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German Pages 124 Year 1978
Wolfgang Segeth Materialistische Dialektik als Methode
Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Philosophie Schriften Zur Philosophie und ihrer Geschichte
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Wolfgang Segeth
Materialistische Dialektik als Methode
Akademie-Verlag • Berlin 1977
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1977 Lizenznummer: 202 • 100/18/77 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz« 445 Gräfenhainichen • 4808 Umschlaggestaltung: Willi Bellert Bestellnummer: 753 107 9 (2178/4) • LSV 0125 Printed in GDR DDR 9 , - M
Inhalt
Vorbemerkung 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
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Dialektisch-materialistische Methode 9 Erkennen und praktisches Handeln 9 Materialistische Dialektik als Theorie und Methode 16 Wesenszüge der dialektisch-materialistischen Methode 35 Bestandteile der dialektisch-materialistischen Methode 45 Aufgaben und Funktionen der dialektisch-materialistischen Methode 59
2.
Lenins „Elemente der Dialektik" als Prinzipien der dialektisch-materialistischen Methode 72 2.1. Das Ding selbst als Gegenstand der Erkenntnis und der Veränderung 76 2.1.1. Objektivität der Betrachtung 76 2.1.2. Erfassung des Dinges in seinen Zusammenhängen 79 2.1.3. Erfassung des Dinges in seiner Entwicklung 84 2.2. Das Ding in seiner gesetzmäßigen Veränderung - und Entwicklung 88 2.2.1. Erfassung der Einheit und des „Kampfes" der Gegensätze 89 2.2.2. Erfassung der Übergänge und Qualitätsumschläge 93 2.2.3. Erfassung der Entwicklungsrichtung 100 2.3. Richtung und Formen des Herangehens 106 2.3.1. Vereinigung von Analyse und Synthese 107 2.3.2. Erweiterung der Erfassung 110 2.3.3. Vertiefung der Erfassung 111 2.3.4. Erfassung der gesetzmäßigen Zusammenhänge 112 Zusammenfassung Anhang
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Sachregister Namenregister
121 123
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Vorbemerkung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die dialektisch-materialistische Methode, die philosophische Methode des Marxismus-Leninismus. Der erste Teil der Arbeit dient der Charakterisierung wesentlicher Merkmale der marxistisch-leninistischen philosophischen Methode. Ausgangspunkt sind Überlegungen über die Funktion, die eine Methode im Prozeß des Erkennens und praktischen Handelns hat, und über ihre objektiven Grundlagen. Auf dieser Basis wird die Frage erörtert, ob das Verhältnis von Theorie und Methode innerhalb der marxistisch-leninistischen Philosophie dem Verhältnis zwischen Theorie und Methode allgemein vergleichbar ist. Es wird versucht zu begründen, daß dialektisch-materialistische Methode und marxistisch-leninistische Philosophie als Theorie eine dialektische Einheit von Unterschiedlichem bilden, daß die Methode unmittelbar auf der philosophischen Theorie und mittelbar auf dem Marxismus-Leninismus insgesamt beruht, daß die Methode, indem sie das Denken und praktische Handeln orientiert, Bindeglied der philosophischen Theorie zur Praxis ist. In Gegenüberstellung zur metaphysischen Methode und zur idealistisch-dialektischen Methode wird sie als dialektisch-materialistische Methode charakterisiert. Als weitere Wesenszüge werden ihr kritisch-revolutionärer Charakter und ihre Parteilichkeit betrachtet. Es wird ferner untersucht, aus welchen Bestandteilen die dialektisch-materialistische Methode sich bildet und welche Funktionen sie erfüllen soll und kann. Entsprechend der von mir vertretenen Auffassung, daß die dialektisch-materialistische Methode explizit dargestellt werden kann, wird im zweiten Teil der Arbeit versucht, auf der Grundlage der „Elemente der Dialektik", wie sie Lenin