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German Pages 311 Year 1993
INGO BALDERJAHN
Marktreaktionen von Konsumenten
SCHRIFTEN ZUM
MARKETING
hrsg. von Prof. Dr. Erwin Dichtl, Mannheim Prof. Dr. Franz Böcker f , Regensburg Prof. Dr. Hermann Diller, Nürnberg Prof. Dr. Hans H. Bauer, Koblenz Prof. Dr. Stefan Müller, Dresden Band 33
Marktreaktionen von Konsumenten Ein theoretisch-methodisches Konzept zur Analyse der Wirkung marketingpolitischer Instrumente
Von
Ingo Balderjahn
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Baiderjahn, Ingo: Marktreaktionen von Konsumenten : ein theoretischmethodisches Konzept zur Analyse der Wirkung marketingpolitischer Instrumente / von Ingo Baiderjahn. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Marketing ; Bd. 33) Zugl.: Hannover, Univ., Habil.-Schr., 1992 ISBN 3-428-07649-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0343-5970 ISBN 3-428-07649-4
Vorwort
Diese Arbeit wurde im Frühjahr 1992 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Hannover als Habilitationsschrift anerkannt. Die Idee dazu entwickelte sich in zahlreichen Gesprächen, die ich in den Jahren 1987/88 mit meinem wissenschaftlichen Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eberhard Kuhlmann, an der Technischen Universität Berlin führte. Für seine Bereitschaft, mir immer als kritischer Diskussionspartner zur Verfügung zu stehen, möchte ich mich aufrichtig bedanken. Abgefaßt habe ich diese Arbeit in den Jahren 1989 bis 1991 am Lehrstuhl Markt und Konsum von Frau Prof. Dr. Ursula Hansen. Ihr gilt mein ganz besonderer Dank. Unvergessen bleibt die intensive Zuwendung, die sie mir und meiner wissenschaftlichen Arbeit in diesen Jahren zuteil werden ließ. Die Habilitationsschrift wurde neben Frau Prof. Dr. U. Hansen von Herrn Prof. Dr. M.-D. Jöhnk und Herrn Prof. Dr. K.-P. Kaas begutachtet. Ihnen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen. Erwähnen und danken möchte ich auch Frau Birgit Brauns für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts. Meine Lebenspartnerin Sabine Stamm stand mir als kritische Leserin der Arbeit zur Seite und regte zahlreiche stilistische Änderungen an. Ohne ihre Bereitschaft, die "Lasten" der Habilitation mitzutragen, wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Berlin und Hannover Im August 1992 Ingo Baiderjahn
nsverzeichnis
Α.
Β.
Einleitung Begriffliche und theoretische Grundlegungen
19
I.
Das Grundmodell der Marktreaktion
19
1.
Das Konzept der Marktreaktion
19
2.
Die Komponenten der Marktreaktion
22
II.
Marktreaktionsfunktionen
30
1.
Grundlagen zu Marktreaktionsfunktionen
30
a)
Definition der Marktreaktionsfunktion
30
b)
Der Zusammenhang zwischen Kaufwahrscheinlichkeit und Marktanteil ...32
c)
Arten von Marktreaktionsfunktionen
2.
3.
C.
D.
15
Preisresponsefunktionen
36 40
a)
Preisresponsefunktionen in der Marketingforschung
40
b)
Die Rolle des Preises in der Nutzenfunktion
45
Zeitresponsefunktionen
55
a)
Das Konzept der Zeit
55
b)
Reaktionsmöglichkeiten auf die Zeit
58
III.
Entscheidungstheoretische Grundlagen der Marktreaktion
63
IV.
Die weitere Vorgehensweise der Arbeit
69
Multiattributive Einstellungsmodelle zur Analyse von Marktreaktionen
74
I.
Die Ausgangssituation
74
II.
Analyse von Kaufrestriktionen
78
1.
Das Konzept der Handlungskontrolle
78
2.
Das Modell geplanten Verhaltens
81
III.
Analyse von Wahlhandlungen
85
IV.
Resümee
88
Das Conjoint Modell zur Analyse von Marktreaktionen
91
I.
91
II.
Grundlagen zur Conjoint Analyse 1.
Modelle der Conjoint Analyse
91
2.
Durchführung der Conjoint Analyse
95
Der Marktresponseansatz der Conjoint Analyse
97
1.
Eignungsvoraussetzungen der Conjoint Analyse
97
2.
Das Verfahren zur Ermittlung von Marktresponsefunktionen
99
nsverzeichnis
8 3. III. E.
F.
Eine empirische Studie zur Schätzung von Preisresponsefunktionen
Resümee
111
Das diskrete Entscheidungsmodell zur Analyse von Marktreaktionen
117
I.
Begriffe und Elemente
117
II.
Modelle der diskreten Entscheidungsanalyse
129
1.
Das Nutzenmodell von Luce
129
2.
Das Zufallsnutzenmodell
134
III.
Empirische Modellvalidierung
143
IV.
Resümee
151
Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
154
I.
154
Analyse aggregierter Daten zur Nachfrage von Gütern des täglichen Bedarfs 1.
Die Preisresponse nach dem Modell von Kaas
154
a)
154
b)
Die Grundlagen des Modells Das Verfahren von Kaas zur empirischen Ableitung von Preisresponsefunktionen
2.
II.
166
a)
Neuformulierung des Modells
166
b)
Erweiterung des Modells
173 177
1.
177
3.
4.
III.
Eine empirische Studie a)
Ziele der Studie
177
b)
Die Daten
180
c)
Erhebung individueller Entscheidungsdaten
180
d)
Das Entscheidungssimulationsverfahren
183
Spezifikation des Nutzenmodells
187
a)
Homogene und heterogene Nachfragersegmente
187
b)
Analyse von Preisfunktionen
189
c)
Schätzungen der Nutzenmodelle
Ableitung von Preisresponsefunktionen
192 196
a)
Analyse direkter Preiswirkungen
196
b)
Analyse von Konkurrenzpreisänderungen
199
Ableitung von Preiselastizitäten
204
a)
Grundlagen
204
b)
Ableitung direkter Preiselastizitäten
206
c)
Ableitung von Kreuzpreiselastizitäten
214
Resümee
Empirische Ableitung von Zeitresponsefunktionen I.
159
Neuformulierung und Erweiterung des Modells von Kaas
Analyse individueller Daten zur Nachfrage von Personalcomputern
2.
G.
103
220 223
Eine Studie zur Verkehrsmittelwahl
223
1.
223
Grundlagen und Ziele
nsverzeichnis 2. II.
Die Daten
229
1.
Übersicht
229
2.
Die Modellvariablen
231
a)
Die Fahrstrecke
231
b)
Eigenschaften der Verkehrsmittel
232
c) 3.
aa)
Die subjektive Fahrzeit
232
bb)
Die subjektiven Fahrkosten
235
Persönliche Merkmale der Verkehrsmittelnutzer
239
a)
239
Festes Alternativenset aa)
Spezifikation des Fahrweges
239
bb)
Spezifikation der Fahrzeit
242
cc)
Spezifikation der Fahrkosten
243
dd)
Ergebnisse der Analyse
244
Variables Alternativenset
253
1.
Zeitresponse bei gegebener Fahrzeitverteilung
253
a)
Klassifikation der Zeitresponse
253
b)
Disaggregierte Zeitresponse
256
aa)
Homogene Population
256
bb)
Heterogene Population
258
2.
Aggregierte Zeitresponse
259
aa)
Homogene Population
259
bb)
Heterogene Population
264
Zeitresponse bei variierender Fahrzeitverteilung
269
a)
269
Homogene Population aa)
Prognose von ÖPNV-Nutzeranteilen
269
bb)
Zeitelastizitäten des Nutzeranteils
276
b)
H.
250
Analyse der Zeitresponse
c)
IV.
236
Analyse der Entscheidungsdeterminanten
b) III.
226
Determinanten der Verkehrsmittelwahl
Resümee
Fazit
Heterogene Population
277 280 283
Literaturverzeichnis
290
Anhang
305
blnverzeichnis
Tabelle 1:
Zusammenhang zwischen individuellen Kaufwahrscheinlichkeiten und Marktanteilen
Tabelle 2:
Geschätzte Preisresponsefunktionen für Mensa-Menüs nach der
Tabelle 3:
Daten zur regressionsanalytischen Auswertung des Modells
Conjoint Analyse von Kaas Tabelle 4:
34 109 169
Parameter des Preisresponsemodells für die Nachfragedaten bezüglich Haarsprays
174
Tabelle 5:
Empirische Validierung alternativer Nutzen- bzw. Preismodelle
191
Tabelle 6a:
Schätzwerte für den generischen Preisparameter
193
Tabelle 6b:
Schätzwerte für die alternativenspezifischen Parameter
194
Tabelle 7:
Preiselastizitäten bei Durchschnittspreisen
209
Tabelle 8:
Erhebungsdaten
228
Tabelle 9:
Gesamtanalyse der Verkehrsmittelwahl:
Tabelle 10:
Teststatistiken und Fitwerte für das Entscheidungsmodell zur
Wirkungskoeffizienten
244
Verkehrsmittelwahl
245
Tabelle 11:
Klassifikationsergebnisse für das diskrete Entscheidungsmodell
246
Tabelle 12:
Ergebnisse der Analysen für variable Alternativensets
252
Tabelle 13:
Diskrete empirische Verteilung der ÖPNV-Fahrzeit mit korrespondierenden Nutzungswahrscheinlichkeiten
261
Tabelle 14:
Zweidimensionale Verteilung der ÖPNV- und Pkw-Fahrzeiten
263
Tabelle 15:
ÖPNV-Nutzungswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Zeitkombinationen der Population
Tabelle 16:
263
Geschlechtsspezifische Verteilung der subjektiven ÖPNV-Fahrzeiten und der Nutzungswahrscheinlichkeiten
265
Tabelle 17:
ÖPNV-Anteilsschätzungen, differenziert nach Segmenten
268
Tabelle 18:
Prozentuale ÖPNV-Nutzeranteile in einzelnen Gruppen
278
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Grundmodell der Marktreaktion von Konsumenten
29
Abbildung 2:
Der Preis als lineares Argument im Nutzenmodell
52
Abbildung 3a:
Einkommens- bzw. Allokationseffekt im Wurzelmodell
52
Abbildung 3b:
Einkommenseffekt im Exponentialmodell
53
Abbildung 4:
Einkommenseffekt für Marke Β im Exponentialmodell
54
Abbildung 5:
Prinzipien zur Analyse von Marktreaktionen
69
Abbildung 6:
Das Modell geplanten Verhaltens von Ajzen
83
Abbildung 7:
Typische Präferenzverläufe der einzelnen Modelle der Conjoint Analyse
94
Abbildung 8:
Ergebnisse der Conjoint Analyse
106
Abbildung 9:
Nutzen-Preis-Funktionen der drei Preis-Restriktions-Modelle
107
Abbildung 10:
Preisresponsefunktionen für unterschiedliche Preis-RestriktionsModelle und Entscheidungsregeln
110
Abbildung 11:
Empirisch geschätzte Preisschwellenreaktion
111
Abbildung 12:
Paarweise Preisabsatzfunktionen der Marke E L I D O R mit wechselnden Vergleichsmarken
Abbildung 13:
ermittelt nach drei unterschiedlichen Verfahren Abbildung 14a:
Abbildung 15: Abbildung 16:
172
Paarweiser Marktanteil für POLY nach dem Differenzen- und dem Quotientenmodell
172
Preisresponsefunktionen für die Marken E L I D O R und POLY
175
Marktaufteilung zwischen sieben Haarspray-Marken bei Preisen von E L I D O R
Abbildung 17a:
171
Paarweiser Marktanteil für E L I D O R nach dem Differenzen- und dem Quotientenmodell
Abbildung 14b:
162
Paarweise Preisresponsefunktionen für E L I D O R vs. POLY,
175
Preisresponsefunktion für E L I D O R nach dem Differenzen- und dem Quotientenmodell
176
Abbildung 17b:
Preisresponsefunktion für T A F T nach dem Differenzen- und dem
Abbildung 18:
Die Informationsmatrix zur Beschreibung der ausgewählten
Abbildung 19:
Markenpräferenzordnung zwischen den PC
194
Abbildung 20:
Alternative Nutzenfunktionen für den T A N D O N
195
Abbildung 21:
Empirisch abgeleitete Preisresponsefunktionen für T A N D O N
197
Quotientenmodell Personalcomputer
176 184
12 Abbildung 22a:
Abbildungsverzeichnis Preisresponsefunktionen für T A N D O N bei alternativen IBM-Preisen: Nutzenmodell A
Abbildung 22b:
199
Preisresponsefunktionen für T A N D O N bei alternativen IBM-Preisen: Nutzenmodell D
200
Abbildung 22c:
Käuferdreieck zur asymmetrischen Preiswirkung
201
Abbildung 22d:
Käuferdreick zur Preiswirkung bei unterschiedlichem Preisniveau
202
Abbildung 23:
Die Wirkung von IBM-Preisänderungen auf den Marktanteil von TANDON
203
Abbildung 24:
Marktaufteilung bei unterschiedlichen TANDON-Preisen
204
Abbildung 25:
Homogene Preiselastizität des Marktanteils für T A N D O N
207
Abbildung 26:
Preiselastizitätsfunktionen für T A N D O N bei alternativen
Abbildung 27:
Preiselastizitätsfunktionen differenziert nach Altersgruppen für den
IBM-Preisen im homogenen Nachfragersegment TANDON
208 213
Abbildung 28a:
Individuelle und aggregierte Preiselastizitäten für den T A N D O N
213
Abbildung 28b:
Individuelle und aggregierte Preiselastizitäten für den I B M
214
Abbildung 29:
Kreuzpreiselastizitätsfunktionen für homogene Populationen
216
Abbildung 30:
Individuelle und aggregierte Kreuzpreiselastizitäten des
Abbildung 31:
Aggregierte Kreuzpreiselastizitäten für T A N D O N und H I G H S C R E E N bezüglich der Preise von I B M
218
Abbildung 32:
Absolute Preisänderungsresponse
219
Abbildung 33:
Von berufstätigen Berlinern mit eigenem Pkw ausgewählte Verkehrs-
Marktanteils von T A N D O N bezüglich des IBM-Preises
mittel für den Weg zur Arbeit
218
229
Abbildung 34:
Determinantenmodell zur Verkehrsmittelwahl
230
Abbildung 35:
Zurückgelegte Weglängen nach Verkehrsmittel differenziert
232
Abbildung 36:
Subjektive Fahrzeiten für den Weg zur Arbeit für das genutzte
Abbildung 37:
Subjektive Fahrkosten für den Weg zur Arbeit für das genutzte und für die alternativen Verkehrsmittel
236
Abbildung 38:
Bewertungsprofil des ÖPNV und des Automobils
238
Abbildung 39:
Inter-individuelle Verteilung der subjektiven Fahrzeiten der Verkehrsmittel Pkw, Ö P N V und Fahrrad
254
Abbildung 40:
Fallunterscheidung zur Analyse der Zeitresponse
255
Abbildung 41:
Repräsentative, individuelle Reaktion auf Fahrzeiten des
Abbildung 42:
Individuelle Zeitresponsefunktionen für zwei ausgewählte Nutzer-
und für die alternativen Verkehrsmittel
öffentlichen Personennahverkehrs segmente Abbildung 43:
Diskrete empirische ÖPNV-Fahrzeitverteilung mit individueller
Abbildung 44:
Approximation der empirischen Fahrzeitverteilung durch eine
Zeitresponsefunktion Normalverteilung
233
257 259 270 272
Abbildungsverzeichnis Abbildung 45:
Aggregierte und individuelle Zeitresponsefunktion
Abbildung 46:
Aggregierte Zeitresponsefunktionen für den Ö P N V bei alternativen
273
durchschnittlichen Pkw-Fahrzeiten
274
Abbildung 47:
95%-Prognoseintervall für die aggregierte Zeitresponsefunktion
275
Abbildung 48:
Zeitelastizität des aggregierten ÖPNV-Nutzeranteils bezüglich der ÖPNV-Fahrzeit für zwei alternative Pkw-Fahrzeiten
Abbildung 49:
276
Kreuz-Zeitelastizitäten des aggregierten ÖPNV-Nutzeranteils bezüglich der Pkw-Fahrzeit
277
Abbildung 50:
Aggregierte Zeitresponse differenziert nach Geschlecht
279
Abbildung 51:
Aggregierte Zeitresponse differenziert nach Parkplatzverfügbarkeit ....279
Abbildung 52:
Aggregierte Zeitresponse differenziert nach umweltbewußtem Verhalten
280
Α. Einleitung Ein zentraler Bereich der Marketingforschung beschäftigt sich mit der Erklärung, Prognose und Beeinflussung des Verhaltens von Konsumenten. Dazu sind zahlreiche Theorien und Modelle entwickelt worden, die sich auf unterschiedliche Aspekte des Konsumentenverhaltens beziehen (Konsumentenverhaltensforschung). Diese Arbeit will sich auf eine Analyse des Entscheidungs- und Nachfrageverhaltens von Konsumenten und die damit in Verbindung stehenden Prozesse der Produktbewertung und Ressourcenallokation konzentrieren. Aus einer ganz allgemeinen Perspektive heraus kann das Nachfrageverhalten von Konsumenten aus dem Zusammenwirken von zwei Faktoren, den Präferenzen (Bedürfnisse, Motive, Einstellungen, Erwartungen, Ziele) einerseits und den jeweiligen Umweltbedingungen andererseits, erklärt werden. Diesen Zusammenhang hat schon Lewin (1963) anschaulich in seinem Modell vom Lebensraum festgehalten. Dieser Lebensraum konstituiert sich aus den Interaktionen eines Individuums (P) mit seiner Umwelt (U). Nach der Lewwschen Formel ist das Verhalten (V) eine Funktion des Lebensraumes, d.h. V = f(P, U ) (Kroeber-Riel 1990, S. 442). Ähnlich definiert auch van Raaij (1981, S. 2) als Vertreter der ökonomischen Psychologie (
wobei mit X. die Absatzmenge und mit m. der Marktanteil der Marke i bezeichnet wird.
