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German Pages [309] Year 2022
Birgit Schwarz
maldadadix
Otto Dix und die Dada-Malerei 1919 bis 1922
Birgit Schwarz
maldadadix Otto Dix und die Dada-Malerei 1919 bis 1922
Böhlau Verlag Wien Köln
Gedruckt mit Unterstützung durch die Otto Dix Stiftung, Vaduz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau Verlag, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Otto Dix, Streichholzhändler, 1920, Staatsgalerie Stuttgart Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz und Layout: Bettina Waringer, Wien Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com 978-3-205-21606-3
„Kunst ist: Kunst nicht zur Kunst zu machen!“ (Erwin Schulhoff)
„Dada ist auf alles anwendbar, und dennoch ist es nichts, es IST der Punkt, wo das JA und das NEIN zusammentreffen.“ (Tristan Tzara)
„Das Denken ist beim Malen das Malen.“ (Gerhard Richter)
Inhalt 11 Vorwort 13
Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion 13 16 19 24 26
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Der Neubeginn 1919: Reloaded 31 34 35 41 43 47 49 51
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Start als freischaffender Künstler Die Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ Eine Fälschung mit Folgen Eine widersprüchliche Positionierung Die Gründungsausstellung der Gruppe 1919 Ein misslungener Start? Leda mit dem Schwan Violas „Salon“
Dix und Philosophie 57 61 63 66 67
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Dadadix in DDR und BRD Dadadix als Akademiker Richard Guhr als Problem Die Modernität der Kunstgewerbeschule Die Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold
Romantiker Dix Der missverstandene Nietzscheaner Eine monistische Nietzsche-Auslegung Philosophie als Gesprächsdisziplin Kosmisches Prä-Dada
Malerei und Musik 73 79
Der „Olymp“ in der Ostbahnstraße Grammophon und Farbklavier, Farben-Hören und Musik-Sehen
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Der Berliner Input 87 89 92 93 97
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Erste Kontakte zu George Grosz Berliner Anti-Expressionismus Sezession vom Dresdner Expressionismus Ein erster Auftritt Dadas in Dresden Das Dresdner Feuilleton in Aufruhr
Der dadaistische Impuls 99 102 104 106 109 110
Die bruitistische Collage Revolution und Musik Rhythmus als Kunstprinzip Das Scheitern der Kunstpolitik Erste Propaganda als Dadaist Eine Dada-Performance
113 Dix – Erfinder des Illuminismus 113 Erkenntnis durch Tanz 117 Dadagraphien 119 Dix’ Dada-Motti 123 Das Manifest des Illuministen 126 Dada-Universität Dresden 131 Anti-Illusionsmalerei 131 132 134 136 138
Ein Dada-Atelier Die Kriegskrüppel Dix als Schildermaler Dada und die Tradition Neuer Wind in Dresden: P. Ferd. Schmidt
143 Dix und Felixmüller 143 Felixmüllers Austritt 145 Die Dresdner Dada-Soiree 146 Felixmüllers Dix-Artikel 149 Der Streichholzhändler 153 Die „pornographischen Dinger“
159 Monteur Dix 159 159 161 166
Ich Dix Akrobaten am Trapez Altar für Cavaliere Dada-Premiere in Berlin
173 Dix auf der Dada-Messe 173 175 176 177 179
Eine dadaistische „Monstre-Schau“ Die Kriegskrüppel Bewegliches Figurenbild Fleischerladen Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld
181 Maldadadix in Dresden 181 Die dritte Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ 183 Die Skatspieler 186 Die Barrikade 189 Prager Straße 194 Verrat an der Kunstrevolution? 195 Der Radio=Dada Dix 198 Die Krise des politischen Dadaismus 203 Collage-Gemälde 205 Die Grobeka 1921 211 Dix und Düsseldorf 211 212 213 216 219 221
Erste Erfolge im Rheinland Der Dix-Artikel im Ey Düsseldorfer in Dresden Dix zu Besuch in Düsseldorf Ein Dada-Revival Erste Gemäldeausstellungen
225 Abschied von Dresden 225 229 230 232 236 238 240 245
Die Frühjahrsausstellung 1920 der Dresdner Sezession Die Übersiedelung ins Rheinland Dada nach Dada Ilse Fischer: Der Dadaist (Otto Dix) Die Kunstwelt solidarisiert sich Der Unzuchts-Prozess An die Schönheit Das Schicksal der Dada-Werke
247 Dada-Malerei als nietzscheanische Malerei 255 Anhang: Zeitgenössische Schriften zu Dada und Otto Dix 271 Quellen und Literatur 271 271 277
Unveröffentlichte Quellen Sammlungs- und Ausstellungskataloge Verzeichnis der übrigen Literatur (außer Artikel in Tageszeitungen)
301 Abbildungsnachweis/Copyright 303 Personenregister
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung entdeckt Otto Dix als Dadaisten neu. Dies mag erstaunen angesichts des Umstandes, dass Dada-Werke wie Die Skatspieler (Neue Nationalgalerie, Berlin), Prager Straße (Kunstmuseum Stuttgart) und Streichholzhändler (Staatsgalerie, Stuttgart) zu den ikonischen Kunstwerken des 20. Jahrhunderts gehören. Gleichwohl gilt Dix heute nicht als Dada-Maler, sondern als Hauptexponent der Neuen Sachlichkeit. Die grundlegende Dix-Monografie von Fritz Löffler, zwischen 1960 und 1989 in mehreren Auflagen in der DDR erschienen, die das Dix-Image fundamental geprägt hat, setzt Dada mit Collage gleich und marginalisiert Dada zu einer Übergangsphase zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Dies war nicht immer so. Für den Zeitgenossen und eminenten Kenner des Werks, Paul Ferdinand Schmidt, stellten die Jahre von 1919 bis 1922 den Höhepunkt im Schaffen von Otto Dix dar. Und damit stand der Verfasser der ersten kleinen Dix-Monografie von 1924 nicht allein; andere Zeitgenossen und Wegbegleiter wie Will Grohmann oder Carl Einstein haben das ähnlich gesehen. Der Imageumbruch war nicht zuletzt Folge eines dramatischen Werkverlustes. Denn gerade die künstlerische Stärke und provokative Kraft der Dada-Werke führte dazu, dass ein Großteil davon in direkter und indirekter Folge der NS-Kunstpolitik vernichtet wurde bzw. verschollen ist. Das Gemälde Die Kriegskrüppel, 1920 auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin ausgestellt, wurde 17 Jahre später auf der NS-Femeausstellung Entartete Kunst in München an den Pranger gestellt; sein Verbleib ist unbekannt. Eine Katastrophe war der Verlust des Schützengrabens, Dix’ dadaistisches Hauptwerk und ein künstlerisches Ausnahmewerk von historischer Bedeutung, ebenfalls auf der Münchner Femeausstellung zur Schau gestellt und ebenfalls verschollen. Den zahlenmäßig größten Verlust traf das Dada-Œuvre jedoch 1950 in der DDR, als in einer der wohl absurdesten Vernichtungsaktionen der Kunstgeschichte mehrere Gemälde am Auslagerungsort vernichtet wurden. Alles in allem dürften an die zwanzig Werke der hier behandelten Schaffensphase verloren sein, einige davon blieben ohne fotografische Dokumentation und fehlen auch im 1981 erschienenen Werkverzeichnis. Die NS-Kunstpolitik hat nicht nur das Dada-Werk im Kern getroffen, sie hat auch die Erinnerung an Dada-Dresden fast vollständig ausgelöscht: Wichtige Repräsentanten und Zeitzeugen wie der jüdische Pianist und Komponist Erwin Schulhoff und seine Schwester Viola wurden im Holocaust ermordet. In Ateliergemeinschaft mit dem bedeutendsten Exponenten der Dada-Musik prägte Dix sein Selbstverständnis als MalDadaist aus. Die Geschichte wäre anders geschrieben worden, hätten Erwin und Viola,
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Vorwort
mit der Dix 1919 ein Liebesverhältnis verband, die Schoah überlebt und wären im kulturellen Leben der Nachkriegszeit präsent gewesen, wie dies für andere Dadaisten zutrifft. Erst mit Schulhoffs Wiederentdeckung durch die Musikgeschichte in den 1990er Jahren wurden mit seinem Nachlass neue Quellen zu Dada-Dresden erschlossen. Die künstlerisch höchst produktive Ateliergemeinschaft wird hier erstmalig rekonstruiert. Rekonstruiert wird auch der weitgehend verlorene Werkkomplex der „Bilder aus Stoff, Blech Holz, bewegliche aufklappbare verschiebbare“ (Dix), und damit Dix als Dada-Monteur. Zudem wird sein Manifest des Illuministen identifiziert und analysiert. Mein spezifisches Interesse gilt insbesondere „Maldadadix“, wie sich Dix selbst nannte, also dem malenden Dadaisten und seinen Werken. Dazu greife ich über den Werkkomplex der 1919/1920 entstandenen Gemälde mit Collage-Elementen hinaus. Meine Untersuchung schließt die Jahre 1921 und 1922 und damit die von der Kunstgeschichte gemeinhin als Verismus bezeichnete Schaffensphase mit ein. Dazu legitimiert sehe ich mich durch Dix selbst, der sich als Mal-Dadaist definierte und sich noch 1922 als solcher propagieren ließ. Den Untersuchungszeitraum grenzen zwei biografische Zäsuren ein: Dix’ Neubeginn nach dem Ersten Weltkrieg im Januar 1919 in Dresden und die Übersiedlung nach Düsseldorf im Herbst 1922. Er umfasst damit die Jahre der aktiven Mitgliedschaft in der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, so dass auch die Geschichte der Künstlergruppe weiter- und in wesentlichen Aspekten umgeschrieben wird. Eine Abhandlung über Dix als Dadaist ist ein dringendes Desiderat. Zwar haben Diether Schmidt, Hanne Bergius und Roland März für die Aufarbeitung des Dix’schen Dada-Werkes viel geleistet und Sabine Peinelt für Dada-Dresden 2010 eine Übersicht vorgelegt. Ich selbst habe verschiedentlich auf die zentrale Bedeutung und umfassende Wirkung hingewiesen, die Dada für Dix’ Schaffen und seine Karriere hatte. Die in diesem Zusammenhang in Aussicht gestellte eingehende Aufarbeitung lege ich hiermit vor. Die Herausforderung meiner Untersuchung besteht darin, Dix von Dada her und Dada von Dix her neu zu denken. Für Hilfe und Unterstützung danke ich Helene Adkins, Berlin, Birgit Dalbajewa, Dresden, Lothar Fischer, Berlin, Babette Hartwieg, Berlin, Ulrike Lorenz, Weimar, Holger Peter Saupe, Gera, Johannes Schmidt, Dresden, Peter Schneider, Trier, Sebastian Schütze, Wien, Petra Lammers-Schütze, Köln/Wien, Michael Viktor Schwarz, Wien, Lioba Theis, Wien, und Werner Preissing, Mainz/Quimper. Ein besonderer Dank gilt der Otto Dix Stiftung, Vaduz, und ihrem Präsidenten Rainer Pfefferkorn für die Zurverfügungstellung von Abbildungsvorlagen und die finanzielle Unterstützung der Drucklegung.
Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
Dadadix in DDR und BRD Wir sind über die Jahre 1919 bis 1922, die sogenannte zweite Dresdner Zeit von Otto Dix, vergleichsweise schlecht informiert. Prägend wirkt bis heute die 1960 in der DDR erschienene Monografie des Dresdner Kunsthistorikers Fritz Löffler, die bis 1989 sechs Auflagen erfuhr.1 Sie ist ein Standardwerk, das ohne jegliche Anmerkung auskommt. Als seine Quelle benannte der Autor nicht den Maler selbst, sondern dessen Intimus Otto Conzelmann (1909–1992), Professor am Eberhard-LudwigsGymnasium in Stuttgart. Für die erweiterten Auflagen, die nach Dix’ Tod erschienen, dankte Löffler im Nachwort der Witwe Martha Dix, die ihm Zugang zum Nachlass gewährt hatte.2 Ursprünglich hatte Dix eine Monografie mit Otto Conzelmann geplant. Erste Überlegungen, diese in der DDR zu publizieren, wurden Anfang 1951 wieder aufgegeben, da dort – so Dix – gegen ihn „Attacken geritten“ würden.3 Tatsächlich war Abb. 1: Erich Andres, Otto Dix und das Verhältnis der jungen DDR zu ihrem berühmten Sohn an- Fritz Löffler in Hamburg, Foto, Aufnahme Dezember 1966 fänglich alles andere als harmonisch. 1950 war ihm der Nationalpreis verweigert worden, 1951 hatte das Zentralkomitee der SED den „Kampf gegen den Formalismus in der Kunst und Literatur“ beschlossen. „In der Folge etablierte sich das doktrinärste Kapitel in der wechselvollen Kulturpolitik der DDR, in dem ein grotesk eingeschränkter Realismusbegriff“, so Ulrike Lorenz, gegen die Moderne zum Einsatz kam. 1953 wies man Dix’ Gemälde Former II aus der Dritten Deutschen Kunstausstellung in Dresden zurück und schmähte ihn im Verbandsblatt.4 1 2 3 4
Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 1. Aufl. 1960 – 6. Aufl. 1989. Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 5. Aufl. 1983, S. 427. Otto Dix an Otto Conzelmann, 17.02.1951, s. Dix, Briefe, S. 582. Rüdiger, Skeptisch, S. 42–43; zum Verhältnis Dix–DDR s. auch Löffler, Otto Dix. Bilder zur
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Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
Doch das Verhältnis verbesserte sich, vermutlich mit Unterstützung der Deutschen Akademie der Künste (Ost). Die Vorgänge sind bisher noch nicht untersucht. 1956 wurde Dix jedenfalls zum Korrespondierenden Mitglied berufen. Im Februar 1955 erteilte er Fritz Löffler die Zustimmung zum Buch.5 Er zog damit auch die Konsequenz aus den Schwierigkeiten, einen westdeutschen Verlag zu einer Monografie zu bewegen. Im Februar 1957 äußerte er sich Otto Conzelmann gegenüber resigniert: „Ich bin überzeugt, daß man sich hier im Westen niemals entscheiden wird, ein Buch über mich herauszubringen.“6 Löffler war sicherlich der beste Kenner des Werks, denn er arbeitete seit 1927 am Œuvre-Verzeichnis des Malers.7 Mit seiner Wahl wollte Dix aber auch eine positive Darstellung seines Werks sicherstellen sowie eine politisch-ideologische Instrumentalisierung verhindern, wie einem Brief an die Akademie zu entnehmen ist: „Nun denke ich doch, daß es in Ihrem Sinne ist, daß der Leser einen absolut positiven Eindruck von dem Werk erhält, wie es ja auch vom Künstler als ganz positiv geschaffen wurde. Ansonsten würden die Leute ja nur verwirrt. Deshalb schlage ich vor, daß Löffler das macht.“8 1957 veranstaltete die Deutsche Akademie der Künste eine umfassende Retrospektive mit 108 Gemälden und zahlreichen Arbeiten auf Papier, mit Stationen in Ost-Berlin und Dresden. Sie brachte Dix den Durchbruch als Leitfigur der DDR-Kunstgeschichte.9 Dort wurden mit Doppelbildnis Dix-Günther, Sulaika, das tätowierte Wunder und Streichholzhändler drei Dada-Werke gezeigt, aber nur letzteres, aufgrund seiner Collagenelemente, als dadaistisch eingestuft. Denn die SED übernahm die Position der KPD aus der Weimarer Republik und lehnte den Dadaismus ab.10 Entsprechend relativierte der Katalogtext die Bedeutung von Dada und verwies für die nicht ausgestellten „Montagebilder“ Die Skatspieler, Die Kriegskrüppel und Die Barrikade auf eine „formale Anlehnung an den Expressionismus, den Kubismus“.11 Vor allem aber deutete der Katalog Dadas Maxime von der Annäherung der Kunst an die Realität zu einem anti-dadaistiBibel, S. 122–123; Offener Brief Fritz Löfflers an einen Leser der Tageszeitung Die Union, 22.12.1981, in: Löffler, Dresden. Vision einer Stadt, S. 290; Zeller, Otto Dix und die Öffentlichkeit. 5 Otto Dix an Fritz Löffler, 15.02.1955, s. Dix, Briefe, S. 650–651. 6 Otto Dix an Otto Conzelmann, 29.02.1957, s. Dix, Briefe, S. 664–665. 7 Bei dem Bombenangriff auf Dresden 1945 verbrannten Löfflers Kartothekkarten; s. Walther, Fritz Löffler, S. 153. 8 Otto Dix an die Deutsche Akademie der Künste (Ost), 20.07.1956, s. Dix, Briefe, S. 895. 9 Kat. Berlin (Ost) 1957; Frank, Otto Dix und die DDR. 10 Böhnki, Dada-Rezeption in der DDR-Literatur, S. 12ff. 11 Otto Dix. Leben und Schaffen. Chronologischer Überblick, in: Kat. Berlin (Ost) 1957, S. 89–96, hier S. 90; das Gemälde Die Skatspieler ist nicht 1919, sondern 1920 entstanden, s. Anm. 582.
Dadadix in DDR und BRD
schen Merkmal um: Realismus wurde so zum angeblichen Beleg der Abwendung von Dada. Diese massive Manipulation diente dazu, Dix zum Vorläufer des Sozialistischen Realismus zu machen und damit als Leitfigur der DDR-Kunstgeschichte zu etablieren. Fritz Löffler übernahm in seiner Dix-Monografie die von der Ostberliner Retrospektive vorgegebenen Prämissen, aber im von Dix erhofften nicht-ideologischen Sinne und mit der Mahnung, die „gesellschaftskritische Haltung von Dix“ nicht zu simplifizieren. Dix lobte das Buch als „ein unübertreffliches Nachschlagewerk […] für alle, die mal später etwas schreiben wollen.“12 So ist es dann auch gekommen: Löfflers Otto Dix. Leben und Werk wurde prägend, die Marginalisierung Dadas zur kurzen Experimentierphase ohne langfristige Folgen für das Gesamtschaffen setzte sich als Deutungsmuster durch.13 Die „westdeutsche“ Monografie von Conzelmann, die 1959 dann doch in Hannover erschien, verhielt sich anders. Der Autor wies Dada eine größere Bedeutung und längere Dauer zu und erwähnte auch die beweglichen Bilder: „Aufgeklebte Teile beherrschen lange Zeit seine Bilder, vorübergehend verwendet er sogar Figuren, die von der Bildfläche um eine Achse drehbar angebracht sind, und Einzelheiten im Kunstpostkartenstil stehen immer wieder auf dem Grund der Silberfolie.“14 Eine Konkurrenz für Löfflers umfassende Darstellung zu Leben und Werk des Malers, die im Jahr darauf erscheinen sollte, konnte das Buch freilich nicht sein, denn der Text hatte gekürzt werden müssen, so dass es den Charakter eines Bildbandes annahm. Conzelmann sollte später sogar Zensur durch den Verlag beklagen, insbesondere was den Einfluss von Friedrich Nietzsche anging. Der Verleger habe ihm geschrieben: „Grundsätzlich lehnen wir die Gedankenwelt Nietzsches ab und möchten auf keinen Fall das Schaffen von Dix auch nur in Teilen gedeutet durch das Werk dieses Philosophen sehen.“15 Auch Diether Schmidt gestand dem Dadaismus in seinem fast zwanzig Jahre später ebenfalls in der DDR erschienen Buch Otto Dix im Selbstbildnis größere Bedeutung zu und verwies als spezifisch dadaistische Errungenschaften auf „das wandelbare, aufzuklappende Bild“. Zudem habe Dix „an Stellen, wo im Bild dargestellte Verwundete ihre Wunden zeigen“, die Leinwand durchstoßen und die Löcher mit blutigen Farben „umkrustet“.16 Vor allem betonte Schmidt die Langlebigkeit des Effekts: „Dadaistische Elemente wirken noch weit in die zwanziger Jahre hinein in Dix’ Kunst nach, in der Verwendung kitschiger Trivial- und Gebrauchskunst wie in der giftig-aggressiven Farbigkeit, die aus sorgfältig gestuften Grau- und Brauntönen hervorbricht, manchmal 12 13 14 15 16
Otto Dix an Fritz Löffler, Januar 1961, s. Dix, Briefe, S. 700. So z. B. Schubert, Dix, S. 15. Conzelmann, Dix, S. 19. Conzelmann, Der andere Dix, S. 212–213. Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 50.
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Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
aber übermächtig die ganze Bildfläche beherrscht.“17 Eine grundsätzliche Wende in der Bewertung Dadas wurde mit diesen eher beiläufigen Bemerkungen jedoch nicht eingeleitet.
Dadadix als Akademiker Die „große Genauigkeit“, die Dix dem Buch von Löffler attestierte, trifft gerade für das Jahr 1919 nicht zu. Das Kapitel „Neues Beginnen“ umfasst nicht einmal eine Druckseite und weist trotz der Kürze zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehler auf: „Noch während der kalten Februartage des Jahres 1919 erfasste Dix die Sehnsucht nach dem Atelier. Auf dem Trittbrett einer überfüllten Eisenbahn, ein kleines Selbstbildnis mit dem für die Stunde charakteristischen wie poesievollen Titel ‚Sehnsucht‘ unterm Arm, kehrte er nach Dresden zurück. Bei seiner alten Wirtin in der Elisenstraße fand er nach mehr als vierjähriger Abwesenheit den zurückgelassenen Besitz ungeschmälert vor.“ Die anekdotischen Details sollen Authentizität suggerieren, ein Anspruch, den die Kürze des Berichts und seine faktischen Fehler konterkarieren. Da Dix am 29. Januar 1919 bei der Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ dabei war, kann er schwerlich erst im Februar nach Dresden gekommen sein. Zudem trieb ihn sicherlich nicht die Sehnsucht nach dem Atelier, denn er hatte keines. Da er das Studium an der Kunstgewerbeschule vor dem Krieg abgeschlossen hatte und der Eintritt in die Kunstakademie erst zum kommenden Sommersemester, mithin zu Ostern 1919 möglich war, musste er vorläufig in seiner Stube malen, einem Zimmer zur Untermiete in der Ziegelgasse. Und ob er das Gemälde Sehnsucht fertig aus Gera mitbrachte oder erst nach seiner Ankunft vollendete, „konnten die Biographen noch zu Lebzeiten von Otto Dix nicht endgültig klären.“18 Eine kritische Textanalyse lässt nur den Schluss zu, dass Löffler bei der Abfassung weitgehend auf sich selbst gestellt war. Zum einen hielt sich Dix ganz grundsätzlich mit Selbstaussagen und Selbstdeutungen stark zurück, entsprechend seiner Devise „Maler male, rede nicht“.19 Zum anderen war eine Zusammenarbeit über die deutsch-deutsche Zonengrenze hinweg schwierig. Erschwerend kam hinzu, dass das persönliche Verhältnis von Künstler und Biograf distanziert war, ein „Zweckbündnis“ (Lutz Tittel).20 Dass es persönliche Hemmnisse gegeben hat, belegt der Umstand, dass die Monografie in den Auflagen, die nach Dix’ Tod erschienen, an Umfang zunahm. Das war der Koope17 18 19 20
Ebd., S. 66. Dalbajewa, Otto Dix in der Dresdner Galerie, S. 36. Zit. nach Rüdiger, Skeptisch, S. 46. Tittel, Dix – neu gesehen, S. 52.
Dadadix als Akademiker
ration von Martha Dix zu danken, die dem Autor Zugang zum Nachlass in Hemmenhofen gewährte. Allerdings blieb das Kapitel „Neues Beginnen“ fast unverändert. Der Nachlass im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg weist keine Dada-relevanten Dokumente auf. Sollte es welche gegeben haben, sind sie möglicherweise einer Säuberung seiner persönlichen Unterlagen zum Opfer gefallen, die Dix in Erwartung von Gestapo-Durchsuchungen nach der Entlassung aus dem Professorenamt 1933 durchführte. Jedenfalls musste Fritz Löffler für seine Ausführungen zu den Jahren 1919 bis 1922 stark auf eigene Erinnerungen zurückgreifen und führte die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in die Biografie ein; er sollte 1977 auch den ersten monografischen Artikel über die Künstlergruppe verfassen.21 Schon als Gymnasiast war er über seinen Kunstlehrer Will Grohmann mit der Gruppe in Kontakt gekommen; Dix hatte er am 27. Januar 1920 auf einem Ausflug der Künstlergruppe kennengelernt.22 Festzustellen bleibt, dass Löfflers Narrativ die Dix-Rezeption fundamental beeinflusst hat, denn der Autor füllte Wissenslücken mit anekdotischen Details einerseits und mit seinem großen Wissen zur Kulturgeschichte Dresdens andererseits. Im Kapitel „Dresden nach dem Kriege“ findet Dix nur einmal Erwähnung: „alle Mitglieder [der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“] waren fertige Künstler bis auf den Akademieschüler Otto Dix, der eben erst begonnen hatte, die Malklasse zu absolvieren.“23 Löffler prägte hier das Paradigma vom Anfänger, um Dix zum akademischen Maler zu adeln; dies entsprach sowohl seinem bürgerlichen Kunstverständnis als auch seinem persönlichen Dix-Bild.24 Die Akademisierung schien Löffler die Voraussetzung für die Etablierung des Malers in der DDR-Kunstgeschichte, denn sie entsprach der SED-Kunstdoktrin, nach der das Proletariat der rechtmäßige Erbe der bürgerlichen Kunsttradition sei. Für die uns hier interessierenden Jahre 1919 bis 1922 war das der falsche Ansatz: Dix war im Vollbesitz seiner künstlerischen Fähigkeiten, als er zum Sommersemester 1919 in die Dresdner Akademie aufgenommen wurde; die Grundkurse wurden ihm erlassen, er durfte direkt in den allgemeinen Malsaal eintreten, wo er prägend auf die anderen Studierenden gewirkt und „eine kubistische Epidemie“ hervorgerufen habe, wie er nicht ohne Stolz in einem Lebenslauf bemerkte.25 Er selbst staunte über seine Fähigkeiten: Er habe „nach 1918 entdeckt, das kann ich ja alles. Ich brauche es doch nur rauszuschmeißen.“26 Ähnlich urteilten Weggefährten wie Will Grohmann: 21 Löffler, Dresdner Sezession. 22 Löffler, Begegnungen und Erinnerungen, S. 9; s. auch: Schubert, Löfflers Arbeit für Dix; Walther, Fritz Löffler, S. 151. 23 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 1. Aufl. 1960, S. 18. 24 Löffler hatte Dix erst nach 1927 näher kennengelernt, nachdem dieser seine Professur an der Dresdner Akademie angetreten hatte, s. Löffler, Begegnungen und Erinnerungen, S. 9. 25 Dix, Lebenslauf, o. J. 26 Kinkel, Die Nackten und die Toten, S. 47.
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Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
„Der Umfang seiner Gestaltungskraft war von Anfang an erstaunlich, er konnte schon auf der Akademie einfach alles, und seine besten Freunde waren gerade darum in Sorge.“27 Persönlich blieb der Kriegsteilnehmer unter den meist jüngeren Mitstudenten ein Außenseiter; die biografische und künstlerische Distanz war zu groß. Sein ebenfalls aus Gera stammender Kommilitone Erich Drechsler erinnerte sich, Dix sei „eine sehr umstrittene Persönlichkeit“ gewesen, dessen Malerei „heftigster Kritik ausgesetzt war, auch seitens der ‚Professoren‘. Doch daraus schien sich Dix nichts zu machen.“ Er habe im Unterschied zu ihm als akademischem Anfänger „frei schaffen“ können, „also ganz nach seinem Ermessen“.28 Dix’ Selbstverständnis, seine Selbstdarstellung und die Außenwahrnehmung waren die eines Anti-Akademikers. Mit schwarzem Hut, rotem Hemd und ölfarbenbeschmiertem Feldwebelrock inszenierte er sich als wild-romantische Erscheinung und gefiel sich in Akademiker-Beschimpfungen: „Die Akademiker sind Banausen, wie sie im Buch stehen“, schimpfte er im Februar 1919 in einem Brief an Kurt Günther.29 Nach der Zwangspause im Krieg wollte Dix endlich große Werke, nämlich Gemälde schaffen, und dazu benötigte er ein Atelier. Die Miete für ein Privatatelier lag weit außerhalb seiner finanziellen Möglichkeiten und die Akademie bot den Arbeitsraum und die benötigte Infrastruktur. Einen Widerspruch zu seinem Selbstverständnis als Anti-Akademiker sah er darin nicht. Noch 1922 sollte er pro forma als „Meisterschüler“ Heinrich Nauens ein Atelier an der Düsseldorfer Akademie in Anspruch nehmen.30 Auf die Kritik seiner Düsseldorfer Freunde antwortete er mit „seiner Redensart: ‚Des is ja doch allens een Mist! Ich muß arbeten!!‘“31 Noch 1924 spekulierte er auf ein Akademieatelier in Berlin.32 Dieser für Dix typische Pragmatismus schließt keineswegs aus, dass Statusgründe für den Akademieeintritt eine Rolle gespielt haben. Dix wollte „Großes werden“.33 Und das bedeutete, akademischer Maler zu werden – und damit zwei Onkel und einen Vetter mütterlicherseits zu übertreffen, die Lithografen Albin und Friedrich Amann sowie den Kunstmaler Fritz Amann, der ein Studium an der Großherzoglichen Kunsthochschule in Weimar absolviert hatte.34
27 28 29 30 31 32 33 34
Grohmann, Dresden, S. 421. Drechsler, Erinnerungen an Otto Dix, S. 62. Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–453. Kat. Düsseldorf 1983, S. 46. Schreiner, Otto Dix, S. 111. Strobl, Malerkarriere, S. 109–110. Otto Dix an Hans Bretschneider, Anfang 1912, s. Dix, Briefe, S. 426. Rüdiger, Skeptisch, S. 13.
Richard Guhr als Problem
Richard Guhr als Problem Ein wesentlicher Grund für die Akademisierung von Dix durch Fritz Löffler dürfte Richard Guhr dargestellt haben, dessen Klasse Figürliche Dekorationsmalerei in der Kunstgewerbeschule Dix seit 1912 besucht hatte.35 Drei Mal pro Woche zeichneten die Studierenden dort ganz akademisch lebensgroße Akte nach Modell, wie von Otto Griebel überliefert, der Dix im Guhr’schen Malsaal kennenlernte.36 Das waren Vorarbeiten für die Wandmalerei, die ein wichtiges Arbeitsgebiet der Absolventen darstellte. Bei Dix findet sich ein früher Reflex auf Guhr in der Zeichnung Der Gott des Krieges (Herkules) von 1915.37 Künstlerisch war Guhr an der altdeutschen Malerei, der italienischen Renaissancemalerei und der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts orientiert und ein Verfechter der Lasur- und Tafelmalerei. Die avantgardistische Moderne lehnte er leidenschaftlich ab. „Schaffen sie diesen Mist nur sofort in die Galerie Richter“, äußerte er etwa Griebel gegenüber, „dort wird so etwas jetzt gebraucht.“38 Er publizierte zwei antisemitische Kampfschriften gegen den angeblichen Verfall der Künste in der Moderne, Der Judenstil oder der Expressionismus (1922) und Die Schuld am Verfall der Künste (1923). 1933 trat er in die NSDAP ein und erhielt im Jahr darauf eine Professur an der Dresdner Kunstakademie.39 Richard Guhr war in der antifaschistischen DDR dadurch politisch kompromittiert, und Löfflers Geschichtsklitterung diente dazu, Dix aus der Gefahrenzone herauszubringen, die das Schülerverhältnis darstellte. Löffler ließ dessen Einfluss nur für Dix’ Nietzsche-Büste von 1912 (Abb. 2) gelten, die oberdrein den Vorteil hatte, verschollen zu sein.40 Dabei hat die Büste stilistisch gesehen nichts mit dem Werk Guhrs gemein; das ist insofern wenig überraschend, als Dix Modellierkurse gemäß dem Studienplan bei Adolf Sonnenschein besucht haben muss.41 Dix setzte sich vielmehr mit Max Klingers Nietzsche-Büste auseinander, und zwar mit dem Gipsmodell von 1902.42 Das wird durch die Erinnerungen Otto Griebels gestützt, Dix habe in der Vorkriegszeit 35 36 37 38 39 40
Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 140–141; Stummann-Bowert, Richard Guhr, S. 202ff. Griebel, Mann der Straße, S. 37. Bauer-Friedrich, Der Gott des Krieges, S. 246–249, Abb. S. 247. Griebel, Mann der Straße, S. 36. Hochschule für Bildende Künste Dresden, Dresden, S. 317–319. Ulbricht, Zwischen „Elbflorenz“ und „rhythmischem Dorf“; zur Nietzsche-Büste ausführlich Peters, Dix, S. 33–35. 41 Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 141. 42 Eine gute Vorstellung davon vermittelt der Bronzeguss nach dem verlorenen Gipsmodell im Museum der bildenden Künste, Leipzig, s. Kat. Ottawa 2019, Kat.-Nr. 24, S. 102 und Abb. S. 103; Dietrich/Erbsmehl, Klingers Nietzsche, S. 138–143; Krause, Märtyrer und Prophet, S. 186– 187.
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Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
Abb. 2: Otto Dix, Büste „Friedrich Nietzsche“, 1912 (?), Gips, grün getönt, etwa lebensgroß, Löffler 1912/18, Verbleib unbekannt
Richard Guhr als Problem
Abb. 3: Richard Guhr, Altera Titania, vor 1937, Öl/Holz, 50 x 35 cm, Verbleib unbekannt; Abb. aus Kat. Dresden 1939, S. 28, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, Nachlass Richard Guhr, mit Quadratur für die Zweitanfertigung des Gemäldes von 1947 Abb. 4: Otto Dix, Die sieben Todsünden, 1933, Mischtechnik/Holz, 179 × 120,5 cm, Löffler 1933/1, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
insbesondere dem Übermenschen gehuldigt, den ‚Zarathustra‘ mit sich herumgetragen und Klinger als künstlerisches Ideal betrachtet.43 Der Guhr-Schüler Heinrich Obrusnik beschwerte sich im Februar 1964 bei Dix brieflich darüber, dass Löfflers Monografie nicht auf die Vorbildlichkeit Guhrs hinweise. Er muss diese vor allem auf die Lasurtechnik bezogen haben, denn Dix konterte, er habe in der Studienzeit nicht gewusst, dass Guhr neben seiner Bildhauerei auch gemalt habe.44 Zur Lasurmalerei war Dix, wie er in anderem Kontext 1965 äußerte, „einfach 43 Griebel, Mann der Straße, S. 37–38; zu den Einflüssen Klingers: Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 139. 44 Otto Dix an Heinrich Obrusnik, 10.03.1964, in: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Guhr, Richard, II,C5; Stummann-Bowert, Richard Guhr, S. 204–205.
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Das Dix-Image: Konstruktion und Dekonstruktion
Abb. 5: Richard Guhr, Irratio, Datierung unbekannt, Öl/Holz, Größe unbekannt, verbrannt; Abb. aus Kat. Dresden 1939, S. 11, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, Nachlass Richard Guhr, mit Quadratur für die Zweitanfertigung von 1948
Abb. 6: Otto Dix, Triumph des Todes, 1934, Mischtechnik/Holz, 180 × 178 cm, Löffler 1934/1, Kunstmuseum Stuttgart
durch das Ansehen der Bilder in der Gemäldegalerie“ gekommen.45 Da Guhr bis 1914 ein Atelier in Berlin-Charlottenburg hatte, können seine Tafelgemälde den Dresdner Studenten vor dem Ersten Weltkrieg tatsächlich unbekannt gewesen sein. Dix versprach Obrusnik auf die Beschwerde hin, Löffler auf das Problem hinzuweisen. Dieser reagierte allerdings erst im Œuvre-Katalog von 1981: „Er [Guhr] wendete sich erst nach Jahren der Malerei in einer Lasurtechnik zu, die der später von Dix geübten Lasurtechnik verwandt ist, während seine mythologisch verbrämten Bildinhalte nichts mit den realistischen Gestaltungen von Dix gemein haben.“46 Letzteres stimmt nicht, ebenso wenig wie Dix’ Behauptung in seinem Antwortbrief an Obrusnik, die ersten Gemälde Guhrs erst „in einem der Albrechtsschlösser, weiß nicht mehr in welchem Jahr“, gesehen zu haben.47 Er bezog sich auf die „Dresdner Wagner-Ehrung“ im Schloss Albrechtsberg, einen Zyklus von 107 Bildern, der von 45 Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 267. 46 Löffler, Œuvre, S. 8. 47 Otto Dix an Heinrich Obrusnik, 10.03.1964, in: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Guhr, Richard, II,C5.
