Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte: Instrumente, Verfahren und Erfolgsfaktoren [1. Aufl.] 9783658261443, 9783658261450

Die pharmazeutische Industrie steht im deutschen Gesundheitswesen häufig im Mittelpunkt kontroverser Kostendiskussionen.

317 82 12MB

German Pages XI, 524 [515] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Front Matter ....Pages 1-1
Market Access Management – Konzeption und Prozess (Ralph Tunder)....Pages 3-35
Moral, Markt und Medikament (Friedrich Heubel)....Pages 37-54
AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte (Volker Ulrich, Matthias J. Kaiser)....Pages 55-66
Grundlagen des pharmazeutischen und medizintechnischen Rechts (Alexander P. F. Ehlers, Marion Bickmann)....Pages 67-88
Patientenorientierung im Gesundheitswesen (Matthias J. Kaiser, Katja Gehrke, Karin Agor, Michaela Knapp)....Pages 89-102
Value-based Health Care – Impulse und Implikationen für den deutschen Arzneimittelmarkt (Ralph Tunder, Jan Ober)....Pages 103-123
Front Matter ....Pages 125-125
Stakeholder im Gesundheitsmarkt (Maren Freiberg)....Pages 127-140
Politische Wahrnehmung und Patientenbeteiligung als relevante Faktoren für die pharmazeutische Industrie (Rüdiger Rein)....Pages 141-156
Beratungen der pharmazeutischen Unternehmen im Rahmen der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V (Charalabos-Markos Dintsios, Sara Schlenkrich)....Pages 157-176
Health Technology Assessment und seine Relevanz für Market Access (Charalabos-Markos Dintsios, Johannes Koch)....Pages 177-199
Zulassung und Zusatznutzenbewertung von Arzneimitteln – Konflikte und potenzielle Lösungsansätze (Wiebke A. Löbker, Karl Broich)....Pages 201-215
Front Matter ....Pages 217-217
Die Value Story als strategisches Instrument (Matthias P. Schönermark)....Pages 219-238
Erstellung des Nutzendossiers (Marc Esser, Bastian Thaa, Juliane Schreier)....Pages 239-259
Market-Access-Strategien in Deutschland (Marco Penske)....Pages 261-279
Markteintritt unter den Bedingungen der Frühen Nutzenbewertung (Veit Anton, Willi Schnorpfeil, Katrin Thiele)....Pages 281-302
Preisbildung und Erstattung im Pharmamarkt (Stephan Schurz, Maximilian Rödder)....Pages 303-315
Stellungnahmeverfahren und Anhörung im G-BA (Olaf Pirk)....Pages 317-337
Preisverhandlungen in der GKV (Willi Schnorpfeil, Wolfgang Gassner)....Pages 339-360
Medizinische Register im Market Access-Prozess (Maike Bestehorn, Kurt Bestehorn)....Pages 361-375
Schnittstelle Market Access und Vertrieb (Klaus-Peter Emig)....Pages 377-390
Front Matter ....Pages 391-391
AMNOG – Schnittstelle Market Access und Marketing (Wolfgang Garbaciok)....Pages 393-401
Key Account Management (Angelika R. Kunz-Braun)....Pages 403-414
Krankenkassen-Management (Tim Steimle, Goentje-Gesine Schoch)....Pages 415-431
Patient Journey (Christa Wolf, Angelika Kunz-Braun)....Pages 433-447
Festbeträge am Ende des Produktlebenszyklus (Christof Ecker)....Pages 449-455
Front Matter ....Pages 457-457
Market Access von Medizinprodukten (Olaf Winkler)....Pages 459-479
Market Access – jenseits von Arzneimitteln und Medizinprodukten – im ambulanten und stationären Sektor (Klaus-Jürgen Preuß)....Pages 481-504
Market Access von Biosimilars (Christian Bach, Jörg Herbst, Iris Kruiskamp-Kuls)....Pages 505-524
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Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte: Instrumente, Verfahren und Erfolgsfaktoren [1. Aufl.]
 9783658261443, 9783658261450

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Ralph Tunder Hrsg.

Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte Instrumente, Verfahren und Erfolgsfaktoren

Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte

Ralph Tunder Hrsg.

Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte Instrumente, Verfahren und Erfolgsfaktoren

Hrsg. Ralph Tunder Health Care Management Institute EBS Business School Health Care Management Institute Oestrich-Winkel, Deutschland

ISBN 978-3-658-26144-3    ISBN 978-3-658-26145-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Der Marktzugang (Market Access) von Arzneimitteln und Medizinprodukten wird durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) seit dem 1. Januar 2011 geregelt. Nach anfänglichen Anpassungs-, Lern- und Gewöhnungseffekten scheint es so, dass sich die Hersteller mit den gesetzlichen Anforderungen und Vorgaben arrangiert haben. Kern des Gesetzes ist es, dass Hersteller für ein neues Arzneimittel einen Zusatz­ nutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie im Rahmen einer frühen Nutzenbewertung nachweisen müssen. Dieser Nachweis ist dann Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Bis Oktober 2019 wurden seit Einführung des AMNOG 421 Nutzenbewertungsverfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) abgeschlossen. Die Erfolgsquote für den Nachweis eines Zusatznutzens in wenigstens einem Teilanwendungsgebiet liegt bei fast 60 Prozent. Gründe dafür, dass der Nachweis nicht erbracht werden konnte, liegen häufig an den von den Herstellern eingebrachten Daten und Studien, die den Ansprüchen des G-BA nicht umfänglich gerecht wurden (z.  B. indem eine abweichende zweckmäßige Vergleichstherapie herangezogen wurde oder bestimmte Detailfragen nicht zur Gänze durch die Studie beantwortet werden konnten). Nur in rund 15 Prozent der Fälle hat der G-BA keine Überlegenheit des neuen Arzneimittels gegenüber der Vergleichstherapie festgestellt. Sicherlich kann man diese Zahlen aus verschiedenen Perspektiven recht unterschiedlich bewerten. Unzweifelhaft sticht jedoch heraus, dass „handwerkliche Sorgfalt“ bei der Erstellung des Nutzendossiers im Speziellen und bei der Planung und Durchführung des gesamten Market Access-Prozesses im Allgemeinen einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellt – natürlich neben oder (genau genommen) nachrangig zur medizinisch-therapeutischen Qualität. Market Access macht man nicht eben so nebenbei. Die Akribie der klinischen Forschung endet nicht nach derselbigen. Akribisch sollte auch der Market Access vorbereitet, geplant, durchgeführt und gemanagt werden. Darüber hinaus wäre der Blick ein zu kurzer, wenn Market Access nur auf die Zulassung und Erstattung beschränkt wird. Der Blickwinkel des Market Access Management ist ein viel größerer. Er fängt schon bei der Suche nach der Therapielücke an, geht über den

V

VI

Vorwort

Launch und endet beim Patentauslauf. Market Access Management erstreckt sich somit über den gesamten Wertschöpfungsprozess. Der Market Access Manager nimmt dabei die Rolle eines Traffic-Managers ein, der diesen Prozess nicht nur begleitet, sondern ihn hinsichtlich der Nutzennachweispflicht durchtaktet. Der Aufbau des Buches orientiert sich an dem Managementprozess des Market Access, wenngleich die erste Phase im Rahmen des Pre-Launch, das sogenannte „Market Finding“, als eigenständiges Kapitel ausgeklammert wurde. Die weiteren Phasen des Market Access Management – „Market Initiation“, „Market Entry“ und „Market Development“ – stellen die Teile II bis IV des Buches dar. Umschlossen werden diese Teile durch die Perspektive (Teil I) und Spezifikationen (Teil V) des Market Access Management. Jeder einzelne Teil des Buches setzt besondere Schwerpunkte und greift spezifische Themen auf. Die Abfolge der einzelnen Themen beansprucht nicht, den chronologischen Verlauf des Market Access-Prozesses exakt abbilden zu wollen. Eine inhaltliche und formale Trennschärfe der einzelnen Kapitel wäre auch nur künstlich herbeizuführen. Viele Themen bedingen sich gegenseitig. Das vorliegende Buch ist für den Market Access Manager oder die Managerin geschrieben und auch für jene, die sich beizeiten in diesem Aufgabenfeld beruflich profilieren wollen. Es dient dazu, sowohl einen Überblick zu geben und einen konzeptionellen Rahmen zu schaffen, als auch hinsichtlich einzelner Detailfragen Impulse und Anregungen zu liefern. Das Buch soll dem Leser oder der Leserin nicht nur die Grundlagen, sondern auch die Vielfältigkeit und die Anforderungen des Market Access Management aufzeigen. Selbstverständlich verbinden wir das nicht mit dem Anspruch, sämtliche Fragen und Problemstellungen umfassend beantworten zu wollen  – ganz im Gegenteil. Das Buch soll Anstöße liefern, sich mit der ein oder anderen Thematik noch intensiver auseinandersetzen zu wollen und so im Dialog mit uns und anderen das lernende System Market Access weiterzuentwickeln. In diesem Sinne wendet sich das Buch auch an die Scientific Community, die sich mit Fragen der medizinischen Versorgung auseinandersetzt. Der Adressatenkreis für das Buch spiegelt sich im Autorenkreis wider. Es ist geschrieben für und von Personen, die sich beruflich mit Market Access auseinandersetzen. Die Autoren leben und lehren Market Access. So freue ich mich außerordentlich, aus dem Kreis der Deutschen Fachgesellschaft für Market Access e. V. (DFGMA) und der Dozentenschaft des berufsbegleitenden Intensivstudiums Market Access Management an der EBS Business School (Oestrich-Winkel und Wiesbaden) sowie weitere Wegbegleiter aus der Wissenschaft als Mitautoren gewonnen zu haben. Jeder einzelne hat seine besondere Expertise, seine spezifischen Erfahrungen und sein Wissen ein- und mit einem Schuss Sendungsbewusstsein zu Papier gebracht. Dafür möchte ich allen Mitautoren herzlichen danken! Danken möchte ich an dieser Stelle auch dem Springer Gabler Verlag und hier insbesondere Frau Margit Schlomski für ihre Geduld und Mühen. Ferner danke ich meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Health Care Management Institute (HCMI) der EBS

Vorwort

VII

Business School, Frau Vivienne Dierkes, für den letzten Feinschliff des Buches. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an meinen ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Jan Ober, der mir am HCMI und bei der DFGMA großartige Dienste geleistet hat. Sein Verdienst rund um das Buch sowohl bei der redaktionellen Betreuung als auch bei der inhaltlichen Verdichtung ist außerordentlich. Es war mir eine große Freude, mit ihm in den letzten Jahren zusammen gearbeitet zu haben. Schloss Reichartshausen,  Oestrich-Winkel

Ralph Tunder

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Perspektiven 1 Market Access Management – Konzeption und Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3 Ralph Tunder 2 Moral, Markt und Medikament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Friedrich Heubel 3 AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Volker Ulrich und Matthias J. Kaiser 4 Grundlagen des pharmazeutischen und medizintechnischen Rechts . . . . . . . . 67 Alexander P. F. Ehlers und Marion Bickmann 5 Patientenorientierung im Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Matthias J. Kaiser, Katja Gehrke, Karin Agor und Michaela Knapp 6 Value-based Health Care – Impulse und Implikationen für den deutschen Arzneimittelmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Ralph Tunder und Jan Ober Teil II  Prozess – Market Initiation 7 Stakeholder im Gesundheitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Maren Freiberg 8 Politische Wahrnehmung und Patientenbeteiligung als relevante Faktoren für die pharmazeutische Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Rüdiger Rein 9 Beratungen der pharmazeutischen Unternehmen im Rahmen der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Charalabos-Markos Dintsios und Sara Schlenkrich

IX

X

Inhaltsverzeichnis

10 Health Technology Assessment und seine Relevanz für Market Access. . . . . 177 Charalabos-Markos Dintsios und Johannes Koch 11 Zulassung und Zusatznutzenbewertung von Arzneimitteln – Konflikte und potenzielle Lösungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Wiebke A. Löbker und Karl Broich Teil III  Prozess – Market Entry 12 Die Value Story als strategisches Instrument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Matthias P. Schönermark 13 Erstellung des Nutzendossiers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Marc Esser, Bastian Thaa und Juliane Schreier 14 Market-Access-Strategien in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Marco Penske 15 Markteintritt unter den Bedingungen der Frühen Nutzenbewertung. . . . . . . 281 Veit Anton, Willi Schnorpfeil und Katrin Thiele 16 Preisbildung und Erstattung im Pharmamarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Stephan Schurz und Maximilian Rödder 17 Stellungnahmeverfahren und Anhörung im G-BA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Olaf Pirk 18 Preisverhandlungen in der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Willi Schnorpfeil und Wolfgang Gassner 19 Medizinische Register im Market Access-­Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Maike Bestehorn und Kurt Bestehorn 20 Schnittstelle Market Access und Vertrieb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Klaus-Peter Emig Teil IV  Prozess – Market Development 21 AMNOG – Schnittstelle Market Access und Marketing. . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Wolfgang Garbaciok 22 Key Account Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Angelika R. Kunz-Braun 23 Krankenkassen-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Tim Steimle und Goentje-Gesine Schoch 24 Patient Journey. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Christa Wolf und Angelika Kunz-Braun

Inhaltsverzeichnis

XI

25 Festbeträge am Ende des Produktlebenszyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Christof Ecker Teil V  Spezifikationen 26 Market Access von Medizinprodukten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Olaf Winkler 27 Market Access – jenseits von Arzneimitteln und Medizinprodukten – im ambulanten und stationären Sektor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Klaus-Jürgen Preuß 28 Market Access von Biosimilars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Christian Bach, Jörg Herbst und Iris Kruiskamp-Kuls

Teil I Perspektiven

1

Market Access Management – Konzeption und Prozess Ralph Tunder

Inhaltsverzeichnis 1.1  D  efinition, Ziele und Funktionen des Market Access Management  1.2  Ökonomische Dimension des Zusatznutzens  1.2.1  Ökonomie und Therapie  1.2.2  Kosten und Nutzen  1.2.3  Ausgewählte Verfahren zur ökonomischen Bewertung einer Therapie  1.2.3.1  Kosten-Nutzwert-Analyse  1.2.3.2  Kosten-Wirksamkeits-Analyse  1.3  Managementphasen des Market Access  1.3.1  Market-Finding  1.3.1.1  Suche nach der Therapielücke  1.3.1.2  Forschung und Studien  1.3.2  Market-Initiation  1.3.2.1  Zulassung  1.3.2.2  Stakeholder Management  1.3.3  Market-Entry  1.3.3.1  Erstattung (AMNOG)  1.3.3.2  Vertrieb  1.3.4  Market-Development  1.3.4.1  Confirmation Management  1.3.4.2  Patentauslauf  1.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 4  7  7  8  9  10  11  12  12  12  14  16  16  19  20  20  26  28  28  31  32  33

R. Tunder (*) Health Care Management Institute, EBS Business School Health Care Management Institute, Oestrich-Winkel, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_1

3

4

R. Tunder Zusammenfassung

Management in funktionaler Hinsicht wird als eine Tätigkeit zur Führung und Verwaltung von Organisationen und zur Steuerung von Vorgängen und Prozessen verstanden. Solche Vorgänge und Prozesse sind beeinflussbar und durch einen Anfangs- und (gewünschten) Endzustand charakterisierbar. Der Market Access von Arzneimitteln und Medizinprodukten stellt einen zu charakterisierenden Prozess dar, der einen Anfangsund Endzustand hat. Er besteht aus einem Kernprozess, der Zulassung und Erstattung, sowie aus einem vor- und nachgelagerten Prozess, der Forschung und Entwicklung einerseits und der Marktbearbeitung andererseits. Der Gesamtprozess ist durch das Market Access Management beeinflussbar. Alles dreht sich dabei um die zweigeteilte Frage, ob und wie ein Zusatznutzen für eine neue Therapie gefunden (erforscht), gepflegt und verteidigt werden kann und ob und wie hierfür eine Erstattung erfolgt. Market Access Management ist somit von herausragender Bedeutung insbesondere für Hersteller pharmazeutischer und medizintechnischer Produkte. Es soll auf der einen Seite Impulse für die Forschung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte geben, auf der anderen Seite die für den Markterfolg notwendigen Argumente liefern und parallel dazu den Zusatznutzen gegenüber Gremien, Prüfinstituten sowie den Kostenträgern wertbringend offenlegen. Market Access Management bildet das Scharnier zwischen der Wertschöpfungs- und Vermarktungskette eines pharmazeutischen oder Medizinprodukte-­Herstellers.

1.1

 efinition, Ziele und Funktionen des Market Access D Management

Die wörtliche Übersetzung von Market Access lautet Marktzugang. Um den Zugang zum Markt zu erlangen, benötigen die pharmazeutischen Hersteller im Grunde genommen nur eine Zulassung für ihre Produkte. Die Zulassung von Arzneimitteln regelt der vierte Abschnitt des Arzneimittelgesetzes (AMG) mit den §§ 21 bis 37, wobei weitere Einzelheiten per Rechtsverordnung festgelegt werden können (§ 35 AMG). Eine erfolgreiche Zulassung bedeutet aber nicht, dass der Hersteller sogleich auch einen Preis für sein Arzneimittel oder Medizinprodukt aufrufen kann. Nach dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) muss der Hersteller vorab den Zusatznutzen belegen, den sein Produkt gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie hat. Dieser ist dann Ausgangpunkt für die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Folglich könnte das Aufgabenfeld des Market Access Management eng abgesteckt werden, wonach es sich auf die Zulassung und Erstattung von Arzneimitteln und Medizinprodukten beschränkt. Dieses in der Tat eng ausgelegte Verständnis von Market Access Management wird den tatsächlichen Anforderungen an den Marktzugang jedoch nur ansatzweise gerecht. Die jüngsten Entwicklungen insbesondere im Zuge der N ­ achweiserbringung des Zusatznutzens (Nutzendossier) zeigen, dass sich der Adressatenkreis und das Aufgabenfeld

1  Market Access Management – Konzeption und Prozess

5

des Market Access Management erweitert haben. Neben den Fragen zur Zulassung und Erstattung erstrecken sich die Funktionen des Market Access Management demnach auch auf (Abb. 1.1): • die Antizipation der Auswirkungen, die von einem neuen Präparat oder Medizinprodukt auf dem Gesundheits- bzw. Arzneimittelmarkt ausgehen, • die Evaluation der Effekte, die von einem dynamischen Gesundheitsmarkt und einem sich stetig verändernden rechtlichen Rahmen auf das neue bzw. am Markt bereits platzierte Arzneimittel ausgeübt werden, • die Transformation der Auswirkungen und Effekte in dem gesamten Wertschöpfungsprozess, um so den Anforderungen an die Erstattung ganzheitlich gerecht zu werden, sowie • die Formation des Zusatznutzens in die Kommunikation gegenüber den Stakeholdern, um somit die Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels über den gesamten Produktlebenszyklus aufrechtzuerhalten. Der Einflussbereich des Market Access Management umfasst somit die gesamte Wertschöpfungskette, beginnend mit der Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und Medizinprodukte über deren Zulassung und Erstattung bis hin zur Betreuung oder Begleitung der Patienten im Umgang mit dem Medikament bzw. Medizinprodukt sowie am Ende mit der Frage des Patentauslaufs. Diese umfassendere, ganzheitliche Interpretation des Aufgabenfeldes von Market Access Management kann zweifelsohne als Reaktion auf die Entwicklungen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes

Evaluation

Zusatznutzen Antizipation

Zulassung

gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie

Erstattung

Transformation

Abb. 1.1  Funktionen des Market Access Management. (Quelle: Eigene Darstellung)

Formation

6

R. Tunder

(AMNOG) am 1. Januar 2011 gewertet werden. Zusätzlich zu den bisher etablierten drei Prüfkriterien im Zulassungsverfahren eines neuen Präparates – erstens der therapeutischen Wirksamkeitsprüfung, zweitens der toxischen Unbedenklichkeitsprüfung und schließlich drittens der pharmazeutischen Qualitätsprüfung – ist mit dem AMNOG ein viertes Prüfkriterium hinzugekommen in Form des Nachweises eines Zusatznutzens gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie. Das vierte Prüfkriterium versperrt dem Hersteller, im Gegensatz zu den ersten drei Kriterien, nicht den Zugang zum Markt, jedoch reglementiert es die Preissetzung bzw. Erstattungsfähigkeit eines neuen Präparates und bestimmt somit maßgeblich den wirtschaftlichen Erfolg des pharmazeutischen Herstellers. Die pharmazeutischen Hersteller haben in ihrer Aufbau- und Ablauforganisation auf die Anforderungen des AMNOG reagiert und entsprechende Abteilungen geschaffen, die für den AMNOG-Prozess verantwortlich sind, häufig ohne allerdings den sequenziellen Funktionsaufteilungen die erforderliche Durchlässigkeit zu geben. Neben Market Access agieren weitere Abteilungen wie etwa Regulatory, Health Economics und Outcomes Research, Pricing und Reimbursement oder Marketing und Vertrieb. Zudem wechseln innerhalb eines AMNOG-Prozesses unter Umständen die Zuständigkeiten zwischen jenen, die für die Dossiererstellung und -einreichung und gelegentlich auch für das Stellungnahmeverfahren verantwortlich sind, und jenen, die das Pricing und Reimbursement verantworten und entsprechende Verhandlungen über den Erstattungsbetrag mit dem GKV-­ Spitzenverband führen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche abteilungsstarre und zuständigkeitsbeharrende Zergliederung des Market Access Management Probleme mit sich bringt. Market Access Management sollte deswegen interdisziplinär und trans- oder cross-funktional verstanden werden, wo vorhandene Expertisen eng miteinander verzahnt werden (Schönermark et al. 2018, S. 22). Folgt man dieser Forderung, hat das Market Access Management neben den Kernfunktionen Zulassung und Erstattung auch zahlreiche Unterstützungsfunktionen, die sich über die Prozessphasen der Wertschöpfungskette erstrecken. Sie beginnen im Pre-Launch bei der Erforschung neuer Wirkstoffe, wo das Market Access Management die Forschungsbemühungen auf die Findung eines möglichen Zusatznutzens ausrichtet (Market-Finding). Die Unterstützungsfunktionen setzen sich fort in der anschließenden Launch-Phase, in der das Market Access Management erstens den anstehenden Markteintritt anbahnt (Market-­ Initiative) und sich dabei um die Zulassung und Stakeholder kümmert sowie zweitens den Markteintritt real vornimmt (Market-Entry), wo insbesondere die Erstattung zu klären und der Vertrieb zu unterstützen ist. In der abschließenden Phase des Post-Launch begleitet das Market Access Management die Bemühungen zur Adhärenz der Patienten und liefert am Ende wichtige Impulse für die Patenauslaufstrategie (Market-Development). Vor diesem Hintergrund werden Market Access (Tunder 2011, S. 3) und Market Access Management wie folgt definiert: cc Market Access ist Zulassung und Erstattung von neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, wobei sich Fragen hierzu auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken.

1  Market Access Management – Konzeption und Prozess

7

cc Market Access Management verantwortet den Zugang und die Erstattung von neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und unterstützt im Rahmen seiner Funktionsausübung den Entwicklungs- und Vermarktungsprozess eines Produktes oder einer Methode mit dem strategischen Ziel, einen Zusatznutzen für das neue Produkt oder für die Methode zu finden, zu verteidigen und zu pflegen. Kurzgefasst: Market Access Management ist das Management des Zusatznutzens.

1.2

Ökonomische Dimension des Zusatznutzens

1.2.1 Ökonomie und Therapie Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten haben ein unternehmerisches Inte­ res­se, dass möglichst viele Patienten mit ihren Produkten versorgt werden und dass die Kostenträger dafür einen angemessenen Preis erstatten. Marktwirtschaftliche Instrumente zur Regulierung der unternehmerischen Interessen einerseits und denen der Patienten und Kostenträger andererseits greifen im Gesundheitswesen ins Leere, und das liegt nicht nur an den bekannten Informationsasymmetrien zwischen allen Akteuren im Gesundheitswesen. Insbesondere der Charakter des Gutes „Gesundheit“ setzt Marktprinzipien außer Kraft, denn das Bedürfnis nach Gesundheit ist unendlich, während die Ressourcen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, begrenzt sind. Der medizinisch-technische Fortschritt löst einerseits gesundheitliche Probleme und befriedigt damit das Bedürfnis nach Gesundheit, andererseits fördert er durch eine verbesserte Diagnostik die Entdeckung von Krankheiten und schafft damit neue Bedürfnisse. Aufgrund der Ressourcenknappheit stellt der Gesetzgeber die medizinische Versorgung unter ein Wirtschaftlichkeitsgebot. Demnach hat die medizinische Versorgung nach § 12 SGB V unter anderem wirtschaftlich und damit ökonomisch zu sein. Der medizinische Gesundheitsbegriff deckt sich jedoch nicht zwingend mit dem ökonomischen Gesundheitskonzept, das sich als ein „… undifferenziertes, kaum messbares ‚Gesundheits-Kapitalstock‘-Konzept [darstellt], bei dem genetische Faktoren, Umweltfaktoren und Verhaltensfaktoren nicht explizit als Modellbasis verwendet werden“ (Tretter 2005, S. 570). Die sogenannte Ökonomisierung der Medizin wird als Fluch und Einzug des neoliberalen Paradigmas in die Gesundheitsversorgung gesehen (Dohmen und Fiedler 2015). Ein werturteilsfreierer Umgang mit der Ökonomie eröffnet jedoch auch Perspektiven, denn ökonomisches Handeln zielt darauf ab, zwischen den unbegrenzten Bedürfnissen einerseits und den begrenzten Ressourcen andererseits zu „moderieren“. Diese moderierende Aufgabe der Ökonomie in der medizinischen Versorgung hat unzweifelhaft dann ihre Berechtigung, wenn sie sich am Patientenwohl ausrichtet. Daher ist eine Ökonomisierung per se nicht schlecht, „wenn der zu maximierende Patientennutzen beziehungsweise die Patientenpräferenzen auch gemessen werden können“ (Mühlbacher 2017, S.  1590). Allerdings ist das genau die Krux der Ökonomisierung: Wie lassen sich Nutzen und Präferenzen der Patienten objektiv messen?

8

R. Tunder

Das ökonomische Nutzenkonzept stößt in der medizinischen Versorgung an seine Grenzen. Eine Nutzenmaximierung der Gesundheit ist nicht möglich. Nutzensteigerungen sind nur im Rahmen des ordinalen Vergleichs einer Güterabwägung aussagekräftig (Rational-­Choice-Paradigmen). Diesem Umstand tragen die Bewertungsmaßstäbe für eine neue Therapie Rechnung, wenn entweder dem (Zusatz-)Nutzen die entsprechenden Kosten gegenübergestellt werden und/oder wenn der (Zusatz-)Nutzen einer neuen Therapie mit dem Nutzen einer etablierten Therapie verglichen wird. Aus Sicht der Kostenträger stellen sich bei dieser Güterabwägung unter anderem folgende Fragen (Schoonveld 2015): 1 . Welche Lücke schließt die neue Therapie? („unmet need“) 2. Wie gut wirkt die neue Therapie? („effectiveness“) 3. Wie aussagekräftig sind die Studienergebnisse bezüglich der Effektivität und Sicherheit der neuen Therapie? („evidence“) 4. Was sind die ökonomischen Konsequenzen der neuen Therapie, und wie ist mit ihnen umzugehen? („budget impact“) 5. Wie groß ist das öffentliche Interesse an der neuen Therapie? („public interest“)

1.2.2 Kosten und Nutzen Da die Marktmechanismen im Gesundheitswesen nur bedingt greifen, liegt aus ökonomischer Sicht der Schluss nahe, den absoluten und den relativen Wert medizinischer Interventionen mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse zu bestimmen. Diese Kosteneffektivitätsanalysen laufen unter der Bezeichnung Health Technology Assessment (HTA), wobei unter dem Begriff der medizinischen Technologie alles subsumiert wird, was auf die Diagnose, Behandlung und Prävention von Erkrankungen abzielt und sowohl ein Arzneimittel als auch ein chirurgisches Verfahren oder ein Diagnostikum sein kann (Widrig 2015). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) koordiniert als oberstes Entscheidungsgremium sämtliche HTA-Prozesse und setzt in diesem Zusammenhang Prioritäten für die Auswertung, bestellt und bewertet Gutachten und formuliert Empfehlungen zur Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). In Deutschland sind zwei separate Agenturen mit der Koordination der notwendigen Daten betraut, auf deren Grundlage die Entscheidungen des G-BA getroffen werden. Während die Deutsche Agentur für Health Technology Assessment (DAHTA) für die Pflege eines HTA-­ Datenbanksystems verantwortlich ist, fungiert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als führendes HTA-Organ für die Konzeption von Berichten für den G-BA. Ergänzend wirkt das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIQ), das mit der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen betraut ist. Mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes 2007 wurde die gesundheitsökonomische Evaluation im System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland erstmalig (§ 35 b SGB V) vorgesehen, wonach eine vom IQWiG erstellte gesundheitsökonomische Evaluation für den GKV-Spitzenverband als Grundlage dient, um den Höchstbe-

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trag für bestimmte Arzneimittel festzulegen. Mit dem AMNOG ist die Bedeutung gesundheitsökonomischer Evaluationen geschärft worden. Gemäß §  35b SGB  V erfolgt eine gesundheitsökonomische Evaluation nur auf Antrag und nur unter den Voraussetzungen, dass a) im Rahmen der Preisverhandlungen zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband keine Einigung eintritt und der nach abgeschlossenem Schiedsverfahren festgesetzte Erstattungsbetrag nicht akzeptiert wird oder dass b) im Zusammenhang mit der Nutzenbewertung durch den G-BA für den betreffenden Wirkstoff kein Zusatznutzen bzw. keine therapeutische Verbesserung festgestellt werden konnte und in diesem Zuge eine gesundheitsökonomische Evaluation durch das pharmazeutische Unternehmen in Auftrag gegeben wird. Der Vergleich von Kosten und Nutzen einer Therapie erfolgt in Deutschland über die Analyse der Effizienzgrenze. Hierbei werden sämtliche Optionen in der Behandlung einer Indikation hinsichtlich des Verhältnisses von Gesamtnutzen zu den Gesamtkosten verglichen. Im Ergebnis werden Richtwerte für eine Modifikation der Effizienzgrenze aus den bereits etablierten Therapien abgeleitet (IQWIG 2009). Im Gegensatz zum Incremental-­ Cost-­ Effectiveness-Ratio-Ansatz (ICER-Ansatz), der vom britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) angewandt wird und dabei den Kostenunterschied zweier Behandlungsverfahren durch den Unterschied der Outcomes teilt, handelt es sich bei der Analyse der Effizienzgrenze um eine indikationsbezogene Kosten-Nutzen-­Betrachtung der relevanten Therapien, die sich von der indikationsübergreifenden Schwellenwertbetrachtung abgrenzt, wie sie etwa bei der Methode „Quality Adjusted Life Years“ (QALYs) zugrundgelegt wird. Die Analyse der Effizienzgrenze entzieht somit einer eventuellen Debatte über die Rationierung von Gesundheitsleistungen den Boden. An der Effizienzgrenze orientiert sich der GKV-Spitzenverband bei der Festlegung von Höchstbeträgen für Arzneimittel. Demnach können neue Arzneimittel nur in den Genuss von Höchstbeträgen kommen, wenn sie gegenüber anderen Therapien einen Zusatznutzen vorweisen. Arzneimittel ohne zweckmäßige Alternative nehmen nicht an der Bewertung teil. Ein zweistufiges Verfahren unterstützt die Sicherstellung dieser Voraussetzungen. In der ersten Stufe wird der Zusatznutzen des neuen Arzneimittels gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie bestimmt. Danach erst erfolgt in der zweiten Stufe basierend auf den ermittelten Kosten eine entsprechende Kosten-Nutzen-Analyse. Die Ableitung und grafische Darstellung der Effizienzgrenzen erfolgen auf Basis des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen. Anhand der grafischen Verbindung der Koordinaten der alternativen, effizienteren Therapien entsteht eine Grenzlinie, die eine übersichtliche Einordnung von Arzneimitteln hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses erlaubt. Es wird unmittelbar deutlich, welche Medikamente aufgrund eines geringeren Nutzens ihren Preis nicht halten können oder aus der Versorgung genommen werden müssen (IQWIG 2009). 

1.2.3 A  usgewählte Verfahren zur ökonomischen Bewertung einer Therapie Als Grundlage der Ermittlung von Effizienzgrenzen dienen pharmakoökonomische Studien, die als vergleichende oder nicht-vergleichende Analyse angelegt sein können. Die nicht-vergleichenden Studien beschränken sich nur auf die Kosten, die im Rahmen einer

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bestimmten medizinischen Maßnahme entstehen. Vergleichende Studien hingegen beziehen zusätzlich den Faktor Nutzen der jeweiligen Maßnahme mit ein und bieten somit den notwendigen Mehrwert für Allokationsentscheidungen im Gesundheitswesen.

1.2.3.1 Kosten-Nutzwert-Analyse Die Kosten-Nutzwert-Analyse ist eine erfolgsorientierte Bewertung einer medizinischen Behandlungsmethode aus Patientensicht. Um Auswirkungen auf die Lebensqualität und -erwartung des Patienten zu berücksichtigen und die Normierung der Behandlungsergebnisse zu ermöglichen, werden aus unterschiedlich dimensionierten Ergebnisgrößen Nutzwerte ermittelt. Diese Nutzwerte können anschließend den entsprechenden Kosten gegenübergestellt werden. Somit werden indikationsübergreifende Vergleiche innerhalb des Gesundheitswesens möglich. Im Rahmen der Ermittlung entsprechender Nutzwerte findet das QUALY-Konzept wiederholt Anwendung. Ein qualitätskorrigiertes Lebensjahr (englisch „quality-adjusted life year“ oder QALY) ist eine Kennzahl für die Bewertung eines Lebensjahres in Relation zur Gesundheit. Ein QALY von 1 bedeutet, dass ein Mensch ein Lebensjahr völlig gesund führt, wohingegen ein QALY von 0 genau das Gegenteilige ausdrückt. In diesem Lebensjahr droht der Mensch zu versterben. Zur Ermittlung dieser Kennzahl werden die Aspekte Lebensquantität und -qualität multiplikativ verknüpft. Im ersten Schritt werden anhand einer Skala von 0 bis 1 (Tod bis vollständige Gesundheit) Nutzwerte in Abhängigkeit der zugrunde liegende Erhebungsmethode ermittelt, welche die Höhe des Nutzenzugewinns der betroffenen Personen durch die Inanspruchnahme einer Intervention darlegen. Anschließend erfolgt die Multiplikation dieses Nutzwertes mit der Dauer (in Lebensjahren) des entsprechenden Zustandes (Drummond et al. 2005). Durch Multiplikation des Nutzwertes mit der Dauer (in Lebensjahren), die der entsprechende Zustand anhält, ergibt sich eine Größe, die schließlich den Vergleich unterschiedlicher Maßnahmen ermöglicht. Ist die Lebensqualität über den Beobachtungszeitraum bzw. die restliche Lebenserwartung bestimmt worden, lässt sich ein inkrementelles Kosten-­ Wirksamkeits-Verhältnis bestimmen. Im Gesundheitssystem Großbritanniens werden therapeutische Maßnahmen anhand dieses Parameters direkt miteinander verglichen. Der Schwellenwert („Effizienzkriterium“) liegt dort in der Regel zwischen 20.000 und 30.000 englische Pfund pro QALY, wenngleich in Ausnahmefällen auch Maßnahmen bewilligt werden, deren Kosten je QALY deutlich über dem Schwellenwert liegen. Im deutschen Gesundheitswesen wird eine Kosten-Nutzen-Bewertung jedoch weiterhin indikationsabhängig vorgenommen, was den QALY-Ansatz in der Praxis hierzulande ausschließt (IQWiG 2009). Für eine Anwendung des QALY-Konzeptes zur Ermittlung eines Nutzenparameters spricht unbestritten der indikationsübergreifende Charakter eines QALY, denn er ermöglicht es, die Wirksamkeit von Therapien miteinander zu vergleichen, die an unterschiedliche Patientengruppen gerichtet sind. Dem stehen jedoch auch berechtigte Zweifel gegenüber. Hat zum Beispiel ein gewonnenes QALY für einen jungen Menschen den gleichen Wert wie für einen hochbetagten Menschen? Drückt ein Lebensqualitätsgewinn von 0,1 in zehn Jahren (=  1  QALY) das Gleiche aus wie ein Jahr mit vollkommener Gesundheit?

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Darüber hinaus sind die Intervalle der Skala kritisch zu reflektieren. Während eine Verbesserung der empfundenen Lebensqualität von 0,1 auf 0,2 relativ gesehen einen beträchtlichen Anstieg von 100 Prozent darstellt, hat eine absolute Verbesserung um ein Zehntel am oberen Ende der Skala eine bescheidenere arithmetische Wirkung. Hier bedeutet ein Anstieg von 0,9 auf 1,0 (vollständige Gesundheit) eine gesundheitliche Verbesserung um 11 Prozent. Hinzu kommt, dass die Kosten-Nutzenwert-Analyse als entscheidungstheoretisches Modell lediglich Angaben auf der Intervallskala von 0 bis 1 zulässt, obgleich praktisch auch individuelle Gesundheitszustände denkbar wären, die einen Wert unter null begründen würden. In diesem besonderen Fall würde ein Patient seine Lebensqualität infolge einer schweren Krankheit schlechter einschätzen als die Aussicht auf den unmittelbaren Tod (Schöffski und Greiner 2007).

1.2.3.2 Kosten-Wirksamkeits-Analyse Im Rahmen von Kosten-Wirksamkeits-Analysen werden Kosten von Leistungen hinsichtlich einer eindimensionalen Wirkungsgröße, beispielsweise gewonnener Lebensjahre ermittelt. Der Nutzen wird in diesem Zusammenhang indikationsabhängig bestimmt. Dies kann beispielsweise anhand von Surrogatparametern oder patientenrelevanten Endpunkten erfolgen (Büscher und Gerber 2010). Der ökonomische Vergleich von Interventionen kann im Rahmen der Kosten-Wirksamkeits-Analyse sowohl in Form der Berechnung des Kosten-Effektivitäts-Quotienten als auch anhand des inkrementellen Kosten-­Effektivitäts-­ Verhältnisses erfolgen (Mangold 2011). Der Kosten-Effektivitäts-Quotient gibt interventionsabhängig an, wie hoch die Kosten pro Einheit klinisch-therapeutischen Nutzens pro Patient sind. Klinisch-therapeutischer Nutzen bezeichnet in diesem Zusammenhang die Differenz zwischen der gesundheitlichen Veränderung mit bzw. ohne Intervention. Zur Berechnung des Kosten-­Effektivitäts-­ Quotienten wird das Verhältnis aus den Kosten der Intervention zu ihrer Wirksamkeit gebildet. Grundsätzlich gilt, dass ein kleiner Kosten-Effektivitäts-Quotient ökonomisch vorteilhafter ist. Da die Berechnung des Quotienten jedoch pro Intervention erfolgt und somit ein interventionsübergreifender Vergleich der Nutzenverbesserung beim Patienten nicht direkt ersichtlich ist, ergibt sich eine nur begrenzte Aussagekraft (Mangold 2011). Die Kosten-Wirksamkeits-Analyse stellt das vergleichsweise einfachste und in Deutschland gängigste Modell der Kosten-Nutzen-Analyse dar. Sie bildet das inkrementelle Kosten-Nutzen-Verhältnis zweier Behandlungsalternativen ab, deren Nutzen in klinischen Einheiten gemessen wird. Unter Kosten werden neben den Behandlungskosten auch die Ressourcenverbräuche oder Kosten von Komplikationen, wie Nebenwirkungen und Rückfall, subsumiert (Drummond et al. 2005). Der Nutzen einer Maßnahme wird demgegenüber indikationsabhängig bestimmt, etwa anhand von Surrogatparametern (Reduzierung der Blutfettwerte um x Prozent) oder durch patientenrelevante Endpunkte (z. B. gewonnene Lebensjahre, verhinderte Ereignisse, gewonnene Lebensqualität). Der Vorteil der Kosten-Wirksamkeits-Analyse liegt darin, dass ein sensitives Effektivitätsmaß gewählt werden kann, welches die Entscheidung über die zu wählende Behandlungsalternative vereinfacht (Büscher und Gerber 2010).

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1.3

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Managementphasen des Market Access

Das Management des Market Access beginnt nicht erst mit der Zulassung. In Hinblick auf die Bedeutung der Nutzendokumentation und -argumentation ergeben sich schon in der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel genügende Anknüpfungspunkte, um das Market Access Management mit einzubeziehen. Das Management des Market Access endet jedoch auch nicht mit der Erstattung, denn auch nach dem Markteintritt steht der (Zusatz-)Nutzen auf dem Prüfstand eines Reality Check. Grundsätzlich setzt sich Market Access Management aus einem Kernprozess sowie einem vor- und nachgelagerten Prozess zusammen. Im Kernprozess des Market Access Management dreht sich alles um die Frage der Zulassung und Erstattung unter Berücksichtigung der Stakeholder und mit Ausblick auf den Vertrieb des neuen Arzneimittels oder Medizinproduktes. Diesem Kernprozess vorgelagert, in der Pre-Launch-Phase, hat das Market Access Management auf die Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit der Forschungsbemühungen einzuwirken (Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie). Nach dem Launch ist es für das Market Access Management ebenso von Bedeutung, dass der Zusatznutzen sich in der breiten Anwendung im Real Life bestätigt, um nicht nachfolgend unter Rechtfertigungsdruck gegenüber Patienten, Ärzten und Kostenträgern zu kommen. In der Gesamtschau und unter Zugrundelegung einer systematischen, funktionsbezogenen Kategorisierung setzt sich das Market Access Management aus vier eigenständige Prozessphasen zusammen, denen wiederum jeweils zwei Managementfunktionen bzw. -aufgaben zugewiesen werden können (Abb. 1.2).

