Mathematik ist wunderschön: Noch mehr Anregungen zum Anschauen und Erforschen für Menschen zwischen 9 und 99 Jahren [2. Aufl.] 9783662616819, 9783662616826

Genau wie der Vorgänger Mathematik ist schön und der Nachfolger Mathematik ist wunderwunderschön macht dieses Buch in 12

237 112 28MB

German Pages XI, 343 [347] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Im Gleichgewicht (Heinz Klaus Strick)....Pages 1-16
Über alle Schranken hinaus (Heinz Klaus Strick)....Pages 17-36
Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen n-Ecken (Heinz Klaus Strick)....Pages 37-61
Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte bei Dreiecken, Vierecken, Fünfecken … (Heinz Klaus Strick)....Pages 63-91
Periodische und nichtperiodische Brüche (Heinz Klaus Strick)....Pages 93-111
Ägyptische Brüche (Heinz Klaus Strick)....Pages 113-132
Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen (Heinz Klaus Strick)....Pages 133-158
Kürzeste Wege (Heinz Klaus Strick)....Pages 159-176
Der goldene Schnitt (Heinz Klaus Strick)....Pages 177-219
Platonische und andere regelmäßige Körper (Heinz Klaus Strick)....Pages 221-259
Monsterkurven und Fraktale (Heinz Klaus Strick)....Pages 261-291
Gesetzmäßigkeiten des Zufalls (Heinz Klaus Strick)....Pages 293-331
Back Matter ....Pages 333-343
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Mathematik ist wunderschön: Noch mehr Anregungen zum Anschauen und Erforschen für Menschen zwischen 9 und 99 Jahren [2. Aufl.]
 9783662616819, 9783662616826

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Heinz Klaus Strick

Mathematik ist wunderschön Noch mehr Anregungen zum Anschauen und Erforschen für Menschen zwischen 9 und 99 Jahren

Mathematik ist wunderschön

Heinz Klaus Strick

Mathematik ist ­wunderschön Noch mehr Anregungen zum Anschauen und Erforschen für Menschen zwischen 9 und 99 Jahren 2., korrigierte und ergänzte Auflage

Heinz Klaus Strick Leverkusen, Deutschland

ISBN 978-3-662-61681-9 ISBN 978-3-662-61682-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: deblik, Berlin Planung/Lektorat: Iris Ruhmann Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Ich verstehe, dass die Mathematik, wenn man sich nicht für sie begeistert, kalt und sinnlos erscheinen kann. Ihre Schönheit erschließt sich nur den geduldigeren Schülern. (Maryam Mirzakhani, iranische Mathematikerin, 1977–2017)

Diese Aussage der 2017, im Alter von nur 40 Jahren verstorbenen MathematikProfessorin der Stanford University, die 2014 als erste Frau mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde, soll Sie, liebe Leserin, lieber Leser, durchaus ermuntern, das vorliegende Buch nicht nur durchzublättern, sondern mit Geduld durchzuarbeiten. Mathematik ist schön, sogar wunderschön. Doch das merkt man vielleicht erst, wenn man Mathematik macht, also sich mit mathematischen Problemen auseinandersetzt. Daher bietet dieses Buch die Gelegenheit, verschiedene Bereiche der Mathematik kennenzulernen. Die Frage, warum Mathematik schön ist und was an der Mathematik schön ist, muss jeder für sich selbst beantworten. Ich bin jedenfalls sicher, dass die Leserinnen und Leser auch in diesem Band mindestens ein Thema, einen konkreten Sachverhalt, ein Bild finden werden, von dem sie sagen werden: Das ist schön! Es freut mich sehr, dass ich nach dem Buch Mathematik ist schön bereits jetzt einen zweiten Band präsentieren kann, der ähnliche Ziele wie der erste Band verfolgt und in gleicher Weise strukturiert ist. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen zum ersten Band haben mich darin bestärkt, meine Leserinnen und Leser von der Schönheit der Mathematik zu überzeugen: • faszinierende, farbige Grafiken nutzen, um die Neugier zu wecken, • Sachverhalte möglichst beispielgebunden verdeutlichen und auf allzu viele formale Beweise verzichten, • auch eher unbekannte mathematische Sachverhalte aufgreifen – auch Themen, für die heute nur sehr selten Platz im Schulunterricht ist, • und stets ausreichend Gelegenheit geben, eigene Gedanken zu entwickeln: Anschauen, Nachdenken, Ausprobieren, Variieren, Recherchieren, Wundern.

V

VI

Vorwort

Diesem Motto folgen auch die von mir erstellten immerwährenden Kalender im ­DIN-A3-Format, die ich zugunsten von Friedensdorf International in Oberhausen verkauft habe (www.mathematik-ist-schoen.de). Spielerisch, durch eigenes Ausprobieren, kann man sich Kap. 3 (über einfache Parkettierungen der Ebene) nähern, aber auch Kap. 1 (über Mobiles). Eigentlich sind Mobiles ja leicht zu basteln, wenn man das Hebelgesetz beachtet; aber die Anzahl der möglichen Mobiles steigt ziemlich schnell an, je mehr Kugeln man aufhängen möchte. In Kap. 3 geht es u. a. um die Parkettierung mit regelmäßigen Dreiecken und Polyamonds sowie um die Parkettierung mit regelmäßigen Sechsecken und Polyhexes. Dass man eine Ebene (oder Teile davon) mit quadratischen Bausteinen und Polyominos auslegen kann, wurde in Kap. 5 von Mathematik ist schön untersucht. In Kap. 2 dieses Buches wird das Thema konvergente Reihen (vgl. Kap. 8 von Mathematik ist schön) fortgesetzt und mit der harmonischen Reihe eine sehr langsam divergierende Reihe vorgestellt, deren Eigenschaft verblüffende Konsequenzen hat. Selbst wenn die Schulzeit lange zurückliegt, erinnert man sich zumindest im Prinzip daran, dass es Inkreise und Umkreise für Dreiecke gibt – heutzutage ist hierfür in den Lehrplänen kaum noch Platz, erst recht nicht für die Frage, wie das bei Vierecken (oder gar bei Fünfecken, Sechsecken, …) aussieht. Auf alle solche Fragen kann Kap. 4 nicht eingehen, wohl aber Hinweise darauf geben, was es da zu entdecken gibt. In gewisser Weise findet das Kapitel seine Fortsetzung in Kap. 8, wo es um kürzeste Wege in Dreiecken, Vierecken, … geht – doch auch diese beiden Kapitel können unabhängig voneinander gelesen und erarbeitet werden. Viele haben Schwierigkeiten mit der Bruchrechnung; erfahrungsgemäß sind die meisten Kinder und Jugendlichen froh, wenn das Rechnen mit Brüchen abgelöst wird durch das Rechnen mit Dezimalzahlen – doch auch hier kann es Schwierigkeiten geben, wenn die Dezimalzahlen periodisch sind. In Kap. 5 geht es darum, diese Zusammenhänge zu verstehen und hier wirklich wunderbare Strukturen zu entdecken. Und wenn dann der Umgang mit Brüchen (wieder) leichter fällt, kann man sich in Kap. 6 in die Welt der alten Ägypter versenken und staunen, welche Konsequenzen deren besondere Art mit Brüchen zu rechnen hatte. Hier ist die mathematische Forschung noch lange nicht bei allen aufgetretenen Fragen zu abschließenden Ergebnissen gekommen; die Leserinnen und Leser haben genügend Gelegenheiten zum Knobeln … Auch in diesem Buch werden einige mathematische Paradoxien vorgestellt; in Kap. 7 geht es um Spiele mit besonderen Würfeln, mit Glücksrädern und mit Münzen, über deren Eigenschaften man sich nur wundern kann. Dass uns überhaupt der Umgang mit Vorgängen schwer fällt, bei denen der Zufall eine Rolle spielt, wird in Kap. 12 angesprochen. Hier und in einigen anderen Themenfeldern gibt es noch viel zu entdecken – auch in diesem Buch hat der Platz wieder nicht ausgereicht. Immerhin wird diesmal der goldene Schnitt ausdrücklich und ausführlich thematisiert (Kap. 9) – und doch kann dies auch wieder nur Anregung sein, sich selbstständig weiter mit dem Thema zu beschäftigen.

Vorwort

VII

Gleiches gilt für die regelmäßigen Körper, die im Mittelpunkt von Kap. 10 stehen – ausgehend von den Netzen, die man benötigt, um diese Körper zu basteln, wird dort weiter erläutert, wie man diese Körper zeichnen kann, welche Zusammenhänge zwischen der Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen bestehen und einiges mehr. Kap. 11 über Monsterkurven und Fraktale ist etwas anders aufgebaut als die übrigen Kapitel: Da erfahrungsgemäß der Umgang mit den selbstähnlichen Strukturen der geometrischen Gebilde nicht leicht fällt, wurde hier eine ausführlichere, schrittweise Darstellung gewählt. Die zwölf Kapitel des Buches sind durchweg unabhängig voneinander lesbar. Zumindest beim Einstieg in die einzelnen Themen wurde ein möglichst einfacher Zugang gewählt; dafür werden keine oder nur geringe Voraussetzungen aus dem Schulunterricht benötigt. Absichtlich wurde darauf verzichtet, den einzelnen Kapiteln jeweils eine Zusammenfassung voranzustellen. Dies hat einen einfachen (und hoffentlich überzeugenden) Grund: Das Interesse an einem Thema (und die Einsicht, dass ein Sachverhalt als schön empfunden wird) kann sich erst dann entwickeln, wenn man sich in das betreffende Thema „eingelesen“ hat. Es ist ein wichtiges Anliegen auch dieses Buches, dass viele junge Menschen den Weg zur Mathematik finden und dass die Leserinnen und Leser, deren Schulzeit schon einige Zeit zurückliegt, sich wieder erinnern und Neues entdecken können. Die „Lösungen“ zu den eingestreuten Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen werden auf der Internet-Seite des Verlags veröffentlicht (http://www.springer. com/de/book/9783662558300). Auch wenn in jedem Kapitel Sätze, Regeln und Formeln grafisch besonders hervorgehoben werden, also die typischen Elemente eines Mathematikbuches enthalten sind, ist dies kein Lehrbuch der Mathematik. Beweise von Sätzen erfolgen in den meisten Fällen nur beispielgebunden – die zugrundeliegenden Ideen zu vermitteln, war mir stets wichtiger, als die formalen Schlüsse aufzuzeigen. Wie in Mathematik ist schön sollen auch in diesem Band die Literaturhinweise am Ende eines Kapitel und am Ende des Buches Anregungen für eine weitere Beschäftigung mit den angesprochenen Themen geben; insbesondere die Wikipedia-Beiträge (in deutscher, englischer und französischer Sprache) zu einzelnen Themen und die darin enthaltenen Literaturhinweise haben sich als hilfreiche Informationsquellen erwiesen. Erfreulicherweise konnte ich in der 2. Auflage des Buches – neben den wenigen notwendigen Korrekturen – einige Ergänzungen vornehmen; insbesondere möchte ich hier die Erweiterungen in Kap. 5 (Dualbrüche), Kap. 9 (Parkettieren mit goldenen Dreiecken, Penroses-Puzzles) und Kap. 12 (Geburtstagsparadoxon, Sammelbilderproblem, 1/e-Gesetz) nennen. Am Ende der Arbeit an diesem Buch bedanke ich mich herzlich bei all denen, die mich bei der Vorbereitung und Umsetzung des Buchprojekts unterstützt haben,

VIII

Vorwort

• bei meiner Frau, die es auch diesmal geduldig ertrug, dass ich mich immer wieder in die schöne Welt der Mathematik vertiefte, • bei Wilfried Herget, der wieder zahlreiche Vorschläge machte, Formulierungen meiner Texte verständlicher zu gestalten, • bei Georg Obermeier, der auf Stellen im Manuskript hinwies, die möglicherweise irritieren könnten, • bei Hans Walser, durch dessen Hinweise und Veröffentlichungen ich auch diesmal etliche Anregungen für dieses Buch erhielt, • bei Manfred Stern† und Peter Gallin, die mich wieder durch konstruktiv-kritische Anmerkungen unterstützten, • bei Volker Pöhls, Helmut Mertes und vielen anderen für ihre Anregungen zur 2. Auflage, und nicht zuletzt bei Andreas Rüdinger, Iris Ruhmann und Carola Lerch vom SpringerVerlag, die auch dieses Buch ermöglichten. Heinz Klaus Strick

Inhaltsverzeichnis

1

Im Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Mobiles mit einer unterschiedlich großen Anzahl von gleichen Kugeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.3 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2

Über alle Schranken hinaus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Stapeln von quaderförmigen Bausteinen mit Überhang . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Die harmonische Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.3 Torricellis Trompete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.4 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

3

Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen n-Ecken . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1 Bausteine aus gleichseitigen Dreiecken – Polyiamonds. . . . . . . . . . . . 39 3.2 Bausteine aus regelmäßigen Sechsecken – Polyhexes. . . . . . . . . . . . . . 45 3.3 Archimedische Parkettierungen der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.4 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

4

Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte bei Dreiecken, Vierecken, Fünfecken …. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4.1 Umkreis und Inkreis bei Dreiecken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.2 Sehnen- und Tangentenvierecke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.3 Sehnenvielecke – Tangentenvielecke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.4 Der Flächenschwerpunkt eines Dreiecks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.5 Der Flächenschwerpunkt eines konvexen Vierecks. . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.6 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

5

Periodische und nichtperiodische Brüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.1 Ein erster Überblick über Dezimalbrüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5.2 Endliche Dezimalbrüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.3 Rein-periodische Dezimalbrüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.4 Gemischt-periodische Brüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IX

X

Inhaltsverzeichnis

5.5 5.6 5.7

Zahlenzyklen und zyklische Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Brüche im Dualsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

6

Ägyptische Brüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6.1 Zahlendarstellung im alten Ägypten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6.2 Fibonaccis gieriger Algorithmus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.3 Mögliche Gründe für die Verwendung der ägyptischen Brüche. . . . . . 118 6.4 Darstellung eines Stammbruchs als Summe von anderen Stammbrüchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.5 Stammbrüche als Summe von zwei verschiedenen Stammbrüchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.6 Darstellung von Brüchen des Typs 2/n als Summe von zwei Stammbrüchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.7 Darstellung von Brüchen des Typs 3/n und 4/n als Summe von Stammbrüchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.8 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

7

Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen. . . . . . . . . 133 7.1 Nicht-transitive Würfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.2 Penney’s Game. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 7.3 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

8

Kürzeste Wege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 8.1 Der Fermat-Punkt eines Dreiecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 8.2 Ein minimales Wegenetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 8.3 Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze. . . . . . . . . . . . . 166 8.4 Steiner-Netze in regelmäßigen Fünf- und Sechsecken . . . . . . . . . . . . . 174 8.5 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

9

Der goldene Schnitt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 9.1 Definition und Konstruktion des goldenen Schnitts . . . . . . . . . . . . . . . 178 9.2 Goldene Rechtecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 9.3 Anwendung des euklidischen Algorithmus auf das goldene Rechteck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 9.4 Der goldene Schnitt und das regelmäßige Fünfeck (Pentagon). . . . . . . 186 9.5 Variationen zum goldenen Schnitt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 9.6 Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites. . . . . . . . . . 201 9.7 Weitere Penrose-Parkettierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 9.8 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

10 Platonische und andere regelmäßige Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 10.1 Zur Anzahl der platonischen Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 10.2 Netze der platonischen Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis

10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9

XI

Schrägbilder der platonischen Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 „Mysterium Cosmographicum“ – das Weltgeheimnis des Johannes Kepler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Hamilton-Wege und Schlegel-Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen regelmäßigen Körpern – der Euler’sche Polyedersatz. . . . . . . . . . . . . . 244 Stapeln von platonischen und archimedischen Körpern . . . . . . . . . . . . 252 Schnitte durch einen Würfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

11 Monsterkurven und Fraktale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 11.1 Die Hilbert-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 11.2 Die Peano-Kurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 11.3 Anregung für die ersten Monsterkurven: Das Cantor’sche Diagonalverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 11.4 Sierpiński-Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 11.5 Sierpiński-Dreiecke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 11.6 Die Pfeilspitzen-Kurve von Mandelbrot und die Hausdorff-Dimension. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 11.7 Die Koch’sche Schneeflockenkurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 11.8 Gosper-Insel und Gosper-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 11.9 Bäume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 11.10 Briefmarken zum Thema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 11.11 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 12 Gesetzmäßigkeiten des Zufalls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 12.1 Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 12.2 Untersuchung der Runs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 12.3 Das Geburtstagsparadoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 12.4 Warten auf eine vollständige Serie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 12.5 Das „Eins durch e“-Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 12.6 Hinweise auf weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Allgemeine Hinweise auf geeignete Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

1

Im Gleichgewicht

„Gebt mir einen Hebel, der lang genug ist, und gebt mir einen Punkt, wo ich sicher stehen kann, dann kann ich die Erde mit einer Hand bewegen.“ (Archimedes, griechischer Mathematiker und Physiker, 287–212 v. Chr.)

In diesem Kapitel werden Mobiles betrachtet, die aus einer oder mehreren Stangen, aus Fäden und einer unterschiedlichen Anzahl von gleichen (= gleich großen, gleich schweren) Kugeln bestehen. Dabei werden einige vereinfachte Bedingungen hinsichtlich des Aufbaus der Mobiles angenommen: • Die Kugeln werden an den Enden einer Stange aufgehängt. • Das Gewicht der Aufhängung (Stange und Fäden) kann gegenüber dem Gewicht der Kugeln vernachlässigt werden.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_1

1

2

1  Im Gleichgewicht

1.1 Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln In der Physik bezeichnet man einen starren Körper (z. B. eine Stange), der sich um einen Punkt drehen lässt, als Hebel. Der Hebelarm ist dann der Abstand des Drehpunkts zu einem „Ende“ des Hebels. Wirkt auf das Ende eines Hebels eine Kraft, z. B. das Gewicht eines dort aufgehängten Körpers, dann dreht sich der Hebel. Das Produkt aus Hebelarm und der wirkenden Kraft nennt man daher Drehmoment. Die Stange eines Mobiles ist ein solcher Hebel. Die Abstände zwischen dem Aufhängepunkt der Stange und den beiden Enden der Stange sind die Hebelarme. Hängt man eine Kugel an einem Ende der Stange auf, dann dreht sich die Stange; hängt man eine Kugel am anderen Ende der Stange auf, dann dreht sich die Stange in der entgegengesetzten Drehrichtung. Bei Drehmomenten kommt es also auch auf die Drehrichtung an; den Unterschied der Drehrichtungen drückt man durch unterschiedliche Vorzeichen aus. Hängt man an einem der beiden Enden der Mobilestange ein Gewichtsstück auf, z. B. eine Kugel, dann bezeichnet man diesen Hebelarm als Lastarm, das Gewichtsstück als Last. Um den Hebel ins Gleichgewicht zu bringen, muss man am anderen Ende der Stange eine (Gegen-)Kraft aufwenden; dieser Hebelarm ist der Kraftarm. Ein Mobile ist ein Hebel im Gleichgewicht. Was man als Last und was man als Kraft ansieht, spielt dabei keine Rolle. Auf die Kugeln eines Mobiles wird durch die Erdanziehung eine Kraft ausgeübt; diese hängt von der Masse der Kugeln ab. Damit ein Mobile im Gleichgewicht ist, muss eine einfache Bedingung erfüllt sein: Regel

DasHebelgesetz Ein Hebel ist im Gleichgewicht, wenn die Summe der Drehmomente gleich null ist. Besteht der Hebel aus einer Stange, die an einem Faden aufgehängt ist, dann muss also gelten: Kraft × Länge des Kraftarms = Last × Länge des Lastarms ◄

1.1  Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln

3

Dieses Gesetz wurde bereits von Archimedes von Syrakus (287–212 v. Chr.) formuliert und von ihm in zahlreichen seiner technischen Erfindungen angewandt. Beispiel: Mobile mit zwei Kugeln

Wenn ein Mobile mit zwei gleichen Kugeln gebaut werden soll, dann müssen die Kugeln im gleichen Abstand vom Aufhängepunkt des Mobiles aufgehängt werden.

Beispiel: Mobile mit drei Kugeln

Für Mobiles mit drei gleichen Kugeln gibt es – bis auf Spiegelung – nur eine Möglichkeit des Aufbaus, denn die Anzahl von drei Kugeln kann nur auf eine Art aufgeteilt werden: 3 = 1 + 2 Man könnte es auch so sagen: Die Zahl 3 lässt sich – bis auf Vertauschung – nur auf eine Art als Summe von zwei positiven ganzzahligen Summanden darstellen. Hängt man also am linken Ende einer Stange eine Kugel auf, dann wird am rechten Ende das oben abgebildete 2er-Mobile befestigt. Da rechts das doppelte Gewicht hängt, muss dort der Abstand zum Aufhängepunkt halb so groß sein wie der Abstand auf der linken Seite, damit das Mobile insgesamt im Gleichgewicht ist. Die obere Stange muss also im Verhältnis 2:1 unterteilt werden (zwei Drittel zu einem Drittel der Gesamtlänge der oberen Stange).

Im Folgenden werden Aufhängungen, bei denen das Mobile oder einzelne Teile eines Mobiles nur gedreht sind, nicht berücksichtigt.

4

1  Im Gleichgewicht

Beispiel: Mobile mit vier Kugeln

Mobiles mit vier gleichen Kugeln können auf zwei Arten gebastelt werden, denn die Zahl 4 lässt sich auf zwei Arten als Summe zweier positiver ganzer Zahlen notieren: 4 = 1 + 3 und 4 = 2 + 2. Dazu verwendet man also entweder das ­3er-Mobile und bringt dies durch eine weitere Kugel ins Gleichgewicht, oder man baut das Mobile aus zwei 2er-Mobiles zusammen. Im ersten Fall (Typ (4.1), vgl. Abb. links) muss das Gewicht der einen Kugel links das Gewicht der drei Kugeln rechts ausgleichen. Die obere Stange muss daher im Verhältnis 3:1 unterteilt werden (drei Viertel zu einem Viertel der Gesamtlänge der oberen Stange). Im zweiten Fall (Typ (4.2), vgl. Abb. rechts) erfolgt die Aufhängung der oberen Stange in der Mitte.

Beispiel: Mobile mit fünf Kugeln

Dass es für Mobiles mit fünf gleichen Kugeln drei Möglichkeiten gibt, kann man sich analog überlegen: Die Zahl 5 lässt sich auf zwei Arten als Summe von zwei positiven ganzen Zahlen schreiben: 5 = 1 + 4 = 2 + 3. Die erste Zerlegung (1 + 4) bedeutet, dass man eines der beiden 4er-Mobiles und eine einzelne Kugel ins Gleichgewicht bringt, und die zweite Zerlegung (2 + 3) bedeutet, dass man entsprechend das 2er-Mobile und das 3er-Mobile geeignet verwendet. Also ergeben sich insgesamt drei Arten von Mobiles mit fünf gleichen Kugeln: • Typ (5.1): 5 = 1 + (1 + 3) und • Typ (5.2): 5 = 1 + (2 + 2) sowie • Typ (5.3): 5 = 2 + 3.

1.1  Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln

5

Die Aufhängung der oberen Stange muss dabei entsprechend durch Unterteilung im Verhältnis 4:1 (Typ 5.1 und Typ 5.2) bzw. 3:2 (Typ 5.3) erfolgen.

Hinweis: Da sich die Mobiles einfach drehen können, ist in den vorangehenden und folgenden Grafiken jeweils nur eine mögliche Momentaufnahme der Mobiles abgebildet. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 1.1: Erläutern Sie: Für Mobiles aus sechs gleichen Kugeln gibt es die folgenden sechs Möglichkeiten der Aufhängung. Welche Mobiles mit einer kleineren Anzahl von Kugeln werden dabei miteinander kombiniert?

6

1  Im Gleichgewicht

Herausfinden der zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit Beim Zusammenstellen von Mobiles mit einer größeren Anzahl von Kugeln verwendet man stets Bauteile aus Mobiles mit einer kleineren Kugelzahl. Die Anzahl der Möglichkeiten, ein Mobile aus k Kugeln zu basteln, hängt also von der Anzahl der Möglichkeiten ab, Mobiles mit 2, 3, 4, …, k − 1 Kugeln zusammenzusetzen. Beispiel: Mobile mit sieben Kugeln

Die Zahl 7 lässt sich 7 = 1 + 6 = 2 + 5 = 3 + 4.

wie

folgt

als

einfache

Summe

schreiben:

• Die erste Zerlegung (1 + 6) bedeutet, dass man eines der (sechs) möglichen ­6er-Mobiles und eine einzelne Kugel ins Gleichgewicht bringt, • die zweite Zerlegung (2 + 5), dass man das 2er-Mobile und eines der (drei) möglichen 5er-Mobile verwendet, und • die dritte Zerlegung (3 + 4), dass man das 3er-Mobile mit einem der (zwei) möglichen 4er-Mobiles kombiniert.

Bezeichnet man die Anzahl der möglichen Mobiles mit k gleichen Kugeln allgemein mit mk, dann haben wir bisher herausgefunden:

m2 = 1, m3 = 1, m4 = 2, m5 = 3 und m6 = 6. Zusätzlich kann man noch m1 = 1 für die Anzahl der möglichen Mobiles mit einer Kugel schreiben. Mithilfe dieser Bezeichnungen ergibt sich:

m7 = m1 · m6 + m2 · m5 + m3 · m4 = 1 · 6 + 1 · 3 + 1 · 2 = 11, d. h., es gibt elf Möglichkeiten, ein Mobile aus sieben gleichen Kugeln zu basteln. Beispiel: Mobile mit acht Kugeln

Die Zahl 8 lässt sich wie folgt als Summe von zwei Summanden schreiben: 8 = 1 + 7 = 2 + 6 = 3 + 5 = 4 + 4 • Die erste Zerlegung (1 + 7) bedeutet, dass man die (elf) möglichen 7er-Mobiles und eine Kugel ins Gleichgewicht bringen muss, • die zweite Zerlegung (2 + 6), dass man das 2er-Mobile und eines der (sechs) möglichen 6er-Mobiles verwendet, • die dritte Zerlegung (3 + 5), dass man das 3er-Mobile mit einem der (drei) möglichen 5er-Mobiles kombiniert.

1.1  Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln

7

Bei der Zerlegung 4  +  4 muss beachtet werden, dass drei verschiedene Kombinationen der beiden 4er-Mobiles möglich sind: (4.1) – (4.1), (4.1) – (4.2) und (4.2) – (4.2). Die Kombination (4.2) – (4.1) stimmt mit der Kombination (4.1) – (4.2) überein.

Es gilt also: m8 = m1 ⋅ m7 + m2 ⋅ m6 + m3 ⋅ m5 + 3 = 1 ⋅ 11 + 1 ⋅ 6 + 1 ⋅ 3 + 3 = 23, d. h., es gibt 23 Möglichkeiten, ein Mobile aus acht Kugeln zu basteln. Analog ergibt sich für • k = 9 Kugeln

m9 = m1 · m8 + m2 · m7 + m3 · m6 + m4 · m5 = 1 · 23 + 1 · 11 + 1 · 6 + 2 · 3 = 46. Dass die jeweiligen Typ-Anzahlen miteinander multipliziert werden müssen, kann man sich mithilfe einer Kombinationstafel verdeutlichen. Beispiel: Mögliche Kombinationen von Mobiles mit unterschiedlicher Kugelanzahl

Um die Anzahl der möglichen 9er-Mobiles zu bestimmen, die aus 4er- und ­5er-Mobiles zusammengesetzt sind, betrachte man eine Kombinationstafel. In der folgenden Tabelle sind die m4 ⋅ m5 = 2 ⋅ 3 = 6 Kombinationsmöglichkeiten dargestellt.

• k = 10 Kugeln Wie im Fall k = 8 muss der Sonderfall beachtet werden, dass dabei auch zwei Mobiles mit gleicher Kugelanzahl kombiniert werden.

8

1  Im Gleichgewicht

Beispiel: Mögliche Kombinationen von Mobiles mit gleicher Kugelanzahl

An der folgenden Kombinationstafel ist ablesbar, dass eine Kombination der drei Typen (5.1), (5.2) und (5.3) miteinander nur auf 1 + 2 + 3 Arten möglich ist.

Somit gilt:

m10 = m1 ·m9 +m2 ·m8 +m3 ·m7 +m4 ·m6 +(1 + 2 + 3) = 1·46+1·23+1·11+2·6+6 = 98 Aus den bisher betrachteten Beispielen ergibt sich, dass zwei Fälle zu unterscheiden sind: • Das Mobile besteht aus einer ungeraden Anzahl k von Kugeln. • Das Mobile besteht aus einer geraden Anzahl k von Kugeln. Falls die Anzahl der Kugeln gerade ist, also k = 2 • s (s ∈ ℕ), dann gibt es 1 + 2 + 3 + … + ms mögliche Kombinationen der ms verschiedenen Typen von Mobiles aus s gleichen Kugeln. Für die Summe der ersten n natürlichen Zahlen 1, 2, 3, …, n gilt bekanntlich die Summenformel,

1 + 2 + 3 + ··· + n =

1 · n · (n + 1), 2

vgl. z. B. Formel (2.1) in Mathematik ist schön. Daher gilt beispielsweise im Falle eines Mobiles mit zehn gleichen Kugeln:

m10 = m1 · m9 + m2 · m8 + m3 · m7 + m4 · m6 +

1 · m5 · (m5 + 1) 2

1.1  Das Hebelgesetz – Mobiles mit gleichen Kugeln

9

Regel

Anzahl der möglichen Mobiles aus k gleichen Kugeln Die Anzahl mk der möglichen Mobiles aus k gleichen Kugeln kann aus den Anzahlen m1 = 1 und m2 = 1 wie folgt schrittweise berechnet werden: • Ist k eine ungerade Zahl, also k = 2 ⋅ s + 1, dann ist m2s + 1 = m1 ⋅ m2s  + m2 ⋅ m2s − 1 + m3 ⋅ m2s − 2 + … + ms ⋅ ms + 1. • Ist k eine gerade Zahl, also k = 2 ⋅ s, dann ist m2s = m1 · m2s−1 + m2 · m2s−2 + m3 · m2s−3 + · · · + ms−1 · ms+1 + 21 · ms · (ms + 1). ◄

Übrigens: Gibt man die ersten Glieder der Zahlenfolge, also 1, 1, 1, 2, 3, 6, 11, 23, 46, 98, in eine Suchmaschine ein, dann findet diese als erste Quelle die On-Line Encyclopedia of Integer Sequences®, kurz OEIS, mit der folgenden Information: Bei dieser Folge handelt es sich um die Wedderburn-Etherington numbers. OEIS ist eine 1964 vom australisch-amerikanischen Mathematiker Neil J. A. Sloane gegründete Datenbank mit über 250.000 Zahlenfolgen aus ganzen Zahlen (https://oeis.org). Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 1.2: Weisen Sie nach, dass es möglich ist, die Anzahl mk der möglichen Mobiles für k = 3 bzw. k = 4 Kugeln auch mithilfe der Formel aus dem o. a. Satz zu berechnen. A 1.3: Berechnen Sie die Anzahl der möglichen Mobiles aus 11 und aus 12 gleichen Kugeln mithilfe der o. a. Formeln. A 1.4: Untersuchen Sie, für welche Anzahl k von Kugeln die Anzahl mk der möglichen Mobiles größer ist als 1000 [1.000.000]. A 1.5: Statt die Mobiles zu zeichnen, kann man sie wie folgt mithilfe eines speziellen Zeichens, z. B. „o“, und Klammern () symbolisch darstellen. (Wofür stehen die Klammern?) k = 2:(oo) k = 3:(o(oo)) k = 4:(o(o(oo))) oder ((oo)(oo)) Stellen Sie auf diese Weise die möglichen Typen von Mobiles mit k = 5, 6, 7, 8 Kugeln dar.

10

1  Im Gleichgewicht

1.2 Mobiles mit einer unterschiedlich großen Anzahl von gleichen Kugeln In diesem Abschnitt sollen noch Mobiles betrachtet werden, an deren Fäden mehrere gleiche Kugeln aufgehängt werden können. Dabei beschränken wir uns auf Mobiles mit nur drei Aufhängemöglichkeiten. Das Mobile mit der kleinsten Anzahl an Kugeln ist das bereits in Abschn. 1.1 betrachtete Mobile mit drei Kugeln. Beispiel: Mobile mit drei gleichen Kugeln

Drei gleiche Kugeln können nur auf eine Art an einem Mobile mit drei Aufhängungen montiert werden. Die Längen von Last- und Kraftarm • stehen in der Abbildung im Verhältnis 2:1 (obere Stange) und 1:1 (untere Stange).

Beispiel: Mobiles mit vier gleichen Kugeln

Vier gleiche Kugeln können auf zwei Arten an einem Mobile mit drei Aufhängungen montiert werden. Die Längen von Last- und Kraftarm • stehen in der Abbildung links beide im Verhältnis 2:2, • stehen in der mittleren Abbildung im Verhältnis 3:1 (obere Stange) und 1:2 (untere Stange). Das Mobile in der Abbildung rechts stimmt bis auf die Färbung der Kugeln (und der Drehung) mit dem Mobile in der Mitte überein; daher wird eine solche Variation im Folgenden weggelassen.

1.2  Mobiles mit einer unterschiedlich großen Anzahl von gleichen Kugeln

Beispiel: Mobiles mit fünf gleichen Kugeln

Fünf gleich große Kugeln können auf vier Arten an einem Mobile mit drei Aufhängungen montiert werden. Die Längen von Last- und Kraftarm • stehen in der ersten Abbildung im Verhältnis 4:1 (obere Stange) und 1:1 (untere Stange), • stehen in der zweiten Abbildung im Verhältnis 4:1 (obere Stange) und 1:3 (untere Stange), • stehen in der dritten Abbildung im Verhältnis 3:2 (obere Stange) und 1:2 (untere Stange), • stehen in der vierten Abbildung im Verhältnis 2:3 (obere Stange) und 1:1 (untere Stange).

11

12

1  Im Gleichgewicht

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 1.6: (1) Zeigen Sie, dass es sechs Möglichkeiten gibt, sechs gleiche Kugeln an einem Mobile mit drei Aufhängungen anzubringen. Fertigen Sie eine Zeichnung dieser Mobiles an. (2) Erläutern Sie, welche Möglichkeiten es gibt, sieben gleiche Kugeln an einem Mobile mit drei Aufhängungen anzubringen.

Um allgemein herauszufinden, wie viele verschiedene Mobiles mit drei Aufhängungen und k Kugeln es gibt, verwenden wir die symbolische Schreibweise als Zahlentripel (g ; r ; b) für diesen Mobiletyp. Dabei bezeichnet g, r, b die Anzahl der grünen, roten und blauen Kugeln. Für diese müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: g + r + b = k; g, r, b ≥ 1 und r ≥ b. Die letzte Bedingung wurde in den vorangehenden Abbildungen beachtet; ebenso gut könnte aber auch die Bedingung r ≤ b berücksichtigt werden. Die Mobiles mit drei Aufhängungen und k Kugeln können dann wie folgt als Zahlentripel notiert werden: k = 3: (1 ; 1 ; 1) k = 4: (1 ; 2 ; 1); (2 ; 1 ; 1) k = 5: (1 ; 3 ; 1); (1 ; 2 ; 2); (2 ; 2 ; 1); (3 ; 1 ; 1) k = 6: (1 ; 4 ; 1); (1 ; 3 ; 2); (2 ; 3 ; 1); (2 ; 2 ; 2); (3 ; 2; 1); (4 ; 1 ; 1) k = 7: (1 ; 5 ; 1); (1 ; 4 ; 2); (1 ; 3 ; 3); (2 ; 4 ; 1); (2 ; 3 ; 2); (3 ; 3 ; 1); (3 ; 2 ; 2); (4 ; 2 ; 1); (5 ; 1 ; 1) k = 8: (1 ; 6 ; 1); (1 ; 5 ; 2); (1 ; 4 ; 3); (2 ; 5 ; 1); (2 ; 4 ; 2); (2 ; 3 ; 3); (3 ; 4 ; 1); (3 ; 3 ; 2); (4 ; 3 ; 1); (4 ; 2 ; 2); (5 ; 2 ; 1); (6 ; 1 ; 1) Der Parameter g in den Zahlentripeln (g ; r ; b) durchläuft die natürlichen Zahlen von 1 bis k − 2. Das Teilmobile mit zwei Aufhängungen enthält dabei mindestens r + b = 2 rote und blaue Kugeln (mindestens eine Kugel von jeder Sorte) und höchstens r + b = k − 1 rote und blaue Kugeln (höchstens k – 2 rote Kugeln). Untersucht man die Anzahl der möglichen Teilmobiles mit zwei Aufhängungen, dann findet man: r + b = 2: Es gibt nur eine Möglichkeit, nämlich r = 1 und b = 1, Kurzschreibweise: (1 ; 1). r + b = 3: Es gibt nur eine Möglichkeit, nämlich (2 ; 1). r + b = 4: Es gibt zwei Möglichkeiten, nämlich (3 ; 1) und (2 ; 2). r + b = 5: Es gibt zwei Möglichkeiten, nämlich (4 ; 1) und (3 ; 2).

1.2  Mobiles mit einer unterschiedlich großen Anzahl von gleichen Kugeln

13

r + b = 6: Es gibt drei Möglichkeiten, nämlich (5 ; 1), (4 ; 2) und (3 ; 3). r + b = 7: Es gibt drei Möglichkeiten, nämlich (6 ; 1), (5 ; 2) und (4 ; 3). usw. Mithilfe der folgenden Tabellen kann man dann erschließen, wie sich die Anzahl der möglichen Mobiles mit drei Aufhängungen und k Kugeln aus den verschiedenen Kombinationen von grünen, roten und blauen Kugeln errechnet:

Als Gesamtzahl der Möglichkeiten ergibt sich

   • bei einer geraden Anzahl k von Kugeln: 2 · 1 + 2 + · · · + 21 · k − 1 und   • bei einer ungeraden Anzahl k von Kugeln: 2 · 1 + 2 + · · · + 21 · (k − 3) + 21 · (k − 1). Diese Terme kann man mithilfe der Summenformel für die ersten n natürlichen Zahlen umformen:        2 · 1 + 2 + · · · + 21 · k − 1 = 2 · 21 · 21 · k − 1 · 21 · k = 21 · (k − 2) · 21 · k = 41 · (k − 2) · k bzw.   2 · 1 + 2 + · · · + 21 · (k − 3) + 21 · (k − 1) = 2 · 21 · 21 · (k − 3) · 21 · (k − 1) +   2 = 21 · (k − 1) · 21 · (k − 3) + 1 = 21 · (k − 1) · 21 · (k − 1) = 14 · (k − 1)

1 2

· (k − 1)

14

1  Im Gleichgewicht

Regel

Anzahl der möglichen Mobiles mit drei Aufhängungen auskgleichen Kugeln Für die Anzahl der möglichen Mobiles mit drei Aufhängungen aus k gleichen Kugeln gilt:

  • Ist k eine ungerade Zahl, dann gibt es 41 · (k − 1)2 = 41 · k 2 − 2k + 1 verschiedene Mobiles.   • Ist k eine gerade Zahl, dann gibt es 41 · (k − 2) · k = 41 · k 2 − 2k verschiedene Mobiles. ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 1.7: Überprüfen Sie die Gültigkeit der Regel für die Anzahl der möglichen Mobiles mit drei Aufhängungen, wenn k = 9 und k = 10, indem Sie jeweils alle diese Mobiles notieren und sie dann abzählen. A 1.8: Die Abbildungen mit den Mobiles mit drei Aufhängungen wurden mithilfe eines einfachen Computerprogramms erstellt. Eingegeben werden drei Parameterwerte g, r, b für die Anzahl der grünen, roten und blauen Kugeln sowie ein Parameterwert s für die Stangenlänge. Beschreiben Sie den Zeichenalgorithmus mit Worten. A 1.9: Wie in Abschn. 1.1 gezeigt wurde, gibt es zwei verschiedene Typen von Mobiles mit vier Aufhängungen. Untersuchen Sie analog zu den Mobiles mit drei Aufhängungen auch für diese beiden Typen, wie viele mögliche Mobiles es mit k Kugeln gibt (k ≥ 4). Stellen Sie Regeln zur Berechnung dieser Anzahlen auf. A 1.10: Untersuchen Sie, wie es sich auswirkt, wenn die in den vorangehenden Abschnitten vorgenommene Beschränkung hinsichtlich der Anzahl der Aufhängungen und der Kugeln nicht beachtet wird. Der Vollständigkeit halber sollen dabei auch die „langweiligen“ Mobiles mit nur einer Aufhängung betrachtet werden, bei denen nichts ins Gleichgewicht zu bringen ist. Setzen Sie fort: • Es gibt nur eine Möglichkeit, ein Mobile mit einer Kugel zu basteln.



1.2  Mobiles mit einer unterschiedlich großen Anzahl von gleichen Kugeln

• Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Mobile mit zwei Kugeln zu basteln.

• Es gibt drei Möglichkeiten, ein Mobile mit drei Kugeln zu basteln.

• Es gibt sieben Möglichkeiten, ein Mobile mit vier Kugeln zu basteln.

15

16

1  Im Gleichgewicht

1.3 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Mobile – Kunst (Mobile – sculpture, Mobile – art)

2

Über alle Schranken hinaus

„Paradoxa des Unendlichen entstehen nur dann, wenn wir versuchen, mit unserem endlichen Geist das Unendliche zu diskutieren und letzterem diejenigen Eigenschaften zuzuordnen, die wir dem Endlichen und Begrenzten geben.“ (Galileo Galilei, italienischer Physiker und Mathematiker, 1564–1642)

Jeder von uns hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Türme aus aufeinandergestapelten Quadern leicht umfallen können. Im Spielzeughandel werden Geschicklichkeitsspiele angeboten, bei denen es darum geht, aus gleichartigen Quadern einen Turm zu bauen, aus dem dann nach und nach einzelne Quader herausgenommen werden sollen, bis der Turm zusammenbricht. Kaum vorstellbar scheint daher, dass es möglich ist, einen Turm so aus gleichartigen Quadern zu errichten, dass der oberste Quader vollständig aus der Fläche herausragt, in der der unterste Quader liegt.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_2

17

18

2  Über alle Schranken hinaus

2.1 Stapeln von quaderförmigen Bausteinen mit Überhang Als Quader geeignet sind beispielsweise Dominosteine oder glatte, homogene, quaderförmige Bausteine, aber auch Bücher gleichen Formats. Das Experiment kann sogar mithilfe eines gewöhnlichen Kartenspiels realisiert werden; dies ist allerdings nicht so eindrucksvoll wie mit Holzbausteinen. Stapel aus einem Baustein Die folgende Abbildung zeigt einen Baustein (grün), der auf einer Tischplatte (grau) als Unterlage so weit über die Kante geschoben wird, dass er gerade noch liegen bleibt, also nicht kippt und vom Tisch fällt. Dies ist im Prinzip der Fall, wenn sich der Schwerpunkt des Quaders über der Unterlage befindet: Der Baustein ist gerade noch im Gleichgewicht, wenn der Schwerpunkt genau über der Tischkante liegt. Hinweis: Im Experiment wird man feststellen, dass es sehr schwierig ist, diese Grenzlage genau zu finden. Man wird also vorsichtig den Baustein so weit schieben, dass die Mitte des Quaders geringfügig links von der Tischkante liegt. Dies gilt für alle im Folgenden betrachteten Stapel mit Bausteinen.

Man kann den Quader insgesamt als Hebel ansehen, dessen Drehpunkt die Tischkante darstellt (vgl. Kap. 1). Die linke und die rechte Hälfte des Quaders haben einen in der jeweiligen Mitte liegenden Massenschwerpunkt, auf den jeweils die Erdanziehungskraft wirkt (vgl. nachfolgende Grafik). Wenn die beiden Massenschwerpunkte den gleichen Abstand zum Drehpunkt haben, ist also der Quader im Gleichgewicht.

Bei den nachfolgenden Schritten soll diese eher physikalische Analyse der Situation nicht weiter verfolgt werden. Da es sich bei den verwendeten Bausteinen um homogene Körper handelt, genügt es, wenn man vereinfacht wie folgt argumentiert: Links und rechts von der Tischkante (vom Drehpunkt) erkennt man in der Abbildung gleich große Querschnittsflächen durch den Quader (dunkelgrün und hellgrün). Wenn die verwendeten Bausteine eine Länge von 1 LE haben, dann liegen links und rechts vom Drehpunkt jeweils Teilquader der Länge 21 LE.

2.1  Stapeln von quaderförmigen Bausteinen mit Überhang

19

Stapel aus zwei Bausteinen Wenn man einen zweiten Baustein hinzunimmt, geht man am einfachsten wie folgt vor: Den zweiten Quader schiebt man so unter den ersten Quader, dass er rechts bündig mit der Tischkante abschließt. Dann schiebt man den gesamten Stapel aus zwei Quadern so weit nach rechts, dass die neu hinzukommende Quaderlänge von 1 LE gleichermaßen auf beide Quader sowie je zur Hälfte links und rechts von der Tischkante verteilt wird. In der rechts stehenden Grafik ist dies durch die vier gleichen hellblauen Rechtecke angedeutet.

Die Längenbilanz bzgl. der Lage zur Tischkante kann dann so beschrieben werden:

Stapel aus drei Bausteinen Beim dritten Baustein geht man analog vor: Man schiebt ihn so unter den vorhandenen Stapel aus zwei Quadern, dass er rechts bündig mit der Tischkante abschließt. Dann schiebt man den gesamten Stapel aus drei Quadern so weit nach rechts, dass die neu hinzukommende Länge von 1 LE gleichermaßen auf die drei Quader sowie je zur Hälfte links und rechts von der Tischkante verteilt wird (vgl. auch die Längenbilanz in der Tabelle rechts).

20

2  Über alle Schranken hinaus

Stapel aus vier Bausteinen Die analoge Anwendung des Verfahrens beim vierten Baustein führt dazu, dass der oberste Quader jetzt vollständig rechts vom Drehpunkt liegt – wie auch aus der analog 11 3 25 + 81 = 22 + 24 = 24 > 1 . Da ein durchgeführten Längenbilanz deutlich wird, denn 12 24 Baustein eine Länge von 1 LE hat, bedeutet dies, dass die linke Seitenfläche des Quaders 1 LE rechts von der Tischkante liegt. 24

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 2.1: Setzen Sie das Verfahren entsprechend auch für einen fünften Baustein fort. Ermitteln Sie die Längenbilanz und hiermit die Lage des obersten Quaders bzgl. der Tischkante.

Theoretisch können weitere Bausteine zum Stapel hinzugefügt, und jedes Mal kann der gesamte Stapel weiter nach rechts verschoben werden. Dieser Sachverhalt lässt wie folgt zusammenfassen: Regel

Maximaler Überhangbei Stapeln von gleichartigen quaderförmigen Bausteinen An einer Tischkante werden n gleichartige quaderförmige Bausteine mit einer Länge von 1 LE so gestapelt, dass ein möglichst großer Überhang des obersten Bausteins erreicht wird. Die Nummerierung der Bausteine erfolgt von oben nach unten. Der Stapel ist gerade noch im Gleichgewicht, wenn

2.1  Stapeln von quaderförmigen Bausteinen mit Überhang



21

  1 · 1 + 21 + 13 + · · · + n−1 + n1 LE der Länge des 1. Bausteins rechts von der Tischkante liegt,   1 + n1 LE der Länge des 2. Bausteins rechts von der Tisch• 21 · 21 + 13 + · · · + n−1 kante  liegt,  1 + n1 LE der Länge des 3. Bausteins rechts von der Tisch• 21 · 13 + 41 + · · · + n−1 kante liegt, • …   1 + n1 LE der Länge des (n − 1)-ten Bausteins rechts von der Tischkante • 21 · n−1 liegt und • 21 · n1 LE der Länge des n-ten Bausteins rechts von der Tischkante liegt, 1 2

Wenn eine oder mehrere der angegebenen Längen größer als 1 LE sind, bedeutet dies, dass die Bausteine um ein entsprechendes Maß rechts von der Tischkante entfernt liegen. ◄ Alternative Quaderstapel mit Überhang Es ist allerdings auch auf andere Weise möglich, quaderförmige Bausteine so zu stapeln, dass ein Baustein eine Quaderlänge (oder mehr) rechts von der Tischkante liegt, wie beispielsweise beim Stapel mit drei (=1 + 2) Bausteinen in der folgenden Abbildung links. Durch einen zusätzlichen Quader, der von oben aufgelegt wird, kann man das Gebilde noch weiter stabilisieren.

Wie Paterson & Zwick (vgl. Literaturhinweise) untersucht haben, kann man dabei die in der Mitte liegenden Bausteine symmetrisch so weit auseinanderziehen, dass der rechte Baustein einen Überhang von ca. 0,168 LE hat.

Der folgende Stapel aus sechs (=1 + 2 + 3) Bausteinen erweist sich – im Gegensatz zum o. a. Stapel aus drei (=1 + 2) Bausteinen – als nicht stabil; er kann aber durch drei weitere Bausteine stabilisiert werden, sodass ein rautenförmiger Stapel entsteht.

22

2  Über alle Schranken hinaus

Und während der rautenförmige Stapel aus 1 + 2 + 3 + 4 + 3 + 2 + 1 = 16 Bausteinen noch stabil ist, fällt bereits der nächste Stapel aus 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 4 + 3 + 2 + 1 = 25 ­auseinander. Paterson & Zwick haben in ihren Beiträgen dargelegt, welche Variationen von Stapelbauweisen stabil sind und durch welche Konstruktionen dabei maximale Überhänge erzielt werden können. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 2.2: Nehmen Sie die Anregungen von Paterson & Zwick zum Anlass, eigene Experimente durchzuführen.

2.2 Die harmonische Reihe Wie in Abschn. 2.1 gezeigt wurde, ist es also theoretisch möglich, dass der oberste Baustein weiter als eine Quaderlänge rechts von der Tischkante liegt. Das Verfahren kann für weitere Bausteine fortgesetzt werden. Der in der o. a. Regel angegebene Term für den horizontalen Abstand des obersten Bausteins von der Tischkante enthält eine Summe – es handelt sich um die Teilsumme 1 + n1 (vgl. Abb. 2.1). Hn der ersten n Stammbrüche, also Hn = 1 + 21 + 31 + · · · + n−1 Die Folge Hn wird als harmonische Reihe bezeichnet. Bei ihr ist etwas Merkwürdiges zu beobachten: Auch wenn der Zuwachs immer kleiner wird, ist dieses Wachsen nicht begrenzt! Im Unterschied zu anderen Folgen, wie beispielsweise bei den

2.2  Die harmonische Reihe

23

Abb. 2.1   Folge der Stammbrüche

geometrischen Reihen (vgl. Kap. 8 in Mathematik ist schön), streben die Teilsummen der harmonischen Reihe nicht gegen einen Grenzwert; die harmonische Reihe ist also nicht konvergent, sondern divergent. Satz

Divergenz der harmonischen Reihe Die Folge der Teilsummen Hn = 1 + Schranken hinaus. ◄

1 2

+

1 3

+ ··· +

1 n−1

+

1 n

wächst über alle

Die Teilsumme der ersten vier Stammbrüche ist größer als die Schranke S = 2, die Teilsumme der ersten elf Stammbrüche liegt als erste oberhalb der Schranke S = 3. Die nächste ganzzahlige Schranke S = 4 wird erreicht, wenn n ≥ 31 (vgl. folgende Tabelle und Abb. 2.2).

Abb. 2.2   Entwicklungen der Teilsummen der harmonischen Reihe

24

2  Über alle Schranken hinaus

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 2.3: Für n ≥ 83 ist Hn > 5, für n ≥ 227 ist Hn > 6. Beschreiben Sie, was diese Eigenschaften für den obersten Baustein des in Abschn. 2.1 beschriebenen Stapels aus n Bausteinen bedeuten. A 2.4: Die in A 2.3 angegebenen Schwellenwerte für n mit Hn > S kann man mithilfe eines Taschenrechners oder einer Tabellenkalkulation ermitteln. Überlegen Sie, warum bei größeren Werten von S numerische Probleme auftreten, sodass man – möglicherweise – zu der Vermutung kommen könnte, dass die harmonische Reihe einen bestimmten endlichen Wert H nicht überschreitet.

Beweise für die Divergenz der harmonischen Reihe Für den Beweis, dass die harmonische Reihe tatsächlich über alle Schranken hinaus wächst, also gegen unendlich divergiert, existieren zahlreiche Beweise, die teilweise unabhängig voneinander entwickelt wurden (vgl. hierzu z. B. die Sammlung von 45 Beweisen von S. J. Kifowit). Hier soll insbesondere auf die vier (historisch) ersten Beweise eingegangen werden. Beweis von Nicole Oresme Bereits im 14. Jahrhundert zeigte der bedeutende französische Naturwissenschaftler und Philosoph Nicole Oresme (1330–1382), dass sich die Glieder der harmonischen Reihe nach unten durch eine Zahlenfolge abschätzen lassen, deren Summe offensichtlich über alle Grenzen hinaus wächst. Es gilt:     1 1 1 1 1 1 + + >1+ + = 2 = a2 H4 = 1 + + 2 3 4 2 4 4 H8 = 1 +

1 + 2



1 1 + 3 4



+



1 1 1 1 + + + 5 6 7 8



> 1+

1 + 2



1 1 + 4 4



+



1 1 1 1 + + + 8 8 8 8



= 2, 5 = a3

2.2  Die harmonische Reihe

25

      1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + + + + + + + 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16       1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + + + + + + >1+ + 2 4 4 8 8 8 8 16 16 16 16 16 16 16 16

H16 = 1 +

= 3 = a4

usw. Der geniale Einfall Oresmes besteht also darin, die zunächst 2, dann 4, 8, 16, … Stammbrüche zusammenzufassen und diese jeweils nach unten durch den Wert 0,5 abzuschätzen, sodass auf der linken Seite des Ungleichheitszeichens Teilsummen Hn der harmonischen Reihe stehen mit n = 2k und auf der rechten Seite die Glieder einer linearen Folge ak mit ak = 1 + 21 · k. Daher divergiert die harmonische Reihe. Der Beweis geriet – wie so manche geniale Idee – zunächst in Vergessenheit. Beweis von Pietro Mengoli Im 17. Jahrhundert entwickelte der italienische Mathematiker Pietro Mengoli (1626– 1686) einen indirekten Beweis für die Divergenz von Hn. Angenommen, die Reihe besitzt ein endlichen Grenzwert H; dann gilt:       1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + + ... H =1+ 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Nun gilt für drei aufeinanderfolgende Stammbrüche als das Dreifache des mittleren Bruchs:

1 a−1

+

1 a

+

1 , a+1

dass sie größer sind

1 1 1 1 a+1+a−1 2a 1 2a 1 2 3 1 = + 2 + + = + > + 2 = + = , a−1 a a+1 a (a − 1) (a + 1) a a −1 a a a a a also beispielsweise 21 + 31 + 41 = 13 + 43 > 31 + 69 = 1 + 12 > 16 + 12 = 16 + 26 = 21 . 6 35 36 Daher kann man H wie folgt nach unten abschätzen:

H >1+

1 3

+

2 3

=1

und

1 5

+

1 6

+

1 7

=

1 1 3 3 3 + + + ··· = 1 + 1 + + + ··· = 1 + H 3 6 9 2 3

Da die positive endliche Zahl H nicht größer sein kann als 1 + H, muss die Annahme, dass H eine endliche Zahl ist, d. h., dass die harmonische Reihe einen endlichen Grenzwert hat, falsch sein. Auch dieser Beweis fand zunächst keine Beachtung. Beweis von Jakob Bernoulli Der Schweizer Mathematiker Jakob Bernoulli (1654–1705), der die Beweise von Oresme und von Mengoli nicht kannte, führte ebenfalls eine Abschätzung der Reihe durch.

26

2  Über alle Schranken hinaus

Für seine großzügige (grobe) Abschätzung benutzte er die Eigenschaft, dass für die a2 − a + 1 Stammbrüche zwischen a1 und a12 gilt, dass deren Summe größer ist als 1:  1    1 1 1 + a+1 + a+2 + a+3 + · · · + a12 > a1 + a2 − a · a12 = 1, also konkret a   1 1 1 1 1 + + > + 2 · = 1, 2 3 4 2 4

1 + 5 1 + 26





1 1 1 1 + + + ··· + 6 7 8 25



1 1 1 1 + + + ··· + 27 28 29 676

>



1 1 + 20 · = 1, 5 25

>

1 1 + 650 · =1 26 676

usw. Für jede dieser unendlich vielen Teilsummen gilt also, dass sie größer sind als 1. Hieraus folgt die Divergenz von Hn. Beweis von Johann Bernoulli Johann Bernoulli (1667–1748) erarbeitete unabhängig von seinem älteren Bruder Jakob einen weiteren indirekten Beweis. Er nimmt also – wie Mengoli – an, dass die harmonische Reihe einen endlichen Grenzwert H hat. Dann erweitert er in dem um 1 verminderten Summenterm die Brüche so, dass die Zähler die Folge der natürlichen Zahlen durchlaufen:

H −1=

1 2 3 4 1 1 1 1 + + + + ··· = + + + + ... 2 3 4 5 2 6 12 20

Eine unendliche Reihe mit dem Zähler 1 und genau diesen Nennern hatte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) untersucht und herausgefunden, dass gilt:

1 1 1 1 + + + + ··· = 1 2 6 12 20 Lässt man vorne Schritt für Schritt jeweils den ersten Summanden weg, dann gilt also:

1 1 1 1 1 1 + + + + + + ··· = 1 2 6 12 20 30 42 1 1 1 1 1 1 + + + + + ··· = 6 12 20 30 42 2 1 1 1 1 1 + + + + ··· = 12 20 30 42 3

2.2  Die harmonische Reihe

27

1 1 1 1 + + + ··· = 20 30 42 4 usw. Addiert man nun diese unendlich vielen Summen, so ergibt sich als Summe H: 

     1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + ... + + + + + ... + + + + + ... 2 6 12 20 6 12 20 30 12 20 30 42   1 1 1 1 1 1 + + + ... + ... = 1 + + + + ... = H + 20 30 42 2 3 4

Andererseits ist dies auch gleich H − 1, vgl. oben. Aus diesem Widerspruch, dass das Ganze (H) nicht gleich dem Teil (H − 1) sein kann, folgerte Johann Bernoulli, dass die unendliche Reihe keinen endlichen Grenzwert besitzt. Jakob Bernoulli bewunderte zwar die äußerst trickreiche Beweisidee seines Bruders, äußerte aber auch Bedenken zur Vorgehensweise: Darf man mit unendlichen Summen so rechnen wie mit Zahlen? Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 2.5: Begründen Sie die folgende Formel und folgern Sie hieraus, dass die zugehörige unendliche Reihe den Grenzwert 1 hat. 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + +· · ·+ + + + +· · ·+ + + = = 1− 2 6 12 20 n · (n + 1) 1·2 2·3 3·4 4·5 n · (n + 1) n+1

A 2.6: Erläutern Sie die nachfolgenden Beweisideen für die Divergenz der harmonischen Reihe. 2 2 2 2 2 1 1 1 1 + ... H = 1 + + + + + ... = + + + +   2 3 4 5   2 4 6 8 10  1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + + + ... (1)  = 2 2 4 4 6 6 8 8 10 10           1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + < 1+ + + + + + ... = H 2 3 4 5 6 7 8 9 10       1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + H =1+ 2 3 4 5 6 7 8 9 10   1 1 1 1 1 + + + + + + ... 11 12 13 14 15 (2)  2 3 4 5 >1+ + + + + ... 3 6 10 15 2 2 2 2 2 = + + + + + . . . = 2 · (H − 1) 2 3 4 5 6

28

2  Über alle Schranken hinaus

1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + ... 2 3 4 5 6 7 8      1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 =1+ 1− + + − + + − + + − + ... 2 3 2 4 5 3 6 7 4 8     1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 = 1 − + − + − + − + ... + 1 + + + + ... 2 3 4 5 6 7 8 2 3 4

H =1+ (3) 

=A+H Der Ansatz hierzu stammt von James J. Sylvester . Dabei wird die Eigenschaft verwendet, dass für die alternierende harmonische Reihe A gilt: A = 1 − 21 + 13 − 41 + 51 − 16 + · · · = ln(2) = 0, 69314 . . . (4)  H2 = 1 + 21 > 1 + 1 · 31;  H3 = 1 + 21 + 31 = 1 + 21 + 31 > 1 + 2 · 31; 1 1 1 1 2 1 3 · 13 ; H5 = 1 + 2 + 3 +  4 + 5  > 1 + 2 + 31 +  5 >1+ 1 1 1 1 1 1 1 1 H8 = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8 > 1 + 2 + 13 + 25 + 38 > 1 + 4 · 31 Bei diesem Ansatz wird eine Eigenschaft der Folge (fn)n ∈ N der Fibonacci-Zahlen n−1 ≤ 21. benutzt, nämlich dass für die Quotienten von fn − 1 und fn + 1 gilt: 13 ≤ ffn+1 Zur Erinnerung: Die Folge der Fibonacci-Zahlen wird rekursiv definiert durch f1 = 1, f2 = 1 und fn + 1 = fn − 1 + fn für n > 2. A 2.7: Die beiden folgenden Grafiken veranschaulichen die merkwürdige Gleichung 1 + 21 + 31 + 41 + 51 + 61 + 17 + · · · = 21 + 31 + 41 + 15 + 61 + 17 + . . . Erläutern Sie.

A 2.8: Die beiden folgenden Grafiken veranschaulichen die merkwürdige Ungleichung 1 + 21 + 31 + 41 + 51 + 61 + 17 + · · · > 1 + 21 + 13 + 41 + 51 + 16 + 71 + . . . Erläutern Sie.

2.2  Die harmonische Reihe

29

A 2.9: (1)  Von Nicole Oresme stammt der Beweis, dass die Folge (bn) mit bn = 21 + 24 + 38 + · · · + 2nn gegen den Grenzwert 2 konvergiert. Erläutern Sie dazu den folgenden Umformungsschritt:

n 1 2 3 + + + ... + n = 2 4 8 2



   1 1 1 1 1 1 1 1 + + + ... + n + + + + ... + n 2 4 8 2 4 8 16 2     1 1 1 1 1 + + + ... + n + ... + + 8 16 32 2 2n

Wie folgt hieraus die Aussage über den Grenzwert? (2) Den Beweis kann man auch aus der folgenden Grafik ablesen. Erläutern Sie.

30

2  Über alle Schranken hinaus

Das Basler Problem Im Jahr 1644 beschäftigte sich Pietro Mengoli mit der Frage, ob die Summenfolge Qn 1 + · · · + n12 , ebenfalls über alle der reziproken Quadratzahlen, also Qn = 1 + 41 + 91 + 16 Schranken hinaus wächst oder ob sie gegen einen bestimmten Wert konvergiert. Mengoli fand jedoch keine Lösung des Problems. Einige Jahrzehnte später konnte Johann Bernoulli eine konvergente Majorante für Qn angeben, also eine Folge, deren Glieder mindestens so groß sind wie die von Qn und von der man einen Grenzwert bestimmen kann. Für alle natürlichen Zahlen n mit n ≥ 2 gilt nämlich:

1 1 < n2 (n − 1) · n und daher

1+

1 1 1 1 1 1 1 1 . + + + ··· + 2 < 1 + + + + ··· + 4 9 16 n 1·2 2·3 3·4 (n − 1) · n

Die rechts stehende Summe lässt sich aber auf einfache Weise berechnen (vgl. auch A 2.5):

1+

1 1 1 1 1 + + + ··· + =2− , 1·2 2·3 3·4 n (n − 1) · n

und da die rechte Seite gegen 2 konvergiert, bleiben alle Glieder von Qn stets kleiner als 2. Konkrete Fortschritte im Hinblick auf die Bestimmung des Grenzwerts konnten weder Johann Bernoulli noch andere Mathematiker an der Universität Basel erzielen (daher erhielt das Problem die Bezeichnung „Basler Problem“). Erst Johann Bernoullis Schüler, der ebenfalls aus Basel stammende Leonhard Euler (1707–1783), seit 1731 als Professor für Physik in St. Petersburg tätig, verblüffte 1734 die Fachwelt mit der sensationellen Meldung, dass der Grenzwert etwas mit der Kreiszahl π zu tun hat. Euler verkündete:

lim Qn =

n→∞

π2 = 1,644934 . . . 6

Sein genialer Beweis (vgl. z. B. Strick (2020), Kap. 14) enthielt noch einige Lücken, die er aber später selbst schließen konnte. Seitdem sind noch einige andere Beweise für diesen Satz gefunden worden. Satz

Konvergenz der Reihe der Kehrwerte der Quadratzahlen 1 + · · · + n12 der Kehrwerte der Quadratzahlen Die Summenfolge Qn = 1 + 41 + 91 + 16 2 von natürlichen Zahlen strebt gegen den Grenzwert π6 . ◄ Übrigens konnte Euler mit dem gleichen Beweistrick auch die Grenzwerte für weitere Summenfolgen dieses Typs bestimmen, allerdings nur für gerade Exponenten. Bis heute wurde keine Methode gefunden, entsprechende Grenzwerte für ungerade Exponenten herzuleiten.

2.2  Die harmonische Reihe

31

Euler bestimmte alle Grenzwerte bis zur 26sten Potenz, z. B. • für die   Kehrwerte der vierten Potenzen: 4 lim 1 + 214 + 314 + 414 + · · · + n14 = π90 = 1,082323 . . . n→∞

• für die   Kehrwerte der sechsten Potenzen: π6 = 1,017343 . . . lim 1 + 216 + 316 + 416 + · · · + n16 = 945 n→∞

• für die   Kehrwerte der achten Potenzen: π8 = 1,004077 . . . lim 1 + 218 + 318 + 418 + · · · + n18 = 9450 n→∞

Außerdem leitete er hieraus her:   π2 1 1 1 1 = 1,233700 . . . = lim 1 + 2 + 2 + 2 + · · · + 2 n→∞ 3 5 7 8 (2n + 1)

lim



n→∞

1+

1 1 1 1 + 4 + 4 + ··· + 4 3 5 7 (2n + 1)4



=

π4 = 1,014678 . . . 96

Hinweis: Eine Verallgemeinerung des Basler Problems führt zu der sogenannten Zetafunktion (vgl. Literaturhinweise).