formuliert hat, die wichtigsten Förderungen, die die dialektisch-materialistische Methode an das Denken und Handeln stellt, in ihrem Zusammenhang zu skizzieren. In der hier dargelegten Auffassung von der dialektisch-materialistischen Methode stütze ich mich durchgehend auf Äußerungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus. Eine zweite wichtige Quelle sowohl für die Gesamtkonzeption als auch für Details sind Arbeiten zeitgenössischer marxistisch-leninistischer Philosophen aus dem Zeitraum seit dem Ende der 50er Jahre, in der überwiegenden Mehrzahl Arbeiten sowjetischer Philosophen. Einschränkend sei dazu allerdings gesagt, daß eine vollständige Auswertung der vorhandenen Literatur
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•weder beabsichtigt noch möglich war. Die Differenziertheit der Standpunkte zur marxistisch-leninistischen philosophischen Methode einerseits und das Fehlen zusammenfassender Arbeiten andererseits erschweren den Überblick ganz außerordentlich. Da ausführlichere Darstellungen der dialektisch-materialistischen Methode relativ selten sind, entstammen viele der — auch der hier zitierten - Äußerungen zeitgenössischer Autoren über Wesenszüge, Merkmale, Bestandteile, Funktionen usw. dieser Methode Arbeiten, die anderen Problemen der Philosophie gewidmet sind, und tragen den Charakter von Behauptungen. Die Begründetheit solcher Äußerungen einzuschätzen ist im allgemeinen schwierig. Häufig erweist sich erst bei der detaillierten Ausführung einer Konzeption, ob sie tragfähig, mit den vorhandenen gesicherten Erkenntnissen verträglich und für die Anwendung von Nutzen ist. Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, die von mir vertretene Auffassung durch ihre möglichst detaillierte Ausführung zu bekräftigen. Im Interesse dieser Absicht bemühe ich mich, möglichst alle wichtigen Probleme ihrem Gewicht angemessen in Betracht zu ziehen. Das führt dazu, daß an einigen Stellen nicht ausgeschöpft wird, was zum betreffenden Problem schon erarbeitet ist, daß an anderen Stellen nur Lösungsvorschläge angeboten oder Hinweise auf offene Probleme gegeben werden können. Ich betrachte meine Arbeit als einen Diskussionsbeitrag zum Thema „Materialistische Dialektik als Methode" und wäre froh, wenn sie zu Stellungnahmen herausfordern, zu Unternehmen gleicher Art anregen, kurzum zur Belebung der Diskussion führen würde - im Interesse aller, die die philosophische Methode des Marxismus-Leninismus zu ihrem Arbeitsmittel, zu ihrer Waffe im Kampf um den Fortschritt machen wollen. Zugleich möchte ich auf Arbeiten sowjetischer Philosophen auf dem Gebiet der materialistischen Dialektik aufmerksam machen, die in der philosophischen Literatur der DDR bislang meiner Meinung nach nicht genügend berücksichtigt worden sind. Ich hatte Gelegenheit, Grundgedanken meiner Konzeption und Vorläufer der vorliegenden Fassung mit Fachkollegen wie auch Vertretern anderer Wissensgebiete zu diskutieren. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle noch einmal für ihre Anregungen danken, gleich, ob sie der Gesamtkonzeption oder Lösungsvorschlägen im Detail zustimmend oder ablehnend gegenüberstanden. Mein besonderer Dank gilt R. Kirchhoff und meinen Kollegen im Bereich Dialektischer Materialismus des Zentralinstituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und sowjetischen Philosophen aus Moskau und Leningrad, vor allem den Mitarbeitern des Sektors Dialektischer Materialismus des Instituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Meiner Frau Sonja danke ich für ihre Mitwirkung an den bibliographischen Arbeiten, an der Auswertung des Materials und an den technischen Arbeiten bei der Herstellung des Manuskripts. Berlin, April 1975
Wolfgang Segeth
1.
Dialektisch-materialistische Methode
1.1.