Richard Guhr als Problem
September 1938 und bis 1944 dort zugänglich war (Abb. 3 und 5).48 Guhr hatte seit 1912 an dem Zyklus gearbeitet, der großformatige Allegorien auf Holztafeln, teilweise in Triptychon-Form, umfasste, und hatte Teile davon bereits in den frühen zwanziger Jahren in den Ausstellungen der Dresdner Kunstgenossenschaft im Sächsischen Kunstverein gezeigt, so etwa in der Kunstausstellung Dresden 1921 auf der Brühlschen Terrasse .49 Seit 1933 malte auch Dix großformatige und großfigurige Allegorien auf Holztafeln, die Löffler unter dem Titel „Malerei des Widerstandes“ abhandelte und zu „Dokumenten furchtbaren deutschen Schicksals“ erhob, zu Sinnbildern des Antifaschismus und damit einer DDR-Staatsdoktrin.50 Im Gemälde Die Sieben Todsünden (Abb. 4), entstanden unmittelbar nach Dix’ Entlassung aus dem Professorenamt durch die Nationalsozialisten, findet sich das sehr spezifische Motiv der auf allen vieren quasi aus dem Bild herauskriechenden Figur mit menschlichem Reiter aus dem Gemälde Altera Titania (Abb. 3) wieder; im Falle des Guhr-Gemäldes handelt es sich um eine nackte Frau, Titania, die auf einem Ritter mit Plattenpanzerrüstung und Eselskopf reitet, im Falle von Dix sitzt ein Gnom, die Personifikation des Neides, auf einer alten Frau, der Personifikation des Geizes. Im Jahr darauf ließ sich Dix von Guhrs großfigurigen Allegorie Irratio (Abb. 5) für sein Gemälde Triumph des Todes (Abb. 6), insbesondere die Figur des fliegenden Todes, inspirieren. Auch Dix’ Christophorus-Darstellungen haben Vorläufer in Guhrs Richard-Wagner-Figuren.51 Der Zusammenhang gerade der antifaschistischen „Widerstandsbilder“ mit dem Werk Richard Guhrs musste unbedingt verborgen werden. Möglich war dies, weil Guhrs malerisches Werk 1945 im Dresdner Atelier verbrannt war. Nach dem Krieg stand er zudem in Dresden nicht als Maler, sondern als Bildhauer im Fokus der Öffent48 Kat. Dresden 1939; Stummann-Bowert, Richard Guhr; Günther, Symbolismus in Sachsen, S. 87. 49 Kat. Dresden 1921, Nr. 217: Fatum Germaniae a) Wotan, b) Mysterium der Wende 1912– 1925, c) Ahasver. 1924 waren etwa 20 Bilder in der Ausstellung der Kunstgenossenschaft ausgestellt, die diese gemeinsam mit der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ veranstaltete; Kunstausstellung Dresden 1924; Schumann, Dresdner Kunstausstellungen. Vermutlich hat Dix diese Ausstellung nicht gesehen, denn er lebte in Düsseldorf und war 1924 mehrere Monate auf Italienreise. 50 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 1. Aufl. 1960, S. 92–94; später relativierte Löffler verschiedentlich seine politische Deutung. Der Verfasserin gegenüber schrieb er mit Bezug auf das Gemälde Die Sieben Todsünden, es habe zum Zeitpunkt seiner Entstehung „keinerlei politisches Gesicht“ gehabt und er „wäre auch nie auf den Gedanken gekommen“; Fritz Löffler an Birgit Schwarz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 25.03.1986, Kopie im Besitz der Autorin, Original in den Akten der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Schon im Werkverzeichnung von 1981 war er davon abgerückt: Dix, Œuvre, S. 45; dazu ausführlich: Schwarz, Das zeitlose Grauen der Welt packen, S. 55–57. 51 Stummann-Bowert, Richard Guhr, S. 130–131, 206–207.
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lichkeit, nämlich als Schöpfer des Goldenen Mannes, der Herkulesfigur auf dem Turm des Neuen Rathauses (1908), die den Feuersturm von 1945 überstand und zum Symbol des Überlebenswillens der Stadt geworden ist. Erst in letzter Zeit hat man begonnen, Guhr als Maler wiederzuentdecken. Eine verkleinerte Zweitversion seine Wagner-Ehrung, die er nach dem Zweiten Weltkrieg gemalt hat, war 2016 in den Wagner-Stätten Graupa in Pirna ausgestellt.52
Die Modernität der Kunstgewerbeschule Mit dem Abrücken von Richard Guhr ging eine Abwertung der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule einher. Löffler behauptete, Dix habe dort keinen akademischen Malunterricht erhalten und sich vor dem Ersten Weltkrieg als Maler „im wesentlichen als Autodidakt gebildet“.53 Richtig daran ist, dass Dix die Avantgarde außerhalb der Kunstgewerbeschule kennenlernte, in den beiden Avantgarde-Galerien der Stadt, der Galerie Ernst Arnold und dem Kunstsalon Emil Richter. Parallel dazu durchlief er in der Kunstgewerbeschule aber eine akademische Ausbildung, von ihm selbst als „Kamelslast des Drills“ bezeichnet. Über das, was er dort gelernt hatte, äußerte er 1966: „zuerst mal Ornament, Dekorationsmaler, Ornamente und plastisch malen und Gipsköppe malen, dann später Akte zeichnen“.54 Wegen ihres akademischen Lehrprogramms sah sich die Ausbildungsanstalt sogar der Kritik ausgesetzt, immer noch akademische Maler auszubilden anstatt einen reformierten Kunstgewerbeunterricht anzubieten.55 Dix lernte „Naturmalen“ bei Richard Mebert, „Ornament- und Naturmalen“ bei Max Rade und „Figurmalen und Zeichnen“ bei Johannes Türk und eben Aktzeichnen bei Richard Guhr. Und die Lehrer lobten seine Fähigkeiten: „Ja Dix malen können Sie, da kann ich Ihnen nischt mehr lernen [sic!]. Sie sind der zweite Slevogt oder der zweite Rembrandt […].“56 Das Jugend- und Frühwerk rückte allerdings erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands in den Fokus der Öffentlichkeit und der Forschung. Es war insbesondere die Kunstsammlung Gera unter ihrer Direktorin Ulrike Lorenz, die 1996 mit einem Bestandskatalog und 2000 mit dem Ausstellungs- und Publikationsprojekt Dix avant Dix
52 Richard Guhr – zwischen Wagnerkult und Naturidyll, Sonderausstellung Wagner-Stätten Graupa, Pirna, 19. August bis 16. Oktober 2016. 53 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 5. Aufl. 1983, S. 13; dem ist die Kunstgeschichtsschreibung gefolgt, z.B. Kat. Düsseldorf 1983, S. 11. 54 Otto Dix, Wie ich zur Malerei gekommen bin, um 1966, in: Kat. Gera 1996, S. 56. 55 Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 134. 56 Otto Dix an Hans Bretschneider, wohl Anfang 1912, s. Dix, Briefe, S. 423–424.
Die Modernität der Kunstgewerbeschule
neues Material präsentierte. Seither steht dessen künstlerische Vollgültigkeit zwar außer Frage; gleichwohl prägt und verzerrt Löfflers Paradigma vom Akademiker Dix und der damit verbundenen Vorstellung vom späten Start das Dix-Bild bis heute. 2012 haben dann Andreas Dehmer und Birgit Dalbajewa anlässlich der Ausstellung Neue Sachlichkeit in Dresden die eminente Bedeutung der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule für die Dresdner Malerei der zwanziger Jahre herausgearbeitet und dabei erstaunliche Zeugnisse moderner, kreativer Kunstpädagogik zusammengetragen: Paul Hermann lehrte „richtiges, organisches Sehen“ und Pflanzen, „lange betrachtend, zu erkennen und ihr Wesentliches in der Form auszudrücken“ (Lea Grundig), Carl Rade (Sohn von Max Rade) habe „das Künstlerische wie das Zweckvolle ganz grundsätzlich in Frage“ gestellt und mit Material und Handwerk und Technik experimentiert und so mit seinen Schülern neue gestalterische Erfindungen gemacht, die surrealistischen Techniken nahegekommen seien.57 Da Dada eine am Handwerklichen orientierte Antikunst-Kunst propagierte, erhielten gerade die in der Kunstgewerbeschule gelehrten „unkünstlerischen“ Techniken der Gebrauchskunst, etwa das Musterzeichnen, große Bedeutung. Hier wurzelte Dix’ nach eigenem Bekunden „starke Betonung des Stofflichen, des Materiellen“58, also das für ihn spezifische Interesse an Strukturen und Texturen, an Mustern von Tapeten, Textilien, Marmor, Spitzendeckchen und Gardinen, an den glänzenden Oberflächen von Parkett, poliertem Stein etc. Die Kunstgewerbeschule legte auch das Fundament für seine außerordentliche Fähigkeit zur Form- und Strukturanalyse, für seine Freude an oft bizarren Form- und Strukturanalogien und der Beschreibung von Stofflichkeit. Wir können in der Biografie noch einen Schritt weiter zurückgehen: Dada erweiterte die Möglichkeit der Kunst hin zu mechanischen und automatistischen Maltechniken und damit hin zum Handwerk. Damit bot Dada Dix die Chance, das spezifische Können zu reaktivieren, das er während seiner vierjährigen Handwerkslehre als Maler und Lackierer erworben hatte, die er von Ostern 1906 bis Ostern 1910 bei Malermeister Carl Robert Senff in Gera absolviert und als Geselle abgeschlossen hatte.59 Hier hatte er gelernt, mit der Muster- oder Strukturwalze Wände zu dekorieren; dieses mechanischen Verfahren wendete Dadadix an, wenn er feuchte Malschichten durch Kammzug strukturierte oder grobe Stoffe in die nasse Farbe drückte, also die Maloberflächen mechanisch herstellte.60 In der Handwerkslehre hatte er Stein- und Holzoberflächen zu imitieren gelernt; zur Gesellenprüfung musste er vier Holz- bzw. Marmorproben vorlegen. Es ließe sich eine eigene Abhandlung über Dix und die Marmormalerei schreiben. Er 57 58 59 60
Dehmer/Dalbajewa, Überhöhte Wirklichkeit, S. 69. Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 266. Rüdiger, Skeptisch, S. 24–25. Lorenzer, Studien zur Maltechnik, S. 126.
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übertrug die Technik in die Aktmalerei. In dem Gemälde Kleines Mädchen vor Gardine (1922/11) scheint das feine Blutaderngespinst an der Hautoberfläche des nackten Mädchenkörpers als marmorähnliches Ornament durch. Die Gardine mit ihrem groben Spitzenmuster in Elfenbeinfarbe bietet dazu ein reizvolles Spiel an Formanalogie und Formkontrast. Auch in dem Gemälde Drei Weiber (1926/1) kombiniert er drei nackte Frauenkörper mit einer Balustrade aus falschem Marmor, so dass nicht nur zwischen Haut und Marmor Formanalogien zu beobachten sind, sondern auch zwischen den Beinen der Stehenden und den Balustern. Der Bildwitz besteht darin, dass Dix nackte Frauen malte, wie die barocken Stuckateure die Marmorierung von Kirchensäulen durchführten. 1928 setzte er im Großstadt-Triptychon (1928/1, Kunstmuseum Stuttgart) seine Fähigkeit, Materialien und Lichtreflexe darzustellen, letztlich die Verbindung von Materie und Licht in vielen Variationen zu beschreiben, in großem Stil um.61
Die Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold Der Krieg brachte keine Unterbrechung der künstlerischen Praxis, wie ein umfangreiches Konvolut von Kohle- und Tuschzeichnungen sowie Gouachen belegt, das in der Etappe entstanden ist. Es sind furiose Werke, die – erstaunlich genug – auf der Höhe der Zeit sind. Dix bemühte sich beharrlich um die Präsentation dieser Werke, wobei ihm Freundinnen und Freunde als „Agenten“ dienten; während seiner Heimaturlaube und einer Rekonvaleszenz kümmerte er sich persönlich um Ausstellungsmöglichkeiten. Gleichwohl habe, so Andreas Strobl, Dix bei seiner Rückkehr nach Dresden 1919 erst eine einzige Ausstellungsbeteiligung aufzuweisen gehabt, nämlich die an der Zweiten Ausstellung Dresdner Künstler, die im Heeresdienst stehen in der Galerie Arnold im Oktober 1916; dort war er mit elf Arbeiten auf Papier vertreten.62 Seine Beteiligung sei allerdings nur der „Gunst der Stunde“ zu danken gewesen, „da allerorten Ausstellungen mit künstlerischen Produkten von Frontsoldaten veranstaltet wurden“. Dix’ Aussage vom Januar 1918, er habe „schon öfter in [der] Dresdener Galerie Arnold und [im] Kunstverein ausgestellt“ und sei „von der Presse stets mit Anerkennung besprochen worden“63, wird abgetan: Darüber sei, so Strobl weiter, nichts mehr bekannt, ergo habe Dix deren Bedeutung wohl überbewertet.64
61 Schwarz, Großstadt, S. 37–38; Karcher, Eros und Tod, S. 65ff. 62 Ausst. Dresden 1916; Negendanck, Galerie Ernst Arnold, Nr. 184, S. 465–466; Hollmann, Verfechter der Moderne, S. 55–56. 63 Otto Dix an den Stadtrat der Stadt Gera, 04.01.1918, s. Dix, Briefe, S. 851; zum Ausstellungsprojekt s. Rüdiger, Skeptisch, S. 27. 64 Strobl, Malerkarriere, S. 18 und Anm. 45, S. 20; s. Schwarz, Rezension zu Andreas Strobl: Otto Dix: eine Malerkarriere der zwanziger Jahre.
Die Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold
Abb. 7: Erste Seite des Faltblattes zur Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold, Dresden, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv
Abb. 8: Letzte Seite des Faltblattes zur Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold, Dresden, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv
Hat er nicht: Mit dem Dresdner Kunstverein ist die Künstlervereinigung gemeint, die von dem Maler Otto Gussmann geleitet wurde; ihr war 1916 das Städtische Ausstellungsgebäude an der Lennéstraße auf zehn Jahre überlassen worden, um „die sprühende Jugend, der doch die Zukunft gehört“ (Gussmann), auszustellen.65 Die späteren Mitglieder der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ waren regelmäßig dort zu sehen, darunter auf der Herbstausstellung 1917 eben auch Otto Dix.66 Bald darauf war Dix auf einer für die Dresdner Kunstkunstgeschichte nicht hoch genug zu bewertenden, aber bisher wenig beachteten Veranstaltung vertreten, der Herbst-Ausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold.67 Die Veranstaltung war ein bahnbrechendes Ereignis für die lokale Kunstszene, die, spätestens seit der Kunstkritiker Paul Fechter in seinem wirkmächtigen Schlüssel-
65 Zit. nach Griebel, Mann der Straße, S. 82. 66 Kat. Dresden 1917; bei Strobl, Malerkarriere, S. 242, fälschlich als Ausstellung in der Lauenstraße aufgeführt und daher nicht nachweisbar. 67 Kat. Dresden 1917a; Negendanck, Galerie Ernst Arnold, Nr. 191, S. 470 und S. 149.
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werk Der Expressionismus Dresden 1914 zur „Vaterstadt des Expressionismus“68 erklärt hatte, unter einem Verlusttrauma litt: Die Gründungsmitglieder der im Juni 1905 in Dresden gegründeten Künstlergruppe Brücke hatten die Stadt nämlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg wieder verlassen und sich bald darauf aufgelöst. Die Galerie Ernst Arnold hatte bereits im Januar 1914 unter dem Titel Die neue Malerei einen Überblick über das aktuelle expressionistische Schaffen gegeben. Die Herbst-Ausstellung 1917, die am 2. September eröffnet wurde, rief nun eine zweite Generation von Expressionisten aus. Der Maler Conrad Felix Müller, Künstlername „Felixmüller“, der als Kriegsverweigerer und somit Zivilist in die Rolle des Ausstellungsorganisators für seine im Krieg befindlichen Malerkollegen hineingewachsen war, erläuterte seinem Freund Peter August Böckstiegel das Konzept folgendermaßen: Arnold wolle „sehr scharf“ auftreten: „Motiv = die ersten vier Dresdner wurden fortgeekelt. Jetzt sind sie anerkannt und Dresden hat die Blamage. Eben solches darf mit diesen abermals 4 Künstlern nicht geschehen.“69 Mit den ersten vier Dresdnern waren die Gründer der Künstlergruppe Brücke gemeint, denen mit Böckstiegel, Otto Lange, Constantin von Mitschke-Collande und ihm selbst vier jüngere Dresdner Maler gegenübergestellt werden sollten. Felixmüllers Briefstelle wird bis heute als valide und solitäre Quelle für diese das Konzept der „zweiten expressionistischen Generation“ prägende Veranstaltung herangezogen.70 Dabei fand die Ausstellung in dieser Konzeption gar nicht statt, denn die geschilderte Achterkonstellation wurde erweitert. Ausgestellt wurden zwölf „innerlich verwandte Künstlerpersönlichkeiten“, die „ihren Ausgangspunkt von Dresden nahmen, oder noch in Dresden schaffend wirken“, wie es in dem Faltblatt heißt, das die Galerie Ernst Arnold herausgab (Abb. 7 und 8). Und darunter befand sich eben auch Otto Dix. Zu den fünf ehemaligen Brücke-Mitgliedern Max Pechstein, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Otto Müller sowie den gleichaltrigen Otto Lange (Geburtsjahrgang 1879) und Arno Drescher (Geburtsjahrgang 1882) hatte Arnold fünf jüngere Dresdner Künstler geladen, die sich „um Otto Gussmann scharten, wie Böckstiegel, Felix Müller, v. Mitschke-Collande, Kretschmar und Otto Dix. Für sie einzutreten ist Aufgabe der Ausstellung“, heißt es im Faltblatt. Gussmann, Lehrer von Pechstein, Lange und Böckstiegel und passives Mitglied der Brücke, fungierte als Bindeglied zwischen der ersten und zweiten Expressionisten-Generation und rechnete Dix 1917 also zum vielversprechenden expressionistischen Nachwuchs.
68 Fechter, Expressionismus, S. 28. 69 Conrad Felixmüller an Peter August Böckstiegel, 02.08.1917, zit. nach Kat. Düsseldorf 1987, S. 31–32. 70 Barth, Gruppe 1917, S. 30–33; Schmidt, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, S. 30; Hollmann, Verfechter der Moderne, S. 56; Riedel, Peter August Böckstiegel, S. 95.
Die Herbstausstellung 1917 der Galerie Ernst Arnold
Die Ausstellung, von Paul Westheim im Kunstblatt, dem maßgeblichen Organ der jungen Kunst in Deutschland, unter dem Titel Neue Kunst in Sachsen besprochen,71 wurde zum Publikumserfolg. Felixmüller berichtete von ihr als der „großen Expressionistenausstellung“, deren Vernissage so gut besucht gewesen sei, dass er sich durch eine dichtgedrängte wartende Menge habe quetschen müssen.72 Die Dresdner Zeitungen beachteten sie, und der für die junge Kunst wichtigste Feuilletonist der Stadt, Carl Puetzfeld, Redakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, des Lokalblatts mit einem für die neue Kunst äußerst engagierten Kulturteil, schrieb eine Einführung; darin fand er lobende Worte für Dix’ Exponate: „Ein paar eigenartige Aquarellblätter, von denen das ‚Juniville‘ benannte durch wirklich schöne Farbigkeit und abgewogene Komposition besonders auffällt, bringt der junge Otto Dix.“73 Sein Auftritt in der Galerie Ernst Arnold, deren Ausstellungen vor dem Krieg die Leitbilder für sein Schaffen und sein Künstlerbild geliefert hatten, muss für den im Felde stehenden Dix von größter Bedeutung gewesen sein. Eine Äußerung in einem Feldpostbrief, den er im Dezember 1917 an seine „Kunst-Agentin“ Helene Jacob richtete, legt die Vermutung nahe, dass die Galerie eine Art informeller Vertretung für ihn übernommen hatte. Arnold habe seine „sämtlichen Arbeiten“, ist dort zu lesen; er habe eine Einladung des Nassauischen Kunstvereins in Wiesbaden erhalten, und die Galerie sei beauftragt, fünf Bilder einzurahmen und nach Wiesbaden zu versenden. „Mein ‚Ruhm‘ geht also schon über Dresden hinaus!?!“, trumpfte er auf und versah die Aussage mit zwei Ausrufezeichen und einem Fragezeichen.74
71 Westheim, Neue Kunst in Sachsen; Felixmüller, Menschen … erlebt, gezeichnet, gemalt, S. 30. 72 Conrad Felixmüller an Peter August Böckstiegel, 02.08.1917, zit. nach Kat. Düsseldorf 1987, S. 31–32. 73 Carl Puetzfeld, Neue Kunst, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 07.09.1917, S. 2; s. auch Felix Zimmermann, Neue Kunst. Galerie Ernst Arnold, in: Dresdner Nachrichten, 09.09.1917, S. 2–3. 74 Otto Dix an Helene Jakob, 12.12.1917, s. Dix, Briefe, S. 451; zur Ausstellung s. Otto Dix an den Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, Dezember 1917, ebd., S. 851–852; dort irrtümlich auf Dezember 1918 datiert.
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Abb. 9: Otto Dix, Ausstellung von Werken einheimischer Künstler, die während des Weltkrieges im Heeresdienst standen, 1919, Lithografie, Deutsches Historisches Museum, Berlin
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Start als freischaffender Künstler Als Otto Dix Anfang 1919 nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst und einem kurzen Aufenthalt bei seinen Eltern in Gera in die sächsische Hauptstadt zurückkehrte, stellte sich seine Lebens- und Arbeitssituation problematisch dar. Die Kunstgewerbeschule hatte er vor dem Krieg absolviert, so dass sie als Arbeitsort ausfiel. Zwar dürfte er sich bald an der Akademie der Bildenden Künste angemeldet haben, der Eintritt war aber erst zum kommenden Sommersemester und damit zu Ostern möglich. Seine Vorkriegsunterkunft in der Elisenstraße war noch belegt, so dass er erst einmal ein kleines Zimmer in der Ziegelgasse beziehen musste, einem Rotlichtbezirk mit niedrigen Mieten. Denn seine wirtschaftliche Situation war miserabel, er hatte keinerlei Einkommen. Fritz Löffler hat die schwierige Lage geschildert: „Die schwere Not der letzten Kriegsjahre hatte die bescheidenen Quellen, die Dix vor dem Krieg zu nutzen vermochte, versiegen lassen. Die Situation für junge, nicht arrivierte Künstler erwies sich zunächst als katastrophal. Die ungeklärte politische Entwicklung wie die Sorgen um das tägliche Leben überschatteten und lähmten Anfang 1919 alle Entschlüsse. Dabei drängte eine ganze Generation auch von bildenden Künstlern von der Front in die Stadt zurück. Die späteren Hilfsorganisationen waren noch nicht gegründet oder verfügten, wie der Sächsische Künstlerhilfsbund, nur über völlig unzulängliche Mittel für die an sie gestellten Anforderungen.“75 Gleichwohl startete Dix Anfang 1919 in Dresden eine Karriere als freischaffender Künstler. Und er fasste in der Kunstszene schnell Fuß. Schon an der am 11. Februar 1919 eröffneten Ausstellung von Werken der im Heeresdienst gestandenen einheimischen Künstler im Sächsischen Kunstverein war er beteiligt.76 Zwar handelte es sich um eine juryfreie Schau, in der etwa 170 Teilnehmer bis zu drei Werke präsentieren durften; doch ragte er insofern aus der Masse heraus, als er den Auftrag für das Plakat (Abb. 9) erhalten hatte. Es sei „natürlich expressionistisch, wenn auch etwas gemäßigt (für mei75 Löffler, Œuvre, S. 14. 76 Meldung, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 03.01.1919; Rubrik Ausstellungen, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 95; Richard Stiller, Die Dresdner Kunst 1918/19, in: Dresdner Kalender 1920, S. 109.
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ne Begriffe). Morgen klebt es schon an allen Ecken und Enden Dresdens“, berichtete er seinem Malerkollegen Kurt Günther.77 Günther stammte wie Dix aus Gera und hatte vor dem Krieg gemeinsam mit diesem die Klasse für dekorative Malerei bei Richard Guhr besucht.78 Wegen einer Tuberkulose-Erkrankung war er vorzeitig aus dem Kriegsdienst entlassen worden und hatte sich 1917 zur Genesung ins schweizerische Davos begeben, wo er Kontakte zu dem dort lebenden Ernst Ludwig Kirchner und zu den Züricher Dadaisten aufgenommen hatte.79 Dix muss ihn getroffen haben, vermutlich während seines Weihnachtsaufenthalts bei den Eltern in Gera oder Anfang 1919 dann in Dresden.80 Im Februar 1919 setzte ein Briefwechsel ein, von dem sich drei Dix’sche Schreiben im Nachlass Günthers erhalten haben, wichtige Quellen aus dieser an persönlichen Zeugnissen so armen Zeit. Abb. 10: Unbekannter Fotograf, Porträt Hugo Zehder, undatiertes Aus der „wahnsinnige[n] Übung von vier Jahren“, die der Foto, Sächsische Landesbibliothek Erste Weltkrieg für ihn gewesen war, hatte Dix ein Konvolut – Staats- und Universitätsbibliovon Kohle- und Tuschzeichnungen sowie Gouachen mitgethek Dresden, Deutsche Fotothek bracht, mit dem er beim Dresdner Kunsthandel vorstellig wurde. Im Februar bereits nahm er an der ständigen Sonderausstellung der Neuen Vereinigung für Kunst und Dichtung teil,81 eines Kunstvereins, der seine Geschäfts- und Ausstellungsräume im ersten Stock der Kunstausstellung Emil Richter, Prager Straße 13, hatte. Die Neue Vereinigung war im Juni 1918 von Hugo Zehder (1881–1961) (Abb. 10) gegründet worden, einem Architekten, der sich in den Kriegsund Nachkriegsjahren, als Bauaufträge rar waren, als Kunstschriftsteller und Kunstmanager betätigte. Als Sohn eines Schiffsturbinenfabrikanten aus Riga dürfte er finanziell unabhängig gewesen sein. Später machte er sich einen Namen als Filmdrehbuchautor, Ernst-Deutsch-Biograf, Kritiker und schließlich Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt.82
77 Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–453. 78 Kat. Gera 1993, S. 87 (Biographische Daten – eine Übersicht). 79 Schmidt, Zwischen Brücke und „Roter Gruppe“, S. 18; Bollinger, Dada in Zürich, S. 228; Rüdiger, Skeptisch, S. 36–38; Saupe, Günther, S. 17. 80 Saupe, Günther, S. 8–9. 81 Notiz in: Dresdner Neueste Nachrichten, 24.01.1919; Carl Puetzfeld, Neue Vereinigung für Kunst bei Richter, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 16.02.1919. 82 Zu Zehder: Weiss, Prager Straße 13, S. 49; Kat. Dresden 2019, S. 256.
Start als freischaffender Künstler
Die Neue Vereinigung hatte das Ziel, der aktuellen Kunst Präsentationsmöglichkeiten zu bieten und sie dem Publikum in Dichter- und Vortragsabenden nahezubringen.83 Gleichzeitig erschienen im Emil-Richter-Verlag als Organ der Vereinigung die Neuen Blätter für Kunst und Dichtung.84 Die enge Verflechtung hat dazu geführt, dass die Aktivitäten des Kunstvereins häufig als solche der Firma Emil Richter verbucht werden; für das Verständnis des Folgenden gilt es festzuhalten, dass es sich um zwei separate Institutionen handelte. Von der Herbstausstellung 1917 war ein umfassender künstlerisch-politischer Aufbruch ausgegangen, an dem Zehder und Felixmüller führend beteiligt waren. Im direkten Anschluss bildete sich die literarisch ausgerichtete Expressionistische Arbeitsgemeinschaft Dresden, die im Dezember 1917 den Felix-Stiemer-Verlag (später Dresdner Verlag von 1917) gründete sowie die Kunst- und Literaturzeitschrift Menschen aus der Taufe hob, zu deren Gründern neben Felix Stiemer und Walter Rheiner Rudolf Adrian Dietrich, Heinar Schilling, Hugo Zehder und Raoul Hausmann gehörten. Felixmüller war das Wunderkind und der Star der Dresdner Kunstszene und darüber hinaus, jedenfalls während des Ersten Weltkrieges. Die Kunsthandlung Emil Richter hatte ihm bereits 1915, im Alter von achtzehn Jahren, eine Einzelausstellung ausgerichtet und den Vertrieb seiner Grafik übernommen. Es folgte eine Senkrecht-Karriere während des Krieges, die nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken war, dass die Konkurrenz im Felde stand. Anfänglich vom Kriegsdienst vorläufig befreit, erhielt er 1917 den Einberufungsbefehl, verweigert jedoch den Militärdienst und wurde als Krankenwärter für vier Wochen zwangsverpflichtet.85 Anfang 1919 gingen Zehder und Felixmüller daran, die kriegsbedingt verschobene Bildung einer Künstlergruppe auch formell umzusetzen. Im Nachhinein hat Felixmüller die Initiative zur Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ für sich reklamiert, worin ihm die Forschung bis heute folgt.86 Vernachlässigt wurde infolgedessen der Anteil Zehders, der sich selbst als „geistiger Urheber“ der Gruppe sah.87 Er brachte jedenfalls 83 Der Jahresbeitrag betrug 25 Mark und schloss den freien Besuch der Sonderausstellungen, eine 50prozentige Ermäßigung auf die Eintrittskarten zu den Dichter- und Vortragsabenden und den Bezug der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung ein; s. Anzeige in: Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 1 (1918/19), Maiheft 1918, S. 1; zur Gründung s. auch: Almai, Wir aber müssen die Welt ändern, S. 23; Schmidt, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, S. 30. 84 Förster, Neue Blätter für Kunst und Dichtung. 85 Kutschera, Aufbruch und Engagement, S. 199. 86 Gleisberg, Conrad Felixmüller und die Gründung der „Sezession. Gruppe 1919“; Gleisberg, Conrad Felixmüller. Leben und Werk, S. 44; Almai, Wir aber müssen die Welt ändern, S. 21– 24. 87 Zehder, Anmerkungen. Die Analyse der Verlautbarungen und Werbetexte von Kunstvereinigung und Künstlergruppe bestätigt dies; s. Almai, Wir aber müssen die Welt ändern, S. 23.
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die entscheidende Infrastruktur ein, indem er die Vereinsräume der Neuen Vereinigung für Veranstaltungen und die Neuen Blätter für Kunst und Dichtung als Gruppenorgan zur Verfügung stellte.88 Zehder war es auch, der die Gründungsausstellung mit einer kunstpolitischen Rede eröffnet. Zudem dürfte er bei der Rekrutierung von Otto Dix ein gewichtiges Wort mitgeredet haben; jedenfalls erwähnte Dix ihn und nicht Felixmüller als Referenzfigur in seinem einzigen Kommentar zur Gruppenbildung: „Zehder, der Schriftleiter der ‚Neuen Blätter‘ ist auch dabei, ein sehr angenehmer temperamentvoller Kerl, der außerordentlichen Unternehmungsgeist besitzt.“89 Dix war definitiv kein Mitglied von Felixmüllers Gnaden. Die Aquarelle, die Felixmüller bei Emil Richter gesehen hatte und die ihn „stracks“, also auf dem kürzesten Weg und ohne Verzug, zu diesem führten, dürften in Zusammenhang mit der Februarausstellung der Neuen Vereinigung stehen.90 Möglicherweise erfolgte Dix’ Rekrutierung auf Vorschlag Zehders; jedenfalls gehörte Dix zu den Künstlern, für die sich dieser in besonderem Ausmaße einsetzen sollte (s. S. 109).
Die Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ Am 29. Januar 1919 gründeten Hugo Zehder, Conrad Felixmüller, Will Heckrott, Lasar Segall, Otto Dix, Otto Schubert und Constantin von Mischke-Collande die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ durch Unterzeichnung eines Statuts, also einer vereinsrechtlich notwendigen Satzung, die vor allem organisatorische und Verfahrensfragen klärt. Einzig Punkt 1, der die Vereinsziele formuliert, hat einen – allerdings allgemein gehaltenen – programmatischen Charakter: „Die Sezession ‚G r u p p e 1 9 1 9 ‘ wird von einer Anzahl Künstler gebildet, die im Sinne ihrer Kunst ideelle Unternehmungen vorhaben, welche sie, wie auch ihre Kunst, notwendigerweise von den bisherigen Künstlern trennen. Hauptgrundsätze sind: Wahrheit – Brüderlichkeit – Kunst. Der Elan der Zeit hat die Gruppe hervorgebracht, und der kommende kann sie vernichten: Wir werden dazu beitragen, indem wir dem kommenden den Weg bereiten, der wir eben schon sind.“91 Am 14. Februar 1919 erschien in den Dresdner Neuesten Nachrichten die Gründungsmeldung mit einer Erklärung, die Manifestcharakter hat: „Die Gründung der Sezession 88 Rubrik Aus den Vereinen und Gesellschaften, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 99–100; Aus den Vereinen und Gesellschaften, Dresden, ebd., S. 152–153. 89 Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–453. 90 Notiz in: Dresdner Neueste Nachrichten, 24.01.1919; Carl Puetzfeld, Neue Vereinigung für Kunst bei Richter, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 16.02.1919. Es handelte sich keineswegs um eine disparate Künstlergruppe, deren Mitglieder man dem Impressionismus zurechnen könne, wie Strobl, Malerkarriere, S. 19, annahm. 91 Faksimile des handschriftlichen Statuts und des Typoskripts in: Kat. Dresden 2019, S. 34 und 35.
Eine Fälschung mit Folgen
‚Gruppe 1919‘ ist eine natürliche Folge des in uns längst mit innerer Notwenigkeit erwachten Dranges, von alten Mitteln und Wegen endgültig Abschied zu nehmen, unter vollkommener Wahrung der Freiheit der Persönlichkeit, neuen Ausdruck für diese und die uns umgebende Welt zu suchen und zu finden. Wir fanden uns nicht zufällig, sondern die bezwingende Erkenntnis des Wertes solchen Zusammenschlusses für die Entwicklung der Kunst in unserem Sinne erforderte unsere Vereinigung. Das Bewußtsein, daß wir reif sind, die Führung der hiesigen jungen Kräfte auf der Bahn des Fortschreitens der Kunst zu den Zielen der Gruppe hin zu übernehmen, ward Anlaß zum getanen Schritt, dessen elementare Bedeutung klar vor uns liegt und dessen Auswirkung für die Zukunft sich deutlich und allen sichtbar erweisen wird.“92 Die Zielangabe war demnach eine dezidiert künstlerische, kunstpolitische Interessen klingen jedoch an. Hervorgehoben wurde die absolute Freiheit des individuellen Schaffens. Die Gruppe verstand ihre Aktivitäten mithin als Weg mit offener Zielangabe, sich selbst als temporäre Erscheinung innerhalb der größeren und umfassenderen Bewegung der neuen Kunst. Signifikant ist der avantgardistische Impetus des Statuts, der die Notwendigkeit einer ständigen Aktualisierung der künstlerischen Positionen mit sich brachte. Deshalb sollte ursprünglich die Jahreszahl im Namen laufend aktualisiert werden, wie Dix dies Anfang Februar 1919 seinem Malerkollegen Kurt Günther auseinanderlegte: „Wir, die radikalen Dresdener, haben eine Sezession gegründet, die unter dem Namen Gruppe 1919 geht. Nächstes Jahr sind wir Gruppe 1920 und s. w.“93 Für die Aktualisierungen lieferten das Gruppenorgan, die Neuen Blätter für Kunst und Dichtung, das Muster: Die Zeitschrift setzte ihrem Titel die jeweils aktuelle Jahreszahl voran. Nach Zehders Austritt im Sommer 1919 und dem Wegfall der Neuen Blätter als Gruppenorgan wurde dieses Vorhaben jedoch nicht umgesetzt.
Eine Fälschung mit Folgen Für die Etablierung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in der Kunstgeschichte der DDR stellte das Fehlen eines politischen Programms ein Problem dar, drohte doch der Formalismusvorwurf. Wohl deshalb behauptete Fritz Löffler 1977 im ersten der Künstlergruppe gewidmeten Essay, deren Ziele habe Walter Rheiner in der Zeitschrift Menschen formuliert. Angestrebt gewesen sei ein prinzipieller Idealismus, der Expressio92 N. N., Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 14.02.1919, S. 2. 93 Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–453; der Brief wurde kurz vor der Plakatierung der Ausstellung des Kunstvereins verfasst, die am 11. Februar 1919 eröffnet wurde.