Anregungen zum Nachdenken und füreigene Untersuchungen

A 2.10: Wie ergibt sich 2 lim Qn = π6 ?

lim 1 +

n→∞

1 32

+

1 52

+

1 72

+ ··· +

1 (2n+1)2



=

π2 8

aus

n→∞

Zusammenhang zwischen der harmonischen Reihe und der Logarithmusfunktion Wie man Abb. 2.3a entnehmen kann, lassen sich die Folgenglieder der harmonischen Reihe mithilfe der Fläche unter dem Graphen der Funktion f mit f (x) = 1x abschätzen. Im Rahmen der Differenzial- und Integralrechnung wird erarbeitet, dass die Funktion F mit F(x) = ln(x) eine Stammfunktion der Funktion f mit f (x) = 1x ist, d. h., es gilt F'(x) = f(x). Nach dem Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung folgt für die Fläche unter dem Graphen von f (x) = 1x im Intervall [1 ; b]: ´b 1 dx = ln(b) − ln(1) = ln(b) . x 1

32

2  Über alle Schranken hinaus

Abb. 2.3   a Vergleich des Graphen der Funktion f mit f (x) = 1x mit der Folge der Stammbrüche; b Die oberhalb des Graphen von f (x) = 1x liegenden, blau gefärbten Flächenstücke bestimmen die EulerMascheroni-Konstante. (Abb. a: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Integral_Test.svg /Jim Belk; Abb. b: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gamma-area.svg /William Demchick (Kiwi128), CC BY 3.0)

Daher gilt für Hn = 1 +

ln(n) =

1 2

ˆn

+

1 3

+ ··· +

1 n−1

+ n1 die folgende Ungleichung:

1 1 1 1 dx < 1 + + + · · · + = Hn−1 x 2 3 n−1

1

Es gilt also: ln(n) + n1 < Hn Verschiebt man die Rechtecke in Abb. 2.3a um 1 Einheit nach links, dann kann man analog ablesen:

ln(n) =

ˆn

1 1 1 1 dx > + + · · · + = Hn − 1 x 2 3 n

1

Zusammengefasst ergibt sich also ln(n) + 1 < Hn − ln(n) < 1 . n

1 n

< Hn < ln(n) + 1 und hieraus

Die Euler-Mascheroni-Konstante γ Diese zwischen 0 und 1 liegende Differenz Hn − ln(n), also die Folge der Teilflächen derjenigen Rechtecke, die oberhalb des Graphen von f (x) = 1x liegen, wurde von Leonhard Euler systematisch untersucht. Er bewies, dass die Summenfolge der Flächeninhalte gegen eine bestimmte Zahl konvergiert:

γ = lim (Hn − ln(n)) = 0,57721 . . . n→∞

Diese Euler-Konstante γ (gamma) spielt in vielen Bereichen der höheren Mathematik eine wichtige Rolle (vgl. Literaturhinweise). Euler gelang es 1735, die Zahl γ auf 15 Stellen genau zu bestimmen.

2.3  Torricellis Trompete

33

Der italienische Mathematiker Lorenzo Mascheroni (1750–1800) entwickelte die Theorien Eulers weiter. Wegen der Bedeutung seiner Untersuchungen wird die Konstante heute auch als Euler-Mascheroni-Konstante bezeichnet (vgl. Abb. 2.3b).

2.3 Torricellis Trompete Der Italiener Evangelista Torricelli (1608–1647) war Assistent von Galileo Galilei in dessen letzten Lebensmonaten, danach wurde er sein Nachfolger als Hofmathematiker des Großherzogs der Toskana. Als Physiker wurde er vor allem dadurch bekannt, dass er mithilfe des von ihm erfundenen Quecksilberbarometers die Existenz des Luftdrucks nachwies. Als Mathematiker entwickelte er die Methode der Indivisiblen von Bonaventura Cavalieri (1598–1647) weiter und bereitete mit seinen Beiträgen die Differenzial- und Integralrechnung von Newton und Leibniz vor.

Er untersuchte u. a. das Gebilde, das man erhält, wenn man den Graphen der Funktion f mit f (x) = 1x um die x-Achse rotieren lässt. Dieser Rotationskörper hat das Aussehen einer unendlich langen Trompete. Hierfür ist auch die Bezeichnung Gabriels Horn üblich: In der christlich-islamischen Überlieferung heißt es, dass der Erzengel Gabriel mit diesem Instrument das Jüngste Gericht ankündigen wird.

Torricelli stellte fest: Der Rotationskörper rechts von x = 1 hat eine unendlich große Oberfläche, aber ein nur endlich großes Volumen. Dieser scheinbare Widerspruch ließ ihn selbst an der Gültigkeit der von ihm angewandten Methoden zweifeln. Die notwendigen Berechnungen können wir heute mithilfe entsprechender Integralformeln durchführen.

34

2  Über alle Schranken hinaus

Für das Volumen V eines Rotationskörpers gilt allgemein:

V =π·

ˆb

(f (x))2 dx

a

Zur Herleitung der Formel betrachte man die Folge von Zylindern in Abb. 2.4. Im Falle von f (x) = 1x , unterer Grenze a = 1 und beliebig wachsender oberer Grenze (b → ∞) ergibt sich also:   � � � � ˆb ˆ∞ 1 1 ∞ 1 1 =π· V = lim π · + 1 =π dx dx = π · − = π · lim − b→∞ b→∞ x2 x2 x 1 b 1

1

Für die Mantelfläche M eines Rotationskörper s gilt allgemein:

M = 2π ·

ˆb

f (x) ·



 2 1 + f ′ (x) dx,

a

´b  also hier M(b) = 2π · 1x · 1 +

dx .  Und da der Graph von g(x) = 1x · 1 + x14 oberhalb des Graphen von f (x) = 1x ´b  ´b verläuft, gilt 1x · 1 + x14 dx ≥ 1x dx und hieraus folgt, dass die Mantelfläche von 1

1

1 x4

1

Gabriels Horn unendlich groß ist. Paradox erscheint es, wenn man sich vorstellt, dass bei einer Längeneinheit von 1 dm auf der x-Achse die Torricelli-Trompete mit π Liter Farbe gefüllt werden könnte. Durch das Füllen der Trompete würde gleichzeitig die Innenwand der Trompete gefärbt; andererseits soll nach dieser Rechnung die Oberfläche der Trompete ein unendlich großes Maß haben! Warum dies ist kein Widerspruch ist, möge man sich selbst überlegen – oder die Argumentationen der Wikipedia-Seiten nachvollziehen.

Abb. 2.4   Zur Herleitung der Volumenformel für Rotationskörper

… x0

x1

xn–2

xn–1

∆x ∆x

xn

∆x

x

2.4  Hinweise auf weiterführende Literatur

Abb. 2.5   Einige Graphen der Funktionenschar fa (x) =

35

1 x a (a

= 0,6; 0,7; . . . ; 1,4)

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 2.11: Erläutern Sie: Betrachtet man die Funktionenschar fa (x) = x1a mit a > 0 (vgl. Abb. 2.5), dann ergibt sich für das Flächenstück zwischen dem Graph und der x-Achse im unendlich großen Intervall [1 ; ∞]: • Für 0 < a ≤ 1 ist der Flächeninhalt unendlich groß. • Für a > 1 hat der Flächeninhalt einen endlichen Wert. Erläutern Sie die Aussage: Unter allen Funktionen der Funktionenschar fa (x) = x1a ´b mit 0 < a ≤ 1 divergiert die Folge fa (x) dx für b → ∞ am langsamsten im Falle 1 a = 1.

2.4 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • • • •

Harmonische Reihe (Harmonic series, Série harmonique) Basler Problem (Basel problem, Problème de Bâle) Euler-Mascheroni-Konstante (Euler-Mascheroni constant, Constante d’Euler-Mascheroni) Gabriels Horn – Torricellis Trompete (Gabriel’s Horn, Trompette de Gabriel)

Das Problem, gleichartige Quader mit Überhang zu stapeln, wird im englischsprachigen Wikipedia-Beitrag unter folgendem Stichwort behandelt: • Block-stacking problem

36

2  Über alle Schranken hinaus

Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Book Stacking Problem, Harmonic Series, Riemann Zeta Function zeta(2), EulerMascheroni Constant, Gabriel’s Horn Im Zusammenhang mit dem Stapelproblem sei auf die folgenden frei zugänglichen Artikel verwiesen: • https://www.maa.org/sites/default/files/pdf/upload_library/22/Robbins/Paterson1.pdf • http://www.maa.org/sites/default/files/pdf/upload_library/22/Robbins/Paterson2.pdf Außerdem auf einen Beitrag, der sich insbesondere auf die o. a. Artikel von Paterson & Zwick bezieht: • Pöppe, C. (2010): Türme aus Bauklötzen – Mathematische Unterhaltungen, Spektrum der Wissenschaft, September 2010, S. 64–67 Beweise für die Divergenz der harmonischen Reihe findet man u. a. in: • Havil, J. (2009): Das gibt’s doch nicht, Spektrum-Verlag, Heidelberg • Kifowit, S. J. & Stamps, T. A. (2006): The Harmonic Series Diverges Again and Again, http://stevekifowit.com/pubs/harmapa.pdf • Kifowit, S. J. (2006/2015): More Proofs of Divergence of the Harmonic Series, http:// stevekifowit.com/pubs/harm2.pdf • Sonar, T. (2011), 3000 Jahre Analysis, Springer-Verlag, Berlin • Stammbach, U. (1999): Die harmonische Reihe: Historisches und Mathematisches, Elemente der Mathematik 54, Birkhäuser-Verlag, Basel, S. 93–106 Eine ausführliche Darstellung der Bedeutung der Euler-Mascheroni-Konstante kann man nachlesen in: • Havil, J. (2007): Gamma, Springer-Verlag, Berlin Ausführungen zu Torricellis Trompete findet man u. a. in: • Havil, J. (2009): Verblüfft?, Springer-Verlag, Berlin Hinweise zu Eulers Untersuchungen, u. a. zum Basler Problem, vgl. • Strick, H. K. (2020): Mathematik – einfach genial, Springer-Verlag, Berlin

3

Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen n-Ecken

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich von Schiller, deutscher Dichter, Arzt, Philosoph und Historiker, 1759–1805)

In Kap. 5 von Mathematik ist schön ist dargestellt, wie man rechteckige Formen mithilfe von Polyominos auslegen kann. Diese Bausteine bestehen aus mehreren aneinanderliegenden Quadraten. Zum Lösen der gestellten Aufgaben eignet sich ein Blatt Papier mit Rechenkästchen – ein Quadratgitter (Quadratraster). Bei der Entscheidung über die Frage, welche Formen mithilfe von Dominos, Trominos, Tetraminos, Pentominos, … ausgelegt werden können, ist es manchmal sinnvoll, die Quadrate abwechselnd zu färben – wie bei einem Schachbrett. Ein Blatt Papier kann man aber auch lückenlos und überlappungsfrei mithilfe eines Dreieckgitters aus gleichseitigen Dreiecken oder mithilfe eines Sechseckgitters aus regelmäßigen Sechsecken überdecken. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_3

37

38

3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Während es beim Dreieckgitter ebenfalls möglich ist, die Felder mit zwei Farben abwechselnd auszufüllen, benötigt man beim Sechseckgitter drei Farben. Denn im Dreieck- und im Quadratgitter hat ein Feld drei bzw. vier direkte Nachbarn, die aber untereinander jeweils höchstens eine Ecke gemeinsam haben. Ein Feld im Sechseckgitter hat dagegen sechs direkte Nachbarn, die jeweils gemeinsame Seiten mit zwei anderen Sechsecken haben.

Diese drei Möglichkeiten, eine Ebene mit nur einem Typ regelmäßiger Vielecke zu parkettieren, bezeichnet man als platonische Parkettierung  – analog zur Begriffsbildung bei den regelmäßigen Körpern (vgl. Kap. 10). Wer solche Raster für eigene Untersuchungen benötigt, kann sich diese als Druckvorlagen (in Schwarz-Weiß) von der zu diesem Buch gehörenden Internetseite des Springer-Verlags herunterladen.

3.1  Bausteine aus gleichseitigen Dreiecken – Polyiamonds

39

In den beiden folgenden Abschn. (3.1 und 3.2) werden Parkettierungen aus Bausteinen vorgestellt, die sich aus gleichseitigen Dreiecken bzw. aus regelmäßigen Sechsecken zusammensetzen. Dabei geht es insbesondere um das Auslegen von kleinen Formen durch diese Bausteine, wie beispielsweise Dreiecke, Rauten, Sterne u. a. m. Unabhängig von diesen Parkettierungen können leicht Muster aus Bausteinen gefunden werden, die sich aus mehreren aneinanderliegenden regelmäßigen Vielecken zusammensetzen. Beispiele

• Baustein aus sieben gleichseitigen Dreiecken – zwei von diesen Bausteinen lassen sich wiederum zu einem größeren Baustein zusammenfassen, mit dem die Ebene parkettiert werden kann, vgl. Abb. rechts.

• Baustein aus neun Quadraten – die Form muss nicht unbedingt symmetrisch sein.

3.1 Bausteine aus gleichseitigen Dreiecken – Polyiamonds Gemäß dem Vorschlag des schottischen Mathematikers T. H. O’Beirne werden Puzzlestücke, die aus aneinanderliegenden gleichseitigen Dreiecken bestehen, als Polyiamonds bezeichnet. Die einfachsten Typen solcher Bausteine sind die gleichseitigen Dreiecke selbst, die Moniamonds, ferner die Diamonds, die aus zwei gleichseitigen Dreiecken bestehen, sowie die Triamonds aus drei gleichseitigen Dreiecken.

40

3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Für die Zusammenstellung von vier gleichseitigen Dreiecken, den Tetriamonds, findet man die folgenden drei Typen:

Auch gibt es nicht allzu viele zusammenhängende Figuren aus fünf gleichseitigen Dreiecken, die sogenannten Pentiamonds, nämlich nur vier Typen:

Hinweis: Wie bei den Polyominos in Mathematik ist schön werden hier und im Folgenden die Bausteine, die man durch Drehen oder Umklappen aus den abgebildeten Formen erhält, nicht gesondert betrachtet. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.1: Welche der nachfolgend abgebildeten Dreiecke können mit welchen der bisher betrachteten Polyiamonds ausgelegt werden?

Besonders interessant wird es bei den Hexiamonds, den Puzzlestücken aus sechs gleichseitigen Dreiecken. Hier gibt es zwölf verschiedene Typen, deren Bezeichnungen von O’Beirne stammen:

3.1  Bausteine aus gleichseitigen Dreiecken – Polyiamonds

41

1. Reihe: Bat, Butterfly, Club, Crown 2. Reihe: Hexagon, Lobster, Pistol, Rhomboid 3. Reihe: Shoe, Snake, Sphinx, Yacht

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.2: Die gleichseitigen Dreiecke in den einzelnen Hexiamonds-Bausteinen lassen sich analog zum Schachbrett abwechselnd hell und dunkel färben. Welche der Bausteine haben drei helle und drei dunkle Flächen? Bei welchen ist das Verhältnis der Flächen 2:4?

Parkettierung von Figuren mithilfe von Hexiamonds Nicht alle Figuren, die sich aus lauter gleichseitigen Dreiecken zusammensetzen, lassen sich mithilfe von lauter verschiedenen Hexiamonds auslegen (d. h., keiner der Bausteine soll doppelt verwendet werden). Eine Voraussetzung ist, dass die Gesamtzahl der

42

3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Dreiecke ein Vielfaches von 6 ist; eine zweite Bedingung ergibt sich aus der Anzahl der hellen und dunklen Felder. Beispiel 1: Parkettierung eines Sechsecks

Das abgebildete regelmäßige Sechseck setzt sich aus 24 gleichseitigen Dreiecken zusammen, von denen in der zweiten Grafik jeweils die Hälfte hell und dunkel unterlegt ist. Da die Gesamtzahl der Dreiecke durch 6 teilbar ist und sich die Anzahlen der hellen und dunklen Flächen nicht unterscheiden, könnte es möglich sein, eine Auslegung der gesamten Fläche mit vier verschiedenen Hexiamonds zu bewerkstelligen. In der Abbildung rechts ist ein solches Beispiel angegeben.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.3: Finden Sie weitere Parkettierungen mit lauter unterschiedlichen Bausteinen für die zuletzt betrachtete Sechseckfigur. Begründen Sie: Wenn einer der Bausteine Sphinx oder Yacht verwendet wird, muss auch jeweils der andere eingesetzt werden.

3.1  Bausteine aus gleichseitigen Dreiecken – Polyiamonds

A 3.4: Führen Sie für die folgenden Figuren ähnliche Überlegungen wie in Beispiel 1 und in A 3.3 durch. Prüfen Sie dazu jeweils, ob die Voraussetzungen für eine Parkettierung mithilfe von lauter verschiedenen Hexiamonds gegeben sind. Geben Sie ggf. eine Parkettierung an.

Beispiel 2: Parkettierung eines Dreiecks

Das im Folgenden abgebildete Dreieck setzt sich aus 36 gleichseitigen Dreiecken zusammen, von denen in der zweiten Grafik 15 hell und 21 dunkel unterlegt sind. Zwar ist die Gesamtzahl der Dreiecke durch 6 teilbar, aber die Anzahl der hellen und dunklen Flächen unterscheidet sich zu sehr voneinander, sodass man den Unterschied nicht ausgleichen kann, wenn man lauter verschiedene Hexiamonds verwendet. Daher ist es nicht möglich, die Fläche mithilfe von sechs unterschiedlichen Hexiamonds auszulegen.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Beispiel 3: Parkettierung von Parallelogrammen

Mithilfe der Linien eines Dreieckgitters kann man 60°–120°-Parallelogramme mit ganzzahligen Seitenlängen a und b zeichnen. Diese Parallelogramme enthalten 2 ⋅ a ⋅ b gleichseitige Dreiecke, die je zur Hälfte hell und dunkel unterlegt werden können. Daher kommen für eine Parkettierung mit Hexiamonds alle Parallelogramme infrage, bei denen 2 ⋅ a ⋅ b durch 6 teilbar ist, d. h., bei denen a oder b durch 3 teilbar ist.

Tatsächlich gelingen Parkettierungen mit lauter verschiedenen Bausteinen nur in einzelnen Fällen, beispielsweise bei den Parallelogrammen mit a = 4, 5, …, 11 und b = 3. Die beiden folgenden Abbildungen zeigen die Fälle a = 4 und a = 8.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.5: Finden Sie eine Parkettierung mit lauter verschiedenen Hexiamonds für die in Beispiel 3 nicht dargestellten Fälle mit b = 3. A 3.6: Die Parkettierung von Parallelogrammen mit allen 12 Hexiamonds (bestehend aus insgesamt 72 gleichseitigen Dreiecken) gelingt tatsächlich nur für a = 4 und b = 9 sowie für a = 6 und b = 6. Finden Sie eine solche Parkettierung.

3.2  Bausteine aus regelmäßigen Sechsecken – Polyhexes

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A 3.7: Untersuchen Sie, ob sich die im Folgenden abgebildeten Figuren mithilfe von lauter verschiedenen Hexiamonds auslegen lassen. Geben Sie ggf. eine Parkettierung der abgebildeten Figuren an.v

3.2 Bausteine aus regelmäßigen Sechsecken – Polyhexes Puzzlestücke, die aus regelmäßigen Sechsecken zusammengesetzt sind, eignen sich wie die Polyominos und die Polyiamonds zum Knobeln. Im Englischen werden diese Puzzlestücke als Polyhexes bezeichnet; gelegentlich findet man den Begriff Waben als deutsche Übersetzung. Auch diese Art Puzzles wurden durch Martin Gardners monatliche Kolumne im Scientific American populär. Da Sechskantmuttern im Handel erhältlich sind, bietet es sich an, diese hierfür zu verwenden. Daher sind im Folgenden solche Sechskantmuttern abgebildet. Dihex: Es gibt nur eine Möglichkeit, zwei regelmäßige Sechsecke aneinanderzusetzen. Trihexes: Es gibt drei verschiedene Bausteine aus drei regelmäßigen Sechsecken.

Tetrahexes: Durch Aneinandersetzen von vier regelmäßigen Sechsecken ergeben sich sieben verschiedene Typen von Bausteinen.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Mit Tetrahexes knobeln Mit den sieben verschiedenen Tetrahexes kann man im Prinzip eine Fläche von 28 Sechsecken bedecken. Als geeignete Figuren bieten sich zum Knobeln ein 7 × 4-Parallelogramm sowie ein gleichseitiges Dreieck mit Seitenlänge 7 an. (Hinweis: 28 ist die kleinste durch 4 teilbare Dreieckszahl.)

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.8: 1. Für das 7 × 4-Parallelogramm gibt es neun mögliche Parkettierungen, beispielsweise die beiden im Folgenden abgebildeten Möglichkeiten. Bestimmen Sie die übrigen sieben Parkettierungen eines 7 × 4-Parallelogramms mithilfe der sieben verschiedenen Tetrahexes. 2. Man kann beweisen, dass sich das 7er-Dreieck nicht mit den sieben verschiedenen Tetrahexes parkettieren lässt. Überlegen Sie dazu, welche der Tetrahexes-Bausteine sich überhaupt nur für die „Ecken“ der beiden Figuren eignen. Überprüfen Sie außerdem, welche Bedingungen sich aus der Verteilung der Farben bei einer abwechselnden Einfärbung der Sechseck-Felder ergeben (vgl. die Abbildung).

3.2  Bausteine aus regelmäßigen Sechsecken – Polyhexes

A 3.9: Prüfen Sie, ob es bei den folgenden Figuren noch weitere Parkettierungen mit Tetrahexes gibt.

A 3.10: Finden Sie für die folgenden Figuren mindestens eine Parkettierung mit Tetrahexes.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Mit Pentahexes knobeln Es gibt 22 Möglichkeiten, fünf regelmäßige Sechsecke zu einem Baustein zusammenzusetzen (vgl. Abb. 3.1). Auch mit diesen Bausteinen lassen sich verschiedene Formen auslegen, z. B. Dreiecke, Parallelogramme, Trapeze usw.

Abb. 3.1   Die 22 möglichen Pentahexes

3.2  Bausteine aus regelmäßigen Sechsecken – Polyhexes

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.11: 1. Die kleinsten durch 5 teilbaren Dreieckszahlen sind 10 und 15. Finden Sie über die beiden unten abgebildeten Beispiele hinaus weitere Möglichkeiten, die Dreiecke aus 10 bzw. 15 Sechsecken mithilfe von zwei bzw. drei unterschiedlichen Pentahexes auszulegen. 2. Weitere durch 5 teilbare Dreieckszahlen sind 45 und 55. Gibt es Parkettierungen dieser Dreiecksformen mithilfe von neun bzw. elf unterschiedlichen Pentahexes?

A 3.12: Begründen Sie: Zu allen durch 5 teilbaren natürlichen Zahlen kann man geometrische Figuren angeben, die sich (im Prinzip) mithilfe von Pentahexes auslegen lassen (Tipp: Satz von Sylvester, vgl. Mathematik ist schön, Abschn. 2.4). A 3.13: Für die im Folgenden abgebildete Parkettierung einer Dreiecksform aus 110 Feldern sind 21 der 22 Pentahexes verwendet worden. Welcher Baustein wurde nicht verwendet?

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

A 3.14: Für die abgebildete 11 × 10-Parallelogrammform werden 110 regelmäßige Sechsecke benötigt. Finden Sie eine weitere Möglichkeit, die Figur mit den 22 verschiedenen Pentahexes auszulegen.

3.3 Archimedische Parkettierungen der Ebene Über die platonischen Parkettierungen der Ebene hinaus gibt es eine Fülle von Typen von archimedischen Parkettierungen, d. h. von Auslegungen der Ebene, bei denen zwei oder drei verschiedene regelmäßige Vielecke als Bausteine verwendet werden. Die naheliegenden Möglichkeiten, ein gleichseitiges Dreieck bzw. ein regelmäßiges Sechseck mithilfe von gleichseitigen Dreiecken und regelmäßigen Sechsecken auszulegen, sollen dabei nicht berücksichtigt werden (vgl. die beiden folgenden Grafiken).

3.3  Archimedische Parkettierungen der Ebene

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Parkettierungen der Ebene mit Quadraten und gleichseitigen Dreiecken Das einfachste, eher etwas langweilige Raster entsteht, wenn man Reihen mit Quadraten und gleichseitigen Dreiecken abwechselt. Für die Färbung benötigt man (mindestens) drei Farben.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.15: Das Muster der letzten Grafik kann man auch so aufbauen, dass man auf zwei gegenüberliegenden Seiten eines Quadrats jeweils ein gleichseitiges Dreieck aufsetzt und diese 3er-Figur als Baustein für die Parkettierung benutzt. Welcher Zusammenhang besteht mit der danebenstehenden platonischen Parkettierung?

Eine zweite Möglichkeit der Parkettierung der Ebene mit gleichseitigen Dreiecken und Quadraten ergibt sich wie folgt: Ausgehend von einem Quadrat, über dessen vier Seiten jeweils ein gleichseitiges Dreieck gezeichnet ist, ergeben sich an den Eckpunkten des Quadrats zunächst nicht besetzte Außenwinkel von 150°, in die jeweils genau ein Quadrat und ein gleichseitiges Dreieck passen. Eine der möglichen Ergänzungen führt dann zu einer Folge von abwechselnd senkrecht und waagerecht liegenden „Diamanten“ (vgl. oben, also die Kombination von zwei aneinanderliegenden gleichseitigen Dreiecken), zwischen denen Quadrate liegen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.16: Wie lässt sich das zuletzt betrachtete Muster derart mit Farben gestalten, dass jeweils zwei benachbarte Flächen (also Flächen mit gemeinsamer Seite) unterschiedlich gefärbt sind?

3.3  Archimedische Parkettierungen der Ebene

A 3.17: Wie aus den folgenden Abbildungen ablesbar ist, kann man beispielsweise drei oder sechs nebeneinanderliegende Flächenstücke zu einem Puzzlestück zusammenfassen, sodass die gesamte Ebene mit lauter gleichartigen Formen bedeckt werden kann. Auch andere Zusammenfassungen von Flächenstücken zu einem Puzzle sind möglich. Finden Sie noch weitere Möglichkeiten. Hinweis: Das Dreieck-Quadrat-Raster kann als Druckvorlage von der zu diesem Buch gehörenden Internetseite des Springer-Verlags heruntergeladen werden.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Parkettierung der Ebene mit regelmäßigen Sechsecken und Dreiecken Dass gleichseitige Dreiecke und regelmäßige Sechsecke wegen der auftretenden Winkel genau zueinander passen, ist offensichtlich – man betrachte beispielsweise den Stern aus einem regelmäßigen Sechseck mit aufgesetzten gleichseitigen Dreiecken oder den Stern aus einem gleichseitigen Dreieck mit aufgesetzten regelmäßigen Sechsecken.

Aus diesen beiden Vielecken ergibt sich eine einfache archimedische Parkettierung der Ebene, bei der die Seitenlängen gleich groß sind, vgl. die folgende Abb. links. Bei der rechts abgebildeten Parkettierung ist die Seitenlänge der Dreiecke dreimal so groß wie die der Sechsecke.

Eine weitere Möglichkeit, die Ebene mit gleichseitigen Dreiecken und regelmäßigen Sechsecken zu parkettieren, ergibt sich, wenn man um die Sechsecke einen „Ring“ von gleichseitigen Dreiecken legt.

3.3  Archimedische Parkettierungen der Ebene

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Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.18: Wie lässt sich das zuletzt betrachtete Muster derart mit Farben gestalten, dass jeweils zwei benachbarte Flächen (also Flächen mit gemeinsamer Seite) unterschiedlich gefärbt sind?

Parkettierung der Ebene mit regelmäßigen Sechsecken, Dreiecken und Quadraten Legt man an jede der Seiten eines regelmäßigen Sechsecks ein Quadrat an, dann passt in jede „Lücke“ zwischen den Quadraten jeweils ein gleichseitiges Dreieck (Winkelsumme an den Ecken des Sechsecks: 120° + 2 ⋅ 90° + 60° = 360°). Die sechs gleichseitigen Dreiecke und die sechs Quadrate bilden zusammen mit dem innen liegenden regelmäßigen Sechseck ein regelmäßiges 12-Eck.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.19: Entwickeln Sie aus der Zerlegung des regelmäßigen Zwölfecks in Dreiecke, Quadrate und ein Sechseck eine Formel für den Flächeninhalt eines regelmäßigen Zwölfecks.

An die gegenüberliegende Seite der Quadrate kann man jeweils regelmäßige Sechsecke anlegen und diese Figuren mit weiteren gleichseitigen Dreiecken und Quadraten zu regelmäßigen Zwölfecken ergänzen. So entsteht eine Parkettierung der Ebene durch regelmäßige Sechsecke, Quadrate und gleichseitige Dreiecke, vgl. die beiden folgenden Abbildungen.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Durch Vervielfachen der Zwölfeck-Figuren ohne Überschneidung erhält man die folgende, links stehende Figur. Legt man ein zusätzliches Quadrat zwischen die regelmäßigen Zwölfecke, dann entsteht die rechts stehende Figur.

Parkettierung der Ebene mit regelmäßigen Zwölfecken und anderen regelmäßigen Vielecken Legt man regelmäßige Zwölfecke so aneinander wie in folgenden Grafik zu sehen, dann lassen sich die auftretenden Lücken durch gleichseitige Dreiecke füllen, denn zwei Innenwinkel eines regelmäßigen Zwölfecks und ein Innenwinkel eines gleichseitigen Dreiecks ergeben zusammen 360°, vgl. folgende Abb. links. Eine weitere Möglichkeit der Parkettierung der Ebene ergibt sich, wenn man abwechselnd Quadrate und regelmäßige Sechsecke an die Seiten eines regelmäßigen Zwölfecks anlegt. Für die Summe der Innenwinkel ergibt sich hier ebenfalls 360°, vgl. folgende Abb. rechts.

3.3  Archimedische Parkettierungen der Ebene

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Die Abstände zwischen den regelmäßigen Zwölfecken können durch die Verwendung von zusätzlichen Dreiecken noch vergrößert werden, vgl. Abb. links. Und die Grafik rechts zeigt, dass die regelmäßigen Zwölfecke auch in Form eines Quadratrasters angeordnet werden können.

Parkettierung der Ebene mit regelmäßigen Achtecken und Quadraten Legt man  – wie in der folgenden Grafik dargestellt  – vier regelmäßige Achtecke aneinander, dann entsteht im Innern der Figur eine „Lücke“. Zwischen die ­135°-Innenwinkel von je zwei benachbarten regelmäßigen Achtecken passt ein Winkel von 90° – die „Lücke“ ist also ein Quadrat. Somit lässt sich eine Ebene vollständig mit dieser Kombination von regelmäßigen Achtecken und Quadraten auslegen (in der Grafik rechts sind die Achtecke und Quadrate im Vergleich zur Grafik links um 45° gedreht).

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 3.20: Entwickeln Sie anhand der folgenden Grafik eine Formel für den Flächeninhalt eines regelmäßigen Achtecks.

Ein zweifach verwendbares Puzzle In Abschn. 17.4 von Mathematik ist schön wird erläutert, wie eine Ebene mithilfe eines Rasters aus großen und kleinen Quadraten (guk-Raster) parkettiert werden kann.

3.3  Archimedische Parkettierungen der Ebene

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Wenn man ein solches guk-Raster mit geeigneten Seitenlängen über das AchteckQuadrat-Raster einer Ebene legt, dann ergibt sich ein wunderbares doppeltes Puzzle:

Die kleinen Quadrate im blau gezeichneten guk-Raster sind flächengleich zu den grün gefärbten Quadraten des Achteck-Quadrat-Rasters; die großen Quadrate des guk-Rasters sind flächengleich zu den hellblau gefärbten regelmäßigen Achtecken. Für den Flächeninhalt A8 eines regelmäßigen Achtecks mit Seitenlänge a gilt:

 √  A8 = 2a2 · 1 + 2 Daher gilt für die Seitenlänge s der großen Quadrate des guk-Rasters:

 √ s = a · 2 + 2 2 ≈ 2,197 · a Der folgenden Grafik kann man dann Folgendes entnehmen: Ein regelmäßiges Achteck mit Seitenlänge a kann man durch Schnitte so in fünf Puzzlestücke zerlegen, dass man diese auch zu einem Quadrat der Seitenlänge s zusammenfügen kann. Im Innern der beiden Figuren liegt jeweils ein Quadrat (grün), um das vier zueinander kongruente Fünfecke (hellblau) herumgelegt werden können. Das heißt, mithilfe der fünf Puzzlestücke kann man ein regelmäßiges Achteck in ein Quadrat verwandeln und umgekehrt.

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3  Parkettierungen der Ebene mit regelmäßigen …

Hinweis: In der islamischen Kunst findet man eine Vielfalt von Parkettierungen der Ebene mithilfe von Quadraten oder regelmäßigen Sechsecken, die so angeordnet sind, dass zwischen ihnen regelmäßige Sternfiguren entstehen, vgl. die folgenden Beispiele.

3.4 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Quadratgitter/Sechseckgitter (Triangular/Square/Hexagonal tiling, Pavage triangulaire/ carré/hexagonal) • Polyiamond bzw. Polyhex (nur in englischer Sprache) • Parkettierung (Regular Tiling/Euclidean tilings by convex regular polygons, Pavage/ Pavage par des polygones réguliers) Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Grid (triangular/square/hexagonal), Tessalation, Polyiamond, Polyhex Zahlreiche Beispiele und Hinweise zur Parkettierung mit Polyiamonds und Polyhexes findet man • auf den Polypages von Andrew Clarke unter: http://www.recmath.org/PolyPages/ index.htm • auf den Seiten Polyform Puzzler von David Goodger unter: http://puzzler. sourceforge.net/ • auf den Seiten von Jürgen Köller unter: http://www.mathematische-basteleien.de/

3.4 Hinweise auf weiterführende Literatur

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Prof. Dr. Heinz Haber, Herausgeber der Bild der Wissenschaft in den 1960er- und 1970er-Jahren, entwickelte das Spiel Verhext. Ziel des Spiels war es, bestimmte vorgegebene Figuren mit Hexiamonds auszulegen. Eine Kopie der Anleitung zu Verhext kann heruntergeladen werden unter: • http://web.archive.org/web/20160303224119/http://home.arcor.de/mdoege/verhext/ Zahlreiche Hinweise auf weitere archimedische Parkettierungen der Ebene finden Sie in • Grünbaum, Branko, Shephard, G. C. (2019): Tilings & Patterns (2nd edition), Dover publications, Mineola, NY • http://www.3doro.de/.

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Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte bei Dreiecken, Vierecken, Fünfecken …

„Im großen Garten der Geometrie kann sich jeder nach seinem Geschmack einen Strauß pflücken.“ (David Hilbert, deutscher Mathematiker, 1862–1943)

Im Geometrieunterricht beschäftigt man sich traditionsgemäß vor allem mit Dreiecken und Kreisen. Dieses Kapitel soll ein wenig dazu beitragen, das in der Schule gelernte Wissen aufzufrischen, zu ordnen und zu ergänzen, insbesondere durch Untersuchungen an Vierecken, aber auch an Fünf- und Sechsecken. Vor allem sollen die angesprochenen geometrischen Sätze dazu anregen, sich vertieft mit den betreffenden Themen zu beschäftigen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_4

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

4.1 Umkreis und Inkreis bei Dreiecken Liegen die Eckpunkte eines Vielecks auf einer Kreislinie, dann ist dieser Kreis der Umkreis des Vielecks. Werden alle Seiten eines Vielecks von einem Kreis berührt, dann ist dieser Kreis der Inkreis des Vielecks. Die Seiten des Vielecks sind daher Tangenten an den Inkreis. Satz

Umkreis und Inkreis bei Dreiecken • Jedes beliebige Dreieck besitzt sowohl einen Umkreis als auch einen Inkreis. • Der Umkreismittelpunkt ist der (gemeinsame) Schnittpunkt der Mittelsenkrechten. • Der Inkreismittelpunkt ist der (gemeinsame) Schnittpunkt der Winkelhalbierenden.

◄ Die Mittelsenkrechte einer Strecke Halbiert man eine Strecke PQ und zeichnet durch den Mittelpunkt MPQ eine Senkrechte zu PQ, also die Mittelsenkrechte mPQ, dann gilt für alle Punkte von mPQ, dass sie von P und Q die gleiche Entfernung haben. Umgekehrt liegen alle Punkte, die von P und Q die gleiche Entfernung haben, auf der Mittelsenkrechten mPQ. Die Mittelsenkrechten im Dreieck schneiden sich in einem Punkt Die Mittelsenkrechten ma = mBC, mb = mAC und mc = mAB eines Dreiecks ABC schneiden sich immer in einem Punkt, denn es gilt: Der Schnittpunkt Mu von ma und mb ist von den Eckpunkten B und C sowie von den Eckpunkten A und C gleich weit entfernt, also von allen drei Eckpunkten A, B, C des Dreiecks. Daher verläuft auch die Mittelsenkrechte mc durch den Punkt Mu, denn mc enthält alle Punkte, die von A und B gleich weit entfernt sind, also auch den Punkt Mu. Folglich besitzt jedes Dreieck einen Umkreis, der durch die drei Eckpunkte verläuft. Der Radius des Umkreises wird mit R bezeichnet.

4.1  Umkreis und Inkreis bei Dreiecken

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Da kein Missverständnis möglich ist, werden im Folgenden auch die Streckenlängen kurz mit a, b, c, ma, mb, mc usw. bezeichnet. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.1: Begründen Sie: Für den Flächeninhalt A eines Dreiecks gilt: A = 21 · (a · ma + b · mb + c · mc ) A 4.2: Die Innenwinkel des Dreiecks werden (wie üblich) mit α, β, γ bezeichnet. Erläutern Sie die Beschriftung der Winkel in der folgenden Abbildung. Begründen Sie: sina(α) = sinb(β) = sinc(γ ) = 2R.

Da die Summe der Innenwinkel bei allen Dreiecken gleich 180° ist, gibt es zu vorgegebenen zwei Innenwinkeln (deren Summe kleiner ist als 180°) unendlich viele zueinander ähnliche Dreiecke. Eine der Möglichkeiten, das Dreieck eindeutig festzulegen, ist die Vorgabe des Radius R des Umkreises. Aus den Winkeln und dem Radius R kann man den Flächeninhalt des Dreiecks berechnen (vgl. (1) und (2) unter A 4.3).

A 4.3: Begründen Sie die folgenden Formeln zur Berechnung des Flächeninhalts:   A = R2 · sin (α) · cos (α) + sin (β) · cos (β)+ sin (γ ) · cos (γ ) 1. = 21 · R2 · sin (2α) + sin (2β) + sin (2γ ) 2. A = 2R2 ⋅ sin(α) ⋅ sin(β) ⋅ sin(γ) 3. A = a·b·c 4R A 4.4: Begründen Sie: Unter allen Dreiecken, deren Eckpunkte auf einem Kreis mit festem Radius (R = 1) liegen, ist das gleichseitige Dreieck das flächengrößte. Erläutern Sie dazu die folgenden Beweisschritte (nach Rademacher, H. & Toeplitz, O. (1968): Von Zahlen und Figuren, Springer, S. 11 ff.):

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

1. In einen Kreis mit Radius R = 1 zeichne man ein beliebiges Dreieck ABC, dessen Eckpunkte auf dem Kreis liegen. Die Bezeichnung der Punkte erfolge so, dass die Seite AC die kürzeste Seite ist. √ 2. Schlägt man um A einen Kreis mit Radius a = 3 , dann ergeben sich die Schnittpunkte C′ und B′. 3. Dann ist das Dreieck ABC′ größer als das ursprüngliche Dreieck ABC, und das gleichseitige Dreieck AB′C′ ist größer als das Dreieck ABC′.

Die Halbierende eines Winkels Man kann einen Winkel halbieren, indem man auf den beiden Schenkeln des Winkels vom Scheitelpunkt aus eine gleich lange Strecke abträgt und in den Endpunkten dieser Strecken jeweils eine Senkrechte zu den Schenkeln errichtet. So entsteht ein symmetrischer Drachen mit zwei rechten Winkeln, dessen eine Diagonale dann die Winkelhalbierende des Winkels ist. Die Winkelhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt Die Winkelhalbierenden wα, wβ, wγ eines Dreiecks ABC schneiden sich in einem Punkt, denn es gilt: Der Schnittpunkt Mi von wα und wβ hat den gleichen Abstand zu den Seiten b und c sowie zu den Seiten a und c, also zu allen drei Seiten a, b, c des Dreiecks. Auch die Winkelhalbierende wγ verläuft durch den Punkt Mi, denn wγ enthält alle Punkte, die zu a und b den gleichen Abstand haben, also auch Mi , der zu a, b, c gleichen Abstand hat. Daher besitzt jedes Dreieck einen Inkreis, der die drei Seiten berührt. Der Radius des Inkreises wird mit r bezeichnet. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.5: Begründen Sie: Für den Flächeninhalt A eines Dreiecks gilt: A = r ⋅ s, wobei mit s = 21 · (a + b + c) der halbe Umfang (Semiperimeter) des Dreiecks bezeichnet wird. A 4.6: Die Verbindungsstrecken der Eckpunkte des Dreiecks mit dem Inkreismittelpunkt und deren Längen werden mit wα, wβ, wγ bezeichnet. Begründen Sie

4.1  Umkreis und Inkreis bei Dreiecken

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mithilfe der folgenden Abbildung, dass der Flächeninhalt eines Dreiecks auch mit hilfe der Formel A = 21 · wα 2 · sin (α) + wβ 2 · sin (β) + wγ 2 · sin (γ ) berechnet werden kann.

Formel

DieHeron’sche Formelzur Berechnung des Flächeninhalts eines Dreiecks Der griechische Mathematiker Heron (10–75 n. Chr.) leitete eine Formel her, mit deren Hilfe man den Flächeninhalt A eines Dreiecks allein aus der Länge der Dreiecksseiten bestimmen kann: √ A = s · (s − a) · (s − b) · (s − c), wobei s = 21 · (a + b + c). ◄ Die Herleitung der Formel kann beispielsweise mithilfe der Figur in Abb. 4.1 erfolgen. Das Ausgangsdreieck ABC wird wie folgt ergänzt: Man konstruiert den Punkt H, indem man eine Senkrechte zu AB durch den Punkt B und eine Senkrechte zu AI durch den Punkt I konstruiert. Dann wird der Punkt H mit A Abb. 4.1   Figur zur Herleitung der Heron’schen Formel

68

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

verbunden. Wegen der beiden rechten Winkel bei I und bei B kann über der Strecke AH als Durchmesser ein Thales-Kreis gezeichnet werden, der durch B und I verläuft. Daher ist AHBI ein Sehnenviereck (s. u.), in dem einander gegenüberliegende Winkel eine Winkelsumme von 180° haben. So ergeben sich die in der Figur eingetragenen Winkel und damit zueinander ähnliche Dreiecke

∆AHB ∼ ∆CIE und ∆BKH ∼ ∆DKI. Hieraus ergeben sich folgende Streckenverhältnisse: |BA|:|HB| = (x + y):|HB| = |EC|:|IE| = z:r, also

(x + y):z =| HB | :r sowie |HB|:|BK| = |ID|:|DK| = r:|DK|, also

| HB | :r =| BK | : | DK | . Zusammengefasst ergibt sich:

(x + y):z =| HB | :r =| BK | : | DK | Durch eine trickreiche Umformung erhält man weiter: x+y z

= =

|BK| |BK| ⇐⇒ x+y + 1 = |DK| +1 |DK| z y |BK|+|DK| s ⇐⇒ z = |DK| ⇐⇒ |DK|

⇐⇒

x+y+z z

s· | DK |= y · z

Da das Dreieck AKI nach Konstruktion rechtwinklig ist, gilt nach dem Höhensatz: |AD| ⋅ |DK| = |DI|2, also

x· | DK |= r 2 . Hieraus folgt dann

A∆ 2 = s2 · r 2 = s2 · x· | DK |= s · x · (s · |DK|) = s · x · (y · z) = s · (s − (y + z)) · (s − (x + z)) · (s − (x + y)) √ 2 und daher AΔ = s ⋅ (s − a) ⋅ (s − b) ⋅ (s − c), also A = s · (s − a) · (s − b) · (s − c).

4.2 Sehnen- und Tangentenvierecke Vierecke, die einen Umkreis besitzen, werden als Sehnenviereckebezeichnet, denn deren Seiten sind Sehnen im Umkreis. Vierecke, die einen Inkreis besitzen, heißen Tangentenvierecke,denn der Inkreis berührt alle vier Seiten. Vierecke, die einen Inkreis oder einen Umkreis besitzen, müssen konvex sein, d. h., verbindet man irgendwelche zwei Punkte im Innern des Vierecks miteinander, dann verläuft die Verbindungsstrecke vollständig im Innern des Vierecks. Konvexe Vierecke haben also keine einspringenden Eckpunkte.

4.2  Sehnen- und Tangentenvierecke

69

Nicht alle Vierecke besitzen einen Umkreis. Und Vierecke, die einen Umkreis besitzen, müssen nicht notwendig einen Inkreis haben … und umgekehrt. Man kann also vier Arten von Vierecken unterscheiden: • Vierecke, die weder einen Inkreis noch einen Umkreis besitzen, • Vierecke, die einen Inkreis, aber keinen Umkreis besitzen, • Vierecke, die einen Umkreis, aber keinen Inkreis besitzen, • Vierecke, die sowohl einen Inkreis als auch einen Umkreis besitzen (sogenannte Sehnentangentenvierecke). Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.7: Versuchen Sie eine erste Einordung (ohne Beweis): Welche der besonderen Vierecke (Quadrat, Rechteck, Raute (Rhombus), Parallelogramm, symmetrisches Trapez, symmetrischer Drachen) besitzen im Allgemeinen einen Inkreis oder einen Umkreis oder keines von beiden, welche nur in besonderen Fällen?

Damit der Kreis nicht nur durch drei Punkte geht, sondern auch durch den vierten Punkt eines Vierecks verläuft, muss auch die vierte Mittelsenkrechte durch den gemeinsamen Schnittpunkt der anderen drei Mittelsenkrechten gehen. Damit der Kreis nicht nur drei Seiten, sondern auch die vierte Seite des Vierecks berührt, muss auch die vierte Winkelhalbierende durch den gemeinsamen Schnittpunkt der anderen drei Winkelhalbierenden gehen. Aus diesen Eigenschaften ergeben sich folgende Bedingungen: Regel

Sehnenvierecke – Tangentenvierecke • Sehnenvierecke: Ein Viereck besitzt genau dann einen Umkreis, wenn die Summe der Winkelgrößen von je zwei gegenüberliegenden Winkeln 180° ergibt. • Tangentenvierecke: Ein Viereck besitzt genau dann einen Inkreis, wenn die Summen der Seitenlängen von je zwei gegenüberliegenden Seiten gleich sind.



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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Bedingung für Sehnenvierecke Um die angegebene Bedingung für das Vorliegen eines Umkreises bei einem Viereck zu verstehen, muss man die Aussage des Kreiswinkelsatzesanwenden: • Alle Umfangswinkel über einer Sehne sind gleich groß. • Der Mittelpunktswinkel über einer Sehne ist doppelt so groß wie die zugehörigen Umfangswinkel.

Zu einer Sehne gibt es eigentlich zwei Umfangswinkel, nämlich einen „oberhalb“ und einen „unterhalb“ der Sehne. Diese beiden Winkel ergänzen sich stets zu 180°. Der Mittelpunktswinkel, der zu einem Umfangswinkel „unterhalb“ der Sehne gehört, ist der Ergänzungswinkel zu dem Mittelpunktswinkel, der zu einem Umfangswinkel „oberhalb“ der Sehne gehört – diese beiden Mittelpunktswinkel ergänzen sich also stets zu 360°. Zeichnet man in einem Sehnenviereck auch die beiden Diagonalen ein, dann entdeckt man Beziehungen zwischen den Umfangswinkeln (vgl. folgende Abbildung):

• „über“ bzw. „unter“ der Diagonalen AC : δ = 180 − βsowie ◦ • „über“ bzw. „unter“ der Diagonalen BD : α = 180 − γ . ◦

Für die Innenwinkel in einem Sehnenviereck müssen daher die Bedingungen α + γ = 180° und β + δ = 180° erfüllt sein.

4.2  Sehnen- und Tangentenvierecke

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Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.8: Zeichnet man bei einem Sehnenviereck die Diagonalen ein, dann werden die Innenwinkel von α, β, γ, δ unterteilt. Welche dieser Teilwinkel sind gleich groß? A 4.9: Begründen Sie: Alle Quadrate, Rechtecke und gleichschenkligen Trapeze besitzen einen Umkreis.

A 4.10: Welche symmetrischen Drachen besitzen einen Umkreis?

A 4.11: Erläutern Sie: Da sich in einem Sehnenviereck mit den Seiten a, b, c, d die gegenüberliegenden Winkel zu 180° ergänzen, kann man den Flächeninhalt eines Sehnenvierecks mithilfe der Formeln A = 21 · (a · d + b · c) · sin (α) und A = 21 · (a · b + c · d) · sin (β) berechnen. A 4.12: Begründen Sie: Unter allen Sehnenvierecken eines Kreises mit einem festen Radius (R = 1) ist das Quadrat das Viereck mit dem größten Flächeninhalt (vgl. A 4.4).

Bedingung für Tangentenvierecke Um die angegebene Bedingung für das Vorliegen eines Tangentenvierecks zu verstehen, betrachte man die folgende Abbildung:

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Durch die vier Winkelhalbierenden entstehen vier symmetrische Drachen, sodass für die Summe der Seitenlängen gegenüberliegender Viereckseiten gilt: a + c = (x + y) + (u + z) und b + d = (y + z) + (u + x) und folglich auch a + c = b + d = 21 · (a + b + c + d) = s. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.13: Begründen Sie: Quadrate, Rauten und symmetrische Drachen besitzen einen Inkreis.

A 4.14: Welche Bedingung muss bei einem symmetrischen Trapez erfüllt sein, damit es einen Inkreis besitzt?

4.2  Sehnen- und Tangentenvierecke

73

A 4.15: Begründen Sie: Der Flächeninhalt A eines Tangentenvierecks kann mithilfe der Formel A = r ⋅ s berechnet werden, wobei r der Radius des Inkreises ist. A 4.16: Begründen Sie: Der Flächeninhalt A eines Tangentenvierecks kann mithilfe der Formel A = 21 · wα 2 · sin (α) + wβ 2 · sin (β) + wγ 2 · sin (γ ) + wδ 2 · sin (δ) berechnet werden.

Eigenschaften von Sehnenvierecken Sehnenvierecke haben interessante Eigenschaften, von denen einige hier als Anregung zur Weiterbeschäftigung ohne Beweis genannt werden. Für die Beweise der drei nachfolgend aufgeführten Sätze (und Übersichten über weitere Sätze) wird auf das Literaturverzeichnis verwiesen. Satz

Sehnensatz • Das Produkt der Länge der Abschnitte auf der einen Diagonale eines Sehnenvierecks ist gleich dem Produkt der Länge der Abschnitte auf der anderen Diagonale: |AE| ⋅ |EC| = |BE| ⋅ |ED|. • Schneiden sich die Diagonalen eines (konvexen) Vierecks ABCD im Punkt E und gilt für die Abschnitte der Diagonalen die Gleichung |AE| ⋅ |EC| = |BE| ⋅ |ED|, dann besitzt das Viereck einen Umkreis.

◄ Der folgende Satz ist nach dem griechischen Mathematiker Claudius Ptolemäus (100–160 n. Chr.) benannt:

74

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Satz

Satz von Ptolemäus • In einem Sehnenviereck ist das Produkt der Längen der Diagonalen gleich der Summe der Produkte der Längen einander gegenüberliegender Seiten: |AC| ⋅ |BD| = |AB| ⋅ |CD| + |AD| ⋅ |BC| • Gilt umgekehrt in einem (konvexen) Viereck für die Längen der Seiten und Diagonalen die Gleichung |AC| ⋅ |BD| = |AB| ⋅ |CD| + |AD| ⋅ |BC|, dann besitzt das Viereck einen Umkreis. ◄ Der indische Mathematiker Brahmagupta (598–670 n. Chr.) leitete Formeln her, mit deren Hilfe man aus den Seitenlängen a, b, c, d eines Sehnenvierecks die Länge der Diagonalen sowie den Flächeninhalt des Sehnenvierecks berechnen kann. Satz

Satz von Brahmagupta Für die Diagonalen e, f eines Sehnenvierecks gilt:   bc)·(ac + bd) (ab + cd)·(ac + bd) und , e = (ad + ab f = + cd ad + bc also für das Verhältnis der Diagonalen:

e f

=

ad+bc ab+cd

Für den Flächeninhalt eines Sehnenvierecks gilt:  A = (s − a) · (s − b) · (s − c) · (s − d) ◄ Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.17: Was bedeutet die Aussage des Satzes von Ptolemäus im Falle eines Rechtecks?

Vier Strecken kann man zu einem Gelenkviereck zusammenfügen, sofern keine der Strecken länger ist als die drei anderen Streckenlängen zusammen. A 4.18: Begründen Sie, warum man ein solches Gelenkviereck stets so „einstellen“ kann, dass es ein Sehnenviereck bildet.

4.2  Sehnen- und Tangentenvierecke

75

Man kann beweisen, dass es im Falle von vier unterschiedlich langen Seiten a, b, c, d stets drei verschiedene Sehnen-Gelenkvierecke gibt (bis auf Spiegelung). Beispiel für mögliche Sehnen-Gelenkvierecke

Aus den Seitenlängen 4, 5, 6, 7 (LE) soll ein Gelenkviereck zusammengestellt werden. Wählt man für die Seite a die Strecke mit der längsten Seitenlänge, dann sind folgende Sehnenvierecke möglich: 1. a = 7, b = 6, c = 5, d = 4 2. a = 7, b = 6, c = 4, d = 5 3. a = 7, b = 5, c = 6, d = 4

Durch Spiegelung ergeben sich die folgenden, hierzu kongruenten Sehnenvierecke: 4. a = 7, b = 4, c = 5, d = 6 5. a = 7, b = 5, c = 4, d = 6 6. a = 7, b = 4, c = 6, d = 5

76

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.19: Bestimmen Sie für ein weiteres Beispiel mit vier unterschiedlich langen Strecken die drei möglichen Sehnenvierecke und zeichnen Sie diese. A 4.20: Warum haben die zu vier vorgegebenen unterschiedlichen Seitenlängen möglichen Sehnen-Gelenkvierecke den gleichen Flächeninhalt?

In der japanischen Tempelgeometrie (Sangaku) beschäftigte man sich häufig mit geometrischen Figuren, in denen Kreise eingeschlossen sind. So wurde u. a. der folgende Satz entdeckt: Satz

Japanischer Satz für Sehnenvierecke Zeichnet man in die vier Teildreiecke, welche die Diagonalen eines Sehnenvierecks mit jeweils zwei Seiten bilden, die Inkreise ein, dann sind die Mittelpunkte dieser vier Kreise Eckpunkte eines Rechtecks.

◄ Eigenschaften von Tangentenvierecken Zeichnet man in einem Tangentenviereck eine der Diagonalen oder beide Diagonalen ein, dann kann man in den entstehenden Teildreiecken jeweils Inkreise einzeichnen. Diese haben bemerkenswerte Eigenschaften. Für die Beweise beachte man die betreffenden Literaturhinweise am Ende des Kapitels. Satz

Satz über Inkreise in Tangentenvierecken • Tangentenvierecke werden durch eine Diagonale in zwei Dreiecke unterteilt, die jeweils einen Inkreis besitzen. Diese Inkreise berühren sich in einem Punkt. • Umgekehrt gilt auch: Wenn sich die Inkreise von je zwei einander gegenüberliegenden Teildreiecken eines Vierecks berühren, dann besitzt das Viereck selbst einen Inkreis.

4.2  Sehnen- und Tangentenvierecke

77

• Zeichnet man in die vier Teildreiecke, welche die Diagonalen eines Tangentenvierecks jeweils mit einer Seite bilden, einen Inkreis ein, dann gilt für die Radien dieser vier Kreise r11 + r13 = r12 + r14 . • Umgekehrt gilt auch: Wenn für die Inkreise der Teildreiecke eines (konvexen) Vierecks die Beziehung r11 + r13 = r12 + r14 zwischen den Radien besteht, dann besitzt das Viereck einen Inkreis.

◄ Tangenten-Gelenkvierecke Im Unterschied zu den Sehnen-Gelenkvierecken existieren zu vorgegebenen Seitenlängen (welche die Bedingung a + c = b + d erfüllen) unendlich viele Tangentenvierecke. Vierecke mit Inkreis und Umkreis Während alle Dreiecke sowohl einen Inkreis als auch einen Umkreis besitzen, ist diese Eigenschaft bei Vierecken nur in besonderen Fällen erfüllt. Hier gilt:

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Satz

Satz über Sehnentangentenvierecke Ein Tangentenviereck besitzt genau dann auch einen Inkreis, wenn sich die Verbindungsstrecken von einander gegenüberliegenden Tangenten-Berührpunkten orthogonal schneiden. ◄ Zum Beweis des Satzes: In einem Sehnentangentenviereck muss sowohl die Eigenschaft a + c = b + d für die Seitenlängen als auch α + γ = β + δ = 180° für die Innenwinkel erfüllt sein. Hinweis: Wie aus der links stehenden Grafik von Abb. 4.2 erkennbar ist, haben Inkreis und Umkreis von Sehnentangentenvierecken im Allgemeinen voneinander verschiedene Mittelpunkte. Zum Beweis des Satzes betrachte man die rechts stehende Grafik in Abb. 4.2. Durch die Verbindungsstrecken der Berührpunkte entstehen vier Teilvierecke. Verlängert man die Strecken AD und BC bis zu einem Schnittpunkt T1, dann ist das Dreieck T1FH gleichschenklig mit Basiswinkel κ. Verlängert man die Strecken AB und CD bis zu einem Schnittpunkt T2, dann ist das Dreieck T2GE gleichschenklig mit Basiswinkel λ. Somit ergibt sich für die Teilvierecke AEPH bzw. PFCG: α + (180° − λ) + (180° − ε) + κ = 360°, also α = λ + ε − κ. (180° − ε) + (180° − κ) + γ + λ = 360°, also γ = ε + κ − λ. Wenn das Viereck ABCD auch ein Sehnenviereck ist, dann muss gelten: α + γ = 180° Einsetzen der Bedingungen aus den Teilvierecken führt dann zu α + γ = (λ + ε − κ) + (ε + κ − λ) = 2ε = 180°, also ε = 90°.

Abb. 4.2   Zum Satz über Sehnentangentenvierecke

4.3  Sehnenvielecke – Tangentenvielecke

79

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.21: Im Beweis des Satzes über Sehnentangentenvierecke wird vorausgesetzt, dass sich sowohl die Geraden durch A und D bzw. B und C schneiden als auch die Geraden durch A und B bzw. C und D. Wie muss der Beweis geführt werden, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind?

4.3 Sehnenvielecke – Tangentenvielecke Unter den Vielecken mit mehr als vier Ecken gibt es auch solche, die einen Umkreis oder einen Inkreis besitzen. Die beiden folgenden Abbildungen zeigen Beispiele eines Sehnenfünfecks und eines Tangentenfünfecks.

Im Folgenden sollen einige Gesetzmäßigkeiten von Vielecken vorgestellt werden. Wenn die Anzahl der Ecken gerade ist, dann lässt sich eine einfache Regel formulieren: Satz

Satz über Sehnenvielecke Addiert man in einem Sehnenvieleck mit einer geraden Anzahl n von Ecken reihum die Winkelgrößen von jedem zweiten Innenwinkel, so ergibt sich stets die Summe (n − 2) ⋅ 90°. ◄ Hinweis: Nur im Fall n = 4 gilt auch die Umkehrung des Satzes (vgl. Abschn. 4.2).

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Beispiele

n = 4: Die Summe der Winkelgrößen von je zwei gegenüberliegenden Winkeln ergibt stets 180°. n = 6: Die Summe der Winkelgrößen von jedem zweiten Innenwinkel ergibt zusammen 360°.

Zum Beweis des Satzes bei einem Sehnensechseck: Damit der Kreis durch alle sechs Punkte des Sechsecks verläuft, müssen alle Mittelsenkrechten durch denselben Punkt, den Mittelpunkt des Umkreises, gehen. Durch eine geeignete Diagonale, z. B. die Diagonale AD, wird das Sehnensechseck in zwei Sehnenvierecke zerlegt:

In diesen Sehnenvierecken gelten folgende Eigenschaften: α1 + ε = δ2 + φ = 180° und α2 + γ = δ1 + β = 180°. Addiert man jeweils die auf der linken bzw. rechten Seite der Gleichungen stehenden Summanden, so ergibt sich: α1 + ε + α2 + γ = δ2 + φ + δ1 + β = 360°, also α + γ + ε = β + δ + φ = 360°. Analog verläuft der Beweis dann allgemein für beliebige Sehnen-2n-Ecke.

4.3  Sehnenvielecke – Tangentenvielecke

81

Eigenschaften von Sehnensechsecken Für Sehnensechsecke gelten zwei weitere bemerkenswerte Sätze, deren Beweise man in der angegebenen Literatur nachlesen kann. Satz

Satz über Sehnensechsecke mit gemeinsamem Schnittpunkt der Diagonalen Die Diagonalen AD, BE und CF eines Sehnensechsecks schneiden sich genau dann in einem Punkt, wenn für die Seitenlängen gilt: a ⋅ c ⋅ e = b ⋅ d ⋅ f Wenn die Bedingung a ⋅ c ⋅ e = b ⋅ d ⋅ f erfüllt ist, dann wird das Sechseck in drei Paare von zueinander ähnlichen Dreiecken zerlegt (vgl. die folgende Abbildung).

◄ Den folgenden Satz entdeckte der französische Mathematiker Blaise Pascal (1623– 1662), als er 16 Jahre alt war. Der Satz gilt allgemein für Sehnensechsecke von Kegelschnitten.

Satz

Satz von Pascal Verlängert man die einander gegenüberliegenden Seiten eines Sehnensechsecks und schneiden sich diese Geraden, dann liegen diese Schnittpunkte auf einer Geraden.



82

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Eigenschaften von Tangentensechsecken

Der französische Mathematiker Charles Julien Brianchon (1783–1864) bewies den folgenden Satz. Dieser gilt – wie der Satz von Pascal – allgemein für Tangentensechsecke von Kegelschnitten. Satz

Satz von Brianchon Besitzt ein Sechseck ABCDEF einen Inkreis, dann schneiden sich die Diagonalen von einander gegenüberliegenden Punkten AD, BE und CF in einem Punkt.

◄ Hinweis: Die Sätze von Pascal und Brianchon sind zueinander duale Sätze, d. h., ersetzt man im Satz von Pascal die gegenüberliegenden Geraden durch Verbindungsgeraden von einander gegenüberliegenden Punkten (= Diagonalen), das Sehnensechseck durch das Tangentensechseck (also eine Umkreis-Figur durch eine Inkreis-Figur) sowie die Eigenschaft, dass die Punkte auf einer Geraden liegen (also kollinear sind), durch schneiden sich in einem Punkt, dann erhält man die Aussage des Satzes von Brianchon und umgekehrt.

4.3  Sehnenvielecke – Tangentenvielecke

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.22: Dreiecke sind durch die Angabe von drei Seiten eindeutig festgelegt – wenn sie denn überhaupt konstruierbar sind. Ein Dreieck mit den Seitenlängen 1, 2, 3 existiert nicht, weil die Summe der Längen zweier Seiten nicht größer ist als die dritte Seite. Dagegen gibt es unendlich viele Vierecke mit den Seitenlängen 1, 2, 3, 4, aber darunter nur drei, die einen Umkreis besitzen (vgl. A 4.18). Welchen Radius hat ein Sehnenviereck mit den Seitenlängen 1, 2, 3, 4; welchen ein Sehnenfünfeck mit den Seitenlängen 1, 2, 3, 4, 5; welchen ein Sehnensechseck mit den Seitenlängen 1, 2, 3, 4, 5, 6; …?

A 4.23: Begründen Sie: Unter allen Sehnenvielecken eines Kreises mit einem festen Radius (R = 1) ist das regelmäßige Vieleck das mit dem größten Flächeninhalt (vgl. A 4.4 und A 4.12). A 4.24: Die Eckpunkte regelmäßiger n-Ecke liegen auf einem Kreis. Wählt man irgendwelche drei Eckpunkte eines solchen regelmäßigen n-Ecks aus und verbindet diese, dann können sich unterschiedliche Dreiecke ergeben, und zwar gibt es beim regelmäßigen • Dreieck eine mögliche Form, • Viereck eine mögliche Form, • Fünfeck zwei mögliche Formen, • Sechseck drei mögliche Formen, • Siebeneck vier mögliche Formen, vgl. die folgenden Abbildungen. a) Zeichnen Sie die möglichen Formen auch für das regelmäßige Achteck, Neuneck und Zehneck. Finden Sie eine Gesetzmäßigkeit für die Anzahl der möglichen Formen in Abhängigkeit von n. b) Geben Sie jeweils die Größe der Winkel in diesen Dreiecken an.

83

84

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

c) Führen Sie entsprechende Überlegungen auch für Vierecke durch, deren Eckpunkte Punkte eines regelmäßigen n-Ecks sind, vgl. die folgenden Abbildungen.

4.4  Der Flächenschwerpunkt eines Dreiecks

85

4.4 Der Flächenschwerpunkt eines Dreiecks Wenn man ein Dreieck z. B. auf einer Pappe aufzeichnet, ausschneidet und längs einer Seitenhalbierenden z. B. mit einer Schiene unterstützt, dann befindet es sich in einer Gleichgewichtslage. Die Seitenhalbierenden sa, sb, sc eines Dreiecks mit den Seiten a, b, c sind also die Schwerlinien des Dreiecks.

Für die Schwerlinien im Dreieck gilt der folgende Satz: Satz

Der Schwerpunkteines Dreiecks Die Seitenhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt, dem Flächenschwerpunkt S des Dreiecks. Der Flächenschwerpunkt S teilt die Seitenhalbierenden im Verhältnis 2:1. ◄ Hinweis: Wenn vom Schwerpunkt einer geometrischen Figur die Rede ist, dann ist damit im Allgemeinen der Flächenschwerpunkt gemeint. Dieser ist zu unterscheiden vom Eckenschwerpunkt (die gesamte Masse der Figur liegt in den Eckpunkten; jede Ecke hat die gleiche Masse – vergleichbar den Mobiles in Kap. 1). Zum Beweis: Die Seitenhalbierenden eines Dreiecks verbinden einen Eckpunkt mit der gegenüberliegenden Seitenmitte. Jede der Seitenhalbierenden sa, sb, sc zerlegt das Dreieck in zwei Teildreiecke mit gleich großem Flächeninhalt. Die Seitenhalbierenden sa, sb, sc, also die Schwerlinien des Dreiecks ABC, haben einen Punkt S gemeinsam, denn es gilt: Unterstützt man ein Dreieck aus Pappe im Schnittpunkt S von sa und sb, also punktförmig z. B. mithilfe eines Nagels, dann ist das Dreieck in einer Gleichgewichtslage; denn dieser Punkt liegt auf beiden Schwerlinien sa und sb . Dieser Schnittpunkt muss also auch auf der dritten Schwerlinie sc des Dreiecks liegen, d. h., alle drei Seitenhalbierenden verlaufen durch diesen Punkt S. Wie man z. B. mithilfe der Strahlensätze oder der Vektorrechnung zeigen kann, gilt für das Teilungsverhältnis der Seitenhalbierenden AD, BE , CF (vgl. die folgende Abbildung):

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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

| AS | : | SD |=| BS | : | SE |=| CS | : | SF |= 2:1

Bezeichnet man den Flächeninhalt eines Dreiecks XYZ kurz mit |ΔXYZ|, dann gilt im Einzelnen: ∣ΔAFC| = |ΔBCF|, |ΔABD| = |ΔADC|, |ΔABE| = |ΔEBC∣ sowie ∣ΔAFS| = |ΔFBS|, |ΔBDS| = |ΔDCS|, |ΔCES| = |ΔEAS∣, da jeweils die Länge der Grundseite und die Höhe übereinstimmen. Daher folgt aus ∣ΔASC| = |ΔAFC| – |ΔAFS| und |ΔBCS| = |ΔBCF| – |ΔFBS∣, dass gilt: ∣ΔASC| = |ΔBCS∣ und analog ∣ΔBCS| = |ΔABS|, |ΔABS| = |ΔASC∣. Somit ergibt sich, dass alle sechs Teildreiecke ΔAFS, ΔFBS, ΔBDS, ΔDCS, ΔCES, ΔEAS den gleichen Flächeninhalt haben. Bei Posamentier & Salkind (vgl. Literaturhinweise) findet man den Beweis eines Satzes, der eine Beziehung zwischen den Seitenlängen eines beliebigen Dreiecks und den Längen der Seitenhalbierenden beschreibt: Satz

Längen der Seiten und der Seitenhalbierenden in einem Dreieck Zwischen den Längen der Seiten a, b, c und den Längen der Seitenhalbierenden sa, sb, sc eines beliebigen Dreiecks gilt die Beziehung 3 ⋅ (a² + b² + c²) = 4 ⋅ (sa² + sb² + sc²). ◄ Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.25: Beweisen Sie: Schneiden sich in einem Dreieck (z. B.) die beiden Seitenhalbierenden sa und sc im rechten Winkel (vgl. Abb. links), dann gilt sa² + sc² = sb².

