfte. Doch läßt sich dies nicht mit Sicherheit nachweisen. 9 Über die Existenz objektiver Kriterien, w e l c h e die Zugehörigkeit von Mens c h e n zu einer Rasse konstituieren, g a b es auf d e m Ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910 eine Diskussion z w i s c h e n Max Weber und Alfred Ploetz, in deren Verlauf sich Weber a u s d r ü c k l i c h g e g e n die A n n a h m e a u s g e s p r o c h e n hat, es b e s t ü n d e n „nebeneinander bestimmte Rassen in irg e n d einem rein e m p i r i s c h durch Merkmale bestimmbaren Sinn." 1 0 Vielmehr hat er in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g die subjektiven Faktoren, w e l c h e für die Entstehung eines „ethnischen G e m e i n s a m k e i t s g l a u b e n s " maßgeblich sind, a n g e s p r o c h e n ; diese bilden d e n G e g e n s t a n d des n a c h f o l g e n d e n Textes. Man darf d e m n a c h annehmen, daß die e n t s p r e c h e n d e n Passagen des hier mitgeteilten Textes in dieser Zeit entstanden sind. Die Thematik der Konstituierung der „Nation" d u r c h ethnische Faktoren, die in der zweiten Hälfte des n a c h s t e h e n d e n Textes behandelt wird, z o g im Z u g e der Vorbereitung des Zweiten Deutschen Soziologentages, der v o m 6 Vgl. unten, S. 174f., sowie den Text „Machtprestige und Nationalgefühl", unten, S. 242244. 7 Vgl. unten, S. 175, Anm. 11. 8 Vgl. den Text „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", oben, S. 91. Dort wird wiederum auf eine vorherige Stelle verwiesen. 9 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen", oben, S. 72. Ein weiterer, bedingt möglicher Bezugspunkt findet sich in Weber, Kategorienaufsatz, S. 275. 10 Vgl. Weber, Max, Diskussionsbeitrag zu dem Vortrag von Alfred Ploetz „Die Begriffe Rasse und Gesellschaft und einige damit zusammenhängende Probleme", in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S. 151-157, Zitat: S. 153 (MWG 1/12). Zu Webers Rassebegriff siehe Ay, Karl-Ludwig, Max Weber und der Begriff der Rasse, in: Aschkenas, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 3. Jg., 1993, S. 189-218.

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Ethnische Gemeinschaften

20. bis 22. Oktober 1912 in Berlin stattfand, erhebliches Interesse Max Webers auf sich. Über das von Ferdinand Tönnies vorgeschlagene Thema eines Hauptreferats über „Die Begriffe Volk und Nation im Zusammenhang mit Rasse, Sprache, Staat" entwickelte sich eine kontroverse Korrespondenz. Die Befürchtung Georg Simmeis, die Diskussion könnte sich an einer Definition dieser Begriffe festfahren, 11 hielt Max Weber am 18. November 1911 in einem Schreiben an Hermann Beck für nicht durchschlagend. Er betonte, er würde in der Debatte seinerseits nicht den „toten Weg .Definition'" beschreiten wollen, und „sehr leicht die Sache auf sachliche Probleme lenken helfen können". 12 Im weiteren Verlauf der Vorbereitungen des zweiten Soziologentages lehnte Max Weber im März 1912 die Übernahme eines Vortrags über die verschiedenen Definitionsversuche des Nationsbegriffs mit der Begründung ab, daß sein Bruder Alfred Weber bereits einen Beitrag übernommen habe und nach seiner Ansicht Brüder nicht auf der gleichen Veranstaltung als Referenten auftreten sollten. Ansonsten wäre er bereit gewesen, die „staatliche Gemeinschaft, Sprachgemeinschaft, Abstammungsund ethnische Gemeinschaft, .Kultur'-Gemeinschaft" in ihrer Beziehung zum Nationsbegriff zu behandeln, „ohne sich für eine dieser Bedeutungen als die .eigentliche' zu entscheiden". Er sei imstande, eine „rein sachliche, jede Polemik meidende Darlegung" der verschiedenen Definitionsansätze von „Nation" zu leisten, wie er sie in dem nachstehenden Text dann vorgelegt hat. 13 Demgemäß ist davon auszugehen, daß sich Weber spätestens im Winter 1911/1912 zumindest konzeptionell auch mit dem Zusammenhang von Nation und ethnischen Gemeinschaften beschäftigt hatte und zu entsprechenden Erkenntnissen gekommen war. Die Passagen des Textes „Ethnische Gemeinschaften", in denen diese Gesichtspunkte untersucht werden, dürften in zeitlicher Nähe zu dem erwähnten Briefwechsel über die mögliche Behandlung des Themas auf dem zweiten Soziologentag niedergeschrieben worden sein, möglicherweise noch vor dem Soziologentag. Die Anordnung des Textes im Rahmen der Manuskripte von „Wirtschaft und Gesellschaft" ist eindeutig zu bestimmen. Weber schrieb im Dezember 1913 an Paul Siebeck, daß er die Absicht habe, „alle großen Gemeinschaftsformen zur Wirtschaft in Beziehung" zu setzen, „von der Familie und

11 Vgl. Brief von Ferdinand Tönnies an den Vorstand der DGS vom 5. Nov. 1911, Abschrift masch.; SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Tönnies, Cb 54.61: 1.1.54; sowie den Brief Georg Simmeis an den Vorstand der DGS vom 10. Nov. 1911, Abschrift masch., ebd., Cb 54.61: 1.1.49 (auszugsweise wiedergegeben in MWG II/7, S.362). 12 Vgl. den Brief Max Webers an Hermann Beck vom 18. Nov. 1911, MWG II/7, S.362f. 13 Vgl. Brief Max Webers an den Vorstand der DGS, nach dem 21. März 1912, MWG II/7, S. 483f.

Editorischer

Bericht

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H a u s g e m e i n s c h a f t z u m Betrieb, zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion". 1 4 Diese Positionierung des Textes „Ethnische Gemeinschaften" entspricht der A n o r d n u n g eines Abschnitts „Ethnische Gemeinschaftsb e z i e h u n g e n " in der Disposition von 1914 hinter den Abschnitten „ H a u s g e meinschaft, Oikos, Betrieb" bzw. „ N a c h b a r s c h a f t s v e r b a n d , Sippe, Gemeind e " . 1 5 Die aus d e m Text herausführenden Verweise - drei Rückverweise auf „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen" 1 6 u n d vier Vorverweise auf „.Klassen', .Stände' u n d .Parteien'" bzw. auf das „Recht" u n d d i e „ H e r r s c h a f t " 1 7 - stützen die Z u o r d n u n g der „Ethnischen Gemeinschaften" im Anschluß an die „ H a u s g e m e i n s c h a f t e n " . Allerdings wirft die d o p p e l t e B e h a n d l u n g des G e g e n s t a n d e s „Nation" innerhalb der Manuskripte für Webers Beitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik" Probleme der Z u o r d n u n g auf. Der Text „ M a c h t p r e s t i g e und Nationalgefühl" ist vermutlich früher entstanden, aber, wie aus d e m Rückverweis auf die „ethnischen Gemeinschaften" g e s c h l o s s e n werden kann, innerhalb des Textkonvoluts nachgeordnet. Es ist zu vermuten, daß Weber im Z u g e der Vorbereitung seines Beitrags „Wirtschaft und Gesellschaft" für den Druck die e n t s p r e c h e n d e n Ausführungen aus den „Ethnischen G e m e i n s c h a f t e n " mit den e i n s c h l ä g i g e n Passagen des Textes „ M a c h t p r e s t i g e und Nationalgefühl" zu einem e i g e n s t ä n d i g e n Abschnitt „Die Nation" zusammengeführt hätte. In Kapitel 7 der Disposition von 1914 „Der politische Verband. Die E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n des Rechts. Stände. Klassen. Parteien. Die Nation" 1 8 war ein eigener Abschnitt dafür vorgesehen. Es ist j e d o c h nicht wahrscheinlich, daß das T h e m a der „Nation" innerhalb von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" an zwei v e r s c h i e d e n e n Stellen a b g e h a n d e l t werden sollte. Daher ist davon auszugehen, daß der hier mitgeteilte Text eine frühe Fassung dieses g e p l a n t e n Abschnittes darstellt und in dieser Form spätestens seit 1914 nicht mehr für die A u f n a h m e in den Grundrißbeitrag v o r g e s e h e n war.

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung z u g r u n d e gelegt, die in d e m H a n d b u c h : Grundriß der Sozialökonomik, A b t e i l u n g III: Wirtschaft und Ge-

1 4 V g l . d e n B r i e f M a x W e b e r s a n P a u l S i e b e c k v o m 3 0 . D e z . 1 9 1 3 , VA M o h r / S i e b e c k , D e p o n a t B S B M ü n c h e n , A n a 4 4 6 ( M W G II/8). 1 5 G d S , A b t . I, S. X - X i ( M W G i / 2 2 - 6 ) ; z u r T i t e l f r a g e d e r K a p i t e l 2 b z w . 3 d e r D i s p o s i t i o n v o n 1 9 1 4 v g l . d e n E d i t o r i s c h e n B e r i c h t z u „ H a u s g e m e i n s c h a f t e n " , o b e n , S. 1 0 9 f . 1 6 V g l . u n t e n , S. 169, A n m . 2 , S. 1 7 0 , A n m . 4 , S. 1 7 3 , A n m . 10. 1 7 V g l . u n t e n , S. 1 6 9 , A n m . 3, S. 1 7 6 , A n m . 15, S. 1 7 8 , A n m . 19, S. 1 7 9 , A n m . 2 2 . 1 8 V g l . G d S , A b t . I, S. X - X I ( M W G I / 2 2 - 6 ) .

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Ethnische

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sellschaft, 2. Lieferung. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. 216-226, erschienen ist (A). Im Hinblick auf die wohl beabsichtigte, dann aber nicht mehr ausgeführte Überarbeitung der Passagen über die „Nation" kann der in der Disposition von 1914 genannte Titel „Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen" sich nicht auf den hier mitgeteilten Text beziehen. Hier wird daher auf den von Weber zuvor in einem Brief an Paul Siebeck vom 30. Dezember 1913 verwendeten Titel „Ethnische Gemeinschaften" zurückgegriffen; er darf ebenfalls als eindeutig von Weber autorisiert gelten. 19 Die Paragraphentitel dieses Textes können angesichts der weitreichenden Einwirkung der Erstherausgeber auf die Gestaltung der Titel innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht als authentisch gelten. Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von den Erstherausgebern eingefügt worden. 20 Der hier mitgeteilte Text war in der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" in vier Paragraphen untergliedert. Die von den Erstherausgebern gewählten Titel sind durchweg irreführend. Der Titel „§1. Die ,Rasse'" suggeriert, daß Weber die biologische Konstituierung von Rassen behandelt, während das genaue Gegenteil der Fall ist. Weber führt in diesem Abschnitt den Nachweis, daß bei der Konstituierung von „Rassenzugehörigkeit," so der Webersche Begriff, 21 subjektive Faktoren entscheidend sind und angenommene Andersartigkeit als rassische Verschiedenheit gedeutet wird. Nur bei der Bildung von Konnubialgemeinschaften wird eingeräumt, daß „auch rassenmäßige, also durch Abstammungsgemeinschaft bedingte Momente eine Rolle spielen." 22 Bei der Gestaltung des Titels „§ 2. Entstehung der .Rassen'merkmale" ist den Erstherausgebern ebenfalls ein Fehler unterlaufen, weil der Begriff „Rassenmerkmale" beinhaltet, daß ein ethnischer Gemeinsamkeitsglaube regelmäßig durch objektive Faktoren konstituiert wird. Hingegen wird in dem Textabschnitt dargelegt, daß eine ethnische Gemeinschaft vielmehr durchweg subjektiv konstituiert wird, selbst dann, wenn objektive Faktoren dabei mitspielen, wie z. B. die Hautfarbe. Daß die Sprachgemeinschaft und der historisch bedingte Habitus der Lebensführung zu jenen Faktoren gezählt werden, die einen ethnischen Gemeinsamkeitsglauben bewirken, zeigt vielmehr, daß Weber die Existenz objektiver Rassenmerkmale gerade ablehnt.

19 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dez. 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8). 20 Vgl. die Einleitung, oben, S. 60-65. 21 Vgl. unten, S. 168. 22 Vgl. unten, S. 169.

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A u c h der Titel „§ 3. Verhältnis zur politischen Gemeinschaft" stammt mit Sicherheit von den Erstherausgebern. In d i e s e m Textteil wird ausschließlich die Funktion des subjektiv b e d i n g t e n ethnischen G e m e i n s a m k e i t s g l a u b e n s für politische Gemeinschaften, Stammes- bzw. Staatsgebilde b e s c h r i e b e n , also die vermeintlich ethnischen K o m p o n e n t e n politischer Gemeinschaften. Im mit „§ 4. .Nation' und .Volk'" betitelten Abschnitt wird der Begriff „Volk" e i n g a n g s erwähnt, als „Volk" im landläufig ethnischen Sinne. Ansonsten kommt er nur noch einmal im Z u s a m m e n h a n g mit der „ H e l d e n s a g e primitiver Völker" vor und ist keinesfalls G e g e n s t a n d der Erörterungen. Zwar ist die Thematik „Nation und Volk" im zeitgenössischen Kontext belegt, als eine von Ferdinand Tönnies im Vorfeld des 2. Soziologentages g e p r ä g t e Formulierung, 2 3 j e d o c h v e r m i e d Weber in d e m e i n s c h l ä g i g e n Schriftwechsel d e n Begriff „Volk", e b e n weil dieser eine objektive G e m e i n s c h a f t s z u s a m m e n g e hörigkeit suggeriert, welche er für verfehlt hielt. 2 4 Es ist d a v o n auszugehen, daß es in den n a c h g e l a s s e n e n Manuskripten zu den Texten über die „Gemeinschaften" überhaupt keine Paragraphentitel g e g e b e n hat. 2 5 Dies ergibt sich auch aus der fragwürdigen Formulierung der Mehrzahl der in der Erstausgabe befindlichen Überschriften. Daher wird hier auf die W i e d e r g a b e der Paragraphentitel verzichtet; die Überschriften der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" werden jed o c h im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die P a r a g r a p h e n g l i e d e r u n g als solche wird durch Leerzeilen o p t i s c h kenntlich gemacht. Eine Z ä h l u n g erfolgt nicht. Die A n m e r k u n g e n der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, h i n g e g e n im textkritischen A p p a r a t w i e d e r g e g e b e n . Die Emendationen stützen sich teilweise auf Änderungen, die bereits Johannes Winckelmann (Hg.), Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

23 Brief von Tönnies an den Vorstand der DGS vom 5. Nov. 1911 (wie oben, S. 164, Anm. 11). 24 Vgl. den Brief Max Webers an den Vorstand der DGS, nach dem 21. März 1912, MWG II/7, S.483f. 25 Vgl. die Einleitung, oben, S. 63f.

A 216

Ethnische Gemeinschaften.

Eine weit problematischere Quelle für Gemeinschaftshandeln als die bisher ermittelten Tatbestände ist der wirklich auf Abstammungsgemeinsamkeit beruhende Besitz gleichartiger ererbter und vererblicher Anlagen, die „Rassenzugehörigkeit". Sie führt zu einer „Gemeinschaft" natürlich überhaupt nur dann, wenn sie subjektiv als gemeinsames Merkmal empfunden wird, und dies geschieht nur, wenn örtliche Nachbarschaft oder Verbundenheit Rassenverschiedener zu einem (meist: politischen) gemeinsamen Handeln oder umgekehrt: irgendwelche gemeinsame Schicksale des rassenmäßig Gleichartigen mit irgendeiner Gegensätzlichkeit der Gleichgearteten gegen auffällig Andersgeartete verbunden ist. Das dann entstehende Gemeinschaftshandeln pflegt sich generell nur rein negativ: als Absonderung und Verachtung oder umgekehrt abergläubische Scheu gegenüber den in auffälliger Weise Andersgearteten zu äußern. Der seinem äußeren Habitus nach Andersartige wird, mag er „leisten" und „sein", was er wolle, schlechthin als solcher verachtet oder umgekehrt, wo er dauernd übermächtig bleibt, abergläubisch verehrt. Die Abstoßung ist dabei das Primäre und Normale. Nun ist aber 1. diese Art von „Abstoßung" nicht nur den Trägern anthropologischer Gemeinsamkeiten gegeneinander eigen, und auch ihr Maß wird keineswegs durch den Grad der anthropologischen Verwandtschaft bestimmt, und 2. knüpft sie auch und vor allem keineswegs nur an ererbte, sondern ganz ebenso an andere auffällige Unterschiede des äußeren Habitus an. Wenn man den Grad von objektiver Rassenverschiedenheit rein physiologisch unter anderem auch darnach bestimmen kann, ob die Bastarde sich in annähernd normalem Maße fortpflanzen oder nicht, so könnte man die subjektive gegenseitige rassenmäßige Anziehung und Abstoßung in ihrem Stärkegrade darnach bemessen wollen, ob Sexualbeziehungen gern oder selten, normalerweise als Dauerbeziehungen oder wesentlich nur temporär und irregulär, angeknüpft werden. Das bestehende oder fehlende Konnubium a Über dem Titel steht in A: K a p i t e l III. In A folgt die Zwischenüberschrift: § 1. D i e „Rasse".

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wäre dann naturgemäß bei allen zu einem „ethnischen" Sonderbewußtsein entwickelten Gemeinschaften eine normale Konsequenz rassemäßiger Anziehung oder Absonderung. Die Erforschung der sexuellen Anziehungs- und Abstoßungsbeziehungen zwischen ver5 schiedenen ethnischen Gemeinschaften steht heute erst am b Anfang exakter Beobachtungen. Es ist nicht der mindeste Zweifel, daß für die Intensität des Sexualverkehrs und für die Bildung von Konnubialgemeinschaften auch rassenmäßige, also durch Abstammungsgemeinschaft bedingte Momente eine Rolle spielen, zuwei10 len die ausschlaggebende. Aber gegen die „Urwüchsigkeit" der sexuellen Rassenabstoßung, selbst bei einander sehr fernstehenden Rassen, sprechen schließlich doch z.B. die mehreren Millionen Mulatten in den Vereinigten Staaten deutlich genug. Die, neben den direkten Eheverboten der Südstaaten, 1 jetzt von beiden Sei15 ten, neuerdings auch von derjenigen der Neger, durchgeführte Perhorreszierung jeder sexuellen Beziehung zwischen den beiden Rassen überhaupt ist erst das Produkt der mit der Sklavenemanzipation entstandenen Prätentionen | der Neger, als gleichberechtigte A217 Bürger behandelt zu werden, also: sozial bedingt durch die, uns 20 dem Schema nach bekannten, 2 in diesem Fall an die Rasse anknüpfenden, Tendenzen zur Monopolisierung von sozialer Macht und Ehre. Das „Konnubium" überhaupt, also der Tatbestand: daß Abkömmlinge aus sexuellen Dauergemeinschaften von einer politischen oder ständischen oder ökonomischen Gemeinschaft des Va25 ters zur gleichartigen Beteiligung am Gemeinschaftshandeln und seinen Vorteilen für die Beteiligten zugelassen werden, hängt von mannigfachen Umständen ab. Unter der Herrschaft der ungebrochenen väterlichen Hausgewalt, von der später zu reden sein wird, 3 lag es gänzlich im Ermessen des Vaters, beliebige Sklavinnenkinder b A: im 1 Die gesetzlichen Verbote von Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Rassen bestanden um die Jahrhundertwende noch in den meisten Staaten der amerikanischen Union. Die ersten entsprechenden Gesetze, die vor allem Ehen zwischen Weißen und Nichtweißen untersagten, wurden 1661 in Maryland und 1691 in Virginia erlassen und in der Folgezelt In nahezu allen neuen Bundesstaaten übernommen. Nach Ende des Bürgerkrieges hoben zwar viele Nordstaaten die Eheverbote auf, aber noch 1950 waren Mischehen in ca. 30 Staaten gesetzlich verboten. 2 Siehe oben, S. 82-86. 3 Siehe WuG1, S. 388, 427 (MWG I/22-3), WuG1, S. 679ff. (MWG I/22-4).

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als gleichberechtigt zu behandeln. Die Verklärung des Frauenraubs des Helden vollends machte die Rassenmischung in der Herrenschicht direkt zur Regel. Erst die, uns dem Schema nach bekannte Tendenz 4 zur monopolistischen Abschließung politischer oder ständischer oder anderer Gemeinschaften und zur Monopolisierung der Ehechancen schränkt diese Macht des Hausvaters zunehmend ein und schafft die strenge Einschränkung des Konnubium auf die Abkömmlinge aus sexuellen Dauergemeinschaften innerhalb der eigenen (ständischen, politischen, kultischen, ökonomischen) Gemeinschaft, damit zugleich aber eine höchst wirksame Inzucht. Die „Endogamie" einer Gemeinschaft - wenn man darunter nicht das bloße Faktum, daß geschlechtliche Dauerbeziehungen vorwiegend auf der Basis der Zugehörigkeit zu einem wie immer gearteten Verband zustande kommen, sondern einen Ablauf des Gemeinschaftshandelns 0 versteht, derart, daß nur endogen gezeugte Abkömmlinge als gleichstehende Genossen des Gemeinschaftshandelns akzeptiert werden - ist wohl überall sekundäres Produkt solcher Tendenzen. (Von einer „Sippen"-Endogamie sollte man nicht reden; sie existiert nicht oder nur dann, wenn man Erscheinungen wie die Leviratsehe 5 und das Erbtochterrecht, 6 die sekundären, religiösen und politischen Ursprungs sind, mit diesem Namen bezeichnen wollte.) Die Reinzüchtung anthropologischer Typen ist sehr oft sekundäre Folge derartiger, wie immer bedingter Abschließungen, bei Sekten (Indien) sowohl wie bei „Pariavölkern", d. h. Gemeinschaften, welche zugleich sozial verachtet und dennoch um einer unentbehrlichen, von ihnen monopolisierten Sondertechnik willen als Nachbarn gesucht werden. Nicht nur die Tatsache, daß, sondern auch der Grad, in welchem das reale Blutsband als solches beachtet wird, ist durch andere c A: Gemeinschaftshandeln 4 Siehe oben, S. 82-86. 5 Abgeleitet vom lateinischen „levir" (Mannesbruder). Die Leviratsehe bezeichnet die im Alten Testament gesetzlich vorgeschriebene Ehe eines Mannes mit der Witwe seines kinderlos verstorbenen Bruders. Der Sinn einer solchen Ehe bestand in der Zeugung eines Sohnes, der dem Verstorbenen zugerechnet wurde und als dessen Erbe galt. Vgl. 5. Mose 25, 5ff. 6 Bei einer auf Vaterrecht beruhenden Erbfolge bezeichnet das Erbtochterrecht die Möglichkeit der Vererbung von Vermögen und Titel an die nächste Verwandte des letzten männlichen Mitgliedes einer Familie.

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Gründe als das Maß der objektiven Rassenverwandtschaft mitbestimmt. Der winzigste Tropfen Negerblut disqualifiziert in den Vereinigten Staaten unbedingt, während sehr beträchtliche Einschüsse indianischen Blutes es nicht tun.7 Neben dem zweifellos mitspie 5 lenden, ästhetisch gegenüber den Indianern noch fremdartigeren Gepräge der Vollblutneger wirkt dabei ohne alle Frage die Erinnerung mit, daß es sich bei den Negern im Gegensatz zu den Indianern um ein Sklavenvolk, also eine ständisch disqualifizierte Gruppe handelt. Ständische, also anerzogene Unterschiede und nament10 lieh Unterschiede der „Bildung" (im weitesten Sinn des Wortes) sind ein weit stärkeres Hemmnis des konventionellen Konnubium als Unterschiede des anthropologischen Typus. Der bloße anthropologische Unterschied entscheidet, von den extremen Fällen ästhetischer Abstoßung abgesehen, durchweg nur in geringem 15 Maße. d Die Frage aber, ob die als auffällig abweichend und also scheidend empfundenen Differenzen auf „Anlage" oder „Tradition" beruhen, ist für ihre Wirksamkeit auf die gegenseitige Anziehung oder Abstoßung normalerweise gänzlich bedeutungslos. Dies gilt für die 20 Entwicklung endogamer Konnubialgemeinschaften, und es gilt natürlich erst recht für die Anziehung und Abstoßung im sonstigen „Verkehr", dafür also, ob freundschaftliche, gesellige oder ökonomische Verkehrsbeziehungen und Gemeinschaftsbildungen aller Art zwischen solchen Gruppen leicht und auf | dem Fuße gegensei- A 218 25 tigen Vertrauens und gegenseitiger Behandlung als gleichartig und gleichwertig oder nur schwer und unter Vorkehrungen, welche Mißtrauen bekunden, angeknüpft werden. Die größere oder gerin-

d In A folgt die Zwischenüberschrift: § 2. Entstehung der „Rassen"merkmale. 7 Dies bezieht sich auf Erfahrungen, die Weber während seines USA-Aufenthaltes von September bis November 1904 anläßlich eines Vortrages gemacht hat. In den Briefen an Helene Weber finden sich wiederholt Hinweise, daß das Sozialprestige von Farbigen so gering gewesen sei, daß weißen Amerikanern private Kontakte unmöglich waren, ohne ihrerseits gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden. Vgl. Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 12./13./27. Okt. 1904, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 6, Bl. 52-58, 75-85. In dem Bericht über seinen Besuch von Indianer-Reservaten in Oklahoma hebt Weber dagegen den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg einzelner Personen indianischer Abstammung hervor. Vgl. Brief Max Webers an Helene Weber vom 28. Sept. - 1. Okt. 1904, ebd., Bl. 4 2 - 4 7 (MWG II/4).

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gere Leichtigkeit des Entstehens einer sozialen Verkehrsgemeinschaft (im möglichst weiten Sinn des Wortes) knüpft erst recht an die größten Äußerlichkeiten der aus irgend einem zufälligen historischen Grunde eingelebten Unterschiede der äußeren Lebensgewohnheiten genau ebenso an, wie an das rassenmäßige Erbgut. Entscheidend ist vielfach neben der Ungewohntheit abweichender Gepflogenheiten rein als solcher, daß die abweichende „Sitte" in ihrem subjektiven „Sinn" nicht durchschaut wird, weil dazu der Schlüssel fehlt. Aber nicht alle Abstoßung beruht auf dem Fehlen von „Verständnis"-Gemeinschaft, wie wir bald sehen werden. 8 Unterschiede der Bart- und Haartracht, Kleidung, Ernährungsweise, der gewohnten Arbeitsteilung der Geschlechter und alle überhaupt ins Auge fallenden Differenzen, - zwischen deren „Wichtigkeit" oder „Unwichtigkeit" es für die unmittelbare Anziehungs- oder Abstoßungsempfindung ebensowenig Gradunterschiede gibt wie für naive Reisebeschreibungen oder für Herodot oder für die ältere vorwissenschaftliche Ethnographie 9 können im Einzelfall Anlaß zur Abstoßung und Verachtung der Andersgearteten und, als positive Kehrseite, zum Gemeinsamkeitsbewußtsein der Gleichgearteten geben, welches dann ganz ebenso leicht Träger einer Vergemeinschaftung werden kann, wie andererseits jede Art von Gemeinschaft, von Haus- und Nachbarverband bis zur politischen und religiösen Gemeinschaft, Träger gemeinsamer Sitte zu sein pflegt. Alle Unterschiede der „Sitten" können ein spezifisches „Ehr"- und „Würde"-Gefühl ihrer Träger speisen. Die ursprünglichen Motive der Entstehung von Verschiedenheiten der Lebensgepflogenheiten werden vergessen, und die Kontraste bestehen als „Konventionen" weiter. Wie auf diese Art alle und jede Gemein8 Siehe unten, S. 176-179. 9 Welche Vertreter der „vorwissenschaftlichen Ethnographie" hier gemeint sind, konnte nicht ermittelt werden. Seit Bachofen, Mutterrecht (wie oben, S.2, Anm.4; 1. Aufl. von 1861) und dann vor allem Morgan, Ancient Society (wie oben, S. 135, Anm. 33) hatte sich in der Ethnographie die Theorie durchgesetzt, daß bei den heutigen Naturvölkern noch die Kulturformen zu beobachten seien, die in früherer Zeit auch die in der zeitgenössischen Literatur sogenannten Kulturvölker durchlaufen hätten. Diese Vorstellung eines geradlinigen einheitlichen Entwicklungsgangs der Menschheitsgeschichte wurde seit den 1890er Jahren zunehmend in Frage gestellt. Vgl. Starcke, Carl Nicolai, Die primitive Familie in ihrer Entstehung und Entwicklung. - Leipzig: Brockhaus 1888; Grosse, Formen der Familie (wie oben, S. 138, Anm. 41). Auch Weber hat sich in dem Text „Hausgemeinschaften" mehrfach indirekt gegen die Annahme von allgemeingültigen Entwicklungsstufen ausgesprochen, vgl. oben, S. 135, 139f.

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schaft sittenbildend wirken kann, so wirkt auch jede in irgendeiner Weise, in dem sie mit den einzelnen ererbten Qualitäten verschieden günstige Lebens-, Überlebens- und Fortpflanzungschancen verknüpft, auf die Auslese der anthropologischen Typen, also züchtend, ein, und zwar unter Umständen in höchst wirksamer Art. Wie bei der inneren Ausgleichung steht es auch bei der Unterscheidung nach außen. Die uns dem Schema nach bekannte Tendenz 10 zur monopolistischen Abschließung nach außen kann an jedes noch so äußerliche Moment anknüpfen. Die universelle Macht der „Nachahmung" wirkt im allgemeinen dahin, daß ebenso wie durch Rassenmischung die anthropologischen Typen, so die bloß traditionellen Gepflogenheiten von Ort zu Ort nur in allmählichen Übergängen sich zu ändern pflegen. Scharfe Grenzen zwischen den Verbreitungsgebieten von äußerlich wahrnehmbaren Lebensgepflogenheiten sind daher entweder durch eine bewußte monopolistische Abschließung, welche an kleine Unterschiede anknüpfte, und diese dann geflissentlich pflegte und vertiefte, entstanden. Oder durch friedliche oder kriegerische Wanderungen von Gemeinschaften, welche bis dahin weit entfernt gelebt und sich an heterogene Bedingungen der Existenz in ihren Traditionen angepaßt hatten. Ganz ebenso also, wie auffällig verschiedene, durch Züchtung in der Isolierung entstandene Rassentypen entweder durch monopolistische Abschließung oder durch Wanderung in scharf abgegrenzte Nachbarschaft miteinander geraten. Gleichartigkeit und Gegensätzlichkeit des Habitus und der Lebensgewohnheiten sind, wie sich aus alledem ergibt, ganz einerlei, ob als Erb- oder Traditionsgut[,j beide im Prinzip in ihrer Entstehung und Änderung der Wirksamkeit durchaus den gleichen Bedingungen des Gemeinschaftslebens unterstellt und auch in ihrer eigenen gemeinschaftsbildenden Wirkung gleichartig. Der Unterschied liegt einerseits in der überaus großen Verschiedenheit der Labilität beider, je nachdem sie Erb- oder Traditionsgut sind, und andererseits in der festen (wenn auch im einzelnen oft unbekannten) Grenze der Anzüchtung von neuen Erbqualitäten überhaupt, - der gegenüber, trotz der immerhin auch starken Unterschiede der Übertragbarkeit von Traditionen, doch für die „Angewöhnung" von „Sitten" ein ungemein viel größerer Spielraum besteht. | 1 0 Siehe oben, S. 8 2 - 8 6 .

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Fast jede Art von Gemeinsamkeit und Gegensätzlichkeit des Habitus und der Gepflogenheiten kann Anlaß zu dem subjektiven Glauben werden, daß zwischen den sich anziehenden oder abstoßenden Gruppen Stammverwandtschaft oder Stammfremdheit bestehe. Nicht jeder Stammverwandtschaftsglaube zwar beruht auf 5 Gleichheit der Sitten und des Habitus. Es kann auch trotz starker Abweichungen auf diesem Gebiet dann ein solcher bestehen und eine gemeinschaftsbildende Macht entfalten, wenn er durch die Erinnerung an reale Abwanderung: Kolonisation oder Einzelauswanderung gestützt wird. Denn die Nachwirkung der Angepaßt- 10 heit an das Gewohnte und an Jugenderinnerungen besteht als Quelle des „Heimatsgefühls" bei den Auswanderern auch dann weiter, wenn sie sich der neuen Umwelt derart vollständig angepaßt haben, daß ihnen selbst eine Rückkehr in die Heimat unerträglich wäre (wie z. B. den meisten Deutschamerikanern). In Kolo- 15 nien überdauert die innere Beziehung zur Heimat der Kolonisten auch sehr starke Mischungen mit den Bewohnern des Koloniallandes und erhebliche Änderungen des Traditionsguts sowohl wie des Erbtypus. Entscheidend dafür ist bei politischer Kolonisation das politische Rückhaltsbedürfnis; allgemein ferner die Fortdauer der 20 durch Konnubium geschaffenen Verschwägerungen und endlich, soweit die „Sitte" konstant geblieben ist, die Absatzbeziehungen, welche, solange diese Konstanz des Bedürfnisstandes dauert, zwischen Heimat und Kolonie, und zwar gerade bei Kolonien in fast absolut fremdartiger Umgebung und innerhalb eines fremden poli- 25 tischen Gebietes, in besonderer Intensität bestehen können. Der Stammverwandtschaftsglaube kann - ganz einerlei natürlich, ob er objektiv irgendwie begründet ist - namentlich für die politische Gemeinschaftsbildung wichtige Konsequenzen haben. Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten 30 des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht „Sippen" darstellen, „ethnische" Gruppen 35 nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht. Von der „Sippengemeinschaft" scheidet sich die „ethnische" Gemeinsamkeit dadurch, daß sie eben an sich nur (geglaubte) „Gemeinsamkeit", nicht aber „Gemeinschaft" ist, wie die

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Sippe, zu deren Wesen ein reales Gemeinschaftshandeln gehört. Die ethnische Gemeinsamkeit (im hier gemeinten Sinn) ist demgegenüber nicht selbst Gemeinschaft, sondern nur ein die Vergemeinschaftung erleichterndes Moment. Sie kommt der allerverschiedensten, vor allem freilich erfahrungsgemäß: der politischen Vergemeinschaftung, fördernd entgegen. Andererseits pflegt überall in erster Linie die politische Gemeinschaft, auch in ihren noch so künstlichen Gliederungen, ethnischen Gemeinsamkeitsglauben zu wecken und auch nach ihrem Zerfall zu hinterlassen, es sei denn, daß dem drastische Unterschiede der Sitte und des Habitus oder, und namentlich, der Sprache im Wege stehen. Diese „künstliche" Art der Entstehung eines ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens entspricht ganz dem uns bekannten Schema 1 1 der Umdeutung von rationalen Vergesellschaftungen in persönliche Gemeinschaftsbeziehungen. Unter Bedingungen geringer Verbreitung rational versachlichten Gesellschaftshandelns attrahiert fast jede, auch eine rein rational geschaffene, Vergesellschaftung ein übergreifendes Gemeinschaftsbewußtsein in der Form einer persönlichen Verbrüderung auf der Basis „ethnischen" Gemeinsamkeitsglaubens. Noch dem Hellenen wurde jede noch so willkürlich vollzogene Gliederung der Polis zu einem persönlichen Verband mindestens mit Kultgemeinschaft, oft mit künstlichem Ahn. Die 12 Stämme Israels sind Unterabteilungen der politischen Gemeinschaft, welche umschichtig monatsweise gewisse Leistungen übernahmen, 12 die hellenischen Phylen 13 und ihre Unterabteilungen ebenfalls. Aber auch die letzteren gelten durchaus als ethnische Abstammungsgemeinsamkeiten. Sicherlich kann nun die ursprüngliche Einteilung sehr wohl an politische oder schon vorhandene ethnische Unterschiede angeknüpft haben. | Auch wo sie aber A 220 11 Ein sehr kurz und allgemein gehaltener Bezugspunkt findet sich in Weber, Kategorienaufsatz, S. 275. 12 Der unter Salomo erfolgte A u f b a u der Administration im Königreich Israel umfaßte zwölf Verwaltungsbezirke in Anlehnung an die zwölf Stämme Israels. Diese Bezirke mußten in monatlichem Wechsel die notwendigen Lebensmittel für den königlichen Hof sowie das Futter für die Reitpferde und Zugtiere des Königs stellen. Vgl. 1. Könige 4, 7 - 1 9 ; 5, 7f. 13 Die Phyle war eine Unterabteilung der griechischen G e m e i n w e s e n und hatte wahrscheinlich einen gentilen Ursprung. Allerdings wurde in historischer Zeit eine gemeinsame A b s t a m m u n g verneint. Bedeutsam waren die Phylen In der Verfassungswirklichkeit als größte Heeresabteilung, für die Besetzung verschiedener staatlicher Gremien und als Vorinstanzen bei der Beamtenauswahl.

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unter Zerreißung alter Verbände und Verzicht auf lokalen Zusammenhalt ganz rational und schematisch konstruiert wurde - wie die kleisthenische 14 - wirkte sie ganz im gleichen Sinne ethnisch. Dies bedeutet also nicht, daß die hellenische Polis real oder der Entstehung nach in der Regel ein Stammes- oder Geschlechterstaat war, sondern es ist ein Symptom für den im ganzen geringen Grad der Rationalisierung des hellenischen Gemeinschaftslebens überhaupt. Umgekehrt ist es für die größere Rationalisierung der römischen politischen Gemeinschaftsbildung ein Symptom, daß ihre alten schematischen Unterabteilungen (curiae) jene religiöse, einen ethnischen Ursprung vortäuschende Bedeutsamkeit nur in geringerem Maße attrahiert haben. e Der „ethnische" Gemeinsamkeitsglaube ist sehr oft, aber nicht immer Schranke „sozialer Verkehrsgemeinschaften"; diese wiederum sindf nicht immer identisch mit endogamer Konnubialgemeinschaft, denn die von jeder von beiden umfaßten Kreise können sehr verschieden groß sein. Ihre nahe Verwandtschaft beruht nur auf dem gleichartigen Fundament: dem Glauben an eine spezifische, von den Außenstehenden nicht geteilte „Ehre" - der „ethnischen Ehre" - des Zugehörigen, deren Verwandtschaft mit der „ständischen" Ehre wir später erörtern werden. 15 Hier begnügen wir uns mit diesen wenigen Feststellungen. Jede eigentlich soziologische Untersuchung müßte die Begriffe ungemein viel feiner differenzieren, als wir es hier für unseren begrenzten Zweck tun. Gemeinschaften können ihrerseits Gemeinsamkeitsgefühle erzeugen, welche dann dauernd, auch nach dem Verschwinden der Gemeinschaft, bestehen bleiben und als „ethnisch" empfunden werden. Insbesondere kann die politische Gemeinschaft solche Wirkungen üben. Am unmittelbarsten aber ist dies bei derjenigen Gemeinschaft der Fall, welche Träger eines spezifischen „MassenkuMwguts" ist und das gegenseitige „Verstehen" begründet oder erleichtert: die Gemeinschaft der Sprache. e A: hat.

f A: ist

14 Die Grundlage der kleisthenischen Reformen Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. in Athen war eine territoriale Neugliederung Attikas. Die alte 4 Phylen umfassende Ordnung wurde durch 10 neue Phylen ersetzt, deren Verwaltungsgebiete nicht mehr zusammenhängende Territorien bildeten. Die neue Einteilung erschien den Zeltgenossen willkürlich und Aristoteles vermutete die Anwendung eines Losverfahrens. Aristoteles, Politik, 21, 4. 15 Siehe unten, S. 259-262.

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Unzweifelhaft ist da, wo die Erinnerung an die Entstehung einer auswärtigen Gemeinschaft durch friedliche Abspaltung oder Fortwanderung („Kolonie", 16 „Ver sacrum" 17 und ähnliche Vorgänge) aus einer Muttergemeinschaft aus irgendwelchen Gründen dauernd lebendig geblieben ist, ein sehr spezifisches „ethnisches" Gemeinschaftsgefühl von oft sehr großer Tragfähigkeit vorhanden. Aber dies ist dann durch die politische Erinnerungsgemeinschaft oder, in der Frühzeit noch stärker, durch die fortdauernde Bindung an die alten Kultgemeinschaften, ferner die fortdauernde Erstarkung der Sippenverbände und anderer Vergemeinschaftungen durch die alte wie neue Gemeinschaft hindurch oder durch andere fortdauernde, ständig fühlbare Beziehungen bedingt. Wo diese fehlen oder aufhören, fehlt auch das „ethnische" Gemeinschaftsgefühl, einerlei, wie nahe die Blutsverwandtschaft ist. Versucht man generell zu ermitteln, welche „ethnischen" Differenzen übrig bleiben, wenn man absieht von der keineswegs immer mit objektiver oder subjektiv geglaubter Blutsverwandtschaft zusammenfallenden Sprachgemeinschaft und von der ebenfalls davon unabhängigen Gemeinsamkeit des religiösen Glaubens, sowie vorläufig auch von der Wirkung gemeinsamer rein politischer Schicksale und der Erinnerungen daran, die wenigstens objektiv mit Blutsverwandtschaft nichts zu tun hat, - dann bleiben einerseits, wie erwähnt, 18 ästhetisch auffällige Unterschiede des nach außen hervortretenden Habitus, andererseits und zwar durchaus gleichberechtigt neben jenen, in die Augen fallende Unterschiede in der Lebensführung des Alltags. Und zwar, da es sich bei den Gründen der „ethnischen" Scheidung stets um äußerlich erkenn-

16 Dies bezieht sich auf die Koloniegründungen in der Antike, als auf unterschiedliche Weise ausgewählte Kolonisten ihre Heimatstadt verließen, um anderswo eine neue Siedlung zu gründen. 17 Das „ver sacrum" bezeichnet den italischen Brauch, Im Falle eines staatlichen Notstandes alle neugeborenen Tiere und Menschen des nächsten Frühjahrs einem Gott als Sühneopfer zu weihen. Dabei wurden die Tiere tatsächlich geopfert, während die Menschen im Alter von 21 Jahren ihre Heimatstadt verlassen und eine neue Gemeinde gründen mußten. Das „ver sacrum" scheint bei der Besiedelung Italiens eine große Rolle gespielt zu haben, da sich zahlreiche Städte in ihren G r ü n d u n g s s a g e n darauf bezogen. Das einzige historisch belegte „ver sacrum" wird aus d e m Jahre 217 v.Chr. überliefert, nachd e m Hannlbal In Italien eingefallen war und Rom erste empfindliche Niederlagen hinnehmen mußte. Vgl. Livlus, 22,9, 7ff.; 22,10; 33,44, 1 f.; 34,44, 1 ff. 18 Siehe oben, S. 172f.

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bare drastische Differenzen handelt, gerade solche Dinge, welche sonst von untergeordneter sozialer Tragweite erscheinen können. Es ist klar, daß die Sprachgemeinschaft und nächst ihr die, durch ähnliche religiöse Vorstellungen bedingte, Gleichartigkeit der rituellen Lebensreglementierung außerordentlich starke, überall wir- 5 kende Elemente von „ethnischen" Verwandtschaftsgefühlen bilden, namentlich weil die sinnhafte „Verständlichkeit" des Tuns des Anderen die elementarste Voraussetzung der Vergemeinschaftung A 221 ist. A b e r wir | wollen diese beiden Elemente hier ausscheiden und fragen, was dann übrigbleibt. Und es ist ja auch zuzugeben, daß we- 10 nigstens starke Dialektunterschiede und Unterschiede der Religion die ethnischen Gemeinschaftsgefühle nicht absolut ausschließen. Neben wirklich starken Differenzen der ökonomischen Lebensführung spielten bei ethnischem Verwandtschaftsglauben zu allen Zeiten solche der äußerlichen Widerspiegelungen, wie die 15 Unterschiede der typischen Kleidung, der typischen Wohn- und Ernährungsweise, der üblichen Art der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und zwischen Freien und Unfreien: - alle solche Dinge also, bei denen es sich fragt: was für „schicklich" gilt und was, vor allem, das Ehr- und Würdegefühl des Einzelnen berührt - , 20 eine Rolle. Alle diejenigen Dinge mit anderen Worten, welche wir später auch als Gegenstände spezifisch „ständischer" Unterschiede wiederfinden werden. 19 In der Tat ist die Überzeugung von der Vortrefflichkeit der eigenen und der Minderwertigkeit fremder Sitten, durch welche die „ethnische Ehre" gespeist wird, den „ständi- 25 sehen" Ehrbegriffen durchaus analog. „Ethnische" Ehre ist die spezifische Massenehre, weil sie jedem, der der subjektiv geglaubten Abstammungsgemeinschaft angehört, zugänglich ist. Der „poor white trash", 20 die besitzlosen und, bei dem Mangel an Arbeitsgelegenheit für freie Arbeit, sehr oft ein elendes Dasein fristenden, 30 Weißen der amerikanischen Südstaaten waren in der Sklavereiepoche die eigentlichen Träger der den Pflanzern selbst ganz fremden 19 Siehe unten, S. 259-262. 20 Der Ausdruck „poor white trash" wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von den Gegnern der Sklaverei im Zusammenhang mit der Diskussion über die Sklavenwirtschaft in den Vereinigten Staaten gebildet. Mit dem Begriff wurde die weiße Unterschicht der Südstaaten bezeichnet, die durch die Sklaverei am sozialen Aufstieg gehindert bzw. ins soziale Abseits gedrängt worden sei. Vgl. Helper, Hinton Rowan, The Impending Crisis of the South. How to meet it. - New York: A. B. Burdick 1860, S. 32.