1.3.1 Market-Finding 1.3.1.1 Suche nach der Therapielücke Im Jahr 2018 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, kurz EMA) für 84 Medikamente mit 42 neuen Wirkstoffen die Zulassung empfohlen (EMA 2018, S. 8). Bis es dazu kommt, ist es ein langer Weg. Laut Angabe des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa) vergehen im Schnitt 13 Jahre, bis ein neues Medikament auf den Markt kommt, und von 5000 bis 10.000 Substanzen, die in der präklinischen Forschung hergestellt und untersucht werden, kommen im Durchschnitt nur 9  in Market Access Management - Prozessphasen Pre-Launch Market-Finding Suche der Therapielücke

Forschung und Studien

Launch Market-Initiation Zulassung

StakeholderManagement

Post-Launch Market-Entry Erstattung

Vertrieb

Market-Development Confirmation Management

Abb. 1.2  Der Market Access Management Prozess. (Quelle: Eigene Darstellung)

Patentauslaufstrategie

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ersten Studien mit Menschen zur Erprobung, und nur eine einzige schafft es am Ende zur Marktzulassung (Abb. 1.3). Neben den idealistischen Motiven der Heilung, Linderung oder wissenschaftlichen Neugier gibt es einen weiteren, ökonomischen Beweggrund zur Initiierung eines Arzneimittelprojektes. Dieser Impuls entsteht aus dem positiven Abgleich der Identifikation eines dringenden Bedarfes für die Zulassung neuer Medikamente einerseits und der Antizipation einer adäquaten Zahlungsbereitschaft für die Befriedigung des Bedarfes andererseits. Ein Arzneimittelprojekt wird somit von der Frage geleitet, bei welchen Krankheiten ein dringender Bedarf für die Zulassung neuer Medikamente besteht, und ob die Kostenträger oder die Gesellschaft dazu bereitet sind, für diese Medikamente auch zu zahlen. Zur Beantwortung dieser zweigteilten Frage kommen auf das Market Access Management zwei funktionsspezifische Aufgaben zu. Erstens sind Bedarf und Zahlungsbereitschaft aus epidemiologischen Studien und gesundheitspolitischen Diskussionen mittel- bis langfristig abzuschätzen und daraus die folgerichtigen Schlüsse für das Unternehmen zu ziehen. Hierbei gilt es, die exogenen Faktoren mit den internen Ressourcen zu spiegeln, um über diesen Abgleich Prioritäten bei der Erforschung neuer Medikamente zu setzen. Zu den exogenen Faktoren gehören neben dem Bedarf insbesondere die medizintechnologischen Entwicklungen, die gesellschaftspolitischen Strömungen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die gesundheitsökomischen Voraussetzungen. Über die Kapitalausstattung, das medizinische und technologische Know-how, die Infrastruktur sowie über die Softskills der Mitarbeiter und des Unternehmens definieren sich die internen Ressourcen. Zweitens hat das Market Access Management eine Potenzialanalyse vorzunehmen, ob das Unternehmen in der Lage ist, mit dem neuen, noch zu entwickelnden Medikament Jahre 0 1 2 3 4 5 6 7

durchschnittlich 5.000 bis 10.000 Substanzen* 12,4 Wirkstoffe

8,6 Wirkstoffe 4,6 Wirkstoffe

Klinische Phase I Test mit gesunden Menschen auf Verträglichkeit

1,6 Wirkstoffe

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Klinische Phase III Erprobung mit meist mehreren tausend Patienten

11 12

Vorklinische Entwicklung Reagenzglas- und Tierversuche zur Wirksamkeit und Schadenwirkungen

Klinische Phase II Erprobung mit wenigen Patienten

8 9

Forschung vielschrittige Substanzoptimierung Wirkungstests im Reagenzglas und an Tieren

1,1 Wirkstoffe

13 * Schätzung des VfA

Beantragung der Zulassung Prüfung durch die EMA oder anderen Zulassungsbehörden 1 Wirkstoff zugelassen nach im Schnitt 13,5 Jahren

Abb. 1.3  Ein langer Weg bis zur Zulassung. (Quelle: Basierend auf Angaben des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und in Anlehnung an Paul et al. (2010))

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einen therapeutischen Nutzen zu erzielen, der dem bereits vorhandenen oder einem möglicherweise zum Zeitpunkt der Markteinführung existierenden Konkurrenzprodukt überlegen ist. Zwei Anforderungen hat das neue Medikament im Rahmen dieses wettbewerbsorientierten Forecasting zu erfüllen: a. Zum einen gilt es, abzuschätzen, ob das neue Medikament einen effektiven therapeutischen Nutzen haben kann, der für die relevanten Akteure (hier insbesondere Patienten, Ärzte, Kostenträger) erkennbar und bedeutsam sein wird. Diese Fragestellung antizipiert die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ebenso wie den gesetzlich vorgeschriebenen Nachweis eines Zusatznutzens. b. Zum anderen sind Überlegungen anzustellen, ob das neue, mit dem effektiven therapeutischen Nutzen ausgestattete Medikament auch in der Lage ist, dem Hersteller wirtschaftlich von Nutzen zu sein, indem ein möglicher Patentschutz die Innovation vor Nachahmern schützt und ein adäquater Erstattungspreis von den Kostenträgern eingefordert werden kann. Während also unter a) nach der Effektivität des neuen Medikamentes gefragt wird, steht an dieser Stelle die Effizienz des zu erforschenden Arzneimittels aus Sicht des Unternehmens an. Diese beiden Anforderungen stehen im Gleichklang zu den Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens. Ebenso wie die obigen Anforderungen ist ein Wettbewerbsvorteil ein abstraktes Konstrukt, welches primär auf den Gedanken von Gordon (1959), Reeves (1960), Simon (1988), Porter (1990, 2014) und Grant (2015) basiert und seit jeher als Leitmaxime von Unternehmen zur Sicherung einer langanhaltenden Wettbewerbsfähigkeit angesehen wird. Dieser Einordung folgend ist dann auch die strategische Bedeutung des Market Access Management zu sehen. In der Ausführung seiner Prozessfunktion bildet es das Scharnier zwischen der medizinischen Forschung einerseits und der marktlichen Verwertung eines Medikamentes andererseits. Die Differenzierung des Wettbewerbsvorteils in eine Effektivitäts- und Effizienzdimension geht maßgeblich auf Backhaus und Schneider (2009) zurück, die dann auch von einem komparativen Konkurrenzvorteil (KKV) sprechen. Dieser KKV verknüpft die Perspektive des Unternehmens, mit dem Vorteil wirtschaftlichen Erfolg haben zu wollen (Effizienz), mit der Perspektive der Patienten, Ärzte und Kostenträger, die den Vorteil nach dem therapeutischen Erfolg messen (Effektivität).

1.3.1.2 Forschung und Studien Vor der Zulassung eines Arzneimittels haben die Hersteller die pharmazeutische Qualität, therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu erforschen sowie Daten zur Einschätzung von Nutzen und Risiko des Medikamenteneinsatzes zu sammeln. In der Grundlagenforschung und präklinischen Forschung wird zunächst in vitro an Zellkulturen, später in  vivo an Tierversuchen beispielsweise Wirkmechanismus und Halbwertszeit des Wirkstoffes erforscht. Bei positivem Verlauf und unter Risikoabwägung folgen dann klinische Studien an Menschen. In der nicht gesetzlich vorgeschriebenen, aber in der Regel durchgeführten Phase 0 erhalten die Probanden subtherapeutische Dosen des Wirkstoffes,

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um erste Daten zu Verträglichkeit und Pharmakodynamik zu gewinnen. In der Phase I, die vormals wegen der erstmaligen Verabreichung therapeutischer Mengen als „First in Man“ bezeichnet wurde, werden insbesondere die Verträglichkeit und Sicherheit des Wirkstoffes, aber auch die Pharmakokinetik sowie die Pharmakodynamik analysiert. An der Phase-­ I-­Studie wirken typischerweise 60 bis 80 Probanden mit. In der anschließenden randomisierten und aktiv kontrollierten Phase II werden zunächst das Therapiekonzept überprüft („Proof of Concept“: Phase IIa) und die optimale Dosierung und Darreichungsform ermittelt („Dose Finding“: Phase IIb). Typischerweise wirken 100 bis 500 Patienten an einer Phase-II-Studie mit. In der anschließenden Phase III wird das Arzneimittel dann an einer bedeutend größeren Stichprobe vom Patienten getestet, um zu erforschen, ob das Medikament auch bei vielen unterschiedlichen Menschen wirksam und unbedenklich ist und ob Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bestehen. Bei Phase-II- und Phase-III-­ Studien werden stets unterschiedlich behandelte Patientengruppen miteinander verglichen, indem die eine Gruppe das neue Medikament und die andere das bisherige Standardpräparat oder ein Placebo erhält. Als sogenannter Goldstandard für das Forschungsdesign der Phasen II und III gilt die randomisierte kontrollierte Studie (englisch „randomized controlled trial“, kurz RCT). Bei diesem Studiendesign erfolgt die Zuordnung zu einer der beiden Behandlungsgruppen nach dem Zufallsprinzip (randomisiert), um zum einen auszuschließen, dass der Proband absichtlich einer Behandlungsgruppe zugewiesen wird, und um zum anderen eine gleichmäßige Verteilung von bekannten und nicht bekannten Einflussfaktoren auf alle Gruppen sicherzustellen. Sollten weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte wissen, wer letztlich welcher Gruppe zugeteilt wurde, werden solche Studien als „doppelblind“ bezeichnet. Mit diesem Vorgehen soll vermieden werden, dass sich Hoffnungen oder Befürchtungen bezüglich der Medikation auf das Behandlungsergebnis auswirken. Weil da­ rü­ber hinaus die Ergebnisse zwischen den Gruppen (Studiengruppe versus Kontrollgruppe) miteinander verglichen werden, wird von einer kontrollierten Studie gesprochen (Lange et al. 2017). Die evidenzbasierte Medizin sieht in einer RCT die bestmögliche Grundlage zum empirischen Nachweis der Wirksamkeit medizinischer Behandlungen, allerdings erfordert sie ein aufwendiges Studiendesign mit einer relativ hohen Probandenzahl. In bestimmten Fällen, zum Beispiel, wenn die Anzahl der Probanden aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung zu gering ausfällt oder wenn die Versorgung der Patienten mit dem neuen ­Arzneimittel dringend notwendig wird, kann eine Zulassung erteilt werden, auch wenn noch keine vollständig umfassende Datenlage zur Beurteilung der Wirksamkeit vorliegt oder die Evidenz nur sehr gering ausgeprägt ist. Diese Sonderfälle werden als bedingte Zulassung oder Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen bezeichnet und nach § 35a Abs. 3b SGB V gesetzlich neu geregelt. Entsprechend dem relevanten Gesetzesentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) soll danach der G-BA vom Hersteller innerhalb einer angemessenen Frist die Vorlage anwendungsbegleitender Datenerhebungen oder Auswertungen zum Zwecke der Nutzenbewertung einfordern können. Bei den begleitenden Datenerhebungen kann es sich um Anwendungsbeobachtungen,

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Fall-Kontroll-Studien oder Registerstudien handeln. Unbeschadet der Vorteile der in Aussicht genommenen Regelung bewertet das IQWiG solche „Real World Data“ aus Routinedatenbeständen und medizinischen Registern für die Klärung von Ursache-Wirkungs-­ Zusammenhängen und somit für die Nutzenbewertung allerdings als ungeeignet (Windeler et al. 2017). Unbestreitbar sind Register und Daten von Beobachtungsstudien bei epidemiologischen Fragestellungen sowie bei der Beurteilung eines möglichen Bedarfs für die Zulassung eines neuen Medikamentes jedoch von Nutzen.

1.3.2 Market-Initiation 1.3.2.1 Zulassung Laut Arzneimittelmittelgesetz (AMG) dürfen Arzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesbehörde zugelassen sind oder wenn die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat (§ 21 AMG). Eine positive Zulassungsentscheidung kann nur getroffen werden, wenn der in den klinischen Prüfungen ermittelte medizinisch relevante Nutzen (= die therapeutische Wirksamkeit) gegenüber den bisher bekannten und gegebenenfalls neuen, potenziellen Risiken (= Nebenwirkungen) überwiegt. Folglich wird durch die Erteilung der Zulassung auch bestätigt, dass keine grundsätzlichen Zweifel am therapeutischen Nutzen eines Arzneimittels bestehen (Beinlich et al. 2014). Um die deutsche Zulassung zu erhalten, ist das „Nationale Zulassungsverfahren“ durchzuführen. Die zuständigen Zulassungsbehörden in Deutschland sind das Bundesin­ stitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Während das BfArM ausschließlich für die Zulassung von Humanarzneimittel zuständig ist, verantwortet das PEI die Zulassung für Impfstoffe, Antikörper und Immunglobuline (Sera), Allergene für Allergiediagnostik und -therapie, Arzneimittel für neuartige Therapien, Blutprodukte und Gewebe- und Stammzellzubereitungen. Im Zulassungsverfahren wird ein Arzneimittel hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft, wobei der Nutzen die Risiken überwiegen soll. Nach § 22 AMG müssen der Nationalen Zulassungsbehörde unter anderem folgende Unterlagen vorgelegt werden: Ergebnisse der analytischen, pharmakologischen und toxikologischen Versuche und klinischer Prüfungen, Erklärungen, wie die Sicherheit des Arzneimittels nach Inverkehrbringen laufend und systematisch überwacht werden soll (Pharmakovigilanzsystem bzw. Phase-IV-Studien), Nachweis der pharmazeutischen Qualität und Angaben zu Wirkung, Anwendungsbereichen, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Wech­ sel­wirkungen mit anderen Medikamenten sowie zur Darreichungsform und Dosierung. Darüber hinaus sind die Anforderungen der Leitlinien zu berücksichtigen, die sich aus den Notice to Applicants und den ICH-Guidelines ergeben. Die Zulassungsdokumentation ist in einem einheitlichen Format, dem sogenannten Common Technical Document (CTD)

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zu erstellen. Dieses Format gilt einheitlich in der Europäischen Union, in Japan und den USA. Im Arzneimittel-Informationssystem (AMIS) sind Register mit Details zu den jeweils zugelassenen Arzneimitteln online zugänglich. Soll das Arzneimittel in mehreren Ländern des Europäischen Wirtschafsraumes (EWR) zugelassen werden, sind die entsprechenden europäischen Zulassungsverfahren anzuwenden, wie das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition Procedure; MRP), das dezentrale Zulassungsverfahren (Decentralised Procedure; DCP) oder das zentrale Zulassungsverfahren (Centralised Procedure). Beim MRP und dem DCP werden nationale Zulassungen ausgestellt auf Basis der Anerkennung des Bewertungsberichtes eines Staats aus der Gruppe sämtlicher Staaten, die am Verfahren beteiligt sind (Referenzmitgliedstaat). Für eine gleichzeitige Zulassung im gesamten europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist das „Zentrale Zulassungsverfahren“ erforderlich. Die Antragstellung hierzu ist bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) als zuständiger Behörde einzureichen. Die wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt durch den Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use; kurz: CHMP). Der Ausschuss besteht aus Mitgliedern aller europäischen Zulassungsbehörden und spricht eine positive oder negative Zulassungsempfehlung aus. Auf Basis dieser Empfehlung erteilt dann die Europäische Kommission die konkrete Zulassung für den EWR.  Diese Zentrale Zulassung ist in der Regel zunächst auf fünf Jahre begrenzt. Sie kann durch eine erneute Prüfung verlängert werden. Das Zentrale Verfahren ist bei einigen biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln, bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen in den Indikationen HIV/Aids, Krebs, neurodegenerative Erkrankungen, Diabetes mellitus und bei Arzneimitteln für seltene Leiden (Orphan Drugs) verpflichtend anzuwenden. Darüber hinaus steht dieses Verfahren innovativen Arzneimitteln offen. Die Arzneimittelzulassung stellt eine Nutzen-Risiko-Bewertung dar, die sich von der Zusatznutzenbewertung unterscheidet, welche das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des G-BA durchführt. Der Unterschied zwischen den beiden Bewertungen liegt in der unterschiedlichen Auslegung des Begriffs „Nutzen“ (Beinlich et al. 2014). Nutzen im Sinne der Arzneimittelzulassung Im Rahmen der Zulassung definiert sich der Nutzen aus der Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zum Risiko. Das Risiko des Einsatzes umfasst sämtliche Gefahren im Zusammenhang mit der „Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“ (§  4 Abs.  27 AMG). Die Wirksamkeit und das Nebenwirkungsprofil werden entweder mit einer etablierten Therapie (Komparator) oder mit einem Placebo verglichen. Als Komparator wird in der Regel die bestverfügbare Standardtherapie herangezogen. Die Anwendung des Komparators erfolgt gemäß den Angaben im deutschen Zulassungstext, gleichwohl akzeptieren die Zulassungsbehörden in der EU einen Komparator auch dann, wenn er mit entsprechender Dosierung in den Richtlinien der Fachgesellschaften mindes-

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tens eines Mitgliedstaates aufgeführt wird. Somit können multinationale Studienergebnisse auch dann herangezogen werden, wenn sich Zulassungstexte und Darreichungen in den einzelnen Ländern geringfügig unterscheiden. Nutzen im Sinne der Zusatznutzenbewertung Nach § 2 der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) liegt ein Zusatznutzen vor, wenn der Nutzen eines Arzneimittels quantitativ oder qualitativ höher eingestuft wird als der Nutzen, den eine zweckmäßige Vergleichstherapie erbringt. Von Bedeutung ist hierbei, dass die zweckmäßige Vergleichstherapie enger ausgelegt wird als die Vergleichstherapie im Rahmen der Zulassung. Ein weiterer Unterschied besteht in der Akzeptanz von Endpunkten aus den klinischen Studien. Es ist keineswegs zwingend notwendig, dass die für die Zulassung gewählten Endpunkte auch für die Zusatznutzenbewertung vom IQWiG und dem G-BA akzeptiert werden. In diesem Zusammenhang haben Diskussionen in den vergangenen Jahren gezeigt, dass aus den unterschiedlichen Definitionen von Nutzen einerseits und Zusatznutzen andererseits auch unterschiedliche Sichtweisen zwischen dem G-BA, IQWiG und den beteiligten pharmazeutischen Unternehmen zutage treten, die sich insbesondere an folgenden Sachverhalten reiben (Ruof et al. 2014): Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie, Definition von relevanten Subgruppen, Akzeptanz der patientenrelevanten Endpunkte und Klassifikation und Einstufung von Nebenwirkungen. Zur Perspektive neuer Medizinprodukte Im Gegensatz zu Arzneimitteln sind Medizinprodukte vorwiegend physikalisch wirkende Gegenstände. Häufig ist ihr Nutzen direkt ersichtlich. Dennoch muss der Hersteller den Nachweis erbringen, dass das Medizinprodukt seine vorgesehene Zweckbestimmung erfüllt. Diese sogenannte Konformitätsbewertung ist Teil des Zulassungsverfahrens für Medizinprodukte. Neben der Leistungsfähigkeit wird hierbei auch die Sicherheit der Produkte bewertet. Gesetzliche Grundlage hierzu stellen das Medizinproduktegesetz (MPG) und die auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen dar, die die europäischen ­Richtlinien über aktive Implantate (90/385/EWG), über Medizinprodukte (93/42/EWG) und In-vitro-­ Diagnostika (98/79/EG) in nationales Recht umsetzen. Welches Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen ist und in welchem Umfang dabei eine unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstelle (eine sogenannte Benannte Stelle) zu beteiligen ist, hängt vom potenziellen Risiko der Medizinprodukte ab. Je nach Gefährdungspotenzial, Anwendungsart und -dauer werden nach den europäischen Richtlinien vier Klassen unterschieden: Klasse I (geringes Risiko bei der Anwendung), Klasse IIa (mittleres Risiko bei der Anwendung), Klasse IIb (erhöhtes Risiko bei der Anwendung) und Klasse III/Aktive Implantate (hohes Risiko bei der Anwendung).

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Für die unterschiedlichen Klassen kommen unterschiedliche Verfahren zur Konformitätsbewertung zur Anwendung. Enthält ein Medizinprodukt auch arzneilich wirksame Bestandteile, ist im Rahmen der Konformitätsbewertung ein Konsultationsverfahren für den Arzneimittelbestandteil durchzuführen, bei dem durch die notifizierte Stelle das Medizinprodukt und durch die zuständige Behörde der arzneilich wirksame Bestandteil bewertet werden. Nach einer erfolgreichen Konformitätsbewertung ist die Anbringung der CE-Kennzeichnung auf jedem Medizinprodukt verpflichtend (mit Ausnahme der Sonderanfertigungen und der für die klinische Prüfung vorgesehenen Medizinprodukte). In der Regel wird ein Hersteller für Medizinprodukte oder ein Arzneimittelhersteller die Zulassung erst beantragen, wenn auch Aussicht auf einen positiven Bescheid besteht. Allerdings gibt es neben den formalen Hürden auch noch weitere Stolpersteine, die den Weg zur Zulassung unerwartet erschweren können, wie etwa seltene Nebenwirkungen, eine unerwartet geringe Wirksamkeit oder die Zulassung eines Konkurrenzpräparates. Die frühzeitige Kontaktaufnahme zu und der partnerschaftliche Umgang mit den Zulassungsbehörden und weiteren Stakeholdern erhöhen die Chancen, adäquat auf mögliche „Störungen“ während des Zulassungsverfahrens einzuwirken.

1.3.2.2 Stakeholder Management Im Zuge der Zulassung und der Erstattung zeigt sich, dass die Kenntnis über die Stakeholder und das Verstehen ihrer spezifischen Sichtweisen von großem Nutzen sind, um Market Access zum Erfolg zu führen. Unter dem Begriff „Stakeholder“ (englisch für Inte­ res­sen- oder Anspruchsgruppen) werden Personen, Gruppen, Gremien, Institutionen subsumiert, die die Erreichung von Unternehmenszielen maßgeblich beeinflussen (Freeman 1984, S. 25). Darüber hinaus hat das AMNOG die Relevanz eines strategischen Stakeholder Management erhöht, bei dem die „identifizierten Stakeholder klassifiziert und in ein Ranking gebracht werden“ (Preuß 2011, S. 385). Wie im Kap. 7 dieses Buches dargelegt wird, lassen sich die Stakeholder im deutschen Market Access nach ihrer geopolitischen Relevanz in nationale, regionale und lokale Kategorien unterteilen. Zu den nationalen Stakeholdern gehören etwa der G-BA, das IQWiG und der GKV-Spitzenverband, die GKV und PKV, zu den regionalen Stakeholdern zählen die Ärztenetze und zu den lokalen die Patienten. Generell ist es von Bedeutung, innerhalb der verschiedenen Stakeholder die jeweiligen Key Opinion Leader (KOL) herauszufinden, um mit diesen Personen in den medizinischen oder gesundheitsökonomischen Dialog zu treten. Analyse der Stakeholder im Bereich Market Access bringen eine heterogene Gruppe an Personen mit verschiedensten Ausbildungshintergründen zutage. Für das Market Access Management stellt das eine besondere Herausforderung dar, da pharmazeutische Studien von den Stakeholdern aus diversen Blickwinkeln betrachtet und bewertet werden, jeweils basierend auf unterschiedlichem Fachwissen und verschiedenen Methodenkompetenzen. Auffällig ist die starke Vernetzung innerhalb der drei Institutionen G-BA, IQWiG und GKV-Spitzenverband durch Personen, die in mehreren Institutionen aktiv sind. Zweifelsohne ist ein besseres Hintergrundwissen über die relevanten Akteure sowie darüber, womit sie sich beschäftigen und wo ihre Schwerpunkte liegen, für einen

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konstruktiven Dialog wertvoll. Dies ist sowohl bei der Beratung zur zweckmäßigen Vergleichstherapie seitens des G-BA nützlich als auch hilfreich für ein besseres Verständnis, wie das IQWiG bewertet. Werdegänge, berufliche Aktivitäten, Publikationen und Vorträge geben zahlreiche Anhaltspunkte, wie eine Person agiert, und dienen als Vorbereitung für Verhandlungen. In diesem Sinne wird die Grundlage für ein aktives und zielgerichtetes Stakeholder Management gelegt (Tunder und Freiberg 2013).

1.3.3 Market-Entry Sobald der faktische Markteintritt erfolgt, beginnt der AMNOG-Prozess im engeren Sinne. Mit der Einführung des AMNOG zum 1. Januar 2011 kam es zu einem Paradigmenwechsel. Beim pharmazeutischen Hersteller liegt nunmehr die Beweispflicht, dass sein neues Arzneimittel von einem größeren Nutzen ist als die bereits auf dem Markt etablierten. Ohne einen solchen Beweis gibt es keine Erstattungsprämie. Der Hersteller hat sich dann damit zu begnügen, dass die Erstattung für sein neues Medikament nicht über den Festbetrag für vergleichbare Therapien hinausgeht. Das AMNOG schafft somit Marktmechanismen, die es vorher in der Qualität unter anderem aufgrund von Informationsasymmetrien so nicht gab. In seinen Konsequenzen folgt das AMNOG dem marktwirtschaftlichen Credo: „Zeig’ mir, was Dein Arzneimittel kann, dann sag’ ich Dir, was Du dafür bekommst.“ Neben dieser Beweisführung kommt eine weitere Aufgabe auf das Market Access Management im Zuge des Markteintritts zu. Es nützt dem Hersteller relativ wenig, wenn sein Medikament einen objektiven Zusatznutzen hat, dieser und weitere Mehrwerte des neuen Medikamentes jedoch nicht bei Ärzten durch ein entsprechendes Verschreibungsverhalten auf Akzeptanz stoßen. Hier obliegt es naturgemäß dem Vertrieb, entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten, wenngleich das Market Access Management den Vertrieb mit entsprechenden Informationen zu versorgen hat. Zu der Holschuld des Market Access Management, aus der Forschung und Entwicklung Informationen einzuholen, gesellt sich nunmehr auch noch eine Bringschuld, Informationen an den Vertrieb und nachfolgende Funktionen weiterzugeben.

1.3.3.1 Erstattung (AMNOG) In seinem Wesen entspricht das AMNOG der Tradition vorangegangener gesetzlicher Eingriffe in das Gesundheitssystem, die zur Kostendämpfung vorgenommen wurden. Durch ein zweistufiges Verfahren schafft das AMNOG die Voraussetzungen zur Regulierung der Preisbildung bzw. der Erstattung für Arzneimittel. Das AMNOG kann somit auch als „Erstattungsregulierungsgesetz“ bezeichnet werden. Der erste Schritt sieht eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V vor, wonach der Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels gegenüber einer sogenannten zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) geprüft wird. Die konkrete Verfahrensweise der Nutzenbewertung ist in der Arzneimittel-­Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) und der Verfahrensordnung (VerfO) des G-BA geregelt. Das Ergebnis der Nutzenbewertung ist in einem zweiten Schritt Grundlage für die sich anschließenden

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­ rstattungsbetragsverhandlungen nach § 130b SGB V. Konkretes hierzu ist in der RahmenE vereinbarung nach Absatz 9 des § 130b SGB V geregelt. Zwei Ausnahmen lässt der Gesetzgeber zu. Erstens besteht für Orphan Drugs zur Behandlung seltener Erkrankungen mit einem Jahresumsatz von unter 50 Millionen Euro die Ausnahme, dass der medizinische Zusatznutzen prinzipiell mit der Marktzulassung als belegt gilt. Das konkrete Ausmaß des Zusatznutzens ist gleichwohl weiterhin nach § 35a Abs. 1 SGB V zu ermitteln. Zweitens besteht für pharmazeutische Hersteller die ­Möglichkeit, ein Arzneimittel mit neuem Wirkstoff von der Nutzenbewertung und Dossierpflicht freistellen zu lassen, falls mit ihnen nur geringfügige Ausgaben zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden werden. Ausgaben, die in diesem Fall als geringfügig angesehen werden, überschreiten innerhalb eines Zeitraums von zwölf Kalendermonaten dauerhaft die Grenze von 1 Million Euro nicht (5. Kapitel § 15 Abs. 1 VerfO). Gemäß AMNOG durchläuft das Verfahren zur Erstattung neuer Arzneimittel folgende Pfade (Abb. 1.4). Schritt 1: Nutzenbewertung Mit der Marktzulassung oder mit der Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes beginnt für ein Arzneimittel der Prozess der Nutzenbewertung. Grundlage jeder Nutzenbewertung

Abb. 1.4  Der AMNOG-Prozess im Überblick. (Quelle: IQWiG 2018)

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ist ein umfassendes Dossier, das vom pharmazeutischen Hersteller spätestens zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (entspricht der Aufnahme in die Lauer-Taxe) eines neuen Arzneimittels oder der Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes beim G-BA obligatorisch einzureichen ist. Da die Nutzenbewertung auf den Ergebnissen der klinischen Studien basiert, spricht man auch von einer frühen Nutzenbewertung. Die Fristen zur Einreichung des Dossiers an den G-BA sind in § 4 Abs. 3 AM-NutzenV geregelt. Es liegt im Ermessen des Herstellers, in welcher Qualität und in welchem Umfang er dem G-BA das Dossier einreicht. Der G-BA unterliegt dabei keiner Amtsermittlungspflicht, während die Darlegungs- und Beweislast beim Hersteller liegt. Strenggenommen braucht der Hersteller kein Dossier einzureichen, dann aber gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt (§  35a Abs. 1 Satz 5 SGB V). Für den Hersteller besteht jedoch die Möglichkeit, sich im Vorfeld vom G-BA zu konkreten Inhalten und Anforderungen der einzureichenden Unterlagen bzw. Studien sowie zur Auswahl einer adäquaten zweckmäßigen Vergleichstherapie beraten zu lassen (5. Kapitel § 7 VerfO). Das unmittelbare Ziel des Dossiers ist der Nachweis, dass das neue Arzneimittel einen Zusatznutzen gegenüber einer vom G-BA festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie hat. Das Dossier hat hierzu Angaben zu folgenden Punkten zu machen (§ 35a Abs. 1 SGB V): 1. zugelassene Anwendungsgebiete, 2. medizinischer Nutzen, 3. medizinischer Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, 4. Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht, 5. Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung. Nachdem das Dossier auf formale Vollständigkeit geprüft wurde, entscheidet der G-BA, ob er die Nutzenbewertung selbst durchführt oder das IQWiG oder Dritte damit beauftragt (§ 35a Abs. 2 SGB V). In der Regel bewertet das IQWiG das Dossier und hat hierfür drei Monate Zeit. Der Nutzen eines Arzneimittels wird vom Gesetzgeber definiert als patientenrelevanter therapeutischer Effekt im Vergleich zu einem Placebo (IQWiG 2017). Ein patientenrelevanter therapeutischer Effekt zeigt sich insbesondere durch eine Verbesserung des Gesundheitszustands, eine Verkürzung der Krankheitsdauer, eine Verlängerung der Lebensdauer, eine Verringerung von Nebenwirkungen oder eine Verbesserung der Lebensqualität (§ 2 Abs. 3 AM-NutzenV). Die Höhe des Zusatznutzens ergibt sich wiederum aus dem Vergleich des patientenrelevanten therapeutischen Effekts eines Arzneimittels gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, wobei die zweckmäßige Vergleichstherapie den Therapiestandard in Deutschland darstellt (IQWiG 2017). Die Kriterien zur Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie legt der G-BA in seiner Verfahrensordnung fest. So muss die zweckmäßige Vergleichstherapie im Anwendungsgebiet zugelassen und im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähig sein. Zusätzlich sollte der patientenrelevante Nutzen durch den G-BA bereits

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definiert worden sein und zum therapeutischen Standard im Anwendungsgebiet zählen (5.  Kapitel §  6 Abs.  3 VerfO). Sind mehrere Alternativen gleichermaßen zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden. Eine Besonderheit ergibt sich bei Add-on-Therapien, die zusätzlich zu einer Basistherapie gegeben werden. Hier fungiert die Basistherapie als zweckmäßige Vergleichstherapie (IQWiG 2017). Im Rahmen der Bewertung wird anhand der Aussagekraft der Nachweise geprüft, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welchem Ausmaß ein Zusatznutzen auf Ebene der Patientenpopulation vorliegt. Je nach Aussagesicherheit wird dem Zusatznutzen eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet, die sich in absteigender Folge in Beleg, Hinweis, Anhaltspunkt oder kein Nachweis unterteilt. Die Aussagesicherheit erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Studienqualität, der Validität der herangezogenen Endpunkte sowie der Evidenzstufe (§ 5 Abs. 6 AM-NutzenV). Dabei gelten randomisierte kontrollierte Studien (RCT) als höchste Evidenzstufe und – wie bereits erwähnt – als Goldstandard. Bei Vorliegen zumindest eines Anhaltspunktes wird der Zusatznutzen zur Quantifizierung des Ausmaßes in sechs Bewertungskategorien unterteilt (§ 5 Abs. 7 AM-NutzenV): 1. erheblicher Zusatznutzen, 2. beträchtlicher Zusatznutzen, 3. Geringer Zusatznutzen, 4. nicht quantifizierbarer Zusatznutzen, 5. kein Zusatznutzen, 6. geringerer Nutzen. Nach der Nutzenbewertung übersendet das IQWiG sein Gutachten über die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß des Zusatznutzens zur Veröffentlichung an den G-BA. Das Gutachten ist für den G-BA nicht bindend und dient lediglich als Empfehlung, sodass der G-BA teilweise zu anderslautenden Einschätzungen kommt als das IQWiG (Greiner und Witte 2018). Mit Veröffentlichung des Gutachtens auf der Internetseite des G-BA schließt sich unmittelbar ein Stellungnahmeverfahren an, in dem Sachverständige, Verbände, Fachkreise und das beteiligte Unternehmen zunächst schriftlich und anschließend mündlich Stellung zur Nutzenbewertung nehmen können (5. Kapitel § 19 Abs. 1 VerfO). Für den Hersteller ergibt sich hier die Möglichkeit, neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die zum Zeitpunkt der Dossiereinreichung noch nicht vorlagen, nachzureichen. Innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung der Nutzenbewertung trifft der G-BA auf Grundlage der Empfehlungen vom IQWiG und der Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen seinen Beschluss zur Wahrscheinlichkeit und zum Ausmaß des Zusatznutzens. Der Beschlusstext und die tragenden Gründe zum Beschluss werden analog zur Nutzenbewertung auf der Internetseite des G-BA veröffentlicht. Mit Veröffentlichung des Beschlusstextes endet die Nutzenbewertung spätestens sechs Monate nach Markteinführung. In der Natur der frühen Nutzenbewertung liegt es, dass das Patientenkollektiv relativ niedrig ist und dass Daten zur Langzeittoxizität nicht zwingend vorliegen (können). Eine

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verlässliche Bestimmung des Zusatznutzens sollte strenggenommen durch eine späte ­Nutzenbewertung ergänzt werden, in der eine größere und vielleicht dadurch auch repräsentativere Patientenstichprobe gezogen, in der Spät- und Langzeitnebenwirkungen exakter erfasst und die Behandlungsrealität konkreter abgebildet werden kann (Glaeske et al. 2017, S. 2092). Schritt 2: Erstattungsbetragsverhandlungen Im Anschluss an die Nutzenbewertung wird in einem zweiten Schritt innerhalb von sechs Monaten der Erstattungsbetrag zwischen pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband vereinbart. Das weitere Verfahren hängt vom Ausgang der Nutzenbewertung ab und kann grundsätzlich zwei Richtungen einschlagen. Wenn der G-BA keinen Zusatznutzen feststellt, wird das neue Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zugeordnet (§  35a Abs.  4 SGB  V) oder ein Erstattungsbetrag vereinbart, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie (§ 130b Abs. 3 SGB V). Letzteres tritt ein, wenn keine geeignete Festbetragsgruppe existiert. Sofern mehrere Vergleichstherapien als zweckmäßig eingestuft werden, ist die wirtschaftlichste Alternative maßgebend. Bei einem Arzneimittel mit festgestelltem Zusatznutzen vereinbart der pharmazeutische Unternehmer mit dem GKV-Spitzenverband regelhaft in vier Verhandlungsrunden den Erstattungsbetrag als Zuschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Der Zuschlag orientiert sich dabei an dem Ausmaß des Zusatznutzens (§ 5 Abs. 2 RahmenV). Stellt der G-BA einen geringeren Nutzen fest, wird der Erstattungsbetrag als Abschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie vereinbart (§ 5 Abs. 3 RahmenV). Neben dem Ausmaß des Zusatznutzens werden nach § 6 RahmenV weitere Bewertungskriterien für den Zu- oder Abschlag berücksichtigt. Zu diesen Verhandlungskriterien zählen: . der Beschluss des G-BA über die Nutzenbewertung, 1 2. die von dem pharmazeutischen Unternehmer mitgeteilten tatsächlichen Abgabepreise in anderen europäischen Ländern, 3. die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel. Die Reihenfolge spiegelt gleichzeitig die Gewichtung der Kriterien wider. So werden die tatsächlichen europäischen Abgabepreise und die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel als nachrangige Verhandlungskriterien herangezogen. Der vereinbarte Erstattungsbetrag gilt sowohl für die gesetzliche als auch für die private Krankenversicherung und ist ab dem 13. Monat nach Markteinführung der maßgebliche Abgabepreis. Kommt eine Einigung zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-­ Spit­ zenverband innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des G-BA-­Beschlusses nicht zustande, legt eine Schiedsstelle innerhalb von drei Monaten einen Erstattungsbetrag fest (§ 130b Abs. 4 SGB V). Dieser gilt rückwirkend ab dem 13. Monat nach Markteinführung. Folglich ist die vormals freie Preisbildung von Arzneimitteln auf das erste Jahr

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nach Inverkehrbringen beschränkt. Akzeptieren der pharmazeutische Unternehmer oder der GKV-Spitzenverband den Schiedsspruch nicht, kann jede der Vertragsparteien eine Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V beim G-BA in Auftrag geben. Zur Perspektive neuer Medizinprodukte Für Hersteller von Medizinprodukten gestaltet sich die Aufnahme einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) in den GKV-Leistungskatalog als Herausforderung, die der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln (§ 35a SGB V) in nichts nachsteht. Bis Ende 2011 gab es hierzu zwei sektorenspezifische Verfahrensweisen. Mit dem Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) zum 1. Januar 2012 führte der Gesetzgeber sodann eine dritte Option ein. Die erste Möglichkeit zur Zulassung von neuen Methoden beschränkt sich auf die ambulante (vertragsärztliche) Versorgung: Auf Antrag einer unparteiischen Stelle – wie beispielsweise der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) – erfolgt im Bestfall die positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Die Bewertung betrachtet den positiven Nutzen, die Wirtschaftlichkeit und die medizinische Notwendigkeit auf Basis von überzeugenden klinischen Studien. Diese Regelung wird als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt bezeichnet und ist im § 135 Abs. 1 SGB V geregelt. Die zweite Möglichkeit gilt neuen Methoden in der stationären Versorgung. In diesem Sektor dürfen neue Methoden prinzipiell zulasten der GKV angewandt werden, sofern diese nicht explizit durch den G-BA nach einer eingehenden Prüfung vom patientenrelevanten Nutzen, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen wurden. Hier liegt die sogenannte Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt vor, definiert im § 137c Abs. 1 SGB V. Eine dritte Möglichkeit bietet nun die sogenannte Erprobungsregelung nach §  137e SGB  V, die zwei wesentliche Neuerungen in sich birgt. Zum einen werden Methoden, deren medizinischer Nutzen bisher nicht hinreichend belegt worden ist, die jedoch das Potenzial einer Behandlungsalternative aufzeigen, nun zur Erprobung zugelassen. Zum anderen können ebenfalls Medizinproduktehersteller selbst den Antrag zur Erprobung stellen, wenn sie eine Methode in den GKV-Leistungskatalog einbringen wollen. Gemäß § 137e SGB V können neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, deren patientenrelevanter Nutzen noch nicht hinreichend nachgewiesen wurde, erprobt werden. Der Antrag zur Erprobung kann nunmehr durch den Hersteller selber erfolgen oder durch andere Unternehmen bzw. Leistungserbringer, die durch Verwendung des Medizinproduktes die neue Methode maßgeblich herbeiführen. Eine zwingende Voraussetzung für eine Erprobung ist, dass bereits wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, aus denen ein mögliches Potenzial der neuen Behandlungsalternative herauszulesen ist. Es sollte also stichhaltig begründet sein, z. B. in Form von bereits existierenden klinischen Studien, dass eine weitere Studie zur Nutzenbelegung sinnvoll ist (Sonntag 2015, S. 14–15). Darüber hinaus wird vorausgesetzt, dass die neue Methode in Zukunft durch die GKV vergütet wird (Propp 2015, S. 17).