1 4
Vgl. Kapitel B.III.
^ Diese Definition unterscheidet sich von denjenigen, die Märkte durch Wahrnehmungsund Positionierungsmodelle zu repräsentieren versuchen und deren primäres Ziel es ist, Konkurrenzstrukturen zu analysieren (vgl. Cooper 1988; Cooper /Nakanishi Dichtl/Schobert
1979, Kap. 6; Kopp et al. 1989; Nieschlag et al. 1991, S. 155ff.).
1988, Kap. 6;
I. Das Grundmodell der Marktreaktion
29
Abbildung 1 faßt die Zusammenhänge zwischen den oben diskutierten fünf Teilmodellen, dem -
Präferenzmodell, Restriktionsmodell, Nutzenmodell, Entscheidungsmodell und dem Marktmodell
zur Erklärung von Marktreaktionen graphisch zusammen.
Abbildung 1: Grundmodell der Marktreaktion von Konsumenten
Β. Begriffliche und theoretische Grundlegungen
30
II. Marktreaktionsfunktionen 1. Grundlagen zu Marktreaktionsfunktionen a) Definition der Marktreaktionsfunktion Das Kauf- bzw. Nachfrageverhalten der Konsumenten bei unterschiedlichen Angebotsbedingungen kann durch sog. Marktreaktionsfunktionen abgebildet werden. Nach Böcker (1982, S. 6) stellen Marktreaktionsfunktionen einen Zusammenhang zwischen Input- und Outputgrößen eines Marktes her. Je nach Spezifikation dieser Größen lassen sich eine Marketing- und eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive der Marktreaktionsfunktion unterscheiden. In der Marketingliteratur wird der Begriff der Marktreaktionsfunktion oft verstanden als ein Modell, das die Abhängigkeit des Absatzes bzw. die des Marktanteils (Outputgrößen) einer Marke i e A von Veränderungen im Marketing-Mix der anbietenden Unternehmung sowie von MarketingAnstrengungen der Konkurrenten (Inputgrößen) und von gesamtwirtschaftlichen Faktoren (Rahmenbedingungen) beschreibt (Kaas 1977, S. 14; Nieschlag et al. 1991, S. 130f.). Eine aus dieser Marketing-Perspektive definierte Marktreaktionsfunktion könnte mathematisch formal durch die Gleichung 2.6
Y[ = f(q, w, d, p, g)
(2.6)
beschrieben werden. Dabei ist yj eine globale Erfolgsgröße wie z.B. der Absatz, der Umsatz oder der Marktanteil von Marke i (die Responsevariable); die Vektoren q, w, d, ρ enthalten quantifizierte Angaben über Investitionen in die Produktentwicklung und -Verbesserung, in die Werbung und in die Distribution sowie die Preise der Produkte aller Anbieter eines abgrenzbaren Marktes, respektive, und im Vektor g befinden sich gesamtwirtschaftliche Rahmenfaktoren 16 . Aus der Sicht des Marketing sollen
16 Auch Angaben über das zu bearbeitende Marktsegment (z.B. Kaufkraft) können als erklärende Variable mit in die Funktion einbezogen werden {Nieschlag et al. 1991, S. 131).
II. Marktreaktionsfunktionen
31
Marktreaktionsfunktionen Aufschluß darüber geben, wie effizient einzelne absatzpolitische Instrumente zur Marktbearbeitung eingesetzt werden können. Ziel ist es, möglichst valide Prognosen über den Erfolg einzelner Marketing-Instrumente abgeben zu können, um so betriebliche Entscheidungs- und Planungsprozesse besser optimieren zu können. Die verhaltenswissenschaftliche Perspektive der Marktreaktionsfunktion geht von der individuellen Produktbewertung aus. Hiernach wird der Zusammenhang hergestellt zwischen subjektiv wahrgenommenen Attributen der Marktangebote (Inputgrößen) und individuellen Kaufhandlungen bzw. Kaufwahrscheinlichkeiten (Outputgrößen). Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht sollen Marktreaktionsfunktionen dazu dienen, Aufschluß über individuelle Produktbewertungs- und Entscheidungsprozesse sowie deren zielorientierte Beeinflussung durch marketingpolitische Instrumente zu geben. Ziel dieser Perspektive ist die Entwicklung einer verhaltenswissenschaftlich und empirisch fundierten Theorie der Marktreaktion zur Erklärung und Beeinflussung individueller Produkturteile und Kaufentscheidungen. Die vorliegende Arbeit wird sich auf diesen Aspekt, d.h. auf die Analyse der aus individuellen Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozessen von Konsumenten resultierenden Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen konzentrieren. Dieser Sichtweise folgend werden sowohl individuelle Kaufentscheidungen bzw. -Wahrscheinlichkeiten als auch der Marktanteil auf den Einfluß von subjektiv wahrgenommenen Produktattributen, die einerseits präferenzbildend und andererseits kaufhemmend wirken können, sowie auf individuelle Präferenzunterschiede zwischen den Konsumenten zurückgeführt. Modelle, die diesen Zusammenhang abbilden, werden hier als Marktreaktionsfunktionen bezeichnet. Diese haben die allgemeine mathematische Form:
p
i k = f( zik'
m
i
=
f z
s
k)bzw·
( ik'sk)·
(2.7a) (2.7b)
Die Marketing-Perspektive beinhaltet eine SR-Orientierung der Marktresponsefunktion. Empirisch werden diese Funktionen mit Hilfe ökonome-
Β. Begriffliche und theoretische Grundlegungen
32
irischer Verfahren, insbesondere durch Regressionsanalysen mit dem Ziel ermittelt, valide Prognosen über die Wirkung einzelner Instrumente des Marketing-Mix treffen zu können. Solange aber Regressionsgleichungen nicht Gegenstand inhaltlicher Hypothesen sind, reflektieren sie auch keine Erklärungsmodelle, sondern bestenfalls Strukturen empirischer Regelmäßigkeit (Steffenhagen 1978, S. 18). In diesem Sinne sind solche Modelle bzw. Funktionen theorielos (Nieschlag et al. 1991, S. 130). Die verhaltenswissenschaftliche Position faßt hingegen Marktresponsefunktionen als SOR-Modelle auf. Quantitative Verfahren zur empirischen Bestimmung von Marktresponsefunktionen nach diesem Ansatz müssen in der Lage sein, den individuellen Prozeß der Produktbewertung und Entscheidungsfindung 17 valide abbilden zu können . Die hierzu vorgeschlagenen Verfahren, die Conjoint Analyse und die diskrete Entscheidungsanalyse, werden im Rahmen dieser Arbeit eingehender behandelt.
b) Der Zusammenhang zwischen Kaufwahrscheinlichkeit und Marktanteil Die Marktresponse kann auf disaggregierter Ebene durch Kaufwahrscheinlichkeiten und auf aggregierter Ebene durch Marktanteile gemessen werden. Die individuelle Kaufwahrscheinlichkeit (choice probability) ist ein Maß für die Reaktionsbereitschaft eines Konsumenten. Im Marktanteil dagegen reflektiert sich das Nachfrageverhalten einer ganzen Population, und nur diese Größe ist letztendlich für das Marketing einer Unternehmung interessant. Da das vorgestellte Konzept auf die individuelle Reaktion abstellt, ist zu fragen, wie sich der Marktanteil aus der Aggregation individueller Kaufentscheidungen ermitteln läßt. Dazu einige knappe Überlegungen. Wenn mit q. der Absatz einer Marke i bezeichnet wird und Q = Σ q. (i = l,...,I) das Marktvolumen angibt, dann gilt folgender Zusammenhang: qj = mj Q
(2.8)
17 Vgl.
zum
Steffenhagen
verhaltenswissenschaftlichen
(1978, S. 2f.).
Ansatz
der
Marktresponsefunktion
auch
II. Marktreaktionsfunktionen
33
Es soll vorausgesetzt werden, daß je Kaufzeitpunkt nur eine Produkteinheit eines Produktes vom Konsumenten erworben wird. Dann ergibt sich die vom Konsumenten k durchschnittlich nachgefragte Anzahl qy^ einer Marke i innerhalb einer Zeitperiode t gemäß Gleichung 2.9a.
t i + 1 , . . . , t I )
(2.21)
Danach ist der Kauf einer von I zur Auswahl stehenden Marken bzw. die Wahrscheinlichkeit, diese Marke zu kaufen, abhängig vom Zeitbedarf t. der 1 ΎΊ Marke i sowie von der Zeitcharakteristik der Konkurrenzprodukte . Zeitresponsefunktionen sind bisher im Marketing und in der Konsumentenverhaltensforschung wenig beachtet worden. In Kapitel G dieser Arbeit werden anhand einer Studie zur Verkehrsmittelwahl Möglichkeiten einer empirischen Bestimmung von Zeitresponsefunktionen vorgestellt. Dazu wird das in Kapitel E vorgestellte diskrete Entscheidungsmodell als methodische Basis dienen.
36 Vgl. zu Marketingaspekten einer zeitorientierten Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen durch Kunden Stauss (1991). y. kann als allgemeine Responsevariable aufgefaßt werden.
III. Entscheidungstheoretische Grundlagen der Marktreaktion
63
I I I . Entscheidungstheoretische Grundlagen der Marktreaktion Marktreaktionen sind als durch den gezielten Einsatz marketingpolitischer Instrumente beeinflußte Auswahlentscheidungen von Konsumenten unter Kaufrestriktionen definiert worden. In diesem Abschnitt soll eine Einordnung dieses Konzepts in vorhandene Theorien und Modelle zur Kaufentscheidung erfolgen, und es sollen Bezüge dazu hergestellt werden. In der Literatur wird zwischen normativen und deskriptiven (verhaltenswissenschaftlichen) Entscheidungsmodellen unterschieden (Kroeber-Riel 1990, S. 397; Hofacker 1985, S. 1). Normative Modelle dienen zur Ableitung optimaler Entscheidungen bei vorgegebenen Handlungsalternativen und Umweltzuständen. Dazu werden geschlossene Entscheidungsmodelle eingesetzt, die dem Rationalitätsprinzip folgen . Gegen dieses Prinzip richtet sich vor allem die Kritik der Verhaltenswissenschaftler, die psychische Restriktionen dafür verantwortlich machen, daß das tatsächliche Entscheidungsverhalten von den Modellannahmen der normativen Theorie abweicht (Kroeber-Riel 1990, S.399f.; Weinberg 1981, S. 38). So haben die Erkenntnisse über eingeschränkte Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungskapazitäten der Menschen in der Politik und dort insbesondere in der Verbraucherpolitik dazu geführt, daß vom Leitbild des souveränen Konsumenten zunehmend Abschied genommen wird (Hansen 1990, S. 581f.). Deskriptive Modelle zielen dagegen auf eine Beschreibung, Erklärung und Steuerung des realen Entscheidungsverhaltens von Konsumenten (Hofacker 1985, S. 1; Kroeber-Riel 1990, S. 397; Weinberg 1981, S. 11). Empirische Befunde zeigen, daß eine bewußte und überlegte (rationale) Produktauswahl nur in Ausnahmefällen zu erwarten ist (Kroeber-Riel 1990, S. 372; Weinberg 1981, S. 11). Darüber hinaus ist das Entscheidungsverhalten nachhaltig von emotionalen Vorgängen geprägt (Weinberg 1981, S. 22). Wie
38 Diese dichotome Klassifikation kann durch die Betrachtung präskriptiver Entscheidungsmodelle erweitert werden, die danach fragen, wie reale Menschen, im Gegensatz zu den idealtypischen der normativen Theorie, ihre Entscheidungseffizienz verbessern könnten (Bell et al. 1988; zur Entscheidungseffizienz Kuhlmann 1978). 39 Vgl. z.B. Hammann (1978) zum Grundmodell der normativen Entscheidungstheorie. Andere bekannte normative Ansätze wie das subjective expected utility- Modell (SEU) sind bei Bell et al. (1988) zu finden.