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nismus geheißen habe, aber kein rein technisches oder Formproblem gewesen sei, sondern vor allem eine geistige Haltung.94 Tatsächlich jedoch formuliert der angebliche Belegtext das Ziel der Zeitschrift Menschen, des Organs des Felix Stiemer-Verlages, die sich zum Zeitpunkt der Gruppengründung bereits in einem Prozess der Entpolitisierung befand, der bei den überall aus dem Boden sprießenden Künstlergruppen zu beobachten ist. Denn der mit der Niederschlagung des Januaraufstandes und der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts aufgebrochene Konflikt zwischen der KPD und der regierenden SPD drohte die linken Künstlergruppen und Redaktionen zu sprengen. Auch Rheiner hatte auf dem Titelblatt des zweiten Januarheftes der sozialistischen Reichsregierung vorgeworfen, für die politischen Morde verantwortlich zu sein, und war daraufhin von Herausgeber Heinar Schilling ‚zurückgepfiffen‘ worden.95 Ab April 1919 übernahm Schilling selbst die Schriftleitung und trieb die Entpolitisierung voran. Gleichwohl nahm der Katalog zur Dix-Zentenar-Ausstellung von 1991 den Text als Schlüsseldokument in die Dix-Biografie auf und vollendete Löfflers Manipulation mittels der Interpolation „die Gruppe 1919“.96 So gilt die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ bis heute als eine ursprünglich politische Künstlergruppe, die sich bald nach Gründung zum Ausstellungsverein gewandelt und auf rein ästhetische und wirtschaftliche Werte zurückgezogen habe.97 In Wirklichkeit verfolgte die Gruppe nie die politische, sondern von Anfang an die künstlerische Revolution. Vorbild war die Novembergruppe, die ebenfalls sowohl Stilpluralität als auch eine im kunstrevolutionären Sinne apolitische Hal94 „Dem Materialismus mit seinen maskierten oder unmaskierten Varianten setzt sie durch das von ihm angerichtete mehr als vierjährige Blutbad gestärkt und erhöht, in künstlerischer, politischer und praktischer Tat ihren prinzipiellen Idealismus entgegen, von dessen endlichem Sieg sie überzeugt ist. Dieser Idealismus heißt ‚Expressionismus‘. Also ist Expressionismus kein rein technisches oder Formproblem, sondern vor allem eine geistige (erkenntnistheoretische, metaphysische, ethische) Haltung, die nicht seit heute oder gestern, sondern seit Jahrtausenden in der Geschichte der Menschheit erscheint. In der Politik heißt dieser Idealismus antinationaler Sozialismus, der unbedingt und radikal gefordert wird, nicht nur im Geiste, sondern auch in der Tat.“, s. Löffler, Dresdner Sezession Gruppe 1919, o.S.; s. auch das Faksimile des Titelblattes von Menschen. Zeitschrift für neue Kunst, Jg. 2, 1919, Nr. 2, vom 15. Januar 1919, ebd., o. S.. 95 Heinar Schilling, in: Menschen. Morgenblatt früher Menschen – Dresden, Nr. 6 (20), 03.02.1919; Rheiner, Erklärung der Schriftleitung: „Aus dem Kopf der vorliegenden Nummer der Zeitschrift ‚Menschen‘ ist das Wort ‚Politik‘ fortgelassen. Der Herausgeber der Zeitschrift ist, als Sozialist, mit der Politik der Schriftleitung nicht mehr einverstanden. Da die Schriftleitung außerstande ist, eine andere sozialistische Politik zu führen, zieht sie es vor, auf Politik zu verzichten und in jenem revolutionären Sinne apolitisch zu wirken, zu dem sie sich auch ohne Proteste des Herausgebers hingezogen fühlt.“ 96 Hollmann/Keuning, Berühmt und berüchtigt, S. 15–16. 97 Kat. Dresden 2019, passim.
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tung vertrat, um die stilistisch heterogenen Avantgarden der Nachkriegszeit unter einem Dach zu versammeln und ihnen ein möglichst breites Forum zu bieten.98 Dass sich das politische Paradigma so stark verfestigen konnte, lag an Conrad Felixmüllers Imagepflege als dem wahren politischen Künstler; er reagierte damit auf die missliche Situation, dass nicht er, sondern Dix zum Leitbild der DDR-Kunst aufgestiegen war. Anders als Dix war Felixmüller eine Aufnahme in die Ostberliner Akademie der Künste verwehrt geblieben. „Damit verwehrte der Staat dem Künstler, auf den er in seinen Gründungsjahren gesetzt hatte, jene Ehrung, die er bereits 1956 dem im Westen lebenden Otto Dix hatte zukommen lassen!“ (Thomas Bauer-Friedrich)99 Auch in der DDR-Kunstgeschichtsschreibung stand er sehr viel schlechter da als Dix, wie ihm etwa das 1969, also im Todesjahr von Dix, erschienene Standardwerk von Wolfgang Hütt Deutsche Malerei und Graphik im 20. Jahrhundert schmerzlich vor Augen geführt haben dürfte. Während Dix dort zwei ganze Kapitel gewidmet sind, musste er sich mit verstreuten Erwähnungen begnügen. Felixmüller arbeitete von da an gezielt an seinem Nachruhm und begann mit einer gezielten Demontage des DDR-Images von Dix als Kriegsgegner und Humanisten. Von seinem Biografen Dieter Gleisberg zur Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ befragt, gab Felixmüller am 13. Januar 1969 Folgendes an: „Meine Idee war es im Zuge der ersten Revolutionsbestrebungen, die künstlerischen Angelegenheiten mitzubestimmen bzw. zu beeinflussen, soweit es um die öffentliche Kunstpflege ging: Etat! Ausstellungen – dafür die städtischen Ausstellungsgebäude in die Hand zu bekommen, Einfluss nehmen auf die Berufungen von Persönlichkeiten, z.B. Akademie – Kunstkommissionen – Ankäufe – Galerie etc. Nach Beratungen mit Genossen im Arbeitsrat konnte ich (als Mitglied der KPD) dies nur mit einer Gruppe Gleichgesinnter.“100 Zwei Jahre später ergänzte er seine Angaben und kommentierte die Reaktionen der übrigen Mitglieder. Zudem nahm er Dix’ Rekrutierung für die Künstlergruppe als sein Verdienst in Anspruch: „Als im November 1918 die Revolution in Bewegung kam, hielt ich, zumal auf Hinweis meiner politisch aktiven Freunde in der KPD, eine organisierte Künstlergruppe zum Eingreifen in das öffentliche künstlerische Leben für notwendig. Deshalb lud ich einige mir ‚fortschrittlich‘ scheinende jüngere freie Maler zu einer ‚Gründungsveranstaltung‘ ein. Kurz zuvor sah ich im Vorraum der Kunsthandlung E. Richter abgestellte hartkantig gemalte Aquarelle, die ein eben aus der Armee entlassener noch unbekannter Otto Dix hingebracht hatte. Interessiert als evtl. Mitglied der zu gründenden Gruppe ging ich stracks mit meiner Frau zu ihm, besah mir in seiner ungeheizten Stube ein paar in 98 Burmeister/Nentwig, Freiheit aller Pulse, S. 10; Nentwig, Befreiungsenergien. 99 Bauer-Friedrich, Betrachtungen, S. 177. 100 Conrad Felixmüller an Dieter Gleisberg, 13.01.1969, zit. nach Gleisberg, Conrad Felixmüller. Leben und Werk, S. 44.
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Arbeit befindliche Bilder (Mann im Helm, kubisch ineinander mit Orden und Emblemen gebaut … das er Mars nannte). Bei meiner radikal-pazifistischen Gesinnung kam es zu einem entsprechenden Gespräch über das endliche Ende des wahnsinnigen Blutvergießens – doch Dix setzte uns auseinander wie großartig ein Nahkampf, Bajonett dem Gegner in den Wanst, sei.“ Felixmüller weiter: „Ich hatte zur Gründungsversammlung auf der Rückseite eines Flugblattes kurz ein paar Grundsätze niedergeschrieben, die nun von den von mir eingeladenen Malern durch Unterschrift anerkannt wurden. Als ich indessen klar machte, daß es nunmehr notwendig sei, in der politische entschiedensten Partei, der KPD nämlich, organisiert zu sein, lehnte Otto Lange ab: er sei gewerkschaftlich organisiert und Gegner der KPD. Otto Schubert desgleichen – er habe fünf Jahre an der Front gelegen – nun wolle er Ruhe haben. Heckrott erklärte, er sei Offizier gewesen und die KPD käme nicht für ihn in Frage. Segall, er sei Jude und Pole, also Ausländer – deshalb könne er keiner deutschen Partei angehören. Dix – lassen Sie mich mit Ihrer dämlichen Politik in Ruhe – ich gehe lieber in den Puff. Nur Konstantin von Mitschke-Collande trat der KPD bei.“101 Der Zeitpunkt der Äußerung ist aufschlussreich: 1971 waren alle Erwähnten tot, als Letzter war 1970 Otto Schubert gestorben.102 Den fast schon absurden Höhepunkt dieser von Felixmüller initiierten Politisierung der Künstlergruppe findet sich im Ausstellungskatalog Kunst im Aufbruch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 1980. Dort stellte der Direktor der Galerie Neue Meister Joachim Uhlitzsch, ein Kulturfunktionär mit einem Semester Kunstgeschichte, die Forderung auf, eine Analyse der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ müsse das politische Wirken Otto Rühles, des sächsischen Politikers und Mitglieds der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschland (KAPD) (s. S. 106), in ihre Untersuchung einbeziehen.103 Sie fand zu Recht keinen Widerhall in der Forschung. 2001 publizierte ich meine Kritik an der anhaltenden Politisierung durch den Katalog der Zentenarausstellung von 1991 und die daraus resultierende Brandmarkung von Dix als unpolitischen Karrieristen.104 101 Conrad Felixmüller an Dieter Gleichberg, 18.01.1971, zit. nach: Gleisberg, Conrad Felixmüller. Leben und Werk, Anm. 89, S. 271–272; eine weitere, spätere Version: Felixmüller: Menschen … erlebt, gezeichnet, gemalt, S. 31; Brief an Horst Michael, 15.11.1975, im Faksimile abgedruckt in: Löffler, Die Dresdner Sezession, Gruppe 1919, in: Kat. Dresden 1981, S. 44. 102 Otto Lange starb 1944, Constantin von Mitschke-Collande 1956, Lasar Segall 1957, Zehder 1961, Otto Dix 1969, Otto Schubert 1970. 103 Kat. Dresden 1981; zu Joachim Uhlitzsch s. Feist, Kunstdokumentation SBZ/DDR, S. 884 und passim; zwei Briefe Fritz Löfflers an den Direktor der Galerie Neue Meister, die Ausstellung Kunst im Aufbruch betreffend (1979/80), in: Löffler, Dresden. Vision einer Stadt, Nr. 54, S. 286-289. 104 Schwarz, Gesellschaftskritiker oder Karrierist?
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Abb. 11: Otto Dix, Selbstbildnis als Mars, 1915/1919, Öl/Lwd., 81 × 66 cm, Löffler 1915/1, Städtische Sammlungen Freital, Inv.-Nr. V/63/629/K (475)
Das erste persönliche Treffen in Dixens Stube, die zugleich auch als Atelier dienen musste, war konfliktgeladen. Felixmüller nahm Anstoß am Selbstbildnis als Mars (Abb. 11), Dix’ Selbstdarstellung als Kriegsgott in Uniform und Helm mit brutalem Habitus. Nach seiner Schilderung hatte Dix das Gemälde im Januar 1919 in Arbeit. Das widerspricht der Datierung auf 1915, die ein eigenhändiger Zettel von Dix auf der Rückseite des Bildes vorgibt. Die Autopsie der in die nasse Farbe eingeritzten Datierung hilft nicht weiter, denn die Lesung der letzten Zahl ist nicht eindeutig, es könnte sich sowohl um eine Fünf als auch um eine Neun handeln.105 Viele der Frühwerke in 105 Ich danke Rolf Günther, Freital, der das Gemälde bezüglich der Jahreszahl in Augenschein nahm.
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Öl waren ursprünglich nicht datiert, Dix ließ sie in den sechziger Jahren auf Karton und Spanplatten aufziehen; dabei wurden fehlende Teile ersetzt und Dix signierte und datierte in die Ergänzungen hinein.106 Vermutlich verhielt es sich so, dass Dix Anfang 1919 ein 1915 begonnenes Bild fertigstellte, das er bei seiner Wirtin in der Elisenstraße zurückgelassen hatte. Für eine Datierung auf 1919 spricht die stilistische Nähe zu dem zweifellos damals entstandenen Gruppenporträt Familie Felixmüller (Abb. 13); auch die Signaturen sind identisch.107 Das heißt, dass der soeben dem Krieg entronnene Dix sich mit dem Krieg in einer Art und Weise auseinandersetzte, die den Pazifisten Felixmüller irritierte. Doch Dix war kein Pazifist, und das machte er dem Besucher mit dem brutalen, schockierenden Statement „Bajonett dem Gegner in den Wanst“ auf sehr drastische Weise klar. Vermutlich fühlte er sich durch die überhebliche Attitüde des Jüngeren provoziert, die drei Jahre später auch seiner späteren Ehefrau Martha Koch unangenehm auffallen sollte: „FM ist grässlich arrogant führt 1 offenbar einstudierte Berliner Grossschnauze benimmt sich wie ein Pascha hält belehrende Reden wie 1 Schulmeister, ist von geradezu phantastischer Selbstüberheblichkeit.“108 Dix dürfte es zu Recht als Zumutung empfunden haben, als „Schützengrabenschwein“, wie er sich selbst nannte, von einem sechs Jahre Jüngeren ohne Kriegserfahrung über die korrekte Haltung zum Krieg belehrt zu werden. Halten wir für das Folgende also fest: Die Gründungsmitglieder der Gruppe 1919 waren keineswegs unpolitisch und die Künstlergruppe wurde von der Öffentlichkeit als der radikale linke Flügel der Dresdner Künstlerschaft wahrgenommen.109 Die Mehrzahl der Mitglieder war jedoch – auch aus parteipolitischen Gründen – nicht bereit, in die KPD einzutreten. Nach Felixmüllers Austritt traten im Übrigen vermehrt politische Aktivisten wie die KP-Mitglieder Otto Griebel, Wilhelm Lachnit und Eugen Hoffmann der Gruppe bei. Und Dixens Verachtung der Tagespolitik war auch so ungewöhnlich nicht. Noch sehr viel apolitischer gab sich der bald darauf im Umkreis der „Gruppe 1919“ auftauchende Musiker Hans Jürgen von der Wense, der anlässlich der Räterepublik, sozusagen als Revolutionstourist, nach München gefahren war und am 106 Dix, Die frühe Maltechnik; Dix hat auch öfters vordatiert; s. Katalog Gera 1996, Kat.-Nr. 8, S. 334 und Beck, Die kosmischen Bilder, S. 87, Anm. 41. 107 Rainer Beck datierte auf 1915, betonte aber den engen Zusammenhang mit den Gemälden des Jahres 1919. Daniel Spanke wies darauf hin, dass das Gemälde schon alle Merkmale des sogenannten kosmischen Stils von 1919 aufweise; s. Spanke, Das Auge der Welt, S. 14. 108 Martha Koch an Hans Koch und Maria Lindner, 14.03.1922, zit. nach Fischer, Ein Malerleben, S. 45. 109 Dresdner Nachrichten, Nr. 95, 06.04.1919: „Ein Kreis von geladenen Damen und Herren wohnte der kleinen Feier bei, durch die dem radikalen linken Flügel der Dresdner Künstlerschaft die Einführung in die Öffentlichkeit bereitet worden ist.“
Eine widersprüchliche Positionierung
7. April 1919 in sein Tagebuch notierte: „Räte-Republik! Ein schöner Anfang! Aber ich bin völlig unpolitisch geworden. In mir ist alles Musik, ich will arbeiten.“110
Eine widersprüchliche Positionierung Die Neue Vereinigung für Kunst und Dichtung warb mit großem Nachdruck für die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“. Enthusiasmiert berichtete Dix an Kurt Günther von „größtem Bombast“, mit dem die Erstpräsentation eingeleitet werde.111 Im März publizierte der Cicerone die Gründungserklärung und kündigte die erste Ausstellung an.112 Zeitgleich erschien ein Doppelheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung als Sonderheft zur Künstlergruppe.113 Darin stellte Will Grohmann die Mitglieder in einem Essay voll expressionistischer Emphase als „Glühende, voll innerer Ekstasen und Visionen, voll Glauben an die Erlösung der Welt zum Göttlichen“ vor, als „Propheten der Geistigkeit“, die „lieber Sein als den Schein, lieber das Lebensgesetz als die Dinge, lieber den metaphysischen Gehalt der Wirklichkeit als ihre Realitäten“ darstellten, und fragte: „Sind die Objekte mehr als Brücke für den Geist?“114 Grohmanns Würdigungen der einzelnen Mitglieder fielen höchst unterschiedlich aus. Deutlich lassen sich Präferenzen erkennen, so wenn er seinen Freund Lasar Segall an erster Stelle abhandelt und ihm doppelt so viel Text widmet wie dem folgenden Felixmüller.115 Dix schließt an dritter Stelle an, danach folgen Heckrott und MitschkeCollande. Auffällig kurz und kritisch sind Peter August Böckstiegel, Otto Lange und Otto Schubert abgehandelt. Der Artikel schließt mit einer wieder umfangreichen und positiven Würdigung der Bildhauerin Gela Forsters (s. folgende Seite). Grohmanns Unausgewogenheit dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass Böckstiegel und Lange nachträglich in die Gruppe gewählt worden waren und sich noch nicht in Dresden aufhielten; Böckstiegel kehrte erst am 20. April 1919 vom Militärdienst zurück, Lange kam nach der Übernahme der Bromberger Kunstgewerbeschule durch den polnischen Staat nach Dresden.116 Auffällig ist auch, dass Grohmann den Begriff „Expressionismus“ nicht verwandte und auch keine Verbindung zur Künstlergruppe Brücke herstell110 111 112 113 114
Wense, Geschichte einer Jugend, S. 184. Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–453. N. N., Zu der Gründung der Dresdner „Sezession“. Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 1 (1918/19), Märzheft 1919. Grohmann, Dresdner Sezession „Gruppe 1919“; Rudert, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919 und Will Grohmann, S. 62–77. 115 Zu Grohmann und Segall s. Koßmann, Lasar Segall; dies., Will Grohmann, Lasar Segall und die „Dresdner Sezession Gruppe 1919“. 116 Schmidt, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, S. 34–35.
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te. Vielmehr zog er mit dem Bezug auf Ludwig Meidner eine alternative Traditionslinie. Meidner hatte sich vor dem Krieg in Dresden aufgehalten, sich mit Conrad Felixmüller befreundet und diesen nach Berlin eingeladen, so dass ihm durchaus eine Schlüsselfunktion zukam.117 Die Zeitschrift Der Cicerone widmete Meidner das aktuelle Aprilheft; 1921 sollte dieser der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ als Mitglied beitreten.118 Noch entschiedener widersetzte sich Hugo Zehder in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung dem kollektiven Wunsch nach einem Dresdner Expressionismus der zweiten Generation. In seinen redaktionellen Notizen erklärte er das kulturpolitische Programm „Förderung des Expressionismus“ als nicht mehr zeitgemäß und betonte die internationale Orientierung und sezessionistische Ausrichtung der Gruppe 1919, die der lokalen Kunstszene erst einmal „kurze, deutliche Lieder der Abschüttelung“ singen werde. „Die Ziele liegen weit vor uns. Wir sind im Aufmarsch. Überall im Lande, in Frankreich, in Rußland, in Italien und in der Schweiz sind Freunde. Was sind uns noch die alten Werte? […] Freunde, bald tun wir den ersten, harten Griff in ein noch ‚Ungestaltetes‘!“ Eine wahrhaft neue Kunst müsse „das enthalten, was des Geistes und der Seele Erlebnis unserer Gegenwart ist und im Keim alles Zukünftige, das sich zu seiner Zeit entfalten wird.“ Er endete nietzscheanisch bzw. dadaistisch: Man wolle immer sehr lustig sein und „mit Gelächter die vertreiben, deren listige Schatten uns umstehen: auch auf leisesten Sohlen gelangt man nicht an unsere Rockschöße.“119 Zehder rekrutierte im Folgenden Mitglieder, die seiner Vorstellungen einer jungen, radikalen Kunst entsprachen, nämlich den österreichischen Maler und Schriftsteller Oskar Kokoschka und die junge Bildhauerin Gela Forster, die miteinander befreundet, möglicherweise auch miteinander liiert waren. Gela Forster war der Künstlername von Angelika Schmitz, Tochter von Bruno Schmitz, Architekt des Leipziger Völkerschlachtdenkmals.120 Kokoschka hielt sich seit 1916 in Dresden auf, wo er Sanatorium von Dr. Teuschner auf dem Weißen Hirsch Genesung von seinem Kriegstrauma und Zuflucht vor erneuter Einberufung suchte. Zehder hatte ihn in einem Kreis von Künstlern und Intellektuellen kennengelernt, die sich dort in der Pension Felsenburg trafen.121 Dazu gehörten die Schauspielerin Käthe Richter, der Dichter Walter Hasenclever, der Arzt Dr. Fritz Neuberger, der Schriftsteller Ivar von Lücken und der Schauspieler Ernst Deutsch, die sich in der Vereinigung für Kunst und Dichtung engagierten und deren Werke bzw. Schaffen Zehder in seinen Zeitschriften publizistisch begleitete. Der als 117 Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 142–143. 118 Meldung in: Dresdner Neueste Nachrichten, 30.03.1921. 119 Zehder, Notizen, S. 264. 120 Quermann, Bildhauerei in der Dresdner Sezession; Lübbren, Gela Forster’s Radical New Sculpture. 121 Zu Zehder und Kokoschka s. Schwarz, Rittmeister und Excellenz, S. 240.
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„Oberwildling“ titulierte und als Bürgerschreck geltende Kokoschka war seit März 1919 Mitglied des Akademischen Rates und nahm Ende März die Ehrenmitgliedschaft der Gruppe 1919 an.122 Lasar Segall, Otto Dix, Gela Forster und Oskar Kokoschka bildeten Zehders „Fraktion“ innerhalb der Gruppe 1919, die er in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung massiv propagierte; das Maiheft 1919 war Segall, das Juniheft Forster, das Septemberheft Dix gewidmet.123
Die Gründungsausstellung der Gruppe 1919 Anfang März schloss die Gruppe 1919 einen Vertretungsvertrag mit der Kunsthandlung Emil Richter, der ab 1. April 1919 für ein Jahr lief.124 Die Galerie übernahm für diesen Zeitraum die alleinige Vertretung der Gruppe und stellte ihr im Gegenzug zwei ständige Ausstellungsräume im ersten Stock des Gebäudes Prager Straße 13 zur Verfügung. Zudem wurde vereinbart, dass der Gruppe zweimal im Jahr sämtliche Räume im ersten Stock und einmal im Jahr, und zwar drei Wochen im Januar, die Erdgeschossräume für Präsentationen mit Gästen zur Verfügung standen. Mit dieser engen Bindung an eine kommerzielle Galerie waren die kommenden Konflikte vorgezeichnet, denn die Kunsthandlung blickte auf eine starke Brücke-Tradition zurück: 1907 hatte dort die erste „offizielle“ Ausstellung der Brücke stattgefunden, der, trotz negativer Resonanz, 1908 die zweite und 1909 die dritte gefolgt waren. Einige Mitglieder der Gruppe 1919 – Felixmüller, Lange und Schubert – waren zudem geschäftlich eng an die Firma Emil Richter als Herausgeber ihrer Grafik gebunden, und einer von ihnen, nämlich Felixmüller, hatte den Auftrag für die Umschlaggestaltung des Ausstellungskatalogs erhalten; parallel dazu wurde im Graphischen Kabinett im dritten Obergeschoss seine Grafik angeboten, mit separatem Katalog.125 Diese Bevorzugung traf einen Künstler, der zudem durch einige Sammler, die ihm ein regelmäßiges Einkommen garantierten, wirtschaftlich abgesichert war.126 Otto Dix hatte den Auftrag für das Plakat erhalten, das, wie der Vertrag mit der Firma Richter festlegte, nicht honoriert wurde, von dem aber Sonderdrucke für drei Mark zum Verkauf standen. Seine Lithografie Gruppe 1919 (Abb. 12) ist ein Bekenntnis 122 Meldung, Dresdner Neueste Nachrichten, 29.03.1919, S. 2; Rubrik Von Künstlern und Gelehrten, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 191. 123 Dem jeweiligen Künstler waren ein Essay sowie sämtliche Abbildungen des Heftes gewidmet; s. Däubler, Gela Forster; Grohmann, Lasar Segall; Zehder, Otto Dix. 124 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Felixmüller, Conrad, I,B8. 125 Kat. Dresden 1919a. 126 Penndorf, Conrad Felixmüller und seine Sammler.
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Abb. 12: Otto Dix, Plakat: Gruppe 1919 Kunstausstellung Emil Richter, Pragerstrasse 13 I. Stock, 1919, Lithografie auf bräunlichem Papier, 920 × 590 mm (Darstellung), Karsch 338, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1969-661
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zum offenen Kunstmodell des Statuts. Sie stellt die Vereinigung als Zusammenschluss dar, zu einer Einheit verschmolzen und zugleich mit erhobenen Armen und zeigenden bzw. zum Zugriff geöffneten Händen nach verschiedenen Richtungen ausgreifend; sich gegenseitig Rückendeckung gebend, wagen sie den von Zehder geforderten „harten Griff in ein noch ‚Ungestaltetes‘“.127 Die Gründungsausstellung wurde am 4. April 1919 und damit vier Tage nach Inkrafttreten des Vertretungsvertrags mit der Kunsthandlung Emil Richter eröffnet und fand in den der Gruppe von der Neuen Vereinigung für Kunst und Dichtung zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten des ersten Stocks statt. Hugo Zehder hielt die Eröffnungsrede, in der er die Gruppe 1919 künstlerisch als Nachfolger, aber nicht Fortsetzer der Brücke positionierte und den vollen Bruch mit dem Alten als die Grundbedingung des Neuen forderte.128 Gleichzeitig veranstaltete die Kunsthandlung Emil Richter im repräsentativen Oberlichtsaal eine Ausstellung junger Dresdner Künstler wie Wilhelm Rudolph, Bernhard Kretzschmar, Erik Johansson, Carl Piepho, Georg Kind und Alfred Glatter, von denen einige später der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ beitreten sollten.129 Auf einen Konflikt zwischen der Firma Emil Richter und Zehders Kunstverein verweist der Umstand, dass ursprünglich Will Grohmann als Autor des Katalogtextes vorgesehen war, dann jedoch Walter Rheiner diese Aufgabe übernommen hat.130 Dies war möglicherweise eine Folge von Grohmanns Kritik im Sonderheft der Neuen Blätter (s. S. 41f.) an den von Richter vertretenen Spätexpressionisten. Rheiner jedenfalls enthielt sich jeder Parteinahme und stellte die Gruppe – wie im Statut festgelegt – als Kollektiv vor, d.h., er erwähnte keine Personen, sondern nur Exponate.131 Von Beginn an war also eine Zweiteilung zu erkennen zwischen den Spätexpressionisten wie Heckrott, Schubert, Böckstiegel und Lange, die sich um Felixmüller scharten, und den radikalen Neuerern wie Lasar Segall, Gela Forster und Otto Dix, die von Zehder unterstützt wurden. Dix und Felixmüller ragten mit je sechs Gemälden aus der Präsentation deutlich heraus: Felixmüller zeigte Balkonbild, Schwangere im Herbstwald, Melancholie, Familie, Geburt und Inbrünstiger Mensch, Dix Leda mit dem Schwan (Abb. 14), Weib mit Fruchtschale (Verbleib unbekannt), Familie Felixmüller (Abb. 13), Meine Freundin Elis (Abb. 25) Maler Nelsen und ein Selbstporträt, das sich als das Selbstbildnis als Mars (s. 127 Zehder, Notizen. 128 Dresdner Anzeiger, 06.06.1919, S. 5, zit. nach Schmidt, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, S. 36–37. 129 Notiz, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 20.04.1919, S. 3; Rubrik Ausstellungen, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 190–191. 130 Anzeige, in: Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 1 (1918/19), Märzheft 1919, S. 266; N. N., Zu der Gründung der Dresdner „Sezession“. 131 Rheiner, Die neue Welt.
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Abb. 13: Otto Dix, Familie Felixmüller, 1919, Öl/Lwd., 75 × 90 cm, Löffler 1919/10, Saint Louis Art Museum, Bequest of Morton D. May 882:1983
S. 39–40 und Abb. 11) identifizieren lässt.132 Mit Letzterem zeigte Dix jenes Werk, das Felixmüllers Kritik auf sich gezogen hatte. Daraus lässt sich schließen, dass seine künstlerische Position von der Gruppenmehrheit getragen wurde, denn die Jurierung wurde gemeinschaftlich durchgeführt. Auffällig ist die Parität und stilistische Nähe ihrer „kubofuturistischen“ Beiträge. Sogar das Preisniveau war mit 1500–2000 Mark gleich. Nicht zu übersehen war, dass der ältere, weniger bekannte Dix mit dem jüngeren Star der Dresdner Kunstszene in einen Wettstreit getreten war. Einen direkten Vergleich forderten die beiden Gruppenporträts der Felixmüller’schen Familie heraus, dasjenige von Felixmüller selbst aus dem Jahr 1918 und das von Dix aus dem Jahr 1919.
132 Carl Puetzfeld, Dresdner Sezession, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 18.04.1919, erwähnte „ein Selbstporträt als Kavallerist, wo die gemalte Erinnerung an den Krieg, Geschütze, Landschaftsausschnitte, Heldenfriedhöfe, Orden und was auch immer wild durcheinander wirbeln.“
Ein misslungener Start?
Ein misslungener Start? Während Will Grohmann und Hugo Zehder die Gruppe von der Brücke absetzten, rief Rudolf Herbert Kaemmerer, Mitarbeiter der Kunsthandlung Richter, diese Tradition auf und jubelte im Cicerone: „In dieser Stadt Dresden […] ist eine Tat geschehen, wichtiger, meine ich, als irgend etwas, das diese Tage, diese Wochen, dieses Jahr uns an künstlerischen Erlebnissen brachte. […] Es haben sich wieder junge Künstler zusammengefunden (wer denkt nicht an die Gründung der ‚Brücke‘ zurück?).“133 Er bediente damit die Wunschvorstellung auf eine zweite expressionistische Generation, die in der „Vaterstadt des Expressionismus“ (Fechter) 1917 mit der Herbstausstellung der Galerie Arnold geweckt worden war. Die Positionen der Dix-Kritik reichten, gerade wegen dieser Erwartungshaltung auf eine zweite expressionistische Künstlergruppe, von abwartend bis offen ablehnend. Wohlwollend gaben sich die der Gruppe nahestehenden Autoren Will Grohmann und Rudolf Kaemmerer; Letzterer wollte in Dix „ein wildes, noch ganz ungefesseltes Temperament“ erkennen, das „unbeeinflußt, kompromißfrei, den Weg zur ihm gemäßen Gestaltung“ suche.134 Das lokale Feuilleton jedoch lehnte Dix ab. Richard Stiller bemäkelte den „Wirbel äußerlicher Blendstücke, die mehr durch Buntheit als durch Feinheit des Kolorits wirken“.135 Der einflussreiche Kulturredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten Carl Puetzfeld griff den Wettstreit zwischen Dix und Felixmüller auf, erklärte Felixmüller zur führenden Persönlichkeit der Gruppe und dessen Gemälde Schwangere im Herbstwald zum „schönste[n] Bild der Ausstellung“.136 Dix sei von dessen Reife „noch sehr weit entfernt […] Das gibt bestenfalls einen futuristischen Salat, nur kein Bild“. Die scharfe Ablehnung muss für Dix überraschend gekommen sein, hatte ihn Puetzfeld, der auf Seiten der jungen Kunst stand und sich für die Berufung des „Bürgerschrecks“ Oskar Kokoschka an die Kunstakademie und Ankäufe junger Kunst durch die Gemäldegalerie einsetzte,137 doch anlässlich der „Expressionistenausstellung“ von 1917 mit Lob bedacht (s. S. 29). Puetzfeld dürfte bei Dix Verrat an der Autonomie der modernen Kunst, vor allem ihrer angeblichen Voraussetzungslosigkeit, gewittert zu haben. Denn mit dem Gemälde Leda mit dem Schwan (Abb. 14) orientierte sich dieser an einem klassischen Sujet der Kunstgeschichte, mit dem sich Maler seit der Renaissance auseinandergesetzt haben. Eine Version aus dem 17. Jahrhundert, von Peter Paul Rubens, die wiederum eine Bild133 Kaemmerer, Die Erste Ausstellung; ders., Brief aus Dresden. 134 Kaemmerer, Die Erste Ausstellung, S. 341. 135 Richard Stiller, Sezession Gruppe 1919 bei Richter, in: Dresdner Anzeiger, 12.04.1919, S. 5. 136 Carl Puetzfeld, Dresdner Sezession, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 17.04.1919. 137 Carl Puetzfeld, Wandel an der Kunstakademie, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 22.03.1919, S. 2–3.
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schöpfung aus dem frühen 16. Jahrhundert von Michelangelo bearbeitet, befindet sich in der Dresdner Gemäldegalerie; Dix hatte sich schon vor dem Krieg damit beschäftigt, wie Zeichnungen von 1914 belegen.138 Der Schaden, der Dix aus der Ablehnung durch Puetzfeld erwuchs, war enorm, da der Journalist als Dresdner Korrespondent des Kunstblattes, des wichtigsten Organs der jungen Kunst in Deutschland, eine Schlüsselposition für seine überregionale Wahrnehmung einnahm; in seiner Kunstblatt-Besprechung erwähnte er Dix nicht einmal.139 Er stand damit auf einer Linie mit dem Herausgeber des Zeitschrift, Paul Westheim, der in seiner Rezension des Sonderhefts zur Gruppe 1919 Dix ebenfalls nicht anführte, jedoch auch kritisierte, dass Heckrott, von Mitschke-Collande und Schubert epigonisch von den Errungenschaften der Brücke lebten. Westheim sah Möglichkeiten einer künstlerischen Entwicklung nur bei Felixmüller, Segall und Gela Forster.140 Gleichwohl dürften die negativen Kritiken auf Dix als Bestätigung der eigenen Sonderstellung gewirkt haben. Das bürgerliche Verdikt „Epigonenwerk“ hatte Friedrich Nietzsche nämlich als Abwehr des Spießbürgers dem „unbequem Neuen“ gegenüber apostrophiert, da es dessen „Behagen an der eigenen Enge, der eigenen Ungestörtheit, ja an der eigenen Beschränktheit“ diametral entgegengesetzt sei. Schon vor dem Krieg hatte sich Dix als Künstler in einer antagonistischen Position zum Bürger gesehen, den er „Philister“ nannte im Sinne des Bildungsphilisters Nietzsches, der sein Kulturmenschentum nur wähnt. „Der Bildungsphilister“, so Nietzsche, „wehrt in solchem Falle nur ab, verneint, sekretiert, verstopft sich die Ohren, sieht nicht hin, er ist ein negatives Wesen, auch in seinem Hasse und seiner Feindschaft.“141 Eine so starke Ablehnung durch die bürgerliche Kunstkritik förderte Dix’ Disposition für die neue, nietzscheanische Kunstbewegung, genannt Dada. Denn auch Dada definierte sich zu diesem Zeitpunkt primär als „der Protest des Künstlers gegen das Bildungsideal des Philisters, der in der allgemeinen Schulpflicht den Gipfel aller Kulturleistung sieht“; am 8. Mai 1919 erklärte Udo Rukser in der Besprechung der ersten Dada-Ausstellung bei I. B. Neumann, Dada sei „die Rache des Künstlers am Bourgeois dafür, daß er ihn immer hat hungern und leiden hat lassen und unter das Joch seiner Borniertheit und kümmerlicher Lebensführung und Ansicht hat beugen wollen.“142 138 Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, FW 5.3.10, FW 5.3.11 und FW 5.3.12, S. 221; Beck, Die kosmischen Bilder, S. 186–192, mit Abbildung der Zeichnungen aus der Vorkriegszeit auf S. 190. 139 Puetzfeld, Neue Kunst in Dresden. 140 N. N. [Paul Westheim], Bücher, in: Das Kunstblatt, Jg. 3, 1919, S. 190–191. 141 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück, zit. nach Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, S. 143; Meyer, Bildungsphilister; Czezior, Die Figur des Philisters, S. 155ff. 142 Udo Rukser, Dada. (Ausführung und Ausstellung im Salon Neumann, Kurfürstendamm.), in: Freie Zeitung, 28, 08.05.1919.