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Innerhalb von drei Monaten nach Antragsstellung entscheidet der G-BA, ob die Methode hinreichendes Potenzial für die Erprobung bietet. Dabei prüft der G-BA, ob der eingereichte Antrag zulässig und komplett ist. Die detaillierte Überprüfung und Bewertung des Potenzials erbringt das IQWiG innerhalb von sechs Wochen anhand definierter Kriterien (G-BA 2013). Wird die Frage nach dem Potenzial positiv bescheinigt, erlässt der G-BA einen Richtlinienbeschluss zur Erprobung und leitet eine Erprobungsstudie für die Methode in die Wege. Hierzu kalkuliert der G-BA mit einem Zeitraum von sechs Monaten. Ergibt die Überprüfung, dass die Methode allerdings kein Potenzial birgt, wird diese Methode ausgeschlossen. Ein erneuter Antrag kann dann frühestens in einem Jahr gestellt werden (G-BA 2014). Gemäß § 137e Abs. 5 wird die komplette Studie inklusive der Auswahl der Studienzentren und Erstellung des Studiendesigns durch eine unabhängige wissenschaftliche Institution durchgeführt. Die Auswahl der wissenschaftlichen Institution erfolgt durch ein Vergabeverfahren (Dege 2015, S.  11–13). Der Antragsteller beteiligt sich angemessen an den Kosten für die klinische Erprobung. Festgelegt ist, dass der Leistungserbringer (hier GKV) die Behandlungskosten trägt, welche innerhalb der Studie anfallen. Der Antragsteller wiederum, sofern die Methode eine technische Anwendung im Sinne eines Medizinproduktes ist, trägt alle weiteren Durchführungskosten der Studie. Diese Kosten werden auch als Overhead-Kosten bezeichnet (Sonntag 2015, S. 33). Die Kostenübernahme muss durch den Antragsteller bereits im Vorfeld, d. h. mit dem Antrag, bestätigt werden, ansonsten wird der G-BA keinen Erprobungsbeschluss erlassen (G-BA 2019). Wird der Nutzen einer Methode nach einem erfolgreichen Erprobungsverfahren durch den G-BA in einem Beschluss positiv bewertet, erfolgt die Aufnahme der Leistung in die ambulante Versorgung der GKV. Die Einführung des § 137e SGB V sollte mehrere Vorteile mit sich bringen, u. a. einen schnelleren Zugang für Innovationen in das GKV-Erstattungssystem, höhere Motivation der Hersteller durch die Option der Antragstellung und einfacheren Zugang zur Erprobung durch niederschwellige Erwartungen an das zu zeigende Potenzial (Perleth 2016, S. 8). Fakt ist jedoch auch, dass bis Ende 2018 keine einzige Methode nach der Erprobungsregelung gemäß § 137e SGB V zugelassen wurde, da in diesem Falle eine Beschlussmitteilung des G-BA veröffentlicht worden und damit zu diesem Zeitpunkt verfügbar wäre. Einhergehend mit dem Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) wird eine Vereinfachung und Verschlankung der Erprobungsregelung erwartet. Vor allem die Tatsache, dass die Overhead-Kosten durch den G-BA übernommen werden sollen, kann zu einem positiven Effekt für die Erprobungsregelung führen.

1.3.3.2 Vertrieb Im Zuge des Markteintritts gehört es zu den klassischen Aufgaben des Vertriebs, Ärzte über den Nutzen des neuen Arzneimittels zu informieren und bei Einsatz des Pharmazeutikums auch regelmäßig Rückmeldungen einzuholen. Die Information der Ärzte beispielsweise durch Außendienstmitarbeiter stellt selbstverständlich kein übliches Verkaufsgespräch dar, sondern beruht auf medizinisch-wissenschaftlichen Argumentationen. Ein

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Leichtes wäre es, diese Beratungsgespräche allein nur auf das Nutzendossier und die Nutzenbewertung zu stützen, das allerdings würde den Ansprüchen der Ärzte nicht gerecht werden. Der Vertrieb benötigt weitere Kenntnisse, etwa zu eventuellen Verordnungshemmnissen und zu gesundheitsökonomischen Argumenten für die Verordnung des neuen Arzneimittels. Hierin liegt die Herausforderung des Marktet Access Management. Es sollte sicherstellen, dass der operative Vertrieb auf Ebene des einzelnen Außendienstmitarbeiters über die notwendigen Kenntnisse zu sämtlichen relevanten gesundheitspolitischen Aspekten verfügt. In seiner Kernfunktion hat das Market Access Management den Vertrieb natürlich in erster Linie über das Nutzendossier und die möglichen Konsequenzen zu informieren, wie etwa über eventuelle Mischpreisregelungen oder Subgruppenbewertungen. Ferner sind die relevanten Inhalte und Umsetzungsformen der Rabattverträge dem Vertrieb darzulegen. Darüber hinaus hat das Market Access Management den Vertrieb auch bei der Informationsgewinnung und -auswertung zu unterstützen, insbesondere zu aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen, zu Arzneimittelvereinbarungen, Verordnungsbedingungen, Regressen, zur Erstattungsfähigkeit der Arzneimittel in der GKV bzw. PKV, zu eventuellen NUB-Regelungen und Zusatzentgelten sowie zu einem sogenannten Off-Label Use. Die Informationen sollten regional und spezifisch auf die Besonderheiten der verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen ausgerichtet und in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Einen wesentlichen Input leistet das Market Access Management in der Erstellung von Kosten-Nutzen-Analysen und gesundheitsökonomischen Studien, die dem Vertrieb als Argumentationsgrundlage für den Einsatz der Arzneimittel dienen. Insbesondere gegenüber den Ärzten sind solche Grundlagen von großem Nutzen, um deren Bedenken entgegenzutreten, im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Regressforderungen konfrontiert zu werden. In diesem Zusammenhang würde der Vertrieb auch von einem Überblick über die Arzneimittelsteuerung der jeweils siebzehn Kassenärztlichen Vereinigungen profitieren. Ferner sollte hinsichtlich regionaler Versorgungsprojekte ein enger Schulterschluss zwischen Market Access Management und Vertrieb bestehen. Genügend Schnittstellen bestehen etwa hinsichtlich der sektorenübergreifenden Arzneimittelversorgung oder bezüglich struktureller Entwicklungen wie im Falle von Medizinischen Versorgungszentren, Spezialambulanzen an Universitätskliniken oder etwa bei der ambulant spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Das Spektrum der gegenseitigen Unterstützung zwischen Market Access Management und Vertrieb ist vielfältig und für den Erfolg eines neuen Arzneimittels und Medizinproduktes maßgeblich. Die Informationen haben von beiden Seiten zu fließen, gleichwohl das Market Access Management zunächst seine Bringschuld zu erfüllen hat, indem es den Vertrieb mit nötigen Kenntnissen über das neue Produkt und die wettbewerblichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen qualifiziert. Weitergehende Überlegungen zur wechselseitigen Bedeutung zwischen Market Access Management und Vertrieb sind explizit Gegenstand des 20. Kapitels dieses Buches.

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1.3.4 Market-Development 1.3.4.1 Confirmation Management Bekanntlich ist das teuerste Medikament jenes, welches der Patient nicht einnimmt. Der Erfolg eines Arzneimittels hängt größtenteils von dem Patienten selbst ab, indem dieser sich therapiekonform verhält. Eine unzureichende Therapietreue der Patienten, auch Non-Adherence oder Non-Adhärenz und vormals Non-Compliance genannt, können nicht nur den therapeutischen Nutzen verringern oder gar ganz zum Therapieversagen führen, sondern beeinflussen auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Therapie negativ. Maßnahmen zur Steigerung der Adhärenz sind nicht nachrangig für das Market Access Management, nur weil der eigentliche Marktzugang schon erfolgt ist. Durch den empirischen Nachweis der Therapietreue stärkt der Hersteller seine Verhandlungsposition gegenüber seinen Stakeholdern. Bei einem neuen Medikament im gleichen Indikationsgebiet kann auf diese besondere Patientenakzeptanz im Gespräch mit den Ärzten und in den Verhandlungen mit den Krankenkassen hingewiesen und diese als Beleg für ein herausragendes Patientenverständnis verwendet werden. Gelingt es dem Hersteller, eine signifikant höhere Adhärenz für sein Medikament im Vergleich zum absoluten Niveau oder gegenüber einzelnen Konkurrenzprodukten nachzuweisen, ist auch ein nachhaltig höherer Therapieerfolg als wahrscheinlich anzunehmen. Diese Form der Wertigkeit des Medikamentes kann neben dem therapeutischen Nutzen gegenüber Ärzten und Kostenträgern als Argument für den Einsatz bzw. für die Erstattung eingebracht werden. Eine entsprechende Kosten-­ Nutzen-­Analyse könnte dieses Argument gesundheitsökonomisch untermauern. Folglich nimmt die Bedeutung des Adherence-Wertes in Rabattverhandlungen zu (Schäfer 2017). Patient Support Programs zur Unterstützung der Adhärenz Ein Reflex dieses Bedeutungsanstiegs zeigt sich in der Etablierung von sogenannten „Patient Support Programs“ (PSP), die definiert werden als „service for direct patient or patient carer interaction/engagement designed to help management of medication and/or disease outcomes (e. g. adherence, awareness and education), or to provide healthcare professionals (HCPs) with support for their patients” (The ABPI Pharmacovigilance Expert Network 2011). In der Natur dieser Programme liegt die Limitation ihres Mehrwerts. Sie sind vornehmlich (nur) für chronisch erkrankte Patienten konzipiert und setzen die Kenntnis über die Patientenbedürfnisse in den unterschiedlichen Phasen der Patient Journey voraus. Ziel dieser Programme ist es, die Patient Journey zu unterstützen, Therapieabbrüche zu verhindern, Adhärenz, Persistenz und Patient Engagement zu steigern, um so den therapeutischen Nutzen des Arzneimittels zu verbessern (O’Donohue und Levensky 2006). Über drei Handlungsstränge konstituiert sich ein PSP (Ocvirk 2016): 1. Zugang zum Medikament: Hierunter fallen finanzielle Services wie Hilfestellungen zur Abrechnung des Arzneimittels. 2. Verbesserung der Outcomes: Services hierzu zielen vor allem auf eine richtige und unterstützende Einnahme des Arzneimittels ab (z. B. in Form von Injektionstrainings, Pflegeunterstützungen oder Ratschläge zum richtigen Krankheitsmanagement).

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3. Leben mit der Erkrankung: Dies beinhaltet unterstützende Maßnahmen im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung (Patient Education). Die indikationsspezifische Patient Journey bildet die Arbeitsgrundlage für die Ausgestaltung eines Patient Support Program. Ziel ist es, den Ist-Zustand der Versorgung entlang der Patient Journey aus Patientenperspektive visuell darzustellen und Touchpoints zu identifizieren, aus denen wiederum die konkreten Patientenbedürfnisse (Patient Needs) abgeleitet werden können. In der Literatur finden sich unterschiedliche Modelle einer Patient Journey, die insbesondere hinsichtlich Detaillierungsrad, Indikationsgebiet und Krankheitsstadium variieren, aber allesamt auf analogen schematischen Abläufen fußen (siehe hierzu Kap. 26). Generell systematisiert die Patient Journey den Versorgungsweg des Patienten, um Ansatzpunkte zur Unterstützung des Patienten zu finden, damit dieser sich adhärenter verhält. Zu Beginn einer Therapie geht es dabei zunächst darum, den Patienten umfassend über die Erkrankung zu informieren, ein Verständnis für die Therapie aufzubauen und unterstützende Maßnahmen anzubieten, wie etwa Injektionstrainings oder Erinnerungsservices. Im Laufe der Therapie ändern sich die Ansprüche des Patienten. Die An- und Rückfragen werden spezifischer und zielgerichteter, weswegen sich Inhalte und Unterstützungsleistungen des PSP dynamisch nach dem Grad des Involvements des Patienten anpassen sollten. Grundsätzlich ist neben der richtigen Ansprache der Patientenbedürfnisse die Anwendungsfreundlichkeit eines PSP für den Erfolg desselben entscheidend (Tunder et al. 2018). Pharmakovigilanz zur Bestätigung der Nutzen-Risiko-Abwägung Pharmakovigilanz umfasst sämtliche Maßnahmen zur Entdeckung, Erfassung, Bewertung und Vorbeugung von Nebenwirkungen sowie anderen arzneimittelbezogenen Problemen, die bei der Anwendung von Arzneimitteln auftreten. Im Verlauf der klinischen Phase-I- bis -III-Studien werden zwar sowohl die erwünschten Wirkungen als auch die Neben- und Wechselwirkungen (unerwünschte Arzneimittelwirkungen, kurz UAW, oder englisch „adverse drug reactions“, kurz ADR) untersucht und im Zulassungsverfahren hinsichtlich einer Nutzen-Risiko-Abwägung auch überprüft, gleichwohl sind die Kenntnisse über die Sicherheit des Arzneimittels auch zum Zeitpunkt der Inverkehrbringung nicht vollumfassend. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein zu erprobendes Medikament erst einmal an einer kleinen Anzahl an Menschen getestet wird. Diese Versuchspersonen werden nach speziellen Kriterien für die klinischen Studien ausgesucht und sind deswegen nicht zwingend ein repräsentatives Abbild der erkrankten Bevölkerung. Folglich besteht auch nach Inverkehrbringung ein Restrisiko für das Auftreten von (seltenen oder sehr seltenen) unerwünschten Wirkungen sowie von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (Möller und Aly 2012): Nach den Studien der Phase I bis III vor der Zulassung dient die Phase-IV-Studie nun dazu, den therapeutischen Einsatz eines zugelassenen Medikaments in der breiten Anwendung zu untersuchen und eine Bestätigung der Nutzen-Risiko-Abwägung zu erhalten. Der große Nutzen der Phase IV liegt vor allem auch in der Berücksichtigung spezieller Patientengruppen, wie etwa Kindern, älteren Menschen oder multimorbiden Patienten. Die

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Pharmakovigilanz leistet damit einen wichtigen Beitrag sowohl zur Gewährleistung der Produktsicherheit (Arzneimittelsicherheit) als auch zur Qualität und Sicherheit des Medikationsprozesses (Arzneimitteltherapiesicherheit). Mit der Überarbeitung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sind die pharmazeutischen Hersteller seit 2004 dazu verpflichtet, mit dem Zulassungsantrag für ein Arzneimittel eine detaillierte Beschreibung des vorgesehenen Pharmakovigilanz-systems und einen Maßnahmenplan zur Risikoüberwachung einzureichen. Bis es dann zu den von der EMA veröffentlichten Guidelines on Good Pharmacovigilance Practices, kurz GVP, kam (hier in der Fassung vom November 2018, EMA/722239/2018), folgten weitere Neufassungen bzw. Ergänzungen der Richtlinien für die praktische Umsetzung der EU-­ Anforderungen, die 2008  in einem eigenständigen Band zusammengefasst (The Rules Governing Medicinal Products in the European Union – Guidelines on Pharmacovigilance for Medicinal Products for Human Use, Volume 9a) und 2012  in Deutschland mit der 16. Novellierung des Arzneimittelgesetzes in nationalem Recht verankert wurden. Nach § 63b AMG sind die Pharmaunternehmen zur Dokumentation und Meldung aller Verdachtsfälle von unerwünschten Arzneimittelwirkungen verpflichtet. Verdachtsfälle sind je nach Schwere und regionalem Bezug kurzfristig (unverzüglich, spätestens aber nach 15 Tagen) an die zuständige Arzneimittelbehörde zu melden oder im Rahmen der Einreichung regelmäßig aktualisierter Unbedenklichkeitsberichte (englisch Periodic Safety Update Report, PSUR) nach § 63d AMG in vorgeschriebenen Zeitabständen der Arzneimittelbehörde vorzulegen. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die Außendienstmitarbeiter in die Pflicht genommen, Mitteilungen von Ärzten über Nebenwirkungen und Gegenanzeigen oder sonstige Risiken bei Arzneimitteln zu dokumentieren und an die relevanten Stellen im Unternehmen weiterzuleiten (§ 76 AMG). Für Ärzte gilt eine solche Informationspflicht auch, wenngleich sie nicht gesetzlich, sondern über die ­Berufsordnung geregelt ist. Das Meldewesen für Verdachtsfälle von ungewöhnlichen Impfkomplikationen wird in Deutschland seit dem 1. Januar 2001 durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Seitdem gilt für Ärzte, Heilpraktiker und andere medizinische Berufe eine gesetzliche Meldepflicht: Jeder Verdachtsfall ist zu melden, d. h., nicht der Meldende nimmt die Bewertung eines möglicherweise ursächlichen Zusammenhangs vor, sondern die zuständige Bundesoberbehörde. Sollten Verdachtsmomente bei einem Medikament vorliegen, mahnt seit 2013 ein schwarzes Dreieck (mit der Spitze nach unten) in der Packungsbeilage zu einem vorsichtigen Einsatz und weist darauf hin, dass das Arzneimittel einer zusätzlichen Überwachung in der Pharmakovigilanz unterliegt. Die EMA veröffentlicht seit 2013 eine monatlich aktualisierte Liste von entsprechenden kritischen Medikamenten. Am Ende kann die Zulassung eines Arzneimittels im Rahmen der Pharmakovigilanz widerrufen oder ihr Status angepasst werden. Laut den Statistiken zu Zulassungs- und Registrierungsanträgen des BfArM verbleiben in der Regel 90 Prozent der zugelassenen Arzneimittel auf dem Markt.

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1.3.4.2 Patentauslauf Bei neuen Arzneimitteln, welchen der G-BA einen Zusatznutzen attestiert, wirft der in absehbarer Zeit drohende Patentauslauf einen großen Schatten bis hinein in die Erstattungsverhandlungen voraus. Von der Laufzeit des Exklusivrechts hängt maßgeblich die Preiskalkulation des Herstellers ab. Vorausschauend auf den drohenden Verlust der Preisprämie hat der Hersteller bereits im Market Access Überlegungen anzustellen, wie er seine Marktposition auch nach dem „Loss of Exclusivity“ behaupten will. Der Startschuss zum Patentauslauf-Management fällt bereits mit dem Marktzugang. Mögliche strategische Optionen nach dem Patentauslauf sind der Abb. 1.5 zu ent­nehmen: Unter der Beibehaltungsstrategie werden solche Optionen subsumiert, die zu keinen substanziellen Veränderungen des Angebotes oder der Zielgruppe führen, sondern vielmehr an den Property Rights ansetzen. Denkbare Optionen hierfür sind die Anmeldung eines Sekundärpatents, die Beantragung eines Supplementary Protection Certificate sowie die Modifikation der Unterlagenverwertungs- oder Vermarktungsexklusivität. Sollten die Optionen erfolgreich sein, verlängert sich die Dauer der exklusiven Marktposition. Mit einer aktiven Rabattpolitik, die sich nicht allein als Reaktion auf die Forderungen der Kostenträger versteht, sondern als ein Wettbewerbsinstrument, um Konkurrenzprodukte unter Druck zu setzen, kann der Eintritt von Generika verhindert oder erschwert werden. Allerdings beanspruchen Rabatt- oder Open-House-Verträge mit dieser Wirkungsrichtung eine längere Vorlaufzeit. Diversifikationsstrategien beschreiben Optionen, die mit einer Ausweitung des Angebotes und/oder einer Zielgruppenausrichtung einhergehen. Eine theoretische Option hierbei wäre, bei der Verwendung eines bestehenden Präparates anzusetzen und dieses auch für die Behandlung von seltenen Krankheiten anzubieten (Orphan Drugs). Eine andere

Multiplikation

Eigenes Generikum/ Bioidentical/ Biosimilar

Reduktion

Verkauf der Produktlinie

Konversion

Orphan-DrugStatus

Diversifikation

Beibehaltung

Rx-to-OTCSwitch*

Lizenzvergabe

Sekundärpatente

Rx-to-OTCSwitch*

Supplementary Protection Certificate

Neue Indikation

Unterlagenverwertungs- und Vermarktungsexklusivität

Strategische Stoßrichtung * Je nach Auslegung kommen beide Unternehmensstrategien in Betracht

Abb. 1.5  Strategische Optionen nach Patentauslauf. (Quelle: Koenen 2019)

Rabattverträge/ Open-House-Verträge

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Option ist der Rx-to-OTC-Switch. Durch Anpassung der Dosierung lassen sich verschreibungspflichtige Medikamente zu freiverkäuflichen, apothekenpflichtigen Arzneimitteln „downgraden“. Als dritte Diversifikationsstrategie würde sich die Ausweitung der Zulassung auf eine neue Indikation anbieten. Eine Reduktionsstrategie liegt vor, wenn der Leistungsbereich und/oder die Zielgruppe aufgegeben werden. Der Verkauf oder die Einstellung der Produktlinie käme dieser Strategie gleich. Bei der Konversionsstrategie würde der Verkaufserlös für eine (kapital-)intensivere Forschung genutzt werden, um neue Medikamente wieder in den Markt einbringen zu können. Zwei Umsetzungsmöglichkeiten wären denkbar, die Lizenzvergabe und der Rx-to-OTC-Switch. Die Lizenzvergabe erlaubt es einem anderen Generika- oder Biosimilar-­Hersteller, ein Medikament zu erzeugen oder zu vertreiben, während der Originalhersteller hierfür eine vereinbarte Prämie erhält. Eine Konversion besteht ebenfalls, wenn am Ende eines Rx-to-OTC-Switch lediglich die OTC-Version übrigbleibt, während das verschreibungspflichte Medikament vom Markt genommen wird. Die Multiplikationsstrategie steht für eine Option, bei der der Hersteller neben dem bestehenden Originalpräparat selbst das Generikum oder im Falle biotechnologischer Präparate ein eigenes Bioidentical bzw. Biosimiliar anbietet. Hierbei wird das Originalpräpart repliziert, allerdings unter einem anderen Namen im Markt platziert. Um nach einem Patentauslauf einen signifikanten Wettbewerbsvorteil zu haben, sollten gegenüber den Stakeholdern langfristig angelegte, wertstiftende Maßnahmen ergriffen werden. Gegenüber den Kostenträgern bedeutet das in erster Linie, dass der Hersteller die Kostenträger mit attraktiven Rabattverträgen ermutigt, ebenso attraktive Selektivverträge mit den stationären und ambulanten Leistungsträgern abzuschließen. Der Arzt mit seinem herausragenden Stellenwert in der Versorgungskette entscheidet im Rahmen seiner Therapiefreiheit nicht nur über die Verschreibung eines Medikamentes, er ist auch der direkte Empfänger der Patientenreaktion, wenn vom Original- auf ein Generikapräparat umgestellt wurde. Adhärenz kann in diesem Fall auch als Ausdruck von Therapieloyalität verstanden werden, innerhalb welcher der Patient ausdrücklich nach dem Originalpräparat fragt. Patient Support Programs dienen demnach nicht nur der Therapietreue, sondern auch als Instrument zur Loyalitätsbildung zwischen Patienten und Medikament.

1.4

Schlussbetrachtung

Als das AMNOG in Kraft getreten ist, wurde von einem „lernenden System“ gesprochen. In den vergangenen Jahren haben alle Akteure, die im AMNOG-Prozess involviert sind, viel dazugelernt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erkennen die pharmazeutischen Hersteller die neue Gesetzeslage an und haben sich auf annähernd alle Eventualitäten eingestellt, wenngleich sie nicht vor Überraschungen gefeit sind. Unterschiedliche Auslegungen der Methoden, unterschiedliche Interpretationen der Güte der klinischen Studien und natürlich auch die unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich der Endpunkte, der Frage

1  Market Access Management – Konzeption und Prozess

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nach dem Nutzen und seiner  objektiven Bewertung bieten genügend Potenzial, um das lernende System als nicht lernbar abzutun. Das moderne Verständnis von Market Access erkennt selbstredend die Bedeutung des AMNOG und der Dossiererstellung an, gleichwohl ist Market Access vielmehr. Gelebtes Market Access Management ist eine Grundeinstellung, den Patienten und das Patientenwohl an den Anfang der Wertschöpfungskette zu stellen. Das Buzzword „Patientenzentrierung“ kann als Ausdruck dieses Perspektivwechsels verstanden werden. Erstaunlicherweise hat es eines Gesetzes bedurft, dass es zu diesem Perspektivwechsel kam. Die frühe Nutzenbewertung ist unter wettbewerbstheoretischen Gesichtspunkten nichts anderes als die Dokumentation eines Wettbewerbsvorteils. In anderen Branchen wird dieser Nachweis über Marktprinzipien implizit erbracht. Im Gesundheitsmarkt greift dieses Prinzip aus bekannten Gründen nicht. Der Gesetzgeber hat mit dem AMNOG eine wettbewerbsrechtliche Ordnung geschaffen, die nah an die Grundkonzeption von strategischen Wettbewerbsvorteilen heranreicht. Einzig die Verfahrensweise der Begutachtung der Nutzenbewertung durch den G-BA bzw. durch das IQWiG sollte als lernendes System konzipiert werden. Hier ist allerdings der Gesetzgeber gefordert, beispielsweise, indem er sich über eine Widerspruchsregelung oder eine Synchronität von Zulassungs- und Nutzenbewertung oder über eine gesamteuropäische Regelung (Euro-HTA) Gedanken macht.

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Prof. Dr. Ralph Tunder  ist Head of Health Care Management Institute an der EBS Business School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Geschäftsfeld- und Unternehmensstrategien von Gesundheitsdienstleistern und -unternehmen. Darüber hinaus leitet Professor Tunder seit 2011 als 1. Vorsitzender die Deutsche Fachgesellschaft für Market Access e. V. (DFGMA).

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Moral, Markt und Medikament Friedrich Heubel

Inhaltsverzeichnis 2.1  2.2  2.3  2.4  2.5 

 inleitung: Ethik und Moral  E Zur ethischen Systematik  Arten der Verbindlichkeit  „Anreizethik“?  Normen und Werte  2.5.1  Normen  2.5.2  Ideale (Werte)  2.5.3  Wert und Norm zugleich  2.6  Rechtfertigung von Sanktionen  2.7  Tausch – Markt – Rahmen  2.8  Arzneimittel  2.9  Der arzneimittelspezifische Ordnungsrahmen  2.9.1  Gesetzlicher Rahmen  2.9.2  Moralische Verantwortung  2.9.3  Governance  2.9.4  Treuhandschaft  2.9.5  Verantwortung für den Ordnungsrahmen  2.10  Handlungsaufforderungen  Literatur 

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Zusammenfassung

Arzneimittel und Medizinprodukte sind heute im industriellen Maßstab entwickelte und produzierte handelbare Güter. Zum Unterschied von anderen Gütern unterliegen F. Heubel (*) Philipps-Universität, Marburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_2

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sie aber einer öffentlich konsentierten Zweckbestimmung: Sie sollen dem gesundheitlichen Wohl der einzelnen Menschen dienen. Daran haben nicht nur die Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft ein Interesse. Deshalb sind Entwicklung, Produktion und insbesondere die Verteilung dieser Güter Gegenstand öffentlicher Regulation. Diese hat Erwartungen und Ansprüche der beteiligten Akteure – Kranke, Ärzteschaft, Hersteller, Kostenträger  – in ein öffentlich vertretbares Gleichgewicht zu setzen. Der Artikel macht deutlich, dass hinter dieser Aufgabe hochrangige moralische Werte stehen. Er stellt einige der ethischen Instrumente vor, mit denen sich Regulierung bewerten und begründen lässt. Für Entwicklung, Produktion und Verteilung von Arzneimitteln erweisen sich ausschließlich markttypische Anreizstrukturen als moralisch problematisch. Am Schluss steht ein Vorschlag für eine institutionelle Struktur, die die problematischen Anreizeffekte begrenzen kann.

2.1

Einleitung: Ethik und Moral

Wir alle finden es ungerecht, wenn jemand für etwas bestraft wird, was er nicht getan hat, wir finden Lügen im Prinzip falsch und Friedfertigkeit besser als Aggression. Wir finden das ohne viel Nachdenken. Wir würden vielleicht auch selbst einmal gelegentlich ungerecht sein oder flunkern oder jemanden verletzen. Richtig finden würden wir das aber bei ehrlicher Beurteilung von uns selbst nicht, wir würden eine Entschuldigung dafür suchen. Mit anderen Worten, wir haben in irgendeiner Form Vorstellungen von gerecht und ungerecht, richtig und falsch, Gut und Böse, also Maßstäben, nach denen wir die Handlungen von uns selbst und anderen beurteilen, auch wenn wir uns selbst nicht immer danach richten. Für diese ohne großes Nachdenken von uns benutzten Maßstäbe und das ihnen gemäße Handeln hat sich das Fachwort Moral eingebürgert. Das Nachdenken über diese Maßstäbe, also das Aussprechen, was sie eigentlich sagen, worin sie bestehen, wie sie sich begründen bzw. rechtfertigen lassen und wie sie systematisch zusammenhängen, heißt dann Ethik. Eine fachphilosophische Kurzdefinition lautet: Ethik ist die Reflexion der Moral. In den meisten Fällen kommen wir mit unserer erlernten oder erworbenen Moral auch ganz gut durchs Leben. Je komplizierter unsere Umwelt, insbesondere je arbeitsteiliger die Gesellschaft wird, desto mehr verliert sich allerdings diese Sicherheit. Denn unser individuelles Handeln hängt wesentlich davon ab, wie die Kooperation mit anderen Menschen organisiert ist. Arbeitsteilung, Rechtsprechung, Bildung und soziale Netze sind hochkomplexe Organisationformen, die unser Handeln ermöglichen und prägen. Dementsprechend müssen auch unsere Organisationsformen Gegenstand moralischen Überlegens, also von Ethik sein. Deshalb ist auch Wirtschaftsethik ein Thema, damit der Markt und damit eines seiner Elemente, der Market Access. Und weil Arzneimittel und ­Medizinprodukte Waren sind, die einem besonders hochrangigen Zweck dienen, handelt es sich hier um ein besonders sensibles Thema.

2  Moral, Markt und Medikament

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Unsere moralischen Vorstellungen gelten sowohl für Vergangenes wie für Zukünftiges. Wir beurteilen bereits geschehene Handlungen, und wir planen bevorstehendes Handeln. Wir beurteilen Tatsachen und Situationen und setzen unseren Handlungen Zwecke, beides „im Lichte von Moral“. Das braucht Sorgfalt der Wahrnehmung, ordnende Kriterien und Erfahrung. Ethik hilft bei den Kriterien, indem sie unsere moralischen Vorstellungen ausbuchstabiert. Sie kann bloße Intuitionen zu guten Gründen machen. Freilich liegt zwischen der moralischen Vorgabe und der verantwortlichen Entscheidung im Einzelfall immer noch ein Urteil: Was ist für mich, mit meinen Möglichkeiten, in meiner sozialen Situation das Richtige? Und zum Handeln – wie zum gewollten Unterlassen – braucht es einen Entschluss. Und den liefert nicht allein die Ethik. Ich werde also zuerst die ethische Perspektive erläutern, aus dieser Perspektive dann das Ordnungskonzept „Markt“ betrachten, die Besonderheiten erläutern, denen das Gut Arzneimittel im markttypischen Wettbewerb aus ethischer Perspektive unterworfen ist, und am Schluss einen Vorschlag machen.

2.2

Zur ethischen Systematik

Der Eintrag „Wirtschaftsethik“ im Gabler Wirtschaftslexikon (2014) formuliert u. a.: Die moralische Qualität der Marktwirtschaft besteht darin, dass sie das beste bisher bekannte Instrument zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen darstellt, indem sie dem Wohl der Konsumenten dient (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3598).

Hier wird „Solidarität der Menschen“ als das oberste moralische Ziel gedacht. Diesem Ziel dient das „Wohl der Konsumenten“, und dem Wohl der Konsumenten dient die Marktwirtschaft. Marktwirtschaft ist demnach ein Mittel, das dem Zwischenziel „Wohl der Konsumenten“ dient, welches selbst wieder zum Mittel für die Solidarität der Menschen wird. Marktwirtschaft ist demnach damit gerechtfertigt, dass sie einem hohen moralischen Ziel dient. Die Geltung dieses Satzes wird jedoch in der Folge eingeschränkt: Diese Aussage bleibt grundsätzlich richtig, auch wenn die teils beträchtlichen Leistungs- und Kaufkraftunterschiede im Blick zu behalten sind und in der Sozialen Marktwirtschaft Anlass zur Umverteilung geben, um die Marktwirtschaft zu verbessern (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3598).

Wenn es „Anlass zur Umverteilung“ gibt, dann erreicht offensichtlich Marktwirtschaft allein nicht das gewünschte Ziel. Im Konzept von Markt und Wettbewerb ist Umverteilung nicht enthalten. Sie ist aber zur Zielerreichung notwendig. Dann wird aber durch Umverteilung die Zielerreichung verbessert, nicht die Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft wird vielmehr durch ein ihr nicht immanentes Konzept ergänzt.

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Die moralische Reflexion des Handelns in und für die Marktwirtschaft umfasst also mehr als sie selbst. Ethik befasst sich mit dem Handeln überhaupt, das heißt mit dem Handeln verantwortungsfähiger Akteure, und zwar aller Akteure in allen Handlungszusammenhängen. Ein weiterer Eintrag in Gablers Wirtschaftslexikon fasst das richtig zusammen (2014, S. 1014): Die griechische Ethik war empirisch und normativ zugleich. Heute wird eine empirische, deskriptive Ethik streng unterschieden von der normativen Ethik [Hervorhebung im Original], die ein Sollen formuliert; dieses Sollen erhebt Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit.

Deskriptive Ethik stellt moralische Konzepte nebeneinander, ohne sie zu gewichten. Normative Ethik formuliert ein Sollen, das Anspruch auf „allgemeine Verbindlichkeit“ erhebt. Was heißt das? Der allgemeine Begriff „das Sollen“ enthält eine von Akteuren empfundene Handlungs- oder Unterlassensaufforderung. Die Geltung dieses Sollens nehmen wir intuitiv jedes Mal in Anspruch, wenn wir die uns allen vertraute Frage stellen „Was soll ich tun?“ oder „Welche Handlungsweise ist die richtige?“. Die Frage wäre sinnlos, wenn wir das für jeden Handelnden gültige Sollen nicht voraussetzen würden. Dass wir dieses Sollen vo­ raussetzen müssen, wird je nach dem moralphilosophischen Ansatz als praktische Vernunft nach Immanuel Kant (1974), als das Gute im Sinne von Nutzen nach Jeremy Bentham oder als „common morality“ nach Beauchamp und Childress (1994) konzipiert.

2.3

Arten der Verbindlichkeit

Die von den Akteuren empfundene Handlungs- oder Unterlassensaufforderung, mit dem „Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit“, die wir „das Sollen“ nennen, sagt noch nicht, was wie und wann von wem gesollt wird. Das ist erst im jeweiligen situativen Kontext zu entscheiden. Darüber hinaus kennt sie aber auch verschiedene, spezielle Arten von Verbindlichkeit. Zum Beispiel hat das strafbewehrte Verbot des Diebstahls eine andere Art von Verbindlichkeit als die Forderung „achte jeden Menschen“ und diese wieder eine andere Verbindlichkeit als das Gebot der Fürsorglichkeit. Strafandrohung vermindert die Häufigkeit des tatsächlichen Diebstahls, wir halten die Durchsetzung dieser Norm für einen gerechtfertigten Zwang, die Achtung jedes Menschen halten wir für von Jedem verlangbar, wenn auch nicht durchsetzbar, und Beispiele von echter, das heißt uneigennütziger Fürsorglichkeit finden wir lobenswert. Diese Unterschiede in der Verbindlichkeit bleiben in Satz (S1) verdeckt und machen ihn zweideutig: (S1) W. befasst sich mit der Frage, wie moralische Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden können (Implementationsproblematik).

In diesem Satz kann „zur Geltung bringen“ auf zwei Weisen verstanden werden, nämlich als „die Gültigkeit der Normen und Ideale bekräftigen“ oder als „die Befolgung der Nor-

2  Moral, Markt und Medikament

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men und Ideale durchsetzen“. Der in Klammern gesetzte Ausdruck „Implementationsproblematik“ spricht für „Durchsetzen“. Wir hätten also Satz (S1) wie folgt zu lesen: (S2) Wirtschaftsethik befasst sich mit der Frage, wie unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft die Gültigkeit moralischer Normen und Ideale bekräftigt und/oder wie sie durchgesetzt werden können (Implementationsproblematik).

„Normen und Ideale“ sind verschiedene Konkretisierungen des Sollens. Sie drücken deshalb auch verschiedene Arten von Verbindlichkeit aus. Gültigkeit ist von Durchsetzbarkeit zu unterscheiden. Durchsetzbarkeit gibt es nur auf der Seite der Normen, während es auf der Seite der Ideale „nur“ Appelle gibt.

2.4

„Anreizethik“?

Der Eintrag „Wirtschaftsethik“ verteilt die Moral auf zwei Ebenen (Gabler Wirtschafslexikon 2014, S. 3597) und spricht von einer „Anreizethik“. Auf der Ebene der Akteure erscheine die Moral nicht als „unmittelbar handlungsleitende Motivation“. Sie komme vielmehr dadurch „zum Zuge“, dass eine zweite Ebene, nämlich eine Rahmenordnung, das Handeln der Akteure restringiert. Weil die Rahmenordnung stets unvollständig sei, blieben die Akteure aufgefordert, an ihrer Verbesserung mitzuwirken (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3598). Mit anderen Worten, die „unmittelbar handlungsleitende Motivation“ wird nach dieser Konzeption vorrangig auf der oberen Ebene wirksam, nämlich dort, wo die Restriktionen festgelegt werden. Auf dieser Ebene gibt es keine übergeordnete Rahmenordnung mehr. Das, worauf diejenigen zurückgreifen können, die die Rahmenordnung verbessern, muss natürlich den Restriktionen übergeordnet sein, die gesetzt werden sollen. Außer der Moral selbst gibt es aber keine Vorgabe, die das leistet. Wer also die Rahmenordnung verbessert, z. B. die Mitglieder eines gesetzgebenden Gremiums, muss direkt auf die Moral zurückgreifen und ist dazu auch moralisch aufgefordert. Insoweit stimmt das mit dem Eintrag „Wirtschaftsethik“ (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3598) überein: Aus der prinzipiellen Unvollständigkeit der Rahmenordnung folgt als weitere Handlungsanweisung, dass die Akteure entweder an der Verbesserung der Rahmenordnung, die sie dann selbst bindet, mitwirken sollen, oder im Fall „unvollständiger Verträge“, individuell moralisches, faires Verhalten gemäß dem „Geist“ solcher Verträge praktizieren; …

Der Terminus „Anreizethik“ verunklart allerdings diese ethische Logik ähnlich wie im Satz (S1): Wirtschaftsethik ist paradigmatisch Ordnungsethik oder Institutionenethik. Sie ist insofern mit dem ökonomischen Handlungskonzept kompatibel, als das Handeln innerhalb der Rahmenordnung den Anreizen folgt; daher könnte man auch von Anreizethik [Hervorhebung durch F.H.] sprechen (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3597).

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Hier ist die Ebene der Rechtfertigung von Restriktionen – die Ethik – mit der Ebene der Durchsetzung von Restriktionen – dem Rechtszwang – zusammengeworfen. Wenn diese Ebenen nicht sauber unterschieden werden, kann der Zwang der Restriktionen als bloße Gewalt erscheinen und die Ethik als bloßer Lieferant von Zwangsrechtfertigungen. Ethik ist aber mehr: Die achtungsvolle – wie auch die fürsorgliche – Gesinnung kann zwar durch nichts erzwungen werden. Dennoch ist sie die notwendige Basis für die rechtmäßigen Restriktionen. Ethik hält dieses Zuordnungsverhältnis im Bewusstsein und in der Diskussion. Zusammenfassend: Das Recht – oder die Restriktionen des Ordnungsrahmens – werden durchgesetzt, indem in den Akteuren durch Sanktionen ein Motiv gestiftet wird, das dem unzulässigen oder unerwünschten Verhalten entgegenwirkt. Sanktionen bestehen in der Androhung eines Übels, das zuvor an das sanktionierte Verhalten geknüpft wurde. Das gestiftete Motiv besteht darin, das angedrohte Übel zu vermeiden. Vermeiden eines Übels ist ein „natürliches“ Motiv, auf das man bei jedem Akteur rechnen kann, ein primärer Antrieb, der außerhalb von Gut und Böse steht und weder eigenes noch fremdes Handeln voraussetzt. Dagegen ist das Anknüpfen an einen natürlichen Antrieb, das gezielte Setzen einer neuen Absicht von außen ein Handeln, das verantwortet werden muss. Das Setzen einer Rahmenordnung macht aus einem „natürlichen“ Antrieb einen gesetzten Anreiz. Nur scheinbar paradox: Dieser wirkt als natürlicher Antrieb einem ebenso natürlichen Antrieb (dem Antrieb zum unerwünschten, sanktionierten Verhalten) entgegen.

2.5

Normen und Werte

2.5.1 Normen Durchsetzen geschieht gegen Widerstand. Wenn eine Norm etwas verbietet, stellt sie sich gegen eine Handlungsweise, die sich nicht ausbreiten soll. Ausbreiten würde sie sich, weil ein solches Handeln im Interesse vieler Akteure liegt, von vielen gewünscht wird oder ihnen auch nur „in den Kram passt“. Fast jeder Mensch ist an berechenbaren Verhältnissen interessiert, wünscht sich ein höheres Einkommen und nimmt gern die Abkürzung über den Rasen im Park. Für diese Vielen bedeutet die Norm die Aufforderung, auf ein bestimmtes Interesse zu verzichten. Die geltende Norm nicht nur zu statuieren, sondern ihre Befolgung auch durchzusetzen, trifft also auf den Widerstand von Interessenten. Denn niemand ist ohne Weiteres bereit, auf eine seiner Interessen zu verzichten – und es wäre auch unsinnig, den Verzicht auf jedes Interesse zu verlangen. „Ohne Weiteres“ heißt: Entweder man sieht den guten Sinn der Norm ein und richtet sich danach – wobei „Einsehen“ nicht nur intellektuelles Verstehen, sondern auch eine Art Durchsetzen gegen sich selbst meint. Oder der Entschluss zum Unterlassen wird einem dadurch erleichtert, dass ein Inhaber von Verfügungsmacht den Verstoß gegen die Norm an ein Übel gekoppelt hat. Zum Beispiel bedroht die Gemeinde die Ordnungswidrigkeit des Falschparkens mit einem Bußgeld und der Gesetzgeber den Diebstahl mit einer Gefängnisstrafe. Der Akteur ist ge-

2  Moral, Markt und Medikament

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zwungen abzuwägen. Das angedrohte Übel setzt ein Motiv, den Normverstoß zu unterlassen. Wenn das angedrohte Übel schwerer wiegt als der Verzicht auf das verbotene Vorhaben, bleibt der Normverstoß aus – jedenfalls in vielen Fällen.