64
Β. Begriffliche und theoretische Grundlegungen
entscheidungsrelevante Informationen wahrgenommen und Emotionen erlebt werden und nach welchen Heuristiken Konsumenten ihre Entscheidungen tatsächlich treffen, ist somit Gegenstand der deskriptiven Richtung der Entscheidungsforschung. Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz zur Erklärung von Marktreaktionen ist der deskriptiven Entscheidungstheorie zuzuordnen. Normative Ansätze werden hier nicht weiter behandelt. Die Analyse individueller Kaufentscheidungen steht auch im Mittelpunkt der verhaltenswissenschaftlichen Analyse des Konsumentenverhaltens (Weinberg 1981, S. 11). Dazu sind Modelle entwickelt worden, die in Anlehnung an Topritzhofer (1974) oft in Strukturmodelle, stochastische Modelle und Simulationsmodelle eingeteilt werden. Strukturmodelle versuchen, das Zustandekommen von Kaufentscheidungen durch zwischen der Reizwahrnehmung und dem Verhalten intervenierende psychische Vorgänge zu erklären (Nieschlag et al. 1991, S. 136ff.; Kroeber-Riel 1990, S. 382). Je nach Komplexität der Modellstruktur werden Total- und Partialmodelle unterschieden. Zu den Totalmodellen gehört das klassische Phasenmodell von Engel et al. (1986) sowie das Modell von Howard und Sheth (1969). Partialmodelle richten sich auf Teilbereiche des Kaufverhaltens. Hier können die Einstellungsmodelle als Beispiel genannt werden. Die stochastischen Modelle versuchen, den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit folgende Zusammenhänge zwischen Input- und Outputgrößen herzustellen, ohne dazwischenliegende psychische Prozesse zu berücksichtigen. Simulationsmodelle kommen dann zum Einsatz, wenn mathematisch-analytische Ansätze nur mit Hilfe spezieller Computersimulationen umgesetzt werden können. Nach dieser Klassifikation handelt es sich bei dem dieser Arbeit zugrundegelegten Konzept der Marktreaktion um ein Partialmodell des Konsumentenverhaltens. Im weiteren Sinne umfaßt die Analyse von Kaufentscheidungen den gesamten Entscheidungsprozeß von der Problemwahrnehmung bis zum Zustandekommen der Wahlhandlung. Entscheidungen i.e.S. betreffen nur die Auswahl einer von mehreren Produktalternativen auf der letzten Entscheidungsstufe. Ein multiattributives Entscheidungsproblem liegt dann vor, wenn Konsumenten zwischen den Vor- und Nachteilen einzelner Produktalternativen abzuwägen haben, um eine Auswahl treffen zu können. Da Entscheidungssituationen in den meisten Fällen so beschaffen sind, setzen einschlägige Theorien zum Nachfrageverhalten wie die "Neue Nach-
III. Entscheidungstheoretische Grundlagen der Marktreaktion
65
fragetheorie" von Lancaster (1971) und die hedonische Preistheorie (Dichtl 1984; Weber 1986) eine multiattributive Produktbewertung voraus. Diese Annahme ist auch im vorgeschlagenen Modell der Marktreaktion aufgegriffen worden. Nach dem Informationsverarbeitungsansatz (information processing analysis) sind Entscheidungen durch die psychischen Prozesse der Informationswahrnehmung, Informationsverarbeitung und Informationsspeicherung gekennzeichnet (Weinberg 1981, S. 29). Untersucht wird, nach welchen Strategien Konsumenten Informationen über Produkte wahrnehmen und bewerten und nach welchen Entscheidungsregeln eine Auswahl getroffen wird (Bettman 1979; Grunert 1982; Hofacker 1985; Kuß 1987). Die Entscheidung wird hier als reines Problem der Informationsverarbeitung aufgefaßt, das sich auf die Bewertung kognitiver Produktattribute beschränkt. Attribute, über die im Entscheidungsprozeß Informationen herangezogen und bewertet werden, teilt man üblicherweise in intrinsische (stoffliche) und extrinsische (zugeordnete) Produkteigenschaften ein. Die Gesamtheit aller ein Produkt beschreibender Attribute (Merkmalsbündel) besteht allerdings nicht nur aus kognitiv erfaßbaren Merkmalen. Emotionale und soziale Attribute können vom Konsumenten erlebt werden und grundlegend das Entscheidungsverhalten mitbeeinflussen. Deshalb sollen Modelle zur Marktreaktion grundsätzlich auch Erlebnisqualitäten als Entscheidungskriterien zulassen. Zur Vereinfachung von Entscheidungen nutzen Konsumenten oft Attribute mit Indikatorcharakter, wie z.B. Preise, Markennamen und Testurteile, die auch als Schlüsselinformationen oder "chunks " bezeichnet werden (Bleicker 1983, S. 17f.). Auch in dieser Weise vereinfacht zustande gekommene Kaufentscheidungen müssen mit einem Modell der Marktreaktion kompatibel sein. Gemäß der obigen Definition ist es zur Analyse von Marktreaktionen zweckmäßig, Produktattribute in ressourcenabhängige (z.B. Preise und Beschaffungszeiten) und ressourcenunabhängige (z.B. Design und Farbe) zu unterteilen 40 . Entscheidungen werden mehr oder weniger bewußt bzw. mehr oder weniger kognitiv kontrolliert getroffen (Kroeber-Riel 1990, S. 373). Nach dem Grad der kognitiven Kontrolle können extensive, limitierte, habituelle und impulsive Kaufentscheidungen (Entscheidungstypologien) betrachtet
4 0
Vgl. Kapitel B.I.
5 Baldeijahn
66
Β. Begriffliche und theoretische Grundlegungen
werden {Hansen 1990, S. l l l f f . ; Kroeber-Riel 1990, S. 386ff.; Weinberg 1981). Extensive Entscheidungen kommen dem Rationalitätsprinzip am nächsten. Hierzu informiert sich der Konsument über möglichst viele Alternativen und wägt zwischen ihnen entsprechend seinen Zielen sorgfältig ab. Bei limitierten Entscheidungen bezieht sich die Informationssuche und Bewertung nur auf eine relativ begrenzte Anzahl schon bekannter Produkte: auf das Alternativenset. Gewohnheitsverhalten zeichnet sich dadurch aus, daß wiederkehrend auf gleiche Produkte zurückgegriffen und auf erneute Produktbewertungen weitgehend verzichtet wird. Impulsive Entscheidungen erfolgen reizgesteuert und sind situationsbedingt. Der Informationsverarbeitungsansatz eignet sich besser zur Analyse extensiver und limitierter Entscheidungen und weniger zur Analyse des habituellen und impulsiven Entscheidungsverhaltens. Demgegenüber sollen Modelle zur Marktreaktion grundsätzlich für alle Kaufentscheidungstypen geeignet sein. Der Prozeß der Kaufentscheidung kann in die Phasen Produktwahrnehmung, Produktbewertung und Produktauswahl eingeteilt werden. Idealtypische Strategien der Informationsaufnahme im Rahmen eines multiattributiven Entscheidungsproblems ist das alternativen- und das attributweise Vorgehen sowie der Paarvergleich. Nach der alternativenweisen Strategie der Informationsaufnahme nimmt der Konsument alle relevanten Merkmale der Marken auf, bewertet sie und vergleicht daraufhin die Marken untereinander. Bei der attributweisen Strategie werden die Produkte nacheinander anhand einzelner Merkmale miteinander verglichen. Der Paarvergleich kann als Spezialfall attributweisen Vorgehens im Falle der Auswahl zwischen zwei Alternativen aufgefaßt werden {Hofacker 1985, S. 48). Welche Informationsstrategie die Konsumenten verfolgen, wird in dem vorgeschlagenen Modell der Marktreaktion nicht hinterfragt. Ausgangspunkt sind die subjektiv wahrgenommenen Produktattribute. Die Produktbewertung schlägt sich in den zur Anwendung kommenden Entscheidungsregeln nieder. Entscheidungsregeln bilden den Prozeß der Informationsverarbeitung bei Auswahlentscheidungen ab und können somit als deren verhaltensanaloge Abbilder interpretiert werden {Hofacker 1985, S. 59). Je nachdem, wie Einzelbewertungen von Attributen zu einem Gesamturteil zusammengefaßt werden, spricht man von kompensatorischen oder nicht-kompensatorischen Entscheidungsregeln bzw. -modellen. Bei den kompensatorischen Modellen gibt es im Unterschied zu den nicht-kompen-
III. Entscheidungstheoretische Grundlagen der Marktreaktion
67
satorischen Modellen keine Hierarchie nach der Wichtigkeit unter den Produktattributen. Negative Einzeleindrücke können durch positivere Eindrücke von anderen Attributen aufgewogen (kompensiert) werden (Trommsdorff 1989, S. 125). Auch das in den mikroökonomischen Theorien dominierende Entscheidungskriterium der Nutzenmaximierung setzt eine kompensatorische Modellstruktur voraus. Danach ist der Nutzen ein Index der Attraktivität und ergibt sich als Funktion einzelner Produktmerkmale (Ben-Akiva/Lerman 1985, S. 37). Nach dieser Regel wählt ein Konsument die Alternative mit dem höchsten subjektiven Nutzen aus. Die Anwendung kompensatorischer Modelle ist aber bei Vorliegen ressourcenabhängiger Attribute problematisch. Ein hoher, vom Käufer nicht aufzubringender Produktpreis kann im "kompensatorischen Modell" z.B. durch ein besonders herausragendes Design (ressourcenunabhängiges Attribut) kompensiert werden. In diesem Fall würde man unzutreffend ein Kauf dieses Produktes vorhersagen. Hier können nicht-kompensatorische Entscheidungsheuristiken einen besseren Dienst leisten. So werden nach der konjunktiven Regel oder dem attributweisen Eliminationsverfahren ( U j k > für alle j e A k ) . ik Vgl. Kapitel B.II.l.
136
E. Das diskrete Entscheidungsmodell zur Analyse von Marktreaktionen
Spezifikation der deterministischen Nutzenkomponente Für die deterministische Komponente wird ein additives, in den Parametern lineares, Nutzenmodell gemäß der Gleichung 5.12 unterstellt ( 0.10 (n.s.) ρ < 0.05
n.s.: nicht signifikant Tabelle 6a: Schätzwerte für den generischen Preisparameter
Die alternativenspezifischen Präferenzparameter μ . sind der Tabelle 6b zu entnehmen. In ihnen kommen wahrgenommene Qualitäts- und Imageunterschiede zwischen den PC-Marken zur Geltung. In allen Nutzenmodellen stimmt die Präferenzordnung der PC-Marken bezüglich der nichtpreislichen, ressourcenneutralen Komponente überein. Die ZßM-Marke genießt mit großem Abstand die höchste Wertschätzung, gefolgt von HIGHSCREEN, TANDON und COMPAQ. Der COMMODORE- PC weist durchgehend die geringsten Präferenzwerte auf. Im Modell D, das nach diesen Ergebnissen die klarste Präferenzstruktur aufweist, ist allerdings der Nutzenunterschied zwischen dem TANDON und dem COMPAQ nicht signifikant. In der Präferenzordnung, die für das nicht-
ist die Standardabweichung der jeweiligen Preisgröße p*. 13 Baiderjahn
194
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
lineare Nutzenmodell D in Abbildung 19 graphisch dargestellt ist, schlägt sich im wesentlichen das unterschiedliche Markenimage nieder, da sich die ausgewählten Personalcomputer in ihren Leistungsmerkmalen kaum voneinander unterscheiden (vgl. Abbildung 18).
Nutzenmodell A: B: C: D: E:
COMPAQ
COMMODORE
-.270 -.325 -.582 -.913 -1.313
HIGHSCREEN
-1.100* -1.145** -1.231** -1.322** -1.415*
2.018* 1.986** 1.705** 1.322** 1.010
Die Werte geben die Nutzendifferenzen zum T A N D O N an *
10% Signifikanzniveau
**
5% Signifikanzniveau
Tabelle 6b: Schätzwerte für die alternativenspezifischen Parameter
—
IBM
CD
—
HIGHSCREEN
cö
—
TANDON
— —
COMPAQ COMMODORE
ixi CD
A3
lev
Abbildung 19: Markenpräferenzordnung zwischen den PC
IBM
4.242 5.329* 5.722* 5.467** 5.479*
195
II. Analyse individueller Daten
Die empirisch geschätzten Verläufe der Nutzenfunktionen für das lineare Modell A sowie für die beiden nicht-linearen Modelle D und E können der Abbildung 20 entnommen werden. Genauer genommen, zeigt die Abbildung 20 nur die Wirkung des Preises im Nutzenmodell, d.h., es liegt eine Darstellung des Anti-Präferenzmodells vor . Für den TANDON-VC, die Referenzmarke, ist das Nutzen- und das Anti-Präferenzmodell allerdings identisch, da die Präferenzkomponente ß T A N D O N dieser Marke aus Identifikationsgründen auf Null fixiert wurde. Die Nutzenverläufe der anderen PC-Marken sind im Vergleich zu den abgebildeten mehr oder weniger stark in die eine oder andere Richtung parallel verschoben.
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell A
Nutzenmodell D
- Nutzenmodell E
Abbildung 20: Alternative Nutzenfunktionen für den TANDON
Zur Interpretation der Verläufe in Abbildung 20 ist zu beachten, daß der Nutzen keine natürliche Maßeinheit besitzt. Die jeweiligen Nutzenwerte können deshalb nicht direkt interpretiert werden. Für die Kauf- bzw. Entscheidungswahrscheinlichkeiten sind folgerichtig auch nicht die absoluten Werte, sondern lediglich die Nutzendifferenzen zwischen
Vgl. Kapitel
.I..
196
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen ο
alternativen Marktangeboten relevant . Die Nutzenmodelle D und E weisen approximativ einen ähnlichen Verlauf auf. Produktpreise bis zu ca. D M 6000,- wirken nur relativ schwach auf den Produktnutzen. Erst bei höheren Preisen macht sich die Budgetrestriktion in Form wachsender Geldnutzenraten unübersehbar bemerkbar. Der Preis von D M 6000,-- kann als der Betrag interpretiert werden, den im Durchschnitt die befragten Studenten maximal für einen Personalcomputer auszugeben bereit bzw. in der Lage sind. Die Budgetrestriktion kommt im Nutzenmodell D dadurch zum Tragen, daß der marginale Geldnutzen stetig und überproportional schneller ansteigt als der Produktpreis. Dagegen spezifiziert das Preisschwellenmodell E zwei konstante Nutzenraten des Geldes: eine relativ schwache Rate bis zum Produktpreis von D M 6000,- und eine deutlich kräftigere bei Preisen darüber hinaus. Die Nutzenfunktion des linearen Modells A unterscheidet sich dagegen recht stark von denen der nichtlinearen Modelle D und E: In den unteren Preislagen wird die marginale Nutzenrate des Geldes überschätzt und in den höheren Preislagen unterschätzt.
3. Ableitung von Preisresponsefunktionen a) Analyse direkter Preiswirkungen Die individuellen Kauf- bzw. Entscheidungswahrscheinlichkeiten P. ergeben sich unter den Angebotsbedingungen p c für das vorliegende Nutzenmodell gemäß Gleichung 6.18
P i c = exp(Mi - ß p * i c ) /
^exp(Mrßp*jc)
(6.18)
und gelten für alle Studenten der Stichprobe gleichermaßen 54 .
^ Die Responsewahrscheinlichkeiten
P.^ sind nach dem konditionalen
Logitmodell
invariant gegenüber linearen Transformationen der Nutzenwerte (Ben-Akiva/Lerman
61). 54
Vgl. auch Gleichung 5.16.
1985, S.