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Rassenantipathie, weil gerade ihre soziale „Ehre" schlechthin an der sozialen Deklassierung der Schwarzen hing. Und hinter allen „ethnischen" Gegensätzen steht ganz naturgemäß irgendwie der Gedanke des „auserwählten Volks", der nur ein in das horizontale Nebeneinander übersetztes Pendant „ständischer" Differenzierungen ist und seine Popularität eben davon entlehnt, daß er im Gegensatz zu diesen, die stets auf Subordination beruhen, von jedem Angehörigen jeder der sich gegenseitig verachtenden Gruppen für sich subjektiv in gleichem Maße prätendiert werden kann. Daher klammert sich die ethnische Abstoßung an alle denkbaren Unterschiede der „Schicklichkeits"vorstellungen und macht sie zu „ethnischen Konventionen". Neben jenen vorhin erwähnten, 21 immerhin noch näher mit der Wirtschaftsordnung zusammenhängenden Momenten wird etwa auch die Bart- und Haartracht und ähnliches von der Konventionalisierung - ein erst später zu erörternder Begriff 22 - erfaßt und wirken Gegensätze darin nun „ethnisch" abstoßend, weil sie als Symbole ethnischer Zugehörigkeit gelten. Nicht immer freilich wird die Abstoßung nur durch den „symbolischen" Charakter der Unterscheidungsmerkmale bedingt. Daß die Skytinnen ihre Haare mit Butter, welche dann ranzig roch, einfetteten, die Helleninnen dagegen mit parfümiertem Öl, machte, nach einer antiken Überlieferung, einen gesellschaftlichen Annäherungsversuch vornehmer Damen von beiden Seiten unmöglich. 23 Der Buttergeruch wirkte sicher intensiver trennend als selbst die drastischsten Rassenunterschiede, als etwa der - soviel ich selbst bemerken konnte 24 - fabulöse „Negergeruch" es hätte tun können. Die „Ras21 Siehe oben, S. 173f. 22 Siehe WuG 1 , S. 374ff., 397 (MWG I / 2 2 - 3 ) und unten, S. 265f. 23 Diese A n e k d o t e konnte in b e z u g auf Skythen, bei denen die Butter nur für d e n Verzehr bestimmt war, nicht nachgewiesen werden. Plutarch berichtet j e d o c h von einer B e g e g nung der Galaterfürstin Beronice mit einer Spartanerin, in deren Verlauf sich beide Frauen w e g e n des Öl- bzw. Buttergeruchs der anderen voneinander abwandten. Vgl. Plutarch, adversus colotes, 4. 24 Während seines Aufenthalts in d e n USA anläßlich der Weltausstellung in St. Louis im Jahre 1904 informierte sich Max Weber eingehend über die Lage der Afro-Amerikaner. Weber traf sich mit William Edward Burghardt Du Bois, der sich für eine weitergehende A u s b i l d u n g der Afro-Amerikaner einsetzte, und besuchte das von Booker Washington gegründete „College for Further Education for African Americans" in Tuskegee im US-Staat Alabama. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild, S. 3 0 7 - 3 0 9 ; vgl. auch M o m m s e n , Wolfgang J., Max Weber und die Vereinigten Staaten von Amerika, in: Fiebig-von Hase, Ragnhild und Jürgen Heideking (Hg.), Zwei Wege in die Moderne. Aspekte der deutsch-amerikani-

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senqualitäten" kommen für die Bildung „ethnischen" Gemeinsamkeitsglaubens generell nur als Grenzen: bei allzu heterogenem, ästhetisch nicht akzeptiertem äußerem Typus, in Betracht, nicht als positiv gemeinschaftsbildend. Starke Differenzen der „Sitte", die hiernach bei der Bildung eth- 5 nischer Gemeinschaftsgefühle und Blutsverwandtschaftsvorstellungen eine dem ererbten Habitus durchaus gleichwertige Rolle spielen, sind, neben den sprachlichen und religiösen Unterschieden, ganz regelmäßig durch verschiedene ökonomische oder politische Existenzbedingungen, an die eine Menschengruppe sich anzu- 10 passen hat, hervorgerufen. Denken wir scharfe Sprachgrenzen, scharf begrenzte politische oder religiöse Gemeinschaften als Rückhalt von Unterschieden der „Sitte" fort - wie sie ja in weiten Gebieten des afrikanischen und südamerikanischen Kontinents wirklich vielfach fehlen - so gibt es nur allmähliche Übergänge der 15 „Sitte" und auch keinerlei feste „ethnische Grenzen", außer solchen 9 , die durch drastische Raumunterschiede bedingt sind. Scharfe Abgrenzungen des Geltungsgebiets von „ethnisch" relevanten | A 222 Sitten, welche nicht entweder politisch oder ökonomisch oder religiös bedingt sind, entstehen regelmäßig durch Wanderungen oder 20 Expansionen, welche bisher dauernd oder doch zeitweise weit voneinander getrennt lebende und daher an sehr heterogene Bedingungen angepaßte Menschengruppen in unmittelbare Nachbarschaft miteinander bringen. Der so entstehende deutliche Kontrast der Lebensführung pflegt dann auf beiden Seiten die Vorstellung 25 gegenseitiger „Blutsfremdheit" zu wecken, ganz unabhängig vom objektiven Sachverhalt. Die Einflüsse, welche die hiernach im spezifischen Sinn „ethnischen" Momente, also: der auf Gemeinsamkeiten oder Unterschieden des äußeren Eindrucks der Person und ihrer Lebensführung 30 ruhende Glaube an Blutsverwandtschaft oder das Gegenteil^] in Gemeinschaftsbildungen hineintragen, ist natürlich generell sehr g A: solche s e h e n B e z i e h u n g e n 1 9 0 0 - 1 9 1 8 . - Trier: W i s s e n s c h a f t l i c h e r Verlag 1998, S. 9 1 - 1 0 3 . Auf d e m Ersten D e u t s c h e n S o z i o l o g e n t a g 1910 berichtete W e b e r über d e n „ N e g e r g e r u c h " , der seiner Erfahrung n a c h eine Erfindung der a m e r i k a n i s c h e n Nordstaaten sei und in d e n S ü d s t a a t e n keine Rolle bei der R a s s e n t r e n n u n g spiele. Vgl. Weber, D i s k u s s i o n s b e i t r a g z u d e m Vortrag von Ploetz (wie oben, S. 163, A n m . 10), S. 154.

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schwer bestimmbar und auch in jedem Einzelfall von problematischer Bedeutung. Die „ethnisch" relevante „Sitte" wirkt generell nicht anders als Sitte - von deren Wesen anderwärts zu reden ist 25 - überhaupt. Der Glaube an die Abstammungsverwandtschaft ist geeignet, in Verbindung mit der Ähnlichkeit der Sitte, die Ausbreitung eines von einem Teil der „ethnisch" Verbundenen rezipierten Gemeinschaftshandelns innerhalb des Restes zu begünstigen, da das Gemeinschaftsbewußtsein die „Nachahmung" fördert. Dies gilt insbesondere für die Propaganda religiöser Gemeinschaften. Aber über derart unbestimmte Sätze kommt man nicht hinaus. Der Inhalt des auf „ethnischer" Basis möglichen Gemeinschaftshandelns bleibt unbestimmt. Dem entspricht nun die geringe Eindeutigkeit derjenigen Begriffe, welche ein lediglich „ethnisch", also durch den Glauben an Blutsverwandtschaft bedingtes Gemeinschaftshandeln anzudeuten scheinen: „Völkerschaft", „Stamm", „Volk", - von denen jeder gewöhnlich im Sinn einer ethnischen Unterabteilung des folgenden (aber die beiden ersten auch umgekehrt) gebraucht wird. Ganz regelmäßig wird, wenn diese Ausdrücke gebraucht werden, entweder eine, sei es noch so lose, gegenwärtige politische Gemeinschaft oder Erinnerungen an eine früher einmal gewesene, wie sie die gemeinsame Heldensage aufbewahrt, oder Sprach- bzw. Dialektgemeinschaften oder endlich eine Kultgemeinschaft, mit hinzugedacht. Speziell irgendwelche Kultgemeinschaften waren in der Vergangenheit geradezu die typischen Begleiterscheinungen eines auf geglaubter Blutsverwandtschaft ruhenden „Stammes"oder „Volks"-Bewußtseins. Aber wenn diesem eine politische, gegenwärtige oder vergangene, Gemeinschaft gänzlich fehlte, so war schon die äußere Abgrenzung des Gemeinschaftsumfangs meist ziemlich unbestimmt. Die Kultgemeinschaften germanischer Stämme, noch in später Zeit der Burgunder, waren wohl Rudimente politischer Gemeinschaften und daher anscheinend leidlich fest umgrenzt. Das delphische Orakel dagegen ist zwar das unbezweifelte kultische Wahrzeichen des Hellenentums als eines „Volkes". Aber der Gott gibt auch Barbaren Auskunft und läßt sich ihre Verehrung gefallen, und andererseits sind an der vergesellschafteten Verwaltung seines Kultes nur kleine Teile der Hellenen, und gerade

25 Siehe WuG 1 , S. 3 7 4 f . ( M W G I / 2 2 - 3 ) .

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die mächtigsten ihrer politischen Gemeinschaften gar nicht, beteiligt.26 Die Kultgemeinschaft als Exponent des „Stammesgefühls" ist also im allgemeinen entweder Rest einer einst bestehenden engeren, durch Spaltung und Kolonisation zerfahrenen Gemeinschaft meist politischer Art, oder sie ist, - wie beim delphischen Apollon - 5 vielmehr Produkt einer, durch andere als rein „ethnische" Bedingungen, herbeigeführten „Kulturgemeinschaft", welche ihrerseits den Glauben an Blutsgemeinschaft entstehen läßt. Wie außerordentlich leicht speziell politisches Gemeinschaftshandeln die Vorstellung der „Blutsgemeinschaft" erzeugt - falls nicht hallzu dra- 10 stische'1 Unterschiede des anthropologischen Typus im Wege stehen, - zeigt der ganze Verlauf der Geschichtet Eindeutig wird der „Stamm" nach außen natürlich da begrenzt, wo er Unterabteilung eines politischen Gemeinwesens ist. Aber dann A 223 ist diese Abgrenzung auch | meist künstlich von der politischen Ge- 15 meinschaft her geschaffen. Schon die runden Zahlen, in denen er aufzutreten pflegt, weisen darauf hin, z.B. die schon erwähnte 27 Einteilung des Volkes Israel in 12 Stämme, ebenso die drei dorischen und die an Zahl verschiedenen „Phylen" der übrigen Hellenen. 28 Sie wurden bei Neugründung oder Neuorganisation des 20 Gemeinwesens künstlich neu eingeteilt, und der „Stamm" ist hier also, obwohl er alsbald die ganze Symbolik der Blutsgemeinschaften, insbesondere den Stammeskult, attrahiert, erst Kunstprodukt der politischen Gemeinschaft. Die Entstehung eines spezifischen, h A: allzudrastische schen Gemeinschaft.

k In A folgt die Zwischenüberschrift: §3. Verhältnis zur politi-

26 Während die eigentliche Orakeltätigkeit (Opfer, Gebete) in H ä n d e n der d e l p h i s c h e n Priester lag, unterstand die Finanzverwaltung und der Schutz des Heiligtums der sogenannten pylailsch-delphlschen Amphiktyonle. Mitglieder der Amphlktyonie waren ursprünglich zwölf der alten Stammesverbände, die je zwei Vertreter entsandten. Mit zunehmender Erstarkung der Stadtstaaten wechselten sich die Städte bei der Entsendung der Mitglieder ab, wobei z. B. Athen zeitweise einen festen Ionischen Sitz inne hatte. 346 v.Chr. entstand unter d e m Einfluß Philipps von Makedonien eine Neuordnung, die u.a. Sparta aus d e m Bund ausschloß. 27 Siehe oben, S. 175 28 Weber spielt hier darauf an, daß sich die Phylenelntellung vermutlich ursprünglich an gentlllstischen A b s t a m m u n g e n orientierte. Die drei alten dorischen Phylen hießen Hylleis, Dymanes u n d Pamphyloi, während sich die Zahl der ionischen Phylenordnung nicht mehr genau bestimmen läßt. Vgl. auch oben, S. 175, Anm. 13.

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blutsverwandtschaftsartig reagierenden Gemeingefühls für rein künstlich abgegrenzte politische Gebilde ist noch heute nichts seltenes. Die allerschematischsten politischen Gebilde: die nach Breitengraden quadratisch abgegrenzten „Staaten" der amerikanischen Union z. B., zeigen ein sehr entwickeltes Sonderbewußtsein: daß Familien von New York nach Richmond reisen, nur damit das erwartete Kind dort geboren und also ein „Virginier" werde, ist nicht selten. 29 Das Künstliche solcher Abgrenzungen schließt nun gewiß nicht aus, daß z. B. die hellenischen Phylen ursprünglich einmal irgendwo und irgendwie selbständig vorhanden gewesen waren und dann jene Poliseinteilung bei ihrer ersten Durchführung schematisierend an sie angeknüpft hatte, als sie zu einem politischen Verband zusammengeschlossen wurden. Aber dann ist der Bestand jener vor der Polis existierenden Stämme (sie werden dann auch nicht „Phylen", sondern „Ethnos" genannt) entweder identisch mit den entsprechenden politischen Gemeinschaften gewesen, die sich dann zur „Polis" vergesellschafteten oder, wenn dies nicht der Fall war, so lebte doch in vermutlich sehr vielen Fällen der politisch unorganisierte Stamm als geglaubte „Blutsgemeinschaft" von der Erinnerung daran, daß er früher einmal Träger eines politischen Gemeinschaftshandelns, meist wohl eines nur gelegentlichen, eine einzelne erobernde Wanderung oder Verteidigung dagegen in sich schließenden, gewesen war, und dann waren eben diese politischen Erinnerungen das prius gegenüber dem „Stamm". Dieser Sachverhalt: daß das „Stammesbewußtsein" der Regel nach primär durch politisch gemeinsame Schicksale und nicht primär durch „Abstammung" bedingt ist, dürfte nach allem Gesagten 30 eine sehr häufige Quelle „ethnischen" Zusammengehörigkeitsglaubens sein. Nicht die einzige: denn die Gemeinsamkeit der „Sitte" kann die verschiedensten Quellen haben und entstammt letztlich in hohem Grade der Anpassung an die äußeren Naturbedingungen und der Nachahmung im Kreise der Nachbarschaft. Praktisch aber pflegt die Existenz des „Stammesbewußtseins" wiederum etwas spezifisch Politisches zu bedeuten: daß 2 9 Als Bewohner eines der ältesten weißen Siedlungsgebiete in den USA besaßen die Einwohner von Virginia vor allem in den Staaten der Ostküste ein außergewöhnlich hohes Sozialprestige. 3 0 Siehe oben, S. 181f.

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nämlich bei einer kriegerischen Bedrohung von außen oder bei genügendem Anreiz zu eigener kriegerischer Aktivität nach außen, ein politisches Gemeinschaftshandeln besonders leicht auf dieser Grundlage, also als ein solches der einander gegenseitig subjektiv als blutsverwandte „Stammesgenossen" (oder „Volksgenossen") Empfindenden entsteht. Das potentielle Aufflammen des Willens zum politischen Handeln ist demnach nicht die einzige, aber eine derjenigen Realitäten, welche hinter dem im übrigen inhaltlich vieldeutigen Begriff von „Stamm" und „Volk" letztlich steckt. Dieses politische Gelegenheitshandeln kann sich besonders leicht auch trotz des Fehlens jeder darauf eingestellten Vergesellschaftung zu einer als „sittliche" Norm geltenden Solidaritätspflicht der Volksoder Stammesgenossen im Fall eines kriegerischen Angriffes entwickeln, deren Verletzung, selbst wenn keinerlei gemeinsames „Organ" des Stammes existiert, den betreffenden politischen Gemeinschaften danach das Los der Sippen der Segestes und Inguiomar (Austreibung aus ihrem Gebiet) zuzieht. 31 Ist aber dieses Stadium der Entwicklung erreicht, dann ist der Stamm tatsächlich eine politische Dauergemeinschaft geworden, mag diese auch in Friedenszeiten latent und daher natürlich labil bleiben. Der Übergang vom bloß „Gewöhnlichen" zum Gewohnten und deshalb „Gesollten" ist auf diesem Gebiet auch unter günstigen Verhältnissen ganz besonders gleitend. Alles in allem finden wir in dem „ethnisch" bedingten Gemeinschaftshandeln Erscheinungen vereinigt, welche eine wirklich exakte soziologische Betrachtung - wie sie hier gar A 224 nicht versucht wird - sorg|sam zu scheiden hätte: die faktische subjektive Wirkung der durch Anlage einerseits, durch Tradition andererseits bedingten „Sitten", die Tragweite aller einzelnen verschiedenen Inhalte von „Sitte", die Rückwirkung sprachlicher, religiöser, politischer Gemeinschaft, früherer und jetziger, auch die Bildung von Sitten, das Maß, in welchem solche einzelnen Komponen31 Die Cheruskerfürsten Segestes und Inguiomar gerieten im Rahmen der römlsch-germanischen Auseinandersetzungen im zweiten Jahrzehnt n. Chr. in Konflikte mit Arminius. Während Segestes als Römerfreund Varus vor d e m bevorstehenden g e r m a n i s c h e n Aufstand warnte und sich a b 15 n. Chr. mit seiner Familie nach einer mit römischer Hilfe überstandenen Belagerung durch Arminius im römischen Exil aufhielt, kämpfte Inguimar zunächst auf germanischer Seite. Bei innergermanischen Auseinandersetzungen 17 n.Chr. stellte er sich und sein Gefolge j e d o c h g e g e n Arminius auf die Seite des später unterlegenen Markomannenkönigs M a r b o d .

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ten Anziehungen und Abstoßungen und insbesondere Blutsgemeinschafts- oder Blutsfremdheitsglauben wecken, dessen verschiedene Konsequenzen für das Handeln, für den Sexualverkehr der verschiedenen Art, für die Chancen der verschiedenen Arten von Gemeinschaftshandeln, sich auf dem Boden der Sittengemeinschaft oder des Blutsverwandtschaftsglaubens zu entwickeln, - dies alles wäre einzeln und gesondert zu untersuchen. Dabei würde der Sammelbegriff „ethnisch" sicherlich ganz über Bord geworfen werden. Denn er ist ein für jede wirklich exakte Untersuchung ganz unbrauchbarer Sammelname. Wir aber treiben nicht Soziologie um ihrer selbst willen und begnügen uns daher, in Kürze aufzuzeigen, welche sehr verzweigte Probleme sich hinter dem vermeintlich ganz einheitlichen Phänomen verbergen. Der bei exakter Begriffsbildung sich verflüchtigende Begriff der „ethnischen" Gemeinschaft entspricht nun in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grade einem der mit pathetischen Empfindungen für uns am meisten beschwerten Begriffe: demjenigen der „Nation", sobald wir ihn soziologisch zu fassen suchen.1 Die „Nationalität" teilt mit dem „Volk" im landläufigen „ethnischen" Sinn wenigstens normalerweise die vage Vorstellung, daß dem als „gemeinsam" Empfundenen eine Abstammungsgemeinschaft zugrunde liegen müsse, obwohl in der Realität der Dinge Menschen, welche sich als Nationalitätsgenossen betrachten, sich nicht nur gelegentlich, sondern sehr häufig der Abstammung nach weit ferner stehen, als solche, die verschiedenen und feindlichen Nationalitäten sich zurechnen. Nationalitätsunterschiede können z.B. trotz zweifellos starker Abstammungsverwandtschaft bestehen, nur weil Unterschiede der religiösen Konfessionen vorliegen, wie zwischen Serben und Kroaten. 32 Die realen Gründe des Glaubens an den Bestand einer „nationalen" Gemeinsamkeit und des darauf sich aufbauenden Gemeinschaftshandelns sind sehr verschieden. Heute gilt vor allem „Sprachgemeinschaft", im Zeitalter der Sprachenkämpfe, als ihre normale Basis. Was sie gegenüber der I In A folgt die Zwischenüberschrift: §4. „Nation" und „Volk". 3 2 Die Serben sind in der Mehrheit griechisch-orthodoxer Konfession, während die Kroaten ü b e r w i e g e n d der römisch-katholischen Kirche angehören.

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bloßen „Sprachgemeinschaft" inhaltlich mehr besitzt, kann dann natürlich in dem spezifischen Erfolg, auf den ihr Gemeinschaftshandeln ausgerichtet ist, gesucht werden, und dies kann dann nur der gesonderte politische Verband sein. In der Tat ist heute „Nationalstaat" mit „Staat" auf der Basis der Spracheinheitlichkeit be- 5 grifflich identisch geworden. In der Realität stehen neben politischen Verbänden und zwar solchen modernen Gepräges auf „nationaler" Basis in diesem sprachlichen Sinn in erheblicher Zahl solche, die mehrere Sprachgemeinschaften umschließen und meist, aber nicht immer, für den politischen Verkehr eine Sprache bevor- 10 zugen. 33 Aber auch für das sog. „Nationalgefühl" - wir lassen es vorerst Undefiniert - genügt Sprachgemeinschaft nicht - wie neben dem eben erwähnten Beispiel 34 die Iren, Schweizer und deutschsprachlichen Elsässer zeigen, welche sich nicht, mindestens nicht in vollem Sinn, als Glieder der durch ihre Sprache bezeichneten „Na- 15 tion" fühlen. Andererseits sind auch Sprachunterschiede kein absolutes Hindernis für das Gefühl einer „nationalen" Gemeinschaft: die deutschsprachlichen Elsässer fühlten sich seinerzeit und fühlen sich zum großen Teil noch als Bestandteil der französischen „Nation". Aber doch nicht in vollem Sinne, nicht so, wie der französisch 20 redende Franzose. Also gibt es „Stufen" der qualitativen Eindeutigkeit des „nationalen" Gemeinsamkeitsglaubens. Bei den Deutsch-Elsässern ist die unter ihnen weit verbreitete GemeinsamA 225 keitsempfindung mit den Franzosen neben gewissen Gemein |samkeiten der „Sitte" und gewisser Güter der „Sinnenkultur" - auf die 25 namentlich Wittich hingewiesen hat 35 - durch politische Erinne3 3 So z. B. in Österreich-Ungarn, wo die Auseinandersetzungen über Amtssprache und Volkssprachen in den Badenischen Sprachenverordnungen kulminierten. Die Regierung des Grafen Casimir Badeni erließ am 5. April 1897 Sprachenverordnungen für die Kronländer Böhmen und Mähren, durch die Tschechisch als gleichberechtigte Amtssprache neben dem Deutschen eingeführt wurde. Mit diesem Schritt sollten tschechische Nationalisten an die Monarchie gebunden werden. Die deutschen Bevölkerungsteile der entsprechenden Gebiete reagierten empört und riefen u. a. durch ihre Forderung nach einer ethnischen Teilung der Kronländer eine Krise hervor, die die Monarchie In ihrer Existenz bedrohte. Am 14. Oktober 1897 wurden die Sprachenverordnungen wieder aufgehoben. Dies führte allerdings zu keiner Beruhigung der Situation, da die deutsche Agitation jetzt durch eine nationalistische tschechische abgelöst wurde. 3 4 Gemeint ist das Beispiel der Serben und Kroaten, oben, S. 185. 3 5 Wittich unterscheidet zwischen „geistiger Kultur", die er an Wissenschaft und Poesie messen will, und der „sinnlichen Kultur", die „zu ihrem Objekt eine vielgestaltige Menge menschlicher Bethätigungen" hat, „denen allen gemeinsam ist, dass sie sich zunächst

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rungen bedingt, die jeder Gang durch das, an jenen für den Unbeteiligten ebenso trivialen, wie für den Elsässer pathetisch gewerteten Reliquien (Trikolore, Pompier- und Militärhelme, Erlasse Louis Philippe's, vor allem Revolutionsreliquien) reiche, Kolmarer Museum zeigt. Gemeinsame politische, zugleich indirekt soziale, als Wahrzeichen der Vernichtung des Feudalismus"1 von den Massen hochgewertete Schicksale haben diese Gemeinschaft gestiftet, und ihre Legende vertritt die Heldensage primitiver Völker. Die „grande Nation" war die Befreierin von feudaler Knechtung, galt als Trägerin der „Kultur", ihre Sprache als die eigentliche „Kultursprache", das Deutsche als „Dialekt" für den Alltag, 36 und das Attachement an die Kultursprechenden ist also eine spezifische, dem auf Sprachgemeinschaft ruhenden Gemeinschaftsgefühl ersichtlich verwandte, aber doch nicht mit ihm identische, sondern auf partieller „Kulturgemeinschaft" und politischer Erinnerung ruhende innere Haltung. Bei den oberschlesischen Polen ferner war im allgemeinen bis vor kurzem kein bewußtes polnisches „Nationalgefühl" in dem Sinne verbreitet - wenigstens nicht in relevantem Maße - , daß sie sich im Gegensatz zu dem, wesentlich auf der Basis einer deutschen Sprachgemeinschaft stehenden, preußischen politischen Verband gefühlt hätten. Sie waren loyale, wenn auch passive, „Preußen", so wenig sie auch am Bestand des nationalen politischen Verbands des „Deutschen Reichs" irgendwie interessierte „Deutsche" waren und hatten, in ihrer Masse wenigstens, kein bewußtes oder doch kein starkes Bedürfnis der Absonderung von deutschsprachlichen Mitbürgern. Hier fehlte also das auf dem Boden der Sprachgemeinschaft sich entwickelnde „Nationalgefühl" gänzlich, und von „Kulturgemeinschaft" konnte bei dem Kulturmangel noch keine Rede sein. Bei den baltischen Deutschen ist m A: Feudalismus, und hauptsächlich an unsere Sinne wenden." Dabei will die „sinnliche Kultur die möglichst vollkommene Befriedigung des betreffenden Bedürfnisses [...] und ferner [die] Erregung eines sinnlichen Wohlgefallens" erreichen. Neben der Musik und der bildenden Kunst zählt Wittich auch alle Bereiche des Alltags, wie Kleidung, Wohnung oder Speisen zur sinnlichen Kultur. Vgl. Wittich, Deutsche und Französische Kultur, S. 38. 3 6 Vgl. Wittich, Deutsche und Französische Kultur, S.7; ders., Kultur und Nationalbewusstsein im Elsass. - Straßburg: Verlag der lllustrirten Elsässischen Rundschau 1909, S.9. Darüber hinaus wird Weber auch über eigene diesbezügliche Erfahrungen aus seiner Militärzeit in Straßburg verfügt haben.

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weder „Nationalgefühl" im Sinne einer positiven Wertung der Sprachgemeinschaft mit den Deutschen rein als solcher, noch die Sehnsucht nach politischer Vereinigung mit dem „Deutschen Reich" verbreitet, die sie vielmehr überwiegend perhorreszieren würden." Dagegen sondern sie sich, teils und zwar sehr stark aus „ständischen" Gegensätzen heraus, teils aus Gründen der Gegensätzlichkeit und gegenseitigen „Unverständlichkeit" und Mißachtung der beiderseitigen „Sitten" und Kulturgüter, von der slavischen Umwelt, einschließlich speziell auch der russischen, sehr schroff ab, obwohl und sogar zum Teil weil sie überwiegend eine intensive loyale Vasallentreue gegenüber dem Herrscherhause pflegen und an der Machtstellung der von diesem geleiteten, von ihnen selbst mit Beamten versorgten (und wiederum ihren Nachwuchs ökonomisch versorgenden) politischen Gemeinschaft sich so interessiert gezeigt haben, wie irgendein „Nationalrusse". 37 Hier fehlt also ebenfalls alles, was man im modernen, sprachlich oder auch kulturell orientierten Sinn „Nationalgefühl" nennen könnte. Es ist hier, wie bei den rein proletarischen Polen: Loyalität gegenüber der politischen Gemeinschaft in Verschmelzung mit einem auf die innerhalb dieser vorhandene lokale Sprachgemeinschaft begrenzten, aber stark „ständisch" beeinflußten und modifizierten Gemeinschaftsgefühl verbreitet. Auch ständisch ist freilich keinerlei Einheitlichkeit mehr vorhanden, wenn die Gegensätze auch nicht so krasse sind, wie sie innerhalb der weißen Bevölkerung der amerikanischen Südstaaten waren. Die inneren ständischen und Klassengegensätze treten aber vorerst, gegenüber der gemeinsamen Bedrohung der Sprachgemeinschaft zurück. Und schließlich gibt es Fälle, wo der Name nicht recht passen will, wie schon bei n In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: (Anm. d. Herausgeb.)

Vor dem Krieg geschrieben.

37 Im 13. Jahrhundert als Eroberer ins Baltikum gekommen, bildeten die Ritter des Deutschen Ordens bald den grundbesitzenden Adel, der die leitenden politischen und gesellschaftlichen Positionen überwiegend mit deutschen Einwanderern besetzte. Daher behauptete sich auch die deutsche Sprache, abgesehen von einigen Einflüssen durch die umliegenden Sprachen, bis zur Einführung des Russischen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts als Verwaltungssprache. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts dienten deutschstämmige Balten dem Zaren in hohen Positionen des Militärs und der Autokratie; sie waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch in der regierenden Elite überproportional vertreten (Lamsdorff, Witte).

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dem Gemeinschaftsgefühl der Schweizer und Belgier oder etwa der Luxemburger und Liechtensteiner. Nicht die quantitative „Kleinheit" des politischen Verbandes ist dafür maßgebend, daß wir den Namen auf ihn anzuwenden Bedenken tragen: - die Hol5 länder sind uns eine „Nation" - , sondern der bewußte Verzicht auf die „Macht", den jene „neutralisierten" politischen Gemeinwesen vollzogen haben, läßt uns unwillkürlich jenes Bedenken auftauchen. Die Schweizer sind keine | eigene „Nation", wenn man auf A226 die Sprachgemeinschaft oder auf die Kulturgemeinschaft im Sinne 10 der Gemeinsamkeit literarischer oder künstlerischer Kulturgüter sehen will. Das trotzdem, auch trotz aller neuerdings auftauchenden Lockerungen, bei ihnen verbreitete starke Gemeinschaftsgefühl ist aber nicht nur durch Loyalität gegen das politische Gemeinwesen motiviert, sondern auch durch Eigenart der „Sitten", 15 die - gleichviel, welches der objektive Sachverhalt sein mag - subjektiv als weitgehend gemeinsam empfunden werden und ihrerseits sehr stark durch die sozialen Strukturgegensätze, namentlich gegen Deutschland, überhaupt aber gegen jedes „große" und daher militaristische politische Gebilde mit seinen Konsequenzen für die Art 20 der inneren Herrschaftsstruktur, bedingt, daher auch durch die Sonderexistenz allein garantiert erscheinen. 0 Die Loyalität der kanadischen Franzosen gegenüber der englischen politischen Gemeinschaft ist heute ebenfalls vor allem bedingt durch die tiefe Antipathie gegen die ökonomischen und sozialen Strukturverhält25 nisse und Sitten in der benachbarten amerikanischen Union, denen gegenüber die Zugehörigkeit zu Kanada als Garantie der überkommenen Eigenart gewertet wird. Die Kasuistik ließe sich leicht vermehren und müßte von jeder exakten soziologischen Untersuchung weiter vermehrt werden. Sie zeigt, daß die mit dem Sammel30 namen „national" bezeichneten Gemeinsamkeitsgefühle nichts Eindeutiges sind, sondern aus sehr verschiedenen Quellen gespeist werden können: Unterschiede der sozialen und ökonomischen Gliederung und der inneren Herrschaftsstruktur mit ihren Einflüssen auf die „Sitten" können eine Rolle spielen, müssen es aber 35 nicht - denn innerhalb des Deutschen Reichs sind sie so verschieden wie nur möglich - gemeinsame politische Erinnerungen, Kon-

o A: erscheint.

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fession und endlich Sprachgemeinschaft können als Quellen wirken und endlich natürlich auch der rassenmäßig bedingte Habitus. Dieser oft in eigentümlicher Weise. Ein gemeinsames „Nationalgefühl" verbindet in den Vereinigten Staaten, von der Seite des Weißen aus gesehen, diesen mit dem Schwarzen schwerlich, während die Schwarzen ein amerikanisches „Nationalgefühl" zum mindesten in dem Sinn hatten und haben, als sie das Recht darauf prätendierten. Und doch ist z. B. bei den Schweizern das stolze Selbstbewußtsein auf ihre Eigenart und die Bereitschaft, sich rückhaltlos für sie einzusetzen, weder qualitativ anders geartet noch quantitativ unter ihnen weniger verbreitet als bei irgendeiner quantitativ „großen" und auf „Macht" abgestellten „Nation". Immer wieder finden wir uns bei dem Begriff „Nation" auf die Beziehung zur politischen „Macht" hingewiesen und offenbar ist also „national" wenn überhaupt etwas Einheitliches - dann eine spezifische Art von Pathos, welches sich in einer durch Sprach-, Konfessions-, Sitten- oder Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschengruppe mit dem Gedanken einer ihr eigenen, schon bestehenden oder von ihr ersehnten politischen Machtgebildeorganisation verbindet, und zwar je mehr der Nachdruck auf „Macht" gelegt wird, desto spezifischer. Dieser pathetische Stolz auf die besessene oder dies pathetische Sehnen nach der abstrakten politischen „Macht" der Gemeinschaft als solcher kann in einer quantitativ „kleinen" Gemeinschaft, wie der Sprachgemeinschaft der heutigen Ungarn, Tschechen, Griechen weit verbreiteter sein als in einer andern, qualitativ gleichartigen und dabei quantitativ weit größeren, z. B. der Deutschen vor anderthalb Jahrhunderten, die damals ebenfalls wesentlich Sprachgemeinschaft waren, aber keinerlei „nationale" Machtprätension hatten. |

[Marktgemeinschaft]

Editorischer Bericht

Zur Entstehung Der Markt wird bei Weber als „der Typus alles rationalen Gesellschaftshandelns" bezeichnet, weil hier nur der Wille und die Fähigkeit zum Tausch entscheidend sind, und dies ohne Ansehen der Person. 1 Damit steht der Markt den anderen Gemeinschaftsgebilden, die Weber in dem älteren Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft" behandelt hat, diametral gegenüber. Ein eigenständiges Kapitel über den „Markt" wird zum ersten Mal in der Disposition von 1914 erwähnt; es trägt dort die Überschrift „Die Marktvergemeinschaftung." 2 Weber hatte jedoch bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Niederschrift eines Textes über die Marktgemeinschaft in Angriff genommen oder dieses zumindest konzipiert, denn sowohl in der „Rechtssoziologie" als auch in dem Abschnitt „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" finden sich entsprechende Rückverweise. 3 Innerhalb von Webers Grundrißbeitrag muß die „Marktgemeinschaft" also vor diesen beiden Abschnitten angeordnet gewesen sein. Aus der einleitenden Bemerkung, daß der Markt „allen bisher besprochenen Gemeinschaftsgebilden" gegenüber trete, geht ferner hervor, daß dem Text Ausführungen über Vergemeinschaftungen vorangestellt gewesen sein müssen, deren Gemeinschaftshandeln nur partiell rationaler Natur ist.4 Dies trifft sowohl für die Hausgemeinschaft und die sich aus dieser entwickelnden Gemeinschaftstypen als auch für die ethnischen Gemeinschaften zu, desgleichen sind die inneren Bindungen „Religiöser Gemeinschaften" überwiegend keinesfalls rational begründet. In der Disposition von 1914 sind diese Kapitel sämtlich vor dem Kapitel „Die Marktvergemeinschaftung" angeordnet, während im 1919/20 entstandenen, sogenannten ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft" die Ausführungen über den Markt eine neue, vorgezogene Position erhalten haben. 5

1 Vgl. unten, S. 193. 2 GdS, Abt. I, S. X - X l (MWG I/22-6). 3 Vgl. WuG 1 , S. 416, 432 (MWG I/22-3); sowie den Text „Klassen', .Stände' und .Parteien'", unten, S. 266, Anm. 27. 4 Vgl. unten, S. 193. 5 Vgl. WuG 1 , S. 43f. (MWG I/23).

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Zur Überlieferung

und

Edition

Der Text ist offensichtlich unvollendet g e b l i e b e n . Ein Manuskript ist nicht überliefert. Im f o l g e n d e n wird der Text so a b g e d r u c k t , wie er in der v o n Marianne W e b e r und Melchior Palyi veröffentlichten Fassung in d e m H a n d b u c h : Grundriß der Sozialökonomik, A b t e i l u n g III: Wirtschaft u n d Gesellschaft, 3. Lieferung. - T ü b i n g e n : J . C . B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S . 3 6 4 367, unter d e m Titel „Markt" erschienen ist (A). B e z ü g l i c h der A n o r d n u n g d e s Textes wird hier der Disposition von 1914 gefolgt. Der Titel „Markt" in der ersten A u f l a g e von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" ist wahrscheinlich d u r c h die Erstherausgeber in A n l e h n u n g an d e n P a r a g r a p h e n „Markt" im zweiten Kapitel der ersten Lieferung gewählt worden. Der Text liefert j e d o c h a u c h keine Darstellung einer „Marktvergemeinschaftung", wie sie in der Disposition 1914 v o r g e s e h e n war. Da er in seiner überlieferten Form offensichtlich nicht der Disposition von 1914 entspricht, wird in der Edition a b w e i c h e n d der Titel „ M a r k t g e m e i n s c h a f t " gewählt. Weber v e r w e n d e t diesen Begriff selbst. 6 Der Titel wird hier als H e r a u s g e b e r r e de in e c k i g e K l a m m e r n gesetzt. Die Kapitelüberschrift der Erstherausgeber wird im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die E m e n d a t i o n e n stützen sich teilweise auf Ä n d e r u n g e n , die bereits J o h a n n e s W i n c k e l m a n n (Hg.), Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, 5. Aufl. - Tübingen: J . C . B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

6 Vgl. unten, S. 194, 197 sowie den Text „Politische Gemeinschaften", unten, S.209, 214.

[Marktgemeinschaft] 3

Allen bisher besprochenen Gemeinschaftsgebilden, welche regelmäßig nur eine partielle Rationalisierung ihres Gemeinschaftshandelns in sich schließen, im übrigen aber in ihrer Struktur höchst 5 verschieden geartet sind, - mehr oder minder amorph oder vergesellschaftet, mehr oder minder kontinuierlich oder diskontinuierlich, mehr oder minder offen oder geschlossen, - tritt nun als der Typus alles rationalen Gesellschaftshandelns die Vergesellschaftung durch Tausch auf dem Markt gegenüber. Von einem Markt 10 soll gesprochen werden, sobald auch nur auf einer Seite eine Mehrheit von Tauschreflektanten um Tauschchancen konkurrieren. D a ß sie sich örtlich auf dem Lokalmarkt, Fernverkehrsmarkt (Jahrmarkt, Messe), Kaufmannsmarkt (Börse) zusammenfinden, ist nur die konsequenteste Form der Marktbildung, welche allerdings al15 lein die volle Entfaltung der spezifischen Erscheinung des Markts: des Feilschens, ermöglicht. Da die Erörterung der Marktvorgänge den wesentlichen Inhalt der Sozialökonomik bildet, sind sie hier nicht darzustellen. Soziologisch betrachtet, stellt der Markt ein Mit- und Nacheinander rationaler Vergesellschaftungen dar, deren 20 jede insofern spezifisch ephemer ist, als sie mit der Übergabe der Tauschgüter erlischt, sofern nicht etwa bereits eine Ordnung oktroyiert ist, welche den Tauschenden ihren Tauschgegnern gegenüber die Garantie des rechtmäßigen Erwerbs des Tauschgutes (Eviktionsgarantie) 1 auferlegt. Der realisierte Tausch konstituiert 25 eine Vergesellschaftung nur mit dem Tauschgegner. Das vorbereitende Feilschen aber ist stets ein Gemeinschaftshandeln, insofern die beiden Tauschreflektanten ihre Angebote an dem potentiellen Handeln unbestimmt vieler realer oder vorgestellter mitkonkurrierender anderer Tauschinteressenten, nicht nur an dem des Tausch-

a A: Kapitel V. Markt. Darunter folgt der Hinweis der Erstherausgeber: (Unvollendet.). 1 Der Verkäufer ist d e m Käufer schadensersatzpflichtig, wenn d i e s e m durch Gerichtsurteil der Kaufgegenstand entzogen wurde, weil einem anderen ein b e s s e r e s Recht daran zusteht (Eviktion), d. h. der Verkäufer muß den rechtmäßigen Erwerb garantieren und dafür gegebenenfalls haften.

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gegners, orientierten, und um so mehr, je mehr dies geschieht. Jeder Tausch mit Geldgebrauch (Kauf) ist überdies Gemeinschaftshandeln kraft der Verwendung des Geldes, welches seine Funktion lediglich kraft der Bezogenheit auf das potentielle Handeln anderer versieht. Denn daß es genommen wird, beruht ausschließlich auf 5 den Erwartungen, daß es seine spezifische Begehrtheit und Verwendbarkeit als Zahlmittel bewahren werde. Die Vergemeinschaftung kraft Geldgebrauchs ist der charakteristische Gegenpol jeder Vergesellschaftung durch rational paktierte oder oktroyierte Ordnung. Es wirkt vergemeinschaftend kraft realer Interessenbezie- 10 hungen von aktuellen und potentiellen Markt- und Zahlungsinteressenten, daß das Resultat: bei Vollentwicklung die sog. Geldwirtschaft, die sehr spezifischer Art ist, sich so verhält, als ob eine auf seine Herbeiführung abgezweckte Ordnung geschaffen worden wäre. Dies eben ist die Konsequenz davon, daß innerhalb der 15 Marktgemeinschaft der Tauschakt, zumal aber der Geldtauschakt, sich nicht isoliert an dem Handeln des Partners, sondern, je rationaler er erwogen wird, desto mehr an dem Handeln aller potentiellen Tauschinteressenten orientiert. Die Marktgemeinschaft als solche ist die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche 20 Menschen miteinander treten können. Nicht weil der Markt einen A 365 Kampf unter | den Interessenten einschließt. Jede, auch die intimste, menschliche Beziehung, auch die noch so unbedingte persönliche Hingabe ist in irgendeinem Sinn relativen Charakters und kann ein Ringen mit dem Partner, etwa um dessen Seelenrettung, 25 bedeuten. Sondern weil er spezifisch sachlich, am Interesse an den Tauschgütern und nur an diesen, orientiert ist. Wo der Markt seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, kennt er nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen von den persönlichen Gemein- 30 Schäften getragenen menschlichen Beziehungen. Sie alle bilden Hemmungen der freien Entfaltung der nackten Marktvergemeinschaftung und deren spezifische Interessen wiederum die spezifische Versuchung für sie alle. Rationale Zweckinteressen bestimmen die Marktvorgänge in besonders hohem Maße, und rationale 35 Legalität, insbesondere: formale Unverbrüchlichkeit des einmal Versprochenen, ist die Qualität, welche vom Tauschpartner erwartet wird und den Inhalt der Marktethik bildet, welche in dieser Hinsicht ungemein strenge Auffassungen anerzieht: in den Anna-

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len der Börse ist es fast unerhört, daß die unkontrollierteste und unerweislichste, durch Zeichen geschlossene Vereinbarung gebrochen wird. Eine solche absolute Versachlichung widerstrebt, wie namentlich Sombart wiederholt in oft glänzender Form betont hat, allen urwüchsigen Strukturformen menschlicher Beziehungen. 2 Der „freie", d.h. der durch ethische Normen nicht gebundene Markt mit seiner Ausnutzung der Interessenkonstellation und Monopollage und seinem Feilschen gilt jeder Ethik als unter Brüdern verworfen. Der Markt ist in vollem Gegensatz zu allen anderen Vergemeinschaftungen, die immer persönliche Verbrüderung und meist Blutsverwandtschaften voraussetzen, jeder Verbrüderung in der Wurzel fremd. Der freie Tausch findet zunächst nur nach außerhalb der Nachbargemeinschaft und aller persönlichen Verbände statt; der Markt ist eine Beziehung zwischen Orts-, Bluts- und Stammgrenzen, ursprünglich die einzige formell friedliche Beziehung zwischen ihnen. Einen Handel mit der Absicht, Tauschgewinn zu erzielen, kann es ursprünglich zwischen Gemeinschaftsgenossen nicht geben, wie er ja auch unter ihnen, in Zeiten agrarischer Eigenwirtschaften, kein Bedürfnis ist. Eine der charakteristischen Formen unentwickelten Handelns: der stumme Tausch - Tausch unter Vermeidung persönlicher Berührung, bei dem das Angebot durch Niederlegung von Waren an üblicher Stelle, das Gegenangebot ebenso, das Feilschen durch Vermehrung der beiderseits angebotenen Objekte erfolgt, bis eine Partei entweder unbefriedigt abzieht oder befriedigt die Waren des Gegners mitnimmt - bringt den Gegensatz gegen die persönliche Verbrüderung drastisch zum Ausdruck. Die Garantie der Legalität des Tauschpartners beruht letztlich auf der beiderseits normalerweise mit Recht gemachten Voraussetzung, daß jeder von beiden an der Fortsetzung der Tauschbeziehungen, sei es mit diesem, sei es mit anderen Tauschpartnern auch für die Zukunft ein Interesse habe, daher gegebene Zusagen halten und mindestens eklatante Verletzungen von Treu und Glauben unterlassen werde. Soweit jenes Interesse besteht, gilt der Satz:

2 Dies bezieht s i c h w a h r s c h e i n l i c h auf Sombart, Der m o d e r n e Kapitalismus, S. 199f.; ders., Die D e u t s c h e Volkswirtschaft im N e u n z e h n t e n Jahrhundert. - Berlin: G e o r g B o n d i 1903, S. 246ff; ders., Der kapitalistische Unternehmer, in: A f S S p , B a n d 29, 1909, S . 6 8 9 758, hier: S. 7 1 4 - 7 1 7 .