2.5.2 Ideale (Werte) Bei „Ideal“ steckt schon im Begriff, dass es nicht mit Zwangsmitteln gesetzt werden kann. Mit dem Adjektiv „ideal“ meinen wir etwas Vollkommenes, zum Beispiel „die vollkommene Gesellschaft“. Ein idealer, also vollkommener Mensch wäre auch moralisch vollkommen. Die meisten von uns sind skeptisch, ob es solche Menschen in der realen Welt wirklich gibt. Wir kennen aber Ideale, die wir anstreben, das heißt moralische oberste Werte, die wir zu verwirklichen suchen oder an denen wir unser Handeln ausrichten. Das Wort Ideal hat allerdings einen Beiklang von Unerreichbarkeit und notwendigem Versagen, sodass derjenige, der sich einem Ideal widmet, leicht als Träumer, Gutmensch oder naiver Idealist dasteht. Ich ziehe deshalb das Wort „Wert“ vor, das diesen Beiklang nicht hat (beim Streben nach einem moralischen Wert kommt es nicht auf die vollständige Realisierung an). Jedenfalls bestimmt man den Wert oder das Ideal, dem man sich widmen will, selbst. Man kann zwar gezwungen werden, etwas zu tun, das den eigenen Werten widerspricht. Aber der Widerspruch besteht gerade darin, dass die eigenen Werte trotz dem aufgezwungenen Handeln fortbestehen. Der Zwang ändert an diesem Stück Haltung oder Gesinnung nichts. Ein Akteur, der einen anderen dazu veranlassen will, einen beiden gemeinsamen Wert zu realisieren, kann deshalb nur appellieren, das heißt, dem Partner die Gemeinsamkeit des Sollens vorstellen. Wertsetzungen können zwar gegenüber einem Akteur nicht erzwungen werden, insofern ist er frei. Das Realisieren eines Werts fordert ihm aber mehr ab als eine Ja-Nein-­Entscheidung. Bei der Norm richtet sich das Sollen meist auf das Unterlassen einer durch das Verbot bereits bestimmten Handlung. So sind acht der zehn Gebote tatsächlich Verbote und nur zwei Gebote.1 Beim Wert muss die dem Sollen entsprechende Handlung erst noch bestimmt werden. Zum Beispiel: Jeder Mensch soll seinen Mitmenschen helfen. Damit steht aber noch nicht fest, wer wem mit welchen Mitteln helfen soll. Ein hilfsbereiter Akteur muss seine persönlichen Möglichkeiten, sein soziales Umfeld und die Hilfsbedürftigkeit der seinem Handeln zugänglichen Menschen in ein Gleichgewicht bringen. Im Idealfall wird er sich fragen, wie und für wen er seine – stets begrenzten – Mittel am besten ausschöpfen kann. Er ist bei dieser Entscheidung frei, aber je mehr Möglichkeiten er hat, desto schwieriger ist seine Entscheidung. Auf der anderen Seite enden alle Verpflichtungen dort, wo man überhaupt keine Handlungsoptionen hat. Mit anderen Worten: Das Realisieren von (moralischen) Werten erfordert einen Abwägungs- und Beurteilungsprozess, also einen zusätzlichen Aufwand, der demjenigen erspart bleibt, der nur zwischen Lassen oder Nicht-Lassen entscheiden muss.  Verbote: Keinen anderen Gott, nicht schwören, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht lügen, nicht Eigentum anderer begehren, nicht Angehörige anderer begehren. Gebote: Feiertag heiligen, Eltern ehren.

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2.5.3 Wert und Norm zugleich Dass Normen, wie im Recht, mit Sanktionen verbunden werden können, beruht darauf, dass sie einzelne abgrenzbare Handlungen oder Unterlassungen genau angeben (z. B. du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen). Allerdings kann der einzelne Akteur dem Recht auch Genüge tun, wenn er sich zwar äußerlich „rechtstreu“ verhält, tatsächlich aber nicht rechtlich gesinnt ist. Für einen Akteur, dem die rechtstreue Gesinnung fehlt, gibt es kein Hindernis, jede Rechtslücke im privaten Eigeninteresse auszunutzen, zum Beispiel durch Verlagern von Gewinnen in sogenannte Steuerparadiese, um sie so der Besteuerung zu entziehen. Dieser Gesinnungsdefekt hat aber Folgen. Wenn er offenbar wird oder auch nur vermutet werden kann, verliert der betreffende Akteur an moralischem Status. Er wird für seine Handlungspartner weniger verlässlich, längerfristige Kooperationen werden erschwert. Wenn der Vertrauensverlust massenhaft wird, wird er für die Gesellschaft bedrohlich und kann drastische Gegenmaßnahmen provozieren, wie der amerikanische Umgang mit Subprime-Hypotheken (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3063) gezeigt hat, der in eine weltweite Finanzkrise mündete. Der – aus ethischer Sicht – Defekt der Gesinnung besteht in der Unwilligkeit, Personen als gleichwertig und gleichberechtigt anzusehen, das heißt, sich des Eingriffs in ihre Rechte zu enthalten. Was hier fehlt, heißt bei Kant (1966) „Achtung“ und bei Beauchamp und Childress (1994) „respect for autonomy“. Dieser Defekt ist fundamental. Denn Moral ohne das Verbot, Anderen die ihnen zustehende Achtung zu versagen, wäre keine Moral oder: Wenn es Moral gibt, ist sie verbindlich für Jeden. Achtung ist eine fundamentale Pflicht und insofern eine Norm. Da wir aber die Gesinnung nie direkt erfassen (und noch weniger direkt beeinflussen) können und die fehlende Achtung sich im bloßen Verweigern eines Händedrucks wie auch im Extrem der Versklavung äußern kann, können wir keine Sanktion an sie knüpfen. Achtung ist also insofern auch ein Wert, und zwar ein Wert, der beim Handeln zwischen Menschen allen anderen vorgeht. Man könnte auch sagen: Das moralische Recht Anderer zu missachten ist ein absoluter Unwert. Nach der Art der Sanktion können wir also drei Arten von Verbindlichkeit unterscheiden: (1) Bei den Rechtsnormen besteht die Sanktion im rechtlichen Zwang, der normkonformes Verhalten zumindest fördert. (2) Bei der fundamentalen Pflicht der Achtung gibt es zwar keinen (äußeren) Zwang, aber doch eine Art von Sanktion, nämlich die soziale Ächtung. Sie kann die Form der bloßen persönlichen Zurückhaltung haben, wenn der Achtungsdefekt vermutet wird, und die soziale Isolierung und Markierung, wenn der Defekt offenbar ist. (3) Bei der Selbstverpflichtung auf einen Wert besteht die Sanktion nur in der Verurteilung durch das eigene Gewissen (wenn man sich Werten verweigert). Damit ist allerdings das Charakteristische eines Werts noch nicht vollständig beschrieben. Denn Werte haben eine reale, wenn auch verschieden starke, positiv motivierende Kraft. Beispiele dafür sind vorbildhafte Menschen wie Sokrates, der für seine Überzeugung einstand, Geschichten wie die vom barmherzigen Samariter und Begriffe wie Verfassungspatriotismus oder Befreiungstheologie.

2  Moral, Markt und Medikament

2.6

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Rechtfertigung von Sanktionen

Moralisch gesehen ist der Zwang nur dann unproblematisch, wenn er gerechtfertigt werden kann. Denn der Zwang engt die Handlungsfreiheit ein, und ohne Handlungsfreiheit können wir uns auch keine Verantwortlichkeit vorstellen. Wäre unser Verhalten restlos determiniert, gäbe es auch keine Moral. Beschränkungen der Handlungsfreiheit müssen also mit unserem Begriff vom freien, verantwortlichen Individuum vereinbar gemacht werden. Dieses scheinbare Paradox wird von Immanuel Kant (1966) auf einfache und elegante Weise durch das Verallgemeinerungsprinzip gelöst: Es gibt kein grundsätzliches Argument, das dem einzelnen Akteur verbietet, seine Interessen zu verfolgen, wie es ihm beliebt. Allerdings gilt das Argument für jeden Akteur. Seine Interessen gegenüber einem Anderen durchzusetzen, ist aber eine Art von Zwang und bedeutet auf der Seite des Unterlegenen einen Freiheitsverlust. Freiheit für Jeden kann also nur heißen, den Freiheitsraum eines Jeden so zu begrenzen, dass er mit dem Freiheitsraum jedes Anderen vereinbar ist. Der „natürliche“ Zwang wird verallgemeinert und dadurch die Freiheit eines Jeden bestimmt. Da kein Akteur gegenüber einem anderen Akteur einen moralischen Vorzug genießt, ist diese Begrenzung der individuellen Freiheit auf das allgemeinverträgliche Maß auch zumutbar. Die Bemühung um einen solchen freiheitssichernden gesellschaftlichen Zustand, d. h. die Errichtung einer zur Ausübung gesetzlichen Zwangs berechtigten In­ stanz, also eines Rechtssystems, ist nach Kant (1966) sogar Pflicht. Die hier gemeinte Freiheit ist allerdings eine „äußere“. Es geht um konkrete Handlungen, die mit Handlungen konkreter anderer Akteure konfligieren, nicht um Gesinnungen, die sich nicht in Handlungen äußern. Deshalb liegen die gerechtfertigten Zwangsmaßnahmen – zum Beispiel der gesetzliche Zwang durch Geld- und Freiheitsstrafen  – auch auf der gleichen Ebene. Ein Gesinnungsstrafrecht wäre damit unvereinbar. Bei Verhaltensweisen, die wir für verlangbar, aber nicht erzwingbar halten, hat die mögliche Sanktion die Form der Ächtung bis zur sozialen Isolation. Auch hier liegt das Verallgemeinerungsprinzip zugrunde. Ähnlich wie bei der Unschuldsvermutung im Recht geht jeder Einzelne, der moralische Verantwortung empfindet, davon aus, dass seine Mitmenschen ebenfalls moralische Verantwortung empfinden (wenn es das Sollen gibt, gilt es für jedes Handeln). Daraus folgt die Erwartung, dass sich unsere Mitmenschen in der Regel moralkonform verhalten. Die Lebenserfahrung lehrt uns, dass das nicht immer der Fall ist. Die anstößigen Fälle erweisen sich zwar häufig bei näherem Hinsehen als unproblematisch, z. B. hatte das beobachtete, also sichtbare Verhalten einer Person eine andere als die vermutete, nicht sofort sichtbare Bedeutung. Das beobachtete Verhalten ist dann verstehbar. Sobald es allerdings um die fundamentale Pflicht der Achtung geht, bleibt der Anstoß bestehen. Den Gehorsam gegenüber der Achtungspflicht halten wir für verlangbar und sind nicht bereit, den Verstoß zu entschuldigen. Dieser Akteur gerät in eine Art von moralischem Abseits oder eine abstufbare Ächtung. Wir grenzen uns ihm gegenüber ab und kooperieren mit ihm nur unter Vorbehalt oder nach Absicherung oder brechen die Kooperation ab, oder brandmarken sein Verhalten, zum Beispiel durch Veröffentlichung, wie bei den Paradise Papers. Für den Akteur hat das die Bedeutung einer Sanktion.

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Bei Werten gibt es keine Sanktionen, weil es hier nicht auf ein Unterlassen, sondern auf ein eigenes spontanes, verwirklichendes, konstruktives Handeln ankommt. Es gibt aber eine Art von Hierarchie unter den Werten. Werte sind Zwecke bzw. Ziele, die Akteure realisieren wollen und zu deren Realisierung sie Mittel benutzen. Manche dieser Ziele können Zwischenziele sein, die wiederum als Mittel für weitere Zwecke dienen. Ein oberster oder letzter Wert, ein Wert, der „in sich“ gut ist, ist ein solcher, der nicht als Mittel zu einem weiteren Zweck dient und in dem alle Zwecke enden. Dieser oberste Zweck ist der Mensch. Das heißt nicht, dass der Mensch gut ist, sondern dass es gut ist, sich ihm zu widmen, also sich positiv für sein Wohlsein und seine Erhaltung einzusetzen und sich negativ jeder Schädigung und jeder Verletzung seiner juristischen und moralischen Rechte zu enthalten (Achtung und Fürsorge). Lob und Anerkennung, das wir einem fürsorgenden Verhalten zollen, insbesondere, wenn es mit einem Verzicht auf die Durchsetzung eigener Interessen verbunden ist, kann aber die fürsorgliche Haltung stärken. Statt einer sozialen Isolation gibt es auch eine soziale Affirmation.

2.7

Tausch – Markt – Rahmen

Tausch Allgemein gesprochen, ist „Markt“ eine mehr oder weniger institutionalisierte Form des Tauschs. Die einfachste Form – etwa in einer reinen Agrarwirtschaft – besteht im Naturaltausch. Die Akteure tauschen direkt miteinander zum je eigenen Vorteil Güter, die sie subjektiv als gleichwertig ansehen. Schon der Naturaltausch ist jedoch voraussetzungsvoll. Die Tauschpartner müssen sicher sein können, dass das Ertauschte ihr Eigentum wird, d. h. dass sie in ihrem Recht verletzt werden, wenn ihnen das Ertauschte durch einen übermächtigen Tauschpartner gegen ihren Willen weggenommen wird, und dass der Eigentumsübergang einem gültigen Vertrag entspricht, von dem man sich nicht ohne Sanktionen auszulösen verabschieden kann. In einer sozialen Umgebung, die den Tausch verfolgen und die Gleichwertigkeit der Güter einschätzen kann, kann die soziale Kontrolle – mit der Sanktion der sozialen Ächtung – hinreichende Sicherheit schaffen. Markt In der modernen Marktwirtschaft verläuft der Tausch jedoch indirekt über ein universelles Tauschmittel, das Geld. Die Tauschpartner sind jetzt Käufer und Verkäufer, die sich auf einen Geldbetrag, den Preis, einigen. Der Preis signalisiert dem Anbieter objektiv den Grad von Kaufbereitschaft auf der Käuferseite. Wer, anders als in einer rein agrarischen Wirtschaftsordnung, seine Produktion im Wesentlichen selbst steuern kann, wird produzieren, was Gewinn verspricht, wer etwas Geldwertes zum Tauschen einbringen kann, wird sich aus dem Angebot bedienen (die sog. Anreiz- und Verteilungsfunktion des Preises, vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 2531 f.). Dieses Arrangement setzt eine neue

2  Moral, Markt und Medikament

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Dynamik in Gang. Weil die Information über Preise sich leicht verbreitet, steigt die Zahl der Anbieter/Produzenten und der Käufer/Konsumenten. Die Handlungsoptionen werden durch mehr Waren erweitert und darüber hinaus vor allem dadurch, dass das Tauschmittel Geld beliebig Vielem (allerdings nur Waren und Dienstleistungen) äquivalent sein kann. Es ist nicht mehr durchweg nötig, unmittelbar auf Güter zuzugreifen, es reicht der Zugriff auf Geld. Wohlstand drückt sich nicht mehr nur im Besitz von Gütern, sondern im Besitz von Geld aus, ohne Geld zu sein kann die Existenz bedrohen. Mit anderen Worten: Das Markt-Arrangement setzt einen Anreiz. Der natürliche menschliche Antrieb, seine Handlungs- und Verfügungsmöglichkeiten zu erweitern, bekommt im Geld ein bevorzugtes Objekt. Und weil dieser Antrieb in jedem Akteur wirkt, arbeiten die Akteure als Konkurrenten gegeneinander. Folgerichtig muss der Rechtsrahmen den Konkurrenten gleiche Chancen sichern, zum Beispiel durch ein Kartellamt mit Sanktionsbefugnissen. Rahmung des Markts Schließlich gibt es eine Art von Tausch, in der das Arrangement des Marktes zugleich Teil eines den Markt übergreifenden Arrangements ist. (a) Würden alle Produkte tatsächlich nach der Verteilungsfunktion des Preises verteilt, dann gäbe es Akteure, die wegen Kaufkraftverlust, etwa durch Krankheit, Unfall oder sonstiges Unglück, leer ausgingen. Je arbeitsteiliger die Gesellschaft organisiert ist, desto störender werden solche Ausfälle. Es liegt also im Interesse einer Gesellschaft, deren Wohlstand auf Arbeitsteilung beruht, Krankheiten wirksam zu behandeln und Unfälle zu vermeiden – Anlass für Krankenversicherungs- und Arbeitschutzgesetzgebung. Diese ergänzen als übergeordnetes Arrangement die marktwirtschaftliche Ordnung und ermöglichen sie zugleich, indem sie Kaufkraft sichern. (b) Ein weiteres Desiderat betrifft die Schonung von Ressourcen. Für die Produktion erforderliche, natürliche, aber erschöpfbare Ressourcen, z. B. seltene Metalle, haben zwar Preise, die aufgrund der Erschließungskosten zustandekommen. Aber die Natur verhandelt nicht. Sie setzt ihrer Erschöpfung nichts entgegen. Das Interesse an ihrer Erhaltung muss von der Gesellschaft gegen das Interesse der aktuellen Marktbeteiligten durchgesetzt werden. Hier findet kein Tausch statt (denn es gibt zwischen Zukunft und gegenwärtigem Verzicht keine Äquivalenz), aber es wird die Gesellschaft einschließlich des Tausch-Arrangements Markt gesichert. (c) Ebenfalls gibt es keine Äquivalenz zwischen der Leistung derjenigen, die die Rahmenordnung mit ihren Restriktionen durch persönliche Entscheidungen festlegen, und der Erhaltung fairer Bedingungen im Markt. Denn es sind zwar die Diäten der Abgeordneten quantitativ bezifferbar, nicht aber der Wert der Marktordnung. Die Abgeordneten sind Teil eines Arrangements außerhalb des Tauschs (nämlich des repräsentativen Entscheidungsprozesses), das das Tausch-Arrangement Markt ermöglicht und sichert. Der Aufwand der Abgeordneten ist vergleichbar dem Aufwand, den wir als Gesellschaft gegenüber Personen treiben, die diesen Aufwand wegen Krankheit, Behinderung oder anders bedingter Unfähigkeit niemals „zurückgeben“ können (wo es also überhaupt keinen Tausch mehr gibt).

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2.8

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Arzneimittel

Zwei Merkmale machen den Handel mit Arzneimitteln in einer Weise besonders, dass man kaum noch von einem Markt sprechen kann – ihre industrielle Produktion (1) und ihr Vorrang vor anderen Gütern (2): (1) Seit es Arzneimittel im modernen Sinne, das heißt definierte, in ihrer Wirkung zuverlässige Substanzen gibt, hat sich ihre Herstellung wesentlich gewandelt. Der Landarzt William Withering wurde nach seiner Einschätzung eines Hausmittels gefragt, das eine kräuterkundige Frau zur Behandlung von Ödemen benutzte. Von 1775 bis 1784 untersuchte er den Mix und fand an 160 Patienten heraus, dass der wirksame Bestandteil ein Aufguss der Blätter vom Roten Fingerhut (Digitalis purpurea) war. Er präzisierte die Dosis, erkannte die Toxizität und publizierte das Ergebnis zum allgemeinen Gebrauch (Gradmann 2004). Nach einem Hinweis aus der Volksmedizin lagen also alle Schritte bis zum wirksamen und im Grundsatz allen zugänglichen Arzneimitteln in einer Hand. Das ist heute nicht mehr möglich. Auch wenn die Entdeckung eines neuen Wirkprinzips außerhalb der Industrie erfolgt, wie etwa die Immunologie 1890 durch Emil von Behring und der Antibiotikatherapie 1929 durch Alexander Fleming oder der DNA durch Chargaff et al. 1948 ff.,2 ist die Herstellung der darauf beruhenden Arzneimittel im großen Stil Sache der chemischen beziehungsweise pharmazeutischen Industrie. Dafür wiederum ist eine Größenordnung von Kapital notwendig, die die Möglichkeiten eines individuellen Entdeckers übersteigt. Die Akkumulation von Kapital für die industrielle Größenordnung setzt ihrerseits wieder den ­Produktionsanreiz durch den im Markt zu erwartenden Gewinn voraus. Kapitalakkumulation und industrielle Produktionsweise verstärken einander gegenseitig. (2) Die Funktionsfähigkeit des Organismus ist Grundlage für das Handeln der Person. Handlungsfähig zu sein hat deshalb für jedes Handeln hohe Priorität. Wer überhaupt etwas will, muss das Handeln-Können wollen. Wenn es ein Mittel gibt, das die Funktionsfähigkeit des Organismus und damit die Handlungsfähigkeit der Person erhält oder wiederherstellt, dann hat man kaum eine andere Option, als sich dieses Mittel zu verschaffen, das heißt, wenn es käuflich ist, es zu kaufen. Für jeden Handelnden haben also Arzneimittel grundsätzlich eine hohe Priorität. Wer solche Mittel herstellt, kann demnach mit einer permanenten, sicheren Nachfrage rechnen. Das stellt in einer marktwirtschaftlichen Ordnung einen starken Anreiz zu Produktion und Vertrieb dar. Es bedeutet aber auch, dass Nachfrager, denen es an Kaufkraft fehlt, vom Erwerb ausgeschlossen, in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt und bei lebensnotwendigen Mitteln sogar das Leben und damit ihre Handlungsfähigkeit überhaupt verlieren können.

 Vgl. die umfangreiche Liste von kreativen Leistungen und Innovationen bei Sedlacek und Netter (2017).

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Ein Ordnungsrahmen für den Handel mit Arzneimitteln darf also nicht nur die Fairness zwischen den Anbietern im Auge haben. Er muss es darüber hinaus ermöglichen, dass Arzneimittel ihre diagnostisch-therapeutische Bestimmung im Wesentlichen unabhängig von Kaufkraft erfüllen können. Mit anderen Worten, sie muss tendenziell  – gegen das normale Marktgeschehen – die Zuteilungsfunktion des Preises außer Kraft setzen.

2.9

Der arzneimittelspezifische Ordnungsrahmen

2.9.1 Gesetzlicher Rahmen Kranke können in der Regel nicht beurteilen, welches Arzneimittel in welcher Dosierung und welcher Darreichungsform sie brauchen (was nicht ausschließt, dass sie im Umgang mit ihrer Krankheit Experten sein können). Gäbe es aber keine Korrektur durch einen Ordnungsrahmen, so wären sie den in der Logik des Marktes selbstverständlichen umsatzfördernden Maßnahmen hilflos ausgeliefert. Die Versicherten (in einem steuerfinanzierten Gesundheitssystem die Steuerzahler) würden mit unnötigen Aufwendungen belastet, die bei der Befriedigung anderer gesellschaftlicher Bedürfnisse fehlen. Außerdem wäre nicht gesichert, dass der tatsächliche Bedarf auch dort befriedigt wird, wo Kaufkraft fehlt. Das ist in doppelter Hinsicht unerwünscht: Die arbeitsteilige Gesellschaft will keine Funktionsausfälle, und Menschen in Not unversorgt zu lassen widerspricht einem gesellschaftlich weithin geteilten Wert. Eine Rahmenordnung restringiert deshalb Hersteller und Händler von Arzneimitteln sowohl in der Zusammenstellung des Angebots als auch in der Preisbildung. Das Arzneimittelgesetz (AMG) regelt im Zusammenwirken mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung, der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Verschreibungsfähigkeit, das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) und die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) die Preisbildung.3 Darüber hinaus wird der Anreiz, auf Kosten der Krankenkassen Gewinne zu erzielen, gesetzlich begrenzt, im ambulanten Sektor durch Budgetierungen, im klinischen Sektor durch Erlösdegressionen beim Überschreiten bestimmter Leistungsmengen.

2.9.2 Moralische Verantwortung Die spezifische Zweckbestimmung von Arzneimitteln schlägt, moralisch gesehen, auch auf die Produktionsbedingungen durch. Zum Vergleich die Industrieproduktion eines moralisch nicht in der gleichen Weise aufgeladenen Guts: Giovanni P., ein ehemaliger Ingenieur der Firma Audi, hat der Staatsanwaltschaft einen Bericht darüber geliefert, wie es zu den Dieselproblemen bei Audi gekommen ist (Frankfurter Rundschau und ARD-­  Die Liste der einschlägigen Rechtsnormen dient hier als Beispiel. Sie ist nicht vollständig. Wie diese Normen ineinandergreifen, ist dem Kapitel 4 in diesem Band zu entnehmen.

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Tagesschau von 21.08.2017). In Kurzfassung: Die Vertriebsfachleute in den Vereinigten Staaten standen unter erheblichem Druck. Sie hatten ihren Kunden den Clean Diesel versprochen. Die Abgasreinigung mit Harnstoff funktionierte auch, aber die Harnstofftanks waren zu klein. Entweder mussten größere Harnstofftanks eingebaut werden oder die Motoren entsprachen nicht den Vorschriften. Deshalb der Ausweg, den Harnstoffverbrauch dadurch zu verringern, dass die Abgasreinigung nur in der Testsituation in vollem Umfang arbeitete. Entsprechend warnten die Ingenieure den Vorstand, das würde entdeckt werden. Dieses Detail war technisch und rechtlich eindeutig zu beurteilen: Zu kleine Harnstofftanks würden den Zweck der vollständigen Abgasreinigung nicht erfüllen, das Inverkehrbringen solcher Autos wäre rechtswidrig. Arzneimittel zu konzipieren und herzustellen ist dagegen nicht nur ein technisches Problem. Ob das Arzneimittel seinen medizinischen Zweck erfüllt, weiß man frühestens, wenn die klinische Prüfung abgeschlossen ist. Und bereits Planung, Synthese, Herstellung und Prüfung stehen moralisch unter der Frage, ob das Mittel tatsächlich einen im Vergleich zum vorhandenen Arzneimittelschatz in der klinischen Praxis relevanten Zusatznutzen hat oder haben wird.4 Alle an diesen Schritten Beteiligten, nicht nur, aber vor allem die Spitze des Unternehmens, stehen in einer je nach Urteilskompetenz abgestuften ­Verantwortung.

2.9.3 Governance Die Zweckbestimmung von Arzneimitteln – dass sie nämlich kranken, also in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkten Menschen helfen sollen – wirkt sich deshalb, moralisch gesehen, auch auf den Führungsstil, die sogenannte Governance, der Herstellerfirmen aus. Im moralischen Sinne gut geführt ist ein Unternehmen, wenn es den Mitarbeitern, die nach seinen Vorgaben tätig sind, zugleich nicht „das Maul verbietet“, das heißt, moralisch gesprochen, die ihnen zukommende Achtung erweist. Zum Beispiel wird dem VW-Konzern ein Führungsstil unterstellt, der auf Befehl und Gehorsam beruht und den Informationsfluss von der Basis zur Spitze tendenziell abwertet. Es ist vermutlich dieser Zug, der zur Verurteilung eines Mitarbeiters wegen Betrugs und für das Unternehmen zu einem Imageverlust geführt hat. Es liegt nahe, dass nach einem solchen Ereignis tendenziell die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen schwindet. Aber es ist ein Unterschied, ob sich ein vergeblich warnender Mitarbeiter sagen kann „der Kunde braucht das manipulierte Auto ja nicht zu kaufen“, oder ob er sich sagen muss, „der Patient kann das problematische Arzneimittel ja gar nicht ablehnen“. Moralisch gesehen ist also ein kommunikativer Führungsstil bei möglicherweise lebenswichtigen Produkten besonders wichtig.

 Vgl. die von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegebene Zeitschrift „Arzneiverordnung in der Praxis“, in der jeweils eine Information „Neue Arzneimittel“ enthalten ist. – Der Vorsitzende der Kommission stellte vor kurzem fest, dass seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes bei mehr als der Hälfte der neu auf den Markt gekommenen Arzneimittel kein oder ein nicht quantifizierbarer Zusatznutzen festgestellt worden sei (Dtsch Ärztebl 2018; 115(1–2): A-18/B-16/C-16).

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2.9.4 Treuhandschaft Die Rahmenordnung soll sicherstellen, dass nur der tatsächliche Bedarf befriedigt wird, und zwar so, dass die Versichertengemeinschaft nicht durch ungerechtfertigte Ausgaben belastet wird.5 Sie kann sich zunächst öffentlicher, allgemeingültiger Regeln bedienen. Dann bleibt der marktübliche Anreiz zu Herstellung und Vertrieb – die Aussicht auf Gewinn – erhalten, aber er wirkt nur innerhalb der von der Rahmenordnung gesetzten Grenzen (s. o.). An dem Ort jedoch, wo das Arzneimittel seine bestimmungsgemäße Wirkung entfaltet – zwischen Arzt und Patient –, ist das anders. Weil nämlich der Kranke selbst im Regelfall nicht weiß, welches Arzneimittel in welcher Dosierung und welcher Darreichungsform seinen individuellen Bedürfnissen am besten entspricht, bedarf es eines Treuhänders, der in seinem Interesse diese Entscheidung als Experte mit ihm und für ihn trifft. Das ist die Rolle der Ärzte. Sie haben das exklusive Recht zu verschreiben, und nur was sie verschreiben, ist aus Sicht der Anbieterseite relevant. Deshalb sind die Ärzte die natürlichen Adressaten marktüblicher umsatzfördernder Maßnahmen. Während aber die Regulierung von Art, Menge und Preis von Arzneimitteln mit öffentlichen und allgemeinverbindlichen Regeln arbeiten kann, lässt sich in die nichtöffentliche Entscheidungssituation zwischen Arzt und Patient nicht ohne Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte  – also die Achtungspflicht  – eingreifen. Der Arzt behält wie jeder Mensch seine persönlichen Eigeninteressen, aber als Treuhänder ist er dem Patienten verpflichtet. Von ihm wird erwartet, dass er persönliche Interessen relativieren kann, wenn sie das ärztliche Handeln stören. In dieser Situation ist er auf seine Professionalität beziehungsweise das ärztliche Ethos, das heißt, eine persönliche Haltung angewiesen. Der Ordnungsrahmen muss hier ein anderes Ziel haben. Ziel kann in diesem Fall nur sein, markttypische Anreize (z. B. Boni) zu medizinisch überflüssigen oder problematischen Leistungen, soweit möglich, auszuschließen, wie es zum Beispiel Bundesärztekammer und Leitende Krankenhausärzte mit ihren Empfehlungen zu Chefarztverträgen tun.6

2.9.5 Verantwortung für den Ordnungsrahmen Der Ordnungsrahmen besteht aus Restriktionen. Sie sollen Fehlentwicklungen begrenzen, die durch den markttypischen Gewinnanreiz verursacht, aber mit der Zweckbestimmung von Arzneimitteln nicht kompatibel sind. Moralisch gesehen liegt die Verantwortung für die Rahmenordnung nicht nur beim Gesetzgeber, sondern auch bei den Akteuren, wie der Eintrag „Wirtschaftsethik“ (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S.  3598) ausdrücklich formuliert:  Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden (§ 2 Abs. 4 SGB V). 6  Empfehlungen der Gemeinsamen Koordinierungsstelle der Bundesärztekammer und des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte zu Zielvereinbarungen in Chefarztverträgen gemäß §  135c SGB V (Dtsch Ärztebl Jg. 113 Heft 19 13. Mai 2016). 5

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F. Heubel Aus der prinzipiellen Unvollständigkeit der Rahmenordnung folgt als weitere Handlungsanweisung, dass die Akteure entweder an der Verbesserung der Rahmenordnung, die sie dann selbst bindet, mitwirken sollen, oder im Fall „unvollständiger Verträge“, individuell moralisches, faires Verhalten gemäß dem „Geist“ solcher Verträge praktizieren; …

Die Akteure, hier also die Anbieter, sollen an der Verbesserung der Rahmenordnung mitwirken. Im Rahmen der normalen Lobbyarbeit, die die gemeinsamen Interessen der Anbieter gegenüber dem Gesetzgeber vertritt, ist das auch allgemein üblich. Das Zitat meint jedoch mehr (mit „oder“ dürfte nicht das ausschließende oder gemeint sein, denn „individuell moralisches, faires Verhalten“ ist mit aktivem Bemühen um Verbesserung der Rahmenordnung durchaus kombinierbar). Es wird ein Sollen vorausgesetzt, das die Akteure veranlasst, sich selbst zu binden. Die Rahmenordnung wird als zwar grundsätzlich unabgeschlossen, aber verbesserungsfähig gesehen. Verbesserung meint ein konstruktives, wertverwirklichendes Handeln, das über das Eigeninteresse einer Gruppe hinausgeht. Gemeint ist also diejenige Art von Verantwortung, bei der sich der Akteur den Aufwand eines Abwägungs- und Beurteilungsprozesses zumutet, der demjenigen erspart bleibt, der nur zwischen Lassen oder Nicht-Lassen entscheiden muss (s. o.). Die Selbstzumutung ist allerdings auch eine Selbstermächtigung: Man bestimmt selbst, wo man zuvor nur fremdbestimmt war.

2.10 Handlungsaufforderungen Aus der moralischen Perspektive auf den Arzneimittelmarkt folgen für die Akteure Handlungsaufforderungen von zweierlei Art. Entsprechend den zu unterscheidenden Verbindlichkeitstypen „verlangbar, wenn auch nicht durchsetzbar“ und „Werte realisierend“ folgen Aufforderungen einerseits zum Unterlassen, andererseits zum aktiven Tun. Unterbleiben sollte alles, was bei Ärzten und Patienten das Vertrauen in die Unbedenklichkeit von Arzneimitteln und Herstellern untergräbt und Scheinlösungen als seriös erscheinen lässt. Beispiele sind: Bei noch nicht zugelassenen, also potenziellen Arzneimitteln sollte die Zuverlässigkeit klinischer Prüfungen nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass die Prüfung in Ländern erfolgt, in denen schwächere Sorgfaltspflichten und weniger Kontrolle etabliert sind; neue und alte Wirkstoffe sollten nicht dadurch kommerziell aufgewertet werden, dass sie zur Behandlung für Zustände angeboten werden, die ohne tatsächlichen Krankheitswert sind (das so genannte „disease mongering“, vgl. u. a. Moynihan et al. [2002]; z. B. der problematische „Prädiabetes“ oder das „Sisi-Syndrom“); bei klinischen Prüfungen an Universitätskliniken sollten die forschenden Ärzte nicht zugleich diejenigen sein, die die Patienten für das Projekt rekrutieren, also aufklären und die Zustimmung einholen. Bei bereits zugelassenen Arzneimitteln lässt sich der Umsatz durch Werbung steigern. Der Umsatzschwerpunkt liegt bei den rezeptpflichtigen Arzneimitteln.7 Adressaten der  Pharmazeutische Zeitung vom 06.12.2017. www.pharmazeutische-zeitung.de. Zugegriffen am 11.01.2018.

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Werbung müssen also die verschreibenden Ärzte sein. Damit wird Einfluss auf deren Verordnungsweise ausgeübt. Das ärztliche Ethos und das ärztliche Standesrecht erwarten aber, dass die therapeutische Entscheidung – abgesehen von den gesetzlichen Vorschriften zur Wirtschaftlichkeit – ausschließlich vom Interesse des Patienten bestimmt ist. Wegen der nichtöffentlichen, durch die ärztliche Treuhandschaft (s. o.) geprägten Entscheidungssituation zwischen Arzt und Patient ist hier keine rechtsförmige Rahmenordnung möglich. Aber es bleibt die moralische Norm: Jeder von außen gesetzte Anreiz, die ärztlich-­ professionelle Verschreibungsweise zu beeinflussen, soll unterbleiben. Das betrifft z. B. die geldwerten Vorteile durch gesponserte Fortbildungsveranstaltungen, die sogenannten Anwendungsbeobachtungen einzelner Arzneimittel, die vergütet werden, aber ohne wissenschaftlichen Wert sind, und das Lobbying durch bezahlte Autoren, denen ein Expertenstatus zugeschrieben wird (im Jargon „Mietmäuler“). Möglicherweise sind diese Aufforderungen sogar Konsens. Ihre Realisierung scheitert aber an den Zwängen des markttypischen Wettbewerbs. Wer Arzneimittel entwickelt und anbietet, ohne die ökonomischen – wenn auch moralisch problematischen – Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, riskiert das Ausscheiden aus dem Markt. Nur eine bindende Absprache unter allen Herstellern – sozusagen ein gemeinnütziges Kartell – würde dieses Hindernis vollständig beseitigen. Hier entspringt eine Handlungsaufforderung der kon­ struktiven, wertrealisierenden Art. Sie lautet: Versuche die Rahmenordnung so einzurichten, dass der Wettbewerb zwar dem Nutzen aller direkt und indirekt Beteiligten dient, seine problematischen Folgen aber begrenzt werden. Eine solche Rahmenordnung scheint möglich. Denn es ist zwar plausibel, dass der Wettbewerb die Herstellung von Arzneimitteln effizienter macht, weil es im Wesentlichen um eine technische Optimierung geht. Es ist aber nicht plausibel, dass Forschung und Entwicklung durch – ökonomischen – Wettbewerb verbessert werden können. Manche Entdeckungen, die Grundlage für innovative Therapieprinzipien sein können, werden in öffentlichen Einrichtungen der Grundlagenforschung gemacht. Dort stehen die Forscher bereits in einem Wettbewerb anderer Art, für den die Bindung an Verwertungsinteressen eher kontraproduktiv ist. Aus Sicht der industriellen Verwertung kommt es vielmehr da­ rauf an, den sachkundigen, uneingeschränkten, vorurteilsfreien Überblick über die relevante Grundlagenforschung, insbesondere die „Forschungsfront“ zu behalten. Außerdem ist die Entwicklung eines neuartigen Wirkprinzips bis zum zugelassenen Arzneimittel extrem aufwendig und kann von kleinen Unternehmen kaum geleistet werden. Sie wird deshalb von den großen Unternehmen im Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) entsprechend deren Interessen dominiert. Die Bedingungen für echte Innovationen würden also vermutlich eher verbessert, wenn Forschung und Entwicklung vom Kampf um Marktanteile entlastet würden. Das wäre möglich, wenn Forschung und Entwicklung als gemeinsame Aufgabe aller Arzneimittelhersteller in einer Non-profit-Gesellschaft zusammengefasst würden. Die Kosten dafür könnten nach wie vor durch Patente gedeckt werden, nur würden die Patente nicht von den Herstellern, sondern von der Non-profit-­ Gesellschaft gehalten, die an die Hersteller nach einem Bewerbungsverfahren Lizenzen vergibt.

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F. Heubel

Die Aufgabe ist eine organisatorische. Die Hersteller wären zugleich Organisierer und Organisierte, Organisationszweck wäre Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln bis zur Patentreife als gemeinsame  – auch gemeinsam zu finanzierende  – Aufgabe, die Ergebnisse  – auch die negativen  – würden allen Herstellern zur Verfügung stehen. Die Non-profit-Gesellschaft würde ein solides vergleichendes Wissen über Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln aufbauen. Aus ihrer Sicht bestünde kein Interesse an Analogpräparaten, sodass der Pharmamarkt übersichtlicher würde. Herstellerfirmen würden nicht allein deshalb zu Übernahmekandidaten, weil sie kommerziell aussichtsreiche Neuentwicklungen besitzen. Die Öffentlichkeit setzt zwar große Hoffnungen auf die moderne Medizin mit ihren hochwirksamen Arzneimitteln. Zugleich betrachtet sie aber die Pharmaindustrie mit Zurückhaltung. Als Eigeninitiative der Hersteller hätte eine solche organisatorische Initiative moralischen Rang und würde der Industrie neues Prestige verschaffen. Danksagung  Für wertvolle Kritik an Vorversionen des Manuskripts danke ich Constanze Giese und Norbert Donner-Banzhoff.

Literatur Beauchamp, T. L., & Childress, J. F. (1994). Principles of biomedical ethics (4. Aufl.). Oxford: Oxford University Press. Gradmann, C. (2004). William Withering. In W. E. Gerabek, B. D. Haage, G. Keil & W. Wegner (Hrsg.), Enzyklopädie Medizingeschichte (S. 1501). Berlin/New York: de Gruyter. Kant, I. (1966). Metaphysik der Sitten. Hamburg: Felix Meiner. Kant, I. (1974). Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Felix Meiner. Moynihan, R., Heath, I., & Henry, D. (2002). Selling sickness: The pharmaceutical industry and disease mongering. British Medical Journal, 324(7342), 886–891. Sedlacek, H. H., & Netter, P. (2017). Kreativität in der medizinischen Forschung: Fakten und Forderungen. Berlin/Boston: de Gruyter. Springer Fachmedien Wiesbaden, Winter E. (2014). Gabler Wirtschaftslexikon (18. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.

PD Dr. Friedrich Heubel  studierte Medizin, wurde 1968 Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, arbeitete in zentralen Gremien der Philipps-Universität Marburg und ihres Fachbereichs Medizin, forschte und lehrte in biochemischer Pharmakologie, erhielt ab 1979 Lehraufträge für Ethik, erhielt 1984 ein Forschungsstipendium am ersten medizinethischen Lehrstuhl (Prof. Sporken) in Maas­ tricht, habilitierte sich für Medizinethik, war Vorsitzender der Ethikkommission des Fachbereichs Medizin und Datenschutzbeauftragter des Uniklinikums Marburg. Er ist Gründungsmitglied der European Society for Philosophy of Medicine and Health Care. Er publiziert zur Medizin als Praxis, als Institution und als Profession aus der Perspektive Kant’scher Moralphilosophie. Er leitet die Arbeitsgruppe Ökonomisierung der Akademie für Ethik in der Medizin.

3

AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte Volker Ulrich und Matthias J. Kaiser

Inhaltsverzeichnis 3.1  E  inleitung  3.2  Marktverfügbarkeit post AMNOG  3.2.1  AMNOG als Markteintrittshürde  3.2.2  Marktaustritte  3.2.3  Produktverfügbarkeit neuer Arzneimittel  3.2.4  Produktverfügbarkeit als Folge der AMNOG-Nutzenbewertung?  3.3  Der Entscheidungsfindungsprozess des AMNOG auf dem Prüfstand  3.4  Ausblick  Literatur 

 56  56  56  59  60  61  62  64  65

Zusammenfassung

Durch das im Jahr 2011 eingeführte Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) werden Arzneimittel- Innovationen (AMI) unmittelbar nach der Markteinführung einer frühen Nutzenbewertung und darauf aufbauend einer vertraglichen oder schiedsgerichtlichen Preisfindung in Form eines Erstattungsbetrages unterzogen. Nach sieben Jahren Praxis lohnt der Blick zurück, um die AMNOG-Effekte auf Krankenkassen und Arzneimittelhersteller sowie für die Versorgung der Patienten mit innovativen PräparaDer Beitrag basiert auf weiterführenden Diskussionen und Daten eines Gutachtens, das Volker Ulrich gemeinsam mit Dieter Cassel für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erstellt haben (Cassel und Ulrich 2017b).