Leda mit dem Schwan
Leda mit dem Schwan Was war so verstörend an dem Gemälde Leda mit dem Schwan (Abb. 14)? War es der erigierte Penis des Schwans, mit dem sich Dix ganz eklatant von der Tradition absetzte? Anstatt der dezenten Seitenansicht hatte er den direkten Blick von oben gewählt, so dass der Penis sichtbar ist. Mit dieser Konkretisierung hatte er sich für eine nach bürgerlicher Auffassung „pornografische“ Ansicht entschieden, die den bürgerlichen Kunstrezipienten nolens volens zum Voyeur und Zeugen eines perversen Vorganges machte. Die Absicht dahinter war, die verachtete ästhetische Kunstauffassung zugunsten einer von vitalen Interessen getragenen Kunstrezeption zu durchbrechen. Denn mit Hilfe des sexuellen Motivs lenkte Dix den Blick des Betrachters weg vom Wie auf das Was, von der Form auf den Inhalt. Damit passte er allerdings nicht in das von Will Grohmann vorgegebene expressionistische Schema vom „Propheten der Geistigkeit“, der außerhalb der willensstarken Formulierung keinen Inhalt kenne (s. S. 41). Seine Gemälde haben unübersehbar und deutlich erkennbare Inhalte. Bei einem so klaren Verstoß gegen das Prinzip der Vergeistigung war die Ablehnung durch die Dresdner Kritikerschaft zu erwarten gewesen. Mit Leda mit dem Schwan stellte sich Dix explizit in die kunsthistorische Tradition und griff den antiken Schöpfungsmythos auf, nach dem sich das Göttliche in Gestalt des Göttervaters Zeus im Sexualakt mit der Welt verbindet. Noch in jüngerer Zeit hat die ungewöhnliche Konkretion des Themas dazu geführt, dass die Szene als Vergewaltigung gedeutet wurde.143 1919 muss das Missverständnis noch wesentlich näher gelegen haben. Doch Dix stellte Leda als lüstern dar, worauf bereits Will Grohmann im ersten Text zur Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ hinwies: „‚Leda‘: Zergehen in Lust, auch das Weib brennend“ (s. Anhang, S. 255). Aber auch das machte die Rezeption des Bildes für das bürgerliche Kunstverständnis von 1919 nicht einfacher. Bald darauf sollte Dix in seinem Manifest des Illuministen die Kunst als Ekstase und Koitus bestimmen (s. S. 262). Das Gemälde ist also auch eine Aussage über Kunst. Indem er die sexuelle Aktion durch die Wollüstigkeit Ledas als beidseitig darstellt, deutete er das traditionell einseitige, autoritäre, patriarchalische Schöpfungsmodell in ein zweiseitiges, ein polares und letztlich monistisches um. Der Sexualakt zwischen dem Göttervater und Leda ist Folge einer Täuschung: Zeus nähert sich ihr in Gestalt eines Schwans. Nach Friedrich Nietzsche will das Leben Täuschung und braucht Täuschung, und das, nämlich die Täuschung kenntlich zu machen, sei die Aufgabe der Kunst.144 Mit seinem Rückbezug auf die Alten Meister geriet Dix in Widerspruch zur avant143 Strobl, Malerkarriere, S. 216. 144 Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, Vorrede 1, s. Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, S. 437-438.
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Abb. 14: Otto Dix, Leda mit dem Schwan, 1919, Öl/Lwd., 103,5 × 80,5 cm, Löffler 1919/4, Los Angeles County Museum of Art
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gardistischen Moderne, die den Fortgang der Kunst als fortlaufende Überwindung des vorherigen Zustandes begriff. Doch er brauchte den Rückbezug, um sein Bild als Sinnbild kenntlich zu machen. Sich auf die kunsthistorische Tradition zu berufen, war von Nietzsche her legitimiert, dessen Kreislaufdenken gegen das lineare Fortschrittsmodell der Moderne gerichtet war. Dix sollte sich darauf beziehen, als er seine Position 1926 in einem schriftlichen Beitrag zu einer Umfrage darlegte: „Was vor Jahrtausenden neu war, ist heute alt und trotzdem wieder neu. Wie soll man da entscheiden, wo das Alte aufhört und das Neue beginnt – wie soll man sich da äußern, ob die neuen Ausdrucksformen durch noch neuere überholt werden?“145 Mit seinem „korrigierten Meisterwerk“ griff Dix das als verlogen empfundene bürgerliche Bildungsideal an, so dass sich das Gemälde Leda durchaus als ein prä-dadaistisches Werk bestimmen lässt: Dada vor Dada.
Violas „Salon“ Mit Theodor Däubler erschien im Mai 1919 eine der gewichtigsten Bezugspersonen für die aktuelle Kunst in Deutschland in Dix’ Atelier.146 Als Mitglied des Berliner Club Dada und ständiger Mitarbeiter der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung war er ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Dada-Berlin und Dada-Dresden. Der Schriftsteller hielt sich 1919 mehrere Monate in der Elbstadt auf und steuerte am 15. Mai 1919 zum Rahmenprogramm der Gründungsausstellung die Finissage bei, indem er aus eigenen Schriften las.147 Um diesen Zeitpunkt herum muss er Dix besucht haben, um einen Essay über ihn für das Kunstblatt vorzubereiten, dessen ständiger Mitarbeiter er war. Damit lassen sich schon für Mai 1919 Maßnahmen fassen, Dix im Gegenzug zur Ablehnung durch die Dresdner Kritiker zu propagieren. Deren Regressionsvorwurf teilte Däubler jedenfalls nicht; vielmehr vertrat er die Überzeugung, dass jedes neue Kunstwerk Überkommenes aktualisiere und „Kreativität in der Kunst […] sich durch Bewahrung in Form origineller Anverwandlung“ beweise.148 In seinem 1916 im Hellerauer Verlag erschienenen Buch Der neue Standpunkt, einer Essaysammlung über die aktuelle europäische Kunst, hatte er das Verhältnis der Moderne zur Tradition neu kalibriert, das Ideal einer an der nationalen Kunsttradition anknüpfenden 145 Dix, Objekt gestaltet Form, S. 206. 146 In einem Brief an Paul Westheim vom 20. Mai 1919 schrieb Dix, Däubler habe ihn „vor kurzer Zeit“ im Atelier besucht; s. Windhöfel, Paul Westheim, S. 202–203 und Anm. 412. 147 Notiz, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 10.05.1919, S. 3. 148 Rietzschel, Theodor Däubler, S. 172.
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neuen Klassik gepredigt und für die deutsche Kunst auf die Drastik des Mittelalters hingewiesen.149 Dix dürfte Däubler im Kreis um den Pianisten und Komponisten Erwin Schulhoff kennengelernt haben, der bisher wenig Beachtung in der Dresdner Kunstgeschichte gefunden hat. Schulhoff hatte im Februar 1919 mit der Vertonung von DäublerGedichten unter dem Titel Menschheit begonnen.150 Zugang zu diesem Kreis hatte Dix über seine alten Kontakte in die Kunstgewerbeschule erlangt. Für den Kriegsheimkehrer bot seine alte Lehranstalt eine Attraktion besonderer Art, die der Kunstakademie noch fehlte, nämlich eine Frauenklasse: die von Margarete Junge geleitete Modeklasse. Dort hatte schon Dix’ Vorkriegsfreundin Margarete Kummer studiert, dort studierten auch die drei uns bekannten Freundinnen des Jahres 1919, Johanna Lehnert, Elis Franz und Viola Schulhoff.151 Sein Kommilitone Otto Griebel, der das Kunstgewerbsstudium für den Kriegsdienst lediglich unterbrochen hatte, machte jedenfalls zeitnah zu seiner Rückkehr die Bekanntschaft von Viola Schulhoff, 1896 in Prag geborene Tochter einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1918 nach Dresden gekommen war, um Malerin zu werden. Dix muss bald darauf zu der Clique hinzugestoßen sein, jedenfalls spannte er Griebel im März 1919 kurzfristig dessen Freundin Elis Franz aus und bearbeitete das Verhältnis in dem Gemälde Meine Freundin Elis (Abb. 25).152 Nicht lange nach dieser kurzen Affäre ging Dix eine Liebschaft mit Viola Schulhoff ein. Die gutbetuchte, mondäne Viola153 dürfte der Strahlpunkt der Clique gewesen sein. Ihre elegante, beheizte und sicherlich mit Bad ausgestattete Mietwohnung in der Elisenstraße wurde zum Künstler-Treffpunkt in diesem bitterkalten und von Not geprägten Hungerwinter. Denn Dix lebte zur Untermiete in einem kleinen Zimmer in der Ziegelgasse, das er aus Geldnot nur sporadisch heizte: „Es ist jetzt so schauderhaft 149 Däubler, Der Neue Standpunkt; Schwarz, Kunsthistoriker sagen Grünewald, S. 144–146; Schwarz/Schwarz, Dix und Beckmann. Stil als Option, S. 49–51. 150 Rietzschel, Theodor Däubler, S. 191–196. Am 25. Februar 1919 beendete Schulhoff die Skizze und widmete sie „Dem Andenken des Menschen Karl Liebknecht! verachtet und erschlagen im Januar 1919 von den Menschen“, am 21. Juni 1919 stellte er die Instrumentation fertig; s. Bek, Schulhoff, WV 48, S. 201–202; Widmaier, Nachwort und Kommentare, S. 105–106. 151 Zu Johanna Lehnert und Elis Franz s. Beck, Die kosmischen Gemälde, S. 68–69; zu Viola Schulhoff ebd., S. 224–226 und passim; zu Viola als Malerin s. Durus, Bilder von Viola Günther-Schulhoff. 152 Griebel, Mann der Straße, S. 77–78. 153 Dix hat sie wohl in einer Kreidezeichnung als mondäne Zigarettenraucherin dargestellt, s. Sitzende mit Zigarette (Porträt Viola Schulhoff?), 1919, Kreidezeichnung, Privatbesitz, Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, EDV 1.1.18, S. 501.
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Abb. 15: Otto Dix, Porträt Schulhoff, 1919, schwarze Kreide/Papier, 440 × 325 mm, Lorenz EDV 1.1.19, Standort unbekannt
kalt, zum Heizen langts bloß sonnabends und Sonntags, aber es wird intensiv gearbeitet.“154 Viola lebte zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Bruder Erwin zusammen, den Dix in einer Kreidezeichnung porträtiert hat (Abb. 15).155 Der 1894 geborene Erwin, Urgroßneffe des um die Mitte des 19. Jahrhunderts berühmten Salonvirtuosen Julius Schulhoff, hatte als musikalisches Wunderkind vor dem Krieg eine hochrangige Ausbildung 154 Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–454. In der Elisenstraße (67 I) befand sich auch Dix’ Vorkriegsquartier, das er spätestens zum Mai wieder bezogen haben muss, s. ebd. 155 Hierzu und zum Folgenden: Bek, Schulhoff, S. 11–53.
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als Pianist in Wien, Leipzig, Köln glänzend und preisgekrönt absolviert und zahlreiche Konzert-Tourneen erfolgreich durchgeführt. Im Ersten Weltkrieg wurde er wie Dix mehrfach verwundet; eine Handverletzung durch Granatsplitter löste einen Schock aus, Verzweiflung und Frustration waren die Folge. Während Rekonvaleszenz und Urlaub hatte er sich schon 1918 länger in Dresden aufgehalten, Anfang 1919 ließ er sich dort nieder. Die Schulhoff’sche Wohnung entwickelte sich zum Treffpunkt eines Künstlerkreises, dem neben Otto Griebel, Elis Franz und Otto Dix auch Erwins Freundin, die Tänzerin Suse Elsler, sein Klavierschüler Alfred Schlee, Lasar Segall und der aus St. Petersburg stammende Alexander Neroslow, Architekturstudent an der Technischen Hochschule, angehörten.156 In diesem Kreis verkehrten auch hochrangige Persönlichkeiten des Dresdner Kulturlebens wie Hermann Kutzschbach, Kapellmeister der Dresdner Oper, der Dichter Theodor Däubler und der Architekt Hans Poelzig, der seit 1916 Stadtbaurat von Dresden war. Hier war auch der mit Segall befreundete Will Grohmann anzutreffen, zu diesem Zeitpunkt Studienrat am König Georg-Gymnasium, der dort gemeinsam mit Kutzschbach Kunsterziehungsabende durchführte.157 Über Dix’ Verhältnis zu Viola ist wenig Konkretes bekannt, Indizien legen aber nahe, dass es ein enges war, möglicherweise von dem emotional und sexuell ausgehungerten Kriegsheimkehrer her eine große Liebe. Dix schenkte und widmete Viola in diesem Jahr mehrere seiner Holzschnitte, darunter Der Kuss (Liebespaar), der vermutlich beide darstellt, und widmete ihn „Meiner Freundin Viola“ (Abb. 16).158 Die beiden anderen Widmungen sind inniger und zeugen wohl von wachsender Verliebtheit: „meiner lieben Violetta“ (Abb. 30) und „Viola in Liebe zugeeignet“ (Abb. 32).159 In einem Brief an George Grosz vom Herbst 1919 nannte Dix Viola seine „Braut“, und sie bestätigte mit ihrer Unterschrift „Dadabraut“ das informelle Verlöbnis.160 Das war mehr als ein DadaScherz. Der Pianist und Komponist Hans Jürgen von der Wense (auch: Hans Wense), der am 24. Juni 1919 im Schulhoff’schen Atelier zu Besuch war, notierte danach in sein Tagebuch: „bei dem Pianisten Schulhoff, Schwager von Otto Dix.“161 Die Bezeichnung 156 Kalhorn, Alexander Neroslow. 157 Grohmann, Zehn Jahre Kunsterziehungs-Abende; Johannsen, Kunsterziehungsabende und künstlerische Bildung, S. 28–29; Rudert, Will Grohmann. 158 Beck, Die kosmischen Bilder, S. 75. 159 Mit „meiner lieben Violetta“ wurde der Holzschnitt Der Morgen (Karsch 341), Kat. Chemnitz 2011, Kat.-Nr. 159, dediziert, mit „Viola in Liebe zugeeignet“ der Holzschnitt Ich bin das A und das O (Karsch 343), ebd., Kat.-Nr. 160, S. 215; s. Abb. 32. 160 Viola Schulhoff in einem Nachsatz, in: Erwin Schulhoff an George Grosz, o.D., Akademie der Künste, Berlin, George-Grosz-Archiv, Nr. 416, zit. nach der Transkription in: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 32–34, hier S. 34. 161 Wense, Geschichte einer Jugend, S. 211.
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Abb. 16: Otto Dix, Der Kuss (mit Widmung an Viola Schulhoff: „Meiner Freundin Viola“), 1919, Holzschnitt, 240 x 178 mm, Karsch 339 a, Kunstmuseum Albstadt, Stiftung Sammlung Walther Groz
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„Schwager“ spricht für eine sehr enge Verbindung. Dies legt auch eine Erinnerung von Meta Nierendorf nahe, die Dix im Atelier von Viola kennenlernte: „Ich sah viele seiner überraschenden Bilder; denn er malte häufig dort. Viola lebte von Zuwendungen ihrer Eltern und teilte kameradschaftlich. Aber wenn am Monatsende das Geld ausgegangen war, lebten beide manchmal tagelang nur von frischen Kirschen.“162
162 Fischer, Ein Malerleben, S. 24.
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Romantiker Dix Vielleicht noch in Gera Ende 1918 begonnen, aber Anfang 1919 fertiggestellt hatte Otto Dix das Selbstbildnis Sehnsucht (Abb. 17).163 Es zeigt seinen Kopf im Zentrum, aus dem eine Mondsichel, eine Sonne, ein Stierkopf und eine knospenartig-embryonale Figuration mit Rosenblatt herauszuwachsen scheinen. Mond und Sonne sind einander diagonal zugeordnet, ebenso wie Stier und die embryomorphe Rose. Neben den Diagonalen lässt sich eine vertikale Teilung ausmachen. In der linken Bildhälfte dominieren Sichelformen, die als Zeichen für das männliche Prinzip zu verstehen sind, rechts stehen runde Formen für das weibliche Prinzip.164 Dabei geht es dem Maler um die Einheit der Gegensätze Sonne/Mond, Mann/Frau, Scheibe/Sichel, rund/spitz, blau/rot. Die Augen des Selbstbildnisses sind geschlossen, der Mund ist geöffnet. Damit wich Dix signifikant von dem Bildnistypus ab, den er in der Vorkriegszeit entwickelt hatte und, abgesehen von der „kosmischen“ Phase, sein ganzes Leben beibehalten sollte: dem Böse-Blick-Typus mit stechendem bzw. bohrendem Blick aus verengten Augenschlitzen, mit gefurchter Stirn, verschlossenen Lippen, hervortretenden Augenwülsten und vorgeschobenem Kinn, konzentriert, ja lauernd, oft scharf im Profil. Mit dem „bösen Blick“ zeigte sich Dix als entschlossener Mensch mit einem ausgeprägten Augensinn und skeptischer, kritischer Grundeinstellung des Denkens. Der Maler wird heute so stark mit diesem Typus identifiziert, dass die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen den „bösen Blick“ zum Titel ihrer Dix-Ausstellung von 2017 wählten.165 Tatsächlich hat sich Dix als Augenmensch bezeichnet, seine kunsttheoretische Maxime lautete „Der Maler ist das Auge der Welt“. Sein Leben lang wurde er nicht müde, die Bedeutung des Sehens für sich und sein Schaffen zu betonen. Bald darauf sollte er sein weit aufgerissenes Auge in den Mittelpunkt des dadaistischen Selbstbildnisses Ich Dix bin das A und das O setzen (s. Abb. 32).
163 Dalbajewa, Otto Dix in der Dresdner Galerie; zur Datierung s. auch Beck, Die kosmischen Bilder, S. 58–64. 164 Zur Interpretation s. Beck, Die kosmischen Bilder, S. 178–185. 165 Kat. Düsseldorf 2017.
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Dix und Philosophie
Abb. 17: Otto Dix, Sehnsucht (Selbstbildnis), 1918/19, Öl/Lwd., 53,5 × 52 cm, Löffler 1918/1, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Albertinum
Im Gegensatz dazu legen die Selbstdarstellungen der ersten Jahreshälfte 1919 die Betonung auf den Mund. Sehnsucht zeigt Dix mit blauem Inkarnat, die Augen geschlossen bzw. verschattet, die roten Lippen stehen dazu in einem scharfen Komplementärkontrast und bilden den farblichen Fokus des Bildes. Ähnlich hat Kurt Günther ihn dargestellt.166 Im Selbstbildnis Prometheus (Abb. 22) trägt Dix sogar eine Blindenbrille.167 Mit einer 166 Kurt Günther, Bildnis Otto Dix, 1920, Pastell, 45,3 × 32,8 cm, Kat. Gera 1993, Nr. 36, S. 110. 167 Theisohn, Prometheus, S. 620; Vaupel, Göttergleich – gottverlassen, S. 170–172; Strobl, Malerkarriere, S. 221–223.
Romantiker Dix
solchen sollte er sich auch in dem Dada-Gemälde Die Kriegskrüppel (Abb. 36) darstellen. Sein Blick geht nach innen, ganz im Sinne des radikalen Individualismus von Friedrich Nietzsche und Salomo Friedlaender bzw. des ethischen Solipsismus oder „Egoismus“ von Ernst Marcus, der das Zentrum der Welt in das Innere des Individuums verlegte. Entsprechend dieser Vorstellung sind Selbstbildnisse für Dix „Bekenntnisse eines inneren Zustandes“, wie er noch 1957 im Gespräch mit Fritz Löffler äußerte.168 Die Farbe Blau, die er für das Inkarnat wählte, ist die Farbe der Sehnsucht und der Romantik. Der Werktitel Sehnsucht sichert die Deutung als ein programmatisch romantisches Werk ab. Dix stellte sich nicht als Skeptiker dar, sondern als Romantiker, der sich ganz auf sich und sein Gefühl verlässt. So formulierte er sein Verlangen, sich einzubinden in die natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Lebens, aus dem der Krieg ihn herausgerissen hatte. Die Vorstellung einer neuen Romantik entsprach dem aktuellen kunstphilosophischen Diskurs. Grundlegend war die Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts, die eine Psychologisierung der Ästhetik mit sich gebracht hatte. Dementsprechend sah der Künstler und Schriftsteller Samuel Lublinski 1904 in seinem Buch Die Bilanz der Moderne aus dem Naturalismus des 19. Jahrhunderts eine Neu-Romantik entstehen, die er mit der Moderne identifizierte.169 1905 war dann die Malerei der Romantik in der Jahrhundertausstellung rehabilitiert worden; 1908 hatte Oskar Walzel, der Direktor des Literaturhistorischen Seminars der Technischen Universität Dresden, der im Kreis um Hugo Zehder, Oskar Kokoschka und der Gruppe 1919 verkehrte, mit seiner Monografie über die Deutsche Romantik (1908) eine literaturgeschichtliche Aufarbeitung geliefert. Der Dix-Förderer Paul Ferdinand Schmidt sollte 1920 im Kunstblatt für Das Recht auf Romantik eintreten und 1923 ein Buch über Philipp Otto Runge publizieren, in dem er Verbindungen zur modernen Farb-Malerei, etwa zu Wassily Kandinsky, Marc Chagall, Georg Muche und Franz Marc zog.170 Wassily Kandinsky verkündete in seiner Programmschrift Über das Geistige in der Kunst: „Hier [in der Kunst] ist alles und ganz besonders im Anfang Gefühlssache. Nur durch Gefühl, besonders im Anfang des Weges, ist das künstlerisch Richtige zu erreichen.“171 Als Romantiker bezeichnete sich auch Erwin Schulhoff retrospektiv nach dem Kontakt mit Berlin-Dada: „Voriges Jahr war ich noch ernster Künstler und Romantiker, jetzt pfeife ich auf ‚geistiges Dasein‘ und geniesse umso sinnlicher Körper, Kunst und Musika, alles andere – pipe!!!“172 Sein Werk Menschheit, das er in der ersten Hälfte des 168 Dix, Gespräch mit Dr. Fritz Löffler, August 1957, S. 225. 169 Zu Lublinsky und seinem Konzept der Moderne als Verschmelzung von Sinnlichkeit und Geistigkeit s. Fick, Sinnenwelt und Weltseele, S. 361ff. 170 Schmidt, Das Recht auf Romantik; ders., Philipp Otto Runge. 171 Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, S. 69–70. 172 Schulhoff, Tagebuch, S. 50, Eintrag vom 15.08.1919.
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Jahres 1919 schuf und Theodor Däubler widmete, ist ein evident romantisches Werk, „von Melancholie und Sehnsucht beherrscht, die mit spätromantischen Ausdrucksmitteln gestaltet werden.“173 Die neue Romantik war Ausdruck einer Moderne, die als monistische Zusammenschau der Gegensätze gesehen wurde. Für Samuel Lublinski war jeder Romantik die „monistische Empfindung“ eigen, dass „das Individuum gleichsam mit dem Kosmos verflochten“ sei. Man suche „das Mysterium der Geschlechterliebe zu ergründen“ und verstehe es „als Symbol für das kosmische Leben und das Weltgeheimnis schlechthin.“174 Die „Moderne als monistische Bewegung“ (Monika Fick) setzte der „Entsinnlichung des Universums durch die Naturwissenschaften und die Sinnentleerung der Welt durch die Auflösung der festen geistigen Horizonte – religiöser und metaphysischer Art“ – eine „Versinnlichung des Geistigen“ entgegen. Der Monismus setzt Geisteserkenntnis mit Sinneserkenntnis gleich, was zu einer Aufwertung von Wahrnehmung und Erscheinung führte, die ihre „Ergänzung in der Bindung der geistigen Gehalte an eben dies sinnliche Erleben mit seinem eminenten Realitätscharakter“ fand.175 Für den Monisten haben keine vorgeprägten Deutungsangebote mehr Gültigkeit. Geist, Bedeutung und Sinn verwirklichen sich nur im individuellen, von den Sinnen getragenen Erleben. Und Otto Dix war Monist. Monistisches Gedankengut hatte ihm wohl schon in seiner Jugend sein Zeichenlehrer Ernst Schunke vermittelt. Jedenfalls machte er sich Ernst Haeckels Welträtsel, ein monistisches Welterklärungsmodell, zu eigen.176 Haeckel verwarf alles Übernatürliche, für ihn stellten belebte und unbelebte Natur eine Einheit dar. Mit dem von ihm gegründeten Monistenbund wandte er sich gegen den Dualismus des 19. Jahrhunderts. Zeitgenössische Interpreten haben auf Dix’ Monismus hingewiesen: Dix sei kein Dualist mehr, konstatierte etwa Hugo Zehder in seinem Dix-Essay vom September 1919 mit Bezug auf die Werke der ersten Jahreshälfte 1919.177 Ilse Fischer bestimmte in ihrem Artikel Der Dadaist (Otto Dix) von 1922 Dix’ Weltanschauung als dynamisch-motorischen Monismus.178 Wie weitverbreitet polar-monistische Vorstellungen waren, zeigt das Tympanon des Schulgebäudes für die Hellerauer Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus, später Festspielhaus genannt, in dem als Symbol das chinesische Yin-Yang-Zeichen prangt, das für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte oder Prinzipien steht, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen. 173 Bek, Schulhoff, WV 48, S. 201–202 und S. 42. 174 Lublinski, Die Bilanz der Moderne, S. 162. 175 Fick, Sinnenwelt und Weltseele, insbes. S. 354–365 (Die Moderne als monistische Bewegung). 176 Rüdiger, Otto Dix und die Heimat, S. 23; Beck, Otto Dix – Otto Hermann Baumgärtel – Marga Kummer, S. 290–292. 177 Zehder, Otto Dix. 178 S. Anhang, S. 264–270.
Der missverstandene Nietzscheaner
Der missverstandene Nietzscheaner Der „souveräne Prolet“, wie sich Dix selbst bezeichnete, war zweifellos kein Intellektueller; wiederholt hat er betont, weder gewillt noch befähigt zu sein, über ästhetische und philosophische Dinge zu reden.179 Gleichwohl hat er sehr dezidiert den Anspruch erhoben, in seiner Kunst Grundfragen der Menschheit zu bearbeiten, wie eine Äußerung von 1966 auf den Punkt bringt. Zwar beginnt er wieder einschränkend: „Ich bin Augenmensch und nicht Philosoph“, um dann aber fortzufahren: „Deshalb nehme ich in meinen Bildern immer wieder Stellung, zeige, was in Wirklichkeit ist und was um der Wahrheit willen gesagt werden muß.“180 Wenn Dix sagt, er sei kein Philosoph, meinte er die Philosophie des 19. Jahrhunderts und nicht die moderne Phänomenologie. Zu Edmund Husserls Bildphänomenologie lassen sich durchaus Parallelen herstellen. Dix schaut die Dinge an und erkennt so, durch Anschauung, deren Wesen. Das Ding ist also anschaulich, intuitiv gegeben und entspricht damit der Idee im Sinne Husserls. Der eigentliche künstlerische Akt ist dabei die Wahrnehmung unseres Sinnenapparats.181 Auf Husserl verwies der schon erwähnte, zum Kreis um Hugo Zehder gehörige Oskar Walzel in seinem Aufsatz Wege neuster deutscher Dichtung im Sonderheft der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ der Neuen Blätter von Kunst und Dichtung. Etwas zeitversetzt dachte Martin Heidegger die Philosophie neu als hermeneutisch-phänomenologische Urwissenschaft bzw. Ursprungswissenschaft vom faktischen Leben. Dix philosophierte eben nicht in Worten, sondern, wie Nietzsche, in Bildern, in Sinnbildern. Als Sprachskeptiker und bekennender Anti-Intellektueller entwickelte er keine textbasierte, begrifflich-logische, sondern eine visuelle Kunstphilosophie, nämlich ein sinnlich erfahrbares Bildsystem. Dass Dix kein Mann des gesprochenen Wortes war, darf daher nicht mit philosophischem Desinteresse verwechselt werden. Bekanntlich hatte er seit 1910/1911 die Schriften Friedrich Nietzsches gelesen und sich dabei, wie er 1965 betonte, „gründlich mit seinen Ansichten befasst.“182 Mit Zarathustra und Der Wille zur Macht nahm er jene Werke des Philosophen im Tornister mit an die Front, in denen dieser die Vorstellung vom Übermenschen, dem großen Jasager, entwickelt, der die „Gefahr ersehnt und das Glück der Gefahr […]. Und der alles Schreckliche kennt und die Wonnen inmitten der Katastrophe“183, wie der Nietzsche-Interpret Samuel Lublinski formulierte. Nietzsche war jedoch beileibe nicht der einzige Denker, bei dem Dix gedankliche Orientierung suchte. Er ließ sich auch Schriften von Friedrich 179 180 181 182 183
Kinkel, Begegnung mit Otto Dix. Dix, Vor dem Wie das Was, S. 274. Gadamer, Die Aktualität des Schönen, S. 38. Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 266–267. Lublinski, Die Bilanz der Moderne, S. 327.
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Schleiermacher, Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer ins Feld schicken, allesamt Philosophen, die ästhetische Fragen behandelt haben. Kant hatte in seinem Werk Kritik der Urteilskraft (1790) einen neuen Begriff von Kunst entwickelt, mit dem er die Dichotomie von Kunst und Philosophie aufgehoben und eine epochale Wende in der Ästhetik vollzogen hat. Und Dix hat diese Werke tatsächlich gelesen, wie Einträge in seinem Kriegstagebuch belegen, wo er sich philosophische Fachausdrücke notierte. In Briefen schilderte er zudem seine Leseerfahrungen. Über den Schreibstil von Schopenhauer urteilte er: „Es ist eine sehr leichtfaßliche interessante Art, mit der es geschrieben ist.“184 Kant hingegen habe eine komplizierte Sprache, so dass die Lektüre Ruhe und Konzentration erfordere.185 Die Publikation des Briefwechsels mit seinem Jugendfreund Hans Brettschneider im Jahre 2000 durch Ulrike Lorenz legte offen, dass sich Dix in seiner frühen Zeit nicht nur intensiv um eine philosophische Fundamentierung seines Denkens und Schaffens bemühte, sondern auch schriftlichen Austausch darüber pflegte.186 Auch der Maler Walter Spies hat überliefert, dass „der Dixe eine Korrespondenz von riesigem Ausmaße und Tiefgang“ mit ihm eingegangen sei.187 Dass Dix von Friedrich Nietzsches vitalistischer und anarchistischer Lebensphilosophie zutiefst geprägt war, ist in der Dix-Forschung inzwischen „state of the art“.188 Doch mit der Anwendung dieser Erkenntnis auf das Dix-Werk hat es seine Tücken, da Nietzsche einer der am schwersten verständlichen Denker überhaupt ist; seine Gedanken sind programmatisch widersprüchlich und seine Sprache ist programmatisch mehrdeutig. Zudem: Alle Künstler jener Zeit hatten die Schriften Nietzsches gelesen, des Befreiers des Individuums und Zerbrechers der Tafeln der Bürgermoral, und ihre antibürgerlichen Ressentiments, ihren Hass gegen den Bürger, ihr Boheme- bzw. Avantgarde-Selbstverständnis damit unterfüttert. Somit ist mit der Feststellung als solcher wenig gewonnen, weshalb sich die praktische Anwendung oft auch im Zitieren von Nietzsche-Stellen erschöpft. Zu dieser Unbestimmtheit gesellt sich das große Missverständnis von Dix als einem Dualisten. Die polemische Kampfschrift für die nietzscheanische Dix-Interpretation, Otto Conzelmanns Buch Der andere Dix von 1983, bringt das in ihrer vierten von fünf Thesen zum Einfluss des Philosophen zum Ausdruck: „Große Kunst erscheint deshalb bei Dix dualistisch, ja antagonistisch: Sie entsteht hochgradig im dialektischen 184 Otto Dix an Helene Jacob, 13.02.1916, s. Dix, Briefe, S. 444. 185 Otto Dix an Helene Jacob, 07.03.1916, s. Dix, Briefe, S. 445; s. auch Conzelmann, Der andere Dix, S. 81. 186 Lorenz, Otto Dix an Hans Brettschneider; s. auch Dix, Briefe, S. 415–432. 187 Walter Spies an Irka [Ira Spies?], 1920, s. Rhodius, Walter Spies, S. 91. 188 Grundlegend: Schubert, Nietzsche-Konkretionsformen; Conzelmann, Der andere Dix, S. 211ff.; zuletzt etwa Lorenz, Der unbekannte Dix, S. 130; Peters, Dix, insbes. S. 25ff (Frühwerk, Nietzsche und Krieg) und passim; Van Dyke, Otto Dix’ Philosophical Metropolis.
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Zusammenprall unvereinbarer Gegensätze.“189 Damit formulierte Conzelmann nicht nur den eigenen, sondern auch den Grundirrtum der gesamten nietzscheanischen DixInterpretation, den ich mit Bezug auf das Gemälde Die sieben Todsünden von 1933 als deren Todsünde bezeichnet habe.190 Dix war weder Dualist noch erscheint bei ihm große Kunst – um hier die Pathosformel von Conzelmann aufzugreifen – dualistischantagonistisch im Zusammenprall unvereinbarer Gegensätze. Sie erscheint vielmehr als monistisch-polare Einheit. Zwar stellte Nietzsche in der Geburt der Tragödie für die griechische Welt aufgrund des Gegensatzes der „beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysus“, einen ungeheuren „Gegensatz, nach Ursprung und Zielen“, fest und identifizierte diesen in den beiden polaren Kunsttrieben des Dionysischen und Apollinischen: „[…] beide so verschiedne Triebe gehen nebeneinander her, zumeist im offnen Zwiespalt miteinander und sich gegenseitig zu immer neuen kräftigeren Geburten reizend, um in ihnen den Kampf jenes Gegensatzes zu perpetuiren, den das gemeinsame Wort ‚Kunst‘ nur scheinbar überbrückt“. Der Philosoph legt im Folgenden jedoch dar, dass dieser Konflikt im Kunstwerk der attischen Tragödie überwunden werde: „bis sie [die Kunsttriebe des Dionysischen und Apollinischen] endlich, durch einen metaphysischen Wunderakt des hellenischen ‚Willens‘, miteinander gepaart erscheinen und in dieser Paarung zuletzt das ebenso dionysische als apollinische Kunstwerk der attischen Tragödie erzeugen.“191 Die Tragödie besteht in der ästhetischen Ausgestaltung des Widerstreits zwischen dem „Schreckensgesicht des Daseins“ und der Schönheit des dieses Schreckensgesicht verhüllenden Scheins.192
Eine monistische Nietzsche-Auslegung In sein Exemplar der Fröhlichen Wissenschaft notierte Otto Dix: „Wir Künstler sind die größten Egoisten/wir betrachten Dinge Menschen und/Philosophen durch die Brille ‚Kunst‘“.193 Sein Interesse war also darauf fokussiert, wie sich Nietzsches Philosophie ganz konkret für das eigene Schaffen fruchtbar machen ließ. Der Beantwortung dieser Frage auf philosophischem Gebiet widmete sich das im Juli 1918 erschienene Buch Schöpferische Indifferenz des Philosophen und Groteskenschreibers Salomo Friedlaender alias Mynona. Das Hauptwerk Friedlaenders war eine auf Nietzsches Einheit der Ge189 Conzelmann, Der andere Dix, S. 242. 190 Schwarz, Es lebe (gelegentlich) die Tendenz, S. 68. 191 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, I, zit. nach Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, S. 21; s. hierzu auch: Bergius, Montage und Metamechanik, S. XV–XVI und passim. 192 Iris Därmann, Rausch, in: Nietzsche-Lexikon, S. 296–297. 193 Beck, Die kosmischen Bilder, S. 148–149.