II. Analyse individueller Daten
197
Wie in Kapitel B.II.l.b) ausgeführt wurde, kann der Marktanteil m j c , der sich für eine Marke i unter der Angebotssituation p c ergibt, in einem homogenen Nachfragersegment durch die Wahrscheinlichkeit P- c geschätzt werden (Cooper/Nakanishi 1988, S. 26). Da diese Studie nicht alle am Markt angebotenen PC-Marken der mittleren Leistungsklasse berücksichtigt, beziehen sich die geschätzten Marktanteile auf die Aufteilung des auf diese fünf Personalcomputer insgesamt entfallenden Marktvolumens. Es handelt sich deshalb um die Schätzung relativer Marktanteile. Zur Ermittlung absoluter Marktanteile müssen die relativen Marktanteilsschätzungen mit dem Marktanteil, den diese fünf PC insgesamt auf sich vereinigen, gewichtet werden. Marktanteil
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell A
Nutzenmodell D
-
Nutzenmodell E
Abbildung 21: Empirisch abgeleitete Preisresponsefunktionen für TANDON
Die aus den Nutzenmodellen der Abbildung 20 abgeleiteten Preisresponsefunktionen sind für den TANDON unter ceteris paribus PreisBedingungen in der Abbildung 21 dargestellt. Die beiden Funktionen der nicht-linearen Nutzenmodelle D und E weichen bei Preisen um D M 6000,stärker voneinander ab; in dem für den TANDON relevanten Preisbereich von D M 4000,-- bis D M 5000,-- sind die Verläufe aber nahezu identisch. Nach der Preisresponsefunktion von Nutzenmodell D fällt der Marktanteil
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
198
mit steigenden Preisen über proportional ab 5 5 . In diesem Verlauf drückt sich die in der Modellspezifikation verankerte Budgetrestriktion aus. Eine grundsätzlich ähnliche Aussage liefert auch das Preisschwellenmodell E. Dieses Modell entspricht vom Verlaufstyp her dem rechten Teil der Gutenbergschen, doppelt gekrümmten Preisabsatzfunktion. Auch ein sehr geringer Preis führt nicht dazu, daß alle PC-Interessenten sich für den TANDON entscheiden, was ebenfalls den Preisresponsefunktionen der Modelle D und E entnommen werden kann. Ausgeprägte Markenpräferenzen zu anderen Konkurrenzmarken und Qualitätsvorbehalte wegen eines zu geringen Preises können als Ursache dafür in Frage kommen. Insofern erfassen die Preisspezifikationen in den beiden Nutzenmodellen D und E nicht nur die Allokations-, sondern auch die Qualitätsindikatorfunktion des Preises. Beide Preisfunktionen können als die zwei Seiten einer Medaille aufgefaßt werden: Höherpreisige Produkte beanspruchen einerseits hohe finanzielle Mittel die aufgebracht werden müssen (Wirkung der Budgetrestriktion), anderseits sind mit ihrem Kauf auch höhere Risiken verbunden (Preis als Risikoindikator). Dieses realitätsnahe und plausible Ergebnis wird von der Funktion des linearen Nutzenmodells A nicht gestützt. Danach steigt die Nachfrage nach TANDON ungebremst mit fallenden Preisen an. Dieses Modell, das den Preis als Opportunitätskostenindikator spezifiziert, überschätzt die Preiswirkung im unteren Preisbereich und unterschätzt sie im oberen Preisbereich. In der Literatur wird oft der Vorschlag gemacht, den Einfluß von Preisen konkurrierender Marken auf den Marktanteil des eigenen Produktes anhand eines marktanteilsgewichteten Durchschnittspreises zu analysieren (Diller 1991, S. 67; Simon 1989, S. 21) 5 6 . Der Vorzug dieser Vorgehensweise, die Angebotskomplexität zu reduzieren, wird m. E. durch den Verlust wichtiger Informationen relativiert. Die Wettbewerbsintensitäten können zu den
5
Bei Preisen über D M 7000,- schwächt sich der Preiseinfluß allerdings wieder ab. Dies ist
aber ein methodisches Artefakt, weil der verwendete Funktionstyp grundsätzlich logistisch ist. Bei der Anwendung dieser Analyse ist immer darauf zu achten, daß nur Kurvenbereiche interpretiert werden sollten, die noch realistische und glaubwürdige Marktbedingungen abbilden. Ein Preis von D M 7000,- für den TANDON ist aber mit dem zur Zeit der Befragung herrschenden Preisgefüge nicht zu vereinbaren. 5 6
Vgl. auch Kapitel B.II.2.a) dieser Arbeit.
199
II. Analyse individueller Daten
einzelnen Mitanbietern am Markt sehr unterschiedlich sein. Eine informativere und handlungseffizientere Analyse der Wettbewerbsstruktur erfordert deshalb, daß alle Einzelpreise berücksichtigt werden. I m folgenden wird gezeigt, daß dies ohne größere Probleme möglich ist. Die Grundlage der Wirkungsanalyse von Konkurrenzpreisänderungen bildet eine Definition der Angebotssituation c durch einen Preisvektor p c = { p i c } . Dieser Vektor enthält den Preis der eigenen Marke sowie die aller Konkurrenzangebote.
b) Analyse von Konkurrenzpreisänderungen Die empirisch geschätzten Preisresponsefunktionen gelten nur ceteris paribus , d.h. bei Konstanz aller Preise der Mitanbieter. Die Abhängigkeit der individuellen Kaufwahrscheinlichkeit bzw. des Marktanteils von den Konkurrenzpreisen wird durch die Festlegung der Angebotsbedingungen im Vektor p c erfaßt. Wenn sich der Preis auch nur eines Konkurrenzproduktes ändert, hat das Auswirkungen auf den Marktanteil der eigenen Marke. Die Abbildungen 22a (lineares Nutzenmodell A ) und 22b (nicht-lineares Nutzenmodell D) zeigen exemplarisch, wie sich der Marktanteil für den TANDON-FC verändert, wenn der IBM-FC D M 700,- unter bzw. über dem ehemaligen Durchschnittspreis von D M 8900,- angeboten wird.
Marktanteil
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell A IBM-Preis: 8900,-
IBM-Preis: 8200,-
- IBM-Preis: 9600,-
Abbildung 22a: Preisresponsefunktionen für TANDON bei alternativen IBM-Preisen: Nutzenmodell A
200
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
Marktanteil
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell D IBM-Preis: 8900,-
IBM-Preis: 8200,-
- - - IBM-Preis: 9600,-
Abbildung 22b: Preisresponsefunktionen für TANDON bei alternativen IBM-Preisen: Nutzenmodell D
Bei Gültigkeit des linearen Nutzenmodells hat die Preiserhöhung eines Mitanbieters die gleiche, aber entgegengesetzte Wirkung wie die einer gleichhohen Preisreduktion. Es liegt also eine symmetrische Konkurrenzpreiswirkung vor (vgl. Abbildung 22a). Demgegenüber ist beim nichtlinearen Nutzenmodell D eine ausgeprägte asymmetrische Konkurrenzpreiswirkung zu erkennen: Durch eine Preisreduktion von IBM würde TANDON relativ mehr Marktanteile bzw. Käufer verlieren (überproportionaler Marktanteilsverlust) als TANDON an Marktanteilen bzw. potentiellen IBM-Käufern durch eine Preiserhöhung bei IBM gewinnen würde (unterproportionaler Marktanteilsgewinn). Bei einem TANDON-Freis von D M 4500,- reduziert sich der geschätzte Marktanteil von TANDON um ca. 15.0% (von 32.8% auf 17.8%), wenn der IBM-PC D M 700,- unter dem Normalpreis von D M 8900,- angeboten wird (vgl. Abbildung 22b). Bei einer Preiserhöhung von IBM um DM700,- erhöht sich demgegenüber der Marktanteil von TANDON nur um ca. 8.7% auf 41.5%. Diese ungleiche Wirkung von Preisänderungen läßt sich zum einen durch die Allokationsfunktion des Preises erklären. IBM verliert bei einer Preiserhöhung, da nur potentielle ZßM-Käufer betroffen sind, relativ weniger Kunden, von denen
II. Analyse individueller Daten
201
dann einige den TANDON kaufen, als IBM bei Reduktion seiner Preise von der Konkurrenz hinzugewinnen kann. Denn durch einen niedrigeren Preis wird der IBM-PC für viele der 7MM)CW-Interessenten erschwinglich, die vorher, trotz der besseren Qualitätseigenschaften, auf ihn haben verzichten müssen. Abbildung 22c stellt diesen Zusammenhang schematisch dar. Die Dreiecksfläche oberhalb der Preislinie repräsentiert darin die Anzahl potentieller PC-Käufer in Abhängigkeit des Preises. Je höher der zu zahlende Preis für einen Personalcomputer ist, desto weniger Konsumenten werden zum Kauf bereit sein. Der Verlust an Käufern durch eine Preiserhöhung fällt geringer aus als der Gewinn an Käufern durch eine entsprechende Preisreduzierung.
Käufergewinn durch Preisreduktion
^ ^
> ^ ^
Käuferverlust durch Preiserhöhung
Abbildung 22c: Käuferdreieck zur asymmetrischen Preiswirkung
Ein ergänzender verhaltenswissenschaftlicher Erklärungsansatz für diese Wirkungsasymmetrie von Konkurrenzpreisänderungen betrifft das Markenwechselverhalten von Konsumenten. Danach wechseln Konsumenten eher zu einer, im Vergleich zur bisher genutzten Marke, teureren als zu einer billigeren Alternative (Kamakura/Russel 1989, S. 384). Nach dieser
202
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
Hypothese kann auch bei den 7MM)CW-Kunden eine latente ΙΒΜ-Οήεηtierung unterstellt werden, die zum Kauf führt, wenn der Preis aufgebracht werden kann. Wegen der konstanten Nutzenrate des Geldes tritt dieser asymmetrische Effekt nicht im linearen Modell auf. Hiernach werden in Abhängigkeit des jeweiligen 7>lAfZ>CW-Preises immer gleich viele Kunden durch Preisänderungen bei IBM gewonnen bzw. verloren (proportionale Marktanteilsänderungen). Sowohl im linearen als auch im nicht-linearen Nutzenmodell sinken die Marktanteilseffekte durch Konkurrenzpreisänderungen mit steigenden 7M7VZ)CW-Preisen. Das liegt einerseits daran, daß bei relativ hohen Preisen für den TANDON die Attraktivität dieses PCs auch bei den Kunden gering ist, die wegen seines zu hohen Preis, den TßM-Personalcomputer nicht mehr kaufen. Andererseits können bei einem hohen Preisniveau wegen des geringen Marktanteils auch nur relativ wenige Kunden von TANDON zu IBM wechseln, wenn IBM günstiger anbietet. Auch diese Zusammenhänge können im Käuferdreieck der Abbildung 22c dargestellt werden: Je höher der Preis eines PCs ist, desto geringer fallen auch die Anteile hinzugewonnener bzw. verlorener Kunden bei Preisänderungen aus (vgl. Abbildung 22d).
Abbildung 22d: Käuferdreieck zur Preiswirkung bei unterschiedlichem Preisniveau
II. Analyse individueller Daten
203
Die Abbildungen 22a und 22b stellen die Wirkungen diskreter Preissprünge bei IBM auf den 7>1M)CW-Marktanteil in Abhängigkeit des Preises für den Personalcomputer von TANDON dar. Die folgende Abbildung 23 zeigt, wie sich der Marktanteil von TANDON bei einem festen Preis von D M 4.650,- für stetige Preisänderungen des ZBM-PCs im Preisbereich von D M 8.000,- bis D M 10.000,- ändert. Die oben getroffenen Aussagen zum asymmetrischen Wirkungsmechanismus werden durch diese Graphik gestützt. Mit fallenden IBM-Preisen reduziert sich der 7MM)CW-Marktanteil überproportional .
Marktanteil für TANDON
Preis für IBM in DM Abbildung 23: Die Wirkung von /ZM/-Preisänderungen auf den Marktanteil von TANDON
Zusammenfassend zeigt Abbildung 24 die geschätzte Marktaufteilung zwischen den fünf konkurrierenden Personalcomputern bei unterschiedlichen Preisen von TANDON. Es ist gut zu erkennen, daß die meisten potentiellen TANDON-Käufer mit steigenden Preisen dieser Marke zum 57 Diese Tendenz schwächt sich allerdings wegen des logistischen Kurvenverlaufs für Preise deutlich unter D M 8000,- wieder ab. Solche Preisforderungen waren zum Zeitpunkt der Erhebung allerdings sehr unrealistisch und hätten ein ganz neues Konkurrenzgefüge etabliert (vgl. Fußnote 29). Außer als methodisches Artefakt, könnte der abnehmende Preiseinfluß bei Preisen unter D M 8000,- durch zunehmende Qualitätsvorbehalte gegenüber der IBM-Marke erklärt werden.
204
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
höherpreisigen HIGHSCREEN-YC wechseln. In dem dargestellten Preisbereich erhöht sich der HIGHSCREEN-Marktanteil um 18,2% (von 37,5% auf 55,7%), während IBM 7,1%, COMMODORE 3,2% und COMPAQ nur 2,3% zulegen können. Diese Ergebnisse bestätigen in differenzierter Weise die obige Hypothese zum Markenwechselverhalten. Die beiden teuersten Marken in der Untersuchung, IBM und HIGHSCREEN, erfahren die größten Marktanteilsgewinne. Wegen des relativ hohen Preises von IBM fällt hier der Marktanteilszuwachs im Vergleich zu HIGHSCREEN allerdings deutlich geringer aus. 100%
Marktanteil
80% 60% 40% 20% 0% 4.000
5.000
6.000
7.000
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell D
EU
TANDON
1H l
COMPAQ
HIGHSCREEN
Im
IBM
Em
COMMODORE
Abbildung 24: Marktaufteilung bei unterschiedlichen T/4M)CW-Preisen
4. Ableitung von Preiselastizitäten a) Grundlagen Die Preiselastizität der Nachfrage (sales-volume elasticity) gibt die prozentuale Veränderung des Absatzes einer Marke bei einer einprozentigen Preisänderung dieser Marke (direkte Elastizität) bzw. einer Konkur-
205
II. Analyse individueller Daten
renzmarke (Kreuzpreiselastizität) an (Diller 1991, S. 66). In dem hier vorgeschlagenen allgemeinen Konzept der Marktreaktion von Konsumenten, das mit der diskreten Entscheidungsanalyse eine präzise Operationalisierung erfährt, steht nicht die Betrachtung der relativen Wirkung des Preises auf den Absatz, sondern die relative Wirkung dieser Größe auf individuelle Kaufwahrscheinlichkeiten bzw. auf den Marktanteils einer Marke im CO
Vordergrund . Aus diesem Grund werden hier Preiselastizitäten der Kaufwahrscheinlichkeit und des Marktanteils (share elasticities ) empirisch ermittelt. Diese Kenngrößen geben an, um wieviel Prozent sich die Kaufwahrscheinlichkeit bzw. der Marktanteil eines Angebotes ändert, wenn sich der Preis dieser Marke oder der Preis einer konkurrierenden Marke um 1% ändert. In Kapitel B.II.2.a) dieser Arbeit ist mit der Gleichung 2.15 auf den Zusammenhang zwischen der Preiselastizität der Nachfrage e . und der Preiselastizität des Marktanteils € m · hingewiesen worden. In gesättigten Märkten sind beide Größen nahezu identisch. Die empirische Ableitung von Elastizitätskennziffern ist eines der wichtigsten Beiträge einer quantitativen Analyse von Marktreaktionen (Cooper/Nakanishi 1988, S. 33). Diese Größen liefern nützliche Informationen über die Wirkung von marketingpolitischen Instrumenten, in unserem Fall über die relative Wirkung von Produktpreisen. Angesichts der Probleme, die mit einer empirischen Ermittlung von Preisresponsefunktionen zu lösen sind, wird in der Praxis oft auf Elastizitäten zurückgegriffen (Nieschlag et al. 1991, S. 326). Sie bieten sich auch als Kriterien einer effizienten Marktsegmentierung an (Simon 1982, S. 365f.) Die direkte Preiselastizität der Wahrscheinlichkeit Ρ. , daß in einem ic'
homogenen Nachfragersegment Marke i unter der Marktbedingung c gekauft wird, ist durch Gleichung 6.19a definiert
€
Pic.i = e Pic.i =
(dPic/Pic):(dPic/Pic) ( d V d Pic) (Pic/pic)
und die Kreuzpreiselastizität von P. durch Gleichung 6.19b. CO
Vgl. auch Kapitel B.II.l.b).