V. Ulrich · M. J. Kaiser (*) Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_3

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V. Ulrich und M. J. Kaiser

ten empirisch zu untersuchen. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, ob Verfügbarkeitslücken in der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln zu erkennen sind. Diese entstehen dadurch, dass von der European Medicines Agency (EMA) zugelassene Arzneimittelinnovationen von den Herstellern erst gar nicht in Deutschland eingeführt werden oder wenn Hersteller ihre Produkte nach der Frühen Nutzenbewertung (FNB) zurückziehen (Rückzug bzw. Opt-out) oder später nach der Preisvereinbarung oder einem Schiedsspruch wieder vom hiesigen Markt nehmen (Rücknahme).

3.1

Einleitung

Primäres Ziel des AMNOG war es, dem Prinzip „Money for Value“ (Porter und Teisberg 2006) bei neuen Arzneimitteln im Rahmen der GKV und PKV Geltung zu verschaffen, ohne die bisher international vorbildliche innovative Arzneimittelversorgung in Deutschland zu gefährden. Dazu soll der Preis bzw. der Erstattungsbetrag einer AMI strikt an dem von ihr gestifteten (Zusatz-)Nutzen für den Patienten als Verbraucher bzw. Nachfrager ausgerichtet werden. Überraschenderweise wurden neu ausgebotene Arzneimittel, denen im Zulassungsverfahren eine therapeutische Wirksamkeit bescheinigt sein muss, im bisherigen AMNOG-­Verfahren fast zur Hälfte kein Zusatznutzen (ZN) für die Patienten attestiert (Cassel und Ulrich 2017a). Auf der Ebene der Verfahren erkannte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) unter den erfassten 228 Bewertungsverfahren in 98 Verfahren (43,0 %) keinen ZN an. Bei den gebildeten 486 Subgruppen dominiert das Ergebnis „kein Zusatznutzen“ deutlich: In 296 (60,9 %) der Gruppen erkannte nämlich der G-BA keinen Beleg für einen ZN bzw. der ZN galt ihm als nicht belegt. Noch schlechter fallen die Bewertungsergebnisse des G-BA aus, wenn man danach fragt, wie viele Patienten in welcher Weise in den verschiedenen Bewertungskategorien betroffen sind. Hiernach wären über alle Indikationen bzw. Subpopulationen hinweg rund 67,0 Mio. Patienten grundsätzlich mit den neuen Arzneimitteln therapierbar. Davon hätten aber nach Einschätzung des G-BA etwa 50,6  Mio. Patienten (75,5 %) keinen ZN (Cassel und Ulrich 2017a, b). Interessanterweise steigen die Verordnungen der Wirkstoffe ohne Zusatznutzen annähernd genauso stark wie die der Medikamente mit Zusatznutzen (Greiner und Witte 2016). Die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung kommen bislang nicht im Versorgungsalltag an, und es stellt sich die Frage, worauf diese Befunde zurückzuführen sind.

3.2

Marktverfügbarkeit post AMNOG

3.2.1 AMNOG als Markteintrittshürde Insgesamt weicht das Verordnungsverhalten auch unter AMNOG-Bedingungen erheblich von dem ab, was man nach der Nutzenbewertung eigentlich erwarten müsste. Wirkstoffe ohne Zusatznutzen haben innerhalb des ersten Jahres nach Veröffentlichung des Prüfer-

3  AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte

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gebnisses beachtliche Verordnungszahlen und -zuwächse erreicht. Für das Präparat Fampyra®, ein Medikament gegen Multiple Sklerose, verzehnfachte sich der Umsatz in den beiden Jahren nach der FNB, obwohl kein Zusatznutzen festgestellt wurde (DAK-­ Gesundheit 2015). Andererseits dürften aber auch Informationsmängel eine zentrale Rolle spielen. Die Umsetzung der AMNOG-Beschlüsse im Verordnungsalltag der Ärzte findet nämlich bisher nur sehr lückenhaft statt, in die Arbeitsabläufe der Arztpraxen seien sie bislang nicht hinreichend integriert. Die Folge: Ein Jahr nachdem die Ergebnisse der Nutzenbewertung veröffentlicht wurden, seien die Verordnungszahlen von Medikamenten ohne Zusatznutzen genau so stark wie die von Arzneimittel mit Zusatznutzen gestiegen. Im Durchschnitt betrug der Anstieg 14,7 % bzw. 14,2 % (Greiner und Witte 2016). Dadurch bliebe auch im sechsten Jahr nach Inkrafttreten des AMNOG die FNB für die Verordnungsentwicklung im Wesentlichen folgenlos. Das noch zu entwickelnde Arztinformationssystem (AIS) soll Ärzten die Beschlüsse des AMNOG-Verfahrens in ihrer Praxissoftware zur Verfügung stellen. Doch über die Umsetzung gibt es Streit: Die Ärzteschaft hat Sorge, dass sie damit in ein Korsett kassengesteuerter Verordnungskontrolle gepresst wird. Grundsätzlich ist es eine gute Idee, dass Ärztinnen und Ärzten Informationen über den Zusatznutzen neu zugelassener Medikamente aufbereitet zur Verfügung gestellt wird. Allerdings darf bezweifelt werden, dass der G-BA-Beschluss über den Zusatznutzen eines Arzneimittels beim Einsatz eines Medikamentes im Praxisalltag tatsächlich eine große Hilfe darstellt. Das AMNOG wurde eta­ bliert, um die Krankenkassen in die Lage zu versetzen, mit den Pharmaunternehmen entsprechende Preise auszuhandeln. Ist der Zusatznutzen einer Innovation hoch, darf auch der verhandelte Erstattungsbetrag entsprechend höher ausfallen. Daraus kann man aber nicht unbedingt ein bestimmtes Verschreibungsverhalten der Ärzte ableiten, das AMNOG ist lediglich eine Momentaufnahme. Die AMNOG-Beschlüsse bilden nur eine therapeutische Partialwelt ab. Sie sagen meist mehr über die Methodik der Verfahren aus als über den wirklichen therapeutischen Nutzen. Letztlich sollten die Mediziner entscheiden, wie die bestehenden Widersprüche zwischen Zusatznutzenbewertung und Therapieerfordernissen aufgelöst werden, ohne dass die Versorgung der Patienten darunter leidet. Eine Steuerung ärztlicher Verordnungen durch das AIS wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Ob ein neues Präparat überhaupt in einem Land ausgeboten wird, hängt innerhalb des Systems der europäischen Preisreferenzierung hauptsächlich von der Preisregulierung im Zielland sowie vom dort erzielbaren Preis und seinen zu erwartenden Effekten auf andere Länder ab (SVR-G 2014; Wille 2014). Deshalb ist der Markteintritt umso wahrscheinlicher, je höher die zu erwartende Erstattung im Zielland ist. Dagegen werden Länder umso eher gemieden, je niedriger dort der erzielbare Preis und je größer der durch seine Referenzierung drohende Kellertreppeneffekt eingeschätzt werden. Demnach müsste die Pharmawende hierzulande eine verringerte Verfügbarkeit von neuen Arzneimitteltherapien nach sich ziehen, sobald davon auszugehen ist, dass in Deutschland mit Tiefstpreisen zu rechnen ist. Eine aktualisierte Studie zu den Markteintritten (BPI 2015, 2016; Cassel und Ulrich 2017b) geht der Fragestellung nach, ob und inwieweit sich das AMNOG als „Markteintrittsbarriere“ bereits ausgewirkt hat. Hierzu wurden die von der EMA zugelassenen, aber

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in Deutschland nicht eingeführten Präparate mit Potenzial für eine FNB für die beiden Zeiträume ante AMNOG (2006–2010) und post AMNOG (2011–2015) miteinander verglichen.1 Von den 170 post-AMNOG-fähigen EMA-Zulassungen wurden 30 Wirkstoffe in Deutschland nicht ausgeboten; und bei 22 Wirkstoffen kam es zu einem Marktaustritt, sodass die „Verfügbarkeitsquote“ nach AMNOG auf rund 69 % gesunken ist (Tab. 3.1). Zur nachfolgenden Analyse der Markteintrittsbarriere bleiben die 22 Marktaustritte außer Betracht, um ausschließlich jene Produkte in den Blick zu nehmen, die erst gar nicht in Deutschland eingeführt wurden. Aus Tab. 3.2 geht hervor, dass sich die Anzahl der in Deutschland nicht eingeführten Präparate mit Potenzial für eine FNB von 2 ante AMNOG (2006–2010) auf 30 post AMNOG (2011–2015) deutlich erhöht hat. Dadurch sinkt die Verfügbarkeitsquote von 98,5  % (2006–2010) auf 82,4  % (2011–2015). Dies bedeutet, dass der Anteil der in Deutschland erst gar nicht in Verkehr gebrachten AMI in der fünfjährigen AMNOG-Periode gegenüber dem Zeitraum zuvor um 16 Prozentpunkte zugenommen hat. Auch wenn für die Analyse keine herstellerseitigen Begründungen für den Verzicht auf den Markteintritt vorliegen und insofern die Kausalität offenbleiben muss, spricht einiges für die Existenz eines merklichen Barriere-Effekts und damit die Verschlechterung der Versorgung der Patienten mit innovativen Arzneimitteln in Deutschland.2 Tab. 3.1  Verfügbarkeit nach AMNOG, 2011–2015

aller AMNOG-fähigen EMA-Zulassungen Nicht in DE eingeführt (1) Marktaustritte (II) Summe 1 + II In DE nicht oder nicht mehr verfügbare Arzneimittel Verfügbarkeitsquote: Anteil noch in DE verfügbarer AM an allen AMNOG-fähigen EMA-Zulassungen

Verfügbarkeit nach AMNOG (2011–15) 170 30 22 52 30,6 % 69,4 %

Quelle: Cassel und Ulrich (2017b)

 Die Zulassung aller mit Hilfe biotechnologischer oder sonstiger hochtechnologischer Verfahren hergestellten Arzneimittel, die zur Anwendung bei Mensch und Tier vorgesehen sind, muss über das zentralisierte Verfahren der EMA erfolgen. Dies gilt ebenfalls für alle Humanarzneimittel zur Behandlung von HIV/Aids-Infektionen, Krebs, Diabetes oder neurodegenerativen Erkrankungen sowie für alle ausgewiesenen Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten (Orphan Drugs). Im Falle von Arzneimitteln, die unter keine der vorstehend genannten Kategorien fallen, können Unternehmen bei der EMA einen Antrag auf Erteilung der zentralisierten Genehmigung für das Inverkehrbringen einreichen, vorausgesetzt, das Arzneimittel stellt eine signifikante therapeutische, wissenschaftliche oder technische Innovation dar oder das Produkt ist in anderer Hinsicht für die Gesundheit von Patienten von Interesse. Nicht jedes Präparat, das von der EMA zugelassen wird, kommt daher auch für die FNB in Deutschland infrage (EMA 2017). 2  Kritisch hierzu äußern sich Haas und Pietsch (2018). 1

3  AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte

59

Tab. 3.2  Barriere-Wirkung des AMNOG beim Markteintritt

Summe aller Zulassungen (EMA) Summe aller Zulassungen (EMA) mit Potenzial für FNB Summe aller in DE nicht eingeführten Präparate mit Potenzial für FNB Barriere-Effekt*** Verfügbarkeitsquote****

Prä AMNOG* 211 129 2

Post AMNOG** 274 170 30

1,55 % 98,45 %

17,65 % 82,35 %

* 2006–2010; ** 2011–2015: *** Anteil der Nichteinführungen in DE an allen Zulassungen (EMA) mit Potenzial für FNB; **** Anteil der Markteinführungen in DE an allen Zulassungen (EMA) Potenzial für FNB Quelle: Cassel und Ulrich (2017b)

3.2.2 Marktaustritte Von den Markteintritten sind die Marktaustritte (Rückzüge und Rücknahmen) nach Markteinführung zu unterscheiden. Nachdem es herstellerseitig zu einem Rückzug oder einer Rücknahme gekommen ist, stehen seit 2011 insgesamt 28 Produkte nicht mehr dem deutschen Markt zur Verfügung. Während es in den Jahren 2011 und 2013 lediglich zu einem einzigen Marktaustritt kam, sind alleine im Jahr 2016 10 Marktaustritte zu verzeichnen. In den meisten Fällen kam es zu der Marktreaktion, nachdem der G-BA als Bewertungsergebnis festgelegt hat, dass der ZN als nicht belegt gilt. Lediglich in 4 Fällen kam es zu einem Marktaustritt nach einem anderslautenden G-BA-Beschluss. So wurde Provenge® (gegen Prostatakarzinom) 2015 nach der Nutzenbewertung zurückgezogen, obwohl der G-BA-Beschluss einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren ZN sah.3 Translana® (gegen Duchenne-Muskeldystrophie) wurde 2016 nach dem Schiedsspruch zurückgenommen, obwohl der G-BA einen geringen ZN attestiert hatte. Victrelis® (chronische Hepatitis  C) und Invico® (Hepatitis  C) wurden 2016 ebenfalls nach dem Schiedsspruch ­zurückgenommen, wobei der G-BA-Beschluss dahingehend lautete, dass das Ausmaß des ZN nicht quantifizierbar sei. Von den insgesamt 28 Marktaustritten kam es in 13 Fällen zu einem Rückzug nach der FNB (Opt-out); einmal wurde die Zulassung zurückgegeben, und in den restlichen 14 Fällen erfolgte eine Rücknahme, wobei in 4 Fällen das Präparat nach der Preisverhandlung und in 10 Fällen erst nach dem Schiedsspruch außer Vertrieb gestellt wurde. Auffällig ist, dass 9 der 28 vom Markt genommenen Produkte Antidiabetika zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 sind, was mit der umstrittenen Bewertungspraxis in diesem Indikationsgebiet zusammenhängen dürfte. Darunter sind orale Antidiabetika, aber auch Wirkstoffe mit neuem Wirkprinzip und neuer Galenik, die nun auf dem deutschen Markt nicht mehr verfügbar sind und sich hierzulande auch nicht mehr im Versorgungsalltag bewähren können. 3

 Provenge® hat die EU-Zulassung zurückgegeben, was mit dem Rückzug zusammenhängen könnte.

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Die Marktreaktionen lassen insgesamt auf eine größere Volatilität post AMNOG schließen. So wurde das mit einem belegten, aber nicht quantifizierbaren ZN bewertete Medi­ kament Bosulif® vom Hersteller schon in der ersten Runde der Erstattungsbetrag-­ Verhandlungen vom Markt genommen, aber bereits vier Wochen später aufgrund einer gütlichen Einigung mit dem GKV-Spitzenverband (SV) erneut ausgeboten („Opt-in“). Und bei zwei weiteren Innovationen (Zelboraf® mit dem Wirkstoff Vemurafenib und Sativex® mit dem Extrakt aus Cannabis sativa als Wirkstoff) einigten sich die Hersteller erst nach den für sie unbefriedigenden Schiedssprüchen in Nachverhandlungen mit dem GKV-SV auf für sie günstigere Erstattungsbeträge. Wie fragil die Versorgung mit Arzneimittelinnovationen inzwischen geworden ist, zeigt auch der Fall des von der Firma Gilead ausgebotenen Hepatitis-C-Mittels Sovaldi® (Wirkstoff: Sofosbuvir), das zwar bei etwa 5 % der Patienten mit chronischer Hepatitis mit einem Hinweis auf einen beträchtlichen ZN bewertet wurde, aber wegen seiner hohen Therapiekosten heftig umstritten ist (Cassel und Ulrich 2015). So blieben die EB-Verhandlungen nach fünf Runden bis Ende 2014 ergebnislos und hätten in der Schiedsstelle fortgesetzt werden müssen. Anfang Februar 2015 vereinbarten jedoch Hersteller und GKV-SV einen für beide Seiten akzeptablen EB, nachdem der Marktrückzug eines so wirksamen Präparats nicht mehr auszuschließen war und bereits drei große Krankenkassen (Barmer GEK, AOK Niedersachsen und AOK Rheinland/Hamburg) für ihre 14  Mio. Versicherten schon vor den zentralen Rabattverhandlungen des GKV-SV eigene „selektive“ Rabattverträge abgeschlossen hatten, um die Versorgung ihrer Patienten sicherzustellen.

3.2.3 Produktverfügbarkeit neuer Arzneimittel Bezieht man die Verfügbarkeit der AMNOG-Präparate auf die 137 Produkte mit abgeschlossener Nutzenbewertung und Preisfindung, sind davon nur noch 109 Produkte (79,6 %) verfügbar, während 27 (19,7 %) endgültig vom Markt genommen wurden. Bis auf 4 Fälle „galt“ dabei der Zusatznutzen als nicht belegt, sodass bei der überwiegenden Zahl der Marktaustritte aus formellen Gründen kein Zusatznutzen zuerkannt wurde. Bekanntlich bedeutet das jedoch nicht, dass diese Substanzen tatsächlich keinen Zusatznutzen haben. Dennoch wird in der GKV vielfach die Auffassung vertreten, die Marktaustritte seien generell unbedenklich, weil stets gleichwertige Substitute zur Verfügung stünden und die Patientenversorgung in keiner Weise gefährdet sei. Soweit diese Medikamente tatsächlich keinen ZN haben und gleichwertige Alternativen auf dem Markt sind, können sie in der Regel ohne Beeinträchtigung der Patienten substituiert werden. Bei chronischen Krankheiten ist die Umstellung der Patienten auf Alternativpräparate schon schwieriger, und im Falle eines tatsächlich vorhandenen, aber in der FNB nicht gewürdigten Zusatznutzens werden die Zielpopulationen der betreffenden Substanzen oder ganzer Substanzklassen mehr oder weniger stark geschädigt. Der „worst case“ wäre allerdings, wenn neue Arzneimittel mit beträchtlichem oder erhebli-

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chem ZN vom Markt gingen, was in kleineren Therapiegebieten mit relativ geringem Budget Impact nicht gänzlich auszuschließen ist. Die in der GKV verbreitete Auffassung, das AMNOG führe nicht zu Versorgungsproblemen, ist jedenfalls ohne Würdigung des Einzelfalls und mit Blick auf die noch fehlende Bewährung im Versorgungsalltag ungerechtfertigt, zumindest aber voreilig (Cassel und Ulrich 2015).

3.2.4 P  roduktverfügbarkeit als Folge der AMNOGNutzenbewertung? Entscheidungen über den Wert und den Nutzen von Arzneimitteln, wie sie in Deutschland vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vorbereitet und vom G-BA getroffen werden, scheinen auf den ersten Blick ein vergleichsweise objektives Votum darüber zu ermöglichen, welchen ZN ein Medikament hat und welcher Preis dafür angemessen ist. Wenn es ein solches Votum gäbe, wäre aber schwer zu erklären, warum die Entscheidungen der nationalen Behörden in den betrachteten Vergleichsländern über ein und dasselbe Produkt so unterschiedlich ausfallen. Warum sollte eine Nutzenbewertung in Deutschland anders ausfallen als in Frankreich, den Niederlanden oder England, und warum scheint der G-BA dazu zu neigen, in den geschilderten Fällen strenger zu urteilen als beispielsweise das englische NICE?4 Diese Fragen werden in einer neuen Studie von Wissenschaftlern der Universitäten aus Hamburg, München und New York zu beantworten versucht (Fischer et al. 2016). In die Analyse einbezogen wurden alle frühen Nutzenbewertungen des G-BA (FJC – Federal Joint Committee) im Zeitraum zwischen Januar 2011 und Dezember 2014. Diese wurden mit den Beschlüssen des englischen NICE, des Scottish Medicines Consortium (SMC) und des Australian Pharmaceutical Benefits Advisory Committee (PBAC) verglichen. Die Autoren kommen zusammenfassend zu folgendem Ergebnis: „We show that the FJC – an agency relatively new in structurally assessing the health benefit of pharmaceuticals  – deviates considerably in decisions compared to other HTA agencies. Our study also reveals that the FJC tends to appraise stricter than NICE“ (Fischer et al. 2016).

Bei den vergleichenden Nutzenbewertungen schwankt die Übereinstimmung der Entscheidungen des G-BA zwischen 52,7  % mit NICE und 69,7  % mit dem australischen PBAC. Im Vergleich zum englischen NICE heißt das aber auch, dass nahezu jede zweite Bewertung des G-BA anders ausfällt als der Beschluss des NICE. Schon bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie liegen die Behörden weit auseinander. Das zeigt, dass dieselben Daten durchaus unterschiedlich interpretiert werden können.

 Die anschließenden Preisverhandlungen können dagegen kaum harmonisiert werden, da sich die Zahlungsbereitschaft und auch die Zahlungsfähigkeit für die Arzneimittelversorgung zwischen den einzelnen Ländern signifikant unterscheiden.

4

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Bewertungsunterschiede gibt es nicht nur international, sondern auch national, beispielsweise mit Blick auf IQWiG und G-BA: „Seit 2011 wich der G-BA bezüglich der besten Patientengruppe in 37 von 115 Verfahren von der Einschätzung des IQWiG ab, was einem Anteil von 32 % der betreffenden Verfahren entspricht“ (Häussler et al. 2016). In 14 % der Fälle erkannte der G-BA einen höheren ZN an, in 18 % hingegen veränderte er die IQWiG-Entscheidung in Richtung eines niedrigeren Zusatznutzens. Einen Trend kann man aus den Zahlen nicht herauslesen; mal gibt es in einem Jahr mehr Verschlechterungen als Verbesserungen gegenüber dem IQWiG-Bescheid, mal ist es umgekehrt. Auch Fachgesellschaften liegen mit vielen Entscheidungen des AMNOG über Kreuz, ein weiterer Hinweis, dass man dieselben Daten durchaus unterschiedlich interpretieren kann. Viele Faktoren spielen in der Bewertung eines Arzneimittels eine Rolle. Die vier untersuchten Behörden unterscheiden sich deutlich u. a. darin, wie sie Studienendpunkte bewerten und ob sie Surrogatparameter akzeptieren, welche Vergleichstherapien sie ansetzen oder wie sie damit umgehen, wenn Evidenz nicht ausreichend zur Verfügung steht. Die Entscheidung über den ZN eines Arzneimittels ist und bleibt deshalb immer auch eine Entscheidung unter Unsicherheit.

3.3

 er Entscheidungsfindungsprozess des AMNOG auf dem D Prüfstand

In die Bewertung eines neuen Arzneimittels fließen verschiedene Aspekte ein – z. B. Lebenserwartung, Nebenwirkung oder die Applikation. Diese Daten werden in klinischen Studien aggregiert. Die Messung der hier auftretenden positiven als auch negativen Effekte unter klinischen Bedingungen ist notwendig für den anschließenden Bewertungsprozess. Aber die Messung ist nicht hinreichend, weil nicht klar ist, wie die gemessenen Werte unterschiedlicher Faktoren zueinander gewichtet werden. Bewertet das IQWiG oder der G-BA beispielsweise nur den Zugewinn an Lebenserwartung oder auch eine mögliche Zunahme unerwünschter Nebenwirkungen? Die FNB gibt zwar ein Urteil über den Wert eines Arzneimittels ab – aber es bleibt intransparent, wie die zugrundliegenden Kriterien gegeneinander abgewogen bzw. gewichtet werden. Der Entscheidungsfindungsprozess bleibt daher intransparent. Der Arzt will seinem Patienten ein Arzneimittel verschreiben – etwa, weil die zuständige Fachgesellschaft es in ihre Leitlinien aufgenommen hat. Andererseits ist dasselbe Medikament mit einem „Zusatznutzen nicht belegt“ aus dem AMNOG-Verfahren gekommen. Aber so richtig weiß der Arzt nicht, warum: Er kann die Nutzenbewertung nicht nachvollziehen, d. h. er weiß nicht, welche Kriterien der HTA-Agentur IQWiG wichtig waren und welche weniger wichtig. Diese Intransparenz betrifft auch die zweite Phase des AMNOG-Prozesses, nämlich die Monetarisierung des Zusatznutzens. Die Entscheidungen über die optimale Therapie von Patienten werden zudem derzeit überwiegend von Experten beurteilt, die nicht zwangsläufig mit der Sicht des Patienten deckungsgleich sind. Mit Hilfe systematisierter Patienten-Präferenzstudien könnte der Patient

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grundsätzlich stärker eingebunden werden. Ohne die Präferenzen der Patientenpopulation zu kennen bleibt es willkürlich, den Patientennutzen des Arzneimittels zu bestimmen. Gegenwärtig steht beim AMNOG-Verfahren zu sehr die Kostenperspektive im Vordergrund. Diese muss aber keineswegs mit den Interessen von Ärzten und Patienten übereinstimmen. In der Diskussion über die Bewertung des Zusatznutzens neuer Medikamente im Vergleich mit bestehenden Therapien prallen die Sichtweisen der pharmazeutischen Unternehmen, der Selbstverwaltung und der Kliniker aufeinander – bei der Frage nach der zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) ebenso wie bei den klinischen Endpunkten, die es zu berücksichtigen gilt. Wie damit im Einzelnen umgegangen werden soll, dazu gibt es immer noch keine allgemein anerkannte, für alle zufriedenstellende Vorgehensweise. Seit Längerem umstritten ist beispielsweise der klinische Endpunkt „progressionsfreies Überleben“. Als progressionsfreies Überleben gilt die Zeit zwischen dem Start einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Erkrankung. Das IQWiG bewertet die Aussagekraft dieses Endpunkts durchaus kritisch. Die Fachgesellschaften betonen dagegen, dass bei Vorliegen von Hinweisen, dass die Arzneimittelinnovation das progressionsfreie Überleben verbessert, durchaus ein Grund vorliegt, den Einsatz des Präparates in Erwägung zu ziehen. Ein zentrales Problem liegt darin, dass unmittelbar nach der Zulassung das gesamte Wissen um einen erfolgreichen Einsatz eines Medikaments gar nicht vorliegen kann. Zum Zeitpunkt der Zulassung beispielsweise eines neuen Krebsmedikaments lässt sich bestenfalls das Potenzial abschätzen. Sinnvoll wäre daher ein „strukturierter Prozess der Wissensgenerierung“ (pharma-fakten 2017), in dem sich die an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer besser vernetzen können. Diese Informationen könnten die Basis für eine Nachevaluation im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse aus gesellschaftlicher Perspektive nach etwa 5 Jahren bilden, die das sich mehrende Wissen über das Arzneimittel kanalisiert und systematisch auswertet. Der Frage, wie viel medizinischer Fortschritt kosten darf, könnte man sich dadurch nähern. Die Politik und die Akteure der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens versuchen gegenwärtig, diese gesellschaftliche Debatte zu vermeiden, um nicht offen über Rationierung im Gesundheitswesen sprechen zu müssen (Presseagentur Gesundheit 2018). Durch den AMNOG-Prozess soll sich diese Diskussion erübrigen, denn die Sprachregelung lautet, dass es im Gesundheitswesen zwar eine Evidenz-, aber keine Kostengrenze gibt. Das ist aber zu kurz gesprungen, da auch im deutschen Gesundheitswesen Rationierung stattfindet, nur eben auf eine indirekte bzw. implizite Art und Weise. Längst lässt sich nicht mehr alles finanzieren, was der technische Fortschritt an medizinisch sinnvollen Leistungen hervorbringt. Das AMNOG-Verfahren versucht die Diskussion zu vermeiden, indem der Zusatznutzen neuer Arzneimittel im Vergleich zum bisherigen Therapiestandard bewertet wird, was wiederum die Grundlage für die anschließenden Preisverhandlungen zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband darstellt. Einigen sich die beiden nicht, entscheidet eine Schiedsstelle. Über dieses Fine-Tuning ist aber die entscheidende Grundsatzfrage aus dem Blick geraten, nämlich die nach der gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaft für den Zusatznutzen. Implizit wird sie in den Verhandlungen zwischen dem GKV-SV und dem Hersteller bzw. durch die Schiedsstelle ermittelt bzw. beantwortet.

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Damit entscheidet dann auch die Schiedsstelle indirekt darüber, ob ein Arzneimittel für Patienten auf dem hiesigen Markt verfügbar ist. Neben der Frage, ob die Schiedsstelle für eine solche Entscheidung überhaupt ausreichend legitimiert ist, wäre es sicherlich sinnvoll, wenn der Entscheidung stärkere gesellschaftlich legitimierte Leitplanken eingezogen würden, was die Zahlungsbereitschaft für den Zusatznutzen angeht. Das gegenwärtige Bewertungssystem, das eine Kostenexplosion im Arzneimittelbereich ebenso fürchtet wie eine ehrliche Debatte darüber, wie viel einige Monate zusätzliches Leben der Solidargemeinschaft wert sein sollen, versucht, diese Diskussion zu umgehen. Allerdings besteht bei der Ermittlung der gesellschaftlichen Präferenzen die Gefahr, dass das Bewertungsergebnis möglicherweise lautet, dass nicht mehr alles für alle finanzierbar ist, wie schwedische oder englische Resultate zeigen.

3.4

Ausblick

In den vergangenen sieben Jahren seit Inkrafttreten hat das AMNOG eine Barrierewirkung entfaltet. Waren vor Einführung der Regulierung mehr oder weniger alle von der europä­ ischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassenen Medikamente verfügbar (98 %), sind es in Zeiten des AMNOG noch knapp 82 %. Der Grund sind Medikamente, die gar nicht erst in Deutschland eingeführt wurden. Noch schlechter wird die Bilanz, nimmt man die als Folge der Nutzenbewertung vom Markt genommenen Präparate hinzu: Die Verfügbarkeitsquote ist damit auf rund 70 % gesunken. Damit steht hierzulande inzwischen fast ein Drittel der von der EMA zugelassenen AMNOG-fähigen Präparate nicht oder nicht mehr zur Verfügung. Darunter sind Medikamente gegen Diabetes mellitus Typ 2, Epilepsie oder Schizophrenie. Die AMNOG-Bewertung ist eine Momentaufnahme auf der Basis formalisierter Kriterien, über die nicht unbedingt Konsens herrscht. AMNOG-Entscheidungen sind daher stets auch Werturteile: Sogar die beiden am Bewertungsprozess beteiligten Organe, G-BA und IQWiG, kommen nicht selten zu unterschiedlichen Bewertungen – obwohl sie dabei auf dieselben klinischen Daten zurückgreifen. Vergleicht man die Liste der in Deutschland nicht verfügbaren Medikamente mit der in anderen Ländern, so zeigt sich, dass diese Arzneimittelinnovationen für Patienten in anderen Ländern weiterhin verfügbar sind. Offenbar kommen andere Bewertungsinstitute zu ganz anderen Ergebnissen. Dabei ist davon auszugehen, dass sie auf dieselben klinischen Daten zurückgreifen. Es gibt also offenbar kein objektives Votum darüber, wann ein Medikament einen Zusatznutzen hat und wann nicht. Deshalb ist es auch erschreckend, wie oft in Deutschland für die Entscheidung „Kein Zusatznutzen“ die empirische Grundlage fehlt. Mit dem AMNOG ist ein Kreislauf in Gang gekommen, bei dem die Regulierung und Kostendämpfung bei neuen Arzneimitteln ökonomische Sachzwänge auslöst, die höhere Einführungspreise – und somit auch höhere Erstattungsbeträge – der nachfolgenden Produktgeneration erzwingt, welche meist mit noch strengeren Preisregulierungen beantwortet werden. Das AMNOG muss daher im Sinne eines lernenden Systems weiterentwickelt werden, wenn die bislang international vorbildliche Verfügbarkeit und Verordnung fortschrittlicher

3  AMNOG: Aktuelle gesundheitsökonomische Aspekte

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Arzneimitteltherapien in Deutschland nicht gefährdet werden soll. Dementsprechend sollte es reformpolitisch nicht schwerfallen, die richtige Weichenstellung vorzunehmen. Allerdings bestehen dazu nach wie vor inhaltlich kontroverse Vorstellungen, in denen sich die konfligierenden angebots- und nachfrageseitigen Interessen von Pharmaindustrie und Krankenversicherung widerspiegeln, ohne sicher sein zu können, ob und inwieweit sie auch dem Wohle des Patienten dienen. Die EU-Kommission plant eine europaweit einheitliche Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte. Der dazu im Januar 2018 vorgestellte Verordnungsentwurf Europäische Kommission 2018 sieht vor, dass eine zentrale EU-Nutzenbewertung für neue und im europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel ebenso verbindlich wie für Medizinprodukte der Risikoklassen IIb und III sowie für In-vitro-Diagnostika durchgeführt wird. Organisatorisch sollen Studien zur klinischen Bewertung durch einen EU-Mitgliedstaat koordiniert und von einem anderen Land als Zweitgutachter begleitet werden. Die Kommission soll die Berichte prüfen. Würde die Nutzenbewertung (Assessment) europaweit vereinheitlicht, bliebe die Preisbildung (Appraisal) immer noch eine nationale Aufgabe, die sich in den von Land zu Land unterschiedlichen Gesundheitssystemen aus der Notwendigkeit, unterschiedliche nationale Zahlungsfähigkeiten und Zahlungsbereitschaften für Arzneimittelinnovationen zu berücksichtigen, ergibt. Noch stößt der Verordnungsentwurf eher auf Ablehnung, da befürchtet wird, hiesige Bewertungsstandards könnten aufgeweicht werden. Mittel- bis langfristig und bei geeigneter und ausgewogener Ausgestaltung könnte ein Instrumentarium entwickelt werden, das die Steuerungsstruktur und Gewaltenteilung bei der Nutzenbewertung von nationalen Defiziten und Regulierungsproblemen befreien könnte. Dadurch könnten einige der bestehenden AMNOG-Probleme grundsätzlich vermieden werden.

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V. Ulrich und M. J. Kaiser

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Prof. Dr. Volker Ulrich  ist seit 2002 Ordinarius für Volkswirtschaftslehre, insb. Finanzwissenschaft an der Universität Bayreuth, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Er ist Mitglied in zahlreichen Ausschüssen und Beiräten: Er ist stellvertretender Vorsitzender im wissenschaftlichen Beirat des Bundesversicherungsamts zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbands Managed Care (BMC), Mitglied in der Bundeskommission zur Entwicklung eines modernen Vergütungssystems und Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung (DGIV). Im akademischen Turnus 2010/11 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (DGGÖ). Seit 2015 ist er Präsident der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG). In seinen gesundheitsökonomischen Veröffentlichungen und Gutachten befasst er sich u. a. mit Fragen der Finanzierung von Gesundheitssystemen, der Reform des Risikostrukturausgleichs und des Arzneimittelmarktes und der nachhaltigen Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherung. Dr. Matthias J. Kaiser  ist seit November 2017 Geschäftsführer für die neu zu errichtende Fakultät 7: Food, Nutrition and Health am Standort Kulmbach (Campus Kulmbach der Universität Bayreuth). Seit Dezember 2014 war er zunächst als akademischer Rat am Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing der Universität Bayreuth tätig und beschäftigt sich seitdem im Rahmen seiner Habilitation mit innovativen Ansätzen und erfolgsbeitragenden Faktoren im Kontext des Pharma-Krankenkassen-Dialogs. Sein Forschungsinteresse konzentriert sich insbesondere auf Dialogtreiber im Market Access des Gesundheitswesens. Zuvor war er dreieinhalb Jahre als Research Manager bei einer international tätigen Managementberatung für Marktforschungs- und Beratungsprojekte im Bereich Marketing & Vertrieb im Kompetenzzentrum Healthcare/Pharma mitverantwortlich. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Brandenburgischen TU Cottbus und promovierte im Anschluss in den Bereichen Zukunftsforschung und Neue Medien.

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Grundlagen des pharmazeutischen und medizintechnischen Rechts Alexander P. F. Ehlers und Marion Bickmann

Inhaltsverzeichnis 4.1  4.2  4.3  4.4 

 ntwicklung der Preisbildung und Preisregulierung von Arzneimitteln  E Der Arzneimittelpreis unter Berücksichtigung des AMG  Die Regulierung von Arzneimittelpreisen unter Berücksichtigung des SGB V  Das System der Frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V  4.4.1  Rechtsquellen des Verfahrens der Frühen Nutzenbewertung  4.4.2  Der Anwendungsbereich der Frühen Nutzenbewertung  4.4.2.1  Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen  4.4.2.2  Fixe Kombinationen von Wirkstoffen, die Unterlagenschutz genießen  4.4.2.3  Neues Anwendungsgebiet  4.4.2.4  Nutzenbewertung für Wirkstoffe aus dem Bestandsmarkt  4.4.2.5  Weitere Fälle der Frühen Nutzenbewertung  4.4.2.6  Freistellung von der Frühen Nutzenbewertung  4.4.3  Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einreichung des Dossiers  4.4.4  Kriterien der Frühen Nutzenbewertung  4.4.4.1  Nachweis des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie  4.4.4.2  Einzureichende Unterlagen  4.4.4.3  Orphan Drugs  4.4.4.4  Fehlerfolge bei verspäteter oder unvollständiger Dossiervorlage  4.4.5  Die Durchführung der Nutzenbewertung  4.4.6  Beschluss über die Nutzenbewertung  4.4.7  Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Beschluss zur Nutzenbewertung  4.5  Verhandlungen eines Erstattungsbetrages  4.5.1  Ablauf der Verhandlungen  4.5.2  Kriterien zur Vereinbarung des Erstattungsbetrages 

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A. P. F. Ehlers (*) · M. Bickmann Ehlers, Ehlers & Partner Rechtsanwaltsgesellschafts mbB, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_4

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4.5.2.1  Arzneimittel mit Zusatznutzen  4.5.2.2  Arzneimittel ohne Zusatznutzen  4.5.2.3  Allgemeine Vertragsinhalte  4.6  Das Verfahren vor der Schiedsstelle gem. § 130b Abs. 4 SGB V  4.6.1  Beginn des Schiedsverfahrens  4.6.2  Die Mischpreisbildung für Arzneimittel unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung  4.7  Die weitere Entwicklung des Nutzenbewertungsverfahrens  4.7.1  Verordnungsentwurf  4.7.2  Kritik und Rügen  4.7.3  Ausblick  Literatur 

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Zusammenfassung

Das Verfahren zur Frühen Nutzenbewertung gilt für alle seit dem 01.01.2011 neu zugelassenen Arzneimitteln mit neuem Wirkstoff. Im Rahmen des Verfahrens wird der Zusatznutzen des Arzneimittels gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie von dem G-BA beschlossen. Auf Grundlage des G-BA-Beschlusses vereinbaren der GKV-Spitzenverband und der pharmazeutische Unternehmer einen Erstattungsbetrag für das Arzneimittel, der ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels gilt. Kommt eine Vereinbarung zwischen den Parteien nicht zustande, setzt die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 4 SGB V den Erstattungsbetrag fest.

4.1

 ntwicklung der Preisbildung und Preisregulierung von E Arzneimitteln

Bis in die 1980er-Jahre gab es in Deutschland keine umfassenden Gesundheitsreformen die Arzneimittelpreisbildung betreffend. Während dieser Zeit bestanden ein relativ freier Marktzugang und freie Preisbildung für Arzneimittel. Diese „goldene Zeit“ endete, als die damalige CDU/CSU/FDP-Bundesregierung unter der Ägide von Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm im Jahre 1989 das Gesundheitsreformgesetz (GRG) einführte. Auf Basis des GRG legte der „Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen“ – der Vorläufer des heutigen Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – die ersten Festbetragsgruppen fest, in denen zunächst Arzneimittel, Generika und Originale mit identischen Wirkstoffen in einer Gruppe zusammengefasst wurden. Heute gehört diese Regelung zum Standardin­ strumentarium zur Kontrolle von Arzneimittelpreisen. Trotz dieser ersten Regulierungsansätze blieben die Arzneimittelausgaben in Deutschland konstant hoch und stiegen stetig an (BT Drs. 17/2413, S. 15). Verursacht wurden die Ausgabenzuwächse durch Arzneimittel ohne Festbeträge. Die Politik machte ­insbesondere kostenintensive Spezialpräparate als Wachstumsträger für den Kostenzuwachs verantwort-

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lich (BT Drs. 17/2413, S. 15). Der Gesetzgeber kam deshalb zu dem Schluss, den Zusatznutzen dieser Arzneimittel im Vergleich zu den bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln zu bewerten. Es galt zu verhindern, dass auch für einen nur sehr geringen Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels ein sehr hoher Preis von den Krankenversicherungen zu bezahlen ist. Als Konsequenz wurde das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG) verabschiedet, welches überwiegend zum 01.01.2011 in Kraft getreten ist. Für die pharmazeutische Industrie waren die mit dem AMNOG verbundenen Änderungen ein Paukenschlag. Deutschland als „Apotheke der Welt“ hatte sich von der freien Preisfestsetzung durch die Pharmaunternehmen verabschiedet. Denn die Vorschriften zur Regulierung von Arzneimittelpreisen haben erhebliche Kostensenkungen zur Folge, da mit dem System der Frühen Nutzenbewertung seit 2011 ein Nachweis des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie erforderlich ist. Das IQWiG und der G-BA bewerten Arzneimittel im Hinblick auf diesen Zusatznutzen, der durch Beschluss des G-BA festgestellt wird. Jene Beschlüsse sind Teil der Arzneimittelrichtlinie, die im Grundsatz jeder Arzt, der Arzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verordnet, kennen muss. Je mehr die pharmazeutischen Unternehmer sich nach Inkrafttreten des AMNOG auf die Anforderungen des Nutzenbewertungsverfahrens konzentrieren, desto deutlicher wird, dass die sozialrechtlichen Voraussetzungen sich erheblich von denjenigen des Zulassungsverfahrens unterscheiden können. Dies betrifft nicht nur die relevanten Studien, die einerseits dem Nachweis von Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit, andererseits dem Nachweis des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie dienen sollen. Die Gesundheitspolitik hat kontinuierlich seit Ende der 1980er-Jahre umfangreiche Instrumentarien zur Kostendämpfung auf dem GKV-Arzneimittelmarkt entwickelt und sich dabei zunächst vor allem auf das generikafähige Marktsegment konzentriert. Mit der Einführung des AMNOG, das Arzneimittelinnovationen einer wirksamen Preis- und Erstattungsregulierung unterzieht, sind die bis 2011 nicht preisregulierten patentgeschützten Arzneimittel auch Teil der Kostendämpfungspolitik geworden.