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gensätze aufbauende Künstlertheorie, sozusagen eine Nietzsche-Bearbeitung für Künstler, weshalb es von diesen als Philosophie künstlerischen Schaffens rezipiert wurde, als Schöpferphilosophie.194 Die Schöpferische Indifferenz ist eine kritische Bearbeitung von Nietzsches zentralem Denkmuster dionysisch-apollinisch. In dessen Auslegung herrsche „ein Lebens- und Denkfehler“: „man verwechselt das Nichts von plus und minus mit minus“.195 Nietzsche habe nicht den Wert der Mitte, der Indifferenz gesehen; in ihr liege aber das eigentliche Geheimnis, der schöpferische Wille.196 Friedlaender überführte das dualistisch-polare Denksystem mit Bezug auf Nietzsches Prinzip der Einheit der Gegensätze in ein konsequent monistisch-polares. Diese gedankliche Schärfung war nötig, da der Dualismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts als die veraltete Weltanschauung des 19. Jahrhunderts oder gar der christlichen Kirche angesehen wurde; denn Monismus bedeute auch, „siegreich dem Ansturm des von der christlichen Kirche gelehrten Dualismus zu widerstehen.“197 Friedlaender hat Nietzsche damit monistisch adaptiert und so „modernisiert“. Die Schöpferische Indifferenz ist eine Sammlung von zum Teil bereits lange zuvor veröffentlichten Artikeln und Aphorismen. Eine umrisshafte Darstellung der Vorstellungen Friedlaenders, insbesondere der Idee der indifferenten Mitte zwischen extremen Polen, lag seit 1911 mit der Studie Friedrich Nietzsche. Eine intellektuelle Biographie vor, somit zu einem Zeitpunkt, als sich Dix mit Nietzsche auseinanderzusetzen begann. Friedlaender bot in seinem Nietzsche-Buch die Selbstvergottung im Schöpfungsakt als Heilmittel an: „warum sollte man nicht mindestens in Gedanken – logisch – die monströse Pathologie unseres Lebens ausheilen? Man imaginiere die eigene Göttlichkeit! Man verwandle sich in die Unendlichkeit, in die Unerschöpflichkeit selber, erlebe das Leben über alle Grenzen hinaus […].“198 Dieser Ansatz Friedlaenders, sich ganz auf sich und die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren, sollte von dem in der Mynona-Gemeinde und dem Kreis der Berliner Dadaisten verkehrenden und mit Salomo Friedlaender befreundeten Fritz Perls, den Dix 1966 porträtierte, später zum Prinzip moderner Traumatherapie erhoben werden.199 In diesem Sinne darf man die romantische „kosmische“ Phase unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg als Eigentherapie deuten. Mit der oft konstatierten Ausblendung des Kriegserlebnisses im Themenrepertoire der ersten Nachkriegszeit reagierte Dix also durchaus auf sein Kriegserlebnis, nämlich auf die Dissozia-
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Zu Dix und Salomo Friedlaender s. Schwarz, Es lebe (gelegentlich) die Tendenz, S. 67–68. Friedlaender, Schöpferische Indifferenz, S. 329. Hierzu und zum Folgenden Exner, Fasching als Logik, S. 188–194. Herzberg, Die Philosophischen Hauptströmungen im Monistenbund, S. 113. Friedlaender, Nietzsche, S. 11. Bocian, Fritz Perls, S. 134–138; Otto Dix, Bildnis Dr. Fritz Perls, 1966, Öl und Tempera/ Holz, 94 x 75 cm, Kunstsammlung Gera, Dauerleihgabe der Otto Dix Stiftung, Vaduz.
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tion, das Abspalten von Persönlichkeitsanteilen unter lebensbedrohlichen Umständen. Wir bezeichnen dies heute als posttraumatische Belastungsstörung. Rainer Beck hat auf Salomo Friedlaenders Schöpferische Indifferenz als 1919 aktuelle Nietzscheauslegung hingewiesen, eine Lektüre durch Dix indes angezweifelt; er nahm eine Rezeption über Walter Rheiners Rezension im Sonderheft der Neuen Blätter zur Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ an.200 Zur Erinnerung: Die Zeitschrift war zu diesem Zeitpunkt das Organ der Künstlergruppe. Rheiner besprach das Buch dort im März 1919 unter dem Titel Philosophie des Dionysismus, also als eine Schrift, die Nietzsches Künstlerlehre philosophisch aufbereitete.201 Der Einfluss Salomo Friedlaenders auf den Kreis um die Gruppe 1919 war jedoch umfassender und fundamentaler. Seit 1918 publizierte Friedlaender in den Neuen Blättern und in Menschen und unterhielt persönliche Kontakte in die Redaktionen; Menschen führt ihn in ihrem ersten und zweiten Jahrgang als Mitarbeiter an.202 Walter Hasenclever, Autor und ab Oktober 1920 Co-Herausgeber der Zeitschrift, zudem Vortragender in der Neuen Vereinigung für Kunst und Dichtung, hatte sich bereits für Friedlaenders Manuskript begeistert und spielte sogar bei der Genese des Buches eine Rolle.203 Das in den Statuten der Künstlergruppe verankerte Prinzip der radikalen Offenheit ist bei Friedlaender theoretisch verankert. Dessen Credo nämlich war, dass das schöpferische Prinzip sich nicht festschreiben und definieren lasse, auch keiner irgendwie gearteten Norm verpflichtet sei, „denn jeder Versuch, es begrifflich zu fixieren, würde ihm seine Lebendigkeit rauben.“204 Auch die apolitische Haltung der Künstlergruppe findet bei Friedlaender ihre Rechtfertigung, für den der tendenziöse Künstler ein Widerspruch in sich war; die wahre Revolution stellte für ihn nicht die politische, sondern die „Revolution des Egoismus“ dar. Denn der Künstler ist, indem er schöpferisch indifferent ist, eine „neutrale Größe“ und damit per se unparteiisch. Entsprechend sollte Walter Hasenclever seine Herausgeberschaft von Menschen mit dem Bekenntnis einläuten: „Wir beginnen die Herausgabe dieser Zeitung mit der Voraussetzung völliger Parteilosigkeit. […] Wir verteidigen keine politische Anschauung; wir üben kein künstlerisches Programm. Wir sind antipolitische Anarchisten.“205 Eine bedeutende Parallele für eine polare Kunstauffassung, die genau deshalb das Poli200 Beck, Die kosmischen Bilder, S. 154. 201 Rheiner, Philosophie des Dionysismus; Exner, Fasching als Logik, S. 264–292. 202 Die Zeitschrift Menschen publizierte fünf Grotesken von Friedlaender/Myona, Rezensionen und Hinweise auf ihn; s. Friedlaender/Mynona, Gesammelte Schriften, S. 577; Exner, Fasching als Logik, S. 138–139. 203 Thiel, Friedlaender/Mynonas „Hauptwerk“?; zu den Vorträgen Hasenclevers in der Neuen Vereinigung für Kunst und Dichtung s. Rubrik Ausstellungen, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 708. 204 Hoffmann, Sinnlichkeit und Abstraktion, S. 105. 205 Walter Hasenclever, Prolog, in: Menschen, Jg. 3, H. 1, September 1920, S. 64.
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tische ablehnt, ist Thomas Mann mit seiner 1918 erschienen Schrift Betrachtungen eines Unpolitischen. Mann betonte: Kunst kann nicht, weil sie politische Folgen haben kann, als politisches Instrument bestimmt werden. Mann setzte die Kunst der Demokratie, dem Fortschritt, der Politik, dem Aktivismus als konservativ entgegen.206 Als Beleg zog er Nietzsche, Goethe und Schopenhauer heran und damit Autoren, die auch Dix’ Vorstellungen geprägt haben.
Philosophie als Gesprächsdisziplin Da sich ein nur partiell aufgeschnittenes Exemplar von Friedlaenders Hauptwerk in Dix’ Bibliothek befindet, folgerte Olaf Peters, Dix habe das Werk nur halb gelesen.207 Nicht nur, dass sich aus einem nicht vollständig aufgeschnittenen Exemplar rein logisch weder die Kenntnis noch die Nichtkenntnis des Werks folgern lässt; Philosophie ist klassischerweise keine Lese, sondern eine Gesprächsdisziplin. Diskussionen im Freundeskreis müssen daher als alternative Perzeptionsform in Betracht gezogen werden. Ilse Fischer sollte 1922 in ihrem Artikel Der Dadaist (Otto Dix) (Anhang, S. 264–270) ausführen, dass Dix gerade deshalb Geselligkeit suche, um „in Gesprächen mit andern seiner starken geistigen Regsamkeit Nahrung zu verschaffen. Unterhaltungen folgt er scharf, oft lange ohne einzugreifen, bis er an einem Punkte mit leidenschaftlicher Bestimmtheit einsetzt. Hat er es mit geistig geschultem Gegner zu tun, so versagt er meist nach kurzer Zeit, denn so intuitiv richtig auch seine Gedanken sind, fehlt ihm die Fähigkeit der logischen Systematisierung ebenso wie die sprachliche Ausdrucksgewandtheit. Und doch kann er, von plötzlichen Impulsen getrieben, langatmig und leichtflüssig reden, wenn es im intimsten Freundeskreis auf Kunst- und Lebensfragen kommt. Seine Sprache hat dann einen pathetischen Schwung und er tut Aussprüche von verblüffender Originalität und Prägnanz.“ Dix verkehrte sein Leben lang in Gesprächskreisen, so in Düsseldorf im Künstlerkreis um die Galeristin Johanna Ey bzw. im Jungen Rheinland, und während seiner Zeit als Akademieprofessor in Dresden gehörte er zum Hirsche-Club um Fritz Bienert.208 Als der junge Werner Haftmann ihm 1931 brieflich Fragen zu seinem Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit sandte, antwortete er, „Stunden lang mit meinen Freunden über Ihre Fragen gesprochen“ zu haben.209 Es war nicht zuletzt dieser intellektuelle Input, der die Dresden-Aufenthalte für ihn nach seiner Übersiedlung nach Süddeutschland 206 207 208 209
Nündel, Die Kunsttheorie Thomas Manns. Peters, Dix, S. 59. Fischer, Malerleben, S. 76–78; Schwarz, Dix und Wols, S. 114–115. Otto Dix an Werner Haftmann, um 1932, s. Dix, Briefe, S. 474.
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so essentiell machte; 1936 berichtete er etwa an Martha Dix, „wir haben bis um 2 Uhr über Kunst geredet.“210 Und 1919 war es eben Violas „Salon“ (Otto Griebel), in dem oft nächtelang aktuelle Fragen diskutiert wurden, „über neue Kunstwerke, besonders über die Schönberg-Schule, für die sich Schulhoff zu interessieren begann, und über Skrjabin. Auf Schulhoffs Anregung beschränkte sich das Gespräch aber nicht auf Musik. Man las auch Aufsätze von Henri Barbusse, Karl Kraus, Leonhard Frank, man rezitierte Verse noch unbekannter deutscher Dichter, und es wurde viel über Politik gesprochen.“211
Kosmisches Prä-Dada Für die Werke der ersten Jahreshälfte 1919 verwendete Fritz Löffler die Bezeichnung „kosmisch“, ein Begriff, mit dem er sich auf Theodor Däubler bezog, den Dichter kosmogonischer und mythischer Weltentwürfe. Däubler hatte Dix in seinem Kunstblatt-Artikel als „Lyriker“ in die Kunstwelt eingeführt, dem „das Kosmische voll eindringlicher Vehemenz im Wesen“ sei (s. Anhang, S. 260). Löffler unterhielt eine enge Verbindung zu dem Schriftsteller, dessen Reisebegleiter er als junger Mann gewesen war.212 Aus den dargelegten Gründen (s. S. 106) war er bestrebt, das Schaffen von Dix möglichst weit von Dada abzurücken. Doch Däubler war Mitglied des Berliner Club Dada, der durchaus ein kosmisches Bewusstsein entwickelte.213 Der Dadasoph Raoul Hausmann war durch Ernst Marcus’ Buch Das Problem der exzentrischen Empfindung und seine Lösung geprägt, das 1918 im Verlag Der Sturm erschienen war. Die exzentrische Empfindung stelle eine „ungeheure Erweiterung unserer Beziehungen in der Körperwelt“ dar, „weit über die Grenzen des Leibes hinaus“, wie er in seinem Text Die neue Kunst, Betrachtungen (für Arbeiter), dem Vorwort des Katalogs zur Abteilung der Novembergruppe auf der Kunstausstellung Berlin 1921 postulierte; es sei ein „wirkliches neues Vordringen zu den lebensgestaltenden Kräften“, sei „niemals Abstraktion, sondern bildhaftes Gleichnis, gewissermaßen das Bilden von Buchstaben oder Worten einer neuen Sprache für unser wiedererwachendes kosmisches Bewußtsein […].“214 Entsprechend zählte Paul Ferdinand Schmidt Dix 1920 in dem vom Rudolf-Kaem merer-Verlag in Dresden erschienenen Übersichtswerk Von neuer deutscher Kunst zu den Dadaisten und bildete dazu die „kosmischen“ Gemälde Schwangeres Weib, Prome210 211 212 213 214
Otto Dix an Martha Dix, 1936, s. Dix, Briefe, S. 130. Bek, Schulhoff, S. 42–43; s. auch Widmaier, Nachwort und Kommentare, S. 106ff. Stiebert, Aus der Region. Benson, Raoul Hausmann, S. 5–57 (The New Language of Cosmic Consciousness). Hausmann, Die Neue Kunst, S. 181.
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theus (Selbstbildnis), „Mondweib“ und Auferstehung des Fleisches ab.215 Ebenso sah Diether Schmidt den Dadaismus bei Dix „zunächst kosmisch-komisch“ daherkommen.216 Ich ordne die „kosmischen“ Werke als prä-dadaistisch ein, zumal eine klare Trennlinie zwischen Dada und den Vorkriegs-Ismen, vor allem dem für die „kosmische“ Phase so einflussreichen Orphismus, nicht existiert, so sehr die Dadaisten dies auch behauptet haben.217 Tatsächlich war dadaistisches Gedankengut in Dresden schon vor dem Kontakt des Schulhoff-Kreises mit George Grosz präsent, nur wurde diesem Phänomen bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt. Grosz, der in Dresden studiert hatte, nahm im Mai 1918 als Gast an der Ausstellung des Neuen Kreises in der Kunstausstellung Emil Richter teil.218 Der mit Conrad Felixmüller befreundete Raoul Hausmann war Mitglied der Expressionistischen Arbeitsgruppe Gruppe 1917, gehörte zu den Gründern der Kunst- und Literaturzeitschrift Menschen, in der er Artikel publizierte.219 Eine Verbindung des Schulhoff-Kreises zu den Züricher Dadaisten bestand über Kurt Günther, auch wenn sich hier wenig Konkretes fassen lässt. Im Januar 1919 veröffentlichte Rudolf A. Dietrich in Dresden in seiner Zeitschrift Der Komet eine Sondernummer Janco mit einem Manifest und drei Holzschnitten des Züricher Dadaisten Marcel Janco.220 Schulhoff war mit der Vorgeschichte des Dadaismus insofern vertraut, als er 1916/17 die Zeitschrift Neue Jugend abonniert hatte, die von den Brüdern Herzfelde redigiert wurde.221 Das Wort ‚Kosmos‘ steht nicht nur für Weltall bzw. eine Ausweitung des Bewusstseins über die eigenen Körpergrenzen hinaus im Sinne von Ernst Marcus. Die Grundbedeutung des griechischen Worts ist Ordnung, Weltordnung. Entsprechend meint Tod bei Dix nun das natürliche, nämlich biologische Ende eines Lebensprozesses und nicht dessen gewaltsame Unterbrechung durch das vorzeitige und widernatürliche Sterben in den Schlachten und Schützengräben des Ersten Weltkrieges, formulieren seine „kosmischen“ Werke das nietzscheanische Thema des ewigen Kreislaufes von Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Tod. Zudem bringt die „kosmische“ Werkphase auch gestalterische Ordnung, Ordnung im Bild. Dix löst sich vom Chaos der kubofuturistischen Formzersplitterung und damit zugleich von dem Stil, mit dem er sich auf der Gründungsausstellung der Gruppe 1919 nicht hatte durchsetzen können. Seine Kompositionen werden ruhiger, große runde Farbflächen beherrschen das Bild. Nicht mehr Zersplitterung, 215 216 217 218 219
Schmidt, Von neuer deutscher Kunst. Schmidt, Selbstbildnis, S. 66. Berg, Dada. Hollmann, Verfechter der Moderne, S. 58. Raoul Hausmann, Menschen leben Erleben, in: Menschen, Jg. 1, H. 10, 13.12.1918, S. 2; ders., Der geistige Proletarier, in: Menschen, Jg. 2, H. 8, 17.2.1919, S. 3. 220 Seiwert, Marcel Janco, S. 90. 221 Bek, Schulhoff, S. 44.
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Abb. 18: Otto Dix, „Mondweib“, 1919, Öl/Lwd., 120 x 100,5 cm, Löffler 1919/5, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
sondern Rotation und Transparenz sorgen für die simultane Durchdringung, die Maloberfläche ist glatt, fast gläsern. Dix rezipierte hier den Orphismus und verarbeitete die Eindrücke der Gemälde Marc Chagalls, Paul Klees und Robert Delaunays, die er in der Sturm-Ausstellung der Galerie Ernst Arnold gesehen hatte, die am 6. April, nur drei Tage nach Beginn der Gründungsausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, eröffnete wurde und auf der Chagall mit 46 hochrangigen Bildern vertreten war.222 Das Gemälde „Mondweib“ (Abb. 18) zeigt Chagalls Einfluss wohl am deutlichsten. Bei aller stilistischen Neuheit blieb sich Dix thematisch treu: Mit dem bildbeherrschenden weiblichen Akt griff er eine Bildidee der unmittelbaren Vorkriegszeit auf, wie er Kurt Günther mitteilte: „Ich habe zwei größere Gemälde angefangen, die ich ausstelle, 222 Kat. Dresden 1919c; Carl Puetzfeld, Der Sturm. Besprechung der Ausstellung in der Galerie Arnold, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 17.04.1919; Schwarz/Schwarz, Dix und Beckmann. Stil als Option, S. 48ff; Beck, Die kosmischen Bilder, S. 102ff.
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sobald sie fertig sind. Eine ‚Leda‘ und ‚Weib mit Fruchtschale‘. Die Idee trage ich schon seit 5 Jahren mit mir herum und habe die Themen öfter graphisch dargestellt.“223 In den Werken der ersten Jahreshälfte 1919 entwickelte Dix eine monistisch-polare Bildsprache im Sinne der Schöpfungsphilosophie Salomo Friedlaenders, nach der die Phänomene durch Gegensätze gekennzeichnet sind; nichts existiert ohne seinen Gegensatz, ohne seinen Gegenpol. Für Friedlaender ist die Welt ein Paar, die Kausalität ein Paar, „die Richtung, die Dimension, jede Reihe, die der Zahlen, der Töne, Farben, Gerüche, Geschmäcke, des Gesichts, alle sind paarig, polar, rund, sphärisch veranlagt.“224 Es sind solche Vorstellungen, die Dix in seiner „kosmischen“ Phase zugleich sinnbildlich umsetzte als auch „realisierte“. Die Polarität des Lebens zeigt sich nach Friedlaender am offensichtlichsten in den Geschlechtern. Doppel- oder Zwitterwesen, immer Mann und Frau, auch in sexueller Vereinigung, sind das Hauptthema auch von Dix in dieser Zeit, ob in Vergänglichkeit (Mädchen und Tod) (Abb. 27) oder dem verschollenen Gemälde Auferstehung des Fleisches (1919/3); unter dadaistischem Einfluss und der damit einhergehenden Entidealisierung wandelt sich das Thema dann zur Bordelldarstellung, etwa im ebenfalls verschollenen Gemälde Bordell (1919/7) oder den großartigen, auf Silbergrund gemalten Erinnerungen an die Spiegelsäle von Brüssel (1920/11). Der künstlerische Schöpfungsakt besteht nach Friedlaender darin, zwischen den Polen eine lebendige Balance, einen „harmonischen Zwiespalt“ herzustellen, ohne dabei ihren Differenzcharakter zu verwischen; er bezeichnet das auch als „oppositiv (spiegelhaft) homogen.“225 Der Künstler vereint die Gegensätze (Leben – Tod, Licht – Finsternis, Geist – Leib, Zukunft – Vergangenheit), indem er im Werkprozess zum Zustand der Indifferenz gelangt, der die polaren Kräfte ausbalanciert. Der Indifferenzpunkt ist der Punkt, in dem sich die beiden Grundtriebfedern des Lebens, das Apollinische und das Dionysische, die Waage halten. Indifferenz darf dabei nicht als Gleichgültigkeit im Sinne von uninteressierter Distanziertheit verstanden werden, sondern als „schöpferische Gleichgültigkeit.“226 In der schöpferischen Indifferenz werden Tod und alle Disharmonie überwunden und das von ihr geschaffene Außen wird nach ethisch richtigen Prinzipien beherrscht.227 Richard Huelsenbeck, Mitbegründer der Dada-Bewegung in Zürich, der Dada nach Berlin brachte, bestimmte Dada ganz in diesem Sinne als Indifferenzpunkt zwischen Inhalt und Form, Weib und Mann, Materie und Geist.228 Dix
223 Otto Dix an Kurt Günther, Februar 1919, s. Dix, Briefe, S. 452–454; Höfchen, Dix’ frühe Werkgruppe. 224 Friedlaender, Schöpferische Indifferenz, S. 87. 225 Ebd., S. 20. 226 Borcian, Fritz Perls, S. 147. 227 Friedlaender, Schöpferische Indifferenz, S. 137. 228 Dada Almanach, 1920, zit. nach Korte, Die Dadaisten, S. 106.
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Abb. 19: Otto Dix, Erinnerungen an die Spiegelsäle von Brüssel, 1919, Öl/Silber/Lwd., 124 × 80,4 cm, Löffler 1920/11, Paris, Centre Pompidou
radikalisierte diese Ideen und „realisierte“ sie, in dem er den Indifferenzpunkt mit dem Koitus gleichsetzte, in seinen Dadabildern ebenso wie in seinem Manifest des Illuministen (s. S. 262).
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Der „Olymp“ in der Ostbahnstraße Erwin Schulhoff hatte in der Dresdner Kultur- und Musikszene schnell Fuß gefasst. Schon am 10. März 1919 und damit während der Laufzeit der Gründungsausstellung der Gruppe 1919 trat er gemeinsam mit der Tänzerin Suse Elsler im Loschwitzer Künstlerhaus in einem „Tanz-Farbe-Töne-Programm“ auf.229 Einen Monat später wurde sein Streichkonzert in G-Dur (WV 43), im September 1918 vollendet, vom Tonkünstlerverein uraufgeführt.230 Und am 30. April 1919 folgte sein erstes Solo-Konzert, ein KlavierSonaten-Abend mit dem Titel Aus der Werkstatt der Zeit.231 In Zusammenhang damit entstand ein kurzer manifestartiger Text gleichen Titels, mit dem sechs Konzertabende mit „Zukunftsmusik“ für die Wintersaison 1919/1920 ankündigt wurden, um das Dresdner Publikum „mit der Musikrevolution bekanntzumachen“ (s. Anhang S. 255– 256).232 Zur Aufführung kommen sollten Werke von Alban Berg, Eduard Erdmann, Josef Hauer, Hermann Scherchen, Arnold Schönberg, Cyril Scott, Alexander Skrjabin, Anton von Webern, Egon Wellesz und von Schulhoff selbst. Schulhoff leitete seinen Text mit einigen Grundsatzaussagen zur Kunst ein: „Die Kunst an sich ist der Ausdruck gesteigerter menschlicher Sehnsucht, das Kunstwerk also solches die Explosion eines gesteigerten Empfindens. Absolute Kunst ist Revolution, sie benötigt weiter Flächen zur Entfaltung, führt Umsturz herbei um neue Wege zu eröffnen, entspringt stärkstem psychischen Erleben und abstrahiert sich am stärksten in der Musik […].“ Der Text und damit auch das Projekt wurden von sechs Mitgliedern des Schulhoff-Kreises durch Unterschrift approbiert: für die Musik zeichneten Schulhoff und Hermann Kutzschbach, für die Literatur Theodor Däubler und Will Grohmann und für die bildende Kunst Lasar Segall und Stadtbaumeister Hans Poelzig. Einige der
229 Goergen, Nachrichten aus dem Bordell der Zeit, S. 10. 230 Kugele, Erwin Schulhoff und die „Fortschrittskonzerte“, S. 197. 231 Ebd., S. 198; Zeitungsberichte: W. Pz. [Walter Petzet], Erwin Schulhoff, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 03.05.1919, S. 2; Eugen Thari, Expressionistische Klaviermusik, in: Dresdner Anzeiger, 02.05.1919, S. 2. 232 S. dazu auch Widmaier, Nachwort und Kommentare, S. 104–106; das Schriftstück trägt kein Datum, wird aber auf Anfang bis Mitte Mai 1919 datiert.
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Unterzeichner waren führende Vertreter des Dresdner Gesellschafts- und Kunstleben, etwa Hans Poelzig, dem das Kunstblatt zeitgleich ein Sonderheft (Maiheft) widmete. Mit ihrem gattungsübergreifenden Anspruch dürfen die beiden Sätze damit als programmatische Deklaration des Kreises vor dem direkten Kontakt mit Berlin-Dada angesehen werden und der Begriff Sehnsucht als Schlüsselbegriff des dort herrschenden Kunstverständnisses. Schulhoffs Werk Menschheit, das er in der ersten Hälfte des Jahres 1919 schuf und Theodor Däubler widmete, ist jedenfalls ein evident romantisches Werk, „von Melancholie und Sehnsucht beherrscht, die mit spätromantischen Ausdrucksmitteln gestaltet werden.“233 Zu diesem Zeitpunkt befasste sich Schulhoff intensiv mit Fragen der Synästhesie, also der Vorstellung von einem Zusammenhang zwischen Malerei und Musik, dem Hören von Farben und dem Sehen von Klängen; sie bestand seit der Romantik und hatte sich im 19. Jahrhundert so verbreitet, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen der Kunstliteratur bereits zu einem Topos geworden war.234 Ein Maler, der sich ebenfalls sehr intensiv damit auseinandergesetzt hat, war Wassily Kandinsky, damals ein Top-Thema in Dresden. Nicht nur, dass auf der Sturm-Ausstellung in der Galerie Ernst Arnold 15 seiner Gemälde gezeigt wurden.235 Hugo Zehder, der als gebürtiger Balte des Russischen mächtig war, verfasste zu diesem Zeitpunkt auf der Basis der russischen Selbstbiografie die erste Kandinsky-Monografie auf Deutsch, die im Jahr darauf im Dresdner Kaemmerer-Verlag erscheinen sollte.236 Er ging darin auch auf Kandinsky Programmschrift Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei ein, die 1911 auf Deutsch erschienen war. Kandinsky hatte sich darin grundlegend zur synästhetischen Wirkung der Farbe geäußert: „[…] muss freilich das Sehen nicht nur mit dem Geschmack, sondern auch mit allen anderen Sinnen im Zusammenhang stehen, […] manche Farben können unglatt, stechend aussehen, wogegen andere wieder als etwas Glattes, Samtartiges empfunden werden, so dass man sie gerne streicheln möchte“.237 Kandinsky hatte darin Arnold Schönbergs atonale Musik als Beginn der „Zukunftsmusik“ bezeichnet. Das wiederum musste Schulhoff für seine Konzertreihe mit „Zukunftsmusik“ interessieren, für die er den Kontakt zu Schönberg suchte und Musikstücke von ihm in das Programm aufnahm.
233 234 235 236 237
Bek, Schulhoff, WV 48, S. 201–202 und S. 42. Zu Kandinsky s. Gottdang, Vorbild Musik, S. 371ff. Kat. Dresden 1919c. Zehder, Kandinsky. Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, S. 47.
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Abb. 20: Kurt Günther, Dix hinter der Staffelei, 1919, Grafit, Feder, Tusche/Papier, 24,4 × 18,0 cm, Kat. Gera 2020, Z 6, Kunstsammlung Gera
Spätestens zum Mai 1919 bezogen die von den Eltern großzügig alimentierten Schulhoff-Geschwister ein weiträumiges Atelier in der Ostbahnstraße 28, von Erwin „Olymp“ genannt.238 Dort bereitete er auf einem Flügel seine Konzertauftritte vor, dort arbeiteten auch Viola und Otto Dix. Meta Nierendorf, die spätere Ehefrau des Kunsthändlers Karl Nierendorf, „sah viele seiner überraschenden Bilder“ dort.239 Kurt Günther hat, nachdem er im Herbst 1919 aus Davos nach Dresden zurückgekehrt und in den Ostbahnstraße-Olymp aufgenommen worden war, ein wichtiges Dokument der 238 Schulhoff vermerkte die neue Adresse in: Erwin Schulhoff an George Grosz, Berlin, 31.05.1919, Akademie der Künste, Berlin, George-Grosz-Archiv, Nr. 44, zit. nach der Transkription in: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 30. 239 Zit. nach Fischer, Ein Malerleben, S. 24.
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Abb. 21: Otto Dix und Kurt Günther, Doppelbildnis Dix-Günther, 1920, Öl/Holz, 77 × 70 cm, Löffler 1920/14, Kunstsammlung Gera
Ateliergemeinschaft hinterlassen, eine Federzeichnung (Abb. 20). Sie zeigt Dix hinter einer Staffelei stehend, auf der sich ein großes Gemälde befindet. Den Pinsel in der Hand schaut er auf eine Szene, die sich uns mit Hilfe eines Spiegels im Hintergrund erschließt. Wir sehen eine Person am Klavier, sicherlich Erwin Schulhoff. Vor ihm, auf einem Sofa oder Diwan, liegt Viola. Eigentlich auf Erwin und dessen Musikdarbietung ausgerichtet, hat sie den Kopf nach hinten gelegt und blickt zu Dix herüber. Vermutlich ist auch sie arbeitend dargestellt: Bei dem rechteckigen Objekt, das sie zwischen linker Hand und hochgestellten Oberschenkeln hält, könnte es sich um einen Zeichenblock handeln. Hält ihre rechte Hand einen Stift? Jedenfalls kreuzt sich das Objekt mit Dix’ Pinsel. Viola ist die Verbindungsfigur zwischen den beiden Männern, dem Bruder und dem Liebhaber. Die Zeichnung dokumentiert ein noch intaktes Liebesverhältnis, doch wirkt Dix durch die spitzen Zähne bedrohlich: Viola scheint ihm in Rückenlage mit völlig ungeschütztem Hals schutzlos ausgeliefert. So jedenfalls interpretierte der Zeichner, Kurt Günther, die Situation; hier mag sich bereits das Konkurrenzverhältnis zu Dix um die Gunst Violas niederschlagen.
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Abb. 22: Otto Dix, Prometheus (Selbstbildnis), 1919, Öl/Lwd. (?), Größe unbekannt, Löffler 1919/2, Verbleib unbekannt
Im Schulhoff’schen Atelier entstand auch das Doppelbildnis Dix-Günther, auf dem Dix Günther und umgekehrt Günther Dix porträtierte (Abb. 21). Holger Peter Saupe deutete das Gemälde als „hintersinnige Heiratsannonce für die von beiden gleichsam umworbene Viola Schulhoff“ und als Aufforderung an diese, sich zwischen beiden zu entscheiden.240 Die Entscheidung fiel zu Gunsten von Günther. 1921 fand die Hochzeit statt, der allerdings bereits 1925 die Scheidung folgte. Viola arbeitete fortan als Designerin und Malerin in Prag, bis sie 1939 nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland deportiert wurde und sich ihre Spur im Holocaust verlor.241 Dix’ „kosmische“ Gemälde entstanden in künstlerischem Austausch mit Erwin Schulhoff und Otto Griebel. Die verbesserte Arbeitssituation im Atelier schlug sich 240 Saupe, Günther, S. 19. 241 Zu Viola Schulhoff ebd., S. 21–22; Durus, Bilder von Viola Günther-Schulhoff.
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in der Vergrößerung der Formate nieder; die Zeichnung von Kurt Günther (Abb. 20) zeigt Dix an einer großen Leinwand arbeitend. Die Ateliergemeinschaft führte auch dazu, dass sich Dix nun intensiv mit Musik auseinandersetzte. Am offensichtlichsten wird dies in seinem Selbstbildnis Prometheus (Abb. 22), in das Musiknotationen eingefügt sind mit halben und Viertelnoten und wahrscheinlich einem Bassschlüssel; die Notenschrift ist nicht regelgerecht, so verwendete Dix nur vier Notenlinien statt der vorgesehenen fünf. Entsprechend sind die Noten nur schwer in Musik umzusetzen, doch führten Versuche am Klavier zu erstaunlich melodischen Ergebnissen. Die Musiknotationen lassen jedenfalls keinen Zweifel, dass sich Dix singend dargestellt hat. Ein weiteres Indiz dafür ist das Grammophon, das mit seinem Kopf verwachsen scheint. Dix singt zu Grammophon-Musik. Im Schulhoff’schen Atelier war ein solches vorhanden: Otto Griebel berichtete von Experimenten dort, bei denen aufleuchtende, bewegliche Bilder mit Geräuschen gekoppelt wurden, die durch Schallplatten und ergo per Grammophon erzeugt wurden.242 Mit Hilfe des Grammophons und Schallplatten bereitete Erwin Schulhoff das Programm für die Fortschrittskonzerte sowie seine eigenen Auftritte vor. Bei einem Bild, das dem Prometheus-Künstler-Thema und zugleich der Musik gewidmet ist, liegt der Gedanke an Nietzsches Schrift Die Geburt der Tragödie nahe, also die Schrift, welche die Rettung der griechischen Götter aus dem Geist der Musik und Prometheus als ein dionysisches und apollinisches Doppel- bzw. Zwitterwesen beschreibt. Die Zwitterhaftigkeit war ja, wie wir gesehen haben, ein Hauptthema im Schaffen dieser Zeit. Die Bilderfindung schließt eng an das Selbstbildnis Sehnsucht an, doch handelt es sich nun dezidiert um eine Selbstdarstellung als Künstler: Denn Prometheus, der die Menschen aus Lehm formte, gilt als der erste Künstler. Dix hat den Namen in großen Buchstaben ins Bild gesetzt. Dass er damit Bezug auf Johann Wolfgang von Goethes berühmtes Gedicht Prometheus nahm, macht der als Pendant eingefügte Schriftzug Grenzen der Menschheit klar, diesmal ein spezifischer Titel eines weiteren Goethegedichtes. Es handelt davon, dass dem Titanen, der sich gegen die Götter auflehnte, seine Grenzen gezeigt werden: „Denn mit Göttern / Soll sich nicht messen / Irgend ein Mensch.“ Dix setzte seine Selbstdarstellung also zwischen zwei polare Aussagen über das Verhältnis des Menschen zum Göttlichen. Der Umstand, dass der Bürgerhasser Dix mit Goethe den Paradedichter deutschen Bildungsbürgertums und damit des verhassten Philisters zitiert, bedarf der Erläuterung. Wichtig erscheint, dass sich auch Schulhoff Anfang 1919 mit Goethe auseinandersetzte; er arbeitete an seiner Oper Die Mitschuldigen nach einem Text Goethes.243 Vergleichbar Dix setzte er damit eine Idee aus der Vorkriegszeit um, vollendete die Oper allerdings 242 Griebel, Erinnerungen an Dada, S. 8. 243 Die Mitschuldigen, s. Bek, Schulhoff, WV 47, S. 200–201.
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nicht. Schulhoff gab das Projekt also auf, was mit der Abwendung vom bildungsbürgerlichen familiären Hintergrund zusammenhängen könnte. Der Proletarier Dix mag weniger Probleme mit Goethe gehabt haben, dessen Werk er bereits 1911 zu einer Fundgrube seines Wissens und zu einem seiner „drei heiligen Bücher“ erklärt hatte.244 Die Formulierung legt nahe, dass er einen bestimmten Text aus dem umfangreichen Goethe-Œuvre meinte. Es dürfte sich um das für Maler wichtige Werk Zur Farbenlehre (1810) gehandelt haben, Goethes Versuch, das Wesen der Farbe in seiner Gesamtheit zu erfassen, also auch die Farbwahrnehmung und Farbwirkung zu ergründen; ein Kapitel ist etwa „Allegorischer, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe“ überschrieben. Auch Dix untersuchte in seinen „kosmischen“ Werken und darüber hinaus die symbolische und psychologische Wirkung der Farben. Goethes Farbenlehre, die auf einem elementaren Gegensatz von Hell und Dunkel aufbaut und den polaren Charakter des Lichts betont, hatte auch die Schöpfungsphilosophie Salomo Friedlaenders grundlegend geprägt; schon 1911 hatte Friedlaender in der Zeitschrift Die Aktion seine polemische Verteidigung von Goethes auf der sinnlichen Wahrnehmung beruhender Farbenlehre gegen die des Mathematikers Isaac Newton unter dem Titel Goethe contra Newton veröffentlicht. In der Schöpferischen Indifferenz ist Goethes Farbenlehre dann ein ganzes Kapitel gewidmet.245 Auch der Friedlaender-Adept Raoul Hausmann hat sich, etwa in seinem Text Die neue Kunst von 1921, mit Goethes und Newtons Farblehre befasste und kam darauf aufbauend zu dem Schluss, dass die Farben eine subjektive menschliche Schöpfung seien.246
Grammophon und Farbklavier, Farben-Hören und Musik-Sehen Die Werke der „kosmischen“ Phase entstanden im Kontext der synästhetischen Experimente des Schulhoff-Kreises mit Farblichtmusik, Grammophon und Tanz. Hugo Zehder gab in seinem Dix-Artikel vom September 1919, den er mit den Gemälden dieser Phase illustrierte, einen Hinweis darauf: Dix habe entdeckt, „daß das klingende Rauschen der Farbe, welche fähig ist, von der Begier, von der Unruhe und dem bebenden Luststrom seiner Empfindungen musikalisch auszusagen, seine Sprache werden müßte.“247 244 Otto Dix an Hans Bretschneider, 1911, s. Dix, Briefe, S. 421–422, hier S. 421. 245 Zur Bedeutung Goethes für Friedlaenders Philosophie s. Exner, Fasching als Logik, S. 219– 228. 246 Hausmann, Die neue Kunst. 247 Zehder, Otto Dix, S. 119.