4.5  Der Flächenschwerpunkt eines konvexen Vierecks

87

Überlegen Sie: Wieso wird diese Beziehung in der Abbildung rechts veranschaulicht?

4.5 Der Flächenschwerpunkt eines konvexen Vierecks Ein konvexes Viereck (d. h. ein Viereck ohne einen „einspringenden“ Eckpunkt) kann mithilfe einer Diagonale in zwei Dreiecke zerlegt werden. Jedes dieser beiden Dreiecke besitzt einen Flächenschwerpunkt. Die Gerade durch diese beiden Schwerpunkte ist eine Schwerlinie des Vierecks. Verfahren

Bestimmung des Flächenschwerpunkts eines konvexen Vierecks Ein konvexes Viereck wird durch die beiden Diagonalen in zwei Paare von Teildreiecken zerlegt. Die Gerade durch die Flächenschwerpunkte von zwei einander gegenüberliegenden Dreiecken bildet jeweils eine Schwerlinie des Vierecks. Dann erhält man den Flächenschwerpunkt des Vierecks, indem man den Schnittpunkt dieser beiden Schwerlinien bestimmt.



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4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

Das Beispiel gibt Anlass zur Vermutung, dass jede der Schwerlinien parallel zu derjenigen Diagonalen verläuft, die nicht zur Unterteilung des Vierecks in zwei Teildreiecke betrachtet wird. Tatsächlich erklärt sich dies wie folgt: Verbindet man alle vier Schwerpunkte miteinander, dann ergibt sich ein zum Ausgangsviereck um 180° gedrehtes ähnliches Viereck (vgl. die folgenden Abbildungen).

Ein formaler Beweis kann mithilfe der Strahlensätze oder der Vektorrechnung erfolgen. Konsequenz: Um den Schwerpunkt eines konvexen Vierecks zeichnerisch zu bestimmen, genügt es, nur die beiden Schwerpunkte der auf den beiden Seiten einer Diagonale liegenden Teildreiecke zu ermitteln, z. B. mithilfe der 2:1-Regel für Seitenhalbierende, und dann durch diese Punkte die zum Ausgangsviereck ähnliche, um 180° gedrehte Figur zu zeichnen. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 4.26: Welche Lage hat der Flächenschwerpunkt bei den besonderen Vierecken (Quadrat, Rechteck, Raute (Rhombus), Parallelogramm, symmetrisches Trapez, symmetrischer Drachen)?

4.6  Hinweise auf weiterführende Literatur

89

Abb. 4.3   Bestimmung des Flächenschwerpunkts bei einem konvexen Fünfeck

Der Flächenschwerpunkt eines Fünfecks Die Bestimmung des Flächenschwerpunkts bei einem konvexen Fünfeck verläuft analog zu dem Verfahren beim Viereck. Allerdings kann man ein Fünfeck auf fünf verschiedene Arten mithilfe einer Diagonalen zerlegen, und zwar jeweils in ein Viereck und ein Dreieck. Jede dieser Geraden durch die Schwerpunkte des jeweiligen Dreiecks und des zugehörigen Vierecks ist eine Schwerlinie des Fünfecks. Diese fünf Schwerlinien verlaufen tatsächlich durch einen gemeinsamen Punkt, den Flächenschwerpunkt des Fünfecks. Nach der verblüffenden Idee von Hans Walser (vgl. Literaturhinweise) kann man die Schwerpunkt-Bestimmung wie folgt besonders „schön“ darstellen: Der (grüne) Streckenzug längs der Diagonalen bildet ein Stern-Fünfeck (gelb gefärbt). In dessen Zacken liegen die Schwerpunkte der fünf Randdreiecke ABC, BCD, CDE, DEA, EAB. Diese werden durch (hellgrüne) Schwerlinien mit den Schwerpunkten der jeweils gegenüberliegenden Vierecke verbunden. Diese zehn Punkte bilden ebenfalls ein Stern-Fünfeck (roter Streckenzug), dessen Kanten parallel zu den Diagonalen liegen (vgl. Abb. 4.3).

4.6 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Mittelsenkrechte/Streckensymmetrale (Bisection/Line segment bisector, Médiatrice) • Winkelhalbierende (Angle bisector, Bissectrice)

90

4  Umkreise, Inkreise und Schwerpunkte …

• Seitenhalbierende (Median, Médiane) • Ausgezeichnete Punkte im Dreieck (Triangle center, Éléments remarquables d’un triangle) • Umkreis (Circumscribed circle, Cercle circonscrit) • Inkreis (Inscribed circle, Cercle inscrit) • Satz von Heron (Heron’s formula, Formule de Héron) • Sehnenviereck (Cyclic quadrilateral, Quadrilatère inscriptible) • Tangentenviereck (Tangential quadrilateral, –) • Sehnensatz (Intersecting chords theorem, –) • Satz von Ptolemäus (Ptolemy’s theorem, Théorème de Ptolémée) • Formel von Brahmagupta (Brahmagupta’s formula, Formule de Brahmagupta) • Japanischer Satz für Sehnenvierecke (Japanese theorem for cyclic quadrilaterals, Théorème japonais pour les quadrilatères inscriptibles) • Satz von Pascal (Pascal’s theorem, Théorème de Pascal) • Satz von Brianchon (Brianchon’s theorem, Théorème de Brianchon) • Geometrischer Schwerpunkt (Centroid, Barycentre – géométrie affine) Zum Stichwort Sehnentangentenviereck findet man bei Wikipedia nur den englischsprachigen Beitrag: • Bicentric quadrilateral (allgemein: Bicentric polygon) Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Line bisector, Angle bisector, Triangle median, Triangle center, Circumcircle, Incircle, Heron’s formula, Cyclic quadrilateral, Tangential quadrilateral, Ptolemy’s theorem, Brahmagupta’s formula, Bicentric quadrilateral, Pascal’s theorem, Brianchon’s theorem, Bicentric polygon, Triangle centroid Zahlreiche Anregungen, Hinweise und weitere Ausführungen findet man in: • Haag, Wilfried: Wege zu geometrischen Sätzen, Klett, 2003 • Aumann, Günter: Kreisgeometrie, Springer, 2015 • Posamentier, Alfred S. & Salkind, Charles T.: Challenging Problems in Geometry, Dover-Publications, 1996

4.6  Hinweise auf weiterführende Literatur

91

Zum Beweis der Formel von Brahmagupta sei beispielsweise verwiesen auf: • http://www.mathalino.com/reviewer/derivation-formulas/derivation-formula-areacyclic-quadrilateral Martin Josefsson hat mehrere Aufsätze zu Sehnen- und Tangentenvierecken in der Zeitschrift Forum Geometricorum veröffentlicht, die kostenlos heruntergeladen werden können (http://forumgeom.fau.edu). Schließlich sei auch hier auf die Veröffentlichungen von Hans Walser verwiesen: • auf die zahlreichen Miniaturen u. a. zu den Themen Umkreise und Inkreise, Sehnenund Tangentenvieleck: http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/ • auf die anregenden Bildsequenzen in Schnittpunkte (darunter Problem 445 zum Flächenschwerpunkt von Fünfecken): http://www.walser-h-m.ch/hans/Schnittpunkte/ • sowie auf verschiedene Vorträge: http://www.walser-h-m.ch/hans/Vortraege/index. html

5

Periodische und nichtperiodische Brüche

„Die Mathematik ist die Königin der Wissenschaften, und die Arithmetik ist die Königin der Mathematik.“ (Carl Friedrich Gauß, deutscher Mathematiker, Astronom und Physiker, 1777–1855)

Unter Bruchrechnung versteht man – laut Wikipedia – das Rechnen mit gemeinen Brüchen in der „Zähler-Bruchstrich-Nenner-Schreibweise“. Die Bruchrechnung ist also ein Teilgebiet der Arithmetik. Brüche können auch als Dezimalzahlen dargestellt werden, d. h., man kann gemeine Brüche in Dezimalbrüche umwandeln und umgekehrt. Dies gilt auch für andere Stellenwertsysteme wie beispielsweise für das Dualsystem. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einzelnen Aspekten der Darstellung von Brüchen und deren Eigenschaften. Bereits in der Grundschule lernen Kinder, wie man mit einfachen Dezimalbrüchen umgeht, beispielsweise im Zusammenhang mit Geldbeträgen und mit Längen und Gewichten wie 0,35 € oder 1,56 m oder 1,250 kg. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_5

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94

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Abb. 5.1   Auftreten einer Periode bei der Division von 1 durch 7

In den weiterführenden Schulen werden dann Brüche ab untersucht, die sich aus Divisionsaufgaben a : b ergeben. Die Durchführung der schriftlichen Division einer natürlichen Zahl durch eine andere natürliche Zahl führt zur Dezimalbruchentwicklung eines gegebenen Bruchs. Hierbei kann dann das Phänomen einer sich wiederholenden Ziffernfolge auftreten, beispielsweise bei der Division von 1 durch 7 (vgl. Abb. 5.1). Die sich wiederholenden Ziffernfolgen einer Periode werden bei uns in Deutschland durch einen Querstrich oben gekennzeichnet. Dies ist aber nicht in allen Ländern so: In Frankreich erfolgt der Strich unter den Zahlen, in Großbritannien und China wird die erste und die letzte Ziffer einer Periode durch einen darüber gesetzten Punkt hervorgehoben, in anderen Ländern werden die Ziffern der Periode in Klammern gesetzt.

5.1 Ein erster Überblick über Dezimalbrüche Welche Länge eine Periode maximal haben kann, lässt sich am Beispiel der Division 1 : 7 verdeutlichen. Wenn man eine natürliche Zahl durch 7 teilt, dann können maximal sieben Reste bei der Division auftreten, nämlich 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6. Spätestens beim 7. Schritt muss wieder ein Rest auftreten, der bereits vorher vorkam – oder der Rest ist 0 (dann bricht die Division ab – man sagt: Die Division geht auf.). Bei der Division 1 : 7 treten nacheinander die Reste 1, 3, 2, 6, 4, 5 auf – das ist die Maximalzahl an Resten, die auftreten kann, wenn die Division nicht aufgeht. Regel

Maximale Periodenlänge Tritt bei der Division zweier natürlicher Zahlen a : b eine Periode auf, dann hat diese maximal b − 1 Stellen. ◄

5.1  Ein erster Überblick über Dezimalbrüche

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Diese Maximalzahl b − 1 wird nicht bei allen Nennern b ausgeschöpft, wie man etwa an 1 = 0,090909 . . . = 0,09 sehen kann. den Beispielen 13 = 0,333 . . . = 0,3 und 11 Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.1: Welche Reste treten bei der Division 2 : 7 auf, welche bei den Divisionen 3 : 7, 4 : 7, 5 : 7, 6 : 7? Welche Regelmäßigkeiten fallen dabei auf? A 5.2: Suchen Sie ein weiteres Beispiel für einen Stammbruch b1, dessen Dezimalbruchentwicklung eine Periode der Länge b − 1 hat. Die Dezimalbruchentwicklungen der Stammbrüche der natürlichen Zahlen bis 15 bieten bereits einen ersten Überblick über die beiden möglichen Typen von Dezimalbrüchen: • endliche Dezimalbrüche: Nach endlich vielen Schritten geht die Division auf. • periodische Dezimalbrüche: Die bei den einzelnen Divisionsschritten auftretenden Reste wiederholen sich nach einer gewissen Anzahl von Schritten. Das bedeutet auch, dass sich die Ziffernfolge der Dezimalbruchentwicklung nach ebenso vielen Schritten regelmäßig wiederholt, sodass man nicht mehr weiterrechnen braucht. Es kommt dabei auch vor, dass die periodische Abfolge der Ziffern nicht unmittelbar nach dem Dezimalkomma beginnt. Man unterscheidet also periodische Dezimalbrüche ohne bzw. mit Vorperiode. Diese werden auch als rein-periodische Dezimalbrüche bzw. gemischt-periodische Dezimalbrüche bezeichnet. Beispiele von Dezimalbruchentwicklungen

• endliche Dezimalbrüche: 1 1 = 0,1; 16 = 0,0625 21 = 0,5; 41 = 0,25; 15 = 0,2; 18 = 0,125; 10 • periodische Dezimalbrüche – ohne Vorperiode (rein-periodisch): 1 = 0,142857 142857 . . . = 0,142857; 13 = 0,333 . . . = 0,3; 7 1 = 0,111 . . . = 0,1 ; 9 1 1 = 0,090909 . . . = 0,09; 13 = 0,076923 076923 . . . = 0,076923; 11 – mit Vorperiode (gemischt-periodisch): 1 = 0,08333 . . . = 0,083; 16 = 0,1666 . . . = 0,16; 12 1 1 = 0,0666 . . . = 0,06 14 = 0,0714285714285 . . . = 0,0714285; 15

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.3: Bestimmen Sie die Dezimalbruchentwicklungen der Stammbrüche mit Nenner 16, 17, 18, 19, 20.

96

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Im Folgenden soll untersucht werden, woran es liegt, ob beim Dividieren zweier natürlicher Zahlen Perioden auftreten oder nicht, wann es eine Vorperiode gibt und wie die Periodenlänge vom Nenner abhängt.

5.2 Endliche Dezimalbrüche Wann die Division zweier natürlicher Zahlen a, b nach endlich vielen Schritten abgeschlossen ist, lässt sich am einfachsten aus der umgekehrten Fragestellung ablesen: Gegeben ist ein Dezimalbruch mit endlich vielen Stellen. Wie lautet der zugehörige, vollständig gekürzte Bruch? Da wir üblicherweise im Dezimalsystem rechnen, ist diese Frage leicht zu beantworten: Die Ziffern nach dem Komma werden für den Zähler des Bruchs übernommen – im Nenner steht eine Zehnerpotenz, deren Exponent sich aus der Anzahl der Stellen ergibt: Beispiel 1

0,3 =

3 ; 10

0,23 =

23 ; 100

0,461 =

461 ; 1000

0,7249 =

7249 10000

Da sich im Beispiel 1 die rechts stehenden Brüche nicht kürzen lassen, sind wir mit der Umwandlung Dezimalbruch → gewöhnlicher Bruch fertig. Da der Nenner der Brüche aus Zehnerpotenzen besteht, gibt es nur dann die Möglichkeit zu kürzen, wenn der Zähler durch mindestens einen der Primfaktoren von 10, also durch 2 oder 5 teilbar ist – gegebenenfalls kann mit 2 oder mit 5 auch mehrfach gekürzt werden. Beispiel 2

0,6 =

6 10

= 53; 0,35 =

35 100

=

7 ; 20

0,425 =

425 1000

=

17 ; 40

0,0625 =

625 10000

=

1 16

Regel

Endliche Dezimalbrüche Der zu einem Bruch ab gehörende Dezimalbruch ist genau dann endlich, wenn der Nenner b nur die Teiler 2 oder 5 oder Produkte von Potenzen dieser beiden Zahlen enthält. Die natürliche Zahl b lässt sich dann darstellen in der Form b = 2x ⋅ 5y mit natürlichen Zahlen x, y ≥ 0. Kann man einen Bruch ab so erweitern, dass der erweiterte Nenner eine Zehnerpotenz ist, dann ist der zum Bruch gehörende Dezimalbruch endlich. ◄

5.2  Endliche Dezimalbrüche

97

Abb. 5.2a, b zeigen ein Schema, aus dem man ablesen kann, für welche Nenner ein Stammbruch eine endliche Dezimalbruchentwicklung hat. • Dividiert man ein Element des Schemas durch 2, dann erhält man das rechts daneben stehende Element des Schemas. Die obere Zeile des Schemas enthält also die Stammbrüche der Zweierpotenzen. • Dividiert man ein Element des Schemas durch 5, dann erhält man das darunter stehende Element des Schemas. Die erste Spalte des Schemas enthält also die Stammbrüche der Fünferpotenzen. • Dividiert man ein Element des Schemas durch 10, dann erhält man das diagonal rechts darunter stehende Element des Schemas. Die Hauptdiagonale des Schemas enthält also die Stammbrüche der Zehnerpotenzen.

Abb. 5.2   a Stammbrüche mit endlicher Dezimalbruchentwicklung; b Auf Zehnerpotenzen im Nenner erweiterte Stammbrüche mit endlicher Dezimalbruchentwicklung

98

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Das Schema in Abb. 5.2a erhält man durch Kürzen der Brüche aus dem Schema in Abb. 5.2b. Umgekehrt ergeben sich die Stammbrüche des Schemas in Abb. 5.2b durch Erweitern aus dem Schema in Abb. 5.2a. Die Dezimalbruchentwicklung der in Abb. 5.2a enthaltenen Stammbrüche kann man unmittelbar aus dem Schema von Abb. 5.2b ablesen. Die Dezimalbruchentwicklung eines beliebigen gewöhnlichen Bruchs, dessen Nenner aus einem Produkt von 2er- und 5er-Potenzen besteht, erhält man dann durch Vervielfachen der Stammbrüche des Schemas von Abb. 5.2a über den Zwischenschritt, der zu den erweiterten Brüchen in Abb. 5.2b geführt hat. In den folgenden Beispielen beschränken wir uns auf Brüche ab mit 0 < ab < 1. Beispiele 4 = 4 · 51 = 4 · 5 7 20 19 40

=7· = 19

2 10

=

1 25 75 = 3 · 100 = 100 = 0,75; 4 35 1 2 26 13 = 100 = 0,35; 50 = 13 · 50 = 13 · 100 = 100 = 0,26; 1 5 185 37 25 475 = 37 · = 37 · = 1000 = = 100 = 0,475; 200 200 1000 1000

8 10 5 100

1 =7· 20 1 · 40 = 19

·

= 0,8; 43 = 3 ·

0,185.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen 27 77 A 5.4: Bestimmen Sie die Dezimalbruchentwicklungen für die Brüche 58, 125 , 250, 123 250 256 , , . 400 1024 3125 A 5.5: Stellen Sie die folgenden Dezimalbrüche als gekürzte Brüche dar: 0,6; 0,96; 0,552; 0,3825.

5.3 Rein-periodische Dezimalbrüche Um hier schnell zu wesentlichen Einsichten zu kommen, beginnen wir mit der Umwandlung von gegebenen rein-periodisch en Dezimalbrüchen in Brüche. Anhand der folgenden Beispielschemata lässt sich das Verfahren leicht nachvollziehen:

• Vom 10-Fachen der Zahl 0,4 wird das 1-Fache der Zahl subtrahiert. Das 9-Fache der Zahl 0,4 ist also gleich 4. Es gilt also: 0,4 = 49

5.3  Rein-periodische Dezimalbrüche

99

• Vom 100-Fachen der Zahl 0,37 wird das 1-Fache der Zahl subtrahiert. Das 99-Fache der Zahl 0,37 ist also gleich 37. Es gilt also: 0,37 = 37 99 • Vom 1000-Fachen der Zahl 0,245 wird das 1-Fache der Zahl subtrahiert. Das ­999-Fache der Zahl 0,245 ist also gleich 245. Es gilt also: 0,245 = 245 999 Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.6: Wandeln Sie analog auch die folgenden rein-periodischen Dezimalbrüche in Brüche um. Worin liegt der Unterschied zu den vorangehenden Beispielen? 0,6; 0,21; 0,27; 0,147; 0,225; 0,216; 0,074

Die Vorgehensweise kann wie folgt verallgemeinert werden: Regel

Umwandlungvon rein-periodischen Dezimalbrüchen in Brüche und umgekehrt • Ein rein-periodischer Dezimalbruch 0,a1 a2 a3 . . . ak mit der Periodenlänge k kann a2 a3 ...ak in den gewöhnlichen Bruch a1 10 umgewandelt werden; dieser kann ggf. noch k −1 gekürzt werden. • Hat man umgekehrt einen gekürzten Bruch ab und lässt sich der Nenner b weder durch 2 noch durch 5 teilen, dann hat die zugehörige Dezimalbruchentwicklung eine k-stellige Periode, wobei k der kleinste Exponent ist, für den 10k − 1 durch b teilbar ist. ◄ Im Einzelnen gilt also: • Der Dezimalbruch 0,a1 ist gleich dem gewöhnlichen Bruch a91 , 1 a2 , • der Dezimalbruch 0,a1 a2 ist gleich dem gewöhnlichen Bruch a99 a2 a3 • der Dezimalbruch 0,a1 a2 a3 ist gleich dem gewöhnlichen Bruch a1999 usw. Wann ein bei der Umwandlung erhaltener Bruch gekürzt werden kann, ergibt sich aus der Primfaktorzerlegung der Nenner vom Typ 10k − 1 (vgl. die folgende Tabelle und A 5.9).

100

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Aus der Primfaktorzerlegung von 10k − 1 ergibt sich, welche gekürzten Brüche zu einer k-stelligen Periode führen: • Zu einem gekürzten Bruch mit dem Nenner 9 gehört ein Dezimalbruch mit einer 1-stelligen Periode. Der einzige andere Nenner, der durch Erweitern auf 9 gebracht werden kann, ist 3, d. h., auch der Nenner 3 führt zu einer 1-stelligen Periode. • Zu einem gekürzten Bruch mit dem Nenner 99 gehört ein Dezimalbruch mit einer 2-stelligen Periode; auch zwei der Teiler von 99, nämlich die Nenner 11 und 33, führen entsprechend zu 2-stelligen Perioden. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.7: Welche der folgenden Brüche mit Nenner 99 ergeben nach Umwandlung einen Dezimalbruch mit 1-stelliger, welche mit 2-stelliger Periode? 10 11 12 33 34 35 36 44 45 ; ; ; ; ; ; ; ; 99 99 99 99 99 99 99 99 99 Beantworten Sie diese Frage möglichst ohne die Division Zähler durch Nenner durchzuführen.

• Zu einem gekürzten Bruch mit dem Nenner 999 gehört ein Dezimalbruch mit einer 3-stelligen Periode; auch vier der Teiler von 999, nämlich die Nenner 27, 37, 111 und 333, führen entsprechend zu 3-stelligen Perioden. A 5.8: Welche der folgenden Brüche mit Nenner 999 ergeben nach Umwandlung einen Dezimalbruch mit 1-stelliger, 2-stelliger oder 3-stelliger Periode? 32 36 54 64 74 84 148 333 ; ; ; ; ; ; ; 999 999 999 999 999 999 999 999 Beantworten Sie diese Frage möglichst ohne die Division Zähler durch Nenner durchzuführen. A 5.9: Welche der folgenden Brüche ergeben nach Umwandlung einen Dezimalbruch mit 1-stelliger, 2-stelliger oder 3-stelliger Periode? 3 4 6 12 4 4 ; ; ; ; ; ; 9 27 27 27 37 37 11 333 Beantworten Sie diese Frage möglichst ohne die Division Zähler durch Nenner durchzuführen. A 5.10: 1. Welche Schlüsse lassen sich aus den Primfaktorzerlegungen von 10k − 1 für k = 4, 5, 6 hinsichtlich der Brüche ziehen, die auf Dezimalbrüche mit 4-stelliger, 5-stelliger oder 6-stelliger Periode führen? 2. Bestimmen Sie die Primfaktorzerlegungen von 10k − 1 auch für k = 11, 12, …, 20.

5.4  Gemischt-periodische Brüche

101

5.4 Gemischt-periodische Brüche Zu den angenehmen Eigenschaften des Dezimalsystems gehört es, dass man beim Multiplizieren mit 10er-Potenzen die Ziffernfolge beibehalten kann und nur das Komma um so viele Stellen nach rechts verschieben muss, wie der 10er-Exponent angibt. Entsprechend wird beim Dividieren durch eine 10er-Potenz das Komma nach links verschoben. Diese Eigenschaft gilt auch, wenn man rein-periodische Dezimalbrüche mit einer 10er-Potenz multipliziert oder durch diese dividiert. Beispiele 1 = 10 · 0,3 = 3,3; 13 : 10 = 13 · 10 = 0,3 : 10 = 0,03; 10 · 13 = 10 3 200 2 1 2 = 0,18 : 100 = 0,0018; 100 · 11 = 11 = 100 · 0,18 = 18,18; 11 : 100 = 112 · 100

1000 · 8 37

8 37

=

: 1000 =

8000 = 1000 · 0,216 = 216,216; 37 8 · 1 = 0,216 : 1000 = 0,000216 37 1000

Aus den jeweils rechts stehenden Beispielen der Division durch eine 10er-Potenz kann man ablesen, dass dabei Vorperioden entstehen (hier wegen der Multiplikation mit 10, 100, 1000: lauter Nullen). Aus Abschn. 5.2 wissen wir, dass auch die Teiler von 10, also 2 und 5, eine Rolle spielen. Beispiele 1 5 = 31 · 21 = 31 · 10 = 53 : 10 = 1,6 : 10 = 0,16; 6 1 2 = 13 · 51 = 13 · 10 = 20 : 100 = 6,6 : 100 = 0,06; 15 3 1 1 1 1 25 25 = 3 · 4 = 3 · 100 = 3 : 100 = 8,3 : 100 = 0,083; 12 1 1 4 = 13 · 25 = 13 · 100 = 43 : 100 = 1,3 : 100 = 0,013; 75 1 125 = 13 · 81 = 13 · 1000 = 125 : 1000 = 41,6 : 1000 = 0,0416 24 3

Regel

Länge der Vorperiodebei gemischt-periodischen Dezimalbrüchen Enthält der Nenner eines gekürzten Bruchs ab außer einem Faktor r, der nicht durch 2 oder 5 teilbar ist, eine 2er-Potenz oder eine 5er-Potenz als Teiler oder ein Produkt von 2er- und 5er-Potenzen, dann gibt der größere der beiden Exponenten der 2er-Potenz bzw. 5er-Potenz an, wie viele Stellen die Vorperiode des zugehörigen Dezimalbruchs hat. (Wenn beide Exponenten gleich sind, geben diese gleichen Exponenten die Länge der Vorperiode an.) Lässt sich also der Nenner in der Form b = r ⋅ 2x ⋅ 5y notieren (wobei die natürliche Zahl r weder durch 2 noch durch 5 teilbar ist), dann gibt der größere der beiden Exponenten x und y die Anzahl der Stellen der Vorperiode an. ◄

102

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.11: Bestimmen Sie die Dezimalbruchentwicklung der folgenden Brüche. Begründen Sie jeweils die Länge der Vorperiode: 7 8 13 29 17 49 7 ; ; ; ; ; ; 12 15 24 30 60 75 150 A 5.12: Erläutern Sie das Umwandlungsverfahren, das man bei gemischtperiodischen Dezimalbrüchen anwenden kann (vgl. das folgende Schema). Formulieren Sie eine allgemeine Regel.

A 5.13: Wenden Sie das in A 5.12 erarbeitete allgemeine Umwandlungsverfahren für die folgenden Dezimalbrüche an: 0,123; 0,123; 0,4567; 0,4567; 0,4567 A 5.14: Periodische Dezimalbrüche können als geometrische Reihen aufgefasst werden. Beispielsweise gilt: 0,3 = 0,333 . . . = 0,3 + 0,03 + 0,003 + . . .      2 1 3 10 1 1 1 1 = 0,3 · 9 = = 0,3 · 1 + · = + + . . . = 0,3 · 1 10 10 10 9 3 1 − 10 10

Erläutern Sie an einem selbst gewählten Beispiel, wie diese Rechnung für periodische Dezimalbrüche mit Periodenlänge 2 [3, 4] abläuft. Wie muss eine Vorperiode berücksichtigt werden? A 5.15: Nicht wenigen Menschen fällt es schwer nachzuvollziehen, dass gilt: 0,9 = 1. Wenn Sie auch dazugehören sollten, informieren Sie sich beispielsweise auf der betreffenden Wikipedia-Seite (https://de.wikipedia.org/wiki/0,999… ) über die dort ausgeführten Argumente. A 5.16: Erstellen Sie eine Übersicht über die Dezimalbruchentwicklung aller Brüche b1 mit b = 2, 3, …, 20: Notieren Sie, ob die Dezimalbrüche endlich oder periodisch sind, ggf. wie viele Stellen die Vorperiode und die Periode hat.

5.5  Zahlenzyklen und zyklische Zahlen

103

5.5 Zahlenzyklen und zyklische Zahlen Wandelt man beispielsweise die Brüche mit Nenner 7 und Zähler 1, 2, 3, 4, 5, 6 in Dezimalbrüche um, dann fallen Regelmäßigkeiten auf:

= 0,142857; 27 = 0,285714; 37 = 0,428571; 4 = 0,571428; 57 = 0,714285; 67 = 0,857142. 7 Die Reihenfolge der Ziffern 1 – 4 – 2 – 8 – 5 – 7 in der Ziffernfolge ist stets gleich; die einzelnen Dezimalzahlen beginnen lediglich an verschiedenen Stellen dieser periodischen Folge. Dies lässt sich auch grafisch als Zyklus veranschaulichen (vgl. Abb. 5.3). Die grün unterlegten Felder geben jeweils an, mit welcher Ziffer die Dezimalbruchentwicklung des außen angegebenen Bruchs beginnt. Bei der Division einer natürlichen Zahl a durch 7 erhält man also stets einen bestimmten Zyklus von sechs Ziffern (wenn a kein Vielfaches von 7 ist). Wie bereits oben festgestellt, muss die Länge der Periode nicht immer (wie hier beim Nenner 7) gleich Nenner minus 1 sein. 1 7

Abb. 5.3   Zyklus der Ziffern bei der Division durch 7

Abb. 5.4   Die beiden Zyklen der Ziffern bei der Division durch 13

104

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Beispielsweise findet man bei der Division durch 13 zwei getrennte Zyklen (vgl. Abb. 5.4). Im Jahr 1836 fiel dem französischen Mathematiker Étienne Midy (1773–1846) eine besondere Eigenschaft der Zyklen auf: • Stellt man die erste und die zweite Hälfte eines Ziffernzyklus untereinander, dann addieren sich die jeweils übereinanderstehenden Ziffern zu 9 (vgl. das folgende Schema).

Man kann diese Eigenschaft auch so beschreiben: • In der grafischen Darstellung der Zyklen (vgl. Abb. 5.3 und 5.4) addieren sich jeweils die einander punktsymmetrisch zum Mittelpunkt der Grafik gegenüberliegenden Ziffern zu 9. Und: • Betrachtet man jeweils die zum Mittelpunkt der Grafik punktsymmetrisch gegenüberliegenden Brüche, so ergibt sich stets die Summe 1. Beim 7er-Zyklus: 17 + 76 = 27 + 57 = 73 + 47 = 1 Eine weitere Eigenschaft lässt sich entdecken: • Unterteilt man die 6-stellige Ziffernfolge des 7er-Zyklus in drei Zweier-Blöcke (statt in zwei Dreier-Blöcke), dann gilt: 14 + 28 + 57 = 99 = 102 − 1 Bei den beiden 13er-Zyklen sieht das so aus: 07 + 69 + 23 = 99 = 102 − 1 und 15 + 38 + 46 = 99 = 102 − 1.

5.5  Zahlenzyklen und zyklische Zahlen

105

Abb. 5.5   Zyklus der Ziffern bei der Division durch 17

Ein weiteres Beispiel

Bei der Division durch 17 entsteht ein Zyklus der Länge 16 (vgl. Abb. 5.5) mit folgenden Eigenschaften: • 05882352 + 94117647 = 99999999 = 108 − 1

  • 0588 + 2352 + 9411 + 7647 = 19998 = 2 · 104 − 1   • 05 + 88 + 23 + 52 + 94 + 11 + 76 + 47 = 396 = 4 · 102 − 1

Satz

Eigenschaften der Ziffernfolge einer Dezimalbruchentwicklung (Satz von Midy) Hat die Dezimalbruchentwicklung 0,a1 a2 . . . an an+1 an+2 . . . a2n eines Bruchs ap (p Primzahl) eine gerade Anzahl von Stellen, also eine Periode der Länge 2n, dann gilt: • ak + an + k = 9 für alle k = 1, 2, …, n. • Addiert man die Zahl aus den ersten n Ziffern a1a2…an und die Zahl aus der zweiten Hälfte der Ziffern an + 1an + 2…a2n , dann ergibt sich 10n − 1.

106

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

Zusatz: • Ist 2n teilbar durch eine natürliche Zahl m, dann ist die Summe der Zahlen, die aus den m aufeinanderfolgenden Teilzyklen der Länge q = 2n gebildet werden können, m gleich einem Vielfachen von 10q − 1. ◄ Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.17: Untersuchen Sie die besonderen Eigenschaften des Zyklus der Ziffern bei der Division durch 19 (durch 23, durch 29) sowie der möglichen Teilzyklen. 1 1 = 0,052631578947368421; 23 = 0,0434782608695652173913; 19 1 = 0,0344827586206896551724137931 29 A 5.18: Die Primzahl 73 ist ein Teiler von 108 − 1. Welche Zyklen treten hier auf? Was ergibt sich hier aus dem Satz von Midy? A 5.19: 1. Bei der Division natürlicher Zahlen durch die Primzahl 37 (Teiler von 999 = 103 − 1) ergeben sich zwölf verschiedene 3er-Zyklen (vgl. die folgenden Tabellen). Auch wenn hier der Satz von Midy nicht anwendbar ist, lassen sich interessante Entdeckungen machen. Erläutern Sie. 2. Untersuchen Sie auch entsprechende Eigenschaften bei der Division durch die Primzahl 41 (Teiler von 99999 = 105 − 1).

5.5  Zahlenzyklen und zyklische Zahlen

107

Zyklische Zahlen Die oben betrachteten Nenner 7, 17, 19, 23 und 29 sind Generatoren von zyklischen Zahlen (weitere Generatorenzahlen: 47, 59, 61, 97, 109, …). Betrachtet man nämlich die Ziffernfolge der Kehrwerte dieser Generatoren, dann haben diese eine besondere Eigenschaft: n-stellige zyklische Zahlen haben die Eigenschaft, dass ihr Produkt mit den natürlichen Zahlen 1, 2, …, n stets eine Zahl mit Ziffern der gleichen Ziffernfolge ergibt. Beispiel

Für die zyklische Zahl 142.857 (mit Generator 7) gilt:

1 · 142.857 = 142.857 2 · 142.857 = 285.714 3 · 142.857 = 428.571 4 · 142.857 = 571.428 5 · 142.857 = 714.285 6 · 142.857 = 857.142 7 · 142.857 = 999.999 Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.20: Notieren Sie die Vielfachen der zur Generatorzahl 17 gehörende 16-stellige zyklische Zahl. A 5.21: Warum gehören die Primzahlen 11, 13, 31, 37 und 41 nicht zu den Generatorzahlen?

Es gibt noch viel bzgl. der Eigenschaften periodischer Zahlen zu entdecken … Beispielsweise: • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Dezimalbruchentwicklung eines Bruchs mit Nenner p (Primzahl ungleich 2 und 5) und der eines Bruchs mit Nenner p2? Und wie ist es mit den Dezimalbruchentwicklungen der Brüche mit den Nennern p und q (Primzahlen ungleich 2 und 5) und der eines Bruchs mit Nenner p ⋅ q? • Welche Regeln gelten in anderen Zahlsystemen, z. B. im Dualsystem?

108

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

5.6 Brüche im Dualsystem Bei der Darstellung von Zahlen im Dualsystem werden nur die Ziffern 0 und 1 verwendet.

Die geraden natürlichen Zahlen haben im Dualsystem als letzte Ziffer eine 0, ungerade eine 1. Verdopplung einer natürlichen Zahl deutet nämlich für die Darstellung der Zahl im Dualsystem, dass die Ziffer 0 angehängt wird (analog zur Verzehnfachung im Dezimalsystem). Umgekehrt gilt: Bei der Halbierung einer geraden natürlichen Zahl im Dualsystem streicht man die letzte Ziffer 0. Wie bei den Dezimalbrüchen kann man endliche, rein-periodische und gemischtperiodische Dualbrüche unterscheiden. Da 2 und 5 die Primteiler von 10 sind, können endliche Dezimalbrüche nur bei der Division einer natürlichen Zahl durch Potenzen von 2 oder durch Potenzen von 5 oder Produkte von diesen auftreten (vgl. Abschn. 5.2). Entsprechend ergeben sich endliche Dualbrüche nur bei der Division durch Potenzen von 2.

Rein-periodische Dualbrüche können – analog zu den Dezimalbrüchen – mithilfe eines einfachen Schemas umgewandelt werden. Beispiele: Umwandeln von rein-periodischen Dualbrüchen in Brüche

Aus dem ersten Kasten entnimmt man die Beziehung 0,1 = 1 – analog zu 0,9 = 1 im Dezimalsystem, vgl. A 5.15. 1 (= 13 im Bei den Dualbrüchen mit 2-stelliger Periode ergibt sich 0,01 = 11 2 10 Dezimalsystem) und 0,10 = 11 (= 3 im Dezimalsystem).

5.6  Brüche im Dualsystem

109

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.22: a) Erläutern Sie: Im Dualsystem kommen für eine 3-stellige Periode die Ziffernfolgen 001, 010, 011, 100, 101 und 110 infrage. Diese ergeben sich bei der Division durch 111 (also Division durch 7 im Dezimalsystem). Stellen Sie die Dezimalbrüche 17 , 27 , 73 , 47 , 57 , 76 , als periodische Dualbrüche dar. b) Zeigen Sie: Dualbrüche mit 4-stelliger Periode ergeben sich bei der Division durch 1111 (also durch 15 im Dezimalsystem). Stellen Sie die Dezimalbrüche mit Nenner 15 und teilerfremde Zähler 1, 2, 4, …, 14 als periodische Dualbrüche dar. Was ergibt sich für die Brüche mit Nenner 15, die gekürzt werden können? c) Ermitteln Sie durch schriftliches Dividieren im Dualsystem die 4-stelligen periodischen Dualbrüche, die sich bei der Division der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4 durch 5 ergeben.

Analog zu den Dezimalbrüchen hängt die Länge k einer Periode eines Dualbruchs ab davon ab, welches die kleinste Potenz 2k − 1 ist, die durch den Nenner b teilbar ist. Aus der Primfaktorzerlegung von 2k − 1 kann man also entnehmen, welche Dualbrüche eine k-stellige Periode haben:

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.23: Stellen Sie die folgenden Brüche im Dezimalsystem als periodischen Dualbruch dar: 1 7 30 1 63 , , , , , 1 , 6 , 10 , 43 .. 31 31 31 63 127 255 17 51 85

110

5  Periodische und nichtperiodische Brüche

• Gekürzte Brüche, deren Nenner eine gerade Zahl ist, haben im Dualsystem eine Vorperiode. Beispiele 1 = 0,01 folgt: Aus 11 1 1 1 = 10 · 11 = 0,001 (= 16 im Dezimalsystem) sowie 110 1 1 1 1 = 100 · 11 = 0,0001 (= 12 im Dezimalsystem). 1100

=1+ Aus 101 11

10 = 1,10 folgt: 11 101 1 101 = 10 · 11 = 0,110 (= 56 im Dezimalsystem) sowie 110 101 5 1 = 100 · 101 = 0,0110 (= 12 im Dezimalsystem). 1100 11

Allgemein gilt: • Die Anzahl der Stellen der Vorperiode eines unendlichen Dualbruchs ergibt sich aus dem Exponenten der höchsten 2er-Potenz, die im Nenner des Bruchs (im Dezimalsystem) enthalten ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.24: Stellen Sie die folgenden ­gemischt-periodische Dualbrüche dar: 1 13 3 5 11 7 5 9 25 , , , , , , , , . 14 14 20 18 42 36 84 80 72

Brüche

im

Dezimalsystem

als

Analog zu den periodischen Dezimalbrüchen können wir auch bei den rein-periodischen Brüchen im Dualsystem punktsymmetrische Zyklen beobachten, wenn die Anzahl von Stellen gerade ist, vgl. die in Abb. 5.6 dargestellten Beispiele.

Abb. 5.6   Zyklus der Ziffern bei der Division durch 101 bzw. durch 1001 im Dualsystem

5.7  Hinweise auf weiterführende Literatur

111

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 5.25: Welche Ziffernzyklen gibt es bzgl. der Division durch die Dualzahl 1111 (also Division durch 15 im Dezimalsystem)? Stellen Sie diese dar. Hinweis: Bei der Division durch 15 sind die Voraussetzungen des Satzes von Midy nicht erfüllt. A 5.26: Finden Sie mithilfe der o. a. Tabelle über die Periodenlänge weitere Beispiele von Zyklen für Dualbrüche und stellen Sie diese dar. A 5.27: Der Satz von Midy gilt auch entsprechend für Dualbrüche. Geben Sie die entsprechende Formulierung des Satzes an. Finden Sie ein geeignetes Beispiel hierfür.

5.7 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Bruchrechnung (Fraction, Fraction) • Dezimalbruch (–, Nombre décimal) • Dezimalsystem (Decimal, Système décimal), enthält auch Ausführungen zu periodischen Dezimalzahlen (Repeating decimal, Développement décimal périodique) • 0.999… (0,999…, Développement décimal de l’unité) • Zyklische Zahl (Cyclic number, Nombre cyclique) • nur in Englisch/Französisch: Midy’s theorem, Théorème de Midy • Dualsystem (Binary number, Système binaire) Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Decimal Period, Cyclic Number, Decimal Expansion, Repeating Decimal, Midy’s Theorem Anregungen zum Thema „Periodische Dezimalzahlen“ findet man u. a. auch in dem Sonderheft der Zeitschrift mathematik lehren: • Herget, Wilfried & Strick, Heinz Klaus (2012): Die etwas andere Aufgabe 2, Friedrich Verlag, Seelze Den Beweis der Verallgemeinerung von Midy’s theorem findet man unter: • Abdul-Baki, Bassam (2005): Extended Midy’s Theorem, http://www.abdulbaki.org/ math/Midys_Theorem.pdf

6

Ägyptische Brüche

„Die Regeln der Arithmetik, die vor Tausenden von Jahren aufgestellt wurden, erhalten auch in der Epoche der modernen Mathematik ihre Kraft und werden buchstäblich bei jedem Schritt benutzt.“ (Boris Wladimirowitsch Gnedenko, russischer Mathematiker, 1912–1995)

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den sogenannten ägyptischen Brüchen, das sind Summen von voneinander verschiedenen Stammbrüchen. Wenn man zwei verschiedene Stammbrüche addiert, ergibt sich nicht unbedingt wieder ein Stammbruch, wie beispielsweise bei 21 + 13 = 65, wohl aber bei 13 + 61 = 21. 1 + n1, In Kap. 2 wurde erläutert, dass die harmonische Reihe Hn = 1 + 21 + 31 + . . . + n−1 also die Folge der Teilsummen von Stammbrüchen, über jede vorgegebene Schranke hinaus wächst. Kann man durch eine geschickte Auswahl von Stammbrüchen erreichen, dass sich dabei jede beliebige positive rationale Zahl als Summe von voneinander verschiedenen Stammbrüchen ergibt? © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_6

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6  Ägyptische Brüche

Dass Mathematiker überhaupt auf die Idee kamen, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, hat einen interessanten historischen Hintergrund.

6.1 Zahlendarstellung im alten Ägypten Im alten Ägypten, in dem Zeitraum ungefähr zwischen 3000 und 400 v. Chr., wurde für die schriftliche Kommunikation und Dokumentation eine Fülle von Zeichen verwendet, die Hieroglyphen. 1928 stellte der englische Ägyptologe Sir Alan Gardiner die wichtigsten Zeichen in einer Liste zusammen (https://de.wikipedia.org/wiki/Gardiner-Liste). Im Unterschied zu den Babyloniern, die ein 60er-System verwendeten, benutzten die Ägypter ein Dezimalsystem: Natürliche Zahlen wurden mithilfe eines Strichs für die Einheit und mithilfe von besonderen Symbolen für die ersten Zehnerpotenzen dargestellt. In der Tabelle von Abb. 6.1 ist jeweils angegeben, an welcher Stelle der Gardiner-Liste diese Zeichen zu finden sind. Für die Zahl 100.000 wurde gelegentlich statt der Kaulquappe ein Frosch gezeichnet (s. o.). Natürliche Zahlen stellte man dar, indem man die betreffenden Zeichen entsprechend oft notierte. Beispielsweise wäre die Zahl 23247 wie folgt dargestellt worden (Zeichnungen, auch am Anfang des Kapitels: Jule H.):

Abb. 6.1   Hieroglyphen zur Darstellung von Zehnerpotenzen

6.1  Zahlendarstellung im alten Ägypten

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Für Brüche gab es drei verschiedene Arten der Darstellung: Die Kehrwerte der ersten sechs Zweierpotenzen wurden als Teile des sogenannten Horus-Auges aufgefasst (auch Udjat-Auge genannt, vgl. folgende Abbildung).

Das Horus-Auge spielt in der ägyptischen Mythologie eine besondere Rolle: Horus war der Lichtgott und Sohn von Isis und Osiris. Im Kampf um den Thron wurde ihm von seinem Onkel Seth das linke Auge herausgerissen, das der Mondgott Thot nur unvollständig heilen konnte; daher fehlt am Horus-Auge ein Teil eines Ganzen:   1 1 1 63 1 + 32 + 64 = 1 − 64 = 64 . 1 − 21 + 14 + 81 + 16 Besondere Zeichen gab es im alten Ägypten für die Brüche 23 und 43. Alle übrigen echten Brüche wurden als Summe geeigneter Stammbrüche dargestellt. Diese Art der Darstellung bezeichnet man als ägyptischen Bruch. Die Stammbrüche selbst notierte man, indem man über oder neben den Nenner die Hieroglyphe „Mund“ (D21) als Symbol für die Kehrwertbildung setzte (vgl. Tabelle in Abb. 6.2).

Abb. 6.2   Hieroglyphen zur Darstellung von Brüchen

116

6  Ägyptische Brüche

Die Art und Weise, wie vor über 3500 Jahren in Ägypten mit Brüchen gerechnet wurde, konnte erst Ende des 19. Jahrhunderts erforscht werden. 1822 war es ­Jean-François Champollion endlich gelungen, die Bedeutung der Hieroglyphen zu entschlüsseln.

1858 erwarb dann der schottische Antiquar Alexander Henry Rhind unter ungeklärten Umständen in Luxor einen Papyrus, der so viele Informationen enthielt, dass deren Auswertung mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm und bis heute nicht wirklich abgeschlossen ist. Die meisten unserer heutigen Erkenntnisse über die Mathematik im alten Ägypten stammen von dieser beidseitig beschrifteten, 5 m langen und 32 cm breiten Schriftrolle, die vermutlich um 1650 v. Chr. entstand und heute im Britischen Museum aufbewahrt wird.

6.2 Fibonaccis gieriger Algorithmus Auch wenn die Erkenntnisse über die Hieroglyphen im Laufe der Jahrhunderte zunächst verloren gingen, blieb die Erinnerung an die ägyptischen Brüche erhalten. Beispielsweise beschäftigte sich der italienische Mathematiker Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci (1170–1250), mit dem Problem, wie man einen echten Bruch, also einen Bruch der Form ab mit a < b, als Summe von lauter verschiedenen Stammbrüchen darstellen kann. In seinem 1202 erschienenen Buch Liber abaci beschrieb er eine geeignete Vorgehensweise.

6.2  Fibonaccis gieriger Algorithmus

117

Verfahren

Fibonaccis Algorithmus zur Bestimmung eines ägyptischen Bruchs Gegeben ist ein gekürzter Bruch ab mit a < b. Schritt 1: Suche einen möglichst großen Stammbruch 1c, der kleiner ist als ab. Schritt 2: Bestimme die Differenz de = ab − 1c. Wende – falls erforderlich – Schritt 1 und Schritt 2 so lange auf den Bruch de an, bis d = 1, d. h., bis de ein Stammbruch ist. ◄ Das Verfahren wird als ein gieriger Algorithmus (Greedy Algorithm) bezeichnet, weil stets ein möglichst großer Stammbruch gesucht wird. Dieser Algorithmus liefert immer eine Zerlegung eines echten Bruchs in eine Summe von Stammbrüchen, aber nicht immer eine mit der geringstmöglichen Summandenzahl; dies wird unten näher erläutert. Beispiele

• Darstellung von 45 als ein ägyptischer Bruch: 1. Schritt: 21 ist der größtmögliche Stammbruch, der kleiner ist als 45. 8 5 3 − 10 = 10 2. Schritt: Die Differenz der beiden Brüche ist 45 − 21 = 10 . 1 3 1. Schritt: 4 ist der größtmögliche Stammbruch, der kleiner ist als 10. 3 6 5 1 − 41 = 20 − 20 = 20 2. Schritt: Die Differenz der beiden Brüche ist 10 . Zusammengefasst:

      5 3 1 1 1 1 1 1 4 1 8 3 4 − − = + + − = + = + = + 5 2 5 2 2 10 10 2 10 2 4 10 4   5 1 1 1 6 1 1 − = + + = + + 2 4 20 20 2 4 20 • Darstellung von 37 als ein ägyptischer Bruch: 1. Schritt: 13 ist der größtmögliche Stammbruch, der kleiner ist als 37. 9 7 2 − 21 = 21 2. Schritt: Die Differenz der beiden Brüche ist 37 − 31 = 21 . 1 2 1. Schritt: 11 ist der größtmögliche Stammbruch, der kleiner ist als 21. 2 1 22 21 − 11 = 231 − 231 = 2. Schritt: Die Differenz der beiden Brüche ist 21 Zusammengefasst:

1 . 231

      7 2 1 1 1 1 1 1 3 1 9 2 3 − − = + + − = + = + = + 7 3 7 3 3 21 21 3 21 3 11 21 11   1 21 1 1 1 22 1 + − + = + = + 3 11 231 231 3 11 231 5 • Darstellung von 12 als ein ägyptischer Bruch:     1 4 1 1 1 1 5 5 5 − − = + = + = + 12 3 12 3 3 12 12 3 12

118

6  Ägyptische Brüche

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.1: Bestimmen Sie mithilfe des Fibonacci-Algorithmus eine ägyptische 6 ­Bruch-Darstellung von 35, 47, 59, 11 . An den betrachteten Beispielen (einschl. der Beispiele aus A 6.1) kann man ablesen, dass die Anzahl der Durchläufe bis zum Abschluss des Verfahrens maximal so groß ist wie der Zähler des Ausgangsbruchs angibt, denn der Zähler des jeweils letzten Summanden wird von Durchlauf zu Durchlauf um mindestens 1 kleiner. Der Fibonacci-Algorithmus führt also nach endlich vielen Durchläufen zum Erfolg. Dass dies nicht nur in den hier betrachteten Beispielen so ist, sondern allgemein gilt, wurde 1880 vom britischen Mathematiker James Joseph Sylvester (1814–1897) bewiesen. Daher wird der Algorithmus gelegentlich auch als Fibonacci-SylvesterAlgorithmus bezeichnet. Satz von Sylvester

Darstellbarkeit von Brüchen als ägyptische Brüche Alle echten Brüche lassen sich als Summe von endlich vielen Stammbrüchen darstellen. ◄ Hinweis: Wer sich die oft etwas mühsamen Rechnungen ersparen möchte, kann den ­EF-Calculator (EF = Egyptian Fraction) von Ron Knott benutzen: • http://www.maths.surrey.ac.uk/hosted-sites/R.Knott/Fractions/egyptian.html Eine Option des EF-Calculators liefert auch die Darstellungen mit der geringstmöglichen Summandenzahl (Shortest Egyptian Fraction).

6.3 Mögliche Gründe für die Verwendung der ägyptischen Brüche Die Ägypter hätten den Bruch 45 auch ohne großen Aufwand als vierfache Wiederholung des Bruchs 15 notieren können (so wie sie die Zahl 4 durch vier Striche darstellten). Bei Brüchen mit größeren Zählern wäre diese Art der Notation aber sicherlich ziemlich aufwendig. Es ist auch viel darüber spekuliert worden, inwiefern das Aufteilen eines Bruchs in lauter verschiedene Stammbrüche eine praktische Bedeutung gehabt haben kann.

6.3  Mögliche Gründe für die Verwendung der ägyptischen Brüche

119

Der Bruch 45 ist das Ergebnis der Division von 4 geteilt durch 5, d. h., konkret sollen also vier Ganze (z. B. vier Fladenbrote) so auf fünf Personen aufgeteilt werden, dass jede einen gleich großen Anteil erhält.

Besonders leicht ist es – und dies gelingt in der Praxis mit hoher Genauigkeit – ein kreisförmiges Fladenbrot nach Augenmaß zu halbieren. Diese Halbierung führt man bei den ersten drei Fladenbroten durch. Beim dritten Fladenbrot muss man dann eine der Hälften noch einmal halbieren, sodass zwei Viertel entstehen. Das vierte Fladenbrot schließlich muss man zunächst vierteln, bevor man das letzte Viertel nach Augenmaß in fünf gleich große Stücke teilt.

Was hier sicherlich mit ziemlicher Genauigkeit per Augenmaß funktioniert, stellt sich im zweiten oben betrachteten Beispiel beim Bruch 37 als schwieriger heraus: Eine Aufteilung in 3, 11 und (vor allem) 231 gleich große Teile ist nach Augenmaß kaum möglich. Daher stellt sich spätestens hier die Frage, ob dies die einzige Möglichkeit ist, den Bruch 37 mithilfe von Stammbrüchen darzustellen. Wählt man statt des größtmöglichen Stammbruchs 13 den nächstkleineren, also 41, dann ergibt sich:         3 3 12 5 15 1 1 1 7 1 5 1 1 1 1 1 14 = + = + = + = + + − − = + + − − 7 4 7 4 4 28 28 4 28 4 6 28 6 4 6 84 84 1 1 1 = + + 4 6 84

Und wählt man beim zweiten Durchlauf den Stammbruch dritter Summand ein Bruch mit kleinerem Nenner:

1 7

statt 16, so ergibt sich als

        3 3 12 5 5 1 1 1 1 1 7 5 1 1 1 1 4 = + = + = + = + + − − = + + − − 7 4 7 4 4 28 28 4 28 4 7 28 7 4 7 28 28 1 1 1 = + + 4 7 28

120

6  Ägyptische Brüche

Aus der letzten Umformung, bei der am Anfang und am Ende der Gleichungskette ein Bruch mit Nenner 7 vorkommt, kann man unmittelbar erschließen, dass gilt:

3 1 1 1 2 = − = + 7 7 7 4 28 Und nach Division der beiden Seiten durch 2 ergibt sich hieraus unmittelbar 1 1 = 81 + 56 , 7 also eine Möglichkeit, wie der Stammbruch 17 mithilfe des nächstkleineren Stammbruchs 18 dargestellt werden kann. Diese Entdeckung regt zur Untersuchung der Frage an, ob es stets möglich ist, einen Stammbruch mithilfe eines benachbarten Stammbruchs darzustellen. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.2: Wie im Beispiel oben beschrieben, kann die gleichmäßige Aufteilung von vier Fladenbroten an fünf Personen durchaus auch nach Augenmaß erfolgen. Geben Sie weitere Beispiele von ähnlichen Aufteilungsaufgaben an.

6.4 Darstellung eines Stammbruchs als Summe von anderen Stammbrüchen Die folgenden Beispiele zeigen, dass es nicht nur bei 17 = 81 + Zusammenhang zwischen zwei benachbarten Stammbrüchen gibt: 1 1 1 1 1 1 1 1 = 31 + 61, 13 = 41 + 12 , 4 = 51 + 20 , 5 = 61 + 30 , 6 = 71 + 42 2 Allgemein erhält man für eine beliebige natürliche Zahl n 1 1 + = n n+1



1 1 − n n+1



=

1 + n+1



n+1 n − n · (n + 1) n · (n + 1)



=

1 56

einen einfachen

1 1 + . n+1 n · (n + 1)

Da zwei benachbarte Stammbrüche stets zueinander teilerfremde Nenner haben, ergibt sich der Hauptnenner der beiden Brüche durch Multiplikation der beiden Nenner. Es gilt also: Regel 1

Benachbarte Stammbrüche Ist n eine natürliche Zahl, dann lässt sich der Kehrwert von n darstellen als Summe des Kehrwerts des Nachfolgers n + 1 und des Kehrwerts des Produkts n ⋅ (n + 1):

1 1 1 + = n n + 1 n · (n + 1) ◄

6.4  Darstellung eines Stammbruchs als Summe von anderen Stammbrüchen

121

In der folgenden Grafik ist dargestellt, wie man einen Stammbruch gemäß Regel 1 immer weiter zerlegen kann. An der Grafik wird auch deutlich, dass man Stammbrüche mithilfe einer beliebigen Anzahl von kleineren Stammbrüchen darstellen kann. Beispielsweise gilt für den Stammbruch 21: • zwei Summanden: 21 =31 + 61    1 1 + 61 = 13 + 71 + 42 • drei Summanden: 21 = 14 + 12 • vier Summanden:         1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + = + + + = + + = 2 4 12 7 42 5 20 12 6 4 13 156 6     1 1 1 1 1 1 1 1 = + + = + + + + 3 8 56 42 3 7 43 1806

• Konsequenz: Für jeden beliebigen Stammbruch gibt es unendlich viele Möglichkeiten, ihn als Summe von verschiedenen Stammbrüchen darzustellen! Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.3: Bestimmen Sie anhand der obigen Grafik Darstellungen des Bruchs 21 mithilfe von fünf Stammbrüchen. A 6.4: Nach J. C. Owings und Steven J. Kifowit ergibt sich aus dem abgebildeten Baumdiagramm eine weitere Möglichkeit zu beweisen, dass die harmonische Reihe divergiert. Erläutern Sie die folgenden Feststellungen: • Die Summe der Stammbrüche auf jeder Stufe beträgt 21. • Man kann zeigen, dass die Stammbrüche, die auf einer Stufe stehen, alle voneinander verschieden sind. 1 • Auf der n-ten Stufe steht am Anfang der Stammbruch n+1 , am Ende steht der Stammbruch mit dem größten Nenner dieser Stufe. • Man betrachtet zunächst Stufe 1 (mit dem Bruch 21) , dann Stufe 2 (mit den Stammbrüchen 13 und 16); die Summe aller Stammbrüche dieser beiden Stufen ist 2 · 21.

122

6  Ägyptische Brüche

Das Element in Stufe 2 mit dem größten Nenner ist der Bruch 16; daher geht man als Nächstes über in Stufe 6, deren erstes Element gleich 17 ist. Die Summe der Stammbrüche dieser drei Stufen ist 3 · 21. Das Element mit dem größten Nenner steht am Ende der Stammbrüche dieser Stufe (Bezeichnung: m1 ); daher geht man als Nächstes über in Stufe m, deren erstes Element gleich m1 ist, usw. Setzt man das beschriebene Verfahren fort, dann erhält man eine unendlich große Anzahl von lauter verschiedenen Stammbrüchen, deren Gesamtsumme über alle Grenzen hinaus wächst.

6.5 Stammbrüche als Summe von zwei verschiedenen Stammbrüchen In Regel 1 wurde festgestellt, dass man einen Stammbruch n1 als ägyptischen Bruch dar1 stellen kann, dessen erster Summand der benachbarte Stammbruch n+1 ist. Als Nächstes werden wir prüfen, ob als erste (größte) Summanden der Summendarstellung auch kleinere 1 1 1 Stammbrüche (n+2 , n+3 , n+4 , …) infrage kommen können. Wir beschäftigen uns also allgemein mit der Frage, wie viele Möglichkeiten es überhaupt gibt, einen bestimmten Stammbruch als Summe von zwei verschiedenen Stammbrüchen darzustellen. Dazu betrachten wir Beispiele, um so vielleicht mögliche Regelmäßigkeiten ablesen zu können. Beispiele: Mögliche Darstellungen als Summe von zwei voneinander verschiedenen Stammbrüchen

• Für den Stammbruch 21 gibt es nur eine Darstellung: 21 = 31 + 61 (vgl. Regel 1). Die Summe mit dem nächstkleineren Stammbruch 21 = 41 + 41 erfüllt nicht mehr die Bedingung „verschiedene Stammbrüche“. 1 • Für den Stammbruch 13 gibt es nur eine Darstellung: 13 = 41 + 12 (vgl. Regel 1). 1 1 5−3 1 2 Bei der „nächsten“ Zerlegung 3 = 5 + 15 = 5 + 15 wird (mindestens) noch ein weiterer Stammbruch als Summand benötigt, und 13 = 61 + 16 erfüllt nicht mehr die Bedingung „verschiedene Stammbrüche“. • Für den Stammbruch 41 gibt es zwei Darstellungen als Summe von zwei ver1 schiedenen Stammbrüchen: 41 = 51 + 20 (vgl. Regel 1) sowie 1 1 3−2 1 1 4 = 6 + 12 = 6 + 12   1 (was man auch so erhalten kann: 41 = 21 · 21 = 21 · 13 + 61 = 16 + 12 ). 3 = 17 + 28 Für die „nächsten“ Zerlegungen gilt: 41 = 71 + 7−4 und 41 = 81 + 18. 28 1 • Für den Stammbruch 5 gibt es nur eine Darstellung als Summe von zwei ver1 schiedenen Stammbrüchen: 15 = 61 + 30 (vgl. Regel 1).

6.5  Stammbrüche als Summe von zwei verschiedenen Stammbrüchen

123

1 2 = 71 + 7−5 = 17 + 35 Für die „nächsten“ Zerlegungen gilt: , 5 35 1 9−5 1 4 1 1 1 8−5 1 3 1 1 1 = + = + = + = + = + , und . 9 45 9 45 5 8 40 8 40 5 5 10 10 • Für den Stammbruch 16 gibt es vier Darstellungen als Summe von zwei ver1 schiedenen Stammbrüchen: 16 = 71 + 42 (vgl. Regel 1) und 1 1 4−3 1 1 6 = 8 + 24 = 8 + 24   1 1 1 = 8 + 24 (was man auch so erhalten kann: 16 = 21 · 13 = 21 · 41 + 12 ) sowie



1 6

=

1 9

+

3−2 18

=

1 9

+

1 18

(was man auch so erhalten kann: 16 =

1 3

·

1 1 2 1 1 + 5−3 = 10 + 30 = 10 + 15 16 = 10 . 30 Für die „nächsten“ Zerlegungen gilt: 16 =

1 2

=

1 11

1 3

+

1 ) 18

und

1 3

+

1 6



=

1 9

+

11−6 66

=

1 11

+

5 66

und 16 =

·

1 12

+

1 . 12

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.5: Bestimmen Sie analog zu den Beispielen jeweils die Anzahl der Möglich1 keiten, die Brüche 17, 18, 19 und 10 als ägyptische Brüche mit zwei Summanden darzustellen.

Offensichtlich hängt die Anzahl der möglichen Darstellungen als Summe zweier verschiedener Stammbrüche davon ab, ob man im zweiten Summanden – der als Differenz zwischen dem Ausgangsstammbruch und dem ersten Summanden entsteht – kürzen kann. Regel 2

Anzahl der möglichen Darstellungen eines Stammbruchs mithilfe von anderen Stammbrüchen Die Anzahl der Möglichkeiten, den Stammbruch n1 als ägyptischen Bruch mit zwei Summanden darzustellen, ist gleich der Anzahl der Teiler k von n2 mit 1 ≤ k < n, also derjenigen Teiler von n2, die zwischen 1 (einschl.) und n (ausschl.) liegen. ◄ Zum Beweis von Regel 2: 1 Zwischen dem Stammbruch n1 und dem Stammbruch n+k mit 1 < k < n besteht folgender Zusammenhang: 1 1 = + n n+k



1 1 − n n+k



=

n+k−n k k 1 1 1 = = + + + 2 n+k n · (n + k) n+k n · (n + k) n+k n +n·k

k kann nur dann gekürzt werden, wenn der Nenner n2 + n ⋅ k durch k Der Summand n2 +n·k teilbar ist. Da das Produkt n ⋅ k immer durch k teilbar ist, kommt es also nur darauf an, ob die Quadratzahl n2 durch k teilbar ist.

124

6  Ägyptische Brüche

Nimmt man noch den Fall k = 1 hinzu, dann erhält man die in Regel 2 genannte Bedingung. Beispiele

• Für den Stammbruch 21, also n = 2, gibt es nur die Darstellung gemäß Regel 1, denn n2 = 4 besitzt die Teiler 1, 2 und 4, also nur einen Teiler k, der die Bedingung 1 ≤ k < 2 erfüllt. • Für den Stammbruch 41, also n = 4, gibt es außer der Darstellung gemäß Regel 1 noch eine weitere Möglichkeit, denn n2 = 16 besitzt die Teiler 1, 2, 4, 8 und 16, von denen k = 1 und k = 2 die Bedingung 1 ≤ k < 4 erfüllen. • Für den Stammbruch 16, also n = 6, gibt es außer der Darstellung gemäß Regel 1 noch drei weitere Möglichkeiten, denn n2 = 36 besitzt die Teiler 1, 2, 3, 4, 6, 9, 12, 18, 36, von denen k = 1, k = 2, k = 3 und k = 4 die Bedingung 1 ≤ k < 6 erfüllen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.6: Untersuchen Sie analog zu den Beispiel-Überlegungen zu Regel 2, auf wie viele Arten man die Brüche 13, 15, 17 und 18 als ägyptische Brüche darstellen kann. Geben Sie ohne weitere Begründungen an, auf wie viele Arten man die Brüche 19, 1 1 1 1 , , , …, 20 als ägyptische Brüche notieren kann. 10 11 12 Wie viele Teiler die natürliche Zahl n2 hat, hängt von den Teilern der Zahl n ab. Hier kann man eine Reihe von Fällen unterscheiden. Betrachten wir drei einfache Fälle: • Ist n eine Primzahl, dann hat n2 die drei Teiler 1, n und n2, von denen nur der Teiler 1 die Bedingung 1 ≤ k < n erfüllt. Beispiel: n = 5: Die Quadratzahl n2 = 25 hat die drei Teiler 1, 5 und 25, von denen nur der Teiler k = 1 die Bedingung 1 ≤ k < 5 erfüllt. • Ist n = p2 das Quadrat einer Primzahl p, dann hat n2 = p4 die fünf Teiler 1, p, p2, p3 und p4, von denen nur die Teiler 1 und p die Bedingung 1 ≤ k < n erfüllen. Beispiel: n = 9: Die Quadratzahl n2 = 81 hat die fünf Teiler 1, 3, 9, 27 und 81, von denen nur die beiden Teiler k = 1 und k = 3 die Bedingung 1 ≤ k < 9 erfüllen.