4.2

Der Arzneimittelpreis unter Berücksichtigung des AMG

Grundsätzlich kann der pharmazeutische Unternehmer  – auch nach Geltung des AMNOG – den Preis für das Arzneimittel unter Berücksichtigung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften frei bestimmen (Meier et al. 2014 § 11 Rn. 52). Gemäß § 78 Abs. 3 AMG ist ein einheitlicher Abgabepreis sicherzustellen. Hierdurch soll ein Wettbewerb der Apotheken bezüglich verschreibungspflichtiger Arzneimittel ausgeschlossen und zugleich die Qualität der Arzneimittelversorgung einheitlich auf einem hohen Niveau gewährleistet werden (Spickhoff und Heßhaus 2014). Der Preis für das Arzneimittel ist von dem pharmazeutischen Unternehmer an die IFA GmbH (Informationsstelle für Arzneispezialitäten) zu melden. Ebenfalls wird der Preis in der sog. Lauer-­Taxe

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gelistet. Die Lauer-Taxe ist ein Verzeichnis für Arzneimittel, Medizinprodukte und apothekenübliche Waren, die in Deutschland für den Handel zugelassen sind. Neben Informationen über den Preis der Produkte enthält die Lauer-Taxe Informationen zu Rabattverträgen und fachliche Informationen, wie beispielsweise Neben- oder Wechselwirkungen. Aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG wurde die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) erlassen. Die AMPreisV regelt die Preisspannen des Großhandels im Verhältnis zur Abgabe an Apotheken und Tierärzte, die Preisspannen und Preise für besondere Leistungen der Apotheke sowie die Preisspannen der Tierärzte für die Abgabe von Tierarzneimittel an Tierhalter. Wesentlich ist, dass die Preisspannen als prozentuale Höchst- und Festzuschläge des Großhandels und der Apotheken auf dem zuvor festgesetzten Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ausgestaltet sind. Konsequenz dieser Zuschlagsregelung ist, dass ein Arzneimittel in allen Apotheken zu dem gleichen Apothekenabgabepreis erhältlich ist. Grundlage hierfür bildet der vom pharmazeutischen Unternehmer am Tag der Abgabe des Arzneimittels genannte gültige Preis in der Lauer-Taxe. Gemäß §  2 AMPreisV ist für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel zwingend vom Großhandel ein Festzuschlag in Höhe von 0,70 € und ein variabler Höchstzuschlag in Höhe von 3,15 % auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers anzusetzen. Der genannte Festzuschlag muss von dem Großhandel bei jeder Abgabe von Arzneimitteln, die in den Geltungsbereich der AMPreisV fallen, erhoben werden und ist nicht rabattfähig.

4.3

 ie Regulierung von Arzneimittelpreisen unter D Berücksichtigung des SGB V

Mit den Instrumentarien zur Arzneimittelpreisregulierung in der GKV soll erreicht werden, dass die Kosten der zu Lasten der GKV abgegebenen Arzneimittel gesenkt werden (BT Drs. 17/2413, S. 15 ff.). Langfristig soll hiermit ein funktionsfähiges und finanzierbares Gesundheitssystem sichergestellt werden. Einer der wesentlichen Grundsätze des Rechts der GKV ist das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 Abs. 1 SGB V. Demnach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Diesem Gebot  unterliegen auch Arzneimittel, die von der GKV erstattet werden. Zudem sind im SGB V verschiedene Möglichkeiten zur Preisregulierung von Arzneimitteln vorgesehen: die Einführung von Festbeträgen gem. § 35 SGB V, die Vereinbarung über Erstattungsbeträge für Arzneimittel gem. § 130b SGB V und die Möglichkeit, Rabattverträge nach § 130 bzw.130a SGB  V mit den pharmazeutischen Unternehmern abzuschließen. Durch diese verschiedenen Preisregulierungsinstrumentarien wird die arzneimittelrechtliche Möglichkeit, einen freien Preis zu bestimmen, durch die Vorschriften des SGB V verdrängt (Meier et  al. 2014, §  11 Rn.  54). Die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel nach erfolgter Nutzenbewertung wirkt als Regelung, die sich unmittelbar zu Lasten des pharmazeutischen Unternehmers auswirkt (Meier et  al. 2014,

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§ 11 Rn. 54). Dabei konkretisieren die Nutzenbewertung und die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels gem. § 12 SGB V (BT Drs. 17/2413, S. 20; Becker und Kingreen 2017, § 35a SGB V Rn. 7).

4.4

 as System der Frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a D SGB V

Das SGB V geht von der sog. negativen Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung aus. Dies bedeutet, dass ein Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnungsfähig ist, sofern und soweit eine arzneimittelrechtliche Zulassung vorliegt. Im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassungsentscheidung werden die Unbedenklichkeit, die Qualität und die Wirksamkeit des Arzneimittels geprüft. Dies wird bereits in §  1 AMG deutlich. Die eben ­genannte Trias wird von dem Sozialrecht nicht erneut geprüft. Dementsprechend sieht § 31 SGB V vor, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich zu Lasten der GKV verordnet und abgegeben werden dürfen, soweit sie nicht aufgrund von Verordnungsausschlüssen oder anderweitig gem. § 34 SGB V von der Versorgung ausgenommen sind. Mit der Einführung der Frühen Nutzenbewertung in das SGB V wurde ein Nutzenbewertungsverfahren für Arzneimittel eingeführt, das der Vorbereitung einer Vereinbarung von Erstattungsbeträgen für Arzneimittel dient (BT Drs. 17/2413, S. 19). Der freie Marktzugang der neuen Arzneimittel bleibt erhalten und innerhalb des ersten Jahres der Markteinführung kann der pharmazeutische Unternehmer weiterhin den Preis für das Arzneimittel frei bestimmen (BT Drs. 17/2413, S. 20). Das Nutzenbewertungsverfahren ist als wissenschaftliche Begutachtung zur Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels i.  S.  d. §  12 SGB V ausgestaltet. Im Rahmen des Verfahrens wird der therapierelevante medizinische Nutzen eines Arzneimittels bei Anwendung in einem konkreten Indikationsgebiet für bestimmte Patientengruppen ausgewertet (BT Drs. 17/2413, S. 20).

4.4.1 Rechtsquellen des Verfahrens der Frühen Nutzenbewertung Das Verfahren der Frühen Nutzenbewertung ist in unterschiedlichen gesetzlichen und untergesetzlichen Normen festgelegt. Ausgangspunkt bildet hierbei § 35a SGB V. Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V ist der G-BA mit der Nutzenbewertung beauftragt. § 35a Abs. 1 Satz 6 SGB V ermächtigt den G-BA, weitere Einzelheiten zum Verfahren und zu den erforderlichen Nachweisen in seiner Verfahrensordnung  zu bestimmen. Die ­Verfahrensordnung des G-BA wird von diesem ständig aktualisiert und überarbeitet. Die letzte Änderung, die insbesondere das Kap. 5 betrifft, datiert auf den 20.06.2019. Die Änderungen, die mit dieser Aktualisierung vorgenommen werden, betreffen u. a. bestehende Anforderungen, redaktionelle Überarbeitungen sowie Ergänzungen, die im Hinblick auf die Bewertung der Angaben im Dossier für die Nutzenbewertung benötigt werden. So werden ebenso die Modulvorlagen in einigen Teilbereichen angepasst, was eine strukturierte und

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nachvollziehbare Aufbereitung der Ergebnisse ermöglichen soll. Hintergrund dieser Neuerungen ist, dass bei einigen Verfahren nicht alle Fragen der Nutzenbewertung im Verfahren geklärt werden konnten, sondern teilweise erst im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens. Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere zur Nutzenbewertung zu regeln. Auf Grundlage dieser rechtlichen Ermächtigung hat das Ministerium die Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Abs. 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach §  130b SGB  V (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung  – AM-NutzenV) erlassen. Die AM-NutzenV definiert bestimmte Begriffe und formuliert weitere Anforderungen des Anwendungsbereichs, an das Dossier, die zweckmäßige Vergleichstherapie sowie an die konkrete Bewertung und Quantifizierung des Zusatznutzens. Das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) hat sog. „Allgemeine Methoden – Version 5.0“ erlassen, in denen die grundlegende Arbeitsweise des Institutes beschrieben wird. Gegenstand dieses Methodenpapiers ist zudem die Darstellung, welche wissenschaftlichen Grundsätze das Institut bei Erstellen einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln anwendet und wie die Auswertung der vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Unterlagen erfolgt. Hinsichtlich der Vereinbarung eines Erstattungsbetrages, den der GKV-Spitzenverband mit dem pharmazeutischen Unternehmer im Anschluss an die Frühe Nutzenbewertung verhandelt, gilt § 130b SGB V. Gemäß § 130b Abs. 9 Satz 1 SGB V vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene eine „Rahmenvereinbarung“ (RahmenV) über die Maßstäbe der Vereinbarung eines Erstattungsbetrages sowie einzelner Verfahrensaspekte. Die Rechtsgrundlagen für das Verfahren vor einer Schiedsstelle sind in § 130b Abs. 4–8 SGB V niedergelegt. Die Schiedsstelle gibt sich gemäß § 130b Abs. 6 Satz 1 SGB V eine Geschäftsordnung, die von den unparteiischen Mitgliedern der Schiedsstelle im Benehmen mit den Verbänden entschieden wird (GeschO). Ferner bedarf diese Geschäftsordnung der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit. Weitere Rechtsgrundlage für die Arbeit der Schiedsstelle ist die Verordnung über die Schiedsstelle für Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelabrechnung (Schiedsstellenverordnung). Diese wurde auf Grundlage des § 130b Abs. 6 SGB V von dem Bundesministerium für Gesundheit erlassen und regelt neben der Zusammensetzung der Schiedsstelle deren Amtsperiode und weitere Verfahrensbesonderheiten.

4.4.2 Der Anwendungsbereich der Frühen Nutzenbewertung Gemäß § 35 a Abs. 1 SGB V bewertet der G-BA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen, die ab dem Inkrafttreten in den Markt eingeführt worden sind (BT Drs. 2413/17, S. 19). Bezüglich der Erstattungsfähigkeit kann rekurriert werden auf § 31 SGB V und die bereits zuvor genannten Ausführungen. Erstattungsfähig sind alle Arzneimittel, die zu Lasten der GKV abgegeben

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werden können, es sei denn, sie sind gem. § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen oder es besteht ein Ausschluss aufgrund der Arzneimittelrichtlinie des G-BA, §  35a Abs. 1b SGB V. Die Kriterien des § 35a Abs. 1 SGB V sind durch die AM-NutzenV weiter konkretisiert worden. § 3 der AM-NutzenV listet die Fälle auf, in denen das Nutzenbewertungsverfahren für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen durchgeführt werden muss. „Die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 des Fünften Buches – Sozialgesetzbuch wird durchgeführt für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen, 1. d ie ab dem 1.  Januar 2011 erstmals in den Verkehr gebracht werden, sofern erstmals ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff in den Verkehr gebracht wird, 2. die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr gebracht worden sind und die nach dem 1. Januar 2011 ein neues Anwendungsgebiet nach § 2 Abs. 2 erhalten, 3. frühestens 1 Jahr nach dem Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 7 Abs. 4 auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers, 4. frühestens 1 Jahr nach dem Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 7 Abs. 4 bei Vorliegen neuer Erkenntnisse auf Veranlassung des Gemeinsamen Bundesausschusses, 5. für die der Gemeinsame Bundesausschuss über eine Nutzenbewertung mit Befristung beschlossen hat, wenn die Frist abgelaufen ist.“

Zentrales Aufgreifkriterium für die Frühe Nutzenbewertung ist somit die Neuheit eines Wirkstoffes.

4.4.2.1 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen § 2 Abs. 1 Satz 1 AM-NutzenV definiert den Begriff „Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen“. Gemäß dieser Vorschrift handelt es sich um ein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen im Sinne der Verordnung, wenn das Arzneimittel Wirkstoffe enthält, deren Wirkungen bei der erstmaligen Zulassung in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind und daher der Verschreibungspflicht unterliegen (BT Drs. 17/2413, S. 20). § 2 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV formuliert darüber hinaus eine Fiktion. Dementsprechend gilt ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff solange als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz besteht. Mit § 35a Abs. 1 Satz 4 SGB V wird klargestellt, dass die Nutzenbewertung auch für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die pharmakologisch-­ therapeutisch vergleichbar mit Festbetragsarzneimitteln sind und daher in eine Festbetragsgruppe einbezogen werden können, durchgeführt werden kann. 4.4.2.2 Fixe Kombinationen von Wirkstoffen, die Unterlagenschutz genießen Die Frühe Nutzenbewertung ist ebenfalls für Arzneimittel mit fixen Wirkstoffkombinationen durchzuführen. Denn gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 3

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5.  Kap. VerfO gelten auch fixe Kombinationen von Wirkstoffen, die Unterlagenschutz genießen, wenn sie entweder einen neuen Wirkstoff enthalten oder, sofern die Kombination aus bekannten Wirkstoffen besteht, wenn die Anwendungsgebiete dieser Kombination mit den Anwendungsgebieten der einzelnen Wirkstoffe jeweils ganz oder teilweise nicht identisch sind, als Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen. Damit werden von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen auch solche fixe Kombinationen von Wirkstoffen erfasst, sofern sie mindestens einen neuen Wirkstoff enthalten. Die Kombination von Wirkstoffen mit mindestens einem neuen Wirkstoff löst folglich das Verfahren der Nutzenbewertung aus.

4.4.2.3 Neues Anwendungsgebiet Die Neuheit kann sich auch auf ein neues Anwendungsgebiet beziehen, was sich an zulassungsrechtlichen Maßstäben orientiert. Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen, die seit dem 01.01.2011 in Deutschland in den Verkehr gebracht worden sind und für die nach dem genannten Zeitraum ein neues Anwendungsgebiet zugelassen worden ist, sind ebenfalls der Frühen Nutzenbewertung zu unterziehen. In § 2 Abs. 2 5. Kap. VerfO wird ausgeführt, wann ein solch neues Anwendungsgebiet vorliegt. Voraussetzung ist hierbei, dass für das Arzneimittel als solches bereits eine Nutzenbewertung stattgefunden haben muss. Für das Nutzenbewertungsverfahren handelt es sich gem. § 2 Abs. 2 AM-NutzenV um ein neues Anwendungsgebiet, wenn ein Anwendungsgebiet, für das nach § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG eine neue Zulassung erteilt wird oder das als größere Änderung des Typs 2 nach Anhang 2 Nr. 2 Buchstabe a der Verordnung 1234/2008/EG eingestuft wird. Ausgehend von der Definition der AM-NutzenV kann gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 5. Kap. VerfO das Vorliegen eines neuen Anwendungsgebiets im Sinne des §  35a SGB  V insbesondere dann angenommen werden, wenn • sich der Indikationsanspruch des Anwendungsgebietes auf einen Patientenkreis bezieht, der von bereits zugelassenen Anwendungsgebieten abweicht, • eine Indikation hinzugefügt wird, die einem anderen therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe) zuzurechnen ist oder • die Indikation in einen anderen therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe) verlagert wird. Insofern definiert § 2 Abs. 2 5. Kap. VerfO des G-BA den Begriff des neuen Anwendungsgebiets eigenständig.

4.4.2.4 Nutzenbewertung für Wirkstoffe aus dem Bestandsmarkt Gemäß § 35a Abs. 6 SGB V kann die Frühe Nutzenbewertung nunmehr auch wieder für Wirkstoffe aus dem Bestandsmarkt eröffnet werden. Die Regelung ist limitiert auf den Sonderfall, bei dem für ein neu zugelassenes Arzneimittel mit bekanntem Wirkstoff ein neuer Unterlagenschutz erteilt wird. Erforderlich für die Veranlassung einer Nutzenbewer-

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tung ist, dass der G-BA einen in seinem pflichtgemäßen Ermessen liegenden Beschluss zur Nutzenbewertung für das betroffene Arzneimittel erlassen hat. Dies resultiert aus den §§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. § 3 Nr. 2 AM-NutzenV, § 1 Abs. 2 Nr. 2 5. Kap. VerfO.

4.4.2.5 Weitere Fälle der Frühen Nutzenbewertung Ferner kann der pharmazeutische Unternehmer gem. § 35a Abs. 5 SGB V, § 3 Abs. 1 Nr. 3 5. Kap. VerfO eine Frühe Nutzenbewertung beantragen. Weitere denkbare Optionen einer Nutzenbewertung sind, dass die Befristung eines Beschlusses zur Nutzenbewertung des G-BA ausläuft, § 35a Abs. 3 Satz 4 SGB V oder das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu dem Arzneimittel, § 35a Abs. 1 Satz 6 SGB V. 4.4.2.6 Freistellung von der Frühen Nutzenbewertung Gemäß § 35a Abs. 1a SGB V i. V. m. § 15 5. Kap. VerfO kann der pharmazeutische Unternehmer bei dem G-BA einen Antrag auf Befreiung von der Frühen Nutzenbewertung stellen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Ausgaben für die GKV bezüglich dieses Arzneimittels prospektiv nur geringfügig sein werden. Hierbei ist eine ex-ante-Betrachtung notwendig. Gemäß § 15 Abs. 1 5. Kap. VerfO ist von einer Geringfügigkeit auszugehen, wenn der dauerhaft zu erwartende Umsatz des Arzneimittels, der sich anhand des Apothekenverkaufspreises inkl. Umsatzsteuer errechnet, die Summe von 1 Mio. Euro innerhalb von 12 Kalendermonaten nicht überschreiten wird. Der pharmazeutische Unternehmer muss den Antrag auf Freistellung spätestens drei Monate vor dem Inverkehrbringen des neuen Arzneimittels bei dem G-BA einreichen und begründen. Sodann entscheidet der G-BA mit einem Verwaltungsakt, der befristet werden kann.

4.4.3 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einreichung des Dossiers Gemäß § 35a Abs. 1, 5 SGB V i. V. m. § 4 Abs. 3 AM-NutzenV, § 8 5. Kap. VerfO ist für neu zugelassene Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen das Dossier spätestens zum ­Zeitpunkt des Inverkehrbringens an den G-BA zu übermitteln. § 8 Abs. 1 Satz 2 5. Kap. VerfO definiert als maßgeblichen Zeitpunkt für das erstmalige Inverkehrbringen die Veröffentlichung des Arzneimittels in der Lauer-Taxe. Handelt es sich um eine Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes für ein Arzneimittel, für das eine Frühe Nutzenbewertung bereits durchgeführt worden ist, ist das Dossier innerhalb von vier Wochen nach Zulassung des neuen Anwendungsgebietes vorzulegen, § 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 8 Abs. 1 Nr. 2 5. Kap. VerfO. Demgegenüber gilt eine Dreimonatsfrist für die Übermittlung des Dossiers, sofern die Nutzenbewertung auf Veranlassung des G-BA oder auf einen Antrag des pharmazeutischen Unternehmers durchgeführt wird. Eine solche Frist gilt auch, sofern die Umsatzgrenze für ein Orphan-Drug-­Arzneimittel überschritten wird, §  35a Abs.  1 Satz  11 SGB  V, §  8 Nr. 5 5. Kap. VerfO.

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Nach einer Befristung eines G-BA-Beschlusses ist ein erneutes Dossier von dem pharmazeutischen Unternehmer spätestens am Tag des Fristablaufs einzureichen, § 8 Abs. 1 Nr. 5 5. Kap VerfO.

4.4.4 Kriterien der Frühen Nutzenbewertung Der Nachweis des Zusatznutzens und damit einhergehend die Überlegenheit gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie obliegt dem pharmazeutischen Unternehmer. Diese Aspekte sind in dem vom Hersteller vorzulegenden Dossier nachzuweisen, § 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 9 Satz 1 5. Kap. VerfO.

4.4.4.1 Nachweis des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Aus dem Dossier muss sich der Zusatznutzen für das gegenständliche Arzneimittel gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ergeben. § 35a SGB V definiert den Begriff des Zusatznutzens nicht. Hierfür ist auf § 2 Abs. 4 AM-NutzenV zu rekurrieren. Demnach ist der Zusatznutzen eines Arzneimittels ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als der Nutzen, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist (Hess 2017, § 35a SGB V Rn. 27). In § 2 Abs. 3 AM-NutzenV wird der Nutzen eines Arzneimittels legal definiert. Der Nutzen ist der patientenrelevante therapeutische Effekt, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität. Auch der Begriff der zweckmäßigen Vergleichstherapie wird in der AM-NutzenV definiert, § 2 Abs. 5 AM-NutzenV.  Es handelt sich demnach um diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird. Die zweckmäßige Vergleichstherapie kann mit dem G-BA, auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers, im Vorfeld des Verfahrens der Frühen Nutzenbewertung zunächst im Rahmen einer Beratung erörtert werden. Die Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie trifft der G-BA im Rahmen des Beschlusses zur Nutzenbewertung (BT Drs. 17/2413, S. 21). Über den Inhalt dieses für den pharmazeutischen Unternehmer gebührenpflichtigen Beratungsgesprächs erfolgt eine Niederschrift, die dem pharmazeutischen Unternehmer anschließend zur Verfügung gestellt wird. Regelhaft resultiert die  Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie nach Maßstäben, die sich auch aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben, §  6 Abs. 2 VerfO 5. Kap. VerfO. § 6 Abs. 3 5. Kap. VerfO listet weitere Anforderungen an die zweckmäßige Vergleichstherapie auf. 4.4.4.2 Einzureichende Unterlagen Grundlage für die Nutzenbewertung bildet das Dossier des pharmazeutischen Unternehmers, in dem er gem. § 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V Angaben zu dem zugelassenen Anwen-

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dungsgebiet, dem medizinischen Nutzen, dem medizinischen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, der Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht, die Kosten der Therapie für die GKV und die Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung des Arzneimittels darlegt. Diese Angaben müssen aus den zugrunde liegenden klinischen Zulassungsstudien ableitbar sein (BT Drs. 17/2413, S. 20; Hess 2017, § 35a SGB V Rn. 29). Spezifische Anforderungen an den Nachweis des Zusatznutzens formuliert § 5 Abs. 3 bis 5 AM-NutzenV sowie § 5 Abs. 3 bis 5 5. Kap. VerfO.

4.4.4.3 Orphan Drugs Für Orphan Drugs bestehen Besonderheiten. Bei Orphan Drugs, also Arzneimitteln, die zur Behandlung eines seltenen Leidens nach der Verordnung 141/2000/EG von der EMA zentral in der Europäischen Union zugelassen sind, gilt gem. § 35a Abs. 1 Satz 11SGB V der medizinische Zusatznutzen durch die Zulassung als belegt. Dies hat zur Konsequenz, dass gem. § 35a Abs. 1 Satz 10 2. HS, Satz 3 Nr. 2 und 3 der medizinische Nutzen sowie der medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt werden müssen (Hess 2017, § 35a SGB V Rn. 36). Diese Ausnahme gilt jedoch nicht, sofern der Umsatz des Orphan Drugs die Summe von 50 Mio. Euro innerhalb von 12 Kalendermonaten überschreitet, § 35a Abs. 1 Satz 11 und Satz 12 SGB V. In diesem Fall ist der pharmazeutische Unternehmer auf Verlangen des G-BA verpflichtet, innerhalb von drei Monaten ein vollumfängliches Dossier einzureichen (Wilhöfft und Lietz 2012, S. 19, 21). 4.4.4.4 Fehlerfolge bei verspäteter oder unvollständiger Dossiervorlage Gemäß § 17 Abs. 1 5. Kap. VerfO prüft der G-BA nach Eingang des Dossiers, ob dieses vollständig und fristgerecht eingereicht worden ist. Ist dies nicht der Fall, so tritt eine Fiktionswirkung dergestalt ein, dass der Zusatznutzen als nicht belegt gilt (Meier et al. 2014, § 11 Rn. 100). Konsequenz dessen ist, dass der G-BA einen Beschluss zu dem betreffenden Arzneimittel erlässt. Gegenstand dieses Beschlusses kann entweder sein, dass das Arzneimittel in eine bereits vorhandene Festbetragsgruppe eingruppiert wird oder dass ein Erstattungsbetrag für das Arzneimittel mit dem GKV-Spitzenverband zu vereinbaren ist. Folglich handelt es sich bei der Dossiervorlage um eine Obliegenheit des pharmazeutischen Unternehmers (BT Drs. 17/2413, S. 22; Meier et al. 2014, § 11 Rn. 100).

4.4.5 Die Durchführung der Nutzenbewertung Der G-BA ist gem. § 35a Abs. 2 SGB V berechtigt, die Nachweise zur Bewertung des Zusatznutzens entweder selbst zu prüfen oder hiermit das IQWiG oder einen anderen Dritten zu beauftragen. Gemäß § 4 Abs. 1 5. Kap. VerfO erfolgt die konkrete Durchführung des Bewertungsverfahrens bei dem G-BA durch dessen Unterausschuss Arzneimittel, der hierfür Arbeitsgruppen einrichtet, die mit der Durchführung weiterer Aufgaben beauftragt werden können.

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Im Rahmen der Nutzenbewertung werden gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 5. Kap. VerfO die Unterlagen hinsichtlich ihrer Planungs-, Durchführungs- und Auswertungsqualität im Hinblick auf ihre Aussagekraft für Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Zusatznutzens und hinsichtlich der Angaben zu den Therapiekosten bewertet. Maßstab für diese Beurteilung ist der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (Becker und Kingreen 2017, § 35a SGB V Rn. 4). Das Ergebnis der Nutzenbewertung wird spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Einreichung des Dossiers- im Internet veröffentlicht, § 18 Abs. 5 5. Kap. VerfO (Rolfs et al. 2018, SGB V § 35a SGB V Rn. 33). Die Nutzenbewertung ist eine gutachterliche Stellungnahme und rechtlich nicht bindend. Der G-BA allein ist legitimiert, einen Beschluss über die Nutzenbewertung zu fassen (BT Drs. 17/2413, S. 22). Vor der Beschlussfassung sind der pharmazeutische Unternehmer und die maßgeblichen Fachkreise anzuhören, §§ 19 ff. 5. Kap. VerfO. Gegenstand dieses Anhörungsverfahrens ist zunächst eine schriftliche Stellungnahme der stellungnahmeberechtigten Spitzenorganisationen und Berufsvertretungen, die sich aus § 19 Abs. 1 Satz 1 5. Kap. VerfO ergeben. Die Frist zur Stellungnahme beträgt drei Wochen. Ferner hat auch der pharmazeutische Unternehmer ein Recht zur Stellungnahme zu der Nutzenbewertung. Hieran anschließend findet eine mündliche Anhörung der Stellungnahmeberechtigten statt. Eine mündliche Stellungnahme kann allerdings nicht eine schriftlich abgegebene ersetzen, § 19 Abs. 2 Satz 3 5. Kap. VerfO. Die mündlich und schriftlich abgegebenen Stellungnahmen werden in die Entscheidung des Beschlusses über die Nutzenbewertung einbezogen.

4.4.6 Beschluss über die Nutzenbewertung Innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung der Nutzenbewertung erfolgt die Beschlussfassung durch den G-BA. In dem Beschluss stellt der G-BA den Zusatznutzen des Arzneimittels fest, § 35a Abs. 3 SGB V. Insbesondere werden in dem Beschluss das Ausmaß des Zusatznutzens und die therapeutische Bedeutung unter Berücksichtigung des Schweregrades der Erkrankung gegenüber dem Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie gem. §  5 Abs.  7 AM-NutzenV quantifiziert. Die Vorschrift listet sechs Wertungsstufen auf (Hess 2017, §  35a SGB  V Rn. 32). Es ist zu unterscheiden zwischen: • • • • • •

erheblichem Zusatznutzen, beträchtlichem Zusatznutzen, geringem Zusatznutzen, Zusatznutzen, der nicht quantifizierbar ist, kein Zusatznutzen, geringerer Zusatznutzen als der der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

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Die Geltung seines Beschlusses kann der G-BA nach seinem Ermessen befristen, § 35a Abs. 3 Satz 4 SGB V. Zudem wird der Beschluss Teil der Arzneimittelrichtlinie gem. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Das bedeutet, dass der Beschluss auch für die Vertragsärzte und Patienten verbindlich ist (Meier et al. 2014, § 11 Rn. 110).

4.4.7 R  echtsschutzmöglichkeiten gegen den Beschluss zur Nutzenbewertung Der pharmazeutische Unternehmer hat indes keine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Nutzenbewertung. Gleiches gilt für die Aufforderung zur Einreichung eines Dossiers, den Beschluss zur Nutzenbewertung oder die Zuordnung zu einer Festbetragsgruppe. Dies ist explizit in § 35a Abs. 8 SGB V festgehalten. Eine gerichtliche Überprüfung der Nutzenbewertung ist nur nach Abschluss eines Verfahrens vor der Schiedsstelle möglich (BT Drs. 17/2413, S. 23; Rolfs et al. 2018, § 35a SGB V Rn. 30). Im Rahmen einer Klage gegen die Entscheidung der Schiedsstelle wird sodann inzident der Beschluss der Nutzenbewertung des G-BA überprüft. Sollte eine Zuordnung zu einer Festbetragsgruppe erfolgen, kann diese Entscheidung ebenfalls gerichtlich überprüft werden. Sinn und Zweck dieser eingeschränkten Klagemöglichkeit ist zum einen, dass das Verfahren der Frühen Nutzenbewertung zügig in den von dem Gesetzgeber vorgesehenen Fristen durchgeführt werden soll. Anderenfalls bestünde für den pharmazeutischen Unternehmer die Möglichkeit, die Jahresfrist, bis ein Erstattungsbetrag für das Arzneimittel in Deutschland gilt, hinauszuzögern und dadurch den von ihm frei kalkulierten Preis weiter zu Lasten der GKV in Ansatz zu bringen (BT Drs. 17/2413, S. 23). Demzufolge bilden die einzelnen Verfahrensschritte der Frühen Nutzenbewertung „unselbstständige“ Vorbereitungshandlungen, die keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung darstellen (BT Drs. 17/2413, S. 23; Meier et al. 2014, § 11 Rn. 111).

4.5

Verhandlungen eines Erstattungsbetrages

Für Arzneimittel, für die der G-BA in seinem Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V einen Zusatznutzen festgestellt hat, sowie für Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen haben und auch keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden können, soll in Verhandlungen zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer gem. § 130b SGB V ein Erstattungsbetrag vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung zwischen den Parteien muss binnen sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses über die Nutzenbewertung zustande kommen, §  130b Abs. 4 SGB V. Die zwischen den Parteien zu schließende Vereinbarung wird als öffentlich-­ rechtlicher Vertrag ausgestaltet, auf den die Vorschriften nach SGB X und BGB anwendbar sind und die durch besondere gesetzliche Vorgaben in § 130b SGB V ergänzt und ggf. überlagert werden.

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Die Vereinbarung über den Erstattungsbetrag hat auch Auswirkungen für die Private Krankenversicherung (PKV), sodass die Vereinbarung im Benehmen mit dem Verband der PKV geschlossen wird. Aus diesem Grunde ist ein Vertreter einer PKV bei den Vertragsverhandlungen anwesend. Im Rahmen der Verhandlungen zur Vereinbarung über einen Erstattungsbetrag bekommt der Vertreter der PKV üblicherweise ein Rede- und Stellungnahmerecht von den Parteien eingeräumt, sodass er Einfluss auf die Vereinbarung zum Erstattungsbetrag nehmen kann.

4.5.1 Ablauf der Verhandlungen Gemäß § 1 der RahmenV nach § 130b Abs. 9 SGB V legt der GKV-Spitzenverband vier Verhandlungstermine fest, an denen er mit dem pharmazeutischen Unternehmer den Erstattungsbetrag verhandelt. In begründeten Ausnahmefällen können sich die Vertragsparteien auf einen weiteren Verhandlungstermin einigen. Die Verhandlungen finden bei dem GKV-Spitzenverband in Berlin statt, § 1 Abs. 6 RahmenV. Sofern der pharmazeutische Unternehmer einen Termin nicht wahrnimmt oder einen solchen abbricht, gilt der Verhandlungstermin trotzdem als durchgeführt. Eine Nachholung ist nur mit Zustimmung des GKV-Spitzenverbandes möglich. Der erste Verhandlungstermin soll gem. § 1 Abs. 3 RahmenV in den ersten vier Wochen nach Veröffentlichung des GBA-Beschlusses stattfinden. Die ordnungsgemäße Ladung ist von dem GKV-Spitzenverband mindestens 14 Tage vor dem ersten Verhandlungstermin unter Angabe der weiteren Verhandlungstermine und dem Verhandlungsort zu übersenden. An den Verhandlungsterminen können für jede Vertragspartei maximal fünf Personen teilnehmen, § 2 Abs. 1 RahmenV. In Ausnahmefällen kann diese Anzahl auf sieben erhöht werden. Dieses Vorgehen bedarf jedoch der Zustimmung der jeweils anderen ­Vertragspartei. Die Verhandlungen werden in deutscher Sprache geführt. Jede Vertragspartei benennt zu Beginn des ersten Verhandlungstermins einen Verhandlungsführer. Grundsätzlich wird der Verhandlungsführer für alle Verhandlungstermine benannt, ein Wechsel ist jedoch zulässig, sofern dies rechtzeitig vor dem nächsten Verhandlungstermin der anderen Partei angezeigt wird. Jeder Verhandlungstermin ist mit maximal vier Zeitstunden angesetzt und eine Verlängerung ist möglich, sofern sie von den Vertragsparteien einvernehmlich beschlossen wird. Über die besprochenen Inhalte der Verhandlungstermine wird ein Ergebnisprotokoll erstellt, welches am Ende jedes Verhandlungstermins von den Verhandlungsführern unterschrieben wird.

4.5.2 Kriterien zur Vereinbarung des Erstattungsbetrages Grundlage für die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages nach § 130b Abs. 1 SGB V sind insbesondere der G-BA-Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V mit den darin enthaltenen Feststellungen.

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Darüber hinaus sind das vom pharmazeutischen Unternehmer erstellte Dossier sowie etwaig nachgereichte und vom G-BA berücksichtigte Unterlagen zu berücksichtigen. Die Feststellungen betreffen insbesondere das Ausmaß des Zusatznutzen, das in dem G-BA-­ Beschluss über die Nutzenbewertung festgehalten wird.

4.5.2.1 Arzneimittel mit Zusatznutzen Gemäß § 5 Abs. 2 der RahmenV wird für ein Arzneimittel, für das ein Zusatznutzen festgestellt worden ist, der Erstattungsbetrag durch einen Zuschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie vereinbart. Der Zuschlag richtet sich unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes nach dem Beschluss des vom G-BA festgestellten Ausmaßes des Zusatznutzens gemäß §  5 Abs.  7 Nr.  1–3 AM-NutzenV und einer Berücksichtigung der sonstigen in § 6 RahmenV genannten Kriterien. Gemäß § 130b Abs. 1 Satz 6 SGB V soll der pharmazeutische Unternehmer zur Vorbereitung einer Verhandlung Angaben zur Höhe seines tatsächlichen Abgabepreises in anderen europäischen Ländern übermitteln. Weiteres Kriterium für die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages ist gemäß § 6 Abs. 4 RahmenV die Höhe der Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel. Diese Kosten bestimmen sich nach § 4 Abs. 8 Satz 3 und Satz 4 AM-NutzenV. Zugleich enthält die Rahmenvereinbarung in § 6 Abs. 4 auch eine Definition der vergleichbaren Arzneimittel. Diese sind für das Anwendungsgebiet zugelassene Arzneimittel, deren Zweckmäßigkeit sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergibt. Sie sind vorrangig zu bestimmen aufgrund einschlägiger Studien, die wissenschaftlich einwandfrei durchgeführt worden sind und vergleichbare Aussagen zum Erfolg der Behandlung machen. Sofern solche Studien nicht vorliegen, ist auf den Konsens der einschlägigen nationalen und internationalen Fachleute (z. B. Ärzte, Wissenschaftler) abzustellen. Folglich sind die direkten Kosten für die GKV über einen bestimmten Zeitraum maßgeblich. 4.5.2.2 Arzneimittel ohne Zusatznutzen Bei einem Arzneimittel, für das kein Zusatznutzen in dem G-BA-Beschluss festgestellt worden ist und das keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, soll ein Erstattungsbetrag vereinbart werden, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die zweckmäßige Vergleichstherapie, § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V. Diese Kosten bilden die Obergrenze des zu vereinbarenden Erstattungsbetrages und sind von den Vertragsparteien während der Verhandlungstermine zu ermitteln. Maßgeblich für den Vergleich der Kosten sind die Jahrestherapiekosten, die sich bei Anwendung des Arzneimittels ergeben. Hierbei sind ebenfalls unterschiedliche Kosten der ärztlichen Behandlung und sonstiger verordneter Leistungen gegenüber dem Therapiestandard zu berücksichtigen, sofern diese regelhaft, unter Berücksichtigung der Fachinformation, bei der Anwendung des Arzneimittels entstehen (BT Drs. 17/2413, S. 31).

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4.5.2.3 Allgemeine Vertragsinhalte Der Erstattungsbetrag wird als Rabatt auf den Herstellerabgabepreis vereinbart. Der vom pharmazeutischen Unternehmer genannte Listenpreis bleibt unverändert. Durch die Vereinbarung kann der Herstellerabschlag nach § 130a Abs. 1, 1a SGB V ganz oder teilweise abgelöst werden, wenn die Vertragspartner dies ausdrücklich vorsehen (BT Drs. 17/2413, S. 31). Die vertragliche Vereinbarung soll auch beinhalten, wie sich eine Erhöhung des Listenpreises auf den vereinbarten Rabatt auswirkt. Die Vereinbarungen dürfen nicht im Widerspruch zu den Beschlüssen des G-BA und zu der Feststellung des Nutzens nach § 35a SGB V stehen. Differenziert der G-BA in seinem Beschluss nach verschiedenen Patientensubgruppen gem. § 35a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB V und fällt das Ausmaß des Zusatznutzens für diese Gruppen unterschiedlich aus, wird die Bildung eines einheitlichen Erstattungsbetrages für die Vertragsparteien ungleich schwerer. In der Praxis vereinbaren die Parteien sog. Mischpreise. Gegenstand eines solchen Mischpreises ist eine fiktive Berechnung der Erstattungsbeträge für die einzelnen Subpopulationen, die, unter Berücksichtigung der Patientenzahlen, zu einem einheitlichen Preis zusammengenommen wird (Huster 2017, S. 681, 682). Diese Vorgehensweise ist jüngst vom Bundessozialgericht (BSG) bestätigt worden. Die Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer sollen gem. 130b Abs. 1 Satz 5 SGB V, § 4 RahmenV auch Anforderungen an die Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit einer Verordnung beinhalten. Ferner können in der Vereinbarung auch mengenbezogene Aspekte geregelt werden. Gemäß § 130b Abs. 2 SGB V sollen die Vereinbarungen dementsprechend Regelungen zur Anerkennung des Arzneimittels als Praxisbesonderheit beinhalten. Eine Vereinbarung über einen Erstattungsbetrag kann gemäß § 130b Abs. 7 SGB V von einer der Vertragsparteien frühestens nach einem Jahr gekündigt werden. Der GKV-­ Spitzenverband ist verpflichtet, sein Kündigungsrecht nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben (Meier et al. 2014, § 11 Rn. 123). Bei seiner Entscheidung hat er das Interessen der Versichertengemeinschaft an einer Versorgung sowie das wirtschaftliche Interesse des pharmazeutischen Unternehmers zu berücksichtigen (Meier et al. 2014, § 11 Rn. 123). Die Kündigung bedarf der Schriftform, § 59 Abs. 2 SGB X. Eine Kündigung hat zur Konsequenz, dass die ursprüngliche Vereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung fortgilt. Aus §  130b Abs.  4 Satz  1SGB V folgt, dass eine solche Vereinbarung im Anschluss an eine Kündigung einer Vertragspartei innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden muss. Dies gilt indes nicht, wenn für das Arzneimittel ein Beschluss veröffentlicht worden ist und dies sodann einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann. Gemäß § 130b Abs. 3 Satz 4 SGB V steht dem GKV-Spitzenverband ein außerordentliches Kündigungsrecht zu zur Festsetzung eines Festbetrages, wenn das Arzneimittel keinen Zusatznutzen aufweist. Hierbei hat der GKV-Spitzenverband ebenfalls pflichtgemäßes Ermessen anzuwenden (Meier et al. 2014, § 11 Rn. 124). Zudem können die Parteien weitere Kündigungsrechte vertraglich regeln, sofern diese nicht gegen geltendes Recht verstoßen.

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4.6

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 as Verfahren vor der Schiedsstelle gem. § 130b Abs. 4 D SGB V

Kommt eine Vereinbarung über einen Erstattungsbetrag gemäß § 130b Abs. 1 oder Abs. 3 SGB V innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses des G-BA über die Nutzenbewertung nicht zustande, setzt die Schiedsstelle den Vertrag innerhalb von drei Monaten fest. Das Verfahren vor der Schiedsstelle ist in den §§ 130b Abs. 4–6 SGB V, der GeschäftsO der Schiedsstelle und der Schiedsstellenverordnung geregelt. Das Verfahren vor der Schiedsstelle ist als Verwaltungsverfahren ausgestaltet, die Schiedsstelle nimmt die Funktion einer Behörde ein. Dementsprechend gilt für das Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 20 SGB X, wonach die Schiedsstelle den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat. Die Schiedsstelle setzt sich zusammen aus dem Spitzenverband der Krankenkasse und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene, § 130b Abs. 5 SGB V, § 1 GeschO Schiedsstelle. Sie besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern sowie aus jeweils zwei Vertretern der Vertragsparteien des Erstattungsbetrages, also je zwei Vertretern des GKV-Spitzenverbandes und des pharmazeutischen Unternehmers, § 130b Abs. 5 Satz 2 SGB V. Der Vorsitzende und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder der Schiedsstelle sowie deren Stellvertreter werden von den Verbänden bestimmt. Kommt eine Einigung über die Besetzung der Schiedsstelle nicht zustande, wird per Losentscheid entschieden. Folglich ist die Schiedsstelle mit drei ständigen Mitgliedern besetzt und darüber hinaus mit vier wechselnden Mitgliedern von Seiten des GKV-Spitzenverbandes und des jeweils beteiligten pharmazeutischen Unternehmers.