E r k e n n e n und praktisches Handeln
„Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch", sagt Engels. 1 Menschliches Handeln — in welcher Form auch immer — geht aus von Überlegungen. Dadurch unterscheidet es sich grundsätzlich von tierischer Betätigung. Marx charakterisiert den qualitativen Unterschied mit folgenden Worten: „Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber, von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem K o p f gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das bei Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß." 2 Menschliche Arbeit, menschliche Tätigkeit ist immer — und das gilt in gewissem Maße sogar für das Spielen — auf ein vorher erdachtes Ziel gerichtet, der Realisierung eines im voraus gesetzten Zweckes gewidmet. Die unermeßliche Vielfalt der Wechselbeziehungen in der den Menschen umgebenden Wirklichkeit, die ständige Bewegung und Veränderung um ihn herum, die Fülle der Einwirkungen aus seiner Umgebung auf ihn machen es ihm schwer, sich zu orientieren, herauszufinden, was er tun muß, um seine Ziele zu erreichen, seine Zwecke zu verwirklichen. E r muß alsö Erfahrungen sammeln, welche Art von Einwirkungen auf seine Umgebung zu welchen Resultaten führt. In diesem Prozeß der Einwirkung auf die Umgebung, deren Zweck zunächst in der Befriedigung elementarer Bedürfnisse des Lebens besteht, zeigen sich Wiederholungen, Regelmäßigkeiten, von denen ausgehend Regeln formuliert werden können. Derartige Regeln, wie D . P. Gorskij schreibt, „sind nicht Resultat zielgerichteten, systematischen Studiums der Natur, sondern Verallgemeinerung unmittelbarer Erfahrung, Fixierung der glücklichen Funde, auf die der Mensch im Prozeß der praktischen Tätigkeit stößt, im Gedächtnis" 3 . Schon auf den 1
2 3
F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, i n : Marx/Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 298. K . Marx, Das Kapital, Erster Band, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1962, S. 193. I L TopcKHii,
üpoßoieMH
oCmefi MeTOBOJionra HayK H jiHajieKTHHecKoÄ jiorHKH,
MocKBa 1966, CTp. 10.
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frühesten Etappen der gesellschaftlichen Entwicklung wurden solche Regeln — D . P. Gorskij nennt sie „Rezepturregeln" — formuliert. „In diesen Regeln wurden Verfahren des Operierens mit gewissen Ausgangsdaten zum Zwecke der Erlangung eines geforderten Resultats fixiert. Das sind Verfahren zur Zubereitung und Aufbewahrung von Nahrung, zur Herstellung von Arbeitswerkzeugen, zur Unterhaltung des Feuers, zur Errichtung unterschiedlicher Gebäude, zur Heilung von Krankheiten usw." 1 Regeln dieser Art sind mitteilbar, ersparen es anderen dadurch, im gleichen Falle ganz von vorn anzufangen, geben die Möglichkeit, weitere Erfahrungen einfließen zu lassen und damit die Regeln zu verbessern. Sie sind gesellschaftliches Produkt und zugleich gesellschaftliches Mittel zur Orientierung. Im täglichen Leben spielen solche Regeln auch heute noch eine große Rolle. Rezepturregeln werden nach D. P. Gorskij „stets mit Hinweis auf das Subjekt, auf das Resultat, das das Subjekt erstrebt, und auf die Gesamtheit der Handlungen, die es dabei realisieren muß, formuliert. Deshalb werden Rezepturregeln folgendermaßen formuliert: ,Wenn es erforderlich ist, das und das zu erhalten (zu erreichen), dann verfahre so und so'." 