6.6 Darstellung von Brüchen des Typs 2/n als Summe von zwei Stammbrüchen

125

• Ist n = p ⋅ q das Produkt zweier Primzahlen (p < q), dann hat n2 = p2 ⋅ q2 die neun Teiler 1, p, q, p2, p ⋅ q, q2, p2 ⋅ q, p ⋅ q2 und n2, von denen nur die Teiler 1, p, q, p2 die Bedingung 1 ≤ k < n erfüllen. Beispiel: n = 15 (also p = 3 und q = 5): Die Quadratzahl n2 = 225 hat die neun Teiler 1, 3, 5, 9, 15, 25, 45, 75 und 225, von denen die vier Teiler k = 1, k = 3, k = 5 und k = 9 die Bedingung 1 ≤ k < 15 erfüllen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.7: Untersuchen Sie analog weitere Fälle: 1. Die Zahl n = 12 ist vom Typ n = p2 ⋅ q mit p = 2 und q = 3. 2. Die Zahl n = 18 ist vom Typ n = p ⋅ q2 mit p = 2 und q = 3. 3. Die Zahl n = 27 ist vom Typ n = p3 mit p = 3. 4. Die Zahl n = 30 ist vom Typ n = p ⋅ q ⋅ r mit p = 2, q = 3 und r = 5.

6.6 Darstellung von Brüchen des Typs 2/n als Summe von zwei Stammbrüchen Mehrere Abschnitte des Rhind-Papyrus beschäftigen sich mit der Frage, auf welche Weise man Brüche des Typs 2n als Summe von zwei Stammbrüchen darstellen kann (vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Rhind_Mathematical_Papyrus_2/n_table). Auch hier betrachten wir zunächst einige Beispiele, bei denen wir den Fibonacci-Algorithmus anwenden. Dabei können wir uns auf ungeradzahlige n ­ beschränken, da man bei geradzahligem n kürzen kann. Beispiele für die Darstellung von Brüchen vom Typ 2n 2 Zerlegung des Bruchs 23: Der Stammbruch 21 = Stamm 2 4 ist1 der 1größtmögliche 2 2 1 1 1 = + bruch, der kleiner ist als 3. Daher gilt: 3 = 2 + 3 − 2 = 2 + 4−3 . 6 2 6 2 1 2 Zerlegung des Bruchs 5: Der Stammbruch 3= 6 ist der größtmögliche Stamm1 = 31 + 15 bruch, der kleiner ist als 25. Daher gilt: 25 = 31 + 25 − 31 = 31 + 6−5 . 15 2 2 2 Analog ergibt sich für die Brüche 7, 9, 11:     1 2 1 2 = 15 + 45 = 41 + 27 − 41 = 41 + 8−7 = 41 + 28 , 9 = 51 + 29 − 51 = 15 + 10−9 , 45 7 28   2 2 1 = 16 + 11 − 61 = 16 + 12−11 = 61 + 66 11 66

Offensichtlich gilt für Brüche dieses Typs eine einfache Gesetzmäßigkeit:

126

6  Ägyptische Brüche

Regel 3

Darstellung von Brüchen des Typs 2/nmithilfe von Stammbrüchen Alle Brüche des Typs 2n mit ungeradem n lassen sich als Summe von zwei Stamm2 1 1 = m+1 + (2m+1)·(m+1) brüchen darstellen. Dabei gilt für n = 2m + 1: 2m+1 ◄ Zum Beweis von Regel 3 für ungerade n (also n = 2m + 1): 1 2 2 = 2m+2 ist der größtmögliche Stammbruch, der kleiner ist als 2m+1 . Damit gilt: m+1     2(m+1) 2 1 1 2 1 1 2m+1 = m+1 + 2m+1 − m+1 = m+1 + (2m+1)·(m+1) − (2m+1)·(m+1) = m+1 + 2m+1 1 (2m+1)·(m+1)

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.8: Die Rechnung im Beweis von Regel 3 kann auch „rückwärts“ erfolgen. (1) Setzen Sie fort:

1 2

+

1 6

=

1 2

  · 1 + 31 =

1 2

·

4 3

= 23,

1 3

+

1 15

=

1 3

  · 1 + 51 =

1 3

·

6 5

= 25,

+ = · 1+ 7 = · = . (2) Führen Sie die Rechnung allgemein durch. 1 4

1 28

1 4



 1

1 4

8 7

2 7

A 6.9: Wenden Sie die im Beweis von Regel 3 aufgestellte Formel an, um die 2 2 2 Brüche 11 , 13, 15 als Summe von zwei Stammbrüchen darzustellen. A 6.10: In der Tabelle des Rhind-Papyrus sind bei Brüchen, die man aus der Darstellung 23 = 21 + 61 durch Division erhalten kann, andere ägyptische Brüche auf1 2 1 1 1 1 2 + 42 + 30 geführt, als sich aus Regel 3 ergeben, z. B. 29 = 61 + 18 , 15 = 10 , 21 = 14 . Geben Sie auch weitere Zerlegungen dieses Typs an und vergleichen Sie diese mit den Darstellungen nach Regel 3. Was ist der Vorteil dieser Darstellungen? (vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Egyptian_fraction) A 6.11: Wenn es nur darum geht, überhaupt eine Zerlegung für einen Bruch vom anzugeben, dann braucht man nur Regel Typ 2n in lauter verschiedene Stammbrüche   1 1 anwenden, z. B. 23 = 31 + 31 = 13 + 14 + 12 . Wenden Sie diesen „Trick“ auf die Brüche 2n für n = 5, 7, 9 an.

6.7 Darstellung von Brüchen des Typs 3/n und 4/n als Summe von Stammbrüchen Betrachtet werden nur Brüche, bei denen der Nenner nicht durch 3 teilbar ist, da sonst gekürzt werden kann. An den Beispielen in der Tabelle von Abb. 6.3 lesen wir ab, dass man verschiedene Fälle unterscheiden muss.

6.7  Darstellung von Brüchen des Typs 3/n und 4/n als Summe von Stammbrüchen

127

Abb. 6.3   Beispiele von Stammbrüchen des Typs 3/n

• Bei den Brüchen in der linken Spalte ist der Nenner jeweils um 1 kleiner als ein Vielfaches von 3, d. h., der Nenner lässt sich darstellen als n = 3m − 1 mit m > 1. 3 3 Der größte Stammbruch, der kleiner ist als 3m−1 , ist m1 = 3m . Da m und 3m − 1 zueinander teilerfremd sind, ist das Produkt m ⋅ (3m − 1) der Hauptnenner des zweiten Summanden:  3  3 1 = m1 + 3m−1 − m1 = m1 + 3m−(3m−1) = m1 + m·(3m−1) 3m−1 m·(3m−1) Bei Anwendung des Fibonacci-Algorithmus erhält man also in diesen Fällen stets eine Zerlegung in zwei Stammbrüche. • Bei den Brüchen in der rechten Spalte ist der Nenner jeweils um 1 größer als ein Vielfaches von 3, d. h., der Nenner lässt sich darstellen als n = 3m + 1 mit m ≥ 1. 3 1 3 = 3m+3 , ist m+1 . Der größte Stammbruch, der kleiner ist als 3m+1 Die Nenner m + 1 und 3m + 1 sind aber nicht notwendig teilerfremd zueinander: Wenn m ungerade ist, sind m + 1 und 3m + 1 beide gerade, d. h., wenn m ungerade ist, kann der zweite Summand mit werden:  2 gekürzt 3·(m+1)−(3m+1) 3 1 3 1 1 2 1 + (m+1)·(3m+1) 3m+1 = m+1 + 3m+1 − m+1 = m+1 + (m+1)·(3m+1) = m+1 . Da gemäß Regel 3 jeder Bruch vom Typ 2n als Summe von zwei Stammbrüchen dargestellt werden kann, erhält man also bei Anwendung des Fibonacci-Algorithmus in diesen Fällen entweder eine Zerlegung in zwei oder in drei Stammbrüche. Zusammengefasst gilt also: Regel 4

Darstellung von Brüchen des Typs 3/nmithilfe von Stammbrüchen Die Brüche des Typs n3 lassen sich als Summe von zwei oder von drei Stammbrüchen darstellen. ◄

128

6  Ägyptische Brüche

Zahlreiche Mathematiker haben sich damit beschäftigt, weitere Eigenschaften der Darstellung von Brüchen mithilfe von Stammbrüchen herauszufinden. Paul Erdős (1913– 1996), einer der genialsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts – eine lesenswerte Biografie über ihn trägt den Titel „Der Mann, der die Zahlen liebte“ – versuchte beispielsweise, den folgenden Satz zu beweisen (gemeinsam mit Ernst Gabor Straus): Erdős-Straus-Vermutung

Darstellung von Brüchen des Typs 4/nmithilfe von Stammbrüchen Die Brüche des Typs n4 lassen sich als Summe von maximal drei Stammbrüchen darstellen. ◄ Mit Computerhilfe konnte gezeigt werden, dass der Satz für Brüche des Typs n4 für n < 1014 = 100.000.000.000.000 gilt, aber ein allgemeiner Beweis konnte bisher nicht geführt werden. Auch die vom polnischen Mathematiker Wacław Sierpiński (1882–1969) formulierte Vermutung, dass sich auch alle Brüche des Typs n5 als Summe von maximal drei Stammbrüchen darstellen lassen, ist bis heute unbewiesen; bisher wurde auch hier kein Gegenbeispiel gefunden. Bis heute ungeklärt ist auch, ob der Fibonacci-Algorithmus nach endlich vielen Schritten beendet ist, wenn man sich auf Stammbrüche mit ungeradem Nenner beschränkt (vgl. Beispiele in A 6.16). Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 6.12: Bei den Untersuchungen zu Regel 4 ergab sich, dass man für die Summendarstellung eines Bruchs vom Typ n3 drei Stammbrüche benötigt, wenn n = 3m + 1 und m eine gerade Zahl ist, d. h., wenn m als m = 2k dargestellt werden kann. Leiten Sie allgemein eine Summendarstellung für einen Bruch vom Typ 3 3 = 6k+1 her. (Wenden Sie dabei im zweiten Umformungsschritt Regel 3 an.) 3m+1 A 6.13: Alexander Henry Rhind erwarb auch eine Lederrolle (EMLR = Egyptian Mathematical Leather Roll), die vermutlich im 17. Jahrhundert vor Chr. cn findet man u. a. die folgenden Summendarstellungen:

1 1 1 1 1 1 = + b) = + 8 10 40 16 24 48 1 1 1 1 1 1 1 1 + d) = + + c) = + 4 7 14 28 7 14 21 42

a)

Überlegen Sie, wie man auf diese Beziehungen gekommen sein könnte. Entwickeln Sie ähnliche Summendarstellungen nach dem gleichen Prinzip.

6.7  Darstellung von Brüchen des Typs 3/n und 4/n als Summe von Stammbrüchen

129

A 6.14: Ron Knott gibt auf seiner Website (s. u.) die beiden folgenden Regeln an: 1 1 1 = a·(a+b) + b·(a+b) a) a·b 1 = b) a·b·c

1 a·(ab+ bc+ ca)

+

1 b·(ab+ bc+ ca)

+

1 c·(ab+ bc+ ca)

Weisen Sie die Richtigkeit dieser Regeln nach. Geben Sie Beispiele hierzu an. A 6.15: Wenn man eine Variante des Fibonacci-Algorithmus anwendet, bei der man als Summanden nur Stammbrüche mit ungeradem Nenner benutzt, können ziemlich lange Umformungsketten auftreten (vgl. die folgenden Beispiele). Sammeln Sie selbst Erfahrungen mit dieser Algorithmusvariante: Suchen Sie in Schritt 1 des Algorithmus nicht den größtmöglichen Stammbruch, der kleiner ist als ein vorgegebener Bruch ab, sondern den größtmöglichen Stammbruch mit ungeradem Nenner.   1 1 1 1 6−5 2 1 2 − = + = + = + 5 3 5 3 3 15 3 15     1 1 1 9−5 1 4 1 1 1 1 1 4−3 1 1 1 3 4 3 − = + = + + − = + + = + = + = + + 5 3 5 3 3 15 3 15 3 5 15 5 3 5 15 3 5 15   12 − 5 1 7 1 1 1 1 7−3 1 1 4 1 1 7 + = + = + + − = + + = + + 3 15 3 15 3 5 15 5 3 5 15 3 5 15     1 1 4 1 1 1 28 − 15 1 1 1 13 1 1 1 1 13 1 1 1 − = + + + = + + + + − = + + + = + + + 3 5 7 15 7 3 5 7 105 3 5 7 105 3 5 7 9 105 9   1 1 1 1 39 − 35 1 1 1 1 4 1 1 1 1 1 4 1 = + + + + = + + + + = + + + + + − 3 5 7 9 315 3 5 7 9 315 3 5 7 9 79 315 79 1 1 1 1 316 − 315 1 1 1 1 1 1 1 + = + + + + + = + + + + 3 5 7 9 79 24885 3 5 7 9 79 24885

4 1 = + 5 3



1 4 − 5 3



=

A 6.16: Wie in Kap. 1 gezeigt wurde, wächst die harmonische Reihe, also die Teilsummenfolge der Stammbrüche, über alle Grenzen hinaus. Die Summe der ersten drei Stammbrüche ist schon größer als 1. Die einzige Möglichkeit, mit den Summanden der harmonischen Reihe genau die Summe 1 zu erhalten, ist 1 + 13 + 61 = 3+2+1 = 1. 2 6 Bestimmen Sie alle sechs Möglichkeiten, die Summe 1 mithilfe von vier verschiedenen Stammbrüchen zu erhalten. Hinweis: Man kann zeigen, dass es 72 Möglichkeiten gibt, die Summe 1 mithilfe von fünf verschiedenen Stammbrüchen darzustellen, und 2320 Möglichkeiten für sechs verschiedene Stammbrüche (vgl. http://oeis.org/A006585). 9 A 6.17: Da die Brüche 67, 78, 89 und 10 größer sind als 21 + 13 = 65, ist es leicht nachvollziehbar, dass es keine Summendarstellung dieser Brüche mit nur zwei Stammbrüchen geben kann.

130

6  Ägyptische Brüche

a) Stellen Sie diese Brüche als ägyptische Brüche dar. b) Man kann zeigen, dass eine ägyptische Bruchdarstellung für die Brüche 10 , 11 12 13 15 16 , , aus jeweils mindestens vier Summanden bestehen muss, für aus 13 14 16 17 mindestens fünf Summanden. Finden Sie diese heraus. Für die Darstellung der 11 Brüche 12 und 14 genügen drei Summanden. Welche sind das? 15 A 6.18: Im Jahr 1858 veröffentlichte der deutsche Mathematiker Moritz Abraham Stern (1807–1894) ein Verfahren, mit dem man alle positiven rationalen Zahlen erfassen kann, vgl. hierzu [Strick, H. K. (2020): Mathematik – einfach genial, Springer, Heidelberg, Kap. 18]. Die folgende Abbildung zeigt die ersten Stufen eines Baumdiagramms, des sog. Stern-Brocot-Baums. Diese Stufen werden in der Literatur häufig als Generationen bezeichnet. Natürliche Zahlen werden in diesem Schema als Brüche mit Nenner 1 notiert.

Ein Element der „Eltern“-Generation erhält man, indem man den Medianten der beiden zugehörigen „Kinder“ bildet. Der Mediant zweier Brüche x1 = ab, x2 = dc ist definiert als ein Bruch, dessen Zähler sich aus der Summe a + c der beiden Zähler ergibt und dessen Nenner a+c gleich der Summe b + d der Nenner der beiden Brüche ist: m( ab ; dc ) = b+d . Der a c a c a c Mediant m( b ; d ) zweier Brüche b, d mit b < d liegt stets zwischen diesen beiden a+c < dc . Brüchen: ab < b+d Die Bestimmung der „Kinder“ der nächsten Generation ist auch möglich, wenn man alle bisher betrachteten Vorgänger-Generationen berücksichtigt, vgl. die folgende Abb. Den Bruch 35 erhält man, indem man den Medianten der beiden links und rechts oberhalb stehenden Brüche bildet, hier also m( 21 ; 23 ) = 35, vgl. folgende Abb. In dieser Tabelle werden zu Beginn formal die Brüche 01 = 0 und 01 = ∞ ergänzt.

6.7  Darstellung von Brüchen des Typs 3/n und 4/n als Summe von Stammbrüchen

131

In den beiden folgenden Schemata sind nur die zwischen 0 und 21 bzw. zwischen 21 und 1 liegenden Brüche der ersten Generationen erfasst. Dabei sind die Stammbrüche selbst grün unterlegt; die Brüche, die sich als Summe von zwei Stammbrüchen darstellen lassen, jeweils gelb; die Brüche, für die man drei Stammbrüche benötigt, jeweils violett. a) Ermitteln Sie für die in der letzten Zeile stehenden Brüche jeweils eine mögliche Summendarstellung mit Stammbrüchen (ägyptische Brüche). b) Bestimmen Sie die „Kinder“ der nächsten Generation und deren Darstellung als ägyptische Brüche. c) Untersuchen Sie, wie sich die Anzahl der grün, gelb, violett unterlegten Felder von Generation zu Generation verändert.

132

6  Ägyptische Brüche

A 6.19: Was hat die folgende Geschichte, die es in zahlreichen Versionen gibt, mit den ägyptischen Brüchen zu tun? Finden Sie selbst ähnliche Probleme und lösen Sie sie auf. Ein reicher Mann hinterließ seinen drei Söhnen 17 Kamele. In seinem Testament hatte er festgelegt, dass der älteste Sohn die Hälfte, der zweitälteste ein Drittel und der jüngste ein Neuntel der Kamele erben solle. Da sie nicht wussten, wie sie die Bestimmungen des Testaments umsetzen sollten, fragten die Söhne einen weisen Mann um Rat. Dieser gab ihnen sein eigenes Kamel hinzu, und tatsächlich: Damit ließ sich das Problem ganz einfach lösen … Und zu guter Letzt erhielt der weise Mann sein Kamel wieder zurück.

6.8 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Stammbruch (Unit fraction/Egyptian fraction, Fraction unitaire/Fraction égyptienne) • Papyrus Rhind (Rhind Mathematical Papyrus, Papyrus Rhind) • nur in Englisch: Greedy algorithm for Egyptian fractions Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Egyptian Fraction, Egyptian Number, Unit Fraction, Rhind Papyrus, Egyptian Mathematical Leather Roll Die wohl umfassendste Website zum Thema „Ägyptische Brüche“ findet man unter: • http://www.maths.surrey.ac.uk/hosted-sites/R.Knott/Fractions/egyptian.html

7

Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

„Ein Weiser schätzt kein Spiel, wo nur der Zufall regiert.“ (Gotthold Ephraim Lessing, deutscher Dichter und Philosoph, 1729–1781)

Von einem Spiel erwartet man eigentlich, dass es fair ist, d. h., dass auf lange Sicht alle Spielteilnehmer die gleichen Chancen haben, das Spiel zu gewinnen. In diesem Kapitel werden Spiele vorgestellt, bei denen nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, dass die Person, die mit dem Spiel beginnt, im Nachteil ist.

7.1 Nicht-transitive Würfel Die Idee zu dem folgenden Würfelspiel für zwei Personen stammt vom amerikanischen Statistiker Bradley Efron.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_7

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134

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

7.1.1 Die Efron’schen Würfel Zum Spiel gehören vier Würfel mit besonderen Beschriftungen, die sogenannten Efron’schen Würfel:

Spielregel: Der erste Spieler wählt einen der vier Würfel aus. Der zweite Spieler trifft dann seine Auswahl unter den übrig gebliebenen drei Würfeln. Dann werfen die beiden Spieler ihre Würfel. Der Spieler, dessen Würfel die höhere Augenzahl zeigt, erhält einen Punkt. Vor dem Spiel muss noch eine Gewinnregel verabredet werden, beispielsweise: Das Spiel gewonnen hat, • wer als erster 10 Punkte erreicht oder • wer nach 15 Runden die höhere Zahl von Punkten hat (oder nach einer anderen ungeraden Rundenzahl). Bei diesem Würfelspiel wird in jeder Runde ein Punkt vergeben, weil es nicht vorkommen kann, dass die beiden Würfel die gleiche Augenzahl zeigen. Das Spiel mit den Efron’schen Würfeln ist nicht fair Um diese Bewertung nachvollziehen zu können, betrachte man zunächst einmal die Kombinationstafeln der möglichen Augenzahlen von je zwei Würfeln. Um je zwei der vier Würfel miteinander zu vergleichen, muss man insgesamt sechs Fälle betrachten.

7.1  Nicht-transitive Würfel

135

Hat beispielsweise einer der Spieler den orangefarbenen Würfel gewählt und der andere den gelben Würfel, dann kann man an der Kombinationstafel der einzelnen Augenzahlen ablesen, dass in 12 von 36 Fällen der Spieler mit dem gelben Würfel im Vorteil ist, in 24 Fällen aber der Spieler mit dem orangefarbenen Würfel.

Wie die Chancen bei den sechs möglichen Würfelkombinationen verteilt sind, kann man der folgenden Tabelle entnehmen.

Hat sich beispielsweise der erste Spieler dafür entschieden, sein Spiel mit dem orangefarbenen Würfel zu machen, dann kann sich der zweite Spieler für den blauen Würfel entscheiden und hat einen großen Vorteil (auch bei der Wahl des grünen Würfels hätte der zweite Spieler die größeren Chancen zu gewinnen). Würde aber der erste Spieler den blauen Würfel nehmen, dann würde er wohl die Mehrzahl der Runden gegen den zweiten Spieler verlieren, wenn dieser sich für den grünen Würfel entscheidet. Wenn der erste Spieler den grünen Würfel nimmt, dann unterliegt er meistens dem zweiten Spieler, wenn dieser den gelben Würfel wählt.

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7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Und schließlich wäre auch der gelbe Würfel für den ersten Spieler keine gute Wahl, denn in den meisten Fällen könnte er besiegt werden, wenn sich der zweite Spieler für den orangefarbenen Würfel entscheidet. Fazit: Egal für welchen Würfel sich der erste Spieler entscheidet – der zweite Spieler kann sich einen Würfel aussuchen, mit dem er in den meisten Fällen eine höhere Augenzahl als der erste Spieler erzielt. Der zweite Spieler ist bei der Wahl des Würfels im Vorteil! Diese bemerkenswerte Eigenschaft der Efron’schen Würfel wird als Intransitivität oder Nicht-Transitivität bezeichnet. Aus der Arithmetik kennen wir: Hat man mehrere voneinander verschiedene Zahlen, dann kann man eindeutig sagen, welche Zahl die größte, die zweitgrößte usw. und welche die kleinste ist. Betrachtet man drei voneinander verschiedene Zahlen a, b, c und vergleicht je zwei Zahlen miteinander, dann gilt: Regel

Transitivitätder Größer/Kleiner-Relation Gelten für drei Zahlen a, b, c die Bedingungen a < b und b < c, dann folgt auch a < c. ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.1: Die Beziehung zwischen zwei natürlichen Zahlen „… ist ein Teiler von …“ ist ebenfalls eine transitive Relation. Erläutern Sie.

Die Efron’schen Würfel sind nicht transitiv, denn beispielsweise kann man aus den beiden Eigenschaften Orange ist günstiger als Gelb und Gelb ist günstiger als Grün nicht schließen, dass gilt: Orange ist günstiger als Grün. Notiert man die Eigenschaft … ist günstiger als … symbolisch mit dem -Zeichen, dann gilt für die Efron’schen Würfel die folgende Intransitivitätskette: Orange Gelb Grün Blau Orange Dies ist in der folgenden Grafik veranschaulicht.

7.1  Nicht-transitive Würfel

137

Da es sechs Vergleichsmöglichkeiten der vier Efron’schen Würfel gibt, könnte man hier auch noch die beiden fehlenden Kombinationen Blau – Gelb und Grün – Orange als „Diagonalen“ einzeichnen. Die Verbindung zwischen Grün und Orange müsste man dabei mit grüner Farbe ausfüllen, die Verbindung zwischen Gelb und Blau bleibt neutral ungefärbt. Es erscheint uns paradox, dass beim Würfeln mit den Efron’schen Würfeln der zweite Spieler im Vorteil ist. Denn eigentlich würde man vermuten, dass der erste Spieler, der sich ja den Würfel auswählen kann, in der günstigeren Situation ist. Das Spiel mit zwei der Efron’schen Würfel wäre nur dann fair, wenn einer der Spieler den gelben Würfel nehmen müsste und der andere den blauen. Was wäre das aber für ein langweiliges Spiel: Der eine Würfel zeigt immer Augenzahl 3 und der andere entweder Augenzahl 1 oder Augenzahl 5. Übrigens: Intransitivität läge eigentlich auch bei dem bekannten Spiel „Schere – Papier – Stein“ vor. Allerdings ist es bei diesem Spiel wichtig, dass beide Spieler gleichzeitig eine der drei Möglichkeiten wählen und nicht nacheinander, d. h., der „zweite“ Spieler kann sich hier nicht auf die Wahl des „ersten“ Spielers einstellen.

Veränderte Beschriftung der Efron’schen Würfel Dass auf den vier Efron’schen Würfeln jeweils zwei oder mehr Flächen mit den gleichen Augenzahlen beschriftet sind, kann man vermeiden, indem man die insgesamt 24 Flächen neu nummeriert (vgl. die folgende Abbildung): • • • • • • •

2 x Augenzahl 0 wird ersetzt durch die Augenzahlen 1, 2, 3 x Augenzahl 1 durch die Augenzahlen 3, 4, 5, 4 x Augenzahl 2 durch die Augenzahlen 6, 7, 8, 9, 6 x Augenzahl 3 durch die Augenzahlen 10, 11, 12, 13, 14, 15, 4 x Augenzahl 4 durch die Augenzahlen 16, 17, 18, 19, 3 x Augenzahl 5 durch die Augenzahlen 20, 21, 22, 2 x Augenzahl 6 durch die Augenzahlen 23, 24.

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7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.2: Begründen Sie: Verwendet man für das Würfelspiel nur den orangefarbenen, den gelben und den grünen Efron’schen Würfel, dann ist auch dies kein faires Spiel. A 7.3: Wenn man die Auswahl zwischen den vier Efron’schen Würfeln hat, könnte man beim Vergleich der Augenzahlen auf die Idee kommen, dass der grüne Würfel der günstigste ist, denn auf diesem Würfel ist die mittlere Augensumme am höchsten. Dieser Eindruck entsteht nicht, wenn die vier Würfel wie folgt beschriftet werden: • • • •

orangefarbener: viermal Augenzahl 6, zweimal Augenzahl 0 gelber: sechsmal Augenzahl 4 grüner: zweimal Augenzahl 8, viermal Augenzahl 2 blauer: je dreimal Augenzahl 1 und 7

Zeigen Sie, dass es hinsichtlich der Nicht-Transitivität der so beschrifteten Würfel keinen Unterschied zu den Efron’schen Würfeln gibt. A 7.4: Efron entdeckte selbst noch zwei weitere nicht-transitive Würfelkombinationen. Untersuchen Sie, welche Beziehungen hier jeweils zwischen den vier Würfeln vorliegen. • Efron-2: (2, 3, 3, 9, 10, 11); (0, 1, 7, 8, 8, 8); (5, 5, 6, 6, 6, 6); (4, 4, 4, 4, 12, 12) • Efron-3: (1, 2, 3, 9, 10, 11); (0, 1, 7, 8, 8, 9); (5, 5, 6, 6, 7, 7); (3, 4, 4, 5, 11, 12)

7.1  Nicht-transitive Würfel

139

7.1.2 Nicht-transitive Glücksräder Die folgende Abbildung zeigt drei Glücksräder A (oberer Sektor grün), B (oberer Sektor blau), C (oberer Sektor rosa), auf deren Sektoren die Zahlen von 1 bis 9 stehen. Bei allen drei Glücksrädern ist der Mittelwert der Punktzahlen gleich und beträgt 1 · + 6 + 8) = 31 · (2 + 4 + 9) = 13 · (3 + 5 + 7) = 5. 3 (1

Wir untersuchen auch hier mithilfe der Kombinationstabellen, welche Gewinnchancen sich beim Vergleich von jeweils zwei Glücksrädern ergeben.

Auch diese Glücksräder erweisen sich als nicht-transitiv. Offensichtlich gilt die folgende Intransitivitätskette: Blau Grün Rosa Blau Die Gewinnchancen betragen jeweils 5:4. Spiel mit drei Personen Was ergibt sich, wenn drei Personen mitspielen? (Ein Spiel mit drei Teilnehmern könnte so ablaufen: Der Erste setzt auf ein Glücksrad seiner Wahl, der Zweite dann auf eines der beiden übrigen, der Dritte auf das verbleibende Glücksrad.) Welches Glücksrad erweist sich dann als das günstigste? Hier sind insgesamt 3 ⋅ 3 ⋅ 3 = 27 mögliche Ergebnisse zu betrachten. In der folgenden Tabelle werden die 3 ⋅ 3 = 9 Kombinationen der Glücksräder B und C (vgl. letzte Grafik rechts) als Paare (2|3), …, (9|7) mit den möglichen Ergebnissen des Glücksrads A verglichen.

140

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Aus der Tabelle ergeben sich folgende Gewinnwahrscheinlichkeiten: 7 ; P(B) = 10 ; P(C) = 27 P(A) = 10 27 27 Ein Spiel mit Glücksrad C erweist sich als ungünstig; setzt man auf die Glücksräder A oder B, dann hat man bessere Chancen zu gewinnen. Zweifaches Drehen der Glücksräder Die Spielregel wird dahingehend geändert, dass das gewählte Glücksrad zweimal gedreht wird. Entscheidend für den Gewinn einer Spielrunde ist dann die Summe der Punkte in den Sektoren. Welches Glücksrad liegt jetzt vorne? Um die Chancen zu vergleichen, muss zunächst ermittelt werden, welche Summen bei den drei Glücksrädern auftreten können. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Punktsummen kann man ebenfalls mithilfe der Kombinationstabellen bestimmen.

Alternativ bietet sich die Anwendung von sog. erzeugenden Funktionen an (vgl. Mathematik ist schön, Abschn. 12.7). Die erzeugende Funktion f1 für das grüne Glücksrad ist f1 (x) = 13 · (x 1 + x 6 + x 8 ) – die in den Sektoren des Glücksrads eingetragenen Punktzahlen stehen jeweils in den Exponenten der Potenzen von x. Hieraus ergibt sich

f12 (x) = =

1 9 1 9

· (x 1 + x 6 + x 8 )2 =

1 9 9

· (x 2 + x 12 + x 16 + 2 · x 7 + 2 · x 9 + 2 · x 14 )

· (x 2 + 2 · x 7 + 2 · x + x 12 + 2 · x 14 + x 16 )

7.1  Nicht-transitive Würfel

141

als erzeugende Funktion für die Verteilung der Punktsummen beim zweifachen Drehen des Glücksrad, d. h., die Punktsummen 2, 12 und 16 treten mit Wahrscheinlichkeit 19 auf, die Punktsummen 7, 9, 14 mit Wahrscheinlichkeit 29. Entsprechend folgt für die beiden anderen Glücksräder. f22 (x) = 19 · (x 2 + x 4 + x 9 )2 = 91 · (x 4 + 2 · x 6 + x 8 + 2 · x 11 + 2 · x 13 + x 18 ) und f32 (x) = 19 · (x 3 + x 5 + x 7 )2 = 91 · (x 6 + 2 · x 8 + 3 · x 10 + 2 · x 12 + x 14 ). Einige Summenwerte treten also mehrfach auf; daher müssen sie in den folgenden Vergleichstabellen auch entsprechend mehrfach berücksichtigt werden.

Beim Vergleich zweimal Grün mit zweimal Blau ergibt sich: In 44 von 81 Fällen zeigt das zweifach gedrehte Glücksrad A (Grün) die höhere Punktsumme, nur in 37 Fällen das Glücksrad B (Blau). Bei den beiden anderen Vergleichen kann es vorkommen (weiße Felder), dass sich gleiche Punktsummen ergeben; dann müssen die beiden Glücksräder erneut gedreht werden. Beim Vergleich zweimal Grün mit zweimal Rosa ergibt sich: In 39 von 77 Fällen zeigt das zweifach gedrehte Glücksrad A (Grün) die höhere Punktsumme, aber in 38 Fällen das Glücksrad C (Rosa). Beim Vergleich zweimal Blau mit zweimal Rosa ergibt sich: In 38 von 77 Fällen zeigt das zweifach gedrehte Glücksrad B (Blau) die höhere Punktsumme, aber in 39 Fällen das Glücksrad C (Rosa). Wenn die Glücksräder zweimal gedreht werden, liegt also keine Intransitivität vor. Im direkten Vergleich von je zwei Glücksrädern hat man mit Glücksrad A (Grün) minimale Vorteile gegenüber den Glücksrädern B (Blau) und C (Rosa). Beim Vergleich von B mit C erweist sich C als günstiger. Es gilt also eine Transitivitätskette: zweimal Grün (A) zweimal Rosa (C) zweimal Blau (B)

142

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.5: Die oben betrachteten drei Glücksräder können auch wie folgt mit den Zahlen von 1 bis 9 beschriftet werden: A: (2, 6, 7), B: (1, 5, 9), C: (3, 4, 8). Untersuchen Sie auch hier die Gewinnchancen … 1. beim Vergleich von je zwei Glücksrädern, 2. bei einem Spiel mit drei Teilnehmern, 3. bei einem Spiel, bei dem die Glücksräder zweimal gedreht werden.

Das Blyth-Paradoxon Der amerikanische Mathematiker Colin R. Blyth veröffentlichte 1972 einen Aufsatz, in dem er drei Nicht-Laplace-Würfel mit merkwürdigen Eigenschaften vorstellte – er nannte dieses Phänomen Pairwise-worst-best Paradox. Statt der unsymmetrischen ­Blyth-Würfel betrachtete Martin Gardner 1976 in einem Beitrag im Scientific American drei Glücksräder, an denen die Eigenschaften leichter veranschaulicht werden können. Die Kreisfläche bei Glücksrad A ist nicht unterteilt und zeigt die „Augenzahl“ 3 an. Bei Glücksrad B gibt es zwei gleich große Sektoren, die jeweils 22 % der Gesamtfläche des Kreises ausmachen und die „Augenzahlen“ 4 bzw. 6 tragen; die restliche Fläche trägt die „Augenzahl“ 2. Bei Glücksrad C ist die Fläche mit „Augenzahl“ 1 nur geringfügig größer als der Sektor mit „Augenzahl“ 5 – das Flächenverhältnis beträgt 51 % zu 49 % (vgl. die folgenden Abbildungen).

Offensichtlich gilt: A B und B C und auch A C, d. h., die Transitivität der Relation ist gewährleistet. Bei einem Zwei-PersonenSpiel ist die Person, die auf Glücksrad A setzt, gegenüber beiden anderen Spielern (Glücksrädern) im Vorteil; und Glücksrad B ist günstiger als Glücksrad C. Es gilt also die Transitivitätskette A B C. Wenn man aber das Spiel mit drei Personen spielt, dann stellt sich Glücksrad C als das günstigste und Glücksrad A als das ungünstigste heraus!

7.1  Nicht-transitive Würfel

143

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.6: 1. Bestimmen Sie die einzelnen Wahrscheinlichkeiten, mit denen man bei den drei möglichen Zwei-Personen-Spielen mit Blyth-Gardner-Glücksrädern gewinnt. 2. Bestimmen Sie die Gewinnwahrscheinlichkeiten für ein Drei-Personen-Spiel. 3. Das Blyth-Paradoxon bleibt erhalten, wenn man die Flächenanteile auf den Glücksrädern B und C leicht verändert. Untersuchen Sie mögliche Variationsbreiten.

7.1.3 Weitere nicht-transitive Würfel Seit der Veröffentlichung eines Beitrags von Martin Gardner im Scientific American im Jahr 1970 haben sich viele Menschen damit beschäftigt, weitere nicht-transitive Würfel mit besonderen Eigenschaften zu finden, darunter der englische Mathematiker James Grime, der niederländische Spiele-Erfinder Oskar van Deventer und der österreichische Physiker Michael Winkelmann. Im Folgenden werden einige dieser Ideen vorgestellt. Weitere Ausführungen entnehme man den Hinweisen auf weiterführende Literatur am Ende des Kapitels. Die folgende Abbildung zeigt die fünf nicht-transitiven Würfel von James Grime.

Das Besondere an diesen Würfeln ist die Tatsache, dass sie zwei Intransitivitätsketten bilden, nämlich • Blue Magenta Olive Red Yellow • Red Blue Olive Yellow Magenta

Blue und Red.

Stellt man diese Ketten in Form eines Fünfeck-Diagramms dar, dann bilden die Verbindungsstrecken einerseits die Seiten des Fünfecks, andererseits die Seiten eines fünfzackigen Sterns. In der Grafik zu Beginn des Kapitels sind die Ketten in der Anordnung vertauscht (erste Kette als Stern, zweite Kette als Fünfeck).

144

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Die Würfel von Grime haben außerdem die Eigenschaft, dass sich die Richtung der zweiten Kette umkehrt, wenn man die Würfel zweimal wirft und die Augensumme bildet.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.7: Untersuchen Sie die fünf nicht-transitiven Würfel von James Grime: 1. Wie viele Kombinationstabellen müssen für den Vergleich angelegt werden? 2. Weisen Sie nach, dass die oben beschriebenen Intransitivitätsketten gelten, und bestimmen Sie die jeweiligen Gewinnchancen. 3. Zeigen Sie: Betrachtet man nur die Würfel red, blue und olive, dann bilden diese eine eigene Intransitivitätskette, deren Richtung sich umkehrt, wenn man zweimal würfelt und die Augensummen vergleicht. 4. Untersuchen Sie ein Spiel für drei Personen mit den Würfeln red, blue und olive.

Oskar van Deventer entwickelte für ein Spiel mit drei Personen ein Set aus sieben Würfeln, die alle eine gleiche mittlere Augenzahl von 11 haben: • Dev1: (2, 2, 14, 14, 17, 17); Dev2: (7, 7, 10, 10, 16, 16); Dev3: (5, 5, 13, 13, 15, 15); • Dev4: (3, 3, 9, 9, 21, 21); Dev5: (1, 1, 12, 12, 20, 20); Dev6: (6, 6, 8, 8, 19, 19); • Dev7: (4, 4, 11, 11, 18, 18)

7.1  Nicht-transitive Würfel

145

Das Besondere an diesem Würfelset ist: Jeder der Würfel ist günstiger als drei andere Würfel des Sets. Im Einzelnen gilt: • • • • • • •

Dev1 ist günstiger als Dev2, Dev3, Dev5. Dev2 ist günstiger als Dev3, Dev4, Dev6. Dev3 ist günstiger als Dev4, Dev5, Dev7. Dev4 ist günstiger als Dev1, Dev5, Dev6. Dev5 ist günstiger als Dev2, Dev6, Dev7. Dev6 ist günstiger als Dev1, Dev3, Dev7. Dev7 ist günstiger als Dev1, Dev2, Dev4.

Konsequenz: Wenn drei Personen mitspielen, kann die dritte Person stets einen Würfel wählen, mit dem sie gegenüber den anderen beiden im Vorteil ist.

A 7.8: Der Nachweis der angegebenen Eigenschaften der sieben ­Deventer-Würfel ist aufwendig  – für Spiele mit drei Personen sind insgesamt 21 DreierKombinationen von Würfeln zu überprüfen. Betrachten Sie statt der Deventer-Würfel die Glücksräder G1 bis G7 mit jeweils drei gleich großen Sektoren: G1: (2, 14, 17); G2: (7, 10, 16); G3: (5, 13, 15); …; G7: (4, 11, 18) Überprüfen Sie die Richtigkeit der Aussage „G1 ist günstiger als G2, G3, G5“ und bestimmen Sie die jeweiligen Gewinnchancen. Die bisher betrachteten Würfelsets waren so angelegt, dass es bei den einzelnen Spielrunden sofort feststeht, welcher der Teilnehmer die Runde gewinnt. 1975 veröffentlichte der österreichische Physiker Michael Winkelmann zwei Sätze seiner MiWin-Würfel, bei denen es beim Würfeln auch zu einem Patt kommen kann, weil gleiche Augenzahlen fallen – dann muss noch einmal gewürfelt werden. MiWin-1: A: (1, 2, 5, 6, 7, 9); B: (1, 3, 4, 5, 8, 9); C: (2, 3, 4, 6, 7, 8) MiWin-2: D: (1, 3, 5, 6, 7, 8); E: (1, 2, 4, 6, 8, 9); F: (2, 3, 4, 5, 7, 9)

A 7.9: Zeigen Sie: Mit jedem der Würfel eines Winkelmann-Sets gewinnt man und verliert mit einer gegen die beiden anderen mit einer Wahrscheinlichkeit von 17 36 3 Wahrscheinlichkeit von 16 ; mit einer Wahrscheinlichkeit von muss neu gewürfelt 36 36 werden.

Auf der englischen Wikipedia-Seite findet man auch Hinweise auf ­ nicht-transitive Dodekaeder-Würfel, die von Winkelmann entwickelt wurden, sowie auf TetraederWürfel (vgl. auch A 7.9).

146

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

A 7.10: Zeigen Sie, dass ein Spiel mit drei Tetraedern, deren Netze im Folgenden abgebildet sind, ebenfalls nicht fair ist. (Hinweis: Auf dem roten Tetraeder ist dreimal die Augenzahl 6 eingetragen.)

A 7.11: Von Helmut Mertes stammen die folgenden Vorschläge für ­nicht-transitive Tetraeder und Hexaeder. a) Die Flächen von vier regelmäßigen Tetraedern werden wie folgt beschriftet: A: (1, 5, 8, 8), B: (2, 2, 9, 9), C: (3, 3, 6, 10), D: (4, 4, 7, 7). Zeigen Sie, dass man mit den angegebenen Tetraedern die in der folgenden Tabelle angegebenen Gewinnchancen hat, und stellen Sie die zugehörige Intransitivitätskette auf.

Man kann die vier Tetraeder auch so beschriften, dass keine Augenzahl doppelt vorkommt. Wie könnte diese Beschriftung dann beispielsweise aussehen? b) Auch andere Kombinationen mit jeweils vier nicht-transitiven Würfeln haben die Eigenschaft, dass in der Tabelle (außer 1 : 1) nur „gleichartige“ Gewinnchancen auftreten. Zeigen Sie, dass für die vier Würfel mit den Beschriftungen. A: (1, 1, 7, 9, 9, 12), B: (2, 2, 2, 10, 10, 13), C: (3, 3, 3, 5, 11, 11), D: (4, 4, 6, 6, 8, 8) die in der folgenden Tabelle angegebenen Gewinnchancen gelten. Welche Intransitivitätskette ergibt sich hieraus?

7.2  Penney’s Game

147

c) Ermitteln Sie die Gewinnchancen bzgl. der vier Würfel mit den Beschriftungen A: (1, 6, 14, 17, 18, 19), B: (2, 3, 7, 20, 21, 22), C: (4, 5, 8, 11, 23, 24), D: (9, 10, 12, 13, 15, 16).

7.2 Penney’s Game Münzwürf e gehören zu den klassischen Zufallsversuchen, bei denen kein Grund erkennbar ist, warum man dem einen Ergebnis Wappen (W) eine höhere Wahrscheinlichkeit zuordnen soll als dem anderen Ergebnis Zahl (Z) und umgekehrt. Bei seinen Wahrscheinlichkeitsberechnungen ging der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace (1749–1827) zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den folgenden (später nach ihm benannten) Laplace-Wahrscheinlichkeiten aus:

P(Wappen) = P(Zahl) =

1 2

Laplace war allerdings nicht der Erste, der das Argument des fehlenden Grundes für den Ansatz der Gleichwahrscheinlichkeit verwendete; bereits hundert Jahre vor ihm hatte der im englischen Exil lebende französische Mathematiker Abraham de Moivre (1667–1754) dies wörtlich genauso formuliert. Da die Münzwürfe unabhängig voneinander durchgeführt werden, kann man den Zweier-Kombinationen WW, WZ, ZW und ZZ entsprechend jeweils die Wahrscheinlichkeit 41 zuordnen, den Dreier-Kombinationen WWW, WWZ, WZW, WZZ, ZWW, ZWZ, ZZW, ZZZ jeweils die Wahrscheinlichkeit 18 usw.

148

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

7.2.1 Ein Spiel mit Zweier-Kombinationen von Münzen Wir betrachten nun ein Spiel für zwei Personen, bei dem eine Münze wiederholt geworfen wird. Spielregel: Die beiden Spieler schließen eine Wette auf eine gewisse Abfolge von zwei aufeinanderfolgenden Münzwürfen ab. Gewonnen hat derjenige Spieler, dessen Abfolge zuerst eintritt. Beispielsweise wettet der erste Spieler auf die Zweier-Kombination WW, der andere auf ZW. Die beiden Ergebnisse eines Doppelwurfs haben die gleiche Wahrscheinlichkeit:

P(WW ) = P(ZW ) =

1 4

Haben beide Spieler tatsächlich die gleichen Chancen zu gewinnen? Das Protokoll einer Folge von 24 Münzwürfen könnte beispielsweise so aussehen:

In dieser Sequenz kommt das Ergebnis WW dreimal vor, das Ergebnis ZW siebenmal. Aber auf die Häufigkeit kommt es bei diesem Spiel tatsächlich nicht an. Der zweite Spieler gewinnt in diesem Fall das Spiel, da die Zweier-Kombination ZW vor der Zweier-Kombination WW aufgetreten ist.

Allerdings: Ist das hier betrachtete Beispiel untypisch? Wenn man bedenkt, dass es insgesamt 224 = 16.777.216 mögliche 24er-Münzwurffolgen gibt, könnte man einwenden, dass es einfach nicht angemessen ist, aus einem ­Beispiel Schlüsse zu ziehen. Aber ist es nicht irritierend, dass im Beispiel auch die Zweier-Kombination ZZ seltener vorkommt als die Kombinationen WZ und ZW?

7.2  Penney’s Game

149

Die Spielregel besagt jedenfalls, dass diejenige Zweier-Kombination gewinnt, die als Erste auftritt. Es wäre etwas anderes, wenn man stattdessen zwölf Doppelwürfe betrachten würde. Unterteilt man nämlich das Beispiel in zwölf Zweierblöcke, dann zählt man dreimal das Ergebnis WW, viermal WZ, zweimal ZW und dreimal ZZ, also nichts Ungewöhnliches.

Verfährt man gemäß der Spielregel, dann scheint die Abfolge ZW gegenüber der Abfolge WW im Vorteil zu sein. Gilt dies allgemein so oder nur in dem betrachteten Beispiel? Dies soll nun untersucht werden. Im folgenden Übergangsdiagramm sind die möglichen Zustände des Spielverlaufs ablesbar. Die Übergänge sind mit Pfeilen gekennzeichnet; an diesen stehen die Übergangswahrscheinlichkeiten (beim Münzwurf immer 0,5). In einem Übergangsdiagramm werden nur die Zustände notiert, die für den Spielverlauf entscheidend sind, also hier W, Z, WW und ZW. Wenn beispielsweise nach einem Wurf von W ein Wurf mit Z folgt, dann wird nicht der Zustand WZ betrachtet, sondern nur der neue Zustand Z, und wenn nach Z noch einmal Z fällt, dann nicht der Zustand ZZ, sondern nur der Zustand Z als Ausgangszustand für die nächste Runde.

Beim ersten Wurf fällt entweder W oder Z, beides mit der Wahrscheinlichkeit 21. Wenn im zweiten Wurf wieder W fällt, ist das Spiel zu Ende; der Spieler, der auf WW gesetzt hat, ist der Gewinner. Dieser Spielablauf hat daher die Wahrscheinlichkeit 1 1 · = 41 . 2 2 Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Spieler gewinnt, der auf ZW gesetzt hat, kann hier mithilfe der Komplementärregel der Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet werden:

P(ZW gewinnt) = 1 − P(WW gewinnt) = 1 −

3 1 1 · = 2 2 4

150

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Die Wahrscheinlichkeit P(ZW gewinnt) kann auch auf andere Weise berechnet werden: Wenn im zweiten Wurf Z fällt, wird der zweite Spieler auf jeden Fall das Spiel gewinnen, denn auch wenn jetzt noch mehrfach Z fällt, wird irgendwann W kommen (theoretisch kann das Spiel auch unendlich lange dauern). Ein Spiel, das zugunsten ZW endet, kann wie folgt verlaufen: • ZW oder ZZW oder ZZZW oder … • WZW oder WZZW oder WZZZW oder … Die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler gewinnt, der auf ZW setzt, ergibt sich hieraus auch als unendliche Summe: P(ZW gewinnt) = [P(ZW ) + P(ZZW ) + P(ZZZW ) + . . . ] + [P(WZW ) + P(WZZW ) + P(WZZZW ) + . . . ]     1 1 1 = 41 + 18 + 16 + . . . + 18 + 16 + 32 + . . . = 21 + 41 = 43

Dass der Spieler, der auf ZW setzt, im Vorteil ist, kann man auch ohne Rechnung am Übergangsdiagramm ablesen. Vom Zustand Z gibt es keine Möglichkeit mehr, zum Zustand W zu gelangen (was Voraussetzung für den Sieg des Spielers ist, der auf WW gesetzt hat), sondern nur die Möglichkeit, dass wieder Z fällt oder der Übergang zu ZW erfolgt. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.12: 1. Analysieren Sie die nachfolgend abgebildeten Übergangsdiagramme und bestimmen Sie die zugehörigen Gewinnwahrscheinlichkeiten. 2. Um eine Übersicht über alle möglichen Wettsituationen zu erhalten, müssen noch weitere Übergangsdiagramme erstellt werden. Zeichnen Sie diese und bestimmen Sie die zugehörigen Gewinnwahrscheinlichkeiten.

7.2  Penney’s Game

151

Aus den oben beschriebenen Berechnungen und den Untersuchungen von A 7.10 ergibt sich die folgende Übersicht: Regel

Wettenauf eine Zweier-Kombination von Münzwürfen Bei einem Münzwurf-Spiel kann man darauf wetten, dass eine der vier möglichen Zweier-Kombinationen WW, WZ, ZW, ZZ als Erste auftritt. Der zweite Spieler hat nur dann gegenüber dem ersten Spieler eine höhere Gewinnchance, wenn der erste Spieler auf WW oder ZZ setzt. Der zweite Spieler muss dann auf ZW bzw. auf WZ setzen. ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.13: Der Verlauf eines Wettspiels über Zweier-Kombinationen kann (gemäß einer Idee von Artur Engel) auch in Form eines sogenannten Wahrscheinlichkeitsabakus verfolgt werden. Im Kopf einer Tabelle notiert man die möglichen Zustände des Spiels. Dann legt man die Anzahl n der Spielrunden fest, nach denen erfahrungsgemäß die meisten Spiele beendet sind. Betrachtet werden dann 2n Spiele. In der Tabelle wird eingetragen, wie viele von diesen Spielen nach k Runden (k = 1, …, n, n + 1) erwartungsgemäß in welchem Zustand sind. In Abb. 7.1 wird der erwartete Verlauf von 128 Spielen betrachtet: • Nach dem ersten Wurf sind ungefähr je 64 dieser 128 Spiele im Zustand W bzw. Z. • In der zweiten Runde gehen ca. 32 Spiele vom Zustand W in die Zustände WW bzw. Z über, ca. 32 Spiele bleiben im Zustand Z, ca. 32 gehen vom Zustand Z in den Zustand ZW über usw. • In den letzten beiden Spalten ist festgehalten, mit welchen Anteilen die Spiele in den Endzuständen WW oder ZW sind. Die dort stehenden Werte nähern sich den gesuchten Gewinnwahrscheinlichkeiten für die Wetten auf WW bzw. ZW an. Untersuchen Sie das entsprechende ZZ-WZ-Wettspiel für 1024 Spiele. Hinweis: Die Erstellung eines Wahrscheinlichkeitsabakus mithilfe einer Tabellenkalkulation erleichtert mühsame Rechenarbeit.

152

7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Abb. 7.1   Wahrscheinlichkeitsabakus für das WW-ZW-Wettspiel

A 7.14: Mithilfe eines Wahrscheinlichkeitsabakus kann man auch die mittlere Dauer eines solchen Wettspiels ermitteln. An den Summen der Anteile der letzten beiden Spalten kann man beispielsweise in Abb. 7.1 ablesen, dass • 50 % der Spiele nach genau 2 Spielrunden beendet sind, • 75 % der Spiele nach maximal 3 Runden, also 25 % nach genau 3 Runden, • 87,5 % der Spiele nach maximal 4 Runden, also 12,5 % nach genau 4 Runden usw. Hieraus ergibt sich eine mittlere Spieldauer von m = 21 · 2 + 41 · 3 + 18 · 4 +

1 16

· 5 + ...

1. Zeigen Sie, dass für das ­WW-ZW-Wettspiel gilt: m = 3 (Tipp: vgl. A 2.9) 2. Bestimmen Sie die mittlere Spieldauer m für das entsprechende WW-ZZ-Spiel (WW-WZ-Wettspiel). Hinweis: Auch die Bestimmung der mittleren Spieldauer kann mithilfe einer Tabellenkalkulation erfolgen.

7.2.2 Ein Spiel mit Dreier-Kombinationen von Münzen Im Folgenden soll nun ein Wettspiel betrachtet werden, bei dem die beiden Spieler auf eine Dreier-Kombination von Münzen setzen, also auf zwei der acht möglichen Münzwurffolgen WWW, WWZ, WZW, WZZ, ZWW, ZWZ, ZZW, ZZZ. Das Spiel wurde 1969 vom amerikanischen Mathematiker Walter Penney vorgeschlagen und wird deshalb als Penney’s Game bezeichnet.

7.2  Penney’s Game

153

Beispiel

Der erste Spieler setzt darauf, dass die Abfolge WWW als Erste kommt, der zweite Spieler wettet mit ZWZ dagegen. Um das zum Spielablauf gehörende Übergangsdiagramm zu entwickeln, überlegen wir: • Der erste Spieler gewinnt, wenn nacheinander die Zustände W–WW–WWW auftreten. • Der zweite Spieler gewinnt, wenn nacheinander die Zustände Z–ZW–ZWZ kommen. Der Ablauf eines solchen Spiels kann erheblich komplizierter sein als bei einem Wettspiel mit einer Zweier-Kombination; folgt beispielsweise nach dem Zustand WW ein Münzwurf mit Z, dann fällt man wieder in den Zustand Z zurück. Da alle Übergangswahrscheinlichkeiten gleich 21 sind, wurden sie in der folgenden Grafik weggelassen. Um zum Zustand WWW zu gelangen, sind folgende Abläufe möglich: • • • •

in 3 Runden: WWW, in 4 Runden: ZWWW, in 5 Runden: WZWWW, ZZWWW, in 6 Runden: ZZZWWW, WWZWWW, WZZWWW usw.

Eine Vorgehensweise, wie sie bei den Zweier-Kombinationen noch leicht möglich war, ist hier nicht mehr angemessen. Für die weitere Rechnung beziehen wir alle Überlegungen auf den Zielzustand WWW. Hier gilt insbesondere: Die Wahrscheinlichkeit, vom Zustand WWW zum Zustand WWW zu gelangen, ist 1, und die, vom Zustand ZWZ zum Zustand WWW zu gelangen, ist 0.

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7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, • • • •

vom Zustand WW zum Zustand WWW zu gelangen, mit s, vom Zustand W zum Zustand WWW zu gelangen, mit t, vom Zustand Z zum Zustand WWW zu gelangen, mit u, vom Zustand ZW zum Zustand WWW zu gelangen, mit v,

dann ergibt sich aus dem Übergangsdiagramm und den o. a. Bezeichnungen ein Gleichungssystem: • Der Übergang vom Zustand WW zum Zustand Z und zum Zustand WWW erfolgt mit gleicher Wahrscheinlichkeit, also gilt s = 21 · u + 21 · 1. • Der Übergang vom Zustand W zum Zustand WW und zum Zustand Z erfolgt mit gleicher Wahrscheinlichkeit, also gilt t = 21 · s + 21 · u. • Der Übergang vom Zustand Z zum Zustand ZW und zum Zustand Z zurück erfolgt mit gleicher Wahrscheinlichkeit, also gilt u = 21 · v + 21 · u, d. h., es gilt 1 · u = 21 · v, also u = v. 2 • Der Übergang vom Zustand ZW zum Zustand WW und zum Zustand ZWZ erfolgt mit gleicher Wahrscheinlichkeit, also gilt v = 21 · s + 21 · 0 = 21 · s. Dieses Gleichungssystem mit vier Gleichungen kann man leicht auflösen: Wegen u = v und v = 21 · s folgt aus s = 21 · u + 21 · 1, dass gilt: s = 41 · s + 21, also 43 · s = 21, d. h. s = 23 Entsprechend ergibt sich weiter u = v = 31 sowie t = 21 · s + 21 · u = 13 + 61 = 21 . Die Wahrscheinlichkeit p, vom Start zum Zustand WWW zu gelangen, beträgt 5 p = 21 · t + 21 · u, also p = 21 · 21 + 21 · 31 = 12 . Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, vom Start zum Zustand ZWZ zu gelangen, 7 5 = 12 . gleich q = 1 − 12 Wenn der erste Spieler also auf WWW setzt, dann ist der zweite Spieler leicht im Vorteil, wenn er darauf wettet, dass zuerst ZWZ kommt.

Bei der Aufstellung des Gleichungssystems wurde Bezug genommen auf den Zustand, auf den der erste Spieler gewettet hatte. Es handelt sich dabei um einen Randzustand. Da das Spiel beendet ist, wenn ein solcher Randzustand erreicht ist, wird dieser auch als absorbierender Zustand bezeichnet. Die Gleichungen beziehen sich darauf, wie die einzelnen Zustände des Systems mit ihren Nachbarzuständen zusammenhängen. Dieser Zusammenhang wird als Mittelwertsregel bezeichnet.

7.2  Penney’s Game

155

Regel

Mittelwertsregel für Wahrscheinlichkeiten mit absorbierenden Zuständen Die Wahrscheinlichkeit, von einem inneren Zustand aus zu einem absorbierenden Zustand zu gelangen, ist gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten der über die benachbarten Zustände zum Rand führenden Wege. ◄ Die gerade für ein Beispiel durchgeführte Rechnung kann in ähnlicher Weise für alle anderen möglichen Kombinationen durchgeführt werden. Dabei ergeben sich die in Abb. 7.2 zusammengestellten Gewinnchancen. Obwohl also jede dieser acht Kombinationen des dreifachen Münzwurfs die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, sind die Gewinnchancen des zweiten Spielers immer größer als die des ersten – wenn dieser seine Wahl nach den in der Tabelle angegebenen Gewinnchancen trifft. Aus der Tabelle kann man entnehmen, dass das Tippen auf eine Dreier-Kombination paradox erscheinende Eigenschaften hat: • Egal wie der erste Spieler setzt, der zweite Spieler kann so wetten, dass er bessere Gewinnchancen hat. (Also: Der Zweite ist im Vorteil.) • Besonders ungünstig ist es für den ersten Spieler, wenn er auf WWW setzt (oder analog genauso schlecht auf ZZZ), denn dann hat der zweite Spieler fünf günstige Möglichkeiten, dagegen zu setzen. • Schlüsse nach dem Prinzip der Transitivität können falsch sein, z. B.: – Aus ZWW WWZ und WWZ ZWZ kann man nicht folgern: ZWW ZWZ (beide sind gleich günstig). – Aus WZZ ZZW und ZZW ZWZ kann man nicht folgern: WZZ ZWZ (beide sind gleich günstig). – Aus ZWW WWZ und WWZ WZW kann man nicht folgern: ZWW WZW (beide sind gleich günstig).

Abb. 7.2   Gewinnchancen beim Tipp auf eine Dreier-Kombination

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7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

– Aus WZZ ZZW und ZZW WZW kann man nicht folgern: WZZ WZW (beide sind gleich günstig). – Aus WWZ WZW und WZW WWW kann man nicht folgern: WWZ WWW (beide sind gleich günstig). – Aus ZZW ZWZ und ZWZ ZZZ kann man nicht folgern: ZZW ZZZ (beide sind gleich günstig). • Auch bei diesem Wettspiel existiert eine Intransitivitätskette: WWZ WZZ ZZW ZWW WWZ

Auch bei den Wettspielen mit Dreier-Kombinationen kann man die mittlere Dauer eines Spiels berechnen. Außer der Möglichkeit, dies näherungsweise mithilfe eines Wahrscheinlichkeitsabakus vorzunehmen, gibt es auch eine rechnerische Methode mithilfe eines Gleichungssystems (vgl. Literaturhinweise). Auch diese Werte erscheinen paradox: • Im Mittel benötigt man acht Würfe, bis die Dreier-Kombination WWZ auftritt, ebenso für ZZW, WZZ und ZZW, also im Durchschnitt gleich viele Würfe, obwohl doch gilt: WWZ WZZ, WZZ ZZW, ZZW ZWW und ZWW WWZ. • Im Mittel benötigt man zehn Würfe, bis die Dreier-Kombination WZW auftritt, ebenso für ZWZ, also im Durchschnitt zwei Würfe mehr als für die Dreier-Kombinationen WWZ, ZZW, WZZ, ZZW, obwohl doch gilt, dass WZW, WZZ und ZWW jeweils gleiche Chancen bei einem Spiel haben, ebenso wie ZWZ, WZZ und ZWW. • Am größten ist der Kontrast bei den Dreier-Kombinationen WWW und ZZZ, für die man im Mittel 14 Würfe benötigt. Dass man mit diesen Dreier-Kombinationen die gleichen Chancen hat wie beim Setzen auf WWZ bzw. ZZW, für die im Mittel nur acht Würfe benötigt werden, lässt sich auch hier nur mit der Besonderheit der Spielregel erklären.

7.3  Hinweise auf weiterführende Literatur

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Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 7.15: Untersuchen Sie die Gewinnchancen für die Dreier-Kombinationen WWW gegen ZWZ mithilfe eines Wahrscheinlichkeitsabakus. Berechnen Sie damit auch näherungsweise die mittlere Dauer eines Spiels. A 7.16: 1. Untersuchen Sie die Gewinnchancen des ersten und des zweiten Spielers bei anderen Dreier-Kombinationen und bestätigen Sie die Angaben aus Abb. 7.2. 2. Untersuchen Sie die Gewinnchancen mithilfe eines geeigneten Wahrscheinlichkeitsabakus. A 7.17: Wenn drei Personen mitspielen, darf die erste eine Dreier-Kombination auswählen, dann die zweite und zum Schluss die dritte. Gibt es hier eine Gewinnstrategie für die dritte Person? A 7.18: Untersuchen Sie die Gewinnchancen, wenn der eine Spieler auf eine Zweier-Kombination, der andere auf eine Dreier-Kombination setzt. A 7.19: Wenn man das Spiel mit einem Kartenspiel durchführt und darauf wettet, dass rote und schwarze Karten in einer gewissen Reihenfolge aus einem Kartenstapel ohne Zurücklegen gezogen werden, dann gelten die in Abb. 7.2 angegebenen Gewinnchancen nur näherungsweise. Führen Sie das Spiel durch.

7.3 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Intransitive Würfel (Nontransitive dice, Dés non transitifs) • nur in englischer Sprache: Penney’s Game Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Efron’s Dice, Coin tossing Zahlreiche weitere Anregungen enthalten die Websites von James Grime, Ivars Peterson, Ed Pegg und Michael Winkelmann: • • • •

http://singingbanana.com/dice/article.htm https://www.sciencenews.org/article/tricky-dice-revisited http://www.mathpuzzle.com/MAA/39-Tournament Dice/mathgames_07_11_05.html http://www.miwin.com/

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7  Spiele mit merkwürdigen Würfeln, Glücksrädern und Münzen

Drei Grafiken aus Abschn. 7.1 wurden (mit freundlicher Genehmigung des Autors) dem folgenden Beitrag entnommen: • Grime, J. (2017): The Bizarre World of Nontransitive Dice: Games for Two or More Players, The College Mathematics Journal, Mathematical Association of America (MAA), January 2017. Erläuterungen für die Verwendung eines Wahrscheinlichkeitsabakus findet man in: • Engel, A. (1975): Der Wahrscheinlichkeitsabakus, Der Mathematikunterricht 21(2), S. 70 ff., Klett, Stuttgart Die Berechnung der mittleren Dauer eines Spiels kann mithilfe einer weiteren Mittelwertsregel erfolgen, vgl. z. B.: • Strick, H. K. (2003): Markoff-Ketten, in Griesel, H. u. a.: Elemente der Mathematik, Leistungskurs Stochastik, Schroedel, Hannover, S. 289 ff.

8

Kürzeste Wege

„Wer die Geometrie begreift, vermag in dieser Welt alles zu verstehen.“ (Galileo Galilei, italienischer Physiker und Mathematiker, 1564–1642)

Der französische Mathematiker Pierre de Fermat (1607–1665) stellte dem italienischen Gelehrten Evangelista Torricelli (1608–1647) das folgende Problem: Welcher Punkt F eines Dreiecks ABC hat die Eigenschaft, dass die Summe der Abstände von F zu den drei Eckpunkten A, B, C minimal ist? Torricelli konnte das Problem lösen und sein Schüler Vincenzo Viviani (1622– 1703) veröffentlichte diese Lösung im Jahr 1659. In der Literatur findet man für den zu bestimmenden Punkt F daher sowohl die Bezeichnung Fermat-Punkt als auch Torricelli-Punkt. In diesem Kapitel wird zunächst an Dreiecken erläutert, wie man einen solchen Fermat-Punkt bestimmen kann. Bei Vierecken muss dann noch ein weiterer Hilfspunkt im Innern der Figur hinzugenommen werden, um die Summe der Abstände zu © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_8

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160

8  Kürzeste Wege

minimieren. Mithilfe eines geometrischen Verfahrens, bei dem die Erfahrungen mit den einfachen Figuren genutzt werden, können dann für beliebige n-Ecke n − 2 Hilfspunkte gefunden werden – wie beispielsweise für n = 7 bei der oben stehenden Abbildung.

8.1 Der Fermat-Punkt eines Dreiecks Die Konstruktion des Fermat-Punkts ist sehr einfach, da in diesem Fall die Verbindungsstrecken zu den drei Eckpunkten untereinander jeweils einen Winkel von 120° bilden. Satz

Konstruktion des Fermat-Punkts bei einem Dreieck Wenn im Dreieck ABC kein Winkel größer ist als 120°, dann errichtet man über jeder der Seiten a, b, c des Dreiecks ein gleichseitiges Dreieck und verbindet jeweils den nicht auf den Seiten a, b, c liegenden Eckpunkt A′, B′, C′ dieser gleichseitigen Dreiecke mit dem gegenüberliegenden Eckpunkt A, B, C des Ausgangsdreiecks. Diese Verbindungslinien verlaufen durch einen gemeinsamen Punkt F, den Fermat-Punkt des Dreiecks ABC. Für die Summe L der minimalen Abstände gilt: L = |AA′| = |BB′| = |CC′| . Die am Punkt F auftretenden Winkel haben alle eine Winkelgröße von 60°, d. h., die Verbindungslinien von F zu den drei Eckpunkten haben jeweils einen Winkel von 120°. ◄

Zum Beweis des Satzes Dem deutschen Mathematiker Joseph Ehrenfried Hofmann (1900–1973) verdanken wir den folgenden wunderschönen geometrischen Beweis (veröffentlicht 1929): Zunächst wählt man irgendeinen Punkt F im Innern des Dreiecks ABC, den man mit den Eckpunkten verbindet. Die Summe der Abstände des Punkts F von den Eckpunkten ergibt sich also aus den Längen der Strecken AF (blau), BF (grün) und CF (rot).