(619a)
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
206 e e
Pic.j = ( d P i c / P i c > : ( d P j c / P j c > dP d p P i , j = ( ic/ Pjc) (Pjc/ ic)
(
6 1 9 b
)
Im folgenden werden zuerst die direkten Preiselastizitäten und danach die Kreuzpreiselastizitäten jeweils getrennt für homogene und heterogene Nachfragerpopulationen empirisch abgeleitet und graphisch dargestellt 59 .
b) Ableitung direkter Preiselastizitäten Homogene Nachfragerpopulation Elastizitäten können für homogene und heterogene Nachfragerpopulationen abgeleitet werden. Wie oben ausgeführt wurde, ist ein Marktsegment dann homogen, wenn für alle Nachfrager die Kaufwahrscheinlichkeiten bei gleichen Angebots- bzw. Preisbedingungen identisch sind. Ist das nicht der Fall, so liegt eine heterogene Population von Konsumenten vor. A u f den Preis bezogen heißt das, daß, auch wenn alle Konsumenten für die einzelnen Personalcomputer die gleichen Preise bezahlen müssen, mindestens zwei Gruppen mit unterschiedlichen Kaufwahrscheinlichkeiten in diesem Segment identifiziert werden können. Im Unterschied zu homogenen Nachfragerpopulationen beeinflussen in heterogenen Segmenten persönliche Merkmale der Konsumenten systematisch die Preisresponse. Zuerst werden hier die Preiselastizitätsfunktionen für homogene Nachfragersegmente empirisch ermittelt. Aus der allgemeinen Definitionsgleichung 6.19a können für das konditionale Logitmodell einfachere Formeln zur Berechnung der direkten Preiselastizitäten abgeleitet werden, die allerdings von der Spezifikation des Nutzenmodells abhängig sind. Für das lineare Nutzenmodell A ergibt sich die Preiselastizität der Kauf- bzw. Entscheidungswahrscheinlichkeit P i c gemäß Gleichung 6.20a €
Pic.i =
ß
l
Pie I 1 - Pic(Pic)]
und für das nicht-lineare Nutzenmodell D gilt:
Vgl. Kapitel
.II..
(6-20a)
207
II. Analyse individueller Daten
(6.20b)
^Pic.i^ßnlPik4!1-^)]
(Ben-Akiva/Lerman 1985, S. U l f . ; Cooper /Nakanishi 1988, S. 34) 6 0 . Da die Population homogen ist, gelten diese Formeln gleichzeitig für die Preiselastizität des Marktanteils e ^ . mie
Nach Gleichung 6.20a und 6.20b wächst die Preiselastizität mit steigendem Preis und fallender Kaufwahrscheinlichkeit bzw. mit fallendem Marktanteil. Je höher P. bzw. m. einer Marke ist, desto unelastischer fällt die IC
IC
'
Reaktion auf Preisänderungen aus. Diese Systematik läßt sich plausibel dadurch erklären, daß es mit zunehmendem Marktanteil immer schwieriger wird, weitere Marktanteile zu gewinnen. Da die Preiselastizitäten vom Marktanteil abhängig sind, müssen diese bei Elastizitätsschätzungen auch unbedingt berücksichtigt werden 61 .
Preis für TANDON in DM Abbildung 25: Homogene Preiselastizität des Marktanteils für TANDON
^ Um darauf hinzuweisen, daß es sich in den Formeln 6.20a und 6.20b nicht um denselben Preisparameter handelt, ist die Bezeichnung ßj und ß ^ gewählt worden (vgl. Tabelle 6a). Dieser Tatbestand spricht auch gegen die Verwendung multiplikativer Marktresponsemodelle, die konstante Elastizitäten voraussetzen (Cooper/Nakanishi
1988, S. 33).
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
208
Die Ergebnisse der empirischen Bestimmung direkter Preiselastizitäten des Marktanteils für homogene Konsumentensegmente sind exemplarisch für den TANDON- Personalcomputer auf Basis der Nutzenmodelle A und D in Abbildung 25 graphisch dargestellt. In dem abgebildeten Preisbereich werden die Preiselastizitäten nach dem Nutzenmodell D deutlich geringer geschätzt als diejenigen, die sich nach dem linearen Nutzenmodell A ergeben. Danach reagiert der Marktanteil von TANDON auf der Grundlage von Nutzenmodell D bis zu einem Preis von ca. D M 4300,- relativ unelastisch, während nach dem linearen Nutzenmodell durchgängig eine elastische Nachfragereaktion prognostiziert wird. Unabhängig vom Nutzenmodell wächst die Preiselastizität mit steigenden Preisen. ο
Preiselastizität des Marktanteils
-0,5 -1
-1,5 -2
-2,5 4.000
4.200
4.400
4.600
4.800
5.000
Preis für TANDON in DM Nutzenmodell D IBM-Preis: 8.200,-
IBM-Preis: 9.600,-
IBM-Preis: 8.900,-
Abbildung 26: Preiselastizitätsfunktionen für TANDON bei alternativen IBM-Preisen im homogenen Nachfragersegment
Selbstverständlich sind auch die Preiselastizitäten nur unter konstanten Angebotsbedingungen gültig. Die ceteris paribus Klausel ist hier durch die Preisbedingung p c berücksichtigt, durch die die Preise der Konkurrenzprodukte festgelegt sind. Verändern sich Preise der Kaufalternativen, so verändern sich auch die Preiselastizitäten. Wie die Preiselastizitäten für den 7M7VDCW-Marktanteil nach dem Nutzenmodell D auf Preisänderungen von IBM reagieren, ist der Abbildung 26 zu entnehmen. Mit steigendem IBM-
209
II. Analyse individueller Daten
Preis reduzieren sich die Elastizitäten (Preisreaktion wird unelastischer) und mit fallenden /5Af-Preisen erhöhen sie sich (Preisreaktion wird elastischer). Es findet eine Art Parallelverschiebung der Kurven statt. Preiserhöhungen von IBM machen die Nachfrage von TANDON unelastischer, da der IBM-?C für immer weniger Konsumenten als mögliche Alternative in Frage kommt. Preissenkungen dagegen erhöhen den Wettbewerb zwischen beiden Marken, und die Nachfrage nach TANDON wird elastischer. Die schon oben festgestellte Wirkungsasymmetrie wird auch in dieser Graphik deutlich: Ein Preisanstieg bei IBM um D M 700,- macht die Nachfrage nach TANDON relativ weniger unelastisch als sie bei einer Preisreduktion um D M 700,- elastischer wird.
PC-MARKEN
TANDON COMPAQ COMMOHIGHIBM DORÈ SCREEN
DURCHSCHNITTSPREIS I N D M
4600.-
6000.-
5000.-
6200,-
8900,-
A
-3.55
-6.47
-5.29
-4.28
- 8.40
D
-1.29
-5.21
-2.46
-3.75
-22.42
E
-0.74
-1.32
-1.09
-1.07
- 6.05
NUTZENFUNKTIONEN
Tabelle 7: Preiselastizitäten bei Durchschnittspreisen
Der Tabelle 7 können die direkten homogenen Preiselastizitäten des Marktanteils zu Durchschnittspreisen entnommen werden. Das stückweiselineare Preisschwellenmodell E liefert durchgängig die niedrigsten Elastizitätsschätzungen. Der höchste Wert ergibt sich mit -22.42 für den IBM-PC im Nutzenmodell D. 14 Baldeijahn
F. Empirische Ableitung von Preisresponsefunktionen
210
Heterogene Populationen In heterogenen Populationen sind die Responsewahrscheinlichkeiten von individuellen Merkmalen der Konsumenten abhängig. I m Extremfall sind alle individuellen Kaufwahrscheinlichkeiten bei identischen Angebotsbedingungen verschieden. Das Reaktionsverhalten in heterogenen Populationen kann durch aggregierte Elastizitätsfunktionen abgebildet werden. Aggregierte Elastizitäten geben an, wie sich der erwartete Marktanteil einer Produktalternative ändert, wenn sich der Preis für alle Nachfrager einer heterogenen Population um 1% ändert (Ben-Akiva/Lerman 1985, S. 113). Die durchschnittliche Kaufwahrscheinlichkeit R einer Marke i ergibt sich aus Gleichung 6.21.
Pi = (1/K)
Κ Σ P.ik' k=l
(6.21)
Dieser Wert entspricht dann dem erwarteten Marktanteil mj, wenn die individuellen Kaufwahrscheinlichkeiten nicht mit den durchschnittlichen Kauffrequenzen korrelieren (Cooper /Nakanishi 1988, S. 43; Kapitel B.II.l.b) dieser Arbeit). Es ist allerdings kaum zu erwarten, daß diese beiden Größen miteinander korrelieren, da Personalcomputer nur in größeren Abständen gekauft werden. Aggregierte Preiselastizitäten €p.. in heterogenen Populationen berechnen sich aus den gewichteten individuellen Elastizitäten € p i k i gemäß Gleichung 6.22 (Ben-Akiva/Lerman 1985, S. 113).
:
Pi.i
=
(
κ Σ k =f i k
e
Κ : Pik.i) / kΣ Pik
(6.22)
Werden die Gleichungen 6.20a bzw. 6.20b, die jetzt die Berechnung individueller Preiselastizitäten beinhalten, in Gleichung 6.22 eingesetzt, so können daraus die aggregierten Elastizitäten für das lineare Nutzenmodell A (Gleichung 6.23a)
II. Analyse individueller Daten
€p.. = [ß, / (K Pj)]
[ j s P i k (1-Pik)
211
Püc
]
(6.23a)
und für das nicht-lineare Nutzenmodell D (Gleichung 6.23b)
e
FU = t4 ßnl / l i k * .
Analysen des Modells mit den Schwellenwerten von = 5 km und l i k * = 10 km erbringen allerdings auch keine signifikante Verbesserung der 31
In Kapitel G.II.3.b) wird diese Hypothese noch einmal aufgegriffen.
16 Baiderjahn
. Empirische Ableitung von
242
eiresponsefunktionen
Ergebnisse im Vergleich zum linearen Nutzenmodell. So ist der Weg zwar nur für das Fahrrad ein relevantes Entscheidungskriterium, steigende Disnutzenraten oder Schwellenwerte, die den Ressourcenbezug dieser Größe widerspiegeln würden, können hier empirisch nicht nachgewiesen werden. Zusammengefaßt kann somit festgestellt werden, daß der Weg beim Fahrrad zwar Opportunitätskosten im Sinne eingesetzter physischer Kraft und entgangener Bequemlichkeit verursacht, auer nicht als Indikator knapper Ressourcen wahrgenommen wird.
bb) Spezifikation der Fahrzeit In dem ersten Modell, das die subjektive Fahrzeit als generisches Attribut spezifiziert, beeinflußt diese Größe hoch signifikant die Entscheidung zwischen den drei Verkehrsmitteln Pkw, ÖPNV und Fahrrad. Die Hypothese, daß die Fahrzeiten in Abhängigkeit vom Verkehrsmittel unterschiedlich wirken (alternativenspezifische Fahrzeiten) konnte allerdings bei einem C/i/^-Differenzwert von 4.91 mit 2 Freiheitsgraden auf dem 10%-Signifikanzniveau nicht zurückgewiesen werden . Danach ist die Zeit als Entscheidungsdeterminante beim Auto am wichtigsten, gefolgt vom ÖPNV und relativ gesehen am unwichtigsten beim Fahrrad. Wegen der geringen und nur schwach signifikanten Wirkungsunterschiede der Fahrzeit sowie aus Gründen der Modellsparsamkeit (model parsimony) soll hier weiterhin die Fahrzeit als generic spezifiziert werden. In einem nächsten Schritt ist wieder zu prüfen, ob die Fahrzeit, die, wie auch der Preis, Ressourcen beansprucht, eine allokative Funktion ausübt. Dazu werden die folgenden nichtlinearen (Potenz-)Modellspezifikationen zwischen dem Nutzen v.fc und der Fahrzeit t.f c empirisch geprüft:
v
i k = Mi + ß t i k * m i t :
t i k * = t i k x und x=2,3,4
Vgl. Kapitel
.II.
II. Determinanten der Verkehrsmittelwahl
243
Der Parameter ß gibt jetzt die Wirkung der Zeitgröße t j k * auf den Nutzen an. Keines dieser drei Modelle, die alle davon ausgehen, daß mit der Fahrzeit auch die Disnutzenraten ansteigen, liefert ein signifikant besseres Ergebnis als das lineare Nutzenmodell. Andererseits kann aber auch die Hypothese, daß der Einfluß der Fahrzeit mit der Länge der Fahrdauer abnimmt, ausgedrückt durch die folgenden Spezifikationen
- t i k * = ln(tik)und - t i k * = v(tik), empirisch nicht bestätigt werden. Die Ergebnisse können so interpretiert werden, daß in Berlin für den Weg zur Arbeit keine inakzeptablen Zeitlimits erreicht werden. Die subjektive Fahrzeit übt keine allokative, sondern eine Opportunitätskostenfunktion aus: Die Zeit, die ein Verkehrsmittel länger benötigt als ein anderes, geht dem Nutzer für andere, wünschenswertere Zwecke verloren.
cc) Spezifikation der Fahrkosten Als letztes der drei ressourcenbeanspruchenden Faktoren der Verkehrsmittelwahl werden die subjektiven Fahrkosten als generisches Merkmal separat analysiert. Das Ergebnis bestätigt den Befund von Verron (1986, S. 174), daß von den subjektiven Fahrkosten keine substantiellen und signifikanten Einflüsse auf die Verkehrsmittelnutzung ausgehen. Werden die Fahrpreise allerdings alternativenspezifisch definiert, zeigt sich, daß für den öffentlichen Personennahverkehr der Fahrpreis auf dem 5%-Niveau signifikant ist, d.h., während die Beurteilung des Autos und des Fahrrades vom subjektiven Kilometerpreis unabhängig ist, spielt dieser Preis beim ÖPNV eine gewisse Rolle. Dieser Einfluß verschwindet aber vollständig, wenn Fahrpreise und Fahrzeiten gemeinsam in die Analyse einbezogen werden. Damit läßt sich feststellen, daß die Fahrkosten keinen nennenswerten Einfluß auf die Verkehrsmittelwahl ausüben. Es liegt wohl an der wahrgenommenen geringen Höhe dieser Kosten von ca. D M 2 , - bis D M 3 , - je Fahrt, daß dieses ressourcenabhängige Attribut nicht einmal als Opportunitätskostenindikator von den Verkehrsmittelnutzern herangezogen wird.