2 Diese Regeln sind zweifellos nützlich, sind aber doch nur von begrenztem Wert. Sie beziehen sich gewöhnlich nur auf recht einfache oder erheblich vereinfachte Zusammenhänge. Sie geben zwar Auskunft, bei welchem Vorgehen welches Resultat zu erwarten ist, aber häufig weiß man nicht, warum das so ist. Deshalb gibt es, wenn das erwartete Resultat ausbleibt, oft auch keine andere Erklärung als die, daß keine Regel ohne Ausnahme sei. Erfolgreiches Einwirken auf komplizierte Zusammenhänge der Wirklichkeit setzt also deren eingehendere, tiefere Erfassung voraus, als das in den bisher betrachteten Regeln geschieht. Anhaltspunkte dafür, worauf der Mensch seine Aufmerksamkeit vor allem zu richten hat, bietet meines Erachtens Marx' Analyse des Arbeitsprozesses: Zur Erreichung seines Ziels setzt der Mensch Arbeitsmittel ein, „um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen" 3 . „Im Arbeitsprozeß bewirkt also die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arb e i t s g e g e n s t a n d e s . D a s Ziel, das der Mensch sich gesetzt hat, wird in einem Prozeß, im Arbeitsprozeß erreicht. „Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihre Mittel." 5 Marx spricht hier nur von der materiellen Produktion, von der Produktion materieller Güter. Aber seine Feststellungen gelten offenbar nicht nur für den Produktionsprozeß im eigentlichen Sinne, sondern lassen 1 2 3 4 5
Ebenda, erp. 9. Ebenda, CTp. 10. K. Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 194. Ebenda, S. 195. Ebenda, S. 193.
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sich sinngemäß auf jedes praktische Handeln ebenso übertragen wie auf das Denken. Demnach hat der Mensch vor dem Handeln zu bedenken: 1. das Ziel, das er erreichen, den Zweck, den er verwirklichen will; 2. den Arbeitsgegenstand, das Ausgangsmaterial, der bzw. das der Bearbeitung bedarf; 3. die zielgerichtete Tätigkeit, die Arbeit am Ausgangsmaterial, welche die bezweckte Veränderung herbeizuführen vermag; 4. das Arbeitsmittel, dessen man sich zur Einwirkung auf den Arbeitsgegenstand bedient. Dabei sind diese Momente des Arbeitsprozesses nicht als einzelne, nicht für sich genommen von Interesse, sondern in ihrem Zusammenhang, in ihrer Beziehung aufeinander. Die Frage, die man sich vorzulegen hat, wenn man ein gesetztes Ziel erreichen will, lautet demnach: „In welcher Weise muß ich mit welchen Mitteln auf welchen Gegenstand einwirken, um mein Ziel zu erreichen?" Das menschliche Handeln wird also vom Denken geleitet, wird in gewissem Maße von den Absichten und Wünschen des Menschen bestimmt, aber wenn das Denken die objektiven Zusammenhänge, auf die sich die eben formulierte Frage richtet, nicht in angemessener Weise berücksichtigt, wird das Handeln schwerlich zum gewünschten Erfolg führen. Genauer gesagt: Erfolgreiches Handeln setzt Erkenntnisse voraus, die ihrerseits den Gegenstand, auf den sich das Handeln richtet, richtig widerspiegeln. Die Erkenntnis muß Aufschluß darüber geben, ob ein Gegenstand vorhanden ist, gefunden oder geschaffen werden kann, den man in einem Prozeß mit bestimmten Mitteln so beeinflussen kann, daß das gesetzte Ziel erreicht wird. Dabei kommt den Bedingungen, unter denen der Prozeß voraussichtlich vor sich gehen wird, erhebliche Bedeutung zu, da sie sowohl fördernden, als auch hemmenden Einfluß nehmen, im Extremfall den Prozeß sogar verhindern können. Offensichtlich kann die Zielsetzung ebenfalls nicht willkürlich sein, wenn sie real sein soll. Die Zielsetzung selbst setzt Erkenntnisse darüber voraus, ob es mögliche Wege zur Realisierung des Ziels gibt, ob das Ziel im Bereich des objektiven Möglichen liegt. Überlegungen über mögliche Ziele sind also nicht zu trennen von Überlegungen über mögliche Wege dorthin und umgekehrt. Zunächst recht vage Vorstellungen über mögliche Ziele werden durch genaueres gedankliches Erfassen der Wege zu ihnen präzisiert, und präzisere Zielvorstellungen