8.1  Der Fermat-Punkt eines Dreiecks

161

Im nächsten Schritt betrachtet man z. B. das Dreieck ABF, von dem zwei Seiten für die Summe der Abstände benötigt werden. Dreht man das Dreieck um 60° um den Punkt B, dann erhält man das kongruente Dreieck C′BF′. Wegen der Drehung um 60° entsteht ein gleichseitiges Dreieck F′BF, in dem also die Seite FF′ genauso lang ist wie die Seite BF. Da C′F′ genauso lang ist wie AF, ergibt sich ein Streckenzug C′ – F′ – F – C, dessen Gesamtlänge genauso groß ist wie die Summe der Abstände des Punkts F von den drei Eckpunkten A, B, C.

Die Länge des Streckenzugs ist genau dann minimal, wenn alle Teilstrecken C′F′, F′F und FC auf der Strecke C′C liegen, wenn also die vier Punkte C′, F′, F und C auf derselben Geraden liegen. Dies ist der Fall, wenn die beiden Winkel bei F′ zusammen einen Winkel von 180° ergeben, ebenso wie die beiden Winkel bei F: ∠(C′F′B) + ∠(BF′F) = 180° und ∠(BFC) + ∠(F′FB) = 180°. Daher folgt aus ∠(BF′F) = 60°, dass ∠(C′F′B) = 120° gilt, und aus ∠(F′FB) = 60° analog ∠(BFC) = 120°. Da ∠(C′F′B) genauso groß ist wie ∠(BFC), folgt, dass auch die anderen Winkel am Punkt F eine Winkelgröße von 120° haben. Diese Überlegungen kann man analog auch für die anderen beiden Seiten des Ausgangsdreiecks anstellen, dort gleichseitige Dreiecke errichten und die entsprechenden Verbindungslinien zeichnen. Der Fermat-Punkt ist der gemeinsame Punkt der drei Verbindungslinien.

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8  Kürzeste Wege

Alternative Konstruktionsmöglichkeit Gemäß dem Satz über Mittelpunkts- und Umfangswinkel ergänzen sich die Umfangswinkel über und unter einer Sehne eines Kreises zu 180°. ∠(BFA) = 120° und ∠(BC′A) = 60° liegen über bzw. unter der Sehne AB. Daher liegt der Punkt F auf dem Umkreis des gleichseitigen Dreiecks ABC′. Man kann den gesuchten Punkt also auch dadurch erhalten, dass man über einer Seite des Ausgangsdreiecks ABC ein gleichseitiges Dreieck errichtet und zu diesem den Umkreis zeichnet. Die Verbindungsstrecke des äußeren Eckpunkts des gleichseitigen Dreiecks mit dem gegenüberliegenden Eckpunkt des Ausgangsdreiecks schneidet den Umkreis des gleichseitigen Dreiecks im Punkt mit der gewünschten Minimaleigenschaft.

Als weitere Alternative besteht die Möglichkeit, die drei gleichseitigen Dreiecke und deren Umkreise zu zeichnen. Sonderfälle Wenn einer der Winkel des Ausgangsdreiecks eine Winkelgröße von 120° hat, dann verlaufen zwei der Verbindungslinien der äußeren Eckpunkte der gleichseitigen Dreiecke zu den gegenüberliegenden Eckpunkten auf den Seiten des Ausgangsdreiecks. In der folgenden links stehenden Abbildung ergibt sich also der Punkt C als Fermat-Punkt. Wenn im Dreieck ein Winkel mit einer Winkelgröße über 120° auftritt, macht die o. a. Konstruktion keinen Sinn, denn der gesuchte Punkt muss – gemäß der Fermat’schen Aufgabenstellung – ein Punkt des Dreiecks sein. Im Beispiel der rechts stehenden Abbildung bleibt deshalb C derjenige Punkt, zu dem die Summe der Abstände zu den drei Punkten minimal ist.

8.1  Der Fermat-Punkt eines Dreiecks

163

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.1: Zeigen Sie: Im rechtwinkligen Dreieck ABC  mit den √ Katheten a und b gilt für die Summe L der minimalen Abstände: L = a2 + 3 · ab + b2 . Welche speziellen Werte erhält man im Falle eines rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecks (also α = β = 45°)? Was ergibt sich, wenn α = 30°?

A 8.2: Zeigen Sie: 1. In einem Dreieck, bei dem keiner der Winkel größer ist als 120°, kann man allgemein die Summe L der kürzesten Verbindungen mithilfe des Kosinussatzes berechnen; dabei gilt:  ′ 2  ′ 2  ′ 2  ◦       L 2 = AA  = BB  = CC  = c2 + a2 − 2ca · cos β + 60   ◦ ◦ = a2 + b2 − 2ab · cos γ + 60 = b2 + c2 − 2bc · cos α + 60 2. Durch Anwendung des Additionstheorems für den Kosinus ergibt sich hieraus: √  1  L 2 = · a2 + b2 + c2 + bc · 3 · sin (α) 2 √  1  = · a2 + b2 + c2 + ca · 3 · sin (β) 2 √  1  = · a2 + b2 + c2 + ab · 3 · sin (γ ) 2

164

8  Kürzeste Wege

A 8.3: In einem Dreieck, bei dem keiner der Winkel größer ist als 120°, können auch die einzelnen Abstände u, v, w der Eckpunkte zum Fermat-Punkt mithilfe des Kosinussatzes bestimmt werden. Zeigen Sie, dass folgende Beziehungen gelten: a2 = v2 + w2 + vw; b2 = w2 + u2 + wu; c2 = u2 + v2 + uv

8.2 Ein minimales Wegenetz Das geometrische Problem der minimalen Abstandssumme hat eine praktische Anwendung: Zwei der drei Eckpunkte eines Dreiecks können beispielsweise Ortschaften (oder nur einzelne Häuser oder Fabriken) darstellen; diese beiden Punkte sollen mit einem dritten Punkt verbunden werden, der auf einer Geraden liegt, sodass das entstehende Wegenetz eine minimale Gesamtlänge hat. Beispiel

Zwei Ortschaften A und B, die unterschiedlich weit von einer Bundesstraße entfernt liegen, sollen miteinander und mit einer Bundesstraße verbunden werden (vgl. die folgende Abbildung): Der Abstand von der Bundesstraße für die Ortschaft A beträgt 3,0 km, für die Ortschaft B 3,5 km. Der horizontale Abstand der beiden Orte beträgt 4,0 km. Wohin muss der Verzweigungspunkt F gelegt werden, damit das Wegenetz eine möglichst kurze Gesamtlänge hat? Gesucht ist also ein Punkt F, • von dem aus die Strecke AB unter einem Winkel von 120° gesehen wird, • bei dem außerdem die Winkel zwischen der Verbindung zur Einmündung C der zu planenden Straße in die Bundesstraße und den Ortschaften A bzw. B jeweils 120° betragen.

8.2  Ein minimales Wegenetz

165

Zur Lösung des Problems konstruiert man – wie in Abschn. 8.1 ausgeführt – ein gleichseitiges Dreieck ABE über der Strecke AB und fällt das Lot vom Punkt E auf die Gerade, welche den Verlauf der Bundesstraße darstellt. Vom Fußpunkt C des Lotes aus werden dann von der Geraden, welche die Bundesstraße darstellt, nach beiden Seiten Winkel von 30° abgetragen und die freien Schenkel so lange parallel verschoben, bis sie durch A bzw. B verlaufen. Es ergibt sich: |AF| ≈ 1,809 km; |BF| ≈ 2,809 km; |CF| ≈ 2,095 km, also: Gesamtlänge ca. 6,7 km

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.4: Bestätigen Sie die angegebenen Streckenlängen von AF, BF und CF. Vergleichen Sie die so erhaltene Gesamtlänge des Wegenetzes mit anderen möglichen Streckenführungen. A 8.5: Die folgende Abbildung zeigt eine mögliche Konstruktion des Punkts F der Wege-Aufgabe. Welche Vorgehensweise ist hier gewählt?

166

8  Kürzeste Wege

A 8.6: Auf einer kreisförmigen Insel sind drei Dörfer A, B, C durch eine Ringstraße parallel zum Strand miteinander verbunden. Für die Lage der Dörfer werde angenommen, dass sie ein gleichseitiges Dreieck bilden. Lohnt sich der Bau von Straßen, welche die drei Dörfer mit dem Mittelpunkt der Insel verbinden?

A 8.7: Hans Walser weist darauf hin, dass bei einer einfachen Modellierung wie im o. a. Beispiel so wichtige Aspekte wie Häufigkeit der Nutzung oder Umweltbelastung nicht berücksichtigt werden. Setzen Sie sich mit seinen Überlegungen auseinander: www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/O/Optimales_Verkehrsnetz/Optimales_ Verkehrsnetz.htm.

8.3 Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze Wenn die zu verbindenden „Orte“ Eckpunkte eines Vielecks sind, kommt man nur in Ausnahmefällen mit einem zusätzlichen Punkt im Innern des Vielecks aus. Beim Viereck müssen i. A. zwei Hilfspunkte bestimmt werden, damit ein Streckennetz mit möglichst geringer Gesamtstreckenlänge erstellt werden kann. Diese Hilfspunkte werden als Steiner-Punkte bezeichnet (nach dem Schweizer Mathematiker Jakob Steiner, 1796–1863), das entstehende Wegenetz als Steiner-Netz. Eigentlich handelt es sich – von der Struktur her – nicht um ein Netz, sondern um einen Baum mit Verzweigungen (Ästen), geschlossene Wege treten nicht auf. In der Literatur wird daher auch der Begriff Steiner-Baum verwendet. Die zu den einzelnen Steiner-Punkten führenden drei Strecken bilden dabei untereinander jeweils einen Winkel von 120°. Das Steiner-Netz eines Quadrats Man könnte vermuten, dass die Diagonalen des Quadrats ein minimales Netz für die Verbindung der vier Eckpunkte bilden. Für ein Quadrat mit Seitenlänge a ergibt sich für das Netz aus Diagonalen eine √ Gesamtlänge von LDiagonalen = 2 · a · 2 ≈ 2,828 · a. Die Diagonalen bilden jedoch einen Winkel von 90° miteinander.

8.3  Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze

167

Um ein Netz mit 120°-Winkeln zu erzeugen, zeichnet man von zwei einander gegenüberliegenden Seiten des Quadrats aus zwei gleichschenklige Dreiecke mit 30°–30°–120°-Winkeln.

Eine Konstruktion der beiden benötigten Hilfspunkte kann so erfolgen: Auf gegenüberliegenden Quadratseiten werden gleichseitige Dreiecke aufgesetzt und deren Umkreis gezeichnet. Die Verbindungsstrecke der äußeren Eckpunkte der gleichseitigen Dreiecke schneidet die beiden Dreiecksumkreise in den gesuchten Hilfspunkten (vgl. die folgende Abbildung).

Die Streckenlängen lassen sich wegen der 30°-Winkel an den Quadratseiten leicht berechnen: Die vier von den Ecken zu den Punkten E und F verlaufenden Strecken der Länge s können als Seiten von gleichseitigen Dreiecken aufgefasst werden. Die Länge der Strecke EF ergibt sich dann aus der Differenz der Seitenlänge a und der zweifachen halben Seitenlänge eines gleichseitigen Dreiecks.

168

Aus a2 = h =

8  Kürzeste Wege s 2

√ ·

3 folgt s =

LNetz = 4 · s + (a − s) = 3 · Im Vergleich LNetz 1 − LDiagonalen =1−

zum √ 1+√ 3 ≈ 2· 2

und hieraus  √  + a = 1 + 3 · a ≈ 2,732 · a.

√a 3

√a 3

Netz aus Diagonalen 0,034 = 3,4% kürzer.

ist

das

Steiner-Netz

um

Steiner-Netze von Rechtecken Die Überlegungen am Quadrat können teilweise für ein Rechteck übernommen werden. Dabei genügt es, Rechtecke im Querformat zu betrachten. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Die mittlere Seite des Netzes kann parallel zur längeren Grundseite oder parallel zur kürzeren Grundseite gezeichnet werden.

Im ersten Fall gilt: √ LDiagonalen = 2 · a2 + b2 und LNetz1 = 4 · s + (b − s) = 3 · Im zweiten Fall ergibt sich entsprechend: √ LNetz2 = 3 · b + a

√a 3

+b=

√ 3·a+b

Beispiel

In der obigen Abbildung ist a = 3 und b = 4 gewählt. Hier gilt: LDiagonalen = 10, LNetz ≈ 9,196 Das erste√ Steiner-Netz ist um ca. 8,0 % kürzer als das Netz aus Diagonalen. LNetz2 = 3 · b + a ≈ 9,928 Auch das zweite Steiner-Netz ist kürzer als das Diagonalennetz, allerdings nur um 0,7 %.

8.3  Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze

169

Um die beiden möglichen Netze allgemein miteinander und mit dem Diagonalennetz zu vergleichen, betrachten wir allgemein ein Rechteck mit b = k ⋅ a, wobei k ≥ 1 (querliegendes Rechteck). √ √ Wenn b ≥ 3 · a, also für k ≥ 3, entfällt die vertikal verlaufende Strecke im zweiten √ Steiner-Netz und es existiert dann nur das erste Steiner-Netz. Im Grenzfall k = 3 stimmt das zweite Steiner-Netz mit dem Diagonalennetz überein (vgl. folgende Abbildung).

Allgemein ergeben sich folgende Längen:  √ LDiagonalen = 2 · a2 + (k · a)2 = 2a · 1 + k 2 sowie  √  √ √ √ 3 · k + 1 · a. LNetz1 = 3 · a + k · a = 3 + k · a und LNetz2 = 3 · k · a + a = Wenn a < b, also für k > 1, ist√das erste √Steiner-Netz kürzer als das zweite 3 + k < 3 · k + 1 gilt genau dann, wenn Steiner-Netz, √ denn die Bedingung √ 3−1< 3 − 1 · k, also, wenn k > 1. Für das Verhältnis der Längen des ersten Steiner-Netzes mit dem Diagonalennetz gilt:

LNetz1 LDiagonalen

√

 √ 3 3+k ·a +1 k  √ = = 2 2a · 1 + k 2 · k12 + 1

Für größer werdende Werte von k ergeben sich im Vergleich zum Quadrat (k = 1) immer kleiner werdende Werte des Quotienten, d. h., für immer flacher werdende Rechtecke lohnt es sich immer mehr, einen Teil der Mittelparallele als Netzlinie zu verwenden. Dabei nähert sich der Quotient dem Grenzwert 21 für das „unendlich flache“ Rechteck.

170

8  Kürzeste Wege

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.8: Konstruieren Sie die beiden Steiner-Netze für das Beispiel mit a = 3 und b = 4 mithilfe der aufgesetzten gleichseitigen Dreiecke und der Umkreise dieser Dreiecke. A 8.9: Zeigen Sie: Das zweite Steiner-Netz eines Rechtecks ist höchstens um ca. 3,4 % kürzer als das Diagonalennetz. A 8.10: Bestimmen Sie die Länge der beiden Steiner-Netze sowie des Diagonalennetzes für den Fall k = 1,5. Um wie viel Prozent sind die beiden Steiner-Netze kürzer als das Diagonalennetz? A 8.11: Für welche Rechtecke ist das erste Steiner-Netz um 10 % kürzer als das Diagonalennetz? A 8.12: Zeichnen Sie die beiden Steiner-Netze in ein goldenes Rechteck (vgl. √ 5+1 Kap. 9), also für den Fall k = Φ = 2 ≈ 1,618. Untersuchen Sie auch im Vergleich dazu das zugehörige Diagonalennetz.

Steiner-Netze von gleichschenkligen Trapezen Auch bei gleichschenkligen Trapezen lassen sich i. A. zwei Steiner-Netze einzeichnen (vgl. die folgenden Abbildungen).

Der Basiswinkel des Trapezes werde mit α bezeichnet, der Komplementärwinkel mit β. Zwischen den beiden zueinander parallelen Grundseiten a und b sowie den gleich langen Schenkeln c der Höhe h des Trapezes bestehen dann die Beziehungen , sin (α) = hc und h2 = c2 − 41 ·  cos (α) = a−b (a − b)2 . 2c √ Für das Diagonalennetz gilt: LDiagonalen = 2 · h2 + 41 (a + b)2 = 2 · c2 + ab Für das erste Steiner-Netz gilt: LNetz1 = 2 ⋅ (x + y) + (b − y) = b + 2x + y (vgl. folgende Abbildung)

8.3  Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze

171

Im Dreieck AED (und analog im Dreieck BCF) gilt gemäß Sinussatz: y x c c = sin 120 = sin (120 ◦ ◦ ◦ , ◦ sin (α−60 ) ) ( ) sin (β−60 ) Und wegen sin(β − 60°) = sin(120° − α) = sin(120°) ⋅ cos(α) − sin(α) ⋅ cos(120°), sin(α − 60°) = sin(α) ⋅ cos(60°) − sin(60°) ⋅ cos(α) und   ◦ √  ◦  ◦ ◦ sin 120 = sin 60 = 23, cos 60 = 21, cos 120 = − 21 kann man den Term LNetz1 = b + 2x + y auch wie folgt notieren:  √ 1 1 LNetz1 = · (a + b) + 3 · c2 − · (a − b)2 2 4 Für das zweite Steiner-Netz gilt:

  LNetz2 = 2 · (u + v) + h − 21 u − 21 v = h + 1, 5 · (u + v) (vgl. folgende Abbildung) Dabei gilt für die Strecken u, v √ √ a = 2u · 3 und 2b = 2v · 3, also 2 √ √ u = a3 · 3 und v = b3 · 3. Somit folgt:  √ 1 3 · (a + b) + c2 − · (a − b)2 LNetz2 = 2 4 Aus dem Vergleich der beiden Terme für die Netzlängen ergibt sich: Das erste SteinerNetz ist kürzer als das zweite Steiner-Netz, wenn a2 + b2 > 2c2.

172

8  Kürzeste Wege

Die folgenden Abbildungen zeigen die beiden gleich langen Netze für den Fall a2 + b2 = 2c2.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.13: Konstruieren Sie die beiden Steiner-Netze für ein gleichschenkliges Trapez mithilfe der aufgesetzten gleichseitigen Dreiecke und der Umkreise dieser Dreiecke. A 8.14: Welche besondere Situation liegt vor, wenn im gleichschenkligen Trapez α = 60° gilt? A 8.15: Unter welchen Bedingungen kann in einem gleichschenkligen Trapez das zweite Steiner-Netz eingezeichnet werden? Geben Sie Beispiele an und zeichnen Sie jeweils die zugehörigen Trapeze.

Steiner-Netze von Rauten Da Rauten punktsymmetrisch zum Schnittpunkt der Diagonalen sind und durch die Diagonalen in vier zueinander kongruente rechtwinklige Dreiecke zerlegt werden, ist die Bestimmung der Steiner-Netze hier leicht möglich: Es genügt, das Netz für zwei einander gegenüberliegende rechtwinklige Dreiecke zu bestimmen (vgl. die in Abschn. 8.1 stehenden Ausführungen hierzu). Die folgenden Abbildungen zeigen das (erste) Steiner-Netz für eine Raute mit α = ° 75 und für eine Raute mit α = 60°.

8.3  Minimale Streckennetze in Vierecken – Steiner-Netze

173

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.16: Erläutern Sie: Das zweite Steiner-Netz kann man durch Drehung und Spiegelung der Figur aus dem ersten Steiner-Netz erhalten; es hat dieselbe Länge. A 8.17: Bestimmen Sie die Länge eines Steiner-Netzes für eine Raute mit Seitenlänge a. A 8.18: Zeichnen Sie ein Steiner-Netz für eine Raute mit α = 50°. Steiner-Netze in beliebigen Vierecken Auch bei beliebigen Vierecken ergeben sich zwei alternative Steiner-Netze. Beispiel

Das Viereck in Abb. 8.1 ist festgelegt durch a = 18, b = 13, d = 17, α = 70° und β = 75°. Für die Länge der beiden Steiner-Netze ergibt sich: Lrot ≈ 38,3 und Lviolett ≈ 37,7 Wie Wilfried Haag (vgl. weiterführende Literatur) ausführt, haben die beiden möglichen Netze genau dann die gleiche Länge, wenn die Vierecke orthodiagonal sind, d. h., wenn

174

8  Kürzeste Wege

Abb. 8.1   Zur Konstruktion der beiden möglichen Steiner-Netze in einem beliebigen Viereck

die Diagonalen des Vierecks sich orthogonal schneiden. Dies ist der Fall, wenn für die Vierecksseiten gilt: a2 + c2 = b2 + d2 (vgl. Mathematik ist schön, Abschn. 17.9). Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.19: Zeichnen Sie die beiden gleich langen Steiner-Netze in einem selbst gewählten orthodiagonalen Viereck.

8.4 Steiner-Netze in regelmäßigen Fünf- und Sechsecken Um ein Steiner-Netz in einem regelmäßigen Fünfeck zu zeichnen, benötigt man drei zusätzliche Punkte im Innern der Figur. Das im Folgenden abgebildete Netz wurde so konstruiert, dass zunächst eine Symmetrieachse durch den oben liegenden Eckpunkt und dazu parallele Geraden durch die unteren beiden Eckpunkte eingezeichnet wurden. Die Lage der Verzweigungspunkte wurde dann aufgrund der 120°-Bedingung ermittelt.

8.5 Hinweise auf weiterführende Literatur

175

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.20: Welche Rechnungen sind erforderlich, um das Steiner-Netz im regelmäßigen Fünfeck zu zeichnen? A 8.21: Das Netz kann auch mithilfe der Konstruktion bestimmt werden, die Hans Walser in seiner Steiner-Netz-Miniatur (s. u.) beschrieben hat. Führen Sie diese Konstruktion durch.

Beim regelmäßigen Sechseck erscheint es naheliegend, die sechs Eckpunkte mit dem Mittelpunkt der Figur zu verbinden und in jedem zweiten entstehenden gleichseitigen Dreieck jeweils den Fermat-Punkt zu bestimmen. Dieses so entstehende Netz (folgende Abbildung links) hat jedoch eine größere Gesamtlänge als das Steiner-Netz, das aus fünf der sechs Seiten des regelmäßigen Sechsecks besteht (benachbarte Seiten bilden nämlich jeweils 120°-Winkel; Abbildung rechts): √ vgl. folgende √ L1 = 3 · 3 · a3 · 3 = 3 · 3 · a ≈ 5, 196 · a und L2 = 5 ⋅ a. Wenn in einer Anwendungssituation sechs Punkte (z. B. Ortschaften) miteinander verbunden werden müssten, wäre allerdings das „kürzeste Netz“ rechts für die Betroffenen wohl kaum akzeptabel – denn dies würde zwei Orte extrem benachteiligen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 8.22: Welche Rechnungen sind erforderlich, um das links abgebildete Netz im regelmäßigen Sechseck zu zeichnen?

8.5 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern:

176

8  Kürzeste Wege

• Fermat-Punkt (Fermat point, Point de Fermat) • Steinerbaumproblem (Steiner tree problem, Problème de l’arbre de Steiner) Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Fermat points, Steiner tree Zur Konstruktion von Steiner-Netzen, auch für beliebige, nicht notwendig regelmäßige n-Ecke wie beispielsweise in der Abbildung zu Beginn des Kapitels, sei auf die schönen Beiträge von Hans Walser verwiesen: • www.mathematikinformation.info/pdf2/MI49WalserSchuelerfragen.pdf • www.walser-h-m.ch/hans/Vortraege/Vortrag82/index.html • www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/S/Steiner-Netz/Steiner-Netz.htm Im ersten Beitrag sind u. a. auch Anleitungen zur experimentellen Untersuchung von minimalen Wegenetzen mithilfe einer Seifenlauge enthalten. Im dritten Beitrag wird an einem Beispiel mit sieben beliebig gewählten Punkten erläutert, wie man hierzu ein Steiner-Netz finden kann (vgl. Abbildung zu Beginn des Kapitels; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors). Zahlreiche Anregungen zum Thema findet man in den posthum veröffentlichten Untersuchungen von Hans Engelhaupt, die von der Website des Vereins Begabtenförderung Mathematik e. V. heruntergeladen werden können: • www.mathematikinformation.info/pdf/MI41Engelhaupt.pdf • www.mathematikinformation.info/pdf/MI42Engelhaupt%20Loes.pdf Schließlich sei noch verwiesen auf: • Haag, W. (2003): Wege zu geometrischen Sätzen, Klett, Stuttgart

9

Der goldene Schnitt

Die Geometrie birgt zwei große Schätze: Der eine ist der Satz von Pythagoras, der andere der göttliche Schnitt. Den ersten können wir mit einem Scheffel Gold vergleichen, den zweiten können wir ein kostbares Juwel nennen. (Johannes Kepler, deutscher Mathematiker und Astronom, 1571–1630)

Mit dem goldenen Schnitt bezeichnet man ein ganz besonderes Verhältnis zweier Zahlen (in der Geometrie: zweier Strecken). Im Englischen sind die Bezeichnungen Golden Ratio und Golden Section üblich, aber auch Divine Section und Divine Proportion. Im Französischen spricht man von der nombre d’or, aber auch von der section dorée. Bereits Euklid untersuchte das Zahlenverhältnis des goldenen Schnitts in den Elementen im Zusammenhang mit dem regelmäßigen Fünfeck und den platonischen Körpern. Die zugehörige Konstruktion spielt auch bei der Teilung einer Strecke im inneren und äußeren Verhältnis eine besondere Rolle.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_9

177

178

9  Der goldene Schnitt

In Luca Paciolis zweitem Buch De divina proportione (dt. „Über das göttliche Verhältnis“) aus dem Jahre 1509, das von Leonardo da Vinci illustriert wurde, steht dieses Zahlenverhältnis im Mittelpunkt. Von Leonardo stammt auch die berühmte Zeichnung des Vitruv-Manns, dessen Proportionen dem goldenen Schnitt entsprechen.

Kepler sprach von der sectio divina (s. o.). Die Bezeichnung „goldener Schnitt“ ist eine Wortschöpfung des deutschen Mathematikers Martin Ohm (1792–1872), Bruder des Physikers Georg Simon Ohm. Sie wurde in viele Sprachen übernommen (golden section, section d’or, sezione aurea, sección áurea, gulden snede, …). Zu weiteren historischen Hinweisen sei auf die Wikipedia-Artikel Goldener Schnitt (Golden ratio, Nombre d’or), auf die Bücher von Hans Walser, Albrecht Beutelspacher, Alfred Posamentier und Ingmar Lehmann sowie Fernando Corbalán verwiesen und auf die zahlreichen Websites zu diesem Thema (vgl. Hinweise auf weiterführende Literatur).

9.1 Definition und Konstruktion des goldenen Schnitts Der goldene Schnitt kann als Teilverhältnis einer Strecke definiert werden: Definition

Teilung einer Strecke im Verhältnis des goldenen Schnitts Eine Strecke AB wird durch einen Punkt C im Verhältnis des goldenen Schnitts geteilt, wenn sich die Länge |AC| der größeren Teilstrecke (Maior) zur Länge |CB| der kleineren Teilstrecke (Minor) verhält wie die Länge |AB| der gesamten Strecke zur Länge |AC| der größeren Teilstrecke. ◄

Mit a = |AC|, b = |CB|, also a + b = |AB| ergibt dies die Verhältnisgleichung a:b = (a + b):a.

9.1  Definition und Konstruktion des goldenen Schnitts

179

Der Quotient ab = a+b a , die sogenannte goldene Zahl, wird üblicherweise mit dem griechischen Großbuchstaben Φ bezeichnet. Bestimmung der goldenen Zahl Es gilt: =

a+b b 1 a = = 1+ = 1+ ⇐⇒ 2 =  + 1 ⇐⇒ 2 −  = 1 ⇐⇒ b a a 



−

1 2

2

=

5 4

Da Φ als Teilverhältnis eine positive Zahl sein muss, bedeutet dies: √ 5+1 ≈ 1,618 = 2 Eigenschaften der goldenen Zahl Aus  = 1 + 1 folgt 1 =  − 1 =

√ 5−1 2

≈ 0,618;

aus Φ2 = Φ + 1 ergibt sich Φ2 ≈ 2,618 sowie

�3 = � · �2 = � · (� + 1) = �2 + � = (� + 1) + � = 2� + 1; �4 = � · �3 = � · (2� + 1) = 2�2 + � = 2 · (� + 1) + � = 3� + 2 Weiter gilt: Φ5 = 5Φ + 3; Φ6 = 8Φ + 5; … Regel

Zusammenhang zwischen der goldenen Zahl und den Fibonacci-Zahlen Für Potenzen der goldenen Zahl Φ gilt Φn = Φn − 1 + Φn − 2 und Φn = fn · Φ + fn − 1, wobei n eine natürliche Zahl ist mit n ≥ 1. Dabei sind fn die Zahlen der Fibonacci-Folge: f0 = 0, f1 = 1, f2 = 1, f3 = 2, f4 = 3, f5 = 5, … Die Folgenglieder werden rekursiv berechnet: fn + 1 = fn + fn − 1 für n ≥ 1 (vgl. auch Mathematik ist schön, Abschn. 3.5). ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.1: Untersuchen Sie, welche Rolle die Zahlen der Fibonacci-Folge bei den negativen ganzzahligen Potenzen von Φ spielen, also bei den Termen für Φ−1, Φ−2, Φ−3, … 1 1 1 A 9.2: Begründen Sie: � = � + �2 + �3 + . . .

180

9  Der goldene Schnitt

A 9.3: Erläutern Sie: In der folgenden Grafik ist (in Blau) eine Strecke der Länge Φ3 dargestellt, darunter (in Grün) entsprechend eine Strecke der Länge Φ4.

A 9.4: Welche Länge hat die Hypotenuse im rechtwinkligen Dreieck links? Welche Länge hat die Kathete im rechtwinkligen Dreieck rechts?

Konstruktionen zum goldenen Schnitt Die folgende Konstruktion zeigt, wie eine gegebene Strecke AB im Verhältnis des goldenen Schnitts geteilt werden kann. 1 Zu der Strecke AB zeichnet man in B eine Senkrechte, deren Länge gleich 2 · | AB | ist. Ein Kreis um C mit Radius |BC| schneidet die Strecke AC in D. Ein Kreis um A mit Radius |AD| schneidet die Strecke AB in E. Der Punkt E teilt dann die Strecke AB im Verhältnis des goldenen Schnitts.

Begründung: Da es nur um ein Teilverhältnis geht, kann man der Einfachheit halber 1 |AB| = 1 setzen, dann folgt | BC |= 2. Nach dem Satz des √ Pythagoras ergibt sich: |AC|2 = |AB|2 + |BC|2 = 1 + 41 = 54, also | AC |= 25 und weiter √

| AE |=| AD |=| AC | − | CD |= | AE | : | AB |=

1 :1 

= 1:.

5 2



1 2

=

√ 5−1 2

=  − 1 = 1 , also

9.2  Goldene Rechtecke

181

Weitere Konstruktionen findet man in den unten empfohlenen Büchern sowie auf den dort verzeichneten Internetseiten. Beispielsweise sind im Buch von Posamentier und Lehmann 16 verschiedene Konstruktionen angegeben.

9.2 Goldene Rechtecke Rechtecke, deren Seitenlängen im Verhältnis 1:Φ stehen, werden als goldene Rechtecke bezeichnet. Konstruktion

Konstruktion eines goldenen Rechtecks Man zeichnet ein Quadrat. Dann halbiert man die untere Grundseite und erhält den Punkt P. Um P schlägt man einen Kreis mit Radius PR. Der Schnittpunkt dieses Kreises mit der verlängerten Grundseite ist der untere rechte Eckpunkt des goldenen Rechtecks. ◄

Begründung der Konstruktion  1 2 2 2 2 5 2 Für |PR| gilt nach dem Satz des Pythagoras: |PR| = |PQ| + |QR| = 2 + 1 = 4, also 

| PR |=

5 4

=

√ 5 2 .

Die Gesamtbreite des Rechtecks ist also gleich √ 5+1  = 2 ≈ 1,618. Durch die Konstruktion des goldenen Rechtecks gewinnt man zu einer gegebenen Strecke eine (längere) Strecke, deren Maior die ursprünglich gegebene Strecke ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.5: Begründen Sie: Das bei der Konstruktion des goldenen Rechtecks hinzugekommene Rechteck rechts ist ebenfalls ein goldenes Rechteck.

182

9  Der goldene Schnitt

Konstruktion

Kontrolle, ob ein goldenes Rechteck vorliegt Ob ein Rechteck ein goldenes Rechteck ist, kann man prüfen, indem man es zweifach zeichnet: horizontal und daneben auch vertikal gedreht. Nur dann, wenn die Verlängerung der Diagonale des horizontal gezeichneten Rechtecks genau durch den oberen rechten Eckpunkt des vertikal gezeichneten Rechtecks verläuft, handelt es sich um ein goldenes Rechteck. ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.6: 1. Begründen Sie das o. a. geometrische Kontrollverfahren für goldene Rechtecke. 2. Bestimmen Sie die Länge der in der vorstehenden Grafik in Blau gezeichneten Strecke mithilfe des Satzes von Pythagoras (auf zwei Arten möglich).

9.3 Anwendung des euklidischen Algorithmus auf das goldene Rechteck In einem Rechteck mit den Seiten a, b mit a > b kann man stets ein Quadrat mit Seitenlänge b abtrennen, sodass dann ein Rechteck mit den Seiten b und a − b übrig bleibt. Dieses übrig bleibende Rechteck ist nur dann ein goldenes Rechteck, wenn das ursprünglich gegebene Rechteck ein goldenes Rechteck ist. Wegen 1 =  − 1 gilt nämlich für das Verhältnis der Länge der größeren Seite zur Länge der kleineren Seite:

1:(� − 1) = 1:

1 = �:1 �

9.3  Anwendung des euklidischen Algorithmus auf das goldene Rechteck

183

Diesen Prozess kann man unendlich oft durchführen: Nach jedem Schritt trennt man ein (möglichst großes) Quadrat vom goldenen Rechteck ab und erhält wieder ein goldenes Rechteck usw. Beginnt man mit einem goldenen Rechteck mit den Seitenlängen 1 und Φ, also einem Rechteck mit Flächeninhalt Φ, dann hat • das erste abgetrennte Quadrat die Seitenlänge 1 und den Flächeninhalt 1, • das zweite abgetrennte Quadrat die Seitenlänge Φ − 1 und den Flächeninhalt (� − 1)2 = �12 . 1

1

Analog folgt dann, dass die nächsten abgetrennten Quadrate die Flächeninhalte 4 , 6 usw. haben. 1 Die unendliche Summe dieser geometrischen Folge mit Faktor q = 2 ist gleich Φ, denn es gilt: 1 1 = = 1−q 1 − �12

1 �2 −1 �2

=

�+1 1 �2 �+1 = =1+ = 1 + (� − 1) = � = −1 � � (� + 1) − 1

�2

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.7: Bestimmen Sie die Seitenlängen der Quadrate mit maximaler Seitenlänge, die schrittweise vom goldenen Rechteck abgetrennt werden können. Bestätigen 1 1 1 Sie, dass die Flächeninhalte der Quadrate nacheinander die Werte 1, 2 , 4 , 6 usw. annehmen.

In die Quadrate kann man jeweils einen Viertel-Kreisbogen so einzeichnen, dass eine Spirale entsteht (vgl. auch Mathematik ist schön, Kap. 3).

184

9  Der goldene Schnitt

Das Zentrum dieser goldenen Spirale ist ein Punkt, der auch Schnittpunkt von Diagonalen des ersten und des zweiten goldenen Rechtecks ist (vgl. Abb. 9.1). Abschnitte dieser beiden Diagonalen sind auch Diagonalen in darauffolgenden kleineren goldenen Rechtecken. Die beiden Diagonalen schneiden sich orthogonal, denn für deren Steigungen gilt m1 · m2 = −1: 1 = m1 = − 1 und m2 = −1 Die Zerlegung eines goldenen Rechtecks in eine Folge von möglichst großen Quadraten entspricht der Anwendung des euklidischen Algorithmus zur Bestimmung des größten gemeinsamen Teilers (ggT) der beiden Seitenlängen des Rechtecks. Hierzu gehört die Entwicklung eines periodischen Kettenbruchs:

�=1+

1 1+

  = 1; 1

1 1+

1 1 1+ 1+...

Diese Kettenbruchentwicklung ergibt sich auch aus der Beziehung Φ2 = Φ + 1, denn es gilt:

2 =  + 1 ⇐⇒  = 1 +

1 

und weiter

�=1+

Abb. 9.1   Zentrum der goldenen Spirale

1 1 =1+ � 1+

1 �

=1+

1 = ... 1 + 1+1 1 �

9.3  Anwendung des euklidischen Algorithmus auf das goldene Rechteck

185

Zwei Folgen mit Grenzwert Φ Die Folge der Quotienten benachbarter Fibonacci-Zahlen konvergiert gegen Φ, wie man auch an der Kettenbruch-Entwicklung dieser Brüche ablesen kann (die ersten Folgenglieder sind weggelassen): 3 = 1 + 21 = [1; 2]; 53 = 1 + 1 1 = [1; 1; 2]; 2 1+ 2

8 5

=1+

21 13

= [1; 1; 1; 2]; 13 =1+ 8

1 1+

=1+

1 1+ 21

= [1; 1; 1; 1; 1; 2];

1 1+

1 1

1+ 1+

1 1+ 21

1 1+

1+

34 21

1 1 1+ 21

= [1; 1; 1; 1; 2];

=1+

= [1; 1; 1; 1; 1; 1; 2];

1 1+

1 1

1+

1

1+ 1+

1 1+ 21

usw. Die Konvergenz ist ausgesprochen langsam, da in den Kettenbrüchen nur Einsen auftreten (jeweils vom letzten Element abgesehen). Nach dem Approximationssatz von Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859) existieren    p 1 p zu jeder irrationalen Zahl α unendlich viele rationale Zahlen q mit α − q  < q2 .     1 Diese Abschätzung wurde durch Adolf Hurwitz (1859–1919) zu α − qp  < √5·q 2 ver√ schärft, wobei der Faktor 5 im Nenner nicht weiter verbessert werden kann. √ Dies bedeutet: Ersetzt man in der zuletzt genannten Ungleichung den Faktor 5 im Nenner durch eine größere Zahl, dann gibt es nur eine endliche Anzahl von rationalen Zahlen, welche diese Bedingung erfüllt. Die Zahl Φ ist die am schlechtesten durch eine rationale Zahl approximierbare irrationale Zahl. Betrachtet man die Folge der Quotienten von aufeinanderfolgenden Fibonacci-­ Zahlen, dann stellt man fest: Nur jedes zweite Element erfüllt diese Bedingung, aber auch das sind ja unendlich viele …   � − 

 √  √ 1 3   5 + 1 3  5−2 = − = = 0,118033988 · · · > √ = 0,111803398 . . . 2  2 2 2 5 · 22

  � − 

 √  √ 1 5   5 + 1 5  3 5 − 7 = − = = 0,048632677 · · · < √ = 0,049690399 . . .    3 2 3 6 5 · 32

  � − 

 √  √ 1 8   5 + 1 8  5 5 − 11 = − = = 0,018033988 · · · > √ = 0,017888543 . . . 5  2 5 10 5 · 52

 √    √    5 + 1 13  4 5 − 9 1 13 � −  =  − = 0,006966011 · · · < √ = = 0,006987712 . . .   8  2 8 8 5 · 82

186

9  Der goldene Schnitt

Eine Folge mit geschachtelten Wurzeltermen mit lauter Einsen hat ebenfalls den Grenzwert Φ, nämlich     √ � = 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + . . .. √ Denn beginnt man mit x = 1 + x und setzt dann für das x unter dem Wurzelzeichen den Wurzelterm ein, dann ergibt sich nacheinander      √ √  √ x = 1 + 1 + 1 + 1 + x usw. x = 1 + 1 + x, x = 1 + 1 + 1 + x, √ Aus x = 1 + x erhält man durch Quadrieren x2 = 1 + x, also eine quadratische Gleichung, deren positive Lösung gleich Φ ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen     √ 1 A 9.8: Zeigen Sie: � = 1 − 1 − 1 − 1 − 1 − . . .

A 9.9: Welche irrationalen Zahlen werden für natürliche Zahlen n mit dem folgenden Term

 n+



n+

  √ n + n + n + . . . beschrieben?

9.4 Der goldene Schnitt und das regelmäßige Fünfeck (Pentagon) Zeichnet man in ein regelmäßiges Fünfeck mit Seitenlänge s die beiden Diagonalen ein, die von einem gemeinsamen Eckpunkt ausgehen, dann wird das Fünfeck in drei gleichschenklige Dreiecke unterteilt, von denen zwei zueinander kongruent sind.

Das mittlere Dreieck bildet zusammen mit einem Nachbardreieck ein gleichschenkliges Trapez.

9.4  Der goldene Schnitt und das regelmäßige Fünfeck (Pentagon)

187

Für beliebige gleichschenklige Trapeze gilt allgemein:

k=

1 · (a − c) 2

und

h 2 = b2 − k 2 = b2 −

1 · (a − c)2 4

 2 1 1 2 e = h + (c + k) = b − · (a − c) + c + · (a − c) = b2 + ac 4 2 2

2

2

2

Da für die Diagonalen und Seiten im regelmäßigen Fünfeck die Beziehungen d = a = e und s = b = c gelten, ergibt sich hier aus der allgemeinen Beziehung e2 = b2 + ac d2 = s2 + d · s, also d2 − d · s = s2. Für s = 1 ergibt sich dann die Gleichung 2 √ d  − d = 1, 2 also = . d − 21 = 45 und somit d = 5+1 2 Satz

Länge der Diagonalen und Seiten im regelmäßigen Fünfeck Die Diagonalen d und die Seiten s stehen im Verhältnis des goldenen Schnitts, mit anderen Worten: • Die Diagonalen im regelmäßigen Fünfeck sind Φ-mal so lang wie die Seiten des Fünfecks. ◄ Durch die beiden Diagonalen, die von einem gemeinsamen Punkt des regelmäßigen Fünfecks ausgehen, wird das Fünfeck in drei gleichschenklige Dreiecke unterteilt: ein spitzwinkliges goldenes Dreieck mit den Schenkeln d und der Basis s sowie zwei stumpfwinklige goldene Dreiecke mit den Schenkeln s und der Basis d. Dabei treten dort die Winkel α, β, γ, δ auf (vgl. die folgende Abbildung).

188

9  Der goldene Schnitt

Die Winkelgrößen kann man mithilfe einer allgemeinen Überlegung für regelmäßige n-Ecke bestimmen: Wandert man entlang der n Seiten des regelmäßigen n-Ecks, dann dreht man sich insgesamt um 360°, also bei jedem Eckpunkt um 360°/n. Die Eckwinkel in regelmäßigen n-Ecken haben also jeweils eine Winkelgröße von 180° − 360°/n. Im Fall n = 5 ergibt sich α = 180° − 72° = 108°. Jedes regelmäßige n-Eck besitzt einen Umkreis. Die Diagonalen, die von einem gemeinsamen Eckpunkt ausgehen, unterteilen das n-Eck in n − 2 gleichschenklige Dreiecke. Da alle Umfangswinkel über gleich langen Sehnen gleich groß sind, müssen auch die beiden hier mit β und γ bezeichneten Winkel (in dem gemeinsamen Eckpunkt) gleich groß sein. Der Winkel an der oben liegenden Ecke wird also durch die beiden Diagonalen in drei gleich große Winkel von β = γ = 36° unterteilt. Schließlich kann man mithilfe des Satzes über Mittelpunkts- und Umfangswinkel erschließen, dass δ = 180° − α = 72°. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.10: Mithilfe welcher anderen elementaren Sätze der Geometrie können die Winkel α, β, γ, δ auch bestimmt werden?

Satz

Eigenschaften der goldenen Dreiecke Die goldenen Dreiecke sind gleichschenklige Dreiecke. • Das spitzwinklige goldene Dreieck hat zwei Basiswinkel von 72° und einen Winkel von 36° an der Spitze. Zu einer Basis der Seitenlänge s gehören die gleich langen Schenkel der Länge Φ · s. • Das stumpfwinklige goldene Dreieck hat zwei Basiswinkel von 36° und einen Winkel von 108° an der Spitze. Zu den gleich langen Schenkeln der Länge s gehört eine Basis der Seitenlänge Φ · s. ◄

9.4  Der goldene Schnitt und das regelmäßige Fünfeck (Pentagon)

189

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.11: Untersuchen Sie die Beziehungen zwischen den Seiten und den Winkeln in spitzwinkligen und in stumpfwinkligen goldenen Dreiecken. 1. Welche Zusammenhänge ergeben sich bei Anwendung des Sinus- und des Kosinussatzes? 2. Zeichnet man in den goldenen Dreiecken die Symmetrieachse ein, dann entstehen rechtwinklige Teildreiecke. Welche Zusammenhänge ergeben sich in diesen zueinander kongruenten Teildreiecken? 3. Bestimmen Sie mithilfe der Beziehungen aus (1) und (2) die exakten Werte für den Sinus, den Kosinus und den Tangens der Winkel 18°, 36°, 54° und 72°.

Teilstrecken der Diagonalen im regelmäßigen Fünfeck Zeichnet man alle fünf Diagonalen ein, dann entstehen insgesamt elf Teilflächen: fünf stumpfwinklige goldene Dreiecke und fünf spitzwinklige goldene Dreiecke sowie in der Mitte ein regelmäßiges Fünfeck. Dabei ergänzen sich ein spitzwinkliges goldenes und ein benachbartes stumpfwinkliges goldenes Dreieck jeweils zu einem größeren spitzwinkligen goldenen Dreieck (vgl. auch folgende Abb. rechts). Für die Seitenlängen x, y gilt: x + y = s und x + y + x = s + x = d.

Mithilfe des 2. Strahlensatzes ergeben sich folgende Verhältnisse: x • in den spitzwinkligen Dreiecken y =

d s

s • in den stumpfwinkligen Dreiecken x =

= , also x = Φ · y, d s

= , also s = Φ · x.

Der Abschnitt s auf einer Diagonalen, der sich aus den Teilstrecken x und y zusammensetzt, wird durch eine andere Diagonale im Verhältnis des goldenen Schnitts geteilt. Die gesamte Diagonale wird durch eine andere Diagonale in zwei Teilstrecken s = x + y und x ebenfalls im Verhältnis des goldenen Schnitts geteilt.

190

9  Der goldene Schnitt

Für die Strecken x, y gilt demnach:

x=

y=

s = s · (� − 1) ≈ 0,618 · s und �

x = x · (� − 1) = s · (� − 1)2 = s · (2 − �) ≈ 0,382 · s. �

Wie man an folgenden Abbildungen ablesen kann, lassen sich spitzwinklige goldene Dreiecke und stumpfwinklige goldene Dreiecke auch so unterteilen, dass eine der Teilflächen ein regelmäßiges Fünfeck ist.

Daher können diese Flächen selbst wieder beliebig oft weiter unterteilt werden. Die folgende Abbildung zeigt eine fortgesetzte Unterteilung eines spitzwinkligen goldenen Dreiecks in ein stumpfwinkliges und ein spitzwinkliges Dreieck.

Ausgehend von der letzten Grafik der fortgesetzten Unterteilung kann man eine Spirale in die Figur hineinzeichnen (vgl. Abb. 9.2). Diese Spirale setzt sich aus Kreisbögen um denjenigen Eckpunkt der stumpfwinkligen Dreiecke zusammen, der jeweils am stumpfen Winkel von 108° liegt. Hierdurch werden jeweils die Eckpunkte der gegenüberliegenden Basis miteinander verbunden. Den Anfang der Spirale bildet ein Kreisbogen am zuletzt unterteilten spitzwinkligen goldenen Dreieck. Es entsteht eine (weitere) goldene Spirale.

9.4  Der goldene Schnitt und das regelmäßige Fünfeck (Pentagon)

191

Abb. 9.2   Eine goldene Spirale im spitzwinkligen goldenen Dreieck

Konstruktion eines regelmäßigen Zehnecks Da sich ein regelmäßiges Zehneck aus zehn gleichschenkligen Dreiecken mit einem spitzen Winkel von 36° zusammensetzt, gilt zwischen dem Radius r und der Seite s10 der folgende Zusammenhang:

s10 =

1 ·r 

Daher kann ein regelmäßiges Zehneck wie folgt (mit Zirkel und Lineal) konstruiert werden: Man teilt den Kreisradius nach dem goldenen Schnitt und ermittelt so den Minor des Kreisradius. Dann wählt man irgendeinen Punkt der Kreislinie, trägt den Minor neunmal hintereinander ab und erhält so die Eckpunkte eines regelmäßigen Zehnecks. Verbindet man jeden zweiten der zehn Eckpunkte des regelmäßigen 10-Ecks miteinander, dann erhält man ein regelmäßiges 5-Eck.

192

9  Der goldene Schnitt

9.5 Variationen zum goldenen Schnitt In der Literatur (s. u.) findet man zahlreiche Hinweise auf überraschende Zusammenhänge mit dem goldenen Schnitt. Einige davon werden im Folgenden vorgestellt. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.12: Zeigen Sie: Zeichnet man in einem goldenen Rechteck eine Diagonale zwischen zwei Eckpunkten und fällt von den anderen beiden Eckpunkten aus jeweils Lote auf diese Diagonale, so entsteht ein Streckenzug aus drei gleich langen Strecken u, v, w.

A 9.13: Beweisen Sie: Die drei grün unterlegten Dreiecke in einem beliebigen Rechteck ABCD haben genau dann den gleichen Flächeninhalt, wenn der Punkt P die Strecke BA im Verhältnis des goldenen Schnitts teilt und analog der Punkt Q die Strecke BC.

A 9.14: Zeigen Sie: Zeichnet man in einen Kreis zwei zueinander kongruente, orthogonal liegende Rechtecke, deren Eckpunkte auf der Kreislinie liegen, dann ist der Flächeninhalt der Kreuzfigur maximal, wenn die beiden Rechtecke goldene Rechtecke sind.

9.5  Variationen zum goldenen Schnitt

193

A 9.15: Zeigen Sie: Zeichnet man unter bzw. über zwei gegenüberliegenden Seiten eines Quadrats der Seitenlänge 2 nebeneinander je zwei Halbkreise mit Radius 21, dann passt in die Mitte der Figur genau ein Kreis mit Radius 1 .

A 9.16: Zeigen Sie: Der Inkreis des in der folgenden Abbildung gezeichneten Dreiecks in einem Quadrat mit Seitenlänge 2 hat den Radius 1 .

A 9.17: Zeigen Sie: 1. Teilt man das spitzwinklige goldene Dreieck Δ in der folgenden Abbildung links in ein stumpfwinkliges goldenes Dreieck Δ1 (blau) und ein spitzwinkliges goldenes Dreieck Δ2 (grün) auf, dann gilt für die Flächeninhalte A :A1 :A2 = :1: 1 . 2. Welche Verhältnisgleichung gilt für die Unterteilung des stumpfwinkligen goldenen Dreiecks in der folgenden Abbildung rechts?

194

9  Der goldene Schnitt

Übersicht

A 9.18: Ein regelmäßiges Zehneck lässt sich mithilfe von je fünf 36°–144°-Rauten und 72°–108°-Rauten parkettieren (vgl. Mathematik ist schön, Kap. 10). Zeigen Sie: Haben die Zehneck-Seiten die Seitenlänge 1, dann haben die 1 kürzeren Diagonalen der 36°–144°-Rauten die Seitenlänge  und die längeren Diagonalen der 72°–108°-Rauten die Länge Φ.

Übersicht

A 9.19: Eine Quadratfläche mit Flächeninhalt 5 kann man – wie in den beiden folgenden Abbildungen dargestellt – in fünf gleich große Teilflächen aufteilen (vgl. Mathematik ist schön, Kap. 8). Zeigen Sie: Das innen liegende Quadrat (weiß) hat die Seitenlänge 1 und die farbig ausgefüllten Rechtecke bzw. symmetrischen Trapeze haben jeweils die 1 Höhe . Die Seitenlänge der farbigen Rechtecke in der folgenden Abbildung links beträgt Φ; dies ist auch die Länge der Mittellinie der farbigen Trapeze in der Abbildung rechts.

9.5  Variationen zum goldenen Schnitt

195

A 9.20: Zeigen Sie (z. B. mithilfe des Vier-Kreise-Satzes von Descartes, vgl. Mathematik ist schön, Kap. 15): 1. Zeichnet man in einen Kreis mit Radius R = 1 einen Kreis mit Radius r0 = 1 (golden) sowie einen Kreis mit Radius r1 = 12 (orangefarben), dann haben die beiden grün gefüllten Kreise, welche die drei gegebenen Kreise berühren, den 1 = 21 · r0. Radius r2 = 2 2. Die Folge der „in die Lücken“ zwischen dem Außenkreis mit Radius R = 1 und dem goldenen Kreis mit r0 = 1 passenden Kreise kann man fortsetzen – sie bilden eine sogen. Pappos-Kette (vgl. folgende Abb. rechts). Für die Radien rn + 1 dieser Kreise gilt:     1 = (n + 1)2 + 1 · � − (n + 1)2 − 1 rn+1

A 9.21: In ein Quadrat mit Seitenlänge 1 wird ein möglichst großes goldenes Rechteck, also ein Rechteck mit dem Seitenverhältnis 1:Φ, eingezeichnet (blau), in das verbleibende Rechteck wiederum ein möglichst großes goldenes Rechteck (grün) usw. (vgl. die folgende Abb. links).

196

9  Der goldene Schnitt

1. Wieso ist diese Parkettierung des Quadrats durch goldene Rechtecke die Veranschaulichung der Gleichung 1 + 13 + 15 + · · · = 1? 2. Was hat diese Parkettierung mit der Parkettierung eines goldenen Rechtecks in Abschn. 9.3 zu tun (vgl. auch die folgende Abb. rechts)?

Übersicht

A 9.22: Analog zur Parkettierung eines Quadrats wie in A 9.21 kann man ein Quadrat auch durch Rechtecke in anderen Formaten parkettieren. Die folgenden Abbildungen √ links nach rechts) Parkettierungen mit Rechtecken im √ zeigen (von Format 1: 2 (DIN), 1: 3 und 1:1,6. Erläutern Sie, wie man schrittweise die Seitenlängen der einzelnen Rechtecke bestimmen kann.

A 9.23: Notieren Sie die Beziehungen, die sich aus den beiden folgenden Parkettierungen eines Quadrats mithilfe von goldenen Rechtecken ergeben.

9.5  Variationen zum goldenen Schnitt

197

A 9.24: Beschreiben Sie jeweils die in den folgenden beiden Abbildungen angedeutete fortgesetzte Zerlegung eines goldenen Rechtecks. Bestimmen Sie die Seitenlängen und die Flächeninhalte.

A 9.25: Erläutern Sie die folgenden abgebildeten Figuren:

A 9.26: Das spitzwinklige goldene Dreieck kann mithilfe von sogenannten goldenen Trapezen parkettiert werden. Welche Längen haben die Seiten eines goldenen Trapezes? Welche Flächeninhalte haben die einzelnen Trapeze?

198

9  Der goldene Schnitt

A 9.27: Beschreiben Sie die in den folgenden Abbildungen dargestellte Zerlegung des spitzwinkligen goldenen Dreiecks. Welche Flächeninhalte haben die einzelnen Teilflächen?

A 9.28: Der regelmäßige 10-zackige Stern {10/3} (vgl. Mathematik ist schön, Kap. 1) lässt sich mit 20 spitzwinkligen goldenen Dreiecken auslegen. Wie hängt der Flächeninhalt der Sternfigur vom Radius des umgebenden Kreises (rot) ab?

9.5  Variationen zum goldenen Schnitt

199

A 9.29: Verlängert man die Seiten eines gleichseitigen Dreiecks mit dem Faktor (1 + k) zyklisch in dieselbe Richtung und verbindet die Endpunkte der verlängerten Seiten miteinander, dann entsteht wieder ein gleichseitiges Dreieck. 1. Begründen Sie: Dieses vergrößerte Dreieck hat einen Flächeninhalt, der (1 + 3k + 3k2)-mal so groß ist wie der des Ausgangsdreiecks. 2. Die beiden folgenden Abbildungen zeigen die Figuren für die Fälle k = 1 (links) und k =  1 (rechts). Welchen Flächeninhalt haben jeweils die vergrößerten Figuren?

A 9.30: Verlängert man analog zu A 9.29 die Seiten eines Quadrats mit dem Faktor (1 + k) zyklisch in dieselbe Richtung und verbindet die Endpunkte der verlängerten Seiten miteinander, dann entsteht wieder ein Quadrat. 1. Begründen Sie: Dieses vergrößerte Quadrat hat einen Flächeninhalt, der (1 + 2k + 2k2)-mal so groß ist wie der des Ausgangsquadrats. 2. Die ersten beiden der folgenden Abbildungen zeigen die Figuren für die Fälle k = 1 (links) und k = 1 (Mitte). Welchen Flächeninhalt haben jeweils die vergrößerten Figuren? 3. Die dritte Figur (rechts) hat einen Außenbereich (blau), der genauso groß ist wie die innen liegende Fläche (gelb). Wie groß ist hier der Faktor (1 + k)?

200

9  Der goldene Schnitt

A 9.31: Verlängert man analog zu A 9.29 und A 9.30 die Seiten eines regelmäßigen n-Ecks mit dem Faktor (1 + k) zyklisch in dieselbe Richtung und verbindet die Endpunkte der verlängerten Seiten miteinander, dann entsteht wieder ein regelmäßiges n-Eck. 1. Zeigen Sie: Für den Flächeninhalt der hinzukommenden Fläche gilt:  ◦  180 Aauβen = 4 · k · (1 + k) · sin2 n 2. Was ergibt sich beim regelmäßigen Fünfeck für die Fälle k = 1 und k = 1 (vgl. die ersten beiden der folgenden Abbildungen)? 3. Für welchen Wert von k ist der Außenbereich (hellblau) genauso groß wie das Ausgangsfünfeck (gelb) (vgl. dritte Abbildung)? 4. Was ergibt sich beim regelmäßigen Sechseck für k = 1 bzw. k = 1 (vgl. vierte und fünfte folgende Abbildung)? 5. Welche besonderen Eigenschaften ergeben sich beim regelmäßigen Achteck (Zehneck, Zwölfeck)?

A 9.32: Die folgende Abbildung links zeigt eine spezielle Pythagoras-Figur, aus der in der rechten Abbildung eine Pythagoras-Spirale mit größer werdenden Quadraten entwickelt wird. Bestimmen Sie die Seitenlängen der auftretenden Quadrate.

9.6  Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites

201

9.6 Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites In diesem Abschnitt untersuchen wir weitere Figuren und Muster, die sich aus spitzwinkligen und stumpfwinkligen goldenen Dreiecken zusammensetzen. Spontan kommt man vielleicht auf die Idee, zehn stumpfwinklige goldene Dreiecke zu einer Sägeblatt-ähnlichen Figur aneinanderzulegen und diese Figur durch zehn spitzwinklige goldene Dreiecke zu einem regelmäßigen Zehneck zu ergänzen, vgl. die folgenden ersten beiden Grafiken. Durch Spiegelung der Hälfte der stumpfwinkligen Dreiecke ergibt sich schließlich die dritte Grafik.

Auch andere Parkettierungen von regelmäßigen Zehnecken durch goldene Dreiecke sind möglich, beispielsweise wie in den nächsten Figuren zu sehen.

202

9  Der goldene Schnitt

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 9.33: a) Gibt es weitere Möglichkeiten, ein regelmäßiges Zehneck mithilfe der goldenen Dreiecke zu parkettieren? b) Welcher Flächeninhalt ergibt sich für ein regelmäßiges Zehneck der Seitenlänge 1 aus den verschiedenen Parkettierungsmöglichkeiten?

Ein aus zehn spitzwinkligen goldenen Dreiecken zusammengesetztes regelmäßiges Zehneck (s. o.) kann durch Aufsetzen von weiteren zehn spitzwinkligen goldenen Dreiecken zu einem regelmäßigen zehnzackigen Stern ergänzt werden (vgl. mittlere Abb.). Die Abbildung rechts zeigt denselben Stern – hier jedoch entstanden durch Zeichnen bestimmter Diagonalen. Erst durch Anlegen eines Lineals erkennt man, dass es sich bei der mittleren Figur tatsächlich um einen regelmäßigen zehnzackigen Stern vom Typ {10/4} handelt (Charakterisierung mit dem sog. Schläfli-Symbol, vgl. Mathematik ist schön, Kap. 1).

9.6  Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites

203

Abb. 9.3   Parkettierung der Ebene durch immer mehr Zehnecke

Den zehnzackigen Stern kann man durch Einfügen von zwanzig spitzwinkligen goldenen Dreiecken wiederum zu einem regelmäßigen Zehneck ergänzen, dessen Fläche daher viermal so groß ist wie beim o. a. Ausgangszehneck. Legt man einen weiteren Streifen von insgesamt 50 spitzwinkligen goldenen Dreiecken um diese Figur, so ergibt sich ein regelmäßiges Zehneck, das 9-mal so groß ist wie das Ausgangszehneck, vgl. Abb. 9.3. Dies kann man beliebig fortsetzen und auf diese Weise sogar die ganze Ebene parkettieren. Da die goldenen Dreiecke gleichschenklig sind, lassen sich je zwei Dreiecke desselben Typs zu einem Parallelogramm ergänzen; bei zwei der vier unten abgebildeten Möglichkeiten handelt es sich sogar um Rauten. Mit Rauten oder allgemein mit Parallelogrammen kann man eine Ebene parkettieren, aber das entstehende Muster ist eher langweilig.

Durch Aneinanderlegen zweier goldener Dreiecke vom selben Typ können auch achsensymmetrische Figuren erzeugt werden. In der Literatur werden diese üblicherweise als darts (Pfeile, vgl. Abb. links) bzw. kites (Drachen, vgl. Abb. Mitte) bezeichnet.

204

9  Der goldene Schnitt

Diese Grundelemente werden wir für die im Folgenden betrachteten Parkettierungen verwenden. Ihre besondere Eignung für Parkettierungen wurde vom englischen Mathematiker Roger Penrose (geb. 1931) entdeckt, der in den 1970er Jahren Eigenschaften verschiedener Grundelemente untersuchte, vgl. auch die Briefmarke aus Macau rechts.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.34: Bestimmen Sie die Größe der Winkel sowie die Seitenlängen der darts und kites.

Zunächst einmal stellen wir fest: Darts und kites passen gut zueinander; denn ineinandergelegt bilden sie eine Raute; aber sehr abwechslungsreich wäre eine Parkettierung der Ebene mit solchen kite-dart-Rauten nicht.

Legt man fünf kites mit ihrer Spitze aneinander, dann ergibt sich eine fünfzackige Sternfigur (vgl. Abb. links). Diese erhält man auch, wenn man zunächst fünf (kleinere) darts zu einem regelmäßigen Zehneck zusammenlegt und anschließend (entsprechend kleinere) kites passend aufsetzt. Die mittlere Sternfigur besteht aus fünf kite-dart-Rauten.

9.6  Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites

205

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.35: Bestimmen Sie in der folgenden Figur die Seitenlängen der verwendeten darts und kites sowie das Größenverhältnis der grün bzw. blau gefärbten Flächen.

Die Conway’schen Anlegeregeln Zu interessanten Mustern kommt man, wenn man bestimmte Anlegeregeln für die kites und darts beachtet. Der äußerst kreative englische Mathematiker John Horton Conway (1937–2020), vgl. auch Mathematik ist wunderwunderschön, Kap. 1) schlug hierzu vor, auf den kites und den darts zusätzliche Kreisbögen aufzutragen. Der Radius dieser Bögen ist dabei so gewählt, dass die kites- und darts-Seiten jeweils im Verhältnis des goldenen Schnitts geteilt werden. • Conway’sche Anlegeregeln (matching rules): Nur solche kites und darts dürfen aneinandergelegt werden, bei denen die aufgetragenen Kreisbögen jeweils gleicher Farbe ineinander übergehen.

206

9  Der goldene Schnitt

Die ersten beiden Figuren der folgenden Abbildungen zeigen die so ergänzten Grundelemente. An der dritten Abbildung kann man ablesen, dass in diesem Fall die zu einer Raute aneinandergelegten darts und kites nicht mehr den Conway’schen Anlegeregeln entsprechen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.36: Bestimmen Sie die Radien und die jeweilige Bogenlänge der Kreisbögen auf den (gemäß dem Vorschlag von Conway) verzierten darts und kites.

Aus den Anlegeregeln folgt, dass es sieben Möglichkeiten gibt, wie die darts und kites an einer Ecke zusammentreffen können: Fünf kites ergeben ein regelmäßiges Zehneck; fünf darts ergänzen sich zu einer regelmäßigen fünfzackigen Sternfigur; zwei darts und ein kite lassen sich zu einem größeren kite zusammenlegen.

Darüber hinaus sind noch vier achsensymmetrische Formen möglich:

9.6  Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites

207

Anwendung der Conway’schen Anlegeregeln (inflation) Im Folgenden zeigen wir, wie man schrittweise symmetrische Muster aufbauen kann, indem man die jeweils vorhandenen Figuren unter Beachtung der Conway’schen Anlegeregeln erweitert. Diese Methode wird in der Literatur als inflation bezeichnet (wörtlich: Aufblähung). Beispielsweise kann man den fünfzackigen regelmäßigen Stern (vgl. b) mithilfe von zehn kites zu einem regelmäßigen Zehneck ergänzen und dann an diese Figur fünfmal drei darts anschließen.

208

9  Der goldene Schnitt

Diese Figur kann man wiederum durch fünf regelmäßige Zehnecke ergänzen (die jeweils aus fünf kites bestehen), sodass schließlich ein Muster aus durchlaufenden roten oder blauen Linien entsteht, vgl. die folgenden Grafiken (auch in einer anderen Farbkombination). Auch an diese Figur lassen sich ringförmig beliebig viele weitere Grundelemente passend anfügen und somit die Ebene parkettieren.

Entsprechend zu diesem infinite star pattern, bei dem der fünfzackige Stern (Figur b) als Ausgangsfigur gewählt wird, kann man auch mit dem regelmäßigen Fünfeck (Figur a) beginnen und so ein infinite sun pattern entwickeln (Bezeichnungen von Martin Gardner), vgl. die folgende Sequenz von Abbildungen, (auch in einer anderen Farbkombination.

9.6  Parkettierungen mit goldenen Dreiecken – darts und kites

209

Anwendung der Conway’schen Anlegeregeln (deflation) Auf den vorangehenden Seiten sind wir jeweils von einem Grundelement ausgegangen (fünfzackiger Stern, regelmäßiges Zehneck) und haben diese Figuren durch passende darts und kites gemäß den Anlegeregeln nach außen erweitert. Umgekehrt kann man auch von Grundelementen ausgehen und Teilbereiche im Innern ersetzen; in der Literatur wird dieser Vorgang als deflation (wörtlich: Entleerung) bezeichnet. In den folgenden Grafiken kann man die schrittweise Verfeinerung der Parkettierung der goldenen Dreiecke ablesen. In den Abbildungen a, b, e und f werden vier Generationen der deflation der spitzwinkligen goldenen Dreiecke gezeigt, in den Abbildungen c, d, g, h die der stumpfwinkligen goldenen Dreiecke.