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„honesty is the best policy", 3 der natürlich keineswegs universale rationale Richtigkeit und daher auch schwankende empirische Geltung besitzt, die höchste natürlich für rationale Betriebe mit dauernd gegebenem Kundenkreis. Denn auf dem Boden fester und daher einer Verknüpfung mit gegenseitiger persönlicher Würdigung in bezug auf die ethischen Marktqualitäten fähiger Kundschaftsverhältnisse können die Tauschbeziehungen, getragen von dem Interesse der Beteiligten, den Charakter des schrankenlosen Feilschens am leichtesten wieder zugunsten einer im eigenen Interesse relativen Beschränkung der Preisschwankungen und der Ausnutzung der Augenblickskonstellation abstreifen. Die Einzelheiten der für die Preisbildung wichtigen Konsequenzen gehören nicht hierher. Der feste, d. h. der für alle Abnehmer gleiche Preis und die strikte Reellität ist nicht nur den regulierten lokalen Nachbarschaftsmärkten des Mittelalters im Okzident in spezifisch hohem Grade und im Gegensatz zum Orient und fernen Osten eigen, sonA 366 dern er ist außerdem eine | Voraussetzung und dann auch wieder Produkt eines bestimmten Stadiums kapitalistischer, nämlich der frühkapitalistischen Wirtschaft. Sie fehlt, wo dies Stadium nicht mehr besteht. Sie fehlt ferner allen denjenigen Ständen und anderen Gruppen, welche nicht regelmäßig und aktiv, sondern nur gelegentlich und passiv am Tausch beteiligt sind. Der Satz: caveat emptor 4 gilt z. B. erfahrungsgemäß am meisten für den Verkehr mit feudalen Schichten oder etwa beim Pferdekauf unter Kameraden von der Kavallerie, wie jeder Offizier weiß. Die spezifische Marktethik ist ihnen fremd, der Handel für ihre Vorstellung wie für den bäuerlichen Nachbarverband ein für allemal identisch mit einem Gebaren, bei dem die Frage lediglich die ist, wer betrogen wird. Typische Schranken des Marktes sind durch sakrale Tabuierungen oder durch ständisch monopolistische Vergesellschaftungen, welche den Gütertausch nach außen unmöglich machen, gegeben. 3 Vgl. Franklin, Benjamin, Comparison of Great Britain and the United States in Regard to the Basis of Credit in the two Countries, in: The Works of Benjamin Franklin, hg. v. John Bigelow, Volume 7. - New York, London: Putnam's Sons 1904, S. 159-167, Zitat: S. 167. Dieses Zitat ist bei mehreren Autoren nachzuweisen. In Webers früherer Abhandlung „Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus", in: AfSSp, Band 21, 1905, S . 1 110 (MWG I/9), S.71, heißt es allerdings, daß dieser Ausspruch bei Benjamin Franklin „sein klassisches Dokument gefunden hat." 4 Der lateinische Ausspruch caveat emptor bedeutet, daß sich der Käufer in Acht nehmen soll.

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Gegen diese Schranken brandet nun unausgesetzt die Marktgemeinschaft an, deren bloße Existenz die Versuchung zur Teilnahme an ihren Gewinnchancen enthält. Ist der Appropriationsprozeß in einer monopolistischen Gemeinschaft einmal so weit fortgeschritten, daß sie nach außen geschlossen ist, sind also der Grund und Boden oder die Marktnutzungsrechte in einer Dorfgemeinschaft definitiv und erblich appropriiert, so entsteht mit steigender Geldwirtschaft, welche steigende Differenzierung der durch indirekten Tausch zu befriedigenden Bedürfnisse und eine Existenz losgelöst vom Bodenbesitz ermöglicht, ein normalerweise steigendes Interesse der einzelnen Beteiligten daran, den appropriierten Besitz auch nach außen hin durch Tausch meistbietend verwerten zu können. Genau wie etwa Mitteilhaber einer ererbten Fabrik auf die Dauer fast stets zur Aktiengründung schreiten, um ihre Anteile frei veräußern zu können. Und von außen her andererseits verlangt eine entstehende kapitalistische Erwerbswirtschaft, je mehr sie erstarkt, desto mehr die Möglichkeit, sachliche Produktionsmittel und Arbeitsleistungen auf dem Markt, ungehemmt durch sakrale oder ständische Bindung, einzuhandeln13 und ihre Absatzchancen von den Schranken ständischer Absatzmonopole befreit zu sehen. Die kapitalistischen Interessenten sind solange Interessenten der zunehmenden Erweiterung des freien Marktes, bis es einigen von ihnen gelingt, entweder durch Einhandelung von Privilegien aus der Hand der politischen Gewalt, oder lediglich kraft ihrer Kapitalmacht ihrem Güterabsatz oder auch für die Gewinnung ihrer sachlichen Produktionsmittel Monopole zu erringen und nun ihrerseits den Markt zu schließen. Der vollen Appropriation aller sachlichen Produktionsmittel folgt daher, - wenn die Interessenten des Kapitalismus in der Lage sind, die den Güterbesitz und die Art seiner Verwertung regulierenden Gemeinschaften zugunsten ihrer Interessen zu beeinflussen oder wenn innerhalb ständischer Monopolgemeinschaften die Interessen an der Verwertung des appropriierten Besitzes auf dem Markt die Übermacht gewinnen, - zunächst die Sprengung der ständischen Monopole. Ferner die Beschränkung der durch den Zwangsapparat der den Güterbesitz regulierenden Gemeinschaft garantierten erworbenen und erwerb-

b A: einhandeln

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baren Rechte lediglich auf sachliche Güter und Ansprüche aus Schuldverhältnissen mit Einschluß vereinbarter Arbeitsleistungen. Dagegen werden alle anderen Appropriationen, insbesondere alle Kundschaftsappropriationen und ständischen Absatzmonopole, vernichtet. Dies ist der Zustand, den wir freie Konkurrenz nennen 5 und der solange dauert, bis andere: kapitalistische Monopole, auf dem Markt durch die Macht des Besitzes errungen, an seine Stelle treten. Diese kapitalistischen Monopole aber unterscheiden sich von den ständischen durch ihre rein ökonomisch rationale Bedingtheit. Die ständischen Monopole schließen durch Beschrän- 10 kung entweder der Verkaufsmöglichkeit überhaupt, oder der zulässigen Verkaufsbedingungen den Marktmechanismus mit seinem Feilschen und vor allem mit seiner rationalen Kalkulation innerhalb ihres Machtbereichs aus. Die durch die Macht des Besitzes allein bedingten Monopole dagegen beruhen gerade umgekehrt 15 auf rationaler Monopolistenpolitik, also auf einer durch rationalen A 367 Kalkül geleiteten Beherrschung der | möglicherweise formell gänzlich freibleibenden Marktvorgänge. Die sakralen, ständischen und traditionellen Gebundenheiten sind die allmählich beseitigten Schranken der rationalen Marktpreisbildung, die rein ökonomisch 20 bedingten Monopole sind umgekehrt deren letzte Konsequenz. Die ständischen Monopolisten behaupten ihre Macht gegen den Markt, schränken ihn ein, der rationale ökonomische Monopolist herrscht durch den Markt. Wir wollen diejenigen Interessenten, deren ökonomische Lage sie in den Stand setzt, vermöge der for- 25 malen Marktfreiheit zur Macht zu gelangen, die Marktinteressenten nennen. Ein konkreter Markt kann einer autonom von den Marktbeteiligten vereinbarten oder einer von den verschiedensten Gemeinschaften, namentlich von politischen oder religiösen Verbänden 30 oktroyierten Ordnung unterworfen sein. Soweit diese nicht eine Einschränkung der Marktfreiheit, d. h. des Feilschens und Konkurrierens, enthält oder Garantien für die Innehaltung der Marktlegalität, die Art der Zahlungen und Zahlungsmittel festsetzt, bezweckt sie in Epochen interlokaler Unsicherheit vor allem die Gewährlei- 35 stung des Marktfriedens, dessen Garantie, da der Markt ursprünglich eine Vergesellschaftung mit Ungenossen, also Feinden, ist, zunächst regelmäßig, ebenso wie die völkerrechtsartigen Kriegsbräuche, göttlichen Mächten anheimgegeben wird. Sehr oft wird der

Marktgemeinschaft

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Marktfrieden unter den Schutz eines Tempels gestellt, weiterhin pflegt aber dieser Friedensschutz vom Häuptling oder Fürsten zu einer Gebührenquelle gemacht zu werden. Denn der Tausch ist die spezifisch friedliche Form der Gewinnung ökonomischer Macht. 5 Selbstverständlich kann es sich mit Gewaltsamkeit alternativ verbinden. Der Seefahrer der Antike und des Mittelalters nimmt sehr gern unentgeltlich, was er gewaltsam bekommen kann, und verlegt sich auf das friedliche Feilschen nur da, wo er dies entweder gegenüber ebenbürtiger Macht tun muß oder im Interesse sonst gefähr10 deter künftiger Tauschchancen es zu tun für klug hält. Die intensive Expansion der Tauschbeziehungen geht aber überall parallel mit einer relativen Befriedung. Die Landfrieden des Mittelalters5 stehen alle im Dienst von Tauschinteressen, und die Aneignung von Gütern durch freien, rein ökonomisch rationalen Tausch ist in der 15 Form, wie Oppenheimer immer wieder betont hat,6 der begriffliche Gegenpol der Aneignung von Gütern durch Zwang irgendwelcher Art, am meisten: physischen Zwang, dessen geregelte Ausübung insbesondere für die politische Gemeinschaft konstitutiv ist. |

5 Vgl. unten, S . 2 1 4 f . 6 G e m e i n t sind Oppenheimer, G r o s s g r u n d e i g e n t u m , S. 2 8 4 - 2 8 7 ; ders., Der Staat, S. 7 2 80; ders., Theorie der reinen und politischen Ö k o n o m i e . Ein Lehr- und L e s e b u c h für Stud i e r e n d e und G e b i l d e t e . - Berlin: G e o r g Reimer 1910, S. 36f., 4 6 - 5 1 .

Politische Gemeinschaften

Editorischer Bericht

Zur Entstehung Der Text ist offensichtlich unvollendet, da die Ausführungen relativ abrupt mit der Beschreibung des Verhältnisses eines politischen Verbandes zum Markt enden. Ohne Zusammenhang hiermit folgt ein Abschnitt über arabische Stammesstrukturen. Eine genaue Datierung des Textes „Politische Gemeinschaften" ist nicht möglich. Er bildet jedoch den Ausgangspunkt für die Untersuchung der Beziehungen von Staaten untereinander, die Weber in dem um 1910 geschriebenen Text „Machtprestige und Nationalgefühl" behandelt hat. 1 Der enge inhaltliche Zusammenhang dieser beiden Texte deutet auf eine zeitliche Nähe ihrer Entstehung hin. Sie dürften ursprünglich für den Abschnitt „Staat" des Kapitels „Wirtschaft und soziale Gruppen" bestimmt gewesen sein, der im Stoffverteilungsplan von 1910 erwähnt wird. 2 Allerdings weist der Text Spuren einer späteren Bearbeitung auf, die aber nicht konsequent durchgeführt worden ist. An einer Stelle des Textes 3 ist, wie sich aus der grammatikalischen Konstruktion der nachfolgenden Sätze erschließen läßt, nachträglich der Begriff der „politischen Gemeinschaft" durch den Begriff „politischer Verband" ersetzt worden. Beide Begriffe werden im Text ansonsten ohne erkennbare Unterscheidung verwendet. Außerdem wird als Zielpunkt der Entwicklung die Entstehung „einer kontinuierlichen anstaltsmäßigen Vergesellschaftung" angesprochen, d. h. eines „politischen Verbandes". Im übrigen taucht hier erstmals der Begriff des „Einverständnishandelns" auf, der im Kategorienaufsatz als ein neuer Typ des Gemeinschaftshandelns eingeführt wird, 4 ja mehr noch, Einverständnishandeln wird mit dem Begriff der „Legitimität" einer politischen Ordnung in Verbindung gebracht. 5 Dies darf als partielle Antizipation der Theorie der „drei

1 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Machtprestige und Nationalgefühl", unten, S. 218f. 2 Abgedruckt als Anhang in: MWG II/6, S. 766-774, und mit handschriftlichen Zusätzen in: Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1). 3 Vgl. unten, S. 205. 4 Weber, Kategorienaufsatz, S. 275-286. 5 Vgl. unten, S.209f.

Editorischer Bericht

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reinen Typen legitimer Herrschaft" gelten. Schließlich weist Weber darauf hin, daß der „Prozeß der .Verstaatlichung' aller .Rechtsnormen'" an anderer Stelle erörtert worden sei, 6 was die „Rechtssoziologie" voraussetzt, die, wie wir wissen, 1912/13 ihre uns überlieferte Form erhalten hat. 7 Dies spricht dafür, daß Weber zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht 1912 oder 1913, einen Anlauf zu einer Überarbeitung des ohnehin nur fragmentarischen Textes unternommen hat, die aber dann nicht weit gediehen ist. Insgesamt steht der Text „Politische Gemeinschaften" der Herrschaftssoziologie näher als alle anderen Texte der „Gemeinschaften", aber Weber dürfte der Neuformulierung des Textes dann doch einen grundlegenden Neuansatz vorgezogen haben, wie er in den hauptsächlich 1912-1914 entstandenen Texten zur Herrschaftssoziologie vorliegt. Wie die Disposition von 1914 im übrigen zeigt, ist es unübersehbar, daß Weber ohnehin eine Neugestaltung dieses Textes ins Auge gefaßt hatte, die aber nicht zur Ausführung gekommen ist. Dort wird der Unterabschnitt „Entwicklung des modernen Staates", dessen Titel dem vorliegenden Text „Politische Gemeinschaften" inhaltlich am nächsten kommt, dem neu vorgesehenen Kapitel 8 „Die Herrschaft" subsumiert, während der Abschnitt „Die Nation" dem 7. Kapitel über den „politischen Verband" zugeordnet ist. 8 Demnach hat Weber offenbar beabsichtigt, den engen Zusammenhang von „politischen Gemeinschaften" und der „Nation" aufzulösen, sowie den Text umzuschreiben und den inhaltlichen Schwerpunkt von der „politischen Gemeinschaft" auf den „politischen Verband" zu verlagern, wie das dann in der Disposition von 1914 generell vorgesehen war. Ungeachtet dieser innovativen Ansätze schließt sich der Text in seiner Argumentation gleichwohl ganz den anderen Texten über „Gemeinschaften" an. Die Darstellung der Entstehung von Staaten aus politischen Gemeinschaften setzt die vorhergehende Erörterung von Hausgemeinschaft, nachbarschaftlichen Verbänden, Sippe und Marktgemeinschaft, die ursprünglich zahlreiche der verschiedenen staatlichen Aufgaben wahrnahmen, voraus. Insofern muß der Text über die „Politischen Gemeinschaften" den Abschnitten „Hausgemeinschaften",„Ethnischen Gemeinschaften" und „Marktgemeinschaft" nachgeordnet gewesen sein; auf letztere bezieht sich im vorliegenden Text ein Rückverweis. 9 Unklar ist der Status der Ausführungen über arabische Stammesstrukturen in der vorislamischen Epoche am Ende des nachstehenden Textes; sie werden hier den Erstherausgebern folgend als Anhang zu diesem Text mitgeteilt, da wir weder ein Manuskript besitzen noch über Informationen be6 7 8 9

Vgl. unten, S. 208. Vgl. die Einleitung, oben, S. 29, 33. GdS, Abt. I, S. X - X l (MWG I/22-6). Vgl. unten, S. 215, Anm. 21.

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Politische

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züglich ihres ursprünglichen Status verfügen. 10 Es handelt sich um ein eigenständiges Textfragment, das eventuell Teil einer längeren Abhandlung über den „Stamm" war, die Weber ursprünglich im Zusammenhang mit den „Hausgemeinschaften" vorgesehen hatte.11 Auf die Sonderstellung dieser Passage weist auch hin, daß von den Erstherausgebern eine andersartige Drucktype verwendet worden ist. Weber führt die Stammesstrukturen als Beispiel für eine politische Gemeinschaft an, deren Gemeinschaftshandeln hauptsächlich in der Abwehr einer äußeren Bedrohung besteht; die Ausführungen stehen insoweit in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden Text. Andererseits sind sie formal in keiner Weise an die vorausgehenden Ausführungen angebunden.

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung zugrunde gelegt, die in dem Handbuch: Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Lieferung. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 613-618, erschienen ist (A). Allem Anschein nach handelt es sich bei dem vorliegenden Text um ein Fragment. Darauf deutet neben dem plötzlichen Abbrechen der Darstellung eine Stelle im Text hin, wo von der Tendenz des „politischen Verbandes" die Rede ist, „alle überhaupt möglichen Inhalte eines Verbandshandelns für sich zu konfiszieren". 12 Aufgrund der grammatischen Konstruktion der nachfolgenden Sätze ergibt sich jedoch, daß an dieser Stelle ursprünglich das Wort „politische Gemeinschaft" gestanden haben muß. Die Änderung in „politischer Verband" dürfte im Zuge einer Überarbeitung des Textes vorgenommen worden sein. Obwohl die grammatische Angleichung der nachfolgenden Sätze den größeren Eingriff in den Text bedeutet, werden diese emendiert, da dies Webers Intention letzter Hand entspricht. Der Titel „Politische Gemeinschaften" ist bei Weber nicht verbürgt, ist jedoch in Anlehnung an die Überschrift „Ethnische Gemeinschaften" 13 naheliegend. In der Disposition von 1914 findet sich nur die Abschnittsüberschrift „Die Entwicklung des modernen Staates"; der vorliegende Text könnte inhaltlich diesem Titel zugeordnet werden, deckt aber nur einen geringen Teil dieser Thematik ab. Er stellt nur die Entwicklung bis zur Entstehung des 10 Vgl. 11 Vgl. S. 295f. 12 Vgl. 13 Vgl.

unten, S.216f. das Stichwortmanuskipt „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft", unten, den Text, unten, S. 205. den Editorischen Bericht zu „Ethnische Gemeinschaften", oben, S. 166.

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m o d e r n e n Staates dar, nicht aber die Entwicklung des m o d e r n e n Staates selbst, d a die D a r l e g u n g e n in der frühen Neuzeit a b b r e c h e n . A n g e s i c h t s des fragmentarischen Charakters dieses Textes ist es s a c h g e r e c h t , d e n Titel „Politische Gemeinschaften" beizubehalten, zumal dieser Begriff innerhalb des Textes eine Schlüsselstellung einnimmt. Die Paragraphentitel dieses Textes können angesichts der weitreichenden Einwirkung der Erstherausgeber auf die Gestaltung der Titel innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht als authentisch gelten. Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von d e n Erstherausgebern eingefügt w o r d e n . 1 4 In d e m hier mitgeteilten Text, der in der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" in zwei P a r a g r a p h e n gegliedert war, stammt der Titel „§ 1. Wesen und .Rechtmäßigkeit' politischer Verbände" mit Sicherheit nicht von Weber, zumal statt „Wesen" die an anderer Stelle nachweisbare Formulierung „Begriff" politischer Verbände zu erwarten wäre. 1 5 Es ist davon a u s z u g e h e n , daß es in den n a c h g e l a s s e n e n Manuskripten über die „Gemeinschaften" überhaupt keine Paragraphentitel g e g e b e n hat. 1 6 Dies ergibt sich auch aus der fragwürdigen Formulierung der Mehrzahl der in der Erstausgabe befindlichen Überschriften. Daher wird hier auf die W i e d e r g a b e der Paragraphentitel verzichtet. Die Zwischenüberschriften der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" w e r d e n j e d o c h im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Gliederung als solche wird d u r c h Leerzeilen o p t i s c h kenntlich g e m a c h t . Eine Zählung erfolgt nicht. Die Darstellung der a r a b i s c h e n Stammesstrukturen ist von den Ersthera u s g e b e r n ohne A n b i n d u n g an die v o r h e r g e h e n d e n A u s f ü h r u n g e n an das Ende des vorliegenden Textes gestellt worden. Da die Position dieses Textfragments nicht eindeutig bestimmt werden kann, wird es in einem A n h a n g zu d i e s e m Text mitgeteilt. Die A n m e r k u n g e n der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, h i n g e g e n im textkritischen A p p a r a t w i e d e r g e g e b e n . Die Emendationen stützen sich teilweise auf Ä n d e r u n g e n , die bereits J o h a n n e s W i n c k e l m a n n (Hg.), Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

14 Vgl. die Einleitung, oben, S. 60-65. 15 Vgl. Weber, Vorlesungs-Grundriß, S.29. Dort spricht Weber im Zusammenhang mit einer Definition von Wirtschaft von dem „Begriff der Wirtschaft." 16 Vgl. die Einleitung, oben, S. 63f.

A 613

Politische Gemeinschaften.3

Unter politischer Gemeinschaft wollen wir eine solche verstehen, deren Gemeinschaftshandeln dahin verläuft: „ein Gebiet" (nicht notwendig: ein absolut konstantes und fest begrenztes, aber doch ein jeweils irgendwie begrenzbares Gebiet) und das Handeln der 5 darauf dauernd oder auch zeitweilig befindlichen Menschen durch Bereitschaft zu physischer Gewalt, und zwar normalerweise auch Waffengewalt, der geordneten Beherrschung durch die Beteiligten vorzubehalten (und eventuell weitere Gebiete für diese zu erwerben). Die Existenz einer „politischen" Gemeinschaft in diesem 10 Sinn ist nichts von jeher und überall Gegebenes. Als gesonderte Gemeinschaft fehlt sie allen jenen Zuständen, in denen die gewaltsame Abwehr der Feinde eine Angelegenheit ist, welche im Bedarfsfall die einzelne Hausgemeinschaft oder der Nachbarschaftsverband oder ein anderer Verband übernimmt, der wesentlich auf 15 ökonomische Interessen ausgerichtet ist. Aber auch nicht einmal in dem Sinn besteht sie überall und immer, daß das begriffliche Minimum: „gewaltsame Behauptung der geordneten Herrschaft über ein Gebiet und die Menschen auf demselben" wenigstens notwendig Funktion einer und derselben Gemeinschaft wäre. Oft sind die- 20 se Leistungen auf mehrere Gemeinschaften mit b einander teils ergänzendem, teils kreuzendem Gemeinschaftshandeln verteilt. Die Gewaltsamkeit und der Schutz „nach außen" liegt z. B. oft in den Händen teils des Blutsverwandtschaftsverbandes (der Sippe), teils nachbarschaftlicher Verbände, teils jeweils ad hoc gebildeter Krie- 25 gervergemeinschaftungen, die geordnete Beherrschung des „Gebiets" und die Ordnung der Beziehungen der Menschen „nach innen" ist oft ebenfalls unter verschiedene, darunter auch religiöse, Mächte c verteilt, und auch 0 soweit dabei Gewalt angewendet wird, liegt diese nicht notwendig in der Hand einer Gemeinschaft. Die 30 Gewaltsamkeit nach außen kann sogar unter Umständen - so zeit-

a Über dem Titel steht in A: K a p i t e l II. In A folgt die Überschrift: § 1. W e s e n u n d „ R e c h t m ä -

ßigkeit" politischer Verbände.

b A: mit,

C A: verteilt und auch,

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weise vom pennsylvanischen Quäkergemeinwesen 1 - prinzipiell ganz abgelehnt werden, jedenfalls können alle geordneten Vorkehrungen dafür fehlen. Allein in aller Regel ist die Bereitschaft zur Gewaltsamkeit mit der Gebietsherrschaft verknüpft. Als ein Son5 dergebilde aber existiert jedenfalls eine „politische" Gemeinschaft nur dann und nur insoweit, als die Gemeinschaft nicht eine bloße „Wirtschaftsgemeinschaft" ist, sie also Ordnungen besitzt, welche andere Dinge als direkte ökonomische Verfügungen über Sachgüter und Dienstleistungen anordnen. Auf welche Art von Inhalten 10 sich das Gemeinschaftshandeln außer der gewaltsamen Beherrschung von Gebiet und Menschen etwa noch richtet - und das ist vom „Raubstaat" zum „Wohlfahrtsstaat", „Rechtsstaat" und „Kulturstaat" unendlich verschieden soll uns begrifflich gleichgültig sein. Kraft der Drastik seiner d Wirkungsmittel ist der politische 15 Verband spezifisch befähigt, alle überhaupt möglichen Inhalte eines Verbandshandelns für sich zu konfiszieren, und es gibt in der Tat wohl nichts auf | der Welt, was nicht irgendwann und irgendwo A 614 einmal Gegenstand eines Gemeinschaftshandelns politischer Verbände gewesen wäre. Andererseits aber kann er e sich auf ein Ge20 meinschaftshandeln beschränken, dessen Inhalt schlechthin in gar nichts als in der fortgesetzten Sicherung der faktischen Gebietsbeherrschung besteht, und hat dies oft genug getan. Ja selbst in dieser Funktion ist erf, auch bei sonst nicht notwendig unentwickeltem Bedürfnisstand, oft ein lediglich intermittierend, im Fall der Bedro25 hung oder eigener plötzlich, aus welchem Anlaß immerj,] erwachender Gewaltsamkeitsneigung aufflammendes Handeln, wäh-

d A: ihrer Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 200.

e A: sie

f A: sie

1 Dies bezieht sich auf das sogenannte „Holy Experiment" des Quäkerführers William Penn in Pennsylvania. 1681 baute Penn einen Staat auf, der auf eine bewaffnete Polizeiund Militärmacht gänzlich verzichtete und in dem völlige politische und religiöse Freiheit herrschen sollte. Den Aufbau militärischer Verbände verhinderten die Quäker lange Zeit dank ihrer Mehrheit im Kolonialparlament Pennsylvanias (1750 stellten sie 2 / 3 der Abgeordneten bei nur V5 Bevölkerungsanteil). Als jedoch seit Beginn der 1750er Jahre die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und Frankreich in Nordamerika zunahmen und 1756 in Europa der siebenjährige Krieg ausbrach, konnte sich auch Pennsylvania nicht mehr den militärischen Forderungen der Krone entziehen, woraufhin die meisten in der Kolonialverwaltung tätigen Quäker ihre Ämter niederlegten. Eine Minderheitenpartei entstand, die sich während der amerikanischen Revolution wieder auflöste.

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rend in „normalen", friedlichen Zeiten praktisch eine Art von „Anarchie" besteht, d.h.: die Koexistenz und das Gemeinschaftshandeln der ein Gebiet bevölkernden Menschen in Gestalt eines rein faktischen gegenseitigen Respektierens der gewohnten Wirtschaftssphäre, ohne Bereithaltung irgendwelchen Zwanges nach „außen" oder „innen", abläuft. Für uns genügt ein „Gebiet", die Bereithaltung von physischer Gewalt zu dessen Behauptung, und ein nicht nur in einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb zur gemeinsamen Bedarfsdeckung sich erschöpfendes, die Beziehungen der auf dem Gebiet befindlichen Menschen regulierendes Gemeinschaftshandeln, um eine gesonderte „politische" Gemeinschaft zu konstituieren. Die Gegner, gegen welche das eventuell gewaltsame gemeinschaftliche Handeln sich richtet, können solche außerhalb oder innerhalb des betreffenden Gebiets sein, und da die politische Gewalt ein für allemal zu dem verbandsmäßigen, heute zu dem „ansia/temäßigen" gehört, so befinden sich die der Gewaltsamkeit des Gemeinschaftshandelns Ausgesetzten auch und sogar in erster Linie unter den Zwangsbeteiligten des politischen Gemeinschaftshandelns selbst. Denn die politische Gemeinschaft ist noch mehr wie andere anstaltsmäßig geformte Gemeinschaften so geartet, daß dadurch dem einzelnen Beteiligten Zumutungen zu Leistungen gestellt werden, welche jedenfalls große Teile derselben nur deshalb erfüllen, weil sie die Chance physischen Zwanges dahinterstehend wissen. Die politische Gemeinschaft gehört ferner zu denjenigen, deren Gemeinschaftshandeln, wenigstens normalerweise, den Zwang durch Gefährdung und Vernichtung von Leben und Bewegungsfreiheit sowohl Außenstehender wie der Beteiligten selbst einschließt. Es ist der Ernst des Todes, den eventuell für die Gemeinschaftsinteressen zu bestehen dem Einzelnen hier zugemutet wird. Er trägt der politischen Gemeinschaft ihr spezifisches Pathos ein. Er stiftet auch ihre dauernden Gefühlsgrundlagen. Gemeinsame politische Schicksale, d. h. in erster Linie gemeinsame politische Kämpfe auf Leben und Tod knüpfen Erinnerungsgemeinschaften, welche oft stärker wirken als Bande der Kultur-, Sprach- oder Abstammungsgemeinschaft. Sie sind es, welche - wie wir sehen werden 2 - dem „Nationalitätsbewußtsein" erst die letzte entscheidende Note geben. 2 Siehe unten, S. 241-245, aber auch oben, S. 186f.

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Die politische Gemeinschaft war und ist allerdings auch heute keineswegs die einzige, bei der das Einstehen mit dem Leben ein wesentlicher Teil der Gemeinschaftspflichten ist. Auch die Blutrachepflicht der Sippe, die Märtyrerpflicht religiöser Gemeinschaften, ständische Gemeinschaften mit einem „Ehrenkodex", viele Sportgemeinschaften, Gemeinschaften wie die Camorra 3 und vor allem jede zum Zweck von gewaltsamer Aneignung fremder wirtschaftlicher Güter geschaffene Gemeinschaft überhaupt schließen die gleichen äußersten Konsequenzen ein. Von solchen GemeinSchäften unterscheidet sich für die soziologische Betrachtung die politische Gemeinschaft zunächst nur durch die Tatsache ihres besonders nachhaltigen und dabei offenkundigen Bestandes als einer gefestigten Verfügungsmacht über ein beträchtliches Land- oder zugleich Seegebiet. Daher fehlt ihr diese Sonderstellung in der Vergangenheit, je weiter zurück, desto mehr. Je umfassender sich das politische Gemeinschaftshandeln aus einem bloßen, im Fall direkter Bedrohung aufflammenden Gelegenheitshandeln zu einer kontinuierlichen anstaltsmäßigen Vergesellschaftung entwickelt und nun die Drastik und Wirksamkeit seiner Zwangsmittel mit der Möglichkeit einer rationalen kasuistischen Ordnung ihrer Anwendung zusammentrifft, desto mehr wandelt sich in der Vorstellung der Beteiligten | die bloß quantitative zu einer qualitativen Sonder- A 615 Stellung der politischen Ordnung. Die moderne Stellung der politischen Verbände beruht auf dem Prestige, welches ihnen der unter den Beteiligten verbreitete spezifische Glaube an eine besondere Weihe: die „Rechtmäßigkeit" des von ihnen geordneten Gemeinschaftshandelns verleiht, auch und gerade insofern es physischen Zwang mit Einschluß der Verfügung über Leben und Tod umfaßt: das hierauf bezügliche spezifische Legitimitätseinverständnis. Dieser Glaube an die spezifische „Rechtmäßigkeit" des politischen

3 B e z e i c h n u n g für einen G e h e i m b u n d in Neapel, der um 1813 als Organisation von Strafg e f a n g e n e n allgemein bekannt wurde und auch außerhalb der Gefängnisse großen Einfluß gewann. Neben kriminellen Aktivitäten übernahm die C a m o r r a w e g e n der unruhigen Verhältnisse in Neapel den Schutz des Handels in der Stadt. Einzelne ihrer Mitglieder w u r d e n sogar in den Polizeidienst übernommen. Durch ihr E n g a g e m e n t in der U n a b h ä n g i g k e i t s b e w e g u n g g e w a n n die Camorra im Vereinigten Königreich Italien großen politischen Einfluß, d e n sie j e d o c h für kriminelle Aktionen mißbrauchte. Nach und nach wurde sie aus allen offiziellen politischen Positionen verdrängt und existierte seit 1901 als kriminelle Organisation fort.

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Verbandshandelns kann sich - wie es unter modernen Verhältnissen tatsächlich der Fall ist - bis dahin steigern, daß ausschließlich gewisse politische Gemeinschaften (unter dem Namen: „Staaten") für diejenigen gelten, kraft deren Auftrag oder Zulassung von irgendwelchen anderen Gemeinschaften überhaupt „rechtmäßiger" physischer Zwang geübt werde. Für die Ausübung und Androhung dieses Zwanges existiert demgemäß in der voll entwickelten politischen Gemeinschaft ein System von kasuistischen Ordnungen, welchen jene spezifische „Legitimität" zugeschrieben zu werden pflegt: die „Rechtsordnung", als deren allein normale Schöpferin heute die politische Gemeinschaft gilt, weil sie tatsächlich heute normalerweise das Monopol usurpiert hat, der Beachtung jener Ordnung durch physischen Zwang Nachdruck zu verleihen. Diese Prominenz der durch die politische Gewalt garantierten „Rechtsordnung" ist in einem sehr langsamen Entwicklungsprozeß dadurch entstanden, daß die anderen, als Träger von eigenen Zwangsgewalten auftretenden Gemeinschaften unter dem Druck ökonomischer und organisatorischer Verschiebungen ihre Macht über den Einzelnen einbüßten und entweder zerfielen oder, von dem politischen Gemeinschaftshandeln unterjocht, ihre Zwangsgewalt von ihm begrenzt und zugewiesen erhielten, daß gleichzeitig stetig neue schutzbedürftige Interessen sich entwickelten, welche in jenen keinen Platz fanden und daß also ein stetig sich erweiternder Kreis von Interessen, insbesondere von ökonomischen Interessen, nur durch die von der politischen Gemeinschaft zu schaffenden rational geordneten Garantien sich hinlänglich gesichert fand. In welcher Weise sich dieser Prozeß der „Verstaatlichung" aller „Rechtsnormen" vollzogen hat und noch vollzieht, ist an anderer Stelle erörtert. 9 4 Gewaltsames Gemeinschaftshandeln ist selbstverständlich an sich etwas schlechthin Urwüchsiges: von der Hausgemeinschaft bis zur Partei griff von jeher jede Gemeinschaft da zur physischen Gewalt, wo sie mußte oder konnte, um die Interessen der Beteiligten zu g In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber a n : ' ) In der „Rechtssoziologie". Dann folgt die Zwischenüberschrift: § 2. Entwicklungsstadien politischer Vergemeinschaftung. 4 Siehe WuG1, S. 384, 431 f. (MWG I/22-3).

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wahren. Entwicklungsprodukt ist nur die Monopolisierung der legitimen Gewaltsamkeit durch den politischen Gebietsverband und dessen rationale Vergesellschaftung zu einer anstaltsmäßigen Ordnung. Unter den Bedingungen undifferenzierter Wirtschaft ist also 5 die Sonderstellung einer Gemeinschaft als einer politischen oft nur schwer konstruierbar. Das, was wir heute als Grundfunktionen des Staats ansehen: die Setzung des Rechts (Legislative), den Schutz der persönlichen Sicherheit und öffentlichen Ordnung (Polizei), den Schutz der erworbenen Rechte (Justiz), die Pflege von hygieni10 sehen, pädagogischen, sozialpolitischen und anderen Kulturinteressen (die verschiedenen Zweige der Verwaltung), endlich und namentlich auch der organisierte gewaltsame Schutz nach außen (Militärverwaltung)^ ist in der Frühzeit entweder gar nicht oder nicht in der Form rationaler Ordnungen, sondern nur als amorphe Gele15 genheitsgemeinschaft h vorhanden, oder unter ganz verschiedene Gemeinschaften: Hausgemeinschaft, Sippe, Nachbarschaftsverband, Marktgemeinschaft, und daneben ganz freie Zweckvereine verteilt. Und zwar okkupiert die private Vergesellschaftung dabei auch Gebiete des Gemeinschaftshandelns (wie z.B. die Geheim20 klubs in Westafrika die Polizei),5 welche wir' nur als Funktionen der Gemeinwirtschaft politischer Verbände zu denken ge|wöhnt A616 sind. Man kann daher in einem Allgemeinbegriff des politischen Gemeinschaftshandelns nicht einmal die Sicherung des inneren Friedens als Attribut aufnehmen. 25 Die Vorstellung einer spezifischen Legitimität gewaltsamen Handelns aber verknüpft sich, wenn mit irgendeinem Einverständnishandeln, dann mit dem der Sippe im Fall der Erfüllung der Blutrachepflicht. Dagegen oft nur in sehr geringem Maße mit rein militärisch nach außen oder polizeilich nach innen gerichtetem Ver30 bandshandeln. Am meisten dann, wenn ein Gebietsverband in seih A: Gelegenheitsgemeinschaft,

i In A folgt: uns

5 Bei den nur gering organisierten Stammesverbänden in Westafrika übernahmen die Geheimbünde oft die Rechtsprechung oder sogar bestimmte Bereiche der politischen Führung; der Purrah-Bund in Sierra Leone bestrafte z. B. bei kriegerischen Auseinandersetzungen den Angreifer durch Plünderungszüge. Mit der zunehmenden Organisation der Stammesverbände schwand der Einfluß der Geheimbünde, die sich dann oft in den Dienst der erstarkten Stammesfürsten stellten und von diesen wegen ihrer Autorität in der Bevölkerung mit Polizeiaufgaben betraut wurden. Vgl. Schurtz, Altersklassen, S. 347-368, 408-439.

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nem traditionellen Herrschaftsbereich von außen her angegriffen wird und nun die Gesamtheit der Beteiligten nach Art eines Landsturms 6 zur Verteidigung zu den Waffen greift. Aus der zunehmend rationalen Vorsorge für solche Fälle kann dann ein als spezifisch legitim angesehener politischer Verband erwachsen, sobald nämlich irgendwelche feste Gepflogenheiten und irgendein Verbandsapparat vorhanden ist, welcher sich für die Zwecke der Vorsorge gegen gewaltsame Abwehr nach außen bereit hält. Allein dies ist bereits eine ziemlich vorgeschrittene Entwicklung. Noch deutlicher tritt die ursprünglich geringe Bedeutung der Legitimität im Sinne von Normgemäßheit bei der Gewaltsamkeit da hervor, wo die Auslese der Waffenlustigsten sich auf eigene Faust zu einem Beutezug durch persönliche Verbrüderung vergesellschaftet, wie dies als normale Form des Angriffskriegs aus der Mitte seßhafter Völker in1 allen Stadien der ökonomischen Entwicklung bis zur Durchführung des rationalen Staats typisch vorkommt. Der frei erkorene Führer ist dann legitimiert normalerweise durch persönliche Qualitäten (Charisma), und wir haben die Art der Herrschaftsstruktur, die sich daraus ergibt, an anderer Stelle erörtert. k 7 Eine legitime Gewaltsamkeit entwickelt sich aber daraus zunächst nur gegen Genossen, welche verräterisch oder durch Ungehorsam oder Feigheit der Verbrüderung entgegenhandeln. Darüber hinaus erst dann allmählich, wenn diese Gelegenheitsvergesellschaftung zu einem Dauergebilde wird, welches die Waffentüchtigkeit und den Krieg als Beruf pflegt und sich damit zu einem Zwangsapparat entwikkelt, welcher umfassende Ansprüche auf Gehorsam durchzusetzen vermag. Diese Ansprüche wenden sich dann sowohl gegen die Insassen beherrschter Eroberungsgebiete, wie auch nach innen, gegen die nichtwaffentüchtigen Gebietsgenossen, aus deren Mitte die verbrüderten Krieger stammen. Als politischen Volksgenossen erkennt der Waffentragende nur den Waffentüchtigen an. Alle anderen, Nichtwaffengeübte und Nichtwaffentüchtige, gelten als Weiber

j A: a u f k In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber a n : ' ) V g l . T e i l I K a p i t e l I I I , § 10 u n d K a p i t e l I X u n d X d i e s e s Teils. 6 A u s d e m ursprünglichen A u f g e b o t aller waffenfähigen Männer entwickelte sich der Landsturm, als d a s A u f g e b o t der älteren J a h r g ä n g e . 7 Siehe W u G \ S. 753ff. (MWG 1/22-4).

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und werden in der Sprache primitiver Völker auch meist ausdrücklich als solche bezeichnet. 8 Freiheit ist innerhalb dieser Waffenvergemeinschaftungen identisch mit Waffenberechtigung. Das von Schurtz so liebevoll studierte, in den verschiedensten Formen über 5 die ganze Welt verbreitete Männerhaus ist eins derjenigen Gebilde, zu denen eine solche Vergesellschaftung der Krieger, in der Schurtzschen Terminologie: ein Männerbund, 9 führen konnte. Es entspricht auf dem Gebiet politischen Handelns bei starker Entwicklung des Kriegerberufs fast vollkommen der Mönchsvergesell10 schaftung des Klosters auf religiösem Gebiet. Nur wer erprobte Waffenqualifikation hat und nach einer Noviziatszeit in die Verbrüderung aufgenommen wird, gehört hierzu, wer die Probe nicht besteht, bleibt als Weib draußen unter den Weibern und Kindern, zu denen auch der nicht mehr Waffenfähige zurückkehrt. Erst mit 15 einer bestimmten Altersstufe tritt dann der Mann in einen Familienhaushalt ein, entsprechend etwa unserem heutigen Übertritt aus der Dienstpflicht im stehenden Heer zur Landwehr. 10 Bis dahin gehört er mit seiner ganzen Existenz dem Kriegerbunde an. Dessen Zugehörige leben getrennt von Frau und Hausgemeinschaft in 20 kommunistischem Verbände 11 von der Kriegsbeute und von den Kontributionen, welche sie den Außenstehenden, insbesondere den Frauen, welche die Ackerarbeit leisten, auferlegen. Für sie selbst geziemt sich als Arbeit neben der Kriegsführung nur die Instandhaltung und Herstellung der Kriegsgerätschaften, die sehr oft ih25 nen allein vorbehalten ist. Ob | die Krieger sich gemeinsam Mäd- A617 chen rauben oder kaufen oder die Prostitution aller Mädchen des beherrschten Gebiets als ihr Recht verlangen - die vielen Spuren von sog. vorehelicher Promiskuität, die immer wieder als Reste urwüchsigen unterschiedslosen endogamen Geschlechtsverkehrs 30 ausgegeben werden, gehören vermutlich mit dieser politischen In-

8 Schurtz, Altersklassen, S. 100, berichtet z. B., daß „bei den Herero und anderen Bantustämmen [...] der Neubeschnittene [...] als .nicht mehr Mädchen' bezeichnet" wird. 9 Vgl. oben, S. 116, Anm. 6 und S. 137. 10 Alle dem aktiven Heer angehörenden Männer wurden nach Ablauf Ihrer Dienstzeit für weitere drei Jahre der Landwehr überstellt und waren im Kriegsfall gestellungspflichtig. 11 Dies bezieht sich auf Erscheinungsformen des „Männerhauses", das als Wohnstätte für die Krieger diente, während die Familien außerhalb in der sogenannten „Muttergruppe" lebten. Vgl. auch oben, S. 115f., Anm. 5, 6, und S. 137, Anm. 38.