verlangen genauere Erkenntnisse über die Voraussetzungen zu ihrer Realisierung. Diese Bemerkungen deuten bereits die Kompliziertheit der Aufgabe an, obwohl lediglich von einem einzigen Prozeß die Rede war. Ein solcher Prozeß ist aber nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit, gewöhnlich eine Kausalbeziehung, die Bestandteil einer Wechselwirkungsbeziehung ist, und diese wiederum wirkt im Gesamtzusammenhang der universellen Wechselwirkung. Bereits in der Natur ist es schwierig, die Komponenten zu erfassen, die für den interessierenden Prozeß bestimmend sind. Um wieviel schwieriger liegen die Dinge
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in der Gesellschaft. „Die Menschen machen ihre Geschichte, wie diese auch immer ausfalle, indem jeder seine eignen, bewußt gewollten Zwecke verfolgt, und die Resultante dieser vielen in verschiedenen Richtungen agierenden Willen und ihrer mannigfachen Einwirkung auf die Außenwelt ist eben die Geschichte. Der Wille wird bestimmt durch Leidenschaft oder Überlegung. Aber die Hebel, die wieder die Leidenschaft oder die Überlegung unmittelbar bestimmen, sind sehr verschiedener Art." 1 Man muß also die objektiven Gesetzmäßigkeiten untersuchen, die außerhalb des handelnden Menschen und in den Beziehungen zwischen ihm und seiner Umwelt wirken. Diese Aufgabe läßt sich durch unmittelbare Erfahrung nicht lösen, sondern bedarf der Wissenschaft mit all ihren Erkenntnissen, Erfahrungen Kräften, Mitteln und Verfahren. In einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen wurden und werden die verschiedensten Bereiche der Wirklichkeit untersucht, wuchs und wächst die Erkenntnis über die in ihnen herrschenden Gesetzmäßigkeiten. In den einzelnen Theorien werden die objektiven Zusammenhänge ihrer jeweiligen Gegenstandsbereiche — mehr oder weniger vollkommen — beschrieben, erklärt. Die Theorie sagt uns, wie die Dinge entstanden sind und wie sie sich entwickeln. Sie liefert damit notwendige Voraussetzungen für bewußtes, begründetes, zielgerichtetes Handeln. Sie beschränkt sich allerdings auf die Widerspiegelung ihres Gegenstands, ihres Objekts und berücksichtigt nicht den Menschen als das Subjekt, das auf das Objekt einwirkt und dieses in der Wechselwirkung zwischen Objekt und Subjekt erkennt.— Das gilt auch für Theorien, die auf den ersten Blick anders geartet erscheinen, wie z. B. die Erkenntnistheorie. Ihr Gegenstand ist ja nicht ein Objekt außerhalb des menschlichen Bewußtseins, sondern gerade eine Beziehung, die Erkenntnisbeziehung zwischen erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt, ihr Gegenstand sind die Gesetzmäßigkeiten, die den Erkenntnisprozeß der Menschheit bestimmen. 2 — Die Theorie sagt uns nicht unmittelbar, wie man vorgehen soll, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das ist vielmehr die Aufgabe der Methode; sie erfüllt zwar die gleiche Funktion wie die Rezepturregel, beruht aber nicht wie diese auf unmittelbarer Erfahrung, sondern auf der wissenschaftlichen Theorie. Eine Methode ist eine Art Anleitung, Anweisung, Vorschrift, wie man zu verfahren hat, um bestimmte Resultate zu erlangen. E s ist anzumerken, daß der Terminus „Methode" in der Literatur in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Nach P. Apostol „bezeichnet man mit dem Wort .Methode' a) den ,Weg' der Forschung und der rationalen, logischen Verarbeitung ihrer Resultate, die Art des Fortschreitens beim Studium eines Phänomens oder einer Klasse von Phänomenen, d. h. die Struktur des Rezeptions-, Überprüfungs- und Ausarbeitungsprozesses einer Menge von Erkennt1
F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, S. 296.