244
. Empirische Ableitung von
eiresponsefunktionen
dd) Ergebnisse der Analyse Die abschließende Analyse für diese empirische Studie erstreckt sich auf die generisch spezifizierte subjektive Fahrzeit, die der alternativenspezifischen Fahrstrecke und die der oben genannten persönlichen Merkmale der Verkehrsmittelnutzer (fallspezifische Größen). In Übereinstimmung mit den obigen Analysen wird auf eine Spezifikation der subjektiven Fahrkosten verzichtet. Der Tabelle 9 können die Ergebnisse entnommen werden.
VARIABLEN
ÖPNV-Konstante Rad-Konstante Fahrzeit/km Arbeitsweg Parkplatz Anzahl der Pkw Haushalt Anzahl der Personen im Haushalt Geschlecht Bildung umweltbewußtes Verhalten umweltfreundliche Produkte kaufen Umwelt vor Verschmutzung schützen ÖPNV ist preiswert ÖPNV ist bequem ÖPNV ist schnell ÖPNV-Personal ist freundlich Pkw fahren schont die Umwelt Autofahren finde ich gut
SPEZIFIKATION PKW ÖPNV RAD
b
PARAMETER ß t-Wert
_ -.959 -3.973 -4.258 -2.435 -2.791 -3.275 1.771 .399 -1.643 -.500
0 0 1 0 0 0
1 0 1 0 1 1
0 -2.018 1 -10.730 1 -.726 1 -.523 1 .371 1 -.969
0
1
1
0 0 0
w=l 1 1
0
1
0
0
.657
2.945
.732
w = l 2.027 1 .618 0 -1.730
3.529 2.661 -3.123
.962 .655 -.993
1.583
3.326
.992
1
0 -1.809
-2.440
.881
0 0 0 0
1 1 1 1
0 0 0 1
-.808 -.667 -.883 1.299
-2.165 -1.717 -2.251 2.954
.590 .491 .627 .746
0
1
0
.940
1.982
.612
0
0
1
3.045
3.595
2.141
Tabelle 9: Gesamtanalyse der Verkehrsmittelwahl: Wirkungskoeffizienten
II. Determinanten der Verkehrsmittelwahl
245
Die Tabelle 9 dokumentiert einerseits die Nutzenspezifikationen der alternativen Verkehrsmittel und enthält andererseits die unstandardisierten und die standardisierten Wirkungskoeffizienten b. bzw. ß. der nutzen33 . J J stiftenden Faktoren sowie deren t-Werte . Da die standardisierten Modellparameter ßj dimensionslos sind, können sie direkt zum Vergleich der Wirkungsstärken der einzelnen Attribute verwendet werden. Tabelle 10 enthält die Teststatistiken und Fitwerte, die eine hohe empirische Erklärungskraft des zugrundegelegten Entscheidungsmodells bekräfti34
gen 3 4 .
Κ = 252 x 3 = 756 L(ß) = - 74.72 LR(0) = - 404.26, LR(c) = -178.79, R H O 2 = .730 R H O 2 * = .665
Τ = 18, ρ < .001 Τ = 16, ρ < .001 F I = .907
Tabelle 10: Teststatistiken und Fitwerte für das Entscheidungsmodell zur Verkehrsmittelwahl
Der Tabelle 11 sind die Anteile korrekter Klassifikationen auf der Grundlage des diskreten Entscheidungsmodells in der Spezifikation der 35
Tabelle 9 zu entnehmen. Der Anteil richtiger ex post Klassifikationen ist mit 86.9% relativ hoch, was sich auch im PRE-Wert von 80.4 niederschlägt. Allerdings gibt es bezüglich der Prognosegüte deutliche Differenzen zwischen den Nutzergruppen. So werden die Autofahrer zu 94.8%, die ÖPNV-Nutzer zu 61.7% und die Radfahrer nur zu 54.5% korrekt klassifi33 Vgl. Kapitel E.III. Die t-Statistik ist approximativ standardnormalverteilt, so daß betragsmäßig größere Werte als 1.64,1.96 und 2.58 auf dem 10%, 5% bzw. 1%-Niveau signifikant sind. 3 4
Vgl. Kapitel E.III.
35 Aufgrund fehlender Werte bei fünf Personen beruht diese Analyse auf einer Stichprobenbasis von η = 252.
. Empirische Ableitung von
246
eiresponsefunktionen
ziert. In der Stichprobe liegt der Anteil der ÖPNV-Nutzer bei 18.7% (47:252). Die diskrete Entscheidungsanalyse prognostiziert einen Anteil von 15.9% (40:252), und 11.5% (29:252) ist der Anteil, der sich auf die korrekt klassifizierten ÖPNV-Nutzer bezieht. Der Anteil der Autofahrer wird also durch diese Analyse etwas überschätzt und derjenige der ÖPNV-Nutzer wie auch der der Radfahrer etwas unterschätzt. Als Ursache für diese leichten Verzerrungen kommt die Dominanz der Autofahrer in der Stichprobe in Frage. Da die Auswahl zufallsgesteuert durchgeführt wurde, ist die Anzahl derjenigen in der Stichprobe, die trotz Autobesitz mit Bussen und Bahnen oder mit dem Rad zur Arbeit fahren, entsprechend gering ausgefallen. Eine Verbesserung dieser Situation hätte eventuell ein sog. choice-based sampling erbringen können, nach dem Personen auf der Basis ihrer Verkehrsmittelwahl ausgewählt werden. In der dann folgenden diskreten Entscheidungsanalyse wird durch eine Gewichtung der Fälle die Repräsentativität der Ergebnisse wiederhergestellt (Ben-Akiva/Lerman 1985, S. 232). Vorteilhaft an diesem Verfahren ist weiterhin, daß durch ein oversampling auch für die Schätzung der Strukturen relativ seltener Untergruppen einer Population genügend Informationen erhoben werden können.
PKW beobachtete Fälle
gesamt
184 18 3
9 29 2
1 0 6
194
205
40
7
252
Anteil richtiger Klassifikationen (HR):
86.9%
Anteil richtig klassifizierter PKW-Nutzer:
94.8%
gesamt
PKW ÖPNV RAD
klassifizierte Fälle ÖPNV RAD
Anteil richtig klassifizierter ÖPNV-Nutzer:
61.7%
Anteil richtig klassifizierter Rad-Nutzer:
54.5%
PRE = 80.4
Tabelle 11: Klassifikationsergebnisse für das diskrete Entscheidungsmodell
47 11
II. Determinanten der Verkehrsmittelwahl
247
Zum Abschluß dieser Ausführungen sollen nun noch einige Anmerkungen und Interpretationen zu den Ergebnissen des analysierten Modells zur Verkehrsmittelwahl, wie sie die Tabelle 9 widerspiegelt, hinzugefügt werden: (1)
Der Nutzen bzw. die Nutzungswahrscheinlichkeit für ein Verkehrsmittel steigt, je kürzer die benötigte subjektive Fahrzeit in Relation zu den anderen Alternativen ist. Die Wirkungsrate der Fahrzeit ist für alle drei Verkehrsmittel identisch (generische Größe). Abgesehen vom Arbeitsweg, der nur in der Nutzenfunktion des Fahrrades Eingang findet, ist die Fahrzeit die stärkste Determinante der Verkehrsmittelwahl für den hier betrachteten Fahrtzweck (ß =-2.435). Der Zusammenhang zwischen dem Nutzen und der Fahrdauer ist linear, was darauf hinweist, daß individuelle Zeitbudgets durch die Fahrt zur Arbeit nicht ausgeschöpft werden. Die Fahrzeit wird in diesem Anwendungsfall von den Verkehrsmittelnutzern als Opportunitätskostenindikator interpretiert.
(2)
Die subjektiven Fahrkosten zeigen keine substantielle Wirkung auf die Verkehrsmittelwahl.
(3)
Die Wahrscheinlichkeit, mit dem öffentlichen Personennahverkehr zur Arbeit zu fahren, steigt signifikant unter sonst gleichen Bedingungen im Vergleich zum Automobil, je schwieriger es ist, einen Parkplatz in der Nähe der Arbeitsstelle zu finden, je weniger Pkw dem Haushalt zur Verfügung stehen, je mehr Personen im Haushalt leben, bei Frauen, mit dem Bildungsabschluß, mit einer positiven Einstellung zum umweltbewußten Verhalten, mit einer negativen Einstellung zum Kauf umweltfreundlicher Produkte, mit der Einschätzung der Wichtigkeit, die Umwelt vor Verschmutzung zu schützen, wenn den folgenden Aussagen zugestimmt wird:
. Empirische Ableitung von
eiresponsefunktionen
'Der ÖPNV ist preiswert', 'Der ÖPNV ist bequem', 'Der ÖPNV ist schnell', wenn den folgenden Aussagen nicht zugestimmt wird: 'Das ÖPNV-Personal ist freundlich', 'Pkw fahren schont die Umwelt'. Von den fallspezifischen persönlichen Merkmalen der Verkehrsmittelnutzer haben die Angaben zum Umweltbewußtsein den größten Einfluß auf die Verkehrsmittelwahl. Allerdings sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Einerseits schätzen die ÖPNV-Nutzer den Umweltschutz tendenziell höher ein und stehen einem umweltbewußten Verhalten positiver gegenüber als die Automobilisten. Diese dagegen geben häufiger als die Nutzer öffentlicher Nahverkehrsmittel an, umweltfreundliche Produkte zu kaufen. Ohne diesen "Widerspruch" hier abschließen analysieren zu wollen, ist zu vermuten, daß "sozial wünschbar" eingefärbte Antworten hierbei eine Rolle spielen. Auf den ersten Blick ist vielleicht auch erstaunlich, daß die Einstellung zum ÖPNV-Personal bei deren Nutzern und bei Radfahrern signifikant schlechter ist als bei den Autofahrern. Dieses Ergebnis weist darauf hin, daß das Personal der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) von deren Nutzern kritischer beurteilt wird als von den Nicht-Nutzern. Während die Nutzer durch tägliche Erfahrung eine validere Beurteilung des Personals abgeben können, basieren die Angaben der Autofahrer stärker auf allgemeineren Einstellungen zu diesem öffentlichen Nahverkehrsbetrieb. Eine Werbekampagne zur Verbesserung des Image des Personals hätte demnach keine Veränderung des Nutzungsverhaltens der Pkw-Fahrer zur Folge. Ihre relativ guten Einstellungen zum Personal würden lediglich bestätigt werden. Anzumerken wäre noch die relativ geringe Wirkung der Parkplatzschwierigkeit auf die Verkehrsmittelwahl. Das mag mit daran liegen, daß Parkplätze an der Arbeitsstelle in Berlin anscheinend noch ausreichend zur Verfügung stehen. Fast 50% der Befragten gaben an, daß ihr Arbeitgeber ihnen einen Parkplatz zur Verfügung
II. Determinanten der Verkehrsmittelwahl
249
stellt und nur 13.6% haben große Schwierigkeiten, bei ihrer Arbeitsstelle einen Parkplatz zu finden. (4)
Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, steigt signifikant unter sonst gleichen Bedingungen im Vergleich zum Automobil je geringer die Entfernung zum Arbeitsplatz ist, je schwieriger es ist, einen Parkplatz in Nähe der Arbeitsstelle zu finden, je weniger Pkw dem Haushalt zur Verfügung stehen, je mehr Personen im Haushalt leben, bei Frauen, mit dem Bildungsabschluß, wenn den folgenden Aussagen nicht zugestimmt wird: 'Das ÖPNV-Personal ist freundlich', 'Autofahren finde ich gut'. Auf den Nutzen des Fahrrades wirken im Vergleich zum Auto nicht alle Faktoren, die in der Nutzenfunktion des ÖPNV enthalten λ/:
sind . "Umweltbewußtes Verhalten"der Kauf umweltfreundlicher Produkte" und das Ziel, die "Umwelt vor Verschmutzung zu schützen", beeinflussen ebensowenig die Nutzungswahrscheinlichkeit des Fahrrades wie die meisten Gründe, die für den ÖPNV bzw. für das Auto sprechen. Eine Ausnahme bildet die Einstellung zum ÖPNVPersonal. Größen, die ausschließlich den Nutzen des Fahrrades beeinflussen, sind die Einstellung zum Autofahren und die Entfernung zur Arbeitsstelle. Radfahrende Berufstätige sehen sich den Ergebnissen zufolge sozusagen als Anti-Autofahrer. Der Weg zur Arbeit ist nur für die Fahrradnutzung eine relevante, wie ich vermute, konjunktive Entscheidungsgröße. (5)
36
Viele von den oben genannten Größen üben keinen nennenswerten Einfluß auf die Verkehrsmittelwahl aus. Keine signifikante Wirkung auf den Nutzen bzw. auf die Nutzungswahrscheinlichkeit haben außer den subjektiven Fahrkosten:
Vgl. Spezifikation in Tabelle 9.
. Empirische Ableitung von
250
-
eiresponsefunktionen
das Netto-Haushaltseinkommen, der Quotient Preis/Netto-Haushaltseinkommen, das Alter, Anzahl erwerbstätiger Personen im Haushalt und einige der ökologischen Ziele.
b) Variables Alternativenset Die Analysen dieser Arbeit haben bis jetzt ein für alle Konsumenten einer Population identisches Alternativenset A f c = A vorausgesetzt. Diese Annahme wird aber in den meisten Anwendungsfällen wenig realistisch sein. Deshalb soll für die vorgestellte empirische Studie zur Verkehrsmittelwahl gezeigt werden, wie mit dem methodischen Instrumentarium der diskreten Entscheidungsanalyse variable evoked sets of alternatives behandelt werden können. Voraussetzung für eine solche Analyse ist allerdings, daß es möglich ist, individuelle Alternativensets a priori zu bestimmen. M i t der Möglichkeit der Analyse variabler Alternativensets ergeben sich Perspektiven für eine umfassendere Untersuchung von Entscheidungsphasen. Im Rahmen der vorliegenden Studie zur Verkehrsmittelwahl werden zwei Fälle individuell unterschiedlicher Alternativensets exemplarisch analysiert. Die Festlegung dieser evoked sets erfolgt dazu anhand der Länge des Arbeitsweges. Dieser Ansatz wurde gewählt, da die Analysen zur Spezifikation der Fahrstrecke gezeigt haben, daß diese Größe zum einen nur die Entscheidung für das Fahrrad beeinflußt und zum anderen dort mit dem höchsten Wirkungskoeffizienten verbunden ist. Beide Ergebnisse weisen auf eine konjunktive Funktion der Fahrstrecke im Entscheidungsprozeß hin. Auch wenn diese Hypothese in der obigen Analyse mit dem Wegschwellenmodell empirisch nicht gestützt werden konnte, so wird sie hier zur Illustration des Verfahrens noch einmal aufgegriffen. Die erste Analyse mit variablen evoked sets setzt voraus, daß das Fahrrad als Transportalternative ausscheidet, wenn die Entfernung zwischen der Wohnung und der Arbeit weiter als 8 km ist. Nach dieser Annahme ziehen nur Personen mit einem kürzeren Arbeitsweg das Fahrrad als Alternative zum eigenen Automobil und zum ÖPNV in Erwägung. Nach dieser Festlegung berücksichtigen 35.7% der befragten Personen alle drei Verkehrsmit-
II. Determinanten der Verkehrsmittelwahl
251
tei bei ihrer Auswahl, d.h. = {Pkw, ÖPNV, Rad}. Die restlichen 64.3% Verkehrsmittelnutzer haben Wege von über 8 km Länge zurückzulegen und entscheiden sich nur noch zwischen Auto und ÖPNV, so daß A^ = {Pkw, ÖPNV} gilt. Zur Analyse variabler evoked sets ist eine in der Programmsprache GAUSS geschriebene Routine verwendet worden, da das Programmsystem γι
LIMDEP diese Modellspezifikation nicht zuläßt . Die Ergebnisse sind der Tabelle 12 zu entnehmen. Es zeigt sich, daß der direkte Einfluß des Weges auf die Nutzenbewertung des Fahrrades verschwindet. Die Weglänge wirkt jetzt unmittelbar auf die Bildung des Alternativenset. Alle anderen Modellparameter unterscheiden sich dagegen nicht substantiell im Vergleich zum Modell mit konstanten evoked sets. Die Gegenüberstellung zeigt, daß beide Modelle, bezogen auf den Wert der Log-Likelihood-Funktion L(ß), die Daten approximativ gleich gut fitten. Dieses Ergebnis läßt sich in zweifacher Weise interpretieren. Einerseits kann die Hypothese, wonach die Fahrstrecke ein konjunktives Entscheidungskriterium ist, das die Formierung individueller Alternativensets beeinflußt, nicht empirisch verworfen werden. Andererseits zeigt sich aber, daß mit dem einfacheren Modell konstanter evoked sets auch konjunktive Entscheidungsprozesse robust abgebildet werden können. Ein Indiz für ein konjunktives Entscheidungskriterium ist die Höhe des Wirkungskoeffizienten dieser Größe in der kompensatorischen Nutzenfunktion. Attribute, die im Vergleich zu anderen deutlich höhere Parameterwerten aufweisen, sind potentielle Kandidaten einer konjunktiven Produktbewertung. Für die zweite Analyse mit variablen evoked sets of alternatives wird zusätzlich zur obigen Bedingung noch festgelegt, daß der ÖPNV nicht für Entfernungen unter 2 km verwendet wird. Diese Annahme ist durchaus plausibel, da es sich bei so kurzen Strecken oft nicht lohnt, den ÖPNV zu nutzen, es sei denn, die Wege zu den Haltestellen und die Wartezeiten sind relativ kurz. Unter diesen Festlegungen ergeben sich drei unterschiedliche evoked sets in der betrachteten Population. Für Wege unter 2 km erfolgt nur eine Auswahl zwischen Auto und Fahrrad (trifft für 2.4% der Befragten zu). Alle drei Verkehrsmittel werden berücksichtigt, wenn der Weg zur Arbeit 2 bis 8 km lang ist (33.3% der Befragten), und für die langen Strecken über 8 km
37
Vgl. Edlefsen/Jones
(1986) zur Programmsprache GAUSS.