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Abb. 23: Unbekannter Fotograf, Kreis der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, Foto, Aufnahme vermutlich Mai/Juni 1919, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv
Am 10. März veranstaltete Erwin Schulhoff mit der Tänzerin Suse Elsler das schon erwähnte „Tanz-Farbe-Töne-Programm“ im Künstlerhaus Loschwitz. Er saß am Klavier, Suse tanzte, die Farben wurden möglicherweise mittels Lichtprojektionen durch Farbglas erzielt (s. S. 85). Solche Tanz-Farbe-Töne-Inszenierungen kannte man in Dresden seit der Zusammenarbeit des Musikpädagogen Émile Jacques-Dalcroze mit Adolphe Appia für die Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus in Hellerau vor dem Ersten Weltkrieg. Zwar stand das Hellerauer Lehrgebäude 1919 leer, doch die Künstlerkolonie in den angegliederten Pensionaten, Lehrerwohnungen und Pensionen war aktiv. Aus dem Schulhoff-Kreis, der Gruppe 1919 und der Neuen Vereinigung für Kunst und Dichtung bestanden vielfache Verbindungen ins ‚rhythmische Dorf‘. Mehrere Personen lebten dort bzw. unterhielten Verbindungen dorthin, etwa der Schriftsteller Paul Adler, der Dichter Alfred Günther, den Dix in diesem Jahr porträtiert hat, und Schulhoffs Klavierschüler Alfred Schlee (1901–1999), der eine Ausbildung dort absolvierte.248 Die engste Verbindung dorthin hatte der mit Dix befreundete Maler und Musiker Walter Spies. Er war im Mai 1919 aus Moskau, wo er als Kind einer deutschen Kaufmannsfamilie geboren und aufgewachsen war, nach Dresden gekommen, lebte mit seiner Familie in einer Pension in Hellerau und scheint Dalcrozes Hauptideen geradezu
248 Schüller-Oberzaucher, Ein Musikverleger mit Tanzvergangenheit.
Grammophon und Farbklavier, Farben-Hören und Musik-Sehen
aufgesogen zu haben.249 Gemeinsam mit seiner Schwester, der Sängerin und Pianistin Ira Spies, ist er auf dem Gruppenfoto (Abb. 23) zu sehen, das die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ gemeinsam mit Partnern, Freunden und Unterstützern in der Wohnung des Kaufmanns Victor Rubin zeigt.250 Das Foto zeigt (von links nach rechts) in der hinteren Reihe Lasar Segall, Friedrich Bienert, Hugo Zehder, Baruch Achieser, ein Freund von Segall, sowie Will Grohmann; in der mittleren Reihe vermutlich eine Freundin der Familie Rubin namens Lucy Rustenbach, Bianca Segantini, Londa Felixmüller, Ira Spies, Gertrud Grohmann, Ehefrau von Will Grohmann, Otto Dix, Walter Spies und Gela Forster; in der vorderen Reihe der Freund der Familie Rubin Abraham Scheptowitzky, Conrad Felixmüller, Will Heckrott und Otto Schubert. Man hat sich zum Gruppenfoto um einen Tisch gruppiert, die Männer bilden einen äußeren Kreis, der die am Tisch sitzenden Frauen umschließt. Im Kreis der Frauen befindet sich nur ein Mann, nämlich Otto Dix, der sich so als der exzentrische Mittelpunkt der Künstlergruppe inszeniert; sich ganz des „historischen“ Augenblicks der fotografischen Aufnahme bewusst blickt er konzentriert in die Kamera. In Zusammenhang mit den synästhetischen Interessen des Schulhoff-Kreises wurde auch über Kandinskys Programmschrift Über das Geistige in der Kunst diskutiert; ein Reflex der Auseinandersetzung findet sich in Erwin Schulhoffs kunsttheoretischem Text Revolution und Musik (Anhang, S. 256–259). Allerdings setzte sich Schulhoff darin bereits wieder davon ab, was dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass der Text nach der Kontaktnahme mit Dada-Berlin verfasst wurde. Schulhoff kritisierte, Kandinsky habe mittels „Klangfarben“ und „Farbcompositionen“ eine vollständige Loslösung vom Gegenständlichen versucht, sei jedoch im Experimentellen steckengeblieben. Anschließend ging er auf die Musik des russischen Pianisten und Komponisten Alexander Skrjabin ein, von dem er am 30. April 1919 Werke unter dem Titel Aus der Werkstatt der Zeit aufgeführt hatte.251 Das bedeutet aber auch, dass dessen Musik im Schulhoff’schen Atelier zu hören gewesen war, wo Erwin die Musikstücke für seine 249 Rhodius, Walter Spies, S. 77ff.; Schindhelm, Walter Spies, S. 39ff. 250 Ein Abzug der Aufnahme in: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Felixmüller, Conrad, I,A-10a-0033; das Foto trägt verso den handschriftlichen Vermerk „Fest der Gründung der Dresdner Secession in den ersten Januartagen 1919 im Hotel …… auf dem Postplatz Dresden“. Ein weiterer Abzug im Nachlass Lasar Segall, Museu Lasar Segall, Sao Paolo, verortet die Aufnahme überzeugender in der Wohnung des Kaufmanns Victor Rubin, wo Lasar Segall als Untermieter wohnte, s. Ausst.-Kat. Dresden 2019, S. 229. Nach der dort vorgenommenen Identifizierung der Personen, die ich leicht variiert übernommen habe, ist darauf Walter Spies zu sehen; das Foto dürfte also in Zusammenhang mit der Gründungsausstellung im Mai/Juni 1919 aufgenommen worden sein. 251 S. Anm. 231; Beck, Die kosmischen Bilder, S. 214, sah einen Zusammenhang mit der Titelillustration der Partitur von Skrjabins Prométhée Le poème du feu (op. 60).
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Konzerte einübte. Doch auch Skrjabin wurde nun kritisch gesehen: Wiewohl dessen Musik von großer Bedeutung sei, bleibe sie doch „durchwegs Klang bezw. Klangfarbe“ und damit „romantisch-phantastische[r] Expressionismus“, dem es am rhythmischen „Rückgrade“ fehle. Alexander Skrjabin war Farb-Synästhet, d.h., dass Klänge für ihn mit spezifischen Farbwahrnehmungen verknüpft waren. Die Aufführung seines letzten, berühmten Orchesterwerks Prométhée Le poème du feu (1910) verlangt ein Farbenklavier, mit dem der gesamte Konzertsaal ausgeleuchtet werden sollte. 1912 schrieb der italienische Futurist und Bühnenbildner Enrico Prampolini ein Manifest über Die Farben der Töne, 1919 baute Wladimir Barranow-Rossiné ein Optophon, eine Maschine, die Licht in Klang und umgekehrt Klang in Licht verwandelte.252 Auch Raoul Hausmann, der sich häufig in Dresden aufhielt, experimentierte mit einem Optophon und publizierte im Mai 1922 einen Text über Optophonetik, in dem er sich mit Synästhesie befasste.253 1932 sollte er in seinem Artikel Über Farbenklaviere ein solches Instrument diskutierten, mit dem er „zu einer Musik ein gesetzmäßig festgelegtes Farbenspiel“ schaffen wollte.254 Er bemühte sich gar darum, eine „optophonetische“ Weltanschauung zu entwickeln, die „kosmologische Vorgänge, moderne Medientechnologie und das menschliche Leben in Einklang miteinander bringen sollte“.255 Zwischen Griebel und Schulhoff kam es zu einer engen künstlerischen Kooperation. Auf den 23. Mai 1919 datierte Schulhoff die Widmung seiner Fünf Arabesken für Klavier, op. 29, darauf folgen im Werkverzeichnis die Zehn Klavierstücke (WVZ 50), „die er zusammen mit anderen Neuheiten in Griebels Gegenwart im Atelier seiner Schwester vorspielte. Da fiel ihnen ein, daß der Maler zu jeder der kleinen Kompositionen eine Zeichnung schaffen könnte, als freie Parallele zum jeweiligen musikalischen Thema. Es ging also nicht um Illustration, sondern um assoziatives Herangehen, das die rhythmische und dynamische Struktur eines Werkes in die Sprache der bildenden Kunst umsetzen würde.“256 Griebel schuf dazu zehn abstrakte Lithografien, die der Verlag Rudolf Kaemmerer im Januar 1920 zur Grafikmappe Zehn Themen vereint herausgab.257 Die abstrakte Malerei galt als besonders geeignet, Musik in Farben umzusetzen, da die Musik ein abstraktes Medium ist. Entsprechend kam auch Dix in seinem damaligen Schaffen der Abstraktion so nahe wie nie wieder danach, insbesondere im Gemälde Schwangeres Weib (Abb. 24). Darauf wies Theodor Däubler ausdrücklich hin: 252 253 254 255 256 257
Erlhoff, Anmerkungen zu den Texten, S. 205–206. Hausmann, Optophonetik Hausmann, Über Farbenklaviere. Niebisch, Einleitung, S. 19. Bek, Schulhoff, S. 47. Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, C6.1–C6.10, S. 204–205.
Grammophon und Farbklavier, Farben-Hören und Musik-Sehen
„Statt ‚Die Schwangere‘ könnte das Bild auch, allerdings recht abstrakt ‚Involution‘ heißen. Letzte Fernen, unermeßlich über den Rahmen hinaus, werden in diese Kreisungen miteinbezogen“ (s. Anhang, S. 260). Ein direktes Vorgängerwerk ist das Aquarell Madonna von 1914, das eine nackte Frau zeigt, die ihren Bauch mit einem Embryo umfasst und „in Siegerpose auf einem lagernden Stier“ (Anne Peters) steht.258 In Schwangeres Weib taucht der Stier erneut auf, diesmal zwischen den Beinen der Frau, die Dix von der Frontalansicht auf die Seite gedreht hat, so dass der runde Bauch gut als plastische Form in Erscheinung treten kann. Dix scheint im Besonderen interessiert zu haben, wie die Farben in der Lage sind, Bewegung ins Gemälde zu bringen und es so zu verlebendigen. Er hat diesen Effekt viel später als „Sichverwandeln der Farbe“ beschrieben: „[D]as ist nicht etwa etwas, was konstant ist, sondern was fortwährend wechselt. […] Das ist ein fortwährendes Fluktuieren. Das Auge erzeugt eigentlich die Farben. […] Das schwebt. Das schwebt, verstehen Sie.“259 Ähnlich hatte Raoul Hausmann in seinem Text Die neue Kunst Abb. 24: Otto Dix, Schwangeres Weib, 1919, Öl/Lwd., von 1921 die Farben als eine subjektive 135 × 72 cm, Löffler 1919/6, Privatbesitz menschliche Schöpfung bestimmt. Nach den neuen Erkenntnissen der Physik waren Energie und Bewegung das Urprinzip des Kosmos und prägten als Prinzip die moderne Weltdeutung. „Wir sind im Begriff“, führte Raoul Hausmann weiter aus, „in eine Welt der Zeit und der dynamischen Kräfte zu schreiten, in der eine ungeheuere Bewegung und Bewegtheit alte 258 Peters, Die ‚unbekannten‘ frühen Arbeiten, S. 27 (mit Abb.). 259 Dix, Über Kunst, Religion, Krieg, S. 259.
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Grenzen auflöst und die Fesseln sprengt. Auch in der Optik erleben wir ein Gleiches. Wir sehen in der Natur kein Ding mehr ruhend, durch die mechanische und technische Entwicklung haben wir gelernt, die Bewegung zu erfassen.“260 Energie und Bewegung sind auch die Kräfte, welche der Vorstellung des dynamisch-motorischen Monismus zugrunde liegen. Und diese dynamischen Kräfte wurden als kreisförmig imaginiert: „Alle Bewegung ist aber kreisförmig“, führt Hans Castorp aus, die Hauptfigur von Thomas Manns Roman Der Zauberberg. „Im Raum und in der Zeit, das lehren die Gesetze von der Erhaltung der Masse und von der Periodität.“261 Ähnlich sollte sich Raoul Hausmann in seinem Text Über Farbenklaviere über die Fortbewegung von Licht und Schall äußern: „Licht oder Schall pflanzt sich wie Elektrizität fort als einmalige Rotationsexplosion von verschieden ‚großem‘ Ausmaße.“262 Ähnliche Korrespondenz-Vorstellungen von Licht und Schall könnte auch den Käufer des Gemäldes Schwangeres Weib interessiert haben, das mit seinen verschieden großen, farbigen Rotationsformen solche Vorstellungen zu reflektieren scheint. Es handelte sich um den berühmten Pianisten und Komponisten Artur Schnabel. Dix muss ihn während dessen Dresdener Aufenthaltes am 22. November 1919 kennengelernt haben, anlässlich des dritten der von Erwin Schulhoff und Hermann Kutzschbach organisierten und vom Sächsischen Künstlerhilfsbund veranstalteten Fortschrittskonzerte, die im Herbst 1919 Aufsehen im Musikleben Dresdens erregten. Sie machten das Musikpublikum mit Werken von Alban Berg, Arnold Schönberg, Alexander Skrjabin, Anton von Webern, Egon Wellesz sowie Schulhoffs und Schnabels bekannt und wurden von je einem Einführungsabend eingeleitet. Am dritten Abend sang Therese Schnabel, am Klavier von ihrem Ehemann begleitet, dessen Notturno, anschließend brachte das Premyslav-Quartett Schnabels Streichquartett zur Uraufführung.263 Im Dezember 1919 verkaufte Dix drei Aquarelle und das Gemälde Schwangeres Weib an Artur Schnabel.264 Das Gemälde dürfte danach in dessen Wohnung in Berlin gehangen haben, einem Treffpunkt für Musiker der Moderne wie Ernst Krenek, Eduard Erdmann und Hans Jürgen von der Wense. Letzterer war mit Schnabel eng befreundet war und hatte nicht nur die Gründungsausstellung der Gruppe 1919, sondern auch Dix in seinem Atelier besucht (s. S. 159).
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Hausmann, Die Neue Kunst. Mann, Zauberberg, S. 462. Hausmann, Über Farbenklaviere, S. 173. Kugele, Erwin Schulhoff und die „Fortschrittskonzerte“, S. 201–202; Goergen, Dadaisierte Musik, S. 59–65, dort fälschlicherweise auf 1921 datiert. 264 Die Edition der Dix-Briefe führt vier Briefe an Schnabel an: Otto Dix an Artur Schnabel, o.D.; Otto Dix an Artur Schnabel, 10.12.1919; Otto Dix an Artur Schnabel, o.D.; Otto Dix an Schnabel, 17.02.1920, s. Dix, Briefe, S. 455–457.
Grammophon und Farbklavier, Farben-Hören und Musik-Sehen
Bei den Farblicht-Experimenten im Schulhoff’schen Atelier kam möglicherweise Farbglas zum Einsatz. Hier könnte die Kompetenz von Griebel gefragt gewesen sein, der an der Kunstgewerbeschule den Ausbildungsgang Glasmalerei absolvierte und 1919 Glasfenster für einen Kirchenbau in Spanien entwarf.265 Die durchscheinende bzw. selbstleuchtende Farbigkeit der „kosmischen“ Gemälde von Dix hat jedenfalls verschiedentlich den Vergleich mit Farbglas provoziert: Mit Blick auf das Gemälde „Mondweib“ (Abb. 18) verglich Theodor Däubler Dix’ „sehr mildes Blau“ mit selbstleuchtenden venezianischen Gläsern und sein Weiß mit Milchscheiben (s. Anhang, S. 259), Kurt Gerstenberg dachte bei der Buntheit der Bilder an „durchschnittene farbige Glasflüsse“.266 Möglicherweise wurden „Mondweib“ und Schwangeres Weib (Abb. 24) während ihrer Präsentation in der Gästeausstellung auch zeitweise angestrahlt; der Kritiker des Dresdner Anzeigers, Richard Stiller, beschrieb sie als die „beiden bengalisch in rot und grau beleuchteten blasenhaften Kreisfiguren“.267 Bald darauf sollte Dix Glas-Glitter und Glas-Flakes in seinen Dada-Gemälden verwenden (s. S. 169).
265 Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, E1, S. 220. 266 Däubler, Otto Dix; Gerstenberg, Freie Sezession Berlin 1919, S. 463. 267 R. S. [Richard Stiller], Dresdner Sezession, Gruppe 1919, in: Dresdner Anzeiger, 08.07.1919, S. 2, wiederabgedruckt in: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 76–78, hier S. 77.
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Erste Kontakte zu George Grosz Am 30. April 1919, als Erwin Schulhoff in Dresden sein Klaviersonaten-Konzert Aus der Werkstatt der Zeit gab, kam in Berlin Dada-Musik zur Aufführung. An diesem Abend fand die Dadaistische Soiree im Graphischen Kabinett I.B. Neumann statt, auf der der ukrainische Maler, Komponist und Zwölftonpionier Jefim Golyscheff (1897–1970) eine Anti-Symphonie darbot.268 Musik spielte bei Dada von Anfang an eine zentrale Rolle: Schon das Züricher Cabaret Voltaire bot ein buntes Musikprogramm, darunter Stücke von Alexander Skrjabin. Auf dem ersten dadaistischen Vortragsabend im Berliner Sezessionsgebäude trug George Grosz am 12. April 1918 „Sincopations, eigene Verse“ vor, sang „Niggersongs“, bot möglicherweise singend ein pornografisches Gedicht dar.269 Dada-Musik musste Schulhoffs Interesse wecken, insbesondere für seine in Planung befindliche Konzertreihe zur „Zukunftsmusik“, für die er Kontakt zu den in Berlin lebenden Komponisten Artur Schnabel und Arnold Schönberg aufnahm. Überhaupt waren Schulhoffs Verbindungen in die Reichshauptstadt eng, denn dort saß der Jatho-Verlag, sein Musikverleger. Und so nahm er am 24. Mai 1919 an der zweiten Dada-Soiree im Meistersaal in der Köthenerstraße teil.270 Laut Griebel soll er dort als Pianist aufgetreten sein.271 Zudem gab es improvisierte Tanzeinlagen, etwa einen Maskentanz von George Grosz und Jefim Golyscheff führte ein „Keuchmanöver“ auf. Außerdem wurde das große Choaplasma dargeboten, laut Hannah Höch ein „Simultan-Chorgesang mit einem infernalisch-bruitistischen Orchester“, eine „rhytmisch [sic!] gesteuerte Ballung von Pfeifen, Stampfen, Blechschlagen, Kinder-Knarren, Gebimmel, Getrommel, Okarinageblas und Geschrei“.272 268 Hanne Bergius, „Uraist“ Jefim Golyscheff, in: dies., Das Lachen Dadas, S. 220–223; John, Absolute Respektlosigkeit. Jefim Golyscheff 1919. 269 Goergen, Urlaute dadaistischer Poesie; ders., Apachentänze in Futuristenkellern, S. 221. 270 Goergen, Nachrichten aus dem Bordell der Zeit, S. 8–9; Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 8. 271 Griebel, Mann der Straße, S. 77, schrieb, Schulhoff habe an der Ersten Dadaistischen Soiree als Pianist teilgenommen; Schulhoff führte am Abend der ersten Soiree, am 30. April 1919, jedoch ein eigenes Klavierkonzert unter dem Titel Aus der Werkstatt der Zeit im Künstlerhaus in Dresden durch. 272 Höch, Lebenscollage, S. 529–530, Programmzettel Kat.-Nr. 12.20, S. 568 und Abb. S. 569; s. auch Bergius, Das Lachen Dadas, S. 339–343.
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Nach seiner Rückkehr nach Dresden dürfte Schulhoff seinen Freunden ausführlich berichtet haben; vielleicht „performte“ er auch, um einen Eindruck von der Soiree zu vermitteln. Laut Griebel brachte er zudem „einige Nummern der von George Grosz herausgegebenen Zeitschrift ‚Der blutige Ernst‘ mit, die kriegsgegnerische Zeichnungen von Grosz enthielten. Das von Richard Huelsenbeck verfasste Dadaistische Manifest, in dem er seine Gegnerschaft zum Expressionismus bekanntgab, ging unter uns von Hand zu Hand.“273 Erwin Schulhoff bemühte sich im Folgenden darum, George Grosz die Exponate von Dix in der Freien Sezession (s. S. 89f.) zu zeigen. Nachdem eine Verabredung zur gemeinsamen Besichtigung gescheitert war, übermittelte er Grosz am 31. Mai 1919 postalisch Dix’ Adresse und bat: „Bitte schreiben Sie ihm das wie Sie versprochen und schicken Sie ihm auch die Photos von ihren Bildern und bei Gelegenheit sehen Sie sich doch auch seine Bilder in der ‚freien Sezession 1919‘, Ecke Kurfürstendamm-Uhlandstr., neben Kaffee Kutschera an!“274 Es darf vermutet werden, dass Grosz daraufhin Fotos seiner Gemälde an Dix geschickt hat, vermutlich in Zusammenhang mit seiner Teilnahme an der Gästeausstellung im Juli (s. S. 93ff.). Und man traf sich auch persönlich, wie wieder Otto Griebel überliefert hat: „Die Angelegenheit Dada wurde nunmehr allabendlich rege diskutiert und nachdem auch Dix in Berlin gewesen war und uns von George Grosz Grüße sowie neue Nachrichten über den Club Dada mitbrachte, schloß sich ihm unser Kreis an.“275 Das Treffen zwischen Dix und Grosz fand vermutlich im Juni 1919 in Berlin statt und damit viel früher, als bisher allgemein angenommen wird.276 Dix war von Dada als Haltung, Weltansicht, anti-expressionistischem und anti-bürgerlichem Kunstkonzept begeistert. Dada positionierte sich klar gegen jene Vergeistigung des Stoffes und Überwindung der materiellen Wirklichkeit, welche die auf Expressionismus konditionierten Dresdner Kritiker bei ihm reklamierten. Als Anhänger Haeckels, Nietzsches und Friedlaenders konnte er problemlos an Dada anknüpfen.277 Denn Dada-Kunst galt als 273 Griebel, Mann der Straße, S. 77. Das Manifest hat sich im Schulhoff-Nachlass erhalten; s. Ivan Vojtěch, Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg. Unbekannte Briefe an Erwin Schulhoff, in: Miscellanea Musicologica 18/1965, S. 66f., zit. nach Widmaier, Colonel Schulhoff, S. 21, Anm. 7. 274 Erwin Schulhoff an George Grosz, 31.05.1919, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, George-Grosz-Archiv, Nr. 44, zit. nach Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 30. 275 Griebel, Erinnerungen an Dada, S. 2–3. 276 Dix’ Kontakt mit Dada-Berlin wird auch in der neueren Literatur noch zu spät auf Anfang 1920 datiert, s. Wagner, Die Wendung der Kunst, S. 77; Spanke, Das Auge der Welt, S. 15; Ingo Herrman, Biography, in: Kat. Montreal/New York 2010/2011, S. 235. 277 Zu Haeckels Einfluss auf die Dadaisten s. Benson, Raoul Hausmann and Berlin Dada, S. 8–9; Lindlar, Visuelle Lautpoesie, S. 83; zu Nietzsches Einfluss auf die Dadaisten s. Meyer, Nietzsche und die Kunst, S. 296-300; Bergius, Montage und Metamechanik, S. XIV–XV, S. 3–4 und passim.
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nietzscheanische Kunst, als Ja-Sagen zur Welt, wie sie ist, mit allem Wert und Unwert; zudem rezipierten die Dadaisten Nietzsche in der monistisch-polaren Aktualisierung Friedlaenders.278
Berliner Anti-Expressionismus Vermutlich hielt sich auch Otto Dix am Abend der Dada-Soiree in Berlin auf, denn parallel dazu wurde die Sonderausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in der Freien Sezession eröffnet. Präsentiert wurde die Gründungsschau, statutengemäß unter eigener Jury und im eigenen Saal. Nur Dix hatte seinen Beitrag stark verändert; neben dem bereits in Dresden gezeigten Gemälde Leda mit dem Schwan (Abb. 14) stellte er drei neue Werke aus: Meine Freundin Elis (Abb. 25), Auferstehung des Fleisches (1919/3) und Der Mond (Abb. 26).279 Letzteres war ein Selbstbildnis in der Nachfolge des Selbstbildnisses als Mars und des Selbstbildnisses Sehnsucht, ebenfalls mit Mond. Dix identifizierte sich nun mit diesem Sehnsuchtssymbol: Ein silberner Mond hat sich über seine Stirn gelegt und das eigentliche Bildnis erscheint im sichelförmigen Profil. Wieder hält er die Augen geschlossen, um seinen Kopf kreisen nun die Hochhäuser als Symbole der Großstadt. Seine Brust ziert ein Emblem „forcierter Lebenslust“ (Theodor Däubler) aus leicht bekleideter Tänzerin, wippendem, spitzenbesetztem Rock, Männerbeinen, Champagnerglas und -flasche sowie Wagenrädern. Am 23. Mai 1919, einen Tag vor der Berlin-Dada-Soiree, widmete Erwin Schulhoff seine Fünf Arabesken für Klavier, op. 29, einer Tänzerin, vermutlich seiner Freundin Suse Elsler. Der Widmungstext liest sich wie eine Beschreibung des Dix’schen Emblems „forcierter Lebenslust“: „Lass’ Buntheit Deines Körpers spielen, / Reize steigere die Sinne immerdar, / Flitter, Leichtigkeit der Seele. / Auftakt zu Erlebnis – wunderbar! / […] Selbst wenn Kutten sich darob entsetzen / Eures Strumpfes Seide doch bestaunt, / Formvollendet, Blumenstrauß der Glieder / Wird man göttergleich gelaunt!“280 Die ganze Bildkomposition von Sehnsucht ist in Rotation geraten, ja dem Gemälde selbst fehlt aufgrund seines quadratischen Formats eine eindeutige Ausrichtung; möglicherweise hatte Dix eine Aufhängung an der Ecke als eine auf der Spitze stehende Raute vorgesehen, wie dies für das im Werkverzeichnis folgende, ebenfalls quadratische 278 Benson, Raoul Hausmann and Berlin Dada, S. 5–13; Exner, Fasching als Logik, S. 264ff.; Schaschke, Dadaistische Verwandlungskunst, S. 63ff.; Bergius, Montage und Metamechanik, passim; Berg, Avantgarde und Anarchismus. 279 Kat. Berlin 1920a; Schmidt, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, S. 40–41. 280 Erwin Schulhoff, einer Tänzerin zu eigen! Widmung, s. Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 18; Uraufführung Dresden, 13.11.1919, s. Bek, Schulhoff, WV 49, S. 202.
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Abb. 25: Otto Dix, Meine Freundin Elis, 1919, Öl/Lwd., 57,5 × 50 cm, Löffler 1919/14, Kunstsammlung Gera
Gemälde Matrose Fritz Müller aus Pieschen gesichert ist (s. S. 169f. und Abb. 50); dafür spricht auch die schräg ins Bild gebrachte Signatur. Der Mond ist ein altes Sehnsuchtssymbol, wenn nicht „des Sehnens Symbol“ schlechthin, wie ihn Heinar Schilling im Epilog zu seinem Gedicht Mensch, Mond, Sterne bezeichnete, das er am 20. März 1919 in der Zeitschrift Menschen veröffentlichte. Als solches ist er auch ein zentrales Motiv in Theodor Däublers Roman Mit silberner Sichel. Vielfach taucht der Mond deshalb in Darstellungen des Dichters auf. Otto Lange hat in seinem Linolschnitt Nächtliche Szene Däubler mit Mondsichel und Sternen dargestellt, wie er auf den Himmelkörper verweist, und ebenso Conrad Felixmüller.281 Der Mond hat für den Schriftsteller vielfältige Bedeutung, unter anderem als „Signum der Sehnsucht nach Wiedervereinigung des Getrennten und damit Sinnbild des Menschen selbst“.282 Übrigens hat auch Otto Griebel das Thema in dem Aquarell 281 Kat. München 1977, passim. 282 Zit. nach Conrady, Theodor Däubler, S. 191.
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Abb. 26: Otto Dix, Der Mond, 1919, Öl/Lwd., Maße unbekannt, Löffler 1919/12, Verbleib unbekannt
Komposition mit Mond von 1919 bearbeitet, das sich im Besitz von Erwin Schulhoff befand.283 Däubler poetisierte, wie andere Dichter auch, das Mondlicht als „Silberlicht“, und das nahm Dix ganz wörtlich und verwendete für den Mond Silberfarbe. Das Gemälde ist zwar verschollen, doch legt das Foto nach dem Original dies nahe. Dass der Mond silbern war, lässt sich einer Rezension entnehmen: „Der silberne Mond (‚Der Mond‘) strahlt friedliches Licht, während unter seiner Obhut die Nacht in irdischen Genüssen dahinbraust. Gewaltig ist auch die ‚Auferstehung des Fleisches‘, die wohl unbewußt
283 Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, B30, S. 124.
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den Gedanken des Khungfutse folgt.“284 Der Kunsthistoriker Kurt Gerstenberg, der die Dresdner Sezessionisten in seiner Ausstellungsbesprechung im Cicerone hart kritisierte, für Dix indes anerkennende Worte fand, erwähnt die Verwendung von Silber in dem Gemälde Auferstehung des Fleisches: „Otto Dix schwelgt in farbigem Orgiasmus. Er hat grelle scharfe Farben, die er noch um Silber vermehrt, zu Bildern geordnet, deren aufdringliche Buntheit wie durchschnittene farbige Glasflüsse wirken. Der Eindruck jedenfalls, den er in der Auferstehung des Fleisches erreicht, wo silbernes Gebein auf schwarzem Grund ruht und wo nach oben alles in Farben auszudampfen scheint, ist nicht ohne fremdartigen Reiz.“285 Vor dem Kontakt mit den Berliner Dadaisten entstanden, zeigen beide Gemälde Elemente, die Dix in seinem dadaistischen Schaffen weiterentwickeln sollte: Zu nennen wären vor allem die kaleidoskopischen Kompositionen und die Verwendung von Silberfarbe und Silberfolie bzw. von reflektierenden Materialien.
Sezession vom Dresdner Expressionismus Die Rezeptionsgeschichte zum Dix’schen Werk der Jahre 1919 bis 1922 basiert ganz überwiegend auf den Dresdner Ausstellungen und der lokalen, Expressionismus affinen Zeitungskritik. Nicht adäquat gewürdigt wurden die Präsentationen in Berlin, wo der Expressionismus inzwischen als inflationär gewordener Modestil wahrgenommen wurde: „Er verlor seinen revolutionären Anstrich, während sich der kapitalistische Kunstmarkt erholte.“286 Der erste Auftritt der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in der Reichshauptstadt auf der Sommerausstellung der Freien Sezession im Mai 1919 geriet jedenfalls zum Debakel. Walter Ley stellte im Kunstblatt „epigonisches Talent“ fest und Curt Glaser im Berliner Börsencourier „eklektische, abgeleitete, letzten Endes auch wieder akademische Methode“.287 In der Neuen Rundschau gestand der den Dadaisten nahestehende Adolf Behne, Mitgründer des Arbeitsrates für Kunst, der Gruppe zwar „revolutionäres Temperament“ zu, doch sei das Neue, das sie bringe, ziemlich mager: „‚Interessant‘ sind sie ganz gewiß alle, aber ich empfinde in der Drastik eines Otto Dix und auch in der
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Hanstein, Die Jüngsten der Freien Sezession, S. 12. Gerstenberg, Freie Sezession Berlin 1919, S. 463. Kutschera, Aufbruch und Engagement, S. 35. Ley, Die Berliner Sezession; Curt Glaser, Die Freie Sezession, in: Berliner Börsen Courier Nr. 243, 27.05.1919, zit. nach Strobl, Malerkarriere, S. 31.
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Besonderheit Felix Müllers etwas von fast provinzieller Aufgeregtheit – etwas Angeheiztes.“288 Die Beteiligung vermittelt hatte das ehemalige Brücke-Mitglied Karl Schmidt-Rottluff, der dem Vorstand der Freien Sezession angehörte und bald darauf an der Gästeschau der Gruppe 1919 teilnehmen sollte. Im Anschluss wurden Felixmüller, Böckstiegel, Heckrott und Lange zu Mitgliedern der Freien Sezession ernannt, was den Riss zwischen den beiden Sub-Gruppen, der „Fraktion der Galerie Richter“ und der „Fraktion der Neuen Vereinigung“, vergrößert haben dürfte.289 Im Juliheft seiner Neuen Blätter kommentierte Hugo Zehder die Berliner Schelte scharf: „Die Berliner Presse war oder tat so, als wäre sie aufs tiefste beleidigt oder, des steten Gereiztwerdens müde, umrankte sie die zu berichtende Tatsache, daß die Gruppe 1919 den besten Teil des Gebotenen darstellte (außer den Werken von Kokoschka, Feininger, Schmidt-Rottluff) mit ein paar Floskeln, Presseblüten am Grabe der Wahrheit. Es war lustig zu sehen, wie die Herren immer noch so taten, als wären Berliner Meinungen gültige Heiligsprechungen oder tötender Bannstrahl.“290 Vehement verteidigte er das offene Gruppenkonzept und forderte die Auflösung des „historischen Expressionismus“: „Daß der Expressionismus kein Kunststil ist, kein Symbol eines vollkommen organisierten Wesens unseres Daseins, ist evident. Er hat vielerlei ‚Richtung‘.“291
Ein erster Auftritt Dadas in Dresden Den Beleg dazu lieferte die zweite Schau der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, die am 28. Juni 1919 eröffnet wurde. Es handelte sich um eine große Veranstaltung mit Gästen, weshalb zusätzlich zu den Räumen des ersten Stocks auch die repräsentativen Räumlichkeiten der Kunstausstellung Emil Richter im Erdgeschoss bespielt wurden. Entsprechend eröffnete diesmal deren Leiter der modernen Abteilung, der junge Kunsthistoriker Rudolf Probst.292 Das ehrgeizige Unternehmen umfasste dreißig große Werke sowie eine umfangreiche grafische Abteilung und wurde von einem reich bebilderten Katalogheft begleitet.293 Zur Vernissage erschien viel Kulturprominenz, darunter Stadtbaurat Hans Poelzig, Akademieprofessor Otto Gussmann, der Intendant des Staatstheaters Nikolaus Graf von Seebach sowie die Dichter Theodor Däubler, Carl Hauptmann, 288 Behne, Die Berliner Sezessionen. 289 Dresdner Neueste Nachrichten, 04.07.1919, S. 3. 290 Zehder, Zu den Bildern des Heftes. 291 Ebd. 292 Zu Rudolf Probst s. Hofmann, Will Grohmann und Rudolf Probst, S. 195–196. 293 Kat. Dresden 1919b.