2
Vgl. D . Wittich, Über Gegenstand und Methoden der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie, Berlin 1973, S. 84f.
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nissen . . .; b) das Verfahren, das für die Lösung einer Klasse von Problemen anzuwenden ist . . . ; c) das System von Prinzipien oder operativen Regeln, das bei irgendeiner Handlung angewandt wird" 1 . Diese und weitere Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen von „Methode" hängen zwar eng miteinander zusammen, aber gerade deswegen sollte man schon von der Terminologie her sorgfältig unterscheiden. Praktisches Handeln ist offensichtlich nicht dasselbe wie die Gedanken, von denen es geleitet wird; das gleiche gilt auch für Denkprozesse in ihrem Verhältnis zu den Denkmethoden, denen sie folgen. In der vorliegenden Arbeit werden — übereinstimmend mit einer ganzen Reihe von Autoren — mit dem Wort „Methode" ausschließlich — noch näher zu charakterisierende — Anleitungen, Anweisungen, Vorschriften zum Denken und Handeln bezeichnet. Dementsprechend wird auch das Wort „methodisch" gebraucht, und zwar etwa im Sinne von „zu einer Methode gehörig" — so z. B. in „methodisches Prinzip" — oder „mit Eigenschaften einer Methode ausgestattet", „Funktionen einer Methode erfüllend" — so z. B. in „methodische Funktion von philosophischen Kategorien". Das Wort „methodologisch" wird hier — abweichend von Arbeiten, in denen es mit „methodisch" gleichgesetzt wird — etwa gleichbedeutend mit „zur Methodologie gehörig" oder „vom Standpunkt der Methodologie" gebraucht, wobei unter „Methodologie" soviel wie Methodenlehre oder Theorie der Methode verstanden wird. Mit Recht wendet sich T. Pavlov gegen eine ebenfalls anzutreffende Vermengung von Ideellem und Materiellem, gegen die Identifizierung der Methode mit den objektiven Gesetzen der materiellen Wirklichkeit. Er schreibt: „In der gesellschaftlichen und materiellen Wirklichkeit gibt es keinerlei Methoden, sondern nur objektive Gesetze. Methoden gibt es nur in den Köpfen, nur im Bewußtsein, und von hier aus — auch in der bewußten Tätigkeit des Menschen." 2 Damit wird der Zusammenhang zwischen Methode und objektiver Gesetzmäßigkeit keineswegs bestritten. Im Gegenteil, Methoden als Bewußtseinsinhalte bedeuten vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie Widerspiegelungen objektiv realer Zusammenhänge im menschlichen Bewußtsein. In diesem Sinne ist nach T. Pavlov „die wissenschaftliche Methode das innere Bewegungsgesetz des menschlichen Denkens, das als subjektive Widerspiegelung der objektiven Welt aufgefaßt wird, oder was ein und dasselbe ist, als in den menschlichen Kopf .umgesetzte* und .übersetzte' objektive Gesetzmäßigkeiten, die bewußt und planmäßig als Instrument zur Erklärung und Veränderung der Welt benutzt wird." 3 An diese Definition knüpft G. V. Platonov die Bemerkung: „Die erkannte objektive Gesetzmäßigkeit tritt in der 1
P. Apostol, Zur Definition und zum Gegenstandsbereich der Methodologie, in: „Deutsche Zeitschrift für Philosophie", Berlin 1966, H. 12, S. 1469.