4.6.1 Beginn des Schiedsverfahrens Gemäß § 13 der GeschO Schiedsstelle wird das Schiedsverfahren durch einen Antrag einer der Vertragsparteien eingeleitet. Alternativ kann das Verfahren auch ohne einen solchen Antrag beginnen, wenn bis zum Ablauf der in §  130b Abs.  4 SGB  V genannten Sechsmonatsfrist keine Einigung über einen Erstattungsbetrag zwischen den Vertragsparteien zustande kommt. In diesem Fall entscheidet die Schiedsstelle ohne einen Antrag. Der Antrag hat den Sachverhalt zu erläutern, ein zusammenfassendes Ergebnis der vorangegangenen Verhandlung darzulegen sowie die Teile des Vertrages aufzuführen, über die eine Einigung nicht zustande gekommen ist, § 6 Schiedsstellenverordnung. Im Anschluss an die Verfahrenseröffnung haben die Parteien die Gelegenheit, sich schriftlich zu den Vertragsinhalten zu äußern, die bislang noch nicht geeint worden sind. Sodann lädt der Vorsitzende mit einer Frist von mindestens zwei Wochen die Mitglieder zu der mündlichen Verhandlung, § 6 Abs. 4 Schiedsstellenverordnung.

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Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei insbesondere die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes, § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V. Der im Schiedsspruch festgelegte Erstattungsbetrag gilt ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels. Die Schiedsstelle setzt den Vertragsinhalt, der zwischen den Parteien nicht geeint worden ist, mit einem Schiedsspruch fest. Rechtlich betrachtet handelt es sich hierbei um ­einen Verwaltungsakt i. S. des § 31 Satz 1 SGB X, der gemäß § 8 Abs. 5 Schiedsstellenverordnung von dem Vorsitzenden schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Vertragsparteien zuzustellen ist. Die Patientenorganisationen nach § 140 f SGB V können beratend an den Sitzungen der Schiedsstelle teilnehmen. Ferner gibt die Schiedsstelle dem Verband der PKV vor ihrer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme. Gegen den Schiedsspruch ist eine Anfechtungsklage nach § 54 SGG zulässig. Ein Vorverfahren findet gemäß § 130b Abs. 4 Satz 6 SGB V nicht statt. Zudem hat eine Klage gegen den Schiedsspruch keine aufschiebende Wirkung, § 130 b Abs. 4 Satz 5 SGB V. Für Klagen gegen einen Schiedsspruch ist  gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG das Landessozialgericht Berlin Brandenburg ausschließlich örtlich zuständig.

4.6.2 D  ie Mischpreisbildung für Arzneimittel unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Nunmehr liegen auch erste gerichtliche Entscheidungen zu der Mischpreisbildung für innovative Arzneimittel vor. Das LSG Berlin Brandenburg hat im Jahr 2017 zwei Entscheidungen (Az. L 9 KR 213/16 KL und L 9 KR 72/16 KL) getroffen, die für Aufsehen gesorgt haben. Hierbei ging es um die Festsetzungen von Erstattungsbeträgen durch die Schiedsstelle für die Arzneimittel Eperzan® (Wirkstoff Albiglutid) und Zydelig® (Wirkstoff Idelalisib). Der G-BA hatte in beiden Verfahren im Rahmen der Nutzenbewertung jeweils ­mehrere Patientensubgruppen gebildet. Einen Zusatznutzen hat der G-BA in seinem Beschluss im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie bei beiden Arzneimitteln jedoch nur einem Teil der Patientengruppen zugesprochen, anderen Patientengruppen wurde kein Zusatznutzen zugesprochen. Im Rahmen der Vereinbarung eines Erstattungsbetrages bestand für die Vertragsparteien sodann die Herausforderung, einen einheitlichen Arzneimittelpreis zu bilden.  Da sich die Parteien nicht innerhalb von sechs Monaten einigen konnten, wurde die Schiedsstelle nach § 130 b Abs. 4 SGB V angerufen. Sie bildete da­ raufhin Mischpreise. Diese Schiedssprüche hatte der GKV-Spitzenverband als rechtswidrig angesehen und vor dem LSG Berlin Brandenburg geklagt. Das LSG Berlin Brandenburg hatte beiden Klagen stattgegeben und die Schiedssprüche aufgehoben. In beiden Fällen liege ein Begründungsmangel vor, was zur Rechtswidrigkeit der Schiedssprüche führe. Die Erstattungsbeträge müssten die rechtlichen Vorgaben des §  130b SGB  V beachten. Dies bedeute, dass der Erstattungsbetrag für ein Arzneimittel, für das kein Zusatznutzen festgestellt worden sei, ein Erstattungsbetrag nicht zu höheren Kosten führen dürfe als den Kosten der zweckmäßigen Vergleichsthera-

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pie. Anderenfalls sei der Mischpreis für Patientengruppen, für die kein Zusatznutzen festgestellt wurde, zu teuer respektive zu niedrig bei Arzneimitteln, für die ein Zusatznutzen festgestellt worden sei. Zur Begründung beriefen sich die Richter des LSG Brandenburg auf § 130b Abs. 3 SGB V und führten aus, dass die Mischpreisbildung in den benannten Fällen gegen die Vorgaben zur Höhe des Erstattungsbetrages gem. § 130 b Abs. 3 SGB V verstoße, da der Mischpreis bei Arzneimitteln, für die der G-BA für Patientensubpopulationen einen Zusatznutzen festgestellt habe, für andere aber nicht, zu nicht nutzenadäquaten Preisverzerrungen in den einzelnen Subgruppen und damit zu nicht nutzengerechten Preisen führe. Das LSG Berlin Brandenburg hatte in beiden Verfahren die Revision zugelassen, die indes mit den Paralellentscheidungen vom 04.07.2018 (Az.: B 3 KR 20/17 R und B 3 KR 21/17 R) von dem BSG zurückgewiesen worden sind. Das BSG hob die erstinstanzlichen Urteile des LSG Berlin-Brandenburg auf. Die Richter haben festgestellt, dass eine Mischpreisbildung grundsätzlich zulässig sei. Ausdrücklich betonten sie, dass Erstattungsbeträge weder gegen normative Regelungen noch gegen Verfassungsrecht verstoßen. Denn nach dem Arzneimittelpreisrecht gelte für ein Arzneimittel grundsätzlich nur ein Preis. Folglich sei auch nur ein einheitlicher Erstattungsbetrag zu vereinbaren respektive von der Schiedsstelle festzusetzen, der sodann von der GKV als Erstattungsbetrag gezahlt werde, § 130b SGB V. Entschieden sind die Richter des BSG zudem der Ansicht ihrer Kollegen vom LSG Berlin Brandenburg entgegengetreten, dass ein Mischpreis rechtswidrig sei, wenn für eine Patientensubgruppe kein Zusatznutzen festgestellt worden sei. Diesbezüglich haben die Richter des BSG unterstrichen, dass das in Rede stehende Arzneimittel nicht insgesamt ohne Zusatznutzen bewertet worden sei. Ein Durchschnittspreis, der die unterschiedlichen Nutzenbewertungsniveaus der gesamten Patientenpopulation berücksichtige, helfe den teils zu hohen und teils zu niedrigen Erstattungsbeträgen ab. Dies sei vor allem der Fall, wenn ein Mischpreis die Verteilung des Arzneimittels auf die einzelnen Patienten mit und ohne Zusatznutzen rechnerisch widerspiegle. Mit den Parallelentscheidungen hat das BSG die bisherige Praxis der Mischpreisbildung bestätigt.

4.7

Die weitere Entwicklung des Nutzenbewertungsverfahrens

Mit einem am 31.01.2018 vorgestellten Verordnungsentwurf hat die Europäische Kommission für heftige Diskussionen gesorgt. Es geht um die Zukunft des „Health Technology Assessment“ (HTA) und die Ausgestaltung der Bewertung von Gesundheitstechnologien in Europa. Das „European Network for Health Technology Assessment“ (EUnetHTA) wurde mit der Richtlinie 2011/24/EU offiziell eingeführt, mit dem Ziel, eine strategische und politische Orientierung bei der wissenschaftlichen und technischen Kooperation zu bieten. Es setzt sich aus freiwillig teilnehmenden nationalen HTA-Stellen oder -Behörden zusammen und flankiert die EU-weite wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit durch strategische und politische Leitlinien. Die Europäische Kommission hat darüber hinaus be-

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A. P. F. Ehlers und M. Bickmann

reits in ihrem Arbeitsprogramm 2017 bekanntgegeben, dass eine Initiative zur Stärkung der Kooperation bei HTA eingeführt werden soll. Dieser Entwurf liegt nun vor.

4.7.1 Verordnungsentwurf Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission, der Ende Januar 2018 unter der Überschrift „Strengthening EU Cooperation beyond 2020“ vorgelegt wurde, zielt auf eine Harmonisierung des HTA auf der Ebene klinischer Bewertungen. Gegenstand der Bewertung sind alle Arzneimittel, die im zentralen Zulassungsverfahren nach der Verordnung 726/2004/EU zugelassen sind, ausgenommen generische bibliografische Zulassungen. Darüber hinaus sind zentrale Zulassungen erfasst, die um eine therapeutische Indikation erweitert wurden, sowie Medizinprodukte der Klasse IIb und III nach der neuen Verordnung 2017/745/EU, die eine Zertifizierung durchlaufen haben. Eine Koordinierungsgruppe (Coordination Group; vgl. Art.  24 des Verordnungsentwurfs) aus HTA-Experten der Mitgliedstaaten soll dem Entwurf zufolge künftig gemeinsam bewerten, ob ein Produkt einen Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie aufweist oder nicht. Das Ergebnis soll für alle Mitgliedstaaten ohne eigene klinische Bewertung bindend sein. Geplant ist es, das Verfahren parallel zu dem zentralen Zulassungsverfahren durchzuführen, um zu gewährleisten, dass mit der Zulassung und Verkehrsfähigkeit zeitgleich auch eine Nutzenbewertung vorliegt. Die Koordinierungsgruppe bestimmt im Einzelnen einen Assessor und einen Co-Assessor, die in Zusammenarbeit einen Bewertungsbericht erstellen. Über den Bericht wird sodann mit einfacher Mehrheit in der Koordinierungsgruppe entschieden. Im Anschluss wird der Bericht bindend, wenn er durch die Europäische Kommission veröffentlicht ist. Insbesondere soll der Vorstoß für eine harmonisierte Methodik laut Kommission zunächst im Interesse der Patienten liegen. So könnten neue Produkte schneller bei dem Patienten ankommen, da die Ergebnisse der gemeinsamen klinischen Bewertungen bei der Einführung und Erstattungsregelung durch die Mitgliedstaaten Berücksichtigung finden müssten. Für die Mitgliedstaaten bestehe der Hauptnutzen in einer gesteigerten Tragfähigkeit ihrer Gesundheitssysteme, da sie diejenigen Technologien auswählen können, für die die HTA einen Mehrwert aufgezeigt hat. Mitgliedstaaten sollen ihre Ressourcen effizienter nutzen können, indem sie diese bündeln und Fachwissen untereinander austauschen, sodass Produkte nicht mehrfach bewertet werden. Dies solle dazu beitragen, die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten tragbarer und die Industrie wettbewerbsfähiger zu machen. Insbesondere auch kleinere und mittlere Unternehmen könnten von klareren Vorschriften, einer höheren Planungssicherheit und Kosteneinsparungen profitieren. Außerdem sollen hochwertige medizintechnische Innovationen gefördert und nutzbar gemacht werden. Die Initiative ist bereits dem Rat und dem Parlament der Europäischen Union übergeben. Im Falle einer Zustimmung tritt die Reform grundsätzlich drei Jahre nach Abschluss des Trilogverfahrens in Kraft. Im Anschluss haben die Mitgliedstaaten weitere drei Jahre Zeit, um die Verordnung umzusetzen. Im Jahr 2025 wäre sie dann für die EU-­Mitgliedstaaten bindend.

4  Grundlagen des pharmazeutischen und medizintechnischen Rechts

87

4.7.2 Kritik und Rügen Jede Organisation kann HTA-Berichte aktuell grundsätzlich nach ihren eigenen Kriterien anfertigen und veröffentlichen. Dadurch können unterschiedliche Organisationen bei einem Produkt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Vereinheitlichung des Verfahrens könnte somit einen Eingriff in das für Deutschland bewährte AMNOG-Verfahren für die Frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln zur Folge haben und so zur Abwertung von Standards in Deutschland führen. Diese Bedenken äußerte beispielsweise auch der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) und führt aus, dass erst, wenn Methodik, Ergebnisdarstellung, Transparenz der Datengrundlage, Zeitpläne sowie Qualität der Bewertungen geeint sind, eine Basis vorliegen würde, über eine verpflichtende Übernahme zu reden (GKV-SV 2018). Bis dahin könne allenfalls eine freiwillige Teilnahme in Betracht gezogen werden. Ähnlich kritisch äußerte sich auch der G-BA (G-BA 2018). Die Vertreter der Pharmaindustrie begrüßen den Vorschlag der EU-Kommission hingegen. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (VfA) sieht insbesondere Potenzial bei einer engen Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen. Eine zentralisierte Bewertung von Gesundheitstechnologien könne den unterschiedlich ausgelegten Gesundheitssystemen der Mitgliedstaaten nach Aussage der Kritiker nicht gerecht werden. So begrüßt das Bundesministerium für Gesundheit auch weiterhin ­grundsätzlich eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Nutzenbewertung. Wichtig sei aber, den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme auch künftig ausreichend Rechnung zu tragen. Vielfach wird in dem Verordnungsentwurf auch ein Eingriff in die Gesundheitspolitik und Organisation des Gesundheitswesens der Mitgliedstaaten gesehen, die nicht im Zuständigkeitsbereich der EU liegt. Der Bundestag hat eine Subsidiaritätsrüge verfasst, die nun der EU-Kommission, dem Rat und dem EU-Parlament zugestellt wird.

4.7.3 Ausblick Nicht nur die Fraktionen des Deutschen Bundestages weisen darauf hin, dass die in dem Entwurf dargelegte Ausgestaltung des Verfahrens im Detail nicht überzeugen könne und viele Unklarheiten mit sich bringe. So ist nicht geklärt, wie eine zentralisierte HTA-­ Bewertung den unterschiedlich ausgelegten Gesundheitssystemen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen soll oder wie beispielsweise der Rechtsschutz gegen Bewertungen auf europäischer Ebene ausgestaltet sein soll. Offen bleibt insbesondere auch, ob eine positive Bewertung auf europäischer Ebene einen verpflichtenden Marktzugang in allen Mitgliedsländern bedeutet und ob, umgekehrt, eine negative Bewertung es den Ländern verbietet, den Marktzugang zu ermöglichen. Der Vorschlag wird nun weiter im EU-Parlament und Ministerrat diskutiert werden. Fraglich ist, inwieweit die Bedenken der Bundesregierung hier einfließen. Ob die Rüge etwas bewirkt, hängt insbesondere auch von der Reaktion der anderen EU-Mitgliedstaaten

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A. P. F. Ehlers und M. Bickmann

ab. Erst im Anschluss an das Verfahren wird sich abschließend bewerten lassen, in welche Richtung sich das EUnetHTA entwickelt. Die weitere Europäisierung des Verfahrens ist dabei politischer Wille in Europa. Wie dies umgesetzt wird, muss sich erst noch zeigen. Sollte der vorliegende Entwurf in seiner jetzigen Form in Kraft treten, wären die Auswirkungen auf den Market Access in Deutschland erheblich. Das System der GKV müsste dann die Chance ergreifen und die deutschen Standards auch für Europa durchsetzen.

Literatur Becker, U., & Kingreen, T. (Hrsg.). (2017). SGB V Gesetzliche Krankenversicherung Kommentar (5. Aufl.). München: C.H. Beck. G-BA – Gemeinsamer Bundesausschuss. (2018). Vorhaben der EU-Kommission zur Zentralisierung der Arzneimittelbewertungen zerstört funktionierende Verfahren der Mitgliedstaaten. Pressemitteilung vom 31. Januar 2018. https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/732/. Zugegriffen am 01.05.2018. GKV-SV – GKV-Spitzenverband. (2018). EU will Bewertung von Arzneimitteln an sich ziehen. Pressemitteilung vom 31. Januar 2018. https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/ pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_656513.jsp. Zugegriffen am 01.05.2018. Hess, R. (2017). § 35a SGB V. In A. Körner, S. Leitherer & B. Mutschler (Hrsg.), Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 97. EL Dezember 2017. Huster, S. (2017). Mischpreisbildung und Nutzenmonetarisierung. Die neuere Rechtsprechung zum AMNOG-Verfahren. NZS, 2017, 681–686. Meier, A., v Czettritz, P., Gabriel, M., & Kaufmann, M. (2014). Pharmarecht (1. Aufl.). München: C.H. Beck. Rolfs, C., Giesen, R., Kreikebohm, R., & Udsching, P. (Hrsg.). (2018). BeckOK Sozialrecht, 48. Edition, Stand: 01.03.2018. Spickhoff, A., & Heßhaus, M. (Hrsg.). (2014). Medizinrecht (2. Aufl.). München: C.H. Beck. Wilhöfft, C., & Lietz, C. (2012). Die frühe Nutzenbewertung von Orphan Drugs nach § 35a SGB V. Arzneimittel und Recht, 1(12), 19–24.

Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P.F. Ehlers,  Seniorpartner der Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner. Prof. Ehlers ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Medizinrecht sowie Mitglied nationaler und internationaler medizinrechtlicher Fachgesellschaften sowie Mitglied von Aufsichtsräten und Beiräten pharmazeutischer und anderer Unternehmen im Gesundheitswesen. Prof. Ehlers ist häufig Referent auf Fachkongressen und Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Marion Bickmann, LL.M.  Rechtsanwältin in der Kanzlei Ehlers, Ehlers & Partner in München. Frau Bickmann hat sich auf das Arzneimittel- und Medizinprodukterecht spezialisiert. Berufsbegleitend schloss sie erfolgreich den Masterstudiengang Medizinrecht (LL.M.) ab und erwarb zugleich die theoretischen Kenntnisse für den Fachanwalt ­Medizinrecht.

5

Patientenorientierung im Gesundheitswesen Matthias J. Kaiser, Katja Gehrke, Karin Agor und Michaela Knapp

Inhaltsverzeichnis 5.1  5.2  5.3  5.4 

Einleitung   inordnung der Akteure im deutschen Gesundheitssystem  E Begriffsbestimmung Patientenorientierung und -zentrierung  Betriebswirtschaftlicher Betragungswinkel der Patientenorientierung im deutschen Gesundheitsmarkt  5.5  Praktische Betrachtungsweise und operative Maßnahmen des Forschungsfeldes Patientenorientierung  5.5.1  Perspektive von Pharmaunternehmen  5.5.2  Perspektive ärztlicher Leistungserbringer  5.5.3  Perspektive (Gesetzlicher) Krankenkassen  5.6  Schlussbetrachtung  Literatur 

 90  90  92  93  95  96  97  98  99  99

M. J. Kaiser (*) Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Gehrke Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V., Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Agor Knappschaft, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Knapp LEO Pharma Deutschland GmbH, Neu-Isenburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_5

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M. J. Kaiser et al. Zusammenfassung

Das deutsche Gesundheitssystem steht vor der großen Herausforderung, bei begrenzten Ressourcen die Gesundheitsgewinne zu maximieren bzw. die Kosten zu minimieren – gleichwohl immer mehr Innovationen verfügbar zu machen. Dabei sollten die Entscheider in Politik, auf Leistungserbringer- und Kostenträgerseite den Patienten als wichtiges Glied der Wertschöpfungskette nicht aus dem Fokus verlieren. Dessen Rolle und Bedeutung für die Akteure wird aus den unterschiedlichen Perspektiven und Literaturquellen im vorliegenden Beitrag beleuchtet.

5.1

Einleitung

Patientenorientierung stellt ein von Politik und Gesundheitsprotagonisten ins Leben gerufenes Zielkonzept dar, um die Stellung und Mitwirkung des Endkonsumenten bzw. Patienten in gesundheitlichen Belangen zu verbessern (Brandstetter et al. 2015). Medizinische Versorgung soll verstärkt an dessen Bedürfnisse und Präferenzen angepasst werden und der Patient soll eine Stimme erhalten. Da sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens mit gesundheitlichen Fragen konfrontiert sieht und damit die Rolle eines potenziellen Patienten oder zumindest eines Patientenangehörigen einnimmt, ist die Patientenorientierung alltäglich und für jeden von Interesse (BPI 2016; vfa 2013). Neben dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (auch „Patientenrechtegesetz“) wurde 2013 u. a. auch die Verordnung zur Beteiligung von Patientinnen und Patienten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Patientenbeteiligungsverordnung – PatBeteiligungsV) in Kraft gesetzt. Letztere regelt die maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene im Sinne des Sozialgesetzbuchs V (SGB V).

5.2

Einordnung der Akteure im deutschen Gesundheitssystem

Das deutsche Gesundheitssystem lässt sich in drei hierarchische Steuerungsebenen unterteilen: die Makro-, Meso- und Mikroebene (Gerlinger und Noweski 2012). Die Strukturierung dient dazu, nachvollziehen zu können, wo die verschiedenen Gesundheitsprotagonisten und insbesondere der Patient als Mittelpunkt der Patientenorientierung im Gesundheitssystem angesiedelt sind und wie diese miteinander interagieren. Die Makroebene bildet die gesellschaftliche Ebene und verkörpert das Gesundheitssystem als Ganzes. Als oberste Ebene umfasst sie die staatlichen Akteure (Gerlinger und ­Noweski 2012). Dazu zählen die Europäische Union, der Staat Deutschland mit seinen Ländern und Regionen, verschiedene Interessensvertretungen der Akteure sowie Patientenvertretungen (Offermanns 2011). Der Fokus der höchsten Ebene liegt darauf, das Solidari-

5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

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tätsprinzip und somit den Grundgedanken der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu wahren. Jedem deutschen Staatsbürger steht das Recht auf einen Zugang zur GKV und ein Recht auf Gleichbehandlung zu. Des Weiteren liegt der Fokus auf der Interessenszusammenbringung von Gesetzgeber und Öffentlichkeit an der Gesundheitsversorgungsqualität, wodurch Qualitätssicherung betrieben wird (Güntert und Offermanns 2002). Im Rahmen der Steuerungsmöglichkeiten formuliert die Makroebene zumeist Rahmenbedingungen oder Generalnormen. Diese werden von den korporatistischen Akteuren der Mesoebene konkretisiert; erfolgt keine Einigung, so entscheidet der Staat durch Gesetze und Verordnungen (Rosenbrock und Gerlinger 2014; Offermanns 2011). Ebenso ­obliegt der Makroebene die Ressourcenallokation in Form von finanziellen Mitteln des Bundes, der Länder (Stichwort: Krankenhausfinanzierung) und auch der Kommunen (Stichwort: Pflege); sie ist dazu verpflichtet, Zielvereinbarungen zwischen den beteiligten Akteuren zu treffen. Auf der Suche nach effektiven Steuerungsmöglichkeiten wird der Gesetzgeber durch die zur Mesoebene gehörende Selbstverwaltung, durch professionelle Vereinigungen und Interessenvertretungen beraten (Offermanns 2011). Die am Ende der Hierarchie befindliche Mikroebene verkörpert die Ebene der Versorgungsinteraktionen und Individualakteure, die den Umgang mit Gesundheit und Krankheit beeinflussen kann (Rosenbrock und Gerlinger 2014). Hier sind Arzt und Patienten angeordnet, deren konkrete Beziehung eine übergeordnete Rolle einnimmt. Die Leistungserbringer bieten Behandlungen und Dienstleistungen an, während die Patienten oder Versicherten diese nachfragen. Konkretisiert man den Begriff der Leistungserbringer, so zählen laut SGB V nicht nur Vertragsärzte und Krankenhäuser, sondern auch Heilmittel-, Hilfsmittelerbringer, Apotheken und Sonstige zu den Leistungserbringern (Reimbursement Institute o. J.; §§ 77 ff.; 107 ff.; 124–134a, 130a Abs. 8 SGB V – die formale Diskussion zu Pharma als Leistungserbringer sei hier ausgeklammert). Bei der Beziehung zwischen Arzt und Patient liegt der Fokus zunehmend auf der Patientenorientierung, also darauf, den Patienten in den Mittelpunkt des Handelns im Gesundheitswesen zu stellen (BPI 2016). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die drei Ebenen nicht unabhängig voneinander sind: Die Wirksamkeit gesetzlicher Normen der Makroebene tritt erst dann ein, wenn sich Politik und Organisationen der Selbstverwaltung, welche sich auf der Mesoebene befinden, weitgehend einig sind. Erst wenn die Organisationen der Mesoebene über effektive Steuerungsinstrumente zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben verfügen, kann eine Auswirkung auf die Mikroebene erfolgen; dadurch können Behandlungs-, Pflege- und Therapieprozesse in ihrer Steuerung begünstigt werden (Offermanns 2011). Die Finanzierung des überwiegenden Anteils medizinischer Leistungen im Verantwortungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfolgt in Deutschland über den Gesundheitsfonds, der von verschiedenen Akteuren der Makro- und Mikroebene gespeist wird. Der Staat zahlt in Form von Bundeszuschüssen aus Steuermitteln Gelder in den Fonds ein. Mitglieder der GKV bzw. Arbeitnehmer und Arbeitgeber leisten jeweils einheitliche Beitragssätze, die in den Fonds fließen (BMG 2016a). Gesetzliche Krankenkassen, als Akteure der Mesoebene, erhalten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und

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M. J. Kaiser et al.

verkörpern damit eine Art Finanzintermediär. Eine Sonderposition nehmen die Satzungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen ein. Leistungserbringer – zugehörig zur Mikroebene – befinden sich zentral in der Wertkette. Bei ihnen laufen die Ströme aus Finanzierung und Gesundheitsversorgung zusammen (Stremersch 2008). Die Produkte werden in Form von Verschreibungen durch Ärzte an Patienten oder durch die Verwendung in Krankenhäusern verbraucht. Die Vergütung der meisten ambulanten ärztlichen Leistungen erfolgt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die von den Krankenkassen eine Gesamtvergütung erhalten (neben extrabudgetären Vergütungen, Sachkosten und Sprechstundenbedarf), die aus dem Gesundheitsfonds resultiert (§  85 Abs.  2 Satz 2 SGB  V). Daher fungieren KVen ebenfalls als indirekte Finanzintermediäre.

5.3

 egriffsbestimmung Patientenorientierung und B -zentrierung

Der aktuellen Literatur zufolge handelt es sich bei dem Konstrukt Patientenorientierung um einen übergreifenden Terminus, der „derzeit kein einheitliches Forschungsfeld, sondern ein Spektrum an Forschungsthemen [umfasst], das sich vom Arzt-Patienten-Gespräch über psychosoziale Barrieren der Inanspruchnahme bis hin zur strukturellen Gestaltung von Versorgungsangeboten und gesetzlichen Rahmenbedingungen spannt“ (Brandstetter et  al. 2015). Recherchiert man in der Literatur nach den beiden Begriffen Patientenorientierung und Patientenzentrierung, so wird erkennbar, dass die Trefferhäufigkeit von der gewählten Sprache abhängt. Während die deutsche Literatur sowie Politik und der Reigen verschiedener Verbände vorrangig von dem Ausdruck Patientenorientierung sprechen, ist in der englischsprachigen Literatur die Rede von „patient-centricity“, „patient-centered approach“ oder „patient-centered care“, was zu Deutsch eher dem Ausdruck Patientenzentrierung entspricht (Brandstetter et al. 2015; BMG 2016b; vfa 2013; Robbins et al. 2013; White und Verhoef 2005; Rawson und Moretz 2016). Beide Begriffe handeln davon, den Patienten in den Mittelpunkt oder in das Zentrum der Versorgung zu stellen (Ozegowski und Amelung 2015; Robbins et al. 2013). Da Patientenorientierung ein gesamtes Forschungsfeld darstellt, umfassen die Inhalte „nicht nur die Verbesserung einzelner Serviceelemente, sondern eine grundsätzliche Veränderung der Versorgungsstrukturen und -prozesse“ (Ozegowski und Amelung 2015). In Anbetracht der Tatsache, dass sich aus der Literatur keine grundlegenden Unterschiede beider Begrifflichkeiten ergeben und beide Termini der übergreifenden Forderung nachgehen, den Patienten in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen, wird im weiteren Verlauf der Begriff der Patientenorientierung verwendet. Ergänzend beschreibt Patientenorientierung auf der Makroebene den rechtlichen Rahmen, der für die Orientierung am Patienten geschaffen wird, wodurch eine aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen durch Patientenvertreter und Patientenorganisationen auf der Mesoebene ermöglicht wird sowie grundlegende Rechte auf der Mikroebene definiert werden (BMG 2016c).

5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

5.4

93

 etriebswirtschaftlicher Betragungswinkel der B Patientenorientierung im deutschen Gesundheitsmarkt

Patientenorientierung fordert, dass der Patient in den Mittelpunkt des Handels der Gesundheitsakteure gestellt wird und eine Orientierung an dessen Bedürfnissen und Präferenzen erfolgt (Ozegowski und Amelung 2015). Die Marktdynamik, vom Produkt weg hin zum Kunden, ist in anderen Wirtschaftszweigen bereits seit Längerem verankert. Richtet sich ein Unternehmen nicht nach den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden, kann ihm schnell ein Existenzkampf drohen (Ozegowski und Amelung 2015). Die Entwicklung des Trends vom produktzentrierten Ansatz hin zur Kundenorientierung wird im Folgenden aus betriebswirtschaftlicher Sichtweise erläutert und dient dazu, die analoge Entwicklung im Gesundheitsmarkt besser zu verstehen (Shah et al. 2006). Allem vorangestellt vergleicht Tab. 5.1 die beiden Ansätze in wichtigen Differenzierungsmerkmalen. Die Relevanz von Kundenorientierung wurde bereits Mitte des 20. Jahrhunderts von diversen Forschern erkannt. Gemäß Levitt (1960) war nicht die Produktorientierung der erfolgversprechende Faktor für Unternehmen, sondern die Orientierung am Kunden und die Kreation von Nutzen, der den Kunden zufriedenstellt (Levitt 1960). Der Grundgedanke des produktzentrierten Ansatzes liegt im reinen Verkauf von Waren, die an eine große Anzahl beliebiger Kunden vertrieben werden sollen. Steht der Kunde im Fokus, so bildet er den Ansatzpunkt für alle weiteren Entscheidungen und dessen Betreuung stellt den Grundgedanken dar. Im Hinblick auf die Geschäftsausrichtung von Unternehmen stellten Brodie et al. (1997) eine zunehmende Tendenz von transaktions- zu kundenbeziehungsorientiertem Führungsdenken fest. Dies impliziert im Rahmen der Produktzentrie-

Tab. 5.1  Merkmalsvergleich des produkt- und kundenzentrierten Ansatzes Grundgedanke

Geschäftsausrichtung Vertriebsansatz

Organisatorische Ausrichtung Produktpositionierung

(Leistungs-) Kennzahlen

Managementkriterien

Produktzentrierter Ansatz Verkauf von Produkten Verkauf an alle Nachfrager Transaktionsorientiert An wie viele Kunden können wir das Produkt verkaufen? intern Wachsende Marktanteile Hervorheben von Produktmerkmalen und -vorteilen Anzahl neuer Produkte Profitabilität pro Produkt Marktanteil von Produkten Produktportfolio

Kundenzentrierter Ansatz Kunden betreuen Kunde als Ansatzpunkt aller Entscheidungen Kundenbeziehungsorientiert Wie viele Produkte können wir diesem Kunden verkaufen? Extern Profitabilität durch Kundenloyalität Hervorheben von Produktvorteilen in Bezug auf die Erfüllung individueller Kundenbedürfnisse Kundenzufriedenheit Customer Lifetime Value Profitabilität von Kunden Customer Equity Kundenportfolio

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shah et al. (2006).

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M. J. Kaiser et al.

rung einen Vertriebsansatz, bei dem das Produkt an möglichst viele Kunden verkauft werden soll, die vom Anbieter als anonyme Masse wahrgenommen werden. Anhänger des kundenzentrierten Ansatzes wollen dagegen einem bestimmten Kunden Produkte verkaufen und verfolgen das sog. Relationship-Marketing, bei dem der Kunde als Partner gilt (Brodie et al. 1997). Kordupleski, Rust und Zahorik (1993) haben erkannt, dass der Markterfolg eines Unternehmens auf dem Verständnis der getroffenen Kundenentscheidungen beruht, wofür eine externe Sichtweise, außerhalb der Grenzen der eigenen Organisation, entscheidend ist (Kordupleski et  al. 1993). Während sich Unternehmen mit einem produktgetriebenen Fokus lediglich auf eine Umsatzgenerierung durch wachsende Marktanteile konzentrieren, versuchen kundenzentrierte Firmen, Kundenloyalität mit Profitabilität zu verbinden; gelingt letzteres, ist es laut Kumar und Shah (2004) die wirksamste Waffe im Wettbewerbskampf von Unternehmen (Kumar und Shah 2004). Positionieren produktzentrierte Anbieter ihre Waren am Markt, so heben sie die produktspezifischen Merkmale und Vorteile hervor; auch kundenzentrierte Unternehmen betonen die Produktvorteile, allerdings bemühen sie sich dabei, dass die Vorteile den individuellen Kundenbedürfnissen entsprechen, um so eine möglichst hohe Käuferzahl zu garantieren (Galbraith 2005). Angesichts des betriebswirtschaftlichen Hintergrundes wird deutlich, dass sich der Markt in den letzten Jahren weg von einem reinen produktbezogenen hin zu einem kundengetriebenen Absatzmarkt entwickelt hat. Dieser erfährt somit eine zunehmende Prägung durch Individualisierung und Personalisierung (Galbraith 2005). Derartige Entwicklungen haben auch den Gesundheitsmarkt erreicht, in dem eine zunehmende Orientierung am Patienten erfolgen soll. Ferner ist der Patient als Treiber der Digitalisierung ganz anders als früher in der Lage, sich zu informieren und zu artikulieren. Überträgt man die in Tab. 5.2 aufgeführten Merkmale auf die Patientenorientierung, so ergibt sich folgender Ansatz Tab. 5.2  Merkmalsübertragung auf den patientenzentrierten Ansatz Kategorien Grundgedanke Geschäftsausrichtung Vertriebsansatz

Organisatorische Ausrichtung Produktpositionierung (Leistungs-)Kennzahlen

Managementkriterien

Patientenzentrierter Ansatz Patient im Mittelpunkt der Versorgung Patient als Ansatzpunkt aller Entscheidungen Patientenbeziehungsorientiert Pharmaindustrie: Arzneimittel mit möglichst hohen Zusatznutzen für bestimmte Indikationen für Patienten anbieten Leistungserbringer: Verordnung einer Therapie/Behandlung, die auf den Patienten und die Krankheit abgestimmt ist Extern Profitabilität, Patientenloyalität und Adhärenz der Patienten Health-Care Provider-Patient Relationship Hervorheben von Produktnutzen in Bezug auf die Erfüllung individueller, krankheitsbedingter Patientenbedürfnisse Patientenzufriedenheit Linderung/Heilung von Krankheiten durch entsprechende und individuell angepasste Behandlung Patientenportfolio

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shah et al. (2006).

5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

95

(Shah et al. 2006): Patientenorientierung verfolgt den Grundgedanken, den Patienten in den Mittelpunkt der Versorgung zu stellen und ihn als Ansatzpunkt für Entscheidungen heranzuziehen. Bei der Übertragung der Merkmale auf den Gesundheitsmarkt dürfen sonach nicht nur, wie in der Konsumgüterindustrie, die Unternehmen bzw. Vertreiber von Produkten betrachtet werden, sondern es müssen mehrere Akteure des Gesundheitsmarktes miteinbezogen werden. Wenn der Patient in diesem Markt mit dem Kunden gleichgesetzt wird, muss eine patientenbeziehungsorientierte (Geschäfts-)Ausrichtung erfolgen. Allerdings ist er durch das im SGB V verankerte Sachleistungsprinzip nur der indirekte Kunde. Ein Ansatz für pharmazeutische Unternehmen könnte demnach sein, mit den Arzneimitteln einen möglichst hohen Patientennutzen für eine bestimmte Indikation anzustreben; für Leistungserbringer, eine möglichst wirksame Behandlung oder Therapie für einen bestimmten Patienten anzuordnen. Der mögliche optimale, individuelle Nutzen einer Therapieoption muss aber immer in dem Spannungsfeld zur Ressourcenallokation einer ­Solidargemeinschaft gesehen werden. Daher ist bei der Diskussion um den Preis einer Therapie/eines Produktes auch immer dessen Wert (Stichwort Value based Healthcare) zu diskutieren. Alle Ebenen (vgl. Abschn. 1.2) sollten nicht nur innerhalb der eigenen Vorgaben oder Richtlinien agieren, sondern stets eine externe Sichtweise heranziehen und den Patienten als „Endnutzer“ miteinbeziehen. Dessen Bedarf steht primär vor den Bedürfnissen als „ethische Richtschnur“ für gesamtgesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln. Auch der Ansatz von Kumar und Shah (2004), Profitabilität durch Kundenloyalität – oder in diesem Fall Patientenloyalität  – zu generieren, kann in diesem Kontext Anwendung finden (Kumar und Shah 2004). Von Wichtigkeit ist hierbei die Beziehung zwischen (Leistungs-)Erbringer und Patient, der sog. Health Care Provider-Patient Relationship (Brennan et al. 2013). Produkte in Form von Arzneimitteln oder medizinischen Leistungen sollten analog zum kundenzen­ trierten Ansatz so positioniert werden, dass sie durch ihre auf Basis von methodisch auch belegbaren Patientenpräferenzen eruierten Vorteile überzeugen. Aus der Perspektive des patientenzentrierten Ansatzes sollten alle Akteure ihre Leistungen zum einen an dem Patientennutzen messen, zum anderen sollte für Arzneimittelhersteller und Leistungserbringer die Linderung oder Heilung von Krankheiten durch entsprechende Behandlung am Patienten die übergeordnete Erfolgsgröße darstellen. Überträgt man die Erkenntnisse von Johnson und Selnes (2004) auf den Gesundheitssektor, liegt die Konzentration der Akteure demnach auf dem Management des Patientenportfolios (Johnson und Selnes 2004).

5.5

 raktische Betrachtungsweise und operative Maßnahmen P des Forschungsfeldes Patientenorientierung

In diesem Abschnitt wird die praktische Betrachtung des Forschungsfeldes „Patientenorientierung“ aus der Perspektive verschiedener Gesundheitsprotagonisten erörtert. Dabei werden die Sichtweise und operative Maßnahmen von Pharmaunternehmen, Leistungserbringern und Krankenkassen untersucht.

96

M. J. Kaiser et al.

5.5.1 Perspektive von Pharmaunternehmen Trotz der bereits längeren Existenz der Idee der Patientenorientierung im deutschen Gesundheitssystem und speziell in der Arzneimittelversorgung hat das Thema in der pharmazeutischen Industrie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies ist auch ein Stück weit paradox, denn Arzneimittel werden nicht zuletzt für die Patientenversorgung entwickelt und sind kein Selbstzweck. Verbände, wie der Bundesverband der Pharmazeutischen ­Industrie e. V. (BPI) oder der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), widmen sich seit einigen Jahren verstärkt diesem Themenkomplex und veröffentlichten in den vergangenen Jahren Positionspapiere unter dieser Überschrift. Allen voran soll es sich bei der Patientenorientierung um ein Konzept frei von Marketing- und Vertriebsgedanken handeln, mit dem die Pharmaindustrie eine Richtung, weg von der kritisierten produkt- und hin zur patientenorientierten Herangehensweise einschlägt. Diese betriebswirtschaftliche Entwicklung wurde bereits im vorherigen Punkt erläutert. Eine bessere Erreichung der Patientenorientierung soll dadurch erfolgen, dass nicht, wie zumeist, lediglich über, sondern mit dem Patienten gesprochen wird. Als Beitragszahler für die eigene Gesundheit erwarten die Bürger „Serviceorientierung, ansprechende Kommunikation, transparente und wissenschaftlich fundierte Information“ und verstehen sich zunehmend als Kunden (BPI 2016). Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, bedeutet Patientenorientierung, „die Wünsche und Erwartungen von Patienten verstärkt einzubeziehen sowie deren Bedürfnisse in ihrem Handeln intensiver zu berücksichtigen“ und den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen (vfa 2013; BPI 2016). Dies sollte auch bei den Dossiers, die bei der Nutzenbewertung eingereicht werden, berücksichtigt werden. Hier ist kritisch zu hinterfragen, welche Kriterien der ­Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in welchem Maß in seine Bewertung mit einbezieht. Welchen Nutzen hat z. B. das Gesamtüberleben versus progressionsfreies Überleben? Oder was ist eine hohe Therapietreue bei erleichterter Einnahme und geringeren Nebenwirkungen wert? Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist der direkte Kontakt zwischen Patienten und pharmazeutischen Unternehmen nicht ohne Weiteres möglich, denn einerseits begrenzt hier das Heilmittel- und Werbegesetz (HWG) die Optionen und andererseits ist schon aus ethischen Gründen die Trennung vom Umsatz- und Produktfokus notwendig. Demzufolge haben die Unternehmen eine neue Position, wie z. B. die des Patienten-­Officers (auch Patient Relations Manager, Patient Engagement Manager, Patient Advocacy Manager etc.) geschaffen, der außerhalb von Marketing und Vertrieb angesiedelt ist. Der Einbezug der Patientenperspektive kann bereits frühzeitig bei der Entwicklung oder Verbesserung der Produkte ansetzen und über Serviceangebote bis hin zu Befragungen, Patient-­Advisory Boards oder Social-Media-Analysen oder der Messung von Patientenpräferenzen reichen. Das gemeinsame Wirken sollte sich dabei nicht allein auf die Kommunikation mit der verfassten Selbsthilfe konzen­ trieren, sondern den Patienten an sich in den Blick nehmen und nach den Regeln und Leitsätzen einer guten Zusammenarbeit (AKG- oder FSA-Kodizes) erfolgen. Grund-

5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

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sätzlich ist ein langfristiger Prozess anzustreben und dieser kann nur gelingen, wenn dies auf Augenhöhe, transparent und mit gegenseitigem Respekt geschieht. Es ist damit eine grundsätzliche strategische Entscheidung, die konsequent im Unternehmen gelebt werden muss und mehr als ein „Lippenbekenntnis“ erfordert, vielmehr einen dauerhaften Dialog der Beteiligten (Reimann et al. 2018). Darüber hinaus gilt es, – nach dem Markteintritt eines Produktes – die Versorgungsrealität und deren Auswirkungen auf den Markt zu beobachten.