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stitution des Männerhauses zusammen - oder ob sie, wie die Spartiaten, jeder seine Frau mit den Kindern als Muttergruppe draußen sitzen haben, 12 kann verschieden geregelt sein, und meist ist wohl beides miteinander kombiniert. Um ihre auf chronischer Plünderung der Außenstehenden, namentlich der Frauen, beruhende ökonomische Stellung zu sichern, bedienen sich die dergestalt vergesellschafteten Krieger unter Umständen religiös gefärbter Einschüchterungsmittel. Namentlich die von ihnen veranstalteten Geistererscheinungen mit Maskenumzügen sind sehr oft, wie der besonders genau bekannte Zug des Dukduk in Indonesien, 13 einfach Plünderungszüge, zu deren ungestörter Durchführung es gehört, daß die Frauen und alle Außenstehenden überhaupt, wenn das Schwirrholz ertönt, bei Vermeidung alsbaldiger Tötung, aus den Dörfern in die Wälder flüchten müssen^] auf daß der Geist bequemer und ohne Entlarvung sich in den Hütten aneignen könne, was ihm beliebt. Von subjektivem Glauben an die Legitimität dieses Tuns ist dabei bei den Kriegern keine Rede. Der plumpe und einfältige Schwindel ist ihnen als solcher bekannt und wird durch das magische Verbot des Betretens des Männerhauses für Außenstehende und drakonische Schweigepflichten für die Insassen gepflegt. Wo das Geheimnis durch Indiskretion gebrochen oder gelegentlich durch Missionare absichtlich entlarvt wird, ist es mit dem Prestige des Männerbundes gegenüber den Frauen zu Ende. Natürlich haben solche Veranstaltungen, wie aller Gebrauch der Religion als schwarzer Polizei,14 an Volkskulte angeknüpft. Aber die spezifisch diesseitig orientierte, auf Raub und Beute ausgerichtete Kriegergesellschaft ist, trotz aller eigenen Neigung zu magischer Superstition, doch zugleich überall Trägerin der Skepsis gegenüber der volkstümlichen Frömmigkeit. Sie geht auf allen Entwicklungs-

12 In Sparta lebten die waffenfähigen Krieger weitgehend kaserniert in Gemeinschaftsunterkünften, während die Frauen mit den Kindern in Privathäusern wohnten und den familiären Besitz fast selbständig verwalteten. Vgl. auch oben, S. 118, Anm.7; S. 137, Anm. 38. 13 Zu dem polynesischen Geheimbund Duk-Duk vgl. oben, S. 137, Anm. 39. 14 Als „schwarze Polizei" wurden seit dem 18. Jahrhundert protestantische Dorfgeistliche und Militärseelsorger in Preußen bezeichnet. Die Geistlichen hatten von den Kirchenkanzeln landesherrliche Verordnungen zu verkünden und mußten deren Beachtung zusammen mit der Polizei überwachen. Ihrerseits wurden die Pfarrer von Inspektoren aus dem Kreis der Militärgeistlichen kontrolliert.

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stufen mit den Göttern und Geistern ähnlich respektlos um, wie die homerische Kriegergesellschaft mit dem Olymp. 15 Erst wenn die frei vergesellschaftete, neben und über den Alltagsordnungen stehende Kriegerschaft einem geordneten Dauerverband einer Gebietsgemeinschaft sozusagen wieder eingemeindet und dadurch der politische Verband geschaffen wird, attrahiert nun dieser und damit auch die privilegierte Stellung der Kriegerschaft eine spezifische Legitimität der Gewaltausübung. Der Prozeß vollzieht sich, wo er überhaupt stattfindet, allmählich. Die Gemeinschaft, der die zum Beutezug oder zum chronischen Kriegerbund vergesellschafteten Männer angehören, kann entweder durch Verfall der Kriegervergesellschaftung infolge länger dauernder Befriedung oder durch eine umfassende autonome oder heteronom oktroyierte politische Vergesellschaftung die Macht erlangen, die Beutezüge der frei vergesellschafteten Krieger (unter deren möglichen Konsequenzen: Repressalien der Geplünderten, ja auch die Unbeteiligten mit zu leiden haben) ebenso unter ihre Kontrolle zu bringen, wie z.B. die Schweizer das Reislaufen. 16 Eine solche Kontrolle übte schon in altgermanischer Zeit die politische Landesgemeinde über die privaten Beutezüge. 17 Ist der Zwangsapparat des politischen Verbandes mächtig genug, dann unterdrückt er, je mehr er Dauergebilde wird, und je stärker das Interesse an der Solidarität nach außen ist, desto mehr die private Gewaltsamkeit überhaupt. Zunächst soweit sie dem eigenen militärischen Interesse direkt abträglich ist. So unterdrückte das französische Königtum 15 An mehreren Stellen der Odyssee werden Götter nicht wie übernatürliche Wesen, sondern wie Menschen behandelt. So kämpft z. B. Menelaos mit dem ägyptischen Meeresgott Proteus, um von diesem den Heimweg zu erfahren (IV, 440-480), Odysseus verlangt von Kalypso einen Schwur, daß sie ihn nicht verderben wird (V, 173-191) und bedroht Klrke mit einem Schwert (X, 321-346). Weber bezieht sich hier auf eine Bewertung Eduard Meyers, Geschichte des Alterthums, Band 3. - Stuttgart: J. G. Cotta 1901, S. 441, nach der Homer die Götter lediglich als „Mittel zum Zweck" benutzt habe. 16 Unter „Reislaufen" verstand man den Eintritt von Söldnern In fremde Armeen seit dem 13. Jahrhundert (besonders vom 16. bis 18. Jahrhundert). Das freie Reislaufen versuchten die Regierungen der schweizerischen Kantone immer wieder zu reglementleren, vor allem um Zahlungen ausländischer Fürsten für das Recht der Söldnerrekrutierung zu erhalten. 1859 wurde In der Schweiz das Relsiaufen per Gesetz endgültig verboten. 17 Tacitus berichtet von einer losen germanischen Stammesstruktur, in der jeder Krieger Gleichgesinnte um sich scharen und auf eigene Kosten Kriegszüge durchführen konnte, ohne daß sein Einfluß In der polltischen Gemeinschaft zwangsläufig zugenommen hätte. Vgl. Tacitus, Germania, 13-14.

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Politische Gemeinschaften

im 13. Jahrhundert für die Dauer eines vom König selbst geführten äußeren Krieges die Fehde unter den königlichen Vasallen. 18 Dann zunehmend in Form dauernden Landfriedens 19 und zwangsweiser Unterwerfung aller Streitigkeiten unter den Zwangsschiedsspruch des Richters, der die Blutrache in rational geordnete Strafe, die 5 Fehde und Sühnehandlung in rational geordneten Rechtsgang verwandelt. Während in der Frühzeit das Verbandshandeln auch gegen ein Verhalten, welches als anerkannter Frevel gilt, nur unter dem Druck religiöser oder militärischer Interessen reagiert, wird A 618 jetzt die Verfolgung | immer weiterer Verletzungen von Person und 10 Besitz unter die Garantie des politischen Zwangsapparates gestellt. Auf diesem Wege monopolisiert die politische Gemeinschaft die legitime Gewaltanwendung für ihren Zwangsapparat und verwandelt sich allmählich in eine Rechtsschutzanstalt. Sie findet dabei eine mächtige und entscheidende Stütze an allen denjenigen Grup- 1s pen, welche an der Erweiterung der Marktgemeinschaft direkt oder indirekt ökonomisch interessiert sindj,] und daneben an den religiösen Gewalten. Diese letzteren finden für ihre spezifischen Machtmittel zur Beherrschung der Massen ihre Rechnung am meisten bei zunehmender Befriedung. Ökonomisch aber sind die In- 20 teressenten der Befriedung in erster Linie die Marktinteressenten, vor allem das Bürgertum der Städte, nächst ihm aber alle diejenigen, welche an Flußzöllen, Straßenzöllen, Brückenzöllen, an der Steuerkraft von Hintersassen und Untertanen interessiert sind. Schon ehe die politische Gewalt in ihrem Machtinteresse den 25 Landfrieden oktroyierte, waren es daher im Mittelalter jene, mit der Entwicklung der Geldwirtschaft sich stets verbreiternden In-

18 Die Verordnung des französischen Königs Ludwig IX. des Heiligen (1226-70) im Jahre 1247, daß jegliche Fehde verboten sei, Ist vor dem Hintergrund eines geplanten Kreuzzuges zu sehen. Sein Enkel Philipp IV. der Schöne (1285-1314) verbot dagegen Fehden seiner Vasallen ausdrücklich nur während seiner Kriege gegen England 1296 und 1314. Vgl. Laurière, Eusèbe-Jaques de, Ordonnances des Roys de France de la Troisième Race, vol. I. - Paris: L'Imprimerie Royale 1723, S. 5 6 - 5 8 , 84, 328f. 19 Seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts unterstellten in Deutschland weltliche Herrscher zunächst bestimmte Personengruppen (z. B. Juden, Witwen, Kaufleute) und Orte (Kirchen und Klöster) ihrem besonderen Schutz. Im Laufe der Entwicklung gewann die Einschränkung der Fehde als Form der Selbstjustiz zunehmend an Bedeutung. Während die Landfrleden Im 11. Jahrhundert noch regional und zeltlich eng beschränkt waren, erstreckten sie sich später auf größere Gebiete (Mainzer Reichslandfriede von 1103) und auf unbefristete Zelt (der Ewige Reichslandfriede von 1495).

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Gemeinschaften

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teressentenkreise, welche im Bunde mit der Kirche die Fehde einzuschränken, zeitweilige, periodische oder dauernde Landfriedensbünde 2 0 durchzuführen suchten. Und indem der Markt mit seiner Erweiterung zunehmend in der uns schematisch bekannten 2 1 Art 5 die monopolistischen Verbände ökonomisch sprengt, ihre Mitglieder zu Marktinteressenten macht, entzieht er ihnen die Basis jener Interessengemeinschaft, auf welcher auch ihre legitime Gewaltsamkeit sich entfaltet hatte. Mit zunehmender Befriedung und Erweiterung des Markts parallel geht daher auch 1. jene Monopoli10 sierung legitimer Gewaltsamkeit durch den politischen Verband, welche in dem modernen Begriff des Staats als der letzten Quelle jeglicher Legitimität physischer Gewalt, und zugleich 2. jene Rationalisierung der Regeln für deren Anwendung, welche in dem Begriff der legitimen Rechtsordnung ihren Abschluß finden.

20 Landfriedensbünde wurden meist von kleineren Territorialfürsten oder Reichsstädten geschlossen, um in einem In der Regel regional begrenzten Gebiet einen Landfrieden durchzusetzen. So schlössen sich 1254 die Städte Mainz und Worms zum „Rheinischen Städtebund" zusammen, dem sich mehr als 70 weitere Städte anschlössen, um In der kaiserlosen Zelt-den Landfrleden zu wahren. 21 Siehe oben, S. 82-86, 197f.

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Politische

Gemeinschaften

[Arabische Stammesstrukturen] a

Die ebenso interessante wie bisher unvollkommen durchgeführte technographische Kasuistik der verschiedenen Entwicklungsstadien primitiver politischer Verbände kann hier nicht erledigt werden. Noch bei relativ entwickelten Güterbesitzverhältnissen kann ein gesonderter politischer Verband und können selbst alle Organe eines solchen völlig fehlen. So etwa in der ethnischen Zeit der Araber nach der Darstellung Wellhausens.1 Außer den Sippen mit ihren Ältesten (Scheichs) existiert hier keinerlei außerhäusliche geordnete Dauergewalt. Denn die Einverständnisgemeinschaft der jeweils zusammenwohnenden, wandernden und weidenden Schwärme, welche dem Sicherheitsbedürfnis entspringt, entbehrt der Sonderorgane, ist prinzipiell labil, und alle Autorität im Fall eines feindlichen Zusammenstoßes ist Gelegenheitsautorität. Dieser Zustand bleibt unter allen Arten von Wirtschaftsordnungen sehr lange bestehen. Die regulären, dauernd vorhandenen Autoritäten sind die Familienhäupter und Sippenältesten, daneben die Zauberer und Orakelspender. Zwischen den Sippenältesten werden unter Beihilfe der Zauberer etwaige Streitigkeiten unter den Sippen geschlichtet. Der Zustand entspricht den ökonomischen Lebensformen des Beduinentums. Wie dieses selbst, ist er keineswegs etwas besonders Urwüchsiges. Wo die Art der Siedelung wirtschaftliche Aufgaben erzeugt, welche einer über Sippe und Haus hinausgreifenden dauernden Fürsorge bedürfen, entsteht der Dorfhäuptling, er ist oft aus den Zauberern, speziell den Regenmachern, genommen oder ein besonders erfolgreicher Führer auf Beutezügen. Wo die Appropriation der Besitzer weit vorgeschritten ist, erlangt jeder durch Besitz und entsprechende Lebensführung ausgezeichne-

a - a (S. 217) Petitdruck in A. 1 Die Angabe „ethnische Zeit" bezieht sich auf die vorislamische Epoche. Vor den islamischen Staatsgründungen galt der Stamm, der einen Zusammenschluß mehrerer Sippen darstellte, als oberste politische Einheit der Araber. Außer im Kriegsfall hatte der Stamm jedoch keinerlei staatliche Funktionen. Die Stammesführer bestimmten in erster Linie die Wanderungszüge und hatten ansonsten eine vermittelnde Funktion bei inneren Streitigkeiten zwischen den Sippen, ohne daß ihre Anweisungen bindenden Charakter gehabt hätten. Vgl. Wellhausen, Gemeinwesen, S . 3 - 8 ; ders., Das arabische Reich, S.3.

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te Mann leicht diese Stellung. Aber nur in außerordentlichen Zeiten und dann ausschließlich kraft seiner ganz persönlichen Qualitäten magischer oder sonstiger Art kann er eine wirkliche Autorität ausüben. Sonst, speziell bei chronischem Frieden, hat er in aller Regel nur die Stellung des mit Vorliebe gewählten Schiedsrichters, und seine Anweisungen werden nur wie Ratschläge befolgt. Keineswegs selten ist das Fehlen jeglichen derartigen Häuptlings in friedlichen Zeiten: das Einverständnishandeln der Nachbarn reguliert sich durch den Respekt vor dem Herkommen, die Angst vor der Blutrache und vor dem Zorn der magischen Gewalten. Jedenfalls aber sind die Funktionen des Friedenshäuptlings inhaltlich weit vorwiegend ökonomische (Regulierung der Ackerbestellung) und eventuell magisch-therapeutische und schiedsrichterliche, ohne daß im einzelnen ein fester Typus für sie bestände. Immer gilt als legitime Gewaltsamkeit nur die Anwendung derjenigen Gewaltmittel seitens des Häuptlings und in den Fällen, welche dem festen Herkommen entsprechen, und zu ihrer Anwendung ist er auf die freiwillige Mithilfe der Genossen angewiesen. Diese sich zu sichern ist er um so leichter in der Lage, je mehr magisches Charisma und ökonomische Prominenz ihm zur Seite stehen. 3 I

a (S. 216) - a

Petitdruck in A.

[Machtprestige und Nationalgefühl]

Editorischer Bericht Zur

Entstehung

In d e m v o r l i e g e n d e n Text finden sich drei konkrete Datierungshinweise. Weber schreibt, daß „ d e n Chinesen [...] noch vor 15 Jahren gute Kenner d e s Ostens die Qualität der .Nation'" a b g e s p r o c h e n haben u n d daß „heute [...] das Urteil nicht nur der führenden chinesischen Politiker, s o n d e r n a u c h ganz d e r s e l b e n Beobachter anders lauten" würde, 1 und bezieht sich damit auf eine Entwicklung, die nach d e m c h i n e s i s c h - j a p a n i s c h e n Krieg 1 8 9 4 1895 in China einsetzte. Wegen des von chinesischer Seite unerwartet verlorenen Krieges bildete sich eine R e f o r m b e w e g u n g , die westliche Staatsvorstellungen mit chinesischen Traditionen zu v e r b i n d e n suchte. Eine Voraussetzung dafür war die Abkehr von der Vorstellung eines c h i n e s i s c h e n Universalstaates und die A n e r k e n n u n g der internationalen O r d n u n g als eines Systems gleichberechtigter Nationalstaaten. Im Z u g e dieser Veränderungen entstand innerhalb bestimmter chinesischer Kreise erstmals eine Art von Nationalgefühl, was vor d e m Krieg nicht greifbar g e w e s e n war. Europäische Beobachter nahmen daher an, daß China mit d e m A n w a c h s e n der R e f o r m b e w e g u n g im Begriff g e w e s e n sei, eine Nation zu w e r d e n . 2 Im Text ist weiterhin die Rede davon, daß die „.Kreuzzeitung' [...] vor 60 Jahren [...] die Intervention des Kaisers von Rußland in innerdeutsche Fragen" g e w ü n s c h t habe. 3 Ein Artikel in der „Neuen Preußischen Zeitung" (Kreuzzeitung) v o m 30. April 1850 weist im Z u s a m m e n h a n g einer Erörterung einer eventuellen Unterdrückung der Revolution von 1848/49 durch eine russische Intervention tatsächlich darauf hin, daß es „wahrhaft d e u t s c h [sei] lieber v o m Kaiser Nicolaus befreit, als von Hecker und Struve, von Wald e c k und Held, von Voigt u n d Rüge g e k n e c h t e t zu werden." 4

1 Vgl. unten, S. 244. 2 Vgl. Franke, Otto, Ostasiatische Neubildungen. Beiträge zum Verständnis der politischen und kulturellen Entwicklungs-Vorgänge im Fernen Osten. - Hamburg: C. Boysen 1911, S.7, 14ff., 41 (hinfort: Franke, Ostasiatische Neubildungen). In diesem Sammelband sind verschiedene ältere Aufsätze Frankes neu herausgegeben worden. 3 Vgl. unten, S.245. 4 Neue Preußische Zeitung, Nr. 97 vom 30. April 1850, S. 1.

Editorischer

Bericht

219

Für sich g e n o m m e n könnten diese beiden Z a h l e n a n g a b e n durchaus gewisse Ungenauigkeiten beinhalten, was vor allem für die A n g a b e „60 Jahre" in bezug. auf den Artikel in der „Kreuzzeitung" gilt. In ihrer Kombination erg e b e n sie j e d o c h einen zuverlässigen Anhaltspunkt für eine Datierung der Entstehung des Textes um das Jahr 1910. Außerdem geht Weber auf „die G e s c h i c h t e des letzten Jahrzehnts, speziell der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich" ein, 5 ohne die 2. Marokkokrise v o m Sommer 1911 zu erwähnen, was mit Sicherheit der Fall g e w e s e n wäre, wenn der Text nach d e m Juni 1911 n i e d e r g e s c h r i e b e n w o r d e n wäre. Die interne Verweisstruktur läßt den Schluß zu, daß der g e s a m t e Text in einem A r b e i t s g a n g verfaßt wurde. Z u Beginn findet sich ein Vorverweis auf den „Nationalstolz", der sich eindeutig am Ende des Textes bei der B e h a n d lung der Prestigeinteressen auflösen läßt. 6 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g bezieht sich Weber auf die „ s c h o n erörterten" wirtschaftlichen Motive imperialistischer Politik, die tatsächlich weiter vorne behandelt w e r d e n . 7 Eindeutige Verweise auf andere A b s c h n i t t e von „Wirtschaft und Gesellschaft" finden sich nicht, mit A u s n a h m e eines Verweises auf die „Ethnischen Gemeinschaften", der die Entstehung eines ethnischen Gemeinsamkeitsgefühls aus einer Sprach- und A b s t a m m u n g s g e m e i n s c h a f t heraus betrifft. 8 In den dortigen Passagen über die „Nation" hat Weber die Entwicklung ethnischer G e m e i n s c h a f t e n hin zur Nation e i n g e h e n d dargestellt. Es bestehen weitgehende inhaltliche Ü b e r e i n s t i m m u n g e n mit d e m v o r l i e g e n d e n Text. 9 In der Disposition von 1914 hatte Weber im 7. Kapitel hinter den A b s c h n i t ten „Stände", „Klassen" und „Parteien" einen g e s o n d e r t e n A b s c h n i t t „Die Nation" vorgesehen, d o c h ist diese A b s i c h t nicht zur A u s f ü h r u n g gelangt. 1 0 Sowohl die A u s f ü h r u n g e n über die „Nation" in d e n „Ethnischen Gemeinschaften" 1 1 als a u c h der hier mitgeteilte Text müssen als Vorfassungen für diesen offenbar g e p l a n t e n e i g e n s t ä n d i g e n Abschnitt „Die Nation" angesehen werden. Der n a c h f o l g e n d e Text ist d e m n a c h einer früheren Bearbeit u n g s p h a s e von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" zuzurechnen. Seine inhaltliche Nähe zu d e m A b s c h n i t t „Politische Gemeinschaften" hatte s c h o n Marianne Weber zu der Ü b e r l e g u n g veranlaßt, b e i d e Texte in einem A b s c h n i t t

5 Vgl. unten, S.224. 6 Ebd., Anm. 4. 7 Vgl. unten, S.240, Anm. 32. 8 Vgl. unten, S.243, Anm. 39. 9 Vgl. den Text „Ethnische Gemeinschaften", oben, S. 185-190. 10 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Ethnische Gemeinschaften", oben, S. 165. 11 Ebd.

220

Machtprestige und

Nationalgefühl

z u s a m m e n z u f a s s e n . 1 2 Spätestens seit 1914 hätte der Text d u r c h eine Neuf a s s u n g ersetzt w e r d e n sollen.

Zur Überlieferung

und Edition

Der n a c h s t e h e n d e Text weist eindeutig fragmentarischen Charakter auf, d a er mitten im Satz a b b r i c h t . 1 3 Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung z u g r u n d e gelegt, die in d e m H a n d b u c h : Grundriß der Sozialökonomik, A b teilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Lieferung. - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 6 1 9 - 6 3 0 , erschienen ist (A). Der dort v e r w e n d e t e Titel „ M a c h t g e b i l d e . .Nation'", für den sich bei Weber selbst keine Entsprechung findet, ist aller Wahrscheinlichkeit nach von den Erstherausgebern gewählt worden. In d e m n a c h f o l g e n d e n Text wird jed o c h vor allem d a s Verhältnis von „ M a c h t p r e s t i g e u n d Nationalgefühl" behandelt; daher sahen die H e r a u s g e b e r Anlaß zu einer e n t s p r e c h e n d e n Modifikation des Titels. Die in der Disposition von 1914 aufgeführte Bezeichnung „Die Nation" wird hier nicht ü b e r n o m m e n , d a es sich bei d e m vorlieg e n d e n Text allenfalls um eine frühe Vorfassung des dort ins A u g e gefaßten A b s c h n i t t e s über „Nation" handelt. Die Überschrift „Machtprestige und Nationalgefühl" wird als H e r a u s g e b e r r e d e in e c k i g e Klammern gesetzt u n d der Titel des Erstdrucks im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Paragraphentitel des Textes können a n g e s i c h t s der weitreichenden Einwirkung der Erstherausgeber auf die Gestaltung der Titel innerhalb von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" nicht als authentisch gelten. Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls von d e n Erstherausgebern e i n g e f ü g t w o r d e n . 1 4 In der ersten Auflage von „Wirtschaft u n d Gesellschaft" war der hier mitgeteilte Text in drei P a r a g r a p h e n gegliedert. Der Titel „§ 1. M a c h t p r e s t i g e und .Großmächte'" bringt den Inhalt der entsprechend e n Passagen nur unzureichend z u m A u s d r u c k u n d engt die Allgemeinheit von W e b e r s Darstellung u n a n g e m e s s e n ein. Regelrecht irreführend ist der Titel „ § 2 . Die wirtschaftlichen G r u n d l a g e n d e s .Imperialismus'". In d i e s e m Text wird g e r a d e n a c h g e w i e s e n , daß imperialistische Expansion keinesw e g s ausschließlich ö k o n o m i s c h motiviert war. Vielmehr wird in d e m A b schnitt gezeigt, daß imperialistische Expansion in aller Regel durch eine

12 Vgl. die Beilage zu dem Brief Marianne Webers an Oskar Siebeck vom 25. März 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. 13 Vgl. unten, S.247. 14 Vgl. die Einleitung, oben, S. 60-65.

Editorischer

Bericht

221

Vielzahl von sozialen und sozialpsychologischen Faktoren ausgelöst wird. Die Beschränkung auf den ökonomischen Aspekt im Titel läuft den Intentionen des Textes zuwider. Der Titel „§ 3. Die .Nation'" ist für den entsprechenden Abschnitt viel zu allgemein. Hier wird das Nationalgefühl als eine besondere Form emotionaler Befindlichkeiten eingeführt, die als Motivation expansiver Machtpolitik aufzutreten pflegt. Dabei wird die Nationsidee als eine spezifische Variante des Macht-Prestiges politischer Gemeinschaften beschrieben, insbesondere in der Form eines vornehmlich von den Intellektuellen getragenen und von ihnen propagierten, national definierten, KulturPrestiges. Überdies unterbricht der Paragraphentitel den Gang der Darlegung in syntaktisch störender Weise. In dem letzten Satz vor der Unterbrechung durch einen neuen Paragraphen ist von einer „emotionalen Beeinflussung" der „Massen" die Rede. Der erste Satz nach dem eingeschobenen Paragraphentitel schließt hier unmittelbar an. Dort heißt es: „Das Pathos dieser emotionalen Beeinflussung aber ist dem Schwerpunkt nach nicht ökonomischen Ursprungs [...]." 1 5 Es ist davon auszugehen, daß es in den nachgelassenen Manuskripten zu den Texten über die „Gemeinschaften" überhaupt keine Paragraphentitel gegeben hat. 1 6 Daher wird hier auf die Wiedergabe der Paragraphentitel verzichtet. Die Überschriften der ersten Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" werden jedoch im textkritischen Apparat mitgeteilt. Die Paragraphengliederung als solche wird durch Leerzeilen optisch kenntlich gemacht. Eine Zählung erfolgt nicht. Die Anmerkungen der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, hingegen im textkritischen Apparat mitgeteilt. Die Emendationen stützen sich teilweise auf Änderungen, die bereits Johannes Winckelmann (Hg.), Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen: J.C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, vorgenommen hat.

15 Vgl. unten, S.240. 16 Vgl. die Einleitung, oben, S. 63f.

A 619

a [Machtprestige

und Nationalgefühl] a

Alle politischen Gebilde sind Gewaltgebilde. A b e r Art und Maß der Anwendung oder Androhung von Gewalt nach außen, anderen gleichartigen Gebilden gegenüber, spielt für Struktur und Schicksal politischer Gemeinschaften eine spezifische Rolle. Nicht jedes politische Gebilde ist in gleichem Maße „expansiv" in dem Sinn, daß es Macht nach außen, d. h. Bereithalten von Gewalt zwecks Erwerbs der politischen Gewalt über andere Gebiete und Gemeinschaften, sei es in Form von Einverleibung oder Abhängigkeit^ anstrebt. Die politischen Gebilde sind also in verschiedenem Umfang nach außen gewendete Gewaltgebilde. Die Schweiz, als ein durch Kollektivgarantie der großen Machtgebilde „neutralisiertes", außerdem auch teils (aus verschiedenen Gründen) nicht sehr stark zur Einverleibung begehrtes, teils und vor allem durch gegenseitige Eifersucht von unter sich gleich mächtigen Nachbargemeinschaften davor geschütztes politisches Gebilde 1 und das relativ wenig bedrohte Norwegen sind es weniger als das kolonialbesitzende Holland, dies weniger als Belgien wegen dessen besonders bedrohtem Kolonialbesitz 2 und eigener militärischen Bedrohtheit im Fall eines Kriegs seiner mächtigen Nachbarn, und auch als Schweden. Politische Gebilde können also in ihrem Verhalten nach außen mehr „autonomistisch" oder mehr „expansiv" gerichtet sein und dies Verhalten wechseln.

a In A lautet die Überschrift: Kapitel III. Machtgebilde. „Nation". Ihr folgt der Hinweis der Erstherausgeber: (Unvollendet), und die Überschrift: § 1. Machtprestige und „Großmächte". 1 Seit der frühen Neuzeit dienten schweizerische Söldner in so bedeutendem Umfang in allen europäischen Armeen, daß keine Großmacht gewillt war, die Kontrolle über diesen Rekrutierungspool einer konkurrierenden Macht zu überlassen. Auf dem Wiener Kongreß 1815 garantierten die Großmächte die Neutralität der Schweiz, unter der Bedingung, daß eine nationale Armee aufgebaut würde, die in der Lage sei, ausländischen Truppen den Durchzug durch das Schweizer Staatsgebiet zu verwehren. 2 Dies bezieht sich auf den belgischen Kongo, der 1908 in den Besitz des belgischen Staates überging. Frankreich besaß seit 1885 ein Vorkaufsrecht auf den belgischen Kongo. Gleichwohl bemühte sich Reichskanzler v. Bethmann Hollweg in Verhandlungen mit Großbritannien, einen eventuellen Erwerb des Kongo durch Deutschland anzubahnen.

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Alle „Macht" politischer Gebilde trägt in sich eine spezifische Dynamik: sie kann die Basis für eine spezifische „Prestige"-Prätension ihrer Angehörigen werden, welche ihr Verhalten nach außen beeinflußt. Die Erfahrung lehrt, daß Prestigeprätensionen von jeher einen schwer abzuschätzenden, generell nicht bestimmbaren, aber sehr fühlbaren Einschlag in die Entstehung von Kriegen gegeben haben: ein Reich der „Ehre", „ständischer" Ordnung vergleichbar, erstreckt sich auch auf die Beziehungen der politischen Gebilde untereinander; feudale Herrenschichten, ebenso wie moderne Offiziers- oder Amtsbürokraten sind die naturgemäßen primären Träger dieses rein an der Macht des eigenen politischen Gebildes als solcher orientierten „Prestige"-Strebens. Denn Macht des eigenen politischen Gebildes bedeutet für sie eigene Macht und eigenes machtbedingtes Prestigegefühl, Expansion der Macht nach außen aber außerdem noch für die Beamten und Offiziere Vermehrung der Amtsstellen und Pfründen, Verbesserung der Avancementschancen (für den Offizier selbst im Fall eines verlorenen Krieges), für die Lehensmannen Gewinnung von neuen lehnbaren Objekten zur Versorgung ihres Nachwuchses: diese Chancen (nicht, wie man wohl gesagt hat, die „Übervölkerung") rief Papst Urban in seiner Kreuzzugsrede auf. 3 Aber über diese naturgemäß und überall vorhandenen direkten ökonomischen Interessen der von der Ausübung politischer Macht lebenden Schichten hinaus ist dies „Prestige"-Streben eine innerhalb aller spezifischen Machtgebilde und daher auch der politischen verbreitete Erscheinung. Es 3 Die These, daß die Kreuzzüge durch „Übervölkerung" ausgelöst w o r d e n seien, geht wahrscheinlich auf Kugler, Bernhard, Geschichte der Kreuzzüge. Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, 2. Hauptabt., 5. Teil. - Berlin: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1880, S. 7, zurück. In der mediävistischen Forschung wurde diese Ansicht j e d o c h nicht rezipiert. Nach d e m Bericht des Baldricus von Dôle, einem der vier Textzeugen der Kreuzzugspredigt, stellte Papst Urban II. den Kreuzfahrern Erwerbschancen im Heiligen Land in Aussicht. Vgl. Baldricus Eplscopus Dolensis, Historia Jerosolimitana, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, tome quatrième. - Paris: Imprimerie Nationale 1879, S. 15 C. Allerdings wies Urban nach Robert d e m M ö n c h darauf hin, daß das Heilige Land w e g e n seiner natürlichen Beschaffenheit g e r a d e keinen materiellen Gewinn verspreche. Vgl. Robertus Monachus, Historia Iherosolimitana, ebd., tome troisième. Paris: Imprimerie Impériale 1866, S. 728 E. Man kann aber aufgrund der Deutung der Texte durch andere Quellen davon ausgehen, daß der erste Kreuzzug vor allem für die französische Ritterschaft attraktiv war, die seit Beginn des 11. Jahrhunderts von erhöhten A b g a belasten, Hungersnöten, Rechtsunsicherheit und Preissteigerung besonders betroffen war.

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A 620 ist nicht | einfach mit dem „Nationalstolz" - von dem später zu reden ist4 - und auch nicht mit dem bloßen „Stolz" auf wirkliche oder geglaubte Vorzüge oder auf den bloßen Besitz eines eigenen politischen Gemeinwesens identisch. Dieser Stolz kann, wie bei den Schweizern und Norwegern, sehr entwickelt, aber praktisch rein autonomistisch und von politischen Prestigeprätensionen frei sein, während das reine Machtprestige, als „Ehre der Macht", praktisch: die Ehre der Macht über andere Gebilde, die Machtexpansion, wenn auch nicht immer in Form der Einverleibung oder Unterwerfung, bedeutet. Naturgegebene Träger dieser Prestigeprätension sind die quantitativ großen politischen Gemeinschaften. Jedes politische Gebilde zieht naturgemäß schon an sich die Nachbarschaft schwacher politischer Gebilde derjenigen starker vor. Und da überdies jede große politische Gemeinschaft, als potentieller Prätendent von Prestige, also eine potentielle Bedrohung für alle Nachbargebilde bedeutet, so ist sie zugleich selbst ständig latent bedroht, rein deshalb, weil sie ein großes und starkes Machtgebilde ist. Und vollends jedes Aufflammen der Prestigeprätensionen an irgendeiner Stelle - normalerweise die Folge akuter politischer Bedrohung des Friedens - ruft kraft einer unvermeidlichen „Machtdynamik" sofort die Konkurrenz aller anderen möglichen Prestigeträger in die Schranken: die Geschichte des letzten Jahrzehnts b , speziell der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich, 5 zeigt die eminente Wirkung dieses irrationalen Elements aller politischen Außenbeziehungen. Da das Prestigegefühl zugleich den für die Zuversichtlichkeit im Fall des Kampfs wichtigen pathetischen Glauben an die reale Existenz der eigenen Macht zu stärken geeignet ist, so sind die spezifischen Interessenten jedes politischen Machtgebildes geneigt, jenes Gefühl systematisch zu pflegen. Jene politischen Gemeinschaften, welche jeweilig als Träger des Machtb In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: Herausgeb.)

Vor dem Weltkrieg. (Anm. d.

4 Siehe unten, S. 240f. 5 Gemeint ist das Jahrzehnt seit der J a h r h u n d e r t w e n d e mit der ersten Marokkokrise. Der d e u t s c h e Einspruch g e g e n die französische Machtausweitung in Marokko 190'5, bei d e m auf deutscher Seite keine konkreten territorialen W ü n s c h e oder Kompensationsforderungen im Spiel waren, kann als ein typisches Beispiel von Prestigepolitik dienen, die einem anderen Staat g e g e n ü b e r nur den A n s p r u c h geltend m a c h e n will, in allen w i c h t i g e n weltpolitischen Fragen mitzusprechen.

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prestiges auftreten, pflegt man heute „Großmächte" zu nennen. Innerhalb eines jeden Nebeneinanders 0 politischer Gemeinschaften pflegen sich einzelne als „Großmächte" eine Interessiertheit an politischen und ökonomischen Vorgängen eines großen, heute meist eines die ganze Fläche des Planeten umfassenden, Umkreises zuzuschreiben und zu usurpieren. Im hellenischen Altertum war der „König", d. h. der Perserkönig, trotz seiner Niederlage die anerkannteste Großmacht. 6 A n ihn wendete sich Sparta, um unter seiner Sanktion der hellenischen Welt den Königsfrieden (Frieden des Antalkidas) zu oktroyieren. 7 Später, vor der Schaffung eines römischen Weltreichs, usurpierte das römische Gemeinwesen eine solche Rolle. Großmachtgebilde sind aus allgemeinen Gründen der „Machtdynamik" allerdings rein als solche sehr oft zugleich expansive, d. h. auf gewaltsame oder durch Gewaltdrohung erzielte Ausdehnung des Gebietsumfangs der eigenen politischen Gemeinschaft eingestellte Verbände. A b e r sie sind es dennoch nicht notwendig und immer. Ihre Haltung in dieser Hinsicht wechselt oft, und dabei spielen in sehr gewichtiger Art auch ökonomische Momente mit. Die englische Politik z. B. hatte zeitweise ganz bewußt auf weitere politische Expansion und selbst auf die Festhaltung der Kolonien durch Gewaltmittel verzichtet, zugunsten einer „kleinenglischen", politisch autonomistischen, Beschränkung auf den für unerschütterlich gehaltenen ökonomischen Primat. 8 Gewichtige Repräsentanten der römischen Honoratiorenherrschaft hätten nach den punischen Kriegen gern ein ähnliches „kleinrömisches" Programm: Beschränkung der politischen Unterwerfung auf Italien

c A: Nebeneinander 6 D i e s b e z i e h t s i c h auf d i e g e s c h e i t e r t e n V e r s u c h e d e r P e r s e r k ö n i g e D a r e i o s u n d X e r x e s in d e n J a h r e n 4 9 0 b z w . 4 8 0 / 4 7 9 v. Chr., d a s g r i e c h i s c h e F e s t l a n d ihrem R e i c h e i n z u g l i e dern. 7 Mit p e r s i s c h e r Hilfe z w a n g S p a r t a s e i n e G e g n e r , allen v o r a n A t h e n , 3 8 6 v . C h r . z u m Abschluß des nach dem spartanischen Verhandlungsführer benannten Antalkides- oder K ö n i g s f r i e d e n s , in d e m allen g r i e c h i s c h e n S t a a t e n ihre U n a b h ä n g i g k e i t g a r a n t i e r t w u r d e . Die Einhaltung der F r i e d e n s b e s t i m m u n g e n garantierte der persische Großkönig. 8 D i e s b e z i e h t s i c h auf d i e Ä r a d e s s o g e n a n n t e n F r e i h a n d e l s i m p e r i a l i s m u s d e r Zeit n a c h 1815, in d e r j e g l i c h e territoriale E r w e i t e r u n g d e s b r i t i s c h e n E m p i r e a b g e l e h n t u n d z e i t w e i lig s e l b s t d i e A b l ö s u n g d e r D o m i n i o n s v o n d e r b r i t i s c h e n H e r r s c h a f t b e g r ü ß t w u r d e , s o l a n g e Im Z e i c h e n d e s F r e i h a n d e l s d e r u n e i n g e s c h r ä n k t e w i r t s c h a f t l i c h e Z u g a n g z u d e n ü b e r s e e i s c h e n M ä r k t e n g e w ä h r l e i s t e t war.

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und die Nachbarinseln, durchgeführt. 9 Die spartanische Aristokratie hat die politische Expansion ganz bewußt autonomistisch beschränkt, soweit sie konnte, und sich mit der Zertrümmerung aller ihrer Macht und ihrem Prestige bedrohlichen, anderen politischen Bildungen zugunsten des Städtepartikularismus begnügt. In sol- 5 chen und den meisten ähnlichen Fällen pflegen mehr oder minder klare Befürchtungen der herrschenden Honoratiorenschichten des römischen Amtsadels, der englischen und anderer liberalen Honoratioren, der spartiatischen Herrenschichten - gegen die mit dem chronisch erobernden „Imperialismus" sehr leicht verbünde- 10 nen Tendenzen zugunsten der Entwicklung eines „Imperator", d. h. A 621 charismatischen Kriegsfürsten auf Kosten | der eigenen Machtstellung der Honoratioren, im Spiel zu sein. Die englische wie die römische Politik aber wurden nach kurzer Zeit, und zwar mit durch kapitalistische Expansionsinteressen[,] aus ihrer Selbstbeschrän- 15 kung wieder herausgezwungen und zur politischen Expansion genötigt. 0 Man könnte geneigt sein zu glauben, daß überhaupt die Bildung und ebenso die Expansion von Großmachtgebilden stets primär ökonomisch bedingt sei. Am nächsten liegt die Generalisierung der 20 in einzelnen Fällen in der Tat zutreffenden Annahme, daß ein bereits bestehender, besonders intensiver Güterverkehr in einem Gebiet die normale Vorbedingung und auch der Anlaß seiner politischen Einigung sei. Das Beispiel des Zollvereins 10 liegt äußerst nahe, und es gibt zahlreiche andere. Allein genaueres Zusehen ver- 25 rät sehr oft, daß dieser Zusammenfall kein notwendiger und das d In A folgt die Zwischenüberschrift: § 2. D i e wirtschaftlichen Grundlagen des „Imperialismus". 9 Bald nach Beendigung des 2. Punischen Krieges setzte in Rom eine Diskussion ein, ob eine weitere Expansion durchführbar sei. Cato trat 167 v. Chr. zwar für die Zerstörung des makedonischen Königreiches ein, lehnte aber eine Annexion ab, weil diese Provinz nicht zu verteidigen sei. Im 3. Punischen Krieg war die Zerstörung Karthagos umstritten und Cato mußte starke Widerstände In Teilen des römischen Senats überwinden, die sich auf den Erhalt des vorhandenen Reiches beschränken wollten. Vgl. Diodor, 34, 33, 4 - 6 . 1 0 Die am 1. Januar 1834 begonnene handelspolitische Einigung der deutschen Einzelstaaten durch den deutschen Zollverein führte zunächst vor allem zu einer Senkung der Warenzölle. Rückblickend wurde der Zollverein oft als Vorentscheidung für die Entstehung eines kleindeutschen Nationalstaats angesehen, obwohl mit Hamburg und Bremen erst 1888 die letzten Bundesstaaten beitraten und erst nach dem Austritt Luxemburgs 1919 seine Ausdehnung mit den Reichsgrenzen übereinstimmte.

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Kausalverhältnis keineswegs eindeutig gerichtet ist. Was z.B. Deutschland anbelangt, so ist es zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, d. h. einem Gebiet, dessen Insassen den Absatz der von ihnen erzeugten Güter in erster Linie auf dem eigenen Markt suchen, erst durch die in ihrem Verlauf rein politisch bedingten Zollinien an seinen Grenzen zusammengeschlossen worden. Das, bei einem gänzlichen Fortfall aller Zollschranken gegebene, also rein ökonomisch determinierte Absatzgebiet der kleberarmen 11 ostdeutschen Getreideüberschüsse war nicht der deutsche Westen, sondern der englische Markt. Die Berg- und Hüttenprodukte und die schweren Eisenwaren des deutschen Westens hatten ihren rein ökonomisch determinierten Markt keineswegs im deutschen Osten und dieser seine rein ökonomisch determinierten Lieferanten von Gewerbeprodukten zumeist nicht im deutschen Westen. Vor allem wären und sind zum Teil auch noch nicht die inneren Verkehrslinien (Eisenbahnen) Deutschlands die ökonomisch determinierten Transportwege für spezifisch schwere Güter zwischen Osten und Westen. Der Osten wäre dagegen ökonomischer Standort für starke Industrien, deren rein ökonomisch determinierter Markt und Hinterland der ganze Westen Rußlands wäre und welche jetzt63 durch die russischen Zollschranken unterbunden und unmittelbar hinter die russische Zollgrenze nach Polen verschoben sind. 12 Durch diese Entwicklung ist bekanntlich der politische Anschluß der russischen Polen an die russische Reichsidee, der rein politisch eine Unmöglichkeit schien, in denf Bereich des Möglichen gerückt. Hier wirken also rein ökonomisch determinierte Marktbeziehungen politisch zusammenschließend. Aber Deutschland ist entgegen den rein ökonomischen Determinanten politisch geeinigt. Derartie In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: ' ) V o r 1914 g e s c h r i e b e n . ( A n m . d.

Herausgeb.)

f A: das

11 „Kleber" bezeichnet ein G e m e n g e von Eiweißstoffen im Getreide. Der Klebergehalt im Mehl ist e n t s c h e i d e n d für die Backfähigkeit, wobei R o g g e n m e h l wenig, Weizenmehl dag e g e n viel Kleber enthält. 1 2 Nach der N i e d e r s c h l a g u n g der polnischen A u f s t a n d s b e w e g u n g im Jahre 1861 w u r d e d e n Polen Kongreßpolens ihr Sonderstatus innerhalb des zarischen Reichs, wie er in d e n Wiener Verträgen von 1815 garantiert w o r d e n war, g e n o m m e n . Ihr Land wurde in d e n russischen Gesamtstaat integriert und damit auch die Zollgrenzen e n t s p r e c h e n d vorverlegt. Als Folge dieser Entwicklung wurde Kongreßpolen ein integraler Bestandteil des zarischen Zollgebietes, mit e n t s p r e c h e n d e n Auswirkungen auf die Ausrichtung seiner außenwirtschaftlichen Beziehungen.