2
T. üaBJioB, 0cH0BH0e b yieHHH H. II. IlaBJioBa b CBeTe RiiajieKTHiecKoro inaTepiiajiH3Ma, MocKBa 1 9 5 8 , CTp. 1 0 5 . T. Pawlow, Die Widerspiegelungstheorie, Grundfragen der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie, Berlin 1973, S. 462.
3
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Methode als Regel für die Tätigkeit des Subjekts auf. Dergestalt ist die Methode das für Wissenschaft und Praxis geschaffene System von Verfahren, Regeln, die sich auf die erkannte objektive Gesetzmäßigkeit gründen . . . Die Methode drückt die dialektisch widersprüchliche Beziehung zwischen Subjekt und Objekt im Prozeß der Erkenntnis und der praktischen Tätigkeit der Menschen aus."! Aus dem Unterschied zwischen Theorie und Methode im Hinblick auf die Funktion der ersteren, die Wirklichkeit zu beschreiben, zu erklären usw., und der letzteren, menschliches Denken und Handeln zu leiten, zu orientieren, ergibt sich ein Unterschied im Charakter ihrer Bestandteile. Unter diesem Gesichtspunkt kann man eine Theorie als ein System von Aussagen bestimmen 2 , eine Methode hingegen als System von Regeln 3 , System regulativer Prinzipien 4 oder dergleichen. Hat die Theorie Aussagecharakter, eine ¿eschreibende Funktion, so hat die Methode Aufforderungscharakter, eine vorschreibende Funktion. Diese Eigenart der Methode kommt in unterschiedlicher Weise bei zahlreichen Autoren zum Ausdruck, so etwa wenn A. Kosing die Methode als „System von regulativen Prinzipien, Forderungen und Regeln" 5 , A. P. Septulin sie als „Gesamtheit von Forderungen oder Prinzipien" 6 definiert, wenn R. Bellmann und H. Laitko schreiben: „Methoden im eigentlichen Sinne sind nur Systeme von Operationsregeln" 7 oder in einer sowjetisch-bulgarischen Gemeinschaftsarbeit eine Methode als „Gesamtheit (System) von Regeln, Vorschriften, Algorithmen" 8 charakterisiert wird. Aussagen der Theorie bilden die Grundlage für die Regeln, Prinzipien der Methode, und deren Anwendung führt zu neuen Erkenntnissen. Theorie und Methode bilden inhaltlich eine Einheit, doch diese Einheit ist dialektischer Natur. P. V. Kopnin beschreibt sie mit folgenden Worten: „Einerseits realisiert sich kein einziges Wissenssystem vollständig in der Methode, es ist seinem Inhalt nach reicher als sie. Andererseits geht die auf der Grundlage des Systems entstandene Methode in ihrer Entwicklung unbedingt über die Grenzen des Systems hinaus, führt sie zur Veränderung des alten Wissenssystems und zur Schaffung eines neuen. Das System ist konservativer, es strebt danach, sich zu erhalten und zu vervollkommnen. Die Methode ist ihrer Natur nach beweg1
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MAPKCHCTCKO-neHHHCKaa $HJIOCO$HH KAK MeTo^OJIORUH OÖIHGCTBGHHLIX H ecTecTBeHHHX Hayn, MocKBa 1 9 7 2 , CTp. 2 4 . Vgl. z . B . : Philosophisches Wörterbuch, 10., neubearb. u. erw. Aufl., hrsg. v . G . Klaus u. M. Buhr, Bd. 2, Leipzig 1974, S. 1 2 1 9 f .
3 Ebenda, S. 1220. 4 OaJioco$cKaH 8Hi;HKJioneHHH, T. 3, MocKBa 1 9 6 4 , CTp. 4 0 9 . 5 A . Kosing, Dialektischer Materialismus als allgemeine Methodologie der Wissenschaften, in: „Deutsche Zeitschrift für Philosophie", Berlin 1965, Sonderh., S. 49. 6
A . I I . I U e n r y j i H H , Hnoco$CKHe H COIIHOJIORHHECKHE HCCNEFLOBAHHH, JLEHHHRPAA 1 9 7 1 ; G . Gleserman/W. Kclle/N. Pilipenko, D e r historische Materialismus — Theorie und Methode wissenschaftlicher Erkenntnis und revolutionären Handelns, i n : „Einheit", Berlin 1 9 7 1 , H . 9 , S. 1 0 2 4 - 1 0 3 2 .