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Bruder Gerhard Hauptmanns und Autor von Zehders Zeitschrift Schaubühne, und Hanns Johst, einer der bekanntesten deutschen Nachwuchs-Dramatiker und späterhin Präsident der NS-Reichsschrifttumskammer.294 Die zweite Schau eröffnete bereits sechs Wochen nach Ende der ersten und damit „etwas überstürzt“, wie Rudolf Herbert Kaemmerer meinte.295 Einige Exponate waren bei Drucklegung des Kataloges noch nicht eingetroffen und der Katalog selbst zur Eröffnung nicht fertig.296 Tatsächlich sah der Vertretungsvertrag eine Gästeausstellung erst für Januar vor; offensichtlich hatte man diese kurzfristig vorgezogen. Grund für die Eile dürfte die Sommerausstellung der Künstlervereinigung gewesen sein, an der man eigentlich hatte teilnehmen wollen. Schon das Statut hatte eine Trennung „von den bisherigen Künstlern“ konstatiert, entsprechend hatte man im Februar öffentlich erklärt, sich an keiner Ausstellung der bestehenden Dresdner Künstlerverbände mehr zu beteiligen.297 Gleichzeitig hatten sich die „Vertrauensleute“ Felixmüller und Segall am 24. Februar 1919 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Ausstellungswesen der Künstlervereinigung, Otto Gussmann, gewandt und eine Zusammenarbeit angeboten, allerdings unter der Bedingung, dass man nur unter eigener Jury und in eigenen Räumen partizipieren wolle.298 Dies wurde akzeptiert und eine erste Kooperation für die Sommerausstellung ausgemacht.299 Dann jedoch sagte die Gruppe 1919 ihre Teilnahme kurzfristig ab, wohl auf die Berliner Erfahrung hin, im Kreise einer expressionistisch ausgerichteten Gruppe wie der Künstlervereinigung allein nach expressionistischen Prinzipien gemessen zu werden und kein eigenes Profil entwickeln zu können. Jedenfalls vollzog die Gruppe nun den angekündeten vollen Bruch mit dem Alten. Dadurch geriet die Künstlervereinigung jedoch in erhebliche Schwierigkeiten, denn es musste schnell Ersatz für die entfallene Sonderschau gefunden werden.300 Der Unmut über die Absage war daher groß. Auffällig ist auch, dass Rudolf Probst in der Eröffnungsrede und im Katalogvorwort die Anbindung an die Natur (und nicht an den Geist) propagierte: „Die Natur möchte sich wieder in euch genießen, in eurem spezifischen Daseinsbewußtsein, im 294 Die Dresdner Sezession Gruppe 1919, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 29. Juni 1919 (Rubrik: Kleines Feuilleton). 295 Kaemmerer, Dresdner Sommerausstellungen. 296 Die Dresdner Neuesten Nachrichten meldeten das Erscheinen des Kataloges am 13. August 1919. 297 Rubrik Aus den Vereinen und Gesellschaften, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 99–100; Redaktionsschluss des Heftes war der 21. Februar 1919. 298 Conrad Felixmüller an Otto Gussmann, 24.02.1919, s. Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 76. 299 Die Künstlervereinigung habe der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ „einen eigenen Saal unter eigener Jury in ihrem Ausstellungsgebäude zur Verfügung gestellt“; s. Kaemmerer, Dresdener Sommerausstellungen (in: Die junge Kunst), S. 12. 300 Zur Verlegenheit der Künstlervereinigung s. ebd.
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schöpferischen Lebensstil des Menschen, der Kunst. […] Und nun möchte er diese unvermeidliche, die eingeborene Natur wieder d i r e k t zum Wort bringen – und in seiner Entwöhntheit weiß er es garnicht, wie anfangen, auf daß die rettende Stimme ertönt.“301 Zudem führte die zweite Ausstellung die junge Kunst nun als eine nach allen Seiten hin offene Bewegung vor, nicht auf einen Stil festgelegt, überregional, als Teil einer avantgardistischen Internationale. Dem entsprach das Präsentationskonzept: Die Exponate waren nicht nach Gruppenzugehörigkeit gehängt, sondern gemischt. Damit wandte man sich dezidiert gegen die Dresdner Erwartungshaltung auf einen lokalen Stil und eine lokale Künstlergruppe. Zum Zeitpunkt der Eröffnung lag der erste Kontakt mit George Grosz und dem Berliner Club Dada einen Monat zurück. So muss es nicht überraschen, dass die zweite Ausstellung der Gruppe 1919 auch dadaistische Kunstwerke präsentierte. Von Grosz war das Gemälde Die Nacht aus der Dresdner Privatsammlung Ida Bienerts ausgestellt, vermutlich weil man aufgrund der Kürze der Vorbereitungszeit auf lokale Bestände hatte zugreifen müssen.302 Zur Sammlerin bestand über Theodor Däubler enger Kontakt, zudem gehörte deren Sohn Friedrich (Fritz) Bienert zum Kreis der Gruppe 1919; er ist auf dem Foto zu sehen, das anlässlich der Gründungsausstellung aufgenommen wurde (Abb. 23).303 Am offensichtlichsten war Dada jedoch in den Merzbildern Iga Lo und Komposition von Kurt Schwitters präsent, die hier zu sehen waren, noch bevor der Sturm diese im Juli 1919 in Berlin vorstellte.304 Wer den Kontakt zu Schwitters hergestellt hatte, ist unbekannt, doch kannte dieser als Absolvent der Dresdner Akademie einige Mitglieder der Gruppe 1919 aus Studienzeiten.305 Die Identifizierung mit Dada nahm jedenfalls zu; Walter Spies, der an zweiten Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ beteiligt war und diese mit seinem Freund, dem Pianisten und Komponisten Hans Jürgen von der Wense besucht hatte, wurde von diesem am 18. Juni 1919 als Dadaist bezeichnet.306 Der im Statut formulierte Anspruch, die Führerschaft der Jugend übernehmen zu wollen, konnte in dieser Ausstellung eingelöst werden. Zu Gela Forster, die eine Die Pyramide betitelte monumentale Skulptur präsentierte, waren drei junge Dresdner Bildhauer geladen worden: Ludwig Godenschweg mit Groteske Szene, Eugen Hoffmann mit 301 302 303 304
Rudolf Probst, Vorwort, in: Kat. Dresden 1919b. Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 30. Lühr, Friedrich Bienert. Mehring, Kurt Schwitters im „Sturm“; Schwitters, Erklärung der Merzmalerei; Iga Lo ist im Ausstellungskatalog sowie im begleitenden Juliheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung abgebildet. 305 Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein, S. 76; zu Schwitters und Dresden s. Nil, Die Handlung spielt in Dresden. 306 Hans Jürgen von Wense an seine Mutter, 18.06.1919, zit. nach: Wense, Geschichte einer Jugend, S. 204.
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Mädchenkopf und Alfred Glatter mit Halbakt. Als Gäste waren namhafte Künstler aus ganz Deutschland vertreten, darunter zahlreiche Mitglieder der Novembergruppe. Unter den Malern stach Dix deutlich heraus: Während die übrigen Mitglieder mit ein bis zwei Gemälden vertreten waren, zeigte er drei relativ große Formate, die er mit von ihm gestalteten Rahmen präsentierte: Schwangeres Weib, „Mondweib“ und Mädchen und Tod (Vergänglichkeit).307 Anstatt der obligatorischen Goldleiste umgeben sie einfache Holzleisten, die farbig auf den Bildfonds abgestimmt und mit ornamentalen Elementen, darunter Sterne und Blumen, bemalt sind, wie dies bei den Futuristen Usus war.308 Die gestalteten Rahmen verbinden die „kosmische“ Phase wie eine Klammer mit der folgenden Dadaphase (s. Abb. 50, S. 171). In Zusammenhang mit der Ausstellung gab auch Erwin Schulhoff sein erstes öfAbb. 27: Otto Dix, Vergänglichkeit (Mädchen und Tod), fentliches Bekenntnis als Dadaist ab. Am 1919, Öl/Malkarton, 70 × 48 cm, Löffler 1919/1, Privatbesitz 10. Juli verfasste er einen Brief an den Kritiker des Dresdner Anzeigers, Richard Stiller, der sich in seiner Besprechung ausdrücklich gegen die „beiden bengalisch in rot und grau beleuchteten blasenhaften Kreisfiguren“ von Dix ausgesprochen hatte, die ihn kalt gelassen hätten. „Auch die Zutaten nach Kleeschem Rezept machen diese äußerlichen Dekorationsstücke, die schließlich Geschmackssache sind, nicht tiefsinniger und anziehender. Nichts weiter als eine Kuriosität ist sein Mädchen mit Tod. Man sieht wie es gemacht wird“.309 Schulhoff konterte: „[U]m Gotteswillen, beglücken Sie nicht mehr
307 „Mondweib“ hat seinen Rahmen erhalten (s. Abb. 18), Mädchen und Tod (1919/1) ist im Ausstellungskatalog mit gestaltetem Rahmen abbildet, Schwangeres Weib (1919/6) im Septemberheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung. 308 Senn, Dix, S. 75; Schwarz/Schwarz, Dix und Beckmann. Stil als Option, S. 48–49; Beck, Die kosmischen Bilder, S. 90ff. 309 R. S. [Richard Stiller], Dresdner Sezession, Gruppe 1919, in: Dresdner Anzeiger, 08.07.1919, S. 2, wiederabgedruckt in: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 76–78, hier S. 77.
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die Dresdner Bürgerschaft mit Rezensionen über moderne bildende Kunst, denn davon verstehen Sie soviel wie ich vom Seiltanzen!“ Dann fügte er noch die Noten zu Die Wacht am Rhein hinzu, der inoffiziellen Nationalhymne des deutschen Kaiserreiches, und unterzeichnete mit „Überdada, Componist und Expressionist, Ist- jeder Richtung, jedes Ismusses!“310 Das war ein klares Bekenntnis zum Polystilismus und damit zu dem vom Dresdner Feuilleton kritisierten Ausstellungskonzept.
Das Dresdner Feuilleton in Aufruhr Das polystilistische Präsentationskonzept stieß in der Hochburg des Expressionismus auf erheblichen Widerstand. Die Erweiterung des ästhetischen Konzepts wurde von der Tagespresse als Rückgang der Qualität gegenüber der Gründungsausstellung wahrgenommen. Dix, Mitschke-Collande und Heckrott fehle angeblich „die Ausdruckskraft der Expressionisten“, und „die gemachte Symbolik der Bilder ‚Schwangeres Weib‘ und ‚Mondweib‘“ von Dix sei völlig belanglos, urteilte der Kritiker der Dresdner Neuesten Nachrichten, Carl Puetzfeld.311 In den deutschnationalen Dresdner Nachrichten stellte Felix Zimmermann Dix und Schwitters als abschreckende Beispiele neuer Kunst vor; Dix’ Exponate seien nichts weiter als Atelierwitze, die den Ruf der Künstlergruppe schädigten. Er empfahl seinen Lesern, sich an „so gesunde, schöpferische Erscheinungen“ wie Böckstiegel zu wenden, „um nicht den Glauben an die neue Kunst zu verlieren“.312 Insgesamt war das Feuilleton darum bemüht, Dix als „Gegenpol“ von den übrigen Gruppenmitgliedern abzusetzen, so als gelte es, Schaden von der Künstlergruppe abzuwenden. Es sind diese negativen Reaktionen des Feuilletons, die das Bild der Künstlergruppe bis heute prägen. Der von den Dresdner Kritikern behauptete Verlust an künstlerischer Qualität wird unkritisch als Tatsache genommen. Unreflektiert blieb, dass die Negativbewertung einer enttäuschten Erwartungshaltung auf einen lokalen Gruppenstil à la Brücke, auf eine zweite expressionistische Generation entsprang. Die Künstlergruppe und ihre Unterstützer verbaten sich die Kritik jedenfalls als inadäquat, wie der Brief von Erwin Schulhoff belegt. Auf den Vorwurf hin, Schwitters Merzbilder hätten mit Malerei nichts mehr zu tun, sandte die Ausstellungsleitung eine Erklärung des Begriffes „Merzbild“ an die Zeitungsredaktionen, um klarzustellen, dass dieses nicht mit den 310 Erwin Schulhoff an Richard Stiller, 10.07.1919, Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. App. 1529, 335/13 z, zit. nach: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 35–36, hier S. 36. 311 Carl Puetzfeld, Ausstellung der Gruppe 1919, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 12.07.1919. 312 F. Z. [Felix Zimmermann], Dresdner Sezession, in: Dresdner Nachrichten, 26.06.1919, S. 3.
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Kategorien der Malerei zu messen sei. Die Dresdner Nachrichten druckte die Erklärung am 31. Juli 1919 ab, ließ jedoch den redaktionellen Nachsatz folgen: „Uns will freilich scheinen, als ob zum Urteil dieser neuesten Errungenschaften futuristischer Kunst nicht Kunstschriftsteller, sondern Psychiater berufen sind.“313 Möglicherweise war es ein strategischer Fehler, sich so eng an eine kommerzielle Galerie zu binden. Die abrupt vollzogene Trennung von der Künstlervereinigung wirkte sich jedenfalls negativ aus. Der Kritiker der Dresdner Neuesten Nachrichten Carl Puetzfeld, offenbar verärgert über die dadurch erfolgte Schwächung der promodernen Kräfte, sprach der Gründung einer Sezession die innere und äußere Berechtigung ab, da sich die Künstlervereinigung dem künstlerischen Fortschritt ziemlich liberal gegenüber verhalte.314 Diese hatte die ausgefallene Sonderschau der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in aller Eile durch eine solche mit 30 Gemälden Emil Noldes ersetzt; die Folge war, dass die Sommerausstellung der Künstlervereinigung dem Dresdner Publikum das bot, was es zu sehen verlangte: nämlich hochrangigen Expressionismus. Neben Nolde waren weitere Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner, Otto Müller, Max Pechstein und Ludwig Meidner zu sehen. Auch Oskar Kokoschka, der Dresdner Star-Expressionist, soeben zum Akademieprofessor berufen, stellte nicht mit den Sezessionisten aus, obwohl er durch seine Ehrenmitgliedschaft mit ihnen verbunden war. Auf sein Fehlen wiesen einige Besprechungen nicht ohne Häme hin, was für die Gruppe 1919 einen erheblichen Prestigeverlust bedeutete.315
313 Zit. nach Strobl, Malerkarriere, S. 36, Anm. 100. 314 Carl Puetzfeld, Ausstellung der Gruppe 1919, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 12.07.1919. 315 Puetzfeld, Neue Kunst in Dresden; Kaemmerer, Dresdener Sommerausstellungen (in: Die Junge Kunst), kritisierte Kokoschkas Fehlen explizit.
Der dadaistische Impuls
Die bruitistische Collage Erwin Schulhoff hatte das Berliner Dadaistische Manifest von 1918 mit nach Dresden gebracht, das laut der Überlieferung von Otto Griebel in der Gruppe „von Hand zu Hand“ ging.316 Es proklamierte eine „neue Realität“ und eine „neue Kunst“, die unmittelbare Vergegenwärtigung der Wirklichkeit sein solle. „Das Leben erscheint als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhythmen, das in der dadaistischen Kunst unbeirrt mit allen sensationellen Schreien und Fiebern seiner verwegenen Alltagspsyche und in seiner gesamten brutalen Realität übernommen wird.“317 Das Manifest exemplifizierte Dada damit am bruitistischen Gedicht, das Wort- und Satzfetzen, Geräuschimitationen, rhythmische Lautfolgen, Beschreibungen akustischer Eindrücke kombiniert. Unter dem Eindruck der Berliner Dada-Soiree und angeleitet durch das Manifest begann Schulhoff nun, Alltagsgeräusche, produziert mit Hilfe von Autohupe, Sirenenpfeife, Sandpapier und Ratsche, in seine Kompositionen zu integrieren. Gemeinsam mit Otto Griebel experimentierte er mit einer „Art Vorläufertum der heutigen amerikanischen Jazz-Musik mit exzentrischen Zutaten wie eingestreuten Zurufen, Parolen und rein technischen Geräuschen. (Das Klappern von Schreibmaschinen, Stöhnen von Dampfkolben, Heulen der Fabriksirenen usw. waren neue Mittel des musikalischen Ausdruckes.)“318 Am 24. Juni 1919 und damit während der Laufzeit der zweiten Sezessions-Ausstellung erschien Hans Jürgen von der Wense im Schulhoff’schen Atelier. Der junge Berliner Musiker war in Bezug auf Schulhoffs Planung der Konzertreihe zur Zukunftsmusik ein höchst interessanter Besucher. Im aktuellen Juniheft des Kunstblattes war sein Manifest Die Abschaffung der Musik erschienen, das der kommenden Musik gewidmet
316 Griebel, Mann der Straße, S. 77. Das Manifest hat sich im Schulhoff-Nachlass erhalten; s. Ivan Vojtěch, Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg. Unbekannte Briefe an Erwin Schulhoff, in: Miscellanea Musicologica 18/1965, S. 66f., zit. nach Widmaier, Colonel Schulhoff, S. 21, Anm. 7. 317 Huelsenbeck, Dadaistisches Manifest, S. 23. 318 Griebel, Erinnerungen an Dada, S. 8.
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Abb. 28: Otto Dix, Die Elek trische, 1919, Öl und Collage (Glitter, Knöpfe, Pailletten u. ä.)/Blattmetall (vermutlich Aluminiumfolie)/Karton, 46 × 37 cm, Löffler 1919/16, Privatsammlung
ist, die Wense als „Primitivität aus Erstheiten“ bestimmte.319 Wenses Tagebucheintrag „bei dem Pianisten Schulhoff, Schwager von Otto Dix“ legt die Vermutung nahe, dass nicht Schulhoff, sondern Dix seine primäre Bekanntschaft war. Eine Verbindung bestand über Walter Spies, der sowohl mit Dix wie auch mit Wense befreundet war. Kurz zuvor war Wenses Klaviergroteske Ich hatt einen Kameraden mit „montierten Fetzen des Marschliedes“ entstanden, die den „Trauergesang vom guten Kameraden mit dem schrecklichen Zittern von Kriegslärm synchronisiert und zusätzlich den unfreiwilligen Tod auf dem Schlachtfeld inszeniert.“320 Pläne, Geräusche in seine Kompositionen einzubeziehen, etwa durch ein Blechsieb, ein Kuchenrad auf einer Schiefertafel, eine Schreibmaschine oder eine Kuckucksuhr, verfolgte auch Wense in diesem Sommer, 319 Wense, Die Abschaffung der Musik. 320 Thrun, Hans Jürgen von der Wenses Klaviergroteske, S. 239.
Die bruitistische Collage
nämlich eine „Musik von Dingen“ machen, „eine Kunst, die nur aus dem Material lebt! das ev. zufällig Töne sind.“321 Seine nachgelassene Musik für Orchester I sah Schussgeräusche vor, erzeugt von einem Gewehr mit Platzpatronen. Das bruitistische Gedicht Dadas umzusetzen gelang in der Musik leicht; für die Maler war die Aufgabe wesentlich anspruchsvoller. Otto Griebel deutete in seinen Erinnerungen die Schwierigkeiten an, die aus dieser Situation erwuchsen: „All dieses Neue, oft nicht leicht Begreifliche, erzeugte eine ständig lebhafter werdende Debatte an jenen Abenden im Schulhoffschen Freundeskreis.“322 Immerhin führt das Dadaistische Manifest zum bruitistischen Gedicht aus, es zeige eine Trambahn, „wie sie ist, die Essenz der Trambahn mit dem Gähnen des Rentiers Schulze und dem Schrei der Bremsen.“323 Und genau diese konkrete Beispiel setzte Dix in seinem ersten Dada-Werk Die Elektrische (Abb. 28) um, das eine Tram mit kreischenden Bremsen, knisternden Oberleitungen und sich unterhaltenden Passagieren zeigt. Es handelt sich jedenfalls um das erste Werk, das im Bildfeld geklebte Elemente aufweist – Perlmuttknöpfe, Pailletten, Silberglitter, also das neue „wirkliche Material“ in der Malerei, das Raoul Hausmann in seinem Text Synthetisches Cino der Malerei propagierte, der im Juni 1919 und damit um die Entstehungszeit des Bildes herum in der ersten Ausgabe von Der Dada publiziert wurde.324 Das Thema Tram war nicht neu; ungewöhnlich war jedoch, dass Dix es nicht futuristisch mit dynamischen, splittrigen Farbformen umsetzte. Seine Formen sind vielmehr fest und statisch, zudem ganz flach, die Gestaltung naiv wie Kindermalerei, eine „Primitivität aus Erstheiten“, wie sie Hans Jürgen von der Wense für die Musik forderte. Dix brach radikal mit der Konvention, energetische Phänomene wie Bewegung und Licht, die ihn schon in seinem Vorkriegs- und Kriegswerk außerordentlich interessiert hatten, analog darzustellen. Vielmehr verwendete er lichtreflektierende Materialien. Leider fehlt eine genaue maltechnische Analyse der Elektrischen, doch die Farbaufnahme, die anlässlich der Versteigerung durch Sotheby’s London im Jahr 2012 angefertigt wurde, lässt erkennen, dass Dix mit Ölfarbe auf Silberpapier (vermutlich Aluminiumfolie) gemalt hat, teils deckend, teils durchscheinend. Er setzte also das reale Beleuchtungslicht als künstlerisches Mittel ein, so dass die Lichter der Großstadt und ihre Spiegelungen auf der Straße mit den Lichtreflexen der Metallfolie identisch sind. Die industriell hergestellte Realie sprengt die Bildillusion, da sie wie der Goldgrund in mittelalterlichen Bildern „je nach Blickwinkel und Lichtsituation anders in Erscheinung tritt und damit
321 322 323 324
Ebd., S. 221–222. Griebel, Mann der Straße, S. 77. Huelsenbeck, Dadaistisches Manifest, S. 24. Hausmann, Synthetisches Cino der Malerei, S. 31.
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‚aus dem Bild fällt‘“ (Michael Viktor Schwarz).325 Dieser Effekt wird noch dort verstärkt, wo die reflektierenden Elemente auf konvexen plastischen Elementen anbracht sind, von denen sie inzwischen teilweise abgefallen sind. Auch dafür lassen sich Parallelen in der mittelalterlichen Malerei finden. So entstanden Miniatur-Glitzerhalbkugeln, vergleichbar den Prismenkugeln in Tanzlokalen. Zusätzlich symbolisierte Dix die energetischen Phänomene mit Hilfe von Piktogrammen. So werden die elektrischen Entladungen der Oberleitung oder der Bremsen der Straßenbahn durch Blitz, Striche, Sternchen versinnbildet. Diese dadaistischen Bilderfindungen prägten das malerische Werk nachhaltig, wie das Triptychon Großstadt (1928/1, Kunstmuseum Stuttgart) belegt, in dem die Reflexe einer im Bild nicht sichtbaren Prismenkugel die gesamte Mitteltafel mit der Darstellung einer Tanzbar überzieht. In diesem Fall sind die Lichtphänomene jedoch wieder gemalt.
Revolution und Musik Mit der Elektrischen „realisierte“ Dix die Malerei, um hier einen Begriff anzuführen, den Erwin Schulhoff in seinem in unmittelbarer Reaktion auf die Begegnung mit Berlin-Dada verfassten Text Revolution und Musik (s. Anhang, S. 256–259) verwendete. In diesem manifestartigen, erst vor wenigen Jahren publizierten Statement wandte sich Schulhoff gegen den Expressionismus in der Kunst allgemein und in der Musik im Besonderen. Beim Expressionismus, so führte er aus, handele es sich um eine Kunst, welche die Dinge mit falschem Pathos idealisiere, verziere und verschämt bemäntele, so dass diese selbst verschwänden.326 Sein Angriff zielt aber auch auf „Sekten“, die „die ‚Abschaffung der Kunst‘ oder dergleichen in die Welt hinausposaunen und alle Fundamente und Naturgesetze umstoßen wollen, nur einer Sensation halber“. Gemeint sein dürften die Anti-Kunst-Tendenzen, wie sie im Berliner Club Dada verbreitet waren. Als Argument führte er an, dass jede Möglichkeit der Kunstabschaffung ausgeschlossen sei, da das Kunstwerk „gesteigerter menschlicher Sinnlichkeit“ entspreche und der Mensch eine ständige Steigerung des Empfindens und damit der Sinnlichkeit anstrebe. Gedeckt war diese Position von den Proklamationen der Züricher und der Berliner Dadaisten. Das Dadaistische Manifest Hugo Balls setzt mit der Aussage ein: „Dada ist eine neue Kunstrichtung“. Und Richard Huelsenbeck definierte in seiner ersten Dadarede in Deutschland wie auch im Dadaistischen Manifest von 1918 den Dadaismus als „eine neue internationale ‚Kunstrichtung‘“ bzw. als eine neue Kunst, die unmittelbare
325 Schwarz, Goldgrund im Mittelalter. 326 Zur Entstehung s. Widmaier, Nachwort und Kommentare, S. 106.
Revolution und Musik
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Abb. 29: Kurt Günther, Eisen en gros, 1920, Öl, Messingschlösser, Perlmuttknöpfe, Silberpapier und Postkarte/ Holz, Maße unbekannt, Verbleib unbekannt
Vergegenwärtigung der Wirklichkeit sei solle.327 Tatsächlich meinte die heftige Kritik der Dadaisten an der Kunst nicht diese selbst, sondern deren Korrumpierung durch das bürgerliche Weltbild und den kapitalistischen Kunsthandel. Dada-Dresden hielt jedenfalls programmatisch an der Kunst fest. Für Schulhoff war Dada eine „kontra-bourgeoise (Antikunst)Kunstbewegung“, um hier die Dada-Definition von Ralf Burmeister aufzugreifen. Oder, um Schulhoff selbst sprechen zu lassen: „Kunst ist: Kunst nicht zur Kunst zu machen!“328 Die Prinzipien dieser Kunst ohne Kunst leitete Schulhoff von der dadaistischen Collage her: „Kunst ist demnach die Addition aller Dinge […]. Die Malerei brachte es 327 Huelsenbeck, Erste Dadarede in Deutschland. 328 Schulhoff, Tagebuch, Eintrag vom 16.01.1921.
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soweit, mittels aufgeklebter Briefmarken, Zeitungen, Postkarten etc. etc. dem Unsinne den Sinn zu geben, d.h. alle diese realistischen Dinge einem bestimmten Rhythmusse unterzuordnen.“ Das Prinzip der Addition spielte im Kreis der Dresdner Dadaisten als Kompositionsprinzip eine große Rolle: insbesondere Kurt Günther hat es angewandt, sehr anschaulich in seinem Gemälde Eisen en gros von 1920 (Abb. 29).329 Zeitgemäßes künstlerisches Schaffen bedeutete für Schulhoff also, Realitätspartikel zu collagieren und sie dabei rhythmisch anzuordnen. Scharf kritisierte er die Musik, weil „Klangbrei“ – das richtete sich gegen Richard Wagner und die Wagner-Schule – Mittel zum Zweck gewesen sei; sie sei wegen des Verlustes des Rhythmischen hinter der Malerei zurückgeblieben. Als Beispiele für zeitgenössische Maler, welche die Kunst bereits „realisiert“ hätten, verwies er auf Paul Klee und George Grosz. Die Wahl gerade dieser Künstler steht sicherlich in Zusammenhang mit Theodor Däubler, der in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung über beide publiziert hatte und als Entdecker von Grosz galt.330 Offenbar zählte Schulhoff Klee, der in Zürich mit den Dadaisten ausgestellt hatte, zu den Dadaisten. Der Umstand, dass sich Klee mit seiner Strichmännchen-Manier auf Kinderkunst bezog, dürfte hier eine wesentliche Rolle gespielt haben. Jedenfalls war er ein großes Vorbild im Schulhoff-Kreis: Dix rezipierte ihn, ebenso Otto Griebel, etwa in seinem im Juni 1919 entstandenen Abstrakten Paar, einem von Dix inspirierten Vereinigungsbild mit männlichen und weiblichen Teilen.331
Rhythmus als Kunstprinzip Für die Erneuerung der Musik, so postulierte Erwin Schulhoff in Revolution und Musik, sei der körperliche Aspekt im Erleben von Rhythmus, das Erotische, Sinnliche, Animalische entscheidend. In der Tanzmusik sei der Sinn für Rhythmus noch in reichem Maße vorhanden, „denn die Menge tanzt, tanzt seit jeher und tanzt heute immer noch mit gleicher ekstatischer Begeisterung für den absoluten Rhythmus, einerlei ob dies Tänze nach „höherer Musik“ sind oder One-Step, Foxtrott, Tango, Yazz u.s.w. nach banalster Sorte von Musik ist, der Rhythmus bleibt bestehen und mit diesem das Empfinden körperlichen Wohlbehagens (Tanz) beim Schwingen desselben.“ Daher stellte er die Forderung auf, dem Tanz die dominierende Stellung in der Musik zurückzugeben, die er im Laufe der Jahrhunderte eingebüßt habe. 329 Kat. Gera 1993, K 38, S. 110. 330 Däubler, Paul Klee; Däubler, George Grosz. 331 Otto Griebel, Abstraktes Paar, Juni 1919, Tusche, Feder, Farbstifte, 16,5 × 13,5 cm, ehemals im Besitz von Erwin Schulhoff; s. Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, B31, S. 124.
Rhythmus als Kunstprinzip
Durch Grosz, der eine große Sammlung von Jazz-Schallplatten besaß, lernte Schulhoff Jazz-Aufnahmen aus Amerika kennen. In der Folge adaptierte er als einer der ersten europäischen Komponisten Jazz-Elemente in seinen Kompositionen, in denen nun scharf synkopierte Rhythmen auftauchen, die den körperlich erfahrbaren Rhythmus des Jazz am deutlichsten widerspiegeln. Die Fünf Pittoresken für Klavier, die 1919 im Berliner Musikverlag Jatho publiziert wurden, stellen einen Wendepunkt in seinem musikalischen Schaffen dar; sie gelten als das erste Opus im Geiste Dadas. Ihr mittlerer Satz ist „In futurum“ überschrieben und besteht nur aus Pausen. Schulhoff vollendete sie am 18. August 1919, dedizierte sie „dem Maler und Dadaisten George Grosz in Herzlichkeit zu eigen“ und leitete sie mit dessen Gedicht Aus den Gesängen ein. Hier herrscht, so der Schulhoff-Biograf Josef Bek, „die Stimmung des Dancing mit ausgelassener Unterhaltung und Sorglosigkeit“.332 Drei Tage vor der Widmung an Grosz hatte Schulhoff seinem Tagebuch ein Bekenntnis zur Vereinigung von Realität und Kunst anvertraut: „[I]ch kann mich nun manchmal glücklich schätzen, Dinge von realster Seite zu betrachten und ich will, dass sich bei mir Realität und Kunst vereinigt, ich will jeden Unsinn anerkennen, bejahen, weil alles Ausdruck ist, alles Regung eines bestimmten Empfindens irgendeiner Lebendigkeit darstellt, die zu sein hat, ich sage: `Eine jede Unterdrückung ist Mordtat´!!“333 Realität und Kunst vereinigte Schulhoff in seiner Symphonia Germanica, einer Klangcollage aus deutscher Nationalhymne, Militärmarschmusik, gesprochenem Text: „Teutschland, Teutschland, über alles, / über alles in der Welt, / Offiziere, Oberlehrer, / Wachegarden, Schiebergeld! / Wen einst, hoffen wir, / Wilhelm wiederkommt, / blüht die Flagge schwarz, weiß, rot. / und wir alle / [‚in höchster Extase!‘:] / teutsche Männer / sterben so gerne, ach, den Heldentod!“334 Die Partitur gibt eine Anleitung zu einer Tanz-Performance: „[D]ie beiden Füsse geraten von Anfang an derart durcheinander, daß es offensichtlich zu einem Ausrutscher mit abschließendem Niesen der Nase kommt […].“ Die Schlusssteigerung wird „von allen Gliedmaßen gleichermaßen in ‚höchste Ekstase‘ begonnen […], wobei die linke Hand ‚revolutionär‘ und ‚mit anarchistischer Begeisterung‘, die rechte ‚stramm militärisch‘“ auszuführen ist. Die Schlussfanfare „führt zu einem erneuten Stolpern nach Überkreuzen der Beine und einem kräftigen ‚ffffff‘ Auf-die-Nase fallen.“335
332 Bek, Schulhoff, WV 51, S. 203 und S. 45–46, hier S. 46. 333 Schulhoff, Tagebuch, S. 49, Eintrag vom 15.08.1919. 334 Utz, Aller Ernst ist Verblödung, S. 97–101, hier S. 98. 335 Ebd.
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Das Scheitern der Kunstpolitik Die zahlreichen Künstlergruppen, die nach der Novemberrevolution und der Abschaffung der Monarchie gegründet wurden, verdankten ihre Entstehung nicht zuletzt kunstpolitischen Überlegungen. Die geforderte Mitsprache in der Kunstpolitik der neuen demokratischen Länder war nur als Verband, als formelle Gruppe durchzusetzen; auch für die Gründung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ stellte dies einen wichtigen Faktor dar. Kunstpolitisch engagiert war vor allem Conrad Felixmüller, der in zahlreichen Künstlergremien aktiv war, etwa im Dresdner Künstlerrat und im Propagandaausschuss der Sozialistischen Gruppe der Geistesarbeiter Dresdens.336 Doch sein Ehrgeiz reichte weiter: Befreundet mit dem rätekommunistischen Politiker Otto Rühle und Befürworter einer sächsischen Räterepublik, soll er, so zumindest Otto Griebel, fest damit gerechnet haben, „daß die revolutionäre Arbeiterschaft in Deutschland den Sieg davontragen werde, und sah sich schon als eine Art Lunatscharski dabei mit obenan stehen.“337 Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski war als der Vorsitzende des Volkskommissariats für Volksbildung für die Museumspolitik der Sowjetunion zuständig. Im Vergleich dazu waren die kunstpolitischen Ziele, die Hugo Zehder im Rahmen der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ verfolgte, konkreter und realistischer. Sie galten insbesondere der Dresdner Gemäldegalerie, deren Geschäfte seit dem 1. Januar 1919 vom Ministerium für Kultus geführt wurden. Er trat im Juniheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung in einem Offenen Schreiben an das Minister-Kollegium der Republik Sachsen für staatliche Ankäufe zeitgenössischer Kunst und die Einrichtung einer eigenständigen Gemäldegalerie für moderne Kunst ein, wie sie freilich erst 1959 als „Gemäldegalerie Neue Meister“ realisiert werden sollte. Die junge Kunst verlange „die ihr zukommende Berücksichtigung bei der Aufnahme neuer Werke in die staatlichen Sammlungen der Gemäldegalerie, des Kupferstichkabinetts, des Albertinums.“338 Die Kampagne richtete sich gegen den Leiter der Gemäldegalerie, Hans Posse, dem diesbezüglich Versagen vorgeworfen wurde. Unterstützung fanden solche Forderungen beim Redakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, Carl Puetzfeld, der im Frühjahr 1919 in mehreren Artikeln die mangelhafte Förderung aktueller Kunst von Seiten der öffentlichen Hand beklagte und ebenfalls die Öffnung der Gemäldegalerie für die Zeitgenossen forderte.339 336 Kutschera, Aufbruch und Engagement, S. 200. 337 Griebel, Mann der Straße, S. 128–129. Laut Diether Schmidt träumte Felixmüller von einem „räterepublikanischen Ministeramt“; Schmidt, Selbstbildnis, S. 66. 338 Zehder, Offenes Schreiben; Notiz zu Zehders offenem Schreiben in: Dresdner Neueste Nachrichten, 29.06.1919. 339 Puetzfeld, Bleibt Dresden Kunststadt?, S. 33; es handelt sich um eine Sammlung von Artikeln, die 1919 in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen waren.