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fühl

ge Sachverhalte: daß die Grenzen einer politischen Gemeinschaft mit den rein geographisch gegebenen Standortsbedingungen im Konflikt liegen und ein nach ökonomischen Determinanten auseinanderstrebendes Gebiet umfassen, sind nichts Ungewöhnliches. Gegenüber den durch solche Situationen allerdings fast stets entstehenden ökonomischen Interessenspannungen ist das politische Band, wenn es einmal geschaffen ist, nicht immer, aber doch bei sonst günstigen Bedingungen (Sprachgemeinschaft), sehr oft so ungleich stärker, daß, wie z.B. in Deutschland, aus Anlaß jener Spannungen niemand an eine politische Trennung auch nur denkt. 9 Und so ist es auch nicht richtig, daß Großstaatenbildung immer auf den Bahnen des Güterexportes wandert, obwohl es uns heute, wo der Imperialismus (der kontinentale, russische und amerikanische, ebenso wie der überseeische: englische und diesem nachgebildete) regelmäßig, zumal in politisch schwachen Fremdgebieten, den Spuren schon vorhandener kapitalistischer Interessen folgt, naheliegt, die Dinge so anzusehen^] und obwohl er natürlich wenigstens für die Bildung der großen überseeischen Herrschaftsgebiete der Vergangenheit: im athenischen wie im karthagischen und römischen Überseereich[,j seine maßgebende Rolle spielte. Aber schon in diesen antiken Staatenbildungen sind doch andere ökonoA 622 mische Interjessen: namentlich das Streben nach Grundrenten-, Steuerpacht-, Amtssportel- und ähnlichem Gewinne mindestens von gleicher, oft weit größerer Bedeutung wie Handelsgewinnste. Innerhalb dieses letzteren Motivs der Expansion wiederum tritt sehr stark zurück das, im modern-kapitalistischen Zeitalter, vorwaltend beherrschende „Absatz"-Interesse nach den Fremdgebieten gegenüber dem Interesse an dem Besitz von Gebieten, aus welchen Güter (Rohstoffe) in das Inland importiert werden. Bei den großen Flächenstaatenbildungen des Binnenlandes vollends war in der Vergangenheit eine maßgebende Rolle des Güterverkehrs durchaus nicht die Regel. Am stärksten bei den orientalischen Flußuferstaaten, 13 besonders Ägypten, die darin den Überseestaag - g (S. 231) Petitdruck in A. 13 Gemeint sind neben Ägypten, dessen Kernland sich entlang des Nils über das von der Nilschwemme betroffene, landwirtschaftlich nutzbare Gebiet erstreckte, das babylonische Reich sowie dessen Nachfolgestaaten im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris.

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ten ähnlich geartet waren. Aber etwa das „Reich" der Mongolen, in welchem für die Zentralverwaltung die Beweglichkeit der herrschenden Reiterschicht die fehlenden sachlichen Verkehrsmittel ersetzte, 14 - ruhte gewiß nicht auf intensivem Güterverkehr. Auch das chinesische wie das persische und das römische Reich der Kaiserzeit nach seinem Übergang vom Küsten- zum Kontinentalreich, erstanden und bestanden nicht auf der Basis eines schon früher vorhandenen besonders intensiven Güterbinnenverkehrs oder besonders hochentwickelter Verkehrsmittel. Die römische kontinentale Expansion war zwar sehr stark durch kapitalistische Interessen mitbedingt (nicht etwa: ausschließlich kapitalistisch bedingt). Aber diese kapitalistischen Interessen waren vor allem doch solche von Steuerpächtern, Amtsjägern und Bodenspekulanten, nicht aber in erster Linie von Interessenten eines besonders hochentwickelten Güterverkehrs. Der persischen Expansion haben überhaupt keinerlei „kapitalistische" Interessenten weder als Triebkraft oder Schrittmacher gedient, ebensowenig wie den Schöpfern des Chinesenreichs, noch denen der Karolingermonarchie. Natürlich fehlte auch hier die wirtschaftliche Bedeutung des Güterverkehrs keineswegs überhaupt; aber andere Motive: Vermehrung der fürstlichen Einkünfte, Pfründen, Lehen, Ämter und soziale Ehren für die Lehensmannen, Ritter, Offiziere, Beamten, jüngeren Söhne von Erbbeamten usw. haben bei jeder politischen Binnenlandsexpansion der Vergangenheit und auch bei den Kreuzzügen mitgespielt. Die hier zwar nicht ausschlaggebend, aber allerdings bedeutend mitwirkenden Interessen der Seehandelsstädte traten erst sekundär hinzu: der erste Kreuzzug war dem Schwerpunkt nach eine Überlandkampagne. 15 Der Güterverkehr hat jedenfalls keineswegs der Regel nach der politischen Expansion die Wege gewiesen. Die Kausalbeziehung ist sehr oft umgekehrt. Diejenigen von den genannten Reichen, deren 14 Die mongolische Gesellschaftsordnung basierte auch nach der Auflösung der ursprünglichen Sippen- und Stammesstruktur und der Einführung neuer Verwaltungseinheiten (1000 Haushalte) durch Cinggis Qan auf dem mobilen Hirtennomadentum. Die Führer der einzelnen Bezirke hatten sich bei wichtigen Entscheidungen an zentralen Orten einzufinden. Vor allem zur Wahl des Großkhans mußte sich die gesamte Führungsschicht versammeln. 15 Zur Deutung des ersten Kreuzzuges als Instrument zur Versorgung der europäischen Ritter mit Ländereien vgl. oben, S. 223, Anm. 3.

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Verwaltung dazu technisch imstand war, haben ihrerseits sich die Verkehrsmittel, mindestens im Landverkehr, für die Zwecke ihrer Verwaltung erst geschaffen. Dem Prinzip nach nicht selten nur für diese Zwecke und ohne Rücksicht darauf, ob sie vorhandenen oder künftigen Bedürfnissen des Güterverkehrs zustatten kamen. Unter den heutigen Verhältnissen ist wohl Rußland dasjenige politische Gebilde, welches die meisten nicht primär ökonomisch, sondern politisch bedingten Verkehrsmittel (heute: Eisenbahnen) geschaffen hat. 16 Doch ist die österreichische Südbahn (ihre Papiere heißen noch immer, politisch erinnerungsbelastet: „Lombarden") 17 ebenfalls ein Beispiel, und gibt es wohl kein politisches Gebilde ohne „Militärbahnen". Immerhin sind zwar größere derartige Leistungen doch auch zugleich in der Erwartung eines auf die Dauer ihre Rentabilität garantierenden Verkehrs geschaffen. In der Vergangenheit lag es nicht anders. Bei den altrömischen Militärstraßen ist ein Verkehrszweck mindestens nicht beweisbar, bei den persischen und römischen Posten aber, die nur politischen Zwecken dienten, war es ganz sicher nicht der Fall. Trotzdem war auch in der Vergangenheit die Entwicklung des Güterverkehrs natürlich die normale Folge der politischen Einigung, welche ihn erst unter eine sichere Rechtsgarantie stellte. Ausnahmslos aber ist auch diese Regel nicht. Denn die Entwicklung des Güterverkehrs ist außer an Befriedung und formale Rechtssicherheit, auch an bestimmte wirtschaftliche Bedingungen (speziell die Entfaltung des Kapitalismus) gebunden, und es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Entfaltung durch die Art der Staatsverwaltung eines politischen Einheitsgebil16 Seit 1892 begann das zarische Rußland unter der Regierung des Grafen Witte überwiegend mit französischem Kapital den Ausbau der sogenannten Westbahnen, die in erster Linie militärischen Zwecken dienten. Für den Fall eines europäischen Krieges sollte die russische Mobilmachung beschleunigt werden. Besondere strategische Bedeutung hatte die zwischen 1891 und 1916 errichtete Transsibirische Elsenbahn für die Eingliederung Sibiriens in das russische Reich. 17 1856 wurde die Lombardisch-Venetlanische Staatsbahn privatisiert und entwickelte sich zur größten Eisenbahngesellschaft der k. u. k. Monarchie. Von der Abtretung der Lombardei an das Königreich Sardinien blieb die Bahngesellschaft zunächst unberührt, bis 1862 eine Trennung in nationale Gesellschaften und die Umbennung In „k. u. k. private Südbahngesellschaft" erfolgte. Während in Italien die ehemaligen Südbahnstrecken 1875 verstaatlicht wurden, bestand die österreichische Gesellschaft als bedeutendster privater Elsenbahnbetrieb der k. u. k. Monarchie bis nach dem Ersten Weltkrieg fort. In Erinnerung an die Geschichte der Gesellschaft und Ihre Bedeutung für die habsburglsche Herrschaft über die Lombardei wurden ihre Aktien an der Börse als „Lombarden" bezeichnet.

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des geradezu unterbunden wird, wie dies z. B. im späteren Römerreich der Fall war. Das an die Stelle des Städtebundes tretende, auf stark naturalwirtschaftlicher Basis ruhende Einheitsgebilde bedingte hier eine zunehmend leiturgische Aufbringung der Mittel 5 fürs Heer und die Verwaltung, welche den Kapitalismus direkt erstickte. 9 Bildet also der Güterverkehr als solcher keineswegs das ausschlaggebende Moment bei politischen Expansionen, so ist die Struktur der Wirtschaft im allgemeinen doch sowohl für das Maß 10 wie für die Art der politischen Expansion sehr stark mitbestimmend. „Urwüchsiges" Objekt der gewaltsamen Aneignung ist - neben Weibern, Vieh und Sklaven - vor allem der Grund und Boden, sobald er knapp wird. Bei erobernden bäuerlichen Gemeinschaften ist die direkte Landnahme unter Aus | rottung der bisherigen 15 bodensässigen Bevölkerung das Natürliche. Die germanische Völkerwanderung ist nur zu einem im ganzen mäßigen Teil so verlaufen, in geschlossener Masse wohl bis etwas über die heutige Sprachgrenze hinaus, im übrigen aber nur strichweise. Wie weit dabei eine durch Übervölkerung bedingte „Landnot" mitsprach 20 oder der politische Druck anderer Stämme oder einfach die gute Gelegenheit, muß dahingestellt bleiben: jedenfalls haben einzelne dieser zur Eroberung ausziehenden Gruppen sich noch lange Zeit hindurch ihre Fluranteilsrechte in der Heimat für den Fall der Heimkehr reservieren lassen. Der Grund und Boden des in mehr 25 oder minder gewaltsamer Form politisch einverleibten, bis dahin fremden Gebietes spielt aber auch bei anderen ökonomischen Strukturformen eine bedeutende Rolle für die Art, wie das Recht des Siegers ausgenützt wird. Die Grundrente ist, wie namentlich Oppenheimer mit Recht immer wieder betont hat, sehr oft Pro30 dukt gewaltsamer politischer Unterwerfung. 18 Bei naturalwirtschaftlicher und zugleich feudaler Struktur natürlich in der Art, daß die Bauernschaft des einverleibten Gebiets nicht ausgerottet, sondern umgekehrt geschont und den Eroberern als Grundherren g (S. 228) -g

Petitdruck in A.

18 Vgl. besonders Oppenheimer, Grossgrundeigentum, S. 10-42; ders., Der Staat, S. 104-108; ders., David Ricardos Grundrententheorie. Darstellung und Kritik. - Berlin: Georg Reimer 1909, S. 149-153; ders., Rodbertus' Angriff auf Ricardos Renten-Theorie und der Lexis-Diehl'sche Rettungsversuch. - Berlin: Georg Reimer 1908, S . 4 - 5 .

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zinspflichtig gemacht wird. Überall, wo das Heer nicht mehr ein auf Selbstausrüstung der Gemeinfreien gestellter Volksheerbann und noch nicht ein Sold- oder bürokratisches Massenheer, sondern ein auf Selbstausrüstung gestelltes Ritterheer ist: bei Persern, Arabern, Türken, Normannen und überhaupt okzidentalen Lehensmannen, ist dies geschehen. Aber auch bei handelsplutokratischen, erobernden Gemeinwesen bedeutet das Grundrenteninteresse überall sehr viel, denn da Handelsgewinnste mit Vorliebe in Grundbesitz und Schuldknechten „angelegt" wurden, so war die Gewinnung von fruchtbarem, grundrentefähigem Boden noch in der Antike das normale Ziel der Kriege. Der in der hellenischen Frühgeschichte eine Art von Epoche markierende „lelantische" Krieg wurde fast gänzlich zur See zwischen Handelsstädten geführt, Streitobjekt der führenden Patriziate von Chalkis und Eretria war aber ursprünglich die fruchtbare lelantische Flur.19 Der attische Seebund bot dem Demos der herrschenden Stadt neben Tributleistungen verschiedener Art als eins der wichtigsten Privilegien offenbar die Durchbrechung des Bodenmonopols der Untertanenstädte: das Recht der Athener, überall Boden zu erwerben und hypothekarisch zu beleihen. 20 In erster Linie das gleiche bedeutet, praktisch genommen, die Herstellung des „commercium"21 verbündeter 19 Die antiken Geschichtsschreiber betrachteten den Krieg zwischen Chalkis und Eretria um die zwischen diesen Städten auf der Insel Euboia gelegene lelantische Ebene als epochales Ereignis, weil außer am trojanischen Krieg und an den Perserkriegen nur an diesem Konflikt der Großteil der griechischen Staaten beteiligt gewesen sein soll. Vgl. Thukydides, 1, 15. Wegen der schlechten Überlieferungslage sind sowohl die Datierung (Ende 8. / Anfang 7. Jahrhundert v. Chr.) wie auch der Kriegsverlauf und die Kriegsziele umstritten. Die Interpretation als Wirtschaftskrieg war zu Webers Zeit anerkannte Forschungsmeinung. Die These, daß der Konflikt überwiegend als Seekrieg geführt wurde, konnte nicht nachgewiesen werden. In den Quellen finden sich hingegen besondere Regelungen für den Landkrieg (vertraglicher Verzicht auf den Gebrauch von Fernwaffen). Vgl. Strabo, 10, 1, 12. 20 In Athen wurden die Mitglieder des attischen Seebundes weniger als Bundesgenossen, sondern als Untertanen angesehen, die durch Garnisonen bzw. Kolonien kontrolliert werden mußten. Das Gebiet der Kolonien wurde zum attischen Staatsgebiet erklärt, In dem Vollbürger ebenso wie in Attika Land erwerben konnten. Seit 476 v.Chr. wurde neu gewonnenes Land aus dem Bund herausgelöst und für die Besiedlung durch attische Bürger freigegeben. Vgl. Meyer, Geschichte des Altertums, Band 4 (wie oben, S.87, Anm. 15), S. 15-20. 21 Das Commercium bezeichnet die Fähigkeit, nach römischem Recht gültige Handelsverträge abzuschließen und die daraus erzielten Gewinne zu behalten. Das Commercium stand jedem römischen Bürger zu, konnte allerdings als Bestrafung aberkannt werden. Bis in das 4. Jahrhundert v.Chr. erhielten nur latinische Gemeinden das Commercium; später wurde es auch an andere verbündete Städte vergeben.

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Städte mit Rom, und auch die Überseeinteressen der im römischen Einflußgebiet massenhaft verbreiteten Italiker waren sicherlich zum Teil Bodeninteressen wesentlich kapitalistischer Art, wie wir sie aus den verrinischen Reden kennen. 22 Kapitalistische Bodeninteressen können mit den bäuerlichen bei der Expansion in Konflikt geraten. Ein solcher hat in der langen Epoche der Ständekämpfe in Rom bis zu den Gracchen 23 bei der Expansionspolitik seine Rolle gespielt: die großen Geld-, Vieh- und Menschenbesitzer wünschten den neu gewonnenen Boden naturgemäß als öffentliches pachtbares Land (ager publicus) behandelt zu sehen, die Bauern, solange es sich um nicht zu entlegene Gebiete handelte, verlangten seine Aufteilung für die Landversorgung ihres Nachwuchses; die starken Kompromisse beider Interessen spiegeln sich in der im einzelnen gewiß wenig zuverlässigen Tradition doch deutlich wider h . Die überseeische Expansion Roms zeigt, soweit sie ökonomisch bedingt ist, Züge - und zwar in so ausgeprägter Art und zugleich so gewaltigem Maßstabe zum erstenmal in der Geschichte - , welche seitdem, in den Grundzügen ähnlich, immer wiederkehrten und noch heute wiederkehren. Sie sind einem, bei aller Flüssigkeit der Übergänge zu anderen Arten, dennoch spezifischen Typus kapitalistischer Beziehungen eigen, - oder vielmehr: sie bieten ihm die Existenzbedingungen, - den wir imperialistischen Kapitalismus nennen wollen. Es sind die kapitalistischen Interessen von Steuerpächtern, Staatsgläubigern, Staatslieferanten, staatlich privilegierten Außenhandelskapitalisten und Kolonialkapitalisten. Ihre Profi A: wieder 2 2 In d e n s o g e n a n n t e n verrinischen R e d e n aus d e m Jahre 70 v. Chr. b e s c h u l d i g t e C i c e r o d e n e h e m a l i g e n Statthalter von Sizilien, Verres, d e s A m t s m i ß b r a u c h s . Verres h a b e während seiner 3jährigen Prätur über 4 0 Mio. S e s t e r z e n veruntreut u n d d a b e i b e s o n d e r s die Landwirtschaft g e s c h ä d i g t . C i c e r o weist an mehreren Stellen darauf hin, daß g e r a d e in Sizilien viele r ö m i s c h e Bürger L a n d verpachtet hatten. Vgl. Cicero, Verres, II, 2, 6 - 7 , 149, 155; II, 3, 11, 5 9 - 6 1 , 95f. 2 3 A l s „ S t ä n d e k ä m p f e " b e z e i c h n e t die Literatur die A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n z w i s c h e n Patriziern und Plebejern im 5 . - 4 . Jahrhundert v.Chr., in deren Verlauf die Plebejer d a s Volkstribunat und die V o l k s v e r s a m m l u n g als v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e O r g a n e und die Zul a s s u n g v o n Plebejern z u d e n h ö c h s t e n Ämtern durchsetzten. Im 3. Jahrhundert v. Chr. setzte eine V e r a r m u n g der durch d e n K r i e g s d i e n s t belasteten B a u e r n ein, die g e g e n die G r o ß g r u n d b e s i t z e r nicht konkurrenzfähig waren, was s i c h w e g e n der S e l b s t a u s r ü s t u n g negativ auf die Rekrutierungsmöglichkeiten auswirkte. D i e s e Entwicklung v e r s u c h t e n Tiberius G r a c c h u s und sein jüngerer Bruder G a i u s als Volkstribunen in der Zeit von 1 3 3 121 v. Chr. d u r c h eine Umverteilung d e s S t a a t s l a n d e s aufzuhalten.

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fitchancen ruhen durchweg auf der direkten Ausbeutung politischer Zwangsgevvalten, und zwar expansiv gerichteter ZwangsgeA 624 walt. Der Erwerb überseeischer „Kolonien" seitens | einer politischen Gemeinschaft gibt kapitalistischen Interessenten gewaltige Gewinnchancen durch gewaltsame Versklavung oder doch glebae adscriptio 24 der Insassen zur Ausbeutung als Plantagenarbeitskräfte (in großem Maßstab anscheinend zuerst von den Karthagern organisiert, in ganz großem Stil zuletzt von den Spaniern in Südamerika, den Engländern in den amerikanischen Südstaaten und den Holländern in Indonesien), ferner zur gewaltsamen Monopolisierung des Handels mit diesen Kolonien und eventuell anderer Teile des Außenhandels. Die Steuern der neu okkupierten Gebiete geben, wo immer der eigene Apparat der politischen Gemeinschaft nicht zu ihrer Beitreibung geeignet ist - wovon später zu reden sein wird 25 - , kapitalistischen Steuerpächtern Gewinnchancen. Die gewaltsame Expansion durch Krieg und die Rüstungen dafür schaffen, vorausgesetzt, daß die sachlichen Betriebsmittel des Kriegs nicht, wie im reinen Feudalismus, durch Selbstausrüstung, sondern durch die politische Gemeinschaft als solche beschafft werden, den weitaus ergiebigsten Anlaß zur Inanspruchnahme von Kredit großten Umfangs und steigern die Gewinnchancen der kapitalistischen Staatsgläubiger, welche schon im zweiten punischen Kriege der römischen Politik ihre Bedingungen vorschrieben. 26 Oder, wo das endgültige Staatsgläubigertum eine Massenschicht von Staatsrentnern (Konsolbesitzern) 27 geworden ist - der für die Gegenwart charakteristische Zustand - , schaffen sie die Chancen für die

24 Persönliche oder territoriale G e b u n d e n h e i t der Bauern an d e n B o d e n . 25 Siehe W u G \ S . 6 5 6 , 705, 728f. ( M W G I / 2 2 - 4 ) . 26 Im 2. P u n i s c h e n Krieg ( 2 1 8 - 2 0 1 v. Chr.) s a h e n sich die Römer zu bis d a h i n nicht gekannten R ü s t u n g s a n s t r e n g u n g e n g e z w u n g e n , die nicht mehr alleine d u r c h staatliche Mittel zu finanzieren waren. Im Jahr 215 erklärten sich d a h e r 19 Privatpersonen bereit, die auf der iberischen Halbinsel k ä m p f e n d e n Truppen auszurüsten. Dafür wollten sie für die Dauer der Staatsanleihe v o m K r i e g s d i e n s t befreit w e r d e n , u n d der Staat sollte für alle Verluste w ä h r e n d d e s Transportes der Rüstungsgüter a u f k o m m e n . Vgl. Livius XXIII 49, 1 - 4 . 27 Besitzer einer b e s t i m m t e n Form von Staatsanleihen, die ihren U r s p r u n g in Großbritannien hat. „Consols" ist eine A b k ü r z u n g für „Consolidated stocks", die d e r K o n s o l i d i e r u n g kurzfristiger Staatsanleihen dienen. Als T i l g u n g s s c h u l d v e r s c h r e i b u n g e n o h n e festen R ü c k Z a h l u n g s t e r m i n w a r e n sie einer „ e w i g e n Rente" sehr nahe u n d w u r d e n nur g e r i n g verzinst. In Preußen w u r d e n sie 1869 eingeführt u n d später vor allem bei der Verstaatlic h u n g der E i s e n b a h n a u s g e g e b e n .

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„emittierenden" Banken. 28 In der gleichen Richtung liegen die Interessen der Lieferanten von Kriegsmaterial. Es werden dabei ökonomische Mächte ins Leben gerufen, welche an dem Entstehen kriegerischer Konflikte als solchen, einerlei welchen Ausgang sie für die eigene Gemeinschaft nehmen, interessiert sind. Schon Aristophanes scheidet die am Krieg von den am Frieden interessierten Gewerben, 29 obwohl - wie auch in seiner Aufzählung zum Ausdruck kommt - der Schwerpunkt wenigstens für das Landheer damals noch in der Selbstausrüstung und daher in Bestellungen der einzelnen Bürger beim Handwerker: Schwertfeger, Panzermacher usw. liegt. Schon damals aber sind die großen privaten Handelslager, die man oft als „Fabriken" anspricht, vor allem Waffenlager. Heute ist der annähernd einzige Auftraggeber für Kriegsmaterial und Kriegsmaschinen die politische Gemeinschaft als solche, und das steigert deren1 kapitalistischen Charakter. Banken, welche Kriegsanleihen finanzieren, und heute große Teile der schweren Industrie, nicht nur die direkten Lieferanten von Panzerplatten und Geschützen, sind am Kriegführen quand même ökonomisch interessiert; ein verlorener Krieg bringt ihnen erhöhte Inanspruchnahme so gut wie ein gewonnener, und das eigene politische und ökonomische Interesse der an einer politischen Gemeinschaft Beteiligten an der Existenz großer inländischer Fabriken von Kriegsmaschinen nötigt sie, zu dulden, daß diese die ganze Welt, auch die politischen Gegner, mit solchen versorgen.

i A:den 2 8 Die eigentliche Emissionstätigkeit bezieht sich auf d e n „Einzelvertrieb v o n größeren B e s t ä n d e n von Wertpapieren". Großaktionäre ü b e r t r u g e n d e n Verkauf häufig Banken, um so In kürzester Zelt über d a s In Aktien g e b u n d e n e Kapital v e r f ü g e n zu können. Die Banken Ihrerseits g a b e n e n t w e d e r eine Anleihe auf d a s A k t i e n p a k e t u n d erhielten für d e n Verkauf eine Provision oder sie ü b e r n a h m e n die Aktien zu e i n e m festen Preis. Im a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t zeigten die Banken w e n i g Interesse, ihr G e l d fest a n z u l e g e n , u n d b e m ü h t e n sich daher, e n t s p r e c h e n d e W e r t p a p i e r e schnell zu veräußern. Vgl. Lötz, Walther, E m i s s i o n s g e s c h ä f t , in: HdStW 2 , B a n d 3, 1900, S. 6 0 2 - 6 1 1 . 29 In der K o m ö d i e „Frieden" wird die v e r b o r g e n e Friedensgöttin aus ihrem unterirdis c h e n Versteck befreit. Bei der B e s c h r e i b u n g der A u s g r a b u n g s a r b e i t e n zählt A r i s t o p h a nes B e r u f s g r u p p e n auf, die die Arbeit fördern bzw. b e h i n d e r n . Später b e d a n k e n bzw. b e s c h w e r e n sich weitere B e r u f s g r u p p e n bei der Hauptfigur w e g e n der W i e d e r h e r s t e l l u n g d e s Friedens. N a c h A r i s t o p h a n e s begrüßen Bauern, Händler, Künstler u n d v e r s c h i e d e n e H a n d w e r k e r d e n Frieden, w ä h r e n d W a f f e n s c h m i e d e u n d -händler Ihn a b l e h n e n . Vgl. Aris t o p h a n e s , Frieden, 2 9 5 - 2 9 7 , 4 4 7 f . , 480, 511, 5 4 5 - 5 5 0 , 1 1 9 9 - 1 2 6 5 .

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Welche ökonomischen Gegengewichte die imperialistischen kapitalistischen Interessen finden, hängt - soweit dabei direkt rein kapitalistische Motive mitspielen - vor allem von dem Verhältnis der Rentabilität der ersteren zu den pazifistisch gerichteten kapitalistischen Interessen ab, und dies wieder steht mit dem Verhältnis zwischen gemeinwirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Bedarfsdeckung in engem Zusammenhang. Diese ist daher auch für die Art der von den politischen Gemeinschaften gestützten ökonomischen Expansionstendenzen in hohem Maße bestimmend. Der imperialistische Kapitalismus, zumal koloniale Beutekapitalismus auf der Grundlage direkter Gewalt und Zwangsarbeit, hat im allgemeinen zu allen Zeiten die weitaus größten Gewinnchancen geboten, weit größer, als, normalerweise, der auf friedlichen Austausch mit den Angehörigen anderer politischer Gemeinschaften gerichtete Exportgewerbebetrieb. Daher hat es ihn zu allen Zeiten und überall gegeben, wo irgendwelches erhebliche Maß von gemeinwirtschaftlicher Bedarfsdeckung durch die politische Gemeinschaft als solche oder ihre Unterabteilungen (Gemeinden) bestand. Je stärker diese, desto größer die Bedeutung des imperialistischen Kapitalismus. Verdienstchancen im politischen „Ausland", zumal in Gebieten, welche politisch und ökonomisch neu „erschlossen", d. h. in die speA 625 zifisch | modernen Organisationsformen der öffentlichen und privaten „Betriebe" gebracht werden, entstehen heute wieder zunehmend in „Staatsaufträgen" für Waffen, von der politischen Gemeinschaft besorgten oder mit Monopolen ausgestatteten Eisenbahnund anderen Bauten, monopolistischen Abgabe-, Handels- und Gewerbeorganisationen und -konzessionen, Staatsanleihen. Das Vorwiegen derartiger Verdienstchancen steigert sich, auf Kosten der durch den gewöhnlichen privaten Güteraustausch zu erzielenden Gewinne, zunehmend mit zunehmender Bedeutung der Gemeinwirtschaft als Bedarfsdeckungsform überhaupt. Und durchaus parallel damit geht die Tendenz der politisch gestützten ökonomischen Expansion und des Wettbewerbs der einzelnen politischen Gemeinschaften, deren Beteiligte anlagefähiges Kapital zur Verfügung haben, dahin, sich derartige Monopole und Beteiligungen an „Staatsaufträgen" zu verschaffen^] und tritt die Bedeutung der bloßen „offenen Tür" für den privaten Güterimport in den Hintergrund. 30 Da 3 0 Unter der Politik der „Offenen Tür" wurde der freie Z u g a n g der industrialisierten Staa-

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nun die sicherste Garantie für die Monopolisierung dieser an der Gemeinwirtschaft des fremden Gebiets klebenden Gewinnchancen zugunsten der eigenen politischen Gemeinschaftsgenossen die politische Okkupation oder doch die Unterwerfung der fremden politischen Gewalt in der Form des „Protektorats" oder ähnlicher ist, so tritt auch diese „imperialistische" Richtung der Expansion wieder zunehmend an die Stelle der pazifistischen, nur „Handelsfreiheit" erstrebenden. Diese gewann nur so lange die Oberhand^,] als die privatwirtschaftliche Organisation der Bedarfsdeckung auch das Optimum der kapitalistischen Gewinnchancen nach der Seite des friedlichen, nicht - wenigstens nicht durch politische Gewalt - monopolisierten Güteraustauschs verschoben hatte. Das universelle Wiederaufleben des „imperialistischen" Kapitalismus, welcher von jeher die normale Form der Wirkung kapitalistischer Interessen auf die Politik war, und mit ihr des politischen Expansionsdrangs, ist also kein Zufallsprodukt und für absehbare Zeit muß die Prognose zu seinen Gunsten lauten. Diese Situation würde sich schwerlich grundsätzlich ändern, wenn wir für einen Augenblick als gedankliches Experiment die einzelnen politischen Gemeinschaften als irgendwie „staatssozialistische", d.h. ein Maximum von ökonomischem Bedarf gemeinwirtschaftlich deckende Verbände denken. Jeder solche politische Gemeinwirtschaftsverband würde im „internationalen" Austausch diejenigen unentbehrlichen Güter, welche in seinem Gebiet nicht erzeugt werden (in Deutschland z.B.: Baumwolle), so billig wie möglich von denjenigen zu erwerben suchen, die ein natürliches Monopol ihres Besitzes haben und auszunützen trachten würden, und keinerlei Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß, wo Gewalt am leichtesten zu günstigen Tauschbedingungen führen würde, sie nicht angewendet würde. Dadurch entstünde eine, wenn nicht formelle, doch tatsächliche Tributpflicht des Schwächeren, und es ist übrigens auch nicht abzusehen, warum die stärksten staatssozialistischen Gemeinschaften es verschmähen sollten, für ihre Teilhaber von schwächeren Gemeinschaften auch ganz ausdrückliche Tributen zu d e n Märkten in unterentwickelten L ä n d e r n verstanden. 1885 vereinbarten die Großmächte, daß der Kongostaat L e o p o l d s I I . ein international neutralisiertes G e b i e t w e r d e n solle, unter der B e d i n g u n g , daß dieser d e n freien Z u g a n g für d e n H a n d e l aller Industriestaaten gewährte. A n a l o g e Vereinbarungen wurden für C h i n a und d a s O s m a n i s c h e R e i c h getroffen.

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te, ganz wie es in der frühen Vergangenheit überall geschah, zu erpressen, wo sie könnten. Die „Masse" der Teilhaber einer politischen Gemeinschaft ist auch ohne „Staatssozialismus" ökonomisch so wenig notwendig pazifistisch interessiert, wie irgendeine Einzelschicht. Der attische Demos - und nicht nur er - lebte ökonomisch 5 vom Krieg, der ihm Sold und, im Fall des Sieges, Tribute der Untertanen einbrachte, welche faktisch in der kaum verhüllenden Form von Präsenzgeldern bei Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und öffentlichen Festen unter die Vollbürger verteilt wurden. 31 Hier war das Interesse an imperialistischer Politik und 10 Macht jedem Vollbürger handgreiflich. Die heutigen, von außerhalb einer politischen Gemeinschaft an deren Beteiligte fließenden Erträgnisse, auch diejenigen imperialistischen Ursprungs und faktisch „Tribut"artigen Charakters, ergeben eine so handgreifliche Interessenkonstellation für die Massen nicht. Denn die Tribute an 15 die „Gläubigervölker" erfolgen unter der heutigen Wirtschaftsordnung in der Form der Abführung von ausländischen Schuldzinsen oder Kapitalgewinnsten an die besitzenden Schichten des „GläubiA 626 gervolks". Dächte | man sich diese Tribute gestrichen, so bedeutete das einen immerhin für Länder wie etwa England, Frankreich, 20 Deutschland sehr fühlbaren Rückgang der Kaufkraft auch für Inlandsprodukte, welcher den Arbeitsmarkt zu ungunsten der betreffenden Arbeiter beeinflussen würde. Wenn trotzdem die Arbeiterschaft auch in Gläubigerstaaten in sehr starkem Maße pazifistisch gesonnen ist und insbesondere an dem Fortbestand und der 25 zwangsweisen Beitreibung solcher Tribute von ausländischen zahlungssäumigen Schuldnergemeinschaften oder der Erzwingung der Anteilnahme an der Ausbeutung' fremder Kolonialgebiete und Staatsaufträge meist keinerlei Interesse zeigt, so ist dies einerseits ein naturgemäßes Produkt der unmittelbaren Klassenlage und der 30 sozialen und politischen Situation innerhalb der Gemeinschaften

j A: Ausbietung 31 In Athen galt jeder Einwohner über 18, dessen Vater (seit 451 v. Chr. beide Elterntelle) attischer Bürger war, als Vollbürger, der zu fast allen staatlichen Aufgaben herangezogen werden konnte und dafür teilweise ein Entgelt erhielt. Neben den Vollbürgern gab es Personenkreise (z. B. Freigelassene), die zwar Im Privatrecht gleichgestellt waren, aber keinerlei Ämter ausüben durften, und somit auch keine staatliche Entlohnung erhielten. Vgl. auch oben, S. 87, Anm. 15.

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in einer kapitalistischen Wirtschaftsepoche. Die Tributberechtigten gehören der gegnerischen Klasse an, welche zugleich die politische Gemeinschaft beherrscht, und jede erfolgreiche imperialistische Zwangspolitik nach außen stärkt normalerweise mindestens zunächst auch „im Innern" das Prestige und damit die Machtstellung und den Einfluß derjenigen Klassen, Stände, Parteien, unter deren Führung der Erfolg errungen ist. Zu diesen mehr durch die soziale und politische Konstellation bedingten Quellen von pazifistischen Sympathien treten bei den „Massen", zumal den proletarischen, ökonomische. Jede Anlage von Kapitalien in der Kriegsmaschinenund Kriegsmaterialproduktion schafft zwar Arbeits- und Erwerbsgelegenheit, jede Staatsinstanz kann im Einzelfall ein Element direkter Konjunkturbesserung und erst recht indirekt durch Steigerung der Intensität des Erwerbsstrebens und durch Nachfragesteigerung eine Quelle gesteigerter Zuversicht in die ökonomischen Chancen der beteiligten Industrien und also einer Haussestimmung werden. Aber sie entzieht die Kapitalien anderen Verwendungsarten und erschwert die Bedarfsdeckung auf anderen Gebieten, und vor allem werden die Mittel in Form von Zwangsabgaben aufgebracht, welche - ganz abgesehen von den durch „merkantilistische" Rücksichten gegebenen Schranken der Heranziehung des Besitzes - die herrschenden Schichten normalerweise kraft ihrer sozialen und politischen Macht auf die Massen abzuwälzen verstehen. Die mit Militärkosten wenig belasteten Länder (Amerika), namentlich auch die Kleinstaaten^ haben nicht selten eine, relativ gemessen, stärkere ökonomische Expansion ihrer Angehörigen so die Schweizer - als Großmachtgebilde und werden außerdem zuweilen leichter zur ökonomischen Ausbeutung des Auslandes zugelassen, weil ihnen gegenüber nicht die Befürchtung besteht, daß die politische der ökonomischen Einmischung folgen werde. Wenn die pazifistischen Interessen der kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten trotz allem erfahrungsgemäß sehr oft und leicht versagen, so liegen - wenn wir von besonderen Fällen, wie der Hoffnung auf den Erwerb von Auswanderungsgebieten in übervölkerten Ländern absehen - die Gründe teils in der stärkeren Zugänglichkeit jeder nicht organisierten „Masse" für Emotionen, teils in der unbestimmten Vorstellung von irgendwelchen, durch den Krieg entstehenden, unerwarteten Chancen, teils in dem Umstand, daß die „Massen" im Gegensatz zu anderen Interessenten

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subjektiv weniger auf das Spiel setzen. „Monarchen" haben für ihren Thron einen verlorenen Krieg, die Machthaber und Interessenten einer „republikanischen Verfassung" umgekehrt einen siegreichen „General" zu fürchten, die Überzahl des besitzenden Bürgertums ökonomische Verluste infolge der Hemmung der Erwerbsar- 5 beit, die herrschende Honoratiorenschicht unter Umständen eine gewaltsame Machtumstellung zugunsten der Besitzlosen im Fall einer Desorganisation durch Niederlage, die „Massen" als solche, wenigstens in ihrer subjektiven Vorstellung, nichts direkt Greifbares außer äußerstenfalls dem Leben selbst, eine Gefährdung, deren 10 Einschätzung und Wirkung eine gerade in ihrer Vorstellung stark schwankende Größe darstellt und durch emotionale Beeinflussung im ganzen leicht auf Null reduzierbar ist.k | A 627 Das Pathos dieser emotionalen Beeinflussung aber ist dem Schwerpunkt nach nicht ökonomischen Ursprungs, sondern ruht auf dem 15 Prestige-Empfinden, welches bei politischen Bildungen mit Erringen einer an Machtstellung reichen Geschichte oft tief in die kleinbürgerlichen Massen hinabreicht. Das Attachement 'an das politische' Prestige kann sich mit einem spezifischen Glauben an eine dem Großmachtgebilde als solchem eignenden Verantwortlichkeit 20 vor den Nachfahren für die Art der Verteilung von Macht und Prestige zwischen den eigenen und fremden politischen Gemeinschaften vermählen. Es ist selbstverständlich, daß überall diejenigen Gruppen, welche innerhalb einer politischen Gemeinschaft sich im Besitze der Macht, das Gemeinschaftshandeln zu lenken, befinden, 25 sich am stärksten mit diesem idealen Pathos des Macht-Prestiges erfüllen und die spezifischen und verläßlichsten Träger einer „Staats"-Idee als der Idee eines unbedingte Hingabe fordernden imperialistischen Machtgebildes bleiben. Ihnen zur Seite treten, außer den schon erörterten 32 direkt materiellen imperialistischen 30 Interessen, die teils indirekt materiellen, teils ideellen Interessen der innerhalb eines politischen Gebildes und durch dessen Existenz irgendwie ideell privilegierten Schichten. Das sind vor allem diejenigen, welche sich als spezifische „Teilhaber" einer spezifik In A folgt die Zwischenüberschrift: §3. Die „Nation". 32 Siehe oben, S. 2 3 1 - 2 3 5 .

I - / A: all des politischen

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sehen „Kultur" fühlen, welche im Kreise der an einem politischen Gebilde Beteiligten verbreitet ist. Das nackte Prestige der „Macht" wandelt sich jedoch unter dem Einfluß dieser Kreise unvermeidlich in andere, spezifische Formen ab, und zwar in die Idee der „Nation". „Nation" ist ein Begriff, der, wenn überhaupt eindeutig, dann jedenfalls nicht nach empirischen gemeinsamen Qualitäten der ihr Zugerechneten definiert werden kann. Er besagt, im Sinne derer, die ihn jeweilig brauchen, zunächst unzweifelhaft: daß gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei, gehört also der Wertsphäre an. Weder darüber aber, wie jene Gruppen abzugrenzen seien, noch darüber, welches Gemeinschaftshandeln aus jener Solidarität zu resultieren habe, herrscht Übereinstimmung. „Nation" im üblichen Sprachgebrauch ist zunächst nicht identisch mit „Staatsvolk", d. h. der jeweiligen Zugehörigkeit einer politischen Gemeinschaft. Denn zahlreiche politische Gemeinschaften (so Österreich)" 1 umfassen Menschengruppen, aus deren Kreisen emphatisch die Selbständigkeit ihrer „Nation" den anderen Gruppen gegenüber betont wird oder andererseits Teile einer von den Beteiligten als einheitliche „Nation" hingestellten Menschengruppe (so ebenfalls Österreich). 33 Sie ist ferner nicht identisch mit Sprachgemeinschaft, denn diese genügt keineswegs immer (wie bei Serben und Kroaten, Amerikanern, Iren und Engländern), sie scheint andererseits nicht unbedingt erforderlich (man findet den Ausdruck „Schweizer Nation" auch in offiziellen Akten neben „Schweizer Volk"), 34 und manche Sprachgemeinschaften empfinden sich nicht als gesonderte „Natim In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: Herausgeb.)

Österreich vor 1918. (Anm. d.

33 Dies bezieht sich auf die nationalen E m a n z i p a t i o n s b e w e g u n g e n der slawischen Bev ö l k e r u n g s g r u p p e n innerhalb der Donaumonarchie, insbesondere die Tschechen, Serben und galizischen Polen. 34 Auf welche Akten hier speziell Bezug g e n o m m e n wird, konnte nicht ermittelt werden. Die Begriffe „schweizerische Nation" und „schweizerisches Volk" finden sich häufig in offiziellen Dokumenten der Schweiz in nahezu synonymem G e b r a u c h . Vgl. z. B. Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 12. Herbstmonat 1848, in: Offizielle Sammlung der das schweizerische Staatsrecht betreffende Aktenbestände, Bundesgesetze, Verträge und Verordnungen seit der Einführung der neuen Bundesverfassung v o m 12. September 1848 bis 8. Mai 1850, 2. Aufl. - Bern: Stämpflische Buchdruckerei 1850, S. 3ff.

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on" (so, wenigstens bis vor kurzem, etwa die Weißrussen). 35 Allerdings pflegt die Prätension, als besondere „Nation" zu gelten, besonders regelmäßig an das Massenkulturgut der Sprachgemeinschaft anzuknüpfen (so ganz überwiegend in dem klassischen Land der Sprachenkämpfe: Österreich 36 und ebenso in Rußland und im östlichen Preußen), 37 aber sehr verschieden intensiv (z.B. mit sehr geringer Intensität in Amerika und Kanada). A b e r ebenso kann auch den Sprachgenossen gegenüber die „nationale" Zusammengehörigkeit abgelehnt und dafür an Unterschiede des anderen großen „Massenkulturguts": der Konfession (so bei Serben und Kroaten), 38 ferner an Differenzen der sozialen Struktur und der Sitten (so bei den Deutschschweizern und Elsässern gegenüber den Reichsdeutschen, bei den Iren gegenüber den Engländern), also an „ethnische" Elemente, vor allem aber an Erinnerungen an politiA 628 sehe Schicksalsgemeinschaft mit anderen | Nationen (bei den Elsässern mit den Franzosen seit dem Revolutionskriege, welche ihr gemeinsames Heldenzeitalter ist, wie bei den Balten mit den Russen, deren politische Geschicke sie mitgelenkt haben) angeknüpft werden. Daß „nationale" Zugehörigkeit nicht auf realer Blutsgemeinschaft ruhen muß, versteht sich vollends von selbst: überall sind gerade besonders radikale „Nationalisten" oft von fremder

35 Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1863, an dem sich auch der polnisch-stämmige Landadel In Weißrußland sowie weißrussische bürgerliche Kreise beteiligt hatten, erfolgte 1867 ein Verbot von weißrussischen Publikationen. In den 1870er Jahren begannen weißrussische Studenten In den Städten nationalistische Zirkel aufzubauen, die aber alle ohne Einfluß blieben. Die Hauptträger des aufkeimenden Nationallsmus waren Literaten und Intellektuelle. Erst 1902 entstand mit der „Weißrussischen Sozialistischen Partei" (BSH) eine politische Organisation, die den weißrussischen Nationalismus nach außen vertrat und bis zur Oktoberrevolution 1917 der Hauptträger der Autonomiebestrebungen war. Dabei stützte sich die Partei vor allem auf das städtische Bürgertum, da der Landadel überwiegend polonlsiert bzw. russlflziert war. 36 Zu den Badenischen Sprachenverordnungen und den Sprachenkämpfen In Österreich vgl. oben, S. 186, Anm. 33. 37 In den polnischen Gebieten Preußens gingen die preußische Regierung und die Reichsleitung seit 1881 unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die sich der Idee eines kulturell und ethnisch homogenen Nationalstaates verschrieben hatte, schrittweise zu einer Politik der Germanisierung der polnischen Bevölkerung über, die mit der Ansledlungspolitik und der Verschärfung der Sprachenpolitik 1906 einen Höhepunkt erreichte. Im Gegenzug entwickelte sich unter den In den östlichen Gebieten Preußens lebenden Polen eine aktive nationalpolnische Bewegung. 38 Während die Serben in Ihrer Mehrheit dem griechisch-orthodoxen Glauben anhängen, gehören die meisten Kroaten der römisch-katholischen Kirche an.