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schreiben V. 2 . Kelle und N. I. Makesin1, wobei sie mit „Methodologie" eine Methode oder eine Gesamtheit von Methoden, Prinzipien usw. bezeichnen. Der historische Materialismus, heißt es in einer anderen Gemeinschaftsarbeit sowjetischer und bulgarischer Philosophen, „funktioniert als allgemeinste Metbode der Erkenntnis gesellschaftlicher Erscheinungen". 2 Als „Methode der Erkenntnis dieser Erscheinungen", fahren die Autoren fort, „ist er die (im Rahmen der gesell-' schaftlichen Bewegungsform der Materie) allgemeinste Methode, anwendbar auf Erklärung und Veränderung jeder gesellschafdichen Erscheinung." 3 Wenn nun der historische Materialismus im Hinblick auf gesellschaftliche Erscheinungen die allgemeinste Methode ist, dann muß konsequenterweise, obwohl die Autoren sich darüber nicht äußern, die dialektisch-materialistische Methode in diesem Zusammenhang in bestimmter Weise in die historisch-materialistische eingehen. Die Autoren werden gewiß nicht annehmen, daß die historisch-materialistische Methode allgemeiner ist als die dialektisch-materialistische. — Nach Auffassung von V. 2 . Kelle und N. I. Makesin verschmelzen dialektisch-materialistische und historisch-materialistische Methode auch bei deir Erkenntnis sozialer Erscheinungen nicht, sondern behalten ihre relative Selbständigkeit. „Wenn man die Methodologie (also das System von Methoden usw. — W. S.) der Erkenntnis sozialer Erscheinungen als Gesamtheit von Prinzipien, Verfahren und Methoden des Erkennens betrachtet, kann man innerhalb dieser allgemeinen Gesamtheit drei Typen von Systemen herausheben, die sich nach dem Grad der Allgemeinheit der sie bildenden Erkenntnisverfahren und nach ihren Möglichkeiten bei der Untersuchung konkreter Objekte unterscheiden." V. 2 . Kelle und N. I. Makesin meinen, daß es mindestens drei derartige Typen voll Methodologien gibt, „die in der Erkenntnis sozialer Erscheinungen angewandt werden . . . : die allgemeinphilosophische, die sozialphilosophische (oder allgemeinsoziologische) und die allgemeinwissenschaftliche. Im Rahmen des Marxismus treten als allgemeinphilosophische Methodologie die Prinzipien der materialistischen Dialektik auf, und als sozialphilosophische die Prinzipien des historischen Materialismus."'4 Analog unterscheidet auch G. V. Platonov: „Formuliert werden konnten die Grundsätze des dialektischen Materialismus nur zugleich mit den Grundsätzen des historischen Materialismus. Und doch kann man vom historischen Materialismus in gewissem Sinne als von einer Ausdehnung und Konkretisierung der Grundsätze des dialektischen Materialismus in bezüg auf die Untersuchung gesellschaftlicher Erscheinungen sprechen. Folglich ist, wenn als allgemeinste Methode die Methode des dialektischen Materialismus 1
JleHHHCKan TeopnH OTpaHtemiH h coBpeMeimaH Hayna, mecTB03HaHHe, CO$HH 1 9 7 3 , cxp.
Teopun oTpaHteHHH h 06-
65.
2
JleHHHCKaa Teopun oTpameHiiH H coBpeMeHHOCTb, cTp. 668.
3
Ebenda.
4
JleHHHCKan Teopim OTpameHHH H coBpeMemiaa Hayna, TeopHH OTP