. Empirische Ableitung von
252
eiresponsefunktionen
kommt dann nur noch der Pkw und der ÖPNV in Frage (64.3% der Befragten). Es werden also drei unterschiedliche Alternativensets A a = {Pkw, Rad}, A^ = {Pkw, ÖPNV, Rad} und A 3 = {Pkw, Ö P N V } definiert. Die Ergebnisse dieser Analyse, die ebenfalls in der Tabelle 12 enthalten sind, unterscheiden sich nur unwesentlich von denen der beiden anderen Modelle. VARIABLEN
ÖPNV-Konstante Rad-Konstante Fahrzeit/km Arbeitsweg Parkplatz Anzahl der Pkw im Haushalt Anzahl der Personen im Haushalt Geschlecht Bildung umweltbewußtes Verhalten umweltfreundliche Produkte kaufen Umwelt vor Verschmutzung schützen ÖPNV ist preiswert ÖPNV ist bequem ÖPNV ist schnell ÖPNV-Personal ist freundlich Pkw fahren schont die Umwelt Autofahren finde ich gut L(ß) LR(0), Τ=18 RHO2
PARAMETER festes variables evoked set evoked set 1. Analyse 2. Analyse Rad < 8 km Rad < 8 km ÖPNV > 2 km - 2.018 -10.730 -.726 -.523 .371 -.969
-1.729 -12.916 -.710 -.021 1 .366 -.971 1
-1.570 -12.901 -.697 -.038* .293* -.971
.657
.689
.672
2.027 .618 -1.730 1.587
1.920 .628 -1.712 1.541
2.000 .569 -1.808 1.576
-1.809
-1.643
-1.559
-.808 -.667 -.883 1.299
-.854 -.740 -.784 1.250
-.926 -.674 -.829 1.323
.940 3.045 -74.72 404.26 .730
.898 2.865 -73.46 275.39 .652
.927 2.884 -73.87 269.72 .646
[1] nicht signifikant Tabelle 12: Ergebnisse der Analysen für variable Alternativensets
III. Analyse der Zeitresponse
253
I I I . Analyse der Zeitresponse 1. Zeitresponse bei gegebener Fahrzeitverteilung a) Klassifikation der Zeitresponse Die Fahrzeit hat sich nach den obigen Analysen als die wichtigste Determinante zur Verkehrsmittelauswahl für die Fahrt zum Arbeitsplatz herausgestellt. Ziel dieses Kapitels ist es jetzt, das Reaktionsverhalten der befragten Verkehrsmittelnutzer genauer zu untersuchen. Diese Analysen erfolgen zuerst unter der Bedingung einer festen Fahrzeitverteilung innerhalb der Population. Darunter ist zu verstehen, daß sich die subjektiven Zeiten für die Fahrt zur Arbeit je Verkehrsmittel individuell unterscheiden (inter-individuelle Fahrzeitverteilung). Für den einzelnen sind diese Zeiten aber, kurzfristig jedenfalls, feste Größen. Die Abbildung 39 stellt graphisch die Verteilung der subjektiven Kilometerzeiten für die drei Verkehrsmittel Automobil, ÖPNV und Fahrrad in der Zielpopulation dar. Der wahrgenommene Zeitvorteil des Automobiles ist deutlich zu erkennen. Der öffentliche Personennahverkehr und das Fahrrad weisen ungefähr die gleiche Zeitcharakteristik auf . Mittel- und längerfristig können sich z.B. durch städtebauliche Maßnahmen oder durch den gezielten Einsatz marketingpolitischer Instrumente Veränderungen der wahrgenommenen Fahrzeiten in der Population ergeben, die sich dann in einer Lageverschiebung der Kurven niederschlagen würden 40 . So verkürzen sich die Fahrzeiten des ÖPNV durch Busspuren und gesteuerte Ampelschaltungen, wohingegen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu Staus und damit zu verlängerten Individualreisezeiten führt. I m Fall der Veränderung durchschnittlicher Fahrzeiten in einer Population soll
38
Diese Tür-zu-Tür-Zeit wird oft auch als Reisezeit bezeichnet.
39 Die durchschnittlichen Fahrzeiten können der Abbildung 36 entnommen werden. Der leichte Anstieg der ÖPNV-Zeitkurve und das lange Plateau der Zeitkurve des Fahrrades bei Zeiten über 8 Minuten je Kilometer ist durch einen relativ hohen Anteil extremer Zeitschätzungen von Personen zu erklären, die diese Verkehrsmittel nicht nutzen. Zeiten über 11 Min/km sind in dieser Graphik nicht mehr berücksichtigt. Damit ist insbesondere eine Veränderung des Mittelwertes der Fahrzeit verbunden.
254
. Empirische A l e
von
eiresponsefunktionen
hier von variierenden Fahrzeitverteilungen gesprochen werden. U m Reaktionen auf Fahrzeiten erklären zu können, wird zuerst von den aktuell gültigen, in Abbildung 39 zum Ausdruck kommenden subjektiven Fahrzeiten ausgegangen. Prognosen aufgrund veränderter Fahrzeitcharakteristika für die einzelnen Verkehrsmittel sind dann Gegenstand des Kapitels G.III.2. Anteil der Nutzer
Fahrzeit in Minuten/Kilometer Automobil
ÖPNV
Fahrrad
Abbildung 39: Inter-individuelle Verteilung der subjektiven Fahrzeiten der Verkehrsmittel Pkw, ÖPNV und Fahrrad
Die Analyse der Zeitresponse bei fester Fahrzeitverteilung erfolgt entlang einer Fallunterscheidung bezüglich der beiden Dimensionen - Homogenität der Population der Verkehrsmittelnutzer und - Streuung der Fahrzeiten innerhalb der Population.
Eine Population bzw. ein Marktsegment wird dann als homogen bezeichnet, darauf wurde schon hingewiesen, wenn unter gleichen Marktbedingungen die Kaufwahrscheinlichkeiten aller Konsumenten identisch sind. Individuelle Präferenzunterschiede können hier nicht identifiziert werden. Für die
255
III. Analyse der Zeitresponse
Verkehrsmittelwahl bedeutet das, daß sich bei gleichen subjektiven Fahrzeiten ceteris paribus die individuellen Nutzungswahrscheinlichkeiten nicht unterscheiden. Ist dagegen die Population heterogen, dann existieren mindestens zwei Segmente mit verschiedenen Nutzungswahrscheinlichkeiten trotz identischer subjektiver Fahrzeiten. Für die Fahrzeiten müssen ebenfalls zwei Fälle unterschieden werden. Zum einen kann unterstellt werden, daß alle Populationsmitglieder die gleiche Zeit für die Fahrt zur Arbeit benötigen. Analysen unter dieser Annahme richten sich auf eine Erklärung der individuellen Zeitresponse. Bei individuell unterschiedlichen subjektiven Fahrzeiten muß das Reaktionsverhalten über die Population der Verkehrsmittelnutzer aggregiert werden. In diesem Fall geht es also um eine Erklärung der aggregierten Zeitresponse 41 . Abbildung 40 faßt diese Fallunterschiede zusammen.
POPULATION homogen
heterogen
FAHRZEITEN konstant
(1)
disaggregierthomogene Zeitresponse
(2)
disaggregiertheterogene Zeitresponse
variabel
(3)
aggregierthomogene Zeitresponse
(4)
aggregiertheterogene Zeitresponse
Abbildung 40: Fallunterscheidung zur Analyse der Zeitresponse
Variierende Fahrzeiten sind nicht mit variierenden Fahrzeitverteilungen zu verwechseln.
256
. Empirische A l e
von
eiresponsefunktionen
b) Disaggregierte Zeitresponse aa) Homogene Population Der Fall einer für alle Mitglieder einer homogenen Population gültigen Fahrzeit für ein bestimmtes Verkehrsmittel ist gleichbedeutend mit der Situation eines einzelnen Individuums dieser Population. Deshalb soll zuerst aus den Ergebnissen der diskreten Entscheidungsanalyse abgeleitet werden, wie ein einzelnes Individuum einer homogenen Population von Verkehrsmittelnutzern auf Fahrzeiten reagiert. In diesem Fall können die individuellen Nutzungswahrscheinlichkeiten P.fc auch als Nutzeranteile interpretiert werden 42 . Das Vorgehen soll am Beispiel der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs illustriert werden. Ziel dieser ersten Analyse ist es, den Einfluß der Fahrzeiten auf das Entscheidungsverhalten eines für die Population repräsentativen Individuums zu erklären. Dazu wird vorausgesetzt, daß das Reaktionsverhalten innerhalb der Population der Verkehrsmittelnutzer stellvertretend durch ein fiktives Individuum dargestellt werden kann, das durch die Mittelwerte aller entscheidungsrelevanten persönlichen Merkmale der Nutzer in der Zielgruppe definiert ist. Damit ist gleichzeitig eine homogene Population gebildet worden. Die Abbildung 41 zeigt die unter den oben skizzierten Bedingungen abgeleitete, repräsentative individuelle Zeitresponsefunktion für den ÖPNV. Die mittleren subjektiven Fahrzeiten für die einzelnen Verkehrsmittel sind durch Pfeile kenntlich gemacht. Diese Graphik zeigt, wie sich im Populationsdurchschnitt die individuelle Wahrscheinlichkeit, den ÖPNV als Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit auszuwählen, in Abhängigkeit von der Fahrdauer ceteris paribus verändert. Für die Fahrzeiten des Autos und des Fahrrades sind deren Mittelwerte unterstellt worden 4 3 . Der abgetragene Zeitbereich von 1 bis 6 M i n / k m entspricht einer Reisegeschwindigkeit von 10 bis 60km/h.
4 2
Vgl. Kapitel B.II.l.b).
4 3
Pkw=2.17 Min/km, Fahrrad=4.48 Min/km.
257
III. Analyse der Zeitresponse
Individuelle Nutzungswahrscheinlichkeit
1.0
2.0
60
30
3.0
4.0
ÖPNV-Fahrzeit in min/km 20 15 ÖPNV-Geschwindigkeit in km/h
5.0
6.0
12
10
Pfeile geben die jeweiligen Fahrzeitmittelwerte an. Abbildung 41: Repräsentative, individuelle Reaktion auf Fahrzeiten des öffentlichen Personennahverkehrs
Bei einer, im Vergleich zur aktuellen mittleren Reisezeit von 4.7 M i n / k m , deutlich kürzeren ÖPNV-Fahrzeit von 3 M i n / k m (das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h) beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Autofahrer bei sonst gleichen Bedingungen für die Fahrt zur Arbeit den ÖPNV nutzt, im Durchschnitt nur ca. 10%. Selbst wenn Busse und Bahnen so schnell sind wie das Auto, bleibt die individuelle Umstiegswahrscheinlichkeit unter 20% 4 4 . Mit jeder Minute (pro Kilometer Fahrstrecke) verkürzter ÖPNV-Fahrzeit verdoppelt sich ungefähr die Nutzungswahrscheinlichkeit. Eine Verkürzung der Zeit von 5 auf 4 M i n / k m erhöht diese Wahrscheinlichkeit von 2.6% auf 5.3%, eine solche von 4 auf 3 M i n / k m von 5.3% auf 10.4%, und eine Zeitverkürzung von 3 auf 2 M i n / k m erhöht die Nutzungswahrscheinlichkeit von 10.4% auf 19.3%. Im Durch-
44 Zu beachten ist allerdings, darauf wurde schon hingewiesen, daß der OPNV-Nutzeranteil in dieser Studie etwas unterschätzt wird. 17 Baiderjahn
258
G. Empirische Analyse von Zeitresponsefunktionen
schnitt steigt die Wahrscheinlichkeit einer ÖPNV-Nutzung im Bereich von 2-5 M i n / k m um ca. 5.5% je Minute verkürzter Fahrzeit auf einen Kilometer.
bb) Heterogene Population Liegt eine heterogene Population vor, so können mehrere, anhand persönlicher Merkmale der Nutzer, definierte Segmente mit signifikant unterschiedlichen Verkehrsmittelpräferenzen identifiziert werden. Die Fahrzeitbedingungen, das soll hier vorausgesetzt werden, unterscheiden sich nicht zwischen diesen Nutzersegmenten. Nach den Ergebnissen der diskreten Entscheidungsanalyse wird die subjektive Fahrzeit unabhängig vom Verkehrsmittel und von allen Nutzern identisch bewertet. Dennoch, auch das hat die Analyse gezeigt, reagieren verschiedene Personen unterschiedlich auf gleiche Fahr Zeitbedingungen45. Dieser Aspekt blieb in der vorangegangenen Analyse unberücksichtigt. Durch die Annahme einer homogenen Population wurden individuelle Differenzen nivelliert und das durchschnittliche Reaktionsverhalten auf Fahrzeiten bestimmt. Ziel dieser Betrachtung ist es jetzt, individuell unterschiedliche Reaktionen auf identische Zeitbedingungen darzustellen. Einzelne Nutzergruppen bzw. Segmente der Zielgruppe können über die verhaltensrelevanten persönlichen Merkmale der Tabelle 9 definiert werden. Als Beispiel für diese Vorgehensweise sind in der Abbildung 42 die Zeitresponsefunktionen für zwei unterschiedliche Populationssegmente dargestellt. Die erste Gruppe erfaßt alle Männer mit weiterführender Schulausbildung, die einen sicheren Parkplatz an ihrer Arbeitsstelle vorfinden, und die zweite Gruppe wird gebildet durch alle Frauen mit Volksschulabschluß, die große Probleme bei der Parkplatzsuche haben. Bei gleicher Fahrzeit für den ÖPNV ist in der zweiten Gruppe die Wahrscheinlichkeit, mit Bussen und Bahnen zur Arbeitsstätte zu fahren, deutlich höher als in der ersten Gruppe. Dieser Unterschied läßt sich im wesentlichen auf den starken Einfluß des Geschlechts zurückführen, wonach die
4 5
Vgl. Tabelle 9.