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Abstammung. Und vollends ist Gemeinsamkeit eines spezifischen anthropologischen Typus zwar nicht einfach gleichgültig, aber weder ausreichend zur Begründung einer „Nation" noch auch dazu erforderlich. Wenn gleichwohl die Idee der „Nation" gern die Vorstellung der Abstammungsgemeinschaft und einer Wesensähnlichkeit (unbestimmten Inhalts) einschließt, so teilt sie das mit dem wie wir sahen 0 39 - ebenfalls aus verschiedenen Quellen gespeisten „ethnischen" Gemeinsamkeitsgefühl. Aber ethnisches Gemeinsamkeitsgefühl allein macht noch keine „Nation". „Ethnisches" Zusammengehörigkeitsgefühl haben auch die Weißrussen den Großrussen gegenüber zweifellos immer gehabt, aber das Prädikat einer besonderen „Nation" würden sie selbst jetzt schwerlich für sich in Anspruch nehmen. Die Teilnahme für die Idee eines Zusammengehörigkeitsgefühls mit der „polnischen Nation" fehlte den Polen Oberschlesiens bis vor nicht allzulanger Zeit fast ganz: sie fühlten sich als „ethnische" Sondergemeinschaft 0 gegenüber den Deutschen, waren aber preußische Untertanen und weiter nichts. Das Problem, ob wir die Juden als „Nation" bezeichnen dürfen, ist alt; es würde meist negativ, jedenfalls aber nach Art und Maß verschieden beantwortet werden von der Masse der russischen Juden, den sich assimilierenden westeuropäisch-amerikanischen Juden, den Zionisten und vor allem sehr verschieden auch von den Umweltvölkern: z. B. den Russen einerseits, den Amerikanern (wenigstens denjenigen, die noch heute wie ein amerikanischer Präsident in einem offiziellen Schriftstück an der „Wesensähnlichkeit" amerikanischer und jüdischer Art festhalten) 40 andererseits. Und diejen In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber a n : ' ) Vgl. oben Kap. III. gemeinsamkeit

o A: Sonder-

39 Siehe oben, S . 1 7 4 - 1 7 6 . 40 Auf w e l c h e s Schriftstück sich dies bezieht, konnte nicht eindeutig n a c h g e w i e s e n werden. N a c h d e m J u d e n p o g r o m in der russischen Stadt Kischinev im April 1903 b e g a n n auf Druck der amerikanischen Öffentlichkeit ein diplomatischer Schriftwechsel zwischen d e n USA und Rußland, in dessen Verlauf der US-Botschafter in Sankt Petersburg M c C o r m i c k den russischen Außenminister Lamsdorff am 22. August 1904 von der Entschließung des Repräsentantenhauses unterrichtet hat, daß Verhandlungen über die ungehinderte Reisemöglichkeit amerikanischer Bürger geführt werden sollen. In diesem Schreiben wird Präsident Roosevelt in bezug auf amerikanische Juden mit d e n Worten zitiert: „Whose intelllg e n c e and Sterling moral qualities fit them to be typical representatives of our people[...]". Siehe: Papers relating to the Foreign Relations of the United States, with the Annual Message of the President. - Washington: Government Printlng Office 1905, S. 792.

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nigen deutschredenden Elsässer, welche die Zugehörigkeit zur deutschen „Nation" ablehnen und die Erinnerung an die politische Gemeinschaft mit Frankreich pflegen, rechnen sich deshalb doch nicht schlechtweg zur französischen „Nation". 41 Die Neger der Vereinigten Staaten werden sich selbst, zur Zeit wenigstens, zur amerikanischen „Nation" rechnen, schwerlich aber jemals von den südstaatlichen Weißen dazu gezählt werden. 42 Den Chinesen sprachen noch vor 15 Jahren gute Kenner des Ostens die Qualität der „Nation" ab: sie seien nur eine „Rasse"; heute würde das Urteil nicht nur der führenden chinesischen Politiker, sondern auch ganz derselben Beobachter anders lauten, 43 und es scheint also, daß eine Menschengruppe die Qualität als „Nation" unter Umständen durch ein spezifisches Verhalten „erringen" oder als „Errungenschaft" in Anspruch nehmen kann, und zwar innerhalb kurzer Zeitspannen. Und andererseits finden sich Menschengruppen, welche nicht nur die Indifferenz, sondern direkt die Abstreifung der Bewertung der Zugehörigkeit zu einer einzelnen „Nation" als „Errungenschaft" in Anspruch nehmen, in der Gegenwart vor allem gewisse führende Schichten der Klassenbewegung des modernen Proletariats, mit übrigens je nach der politischen und sprachlichen Zugehörigkeit, und auch je nach den Schichten des Proletariats sehr verschiedenem, zur Zeit im ganzen eher wieder abnehmendem Erfolg. Zwischen der emphatischen Bejahung, emphatischen Ablehnung und endlich völliger Indifferenz gegenüber der Idee der „Nation" (wie sie etwa der Luxemburger haben dürfte und wie sie den national „unerweckten" Völkern eignet), steht eine lückenlose Stufenfolge sehr verschiedenen und höchst wandelbaren Verhaltens zu ihr bei den sozialen Schichten auch innerhalb der einzelnen Gruppe, denen der Sprachgebrauch die Qualität von „Nationen" zuschreibt. Feudale Schichten, Beamtenschichten, erwerbstätiges

4 1 Vgl. d e n Text „Ethnische G e m e i n s c h a f t e n " , oben, S. 186f. 4 2 Zur R a s s e n t r e n n u n g in d e n a m e r i k a n i s c h e n S ü d s t a a t e n vgl. oben, S. 169, A n m . 1. 4 3 N a c h d e m verlorenen Krieg g e g e n J a p a n 1894 entstand in C h i n a eine R e f o r m b e w e gung, deren Ziel es war, m o d e r n e westliche Staatsvorstellungen mit d e m traditionellen c h i n e s i s c h e n K o n f u z i a n i s m u s zu verbinden. A u s e u r o p ä i s c h e r Sicht s c h u f e n d i e s e Reformen die V o r a u s s e t z u n g e n für eine c h i n e s i s c h e Nationsbildung. Vgl. Franke, O s t a s i a t i s c h e N e u b i l d u n g e n (wie oben, S. 218, A n m . 2), S. 7, 41.

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„Bürgertum" der untereinander verschiedenen Kategorien, „Intellektuellen"-Schichten p verhalten sich weder gleichmäßig noch historisch konstant dazu. Nicht nur die Gründe, auf welche der Glaube, eine eigene „Nation" darzustellen, gestützt wird, sondern auch dasjenige empirische Verhalten, welches aus der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur „Nation" in der Realität folgt, ist qualitativ höchst verschieden. Das „Nationalgefühl" des Deutschen, Engländers, Amerikaners, Spaniers, Franzosen, Russen funktioniert nicht gleichartig. So - um den einfachsten Sachverhalt herauszugreifen - im Verhältnis zum politischen Verband, mit dessen empirischem Umfang die „Idee" der „Nation" in Widerspruch geraten kann. Dieser Widerspruch kann sehr verschiedene Folgen haben. Die Italiener im österreichischen Staatsverband würden sicherlich nur gezwungen gegen italienische Truppen fechten, große Teile der Deutschösterreicher heute nur mit äußerstem Widerstreben und ohne Verläßlichkeit gegen Deutschland, auch die ihre „Nationalität" am meisten Hochhaltenden unter q den Deutschamerikanern dagegen - wenn auch nicht gern, so doch gegebenenfalls - bedingungslos gegen Deutschland, die Polen im deutschen Staatsverband wohl gegen ein russisch-polnisches, schwerlich aber gegen ein autonom polnisches Heer, die österreichischen Serben mit sehr geteilten Gefühlen und nur in der Hoffnung auf Erreichung gemeinsamer Autonomie gegen Serbien, die russischen Polen verläßlicher gegen ein deutsches, als gegen ein österreichisches Heer. Daß innerhalb der gleichen „Nation" die Intensität des Solidaritätsgefühls nach außen höchst verschieden stark und wandelbar ist, gehört zu den historisch bekanntesten Tatsachen. Im ganzen ist es gestiegen, auch wo die inneren Interessengegensätze nicht abgenommen haben. Die „Kreuzzeitung" rief vor 60 Jahren noch die Intervention des Kaisers von Rußland in innerdeutsche Fragen an, 44 was heute trotz gesteigerter Klassengegensätze schwer denkp A: „Intellektuellen" Schichten

q A: von

44 Die preußischen Konservativen w a n d t e n sich 1850 g e g e n die von General J o s e p h von Radowitz betriebene österreichfeindliche Unionspolitik Preußens, d a sie befürchteten, daß die Liberalen von einer Konfrontation zwischen Preußen und Österreich profitieren könnten. Anläßlich der Zusammenkunft der Unionsvertreter in Erfurt im Frühjahr 1850 hofften sie, Nikolaus I. würde auch in diesem Konflikt - wie schon im Vorjahr in U n g a r n zugunsten der österreichischen Monarchie eingreifen. In der politischen Rundschau der

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bar wäre. Jedenfalls sind die Unterschiede sehr bedeutende und flüssige, und ähnlich findet auf allen anderen Gebieten die Frage: welche Konsequenzen eine Menschengruppe aus dem innerhalb ihrer mit noch so emphatisch und subjektiv aufrichtigem Pathos verbreiteten „Nationalgefühl" für die Entwicklung der Art eines spezifischen Gemeinschaftshandelns zu ziehen bereit ist, grundverschiedene Antworten. Das Maß, in welchem eine „Sitte", korrekter: eine Konvention als „national" in der Diaspora festgehalten wird, ist ebenso verschieden wie die Bedeutung der Gemeinsamkeit von Konventionen es für den Glauben an den Bestand als einer gesonderten „Nation" ist. Eine soziologische Kasuistik müßte, dem empirisch gänzlich vieldeutigen Wertbegriff „Idee der Nation" gegenüber, alle einzelnen Arten von Gemeinsamkeits- und Solidaritäts-Empfindungen in ihren Entstehungsbedingungen und ihren Konsequenzen für das Gemeinschaftshandeln der Beteiligten entwickeln. Das kann hier nicht versucht werden. Statt dessen ist hier noch etwas näher darauf einzugehen, daß die Idee der „Nation" bei ihren Trägern in sehr intimen Beziehungen zu „Prestige"-Interessen steht. In ihren frühesten und energischsten Äußerungen hat sie, in irgendeiner, sei es auch verhüllten Form, die Legende von einer providentiellen „Mission" enthalten, welche auf sich zu nehmen denen zugemutet wurde, an welche sich das Pathos ihrer Vertreter wendete, und die Vorstellung, daß diese Mission gerade durch die Pflege der individuellen Eigenart der als „Nation" besonderten Gruppe und nur durch sie ermöglicht werde. Mithin kann diese Mission - sofern sie sich selbst durch den Wert ihres Inhaltes zu rechtfertigen sucht - nur als eine spezifische „Kultur"-Mission konsequent vorgestellt werden. Die Überlegenheit oder doch die Unersetzlichkeit der nur kraft der Pflege der Eigenart zu bewahrenden und zu entwickelnden „Kulturgüter" ist es denn, an welcher die Bedeutsamkeit der „Nation" verankert zu werden pflegt, und es ist daher selbstverständlich, daß, wie die in der politischen Gemeinschaft Mächtigen die Staatsidee provozieren, so diejenigen, welche innerhalb einer „Kulturgemeinschaft", das soll hier heißen: K r e u z z e i t u n g hieß es: „Es ist wahrhaft patriotisch, e s ist wahrhaft d e u t s c h , lieber v o m Kaiser N i c o l a u s befreit, als von H e c k e r und Struve, von W a l d e c k und Held, v o n Voigt und R ü g e geknechtet zu werden." N e u e P r e u ß i s c h e Zeitung, Nr. 97 v o m 30. April 1850, S. 1.

Machtprestige und

Nationalgefühl

247

einer Gruppe von Menschen, welchen kraft ihrer Eigenart bestimmte, als „Kulturgüter" geltende Leistungen in spezifischer Art zugänglich sind, die Führung usurpieren: die „Intellektuellen" also, wie wir sie vorläufig genannt haben, 45 | in spezifischem Maße dazu A 630 5 prädestiniert sind, die „nationale" Idee zu propagieren. Dann nämlich, wenn jene Kulturträger

r

[Notiz im Manuskript]

Kultur-Prestige und Macht-Prestige sind eng verbündet. Jeder sieg10 reiche Krieg fördert das Kultur-Prestige. (Deutschland, Japan usw.)46 Ob er der „Kulturentwicklung" zu gute kommt ist eine andre, nicht mehr „wertfrei" zu lösende Frage. Sicher nicht eindeutig (Deutschland nach 1870!). Auch nach empirisch greifbaren Merkmalen nicht: Reine Kunst und Literatur von deutscher Eigenart sind nicht im politischen Zentrum Deutschlands entstanden/ |

r - r In A geht der eingefügten Überschrift die Anmerkung der Erstherausgeber voran: ') Hier bricht das Kapitel ab. Notizen auf dem Manuskriptblatt zeigen, daß Begriff und Entwicklung des Nationalstaats in allen historischen Epochen nachgegangen werden sollte. Auf dem Rande des Blattes befindet sich noch folgender Satz:

45 Siehe oben, S.245. 46 Dies bezieht sich auf den Sieg der deutschen Staaten unter preußischer Führung über Frankreich im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 sowie auf den in Europa nicht erwarteten Sieg Japans im russisch-japanischen Krieg von 1904/05.

[„Klassen", „Stände" und „Parteien"]

Editorischer Bericht Zur

Entstehung

In dem nachstehenden Text behandelt Weber die Machtverteilung innerhalb von staatlichen Gebilden anhand der Phänomene „.Klassen', .Stände' und .Parteien'". 1 Dabei ist auffällig, daß die „Parteien" im Gegensatz zu „Klassen" und „Ständen" nur sehr summarisch dargestellt werden. Die Titelgestaltung des Textes ist unklar. Im Stoffverteilungsplan von 1910 und in der Disposition von 1914 spricht Weber von „Ständen und Klassen" bzw. von „Ständen. Klassen. Parteien," was aus historischer Sicht plausibel ist. Die inhaltliche Gestaltung des vorliegenden Textes entspricht jedoch nicht dieser Anordnung. Er beginnt mit dem Abschnitt über „Klassen", daran anschließend werden die „Stände" und die „Parteien" behandelt. Auch in der noch von Max Weber selbst überarbeiteten Fassung der ersten Lieferung ist diese Abfolge beibehalten worden, obwohl die Kapitelüberschrift dort ebenfalls „Stände und Klassen" lautet, während die Parteien aus der Darstellung herausgenommen worden sind. 2 Der nachstehende Text ist offensichtlich unvollendet. Darauf deuten die summarische Abhandlung der Parteien sowie der Verweis auf die „Strukturformen der sozialen Herrschaft" hin. 3 Allerdings ist nicht klar, was damit gemeint ist. Möglicherweise ist der nachfolgende Satz: „Diesem zentralen Phänomen alles Sozialen wenden wir uns daher jetzt zu" ein Einschub der Erstherausgeber, der zu dem in der Erstausgabe folgenden Kapitel über die „Legitimität" 4 überleiten sollte. Der auf den Satz noch folgende Absatz könnte ein eigenhändiges Fragment sein, das nachträglich hier zugeordnet wurde. Der Text bewegt sich in seiner Terminologie noch ganz auf der Höhe der Kapitel über die verschiedenen Typen von „Gemeinschaften"; die Konstituierung bzw. die Beeinflussung von „Massenhandeln" oder „Gemeinschaftshandeln" ist sein eigentliches Thema. Doch besitzen wir keinerlei Anhaltspunkte bezüglich einer genauen Datierung. Offenbar hatte Max Weber ge1 2 3 4

Vgl. unten, S. 253. Vgl. WuG 1 , S. 1 7 7 - 1 8 0 (MWG I/23). Vgl. unten, S. 270. WuG 1 , S. 6 4 2 - 6 4 9 (MWG I/22-4).

Editorischer

Bericht

249

maß d e m Stoffverteilungsplan von 1910 bereits in den frühesten Konzeptionen seines Beitrages z u m „Grundriß" die Absicht, d e m Kapitel „Wirtschaft und soziale G r u p p e n " a u c h Abschnitte über „Stände" und „Klassen" beizug e b e n . Diese sollten im Manuskript im Anschluß an die A b h a n d l u n g e n über „Familien- und G e m e i n d e v e r b ä n d e " , aber noch vor der Darstellung d e s „Staats" plaziert w e r d e n . 5 N a c h der Disposition von 1914 hatte Weber die Absicht, die im 7. Kapitel „Der politische Verband" v o r g e s e h e n e n Abschnitte über „Stände" und „Klassen" um eine e i g e n s t ä n d i g e Darstellung der „Parteien" zu ergänzen. 6 Sie wären dann in ihrer A n o r d n u n g von den A u s f ü h r u n g e n über die „Hausgemeinschaft" erheblich getrennt gewesen. Der Disposition zufolge sollten sie z w i s c h e n den „ E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n " des Rechts und der „Nation" plaziert werden. Die A n o r d n u n g des n a c h s t e h e n d e n Textes vor d e m Abschnitt über „Machtprestige und Nationalgefühl" würde der Disposition von 1914 ents p r e c h e n und ließe sich a u c h inhaltlich rechtfertigen. Bei der dortigen Beh a n d l u n g der Macht von Staaten und ihrem Prestige wird die Definition von „Macht" als der „Chance [...], d e n eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln a u c h g e g e n den Widerstand anderer [...] durchzusetzen" vorausgesetzt. Sie findet sich j e d o c h in d e m nachstehend mitgeteilten Text. 7 Andererseits sollte der e n g e inhaltliche Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e n A b s c h n i t t e n „Politische Gemeinschaften" und „Machtprestige und Nationalgefühl" auch in der A n o r d n u n g der Texte B e r ü c k s i c h t i g u n g finden, zumal der Text „Machtprestige und Nationalgefühl" allenfalls als vollständig zu ü b e r a r b e i t e n d e Vorfassung des Abschnitts „Nation" aus der Disposition ang e s e h e n werden kann. Darüber hinaus findet die Darstellung der unterschiedlichen Formen von Gemeinschaften mit der B e h a n d l u n g der „Nation" als der Vollendung der politischen Gemeinschaften ihren inhaltlichen A b schluß. Der hier mitgeteilte Text thematisiert die Machtverteilung innerhalb der Gemeinschaften, w o d u r c h sich seine hier v o r g e n o m m e n e A n o r d n u n g im Anschluß an die Ausführungen über die Gemeinschaften rechtfertigt. Zugleich hat er als Überleitung zu der Darstellung der internen Herrschaftsstrukturen der G e m e i n s c h a f t e n zu gelten. Seine Plazierung vor der „Herrschaftssoziologie" wird d u r c h einen Rückverweis in d e m Kapitel „Herrschaft" der vierten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" gestützt. Dort nimmt Weber B e z u g auf den Tatbestand, daß Besitz „rein als solcher

5 Vgl. d e n Stoffverteilungsplan von 1910, MWG II/6, S. 7 6 6 - 7 7 4 ; Winckelmann, Webers Unterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151-155. 6 GdS, Abt. I, S. X - X l (MWG I / 2 2 - 6 ) . 7 Vgl. unten, S . 2 5 2 .

250

„ Klassen ", „ Stände " und „ Parteien"

[...] weitgehende soziale Macht" verleihe; ein Sachverhalt, der hier im Zusammenhang mit der ständischen Herrschaft eingehend behandelt wird. 8 Streng genommen setzt, wie Max Weber selbst darlegt, das Auftreten von „Klassen" ebenso wie von „Parteien" ein gewisses Maß an rationaler Vergesellschaftung voraus, das über die verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung hinausgeht, 9 weil sowohl „Klassen" als auch „Parteien" gleichzeitig verschiedenen Vergemeinschaftungen angehören können. 10 Der vorliegende Text setzt insofern die Ausführungen über die verschiedenen „Vergemeinschaftungen", insbesondere auch der „Marktgemeinschaft", auf die mehrfach ausdrücklich Bezug genommen wird, inhaltlich voraus. 11 Die Erstherausgeber hatten diesem Kapitel zwei Textfragmente über „Kriegerstände" beigegeben. Diese berühren sich zwar inhaltlich mit den Ausführungen über „Stände", aber weisen keinerlei auch nur indirekte Anbindung an den fortlaufenden Text auf. Es dürfte sich um Materialien handeln, die nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorliegenden Text entstanden sind. Sie werden daher unten, S. 277-281, als selbständige Texte mitgeteilt.

Zur Überlieferung

und Edition

Der Text ist ein Fragment. Ein Manuskript ist uns nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung zugrunde gelegt, die in dem Handbuch: Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Lieferung. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 631 -640, erschienen ist (A). Die von den Erstherausgebern gewählte Überschrift „Klasse, Stand, Parteien" geht mit Sicherheit nicht auf Weber zurück. Die im Stoffverteilungsplan von 1910 und in der Disposition von 1914 genannten Titel „Stände, Klassen" bzw. „Stände, Klassen, Parteien" 12 decken sich nicht mit der inhaltlichen Anordnung des vorliegenden Textes und können daher nicht anstandslos übernommen werden, obschon sie als solche authentisch sind. Daß die 1. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft" ein Kapitel „Stände und Klassen" aufweist, dessen inhaltliche Abfolge nicht dem eingefügten

8 Vgl. WuG1, S. 606 „wie wir schon sahen" (MWG I/22-4); siehe den Text, unten, S.259f. 9 Vgl. unten, S. 269-271. 10 Vgl. unten, S.271. 11 Vgl. unten, S.255, 257f. und 267f. 12 Vgl. den Stoffverteilungsplan von 1910, MWG II/6, S. 766-774; Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151-155, sowie die Disposition von 1914, GdS, Abt. I, S. X - X l (MWG I/22-6).

Editorischer

Bericht

251

Titel entspricht, kann für die Frage, welcher Titel d e m n a c h f o l g e n d e n Text a n g e m e s s e n ist, nicht relevant sein. Im Text selbst ist explizit von „.Klassen', ,Stände[n]', und .Parteien'" die Rede. 1 3 Diese Formulierung dürfte Max Webers Intentionen entsprechen und wird hier d e m edierten Text als Titel vorangestellt. Obwohl die eingeführte Überschrift eine von Weber s t a m m e n d e Formulierung ist, wird sie als Herausgeberrede in e c k i g e Klammern gesetzt, d a sie als Titel nicht autorisiert ist. Der Titel der Erstherausgeber wird im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die in der 1. Auflage a b g e d r u c k t e Inhalts- und Seitenübersicht zu d i e s e m Text wird nicht w i e d e r g e g e b e n , d a sie nach A u s s a g e von Marianne Weber kein Manuskriptbestandteil g e w e s e n sei, sondern von den Erstherausgebern beigefügt w o r d e n ist. 1 4 Die A n m e r k u n g e n der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, sondern im textkritischen A p p a r a t mitgeteilt. Die Emendationen stützen sich teilweise auf Ä n d e r u n g e n , die bereits J o h a n n e s W i n c k e l m a n n (Hg.), Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen: J . C . B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, v o r g e n o m m e n hat.

13 Vgl. unten, S. 253. 14 Vgl. das „Vorwort" zur 2. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft", S. III

A 631

a [„Klassen",

„Stände" und „Parteien"] 3

Jede (nicht nur die „staatliche") Rechtsordnung wirkt durch ihre Gestaltung direkt auf die Machtverteilung innerhalb der betreffenden Gemeinschaft ein, die der ökonomischen Macht sowohl wie auch jeder anderen. Unter „Macht" wollen wir dabei hier ganz allgemein die Chance eines Menschen oder einer Mehrzahl solcher verstehen, den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer daran Beteiligter13 durchzusetzen. „Ökonomisch bedingte" Macht ist natürlich nicht identisch mit „Macht" überhaupt. Die Entstehung ökonomischer Macht kann vielmehr umgekehrt Folge der aus anderen Gründen vorhandenen Macht sein. Macht wird aber ihrerseits nicht nur zu ökonomischen (Bereicherungs-)Zwecken erstrebt. Sondern Macht, auch ökonomische, kann „um ihrer selbst willen" gewertet werden, und sehr häufig ist das Streben nach ihr mitbedingt durch die soziale „Ehre", die sie bringt. A b e r nicht jede Macht bringt soziale Ehre. Der typische amerikanische Boß 1 ebenso wie der typische Großspekulant verzichtet bewußt auf sie, und ganz allgemein ist insbesondere gerade die „bloß" ökonomische Macht, namentlich die „nackte" Geldmacht, keineswegs eine anerkannte Grundlage sozialer „Ehre". Und andererseits ist nicht nur Macht die Grundlage sozialer Ehre. Sondern umgekehrt kann soziale Ehre (Prestige) die Basis von Macht auch ökonomischer Art sein und war es sehr häufig. Die Rechtsordnung kann ebenso wie Macht, so auch Ehre garantieren. A b e r sie ist wenigstens normalerweise nicht deren primäre Quelle, sondern auch hier ein Superadditum, welches die Chance ihres Besitzes steigert, ihn aber nicht immer sichern kann. Die Art, wie soziale „Ehre" in einer Gemeinschaft sich zwischen typischen Gruppen der daran Beteiligten verteilt, wollen wir die „soziale Ordnung" nennen. Zur „Rechtsordnung" verhält sie sich a A: Kapitel IV. Klasse, Stand, Parteien. In A folgt eine Inhalts- und Seitenübersicht zum Text, b A: Beteiligten 1 Der Begriff „Boss" bezeichnete die professionellen Parteiführer In den Vereinigten Staaten und hatte zumeist den negativen Beiklang von Parteidiktatur oder Führer einer korrupten Parteimaschinerie.

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natürlich ähnlich, wie die Wirtschaftsordnung es tut. Mit dieser ist sie nicht identisch, denn die Wirtschaftsordnung ist uns ja lediglich die Art der Verteilung und Verwendung der ökonomischen Güter und Leistungen. Aber sie ist natürlich in hohem Maße durch sie bedingt und wirkt wieder auf sie zurück. Phänomene der Machtverteilung innerhalb einer Gemeinschaft sind nun die „Klassen", „Stände" und „Parteien". „Klassen" sind keine Gemeinschaften in dem hier festgehaltenen Sinn,2 sondern stellen nur mögliche (und häufige) Grundlagen eines Gemeinschaftshandelns | dar. Wir wollen da von einer „Klasse" reden, wo 1. einer Mehrzahl von Menschen eine spezifische ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam ist, soweit 2. diese Komponente lediglich durch ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und zwar 3. unter den Bedingungen des (Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt wird („Klassenlage"). Es ist die allerelementarste ökonomische Tatsache, daß die Art|,j wie die Verfügung über sachlichen Besitz innerhalb einer sich auf dem Markt zum Zweck des Tauschs begegnenden und konkurrierenden Menschenvielheit verteilt ist, schon für sich allein spezifisehe Lebenschancen schafft. Sie schließt die Nichtbesitzenden nach dem Grenznutzgesetz vom Mitkonkurrieren von allen Gütern hoher Bewertung zugunsten der Besitzenden aus und monopolisiert deren Erwerb faktisch für diese. 3 Sie monopolisiert, unter sonst gleichen Umständen, die Tauschgewinnchancen für alle jene, welche, mit Gütern versorgt, auf den Tausch nicht schlechthin angewiesen sind, und steigert, generell wenigstens, ihre Macht im Preiskampf mit denen, welche besitzlos, nichts als ihre Arbeitsleistungen in Naturform oder in Form von Produkten eigener Arbeit anbieten können und diese unbedingt losschlagen müssen, um überhaupt 2 Der Bezug ist unklar. Bisher war zumeist von „Gemeinschaften" die Rede, an deren Z u s t a n d e k o m m e n subjektive Faktoren wesentlich mitwirkten. 3 Das Gesetz des Grenznutzens bestimmt d e n Wert eines Gutes nach d e m Nutzen, den die letzte verfügbare Einheit eines Gutes für die Befriedigung von bestimmten Bedürfnissen oder Teilbedürfnissen hat. Max Weber bezieht sich hier auf die A n w e n d u n g der Grenznutzentheorie auf die Kapitalzinstheorie, wie sie ein Hauptvertreter der österreichischen Grenznutzenschule, Eugen von Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, 2 Bände, 3. Aufl. - Innsbruck: Wagner'sche Universitäts-Buchhandlung 1909, 1912, entwickelt hat. Die Wertdifferenz von g e g e n w ä r t i g e n und zukünftigen Gütern führe unter modernen Produktions- und M a r k t b e d i n g u n g e n zur Benachteiligung der Nichtbesitzenden (ebd., Band 2, H a l b b a n d 1, 1909, S. 4 2 6 - 6 5 2 ) .

A632

254

„Klassen", „Stände" und

„Parteien"

ihre Existenz zu fristen. Sie monopolisiert die Möglichkeit, Besitz aus der Sphäre der Nutzung als „Vermögen" in die Sphäre der Verwertung als „Kapital" zu überführen, also die Unternehmerfunktion und alle Chancen direkter oder indirekter Teilnahme am Kapitalgewinn für die Besitzenden. Alles dies innerhalb der Sphäre des Geltens reiner Marktbedingungen. „Besitz" und „Besitzlosigkeit" sind daher die Grundkategorien aller Klassenlagen, einerlei, ob diese im Preiskampf oder im Konkurrenzkampf wirksam werden. Innerhalb dieser aber differenzieren sich die Klassenlagen weiter, je nach der Art des zum Erwerb verwertbaren Besitzes einerseits, der auf dem Markt anzubietenden Leistungen andererseits. Wohngebäudebesitz, Werkstätten- oder Lagerhaus- oder Verkaufslädenbesitz, landwirtschaftlich nutzbarer Grundbesitz und innerhalb dieser wieder großer und kleiner - ein quantitativer Unterschied mit eventuell qualitativen Folgen, - Bergwerksbesitz, Viehbesitz, Menschen(Sklaven-)besitz, Verfügung über mobile Produktionswerkzeuge oder Erwerbsmittel aller Art, vor allem über Geld oder spezifisch leicht jederzeit gegen Geld auszutauschende Objekte, über Produkte eigener oder fremder Arbeit, verschieden je nach den verschiedenen Stadien der Genußreife, über verkehrsfähige Monopole irgendwelcher Art, - alle diese Unterschiede differenzieren die Klassenlagen der Besitzenden ebenso wie der „Sinn", welchen sie der Verwertung ihres Besitzes, vor allem ihres geldwerten Besitzes, geben können und geben, je nachdem sie also z. B. zur Rentnerklasse oder zur Unternehmerklasse gehören. Und ebenso stark differenzieren sich die besitzlosen Anbieter von Arbeitsleistungen je nach der Art dieser sowohl, wie je nachdem sie diese in kontinuierlicher Beziehung zu einem Abnehmer oder von Fall zu Fall verwerten. Immer aber ist für den Klassenbegriff gemeinsam: daß die Art der Chance auf dem Markt diejenige Instanz ist, welche die gemeinsame Bedingung des Schicksals der Einzelnen darstellt. „Klassenlage" ist in diesem Sinn letztlich: „Marktlage". Nur Vorstufe wirklicher „Klassen"-Bildung ist jene Wirkung des nackten Besitzes rein als solchen, welche unter Viehzüchtern den Besitzlosen als Sklaven oder Hörigen in die Gewalt des Viehbesitzers gibt. Aber allerdings taucht hier, in der Viehleihe und der nackten Härte des Schuldrechts solcher Gemeinschaften, zum erstenmal der bloße „Besitz" als solcher als bestimmend für das Schicksal des Einzelnen auf, sehr im Gegensatz zu den auf der Arbeit ruhenden Acker-

„ Klassen ", „ Stände " und „ Parteien "

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baugemeinschaften. Zur Grundlage von „Klassenlagen" wurde das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis erst in den Städten, wo sich ein noch so primitiver - „Kreditmarkt" mit je nach der Notlage steigenden Zinsfüßen und faktischer Monopolisierung des Darlei5 hens c durch eine Plutokratie entwickelte. Damit beginnen „Klassenkämpfe". Eine Vielheit von Menschen dagegen, deren Schicksal nicht durch die Chance der eigenen Verwertung von Gütern oder Arbeit auf dem Markt bestimmt wird - wie z. B. die Sklaven - , sind im technischen Sinn keine „Klasse" (sondern: ein „Stand"). | 10 Es sind nach dieser Terminologie eindeutig ökonomische Inter- A 633 essen[,] und zwar an die Existenz des „Markts" gebundene, welche die „Klasse" schaffen. Gleichwohl aber ist der Begriff „Klassenmteresse" ein vieldeutiger und zwar nicht einmal eindeutig empirischer Begriff, sobald man darunter etwas anderes versteht als: die 15 aus der Klassenlage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit folgende faktische Interessenrichtung eines gewissen „Durchschnitts" der ihr Unterworfenen. Bei gleicher Klassenlage und auch sonst gleichen Umständen kann nämlich die Richtung, in welcher etwa der einzelne Arbeiter seine Interessen mit Wahrscheinlichkeit ver20 folgen wird, höchst verschieden sein, je nachdem er z. B. für die betreffende Leistung nach seiner Veranlagung hoch, durchschnittlich oder schlecht qualifiziert ist. Ebenso, je nachdem aus der „Klassenlage" ein Gemeinschaftshandeln eines mehr oder minder großen Teils der von ihr gemeinsam Betroffenen oder sogar eine Verge25 sellschaftung unter ihnen (z.B. eine „Gewerkschaft") erwachsen ist, von der sich der Einzelne bestimmte Resultate versprechen kann, oder nicht. Eine universelle Erscheinung ist das Herauswachsen einer Vergesellschaftung oder selbst eines Gemeinschaftshandelns aus der gemeinsamen Klassenlage keineswegs. Vielmehr 30 kann sich ihre Wirkung auf die Erzeugung eines im wesentlichen gleichartigen Reagierens, also (in der hier gewählten Terminologie):4 eines „Massenhandelns", beschränken oder nicht einmal dies zur Folge haben. Oft ferner entsteht nur ein amorphes Gemeinschaftshandeln. So etwa das in der altorientalischen Ethik be-

c A: Darleihers 4 Siehe WuG 1 , S. 374 (MWG I / 2 2 - 3 ) .

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Klassen", „Stände" und „Parteien"

kannte „Murren" der Arbeiter: 5 die sittliche Mißbilligung des Verhaltens des Arbeitsherrn, welche in seiner praktischen Bedeutung vermutlich einer gerade der neuesten gewerblichen Entwicklung wieder zunehmend typischen Erscheinung gleichkam: dem „Bremsen" (absichtliche Einschränkung der Arbeitsleistung) der Arbeiterschaft kraft stillschweigenden Einverständnisses. Der Grad, in welchem aus dem „Massenhandeln" der Klassenzugehörigen ein „Gemeinschaftshandeln" und eventuell „Vergesellschaftungen" entstehen, ist an allgemeine Kulturbedingungen, besonders intellektueller Art, und an den Grad der entstandenen Kontraste, wie namentlich an die Durchsichtigkeit des Zusammenhangs zwischen den Gründen und den Folgen der „Klassenlage" gebunden. Eine noch so starke Differenzierung der Lebenschancen an sich gebiert ein „Klassenhandeln" (Gemeinschaftshandeln der Klassenzugehörigen) nach allen Erfahrungen keineswegs. Es muß die Bedingtheit und Wirkung der Klassenlage deutlich erkennbar sein. Denn dann erst kann der Kontrast der Lebenschancen als etwas nicht schlechthin Gegebenes und Hinzunehmendes, sondern entweder 1. aus der gegebenen Besitzverteilung oder 2. aus der Struktur der konkreten Wirtschaftsordnung Resultierendes empfunden und dagegen nicht nur durch Akte eines intermittierenden und irrationalen Protestes, sondern in Form rationaler Vergesellschaftung reagiert werden. „Klassenlagen" der ersten Kategorie gab es in einer solchen spezifisch nackten und durchsichtigen Art in der Antike und im Mittelalter in den städtischen Zentren, namentlich dann, wenn große Vermögen durch faktisch monopolisierten Handel in gewerblichen Produkten des betreffenden Orts oder in Nahrungsmitteln angehäuft wurden, unter Umständen ferner in der Landwirtschaft der allerverschiedensten Zeiten bei anwachsender erwerbswirtschaftlicher Ausnutzung. Das wichtigste historische Beispiel der zweiten Kategorie ist die Klassenlage des modernen „Proletariats". Jede Klasse kann also zwar Träger irgendeines, in unzähligen Formen möglichen „Klassenhandelns" sein, aber sie muß es nicht 5 Max Weber bezeichnet in seinem Beitrag „Agrarverhältnisse im Altertum" das „Murren" als die typische altägyptische „Art zu streiken" (Weber, Agrarverhältnisse 3 , S. 139), „deren stetes und ausschließliches Motto" g e g e n ü b e r d e m Arbeitsherrn gewesen sei: „gib uns unser Brot" (ebd., S. 136). Genau in diesem Sinn ist das „Murren" biblisch belegt als Wehklagen der Israeliten g e g e n Moses bzw. Jahwe beim Exodus aus Ägypten. Vgl. 2. Mose 16, 2 et passim.

„ Klassen ", „ Stände " und „ Parteien "

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sein, und jedenfalls ist sie selbst keine Gemeinschaft, und führt es zu Schiefheiten, wenn man sie mit Gemeinschaften begrifflich gleichwertig behandelt. Und der Umstand, daß Menschen in gleicher Klassenlage auf so fühlbare Situationen, wie es die ökonomischen sind, regelmäßig durch ein Massenhandeln in der dem Durchschnitt adäquatesten Interessenrichtung reagieren, - eine für das Verständnis geschichtlicher Ereignisse ebenso wichtige wie im Grund einfache Tatsache - darf vollends nicht zu jener Art von pseudowissenschaftlichem Operieren mit dem Begriff der „Klasse", des „Klasseninteresses" | führen, die heut vielfach üblich ist A634 und ihren klassischsten Ausdruck in der Behauptung eines begabten Schriftstellers gefunden hat; daß zwar der Einzelne sich über seine Interessen irren könne, die „Klasse" über die ihrigen aber „unfehlbar" sei.6 Wenn also die Klassen an sich keine Gemeinschaften „sind", so entstehen Klassenlagen doch nur auf dem Boden von Vergemeinschaftung. Nur ist das Gemeinschaftshandeln, welches sie zur Entstehung bringt, dem Schwerpunkt nach nicht ein solches der Zugehörigen der gleichen Klasse, sondern ein solches zwischen Angehörigen verschiedener Klassen. Dasjenige Gemeinschaftshandeln z. B., welches unmittelbar die Klassenlage der Arbeiter und Unternehmer bestimmt, sind: der Arbeitsmarkt, der Gütermarkt und der kapitalistische Betrieb. Die Existenz eines kapitalistischen Betriebes setzt ihrerseits aber wiederum das Bestehen eines sehr besonders gearteten, den Güterbesitz rein als solchen, insbesondere die prinzipiell freie Verfügungsmacht Einzelner über Produktionsmittel, schützenden Gemeinschaftshandelns: einer „Rechtsordnung", und zwar einer solchen von spezifischer Art, voraus. Jede Art von Klassenlage, als vor allem auf der Macht des Besitzes rein als solchen ruhend, kommt am reinsten dann zur Wirksamkeit, wenn alle anderen Bestimmungsgründe der gegenseitigen Beziehungen in ihrer Bedeutung möglichst ausgeschaltet sind, und so die Verwertung der Macht des Besitzes auf dem Markt möglichst souverän zur Geltung gelangt. Zu den Hemmnissen einer konsequenten Durch6 Dies bezieht sich auf Oppenheimer, Der Staat, S. 144. Dort heißt es: „Der einzelne irrt häufig in der Wahrung seiner Interessen: eine Klasse irrt niemals auf die Dauer!" In dem Handexemplar Max Webers (Max Weber-Arbeitsstelle, Bayerische Akademie der Wissenschaften München) findet sich an dieser Stelle eine doppelte Anstreichung und ein Ausrufezeichen am Rand.

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Klassen",

„Stände"

und

„Parteien"

führung des nackten Marktprinzipes gehören nun die „Stände", welche uns vorerst nur unter diesem Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang interessieren. Ehe wir sie kurz betrachten, 7 sei nur noch bemerkt: Über die speziellere Art der Gegensätze der „Klassen" (in dem hier festgehaltenen Sinne) 8 ist nicht viel Allgemeines zu sagen. Die große Verschiebung, welche von der Vergangenheit zur Gegenwart hin sich vollzogen hat, läßt sich mit Inkaufnahme einiger Ungenauigkeit wohl dahin zusammenfassen: daß der durch d die Klassenlage bewirkte® Kampf sich zunehmend vom Konsumtivkredit zunächst zum Konkurrenzkampf auf dem Gütermarkt und dann zum Preiskampf auf dem Arbeitsmarkt verschoben hat. Die „Klassenkämpfe" der Antike, - soweit sie wirklich „Klassenkämpfe" und nicht vielmehr Ständekämpfe waren - waren zunächst Kämpfe bäuerlicher, (und daneben wohl auch: handwerklicher) von der Schuldknechtschaft bedrohter Schuldner gegen stadtsässige Gläubiger. Denn die Schuldknechtschaft ist, wie bei den Viehzüchtern, so auch noch in den Handels-, zumal den Seehandelsstädten die normale Folge der Vermögensdifferenzierung. Das Schuldverhältnis als solches erzeugte Klassenhandeln noch bis in Catilinas Zeit. 9 Daneben trat, mit zunehmender Versorgung der Stadt durch auswärtige Getreidezufuhren, der Kampf um die Nahrungsmittel, in erster Linie die Brotversorgung und der Brotpreis, welcher' die Antike und das ganze Mittelalter hindurch andauert und die Besitzlosen als solche gegen die wirklichen und vermeintlichen Interessenten der Brotteuerung zusammenschaarten und alle überhaupt für die Lebensführung, auch für die Handwerksproduktion wesentlichen Waren ergreift. Von Lohnkämpfen ist in der Antike und im Mittelalter und bis in die Neuzeit nur in langsam wachsenden Ansätzen die Rede, sie treten völlig nicht nur hinter den Sklavenaufständen, sondern auch hinter den Kämpfen auf dem Gütermarkt zurück.

d Fehlt in A; durch sinngemäß ergänzt.

e A: auswirkende

f A: welche

7 Siehe unten, S. 259-269. 8 Siehe oben, S.253. 9 L. Sergius Catilina kandidierte 64 und 63 v. Chr. erfolglos für ein Konsulat. In den Wahlkämpfen stützte er sich vor allem auf die untersten Schichten, die durch Verschuldung aus der Gesellschaft ausgegrenzt worden waren.

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Monopole, Vorkauf, Aufkauf, Zurückhaltung von Gütern vom Markt zwecks Preissteigerung sind das, wogegen in Antike und Mittelalter von den Besitzlosen protestiert wurde. Lohnpreisbildung ist dagegen heute der zentrale Punkt. Den Übergang stellen 5 jene Kämpfe um den Zutritt zum Markt und um die Produktenpreisbildung dar, welche 9 zwischen Verlegern und hausindustriellen Handwerkern im Übergang zur Neuzeit vorkamen. Ein ganz allgemeines und daher hier zu erwähnendes Phänomen der durch die Marktlage bedingten Klassengegensätze ist es, daß sie am bit10 tersten zwischen den wirklich direkt am Preiskampf als Gegner Beteiligten zu herrschen pflegen. Nicht der Rentner, Aktionär, Bankier ist es, welcher vom Groll der Arbeiter getroffen wird - obwohl doch gerade in seine Kasse teils mehr, teils „arbeitsloserer" Gewinn fließt als in die des Fabrikanten oder Betriebs|direktors, - A635 15 sondern fast ausschließlich dieser selbst, als der direkte Preiskampfgegner. Dieser einfache Tatbestand ist für die Rolle der Klassenlage in der politischen Parteibildung sehr oft ausschlaggebend gewesen. Er hat z. B. die verschiedenen Spielarten des patriarchalen Sozialismus und die wenigstens früher häufigen Bündnisversu20 che bedrohter ständischer Schichten mit dem Proletariat gegen die „Bourgeoisie" ermöglicht. Stände sind, im Gegensatz zu den Klassen, normalerweise Gemeinschaften, wenn auch oft solche von amorpher Art. Im Gegensatz zur rein ökonomisch bestimmten „Klassenlage" wollen wir als 25 „ständische Lage" bezeichnen jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen, welche durch eine spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der „Ehre" bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft. Diese Ehre kann sich auch an eine Klassenlage knüpfen: die Unterschie30 de der Klassen gehen die mannigfaltigsten Verbindungen mit ständischen Unterschieden ein, und der Besitz als solcher gelangt, wie schon bemerkt, 10 nicht immer, aber doch außerordentlich regelmäßig auf die Dauer auch zu ständischer Geltung. Im eigenwirtschaftlichen Nachbarverband ist in der ganzen Welt sehr häufig einfach 35 der reichste Mann rein als solcher „Häuptling", was oft einen reig A: welcher 10 Siehe oben, S. 146f„ sowie WuG1, S. 606 (MWG I/22-4).