5.5.2 Perspektive ärztlicher Leistungserbringer Im Folgenden wird Patientenorientierung aus der Sicht der medizinischen Leistungserbringer und deren Verbände untersucht. Dabei wird die Perspektive der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), des Dachverbandes der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Bundesärztekammer (BÄK) als ärztlicher Interessenvertretung und Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung in Deutschland herangezogen (KBV o. J.; Bundesärztekammer o. J.). Der Begriff Patientenorientierung ist dabei stets in Verbindung mit den Termini Praxisnetz und auch einem krankheitsorientierten Zentrum zu finden. Laut KBV ist Patientenorientierung ein Versorgungsziel eines Praxisnetzes. Praxisnetze sind dabei Kooperationsformen, die als „regionale Zusammenschlüsse von Vertragsärzten verschiedener Fachrichtungen und Psychologischen Psychotherapeuten“ verstanden werden. Das Ziel im Sinne der Patientenorientierung besteht darin, die medizinische Versorgung mitsamt Abläufen, Strukturen und Prozessen in Praxen an den Bedürfnissen der Patienten auszurichten (KBV 2015). Die BÄK versteht Patientenorientierung als Qualitätsmerkmal eines „krankheitsorientierten Zentrums“. Der Begriff krankheitsorientiertes Zentrum beschreibt demnach „eine an einem Standort gebündelte […] medizinische Versorgungsstruktur, welche auf die Diagnostik und Therapie von Patienten mit spezifischen Krankheiten bzw. auf die Erkennung von Trägern mit erhöhten Risiken für diese Krankheiten spezialisiert ist“ (Bundesärztekammer 2015). Die essenziellen Anforderungen und Maßnahmen für Praxisnetze oder krankheitsorientierte Zentren lauten demnach vor dem Hintergrund der Patientenorientierung: Den Patienten soll der Zugang zu einer kontinuierlichen Versorgung gesichert werden. Dies umfasst sowohl Öffnungszeiten als auch die Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs (Bundesärztekammer 2015; KBV 2015). Es obliegt medizinischen Leistungserbringern, ihre Patienten zu beraten, um deren Werten und Bedürfnissen besser gerecht zu werden (Bundesärztekammer 2015). Verbindet man die Beratung mit der Kommunikation, die nach Klemperer (2005) und Thompson (2007) ein weiteres wichtiges Charakteristikum einer patientenorientierten Versorgung ergab, so wird davon ausgegangen, dass eine kommunikative Beratung sich positiv auf das Behandlungsergebnis, die sog. „patient outcomes“, auswirkt; als Indikatoren der „patient outcomes“ werden somit die Zufriedenheit, Compliance, Adhärenz und das Verständnis für die Erkrankung gestärkt (Ong et al. 1995).

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M. J. Kaiser et al.

Der Arzt ist dabei in der Pflicht, den Patienten über Nutzen und Risiken zu informieren, ihn also ganzheitlich zu beraten. Die Beratung sollte in ausreichendem Umfang erfolgen, sodass sich der Arzt genug Zeit nimmt und seine Expertise möglichst verständlich vermittelt. Des Weiteren zählt eine gewisse Empathie zu den Grundprinzipien einer kommunikativen Beratung, indem der Arzt die Erwartungen und Gedanken des Patienten erfragt und berücksichtigt (Bundesärztekammer 2015). Neben einer kommunikativen Beratung sollen Patienten mit entsprechenden Informationen versorgt werden. Das bedeutet eine Bereitstellung von Informationen, die laut BPI qualitativ hochwertig und leicht zugänglich sind (BPI 2016). Die BÄK fügt hinzu, dass die Informationen individuell auf den Patienten zugeschnitten sind und er diese in Inhalt und Sprache versteht. Zusätzlich sollten Patienten auch über mögliche Selbsthilfegruppen oder Patientenberatungsstellen informiert werden (Bundesärztekammer 2015; KBV 2015).

5.5.3 Perspektive (Gesetzlicher) Krankenkassen Patientenorientierung hat auch bei den Krankenkassen Einzug gefunden; laut GKV-­ Spitzenverband steht Patientenorientierung „im Fokus von Qualitätssicherungsmaßnahmen“. Die Eruierung der Patientenperspektive soll dazu dienen, Schwachpunkte der Versorgung herauszufinden und im Zuge dessen das Wohlbefinden und den direkt damit verbundenen Behandlungserfolg (Outcome) zu verbessern (GKV-Spitzenverband 2012). Der GKV-Spitzenverband fördert die Patientenorientierung durch Unterstützung von Patienten- und Verbraucherberatungen; so zum Beispiel durch die Förderung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), bei der sich Patienten qualitätsgesichert und ohne Gebühr informieren können, um ihr Sachverständnis in gesundheitlichen Belangen auszuweiten (GKV-Spitzenverband o. J.). Des Weiteren können Krankenkassen ihren Mitgliedern selbst zugeschnittene Gesundheitsinformationen bereitstellen. In besonderem Maße kann dies durch das Versorgungsmanagement (vgl. § 11 Abs. 4 SGB V) erfolgen. Jede Krankenkasse kann dies jedoch unterschiedlich ausgestalten, was sich u. a. schon daran zeigt, ob eigene Pflegeberater vorgehalten werden oder nicht. Versorgungsmanagement beginnt spätestens dort, wo Patienten nach einem Entlass-Management nach § 39 Abs. 1a SGB V in der ambulanten Versorgung angekommen sind. Eine weitere Maßnahme stellen Befragungen zur Qualitätssicherung dar; neben den Patientenbefragungen, mit denen gemäß §  137a SGB V das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im ­Gesundheitswesen (IQTIG) vom G-BA beauftragt ist, führen auch Krankenkassen Patientenbefragungen durch, so zum Beispiel die AOK, Barmer und die Techniker Krankenkasse (GKV-Spitzenverband 2012). Krankenkassen sind primär dafür verantwortlich, dem Patienten im Rahmen seiner Beitragszahlung die eingeschlossenen Leistungen zu bieten bzw. zu erstatten (BMG 2017). Darüber hinaus können sie Informationen bereitstellen und sich für eine Ausweitung der Leistungserstattung, gemäß den Präferenzen ihrer Mitglieder, einsetzen. Zusammenfassend verfügen sie allerdings nicht, wie die Leistungserbringer, über eine Bandbreite direkter Maßnahmen, um Patientenorientierung zu erreichen.

5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

5.6

99

Schlussbetrachtung

Der vorliegende Beitrag macht deutlich, dass die Patientenorientierung als Zielkriterium zunehmend Einzug in die verschiedenen Versorgungsbereiche gehalten hat und alle Akteure die Aktivitäten dahingehend stärker in den Blick nehmen. Handlungsleitend sollte dabei ein nutzenorientiertes Vorgehen sein. Die Digitalisierung wird hier in den kommenden Jahren als Katalysator mit Sicherheit noch verstärkt Impulse senden und das System zunehmend verändern. Der Beitrag der Industrie ist dabei zunehmend ein kundengetriebener Ansatz und er ist gekennzeichnet durch eine wachsende individualisierte und personalisierte Prägung der Produkte. Echte Patientenorientierung ist in diesem Bereich, frei von Marketing- und Vertriebsgedanken, ein langfristiger Prozess, der nur auf Augenhöhe und im dauerhaften Dialog gelingen kann.

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5  Patientenorientierung im Gesundheitswesen

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Dr. Matthias J. Kaiser  ist seit November 2017 Geschäftsführer für die neu zu errichtende Fakultät 7: Food, Nutrition and Health am Standort Kulmbach (Campus Kulmbach der Universität Bayreuth). Seit Dezember 2014 war er zunächst als akademischer Rat am Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing der Universität Bayreuth tätig und beschäftigt sich seitdem im Rahmen seiner Habilitation mit innovativen Ansätzen und erfolgsbeitragenden Faktoren im Kontext des Pharma-Krankenkassen-Dialogs. Sein Forschungsinteresse konzentriert sich insbesondere auf Dialogtreiber im Market Access des Gesundheitswesens. Zuvor war er dreieinhalb Jahre als Research Manager bei einer international tätigen Managementberatung für Marktforschungs- und Beratungsprojekte im Bereich Marketing & Vertrieb im Kompetenzzentrum Healthcare/Pharma mitverantwortlich. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Brandenburgischen TU Cottbus und promovierte im Anschluss in den Bereichen Zukunftsforschung und Neue Medien. Dr. Katja Gehrke  ist beim Bundesverband der pharmazeutischen Industrie seit mehr als 13 Jahren als Geschäftsfeldleiterin „Strategische Grundsatzfragen Gesundheitswesen“ mit dem besonderen Schwerpunkt der ambulanten Arzneimittelversorgung sowie -steuerung tätig. Im Mittelpunkt steht dabei die Weiterentwicklung der einzelnen Akteure im Gesundheitssystem und deren Rahmenbedingungen unter strategischen und „Best-Practice“ Gesichtspunkten. Neben gesamtwirtschaftlichen Aspekten fließen ökonomische, organisatorische, strukturelle sowie gesetzliche Aspekte in die Arbeit ein. Ein interdisziplinärer Dialog mit den vielfältigen Beteiligten ist daher essenziell, um das System zu verstehen und darin gemeinsam zum Wohle aller zu arbeiten. Zuvor war sie an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre tätig. Ihre Lehrtätigkeit führt sie nebenberuflich teilweise mit verschiedenen Themen und Formaten an verschiedenen Einrichtungen weiter. Sie promovierte an der TU Berlin nach einem Auslandsjahr in Brüssel an der Université Libre de Bruxelles. Karin Agor M.A. M.Sc.  leitet den Vertragsbereich der KNAPPSCHAFT, Regionaldirektion Hamburg. Den Fokus ihrer Arbeit setzt sie auf Selektivverträge und das Versorgungsmanagement. Sie ist seit vielen Jahren im Gesundheitswesen tätig und kennt die unterschiedlichsten Perspektiven der jeweiligen Akteure. So war sie zuvor bei einem Beratungsunternehmen für Leistungserbringer und Kostenträger tätig sowie bei einer obersten Gesundheitsbehörde in der Krankenhausplanung, dem gesundheitlichen Katastrophenschutz und der Apothekenüberwachung. Als Expertin für innovative Versorgungsansätze und intersektorales Management geht sie Vortragstätigkeiten auf Kongressen, Workshops und an Hochschulen nach.

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M. J. Kaiser et al.

Michaela Knapp, Diplom Betriebswirtin (FH)  ist seit 2012 bei LEO Pharma Deutschland GmbH als Managerin Patient Relations tätig. In dieser Position fungiert sie als „Schnittstelle“ zwischen LEO Pharma, Patienten, deren Angehörigen wie auch Patientenorganisationen. Im Mittelpunkt stehen ebenso der Aufbau von strategischen Partnerschaften und die Entwicklung von Beziehungen mit relevanten Stakeholdern wie Fachgesellschaften, Gremien, Verbänden und Experten im Gesundheitswesen auf nationaler und internationaler Ebene. Ein weiterer Punkt ist das Thema Patientenorientierung. Um relevante Informationen über die Aspekte Patientenbedürfnisse und Patientenverhalten zu erhalten, steht der Austausch mit allen Beteiligten im Vordergrund. Nur so können die Patientenversorgung und die Lebensqualität der Patienten langfristig verbessert werden. Michaela Knapp hat einen Abschluss in Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Werbung und Kommunikation. Sie ist seit 1993 in der Pharmabranche tätig und hat bei internationalen Unternehmen wie Hoechst, Aventis, Sanofi Aventis und Merck gearbeitet.

6

Value-based Health Care – Impulse und Implikationen für den deutschen Arzneimittelmarkt Ralph Tunder und Jan Ober

Inhaltsverzeichnis 6.1  A  usgangsidee  6.2  Hintergründe zum Value-based Health-Care-Konzept  6.2.1  Fehlgesteuerter Wettbewerb im Gesundheitswesen  6.2.2  Grundprinzipien von Value-based Health Care  6.2.3  Patientennutzen als Handlungsmaxime  6.2.4  Komplexitätstreiber als Hindernisse  6.3  Ansatzpunkte von Value-based Health Care im Kontext der Arzneimittelversorgung  6.3.1  Einzug von Value-based Health Care auf dem Arzneimittelmarkt  6.3.2  Das AMNOG im Lichte des Value-based Health-Care-Konzeptes  6.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 104  105  105  105  107  109  111  111  114  119  121

Zusammenfassung

Es ist nicht bekannt, ob die Forderung von Porter und Teisberg (2006) nach einer Neudefinition des Gesundheitswesens in den USA („Redefining Health Care“) postwendend zu einer Neuordnung des Arzneimittelmarktes in Deutschland (AMNOG) führte, gleichwohl sind konzeptionelle Anlehnungen erkennbar. Vorbehaltlich ethischer Aspekte modellieren Porter und Teisberg Patientennutzen als Saldo aus Patient Outcome und Kosten. Ziel ist es, diesen Saldo zu maximieren: „At its core is maximizing value for patients: that is, achieving the best outcomes at the lowest cost“ (Porter und Lee 2013, S.  50). Selbst wenn Porter et  al. in weiteren Publikationen nur ansatzweise

R. Tunder (*) · J. Ober Health Care Management Institute, EBS Business School, Oestrich-Winkel, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Tunder (Hrsg.), Market Access Management für Pharma- und Medizinprodukte, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26145-0_6

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R. Tunder und J. Ober

a­ ufzeigen, wie Patientennutzen und seine Maximierung valide zu operationalisieren bzw. zu messen sind, gehen von den Konzeptideen zu Value-based Health Care richtungsweisende Impulse auch für das deutsche Gesundheitswesen im Allgemeinen als auch für die Arzneimittelversorgung im Besonderen aus. Indizien dafür sind beispielsweise Standards und Institutionen im Zuge von Health Technology Assessment, die gesetzliche Verankerung einer nutzenorientierten Preisbildung (AMNOG) oder die Ideen zu Selektivverträgen. Eine weitergehende Verknüpfung des Value-based Health-­ Care-­Konzeptes mit dem AMNOG bringt jedoch auch zutage, dass noch Gestaltungsspielraum, zum Beispiel beim Bewertungszeitpunkt und -horizont sowie bei der Mischpreisbildung besteht.

6.1

Ausgangsidee

Zweifelsohne kann sich das deutsche Gesundheitssystem damit rühmen, dass die Eintrittsschwelle zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung für die Patienten relativ niedrig ist. Der Staat gewährleistet im Krankheitsfall eine bedarfsgerechte und medizinisch notwendige Gesundheitsversorgung (§ 70 SGB V). GKV-Versicherte können ihren Arzt frei wählen (§ 76 SGB V), und die Versorgung vor Ort ist de facto kostenfrei (Sachleistungsprinzip). Zusätzlich ermöglicht das Solidaritätsprinzip als zentrales Element der sozialen Sicherung im Krankheitsfall vielen Patienten eine Versorgung, die deren finanzielle Möglichkeiten weit übersteigen würde. Lediglich 0,1 % der Bevölkerung – inklusive der Privatversicherten – ist in Deutschland nicht krankenversichert (Statistisches Bundesamt 2016). Allerdings stellt sich die Frage, ob der gesetzlich garantierte, freie Zugang zu den Leistungen eines dichten Versorgungsnetzes schon den bestmöglichen Nutzen für den Patienten bedeutet (Porter und Guth 2012). Mit einem freien Zugang ist nämlich noch nicht garantiert, dass sich die Gesundheitsversorgung auch tatsächlich (nur) am Patientenwohl ausrichtet. Die Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens bringt mit sich, dass Partikularinteressen der einzelnen Akteure einen erheblichen Einfluss an der Ausgestaltung des Versorgungsnetzes haben. Die Reformvorhaben der letzten Jahre versuchten im Sinne des Gemeinwohls darauf korrigierend einzuwirken. Einen einheitlichen und allseits anerkannten Bewertungs- und Gestaltungsmaßstab für die Selbstverwaltung fehlt in Deutschland bislang. Porter und Teisberg sehen im Value-based Health-Care-Konzept den Schlüssel zu jenem effektiven Bewertungs- und Gestaltungsmaßstab, der sich ganz im Sinne des Patientennutzens optimal am Patientenwohl orientiert, ohne die Kosten auszublenden. Ausgangspunkt hierfür ist die Prämisse „[…] achieving value for patients must become the overarching goal of health care delivery“ (Porter 2010, S. 2477). In diesem Sinne sollte die Maximierung des Patientennutzens das handlungsleitende Ziel eines Gesundheitssystems sein. So selbstverständlich dieses Leitmotiv auch klingen mag, Porter und Guth (2012) konstatieren, dass sich bislang kein Gesundheitssystem konsequent am Patientennutzen ausrichtet. Zu sehr würden sich die Bemühungen auf die Versorgungs(teil)

6  Value-based Health Care – Impulse und Implikationen für den deutschen …

105

prozesse fokussieren, anstatt die Ergebnisqualität in den Mittelpunkt zu stellen. Der Versorgungsprozess sei aber nur Mittel zum Zweck für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung (Ergebnisqualität). Ohne an dieser Stelle eine Diskussion über die Maximierung des Patientennutzens führen zu wollen, werden im Folgenden die wesentlichen Leitgedanken und Gestaltungsideen des Value-based Health-Care-Konzeptes skizziert und Schlussfolgerungen für ein nutzenorientiertes Gesundheitssystem gezogen. Die Implikationen hieraus werden dann auf den Arzneimittelmarkt übertragen, um so das AMNOG aus der Perspektive des Value-based Health-Care-Konzeptes kritisch zu beleuchten.

6.2

Hintergründe zum Value-based Health-Care-Konzept

6.2.1 Fehlgesteuerter Wettbewerb im Gesundheitswesen Porter und Teisberg urteilen über den Wettbewerb im Gesundheitswesen, dass dieser fehlgesteuert ist, weil ausgewählte Marktteilnehmer von den Verlusten anderer Marktteilnehmer profitieren. Als Folge dieser Fehlsteuerung haben wir heutzutage ein von Partikularinteressen geleitetes Gesundheitssystem mit antagonistischen Beziehungen einzelner Marktakteure. Den gegenwärtigen Wettbewerb im Gesundheitssystem bezeichnen Porter und Teisberg deswegen als „zero sum competition“, der nur dann – in ihren Augen – zu einer „positive sum competition“ wird, wenn sich das Gesundheitssystem samt seiner Marktakteure (ausschließlich) an der Maximierung des Patientennutzens ausrichtet. Für die konkrete praktische Umsetzung eines nutzenorientierten Wettbewerbs („value-based competition“) formulieren Porter und Teisberg acht Grundprinzipien.

6.2.2 Grundprinzipien von Value-based Health Care Nachfolgend werden die acht Grundprinzipien von Value-based Health Care nach Porter und Teisberg (2006) überblicksartig vorgestellt, um ein Grundverständnis des Denkansatzes zu bekommen. 1. “The focus should be on value for patients, not just lowering costs.” Ein nutzenorientiertes Gesundheitssystem sollte am Patientennutzen – gemessen an der Relation von Patient Outcomes und investierten Geldeinheiten – ausgerichtet sein. Im Fokus stehen Effizienz und Effektivität der Versorgung, die nicht alleine über die Kosten abzubilden sind. Eine einseitige Kostenorientierung kann durchaus zu einem kurzfristigen Erfolg führen, langfristig können mit ihr jedoch auch Mehrausgaben verbunden sein (Stichwort: Investitionsstau). Deswegen gilt es, den Nutzen und die Kosten über den gesamten Behandlungs- oder Versorgungspfad zu erfassen und zu bewerten. Nur eine langfristige Betrachtung deckt den wahren Patientennutzen auf.

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R. Tunder und J. Ober

2. “Competition must be based on results.” Wettbewerb im Gesundheitswesen sollte anhand der konkreten Ergebnisse entschieden werden, etwa in Bezug auf die Patient Outcomes oder den Behandlungserfolg. Nur eine Orientierung an den Ergebnissen kann auch zu einem höheren Patientennutzen führen. Die Einhaltung von Prozessvorgaben und -standards dient dabei nur als Mittel zum Zweck und nicht etwa als wettbewerbsentscheidende Honorarbasis. 3. “Competition should center on medical conditions over the full cycle of care.” Wie bereits in dem ersten Prinzip postuliert, steht der gesamte Behandlungspfad einer Erkrankung im Fokus der Betrachtung. Dabei muss der Start- und Endpunkt des Behandlungspfades aus Sicht des Patienten für jedes Krankheitsbild abgegrenzt und alle Akteure und Prozesse entlang des Behandlungspfades organisiert werden. Dies erfordert ein Umdenken von einem verfahrenszentrierten und auf Teilprozesse fokussierten Denken hin zu einem integrierten und holistischen Krankheitsverständnis. 4. “High-quality care should be less costly.” Entgegen der vorherrschenden Meinung einer dichotomen Unterscheidung zwischen Kosten und Qualität argumentieren Porter und Teisberg (2006), dass höhere Qualität über die Zeit hinweg zu sinkenden Kosten führen kann. Zwar bedeutet ein höherer Qualitätsanspruch auch höhere Kosten, allerdings erhöhen eine frühzeitige und richtige Diagnose sowie Behandlung die Patient Outcomes und vermeiden dauerhaft überflüssige und ineffektive Behandlungen. 5. “Value is driven by provider experience, scale, and learning at the medical condition level.” Diesem fünften Prinzip liegt die Annahme zugrunde, dass eine stärkere Spezialisierung auf ein bestimmtes Krankheitsbild oder eine Behandlung zu höheren Patient Outcomes führt. Porter und Teisberg untermauern ihre Argumentation mit einem Vergleich von Mortalitätsraten nach ausgewählten Hochrisikooperationen in amerikanischen Krankenhäusern mit niedrigen und hohen Fallzahlen. Innerhalb dieses Vergleiches schnitten Krankenhäuser mit hoher Fallzahl signifikant besser ab. Dieses Phänomen ist natürlich auch in Deutschland bekannt. Bereits am 21.09.2004 legte der Gemeinsame Bundesausschuss ­(G-­BA) die erste Mindestfallzahl für die Implantation von Knie-Endoprothesen fest. 6. “Competition should be regional and national, not just local.” Wettbewerb im Gesundheitswesen sollte nicht nur lokal, sondern regional, national oder international stattfinden. Leistungserbringer sollten sich mit den besten Anbietern und

6  Value-based Health Care – Impulse und Implikationen für den deutschen …

107

höchsten Standards messen und nicht nur mit den nahegelegenen Anbietern. In diesem Sinne ist auch die Forderung nach stärkerer Spezialisierung und Vernetzung zur Erreichung höchster Standards und Exzellenz zu verstehen. 7. “Results information to support value-based competition must be widely available.” Weitere zentrale Voraussetzungen auf dem Weg zu einem nutzenbasierten Gesundheitssystem sind die Verfügbarkeit und Abrufbarkeit von Ergebnisinformationen. Dies beinhaltet Informationen zu Outcomes und Kosten über die gesamte Behandlungskette eines Krankheitsbildes hinweg und nicht nur zu ausgewählten Behandlungseinheiten. Hier kann der Einsatz von IT dazu beitragen, Informationen verfügbar zu machen und diese sektorenübergreifend zu integrieren. Die erhöhte Datenverfügbarkeit wiederum gewährleistet eine Vergleichbarkeit der Krankenhäuser untereinander. Dieser Vergleich sollte für Patienten zugänglich sein (Stichwort „access to the data“) und so Krankenhäuser transparenter in ein „wettbewerbliches Licht“ stellen (Porter und Guth 2012). 8. “Innovations that increase value must be strongly rewarded.” Das achte Prinzip hin zu einem nutzenorientierten Gesundheitssystem fordert ein Umdenken im Umgang mit Innovationen. Häufig wird der medizinische Fortschritt eindimensional als Kostenproblem gesehen, der mit ihm eventuell zu erzielende Mehrwert im Sinne eines Wohlfahrteffektes für Patienten und Gesellschaft folgt nachrangig. Um diese Verzerrung aufzulösen, sollten Innovationen durch einen Kosten-Nutzen-Vergleich über den gesamten Behandlungspfad eines Krankheitsbildes beurteilt werden, wobei die kumulierten Kosten mit den gesamten Patient Outcomes zu saldieren sind. Zusammenfassend stellt Tab. 6.1 die wesentlichen Unterschiede eines nutzenorientierten Gesundheitssystems zum gegenwärtigen System gegenüber.

6.2.3 Patientennutzen als Handlungsmaxime Das Kernelement des Value-based Health-Care-Konzeptes ist der Patientennutzen. Dieser ist definiert als erreichtes Behandlungsergebnis je ausgegebenen Euro und ist ergo ein Indikator für die Effizienz einer Behandlung (Porter 2010; Porter und Guth 2012). Der Patientennutzen errechnet sich aus der medizinischen Ergebnisqualität, die durch die Behandlung eines Krankheitsbildes erzielt wird, im Verhältnis zu den Kosten, die für das Erzielen der Ergebnisqualität aufgewendet wird (Deerberg-Wittram 2018). Visualisiert ergibt sich für den Patientennutzen folgende mathematische Formel:

V=

O C

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R. Tunder und J. Ober

Tab. 6.1  Traditionelles vs. nutzenorientiertes Gesundheitssystem Nutzenorientiertes Traditionelles Gesundheitssystem Gesundheitssystem Preisbildung -N  ach verkaufter Einheit - Relative Preise, die mit dem Nutzen korrelieren - Gebündelte Bezahlung/ Pauschale für Behandlungsepisode oder gesamte Behandlungskette eines Krankheitsbildes Erstattung - Nach Menge, Aktivität oder -N  ach Patienten-Outcome im Produkt Vergleich zu Alternativen -Z  usätzlich Nachweis der Regulatorische - Nachweis hoher klinischen Wirksamkeit Anforderungen Qualitätsstandards an die Herstellung, klinische Sicherheit gegenüber Vergleichstherapien für ein optimales Kosten-­ und klinische Wirksamkeit Nutzen-­Verhältnis gegenüber Placebo - Transparenz und Verfügbarkeit Daten und Dokumentation - Mangel an Messung und von Daten über Input Verfügbarkeit von Outcome-­ (Aktivitäten und Parametern, daher keine Produktmengen) und Performance-Messung möglich Outcomes - Integrierte und kollaborative Gesundheitssystemplanung - Fehlende Ausrichtung an Versorgung gegenwärtigen und zukünftigen - Budgetiert und ausgerichtet an Bedürfnissen den Bedürfnissen der - Fokus auf Kosten Bevölkerung - Sektorale Trennung - Zugang und universelle - Viele kleinere Krankenhäuser Abdeckung essenzieller (DEd /E&>h^^'ZP^^E ŝŽƐŝŵŝůĂƌͲYƵŽƚĞŶ

ARZT

STAKEHOLDER

Abb. 28.7  Geltungsbereiche unterschiedlicher Steuerungselemente und Einflussgrößen. (Quelle: Eigene Darstellung)

Einsatz, handelt es sich also in erster Linie um ein Krankenhaus- oder ein Retail-Produkt mit überwiegendem Einsatz im niedergelassenen Bereich? Zudem ist es wichtig zu berücksichtigen, ob – wie weiter oben beschrieben – die Zubereitung einer applikationsfähigen Injektions- oder Infusionslösung erforderlich ist oder nicht. Letzteres führt üblicherweise zu weiteren Beteiligten in der Lieferkette und bei der Bereitstellung der Therapie. Das transparente und bekannte System der Preisbildung nach Arzneimittelpreisverordnung im Retail-Bereich wird dadurch häufig um weitere Einflussgrößen erweitert. Die durch Rahmenvertrag und Hilfstaxe vorgegebene Preisbildung und Abrechnung der Parenteralia im niedergelassenen Bereich, die auch für zuzubereitende Biologika gilt, erlaubt den Offizin-Apotheken die Verhandlung des Apothekeneinkaufspreises („Netto-­Preis“). Die Marge wird dadurch wesentlich durch die Differenz zwischen Listenpreis und Netto-Preis bestimmt. Somit ist das Zusammenspiel von Listenpreis und Rabattstrategie eine maßgebliche Stellgröße im Umfeld der unterschiedlichen Stakeholder innerhalb der Lieferkette. Sofern eine Abrechnung als Fertigarzneimittel erfolgt, fällt diese Stellgröße weg. Die Krankenhausapotheke ist allein am Netto-Preis für die angeschlossene Einrichtung interessiert, sofern das Produkt primär bei der Behandlung von stationären Patienten zum Einsatz kommt, da hier die Abrechnung nach DRG und Zusatzentgelten erfolgt. Handelt es sich hingegen um eine Therapie, welche in der Ambulanz Anwendung findet, gelten prinzipiell ähnliche Mechanismen wie für Retail-Apotheken im niedergelassenen Bereich.

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Die Preis- und Rabattstrategie der Biosimilar-Anbieter ist daher derzeit eng an das Produktprofil gekoppelt, das den Versorgungssektor und damit die Interessen der verschiedenen Stakeholder definiert. Mit Inkrafttreten des AM-VSG im Frühjahr 2017 hat die Bundesregierung die Ausschreibung für Zyto-Verträge zwischen den Krankenkassen und ausgewählten zubereitenden Apothekern verboten, und der GKV-SV sowie der DAV wurden vom Gesetzgeber aufgefordert, die Hilfstaxe zum Ende August 2017 neu zu verhandeln. Diese Verhandlungen sind jedoch zunächst gescheitert, und im November 2017 wurde daher die Schiedsstelle angerufen. Sollte durch die Anpassung der Hilfstaxe die Bedeutung der Differenz zwischen Nettound Listenpreis geringer werden oder durch zukünftige Regelungen sogar wegfallen, wird sich die Preisgestaltung der Biosimilar-Anbieter sicherlich an diese neuen Gegebenheiten anpassen müssen.

28.5.2 Überlegungen zu den gesetzlich verankerten Steuerungselementen Die derzeit gültige Aut-idem-Regelung zu Biologika und Biosimilars (siehe oben) macht deutlich, dass die Wahl des initialen Therapeutikums zu einem möglichst günstigen Preis eine der wichtigsten Weichen zum Heben wirtschaftlicher Reserven für die Gesetzliche Krankenversicherung darstellt, denn im Laufe der Therapie findet ein Wechsel auf ein anderes Biosimilar oder ein Bioidentical bisher nur selten statt. Nicht verwunderlich ist daher die bisherige Strategie der Anbieter von Originalpräparaten, kurz vor Ende des Patentablaufs exklusive Rabattverträge abzuschließen, um sich den Status der Wirtschaftlichkeit im bald einsetzenden Preiskampf mit den Biosimilar-­ Mitbewerbern zu sichern. Hierdurch wurde auch nach Markteintritt von kostengünstigeren Biosimilars eine hohe Anzahl von Neueinstellungen auf das Originalprodukt generiert, denn die Verordner sind bisher nicht „gezwungen“, aus wirtschaftlichen Beweggründen auf Biosimilars auszuweichen. Dies mag einer der Beweggründe für den Gesetzgeber gewesen sein, im Rahmen des AMVSG die Möglichkeit kassenübergreifender Rabattverträge, verbunden mit einer Austauschpflicht, einzuräumen. Die weitere Entwicklung in diesem Bereich sollte sorgfältig beobachtet werden, da sie die passgenauen Markt Access-Strategien maßgeblich beeinflussen kann. Die GKV richtet ihren Fokus auf den in der „Lauer-Taxe“ genannten Listenpreis abzüglich der relevanten Abschläge und die produktspezifischen Einsparungen durch Rabatte. Unter dieser Prämisse sind auch Open-House-Verträge für die Krankenkassen von Inte­ resse, auch wenn sie nicht das vollständige Einsparpotenzial der Biosimilars heben. Alle Produkte, die Teil eines Open-House-Vertrages sind, gelten als wirtschaftlich, trotz der teilweise erheblichen Preisunterschiede. Wenn die Anbieter von Originalpräparat und Biosimilars dem Vertrag beitreten, entfällt der Anreiz, das kostengünstigste Präparat  – also zumeist das Biosimilar – zu verordnen, und der eigentliche Preiswettbewerb wird gehemmt.

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Haben sich bei Markteintritt bereits Open-House-Verträge etabliert, wäre es aus nachvollziehbaren Gründen ein eklatanter Wettbewerbsnachteil, nicht daran teilzunehmen. Obwohl der Beitritt zu einem Open-House-Vertrag für Biosimilar-Anbieter daher meist unvermeidlich ist, um „Waffengleichheit“ herzustellen, empfiehlt sich vor dem Beitritt grundsätzlich eine sorgfältige wirtschaftliche Überprüfung. Solange die Evidenz zur Unbedenklichkeit eines nicht medizinisch begründeten Austausches nicht vorliegt (Ausnahmen: Bioidenticals und Parallelimporte), kann das Steuerungselement „Rabattverträge für Biosimilars“ nicht wie bei den Generika greifen, denn die Substitution in der Apotheke ist nicht regelhaft möglich. Die Rabattvertragsstrategie der Biosimilar-Anbieter richtet sich erfahrungsgemäß stark an den Mitbewerbern und der Marktdynamik aus, sodass hier eine konsequente Marktbeobachtung dringend empfohlen wird. Wie oben erwähnt, haben einige wenige Krankenkassen bereits das Instrument der Selektivverträge in Indikationen mit hohem Verordnungsanteil an Biologika etabliert. Da die regionalen Biosimilar-Quoten auf KV-Ebene scheinbar keinen ausreichenden Anreiz für den erhöhten Einsatz der Biosimilars darstellen, ist es nur konsequent, die beiden Instrumente miteinander zu koppeln. Eine vertragliche Regelung zu Bonuszahlungen bei Einhaltung der Quote kann ein probates Mittel darstellen. Das Zusammenspiel der Beteiligten zur Erarbeitung innovativer Vertragsmodelle ist hier gefragt. Trotz nicht gegebener Austauschbarkeit der Biosimilars (siehe oben) hat der G-BA Festbetragsgruppenbildungen ermöglicht und u. a. 2017 das Stellungnahmeverfahren für den Wirkstoff Infliximab zum Festbetrag der Stufe  1 eingeleitet. Es ist angedacht, den Nicht-Austausch eventuell über die Substitutionsausschlussliste (Teil  B der Anlage  VII zur Arzneimittel-Richtlinie) zu regeln. Ob sich mit dieser Maßnahme tatsächlich Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen lassen oder der funktionierende Preiswettbewerb unterbunden wird, bleibt abzuwarten. Wie oben beschrieben, hat bei den Epoetinen der sehr früh installierte Festbetrag den Preisvorteil der Epoetin-Biosimilars unterbunden und damit eine gesunde Wettbewerbsbildung zumindest verlangsamt. Bei Infliximab hingegen haben sich bereits mehrere Biosimilar-Anbieter und somit auch ein starker Preiswettbewerb etabliert. Es gilt also zu beobachten, ob dieses Steuerungselement zukünftig regelhaft für die neu zu erwartenden Biosimilars zum Einsatz kommt, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt.

28.6 Fazit Onkologika, Immuntherapeutika und Anti-Diabetes-Therapien zählen zu den kostenintensivsten Indikationen im Gesundheitswesen. Allen drei Indikationsgebieten ist gemein, dass Behandlungsoptionen mit hochpreisigen Biologika mittlerweile zum therapeutischen Standard gehören. Auch die Weiterentwicklungen im Bereich der Biologika werden hohe Kosten mit sich bringen, und eine adäquate Finanzierung ist dringend notwendig. Dementsprechend hoch ist die Erwartungshaltung der Kostenträger, durch den Einsatz von Biosi-

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milars mögliche Einsparpotenziale zu verwirklichen. Gefördert wird diese Haltung auch durch anstehende Patentabläufe einer Reihe umsatzstarker Biologika und die damit zu erwartenden Markteinführungen weiterer Biosimilars. Kostenträger und Gesetzgeber sind daher in hohem Maße daran interessiert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die möglichst hohe und rasche Einsparungen ermöglichen. Allerdings besteht hierbei die Gefahr, den gewünschten Wettbewerb durch ungeeignete Steuerungsmaßnahmen frühzeitig zu unterbinden. Wenngleich der Einsatz von Biosimilars zu weiteren und bedeutenden Einsparungen führen wird, ist zu berücksichtigen, dass, bedingt durch die komplexen Herstellungsbedingungen und regulatorischen Rahmenbedingungen, die Kostenstruktur der Biosimilars nicht vergleichbar ist mit der der Generika. Vor dem Hintergrund der Erwartungen der Kostenträger, den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Anbieter von Biosimilars sowie den spezifischen Marktmechanismen ergeben sich spezielle Anforderungen an erfolgreiche Market Access-Strategien im Biosimilar-Markt. Um den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten gerecht zu werden, ist es unerlässlich, die Market Access-Strategie produktspezifisch und passgenau an das jeweilige Marktsegment zu adaptieren und die relevanten Entwicklungen zu antizipieren. Es ist vor diesem Hintergrund für die Anbieter von Biosimilars dringend erforderlich, mögliche Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und Erstattungsregeln laufend zu verfolgen, ebenso wie die Veränderungen in der Vertragslandschaft. Hohe Flexibilität, eine schnelle Anpassungsfähigkeit an die Marktgegebenheiten und vorausschauendes Handeln sind daher bei der Vermarktung von Biosimilars noch stärker gefragt als in anderen Segmenten des deutschen Gesundheitsmarktes.

Literatur Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). (2017). Biosimilars. 1. Aufl., Version 1.1, August 2017. https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Biosimilars.pdf. Zugegriffen am 10.12.2017. Glaeske, G., Höffken, K., Ludwig, W. D., Schrappe, M., Weißbach, L., & Wille, E. (2010). Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Bremen. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/redaktion/pdf_allgemein/Gutachten_Sicherstellung_einer_effizienten_Arzneimittelversorgung_in_der_Onkologie.pdf. Zugegriffen am 10.12.2017. Jeske-Saathoff, E., & Kuklinski, S. (2017). Anreizsysteme für Biosimilar in den KVen – Kann man mit Biosimilars sparen? Kompendium Biosimilars, 2017(2), 29–32. Pro Generika e.V. (Hrsg.). (2017) Handbuch Biosimilars 2017. Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars. http://probiosimilars.de/presse/handbuch-biosimilars-2017-2/. Zugegriffen am 10.12.2017. Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO). (2017). Einsparpotenzial von Biosimilars bleibt zu drei Vierteln ungenutzt. Pressemitteilung vom 27. Juli 2017. https://www.wido.de/fileadmin/ wido/downloads/pdf_pressemitteilungen/wido_arz_pm_biosimilars_0717.pdf. Zugegriffen am 12.12.2017.

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Dr. Christian Bach  hat an der Justus-Liebig-Universität in Gießen Chemie studiert und im Anschluss in Virologie promoviert. Er arbeitet seit 1995 im Gesundheitsbereich und war lange Jahre in den Bereichen Sales und Marketing in leitenden Positionen tätig. Er startete seine berufliche Laufbahn bei Baxter Healthcare im Bereich Medizinprodukte mit Schwerpunkt auf den Indikationsgebieten Onkologie, HIV und zystische Fibrose. Später baute er bei IMS HEALTH den Bereich Onkologie auf. Seit 2009 arbeitet Christian Bach bei Mundipharma in Deutschland. Dort ist er aktuell verantwortlich für die Bereiche Market Access, Health Politics und Business Development. Jörg Herbst  hat an der Universität Bayreuth sein Biologiestudium mit dem Diplom abgeschlossen und war im Anschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Er arbeitet seit 1993 im Bereich der Pharmaindustrie, zunächst in Positionen im Vertrieb, später in der Gesundheitspolitik. Nach Stationen bei Altana Pharma und Nycomed arbeitet Jörg Herbst seit 2015 bei Mundipharma. Dort ist er aktuell im Bereich Health Politics verantwortlich u. a. für Biosimilars. Iris Kruiskamp-Kuls  studierte Mineralogie an der Technischen Hochschule Hannover, zudem legte sie die Prüfung zur Pharmareferentin an der IHK Schleswig-Holstein ab. 2003/2004 absolvierte sie das berufsbegleitende Zusatzstudium zum Health Manager Pharma (HMP®) an der Hochschule Hannover – University of Applied Science and Arts. Ihr Werdegang in der Pharmaindustrie umfasst sowohl Positionen im Vertrieb als auch im Gesundheitspolitischen Außendienst sowie als Medical Science Liaison Manager. In ihrer derzeitigen Funktion als Senior Project Manager Market Access bei Mundipharma Deutschland ist sie unter anderem mit der Entwicklung und Umsetzung von Marktzugangsstrategien betraut.