259
III. Analyse der Zeitresponse
Wahrscheinlichkeit, daß Frauen mit Bussen und Bahnen zur Arbeit fahren, wesentlich höher ist als die der Männer. Zum Vergleich der Verläufe ist in der Abbildung 42 auch die durchschnittliche Responsefunktion mitabgetragen worden. individuelle Nutzungswahrscheinlichkeit
ÖPNV-Fahrzeit in min/km Population
"" Segment 1
Segment 2
Abbildung 42: Individuelle Zeitresponsefunktionen für zwei ausgewählte Nutzersegmente
c) Aggregierte Zeitresponse aa) Homogene Population Die empirisch abgeleiteten, individuellen Auswahlwahrscheinlichkeiten P. k können nur dann als Nutzeranteile m. interpretiert werden, wenn, wie oben unterstellt wurde, für alle Nachfrager der Population dieselben subjektiven Fahrzeiten gelten. Diese Annahme ist aber sehr unrealistisch, da sich die Verkehrsbedienung von Wohnort zu Wohnort unterscheidet. Die Anteile derjenigen, die das Auto, Busse und Bahnen oder das Fahrrad für den Weg zum Arbeitsplatz nutzen, können für die Zielpopulation nur dann valide geschätzt werden, wenn die Fahrzeitverteilung bekannt ist und bei der
. Empirische A l e
260
von
eiresponsefunktionen
Analyse berücksichtigt wird. Auf die Besonderheit, daß die Länge der Fahrzeit ein individuenspezifisches Produktmerkmal ist, wurde schon hingewiesen. Ziel dieser Analyse ist es, Nutzeranteile als aggregiertes Ergebnis der Reaktionen aller Verkehrsmittelnutzer der Zielpopulation auf individuell unterschiedliche Fahrzeiten empirisch zu ermitteln. Mit der durchschnittlichen Nutzungswahrscheinlichkeit 7Γ. soll hier der Anteil m. derjenigen prognostiziert werden, die mit dem Verkehrsmittel i zur Arbeit fahren 46 . Entsprechend der obigen Systematik erfolgen diese Untersuchungen getrennt für homogene und heterogene Populationen. Die Berücksichtigung der Streuung der subjektiven Fahrzeit in der Zielgruppe kann nur für ein Verkehrsmittel oder für mehrere Verkehrsmittel gleichzeitig erfolgen. Diese Betrachtung beginnt mit der Analyse der eindimensionalen Fahrzeitverteilung für den ÖPNV. Dazu wird hier die ÖPNVFahrzeit in eine Anzahl gleichgroßer Intervalle Ij (1 = 1,...,L) eingeteilt. Mit g ( wird der Anteil derjenigen Individuen in der Population bezeichnet, deren subjektive Fahrzeit im Intervall Ij = [tj ^tj) liegt. Der geschätzte Anteil von ÖPNV-Nutzern in einer homogenen Population (keine Präferenzunterschiede) ergibt sich dann unter sonst konstanten Bedingungen aus Gleichung 7.1.
"ÖPNV
=
, = 81 P(ÖPNV I t
Ö p N V
6 I,)
(7.1)
Dabei gibt P(ÖPNV | t ö p N V € die individuelle Wahrscheinlichkeit für ein (repräsentatives) Individuum der homogenen Population an, den ÖPNV zu nutzen, wenn dessen Fahrzeit im Intervall Ij liegt. Aus Gründen der einfacheren mathematischen Behandlung wird zur Schätzung der durchm schnittlichen ÖPNV-Nutzungswahrscheinlichkeit ^ÖPNV fàlere 2 Intervallzeit tj* = 1/ (*ί_ι + tj) verwendet. Es gilt dann Gleichung 7.2:
4 6
Vgl. Kapitel B.II.l.b).
261
III. Analyse der Zeitresponse
"ÖPNV
= , J δΐ P (
π
=
Ö P N V
I W
(7·2)
= V)
L
0ΡΝΥ
j f J ^1 P ÖPNV,1
Für die vorliegenden Daten wird die subjektive ÖPNV-Fahrzeit in sieben gleichlange Intervalle eingeteilt. Die ermittelte empirische Verteilung dieser Zeit, die in Abbildung 39 graphisch dargestellt war, kann der Tabelle 13 entnommen werden. Darüber hinaus sind auch die mit den Fahrzeiten korrespondierenden Nutzungswahrscheinlichkeiten in Tabelle 13 abgetragen. Sie gelten für konstante Pkw- und Fahrradzeiten ( t p k w = 2,17 M i n / k m und t R , = 4,48 Min/km).
Zeitintervall Intervallmitte «1 P
ÖPNV,1
0-1
1-2
2-3
3-4
4-5
5-6
>6
0.5
1.5
2.5
3.5
4.5
5.5
6.5
0.008
0.071
0.218
0.266
0.190
0.083
0.163
0.416
0.256
0.143
0.075
0.037
0.019
0.009
Tabelle 13: Diskrete empirische Verteilung der ÖPNV-Fahrzeit mit korrespondierenden Nutzungswahrscheinlichkeiten
Beispielsweise kann der Tabelle 13 entnommen werden, daß 26.6% der befragten Personen angaben, mit dem ÖPNV ca. 3 bis 4 Minuten je Kilometer Fahrstrecke zu benötigen. Die Wahrscheinlichkeit, den ÖPNV zu nutzen, beträgt in dieser Gruppe nur 7.5%. Nach Gleichung 7.2 ergibt sich aus diesen Daten ein Anteil von 7T. = 8.3% ÖPNV-Nutzern in der Zielgruppe unter den aktuellen Verkehrsbedingungen. Das sind deutlich weniger als die
G. Empirische Analyse von Zeitresponsefunktionen
262
11.5% korrekt klassifizierten ÖPNV-Nutzer der diskreten Entscheidungsanalyse 47 . Der Grund für diese relativ starke Unterschätzung des Nutzeranteils könnte darin liegen, daß zwar die Verteilung der ÖPNVFahrzeiten, nicht jedoch die der Pkw- und Radfahrzeiten berücksichtigt wurde. Im nächsten Schritt wird deshalb die Pkw-Fahrzeitverteilung mit in die Analyse einbezogen. Wie für die ÖPNV-Fahrzeiten werden jetzt auch zur Beschreibung der Pkw-Fahrzeitverteilung Intervalle q = l,...,Q gebildet. Im allgemeinen ergeben sich dann L * Q unterschiedliche ÖPNV/Pkw-Zeitkombinationen, die jeweils für einen Anteil g l q der Population gelten. Eine Anteilsschätzung auf der Basis einer zweidimensionalen Zeitverteilung ergibt sich dann aus Gleichung 7.3. (7.3) "ÖPNV
=
f =1
1iglqP(ÖPNV|
t
ö p N V
eI,undt
p k w
eIq)
Für den Fall, daß wieder die mittlere Intervallzeit der Berechnung zugrundegelegt wird, berechnet sich der ÖPNV-Nutzeranteil gemäß Gleichung 7.4. (7.4) "ÖPNV
=
"ÖPNV
=
f =1 L
f =1
Z=iglqP(ÖPNV| t
ö p N V
= t,*undtpkw = tq*)
Q
*=1Z\q?ÖYNV,\q'
Für die Pkw-Fahrzeit werden hier die gleichen Intervallgrenzen zugrundegelegt wie für die ÖPNV-Fahrzeit, so daß sich 7 χ 7 = 49 unterschiedliche Zeitkombinationen ergeben. Die zweidimensionale empirische Verteilung g l q = P(tj € und t q € I q ) der subjektiven Fahrzeiten ist aus der Tabelle 14 ersichtlich.
4 7
Vgl. Tabelle 11.
263
III. Analyse der Zeitresponse
ÖPNV- 0-1 1 Fahr- 1-2 j zeit 2-3 j 3-4 j 4-5 j 5-6 j >6 j
0-1
1-2
Pkw-Fahrzeit 2-3 3-4
.004 .016 .032 .012 .012 .000 .004
.004 .044 .123 .167 .111 .036 .060
.000 .004 .044 .056 .048 .032 .044
.000 .008 .008 .024 .016 .004 .032
4-5
5-6
>6
.000 .000 .008 .008 .004 .004 .012
.000 .000 .004 .000 .008 .008 .004
.000 .000 .000 .000 .000 .000 .008
Fahrzeiten in Minuten Tabelle 14: Zweidimensionale Verteilung der ÖPNV- und Pkw-Fahrzeiten
Die Wahrscheinlichkeit ΡφΡΝνίς' ÖPNV auszuwählen, ist für alle über die Zeitkombination definierten Nutzergruppen der Population berechnet worden und kann der Tabelle 15 entnommen werden 4 8 .
ÖPNV- 0-1 1 Fahr- 1-2 j zeit 2-3 j 3-4 j 4-5 j 5-6 j >6 j
0-1
1-2
Pkw-Fahrzeit 2-3 3-4
.175 .093 .047 .023 .011 .006 .003
.304 .175 .093 .047 .023 .011 .006
.475 .304 .175 .093 .047 .023 .011
.651 .474 .304 .174 .093 .047 .023
4-5
5-6
>6
.794 .651 .474 .304 .174
.888 .793 .650 .474 .303 .174 .092
.942 .888 .793 .649 .472 .302 .173
.093 .047
Fahrzeiten in Minuten Tabelle 15: ÖPNV-Nutzungswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Zeitkombinationen der Population
4 8
Die Radfahrzeit bleibt konstant.
264
G. Empirische A l e
von Zeitresponsefunktionen
Aus Tabelle 15 wird ersichtlich, daß nicht die absoluten Zeiten ausschlaggebend sind für die Nutzungswahrscheinlichkeit, sondern die Zeitdifferenzen ( t Q P N V - t p k w ) · Bei gleichen Zeiten ergibt sich ein Anteil von 17.5% ÖPNV- und 82.5% Pkw-Nutzern 49 . Auch unter Zugrundelegung einer zweidimensionalen Verteilung der Fahrzeiten von ÖPNV und Pkw wird der Anteil der ÖPNV-Nutzer mit 8.0% weiterhin kräftig unterschätzt. Deshalb soll im nächsten Schritt versucht werden, das Ergebnis durch Berücksichtigung individuell unterschiedlicher Verkehrsmittelpräferenzen zu verbessern.
bb) Heterogene Population Im Rahmen der jetzt durchzuführenden Analysen wird vorausgesetzt, daß in einer Zielpopulation g = 1,...,G Segmente identifiziert werden können, die sich durch unterschiedliche Nutzungswahrscheinlichkeiten bei gleichen Verkehrsbedingungen auszeichnen. Unter dieser Annahme und unter Berücksichtigung der eindimensionalen Fahrzeitverteilung für den öffentlichen Nahverkehr errechnet sich der durchschnittliche ÖPNVNutzeranteil gemäß Gleichung 7.5.
G
"ÖPNV
=
L
,51WggglPÖPNVfglbzw· (7.5)
"ÖPNV
=
f
= 1
Σ/glPgl
Dabei ist P ö i > N V g l = P(ÖPNV| Segment = g , t ö p N V = t!*) die Wahrscheinlichkeit dafür, cfaß ein Individuum aus dem Nutzersegment g bei einer ÖPNV-Fahrzeit von t 1* mit Bussen und Bahnen zur Arbeit fährt, und w ist £ der Anteil dieses Segments in der Population. Weiterhin bezeichnet g^ den Anteil der Personen in Segment g, deren subjektive ÖPNV-Fahrzeit im
4
Der Anteil für das Rad bleibt hier außer acht.
III. Analyse der Zeitresponse
265
Intervall Ij liegt, und w g l ist der Anteil dieses Personenkreises in der Population. Die Fahrzeiten für das Automobil und das Rad werden zuerst noch konstant gehalten. Die diskrete Entscheidungsanalyse ergab, daß es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl gibt. Deshalb wird hier die Methode zur Anteilsschätzung bei heterogenen Populationen am Beispiel einer Geschlechtssegmentierung exemplarisch vorgestellt, d.h. G = 2. Tabelle 16 enthält die Anteile g^ und die korrespondierenden Nutzungswahrscheinlichkeiten P q P N V ,·
Zeitintervall Intervall-
0-1
1-2
2-3
3-4
4-5
5-6
>6
mitte
0.5
1.5
2.5
3.5
4.5
5.5
6.5
0.047
0.212
0.265
0.206
0.118
0.115
0.230
0.276
0.161
0.011
0.153 0.184
0.147 0.566
0.077 0.387
0.039 0.234
0.019 0.129
0.009 0.067
0.005 0.033
ig,: g=Männer 0.000 g=Frauen 0.023 P
ÖPNV,gl: g=Männer g=Frauen
0.263 0.730
Zeitangaben im Minuten. Tabelle 16: Geschlechtsspezifische Verteilung der subjektiven ÖPNV-Fahrzeiten und der Nutzungswahrscheinlichkeiten
Wie aus Tabelle 16 zu ersehen ist, schätzen Frauen den Ö P N V im Vergleich zu Männern tendenziell schneller ein. Dieser Unterschied ist allerdings nicht signifikant. Die Nutzungswahrscheinlichkeiten P q P N V g l der Frauen sind dagegen deutlich höher als die der Männer. Nach Gleichung 7.5 ergibt sich aus diesen Daten ein Nutzeranteil für den Ö P N V von 11,5%. Dieser Wert deckt sich mit dem der korrekt klassifizierten ÖPNV-Nutzer in
G. Empirische Analyse von Zeitresponsefunktionen
266
der diskreten Entscheidungsanalyse. Somit gelingt es dieser Analyse sehr gut, den Anteil derjenigen, die mit Bussen und Bahnen zur Arbeit fahren, einerseits aus den unterschiedlichen ÖPNV-Fahrzeiten und andererseits durch geschlechtsspezifische Präferenzunterschiede bezüglich der einzelnen Verkehrsmittel zu erklären. Dieser Analyse liegen geschlechtsspezifische Fahrzeitverteilungen 50 zugrunde . Je mehr Segmente aber gebildet werden, desto aufwendiger wird dieses Verfahren. Eine Möglichkeit, den Berechnungsaufwand zu reduzieren, ist, von identischen subjektiven Fahrzeitverteilungen in allen Nutzersegmenten auszugehen. Unter Zugrundelegung dieser Annahme ergibt sich der ÖPNV-Nutzeranteil gemäß Gleichung 7.6.
"ÖPNV
=
w
"ÖPNV
=
*66
Dabei sind w
+
m"m x
·045
und w m
w
+