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nen Ehrenvorzug bedeutet. In der sog. reinen, d. h. jeder ausdrücklich geordneten ständischen Privilegierung Einzelner entbehrenden, modernen „Demokratie" kommt es z.B. vor, daß nur die Familien von annähernd gleicher Steuerklasse miteinander tanzen (wie dies z.B. für einzelne kleinere Schweizer Städte erzählt wird). 11 Aber die ständische Ehre muß nicht notwendig an eine „Klassenlage" anknüpfen, sie steht normalerweise vielmehr mit den Prätensionen des nackten Besitzes als solchem in schroffem Widerspruch. Auch Besitzende und Besitzlose können dem gleichen Stande angehören und tun dies häufig und mit sehr fühlbaren Konsequenzen, so prekär diese „Gleichheit" der sozialen Einschätzung auf die Dauer auch werden mag. Die ständische „Gleichheit" des amerikanischen „gentleman" kommt z. B. darin zum Ausdruck: daß außerhalb der rein sachlich bedingten Unterordnung im „Betrieb" es - wo noch die alte Tradition herrscht - für streng verpönt gelten würde, wenn auch der reichste „Chef" seinen „Kommis" etwa abends im Klub, am Billard, am Kartentisch, in irgendeinem Sinn nicht als voll ebenbürtig behandeln und ihm etwa jenes, den Unterschied der „Stellung" markierende herablassende „Wohlwollen" angedeihen lassen wollte, welches der deutsche Chef niemals aus seinem Empfinden verbannen kann, - einer der wichtigsten Gründe, aus denen dort das deutsche Klubwesen niemals die Anziehungskraft des amerikanischen Klubs hat erreichen können. Inhaltlich findet die ständische Ehre ihren Ausdruck normalerweise vor allem in der Zumutung einer spezifisch gearteten Lebensführung an jeden, der dem Kreise angehören will. Damit zusammenhängend in der Beschränkung des „gesellschaftlichen", d.h. des nicht ökonomischen oder sonst geschäftlichen, „sachlichen" Zwecken dienenden Verkehrs, einschließlich namentlich des normalen Konnubium, auf den ständischen Kreis bis zu völliger endogener Abschließung. Sobald nicht eine bloße individuelle und sozial irrelevante Nachahmung fremder Lebensführung, sondern ein einverständliches Gemeinschaftshandeln dieses Charakters vorliegt, ist die „ständische" Entwicklung im Gang. In charakteristischer Art entwickelt sich dergestalt die „ständische" Gliederung auf der Basis konventioneller Lebensführung zur Zeit in den Vereinigten Staaten aus der hergebrachten Demokratie heraus. Zum 11 Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden.

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Beispiel so: daß nur der Einwohner einer bestimmten Straße („the Street") als zur „society" gehörig und verkehrsfähig angesehen, besucht und eingeladen wird. 12 Vor allem aber so, daß die strikte Unterwerfung unter die jeweils in der Society herrschende Mode 5 in einem bei uns unbekannten Grade auch bei Männern, als ein Symptom dafür, daß der Betreffende die Qualität als Gentleman prätendiere, gilt und infolgedessen darüber mindestens prima facie entscheidet, daß er auch als solcher behandelt wird, was z.B. für seine Anstellungs| chancen in „guten" Geschäften, vor allem aber A 636 io für Verkehr und Konnubium mit „angesehenen" Familien ebenso wichtig wird, wie etwa die „Satisfaktionsfähigkeit" bei uns. Und im übrigen usurpieren etwa bestimmte, lange Zeit ansässige (und natürlich: entsprechend wohlhabende) Familien (so die „F. F. V." = „first families of Virginia") 13 oder die wirklichen und angeblichen 15 Abkömmlinge der „Indianerprinzessin" Pocahontas h 14 oder der Pilgerväter,15 Knickerbocker, 16 die Zugehörigen einer schwer zu-

h A: Pocohontas 12 Max Weber hatte während seiner Amerika-Reise 1904 den engen Zusammenhang von Straßen- und Gesellschaftszugehörigkeit am Beispiel der Tochter seines Kollegen Johannes E. Conrad erlebt. Sie wohnte mit ihrem Mann, einem Pfarrer und Professorensohn, in einem Arbeiterviertel der Kleinstadt North Tonawanda (Bundesstaat New York). Weber berichtet im Brief an seine Mutter vom 8. bis [13.] Sept. 1904 (GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 6, Bl. 16-24; MWG II/4), daß die Pfarrersfamilie von ihresgleichen geschnitten würde, da erst „das Mieten einer Wohnung in einer Strasse, die als zum ,first set' gehörend gilt [...], zur Aufnahme in die ,society'" führe. 13 Die gesellschaftlich führenden Familien des US-amerikanischen Bundesstaates Virginia gründeten ihren Status auf der vermeintlichen Abstammung von der englischen Aristokratie. Vgl. Wertenbaker, Thomas J., Patrician and Plebian of the Old Dominion. - New York: Rüssel & Rüssel 1959 (= Reprint der 1. Aufl. von 1910). 14 Die sagenumwobene Indianerin mit dem Rufnamen Pocahontas („kleine Übermütige") vermittelte im heutigen US-Bundesstaat Virginia zwischen den amerikanischen Ureinwohnern und den europäischen Siedlern. Berühmtheit erlangte sie durch ihre Englandreise 1616/17. Die beiden angesehensten Familien Virginias, die Böllings und Randolphs, leiteten ihre Herkunft von der einzigen Enkelin Pocahontas' ab. 15 Als „Pilgerväter" wurde seit dem 19. Jahrhundert eine kleine Schar von kongregationalistischen Flüchtlingen bezeichnet, die 1620 mit dem Schiff „Mayflower" in Nordamerika landete und die Kolonie Plymouth im heutigen US-Bundesstaat Massachusetts gründete. Als Pioniere der Besiedelung Amerikas wurde ihnen großes Ansehen zugemessen. 16 In Anlehnung an den von Washington Irving fingierten niederländischen Verfasser der 1809 wohl erstmals erschienenen humoristischen History of New York from the Beginning of the World to the End of the Dutch Dynasty by Diedrich Knickerbocker. - New York: G.P. Putnam's Sons 1889, wurden New Yorker niederländischer Herkunft „Knickerbockers" genannt. Der Kern der Geschichte bezog sich auf die Besiedlung der Insel Manhattan durch

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gänglichen Sekte und allerhand durch irgendein anderes Merkmal sich abhebende Kreise „ständische" Ehre. In diesem Fall handelt es sich um rein konventionelle, wesentlich auf Usurpation (wie allerdings im Ursprung normalerweise fast alle ständische „Ehre") ruhende Gliederung. A b e r der Weg von da zur rechtlichen Privilegierung (positiv und negativ) ist überall leicht gangbar, sobald eine bestimmte Gliederung der sozialen Ordnung faktisch „eingelebt" ist und, infolge der Stabilisierung der ökonomischen Machtverteilung, auch ihrerseits Stabilität erlangt hat. Wo die äußersten Konsequenzen gezogen werden, entwickelt sich der Stand zur geschlossenen „Kaste". Das heißt: es findet neben der konventionellen und rechtlichen auch noch eine rituelle Garantie der ständischen Scheidung statt, dergestalt, daß jede physische Berührung mit einem Mitglied einer als „niedriger" geschätzten Kaste für Angehörige der „höheren" als rituell verunreinigender, religiös zu sühnender Makel gilt, und die einzelnen Kasten teilweise ganz gesonderte Kulte und Götter entwickeln. Zu diesen Konsequenzen steigert sich die ständische Gliederung im allgemeinen allerdings nur da, wo ihr Differenzen zugrunde liegen, die als „ethnische" angesehen werden. Die „Kaste" ist geradezu die normale Form, in welcher ethnische, an Blutsverwandtschaft glaubende, das Konnubium und den sozialen Verkehr nach außen ausschließende Gemeinschaften miteinander „vergesellschaftet" zu leben pflegen. So in der gelegentlich schon erörterten, 17 über die ganze Welt verbreiteten Erscheinung der „Paria"-Völker: Gemeinschaften, welche spezifische Berufstraditionen handwerklicher oder anderer Art erworben haben, den ethnischen Gemeinsamkeitsglauben pflegen und nun in der „Diaspora", streng geschieden von allem nicht unumgänglichen persönlichen Verkehr und in rechtlich prekärer Lage, aber kraft ihrer ökonomischen Unentbehrlichkeit geduldet und oft sogar privilegiert, in' politischen Gemeinschaften eingesprengt leben: die Juden sind das

i Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt. die Holländisch-Westindische Kompagnie zwischen 1614 und 1664. Bereits vor Irvings Buch existierten in New York „Knickerbocker"-Unternehmen und -Gesellschaften, die später - wohl durch das Buch veranlaßt - regelrecht in Mode kamen (vgl. ebd., S. 4f.). 17 Siehe Weber, Religiöse Gemeinschaften, MWG I/22-2, S. 255ff.

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großartigste historische Beispiel. Die zur „Kaste" gesteigerte „ständische" und die bloß „ethnische" Scheidung differieren in ihrer Struktur darin, daß die erstere aus dem horizontalen unverbundenen Nebeneinander der letzteren ein vertikales soziales Über5 einander macht. Korrekt ausgedrückt: daß eine umgreifende Vergesellschaftung die ethnisch geschiedenen Gemeinschaften zu einem spezifischen, politischen Gemeinschaftshandeln zusammenschließt. In ihrer Wirkung differieren sie eben darin: daß das ethnische Nebeneinander, welches die gegenseitige Abstoßung und Ver10 achtung bedingt, aber jeder ethnischen Gemeinschaft gestattet, ihre eigene Ehre für die höchste zu halten, in der Kastengliederung ein soziales Untereinander, ein anerkanntes „Mehr" an „Ehre" zugunsten der privilegierten Kasten und Stände mit sich bringt, weil hier die ethnischen Unterschiede zu solchen der „Funktion" 15 innerhalb der politischen Vergesellschaftung wurden (Krieger, Priester, politisch für Krieg und Bauten wichtige Handwerker usw.). Aber selbst das verachtetste Pariavolk pflegt irgendwie das den ethnischen und ständischen Gemeinschaften gleichmäßig eigene: den Glauben an die eigene spezifische „Ehre", weiter zu pfle20 gen (so die Juden). Nur nimmt bei den negativ privilegierten „Ständen" das „Würdegefühl" - der subjektive Niederschlag sozialer Ehre und der konventionellen Ansprüche, welche der positiv privilegierte „Stand" an die Lebensführung seiner Glieder stellt, - eine spezifisch abweichende Wendung. Das Würdegefühl der positiv 25 privilegierten Stände bezieht sich naturgemäß auf ihr nicht über sich selbst hinausweisendes „Sein", ihre „Schönheit und Tüchtigkeit" (xa^o-jcaycriKa).18 Ihr Reich ist „von dieser Welt" 19 und lebt für die Gegenwart und von der großen Vergangenheit. Das Würdegefühl der negativ | privilegierten Schichten kann sich naturgemäß A 637 30 auf eine jenseits der Gegenwart liegende, sei es diesseitige oder jenseitige Zukunft beziehen, es muß sich mit anderen Worten aus 1 8 Das hier zitierte Substantiv „kalo-kagathia" ist im 4. J a h r h u n d e r t v. Chr. n a c h g e w i e s e n (z. B. bei X e n o p h o n u n d Aristoteles) und b e d e u t e t - n a c h J a k o b Burckhardt - die „unt r e n n b a r e V e r s c h m e l z u n g einer moralischen, einer ä s t h e t i s c h e n u n d einer materiellen Ü b e r z e u g u n g zu e i n e m Begriff". Es w u r d e z u m S y n o n y m für d a s d u r c h die g r i e c h i s c h e Aristokratie repräsentierte Persönlichkeitsideal. Vgl. Burckhardt, J a k o b , G r i e c h i s c h e Kult u r g e s c h i c h t e , hg. v o n J a k o b Oeri, B a n d 1, 2. Aufl. - Berlin, Stuttgart: W. S p e m a n n [1898], S. 171. 19 U m k e h r u n g der Bibelstelle J o h a n n e s 18, 36: „Mein Reich Ist nicht v o n dieser Welt."

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dem Glauben an eine providentielle „Mission", an eine spezifische Ehre vor Gott als „auserwähltes Volk", also daraus speisen, daß entweder in einem Jenseits „die letzten die ersten"20 sein werden oder daß im Diesseits ein Heiland erscheinen und die vor der Welt verborgene Ehre des von ihr verworfenen Pariavolkes (Juden) oder -standesk an das Licht bringen werde. Dieser einfache Sachverhalt, dessen Bedeutung in anderem Zusammenhang zu besprechen ist1,21 und nicht das in Nietzsches vielbewunderter Konstruktion (in der „Genealogie der Moral") so stark hervorgehobene „Ressentiment"22 ist die Quelle des - übrigens, wie wir sahen,23 nur begrenzt und für eins von Nietzsches Hauptbeispielen (Buddhismus) gar nicht zutreffenden Charakters der von den Pariaständen gepflegten Religiosität.24 Im übrigen ist der ethnische Ursprung der Ständebildung keineswegs die normale Erscheinung. Im Gegenteil. Und da keineswegs jedem subjektiv „ethnischen" Gemeinsamkeitsgefühl objektive „Rassenunterschiede" zugrunde liegen, so ist mit Recht die letztlich rassenmäßige Begründung ständischer Gliederungen durchaus eine Frage des konkreten Einzelfalls: sehr oft ist der „Stand", der ja gewiß in starkem Grade exk A: -Standes

I In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber a n : ' ) Vgl. o b e n Kap.

IV, § 7 (S. 277). 20 Vgl. Matthäus 20,16. 21 Der Bezug ist unklar. Vermutlich handelt es sich hier um einen Hinweis auf die Untersuchung über „Das antike Judentum", die später im Rahmen der Aufsatzreihe „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen", in: AfSSp, Band 44, 1917/18, S. 52-138, 349-443, 6 0 1 626 und ebd., Band 46, 1918/19, S. 40-113 (MWG 1/21), erschienen ist. Vgl. auch Weber, Religiöse Gemeinschaften, MWG I/22-2, S. 254-265 und WuG1, S. 750 (MWG I/ 22-4). 22 Nietzsche, Genealogie der Moral, S. 16ff., beschreibt das „Ressentiment" als die „Umkehrung des werthe-setzenden Blicks". Der „Sklavenaufstand in der Moral" beginne damit, daß das Ressentiment selbst schöpferisch werde und Werte hervorbringe: „das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der That versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten." (ebd., S.16). 23 Verweis auf die „Religiösen Gemeinschaften", siehe MWG I/22-2, S. 257-265. 24 Max Weber ging in den „Religiösen Gemeinschaften", MWG I/22-2, S. 265 und später in seiner Hinduismusstudie (MWG I/20, S. 363) davon aus, daß der Buddhismus durch die stolze und kriegerische Haltung der positiv privilegierten Kasten geprägt sei. Dagegen vertrat Friedrich Nietzsche die These, daß er sich aus sanftmütigen und unkämpferischen Menschen aller Stände rekrutierte, „welche aus Trägheit gut und gütig (vor Allem inoffensiv) sind, die, ebenfalls aus Trägheit, abstinent, beinahe bedürfnisslos leben". Er verglich sie mit den ersten Christen, den „kleinen Leute[n] in der römischen Provinz", die „ein bescheidnes tugendhaftes gedrücktes Leben" führten. Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft (Ja gaya scienza"), 2. Aufl. - Leipzig: C. G. Naumann 1895, S.290.

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trem wirkt, und auf einer Auslese der persönlich Qualifizierten (der Ritterstand: der kriegerisch^] physisch und psychisch Brauchbaren) beruht, seinerseits Mittel der Reinzüchtung eines anthropologischen Typus. Aber die persönliche Auslese ist weit davon entfernt, der einzige oder vorwiegende Weg der Ständebildung zu sein: die politische Zugehörigkeit oder Klassenlage entschied von jeher mindestens ebenso oft und heute die letztere weit überwiegend. Denn die Möglichkeit „ständischer" Lebensführung pflegt naturgemäß ökonomisch mitbedingt zu sein. Praktisch betrachtet, geht die ständische Gliederung überall mit einer Monopolisierung ideeller und materieller Güter oder Chancen in der uns schon als typisch bekannten Art 2 5 zusammen. Neben der spezifischen Standesehre, die stets auf Distanz und Exklusivität ruht, und neben Ehrenvorzügen wie dem Vorrecht auf bestimmte Trachten, auf bestimmte, durch Tabuierung anderen versagte Speisen, dem in seinen Folgen höchst fühlbaren Vorrecht des Waffentragens, dem Recht auf bestimmte nicht erwerbsmäßige, sondern dilettierende Arten der Kunstübung (bestimmte Musikinstrumente z. B.) stehen allerhand materielle Monopole. Selten ausschließlich, aber fast immer zu irgend einem Teil geben naturgemäß gerade sie die wirksamsten Motive für die ständische Exklusivität. Für das ständische Konnubium steht dem Monopol auf die Hand der Töchter des betreffenden Kreises das Interesse der Familien auf die Monopolisierung der ihm angehörigen potentiellen Freier zur Versorgung eben dieser Töchter mindestens gleichbedeutend zur Seite. Die konventionellen Vorzugschancen auf bestimmte Anstellungen steigern sich bei zunehmender ständischer Abschließung zu einem rechtlichen Monopol auf bestimmte Ämter für bestimmte ständisch abgegrenzte Gruppen. Bestimmte Güter, in typischer Art überall die „Rittergüter", oft auch der Leibeigenen- oder Hörigenbesitz, endlich bestimmte Erwerbszweige werden Gegenstand ständischer Monopolisierung. Sowohl positiv: so, daß der betreffende Stand allein sie besitzen und betreiben darf, wie negativ: so, daß er sie um der Erhaltung seiner spezifischen Lebensführung willen nicht besitzen und betreiben darf. Denn die maßgebende Rolle der „Lebensführung" für die ständische „Ehre" bringt es mit sich, daß die „Stände" die spezifischen Träger aller „Konventionen" sind: 2 5 Siehe oben, S. 82-86.

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alle „Stilisierung" des Lebens, in welchen Äußerungen es auch sei, ist entweder ständischen Ursprungs oder wird doch ständisch konserviert. Bei aller großen Verschiedenheit zeigen die Prinzipien der ständischen Konventionen namentlich bei den höchstprivilegierten Schichten doch gewisse typische Züge. Ganz allgemein besteht die ständische Disqualifizierung ständisch privilegierter Gruppen für die gewöhnliche physische Arbeit, die, entgegen den alten gerade entgegengesetzten Traditionen, jetzt auch in Amerika einsetzt. | A 638 Sehr häufig gilt jede rationale Erwerbstätigkeit, insbesondere auch „Unternehmertätigkeit" als ständisch disqualifizierend und gilt ferner als entehrende Arbeit auch die künstlerische und literarische, sobald sie zum Erwerb ausgenutzt wird oder mindestens dann, wenn sie mit harter physischer Anstrengung verbunden ist, wie z. B. der im Staubkittel, wie ein Steinmetz arbeitende Bildhauer im Gegensatz zum Maler mit seinem salonartigen „Atelier" und zu den ständisch akzeptierten Formen der Musikübung. Die so sehr häufige Disqualifikation des „Erwerbstätigen" als solchen ist, neben später zu berührenden Einzelgründen, 26 eine direkte Folge des „ständischen" Prinzips der sozialen Ordnung und seines Gegensatzes zur rein marktmäßigen Regulierung der Verteilung von Macht. Der Markt und die ökonomischen Vorgänge auf ihm kannte, wie wir sahen, 27 kein „Ansehen der Person": „sachliche" Interessen beherrschen ihn. Er weiß nichts von „Ehre". Die ständische Ordnung bedeutet gerade umgekehrt: Gliederung nach „Ehre" und ständischer Lebensführung und ist als solche in der Wurzel bedroht, wenn der bloße ökonomische Erwerb und die bloße, nackte, ihren außerständischen Ursprung noch an der Stirn tragende, rein ökonomische Macht als solche jedem, der sie gewonnen hat, gleiche oder - da bei sonst gleicher ständischer Ehre doch überall der Besitz noch ein wenn auch uneingestandenes Superadditum darstellt - sogar dem Erfolg nach höhere „Ehre" verleihen könnte^] wie sie die ständischen Interessenten kraft ihrer Lebensführung für sich prätendieren. Die Interessenten jeder ständischen Gliederung reagieren daher mit spezifischer Schärfe gerade gegen die Prätensionen des reinen ökonomischen Erwerbs als solchen und meist dann um so schärfer, je bedrohter sie sich fühlen: die re26 Siehe WuG 1 , S. 7 4 9 - 7 5 2 (MWG I/22-4). 27 Siehe oben, S. 194.

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spektvolle Behandlung des Bauern etwa bei Calderon,28 im Gegensatz zu der gleichzeitigen ostensiblen Verachtung der „Kanaille" bei Shakespeare[,]29 zeigt diese Unterschiede des Reagierens einer festgefügten, gegenüber einer ökonomisch ins Wanken geratenen ständischen Gliederung und ist Ausdruck eines überall wiederkehrenden Sachverhalts. Die ständisch privilegierten Gruppen akzeptierten eben deshalb den „Parvenü" niemals persönlich wirklich vorbehaltlos - mag seine Lebensführung sich der ihrigen noch so völlig angepaßt haben -, sondern erst seine Nachfahren, welche in den Standeskonventionen ihrer Schicht erzogen sind und die ständische Ehre nie durch eigene Erwerbsarbeit befleckt haben. Als Wirkung ständischer Gliederung läßt sich demgemäß ganz allgemein nur ein allerdings sehr wichtiges Moment feststellen: die Hemmung der freien Marktentwicklung. Zunächst für diejenigen Güter, welche die Stände durch Monopolisierung dem freien Verkehr direkt entziehen, es sei rechtlich oder konventionell, wie z. B. das ererbte Gut in vielen hellenischen Städten der spezifisch ständischen Epoche 30 und (wie die alte Entmündigungsformel für Verschwender zeigt) ursprünglich auch in Rom,31 ebenso die Rittergü28 Gemeint ist wohl Calderöns Charakterschauspiel „El alcalde de Zalamea" (Der Richter von Zalamea). Dort steht die Figur des Pedro Crespo im Vordergrund, der als reich gewordener Bauer zum Alkalden (Dorfschulzen) avanciert und seine bäuerlichen Werte zunehmend selbstbewußt vertritt. Vgl. Schaeffer, Adolf, Geschichte des spanischen Nationaldramas, Band 2: Die Periode Calderön's. - Leipzig: F. A. Brockhaus 1890, S. 36f. 29 Shakespeare läßt Bauern, Diener oder Leute niederen Standes - von Weber hier als „Kanaille" bezeichnet - zumeist als ungeschickte, linkische oder unansehnliche Personen auftreten, die dem höfischen Spott preisgegeben werden, so besonders in dem Drama „Henry VI." Diese These vertrat in der zeitgenössischen Literatur beispielsweise Crosby, Ernest, Shakespeare's Attitüde Toward the Worklng Classes. - Syracuse/New York: Mason Press [1900], S.3ff. 30 Gemeint ist die Zeit des sogenannten „Stadtfeudalismus" in der Frühzeit des hellenischen Altertums (ca. 11.-7. Jahrhundert v. Chr.), In der die Erbgüter (kleroi) - nach Webers Auffassung - aufgrund von Konventionen, aber nicht immer aus rechtlichen Gründen unveräußerlich waren. Ausnahmen davon bildeten Elis und Theben. Damit richtete sich Weber gegen die u. a. von Martin Wllbrandt und Fustel de Coulanges vertretene These, daß die Mobilisierung des Bodens erst mit den solonischen Reformen (594/3 v. Chr.) eingesetzt habe. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 104, 114, und Meyer, Eduard, Geschichte des Alterthums, Band 2: Geschichte des Abendlandes bis auf die Perserkriege. - Stuttgart: J. G. Cotta 1893, S.297ff. 31 Die Formel aus der Xll-Tafelzeit lautete: „Quando tibi bona paterna avitaque nequitia tua disperdis llberosque tuos ad egestatem peducis, ob eam rem tibi aere commercloque interdico." Sie entmündigte den Verschwender eines Erbgutes („bona paterna avitaque"), unterstellte Ihn einem Kurator und schränkte seine Geschäftsfähigkeit ein. Vgl. Käser, Max, Das Römische Privatrecht, 1. Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und

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ter, Bauerngüter, Priestergüter und vor allem die Kundschaft eines zünftigen Gewerbes oder Gildehandels. Der Markt wird eingeschränkt, die Macht des nackten Besitzes rein als solchen, welche der „Klassenbildung" den Stempel aufdrückt, zurückgedrängt. Die Wirkungen davon können die allerverschiedensten sein und liegen 5 natürlich keineswegs etwa notwendig in der Richtung einer Abschwächung der Kontraste der ökonomischen Situation; oft im Gegenteil. Jedenfalls aber ist von wirklich freier Marktkonkurrenz im heutigen Sinn überall da keine Rede, wo ständische Gliederungen eine Gemeinschaft so stark durchziehen, wie dies in allen politi- 10 sehen Gemeinschaften der Antike und des Mittelalters der Fall war. Aber eher noch weittragender als diese direkte Aussperrung gewisser Güter vom Markt ist der aus der erwähnten 32 Gegensätzlichkeit der ständischen gegen die rein ökonomische Ordnung folgende Umstand, daß der ständische Ehrbegriff in den meisten Fällen ge- 15 rade das Spezifische des Markts: das Feilschen, überhaupt perhorresziert, sowohl unter Standesgenossen, wie zuweilen für MitglieA 639 der eines Standes überhaupt, und daß es daher überall Stände, | und zwar meist die einflußreichsten, gibt, für welche fast jede Art von offener Beteiligung am Erwerb schlechthin als ein Makel gilt. 20 Man könnte also, mit etwas zu starker Vereinfachung, sagen: „Klassen" gliedern sich nach den Beziehungen zur Produktion und zum Erwerb der Güter, „Stände" nach den Prinzipien ihres Güterkonsums in Gestalt spezifischer Arten von „Lebensführung". Auch ein „Berufsstand" ist „Stand", d.h. prätendiert mit Erfolg 25 soziale „Ehre" normalerweise erst kraft der, eventuell durch den Beruf bedingten, spezifischen „Lebensführung". Die Unterschiede vermischen sich freilich oft, und gerade die nach ihrer „Ehre" am strengsten geschiedenen ständischen Gemeinschaften: die indischen Kasten, zeigen heute - allerdings innerhalb bestimmter, sehr 30 fester Schranken - ein relativ hohes Maß von Indifferenz gegenüber dem „Erwerb", der namentlich seitens der Brahmanen in der allerverschiedensten Form gesucht wird. 33 k l a s s i s c h e Recht ( H a n d b u c h der Altertumswissenschaft, 3. Teil, B a n d 3, I . A b s c h n . ) , 2., n e u b e a r b . Aufl. - M ü n c h e n : C. H. B e c k 1971, S . 8 5 , dort a u c h d a s Zitat; vgl. a u c h M W G I/2, S. 159, A n m . 7 2 . 3 2 S i e h e oben, S. 267. 3 3 Die E r w e r b s m ö g l i c h k e i t e n der vier alten i n d i s c h e n K a s t e n - der B r a h m a n e n (Priester, Gelehrte), Ksatriya (Adel, Krieger), Vaiäya (Bauern, Händler, G e w e r b e t r e i b e n d e ) und

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Über die allgemeinen ökonomischen Bedingungen des Vorherrschens „ständischer" Gliederung läßt sich im Zusammenhang mit dem eben Festgestellten ganz allgemein nur sagen: daß eine gewisse (relative) Stabilität der Grundlagen von Gütererwerb und Güterverteilung sie begünstigt, während jede technisch-ökonomische Erschütterung und Umwälzung sie bedroht und die „Klassenlage" in den Vordergrund schiebt. Zeitalter und Länder vorwiegender Bedeutung der nackten Klassenlage sind der Regel nach technischökonomische Umwälzungszeiten, während jede Verlangsamung der ökonomischen Umschichtungsprozesse alsbald zum Aufwachsen „ständischer" Bildungen führt und die soziale „Ehre" wieder in ihrer Bedeutung restituiert. Während die „Klassen" in der „Wirtschaftsordnung", die „Stände" in der „sozialen Ordnung", also in der Sphäre der Verteilung der „Ehre", ihre eigentliche Heimat haben und von hier aus einander gegenseitig und die Rechtsordnung beeinflussen und wiederum durch sie beeinflußt werden, sind „Parteien" primär in der Sphäre der „Macht" zu Hause. Ihr Handeln ist auf soziale „Macht", und das heißt: Einfluß auf ein Gemeinschaftshandeln gleichviel welchen Inhalts ausgerichtet: es kann Parteien prinzipiell in einem geselligen „Klub" ebensogut geben wie in einem „Staat". Das „parteimäßige" Gemeinschaftshandeln enthält, im Gegensatz zu dem von „Klassen" und „Ständen", bei denen dies nicht notwendig der Fall ist, stets eine Vergesellschaftung. Denn es ist stets auf ein planvoll erstrebtes Ziel, sei es ein „sachliches": die Durchsetzung eines Programms um ideeller oder materieller Zwecke willen, sei es ein „persönliches": Pfründen, Macht und, als Folge davon, Ehre für ihre Führer und Anhänger oder, und zwar gewöhnlich, auf dies alles zugleich gerichtet. Sie sind daher auch möglich nur innerhalb von Gemeinschaften, welche ihrerseits irgendwie vergesellschaftet sind, also irgendwelche rationale Ordnung und einen Apparat von Südra (Knechte) - waren durch strenge Ritual- und Reinheitsvorschriften beschränkt. Die Brahmanen übten d a g e g e n traditionell viele Berufe aus, sofern sie nicht zur Verunreinig u n g führten. Sie lebten vor allem von Geschenken für die von ihnen vollzogenen Opferhandlungen. Zu Webers Zeit versuchten sie, die A u s l e g u n g der Reinheitsvorschriften und die Entscheidung über die Kastenzugehörigkeit zu monopolisieren und daraus einen materiellen Gewinn zu erzielen. Vgl. Plschel, Richard und Lüders, E[lse], Kasten, in: HdStW 3 , Band 5, 1910, S. 7 9 8 - 8 0 4 , und Max Webers spätere Ausführungen in MWG I/20, S.68, 189 et passim.

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Personen besitzen, welche sich zu deren Durchführung bereit halten. Denn eben diesen Apparat zu beeinflussen und womöglich aus Parteianhängern zusammenzusetzen^] ist Ziel der Parteien. Sie können im Einzelfall durch „Klassenlage" oder „ständische Lage" bedingte Interessen vertreten und ihre Anhängerschaft entsprechend rekrutieren. Aber sie brauchen weder reine „Klassen"- noch rein „ständische" Parteien zu sein und sind es meist nur zum Teil, oft gar nicht. Sie können ephemere oder perennierende Gebilde darstellen, und ihre Mittel zur Erlangung der Macht können die allerverschiedensten sein, von nackter Gewalt jeder Art bis zum Werben um Wahlstimmen mit groben oder feinen Mitteln: Geld, sozialem Einfluß, Macht der Rede, Suggestion und plumper Übertölpelung, und bis zur mehr groben oder mehr kunstvollen Taktik der Obstruktion innerhalb parlamentarischer Körperschaften. Ihre soziologische Struktur ist notwendig grundverschieden je nach derjenigen des Gemeinschaftshandelns,m um dessen Beeinflussung sie kämpfen, je nachdem die Gemeinschaft z. B. ständisch oder klassenmäßig gegliedert ist oder nicht, und vor allem je nach der Struktur der „Herrschaft" innerhalb derselben. Denn um deren Eroberung handelt | es sich ja für ihre Führer normalerweise. Sie sind, in dem allgemeinen Begriff, den wir hier festhalten, nicht erst Erzeugnisse spezifisch moderner Herrschaftsformen: auch die antiken und mittelalterlichen Parteien wollen wir als solche bezeichnen, trotz ihrer von den modernen so grundverschiedenen Struktur. Aber allerdings läßt sich infolge dieser Strukturunterschiede der Herrschaft auch über die Struktur der Partei, die stets ein um Herrschaft kämpfendes Gebilde ist und daher selbst, oft sehr straff, „herrschaftlich" organisiert zu sein pflegt, nichts ohne Erörterung der Strukturformen der sozialen Herrschaft überhaupt aussagen. Diesem zentralen Phänomen alles Sozialen wenden wir uns daher jetzt zu. - 3 4 Vorher ist über die „Klassen", „Stände" und „Parteien" nur noch im allgemeinen zu sagen: Daraus, daß sie notwendig eine sie m A: Gemeinschaftshandeln, 34 Der Bezug ist unklar. Das Kapitel „Herrschaft", WuG 1 , S. 6 0 3 - 6 1 2 (MWG I/22-4), und die Untersuchung der Herrschaftsformen, WuG 1 , S.650ff. (MWG I/22-4), behandeln die polltische und nicht die soziale Herrschaft. Möglicherweise handelt es sich um einen Einschub der Erstherausgeber.

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„Klassen", „Stände" und „Parteien"

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umgreifende Vergesellschaftung, speziell ein politisches Gemeinschaftshandeln, innerhalb deren sie ihr Wesen treiben, voraussetzen, ist nicht gesagt, daß sie selbst an die Grenzen je einer einzelnen politischen Gemeinschaft gebunden wären. Im Gegenteil ist es von jeher an der Tagesordnung gewesen, von der Interessensolidarität der Oligarchen und Demokraten in Hellas,35 der Guelfen und Ghibellinen im Mittelalter,36 der calvinistischen Partei in der Zeit der religiösen Kämpfe37 bis zur Solidarität der Grundbesitzer (internationaler Agrarierkongreß),38 Fürsten (heilige Allianz,39 Karlsbader Beschlüsse40), sozialistischen Arbei35 Im griechischen Altertum suchten die Parteien der Stadtstaaten nach auswärtigen Verbündeten, so war insbesondere das 5. Jahrhundert v. Chr. durch den Gegensatz Athen - Sparta geprägt, wobei Athen als Vorkämpferin für Demokratie und einen zentrallstlschen Großstaat galt, Sparta dagegen für Oligarchie und Partikularismus stand. Daß die Partelgegensätze die einzelnen Staatswesen zu zerstören drohten, bemerkten u. a. Piaton, Politik 4, 422e und Aristoteles, Politik 5, 1310a. 36 Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert kämpften die Partelen der Guelfen und Ghibellinen In den ober- und mittelitalienischen Städten um die Herrschaft. Die guelfische „Volkspartei" vertrat eine föderale Struktur und weltgehende Autonomie, mit dem Papst an der Spitze, die ghlbelllnlsche Adelspartei dagegen eine umfassende „Königsherrschaft". 37 Unterstützung erhielt die calvinlstlsche Partei insbesondere durch die Übertritte der beiden Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz (1546) und Johann Sigismund von Brandenburg (1613). 38 Der erste internationale Agrarkongreß fand 1889 anläßlich der Weltausstellung In Paris statt und trat in unregelmäßigen Abständen bis In die 1930er Jahre zusammen. Organisiert wurde er jeweils von einem nationalen Kongreßbüro, oft unter Einbeziehung des Landwirtschaftsministers des gastgebenden Landes. Kongreßteilnehmer waren In- und ausländische Regierungsvertreter, Abgeordnete der agrarischen Verbände, Grund- und Großgrundbesitzer sowie Vertreter von Wissenschaft und Presse. Polltisch vertrat der Kongreß - gerade in der Anfangszeit - einen protektionlstischen Kurs, aber auch die Überzeugung, daß sich Im Zeitalter des Welthandels landwirtschaftliche Probleme nicht mehr durch nationale Alleingänge lösen lassen. Vgl. Congres International d'agrlculture, tenu ä Budapest du 17 au 20 septembre 1896, Comtes-Rendus. - Budapest: Legrädy testverek 1897, S. 63-75. 39 Die „heilige Allianz" wurde durch die Absichtserklärung der Monarchen von Rußland, Österreich-Ungarn und Preußen am 26. September 1815 als ein Fürstenbund auf christlich-konservativer Grundlage gegründet. Während der Restaurationszeit verhinderte er die Entstehung freiheitlicher Institutionen. 40 Im August 1819 erarbeiteten konservative Vertreter von zehn deutschen Staaten in Karlsbad vier Gesetze, die sich gegen die liberale und nationale Bewegung in Deutschland richteten und die am 20. September 1819 von der Bundesversammlung angenommen wurden. Das Universitätsgesetz schränkte die Autonomie der Universitäten erheblich ein, ermöglichte die Entlassung von Professoren aus politischen Gründen und unterstellte die Burschenschaften strenger staatlicher Kontrolle. Das Pressegesetz führte die Vorzensur für Zeitungen und die Nachzensur für Bücher ein. Darüber hinaus wurde eine zentrale Untersuchungskommission des Bundes geschaffen, die revolutionäre Umtriebe aufdekken sollte. Schließlich wurde dem Bund durch die „Exekutionsordnung" die Möglichkeit

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„Klassen", „Stände" und „Parteien"

ter,41 Konservativen (Sehnsucht der preußischen Konservativen nach russischer Intervention 1850),42 daß die Vergesellschaftung, und zwar auch eine auf gemeinsamen Gebrauch von militärischer Gewalt abzielende Vergesellschaftung, über die Grenzen der politischen Verbände hinausgreift. Nur ist ihr Ziel dabei nicht not- 5 wendig die Herstellung einer neuen internationalen, politischen, das heißt aber: Geft/eteherrschaft, sondern meist die Beeinflussung der bestehenden.

eingeräumt, g e g e n Bundesstaaten vorzugehen, die ihre Bundespflichten versäumten, und bei revolutionären B e w e g u n g e n auch militärisch einzuschreiten. 4 1 Im September 1864 schlössen sich sozialistische G r u p p e n aus 13 Ländern zur Internationalen Arbeiterassoziation, der sogenannten Ersten Internationalen, z u s a m m e n . Nach deren Auflösung 1876 gründete sich 1889 die marxistisch ausgerichtete Zweite Internationale, der sozialistische Parteien aus 20 Ländern angehörten. Sie existierte bis z u m Ersten Weltkrieg. 4 2 An anderer Stelle bezieht sich Weber in diesem Z u s a m m e n h a n g explizit auf einen Artikel der „Kreuzzeitung", der 1850 erschienen ist. Vgl. oben, S.245, Anm. 44.

Anhang

Kriegerstände

Editorischer Bericht Zur Entstehung Die beiden nachstehenden Notizen stellen eine Sammlung historischen Materials zu Leitbegriffen der Herrschaftslehre dar und können als inhaltliche Vorklärung einer geplanten Ausarbeitung gelten. Der erste Teil behandelt die materiellen, ökonomischen und kulturellen Voraussetzungen der Zugehörigkeit zum Kriegerstand sowie die Beziehung der Krieger zu einem Monarchen, während im zweiten Teil die Vergemeinschaftungen von Kriegern und deren Verhältnis zum Feudalherrn im Mittelpunkt stehen. Die Dichotomie von „Herrschaft" und „Genossenschaft" 1 bildet die inhaltliche Verbindung beider Teile. Es finden sich keine konkreten Datierungshinweise innerhalb der beiden Notizen. Die Titel „Kriegerstände" deuten darauf hin, daß Weber hier den von Hans Delbrück 1907 eingeführten Begriff des Kriegerstandes aufgegriffen hat. 2 Andererseits läßt die Verdoppelung des Titels innerhalb dieses kurzen Abschnittes vermuten, daß die beiden Teile in unterschiedlichen Arbeitsgängen entstanden sind und vielleicht ursprünglich überhaupt nicht zusammengehörten. Ihr Entstehungszusammenhang ist unbekannt. Ob die beiden Notizen überhaupt für „Wirtschaft und Gesellschaft" bestimmt gewesen waren, ist nicht mehr zu sagen. In jedem Fall ist davon auszugehen, daß sie von Weber nicht in der uns überlieferten Form veröffentlicht worden wären, da ihre äußere Form für ein Handbuch ungeeignet ist. Warum die Erstherausgeber sich für eine Veröffentlichung innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" entschieden und die Notizen an das Ende des Textes „.Klassen', .Stände' und .Parteien'" plaziert haben, ist nicht mehr zu ermitteln.

1 Gierke, Genossenschaftsrecht I. 2 Delbrück, Hans, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Dritter Teil: Mittelalter. - Berlin: Georg Stilke 1907, S. 3f. und 243f.

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Kriegerstände

Zur Überlieferung

und

Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. D e m Druck wird die v o n Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung der „Kriegerstände" zugrund e gelegt, die in d e m H a n d b u c h : Grundriß der Sozialökonomik, A b t e i l u n g III: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Lieferung. - T ü b i n g e n : J . C . B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 6 4 0 - 6 4 1 , erschienen ist. (A). Die formale und inhaltliche Sonderstellung der b e i d e n Notizen innerhalb v o n „Wirtschaft u n d Gesellschaft" legt nahe, sie nicht im Anschluß an einen bestimmten Abschnitt, s o n d e r n als Fragment in der Nähe der anderen Texte, die z w i s c h e n 1910 und 1912 e n t s t a n d e n sind, zu edieren. Die b e i d e n Titel „Kriegerstände" dürften von W e b e r autorisiert sein. Dafür spricht, daß die Erstherausgeber im Falle eines f e h l e n d e n Titels d e n kurzen Text wohl nicht d u r c h die Inserierung eines zweiten Titels, der d a r ü b e r hinaus n o c h mit d e m ersten identisch ist, g l e i c h s a m a u s e i n a n d e r g e r i s s e n hätten. Die E m e n d a t i o n e n stützen sich teilweise auf die kritischen Hinweise von Otto Hintze zur zweiten A u f l a g e von „Wirtschaft und Gesellschaft", 3 die 1925 e r s c h i e n e n ist, sowie auf J o h a n n e s W i n c k e l m a n n (Hg.), Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, 5.Aufl. - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul Sieb e c k ) 1985, S. 181 f.

3 Vgl. Hintze, Otto, Max Webers Soziologie, in: Schmollers J a h r b u c h für G e s e t z g e b u n g , Verwaltung u n d Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 50. Jg., 1926, S . 8 3 - 9 5 , hier: S. 87 f.

a

I.

Kriegerstände.b

Charismatisch: 1. Die Gefolgschaftsleute. Aufgenommen regelmäßig durch besonderen Treuvertrag mit den Herren. So die merowingische Trustis (die „antrustiones"0, „qui in truste dominica d est" nach Lex Salica in der älteren Fassung),1 durch Treuschwur mit der Waffe: die berittene militärische Gefolgschaft zum Schutz (daher der Name, der = adjutorium gedeutet wird, deutsch vermutlich „Degen" genannt). 2 Vielleicht Nachahmung der byzantinischen „Shole" 3 (s. u.). 4 Privilegien: a) Dreifaches Wergelt. Ursprünglich waren freie Franken, Römer, Sklaven in den Trustis, später nur Freie;

a - a (S. 281) Petitdruck in A. b In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: ') Das folgende stellt offenbar den - unausgeführten - Entwurf zur Kasuistik einer Ständebildung dar. (Anm. d. Herausgeb.) c A: „antenationes" d A: dominion

1 Das Volksrecht der salischen Franken (lex salica) ging in seiner älteren Fassung auf den merowingischen König Chlodwig (486-511) zurück. Die Vorschritt, nach der ein Mann, der einen Antrustionen, d. h. ein Mitglied der königlichen Gefolgschaft, getötet hatte, mit der Entrichtung des höchsten Wergeidsatzes (600 Goldschillinge) zu belasten sei, findet sich im Kapitel über die Tötung freier Personen. Vgl. Lex salica zum akademischen Gebrauch, hg. und erläutert von Heinrich Geffken. - Leipzig: Veit & Co. 1898, c. XLI, §3, S. 41. 2 Die einzig nachweisbare Glossierung des latinisierten althochdeutschen Wortes „trustis" (althochdeutsch „druht") für „Gefolgschaft" durch lateinisch „adiutorium" findet sich Im Ribuarlschen Volksrecht, das in der Regierungszelt des merowingischen Königs Dagobert I. (629-639) für das Volk in der ehemaligen römischen Gemeinde Köln erlassen wurde. Vgl. Glossa In legem Ribuariam, hg. von K. Zeumer, in: Monumenta Germaniae Histórica, Leges V. - Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1875-1889, S. 277. 3 Der Ausdruck „Shole" Ist nicht belegt. Es könnte sich aber um die Scholien (Ist.: „scholae palatlne", griech.: „tagmata"), d. h. Garderegimenter, handeln, die um die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert von den römischen Kaisern Diokletian und Konstantin I. an den kaiserlichen Höfen eingerichtet wurden. Sie unterstanden einem „Magister officiorum" und umfaßten ursprünglich etwa 500 Soldaten. In Byzanz verloren die Garderegimenter um die Mitte des 5. Jahrhunderts ihre militärische Funktion und wurden in persönliche Schutztruppen des Kaisers umgewandelt, die sich vornehmlich aus dem lokalen Adel von Konstantinopel rekrutierten. 4 Der Bezug Ist unklar; eine entsprechende Bezugsstelle Ist innerhalb von WuG nicht nachzuweisen.