210

9  Der goldene Schnitt

Für die jeweils nächste Generation werden die beiden Figuren der vorangehenden Generation verwendet. So ist in Figur b der 1. Generation dargestellt, wie ein spitzwinkliges goldenes Dreieck der 0. Generation (Figur a, jeweils auch mit der gespiegelten Version) in ein stumpfwinkliges goldenes Dreieck (vgl. Figur c) und zwei spitzwinklige goldene Dreiecke (Figur a in beiden Versionen) zerlegt werden kann. Figur d der 1. Generation setzt sich aus goldenen Dreiecken a und c der 0. Generation zusammen. Figur e der 2. Generation besteht aus verkleinerten Puzzlestücken von Figuren der 1. Generation (d und b), ebenso wie Figur f aus verkleinerten Puzzlestücken der Figuren e und g.

9.7  Weitere Penrose-Parkettierungen

211

Wie oben gezeigt, bilden zehn spitzwinklige goldene Dreiecke ein regelmäßiges Zehneck. Dies nutzen wir hier wie folgt: Legt man fünfmal ein spitzwinkliges goldenes Dreieck an die gespiegelte Version dieses Dreiecks, dann ergeben sich die regelmäßigen Zehnecke der 0., 1., 2. und 3. Generation von Abb. 9.4. Wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass die letzte Figur von Abb. 9.4 im Zentrum des infinite star pattern enthalten ist. Entsprechend findet man in Abb. 9.5 bei der 3. Generation der folgenden fünffach verdoppelten stumpfwinkligen goldenen Dreiecke, dass diese Sternfigur Teil des infinite sun pattern ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.37: Ermitteln Sie in Abb. 9.4 und in Abb. 9.5 jeweils die Anzahl der grün gefärbten stumpfwinkligen goldenen Dreiecke und der blau gefärbten spitzwinkligen goldenen Dreiecke. Was fällt auf?

212

9  Der goldene Schnitt

Die gemäß den Anlegeregeln entstandenen Penrose-Parkettierungen haben eine wunderschöne fünfzählige Symmetrie. Es mag paradox erscheinen, dass man jede Auswahl von aneinanderliegenden Formen, also einen Ausschnitt aus der Parkettierung der unendlich großen Ebene, beliebig oft in der Parkettierung der Ebene wiederfindet, dass es aber andererseits nicht möglich ist, den ausgewählten Teilbereich allein durch Verschiebung (Translation) mit einem anderen Bereich zur Deckung zu bringen. Wegen der zuletzt genannten Eigenschaft werden die Penrose-Parkettierungen als aperiodisch bezeichnet. Eine Übersicht über die wichtigsten aperiodischen Parkettierungen bietet die Website • https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_aperiodic_sets_of_tiles

Abb. 9.4   Deflation des regelmäßigen Zehnecks

9.7  Weitere Penrose-Parkettierungen

Abb. 9.5   Deflation der fünfzackigen Sternfigur

Abb. 9.6   Penrose-Parkettierung P3 mit Rauten. (Quelle: https:// commons.wikimedia.org/wiki/ File:Penrose_Tiling_(Rhombi). svg)

213

214

9  Der goldene Schnitt

9.7 Weitere Penrose-Parkettierungen Auf der o. a. Website findet man u. a. eine aperiodische Parkettierung der Ebene mithilfe von „dünnen“ und „dicken“ Rauten, d. h. mit 36°–144°-Rauten und 72°–108°-Rauten, die Penrose in einem dritten Vorschlag (P3) präsentierte. Abb. 9.6 finden Sie auch am Anfang des Kapitels Parkettieren von regelmäßigen 2n-Ecken mithilfe von Rauten in Mathematik ist schön (Kap. 10); die Auslegung von regelmäßigen Zehnecken durch Rauten ist dabei nur ein Spezialfall. Auch für die Rauten sind Anlegeregeln definiert, die man an folgenden, auf den Rauten aufgetragenen Markierungen ablesen kann.

So ergibt sich beispielsweise für die Parkettierung des im Zentrum von Abb. 9.6 liegenden Zehnecks die folgende Auslegung (Abb. links), um die dann 15 dicke Rauten gelegt werden können (Abb. Mitte) und dann im nächsten Schritt zehn dünne Rauten.

Die letzte Figur lässt sich durch Anlegen von weiteren dünnen und dicken Rauten schrittweise erweitern; Abb. 9.7 zeigt die nächsten Formen.

9.8  Hinweise auf weiterführende Literatur

215

Abb. 9.7   Penrose-Parkettierung P3 mit Markierungen

Schließlich stellen wir noch kurz den Vorschlag P1 von Penrose vor, bei dem als Grundelemente das regelmäßige Fünfeck (Pentagon), der regelmäßige fünfzackige Stern (star), also das Pentagramm, eine Teilfigur des regelmäßigen Sterns (boat) sowie die dünne Raute (diamond) verwendet werden.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.38: Bestimmen Sie die Flächeninhalte der vier Grundelemente.

216

9  Der goldene Schnitt

Mithilfe von drei dieser vier Grundelemente kann man beispielsweise ein regelmäßiges Zehneck zusammensetzen, vgl. folgende Abb.

Auch für diese Elemente formulierte Penrose Anlegeregeln, um aperiodische Parkette zu erzeugen – wir verweisen hier auf die u. a. Literatur (z. B. Grünbaum und Shephard 2019). In den folgenden Abbildungen werden diese Anlegeregeln dadurch deutlich, dass das Pentagon in drei verschiedenen Farben gefärbt ist: z. B. eine Farbe für die fünf Pentagone, die ein Pentagramm umgeben, bzw. zwei Farben für die vier Pentagone, die ein diamond einfassen. Ausgehend von einem Pentagon in der dritten Farbe lässt sich dann schrittweise ein wunderschönes Muster zusammenstellen, vgl. die nachfolgenden Teilfiguren (Abb. mit unterschiedlichen Längeneinheiten) sowie Abb. 9.8.

9  Der goldene Schnitt

217

Abb. 9.8   Die Penrose-Parkettierung P1

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

9.39: Auch bei den folgenden Figuren werden die Grundelemente Pentagon und Pentagramm verwendet. Bestimmen Sie jeweils die Anteile der gelb bzw. orange gefärbten Flächen.

218

9  Der goldene Schnitt

9.8 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • • • •

Goldener Schnitt (Golden ratio, Nombre d’or*) Goldenes Rechteck (Golden rectangle, –) Penrose-Parkettierung (Penrose tiling*, Pavage de Penrose) - (Aperiodic tiling, Pavage apériodique)

*) Auszeichnung als lesenswerter/exzellenter Artikel Umfangreiche fachliche Informationen findet man auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Golden ratio, Golden rectangle (und weiteren damit verbundenen Stichwörtern) Die Anzahl der Bücher zum Thema ist ebenfalls sehr groß. Hier einige Empfehlungen: • Walser, Hans (6. Auflage, 2013): Der Goldene Schnitt, EAGLE, Leipzig • Beutelspacher, Albrecht (2. Auflage, 1995): Der Goldene Schnitt, Spektrum, Heidelberg • Posamentier, Alfred S. & Lehmann, Ingmar (2011): The Glorious Golden Ratio, Prometheus Books, New York • von Corbalán, Fernando (2016): Der Goldene Schnitt: Die mathematische Sprache der Schönheit, Librero, Kerkdriel (NL) • Gardner, Martin (2001): The colossal book of mathematics, Chap. 7, W. W. Norton & Company, New York

9  Der goldene Schnitt

219

• Behrends, Ehrhard (2019): Parkettierungen der Ebene, Springer Spektrum, Wiesbaden • Grünbaum, Branko; Shephard, G. C. (2019): Tilings & Patterns (2nd edition), Dover Publications, Mineola, NY Unter den Websites sind insbesondere die folgenden hervorzuheben: • • • •

http://www.cut-the-knot.org/do_you_know/GoldenRatio.shtml http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen_Uebersicht/Goldener_Schnitt/index.html http://www.hjcaspar.de/hpxp/parkett.htm http://www.3d-meier.de/tut21/Seite0.html

Zu A 9.27 – A 9.29 vergleiche auch: • http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/V/VergroessernmitGS/VergroessernmitGS.htm

Platonische und andere regelmäßige Körper

10

Das Gute schafft die Ordnung, das Schöne ist sie. (Platon, griechischer Philosoph, 427–347 v. Chr.)

Die fünf regelmäßigen Körper – Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder – werden als platonische Körper bezeichnet. Sie tragen den Namen des Philosophen Platon, der im Jahr 358 v. Chr. die vier Elemente Erde (Hexaeder), Luft (Oktaeder), Wasser (Ikosaeder), Feuer (Tetraeder) diesen Körpern zuordnete. Aristoteles ergänzte dies später und fügte noch als Symbol des fünften Elements (Äther) das Dodekaeder hinzu. Wie bereits Euklid erläuterte (Elemente XIII, 18), sind dies die einzig möglichen regelmäßigen konvexen Polyeder (Vielflächner, poly = viel, hedra = Fläche), deren Oberfläche sich aus lauter gleichen regelmäßigen Vielecken (Polygone) zusammensetzt. An den Kanten des Körpers kommen jeweils zwei dieser Polygone zusammen, an Ecken jeweils eine charakteristische Anzahl von Flächen: • Beim Tetraeder sind dies vier (griech. tetra) gleiche gleichseitige Dreiecke, • beim Hexaeder sechs (griech. hexa) gleiche regelmäßige Vierecke (also Quadrate), © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_10

221

222

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

• beim Oktaeder acht (griech. okto) gleiche gleichseitige Dreiecke, • beim Dodekaeder zwölf (griech. dodeka) gleiche regelmäßige Fünfecke, • beim Ikosaeder zwanzig (griech. eikosa) gleiche gleichseitige Dreiecke.

10.1 Zur Anzahl der platonischen Körper Dass es höchstens diese fünf regelmäßigen Körper gibt, kann man wie folgt überlegen: Die Oberfläche eines geometrischen Körpers setzt sich aus Vielecken zusammen, die gemeinsame Seiten besitzen. Nur dann sind dies Kanten eines Körpers, wenn benachbarte Flächenstücke einen Winkel ungleich 180° miteinander bilden. Raumecken entstehen, wenn mindestens drei Vielecke mit ihren Kanten in einem Punkt aneinanderstoßen und wenn die Summe der Innenwinkel der Flächenstücke, die an einer Ecke zusammenkommen, kleiner ist als ein Vollwinkel (360°). Bei den platonischen Körpern setzen sich die Teilflächen der Oberfläche aus drei Grundformen zusammen: den regelmäßigen Dreiecken, Vierecken und Fünfecken. Grundform: gleichseitiges Dreieck Ausgehend von dieser Grundform mit 60°-Winkeln in den Ecken gibt es drei Möglichkeiten, eine Raumecke zu bilden: Eine Raumecke aus gleichseitigen Dreiecken ­entsteht,

10.1  Zur Anzahl der platonischen Körper

223

wenn drei bzw. vier bzw. fünf dieser Polygone aneinanderstoßen. Wenn noch ein sechstes gleichseitiges Dreieck hinzugenommen wird, lässt sich keine Raumecke mehr bilden, da dann die Winkelsumme 360° beträgt. Benachbarte Flächenstücke werden längs der gemeinsamen Kanten gefaltet, die äußeren Flächenstücke werden an den beiden roten Seiten miteinander verbunden. Diese so entstehenden Raumecken bilden – für sich genommen – regelmäßige dreieckige, viereckige bzw. fünfeckige Pyramiden (ohne Grundfläche). • Netz für die Raumecke eines regelmäßigen Tetraeders

• Netz für die Raumecke eines regelmäßigen Oktaeders

• Netz für die Raumecke eines regelmäßigen Ikosaeders

Grundform: Quadrat Ausgehend von dieser Grundform mit 90°-Winkeln in den Ecken findet man nur eine Möglichkeit, eine Raumecke herzustellen: Eine Raumecke entsteht, wenn drei dieser Polygone aneinanderstoßen. Wenn noch ein viertes Quadrat hinzugenommen wird, lässt sich keine Raumecke mehr bilden, da dann die Winkelsumme 360° beträgt. Benachbarte Flächenstücke werden längs der gemeinsamen Kanten gefaltet, die äußeren Flächenstücke werden an den beiden roten Seiten miteinander verbunden.

224

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

• Netz für die Raumecke eines regelmäßigen Hexaeders (Würfels)

Grundform: regelmäßiges Fünfeck Ausgehend von dieser Grundform mit 108°-Winkeln in den Ecken findet man nur eine Möglichkeit, eine Raumecke herzustellen: Eine Raumecke entsteht, wenn drei dieser Polygone aneinanderstoßen. Wenn noch ein weiteres Fünfeck hinzugenommen wird, lässt sich keine Raumecke mehr bilden, da dann die Winkelsumme größer ist als 360°. Benachbarte Flächenstücke werden längs der gemeinsamen Kanten gefaltet, die äußeren Flächenstücke werden an den beiden roten Seiten miteinander verbunden. • Netz für die Raumecke eines regelmäßigen Dodekaeders

Betrachtet man regelmäßige Polygone mit mehr als fünf Ecken, können keine Raumecken mehr gebildet werden: • Beim regelmäßigen Sechseck mit 120°-Winkeln in den Ecken ergänzen sich die drei in einem Punkt aneinanderstoßenden Flächen zu einem Vollwinkel von 360°, lassen also keine Raumecke zu.

10.2  Netze der platonischen Körper

225

• Bei regelmäßigen n-Ecken mit n ≥ 7 (wie z. B. beim regelmäßigen Siebeneck oder Achteck, vgl. folgende Abbildung) überschneiden sich drei in einem Punkt aneinanderstoßende Flächen.

Daher bleibt es bei den fünf oben beschriebenen regelmäßigen Körpern, bei denen alle Raumecken gleichartig sind.

10.2 Netze der platonischen Körper Zum Basteln dieser Körper benötigt man geeignete Netz e aus den Grundformen (also aus regelmäßigen Dreiecken, Vierecken und Fünfecken); zusätzlich müssen noch Klebefalze berücksichtigt werden. Die Anzahl der benötigten Klebefalze ergibt sich aus der Anzahl der Kanten des Polyeders, vermindert um die Anzahl der im Netz innen liegenden Seiten zwischen zwei benachbarten Flächen. Netze für das regelmäßige Tetraeder Für das regelmäßige Tetraeder gibt es zwei mögliche Netze mit jeweils vier gleichseitigen Dreiecken als Flächen. Von den 4 · 3 = 12 Seiten der vier gleichseitigen Dreiecke liegen in den beiden Tetraedernetzen 6 Seiten außen und 4 − 1 = 3 Seiten innen. Bei den innen liegenden Seiten eines Netzes stoßen jeweils zwei gleichseitige Dreiecke aneinander – je zwei Seiten bilden also eine Kante. Und von den sechs außen liegenden Seiten müssen je zwei mithilfe eines Klebefalzes aneinandergeklebt werden, sodass sich insgesamt k = 6 Kanten des Tetraeders ergeben. Wenn man z. B. die gelb gefärbte Fläche als Grundfläche nimmt (vgl. folgende Abbildungen), dann kann man beim ersten Netz die drei anderen Dreiecke nach oben klappen und mithilfe von drei Klebefalzen miteinander verbinden. Beim zweiten Netz klappt man die beiden braunen Flächen nach oben und schließt die verbleibende Öffnung durch Herunterklappen des rosa gefärbten Dreiecks.

226

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Netze für das regelmäßige Hexaeder Für das regelmäßige Hexaeder, also für den gewöhnlichen Würfel, existieren elf verschiedene Netze (vgl. auch Mathematik ist schön, Abschn. 5.3). In den folgenden Abbildungen sind die (beim zusammengeklebten Würfel) einander gegenüberliegenden Quadratflächen (zur Vereinfachung der Zuordnung) jeweils gleich gefärbt. Die sechs Quadrate haben insgesamt 6 · 4 = 24 Seiten. Da beim Hexaeder jeweils zwei Quadratseiten aneinanderstoßen, hat ein Hexaeder k = 12 Kanten. In den Würfelnetzen gibt es 6 − 1 = 5 Paare benachbarter Quadrate, d. h., fünf der zwölf Kanten eines Hexaeders ergeben sich durch innen liegende Seiten eines Netzes. Um die übrigen Kanten des Hexaeders zu bilden, müssen also 12 − 5 = 7 Klebefalze angebracht werden. Bei sechs der elf möglichen Netze liegen vier Quadrate hintereinander; die beiden äußeren Quadrate dieser Viererreihe müssen miteinander verbunden werden. Bei vier Netzen liegen drei Quadrate in einer Reihe.

10.2  Netze der platonischen Körper

227

In der Literatur findet man auch die Angabe, dass es zwanzig verschiedene Würfelnetze gibt. Zu weiteren neun Varianten gelangt man durch Umdrehen von neun der o. a. elf Netze, d. h., man unterscheidet bei den Netzen, ob man sie „von oben“ bzw. „von unten“ sieht. Diese zusätzlichen, gespiegelten Formen (vgl. die folgenden Abbildungen) sollen im Folgenden jedoch nicht weiter betrachtet werden.

228

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Netze für das regelmäßige Oktaeder Auch für das regelmäßige Oktaeder, eine quadratische Doppelpyramide, existieren elf verschiedene Netze. In den Abbildungen sind die gleichseitigen Dreiecke, die eine gemeinsame Kante haben, unterschiedlich gefärbt. Man beachte, dass sich beim Falten nicht notwendig ein Oktaeder ergeben muss. Die acht gleichseitigen Dreiecke haben insgesamt 8 · 3 = 24 Seiten. Da jeweils zwei Dreiecksseiten aneinanderstoßen, hat ein Oktaeder k = 12 Kanten. In den Oktaedernetzen gibt es 8 − 1 = 7 Paare benachbarter Dreiecke, d. h., sieben der zwölf Kanten eines Oktaeders ergeben sich durch innen liegende Seiten eines Netzes. Um die übrigen Kanten des Oktaeders zu bilden, müssen also 12 − 7 = 5 Klebefalze angebracht werden. Wie oben dargestellt, bilden vier um einen gemeinsamen Punkt herum angeordnete gleichseitige Dreiecke jeweils eine quadratische Pyramide (ohne Grundfläche). Bei sechs der elf Oktaedernetze sind je zwei solcher Elemente für eine Raumecke aneinandergesetzt. Bei vier Netzen ist ein Pyramidenelement vorhanden, an das auf einer Seite eine Reihe von drei gleichseitigen Dreiecken anschließt, auf einer anderen Seite ein gleichseitiges Dreieck.

10.2  Netze der platonischen Körper

229

Netze für das regelmäßige Dodekaeder Für das Dodekaeder gibt es 43380 verschiedene Netze. Im Folgenden ist ein besonders einfaches Netz abgebildet. Die zwölf regelmäßigen Fünfecke haben insgesamt 12 · 5 = 60 Seiten. Da jeweils zwei Fünfeckseiten aneinanderstoßen, hat ein Dodekaeder k = 30 Kanten. In den Netzen gibt es 12 − 1 = 11 Paare benachbarter Fünfecke, d. h., elf der 30 Kanten eines Dodekaeders ergeben sich durch innen liegende Seiten eines Netzes. Um die übrigen Kanten des Dodekaeders zu bilden, müssen also 30 − 11 = 19 Klebefalze angebracht werden.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.1: 1. Wie kann man das abgebildete Netz des Dodekaeders färben, dass beim zusammengeklebten Dodekaeder benachbarte Flächen unterschiedlich gefärbt sind? 2. Geben Sie mindestens ein weiteres Netz für ein Dodekaeder an und färben Sie es so wie in (1) beschrieben.

Netze für das regelmäßige Ikosaeder Auch für das Ikosaeder gibt es 43380 verschiedene Netze. Im Folgenden ist ein besonders einfaches Netz abgebildet. Die zwanzig gleichseitigen Dreiecke haben insgesamt 20 · 3 = 60 Seiten. Da jeweils zwei Dreiecksseiten aneinanderstoßen, hat ein Ikosaeder k = 30 Kanten. In den Netzen gibt es 20 − 1 = 19 Paare benachbarter Fünfecke, d. h., 19 der 30 Kanten eines Ikosaeders ergeben sich durch innen liegende Seiten eines Netzes. Um die übrigen Kanten des Ikosaeders zu bilden, müssen also 30 − 19 = 11 Klebefalze angebracht werden.

230

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.2: Eine kleine gedankliche Übung ist es, den acht Eckpunkten eines regelmäßigen Hexaeders die jeweilige Position in einem der Netze zuzuordnen. In den unten abgebildeten Beispielen wurde die Grundfläche des abgebildeten Würfels jeweils in ein unten liegendes Quadrat des jeweiligen Netzes gelegt. Für die Grundfläche eines regelmäßigen Hexaeders kann man im Prinzip jedes der Quadrate eines Netzes auswählen. Beachtet man auch die neun durch Spiegelung erhaltenen zusätzlichen Netze und außerdem die möglichen Drehungen der einzelnen Netze um 90°, 180° und 270°, dann ergibt sich eine ziemlich große Zahl an möglichen „Denkaufgaben“. Wie viele verschiedene Aufgaben dieser Art sind möglich?

10.2  Netze der platonischen Körper

231

A 10.3: Eine beliebte Knobelaufgabe ist die folgende Fragestellung der Unterhaltungsmathematik: Ein Käfer wandert von einem Eckpunkt eines Würfels auf der Oberfläche zum räumlich gegenüberliegenden Eckpunkt und auf einem anderen Weg wieder zurück. Welche Rundwege sind möglich? In welches der elf Würfelnetze kann man einen solchen Weg einzeichnen, ohne den Stift abzusetzen? Die ersten drei Abbildungen unten zeigen drei Kombinationen der sechs möglichen kürzesten Wege auf der Würfeloberfläche zwischen einem Eckpunkt und dem räumlich gegenüberliegenden Punkt. Für Rundwege gibt es insgesamt 1 · 6 · 5 = 15 Möglichkeiten, diese sechs Wege zu kombinieren. 2 1. Geben Sie die übrigen zwölf Möglichkeiten für Rundwege auf der Oberfläche des Hexaeders an. In den vier folgenden Beispiel-Würfelnetzen sind jeweils die möglichen kürzesten Verbindungen zwischen zwei einander gegenüberliegenden Eckpunkten eingezeichnet, die über benachbarte Quadrate verlaufen. 2. Welche solche kürzeste Wege findet man auf den anderen Würfelnetzen von A 10.2?

232

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Zu (1):

Zu (2):

10.3 Schrägbilder der platonischen Körper Wenn man selbst (also ohne 3-D-Software) ein zweidimensionales Schrägbild eines dreidimensionalen Körpers zeichnen möchte, sind nur zwei Grundsätze zu beachten: • Strecken, die in der Gesichtsfeldebene liegen oder parallel zu ihr verlaufen, werden im Schrägbild unverkürzt gezeichnet, • Strecken, die orthogonal (senkrecht) zur Gesichtsfeldebene verlaufen, werden unter einem Winkel von (z. B.) 30° gegenüber Strecken abgetragen, die parallel zur Gesichtsfeldebene liegen; ihre Länge wird (z. B.) auf die Hälfte verkürzt.

10.3  Schrägbilder der platonischen Körper

233

Für Kanten, die weder parallel noch senkrecht zur Gesichtsfeldebene liegen, gibt es keine einfache Regel zum Zeichnen. Um solche Kanten passend zeichnen zu können, müssen die Eckpunkte dieser Strecken mithilfe paralleler oder orthogonaler Hilfslinien konstruiert werden. Schrägbild eines regelmäßigen Hexaeders Das vorne und das hinten liegende Quadrat liegen parallel zur Gesichtsfeldebene, beide werden daher unverzerrt gezeichnet; die nach hinten verlaufenden Verbindungsstrecken werden auf die Hälfte verkürzt und unter einem Winkel von 30° abgetragen. Hinweis: Wählt man statt der 30° einen Tiefenwinkel von 45°, dann hat dies oft Nachteile hinsichtlich der Sichtbarkeit von Eckpunkten und Linien. Für das Zeichnen von Körpern mit gekrümmten Kanten und Flächen, wie z. B. Kegel und Kugel, eignen sich eher andere axonometrische Verfahren (Kreise werden im Schrägbild zu Ellipsen).

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.4: Die folgende Abbildung zeigt das Netz eines Würfels mit unterschiedlich gefärbten Flächen.

Bastelt man aus diesem Netz einen Würfel (wobei die hier sichtbaren farbigen Flächen außen liegen sollen) und zeichnet ein Schrägbild des Würfels, dann sind nur drei der sechs Flächen des Körpers sichtbar.

234

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

a. Erläutern Sie anhand der folgenden Abbildungssequenzen die Aussage: Zu jedem Würfel existieren 24 mögliche Schrägbilder. (Warum werden im Folgenden nur elf Würfel gezeigt?)

b. Zeichnen Sie passende Schrägbilder zu den folgenden Würfelnetzen.

10.3  Schrägbilder der platonischen Körper

235

Schrägbild eines regelmäßigen Tetraeders Um das Schrägbild eines regelmäßigen Tetraeders zu zeichnen, benötigt man Kenntnisse über die Körperhöhe H. In den vier Flächen Tetraeders mit der √ Kantenlänge a erfüllt die Flächenhöhe h  des 2 die Bedingung h2 + 2a = a2, also h = a2 · 3. Der Fußpunkt der Körperhöhe H ist der Flächenschwerpunkt der Grundfläche, unterteilt also die Grundflächenhöhe h im Verhältnis 1:2 (vgl. den folgenden Schnitt durch ein Tetraeder).

Daher gilt hier H 2 +

 h 2 3

= h2 und H 2 +

 2 2 h = a2. 3

Nach Einsetzen des Terms für h ergibt sich aus beiden Gleichungen: H =



2 3

·a

Die in der folgenden Abbildung in Grün eingetragenen Hilfslinien dienen nur dazu, den hinten liegenden Punkt der Grundfläche sowie die Spitze des Tetraeders zu bestimmen; man kann sie natürlich auch weglassen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.5: Zeichnen Sie ein Schrägbild eines regelmäßigen Tetraeders, bei dem eine Ecke der Grundfläche nach vorne weist.

236

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Eine andere Möglichkeit, das Schrägbild eines regelmäßigen Tetraeders zu zeichnen, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Oberfläche eines regelmäßigen Hexaeders aus sechs quadratischen Flächen besteht und man sechs der (untereinander gleich langen) zwölf Flächendiagonalen als Kanten eines regelmäßigen Tetraeders auswählt. Man beginnt in einer Ecke, zeichnet die von dort ausgehenden drei Flächendiagonalen und verbindet dann deren Endpunkte miteinander (vgl. folgende Abbildung).

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.6: Zeichnen Sie ein Schrägbild eines regelmäßigen Hexaeders mit dem anderen einbeschriebenen regelmäßigen Tetraeder.

Schrägbild eines regelmäßigen Oktaeders Da ein regelmäßiges Oktaeder eine doppelte quadratische Pyramide ist, fällt auch hier das Schrägbild nicht schwer. Man muss nur beachten, dass die Höhe der beiden Pyramiden jeweils halb so lang ist wie die Diagonale des Quadrats, über bzw. unter dem man die quadratische Pyramide zeichnet.

Ein anderer Ansatz benutzt die Eigenschaft, dass Hexaeder und Oktaeder zueinander duale Körper sind.

10.3  Schrägbilder der platonischen Körper

237

Das Schrägbild eines (gegenüber dem Schrägbild oben um 45° gedrehten) regelmäßigen Oktaeders entsteht dadurch, dass man jeweils die zueinander benachbarten Mittelpunkte der sechs Flächen eines regelmäßigen Hexaeders miteinander verbindet und so acht gleichseitige Dreiecke entstehen (vgl. folgende Abbildung).

Bei zueinander dualen Körpern stimmt die Anzahl e der Ecken des einen Körpers mit der Anzahl f der Flächen des anderen Körpers überein. Die Anzahl k der Kanten ist bei beiden Körpern gleich. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.7: 1. Zeichnen Sie ein Schrägbild eines regelmäßigen Oktaeders und im Innern den dazu dualen Körper, das regelmäßige Hexaeder. 2. Das regelmäßige Tetraeder ist zu sich selbst dual, d. h., wenn man die Mittelpunkte benachbarter Flächen miteinander verbindet, erhält man wieder ein regelmäßiges Tetraeder. Fertigen Sie eine solche Zeichnung eines Tetraeders in einem Tetraeder an.

Schrägbild eines regelmäßigen Ikosaeders Das Schrägbild eines regelmäßigen Hexaeders bietet auch den Rahmen für die Zeichnung des Schrägbildes eines regelmäßigen Ikosaeders. Hierzu benötigt man die Kenntnis über das Teilungsverhältnis beim goldenen Schnitt (vgl. Kap. 9). Es gilt: Hat ein regelmäßiges Hexaeder die Seitenlänge 1, dann kann in dieses ein √  regelmäßiges Ikosaeder mit der Seitenlänge x = 1 = 21 · 5 − 1 ≈ 0,618 eingepasst werden. Die einfachste Möglichkeit, das Schrägbild eines regelmäßigen Ikosaeders zu zeichnen, ist folgende: Man trägt drei goldene Rechtecke, also Rechtecke mit den Seitenlängen 1 und 1 , symmetrisch in das Schrägbild eines Hexaeders ein (vgl. folgende Abbildung links). Anschließend verbindet man jeweils einen Eckpunkt des Rechtecks mit den vier Eckpunkten der benachbarten goldenen Rechtecke (vgl. folgende Abb. rechts).

238

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.8: Dass es sich bei den Rechtecken im Ikosaeder um goldene Rechtecke handelt, kann man aus folgendem Ansatz herleiten: Auf je zwei gegenüberliegenden Hexaeder-Seitenflächen werden jeweils Strecken der Länge x in symmetrischer Lage eingezeichnet (vgl. folgende Abbildung). Verbindet man die Eckpunkte dieser Strecken jeweils mit den Endpunkten der Strecken auf den benachbarten Hexaeder-Seitenflächen, dann müssen auch diese Strecken die Länge x haben, damit das ganze Gebilde ein Ikosaeder darstellt. Hieraus ergibt sich dann die Länge von x. √  Leiten Sie hieraus her, dass dann gilt: x = 21 · 5−1

A 10.9: Das Schrägbild des regelmäßigen Dodekaeders kann wie folgt gezeichnet werden: Wie beim Ikosaeder werden in das Schrägbild des regelmäßigen Hexaeders sechs Kanten passender Länge symmetrisch zu den Mitten der Seitenflächen eingezeichnet (vgl. A 10.6). Begründen Sie: Hat das regelmäßige Hexaeder die Seitenlänge 1, dann beträgt die Seitenlänge des darin eingeschlossenen regelmäßigen Dodekaeders  √ 1 1− 2 · 5 − 1 ≈ 0,382.

10.3  Schrägbilder der platonischen Körper

239

Schrägbild eines regelmäßigen Dodekaeders Aus der letzten Abbildung in A 10.8 kann eine einfachere Methode zur Erstellung eines Schrägbildes eines Dodekaeders abgelesen werden: Zunächst zeichnet man ein Schrägbild eines regelmäßigen Hexaeders (in der zugehörigen Abbildung grün); dann setzt man auf die sechs Seitenflächen des Hexaeders „Walmdäch er“ auf. Diese Walmdächer bestehen aus zwei gleichschenkligen Dreiecken („links“ und „rechts“) und zwei gleichschenkligen Trapezen („vorne“ und „hinten“). Die Neigungswinkel der gleichschenkligen Dreiecke gegenüber der Vertikalen und der gleichschenkligen Trapeze gegenüber der Horizontalen ergänzen sich zu 90°, denn die dreieckigen Teilflächen eines Walmdachs müssen ohne „Knick“ in die trapezförmigen Teilflächen des benachbarten Walmdachs übergehen (denn sie bilden die ­Fünfeck-Flächen des Dodekaeders). Damit die zwölf regelmäßigen Fünfecke der Dodekaeder-Oberfläche entstehen, müssen alle Kanten des Walmdachs dieselbe Seitenlänge haben. Die folgende Abbildung zeigt einen senkrechten Schnitt durch ein Dodekaeder mit der Seitenlänge s. Im Innern erkennt man den Schnitt durch das Hexaeder mit der Seitenlänge Φ · s.

240

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Die Firsthöhe von y = 21 · s der aufgesetzten Walmdächer ergibt sich aus der Ähnlichkeit der beiden farbig unterlegten rechtwinkligen Dreiecke. Für das Verhältnis der beiden Katheten gilt y : 21 · (� − 1) · s = 21 · � · s : y, also y2 = 41 · � · (� − 1) · s2 = 41 · s2. Für die Zeichnung des Dodekaeders setzt man also in den Seitenflächenmitten des Hexaeders symmetrisch die sechs „tragenden“ Rechtecke der Walmdächer mit Firstlänge s und Firsthöhe y = 21 · s. Dann muss man nur noch die passenden Eckpunkte miteinander verbinden, sodass die regelmäßigen Fünfecke entstehen. In der folgenden Abbildung sind (als Anleitung) drei der sechs „tragenden“ Rechtecke eingezeichnet.

Im Prinzip könnte man alternativ ein regelmäßiges Dodekaeder auch mithilfe des zugehörigen dualen Körpers zeichnen. Dazu verbindet man die Mittelpunkte von benachbarten gleichseitigen Dreiecken des Ikosaeders miteinander und erhält so ein Dodekaeder. Die Anzahl der Ecken des Dodekaeders stimmt mit der Anzahl der Flächen des Ikosaeders überein und umgekehrt (wie bei allen zueinander dualen Körpern).

10.4 „Mysterium Cosmographicum“ – das Weltgeheimnis des Johannes Kepler Bei der Untersuchung der Bahnradien der (zur damaligen Zeit bekannten) Planeten des Sonnensystems, also Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn, hatte Johannes Kepler im Jahr 1597 die Idee (Kepler nannte es „eine Erleuchtung“), dass diese etwas mit ineinander geschachtelten platonischen Körpern zu tun haben könnten: Die Umlaufbahn des Saturns verläuft auf einer Kugel, die ein Hexaeder umschließt. Das Hexaeder umschließt wiederum eine Kugel, auf der die Bahn des Jupiter liegt. In dieser Kugel liegt ein Tetraeder, das die Bahn des Mars enthält. Und darin eingeschlossen ist ein Dodekaeder, dessen Inkugel die Erdbahn enthält. Dann folgt innerhalb der Erdsphäre ein Ikosaeder, in dem wiederum eine Kugel enthalten ist, auf der die Bahn der Venus verläuft, und schließlich innerhalb der Venus-Kugel ein Oktaeder, auf deren Inkugel die ­Merkur-Bahn liegt.

10.5  Hamilton-Wege und Schlegel-Diagramme

241

Als er nach langjährigen Beobachtungen einsehen musste, dass dieses Modell nicht mit seinen Messungen übereinstimmt, verwarf er seine Theorie. Die folgenden Briefmarken erinnern an dieses Modell.

10.5 Hamilton-Wege und Schlegel-Diagramme Der irische Mathematiker und Physiker William Rowan Hamilton (1805–1865), abgebildet auf einer unten dargestellten irischen Briefmarke von 1943, beschäftigte sich mit Wegen auf den Kanten der platonischen Körper. Insbesondere interessierte ihn die Frage, ob man bei den platonischen Körpern einen geschlossenen Weg finden kann, der durch jeden Eckpunkt verläuft, aber bei dem keine Kante zweimal durchlaufen wird. Er verkaufte die Idee hierzu sogar als Spiel (Icosian Game) – eine Rundreise durch 20 Städte dieser Welt. Die Anfangsbuchstaben der Städtenamen sind in den kreisförmigen Feldern eingetragen (vgl. folgende Abb. rechts).

Um die Hamilton’sche Frage zu klären, betrachtet man am besten die Darstellung der platonischen Körper in der Form eines sogenannten Schlegel-Diagramms. Der deutsche Mathematiker Victor Schlegel (1843–1905) entwickelte eine besondere Methode, wie man einen dreidimensionalen Körper zweidimensional darstellen kann: Dreidimensionale Körper sind durch ihre Ecken, Kanten und Flächen bestimmt – im

242

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

zweidimensionalen Bild eines Schlegel-Diagramms haben die Flächen i. A. eine veränderte Form; sie werden durch Strecken eingerahmt, die Bilder der Kanten sind. Längen und Winkelgrößen der dreidimensionalen Gebilde werden i. A. nicht erhalten. In den folgenden Schlegel-Diagrammen der platonischen Körper sind f − 1 Flächen gefärbt (f = 4, 6, 8, 12, 20); die f-te Fläche liegt jeweils im Vordergrund oder im Hintergrund (je nach Sichtweise) und hat die unverzerrte Grundform der Flächen des Körpers, ist also ein gleichseitiges Dreieck bzw. ein Quadrat bzw. ein regelmäßiges Fünfeck.

Bei den Schlegel-Diagrammen von Tetraeder und Hexaeder kann der Eindruck entstehen, dass sich das Auge des Beobachters in geringem Abstand über der Mitte einer Seitenfläche befindet und man von dort in diese Körper hineinschaut. Es ist aber auch ein anderer Eindruck möglich, nämlich dass beim Tetraeder der Punkt in der Mitte in der Nähe des Beobachters zu sein scheint und beim Hexaeder die braun gefärbte Fläche vorne liegt. Die Diagramme der übrigen Polyeder sind stärker verzerrt: Beim Oktaeder-Diagramm sind die Flächen der „oberen“ quadratischen Pyramide hier gelb und blau gefärbt; von der „unteren“ quadratischen Pyramide sind nur drei Flächen sichtbar (orangefarben und graublau gefärbt). Beim Dodekaeder-Diagramm haben nur zwei der zwölf Fünfecke noch die regelmäßige Form (ganz innen und die äußere Umrisslinie), während die anderen Fünfecke verzerrt sind. Und beim Ikosaeder-Diagramm sind nur fünf der zwanzig Dreiecke gleichseitig. In den folgenden Schlegel-Diagrammen der platonischen Körper ist jeweils ein möglicher Hamilton-Weg in Rot eingezeichnet. Wie oben angegeben, führen diese Rundwege durch alle Eckpunkte der Körper, aber nicht notwendig über alle Kanten.

10.5  Hamilton-Wege und Schlegel-Diagramme

243

Da bei Tetraeder, Hexaeder, Dodekaeder und Ikosaeder an jeder Ecke eine ungerade Anzahl von Kanten zusammenkommt, gibt es für diese Körper keinen sogenannten Euler-Graph, bei dem jede Kante genau einmal durchlaufen wird. Leonhard Euler (1707–1783) hatte 1736 das Königsberger Brückenproblem gelöst, bei dem es um die Frage ging, ob ein Rundweg möglich ist, der über alle sieben Brücken in Königsberg führt (vgl. die Darstellung des Problems auf der koreanischen Briefmarke).

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.10: Wie sieht ein möglicher Euler-Graph für das Oktaeder aus?

244

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

10.6 Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen regelmäßigen Körpern – der Euler’sche Polyedersatz Leonhard Euler beschäftigte sich u. a. auch mit der Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen von Polyedern besteht. In einem Brief an seinen Freund Christian Goldbach teilte er um das Jahr 1750 seine Vermutung mit. Euler konnte diese Vermutung einige Jahre später beweisen. Im Laufe der Jahrhunderte folgten weitere Beweise mit teilweise sehr unterschiedlichen Ansätzen. Da bereits René Descartes (1596–1650) Überlegungen zu diesem Thema notiert hatte (ohne diese zu veröffentlichen), wird der Satz im Französischen als Théorème de ­Descartes-Euler bezeichnet. Die beiden Briefmarken, die anlässlich des 200. Todestages bzw. des 300. Geburtstages Eulers erschienen, erinnern an diesen Satz.

Satz

Der Euler’sche Polyedersatz Bezeichnet man mit e die Anzahl der Ecken, mit k die Anzahl der Kanten und mit f die Anzahl der Flächen eines konvexen Polyeders, dann gilt zwischen diesen Größen die folgende Beziehung: e−k+f=2◄ Dabei wird ein Polyeder als konvex bezeichnet, wenn die Verbindungsstrecke zwischen beliebigen Punkten des Polyeders vollständig in dem Körper liegt. Die Gleichung gilt aber auch für einige nicht konvexe Körper (s. u.). Im Internet findet man zahlreiche Beweise des Satzes (s. u.), darunter auch mithilfe des Satzes von Pick (für Ausführungen zum Satz von Pick vgl. Mathematik ist schön, Kap. 11). Eine mögliche Beweisvariante ist die folgende: Zunächst beweist man einen Satz, der für ebene Netze gilt (in der sog. Graphentheorie werden sie auch als Graphen bezeichnet). Diese geometrischen Gebilde in einer Ebene bestehen aus Ecken (auch als Punkte oder Knoten bezeichnet) und aus überschneidungsfreien Kanten (Verbindungslinien). Ist mehr als ein Punkt vorhanden, dann muss jeder Punkt des Netzes mit mindestens einem anderen Punkt durch eine Kante verbunden sein. Durch die Punkte und Kanten müssen nicht notwendig Flächen eingeschlossen werden.

10.6  Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen …

245

Satz

Polyedersatz für ebene Netze Bezeichnet man mit e die Anzahl der Ecken, mit k die Anzahl der Kanten und mit f die Anzahl der Flächen eines ebenen Netzes, dann gilt zwischen diesen Größen die folgende Beziehung:

e − k + f = 1◄ In einem ersten Beweisschritt betrachten wir das einfachste geometrische Gebilde dieser Art: einen Punkt. Hier gilt: e = 1, k = 0, f = 0; die Gleichung e − k + f = 1 ist also erfüllt. Im zweiten Schritt überlegt man, was sich an den Werten der Parameter e, k, f ändert, wenn zu einem bestehenden Netz aus Punkten, Kanten und Flächen (vgl. folgende Abb. links) eine Kante hinzugefügt wird. Drei Fälle sind möglich: • Durch die neue Kante werden zwei vorhandene Punkte miteinander verbunden, vgl. die beiden mittleren Abbildungen: Dann wird durch die Kante eine neue Fläche eingeschlossen oder eine Fläche wird unterteilt, d. h., die Anzahl k der Kanten und die Anzahl f der Flächen erhöht sich um jeweils 1, die Summe e − k + f bleibt also unverändert. • Falls die neue Verbindungslinie zweier Punkte aber eine vorhandene Kante schneidet, kommen zusätzlich noch ein Punkt (der Schnittpunkt) und eine weitere Fläche hinzu, die Verbindungslinie besteht dann in Wirklichkeit aus zwei Kanten. Zusätzlich wird die geschnittene Kante in zwei Kanten unterteilt, d. h., die Anzahl e der Ecken erhöht sich um 1, die Anzahl k der Kanten erhöht sich um 3 und die Anzahl f der Flächen um 2, die Summe e − k + f bleibt also unverändert, vgl. die folgende Abb. rechts.

• Die neue Kante verbindet einen vorhandenen Punkt mit einem neuen Punkt, vgl. die folgende Abb. Dann wird durch die Kante keine neue Fläche eingeschlossen, die Anzahl k der Kanten und die Anzahl e der Ecken erhöht sich jeweils um 1, die Summe e − k + f bleibt also unverändert.

246

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Den Zusammenhang zwischen dem Euler’schen Polyedersatz und dem Satz für ebene Netze stellen wir nun wie folgt her: An der Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen ändert sich nichts, wenn man ein konvexes Polyeder so verformt, dass ein ebenes Gebilde entsteht – vergleichbar mit den Schlegel-Diagrammen, die durch eine Art Projektion der Polyeder auf eine Ebene entstehen. Das so verformte, „eingeebnete“ Polyeder hat eine äußere Begrenzungslinie, die vor der Verformung eine der Flächen des Polyeders eingeschlossen hatte; diese Fläche ist nun nicht mehr vorhanden. Bildet man die Summe e − k + f für das verformte Polyeder, dann erhält man 1; addiert man noch die verschwundene Fläche hinzu, dann ergibt sich die Aussage des Euler’schen Polyedersatzes: e − k + f = 2. Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen Körpern Untersuchen wir jetzt einmal konkret, wie viele Ecken, Kanten und Flächen bei den (konvexen) platonischen Körpern vorliegen. In der folgenden Tabelle sind die zueinander dualen Körper durch gleiche Farben hervorgehoben. Wie oben dargestellt, stimmt bei diesen jeweils die Anzahl k der Kanten überein. Außerdem ist die Anzahl e der Ecken bei dem einen Körper gleich der Anzahl f der Flächen beim zugehörigen dualen Körper und umgekehrt. Hinweis: Diese und die folgenden rot bzw. rot-gelb gefärbten Polyeder-Abbildungen wurden von Tomruen mit der Software von Robert Webb erstellt: http://www.software3d. com/Stella.php.

10.6  Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen …

247

Wenn man bei den platonischen Körpern Ecken senkrecht zu Körperhöhen bzw. zu Raumdiagonalen abschneidet, so entstehen Polyederstümpfe. Auch diese sind konvex. Die so entstehenden sieben Polyeder gehören zu den sogenannten archimedischen Körpern, deren Oberflächen sich aus unterschiedlichen regelmäßigen Vielecken zusammensetzen.

Tetraederstumpf Ein Tetraederstumpf entsteht, wenn die Ecken eines regelmäßigen Tetraeders senkrecht zu den durch die Ecken verlaufenden Körperhöhen in gleichen Abständen zu den Ecken abgeschnitten werden. So entsteht ein Körper, dessen Oberfläche sich aus regelmäßigen Dreiecken (gelb) als Schnittflächen und sechseckigen Restflächen (rot) zusammensetzt. Die Sechsecke sind nur dann regelmäßig, wenn die Kanten des Tetraeders in drei gleich große Abschnitte unterteilt werden.

Durch die Schnitte verdreifacht sich die Anzahl e der Ecken (e = 4 → e = 12). Die Anzahl k der Kanten vermehrt sich um das Dreifache der bisherigen Anzahl e der Ecken, also um 4 · 3 = 12 (k = 6 → k = 18). Die Anzahl f der Flächen wird um die bisherige Anzahl e der Ecken größer, also um 4 (f = 4 → f = 8). Die Euler’sche Polyederformel bleibt erfüllt: e − k + f = 12 − 18 + 8 = 2

248

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.11: Zeichnen Sie ein Netz eines Tetraederstumpfs und färben Sie die Flächen so, dass beim zusammengeklebten Körper benachbarte Flächen unterschiedlich gefärbt sind. Zeichnen Sie ein Schlegel-Diagramm dieses Körpers und finden Sie einen Hamilton-Weg.

Hexaederstumpf Der (allgemeine) Hexaederstumpf entsteht dadurch, dass die Ecken eines regelmäßigen Hexaeders senkrecht zu den Raumdiagonalen gleichartig abgeschnitten werden. Da in jeder Ecke drei Kanten zusammenkommen, entstehen gleichseitige Dreiecke als Schnittflächen (gelb). Die quadratischen Flächen des Hexaeders werden zu Achtecken (rot); deren √ Seiten sind nur dann gleich lang, wenn die Kanten des Hexaeders im Verhältnis 1 : 2 : 1 unterteilt werden.

Durch die Schnitte verdreifacht sich die Anzahl e der Ecken (e = 8 → e = 24). Die Anzahl k der Kanten vermehrt sich um das Dreifache der bisherigen Anzahl e der Ecken, also um 8 · 3 = 24 (k = 12 → k = 36). Die Anzahl f der Flächen wird um die bisherige Anzahl e der Ecken größer, also um 8 (f = 6 → f = 14). Die Euler’sche Polyederformel bleibt erfüllt: e − k + f = 24 − 36 + 14 = 2 Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

√ A 10.12: Begründen Sie das o. a. Teilverhältnis 1 : 2 : 1. A 10.13: Zeichnen Sie ein Netz eines Hexaederstumpfs und färben Sie die Flächen so, dass beim zusammengeklebten Körper benachbarte Flächen unterschiedlich gefärbt sind. Zeichnen Sie ein Schlegel-Diagramm dieses Körpers und suchen Sie einen Hamilton-Weg.

10.6  Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen …

249

Kuboktaeder Führt man die Schnitte für den allgemeinen Hexaederstumpf speziell so durch, dass sie durch die Kantenmitten verlaufen, dann werden die Achtecke zu Quadraten (rot); es entsteht ein Kuboktaeder. Die Bezeichnung hängt damit zusammen, dass man diesen Körper auch erhalten kann, wenn man Schnitte an einem Oktaeder durchführt, die jeweils durch die Mitten benachbarter Kanten verlaufen.

Gegenüber dem allgemeinen Hexaederstumpf halbiert sich die Anzahl e der Ecken, da die Schnittdreiecke jeweils einen Punkt gemeinsam haben (e = 24 → e = 12). Da aus den Achtecken Quadrate werden, verringert sich die Anzahl k der Kanten um 1 · 6 · 4 = 12 (k = 36 → k = 24). Die Anzahl f der Flächen bleibt gleich (f = 14). 2 Die Euler’sche Polyederformel bleibt erfüllt: e − k + f = 12 − 24 + 14 = 2 Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.14: Zeichnen Sie ein Netz eines Kuboktaeders und färben Sie die Flächen so, dass beim zusammengeklebten Körper benachbarte Flächen unterschiedlich gefärbt sind. Zeichnen Sie ein Schlegel-Diagramm dieses Körpers und suchen Sie einen Hamilton-Weg. Wie sieht ein möglicher Euler-Graph für ein Kuboktaeder aus?

Oktaederstumpf Durch gleichartiges Abschneiden der Ecken eines regelmäßigen Oktaeders entsteht ein (allgemeiner) Oktaederstumpf. Da in jeder Ecke vier Kanten zusammenkommen, entstehen sechs Quadrate als Schnittflächen (rot) und es bleiben Sechsecke als Restflächen (gelb). Die Sechsecke sind nur dann regelmäßig, wenn die Kanten des Ausgangsoktaeders in drei gleich große Abschnitte unterteilt werden.

250

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Dodekaederstumpf Durch gleichartiges Abschneiden der Ecken eines regelmäßigen Dodekaeders entsteht ein (allgemeiner) Dodekaederstumpf. Da in jeder Ecke drei Kanten zusammenkommen, entstehen zwölf gleichseitige Dreiecke als Schnittflächen (gelb) und es bleiben Zehnecke als Restflächen (rot).

Ikosidodekaeder Führt man die Schnitte am regelmäßigen Dodekaeder speziell so durch, dass sie durch die Kantenmitten verlaufen, dann werden die Zehnecke zu Fünfecken (rot); es entsteht ein Ikosidodekaeder. Die Bezeichnung hängt damit zusammen, dass man diesen Körper auch erhalten kann, wenn man Schnitte an einem regelmäßigen Ikosaeder durchführt, die jeweils durch die Mitten benachbarter Kanten verlaufen.

Ikosaederstumpf Durch gleichartiges Abschneiden der Ecken eines regelmäßigen Ikosaeders entsteht ein (allgemeiner) Ikosaederstumpf – diese Form wird auch für Fußbälle genutzt. Da in jeder Ecke fünf Kanten zusammenkommen, entstehen zwanzig regelmäßige Fünfecke als Schnittflächen (rot) und es bleiben Sechsecke als Restflächen (gelb). Es ist bemerkenswert, dass Dodekaederstumpf und Ikosaederstumpf hinsichtlich der Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen übereinstimmen.

10.6  Ecken, Kanten und Flächen bei platonischen und anderen …

251

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.15: Stellen Sie dar, wie sich e, k, f bei den folgenden Übergängen verändern, und bestätigen Sie jeweils, dass für diesen Körper die Aussage des Euler’schen Polyedersatzes erfüllt bleibt. 1. Übergang vom Oktaeder zum Oktaederstumpf 2. Übergang vom Dodekaeder zum Dodekaederstumpf 3. Übergang vom Dodekaeder zum Ikosidodekaeder 4. Übergang vom Ikosaeder zum Ikosaederstumpf A 10.16: Wie müssen die Kanten beim Dodekaeder unterteilt werden, damit die Zehnecke des Dodekaederstumpfs regelmäßig sind? A 10.17: Stellen Sie dar, wie man … 1. das Kuboktaeder durch Schnitte am Oktaeder erhält. 2. das Ikosidodekaeder durch Schnitte am Ikosaeder erhält. A 10.18: Der in der folgenden Grafik abgebildete Körper wird als Rhombenkuboktaeder bezeichnet. Die Zeichnung stammt von Leonardo da Vinci und wurde 1509 in Luca Paciolis Buch De divina proportione veröffentlicht. Wie könnte man einen solchen archimedischen Körper durch Schnitte aus einem platonischen Körper herstellen? Zeichnen Sie ein Netz dieses Körpers.

Außer diesen sieben durch Abschneiden von Ecken entstehenden halbregulären Körpern existieren noch weitere archimedische Körper (darunter das Rhombenkuboktaeder), die man u. a. durch weiteres Abschneiden von Ecken aus den Polyederstümpfen erhalten kann. Deren Oberflächen setzen sich aus zwei oder drei unterschiedlichen regelmäßigen Vielecken zusammen (vgl. z. B. die englischsprachige Wikipedia-Seite).

252

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Sternkörper Über den zwölf Flächen eines regelmäßigen Dodekaeders können zueinander kongruente fünfseitige Pyramiden errichtet werden, und zwar so, dass die Kanten dieser Pyramiden in der Verlängerung der Kanten des Dodekaeders liegen. Analog ist dies auch beim Ikosaeder möglich.

Zählt man die drei Abschnitte auf den durchgehenden Kanten einzeln, dann erfüllen auch diese beiden Sternkörper (Dodekaederstern und Ikosaederstern) die Euler’sche Polyederformel, obwohl es sich nicht um konvexe Körper handelt. Die beiden Sternkörper werden auch als Kepler-Poinsot-Polyeder bezeichnet – zu Ehren von Johannes Kepler, der sie im Jahre 1619 entdeckte, und von Louis Poinsot (1777–1859), der sie 1809 wiederentdeckte. Poinsot fand auch noch zwei weitere Sternkörper. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.19: Recherchieren Sie, was ein Herrnhuter Weihnachtsstern ist, und überprüfen Sie, ob die Anzahlen der Ecken, Kanten und Flächen dieses Sternkörpers die Euler’sche Polyederformel erfüllen.

10.7 Stapeln von platonischen und archimedischen Körpern Dass sich Hexaeder ohne Weiteres stapeln lassen, ist offensichtlich. Aber auch Oktaederstümpfe mit gleich langen Kanten haben die besondere Eigenschaft, dass sie den Raum ausfüllen, d. h., sie lassen sich ohne Lücken stapeln.

10.7  Stapeln von platonischen und archimedischen Körpern

253

Auch Oktaeder und Tetraeder mit gleicher Kantenlänge passen wunderbar zusammen. Dies kann man auf zwei Arten überprüfen: • Drei Tetraeder werden in Form eines gleichseitigen Dreiecks angeordnet. In die Lücke passt genau ein Oktaeder! Auf diesen Körper kann man dann noch ein Tetraeder stellen.

Bezeichnet man das Volumen des Tetraeders mit T und das des Oktaeders mit O, dann ergibt sich: Der Körper rechts ist ein großes Tetraeder mit einem Volumen, das 23-mal so groß ist wie das eines kleinen Tetraeders mit Volumen T. Daher gilt: 8 · T = 3 · T + 1 · O + 1 · T, also O = 4 · T. • Vier halbe Oktaeder werden in einem Quadrat angeordnet. In die Lücken zwischen je zwei halbe Oktaeder passt jeweils ein Tetraeder. In die verbleibende Lücke passt ein ganzes Oktaeder.

254

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Der Körper rechts ist ein halbes großes Oktaeder mit einem Volumen, das 23-mal so groß ist wie das eines halben kleinen Oktaeders mit Volumen 21 · O. Daher gilt: 8 · 21 · O = 4 · 21 · O + 4 · T + 1 · O, also ebenfalls O = 4 · T. Statt mit vier halben Oktaedern zu beginnen, kann man auch direkt mit vier Oktaedern beginnen und diese Anordnung nach oben und unten durch jeweils vier Tetraeder und ein Oktaeder ergänzen, sodass ein Oktaeder entsteht, der das achtfache Volumen des Ausgangsoktaeders hat. Insgesamt kann man die so erhaltenen Tetraeder bzw. Oktaeder mit achtfachem Volumen wieder dazu verwenden, ein Tetraeder bzw. ein Oktaeder mit 64-fachem Volumen zu bauen, usw. Satz

Zusammenhang zwischen Oktaeder und Tetraeder Oktaeder und Tetraeder mit gleicher Kantenlänge passen wunderbar zusammen, sodass man aus ihnen Tetraeder und Oktaeder mit achtfachem Volumen zusammenbauen kann. Das Volumen eines Oktaeders ist also viermal so groß wie das des Tetraeders mit gleicher Kantenlänge. ◄ Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.20: So wie oben zu Beginn Tetraeder und Oktaeder in Form eines gleichseitigen Dreiecks bzw. eines Quadrats angeordnet werden, kann man auch mit 6 (10, 15, …) Tetraedern bzw. mit 9 (16, 25, …) halben Oktaedern beginnen, um daraus dann Körper mit 27-fachem (64-fachem, 125-fachem, …) Volumen zusammenzubauen. Geben Sie an, wie viele Tetraeder und Oktaeder dafür benötigt werden.

10.8  Schnitte durch einen Würfel

255

10.8 Schnitte durch einen Würfel Die folgende Sequenz von Abbildungen zeigt Schnitte durch einen (massiven) Würfel. Diese Schnitte werden jeweils senkrecht zur Raumdiagonale durchgeführt, die vom Würfeleckpunkt „hinten links unten“ zum Eckpunkt „vorne rechts oben“ verläuft. ­Nacheinander entstehen zunächst dreieckige, dann sechseckige und schließlich wieder dreieckige Schnittflächen. Es soll nun untersucht werden, wie sich der Flächeninhalt der Schnittfläche während dieser „Wanderung“ von einem Eckpunkt zum gegenüberliegenden Eckpunkt verändert. Zur Beschreibung der Wanderung legt man einen Würfel mit Kantenlänge 1 in ein Koordinatensystem, dessen Ursprung (0| 0| 0) der Punkt „hinten links unten“ ist, und verbindet diesen mit dem diagonal gegenüberliegenden Punkt mit den Koordinaten (1| 1| 1). Die Ebenen, die zu dieser Geraden orthogonal sind, lassen sich mithilfe der Koordinatengleichung x + y + z = 3k beschreiben. 2 Die ersten vier Abbildungen gehören zu den Parameterwerten k = 0, k = 16 = 12 , 5 4 1 k = 3 = 12 und k = 12.

Die nächsten vier Abbildungen gehören zu den Parameterwerten k = 8 10 und k = 56 = 12 . k = 23 = 12

1 2

=

6 , 12

k=

7 , 12

Wie man den Grafiken entnimmt, ergibt sich als Schnittfigur für 0 ≤ k ≤ 13 ein gleichseitiges Dreieck, für 13 ≤ k ≤ 23 ein Sechseck und für 23 ≤ k ≤ 1 wieder ein gleichseitiges Dreieck. Bestimmung der Flächeninhalte der Schnittflächen Für 0 ≤ k ≤ 13 ergibt sich: Der Flächeninhalt eines gleichseitigen Dreiecks berechnet √ sich aus der Länge einer Seite s nach der Formel A = 41 · s2 · 3. Die Eckpunkte der Dreiecke auf den Koordinatenachsen haben die Koordinaten (3k| 0| 0) bzw. (0| 3k| 0) bzw. (0| 0| 3k).

256

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

Für den Abstand s (= Seitenlänge)√zweier Punkte des gleichseitigen Dreiecks gilt √ daher s2 = (3k)2 + (3k)2 ⇐⇒ s = 3k 2, also A(k) = 29√· k 2 · 3. Für 23 ≤ k ≤ 1 ergibt sich analog A(k) = 29 · (1 − k)2 · 3. Für 13 < k < 23 schneidet die Ebene aus dem Würfel ein Sechseck heraus. Dessen Fläche wird am einfachsten dadurch bestimmt, dass man zunächst die Fläche des gleichseitigen Dreiecks berechnet, das die Ebene zwischen den Koordinatenachsen bildet, und dann davon die drei Restflächen subtrahiert, die selbst wieder gleichseitige Dreiecke sind. Die Seitenlänge x eines solchen kleinen gleichseitigen Dreiecks erhält man, indem man den Abstand zweier Eckpunkte betrachtet. Beispielsweise gilt für die beiden in der x-y-Ebene liegenden Punkte des kleinen gleichseitigen Dreiecks links unten in der Abbildung, dass sie die Koordinaten (3k| 0| 0) und (1| 3k − 1| 0) haben.



Für die Seitenlänge s ergibt sich hieraus: s2 = (3k − 1)2 + (3k − 1)2 ⇐⇒ s = (3k − 1) · 2 Für 13 ≤ k ≤ 23 ergibt sich also für den Flächeninhalt des Sechsecks: A(k) =

9 2

√ · k2 3 − 3 ·

1 4

· (3k − 1)2 · 2 ·

 √  A(k) = −9 · k 2 + 9k − 23 · 3.

√ 3=

9 2

√ · k2 3 −

3 2

 √  · 9k 2 − 6k + 1 · 3, also

Die Größe der Schnittflächen wird also durch unterschiedliche Terme beschrieben. Diese müssen allerdings an den Übergangsstellen, also bei k = 13 und k = 23, im Wert übereinstimmen. In der Analysis spricht man von einer abschnittsweise definierten Funktion mit stetigen Übergangsstellen. √     Durch Einsetzen stellt man fest: Für die Übergangsstellen gilt A 31 = A 23 = 21 · 3. Diese Übergänge sind nicht nur stetig, sondern sogar differenzierbar: √ √ Für 0 ≤ k ≤√13 gilt: A′ (k) = 9 3 · k mit lim1 A′ (k) = 3 3. Analog ergibt sich: k→ 3 lim A′ (k) = −3 3. k→ 23 √ √ Für 13 ≤ k √ ≤ 23 gilt: A′ (k) = (−18k + 9) · 3 mit lim1 A′ (k) = 3 3 und k→ 3 lim A′ (k) = −3 3. k→ 23 √   Die maximale Schnittfläche liegt vor, wenn k = 21 ist, nämlich A 21 = 43 3 ≈ 1,30 FE. Dies ist der Fall, wenn die Schnittfläche ein regelmäßiges Sechseck bildet.

10.8  Schnitte durch einen Würfel

257

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 10.21: Untersuchen Sie das Rechteck, dessen Eckpunkte auf den Kanten eines regelmäßigen Hexaeders liegen, wie aus der folgenden Abbildung zu entnehmen ist. Dabei haben je zwei der Eckpunkte des Rechtecks den gleichen Abstand a zu den einander gegenüberliegenden Eckpunkten des Hexaeders. Für welchen Wert von a ist das Rechteck ein Quadrat?

A 10.22: Ein regelmäßiges Tetraeder wird so auf einen Tisch gestellt, dass eine Tetraederkante mit der Tischkante abschließt. Welche Schnittflächen ergeben sich, wenn man das Tetraeder senkrecht zur Grundfläche (also senkrecht zur Tischplatte) parallel zu dieser Tischkante durchschneidet? Stellen Sie die Veränderung der Größe der Schnittfläche grafisch dar. A 10.23: Untersuchen Sie, welche Schnittflächen auftreten, wenn ein regelmäßiges Oktaeder parallel zu der vorne liegenden Oktaederkante und senkrecht zu der zugehörigen Mittelebene des Oktaeders geschnitten wird. Stellen Sie die Veränderung der Größe der Schnittfläche grafisch dar.

258

10  Platonische und andere regelmäßige Körper

10.9 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • • • • • • • •

Polyeder (Polyhedron, Polyèdre) Platonischer Körper (Platonic solid, Solide de Platon) Archimedischer Körper (Archimedean solid, Solide d’Archimède) Kepler-Poinsot-Körper (Kepler-Poinsot polyhedron, Solide de Kepler-Poinsot) Netz (Geometrie) (Net (polyhedron), Patron (géométrie)) Schlegeldiagramm (Schlegel diagram, Diagramme de Schlegel) Hamiltonkreisproblem (Hamiltonian path, Graphe hamiltonien) Euler’scher Polyedersatz (Euler characteristic, Théorème de Descartes-Euler),

außerdem Links zu den einzelnen Typen der Polyeder. Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Polyhedron, Platonic solid, Archimedean Solid, Net, Kepler-Poinsot Solid, Hamiltonian Path, Polyhedral Formula, außerdem Links zu den einzelnen Typen der Polyeder. Wunderschöne Bilder der Platonischen und Archimedischen Körper und Bastelanleitungen findet man in: • Adam, Paul & Wyss, Arnold (1984): Platonische und Archimedische Körper, ihre Sternformen und polaren Gebilde. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart Im Netz findet man zahlreiche Angebote für Kartonbausätze, mit denen man Modelle der platonischen und archimedischen Körper basteln kann, z. B. die Bausätze von Dr. Christoph Pöppe unter: • http://www.poeppe-online.de/ Zwanzig Beweise der Euler’schen Polyeder-Formel findet man unter: • www.ics.uci.edu/~eppstein/junkyard/euler/

10.9  Hinweise auf weiterführende Literatur

259

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis zum Thema findet man auch auf Jürgen Köllers Website: • http://www.mathematische-basteleien.de/ außerdem auf der französisch-sprachigen Website: • https://www.mathcurve.com/index.htm

Monsterkurven und Fraktale

11

Das Unendliche hat wie keine andere Frage von jeher so tief das Gemüt des Menschen bewegt; das Unendliche hat wie kaum eine andere Idee auf den Verstand so anregend und fruchtbar gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie kein anderer Begriff so der Aufklärung bedürftig. (David Hilbert, deutscher Mathematiker, 1862–1943)

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit einem besonderen Typ von Kurven. Eigentlich handelt es sich nur um Streckenzüge. Die einzelnen Teilstrecken werden schrittweise kleiner, insgesamt aber werden die Streckenzüge schließlich unendlich lang und liegen dabei im Grenzfall so dicht, dass sie eine Fläche ausfüllen. Mathematiker stuften solche Kurven zunächst als Kuriositäten ein und bezeichneten sie als Monsterkurven. Für diese Gebilde findet man auch die Bezeichnung Teragon (griech. teras = Ungeheuer, Monster). © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_11

261

262

11  Monsterkurven und Fraktale

11.1 Die Hilbert-Kurve Von David Hilbert, einem der bedeutendsten deutschen Mathematiker, stammt die Idee zu einer besonderen „Kurve“, die heute nach ihm benannt ist: Nach einer festen Regel wird von Schritt zu Schritt eine Strecke „verformt“ – je nach Lage der Strecke auf unterschiedliche Weise. So entsteht eine Kurve, die nach und nach das zugrunde liegende Quadrat ausfüllt, also jedem Punkt des Quadrats beliebig nahe kommt. Die folgenden Skizzen veröffentlichte Hilbert in seinem Aufsatz „Über die stetige Abbildung einer Linie auf ein Flächenstück“ (Mathematische Annalen, 1891).