A

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Kriegerstände

b) gesonderter Rechtsgang (Lex Salfica] 106);5 c) Bußfälligkeit bei Zeugnisabgabe gegen einen Genossen; d) Versorgung am Tisch des Herrn oder - später - in gesonderten beliehenen Wirtschaften; e) Teilnahme an der Beratung des Herrn; f) vorzugsweise Verwendung bei wichtigen Amtsgeschäften und in Häusern. 2. Verschwunden ist die Trustis im 8. Jahrhundert.6 Die Karolingergefolgschaft hieß satellites,e milites, viri militares, teils freie Vasallen, teils Ministeriale. Die „consiliarii" sind teils Hofbeamte, teils auswärtige Honoratioren.7 Die Zuziehung zur Trustis beruhte weitgehend auf ständischer Erziehung am Hof, wozu die Begüterten ihre Kinder zunehmend entsendeten.

e A: satillites, 5 Das fränkische Volksrecht regelte die Beteiligung von Antrustionen an gerichtlichen Verfahren in sehr detaillierter Weise. Demnach oblagen solche Fälle dem Königsgericht, und es galten besondere Fristen zwischen der Aufforderung zum Prozeß und dem Gerichtstermin. Die Anklage eines Freien gegen einen Antrustionen erforderte den ansonsten unüblichen Eid, während dieser als Mittel der Beweisführung zwischen Antrustionen ausgeschlossen war. 6 Im 8. Jahrhundert verdrängte bei dem königsnahen Adel im Frankenreich die freie Vasallität das häusliche Gefolgschaftsverhältnis. Da den Mitgliedern der merowingischen „trustis" die Gründung eines eigenen Hausstandes untersagt war, sich aber dennoch eine solche Praxis verstärkt bemerkbar machte, verringerte sich die Zahl der königlichen Gefolgsleute. Sie wurden durch eine breitere Schicht von rechtlich unabhängigen, von sich aus wehrfähigen Adeligen abgelöst. 7 Während in der Merowingerzeit das königliche „consilium" mit den Tisch- und Gefolgsgenossen des Königs nahezu identisch war, entstand in der Karolingerzeit mit dem „consiliarius" (auch: consul, Senator) die spezifische Funktion eines königlichen Rates. Dem Hofrat (consiliarius aulicus) stand der auswärtige Rat gegenüber, der meist ein großer Lehnsmann des Königs war. Die Aufgabe dieser Personen bestand in der Beratung des Königs bei Reichsversammlungen in Fragen der Kriegführung, Verwaltung und Ämterbesetzung. Vgl. Waitz, Georg, Deutsche Verfassungsgeschichte. Die Verfassung des Fränkischen Reiches, Band 3, 2. Aufl. - Berlin: Weidmannsche Universitätsbuchhandlung 1883, S. 530ff.

Kriegerstände

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II. Traditional:

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1. Hörige Dienstleute des Königs: pueri regis oder p[ueri] aulici8 (vermutlich auch die Adalskalken f in Bayern), 9 zuweilen Antrustionen. Und: unfrei, also: doppeltes Litenwergelt. 2. Unfreie „in cohorte 9 ", militärisch bewaffnete Kolonen, Sklaven, Ministerialen. Im Fall der Berufsmäßigkeit heißen sie „honorati", haben Waffenrecht, Fähigkeit zu beneficia.

III. Feudal: freie Vasallen des Königs, durch freien Kontrakt unter Belehnung mit Waffen, politischen Herrengewalten, Land oder 10 Renten zunächst | lebenslänglich beliehen gegen Kommenda- A 641 tion, Treuschwur und durch ständische Ehre garantierte Oboedienz. Ständische Qualifikation: ritterliche Lebensführung und militärisch-höfische Bildung. Diese Vorbedingung ist erst durch 15 Differenzierung der „milites" und Ministerialen des Herrn vor allem aus freien „Vassen" (keltischer11 Begriff) 10 entstanden. Ursprünglich: Berufs- und durch Art der Beziehung zum Herrn determinierter Stand. Mit Appropriation der Lehen umgekehrt: eröcharismatisch 20 qualifiziert durch rittermäßiges Leben der 'Vorfahren zur' Übernahme von Lehen.

f A: Adalshalken

g A: horte"

h A: (kultischer

i A: Vorsteher zur

8 Die „pueri regis" bzw. „auiici", a u c h „famuli", „ministeriales" oder „vassi" genannt, waren im fränkischen Reich Dienstleute im königlichen Haushalt. Sie waren zwar unfreien Standes, d o c h besaßen sie ein hohes Sozialprestige. Sie w u r d e n für d e n persönlichen Königsdienst in den vier Hofämtern (Seneschall, Marschall, Schenk und Kämmerer) oder zur Aufsicht einzelner höfischer Wirtschaftszweige, zu Gesandtschaften, Schutzgeleiten oder polizeilichen A u f g a b e n h e r a n g e z o g e n . 9 Nach einem Quellenbeleg aus den Gesetzen des bayerischen Herzogs Tassilo ( 7 4 8 788) waren die „Adalskalken" g e g e n ü b e r den sogenannten „Kleineren" (minores) eine h e r a u s g e h o b e n e G r u p p e innerhalb der unfreien Dienstleute des Herzogs. Vgl. Additio quinta legis Baiuwarlum. Decreta Tassilonis d u c i s c u m actis synodalibus, In: M o n u m e n t a G e r m a n i a e Histórica, Leges III, hg. v. Georg Heinrich Pertz. - Hannover: Hahnsche Buchh a n d l u n g 1863, c. 7, S.460. Sie genossen ein erhöhtes Wergeid und waren wahrscheinlich unfreier Geburt. 1 0 Das keltische Wort „vasso" (mittellateinisch: vassus) bedeutete „Diener", „Hausknecht". Während es in der merowingischen Zeit noch d e n unfreien Hausdiener bezeichnete, wurde der Begriff in der Karolingerzeit auf Freie übertragen, die sich g e g e n ü b e r d e m König oder einem Fürsten in ein Lehns- oder Gefolgschaftsverhältnis b e g a b e n .

280

Kriegerstände

Kriegerstände. A.

Gemeinfreie. 1. Charismatische Kriegergenossen: Männerhausverband.1 Aufnahme nach Heldenaskesenerprobung und Noviziat durch Jünglingsweihe. Gegensatz: 1. Kinder, 2. Greise, 3. Weiber, zu denen jeder nicht durch die Jünglingsweihe Gegangene gezählt wird. Lebensführung: Familienlos im Hauskommunismus des Männerhauses, von Beute, Jagd und Speiseabgabe der abhängigen Wirtschaften (Weiber). Ständische Privilegien: „Rennbahn", 2 Waffenführung, Werkzeugarbeit, Teilnahme an Jagd- und Beutezügen, Vorrechte beim Speisen (Braten), Teilnahme an den Kriegerorgien (ev. Kannibalismus) und Kriegerkulten, Recht auf Tribut, der Verfügung über Land und Sklaven 3 sowie bestimmte Vieharten. Zuweilen Entwicklung zu Geheimklubs mit dem Monopol der (kamorraartigen) Waren- und Sicherheitskontrolle. Nach Ende der Jungmannschaftsperiode: 3 Ausscheiden aus dem Männerhaus, Eintritt in die Familie („Landwehrzeit"). Nach Ende der Milizfähigkeit: Aussetzung, Tötung, oder umgekehrt: Verehrung als Kenner der magischen Tradition. 2. Appropriierte traditionale Kriegergenossen. Gegensatz: 1. negativ privilegierte: Hörige (Liten, Kolonen b ) und Sklaven, 2. positiv privilegierte Kriegerstände.

a A: Sklaven,

b A: Kolone

1 Zum Männerhaus vgl. oben, S. 116, Anm. 6 und S. 137. 2 Mit „Rennbahn" ist wahrscheinlich der Turnierplatz gemeint, auf dem die ritterlichen Waffenspiele stattfanden. Diese wurden im Spätmittelalter in „Stechen" und „Rennen" unterschieden. 3 Die „Jungmannschaftsperiode" war besonders strikt in Sparta geregelt. Während dieser Zeit waren die jungen Männer von ihrem Haus getrennt, mußten in den kriegerischen Bruderschaften (Phiditien) leben und sich in militärischer Disziplin üben.

Kriegerstände

5

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Der Gemeinfreie ist voll waffenpflichtig und, - gegenüber den negativ Privilegierten 0 - allein waffenberechtigt. Er stellt sich seine Waffen selbst (Selbstequipierung) und muß, um dazu fähig, also im Besitz seiner Kriegsmittel zu sein, ursprünglich hinlänglich mit eigenem Grundbesitz ausgestattet sein. Ständische Privilegien: Freizügigkeit, Steuerfreiheit, Fähigkeit vollen Bodenrechts, Teilnahme an der Ding- und Gerichtsgemeinde, Akklamation bei Fürstenkrönung. a |

c A: privilegierten

a (S. 277) - a Petitdruck in A.

Hausverband, Sippe und Nachbarschaft

Editorischer Bericht Zur Entstehung Im Nachlaß Max Webers befindet sich in einem Konvolut, das ansonsten Vorlesungsmanuskripte der Jahre 1894 bis 1898 sowie zahlreiche Notizen enthält, die sich, soweit eine Datierung möglich ist, zeitlich bis zum Jahre 1911 erstrecken, auch ein Stichwortmanuskript mit d e m Titel: „Hausverband, Sippe und Nachbarschaft". Dieses läßt sich inhaltlich keinem der uns bekannten Vorlesungsmanuskripte zuordnen. Die äußere Beschaffenheit des Textzeugen spricht ebenfalls dagegen, daß es sich hier um einen Teil eines Vorlesungsmanuskripts handelt. Beide für das Stichwortmanuskript verwendeten Papiersorten unterscheiden sich von den Papiersorten der uns überlieferten Vorlesungsmanuskripte. Auch die Datierung des Stichwortmanuskriptes, auf die im folgenden noch näher eingegangen wird, auf oder vor dem Jahre 1906 schließt es aus, daß es sich hier um ein Vorlesungsmanuskript gehandelt hat, obschon es wahrscheinlich ist, daß sich Max Weber bei der Abfassung dieses Textes auf ältere Vorlesungsmanuskripte gestützt hat, insbesondere die Vorlesungen über „Theoretische und Praktische Nationalökonomie". 1 Das Stichwortmanuskript besteht aus 15 nicht paginierten Blättern. Auf dem Deckblatt findet sich nur die Überschrift „Hausverband [mit gleichem Stift korrigiert aus Hausgemeinschaft], Sippe und Nachbarschaft", die sich jedoch nur auf einen Teil des Manuskripts bezieht, sowie eine Notiz „Sexualbeziehungen, Prostitution". Diese Notiz läßt den Schluß zu, daß Max Weber die Blätter für eine beabsichtigte Abhandlung „Prostitution und Familie" ver-

1 Es bestehen nicht unerhebliche inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Passagen der Vorlesungen über „Theoretische und Praktische Nationalökonomie" (Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 3, Bl. 5 5 - 6 6 ) und dem Stichwortmanuskript, so beispielsweise in der Frage der Theorie des Mutterrechts. Vgl. auch den Hinweis Max Webers in einem Brief an Paul Siebeck, in dem davon die Rede ist, daß er seiner Frau Marianne bei der Abfassung ihre Werkes „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" behilflich gewesen sei und deren Darlegungen „auf Correktheit" habe prüfen können, da er „erhebliche Teile der Materie selbst im Colleg zu behandeln hatte" (Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 11. Sept. 1906, MWG II/5, S.156-159, hierS. 158).

Editorischer

Bericht

283

wenden wollte. 2 Es wurde auf zwei unterschiedlichen Papiersorten und mit zwei verschiedenen Federn geschrieben. Einige Blätter sind darüber hinaus beidseitig beschrieben. Bl. 289 bis 297 und 301 bis 302 weisen dieselbe Papiersorte auf, 3 während Bl. 298 bis 300 und 303 einer anderen Papiersorte zugehören. 4 Die Verwendung der verschiedenen Federn korreliert jedoch nicht vollständig mit der Verwendung dieser unterschiedlichen Papiersorten, Bl. 289 bis 297 und 301 bis 302 sind von einer Feder geschrieben, 5 Bl. 299 bis 300 und Bl. 303 von einer anderen; 6 auf Bl. 298 finden sich beide Federn. 7 Dies läßt den Schluß zu, daß es sich bei Bl. 2 8 9 - 2 9 8 recto sowie Bl. 301 - 3 0 2 um eine erste Textschicht handelt. Auf der (vielleicht nur wenig) später beschrifteten Rückseite von Bl. 298 setzt eine andere Feder ein, die sich auf Bl. 299 bis 300 sowie auf Bl. 303 findet; diese Blätter stellen eine zweite, eigenständige Textschicht dar. Beide Textabschnitte weisen allerdings zahlreiche Einschübe und Streichungen auf, die jedoch ausweislich des Schriftbildes dem selben Arbeltsgang entstammen. Eine zeitlich spätere Über- beziehungsweise Umarbeitung kann ausgeschlossen werden, von nachträglich eingeschobenen Überschriften abgesehen. Auch inhaltlich erweist sich das Stichwortmanuskript als Inhomogen: Die beiden Textschichten bestehen jeweils aus verschiedenen Segmenten, um nicht zu sagen: Fragmenten, in denen jeweils unterschiedliche Sachverhalte behandelt werden. Das 1. Segment der ersten Textschicht (Bl. 2 9 0 - 2 9 5 ) 8 weist einen einheitlichen Duktus auf. Hier wird die „Hausgemeinschaft" einschließlich der unterschiedlichen Formen von Sexualbeziehungen behandelt, auf welche diese sich gründet. Im Anschluß daran wird die „Hausgemeinschaft" in Beziehung zu anderen Gemeinschaften, zunächst zur „Nachbarschaftsgemeinschaft", dann zur Sippe, und schließlich zum „Stamm", als einem vorwiegend „militärischen Schutzverband", gesetzt und solchermaßen ein Entwicklungsstrang von der „Hausgemeinschaft" bis hin zum Stamm als des „Keims" einer polltischen Vergemeinschaftung skizziert. Die Ausführungen auf Bl. 2 9 0 - 292 9 waren zunächst in 8 Abschnitte (mit arabischer Bezifferung) untergliedert, doch wurde vermutlich noch im

2 Weber kündigte im Januar 1905 für die Schriften des Vereins für Socialpolitik eine Arbeit über „Prostitution und Familie" „erst für später" an. Vgl. Verein für Socialpolitik, Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses am 6. Jan. 1905; British Library of Political & Economic Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114, Bl. 13f., hier: Bl. 14. 3 Vgl. unten, S. 291 - 3 0 9 und 322-326. 4 Vgl. unten, S. 3 0 9 - 3 2 2 und 326f. 5 Vgl. unten, S. 291 - 3 0 9 und 322-326. 6 Vgl. unten, S. 3 1 6 - 3 2 2 und 326f. 7 Vgl. unten, S. 3 0 9 - 3 1 5 . 8 Vgl. unten, S. 291-302. 9 Vgl. unten, S. 291-296.

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Hausverband,

Sippe und

Nachbarschaft

gleichen A r b e i t s g a n g eine neue Gliederung in 5, ebenfalls mit a r a b i s c h e n Ziffern bezeichnete A b s c h n i t t e v o r g e n o m m e n , und zwar mit d e m s e l b e n Stift, so daß eine spätere Ü b e r a r b e i t u n g a u s g e s c h l o s s e n w e r d e n kann. An die B e h a n d l u n g des „Stamms" als einer Primärform einer politischen Gemeinschaft schließen sich Ausführungen über das „Verhältnis zwischen: Haus, Dorf, Sippe, Stamm" unmittelbar an. Auf Bl. 2 9 4 - 2 9 5 1 0 folgt d a n n die Darstellung der „Entwicklung der H a u s g e m e i n s c h a f t " in unterschiedliche Richtungen, nämlich z u m kapitalistischen „Erwerbsbetrieb" einerseits, z u m „Oikos" andererseits. Dieses Segment stellt offenbar eine g e s c h l o s s e n e Einheit dar. Es folgt d a n n auf Bl. 296 bis 298 recto 1 1 ein neues Segment, das keine direkten B e z ü g e zu d e n v o r a n g e g a n g e n e n Ausführungen aufweist, sich aber im Schriftbild und in der Verwendung des Schreibgerätes von d i e s e m nicht nennenswert unterscheidet. Diesem S e g m e n t ist offenbar nachträglich, in erkennbar unterschiedlichem Schriftduktus, die Überschrift „Entw i c k l u n g der Sexualbeziehungen u[nd] der Ehe" vorangestellt worden. Es behandelt zunächst die Z u r ü c k w e i s u n g der Thesen von Bebel und Engels über die Entstehung der legitimen Ehe und e b e n s o die älteren Theorien eines ursprünglichen Mutterrechts. Daran schließt sich eine sehr detaillierte Typologie der v e r s c h i e d e n e n Formen von sexuellen B e z i e h u n g e n in unters c h i e d l i c h e n Kulturen an. Schließlich wird die These vorgetragen, daß sich die legitime Ehe im Z u g e eines mehrere Entwicklungsstufen durchlaufenden Prozesses der A b s c h w ä c h u n g der ursprünglich „reinen Vatergewalt" herausgebildet habe. Es folgt auf Bl. 298 eine Übersicht über die eheliche Stellung der Frau in den verschiedensten Kulturkreisen. Diesen Ausführungen ist nachträglich ebenfalls eine Überschrift, nämlich „Die Frau in der Ehe", vorangestellt worden. Auf Bl. 298 verso beginnt (offenbar unter Benutzung d e s älteren Bogens) ein weiteres Segment, d a s sich zwar inhaltlich e n g an die v o r a n g e g a n g e nen A u s f ü h r u n g e n anschließt, aber durch ein unterschiedliches Schriftbild von den v o r a n g e g a n g e n e n S e g m e n t e n a b g e s e t z t ist und zu einem (vermutlich nur w e n i g ) späteren Zeitpunkt n i e d e r g e s c h r i e b e n w o r d e n sein könnte. Es gehört zu der zweiten Textschicht. Hier wird die ö k o n o m i s c h e Funktion der Frau in v e r s c h i e d e n e n Wirtschaftsordnungen behandelt, und damit einh e r g e h e n d u.a. auch das T h e m a der „Erziehung". Diesem Bl. 298 verso muß ausweislich eines von Max Weber selbst v o r g e n o m m e n e n Rückverweises ,,s[iehe] vforiges] Blatt" 1 2 das Bl. 300 „Soziale Lage der Kinder und Jug e n d " z u g e o r d n e t werden, w e l c h e s aber wohl nur als M e r k p o s t e n für eine

10 Vgl. unten, S. 298-302. 11 Vgl. unten, S. 3 0 3 - 3 1 2 . 12 Vgl. unten, S.322.

Editorischer

Bericht

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noch geplante weitere A u s a r b e i t u n g des Stichwortmanuskripts dienen sollte. Daraus ergibt sich, daß Bl. 299 recto und verso einen Einschub in die zweite Textschicht darstellen, der unter der Überschrift „Soziale Lage der Frau" eine eindrucksvolle, universalhistorisch angelegte, Typologie der Situation der Frau in den unterschiedlichsten Gesellschaften und Kulturen bringt, die in der „Einzigartigkeit des Okzidents" terminiert, vor allem hinsichtlich der „Außeralltäglichkeit" der erotischen Beziehungen. Auf Bl. 3 0 1 - 3 0 2 1 3 w e r d e n dann die Deduktionen des 1. Segmentes der ersten Textschicht fortgesetzt, o b s c h o n sich die Stichworte nicht direkt daran anschließen, sondern die dort behandelten T h e m e n neu aufgreifen und einiges wiederholen. Dieses Segment weist d e n gleichen Schriftduktus auf wie die Blätter 2 8 9 - 2 9 5 , 1 4 einschließlich zahlreicher Einschöbe und Korrekturen, die noch im gleichen A r b e i t s g a n g v o r g e n o m m e n w o r d e n sein müssen. Es gehört d e m n a c h ebenfalls zur ersten Textschicht. Diese Blätter behandeln die Entwicklung der Sippe und ihre sich v e r ä n d e r n d e Binnenstruktur. Bl. 3 0 3 1 5 schließt inhaltlich daran an; hier wird die Entwicklung und schließlich die „Vernichtung" des Stammes im Laufe der späteren historis c h e n Entwicklung behandelt. Eine präzise Datierung des „Stichwortmanuskripts" oder genauer seiner einzelnen Segmente ist auf Anhaltspunkte in den Texten angewiesen, d a d i e s b e z ü g l i c h e schriftliche Z e u g e n w e i t g e h e n d fehlen. Eine Zuordnung zu d e n frühen Vorlesungen ist aus inhaltlichen G r ü n d e n unwahrscheinlich. Vergleicht man das Stichwortmanuskript mit den Passagen der Vorlesung „theoretische Nationalökonomie", in d e n e n es um die H a u s g e m e i n s c h a f t und die Sippe geht, 1 6 so ist festzustellen, daß die A u s f ü h r u n g e n des Stichwortmanuskripts wesentlich systematischer sind und eine wesentlich präzisere Begrifflichkeit v e r w e n d e t wird. Darüber hinaus dürfte das Stichwortmanuskript in B e z u g auf die wissenschaftliche A u s e i n a n d e r s e t z u n g Webers mit der Mutterrechtstheorie von Engels und Bebel 1 7 eine Zwischenstufe zwis c h e n den frühen Vorlesungen und „Wirtschaft und Gesellschaft" darstellen. In der Vorlesung zur „theoretischen Nationalökonomie" w i d m e t Weber der W i d e r l e g u n g dieser Theorie noch breiten Raum, w ä h r e n d sie in d e m Stichwortmanuskript vergleichsweise kurz a b g e h a n d e l t wird. 1 8 In d e m Text „ H a u s g e m e i n s c h a f t e n " findet sie h i n g e g e n als „wertlose Konstruktion" nur noch marginale Erwähnung. 1 9

13 14 15 16 17 18 19

Vgl. unten, S. 322-326. Vgl. unten, S. 291-302. Vgl. unten, S.326f. Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 3, Bl. 55-66. Vgl. Engels, Der Ursprung der Familie; Bebel, Die Frau und der Soziallsmus. Vgl. unten, S.303f. Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", oben, S. 138.

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Hausverband,

Sippe und

Nachbarschaft

Darüber hinaus findet sich im 1. S e g m e n t der ersten Textschicht ein Hinweis auf die „ J u g e n d b e w e g u n g " . 2 0 Die J u g e n d b e w e g u n g entwickelte sich seit Mitte der 1890er Jahre aus einer lokalen W a n d e r g r u p p e , g e w a n n aber erst nach 1901 mit der G r ü n d u n g des „Wandervogels" und anderer J u g e n d organisationen überregionale B e d e u t u n g . Einen Höhepunkt erreichte die J u g e n d b e w e g u n g im Oktober 1913 mit d e m „Ersten Freideutschen J u g e n d tag" auf d e m Hohen Meißner. 21 Wann der Begriff „ J u g e n d b e w e g u n g " allg e m e i n g e b r ä u c h l i c h wurde, ist nicht zu bestimmen, d o c h ist es wenig wahrscheinlich, daß er von Weber bereits in den Vorlesungen der 1890er Jahre v e r w e n d e t w o r d e n ist, als ein Stichwort, d e s s e n Kenntnis bei seiner Hörerschaft vorausgesetzt wird. Dies w ü r d e eine Datierung in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nahelegen. Das 2. Segment der ersten Textschicht (Bl. 2 9 6 - 2 9 8 recto) 2 2 dürfte als eine A u s a r b e i t u n g anzusehen sein, die Max Weber für das B u c h seiner Frau „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" angefertigt hat. Die hier aufgeführten Stichworte finden in d i e s e m Werk Marianne W e b e r s eine teilweise sehr präzise Entsprechung. Marianne Weber führt die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e n Theorien von Engels und Bebel zwar nicht in einem e i g e n e n A b schnitt, w e n d e t sich aber explizit g e g e n deren Thesen. 2 3 Die auf Bl. 296 verso aufgeführten Stichworte zu den „Entwicklungsgeschichtlich primitivsten Formen" der Ehe finden sich inklusive der Beispiele detailliert in ihrer Einführung über die ,,Primitive[n] G e s c h l e c h t s v e r b i n d u n g e n und legitime Ehe". 2 4 Marianne Weber beginnt ebenfalls mit der „Paarungsehe" und d e m labilen Verhältnis z w i s c h e n Mutter und Kindern und schließt daran die Darstellung der Polygamie und der Polyandrie an, bevor sie die v e r s c h i e d e n e n Erscheinungen der Prostitution abhandelt. A u c h die Stichworte auf der Vorderseite von Blatt 297 b e z ü g l i c h des Beginns einer Regulierung der primitiven Verhältnisse finden sich in der A b f o l g e des Stichwortmanuskriptes in „Ehefrau und Mutter" wieder. Allerdings beschreibt Marianne Weber d e n Beginn der „Exogamie" wesentlich ausführlicher, als dies im Stichwortma-

20 Vgl. unten, S. 296. 21 Zur Jugendbewegung vgl. Knoll, Joachim H., Schoeps, Julius H., Typisch deutsch: Die Jugendbewegung. Beiträge zu einer Phänomengeschichte. - Opladen: Leske und Budrich 1988; Knoll, Joachim H., Jugendbewegung. Phänomene Eindrücke Prägungen. Opladen: Leske und Budrich 1988; Bias-Engels, Sigrid, Zwischen Wandervogel und Wissenschaft. Zur Geschichte der Jugendbewegung und Studentenschaft 1896-1920. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1988; Schneider, Bernhard, Daten zur Geschichte der Jugendbewegung. - Münster: Lit 1990. 22 Vgl. unten, S. 303-312. 23 Marlanne Weber, Ehefrau und Mutter, S. 2, 7. 24 Ebd., S. 4 - 8 .

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Bericht

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nuskript der Fall Ist. 25 Die Ausführungen über die „Vatergewalt und Vaterfolge" auf Blatt 297 verso h a b e n ebenfalls Entsprechungen bei Marianne Weber. Max Weber kündigte d e m Verleger Paul Siebeck a m 11. S e p t e m b e r 1906 die Ü b e r s e n d u n g der ersten b e i d e n Kapitel des Werkes seiner Frau mit den Titeln „Ehe bei d e n Naturvölkern" und „Ehe im Altertum" für Oktober 1906 an und wies darauf hin, daß er diese und die f o l g e n d e n Kapitel „ e i n g e h e n d auf Correktheit" habe „prüfen können", d a er „erhebliche Teile der Materie selbst im Colleg" habe b e h a n d e l n müssen. Im übrigen habe er zusätzliche Belege beigeschafft und das Ganze redaktionell überarbeitet. 2 6 Es ist auch sonst bekannt, daß Max Weber an d e m B u c h seiner Frau „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" in einem freilich nicht g e n a u bestimmbaren U m f a n g mitgearbeitet hat. Marianne Weber b e z e u g t in ihrem Vorwort selbst, daß sie von Max Weber zu dieser Arbeit angeregt und „durch seine wissenschaftlichen Arbeiten, Vorlesungen und den persönlichen G e d a n k e n a u s t a u s c h beeinflußt" worden sei. Darüber hinaus habe er ihr insbesondere bei der „Struktur des römischen Eherechts" geholfen. A u c h „bei der endgültigen Redaktion" habe sie „seinen Rat erbeten und verdanke ihm so eine Anzahl von Einzelformulierungen direkt, nicht nur an den b e i d e n Stellen, wo dies unter d e m Text a u s d r ü c k l i c h vermerkt" sei. 2 7 Im g l e i c h e n A t e m z u g e betonte sie j e d o c h n a c h d r ü c k l i c h , daß sie ihre U n t e r s u c h u n g „selbständig" verfaßt habe. Offenbar hat Marianne Weber die Interventionen ihres Mannes nicht immer gern gesehen, wie sie späterhin in einem Schreiben an Eduard B a u m g a r t e n v o m 4. Juli 1950 bekannt hat, und auf seine Eingriffe bisweilen mit Weinanfällen reagiert. 2 8 U n g e a c h t e t d e s s e n ist die erste Textschicht des „Stichwortmanuskripts" offensichtlich im unmittelbaren Z u s a m m e n h a n g mit der Niederschrift von Marianne Webers Werk entstanden. Dies legt eine Datierung auf den Sommer oder Frühherbst 1906 nahe. Das folgende, der zweiten Textschicht zuzuordnende, S e g m e n t über „Die ö k o n o m i s c h e Funktion der Frau. Entwicklung zur reinen Konsumptionswirt25 Ebd., S. 9 - 1 2 . 26 Vgl. den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 11. Sept. 1906, MWG II/5, S. 156159, hier S. 158. 27 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter, S.VIf. Bei den angesprochenen Stellen handelt es sich offenbar um Anm. 1 auf S. 63 und Anm. 2 auf S. 103. 28 Brief Marianne Webers an Eduard Baumgarten vom 4. Juli 1950. Darin heißt es: „Übrigens war das Buch [Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, d. Vf.] damals gar nicht in Beziehung zu Max Weber begonnen; es war während seiner Krankheit in Rom, als ich, statt Italienisch zu lernen [...], durchaus eine Arbeit beginnen mußte, die mit der Frauenbewegung zusammenhing. [...] Es war ein ungeheures Unterfangen. Max Weber nahm leidenschaftliches Interesse daran, ehe er selbst arbeiten konnte^ und trieb mich von einer Stufe zur anderen. Natürlich überwachte er das Buch. Wenn er aber eingreifen wollte, so heulte ich." Zitiert nach Roth, Max Webers Familiengeschichte (wie oben, S.36, Anm. 2), S.566.

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Hausverband,

Sippe und

Nachbarschaft

schaft" u n d insbesondere der Einschub über die „Soziale Lage der Frau", das speziell auf die d a m a l s mit Marianne Weber diskutierte Thematik bez o g e n war, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls in unmittelbarem Z u s a m m e n h a n g mit Webers B e s c h ä f t i g u n g mit der Thematik der Ehe in d e n unterschiedlichen Kulturen entstanden. Darüber hinaus ergibt sich aus der Passage: „jetzt: freie S c h u l g e m e i n d e n " 2 9 ein Rückschluß auf die vermutliche Entstehungszeit dieses Textes. Denn der b e s a g te Hinweis dürfte sich auf die von Gustav Wyneken am 1. S e p t e m b e r 1906 eröffnete Freie S c h u l g e m e i n d e Wickersdorf b e z i e h e n . 3 0 D e m n a c h müßte dieses S e g m e n t vermutlich im S e p t e m b e r 1906, jedenfalls nicht früher, aber auch nicht wesentlich später, entstanden sein. Gestützt wird diese Datierung d u r c h die Tatsache, daß Max Weber d e m Verein für Socialpolitik im Januar 1905 „erst für später" eine A b h a n d l u n g über „Prostitution u n d Familie" a n g e b o t e n hat, für die er offensichtlich dieses Manuskript v e r w e n d e n wollte. 3 1 Die Blätter 2 9 0 - 2 9 5 sowie 3 0 1 - 3 0 3 3 2 des „Stichwortmanuskripts" h a b e n offensichtlich d e m A b s c h n i t t „ H a u s g e m e i n s c h a f t e n " in „Wirtschaft und Gesellschaft" als Vorlage gedient. Von einigen Einzelheiten a b g e s e h e n , insb e s o n d e r e den Passagen über den „Stamm", die in den späteren Texten Max W e b e r s so gut wie nicht mehr v o r k o m m e n , 3 3 nehmen sie w e s e n t l i c h e Teile der dort v e r w e n d e t e n Begrifflichkeit u n d der dort im einzelnen a u s g e führten Deduktionen vorweg. Bis zur B e h a n d l u n g des Oikos (Blatt 295) weist das Stichwortmanuskript eine w e i t g e h e n d e inhaltliche Übereinstimm u n g mit d e m Text „ H a u s g e m e i n s c h a f t e n " auf. Die Stichworte unter d e n G l i e d e r u n g s p u n k t e n 1 bis 4 finden sich sämtlich in d e r s e l b e n Reihenfolge

29 Vgl. unten, S.315. 30 Zur Freien Schulgemeinde Wickersdorf vgl. Reble, Albert, Geschichte der Pädagogik. - Stuttgart: Ernst Klett 1951. 31 Vgl. Verein für Socialpolitik, Protokoll über die Verhandlungen des Ausschusses am 6. Jan. 1905; British Library of Polltical & Economic Science, Nl. Ignaz Jastrow, Mise. 114, Bl. 13f. 32 Vgl. unten, S. 291-302, 322-327. 33 Der Abschnitt „5. Stamm" hat in „Wirtschaft und Gesellschaft" keine Entsprechung. In Webers Grundrißbeitrag wird der Stamm nicht mehr als eine aus der Sippe entstandene Gemeinschaft angesehen, die eine Zwischenstufe zwischen den aus der Hausgemeinschaft hervorgegangenen Gemeinschaften und den polltischen Gemeinschaften bildet, sondern als älteste und einfachste politische Gemeinschaft, die an keiner Stelle eine eigenständige systematische Behandlung erfährt. In dem als Anhang zu den „Polltischen Gemeinschaften", oben, S. 216f., wiedergegebenen Text über „Arabische Stammesstrukturen" dient Ihre Darstellung lediglich als Fallbeispiel für die Frühform politischer Gemeinschaften, wobei die Anordnung dieser Passage innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft" zweifelhaft Ist. Ansonsten spielt der Begriff „Stamm" in „Wirtschaft und Gesellschaft" nur eine untergeordnete Rolle; er wird Insgesamt 15 mal erwähnt.

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und in d e m s e l b e n A r g u m e n t a t i o n s z u s a m m e n h a n g in „Wirtschaft und Gesellschaft" wieder. 3 4 Die Stichworte des Abschnitts „Verhältnis zwischen: Haus, Dorf, Mark, Sippe, Stamm" schließen sich in d e m Text „Hausgemeinschaften" nahtlos an die Darstellung der Sippe, wie sie im n a c h s t e h e n d e n Stichwortmanuskript unter Punkt 4 vorgestellt wird, an. 3 5 Lediglich die dortigen Ausführungen über die „Wirkung auf Sexualgemeinschaft" werden in den „Hausgemeinschaften" an späterer Stelle, im Z u s a m m e n h a n g mit der Thematik der A b s c h w ä c h u n g der absoluten Vatergewalt, behandelt. 3 6 In d e m Abschnitt des Stichwortmanuskripts über die „Entwicklung der H a u s g e m e i n s c h a f t " finden sich bei der Darstellung der Trennung von Haus und Betrieb b e z ü g lich der A n o r d n u n g nur zwei minimale A b w e i c h u n g e n g e g e n ü b e r d e m Text in „Wirtschaft und Gesellschaft". Während in d e m Stichwortmanuskript zuerst die „emancipatio legis Saxonicae" und die italienischen Hausgemeinschaften als Beispiele genannt werden und erst d a n a c h die römische „patria potestas" und die chinesische Elternpietät, ist die Reihenfolge in d e m Text „Hausgemeinschaften" umgekehrt. 3 7 Die Stichworte zur „Buchhaltung" und „Rechtstechnik" 3 8 w e r d e n dort nicht behandelt. Die Texte über die „Gemeinschaften" sind im wesentlichen in d e n Jahren 1 9 1 0 - 1 9 1 2 n i e d e r g e s c h r i e b e n worden, mit einzelnen späteren Ergänzungen. Dies stützt ebenfalls die hier erschlossene Datierung d e s „Stichwortmanuskripts" auf einen Zeitraum um oder vor d e m Herbst 1906, jedenfalls also vor 1910. Eine Datierung auf 1914 oder noch später ist nicht möglich, denn die A n o r d n u n g des „Stichwortmanuskripts" e n t s p r a c h nicht mehr d e m d a m a l i g e n Erkenntnisstand Max Webers. Er beabsichtigte in der Disposition v o m Frühjahr 1914 eine Zweiteilung der Thematik in „Hausgemeinschaften, Oikos und Betrieb" sowie „ N a c h b a r s c h a f t s v e r b a n d , Sippe und Gemeinde", eine Gliederung, die quer zu d e m A u f b a u des Stichwortmanuskripts g e s t a n d e n hätte. 3 9 Vor allem wurde der „Stamm", der n o c h in der Vorlesung zur theoretischen Nationalökonomie" als „Keim des Staates" betrachtet worden war, in Max Webers Grundrißbeitrag nur noch peripher angesprochen. A u c h die theoretisch denkbare Möglichkeit, daß das „Stichwortmanuskript" als Vorlage für Webers Wiener Vorlesung 1918 gedient haben könnte, ist auszuschließen. Allein schon die äußere Form des Textzeugen, der zahlreiche Einschübe und Sofortkorrekturen enthält, spricht d a g e -

34 Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", oben, S. 114-131. 35 Ebd., oben, S. 130f. 36 Ebd., S. 138. 37 Ebd., oben, S. 147-150. 38 Vgl. unten, S.300f. 39 GdS, Abt. I, S . X - X I (MWG I/22-6).

290

Hausverband, Sippe und Nachbarschaft

gen, daß es sich um ein Exzerpt aus dem Text „Hausgemeinschaften" für Vorlesungszwecke gehandelt haben könnte, wie sie ansonsten bei Weber vorkommen.

Zur Überlieferung

und

Edition

Im folgenden kommt das Stichwortmanuskript (A) zum Abdruck, wie es im Geheimen Staatsarchiv Berlin, I. HA, Nl. Max Weber, Rep. 92, Nr. 31, Band 2, Bl. 2 8 9 - 3 0 3 , überliefert ist. Dabei spiegelt die Transkription die handschriftliche Fassung optisch nicht genau wider, weil dies drucktechnisch nicht möglich gewesen wäre, wie der nachfolgende FaksimileAbdruck zeigt. Die von den Herausgebern verwendeten diakritischen Zeichen finden sich im Abkürzungs- und Siglenverzeichnis, oben, S.XXIII. Das Stichwortmanuskript wird in seiner Gesamtheit hier im Anhang des Bandes und nicht vor dem Text „Hausgemeinschaften" abgedruckt, da nur sein erster Teil bis zur Darstellung des „Oikos" als Vorlage für die „Hausgemeinschaften" gedient hat. Die enge Verbindung zwischen d e m Stichwortmanuskript und dem oben editierten Text „Hausgemeinschaften" wird jedoch durch den Hinweis auf die Parallestellen (Seitenangaben in der inneren Spalte neben der Transkription des Stichwortmanuskripts) veranschaulicht. Die Seitenangaben unter der Sigle A 289 usw. in der äußeren Spalte verweisen hingegen auf die originale Blattzählung.

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[Hausverband, Sippe und Nachbarschaft]

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Sexualbeziehungen Prostitution3

A 289

Haus(gemeinschaft)|:verband:|, Sippe u[nd] Nachbar5 schaft(sverband) | Hausgemeinschaft u[nd] Nachbarschaft(sverband), Sippe 1. 0 (2.) 15

20 (3.) 25

Sexuelle |:Beziehungen stiften nicht an sich:| Gemeinschaften. Gemeinschaften] ohne Versorgungsgemeinschaft höchst labil Insbesondere] Gemeinschaft des Vaters mit Kindern u[nd] Mutter Urwüchsig: Gemeinschaft v[on] Mutter u[nd] Kindern 6[ioycxXa>CT851 = Entscheidend: VercorgM«gsgemeinschaft Niemals nur „Muttergruppen". Stets daneben: Männergemeinschaften. Reine Muttergruppe grade nur bei Männerhaus |: Art der Zurechnung der Kinder zwiespältig: „Vaterfolge" - „Mutterfolge" 1. Ökonomisch bedingt: Kaufmittel: | „Ehe" stets: G[e]g[en]satz einer spezifischen] Gemeinschaft g[e]g[en] andre (legitim) Praktische] Bedeutung: daßb nur die ihr zugerechneten Abkömmlinge als Verbandsgenossen anderer Verbände (Sippen, Mark, politischer]

a - a Oben links am Rand,

b Alternative Lesung: oft

1 Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", oben, S. 115, Anm. 3.

A 290 S. 114

S. 115

S. 116

Hausverband,

Sippe

und

Nachbarschaft

Verband, Kultverband) gelten. |:also: heteronom0 Nur dies entscheidet „Ehelichkeit" begrifflich. (4.)|:2.:| Alle Sexual- u[nd] Abstammungsgemeinschaften primär nur bedeutsam als (normale) Grundlage der Hausgemeinschaft (5.)

Hausgemeinschaft setzt nicht „Haus" voraus, sondern: Versorgungsgemeinschaft v[on] Eltern u[nd] Kindern. Nicht absolut primitiv u[nd] universell [.Sondergut beider Gatten gerade bei primitiven Verhältnissen] häufig (Je nach Militärverband Beziehung des Mannes zur Familie verschieden) Ev[entuell] nur: Zuschuß z[um] Unterhalt (wie heut: Hausmiete) (Seßhafter Ackerbau normale Grundlage der „Elternfamilie"): |, aber: normal. Quelle: der Pietät (alle daher abgeleitet) der Autorität (alle " " soweit traditionell) Grundlage: Überlegenheit des Stärkeren (Mannes, Erwachsenen) des Erfahreneren (Erwachsenen) Folge: Solidarität nach außen: Solidarhaftung Kommunismus nach innen (Alltags Kommunismus) d Arbeit: nach Kräften, Genießen nach Bedürfnissen (u[nd] Vorräten) | :Spräegemeinschaft entscheidet: | ^Solidarhaftung): | daher: Spe/segemeinschaft universelle Form der Verbrüderung.:|d

Unsichere Lesung,

d - d Diese Passage hat keine Entsprechung im Text „Hausge-

Hausverband,

Sippe

und Nachbarschaft

ohne Abrechnung ohne Erbrecht (unsterblich) ohne Anteilsrechte. |

293

s. 119

Größe wechselnd. Heut: Eltern, |:unvereheS.128 A291 lichte: | Kinder, Dienstboten Vergangenheit: klein bei zerstreuter Nahrungssuche Graßfamilien a) bei Arbeitskumulation durch arbeitsintensiven Ackerbau aus technischen Gründen b) zur Zusammenhaltung des Besitzes aus (sozialen) ständischen Gründen.:) (6.)|:3.:| Hausgemeinschaft] deckt A//iagsbedarf an s. 121 Arbeiten u[nd] Sachgütern e/genwirtschaftlich. Gelegenheits-Mehr-Bedarf: d[urch] Nachbarschaftshilfe. „Nachbarschaft" universell als ephemere Gemeinschaft. „Nothilfe" auf Tramway u[nd] Straße bes[onders] bei gemeinsamer Gefahr. (Aufeinanderangewiesensein) |:Aber normaler Träger: Siedelungs-Nachbars. 122 schaft: e Lagergemeinschaft der Beduinen 0 Dorf der Ackerbauer. Ethischer Gehalt::| „Brüderlichkeitsbeziehung" (nüchtern u[nd] unpathetisch) Bittleihe („precarium") l ' d m" Bittarbeit (Hausbau Erntehilfe) 2 r . ' s o l c hd i r 3 Bitt-Darlehen („mutuum") J s .1 2 3 Tausch ohne Feilschen nach Traditionswort. f |:(5.)

e - e Diese Passage hat keine Entsprechung f Alternative Lesung: T r a d i t i o n s w e r t

im

Text

2 Vgl. den Text „Hausgemeinschaften", oben, S. 123, Anm. 15. 3 Ebd., S. 123.

„Hausgemeinschaften",

294 S. 124

S. 125

S. 126

A 292 S. 129

S. 130

Hausverband, Sippe und Nachbarschaft

(7.)

Nachbarschaft(sverband) wird Dauerverband v[on] Siedelnden d[urch] ökonomische Bedingungen: Knappheit der Güter des Bodens Folge: Geschlossener Verband 1 Arbeitskumula5 r tionen (Arbeitskumulation) J notwendig Geschlossenheit in sehr verschiedenem Tempo für Acker, Wiese, 1 Verbände sehr verschiedenen Weide > Umfangs Träger der 10 Wald J Genossenschaften. Kombination von Hausgemeinschaft] Dorfverband >• das Normale. Markgenossenschaft J

(Entwicklung der Hausgemeinschaft (1 In der Sexualsphäre: Exclusivität der Geschlechtsansprüche im Hause Hausexogamie sehr streng) |