Zunächst zeichnete Hilbert eine Strecke, die er in 4, 16, 64, … gleich große Abschnitte unterteilte. Jedem dieser Streckenabschnitte wird in dem zugrunde liegenden Quadrat jeweils eines der 4, 16, 64, … Teilquadrate zugeordnet (gemäß der angegebenen Nummerierung); dann werden die Mitten der Teilquadrate durch einen Streckenzug entsprechend miteinander verbunden. Wenn man diese Kurve nachzeichnen möchte, benutzt man am besten ein Blatt mit Rechenkästchen und zeichnet ein 8×8-Quadrat. Dann wird das Grundelement gezeichnet; es hat die Form eines nach unten geöffneten „u“ mit Seitenlänge 4 ­(Hilbert-Kurve 1. Ordnung). Im zweiten Schritt werden vier Grundelemente mit der Seitenlänge 2 gezeichnet. Dabei zeichnet man zunächst ein nach links geöffnetes „u“, dann zweimal ein nach unten geöffnetes „u“, schließlich ein nach rechts geöffnetes „u“.

11.1  Die Hilbert-Kurve

263

Diese vier „u“-Formen werden miteinander verbunden (vgl. rot eingezeichnete Strecken in der folgenden Abbildung links); es entsteht eine Hilbert-Kurve 2. Ordnung. Die so entstandene 2. Form kann man auch wieder von links nach rechts (normal) oder von rechts nach links (gespiegelt) zeichnen. Im dritten Schritt zeichnet man die 2. Form mit den Seitenlängen 1. Auch hier zeichnet man zunächst eine nach links geöffnete 2. Form, dann zweimal eine normale 2. Form (nach unten geöffnet), schließlich eine nach rechts geöffnete 2. Form und verbindet diese vier Formen miteinander (vgl. rot eingezeichnete Strecken in der folgenden Abbildung rechts).

Wählt man statt des 8×8-Quadrats ein 16×16-Quadrat aus Rechenkästchen, dann kann man auch noch einen vierten Schritt vollziehen. Das Verfahren kann im Prinzip beliebig fortgesetzt werden. Die folgenden drei Abbildungen zeigen eine Hilbert-Kurve 4., 5., und 6. Ordnung.

Hinweis: Die hier abgedruckten Zeichnungen erfolgten mithilfe eines rekursiv geschachtelten Programms – genauer gesagt, aus rekursiv geschachtelten Programmen: Da sich beispielsweise die Figur im dritten Schritt aus vier Figuren des zweiten Schritts zusammensetzt und die Figur des zweiten Schritts aus vier Figuren des ersten Schritts, ruft also das Programm für das Zeichnen des dritten Schritts zunächst einmal das Programm für das Zeichnen des zweiten Schritts auf (für die gespiegelte Form), dann zweimal das Programm für das Zeichnen des zweiten Schritts (für die normale Form) und dann noch einmal das Programm für das Zeichnen des zweiten Schritts (für die gespiegelte Form). Jedes dieser Programme benötigt aber jeweils viermal die Figur des ersten Schritts …

264

11  Monsterkurven und Fraktale

Die Länge h einer Hilbert-Kurve wird schrittweise berechnet: Geht man von einem Quadrat der Seitenlänge 1 aus, dann ergibt sich für die Kurve 1. Ordnung:

h(1) = 3 ·

  1 = 3 · 2−1 = 22 − 1 · 2−1 = 21 − 2−1 2

Die Längen der Kurven höherer Ordnung bestimmt man dann rekursiv: • 2. Ordnung: h(2) = 4 · • 3. Ordnung: h(3) = 4 ·

1 2 1 2

· h(1) + 3 · · h(2) + 3 ·

1 4 1 8

Allgemein: h(n) = 4 · 21 · h(n − 1) + 3 · 2−n Durch Einsetzen erhält man dann für die Hilbert-Kurve • 2. Ordnung: h(2) = 4 · • 3. Ordnung: h(3) = 4 ·

1 2 1 2

    · 3 · 21 + 3 · 41 = 15 · 2−2 = 24 − 1 · 2−2 = 22 − 2−2     · 15 · 41 + 3 · 81 = 63 · 2−3 = 26 − 1 · 2−3 = 23 − 2−3

Allgemein: Satz

Länge der Hilbert-Kurve Für die Länge h(n) der Hilbert-Kurve n-ter Ordnung gilt: h(n) = 2n − 2−n Für n → ∞ wächst die Länge der Kurve über alle Grenzen, d. h., sie wird unendlich lang. ◄

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.1: In den folgenden Abbildungen ist die quadratische Fläche, die durch die Hilbert-Kurve bestimmt wird, mit zwei Farben gefüllt worden. Was lässt sich über den Farbanteil von Rot bzw. Gelb sagen?

11.2  Die Peano-Kurve

265

11.2 Die Peano-Kurve Hilbert war nicht der erste Mathematiker, der eine solche Quadrat-füllende Kurve entwarf. Bereits ein Jahr vor ihm hatte der italienische Mathematiker Giuseppe Peano (1858–1932) die Idee für eine vergleichbare Kurve veröffentlicht, jedoch bewusst diese nur mit Worten beschrieben und nicht gezeichnet, um nicht vom Gedankengang abzulenken. In ein 3×3-Quadrat wird ein Streckenzug so eingezeichnet, dass alle Teilquadrate durchlaufen werden (Streckenzug durch die Mitten der Teilquadrate – Peano-Kurve 1. Ordnung). Im zweiten Schritt wird jedes der Teilquadrate in ein 3×3-Quadrat unterteilt und in jedem der Teilquadrate eine Peano-Kurve 1. Ordnung eingezeichnet (Streckungsfaktor 13), und zwar – in der Anordnung der Ausgangsfigur – abwechselnd von links nach rechts bzw. gespiegelt von rechts nach links orientiert. Anschließend werden diese ­Peano-Kurven 1. Ordnung miteinander durch einen Streckenzug verbunden (rot eingezeichnete Strecken).

Die Peano-Kurve 2. Ordnung setzt sich also aus neun Peano-Kurven 1. Ordnung zusammen. Entsprechend setzt sich die Peano-Kurve 3. Ordnung aus neun Peano-Kurven 2. Ordnung zusammen usw. Die folgenden Abbildungen zeigen die Peano-Kurven 3. bis 5. Ordnung.

266

11  Monsterkurven und Fraktale

Färbt man das Quadrat, dessen Rand durch die Kurve bestimmt wird, dann wird die Symmetrie der Figur noch stärker hervorgehoben, vgl. die folgenden Abbildungen (Peano-Kurven 2., 3., 4. Ordnung).

Die Länge p der Peano-Kurve wird ebenfalls schrittweise bestimmt. Geht man von einem Quadrat der Seitenlänge 1 LE aus, dann erhält man für die Peano-Kurve 1. Ordnung: p(1) = 3 · 23 + 2 · 13 = 83 = 3 − 31 = 31 − 3−1 = 9 − 91 = 32 − 3−2 2. Ordnung: p(2) = 9 · 31 · p(1) + 8 · 91 = 3 · 83 + 98 = 80 9 1 8 1 = 3 · 80 + 27 = 728 = 27 − 27 = 33 − 3−3 3. Ordnung: p(3) = 9 · 31 · p(2) + 8 · 27 9 27 Allgemein gilt die Rekursionsgleichung:

p(n) = 3 · p(n − 1) + 8 · 3−n Satz

Länge der Peano-Kurve Für die Länge p(n) der Peano-Kurve n-ter Ordnung gilt: p(n) = 3n − 3−n Für n → ∞ wächst die Länge der Kurve über alle Grenzen, d. h., sie wird unendlich lang. ◄

11.3 Anregung für die ersten Monsterkurven: Das Cantor’sche Diagonalverfahren Im Jahr 1873 hatte der deutsche Mathematiker Georg Cantor (1845–1918) entdeckt, dass sich die (positiven) rationalen Zahlen, also die Menge der Brüche, deren Zähler und deren Nenner jeweils natürliche Zahlen sind, wie die Menge ℕ der natürlichen Zahlen im folgenden Sinne „durchzählen“ lassen (sogenannte Abzählbarkeit der rationalen Zahlen): Jeder positiven rationalen Zahl, also jedem Paar (a; b) ∈ ℕ × ℕ, bestehend aus Zähler a und Nenner b, kann eine „Nummer“, also eine natürliche Zahl c ∈ ℕ zugeordnet werden. Beim „Durchzählen“ der rationalen Zahlen lässt man dabei die in Abb. 11.1 grau unterlegten Brüche weg, da sie bereits erfasst sind.

11.3  Anregung für die ersten Monsterkurven …

267

Abb. 11.1   Schema des 1. Cantor’schen Diagonalverfahrens

Diese Methode wird als (erstes) Cantor’sches Diagonalverfahren bezeichnet. Berücksichtigt man abwechselnd die im Schema aufgeführten positiven Brüche und deren negative Gegenzahl, dann werden sogar alle rationalen Zahlen erfasst. Man sagt: Die Menge der natürlichen Zahlen und die Menge der rationalen Zahlen sind gleichmächtig. 1874 fand Cantor dann – zu seiner eigenen Überraschung – ein Verfahren, durch das eine eindeutige Zuordnung der Punkte des Einheitsquadrats [0; 1] × [0; 1] auf die Punkte des Einheitsintervalls [0; 1] erfolgen kann: Einem Punkt (x| y) mit x = 0, a1 a2 a3… und y = 0, b1 b2 b3… wird die Zahl z = 0, a1 b1 a2 b2 a3 b3… des Intervalls [0; 1] zugeordnet. Zwar ist die Umkehrung dieser Zuordnung nicht eindeutig, da z. B. gilt: 0, 5 = 0, 49999…, aber Cantor fand auch für diesen „Schönheitsfehler“ eine Lösung. Diese eher formale Zuordnung veranlasste Peano dazu, einen anschaulichen „geometrischen“ Nachweis für die Gleichmächtigkeit von zweidimensionalem Einheitsquadrat und eindimensionalem Einheitsintervall zu suchen. So entwickelte er die Idee zu der „Kurve“, welche die Teilquadrate des Einheitsquadrats miteinander verbindet. Die Teilquadrate werden von Schritt zu Schritt immer kleiner, sodass jeder beliebige Punkt des Einheitsquadrats „eingeschachtelt“ wird. Und jedem Teilquadrat kann dann ein Punkt des Einheitsintervalls zugeordnet werden (wie im Aufsatz von Hilbert beschrieben). Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.2: Die von Peano vorgeschlagene Kurve 1. Ordnung dient dazu, die neun Teilquadrate des Einheitsquadrats durch einen Streckenzug zu verbinden. Hierbei und beim Übergang zur Kurve der nächsthöheren Ordnung sind einfache Variationen möglich. Wie sind die beiden nachfolgend abgebildeten Kurven ­aufgebaut?

268

11  Monsterkurven und Fraktale

A 11.3: Statt das Einheitsquadrat in vier Teilquadrate (wie Hilbert) oder in neun Teilquadrate (wie Peano) zu unterteilen, kann man auch von einer ersten Unterteilung in 16 Teilquadrate ausgehen und für diese einen Streckenzug entwerfen, der alle diese 16 Teilquadrate miteinander verbindet. Welche Kurven finden Sie? A 11.4: Zeigen Sie: Mithilfe eines sogenannten H-Baums (vgl. folgende Abb.) kann man ein Blatt im DIN-A-Format ausfüllen. Welche Gesamtlänge ergibt sich für die Strecken eines H-Baums n-ter Ordnung? Im Prinzip kann man mithilfe von H-Bäumen auch ein Einheitsquadrat ausfüllen. Was muss in der Vorgehensweise geändert werden? Zur Information: Bekanntlich stehen Länge und Breite beim DIN-A-Format √ im Verhältnis 2 : 1. In den folgenden Abbildungen ist das Blatt (angedeutet durch einen schwarzen Rahmen) im Querformat gezeichnet (Breite s, Höhe √12 · s ). Man beginnt die Zeichnung der Monsterkurve in der Mitte des Blatts und trägt waagerecht und symmetrisch zur Mitte eine Strecke der (Gesamt-)Länge 21 · s ab. Dann zeichnet man an den beiden Enden der Strecke jeweils senkrecht nach oben und nach unten und symmetrisch eine Strecke ab, die insgesamt halb so lang ist wie die Höhe des Blatts (also eine Strecke der Länge 2√1 2 · s), an deren Enden dann wiederum entsprechend waagerechte Strecken, die halb so lang sind wie die zuerst gezeichnete waagerechte Strecke, usw. Die folgenden Abbildungen zeigen den H-Baum 1., 2., 3., 4. Ordnung, dann weiter 6. und 8. Ordnung sowie 10. und 12. Ordnung.

11.4 Sierpiński-Kurven

269

11.4 Sierpiński-Kurven Der polnische Mathematiker Wacław Sierpiński (1882–1962) beschäftigte sich ebenfalls intensiv mit Monsterkurven, darunter auch mit der im Folgenden beschriebenen Kurve. Die erste Figur entsteht wie folgt: Im Innern des Einheitsquadrats (blau) wird mittig ein Quadrat mit halber Seitenlänge eingezeichnet (rot). Die Seiten des inneren Quadrats werden in vier gleich lange Teilstrecken unterteilt, dann die Ecken des Quadrats an den jeweils äußeren Vierteln „abgeschnitten“. Über diesen Strecken werden Quadrate gezeichnet. Die mittlere Abbildung zeigt die erste fertige Figur. Aus der Grafik rechts wird deutlich, nach welcher Gesetzmäßigkeit die nächste Figur entsteht.

270

11  Monsterkurven und Fraktale

Da es sich stets um eine geschlossene Kurve handelt, kann man die eingeschlossene Fläche färben.

Die Berechnung der Länge einer Sierpiński-Kurve ergibt sich wie folgt: Das rote Quadrat hat Seiten der Seitenlänge 21. Jeweils die Hälfte einer Seite des Quadrats bleibt erhalten, jeweils √ zwei Viertelseiten werden durch drei Seiten eines 1 Quadrats mit Seitenlänge 8 · 2 ersetzt. Der Umfang u1 der Figur 1. Ordnung ist demnach gleich  √  √ u1 = 4 · 41 + 3 · 18 · 2 = 1 + 23 · 2. Bei der Figur 2. Ordnung werden die Eckquadrate jeweils durch eine mit dem Streckungsfaktor 21 gestreckte Figur 1. Ordnung ersetzt und miteinander verbunden. Daher ergibt sich:

     1 √ 3 √ 1 √ 1 1 1 1 + · u1 − · 2 =4· + · 1+ · 2 − · 2 8 2 16 8 2 2 16   √ √ 5 11 5 11 + · 2 = + · 2 =4· 8 16 2 4

u2 = 4 ·



Entsprechend ergibt sich bei der Figur 3. Ordnung:

     1 1 √ 5 11 √ 1 √ 1 1 + · u2 − · 2 =4· + + · 2 − · 2 16 2 32 16 4 8 32   21 43 √ 21 43 √ + · 2 = + · 2 =4· 16 32 4 8

u3 = 4 ·



11.4 Sierpiński-Kurven

271

Man kann zeigen, dass allgemein für n ∈ N gilt: Satz

Länge der Sierpiński-Kurve und Flächeninhalt der eingeschlossenen Fläche Für die Länge un der geschlossenen Sierpiński-Kurve n-ter Ordnung gilt:

un =

√  √  2  1  · 1 + 2 · 2n + · 2 − 2 · 2−n 3 3

Für n → ∞ wächst die Länge der Kurve, also der Umfang der eingeschlossenen Fläche über alle Grenzen, d. h., die Kurve wird unendlich lang. 5 der Fläche des umgebenden Die eingeschlossene Fläche nimmt schließlich 12 Quadrats ein. ◄ Den Flächeninhalt der von der Sierpiński-Kurve eingeschlossenen Fläche kann man wie folgt bestimmen: Die Figur 1. Ordnung setzt sich zusammen aus dem roten Quadrat, von dem die vier Ecken abgeschnitten werden, und den aufgesetzten kleinen Quadraten. Daher gilt:  2   2  11 1 1 1 √ 2 1 · 2 = −4· · +4· A1 = 2 2 8 8 32 Die Figur 2. Ordnung setzt sich aus vier verkleinerten Figuren 1. Ordnung zusammen (die Seiten sind mit dem Faktor 21 gestreckt, d. h., die Fläche ist 41 so groß) sowie einem Quadrat in der Mitte, dessen Ecken abgeschnitten sind:

1 A2 = 4 · · A1 + 4

    2   1 7 11 1 11 1 2 1 1 + − + = −4· · = 4 2 16 32 16 128 32 128

Analog ergibt sich weiter

1 A3 = 4· ·A2 + 4

    2   7 1 7 7 11 1 11 1 2 1 1 + + − + + = −4· · = 8 2 32 32 128 64 512 32 128 512

und allgemein

   2  1 1 1 2 1 −4· · An = 4 · · An−1 + 4 2n 2 2n+2     11 7 7 7 7 1 1 = + + + + . . . + 2n−1 + − 2n+3 . 32 128 512 2048 2 22n 2   7 7 7 7 7 11 + + + + . . . + 2n−1 + 2n+3 = 32 128 512 2048 2 2

272

11  Monsterkurven und Fraktale

Für den Grenzwert der Folge der An gilt dann:

lim An = n→∞

11 7 1 + · 32 128 1 −

1 4

=

7 4 11 7 40 5 11 + · = + = = 32 128 3 32 96 96 12

Hinweis: Die Definition dieser Sierpiński-Kurve kann auch mithilfe eines Rasters von rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecken erfolgen; dabei werden die Mittelpunkte der Dreieckshöhen durch einen Streckenzug miteinander verbunden (vgl. folgende Abbildungen).

Auch die Kurven in den folgenden Abbildungen tragen den Namen des polnischen Mathematikers.

Wenn man diese Figuren nachzeichnen möchte, kann man auch wie folgt vorgehen: Auf einem Blatt mit Rechenkästchen markiert man • beim 1. Schritt eine Figur aus 1 + 3 + 5 + 3 + 1 Kästchen, um die man ein Quadrat (rot) legen kann, • beim 2. Schritt dann eine Figur aus 9 + 4 · (1 + 3 + 5 + 3 + 1) Kästchen mit umgebendem Quadrat usw.

11.5 Sierpiński-Dreiecke

273

Die Abbildung rechts zeigt die Kurve 5. Ordnung.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.5: Berechnen Sie für n = 1, 2, 3 und für beliebiges n die Länge der zweiten Sierpiński-Kurve n-ter Ordnung sowie den Inhalt der von der Kurve eingeschlossenen Fläche. Zeigen Sie, dass für n → ∞ die Länge der Kurve über alle Grenzen wächst, aber die eingeschlossene Fläche schließlich nur halb so groß ist wie die Fläche des umgebenden Quadrats.

11.5 Sierpiński-Dreiecke Noch bekannter als die Sierpiński-Kurven ist die unendliche Folge der ­Sierpiński-Dreiecke. Ausgangsfigur ist ein gleichseitiges Dreieck, das durch ein Mittendreieck in vier zueinander kongruente gleichseitige Dreiecke zerlegt wird. Im Folgenden wird dann das „auf dem Kopf stehende“, gelb gefärbte Mittendreieck nicht weiter betrachtet (es wird sozusagen „herausgeschnitten“), die übrigen drei Dreiecke wiederum werden durch Mittendreiecke unterteilt usw.

274

11  Monsterkurven und Fraktale

Der gesamte Umfang der gelb gefärbten Dreiecke wächst von Schritt zu Schritt. Beginnt man mit einem gleichseitigen Dreieck mit Seitenlänge 1, also mit dem Umfang u0 = 3, dann ergibt sich:   2 3      u1 = 3 · 21; u2 = 3 · 21 + 3 · 3 · 41 ; u3 = 3 · 21 + 3 · 3 · 41 + 3 · 3 · 3 · 81 = 23 + 232 + 233 usw. Allgemein gilt für den Gesamtumfang der gelb gefärbten Dreiecke    n  2 3 n−1  3 n−1 3 3 ( 2 ) −1 und es gilt: lim un = ∞ = 3 · un = = · − 1 3 2 2 2 −1 k=1

n→∞

2

Auch der Anteil der gelb gefärbten Flächen nimmt von Schritt zu Schritt zu. √ Das gleich1 seitige Ausgangsdreieck mit Seitenlänge 1 hat den Flächeninhalt A0 = 4 · 3. Weiter ergibt sich: 1 1 1 1 1 1 · A0 ; A3 = · A0 + 3 · · A0 + 32 · · A0 A1 = · A0 ; A2 = · A0 + 3 · 4 4 4 16 64  16  9 27 3 1 + + = · A0 · 3 4 16 64 also allgemein:    n−1  n−1   n−1  n  k  3 3 3 1 1 3 1 − 43 3 1 = ·A0 · ·4· 1 − = ·A0 · · = A0 · 1 − An = ·A0 · 3 3 4 3 4 3 4 4 4 1− 4 k=1

Für n → ∞ gilt daher lim An = A0. n→∞

Satz

Umfang und Flächeninhalt der herausgeschnittenen Dreiecke bei einem Sierpiński-Dreieck Für die Länge un der herausgeschnittenen Dreiecke bei einem Sierpiński-Dreieck gilt:

   3 n−1 −1 un = 3 · 2

11.6  Die Pfeilspitzen-Kurve von Mandelbrot und die Hausdorff-Dimension

275

Für n → ∞ wächst der Umfang der herausgeschnittenen Flächenstücke über alle Grenzen. Für den Flächeninhalt An der herausgeschnittenen Dreiecke gilt:

An = A0 ·

 n−1  3 1− 4



Für n → ∞ konvergiert der Flächeninhalt der herausgeschnittenen Teilflächen gegen den Flächeninhalt der Ausgangsfigur. ◄

11.6 Die Pfeilspitzen-Kurve von Mandelbrot und die ­­HausdorffDimension Der französisch-amerikanische Mathematiker polnischer Herkunft Benoît Mandelbrot (1924–2010) hatte die Idee zu einer Kurve, die an den jeweils verbleibenden Teildreiecken der Sierpiński-Dreiecke vorbeiführt. In der Literatur wird sie üblicherweise als Sierpiński Arrowhead Curve bezeichnet. Ähnlich wie bei den Quadraten der Peano- und Hilbert-Kurven kann jeder Teilfläche eines Sierpiński-Dreiecks ein Streckenabschnitt zugeordnet werden – und jedem Streckenabschnitt ein Abschnitt auf dem Einheitsintervall. Die Zeichnung der Kurve (zusammen mit dem zugehörigen gleichseitigen Dreieck) erfolgt nach einer einfachen Vorschrift; für die erste Figur lautet diese: • Zeichne eine Strecke zusammen mit einem rechts angehängten gleichseitigen Dreieck. • Ändere die Richtung um 60° nach rechts und zeichne eine Strecke zusammen mit einem links angehängten Dreieck. • Ändere die Richtung um 60° nach rechts und zeichne eine Strecke zusammen mit einem rechts angehängten Dreieck. In den nächsten Schritten muss dann die Zeichnung jeder Strecke ersetzt werden durch die Zeichnung der Figur des vorangehenden Schritts (bzw. des Spiegelbilds davon).

276

11  Monsterkurven und Fraktale

Die Pfeilspitzen-Kurven lassen sich – ähnlich wie die Kurven von Hilbert und Peano – recht einfach zeichnen, weil sie aus Teilelementen zusammengesetzt sind, die verkleinerte Kopien des Ganzen sind, also dieselben Strukturen aufweisen.

Diese Eigenschaft wird als Selbstähnlichkeit bezeichnet. Darüber hinaus bezeichnet man eine Struktur als exakt selbstähnlich, wenn sie sich vollständig in einzelne, genaue Kopien des Ganzen zerlegen lässt. Durch sein Buch Die fraktale Geometrie der Natur (die englische Originalfassung erschien im Jahr 1982) machte Benoît Mandelbrot darauf aufmerksam, dass viele in der Natur auftretende Formen (zumindest annähernd) die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit besitzen. Obwohl sich bereits viele Mathematiker vor ihm mit „fraktalen“ Gebilden beschäftigt hatten, wurde der Begriff des „Fraktals“ erst durch Mandelbrot in die Mathematik eingeführt.

11.6  Die Pfeilspitzen-Kurve von Mandelbrot und die Hausdorff-Dimension

277

Der Begriff „Fraktal“ hat mit der „Dimension“ der Gebilde zu tun, da man einige der Kurven nicht angemessen als eindimensionale Objekte (wie z. B. Strecken) bezeichnen kann, aber auch nicht als zweidimensionale (wie z. B. Flächenstücke). Vielmehr besitzen diese eine „fraktale“, eine „gebrochene“ Dimension, also eine Dimension, die zwischen 1 bei Strecken und 2 bei Flächen liegt (aus dem Lateinischen frangere = brechen). Nach dem deutschen Mathematiker Felix Hausdorff wird die sogenannte ­Hausdorff-Dimension D von Monsterkurven und Fraktalen wie folgt berechnet:

D=

log (Anzahl selbst¨ahnlicher Teile) log(Verkleinerungsfaktor)

Zu dieser Definition kann man durch folgende Überlegung kommen (siehe auch die folgende Abb.): Die Dimension D einer Strecke, aber auch eines Streckenzuges oder einer einfachen Kurve wie beispielsweise einer Kreislinie ist 1. Wenn man eine Strecke von 1 LE mit einer Längeneinheit e vergleicht, die nur halb so groß ist (Verkleinerungsfaktor 2), dann ergibt sich die doppelte (2-fache) Maßzahl. Die Dimension D eines einfachen begrenzten Flächenstücks ist 2. Wenn man eine Fläche von 1 FE = (1 LE)2 mit einer Flächeneinheit vergleicht, die sich aus nur halb so großen Streckenlängen ergibt (e = 21), dann ergibt sich die 4-fache Maßzahl. Die Dimension D eines einfachen begrenzten Raumelements ist 3. Wenn man ein Raumelement von 1 VE = (1 LE)3 mit einer Volumeneinheit vergleicht, die sich aus einer halb so großen Streckenlänge ergibt, dann ergibt sich die 8-fache Maßzahl. Entsprechend ergibt sich beispielsweise für e = 13 die 3-fache Streckenlänge, das 9-fache Flächenmaß und das 27-fache Volumen. Zwischen der Dimension D, der Maßzahl n und der Maßeinheit e besteht also der Zusammenhang n = e−D. • Streckenzug mit e = 13 und D = 1: n = ( 31 )−1 = 3 • Flächenstück mit e = 13 und D = 2: n = ( 31 )−2 = 9 • Raumelement mit e = 13 und D = 3: n = ( 31 )−3 = 27

278

11  Monsterkurven und Fraktale

Löst man die Gleichung n = e−D nach der Variablen D auf, dann ergibt sich log(n) = log(1/e) . log(n) = −D · log(e), d. h. D = − log(n) log(e) Bei den bisher betrachteten Kurven wurde eine Ausgangsstrecke durch n Teilstrecken ersetzt, die mit dem Verkleinerungsfaktor 1/e verkürzt wurden. Beispiele für die Berechnung der Hausdorff-Dimension

Ein Sierpiński-Dreieck und die Pfeilspitzen-Kurve setzen sich aus drei Kopien von Teilfiguren bzw. Teilkurven zusammen, die durch den Verkleinerungsfaktor 2 (eigentlich: Streckungsfaktor 21) entstehen. Daher gilt für deren ­Hausdorff-Dimension log(3) ≈ 1,58, d. h., es gilt 21,58 ≈ 3. D = log(2) Die Peano- und Hilbert-Kurven, der H-Baum sowie die Sierpiński-Kurven sind flächenfüllend und haben daher die Hausdorff-Dimension log(4) = 2, D = log(2) denn sie setzen sich jeweils aus vier Kopien von Teilfiguren bzw. Teilkurven zusammen, die durch den Verkleinerungsfaktor 2 entstehen.

Eine andere Möglichkeit, die Dimension von solchen Objekten zu bestimmen, ist die folgende: Man legt ein Raster von zueinander senkrechten Linien über das Objekt, z. B. von m2 kleinen Quadraten über eine Kurve. Dann bestimmt man die Anzahl N(m) der Rasterelemente, in denen das Objekt enthalten ist. Während die Anzahl der Rasterelemente (Quadrate) quadratisch mit m wächst, nimmt der Anteil der Rasterelemente, die einen Teil des Objekts enthalten, nicht notwendig ebenfalls quadratisch zu, sondern mit einem Exponenten D, d. h., es gilt N(m) = mD mit D ≠ 2. Es gibt auch geometrische Objekte, deren Hausdorff-Dimension kleiner ist als 1, z. B. die Cantor-Menge (s. u.), und auch Fraktale im Raum, deren Hausdorff-Dimension gleich 2 ist, z. B. das sogenannte Sierpiński-Tetraeder (vgl. Abb. 11.6). Beispiel: Die Cantor-Menge

• Im ersten Schritt zeichnet man das Einheitsintervall [0;1]. 1 2 ; • Im zweiten Schritt „wischt“ man das mittlere (offene) Intervall aus, 3 3  1 2  sodass die beiden abgeschlossenen Intervalle 0; 3 und 3 ; 1 übrig bleiben. • Im dritten Schritt verfährt man mit den beiden abgeschlossenen Teilintervallen so wie im Schritt zuvor: Man nimmt jeweils das offene mittlere Intervall heraus, jetzt vier abgeschlossene Intervalle jeweils der Länge 19 übrig bleiben:    sodass   0; 91 , 29 ; 13 , 23 ; 79 und 98 ; 1 usw. Die Gesamtlänge  n der jeweils übrig bleibenden Intervalle kann mithilfe des Terms cn = 23 beschrieben werden. Offensichtlich gilt: lim cn = 0 n→∞

11.7  Die Koch’sche Schneeflockenkurve

279

Die Menge der Punkte, die nach dem unendlich oft durchgeführten Prozess übrig bleiben, ist die sogenannte Cantor-Menge. Die Hausdorff-Dimension der Cantor-Menge ist ≈ 0,63, D = log(2) log(3) da bei jedem Schritt zwei „Kopien“ erstellt werden, die mit dem Faktor 13 verkleinert sind. Die Cantor-Menge (auch als Cantor-Staub bezeichnet) hat eine Reihe von interessanten Eigenschaften, auf die hier nicht eingegangen werden kann; z. B. kann man beweisen, dass sie überabzählbar unendlich viele Punkte enthält.

11.7 Die Koch’sche Schneeflockenkurve 1904 veröffentlichte der schwedische Mathematiker Helge von Koch (1870–1924) den Aufsatz Über eine stetige Kurve ohne Tangenten, die man durch eine einfache geometrische Konstruktion erhält, in dem er ein weiteres Beispiel einer Monsterkurve präsentierte. Im ersten Schritt wird eine Strecke in drei gleich große Teilstrecken unterteilt, die mittlere Strecke wird dann durch zwei Strecken derselben Länge ersetzt, die zusammen mit der jetzt weggelassenen Teilstrecke ein gleichseitiges Dreieck bilden würden. Dieses Verfahren, eine Strecke zu dritteln und die mittlere Teilstrecke zu ersetzen, wird dann bei jedem weiteren Schritt wieder angewendet.

280

11  Monsterkurven und Fraktale

Setzt man drei Koch-Kurven in Form eines gleichseitigen Dreiecks zusammen, dann ergibt sich die Koch’sche Schneeflocke. Die folgenden Abbildungen zeigen die Schneeflocken 1., 2. und 3. Ordnung; die Kurven 4. und 5. Ordnung folgen weiter unten.

Da die Länge der Koch-Kurve in jedem Schritt mit dem Faktor 43 vergrößert wird, also  4 n mithilfe von kn = 3 berechnet werden kann, wächst die Länge der Koch-Kurve, also auch der Umfang der Schneeflocke, über alle Grenzen hinaus. Für die Hausdorff-Dimension der Koch-Kurve ergibt sich ≈ 1,26. D = log(4) log(3) Um den Flächeninhalt der Koch’schen Schneeflocke zu bestimmen, ist es am einfachsten, den Zuwachs des Flächeninhalts zu untersuchen: • Die Schneeflocke des 1. Schritts besteht aus einem gleichseitigen Dreieck mit Flächeninhalt A0, auf das drei kleinere gleichseitige Dreiecke aufgesetzt werden. Der Flächeninhalt dieser aufgesetzten Dreiecke beträgt jeweils ein Neuntel der Fläche des in der Schneeflocke enthaltenen gleichseitigen Dreiecks; der Zuwachs A1 ist also A1 = 3 · 91 · A0 (vgl. die erste der folgenden Abbildungen). • Im 2. Schritt kommen dann 3 · 4 = 12 Dreiecke hinzu, deren Flächeninhalt jeweils ein Neuntel der 2 zuletzt hinzugefügten gleichseitigen Dreiecke ist; somit ergibt sich A2 = 3 · 4 · 19 · A0 (vgl. die zweite der folgenden Abbildungen). • Im 3. Schritt kommen 12 · 4 = 48 Dreiecke hinzu, deren Flächeninhalt jeweils ein Neuntel der zuletzt hinzugefügten gleichseitigen Dreiecke ist; somit ergibt sich  3  3 A3 = 48 · 91 · A0 = 3 · 42 · 19 · A0 (vgl. die dritte der folgenden Abbildungen).

11.7  Die Koch’sche Schneeflockenkurve

281

 n Allgemein gilt für n > 1: An = 3 · 4n−1 · 91 · A0 Setzt man den Prozess ins Unendliche fort, dann erhält man insgesamt für den Flächeninhalt der Schneeflocke:   2  3  4  A∞ = A0 + 3 · 91 · A0 + 3 · 4 · 91 · A0 + 3 · 42 · 19 · A0 + 3 · 43 · 91 · A0 + . . .  2  2 = 43 · A0 + 3 · 4 · 19 · 1−1 4 · A0 = 43 · A0 + 3 · 4 · 19 · 59 · A0 = 58 · A0 9

Satz

Umfang und Flächeninhalt der Koch’schen Schneeflocke Die Länge der Kurve wächst von Schritt zu Schritt mit dem Faktor 43. Für n → ∞ wächst der Umfang über alle Grenzen hinaus, der Flächeninhalt konvergiert gegen das 1,6-Fache der Ausgangsfigur. ◄ Die folgenden Abbildungen zeigen die Koch’schen Schneeflockenkurven 4. und 5. Ordnung.

Mithilfe von Schneeflockenkurven kann man eine Ebene parkettieren (vgl. Abb. 11.2). Die hierfür benötigten Schneeflocken-Typen haben unterschiedliche Größe: Die √ Seitenlängen stehen im Verhältnis 3 : 1.

Abb. 11.2   Parkettierung einer Ebene durch Koch-Schneeflocken

282

11  Monsterkurven und Fraktale

Umgekehrt kann man jede Koch-Schneeflocke mithilfe von sieben kleineren Schneeflocken auslegen, wovon die Schneeflocke in der Mitte größer ist als die sechs gleich großen, die sie umgeben. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.6: Untersuchen Sie die folgende Kombination der Koch’schen Schneeflockenkurve mit dem goldenen Schnitt. Welchen Umfang, welchen Flächeninhalt haben diese Figuren? Welche Hausdorff-Dimension hat das Fraktal?

Abb. 11.3   Eine fraktale Koch-Fünfeck-Figur

11.7  Die Koch’sche Schneeflockenkurve

283

Hinweis: In die „Lücken“ passen ebenfalls Koch-Fünfeck-Figuren. Die hierfür benötigten Figuren haben unterschiedliche Größen: Die Seitenlängen stehen im Verhältnis Φ:1. Allerdings gelingt es nicht, mit solchen Figuren die Ebene zu parkettieren, wohl aber kann man in die „Lücken“ der außen liegenden Koch-Fünfeck-Figuren jeweils wieder eine entsprechend kleinere Figur einsetzen, sodass ein 5-zackiger Stern entsteht (vgl. Abb. 11.3). Zu den Variationen der Koch’schen Schneeflockenkurve gehört die sogenannte ­Anti-Koch-Kurve, bei der die Dreiecke nach innen statt nach außen aufgesetzt sind, vgl. die folgenden Abbildungen.

Statt wie bei der Koch’schen Kurve eine Strecke zu dritteln und den mittleren Abschnitt durch ein Dreieck zu ersetzen, kann man – gemäß einem Vorschlag des deutschen Mathematikers und Physikers Hermann Minkowski – auch die Strecke vierteln und die beiden mittleren Abschnitte durch ein Quadrat nach oben und ein Quadrat nach unten austauschen, vgl. die folgenden Abbildungen.

Setzt man vier dieser Streckenzüge in Form eines Quadrats zusammen, dann entsteht ein log(8) = 1,5. Fraktal (sog. Minkowski sausage) mit der Hausdorff-Dimension D = log(4)

284

11  Monsterkurven und Fraktale

Auch mit diesen Formen kann man eine Ebene parkettieren, vgl. die folgenden Abbildungen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.7: Die Idee zu der folgenden Figur stammt vom ungarischen Mathematiker und Physiker Tamás Viscek; dieser Ansatz wurde beim Bau von Antennen für Mobiltelefone angewandt. Beschreiben Sie, wie dieses Viscek-Fraktal entsteht. Bestimmen Sie Flächeninhalt und Umfang der Figuren. Begründen Sie, dass dieses Fraktal die Hausdorff-Dimension log(5) D = log(3) ≈ 1,465 hat.

11.7  Die Koch’sche Schneeflockenkurve

285

A 11.8: Die folgenden Abbildungen zeigen jeweils die ersten drei Schritte mit Figuren aus regelmäßigen Fünfecken bzw. Sechsecken. Beschreiben Sie, was sich von Schritt zu Schritt verändert. Welche Zusammenhänge gibt es mit den Koch’schen Fraktalen? Begründen Sie: Für die Hausdorff-Dimension dieser beiden Fraktale gilt: D ≈ 1,672 bzw. D ≈ 1,771.

A 11.9: Die folgenden Abbildungen sowie Abb. 11.4 zeigen die ersten fünf Schritte, die zum sog. Sierpiński-Teppich führen. Beschreiben Sie, was sich von Schritt zu Schritt verändert. Begründen Sie: Für die Hausdorff-Dimension dieses Fraktals gilt: D ≈ 1,893.

286

11  Monsterkurven und Fraktale

Abb. 11.4   Schritt 4 und 5 des Sierpiński-Teppichs

11.8 Gosper-Insel und Gosper-Kurve Eine besondere Variation der Koch-Kurve entsteht wie folgt: Eine Strecke der Länge 1 wird durch einen Streckenzug aus drei gleich langen Strecken ersetzt, die untereinander jeweils einen Winkel von 120° bilden. Aus dieser Bedingung ergibt sich, dass die drei Teilstrecken eine Länge von √17 haben und dass gegenüber der Ausgangsstrecke Winkel von ca. 19,1° auftreten.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 11.10: Leiten Sie her, warum die drei Teilstrecken eine Länge ca. √17 haben und dass gegenüber der Ausgangsstrecke Winkel von ca. 19,1° auftreten.

Wenn man sechs dieser Streckenzüge in Form eines regelmäßigen Sechsecks zusammensetzt, dann entsteht eine Form, die ebenfalls zur Parkettierung der Ebene verwendet werden kann. Benoît Mandelbrot bezeichnete sie als Gosper-Insel (nach dem amerikanischen Mathematiker Bill Gosper, der erste Ideen hierzu entwickelte). Diese Fraktale haben die Hausdorff-Dimension √ ≈ 1,129. = 2·log(3) D = loglog(3) log(7) ( 7)

11.8  Gosper-Insel und Gosper-Kurve

287

Eine Gosper-Insel beliebiger Ordnung enthält selbst sieben kleinere Gosper-Inseln derselben Ordnung: eine innere Insel, um die in Form eines regelmäßigen Sechsecks weitere sechs Inseln angeordnet sind. In der folgenden Abbildung ist links die Zerlegung einer Gosper-Insel 3. Ordnung dargestellt. Die Abbildung rechts zeigt eine Zerlegung einer Gosper-Insel 1. Ordnung sowie einen rot eingezeichneten Streckenzug. Dieser verläuft durch jedes der sieben Sechsecke (ein inneres Sechseck und sechs Sechsecke, die dieses umgeben). Dieser Streckenzug ist die sogenannte Gosper-Kurve 1. Ordnung.

Die folgenden Abbildungen veranschaulichen die fortgesetzte Anwendung der Vorschrift (Gosper-Kurven 2., 3. und 4. Ordnung). Die Grenzkurve der Gosper-Kurve füllt die Grenz-Gosper-Insel vollständig aus. Daher ist die Hausdorff-Dimension D der Grenzkurve – bezogen auf die ­Grenz-Gosper-Insel – gleich 2.

288

11  Monsterkurven und Fraktale

11.9 Bäume In einem Beitrag über Monsterkurven und Fraktale dürfen natürlich die Bäume nicht fehlen. Ausgehend von einer Strecke einer bestimmten Länge folgt eine Verzweigung in zwei Äste (um einen bestimmten Winkel w jeweils nach links und nach rechts), deren Länge einen bestimmten Anteil q der ursprünglichen Länge ausmacht, und dann verzweigen diese Äste wieder nach derselben Vorschrift … Als Anregung für eigene Untersuchungen sind im Folgenden einige Beispiele solcher Bäume dargestellt: • Bäume 0. bis 3. Ordnung für w = 45° und q = 0, 707

• Bäume mit q =

2 3

und w = 60°, n = 5 bzw. w = 75°, n = 8 bzw. w = 80°, n = 10

11.10  Briefmarken zum Thema

• Bäume mit q =

2 3

289

sowie w = 20° bzw. w = 30° bzw. w = 45° für n = 10

11.10 Briefmarken zum Thema Zum Thema Monsterkurven und Fraktale ist eine Reihe von Briefmarken herausgegeben worden. Die Briefmarken von Macao aus dem Jahr 2005 in Abb. 11.5 links zeigen die ­Hilbert-Kurve, ein Baum-Fraktal, Sierpiński-Dreiecke, die Koch-Kurve und die CantorMenge. Die Briefmarken aus Schweden aus dem Jahr 2000 rechts erinnern an den schwedischen Mathematiker Helge von Koch.

Abb. 11.5   Monsterkurven und Fraktale auf Briefmarken

290

11  Monsterkurven und Fraktale

Abb. 11.6   Erinnerungen an Wacław Sierpiński

Abb. 11.6 zeigt links eine finnische Briefmarke aus dem Jahr 2000 mit Motiven des Sierpiński-Dreiecks. Die ungarische Briefmarke aus dem Jahr 1996 rechts präsentiert ein räumliches Fraktal, das Sierpiński-Tetraeder.

11.11 Hinweise auf weiterführende Literatur Einen sehr guten Überblick über Monsterkurven und Fraktale bietet die englischsprachige Wikipedia-Seite: • List of fractals by Hausdorff dimension (französische Version: Liste de fractales par dimension de Hausdorff) Hier findet man jeweils Verweise auf eine Fülle von Beispielen von Kurven und anderen geometrischen Gebilden. Bei Wikipedia in deutscher (englischer, französischer) Sprache findet man weitere Informationen und Literatur u. a. zu den Stichwörtern: • Hilbert-Kurve (Hilbert curve, Courbe de Hilbert) • Raumfüllende Kurven (Space-filling curve, –) • Peano-Kurve (Peano curve, Courbe de Peano) • Hausdorff-Dimension (Haussdorff dimension, Dimension de Hausdorff) • Cantor-Menge (Cantor set, Ensemble de Cantor) • Koch-Kurve (Koch-Snow-flake, Flocon de Koch) • Gosper-Kurve (Gosper curve, Courbe de Gosper) • (Vicsek fractal, Fractale de Vicsek) • (Hexaflake, Hexagone de Sierpiński) • Sierpiński-Teppich (Sierpiński carpet, Tapis de Sierpiński carpet) • Fraktale Dimension (Fractal dimension, Dimension fractale)

11.11  Hinweise auf weiterführende Literatur

291

Hinweise auf Kurven verschiedenen Typs findet man auf der Übersichtsseite von Wolfram Mathworld: • mathworld.wolfram.com/topics/Fractals.html Interessant sind auch andere umfassende Internet-Angebote: • www.fractalcurves.com • www.mathcurve.com/fractals/ • www.cut-the-knot.org/do_you_know/hilbert.shtml Eine Sammlung von Algorithmen in verschiedenen Programmiersprachen findet man auf der Website: • rosettacode.org/wiki/Rosetta_Code

Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

12

Zu viel der Ehre für das Roulette: Es hat weder Gewissen noch Gedächtnis. (Joseph Louis François Bertrand, französischer Mathematiker, 1822–1900)

Im Vorwort seines berühmten Buchs Calcul des probabilités aus dem Jahr 1888 setzte sich Joseph Bertrand mit dem Irrtum von Roulettespielern auseinander, die aus dem Bernoulli’schen Gesetz der großen Zahlen die Gewissheit ablesen, dass es bei einem „Übergewicht“ von noir gegenüber rouge bald zu einem „Ausgleich“ kommen muss („une dette envers la rouge“; dette = Schuld).

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6_12

293

294

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Sein Kommentar „On fait trop d’honneur à la roulette: Elle n’a ni conscience ni mémoire“ (dt.: „Zu viel der Ehre für das Roulette: Es hat weder Gewissen noch Gedächtnis.“) wird zum geflügelten Wort für Zufallsvorgänge. Es mag sein, dass der Zufall kein Gedächtnis hat, aber es gibt (trotzdem) Gesetzmäßigkeiten des Zufalls. Im Unterschied etwa zu den präzisen Regeln der Algebra sind etliche dieser Gesetzmäßigkeiten als Wahrscheinlichkeitsaussagen formuliert – und das irritiert viele Menschen, wenn sie sich zum ersten Mal mit solchen Vorgängen beschäftigen. In diesem Kapitel sollen zwei besondere Aspekte etwas ausführlicher betrachtet werden, die bei Auswertung von Zufallsversuchen eine wichtige Rolle spielen; weitere Gesichtspunkte können hier nur angedeutet werden. Dass in diesem Kapitel insbesondere Münzwürfe o. Ä. betrachtet werden, hängt allein mit der Tatsache zusammen, dass diese Vorgänge einfacher zu überblicken sind als andere Zufallsversuche. Tatsächlich stellt die praktische Durchführung eines wiederholten Münzwurfs ein ziemlich großes Problem dar: Es ist ausgesprochen schwierig – wenn nicht sogar unmöglich –, eine Münze so zu werfen, dass man den Vorgang als wirklich rein zufällig ansehen kann.

12.1 Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen Wir beginnen mit einem kleinen Experiment: • Stellen Sie sich vor, eine Münze wird 12-mal geworfen. Wie könnte das Ergebnis dieses Zufallsversuchs aussehen? Überlegen Sie sich im Kopf eine mögliche ­W-Z-Abfolge und tragen Sie sie in das folgende Schema ein (W = Wappen, Z = Zahl).

• Zählen Sie nun, wie oft bei Ihrem Münzwurf im Kopf das Ergebnis W aufgetreten ist. Lautet Ihr Ergebnis 5-mal W oder 6-mal W oder 7-mal W? • Könnte es sein, dass Sie – während Sie die Münzwurf-Folge notierten – zwischendurch überprüft haben, wie oft Sie bis dahin W aufgeschrieben hatten? Wenn Sie so vorgegangen sind, dann haben Sie sich die Bertrand’sche Mahnung (s. o.) nicht zu Herzen genommen und haben vielleicht (bewusst oder unbewusst) versucht, einen „Ausgleich“ zwischen W(appen) und Z(ahl) zu schaffen.

12.1  Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen

295

Zur Klarstellung: Sie haben nichts Falsches gemacht, auch die von Ihnen notierte Münzwurf-Folge ist möglich – so wie übrigens jede andere von insgesamt 2 · 2 · … · 2 = 212 = 4096 möglichen Folgen. 4096 möglichen Münzwurf-Folgen gibt es  Aber:   Unter   diesen  12 12 12 + + = 792 + 924 + 792 = 2508 5 6 7 Münzwurf-Folgen mit 5, 6 oder 7 Wappen, das sind ungefähr 61 % aller möglichen Münzwurf-Folgen, d. h., wenn man eine Münze 12-mal wirft, dann ist die Wahrscheinlichkeit für 5-mal, 6-mal oder 7-mal Wappen „nur“ etwa 61 % (vgl. das nachfolgend abgebildete Histogramm). Hinweis: Histogramme sind besondere Säulendiagramme mit Rechtecken der Breite 1, die ohne Lücke nebeneinander gezeichnet werden; die Höhe der Rechtecke entspricht dabei der Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Ergebnisses. Da die Breite 1 ist, entspricht auch der Flächeninhalt der Rechtecke der Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Ergebnisses.

  n Die Zahlen , die sogenannten Binomialkoeffizienten, spielen beim binomischen k Lehrsatz eine wichtige Rolle. Sie geben an, wie viele Möglichkeiten es gibt, k Zahlen aus einer Menge von n Zahlen auszuwählen. Binomialkoeffizienten können u. a. mithilfe des Pascal’schen Dreiecks berechnet werden.

296

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.1: Versuchen Sie es selbst einmal, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben: Lassen Sie andere das Gedankenexperiment eines 12-fachen Münzwurfs im Kopf durchführen und überprüfen Sie anschließend, ob (auch) bei Ihren Partnern „zufällig“ nur 5-mal, 6-mal oder 7-mal Wappen aufgetreten ist. Erfahrungsgemäß liegen weit über 80  % der Teilnehmer eines solchen Gedankenexperiments mit der Anzahl der Wappen dicht bei dem zu erwartenden Mittelwert von 6-mal Wappen, woraus man schließen kann, dass wir als Laien kein wirkliches „Gefühl“ für Zufallsvorgänge haben und den von Bertrand angesprochenen „Ausgleich“ suchen. A 12.2: Etwa 75 % der Teilnehmer des Gedankenexperiments beginnen ihre ­Münzwurf-Folge mit dem Eintrag von W, obwohl doch eigentlich Wappen und Zahl beim ersten Wurf mit gleicher Wahrscheinlichkeit fallen. Ändern Sie zur Kontrolle einmal die Anleitung zum Ausfüllen des Schemas wie folgt ab: „Notieren Sie eine mögliche Z-W-Abfolge in das folgende Schema (Z = Zahl, W = Wappen).“ Überprüfen Sie, ob auch Sie die folgende Erfahrung bestätigen können: Mit der veränderten Anleitung beginnen deutlich mehr ihre Münzwurf-Folge mit dem Eintrag von Z.

Wie sieht es denn mit einem „Ausgleich“ zwischen W und Z auf lange Sicht aus? Der Erste, der das Gesetz der großen Zahlen thematisierte, war der Schweizer Mathematiker Jakob Bernoulli (1654–1705). In seinem 1713 posthum erschienenen Buch Ars conjectandi (dt.: „Die Kunst des Vermutens“) formulierte er sein Goldenes Theorem, das im Prinzip folgende Aussage enthält: Auf lange Sicht nähern sich die relativen Häufigkeiten eines Ergebnisses der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis.

Wie wir im Folgenden sehen werden, unterscheidet sich diese Art der „Konvergenz“ wesentlich von der der Analysis.

12.1  Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen

297

Beispiel: Münzwurf

Beim Münzwurf ordnet man den beiden möglichen Ergebnissen Wappen und Zahl jeweils die Wahrscheinlichkeit 21 zu. Diese Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Ergebnisses W (bzw. Z) hilft, Prognosen für zukünftige Zufallsexperimente aufzustellen: Man vermutet, dass W und Z ungefähr gleich oft auftreten werden.

Wenn man einen Zufallsversuch konkret durchführt, dann zählt man, wie oft ein bestimmtes Ergebnis vorkommt – man bestimmt also die sogenannte absolute Häufigkeit, mit der das Ergebnis auftritt. Wenn man diese Anzahl durch die Anzahl der Versuche dividiert, erhält man die relative Häufigkeit des Ergebnisses. Wahrscheinlichkeiten und relative Häufigkeiten sind also zwei grundsätzlich verschiedene Begriffe – der erste bezieht sich auf Chancen in zukünftig durchzuführenden Zufallsversuchen, der zweite auf die Auswertung von bereits durchgeführten Versuchen in der Vergangenheit. Beispiel: Relative Häufigkeiten bei 500-fachem Münzwurf

Die folgenden beiden Abbildungen zeigen jeweils die Entwicklung der relativen Häufigkeiten für Wappen bei drei unabhängig voneinander durchgeführten 500-fachen Münzwürfen (also insgesamt sechs Versuchsprotokolle).

Wenn man nur weiß, dass die Abbildungen Entwicklungen von relativen Häufigkeiten darstellen, käme man nicht unbedingt auf die Idee, dass diese zu Münzwürfen gehören (und das liegt hier nicht an der verwendeten Software, die einen 500-fachen Münzwurf simuliert).

Hier geht es um ein erstes großes Missverständnis über die Gesetzmäßigkeiten von Zufallsversuchen: „Auf lange Sicht“ bedeutet nicht (unbedingt) „nach 500 Versuchsdurchführungen“.

298

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Viele denken bei 500 Versuchen an den Aufwand, der damit verbunden ist, so oft eine Münze zu werfen und nach jedem Wurf das Ergebnis zu protokollieren, von der Berechnung der relativen Häufigkeiten ganz abgesehen; und dies verleitet dann vielleicht auch zu der Meinung, dass 500 Versuche eigentlich ausreichen müssten. Ein zweites großes Missverständnis ist die Vorstellung, dass sich die relativen Häufigkeiten immer stärker der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeit als Grenzwert nähern. Es ist gerade das Typische für Zufallsversuche, dass die Entwicklung der relativen Häufigkeiten nicht unbedingt zielstrebig (z. B. stets streng monoton) zum Grenzwert erfolgt. Was die Theorie hier aber liefern kann, sind zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen. Man kann beispielsweise sagen: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % wird nach n Würfen die relative Häufigkeit des Ergebnisses Wappen zwischen den beiden violett eingezeichneten Kurven liegen, also innerhalb dieses „95 %-Trichters“.

In der abgebildeten Grafik kann man ablesen, dass die relativen Häufigkeiten nach n = 300 Münzwürfen tatsächlich bei allen drei Versuchsreihen zwischen den beiden violetten Kurven lagen; nach n = 500 Versuchen lag die relative Häufigkeit der „blauen“ Versuchsreihe außerhalb, während die anderen beiden innerhalb des 95 %-Trichter s lagen. Am Beispiel des 95 %-Trichters können wir im Prinzip ablesen, was Konvergenz beim Gesetz der großen Zahlen bedeutet: Man kann eine Wahrscheinlichkeitsaussage (z. B. mit Wahrscheinlichkeit 95 % oder auch 99 % oder 99,9 % usw.) darüber machen, dass die relative Häufigkeit für ein bestimmtes Ergebnis nach n Versuchsdurchführungen innerhalb eines solchen Trichters liegt. Mit zunehmendem n wird die Öffnung des Trichters immer schmaler, und zwar sogar beliebig klein, d. h. kleiner als jede vorgegebene Breite: Mit hoher Wahrscheinlichkeit unterscheidet sich dann die relative Häufigkeit im Zufallsversuch beliebig wenig von der Wahrscheinlichkeit, die dem Versuch zugrunde liegt – in der Grafik dargestellt durch die Mittellinie zwischen den beiden violett gefärbten Kurven.

12.1  Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen

299

Satz

Bernoulli’sches Gesetz der großen Zahlen Für jede positive Zahl ε gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die relative Häufigkeit eines Ergebnisses von der Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis um höchstens ε unterscheidet, strebt mit größer werdendem n schließlich gegen1. ◄ Um den Trichter bestimmen zu können, benötigt man vor allem zwei Regeln: • die sogenannte Bernoulli-Formel zur Berechnung der Wahrscheinlichkeiten von Ergebnissen und • Faustregeln zur Bestimmung der Breite eines solchen Trichters. Bernoulli-Formel

Wahrscheinlichkeit für dask-fache Auftreten eines Ergebnisses Ein identischer Zufallsversuch wird n-mal unabhängig durchgeführt, jeweils mit der Wahrscheinlichkeit p für ein bestimmtes Ergebnis (die sich also während des gesamten Experiments nicht verändert). Mithilfe einer von Bernoulli entwickelten Formel kann man die Wahrscheinlichkeit dafür ausrechnen, dass dieses Ergebnis dabei genau k-mal auftritt:   n P(genau k-mal das Ergebnis) = · pk · (1 − p)n−k ◄ k Man kann zeigen, dass das Ergebnis mit der größten Wahrscheinlichkeit (also das „wahrscheinlichste“ Ergebnis; im Englischen spricht man von Maximum Likelihood) in der Nähe des sogenannten Erwartungswerts μ = n · p liegt. Der Erwartungswert einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ist definiert als der mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtete Mittelwert der möglichen Ergebnisse, also der zu erwartende Mittelwert. Beispiel

Im Falle des Münzwurfs ist p = 0, 5, also auch 1 − p = 0, 5. Die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten vereinfacht sich wie folgt:   n P(genau k-mal Wappen) = · 0, 5n k Beispielsweise erhält man für n = 20 und k = 10:   20 P(genau 10-mal Wappen) = · 0, 520 ≈ 0,176 = 17,6% ≈ 10

1 6

Beim 20-fachen Münzwurf hat das Ergebnis „10-mal Wappen“ die größte Wahrscheinlichkeit. Diese Wahrscheinlichkeit beträgt etwas mehr als 16. Die ­Wahrscheinlichkeit, beim 20-fachen Münzwurf genau 10-mal Wappen zu werfen, ist also ungefähr so groß, wie beim Würfeln eine Sechs zu werfen.

300

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Man muss daher einige „benachbarte“ Ergebnisse hinzunehmen, um beispielsweise auf eine Wahrscheinlichkeit von 95 % zu kommen (vgl. folgende Abb. rechts).

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.3: Die Mühe, die Entwicklung der relativen Häufigkeiten von Wappen bei einem 100-fachen Münzwurf zu protokollieren und grafisch darzustellen, lohnt sich. Da das Werfen eines Würfels aber unproblematischer durchzuführen ist als der Münzwurf, ersetzen Sie also diesen Zufallsversuch mit den beiden möglichen Ergebnissen Wappen und Zahl durch das Würfeln mit den beiden Alternativen {Augenzahl 1, 2 oder 3} und {Augenzahl 4, 5 oder 6}, denen ebenfalls jeweils die Wahrscheinlichkeit 21 zugeordnet werden kann. Mithilfe der Bernoulli-Formel kann man einzelne Wahrscheinlichkeiten berechnen, also auch all die einzelnen Wahrscheinlichkeiten von Ergebnissen, die in einer symmetrischen Umgebung um den Erwartungswert liegen, z. B. einer Umgebung, in der das Versuchsergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt. Erfreulicherweise muss man die Wahrscheinlichkeiten der in den Umgebungen liegenden Ergebnisse bei großem n nicht mühsam einzeln berechnen; vielmehr gelten die sogenannten Sigma-Regeln (vgl. auch Mathematik ist schön, Abschn. 12.11). Sigma-Regeln

Wahrscheinlichkeit für symmetrische Umgebungen um den Erwartungswert Ein identischer Zufallsversuch wird n-mal unabhängig durchgeführt, jeweils mit der Wahrscheinlichkeit p für ein bestimmtes Ergebnis.

12.1  Untersuchung der Häufigkeit von Ergebnissen

301

Als Sigma-Umgebungen des Erwartungswerts μ = n · p werden symmetrische Umgebungen [μ − r · σ;   μ + r · σ] bezeichnet, wobei für die sogenannte Standard√ abweichung σ gilt: σ = n · p · (1 − p) Falls die Standardabweichung hinreichend groß ist (σ > 3, sogenannte ­Laplace-Bedingung), gelten folgende Wahrscheinlichkeitsaussagen: Mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. … % liegt die absolute Häufigkeit, mit der das interessierende Ergebnis in n Versuchsdurchführungen auftritt, im folgenden Intervall: • • • • • •

ca. 50 %: zwischen μ − 0, 67 · σ und μ + 0, 67 · σ ca. 68 %: zwischen μ − 1 · σ und μ + 1 · σ ca. 80 %: zwischen μ − 1, 28 · σ und μ + 1, 28 · σ ca. 90 %: zwischen μ − 1, 64 · σ und μ + 1, 64 · σ ca. 95 %: zwischen μ − 1, 96 · σ und μ + 1, 96 · σ ca. 99 %: zwischen μ − 2, 58 · σ und μ + 2, 58 · σ ◄

Beispiel: 500-facher Münzwurf

n = 500; p = 0, 5; μ = n · p = 500 · 0, 5 √ √ σ = n · p · (1 − p) = 500 · 0,5  · 0,5≈ 11,18 500 P(genau 250-mal Wappen) = · 0, 5500 ≈ 0,0357 = 3,6 %. 250

=

250;

Dies ist zwar das wahrscheinlichste Einzelergebnis bei diesem Zufallsversuch, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist doch ziemlich klein. Nimmt man aber noch eine ausreichende Anzahl an Nachbarwerten hinzu, die symmetrisch zu μ = 250 liegen, dann sieht die Sache anders aus: 0, 67 · σ ≈ 7, 5, also: P(mindestens 243-, höchstens 257-mal Wappen) ≈ 50 % (vgl. Abb. links); 1 · σ ≈ 11, 2, also: P(mindestens 239-, höchstens 261-mal Wappen) ≈ 68 %; 1, 28 · σ ≈ 14, 3, also: P(mindestens 236-, höchstens 264-mal Wappen) ≈ 80 %; 1, 64 · σ ≈ 18, 3, also: P(mindestens 232-, höchstens 268-mal Wappen) ≈ 90 %; 1, 96 · σ ≈ 21, 9, also: P(mindestens 229-, höchstens 271-mal Wappen) ≈ 95 % (vgl. Abb. rechts); 2, 58 · σ ≈ 28, 8, also: P(mindestens 222-, höchstens 278-mal Wappen) ≈ 99 %.

302

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Der 95 %-Trichter umfasst also für n = 500 die absoluten Häufigkeiten zwischen k = 229 und k = 271 (einschl.); dies entspricht den relativen Häufigkeiten von 229 271 ≈ 0,458 und 500 ≈ 0,542 (vgl. Abb. oben). Der 95 %-Trichter hat also an der 500 271 229 − 500 ≈ 0,016 = 1,6%. Stelle n = 500 die Breite 500

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.4: Bestimmen Sie mithilfe der Sigma-Regeln die Intervalle um den Erwartungswert μ = n · p, in denen mit einer großen Wahrscheinlichkeit (z. B. 95 %) die Anzahl der Wappen liegt. Berechnen Sie auch die relativen Häufigkeiten, die zu den berechneten Intervallen mit absoluten Häufigkeiten gehören, d. h.: Welche Breite hat der 95 %-Trichter [50 %-Trichter] an diesen Stellen?

(1)n = 1000

(2)n = 500

(3)n = 10000

A 12.5: Ein Würfel wird n-mal geworfen. Bestimmen Sie mithilfe der ­Sigma-Regeln die Intervalle um den Erwartungswert μ = n · p, in denen mit einer großen Wahrscheinlichkeit (z. B. 95 %) die Anzahl der Würfe mit Augenzahl 6 liegt ( p = 16). Berechnen Sie auch die relativen Häufigkeiten, die zu den berechneten Intervallen mit absoluten Häufigkeiten gehören, d. h.: Welche Breite hat der 95 %-Trichter [50 %-Trichter] an diesen Stellen? (1)n = 600 (2) = 3000 (3)n = 6000

Erfahrungen mit Lottoziehungen Es gibt einen Zufallsversuch, der in Deutschland seit nunmehr 62 Jahren unter notarieller Aufsicht durchgeführt wird: Es handelt sich dabei um die Ziehung der Lottozahlen, das Spiel 6 aus 49 (anfangs nur am Samstag, seit 1986 zusätzlich auch mittwochs). Ende 2016 waren dies insgesamt n = 5548 Ziehungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Zahl unter den sechs gezogenen Zahlen 6 einer Ziehungsveranstaltung ist, beträgt 49 .

12.2  Untersuchung der Runs

303

Das kann man leicht wie folgt überlegen: Im Rahmen der Veranstaltung werden sechs von 49 Kugeln gezogen. Dass die betrachtete Zahl unter den sechs Kugeln ist, hat des6 ≈ 0,122. halb eine Chance von 6:43, d. h., die Wahrscheinlichkeit beträgt p = 49 Bevor Sie lange darüber nachdenken, ob die Wahrscheinlichkeitsberechnung wegen des Nicht-Zurücklegens eigentlich komplizierter ist, überlegen Sie Folgendes: Es ist nicht notwendig, dass die Zahlen in sechs Ziehungen (ohne Zurücklegen der bereits gezogenen Kugeln) gezogen werden; man könnte auch sechs Kugeln mit einem Griff aus dem Ziehungsgefäß herausnehmen – aber das wäre nicht so spannend. Die folgende Abbildung (im vergrößerten Maßstab zu Beginn des Kapitels) zeigt die Entwicklung der relativen (Ziehungs-)Häufigkeiten für die Zahlen 1 (schwarz), 13 6 (violett). (blau) und 26 (grün), außerdem den 95 %-Trichter symmetrisch zu p = 49 Die Glückszahl 13 wurde bis Ende 2016 am seltensten gezogen, die Lottozahl 26 am häufigsten.

Auch nach n = 5548 Versuchsdurchführungen ist ein „Stabilisieren“ der relativen 6 ≈ 0,122 nicht wirklich zu erkennen. Dass es Lottozahlen gibt, Häufigkeiten um p = 49 deren relative Ziehungshäufigkeit außerhalb des 95 %-Trichters liegt, entspricht völlig den Erwartungen; denn eine Wahrscheinlichkeit von 95 % besagt, dass die Ziehungshäufigkeit einer Zahl eben auch mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 % außerhalb des Trichters liegt. Bei 49 Lottozahlen ist es also nicht ungewöhnlich, wenn zwei oder drei der 49 Lottozahlen (5 %) eine Ziehungshäufigkeit haben, die außerhalb des Trichters liegt.

12.2 Untersuchung der Runs Die folgende Abbildung zeigt eine mögliche Variante eines Protokolls zum Münzwurf im Kopf aus Abschn. 12.1. Mit 6-mal Wappen und 6-mal Zahl entspricht sie bzgl. der Häufigkeit den Erwartungen. Ist sonst auch alles „normal“?

304

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

In der Grafik wurden die beiden verschiedenen möglichen Ergebnisse mit unterschiedlichen Farben unterlegt, um den Wechsel zwischen W und Z hervorzuheben: Im abgebildeten Beispiel treten sieben sogenannte Runs auf. Unter einem Run versteht man im Beispiel des Münzwurfs eine Sequenz aus gleichen Ergebnissen: Nach einem W-Run der Länge 2 folgt im Beispiel ein Z-Run der Länge 2, dann ein W-Run der Länge 1, ein Z-Run der Länge 1, ein W-Run der Länge 2, ein Z-Run der Länge 3 und schließlich ein W-Run der Länge 1; insgesamt sind dies sieben Runs. Untersuchung der Anzahl der Runs Aus der folgenden Grafik kann man ablesen, mit welchen Wahrscheinlichkeiten k Runs bei einem (tatsächlich zufälligen) 12-fachen Münzwurf auftreten: Eine Folge von zwölf Münzwürfen besteht mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 22,6 % aus sechs bzw. sieben Runs, mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 16,1 % aus fünf oder acht Runs usw. Da die Verteilung symmetrisch ist, liegt der zu erwartende Mittelwert der Wahrscheinlichkeitsverteilung, das ist der sogenannte Erwartungswert der Verteilung, bei k = 6, 5.

Wie sich diese Wahrscheinlichkeiten berechnen lassen, kann man schrittweise entwickeln. • Beim 3-fachen Münzwurf sind 1, 2, 3 Runs möglich. Diese treten mit den Wahrscheinlichkeiten 25 %, 50 % und 25 % auf. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung ist symmetrisch zu k = 2, dem zu erwartenden Mittelwert (= Erwartungswert).

12.2  Untersuchung der Runs

305

• Beim 4-fachen Münzwurf sind 1, 2, 3, 4 Runs möglich. Diese treten mit den Wahrscheinlichkeiten 12,5 %, 37,5 %, 37,5 % und 12,5 % auf. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung ist symmetrisch zu k = 2, 5, dem zu erwartenden Mittelwert (= Erwartungswert).

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.6: Notieren Sie alle 25 = 32 möglichen Münzwurf-Folgen eines 5-fachen Münzwurfs und bestimmen Sie hiermit die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl der Runs. Zeigen Sie,  dass für  k = 1, 2, 3, 4, 5 gilt:  4 4 · 21 P(Anzahl der Runs = k) = k−1 A 12.7: Die Auswertungen des Gedankenexperiments 12-facher Münzwurf im Kopf haben gezeigt, dass die Probanden Münzwurf-Folgen mit (fast ausschließlich) sechs Runs oder mehr hatten, obwohl die Wahrscheinlichkeit immerhin 27 % beträgt, dass ein 12er-Münzwurf fünf Runs oder noch weniger enthält. Probieren Sie es selbst einmal aus und lassen Sie Menschen aus Ihrem Umfeld einen 12-fachen Münzwurf im Kopf notieren. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

306

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Regel

Wahrscheinlichkeitsverteilung und Erwartungswert der Anzahl der Runs beim Münzwurf Eine Münze wird n-mal geworfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der MünzwurfFolge genau k Runs auftreten, ist:    n−1 n−1 · 21 P(Anzahl der Runs = k) = für k = 1, 2, 3, …, n k−1 Der Erwartungswert der Anzahl der Runs ist gleich 21 · (n + 1). ◄ Das Histogramm für die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl der Runs für den n-fachen Münzwurf sieht also genauso aus wie das Histogramm für die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl der Wappen für den (n − 1)-fachen Münzwurf – mit einer um 1 Einheit verschobenen Skala. Die folgende Abbildung links zeigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl der Wappen beim 11-fachen Münzwurf (also für k = 0, 1, 2, …, 11), die Abbildung rechts die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl der Runs beim 12-fachen Münzwurf (also für k = 1, 2, 3, …, 12).

Dass es diese Übereinstimmung gibt, lässt sich wie folgt beispielhaft am bekannten   Felder-Schema erklären: 11 Bei einem 11-fachen Münzwurf mit k Wappen gibt es Möglichkeiten, k Felder k des Schemas für den Eintrag eines W auszuwählen.

Bei einem 12-fachen Münzwurf gibt es elf Übergänge zwischen zwei benachbarten Feldern des Schemas, also elf Möglichkeiten des Wechsels zwischen W und Z bzw. Z und W.

12.2  Untersuchung der Runs

307

Da der erste Run mit dem ersten Feld des Schemas beginnt, muss man für eine Münzwurf-Folge mit k Runs genau k − 1 Übergänge aus den elf Wechselmöglichkeiten auswählen.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.8: Die Formel µ = n · p = 21 · n zur Berechnung des Erwartungswerts der Anzahl der Wappen werde als bekannt vorausgesetzt. Wie lässt sich die Formel 1 · + 1) zur Berechnung des Erwartungswerts der Anzahl der Runs hieraus 2 (n ableiten? A 12.9: Man√ kann zeigen, dass für die Standardabweichung σ der Anzahl der Runs gilt: σ = 21 · n − 1 1. Begründen Sie: Für n > 37 ist die Laplace-Bedingung erfüllt. 2. Bei einem 50-fachen Münzwurf beträgt der Erwartungswert der Anzahl der Runs μ = 25, 5. Da die Laplace-Bedingung σ > 3 erfüllt ist, kann man mithilfe der Sigma-Regeln eine 95 %-Umgebung um μ bestimmen. In welchem Intervall wird also die Anzahl der Runs mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegen? A 12.10: Betrachten Sie statt eines Münzwurfs das Drehen des unten abgebildeten Glücksrads mit unterschiedlich großen Sektoren für W und Z; dabei soll W mit Wahrscheinlichkeit p auftreten und Z mit Wahrscheinlichkeit q = 1 − p. 1. Untersuchen Sie, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Run der Länge k beim 3-fachen Drehen des Glücksrads auftritt (k = 1, 2, 3). 2. Untersuchen Sie auch die Wahrscheinlichkeitsverteilung für das 4-fache Drehen des Glücksrads. 3. Bestimmen Sie für die Verteilungen in (1) und (2) jeweils den Erwartungswert. Hinweis: Man kann zeigen, dass allgemein gilt: μ = 1 + (n − 1) · 2 · p · q

308

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Untersuchungen der Länge der Runs Bei den Auswertungen der Protokolle der Münzwürfe im Kopf fiel auf, dass bei den Probanden überwiegend kurze Runs vorkamen, also Runs der Länge 1 oder 2 (weshalb naheliegenderweise die notierte 12er-Münzwurf-Folge eher eine größere Anzahl von Runs enthielt). Die Tatsache, dass 12er-Münzwürfe mit einer Wahrscheinlichkeit von 27 % nur fünf Runs oder noch weniger enthalten, bedeutet, dass „lange“ Runs gar nicht so selten sind. Wenn man sich bisher noch nicht mit dem Auftreten von Runs, deren Länge und deren Wahrscheinlichkeit beschäftigt hat, wird man feststellen, dass man auch darüber falsche Vorstellungen hat. Im Folgenden sollen in diesem Zusammenhang einige Fragen geklärt werden, z. B.: Wie oft kommen eigentlich Runs der Länge 3 oder 4 beim tatsächlich zufälligen 12-fachen Münzwurf vor? Würden Sie sich auf eine Wette einlassen, dass es bei einem 6-fachen Münzwurf einen Run der Länge 3 oder mehr gibt? (Sie werden sich noch wundern …) Wertet man die obigen Tabellen aus, dann stellt man fest: • Beim 3-fachen Münzwurf zählt man bei den 23 = 8 gleich wahrscheinlichen ­Münzwurf-Folgen – 4 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 2 (50 %), – 2 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 3 (25 %), also – 6 Münzwurf-Folgen mit einem Run mindestens der Länge 2 (75 %). • Beim 4-fachen Münzwurf zählt man bei den 24 = 16 gleich wahrscheinlichen ­Münzwurf-Folgen – 2 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 4 (12,5 %), – 4 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 3 (25 %), also – 6 Münzwurf-Folgen mit einem Run von mindestens der Länge 3 (37,5 %), – 8 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run der Länge 2 (50 %), also – 14 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run von mindestens der Länge 2 (87,5 %). • Beim 5-fachen Münzwurf zählt man bei den 25 = 32 gleich wahrscheinlichen ­Münzwurf-Folgen (vgl. A 12.6) – 2 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 5 (6,25 %), – 4 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 4 (12,5 %), also – 6 Münzwurf-Folgen mit einem Run von mindestens der Länge 4 (18,75 %), – 10 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 3 (31,25 %), also – 16 Münzwurf-Folgen mit einem Run von mindestens der Länge 3 (50 %), – 14 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run der Länge 2, aber keinem längeren Run (43,75 %), also – 30 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run von mindestens der Länge 2 (93,75 %).

12.2  Untersuchung der Runs

309

Konsequenz: Die Wette, dass es bei einem 5-fachen Münzwurf einen Run von mindestens der Länge 3 geben wird, ist eine faire Wette, denn man gewinnt und verliert die Wette jeweils mit Wahrscheinlichkeit 50 %. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.11: Zeigen Sie, dass beim 6-fachen Münzwurf (mit den 26 = 64 gleich wahrscheinlichen Münzwurf-Folgen) folgende Wahrscheinlichkeiten für Runs gelten: • • • • • • •

2 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 6 (3,125 %), 4 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 5 (6,25 %), also 6 Münzwurf-Folgen mit einem Run von mindestens der Länge 5 (9,375 %), 10 Münzwurf-Folgen mit einem Run der Länge 4 (15,625 %), also 16 Münzwurf-Folgen mit einem Run von mindestens der Länge 4 (25 %), 22 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run der Länge 3 (34,375 %), also 38 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run von mindestens der Länge 3 (59,375 %). • 24 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run der Länge 2, aber keinem längeren Run (37,5 %), also • 62 Münzwurf-Folgen mit mindestens einem Run von mindestens der Länge 2 (96,875 %).

Aus A 12.11 ergibt sich: Die Wette, dass es bei einem 6-fachen Münzwurf mindestens einen Run von mindestens der Länge 3 geben wird, ist eine günstige Wette, denn man gewinnt die Wette mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 60 %. Die folgende Abbildung zeigt, wie die Wahrscheinlichkeit für mindestens einen Run von mindestens der Länge 3 (rot) bzw. für mindestens einen Run von mindestens der Länge 4 (grün) mit der Länge der Münzwurf-Folge wächst. Wir lesen ab: Eine Wette, dass es bei einem 12-fachen Münzwurf mindestens einen Run von mindestens der Länge 4 geben wird, ist eine günstige Wette, denn man gewinnt die Wette mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 %.

310

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.12: Das Auszählen der Länge der Runs kann mithilfe einer Tabellenkalkulation erfolgen: Statt der Münzwurf-Folgen betrachtet man Folgen aus Nullen und Einsen, und diese erzeugt man, indem man natürliche Zahlen in Dualzahlen umwandelt. Beispiel: Statt der acht möglichen Münzwurf-Folgen der Länge 3, also WWW, WWZ, WZW, WZZ, ZWW, ZWZ, ZZW, ZZZ, betrachtet man die natürlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, …, 7, die wie folgt als dreistellige Dualzahlen notiert werden können: 000, 001, 010, 011, 100, 101, 110, 111. Überlegen Sie, mit welchen Abfragen man die Länge der auftretenden Runs ermitteln kann.

Hinweis: Betrachtet man Zufallsversuche mit mehr als zwei möglichen Ergebnissen, dann muss der Begriff eines Runs verallgemeinert werden. Beim Würfeln etwa kann man zählen, aus wie vielen monoton steigenden Teilfolgen eine Augenzahl-Folge besteht (alternativ: aus wie vielen monoton fallenden Teilfolgen). Beispielsweise besteht die Augenzahl-Folge 12254266 aus drei monoton steigenden Teilfolgen, nämlich aus dem Run 1225 der Länge 4, dem Run 4 der Länge 1 und dem Run 266 der Länge 3. Betrachtet man monoton fallende Teilfolgen, dann ergeben sich bei diesem Beispiel mit 1 – 22 – 542 – 66 insgesamt vier Runs. Bei der Ziehung der Lottozahlen kann man entsprechend streng monoton steigende oder streng monoton fallende Teilfolgen zählen (da sich Zahlen nicht wiederholen können). Ziehungen mit drei oder vier Runs überwiegen dabei (jeweils 41,9 %); Ziehungen mit einem oder sechs Runs treten dagegen sehr selten auf (jeweils 0,14 %).

12.3 Das Geburtstagsparadoxon Zu den Gesetzmäßigkeiten des Zufalls gehört das Phänomen, dass es bei Zufallsversuchen mit mehreren gleich wahrscheinlichen Ergebnissen überraschend schnell zur Wiederholung eines der möglichen Ergebnisse kommt. Diese Übereinstimmung von Ergebnissen wird allgemein als Kollision bezeichnet. Um zu verstehen, warum die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision so paradox groß ist, betrachten wir ein einfaches Beispiel:

12.3  Das Geburtstagsparadoxon

311

Beispiel 1: Werfen eines regelmäßigen Hexaeders

Ein regelmäßiger Würfel wird viermal geworfen. Welches der beiden folgenden Ereignisse hat eine größere Wahrscheinlichkeit? E: Lauter verschiedene Zahlen werden geworfen. E’: Mindestens zwei der geworfenen Augenzahlen stimmen überein. Die Antwort auf diese Frage kann man mithilfe des folgenden Übergangsdiagramms ermitteln:

In der Grafik sind durch die grün gefärbten Kästen die Zustände (Zwischenstände) beschrieben. Zu Beginn ist das Spiel im Zustand 0 – bisher ist noch keine Zahl gewürfelt worden. Mit Sicherheit (= Wahrscheinlichkeit 1) wird beim ersten Wurf eine Zahl geworfen, die bis dahin noch nicht gefallen ist – dann befindet sich das Spiel im Zustand 1. Die Übergangswahrscheinlichkeit von Zustand 1 zu Zustand 2 ist gleich 1 − 16 = 56, denn mit Wahrscheinlichkeit 16 kann die Augenzahl, die man schon einmal geworfen hat, wieder fallen usw. Die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis E, dass in vier Würfen vier verschiedene Augenzahlen geworfen werden, ist daher 60 5 6 5 4 3 = ≈ 27,8 %, P(E) = · · · = 6 6 6 6 216 18 d. h., die Gegenwahrscheinlichkeit hierzu, also die Wahrscheinlichkeit, dass bei mindestens zwei der vier Würfe gleiche Augenzahlen auftreten, beträgt ca. 72,2 %. Es wäre demnach eine äußerst unvorteilhafte Wette, wenn man auf das Ereignis vier verschiedene Augenzahlen setzen würde.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.13: Untersuchen Sie die Wettchancen für das Ereignis lauter verschiedene Augenzahlen a. beim 3-fachen Würfeln, b. beim 4-fachen Werfen eines regelmäßigen Oktaeders (Dodekaeders, Ikosaeders).

312

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Beispiel 2: Zufallsregen auf ein 10 × 10-Quadratgitter

13 Regentropfen fallen zufällig auf ein Quadratgitter mit 100 Feldern – ein Beispiel ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Feld gibt, in das mehr als nur ein Tropfen fällt, größer als 50 %, denn die Wahrscheinlichkeit P(E) des Ereignisses E: Die 13 Regentropfen fallen in lauter verschiedene Felder. · 99 · 98 · 97 · 96 · 95 · 94 · 93 · 92 · 91 · 90 · 89 · 88 ≈ 44,3 %. beträgt P(E) = 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.14: Zeichnen Sie ein Übergangsdiagramm mit den Zuständen 0, 1, 2, …, 5 zum Zufallsversuch Regen auf ein 10 × 10-Quadratgitter. A 12.15: Die Wahrscheinlichkeitsberechnungen für den Zufallsregen mit 13 Tropfen sind bereits ziemlich aufwendig. Es empfiehlt sich, die Rechnungen iterativ beispielsweise mithilfe einer Tabellenkalkulation durchzuführen. Erläutern Sie, welche Rechnungen durchgeführt werden müssen, um die folgende Tabelle zu erhalten. Geben Sie die jeweils benötigten Rekursionsvorschriften an.

12.3  Das Geburtstagsparadoxon

313

Beispiel 3: Das Geburtstagsparadoxon

Wählt man zufällig 23 Personen aus, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass darunter mindestens zwei Personen mit gleichem Geburtstag sind, etwas größer als 50 %, denn die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis E: Die 23 zufällig ausgewählten Personen haben lauter verschiedene ­Geburtstage. 365 364 363 362 · 365 · 365 · 365 · . . . · 344 · 343 ≈ 49,3 %. ist P(E) = 365 365 365 Der folgende Auszug aus der Tabelle einer Tabellenkalkulation zeigt die entscheidenden Rechenschritte, die zu dieser paradox groß erscheinenden Wahrscheinlichkeit führen.

Dass es vorkommen kann, dass unter nur 23 Personen zwei am gleichen Tag Geburtstag haben, wird sicherlich von niemandem bezweifelt; nur dass die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis bereits etwas mehr als 50 % betragen soll, erscheint paradox groß. Aus diesem Grund wird das Problem als Geburtstagsparadoxon oder als klassisches Geburtstagsproblem bezeichnet. Wer sich mit dem Problem bisher noch nicht befasst hat, verwechselt vermutlich die Frage • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens zwei von 23 zufällig ausgewählten Personen am gleichen Tag Geburtstag haben? mit der ähnlich klingenden Frage • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass von 23 zufällig ausgewählten Personen mindestens eine Person am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat? Eine Gleichverteilung von Geburtstagen über das Jahr und Unabhängigkeit der Geburtstage der betrachteten Personen untereinander vorausgesetzt, lässt sich die Wahrscheinlichkeit für das zuletzt angesprochene Ereignis leicht berechnen: 1 ≈ 6,3 %, also ein deutlich Diese Wahrscheinlichkeit beträgt tatsächlich nur 23 · 365 kleinerer Wert.

314

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Bei dem hier interessierenden Ereignis geht es aber um die Frage, ob irgendwelche zwei (oder sogar mehr als zwei) Personen am gleichen Tag Geburtstag haben. Dazu müsste man alle möglichen Paare von Personen  bilden und deren Geburtstage miteinander vergleichen. Bei 23 Personen kann man 23 2 = 253 verschiedene Paare bilden – wenn man diese große Anzahl an notwendigen Vergleichen bedenkt, kommt einem die berechnete Wahrscheinlichkeit von 50,7 % gar nicht mehr so groß vor. Hinweise: Die Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Kollision kann nicht mithilfe 1 berechnet werden, denn die betrachteten Ereignisse sind nicht des Produkts 253 · 365 unabhängig voneinander. Und: Wie die Anzahl der möglichen Auswahlen berechnet wird, kann man beispielsweise in Mathematik ist wunderwunderschön, Kap. 6 nachlesen. Übrigens: Verbindet man die 23 Ecken eines regelmäßigen 23-Ecks miteinander, dann erhält man die folgende Grafik mit 253 Strecken (23 Seiten und 230 Diagonalen).

An der folgenden Grafik links zum Geburtstagsparadoxon kann man ablesen, wie die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision mit zunehmender Personenzahl wächst.

12.3  Das Geburtstagsparadoxon

315

Interessant ist nicht nur die Schwelle, bei der die Wahrscheinlichkeit von 50 % (sog. Median, hier k ≈ 23) erreicht wird, sondern auch das 25 %-Perzentil (unteres Quartil, hier: k ≈ 15) und das 75 %-Perzentil (oberes Quartil, hier: k ≈ 32). Diese Schwellen können mithilfe eines sog. Boxplots veranschaulicht werden, siehe Abb. oben rechts. Hinweis: Ein Boxplot besteht aus einem Rechteck (engl. box) der Breite d = oberes Quartil – unteres Quartil (sog. Quartilsdifferenz), das am Median unterteilt ist. Links und rechts werden whiskers (engl., Schnurrhaare einer Katze) eingezeichnet, durch die man die Verteilung an den Rändern verdeutlichen kann. In der Darstellung hier sind für die Begrenzung der whiskers das 10 %-Perzentil (k ≈ 9) und das 90 %-Perzentil (k ≈ 41) gewählt. An diesem Beispiel und den im Folgenden betrachteten Variationen des Geburtstagsproblems kann man ablesen, dass die zugehörige Wahrscheinlichkeitsverteilung nicht symmetrisch ist: Der Median liegt nicht in der Mitte des Rechtecks und der Bereich unterhalb des Medians ist stets kürzer als der Bereich oberhalb des Medians. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.16: Lesen Sie an den beiden folgenden Grafiken zum Ikosaederwurf bzw. zum Zufallsregen die 10 %-, 25 %-, 50 %-, 75 %- und 90 %-Schwellenwerte ab und zeichnen Sie jeweils ein Boxplot.

Ermittelt man systematisch für verschiedene Zufallsgeräte die Schwellenwerte zu den o. a. Perzentilen, dann kann man eine dahinterliegende Gesetzmäßigkeit entdecken: Die Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Kollision wächst mit der Wurzel aus der Anzahl n der verschiedenen Ergebnisse des Zufallsversuchs. Wir formulieren diese hier als Faustregeln für das Ziehen von Kugeln aus einer Urne.

316

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Regel

Faustregeln zum Geburtstagsproblem Aus einer Urne mit n gleichartigen nummerierten Kugeln wird k-mal eine Kugel mit Zurücklegen gezogen. Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass nach k Ziehungen mindestens eine der Kugeln mindestens zweimal gezogen wurde, • • • • •

ungefähr 10 % nach k10 ungefähr 25 % nach k25 ungefähr 50 % nach k50 ungefähr 75 % nach k75 ungefähr 90 % nach k90

√ ≈ 0,46 · n Ziehungen, √ ≈ 0,76 · n Ziehungen, √ ≈ 1,18 · n Ziehungen, √ ≈ 1,67 · n Ziehungen und √ ≈ 2,15 · n Ziehungen. ◄

Man macht keinen allzu großen Fehler, wenn man die o. a. Faktoren für eine Überschlagsrechnung noch einmal leicht rundet: • k10 ≈

1 2

√ ·

n, k25 ≈

3 4

√ ·

n, k50 ≈ (1 + 15 ) ·



n, k75 ≈

5 3

√ ·

n, k90 ≈ (2 + 16 ) ·



n.

12.3.1 Anwendung der Faustregeln Beispiel 1: Klassisches Geburtstagsproblem

√ n = 365, also n ≈ 19; ein√Fünftel von 19 ist ungefähr 4, also k50 ≈ 23√ . √ k10 ≈ 21 · 365 ≈ 9; k25 ≈ 43 · 365 ≈ 15; k75 ≈ 35 · 365 ≈ 32; Und weiter: √ k90 ≈ (2 + 16 ) · 365 ≈ 41, vgl. oben. Die Faustregeln erweisen sich als brauchbar.

Beispiel 2: Zufallsregen auf n = 100 Felder eines Quadratgitters

√ n = 100, also n = 10; ein Fünftel von 10 ist 2, also k50 ≈ 12 (die exakte Wahrscheinlichkeit √beträgt 49,7 %). √ 1 3 · k10 ≈ √ 100 = 5 (exakte W. 9,7 %); k√ 100 = 7,5 ≈ 8 (25,0 %); 25 ≈ 4 · 2 k75 ≈ 35 · 100 ≈ 17(76,3 %); k90 ≈ (2 + 16 ) · 100 ≈ 22 (91,8 %).

Beispiel 3: Lotto-Tipps

Es gibt n = 13.983.816 Möglichkeiten, einen Lotto-Tipp mit sechs Zahlen abzugeben.

12.3  Das Geburtstagsparadoxon

317

Auch für eine so große Anzahl an möglichen Ergebnissen des Zufallsversuchs √ kann die Faustregel recht gut angewandt werden: n ≈ 3740; ein Fünftel von 3740 ist 748, also k50 ≈ 4478 (die exakte Wahrscheinlichkeit beträgt 51,2 %). Der exakte Wert für k50 ist 4404, vgl. auch die folgende Grafik. Gemäß Faustregel gilt: k10 ≈ 21 · 3740 = 1870, tatsächlich ist k10 = 1717; k25 ≈ 34 · 3740 = 2805, tatsächlich ist k25 = 2837; k75 ≈ 6233, tatsächlich ist k75 = 6227.

Hinweis: Seit Einführung des Lottospiels 6 aus 49 in Deutschland gab es bis Ende 2019 insgesamt 5860 Ziehungsveranstaltungen (Mittwochs- und Samstagslotto). Die Wahrscheinlichkeit, dass es in 5860 Ziehungen zu einer Kollision bzgl. eines geordneten 6-Tupels der Lotto-Gewinnzahlen kommt, beträgt 70,7 %. Der also gar nicht so „unwahrscheinliche“ Fall, dass in zwei Ziehungsveranstaltungen genau dieselben Glückszahlen gezogen wurden, ist tatsächlich bereits eingetreten: Sowohl am 20.12.1986 als auch am 21.06.1995 wurden die Glückszahlen 15, 25, 27, 30, 42, 48 gezogen. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.17: Ermitteln Sie mithilfe der Faustregeln die Schwellenwerte k10, k25, k50, k75, k90 für die folgenden Zufallsversuche und zeichnen Sie das zugehörige Boxplot. Überprüfen Sie ggf. die Brauchbarkeit der Regeln mithilfe einer Tabellenkalkulation. a. Beim Roulettespiel bleibt die Kugel zufällig in einem der n = 37 Fächer mit den Nummern 0, 1, 2, …, 36 liegen. b. Zur Fußball-Weltmeisterschaft erscheint eine Serie mit n = 600 Panini-Bildern, die zufällig auf Packungen verteilt sind.

318

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

12.3.2 Zur Herleitung der Faustregeln zum Geburtstagsparadoxon Betrachten wir zunächst die Einkleidung des klassischen Geburtstagsproblems: Der Term für die Wahrscheinlichkeit, dass die 23 zufällig ausgewählten Personen lauter verschiedene Geburtstage haben, besteht aus 23 Faktoren. Näherungsweise kann dieses Produkt dadurch berechnet werden, dass man den mittleren Faktor 23-mal mit sich selbst multipliziert, d. h. den mittleren Faktor mit 23 potenziert:

354 23 355 354 353 345 344 343 365 364 363 · ) = · ·. . .· · · ·. . .· · · ≈( 365 365 365 365 365 365 365 365 365 365



1−

11 365

23

.

Diesen Term für die Wahrscheinlichkeit kann man gemäß den Rechenregeln für Potenzen wie folgt umformen:



11 1− 365

23

=



11 1− 365

23 365  365

Diesen Rechentrick wenden wir an, weil es für den Term innerhalb der äußeren Klammern eine brauchbare Näherung gibt:

  • Allgemein gilt für beliebige Zahlen a und große n: 1 + an n ≈ ea   a n (a ) Diese Näherungsgleichung gilt, weil die Folge mit konvergent ist a = 1 + n n∈IN n n   mit lim an = lim 1 + an n = ea. n→∞

n→∞

Daher kann der o. a. Term näherungsweise wie folgt notiert werden:



11 1− 365

23

=



11 1− 365

23 365  365

  23 253 ≈ e−11 365 = e− 365 ≈ 0,5

Dies bestätigt das o. a. Ergebnis, dass für den Median der Verteilung gilt: k50 ≈ 23 Analog ergibt sich für das untere Quartil bei k25 ≈ 15, also für die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses lauter verschiedene Geburtstage (ein Produkt von 15 Faktoren): 359 358 357 353 352 351 358 15 365 364 363 · · ... · · · · ... · · · ≈( ) = · 365 365 365 365 365 365 365 365 365 365 15    365   15 7 365 105 ≈ e−7 365 = e− 365 ≈ 0,75, = 1− 365



1−

7 365

15

also für die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses mindestens eine Kollision die Wahrscheinlichkeit von ungefähr 25 %.

12.4  Warten auf eine vollständige Serie

319

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.18: Bestätigen Sie analog, dass k75 ≈ 32. A 12.19: Erläutern Sie die folgenden Umformungsschritte für das verallgemeinerte Geburtstagsproblem: n n−1 n−2 2n + 1 − k n+3−k n+2−k n+1−k 2n + 1 − k k · · ·. . .· ·. . .· · · ≈( ) = n n n 2n n n n 2n

und weiter:



1−

k−1 2n

k

,

   2nk  k k(k−1) k − 1 2n k2 1− ≈ e−(k−1) 2n = e− 2n ≈ e− 2n 2n

A 12.20: Alternativ ergibt sich die Näherungsformel aus A 12.19 wie folgt: 2n + 1 − k n+3−k n+2−k n+1−k n n−1 n−2 · · ... · · ... · · · · n n n 2n n n n − (k−1)·k 1 2 k−1 − n2 − k−1 − n1 n = e 2n = 1 · (1 − ) · (1 − ) · . . . · (1 − ) ≈ e · e · ... · e n n n Erläutern Sie die einzelnen Schritte dieser Umformungen.

Die o. a. Faustregeln ergeben sich dann aus dem in A 12.18 angegebenen Näherungsterm, beispielsweise für den Median k50: k2

• Gesucht ist derjenige Wert für k, für den gilt: e− 2n ≈ 0, 5 Durch Umformen erhält man hieraus: √ √ √ √ k2 ≈ ln(0, 5) ⇔ k ≈ −2n · ln(0, 5) = −2 · ln(0, 5) · n ≈ 1, 18 · n, vgl. oben. − 2n Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.21: Leiten Sie analog zur Näherungsformel für k50 die übrigen Faustregeln her.

12.4 Warten auf eine vollständige Serie Mit der Frage der überraschend schnellen Wiederholung eines der Ergebnisse eines Zufallsversuchs hängt der Aspekt Warten auf eine vollständige Serie unmittelbar zusammen (auch unter der Bezeichnung Sammelbilder-Problem bekannt): • Wie oft muss man einen Zufallsversuch mit n möglichen gleich wahrscheinlichen Ergebnissen durchführen, bis jedes Ergebnis mindestens einmal aufgetreten ist? Auch hierzu hat man im Allgemeinen keine verlässlichen Vorstellungen.

320

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Am Beispiel des Würfelns mit einem regelmäßigen Hexaeder erläutern wir zunächst einmal, wie der Zufallsversuch ablaufen kann. Eine vollständige Serie beim Würfeln bedeutet, dass jede der sechs Augenzahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6 mindestens einmal gefallen ist; dabei spielt die Reihenfolge, in der die verschiedenen Augenzahlen auftreten, keine Rolle. Wie in Abschn. 12.3 betrachten wir hierzu wieder ein Übergangsdiagramm, diesmal mit den Zuständen 0,1, 2, …, 6. Im Unterschied zum Problem der ersten Kollision interessieren wir uns nicht nur für das Ereignis lauter verschiedene Ergebnisse, sondern allgemein für die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit man in diesem Zufallsprozess am Zustand k angekommen ist, d. h., dass k verschiedene Augenzahlen gefallen sind.

Mit Sicherheit (also mit der Wahrscheinlichkeit 100 %) fällt beim ersten Wurf des Würfels eine Augenzahl, die bisher noch nicht gefallen ist. Wir notieren dies wie folgt: P( 1 ; 1 ) = 1 Dass beim nächsten Wurf die gleiche Augenzahl wieder fällt, hat nur die Wahrscheinlichkeit 16; also ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Prozess nach dem zweiten Wurf im Zustand 2 (= 2 verschiedene Augenzahlen) befindet, gleich 56:

P( 2 ; 2 ) = 1 ·

5 5 = ≈ 0,833 6 6

Wenn das System im Zustand 2 ist, tritt beim nächsten Wurf mit der Wahrscheinlichkeit 2 eine Augenzahl auf, die bereits gefallen ist, und mit der Wahrscheinlichkeit 46 geht das 6 System in Zustand 3 über, also:

P( 3 ; 3 ) = 1 ·

20 5 4 · = ≈ 0,556 usw. 6 6 36

Der Übergang mit der geringsten Wahrscheinlichkeit ist der Übergang vom Zustand 5 zum Zustand 6, da ja bereits fünf verschiedene Augenzahlen gefallen sind und nur eine Augenzahl noch fehlt. Wenn ein Ergebnis mit der Wahrscheinlichkeit 16 auftritt, benötigt man im Mittel sechs Versuche, bis es tatsächlich vorliegt. Zur Erinnerung: Die Häufigkeitsinterpretation der Wahrscheinlichkeit besagt: Wenn man den Versuch 600-mal durchführt, kann man mit ungefähr 100-maligem Auftreten des Ergebnisses rechnen, im Mittel tritt es also bei jedem 6. Versuch auf.

12.4  Warten auf eine vollständige Serie

321

Aus dem Übergangsdiagramm können wir also ablesen: Beim Warten auf eine vollständige Serie dauert der letzte Schritt im Mittel am längsten – denn man benötigt im Mittel sechs Würfe, und für den vorletzten Schritt (Übergangswahrscheinlichkeit 26) muss man im Mittel drei Schritte warten usw. Insgesamt benötigt man für das Warten auf eine vollständige Serie beim Würfeln im Mittel 14,7 Würfe:

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 6 6 6 6 6 µ = 1+ 5 + 4 + 3 + 2 + 1 = 1+ + + + + = 6·( + + + + + ) = 14,7 5 4 3 2 1 6 5 4 3 2 1 6 6 6 6 6 Man beachte: Dies ist ein Mittelwert! Es könnte sein, dass man bereits nach sechs Würfen alle sechs Augenzahlen geworfen hat; es könnte aber auch seeeeeehr lange dauern, bis es endlich so weit ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.22: Bestimmen Sie analog den Erwartungswert der Anzahl der notwendigen Würfe bis zum Vorliegen einer vollständigen Serie beim Werfen eines regelmäßigen Tetraeders (Oktaeders, Dodekaeders, Ikosaeders). A 12.23: a. Begründen Sie: Hat ein Zufallsversuch n verschiedene gleich wahrscheinliche Ergebnisse, dann gilt für den Erwartungswert µ der Anzahl der Versuche bis zum Vorliegen einer vollständigen Serie: µ = n · Hn, wobei Hn = 1 + 21 + 31 + . . . + n1 die n-te Teilsumme der harmonischen Reihe ist, vgl. Abschn. 2.2. b. Den Erwartungswert µ kann man mithilfe der Logarithmusfunktion abschätzen. Geben Sie jeweils geeignete Abschätzungen für den Mittelwert der Anzahl der Versuche an, die man beim Werfen der fünf regelmäßigen Polyeder benötigt, bis eine vollständige Serie vorliegt.

12.4.1 Bestimmen der Wahrscheinlichkeiten Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit P( m ; k ), dass sich das System nach m Stufen im Zustand k befindet, erfolgt rekursiv jeweils aus den Wahrscheinlichkeiten der vorherigen Stufe, nämlich • aus P(m − 1 ; k − 1 ), wenn beim m-ten Versuch ein neues Ergebnis hinzukommt, und • aus P(m − 1 ; k ), wenn sich beim m-ten Versuch ein bereits aufgetretenes Ergebnis wiederholt.

322

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Für den Hexaederwurf bedeutet dies im Einzelnen:

P(1; 1) = 1; (2; 1) =

1 1 · P(1; 1); P(3; 1) = · P(2; 1); . . . 6 6

P(2; 2) =

5 5 2 5 2 ·P(1; 1); P(3; 2) = ·P(2; 1)+ ·P(2; 2); P(4; 2) = ·P(3; 1)+ ·P(3; 2); . . . 6 6 6 6 6

P(3; 3) =

4 3 4 2 4 ·P(2; 2); P(4; 3) = ·P(3; 2)+ ·P(3; 3); P(5; 3) = ·P(4; 2)+ ·P(4; 3); . . . 6 6 6 6 6

usw. Allgemein gilt: Formeln

Rekursive Berechnung der Wahrscheinlichkeit P(m ; k ) Bei einem Zufallsversuch treten alle n möglichen Ergebnisse mit gleichen Wahrscheinlichkeiten auf. Dann gilt für die Wahrscheinlichkeit P( m ; k ), dass sich das System nach m Stufen im Zustand k befindet: P( 1 ; 1 ) = 1 und P( m ; 1 ) = n1 · P( m − 1 ; 1 ) wenn m ≥ 2 und · P( m − 1 ; k − 1 ) für 2 ≤ k ≤ m. ◄ P( m ; k ) = nk · P( m − 1 ; k ) + n−k+1 n Die schrittweise berechneten Wahrscheinlichkeiten für den Hexaederwurf sind in der Tabelle in Abb. 12.1 links erfasst. In der danebenstehenden Grafik ist dargestellt, wie die Wahrscheinlichkeit für eine vollständige Serie von Stufe zu Stufe wächst. In der Tabelle und der Grafik kann man ablesen, dass die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer vollständigen Serie nach m = 13 Würfen größer als 50 % ist, d. h., der Median der Wartezeitverteilung auf eine vollständige Serie liegt bei k50 ≈ 13.

Abb. 12.1   Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen einer vollständigen Serie nach k Würfen eines regelmäßigen Hexaeders

12.4  Warten auf eine vollständige Serie

323

Wie beim Warten auf die erste Kollision, vgl. Abschn. 12.3, liegt der Median links vom Erwartungswert der Verteilung. Der Grund hierfür ist wieder die fehlende Symmetrie der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsverteilung. Man beachte, dass eine vollständige Serie erst frühestens nach dem 6. Wurf vorliegen kann, es andererseits aber auch sehr lange dauern kann, bis jede der sechs Augenzahlen mindestens einmal gefallen ist. Diese fehlende Symmetrie kann auch verdeutlicht werden, wenn man das zugehörige Boxplot zeichnet (vgl. folgende Abb. links); der rechts stehenden Grafik kann man entnehmen, wie stark die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer vollständigen Serie von Wurf zu Wurf wächst – das Maximum der Steigung liegt bei k = 11. Hinweis: Würde man einen stetigen Graphen durch die Punkte der Wartezeitverteilung zeichnen, dann wäre dies die Wendestelle der Kurve, also der Übergang von einer Links- in eine Rechtskurve.

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.24: Begründen Sie: Bei einem Spiel mit einem gewöhnlichen Würfel wäre die folgende Gewinnregel eine faire Regel: • Der Spieler gewinnt, wenn er weniger als 11 oder mehr als 18 Würfe für eine vollständige Serie benötigt. A 12.25: Entnehmen Sie den Graphen der Wartezeitverteilungen für das Werfen eines regelmäßigen Tetraeders, Oktaeders, Dodekaeders und Ikosaeders in Abb. 12.2 die Schwellenwerte k10, k25, k50, k75, k90 und zeichnen Sie jeweils das zugehörige Boxplot. Formulieren Sie analog zu A 12.24 faire Spielregeln für ein Spiel mit diesen Würfeln.

Die Erfahrung, dass das Warten auf eine vollständige Serie sehr lange dauern kann, hat wohl jeder gemacht, der einmal versucht hat, ein Album mit Sammelbildern zu füllen.

324

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Abb. 12.2   Wartezeitverteilungen für das Werfen eines regelmäßigen Tetraeders, Oktaeders, Dodekaeders und Ikosaeders

Beispielsweise beträgt die Wahrscheinlichkeit gerade einmal 50 %, dass eine Serie von 100 Bildern vollständig vorliegt, wenn man 500 Packungen kauft, denen jeweils ein Bild beigefügt ist. Zur Veranschaulichung hierzu dient die Grafik in Abb. 12.3: Sie zeigt einen Zufallsregen von k50 ≈ 497 Regentropfen auf ein 10 × 10-Quadratgitter – das Vorliegen einer vollständigen Serie bedeutet, dass in jedes der 100 Felder mindestens ein Regentropfen gefallen ist. Abb. 12.3   Zufallsregen auf ein 10 × 10-Quadratgitter

12.4  Warten auf eine vollständige Serie

325

Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.26: a. Zu einer Serie von Sammelbildern gehören 32 Bilder; diese sind gleichmäßig auf Schokoladenpackungen verteilt. Für die Schwellenwerte gilt: k10 ≈ 87, k25 ≈ 102, k50 ≈ 122, k75 ≈ 149, k90 ≈ 188, vgl. Abb. 12.4a. Zeichnen Sie das zugehörige Boxplot. Hinweis: Man kann den Zufallsversuch mithilfe eines Skat-Kartenspiels durch Ziehen mit Zurücklegen simulieren. b. Zeichnen Sie ein Boxplot zum Warten auf eine vollständige Serie beim Roulettespiel; hierfür gilt: k10 ≈ 106, k25 ≈ 123, k50 ≈ 147, k75 ≈ 178, k90 ≈ 214, vgl. Abb. 12.4b.

12.4.2 Faustregeln zum Sammelbilder-Problem Auf empirischem Wege kann man auch für das Sammelbilder-Problem Faustregeln finden. Dazu wurde eine Tabelle mit den Werten von k25, k50, k75 für n = 6, 7, 8, . . . , 50 angelegt und eine geeignete Funktion gesucht, durch die diese Werte angenähert werden können. Es zeigt sich, dass eine quadratische Regression zufriedenstellende Ergebnisse liefert, d. h., man kann geeignete quadratische Funktionen finden, die die in der Tabelle erfassten Werte sehr gut approximieren, vgl. Abb. 12.5. Die von der Tabellenkalkulation bestimmten Funktionsterme lassen sich auf eine gemeinsame Form bringen: 25 %-Quantil: 0, 020 · x + 2, 80 · x − 9, 2 ≈ 501 · x + 2, 80 · x − 9, 2 ≈ 501 · x · (x + 140) − 10 50 %-Quantil: 0, 020 · x + 3, 49 · x − 10, 4 ≈ 501 · x + 3, 49 · x − 10 ≈ 501 · x · (x + 175) − 10 75 %-Quantil: 0, 020 · x + 4, 36 · x − 11, 5 ≈ 501 · x + 4, 36 · x − 11, 5 ≈ 501 · x · (x + 220) − 10

Abb. 12.4   Zum Sammelbilder-Problem mit n = 32 bzw. n = 37 Bildern

326

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Abb. 12.5   Modellierung der Quartilswerte mithilfe einer quadratischen Regression

Regel

Faustregeln für das Problem der vollständigen Serie Bei einem Zufallsversuch treten alle n möglichen Ergebnisse mit gleichen Wahrscheinlichkeiten auf. Für 6 ≤ n ≤ 50 kann man die Schwellenwerte k25, k50, k75 näherungsweise mithilfe von quadratischen Funktionen bestimmen: 1 1 1 ·n ·(n +140)−10; k50 ≈ ·n ·(n +175)−10; k75 ≈ ·n ·(n +220)−10 k25 ≈ 50 50 50 ◄ Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.27: Überprüfen Sie die Eignung der angegebenen Faustregeln für die in A 12.26 angegebenen Schwellenwerte.

12.4.3 Wartezeit beim Würfeln mit einem gezinkten Würfel Abschließend soll noch exemplarisch gezeigt werden, wie es sich auf die Wartezeit auswirkt, wenn die verschiedenen möglichen Ergebnisse eines Zufallsversuchs nicht alle gleich wahrscheinlich sind. Betrachtet wird eine Serie mit sechs Bildern, bei der die Sammelbilder Nr. 1 bis Nr. 5 gleich häufig auf die Kaufpackungen verteilt sind, Bild Nr. 6 jedoch nur halb so oft; dies ist vergleichbar mit einem „gezinkten“ Hexaeder, bei dem die Augenzahlen 1 bis 5 mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten und die Augenzahl 6 nur mit halb so großer Wahrscheinlichkeit. Dann ergeben sich Übergänge wie im folgenden Diagramm dargestellt.

12.4  Warten auf eine vollständige Serie

327

Unterschieden werden hier die Zustände 1 bis 5, bei denen eins, zwei, drei, vier bzw. fünf Bilder von Nr. 1 bis Nr. 5 auftreten, sowie die Zustände 1*, 2*, 3*, 4*, 5*, 6*, bei denen Bild Nr. 6 vorhanden ist und außerdem noch null, eins, zwei, drei, vier bzw. fünf der Bilder Nr. 1 bis Nr. 5. In der oberen Reihe des Diagramms sind die Zustände für 1 bzw. 2 bzw. 3 bzw. 4 bzw. 5 der Bilder Nr. 1 bis Nr. 5 beschrieben. Sobald das Bild Nr. 6 auftaucht, wechselt man im Diagramm in die untere Reihe. Danach sind nur Übergänge vom Zustand 1* nach 2*, von 2* nach 3*, von 3* nach 4*, von 4* nach 5*, von 5* nach 6* oder zu sich selbst möglich. Die Rekursionsformeln zur Berechnung der Wahrscheinlichkeiten müssen entsprechend angepasst werden. In Abb. 12.6 sind die Wartezeitverteilungen beim Werfen mit einem so gezinkten (rot) und einem nicht gezinkten Würfel (blau) dargestellt (zur besseren Unterscheidbarkeit sind zusätzlich Streckenzüge zwischen den Punkten eingetragen). Es ist gut erkennbar, wie es sich auswirkt, wenn eines der Ergebnisse nur mit halb so großer Wahrscheinlichkeit auftritt wie die anderen. Abb. 12.6   Vergleich der Wartezeitverteilungen

328

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

12.5 Das „Eins durch e“-Gesetz Zwischen Geburtstagsparadoxon (überraschend wenige Versuchsdurchführungen) und Problem der vollständigen Serie (überraschend viele Versuchsdurchführungen) liegt das Phänomen des 1/e-Gesetzes: • Ein Zufallsversuch mit n möglichen gleich wahrscheinlichen Ergebnissen wird n-mal durchgeführt. Wie viele der n möglichen Ergebnisse sind nach den n Zufallsversuchen immer noch nicht aufgetreten? Diese Anzahl kann zwar schwanken – wie das bei Zufallsversuchen typisch ist –, aber erstaunlich ist, dass Folgendes gilt: Regel

1/e-Gesetz Bei einem Zufallsversuch treten alle n möglichen Ergebnisse mit gleichen Wahrscheinlichkeiten auf. Dann ist der Anteil der Ergebnisse, die nach n Versuchen noch nicht aufgetreten ist, ungefähr 1e ≈ 36,8 %, d. h., der Anteil der verschiedenen Ergebnisse, die aufgetreten sind, ist ungefähr gleich 1 − 1e ≈ 63,2 %. ◄

12.5.1 Beispielgebundene Herleitung des 1/e-Gesetzes Die folgende Grafik zeigt einen Zufallsregen von 100 Regentropfen auf 100 gleich große Felder: Tatsächlich bleiben ungefähr 37 der 100 Felder trocken!

Die Begründung für dieses Phänomen lässt sich wie folgt nachvollziehen: Man betrachtet zunächst ein einzelnes Feld. In dieses Feld fällt ein Regentropfen mit 1 99 1 = 1 − 100 der Wahrscheinlichkeit 100 , also mit der Wahrscheinlichkeit 100 außerhalb. Dass 100 Regentropfen alle nicht in dieses Feld fallen, hat dann die Wahrscheinlichkeit 1 100 ) . (1 − 100

12.5  Das „Eins durch e“-Gesetz

329

Wie in Abschn. 12.3 angegeben, ist dies näherungsweise der Kehrwert der Euler’schen Zahl, denn

(1 −

1 1 100 ) ≈ e−1 = ≈ 36,8 %. 100 e

Da dies für jedes der 100 Felder gilt, kann man im Sinne der Häufigkeitsinterpretation der Wahrscheinlichkeit erwarten, dass etwa 37 der 100 Felder leer bleiben werden. Beispiel für die Anwendung des 1/e-Gesetzes

Beim Roulettespiel bleibt die Kugel zufällig in einem der n = 37 Fächer mit den Nummern 0, 1, 2, …, 36 liegen. Nach 37 Spielrunden wird die Kugel auf ca. 36,8 % der 37 Felder nicht liegen geblieben sein, d. h., ca  13 der 37 Nummern sind bis dahin noch nicht aufgetreten, d. h., 24 der 37 Nummern sind bereits aufgetreten.

Untersucht man nun die Wahrscheinlichkeiten P( 37 ; k ), also die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Zustände nach 37 Runden, dann stellt man fest, dass die Wahrscheinlichkeit P( 37 ; 24 ) den größten Wert hat, d. h., es ist am wahrscheinlichsten, dass die Roulettekugel auf genau 24 verschiedenen Feldern liegen geblieben ist. Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen

A 12.28: a. Ermitteln Sie mithilfe des 1/e-Gesetzes für das Werfen der fünf regelmäßigen Polyeder, wie viele der n möglichen Ergebnisse vermutlich nach n Versuchsdurchführungen noch nicht aufgetreten sind. b. Bestätigen Sie für die o. a. Zufallsversuche – sofern Ihnen die entsprechenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen vorliegen –, dass unter allen Wahrscheinlichkeiten P( n ; k ) derjenige Zustand k, der in der Nähe von (1 − 1e ) · n liegt, die größte Wahrscheinlichkeit hat.

Über die in diesem Kapitel betrachteten Aspekte hinaus gibt es noch eine Reihe weiterer „Gesetzmäßigkeiten“ des Zufalls. Ein weiterer Aspekt wird in Mathematik ist wunderwunderschön erläutert: Kap.  11 beschäftigt sich dort mit dem sog. ­Rencontre-Paradoxon.

330

12  Gesetzmäßigkeiten des Zufalls

Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche verschiedenen Kriterien angewandt werden können, wenn man überprüfen möchte, ob ein Ergebnis tatsächlich zufällig zustande gekommen ist. Eine Zusammenstellung von geeigneten Testverfahren finden Sie beispielsweise in Heft 3 von Stochastik kompakt (Strick 2019): • Häufigkeitstests (vgl. auch Abschn. 12.1 in diesem Buch), Reihentest, Maximumtest, Poker-Test, Runtest (vgl. Abschn.  12.2), Intervalltest, Kollisionstest (vgl. Abschn. 12.3), Sammelbilder-Test (vgl. Abschn.  12.4), Permutationstest (vgl. Abschn. 12.5).

12.6 Hinweise auf weiterführende Literatur Bei Wikipedia findet man in deutscher (englischer, französischer) Sprache weitere Informationen und Literatur zu den Stichwörtern: • Münzwurf (Coin flipping, Pile ou face) • Spielerfehlschluss (Gambler’s fallacy, Erreur du parieur) • Wahrscheinlichkeit (Probability, Probabilité) • Relative Häufigkeit (Empirical probability, –) • Gesetz der großen Zahlen (Law of large numbers, Loi des grands nombres) • Binomialverteilung/Bernoulli-Formel (Binomial distribution/Bernoulli process, Loi binomiale/Processus de Bernoulli) • Geburtstagsparadoxon (Birthday problem; Paradoxe des anniversaires) • Sammelbilderproblem1 (Coupon collector’s problem; Problème du collectionneur de vignettes) Fachliche Informationen findet man auch auf Wolfram Mathworld unter den Stichwörtern: • Coin tossing, Weak law of large numbers, Bernoulli distribution, Run, Birthday problem, Coupon collector’s problem Einzelheiten zu der von mir durchgeführten Befragung „Vorstellungen über Zufallsversuche“ finden Sie u. a. in: • Herget, Wilfried (Hrsg.) (2008): Wege zur Stochastik, Sammelband mathematik lehren, Friedrich, Seelze

1Auszeichnung

als lesenswerter Artikel.

12.6  Hinweise auf weiterführende Literatur

331

Die Untersuchung der Anzahl der Runs ist Grundlage eines Verfahrens, mithilfe dessen man die Zufälligkeit von Zahlenfolgen prüfen kann. Weitere Informationen zum sogenannten Run-Test findet man auf der zugehörigen Wikipedia-Seite und beispielsweise unter: • https://onlinecourses.science.psu.edu/stat414/node/329 Strick, Heinz Klaus (2017): Warten auf eine vollständige Serie – Vorschläge zur Umsetzung im Unterricht, MNU-Journal, 70/1, S. 17–22 Strick, Heinz Klaus (2019): Gesetzmäßigkeiten des Zufalls – Stochastik kompakt (3), Springer Spektrum, Wiesbaden

Allgemeine Hinweise auf geeignete Literatur

Die Fülle an Büchern über schöne Mathematik macht es schwer, eine angemessene Auswahl aufzulisten. Anregend sind die Sammlungen von mathematischen Problemen, die ursprünglich in monatlichen Kolumnen verschiedener Zeitschriften erschienen sind. Hier sind insbesondere die folgenden Autoren zu nennen, die eine Reihe von Büchern veröffentlicht haben: • • • •

Martin Gardner (u. a. Mathematische Rätsel und Spiele) Theoni Pappas (u. a. The Joy of Mathematics) Ian Stewart (u. a. Professor Stewarts mathematisches Sammelsurium) Heinrich Hemme (u. a. Heureka!)

Schöne und spannende Mathematik stehen im Mittelpunkt der Bücher von: • Hans Walser (u. a. Der Goldene Schnitt,Geometrische Miniaturen,Symmetrie in Raum und Zeit,DIN A4 in Raum und Zeit) • Roger B. Nelsen (u. a. Beweise ohne Worte,Proofs without Words I, II, III) • Claudi Alsina und Roger B. Nelsen (u.  a. Bezaubernde Beweise,Perlen der Mathematik) • Albrecht Beutelspacher (u. a. Wie man in eine Seifenblase schlüpft) • Julian Havil (u. a. Gamma,Verblüfft?,Das gibt’s doch nicht) • George G. Szpiro (u. a. Mathematik für Sonntagmorgen,Mathematik für Sonntagnachmittag) • Eli Maor und Eugen Jost (Beautiful Geometry) • Alfred S. Posamentier (u. a. Mathematical Amazements and Surprises) • Martin Erickson (u. a. Mathematische Appetithäppchen) Unter den zahlreichen Websites, die sich mit schöner Mathematik und mit mathematischen Knobeleien beschäftigen, können hier nur die wichtigsten genannt werden:

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6

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334

• • • • • • • •

Allgemeine Hinweise auf geeignete Literatur

www.walser-h-m.ch/hans www.cut-the-knot.org www.gogeometry.com www.mathsisfun.com www.mathpuzzle.com www.recreomath.qc.ca www.mathematische-basteleien.de www.mathcurve.com/index.htm

Eine Sammlung höchst interessanter Artikel zu verschiedenen mathematischen Themen findet man auf der Website der Mathematical Association of America (MAA). Interessant sind sie vor allem wegen ihres historischen Bezugs und der Frage der Umsetzbarkeit im schulischen Unterricht: • www.maa.org/press/periodicals/convergence Wer mehr wissen möchte über die Personen, die im Laufe der Jahrhunderte dazu beigetragen haben, mathematische Theorien zu entwickeln oder die Erkenntnisse darüber zu vertiefen, dem empfehle ich an erster Stelle die Website des MacTutor History of Mathematics archive der School of Mathematics & Statistics an der University of St. Andrews,Scotland: • www-groups.dcs.st-and.ac.uk/~history/ Wer einen zusammenfassenden Überblick über Leben und Werk einzelner ausgewählter Persönlichkeiten erhalten möchte, dem sei Der Mathematische Monatskalender empfohlen: • www.spektrum.de/mathematik/monatskalender/index/

Stichwortverzeichnis

A Absorbtion, 154 Abzählbarkeit, 266 Algorithmus, gieriger, 117 Anti-Koch-Kurve, 283 aperiodisch, 212 Approximationssatz, 185 Archimedes, 1, 3 archimedischer Körper, 247 Aristoteles, 221 Aufhängung, 1 axonometrisches Verfahren, 233

B Basler Problem, 30, 35 Bäume, fraktale, 288 Bernoulli, Jakob, 25, 296 Bernoulli, Johann, 26, 30 Bernoulli-Formel, 299 Bernoulli’sches Gesetz der großen Zahlen, 299 Bertrand, Joseph, 293 Beutelspacher, Albrecht, 178 Binomialkoeffizient, 295 Block-stacking problem, 35 Blyth, Colin R., 142 Blyth-Paradoxon, 142 Boxplot, 315 Brahmagupta, Satz von, 74, 91 Brianchon, Satz von, 82 Bruch gemischt-periodischer, 101 rein-periodischer, 98 Bruch, ägyptischer, 113

C Cantor, Georg, 266 Cantor-Menge, 278 Cantor’sches Diagonalverfahren, 267 Champollion, Jean-François, 116 Chancen, 133 Conway, John Horton, 205 Conway’sche Anlegeregeln, 205 Corbalán, Fernando, 178

D darts, 203 deflation, 209 Descartes, René, 195, 244 Deventer, Oskar van, 144 Dezimalbruch endlicher, 95, 96, 108 Entwicklung, 94 gemischt-periodischer, 95 periodischer, 95, 98 rein-periodischer, 95 Dezimalzahlen, 93 Diagonalennetz, 166 DIN-Format, 196, 268 Dirichlet, Gustav Lejeune, 185 divergent, 23 Divergenz der harmonischen Reihe, 24 Dodekaeder, 221 Dodekaederstumpf, 250 Drehmoment, 2 Drehpunkt, 2, 18 Dreieck, goldenes, 201 Dreieck, Parkettierung, 43 Dreiecke, goldene, 188

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 H. K. Strick, Mathematik ist wunderschön, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61682-6

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336 Dreieckgitter, 37 Dreieckszahl, 46, 49 Dualbruch, 108 rein-periodischer, 108 duale Körper, 236 duale Sätze, 82 Dualsystem, 108

E EF-Calculator, 118 Efron, Bradley, 133 Efron’sche Würfel, 134 „Eins durch e“-Gesetz, 328 EMLR, 128 Engel, Artur, 151 Engelhaupt, Hans, 176 Entwicklung der relativen Häufigkeiten, 297 Erdős, Paul, 128 Erdős-Straus-Vermutung, 128 Erwartungswert, 299, 304 Euklid, 177, 221 euklidischer Algorithmus, 182 Euler, Leonhard, 30, 32, 243, 244 Euler-Graph, 243 Euler-Konstante, 32 Euler-Mascheroni-Konstante, 33, 35 Euler’scher Polyedersatz, 244

F Faustregel für das Problem der vollständigen Serie, 326 zum Geburtstagsproblem, 316 zum Sammelbilder-Problem, 325 Fermat, Pierre de, 159 Fermat-Punkt, 159 Fibonacci, 116 Fibonacci-Folge, 179 Fibonacci-Zahlen, 28 Flächeninhalt eines Dreiecks, 65, 67 Flächeninhalt eines Sehnenvierecks, 71, 74 Flächeninhalt eines Tangentenvierecks, 73 Flächenschwerpunkt, Dreieck, 85 Flächenschwerpunkt, Fünfeck, 89 Flächenschwerpunkt, Viereck, 87 Fraktal, 277 Fünfeck, regelmäßiges, 186 Funktion, erzeugende, 140

Stichwortverzeichnis G Gabriels Horn, 33, 35 Galilei, Galileo, 17, 33, 159 gamma, 32 Gardiner, Alan, 114 Gardiner-Liste, 114 Gardner, Martin, 45, 142, 143, 208 Gauß, Carl Friedrich, 93 Geburtstagsparadoxon, 310 Geburtstagsproblem, klassisches, 313 Gelenkviereck, 74, 77 Generator einer zyklischen Zahl, 107 Gesetz der großen Zahlen, 293 Gesetzmäßigkeiten des Zufalls, 294 Gesichtsfeldebene, 232 Gewinnchance, 135, 139 Gewinnregel, 134 Gewinnwahrscheinlichkeit, 140, 143, 150, 151 Gleichgewicht, 2 Gleichwahrscheinlichkeit, 147 Glücksrad, nicht-transitives, 139 Gnedenko, B.W., 113 Goldbach, Christian, 244 goldene Dreiecke, 188 goldene Spirale, 184 goldene Zahl, 179 goldener Schnitt, 177, 237 goldenes Rechteck, 181, 237 goldenes Trapez, 197 Gosper, Bill, 286 Gosper-Insel, 286 Gosper-Kurve, 286 Grenzwert, 23 Grime, James, 143, 158 guk-Raster, 58

H Haag, Wilfried, 90, 173 Haber, Heinz, 61 halbregulär, 251 Hamilton, William Rowan, 241 Hamilton-Wege, 241 Häufigkeit, 294 absolute, 297 relative, 297 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung, 31 Hausdorff, Felix, 277

Stichwortverzeichnis Hausdorff-Dimension, 277 Havil, J., 36 H-Baum, 268 Hebel, 2, 18 Hebelarm, 2 Hebelgesetz, 2 Heron, 67 Heron’sche Formel, 67 Herrnhuter Weihnachtsstern, 252 Hexaeder, 221 Hexaederstumpf, 248 Hexiamonds, 40 Hieroglyph, 114 Hilbert, David, 63, 261 Hilbert-Kurve, 262 Hofmann, Joseph Ehrenfried, 160 Horus-Auge, 115 Hurwitz, Adolf, 185

I Icosian Game, 241 Ikosaeder, 221 Ikosaederstumpf, 250 Ikosidodekaeder, 250 infinite star pattern, 208 sun pattern, 208 inflation, 207 Inkreis, 64 Intransitivitätskette, 136, 139, 143, 156

J Japanischer Satz für Sehnenvierecke, 76 Josefsson, M., 91

K Kanten eines Körpers, 221, 222 Kehrwerte der Quadratzahlen, 30 Kepler, Johannes, 177, 178, 240, 252 Kepler-Poinsot-Polyeder, 252 Kettenbruch, 184 Kifowit, S. J., 24, 36, 121 kites, 203 Knott, Ron, 118, 132 Koch, Helge von, 279 Koch’sche Schneeflockenkurve, 279

337 Köller, Jürgen, 60, 259 Kollision, 310 Kombinationstafel, 7, 134, 139, 144 Königsberger Brückenproblem, 243 konvergent, 23 konvex, 68, 87, 244 Kraftarm, 2 Kreiswinkelsatz, 70 Kreiszahl π, 30 Kuboktaeder, 249 Kurve, flächenfüllende, 262

L Längenbilanz, 19 Laplace, Pierre-Simon, 147 Laplace-Bedingung, 301 Laplace-Wahrscheinlichkeit, 147 Lastarm, 2 Leibniz, Gottfried Wilhelm, 26 Leonardo da Vinci, 251 Leonardo von Pisa, 116 Lessing, G. E., 133 Logarithmusfunktion, 321 Lottoziehung, 302

M Maior, 178 Majorante, konvergente, 30 Mandelbrot, Benoît, 275, 276, 286 Mascheroni, Lorenzo, 33 matching rules, 205 Mathematik ist schön, 8, 23, 37, 40, 58, 179, 183, 194, 195, 198, 226, 244, 300 Maximaler Überhang, 20 Maximum Likelihood, 299 Median, 315 Mediant, 130 Menge, gleichmächtige, 267 Mengoli, Pietro, 25, 30 Mertes, Helmut, 146 Midy, Satz von, 104, 111 Minkowski, Hermann, 283 Minor, 178 Mittelpunktswinkel, 70 Mittelsenkrechte, 64 Mittelwertsregel, 158 Mobile, 1

338 Moivre, Abraham de, 147 Monsterkurve, 261 Münzwurf, 147, 294 im Kopf, 294, 305, 308 Mysterium Cosmographicum, 240

N Netz, Polyeder-, 223, 225

O OEIS, 9 Ohm, Martin, 178 Oktaeder, 221 Oktaederstumpf, 252 Oresme, Nicole, 24, 29

P Pacioli, Luca, 178, 251 Pairwise-worst-best-Paradox, 142 Pappos-Kette, 195 Paradoxon, 137, 156 Parallelogramm, Parkettierung, 44 Parkettierung, archimedische, 50 Parkettierung mit Achtecken, 57 Parkettierung mit gleichseitigen Dreiecken, 51 Parkettierung mit Quadraten, 51 Parkettierung mit Sechsecken, 54 Parkettierung, platonische, 38 Pascal, Satz von, 81 Pascal’sches Dreieck, 295 Paterson. Mike, 21 Peano, Giuseppe, 265 Peano-Kurve, 265, 267 Penney, Walter, 152 Penney’s Game, 147, 152 Penrose, Roger, 204 Penrose-Parkettierung P1, 217 P3, 213 Pentagon, 186 Pentahexes, 48 Pentiamonds, 40 Periode, 94 Periodenlänge, maximale, 94 Pfeilspitzen-Kurve, 275 Pick, Satz von, 244

Stichwortverzeichnis Platon, 221 platonische Körper, 221 Poinsot, Louis, 252 Polyeder, 221 Polyederstumpf, 247 Polyhexes, 45 Polyiamonds, 39, 40 Polyominos, 37, 40 Pöppe, Christoph, 36, 258 Posamentier, Alfred, 90, 178 Ptolemäus, Satz von, 73 Pythagoras, Satz von, 181 Pythagoras-Spirale, 200

Q Quadratgitter, 37 Quartil, 315

R Rademacher, H., 65 Raumecke, 222 Rechteck, goldenes, 181, 237 Reihe geometrische, 23, 102 harmonische, 22, 35 Rencontre-Paradoxon, 329 Rest, 94 Rhind, A. H., 128 Rhind-Papyrus, 116, 125, 126, 132 Rhombenkuboktaeder, 251 Rotationskörper, Mantelfläche, 34 Rotationskörper, Volumen, 34 Roulette, 293 Runs, 303 Länge der, 308 Wahrscheinlichkeitsverteilung, 305 Run-Test, 331

S Sammelbilder-Problem, 319 Sangaku, 76 Schachbrett-Färbung, 41 Schere–Papier–Stein, 137 Schiller, Friedrich von, 37 Schläfli-Symbol, 202 Schlegel, Victor, 241

Stichwortverzeichnis Schlegel-Diagramme, 241 Schneeflockenkurve, 279 Schnitt durch einen Würfel, 255 Schnitt, goldener, 177, 237, 282 Schrägbild, 232 Schranke, 23 Schwerlinie, 85 Schwerpunkt, 18, 85 Sechseck, Parkettierung, 42 Sechseckgitter, 37 Sechskantmutter, 45 Sehnenfünfeck, 79 Sehnensatz, 73 Sehnensechseck, 80 Sehnentangentenviereck, 69 Sehnenviereck, 68 Seitenhalbierende, 85 Selbstähnlichkeit, 276 Semiperimeter, 66 Serie, vollständige, 319 Sierpiński Arrowhead Curve, 275 -Dreieck, 273 -Kurve, 269 Wacław, 128, 269 Sierpiński-Teppich, 285 Sigma-Regeln, 300 Sonar, T., 36 Spiel, faires, 133 Spirale, goldene, 184, 190 Stabilisieren der relativen Häufigkeiten, 303 Stammbach, U., 36 Stammbruch, 95, 113 benachbarter, 120 Stammbrüche, Summe, 22 Standardabweichung, 301 Stapel, 18 Steiner, Jakob, 166 Steiner-Baum, 166 Steiner-Netz, 166 Steiner-Punkte, 166 Stern, Moritz Abraham, 130 Stern-Brocot-Baum, 130 Sternkörper, 252 Summe der Abstände, 159 Sylvester, James J., 28, 118

339 T Tangentenfünfeck, 79 Tangentensechseck, 82 Tangentenviereck, 68 Teragon, 261 Tetraeder, 221 Tetraederstumpf, 247 Tetrahexes, 45 Tetriamonds, 40 Toeplitz, O., 65 Torricelli, Evangelista, 33, 159 Torricelli-Punkt, 159 Torricellis Trompete, 33, 35 Transitivität, 136 Transitivitätskette, 141, 142 Trapez, goldenes, 197 Trichter, 95 %-, 298

U Übergangsdiagramm, 149 Udjat-Auge, 115 Umfangswinkel, 70 Umkreis, 64 Umwandlung von Brüchen, 96, 99 Unendliche, 261

V Viereck, orthodiagonales, 173 Vier-Kreise-Satz, 195 Vinci, Leonardo da, 178 Viscek, Tamás, 284 Vitruv-Mann, 178 Vorperiode, 95 Länge, 101

W Wahrscheinlichkeit, 147, 297 Wahrscheinlichkeitsabakus, 151, 157, 158 Walmdach, 239 Walser, Hans, 91, 166, 176, 178 Webb, Robert, 246 Wegenetz, minimales, 164 Wette, 151

340 whiskers, 315 Winkelhalbierende, 64 Winkelmann, Michael, 145 Würfel, 133 intransitiver, 136 nicht-transitiver, 133, 136 Würfel, gezinkter, 326 Wurzelterme, geschachtelte, 186

Z Zahl, goldene, 179

Stichwortverzeichnis Zahl, zyklische, 103 Zahlentripel, 12 Zahlenzyklen, 103 Zehneck, regelmäßiges, 191 Zerlegung in Summanden, 4 Zetafunktion, 31 Ziehung der Lottozahlen, 310 Zufall, 133, 294 Zufallsregen, 312, 324 Zustand, 149 absorbierender, 154 Zwick, Uri, 21