Das Scheitern der Kunstpolitik
Am 26. Juni 1919 schrieb Posse an seinen Vertrauten, den Maler Robert Sterl, Direktor der ebenfalls unter Beschuss stehenden Akademie: „Alles geht auf dasselbe Ziel: Schaffung eines neuen Kulturministeriums mit neuen Leuten […]. Die Radikalsten wollen offenbar Abtrennung der modernen Galerie und Unterstellung unter einen Mann, der brav ihre Geschäfte besorgt.“340 Damit sollte er Recht behalten: Am 27. Juli 1919, ein Tag vor der Eröffnung der zweiten Gruppenschau, erhoben Conrad Felixmüller und Otto Lange in einem offenen Brief in den Dresdner Neuesten Nachrichten genau diese Forderung und benannten auch schon Kandidaten für das Amt des Galerieleiters, nämlich Paul Erich Küppers (Hannover), Wilhelm Hausenstein (München), Hans Secker (Danzig) und Theodor Däubler (Berlin).341 Nur zwei davon waren Kunsthistoriker mit Museumserfahrung und damit geeignet: Paul Erich Küppers, der künstlerische Leiter der Kestner Gesellschaft in Hannover, und Dr. Hans Friedrich Secker, seit 1912 Konservator der Städtischen Kunstsammlungen und des Westpreußischen Provinzial-Kunstgewerbe-Museums in Danzig. Beide unterhielten beste Verbindungen zu den Unterzeichnern des offenen Briefes, Felixmüller und Lange.342 Allerdings war der Vorschlag Küppers hochproblematisch, da dieser die Gruppe 1919 anlässlich ihrer Berliner Premiere gnadenlos zerrissen und nur Felixmüller hatte gelten lassen: „Felix Müller ist bis jetzt die einzige ehrliche Kraft dieser Gruppe. Ihm glaubt man diese seltsamen Lösungen, weil sie gleichsam aus seinem Inneren organisch hervor wachsen. Alles andere ist gewaltsam gemacht, erklügelt, ohne inneren Zwang, ohne Gläubigkeit, ohne Ergriffenheit fabriziert. Wir lieben den Expressionismus, darum hassen und bekämpfen wir alle expressionistischen Jongleure und Konjunkturritter. Und von solchen ist die neue Vereinigung noch allzu sehr durchsetzt.“343 Auf den Vorstoß von Felixmüller und Lange zugunsten der expressionistischen Fraktion der Gruppe 1919 reagierte Zehder scharf in einem Anmerkungen betitelten Beitrag, mit dem er das Augustheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung einleitete. Hierin druckte er den Küpper’schen Verriss auszugsweise ab und stellte die rhetorische Frage, ob außer der „einzigen ehrlichen Kraft“ Felixmüller „auch die übrigen ‚expressionis340 Hans Posse an Robert Sterl, 26.06.1919, Akademie der Künste, Berlin, Robert-Sterl-Archiv, 18, 10. 341 Felixmüller und Otto Lange, Zur Umgestaltung der Dresdner Galerie, in: Dresdner Neueste Nachrichten, Nr. 200, 26.07.1919, wiederabgedruckt in Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 78. 342 1918 hatten Felixmüller, Lange und Heckrott an der ersten Ausstellung der Hannoverschen Sezession in der Kestner Gesellschaft teilgenommen; s. Küppers, Erste Ausstellung der Hannoverschen Sezession. 1919 publizierte Felixmüller seinen Aufsatz Künstlerische Gestaltung sowie eine Originallithografie im von Küppers herausgegebenen Kestnerbuch; s. Kat. Dresden 1997, S. 9. Secker stand Otto Lange nahe und verfasste für das Verzeichnis von dessen Druckgrafik, das die Kunsthandlung Emil Richter 1919 herausgab, das Vorwort sowie einen Beitrag; Boettger, Otto Lange; s. auch Secker, Neuerwerbungen der Städtischen Kunstsammlungen in Danzig 1918, S. 738 und 740. 343 Küppers, Berliner Eindrücke.
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tischen Jongleure und Konjunkturritter‘ der Gruppe den Wunsch hegen, von Herrn Küppers an Ort und Stelle der neuen für ihn eigens ausgedachten Amtstätigkeit die Bestätigung ihrer Nichtswürdigkeit zu empfangen?“344 Er unterstellte Felixmüller und Lange damit, Eigennutz über die Interessen der übrigen Mitglieder gestellt zu haben, und das im Gruppenorgan. Gleichzeitig gab er seinen Austritt aus der Künstlergruppe bekannt und führte „prinzipielle“ und „persönliche“ Gründe dafür an. Die persönlichen Gründe liegen auf der Hand, die prinzipiellen lassen sich leicht ausmachen. Zehder sah darin einen Verstoß gegen die im Statut festgelegte künstlerische Offenheit: In den Gefilden der Kunst seien „schon wieder ‚neuzeitliche‘ Kunstbeamte emsig dabei, Bezirke abzustecken und zu umzäunen, darinnen sich nebst der nachtrollenden Herde auch der einst nicht unmutige Pionier das Futter zu holen hat.“ Im Anschluss ging Zehder zu einer Würdigung von Dix über: „Durchaus nicht für das Heute, sondern für das, was übermorgen kommen wird, sehr eingenommen, habe ich auch für Temperamente wie Otto Dix, dessen naive Schwarmgeisterei und natürliche Wildheit so viel angenehm Zerstörerisches in sich birgt, eine unleugbare Schwäche, und wundere mich, daß die Torwächter der vermeintlich noch immer Neuen Kunst diesen kühnen Indianerhäuptling aus Thüringens Wäldern nicht in die künstlich aufgedonnerten und langweiligen Gefilde ihres Expressionismus zur eigenen Erfrischung aufnehmen.“ Auch Dix stand in massivem Konflikt mit Felixmüller. Ein erzürnter Brief, der sich auf die zweite Sezessions-Ausstellung beziehen dürfte,345 zeigt, dass er diesem durch die Profilierung der Gruppe 1919 als einer expressionistischen eine Mitverantwortung für seinen wirtschaftlichen Misserfolg gab; Dix hatte den Eindruck gewonnen, dass Felixmüller sich auf seine Kosten profilierte. Der Konflikt hatte sich an einer der Führungen Felixmüllers in den Gruppenausstellungen entzündet: „Erst nachträglich überlege ich mir, was Du am Sonnabend den Spießern über meine Bilder für unverantwortliches Zeug erzählt hast, ich meine über den Punkt ‚Plakat und Bild‘. Wie ich darüber denke, habe ich dir ja schon am Sonnabend auf meiner Bude erklärt. Das aber den Spießern und unter Anführung meines Namens zu sagen war notorisches Blech. Auch die Wahrheit sagen kann zeitweilig gemein sein, Du scheinst es darauf hin angelegt zu haben mich unter den Scheffel zu stellen, damit Du um so heller leuchtest. Daß Du mir dadurch materiell schadest hast Du doch wohl bedacht? Ich bin weder auf die Anerkennung durch die Spießer oder Nichtspießer angewiesen, wohl aber auf das Geld der ersteren. – Du hast Dich nachher hingestellt und bombastisches Zeug über Deine 344 Zehder, Anmerkungen; Conrad Felixmüller an Dieter Gleisberg, 18.01.1971, abgedruckt in: Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 75. 345 Nur auf der ersten und zweiten Ausstellung waren sie gemeinsam vertreten; zum schwierigen Verhältnis von Dix und Felixmüller s. Kat. Düsseldorf 1983, S. 16–23; Schwarz, Die Geburt der Neuen Sachlichkeit in Dresden.
Erste Propaganda als Dadaist
Bilder erzählt. An der Wirkung dieses Gegensatzes zweifele ich nicht – ich muß jedenfalls die Konsequenzen aus all dem ziehen.“346 Welche Konsequenzen er meint, lässt der Brief zwar offen, doch steht ganz klar die Austrittsdrohung im Raum.
Erste Propaganda als Dadaist Hugo Zehders Rückzug aus der Künstlergruppe bedeutete keineswegs, dass er sich von „seinen“ Künstlern abgewandt hätte; vielmehr setzte er sich weiterhin für diese bzw. für Aktivitäten der Gruppe 1919 ein.347 Ein klares Bekenntnis zu Dix gab er im Septemberheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung mit einem Essay aus seiner Feder und der Abbildung von vier Gemälden: Schwangeres Weib, Auferstehung des Fleisches, „Mondweib“ und Prometheus (Selbstbildnis); dem Heft beigelegt war der Originalholzschnitt Der Kuss (Abb. 16). Es handelt sich um den ersten publizierten Artikel über den Maler und um ein anti-expressionistisches Pamphlet (s. Anhang, S. 260–262). Dix habe sich die „Frage der Unzulänglichen und Zuspätkommenden“, wie man expressionistisch male, niemals gestellt. Er wolle „auch immer weniger mit den Glaubenssätzen des Katechismus der expressionistischen Malerei, der demnächst in einer Volksausgabe erscheint, Berührung suchen. Er scheint auch: kein Dualist mehr. […] Dix marschiert, läuft, stolpert wacker dem entgegen, was morgen, ohne Zutun der anderen, kommen wird.“ Zehder bezeichnete Dix wie schon zuvor in seinen Anmerkungen als Indianer, als „Sioux-Häuptling. Immer auf dem Kriegspfad. Wie eine Axt schwingt er den Pinsel und jeder Hieb ist ein Farbenschrei.“ Indianer waren Identifikationsfiguren der Dadaisten, Dix hat sich in seiner Dada-Zeit verschiedentlich als Indianer dargestellt.348 Auch Dix setzte sich nun klar vom Expressionismus ab, wie der trotzig-verzweifelte dritte Brief an Kurt Günther belegt. „Da Richter Scheiße in den Hosen hat und mich nicht ausstellen will, da überhaupt kein Kunsthändler in Dresden Mut hat, mich auszustellen, fällt also die ganze Schose ins Wasser. Ich bin auch nicht mehr allzu scharf drauf, als Dresdner Spießerschreck aufzutreten. Meine Bilder existieren und werden wahrscheinlich bis auf weiteres das böse Gewissen aller Kunsthändler, Ästheten, Expressionisten und anderer alter Tanten und Gänse sein.“ Im Folgenden zitierte er dann
346 Otto Dix an Conrad Felixmüller, o. D. [1919], s. Dix, Briefe, S. 455. 347 So bildete er etwa Die Barrikade ab, s. Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 3 (1920/21), S. 43; zur Ausstellung der Prager Künstlergruppe Die Unentwegten, einer Veranstaltung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, diente das Februarheft 1920 der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung als Begleitheft. 348 Huelsenbeck, Die dadaistische Bewegung, S. 974; Fischer, Der Dresdner Realismus 1921–33, S. 89; Luyken, In 16 Seiten um die Welt, S. 176–179.
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in freier Form Nietzsches Gedicht Unter Freunden (Ein Nachspiel) aus Menschliches, Allzumenschliches I aus dem Gedächtnis und daher leicht verändert: „Macht ihrs gut, so wollen wir schweigen, macht ihrs schlimm, so wollen wir lachen und es immer schlimmer machen. […] Ich habe einstweilen wieder neue Sachen gemacht, die für schwache Nerven Ge[le]genheit zum Nervenschocken sind; für Moralisten das Entsetzen und für Tänzer lustige Seile und Springböcke.“349 Das undatierte Schreiben wird in der neueren Dix-Literatur und in der Edition der Briefe von Otto Dix fälschlich auf 1920 datiert.350 Es muss jedoch vor Ende September 1919 verfasst worden sein, da Dix seinem Briefpartner abriet, wieder nach Leipzig zu gehen. Gemeint ist die Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe, die Günther vor dem Krieg besucht hatte. Günther folgte dem Rat und trat zu Michaelis 1919 (29. September) in die Klasse von Otto Gussmann an der Dresdner Akademie ein.351 Für eine Datierung auf 1919 spricht auch, dass Dix den Adressaten siezte, was 1920 und damit nach dessen Aufnahme in das Schulhoff’sche Atelier auszuschließen ist.
Eine Dada-Performance Im Sommer 1919 intensivierten sich die Kontakte zu George Grosz, und Schulhoff verfasste als „der bedeutendste Dadanolaspieler der Gesamtheit“, wie er sich nannte, den Text Marshall Grosz der Metamusiker.352 Es existieren zwei Textfassung, eine in einem Brief Schulhoffs an Grosz, eine andere in Schulhoffs Dada-Heft (s. S. 127); beide sind ohne Zeitangabe, doch lässt sich die Heft-Eintragung durch die dort eingeklebten Zeitungsauschnitte auf Ende September/Anfang Oktober 1919 datieren. Da Schulhoff im Brief seiner Hoffnung Ausdruck gibt, Grosz im September in Dresden begrüßen zu können, dürfte der Brieftext auf August 1919 zu datieren sein. In einem Nachsatz schrieb Dix: „lieber Schorsch! Fräulein Viola Schulhoff meine Braut nimmt da sie eine ‚wirklich ernste Künstlerin‘ ist, Stellung gegen die Errichtung der Dadauniversität und Dadaunion Dresden (Daduni) Das macht aber nischt. […] Gruß Dixtaturdadadix Erfinder des Illuminismus.“353 Der Nachsatz sichert die Datierung auf 1919 ab, denn im September 349 Otto Dix an Kurt Günther, 1919, s. Dix, Briefe, S. 459. 350 Strobl, Malerkarriere, S. 51; ihm folgend Beck, Die kosmischen Bilder, S. 11, Anm. 12. 351 Saupe, Günther, S. 11–12 und Anm. 7, S. 34, sowie Anm. 23, S. 35. Saupe datierte den Brief auf Juni 1919 und bezog Dix’ Bemerkung, dass Richter ihn nicht ausstellen wolle, auf die zweite Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“; sie dürften sich jedoch auf die geplante Winterausstellung bzw. eine angestrebte, aber verweigerte Einzelausstellung beziehen. 352 Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 32–34. 353 Otto Dix an George Grosz, in: Erwin Schulhoff an George Grosz, o.D., Akademie der Künste, Berlin, George-Grosz-Archiv, Nr. 416; zit. nach der Transkription in: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 34; leicht abweichend die Transkription in Dix, Briefe, S. 252:
Eine Dada-Performance
1920 dürfte der Bruch der Liebesbeziehung längst vollzogen worden sein. In Marshall Grosz der Metamusiker stellte Schulhoff George Grosz als seinen „Lieblingsschüler“ vor, der die Symphonia germanica am Dadanola interpretiert habe. Der Name ‚Dadanola‘ ist von Pianola abgeleitet, einer Selbstspielapparatur, die das Klavier mittels Notenrollen betreibt und deren in Deutschland unter dem Namen ‚Phonola‘ produzierten Geräte in Europa marktführend waren. 1920 plante Schulhoff, Alban Bergs Klaviersonate op. 1 in den Hubfeld’schen ‚Phonola‘-Werken in ein Reproduktionsklavier zu spielen, wozu es allerdings nicht gekommen ist.354 Die Benutzung eines solchen Spielapparats passt in Schulhoffs musikalisches Schaffen jener Jahre, in dem automatisierte musikalische Prozesse wie Rattern oder Klappern eine nicht unwesentliche Rolle spielten, mit denen er das Prinzip der Addition umsetzen konnte. Durch die Automatisierung wird der Vortrag entsubjektiviert, „angeregt durch die Funktionsweisen von Maschinen, bzw. deren gleichsam metaphorische Darstellung in auf konventionelle Weise ‚komponierten‘ Werken. Dabei gewinnt ein wesentlicher Mechanismus der Maschine für die Musik besondere Bedeutung: die immerwährende, unerbittliche Wiederholung von Vorgängen, im Detail wie in größeren Abläufen.“355 Auch sein Klavierspiel hatte zu diesem Zeitpunkt etwas Mechanisches, wie Hans Jürgen von der Wense beobachtet hat: „Er spielt wie elektrisch. Mit einer schneidigen Kälte. Seicht und brutal.“356 Der Text Marshall Grosz der Metamusiker bezieht sich vermutlich auf eine PrivatPerformance, die im Sommer 1919 stattgefunden haben dürfte und an der auch Dix teilgenommen hat: „Vor kurzem habe ich im engeren Kreise meiner Schüler Dixtaturmaldadadix, Monteurdada Heartfield u.s.w. Grosz als status quo vorgeführt. Er reproduzierte meine ‚Symphonia germanica‘. Als er am Dadanola sass liess er das Odeurophon in Tätigkeit treten und zwar trat dies in straff-rhythmischer Aufeinanderfolge (teils kurz abgerissen, teils gefühlvoll langgezogen) in Erscheinung! Die Wirkung war dermassen steigernd, dass uns alle Polymanie ergriff, der façonale Zustand war erzeugt, – das ist stärkster Popoismus! Hier tritt also Dadagonie ein!“ Die Vorführung führte also aufgrund eines Darmgas-Crescendos in die „Dadagonie“, vermutlich eine Lach-Agonie. Grosz habe eine so außergewöhnliche Begabung darin gezeigt, den Abgang von Darmgasen als Geräusche in sein Dadanolaspiel zu integrieren, dass Schulhoff ihm prophe-
„lieber Schorsch! Fräulein Viola Schulhoff meine Braut nimmt, da sie eine ‚wirklich ernste Künstlerin‘ ist, Stellung gegen die Errichtung der dada universität und Dadauniondresden (daduns) das macht aber nischt. […] Gruß Dixtaturdadadix Erfinder des Illuminismus.“ 354 Widmaier, Nachwort und Kommentare, S. 122. 355 Utz, Aller Ernst ist Verblödung, S. 45. Schulhoff selbst schrieb allerdings keine Maschinenmusik im engeren Sinne; s. dazu seinen Aufsatz Mechanische Klaviermusik, in: Schulhoff, Schriften, 19, S. 72–74. 356 Zit. nach Wense, Geschichte einer Jugend, S. 211.
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Der dadaistische Impuls
zeite, einst als „bedeutender Dadanolist popoistischer Richtung eine markante Persönlichkeit“ zu sein „und in der musikhistorischen Statistik einen bedeutenden Ehrenplatz am Stammtisch ernster Musiker“ einzunehmen. Schulhoff sandte den Text an Grosz, um ihn in der Zeitschrift Der Dada 4 zu publizieren; die Symphonia germanica folge noch, eventuell auch die Sonata erotica.357 Schulhoff erwähnte damit seine beiden dadaistischen „Opera extra“, die zwischen Mai und September 1919 entstanden sein müssen.358 Bei der Sonata erotica handelt es sich um ein Stöhn-Konzert für eine weibliche Solostimme, die eine „‚auskomponierte‘ Verführungsszene samt anschließendem Koitus und [… eine] entsprechende[ ] ‚Dramaturgie‘“ umsetzt. Ein abschließendes plätscherndes Geräusch bietet Interpretationsraum. Es kann als Waschwasser gedeutet werden, das zur Säuberung nach dem Koitus in eine Waschschüssel geschüttet wird, oder auch als Urinstrahl in eine Bettpfanne.359 Dahinter steht die Absicht, „das organische und unorganische in der Kunst zu bringen – also das Leben, den Dreck, und das Geistige aufeinander zu beziehen“, wie Erwin Schulhoff am 27. Juni 1919 in einem Brief an Alban Berg schrieb.360 Gegen die Verdrängung des Materiellen und damit des Körpers, der Sexualität und des Todes in der bürgerlichidealistischen Kunst integrierte Dada das Leben mit allen Lebensäußerungen, also auch mit Fürzen und Stöhnen. Wie dem Brief an Alban Berg ebenfalls zu entnehmen ist, war vorgesehen, die beiden „Opera extra“ öffentlich vorzuführen, möglicherweise am „DaDa-Abend“, der die Fortschrittskonzerte zum Jahreswechsel 1919/1920 abschließen sollte.361 Die Soiree fand jedoch nicht statt, was angesichts des Umstandes, dass die Konzertreihe vom Kapellmeister der Sächsischen Staatskapelle Hermann Kutzschbach organisiert und vom Sächsischen Künstlerhilfsbund und damit letztlich vom sächsischen Staat finanziert wurde, nicht verwundern muss. Ebenso wurde die vierte Nummer der Zeitschrift Der Dada nicht realisiert. Die Gründe sind unbekannt; vielleicht fehlte Schulhoff, dem im Sommer 1920 die elterliche Apanage gestrichen wurde, schlichtweg das Geld für die Finanzierung des Heftes.
357 Erwin Schulhoff an George Grosz, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, George GroszArchiv, Nr. 416, zit. nach: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 32–34, hier S. 33; der undatierte Brief wird nach Erscheinen von Der Dada 3 im April 1920 datiert; die Planungen für Der Dada 4 können jedoch auch parallel gelaufen sein. 358 Utz, Aller Ernst ist Verblödung, S. 88. 359 Ebd., S. 92–93. Auf YouTube sind verschiedene Einspielungen und Interpretationen greifbar, etwa die zweite Aufführung der Ebony-Band am 15. Juni 1994 in Utrecht, https://www. youtube.com/watch?v=ZBgA84DoHEI (abgerufen am 23.04.2022). 360 Widmaier, Colonel Schulhoff, S. 16–17. 361 Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 9.
Dix – Erfinder des Illuminismus
Erkenntnis durch Tanz Otto Dix kündete im Nachgang zu dem von Erwin Schulhoff an George Grosz gerichteten Brief (s. S. 110) diesem die Übersendung eines „Manifestes des Illuministen der von mir gegründeten Richtung“ an und zeichnete mit „Dixdaturdadadix“ bzw. „Dixtaturdadadix“ und dem Namenszusatz „Erfinder des Illuminismus.“ Noch ein weiteres Mal unterschrieb er einen Brief an Grosz mit „Dixdaturmaldadadix Erfinder des Illuminismus Antonsplatz 1“.362 Der Begriff „Illuminismus“ meint die Lehre vom Erleuchtetsein und geht auf den persischen Philosophen Suhrawardi zurück, der im zwölften Jahrhundert das Werk Weisheit der Illumination verfasste. Für Suhrawardi gab es nur intuitive Erkenntnis. Illuministen ziehen daher intuitive Erkenntnis der diskursiven Erkenntnis vor. Suhrawardi plädierte für einen direkten, spontanen Zugang zum Gegenüber, denn nur so könnten dessen Einzigartigkeit und spezielle Eigenschaften erkannt werden. Den Erkenntnisprozess verglich er mit dem Vorgang des Sehens. Der Gegenstand müsse als Ganzes wahrgenommen werden und im Bewusstsein gegenwärtig sein. Dieses „Erkennen (bzw. ein Wissen) durch Gegenwart“ bezeichnete er als Illumination oder Erleuchtung.363 Im philosophischen Sinne ist Illuminismus der Glaube an geistige, mystische Erleuchtung – also Erkenntnis – im Zustande der Ekstase, was die sexuelle Ekstase und auch die Ekstase im Blutrausch einschließt. Dix hatte ähnliche Vorstellungen wie jene des islamischen Mystikers in der Ästhetik Arthur Schopenhauers sowie bei Friedrich Nietzsche und Salomo Friedlaender kennengelernt. Nach Schopenhauer zielt Kunst auf Erkenntnis, und diese ist anschaulich, nicht begrifflich, konkret, nicht abstrakt, intuitiv, nicht logisch. Eine solche Erkenntnis 362 Otto Dix an George Grosz, o.D., Akademie der Künste, Berlin, George Grosz-Archiv, Nr. 408. Es existieren zwei leicht voneinander abweichende Transkriptionen: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 34, transkribiert „Dixtaturdadadix“; damit wäre ein Bezug zu „Diktatur“ vorhanden. Leicht abweichend die Transkription in: Dix, Briefe, S. 452. Ich halte auch die Transkription „Dixdaturmaldadadix“ für möglich mit dem Bezug auf die 3. Person Singular Präsens des lateinischen Verbs dare, „ist gegeben“, also „Dix datur“ mit Bezug auf „fecit“, dem Zusatz, den mittelalterliche Künstler oft hinter ihren Namen setzten. 363 Rudolph, Islamische Philosophie, S. 83.
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Dix – Erfinder des Illuminismus
erfasst das Wesen der Dinge, die ewigen Ideen jenseits von Werden und Vergehen, Zeit und Raum; und sie ist schön, auch wenn es sich um die Erkenntnis der hässlichsten Wirklichkeit handelt.364 Gleichwohl gab es aus dem Kreis der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“einen direkten Konnex zur islamischen Mystik über die Tanzphilosophie Rudolf von Labans, der dem Tanz die Rolle einer autonomen Kunst zuwies. Der Urheber des „Freien Tanzes“ hatte vor dem Ersten Weltkrieg in der 1911 in Hellerau gegründeten Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus gewirkt. Geboren in Pressburg, dem heutigen Bratislava, war er mit zwölf Jahren auf den Balkan gereist, um seinen in Mostar als Offizier stationierten Vater zu besuchen. Von seinem Reisebegleiter, einem islamischen Geistlichen, war er in die Zeremonien und Übungen der Derwische eingeführt worden, die im Wirbeln und Drehen eine spirituelle Berührung mit dem Kosmos suchen.365 Diesem Ziel widmete Laban sein gesamtes tanztherapeutisches und tanzphilosophisches Schaffen. Suhrawardis Anhänger bildeten und bilden bis heute Derwisch-Bruderschaften, die sogenannten Sufi-Orden. Die Derwische des Mevlevi-Ordens in der Türkei üben einen ekstatischen Trancetanz aus und praktizieren damit eine körperliche Methode, mit Gott in Verbindung zu treten, d.h. spirituelle Erkenntnis zu gewinnen. Hugo Zehder, dessen Zeitschrift Die Neue Schaubühne ein wichtiges Forum für Tanzthemen war (s. u.), bezeichnete Dix im ersten über ihn publizierten Artikel nicht zufällig als tanzenden Derwisch (s. Anhang, S. 261); noch ein weiterer Kritiker nannte ihn einen „rasenden Derwisch“.366 Wie für die Derwische so ist für Friedrich Nietzsche der dionysische, ekstatische Rausch eine leiblich fundierte Erfahrung und zugleich sowohl Mittel der Erkenntnis als auch schöpferische Kraft, die kreatives Potential freisetzt; Auslöser können Alkohol und Drogen sein. In einem Lebenslauf von 1924 schrieb Dix: „1919 wieder in Dresden wo bei trocknen Hanf, Zucker & Wasser weiter gemalt wurde.“367 Möglicherweise braute er sich einen Hanfaufguss, der anregende, leicht berauschende Wirkung hatte. Im Schulhoff-Kreis suchte man, wie die Derwische, den Rausch im Tanz. Dem Kreis gehörten nicht nur mehrere Tänzer an, es bestanden auch vielfache Verbindungen nach Hellerau (s. S. 80–81). Zudem stieß Ende 1919 eine enge Mitarbeiterin Labans zu dem Kreis hinzu, die Tanzkünstlerin Mary Wigman (1886–1973). Sie hatte vor dem Krieg in Hellerau eine Ausbildung als Rhythmiklehrerin absolviert und danach als Assistentin Labans auf dem Monte Verità bei Ascona gewirkt, von wo wiederum enge Verbindungen zum Züricher Dada-Kreis bestanden: Die Züricher Dadaisten besuchten Labans Tanzkurse und führten auf ihren Soireen dessen Tänze auf, für die Laban wiederum 364 365 366 367
Fick, Pfeiler der klassischen Ästhetik: Das Schöne, S. 26. Zu Laban s. Witzmann, Dem Kosmos zu gehört der Tanzende, S. 600–617. Breuer, Dix und Barlach, S. 263. Dix, Lebenslauf.
Erkenntnis durch Tanz
Tänzerinnen zur Verfügung stellte. Mary Wigman und er besuchten verschiedentlich auch die Züricher Dada-Veranstaltungen.368 Die Verbindung zu Wigman hatten Will Grohmann und Lasar Segall hergestellt, die einen ihrer Tanzabende in Berlin besucht und sie zu einem Gastspiel nach Dresden eingeladen hatten.369 Am 7. November 1919 trat sie mit so großem Erfolg im Dresdner Großen Saal der Kaufmannschaft auf, dass eine zweite Vorstellung am 15. November folgte. 1920 ließ sich die Pionierin des modernen Tanzes dann in Dresden nieder und gründete ihre berühmte Tanzschule. Wigmans Verbundenheit mit der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ manifestierte sich in mindestens einer Ausstellungsbeteiligung: Auf der Grafik-Schau vom Frühjahr 1921 zeigte sie farbige Scherenschnitte.370 Wigman publizierte wichtige Aufsätze über den Ausdruckstanz und über Rudolf von Labans Tanzlehre in Zehders Monatszeitschrift für Bühne, Drama und Film Die Neue Schaubühne.371 Im September 1921 widmete Zehder der Ausdruckstänzerin ein ganzes Heft. Erwin Schulhoff bezog sich in seinem Text Ogelala ausdrücklich auf Rudolf von Laban und Mary Wigman.372 Und Alfred Schlee sollte später mit Laban und Oskar Schlemmer zusammenarbeiten.373 Die Mitglieder des Schulhoff-Kreises verband eine große Passion insbesondere für den modernen Gesellschaftstanz, und das war in jenen Jahren ein spezieller Jazz-Tanz, der den ganzen Körper als Mittel des Ausdrucks einsetzte, nämlich Foxtrott, Ragtime, Stepp und Shimmy. Seinem Briefpartner Alban Berg gestand Erwin Schulhoff: „Ich habe eine unerhörte Leidenschaft zum mondänen Tanz und habe selber Zeiten, in welchen ich Nacht für Nacht mit Bar-Damen tanze, (ich tanze alle überhaupt nur modernen Tänze wie: Foxtrott, Boston, Shingan, Passo doppio usw.) rein aus rhythmischer Begeisterung und sinnlichem Unterbewußtsein, dadurch habe ich in meinem Schaffen eine phänomenale Anregung, da ich in meinem Bewußtsein unglaublich irdisch bin, fast sogar tierisch“.374 Auch Dix war ein hervorragender und leidenschaftlicher Tänzer, seine ausgeprägte Vorliebe für den Stepptanz und den Shimmy trug ihm den Spitznamen Jimmy ein. Mit seiner Tanzleidenschaft und seinem Tanzkönnen eroberte er seine spätere Ehefrau Martha; mit ihr gemeinsam entwickelte er sogar die Idee, professionell als Tänzer aufzutreten. Das verschollene Selbstbildnis mit Gattin (1923/1), das ursprünglich den Titel Selbstbildnis mit Martha als Tanzpaar trug, soll auf diesen Plan zurückgehen. Sich seinen 368 Weerdt/Schwab, Monte Dada; Müller, Mary Wigmans Tanz, S. 71. 369 Löffler, Ein Förderer junger Künste, S. 190; Stabel, Will Grohmann und der Tanz. 370 E. M., Dresdner Sezession, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 04.02.1921, S. 2–3; F.Z., Die Ausstellung der Dresdner Sezession, in: Dresdner Nachrichten, Februar 1921. 371 Wigman, Rudolf von Labans Lehre vom Tanz; Grünthal, Der Tanz als Kunstwerk. 372 Schulhoff, Schriften, 21, S. 81-83, hier S. 82. 373 Schüller-Oberzaucher, Ein Musikverleger mit Tanzvergangenheit. 374 Erwin Schulhoff an Alban Berg, 12.02.1921, zit. nach: Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 11.
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Lebensunterhalt ganz oder doch zum Teil als Tänzer bzw. Tanzlehrer zu verdienen, war im Freundeskreis von Dix nicht ungewöhnlich. So gab etwa Walter Spies Tanzunterricht und nahm an Tanzwettbewerben teil; 1921 soll er es auf Landeswettkämpfen sogar zu einer Silbermedaille gebracht haben.375 Der Hinweis auf die Tanz-Passion gehört zwar zu den Fixpunkten der Dix-Biografie, doch erschöpfte sich das Thema bislang weitgehend im Anekdotischen. Dabei hatte der Tanz für einen Nietzsche-Anhänger und Vertreter des Vitalismus sinnbildliche, kunsttheoretische und philosophische Dimensionen. Dies bringt ein Eintrag im Poesiealbum seiner Schwester Hedwig aus der Vorkriegszeit zum Ausdruck: „Tanzen lernen: mit den Füßen und auch mit dem Kopf und noch über sich hinweg tanzen lernen. Nietzsche Otto.“376 Der Tänzer steht bei Nietzsche sinnbildlich für den Künstler, dessen bevorzugte Ausdrucksformen Tanz und Lachen sind; für den Philosophen ist die durch den Tanz symbolisierte Leichtigkeit und Freigeistigkeit nötig, um sich selbst zu lieben, sich selbst zu entdecken und somit zum Schöpfer zu werden. Darauf bezieht sich Dix’ Bemerkung, seine Werke seien „für Moralisten das Entsetzen und für Tänzer lustige Seile und Springböcke“.377 Als Tänzer stellt sich Dix im Großstadt-Triptychon (1928/1, Kunstmuseum Stuttgart) dar: Das tanzende Paar im Zentrum der Mitteltafel ist ein Stellvertreter-Doppelbildnis.378 Welche große Bedeutung dem Tanz im kunsttheoretischen Diskurs seines Freundeskreises zugewiesen wurde, belegt der Text Revolution und Musik (s. S. 256–259), mit dem Erwin Schulhoff das Ziel ausgab, die Musik mit Hilfe des Tanzes zu revolutionieren und ihr wieder „geil-rhythmisch-aufpeitschende Gewalt“ zu geben, damit sie „durch Rhythmus körperliches Wohlbehagen, ja sogar Ekstase erzeugen“ könne; denn die Musik entspringe „dem ekstatischen Zustande“ und finde „in der rhythmischen Bewegung ihren Ausdruck“.
Dadagraphien Dix, der angeblich aus der Zeit fiel, weil er ein „Maler ohne Programm“ (Willi Wolf radt 1924) bzw. ein „Maler ohne Manifeste“ (Ulrike Lorenz) war, hat also ein Manifest verfasst. Er fiel also weniger aus der Zeit als angenommen. Und da ein Manifest als Textgattung programmatischen Grundsatzcharakter besitzt und eine Phase der kunstgeschichtlichen Entwicklung begleitet, „in der die künstlerische Vermittlung bestimmter Intentionen an das Publikum gestört ist, d.h. nicht ohne weiteres vom Kunstwerk selbst 375 376 377 378
Schindhelm, Walter Spies, S. 52. Kat. Regensburg 2005, S. 28. Otto Dix an Kurt Günther, 1919, s. Dix, Briefe, S. 459. Schwarz, Großstadt, S. 65–67; zum Tanzvergnügen in der „Großstadt“ zuletzt Söll, Otto Dix’ „Grossstadt“.
Dadagraphien
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Abb. 30: Otto Dix, Der Morgen, (mit Widmung an Viola Schulhoff: „Meiner lieben Violetta“), 1919, Holzschnitt auf Bütten, 24 × 17,88 / 41,2 × 33,3 cm, Karsch 341, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, GUN-G-0103
erfolgreich geleistet wird“ (Günther Eisenhuber), scheint es nötig, sich nach diesem Manifest auf die Suche zu begeben.379 Ich identifiziere das Manifest des Illuministen mit dem Vorwort zur ersten Grafikmappe Werden, auch Holzschnittwerk I genannt. Da Florian Karsch, dem Verfasser des GrafikWerkverzeichnisses, kein vollständiges Exemplar vorlag – es wurden nur fünf Exemplare produziert –, blieb das Vorwort unbekannt, bis vor einigen Jahren im Kunsthandel eines auftauchte.380 Die kleine Auflage dürfte damit zusammenhängen, dass die Mappe 1919 379 Eisenhuber, Manifeste des Dadaismus, S. 114. 380 Erstmalig, jedoch unkommentiert publiziert von Schubert, Warum porträtierte Otto Dix nicht den Bildhauer Christoph Voll, S. 115.
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im Deutschen Genossenschaftsverlag erschienen ist, dem am 1. Juni 1919 sozialisierten Dresdner Verlag von 1917. Das gegen den Kunsthandel gerichtete Experiment – das Sozialisierungsstatut proklamierte, „daß Geist in keiner Weise Ware kapitalistischer Betriebsamkeit bleiben dürfe“381 – hatte nur eine kurze Lebenszeit. Bereits Ende des Jahres legten Heinar Schilling und Hugo Zehder den Deutschen Genossenschafts-Verlag, den Dresdner Verlag von 1917 und den Verlag Neue Schaubühne zum Rudolf-Kaemmerer-Verlag zusammen, der Dix’ Holzschnitte weiterhin, jedoch in anderer Konfektionierung verlegte.382 Die Mappe enthält sechs signierte Holzschnitte, den Titelholzschnitt Werden (Abb. 31) sowie Der Kuß (Liebespaar) (Abb. 16), Die Geburt (Geburtsstunde), Der Morgen (Abb. 30), Ich Dix bin das A und das O (Abb. 32) und Schrei.383 Sie ist Teil einer Initiative, das Dada-Werk von Dix, das von den kommerziellen Kunstgalerien abgelehnt wurde, über seine „Dadagraphien“ zu propagieren. Als solche bezeichnete Dix seine Holzschnitte Grosz gegenüber. „Dada im Holzschnitt“, schrieb Paul Ferdinand Schmidt in der Einführung der Mappe Neun Holzschnitte.384 Im November 1919 erschien ein Sonderheft von Menschen zur Grafik der Gruppe 1919 mit vier „Dadagraphien“. Initiatoren bzw. Organisatoren waren Dix und Will Heckrott.385 Im einführenden Text forderte Will Grohmann das Publikum zur Unvoreingenommenheit auf: „Schaut und prüft. […] In manchem steckt eine ethische Kraft, die ganz leicht an die Verneinung der Kunst rührt […] ein Wahrheitsfanatismus brennt an einigen Stellen, der zu Selbstbesinnung und Läuterung zwingt.“ Dies sowie seine Ausführungen zu Dix zeigen, dass Grohmann von dadaistischem Gedankengut nicht unbeeinflusst war: „Otto Dix tauchte mit brutaler Kraft zu Ostern auf, und man erwartete mancherlei. Augenblicklich lacht er aus voller Seele über sich, die Kunst und uns. Wir wollen ihn nicht dabei stören; es wird ihm sicher etwas einfallen.“386 Gemeint ist das Lachen Dadas, das Dix angestimmt hatte.
381 Sozialisierungsstatut, in: Menschen – Buchfolge Neuer Kunst, Jg. 2, H. 10, September 1919. 382 Rubrik Aus der Sammlerwelt und vom Kunsthandel, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 12, 1920, S. 92–93; Ludewig, Verleger aus Verlegenheit? 383 Karsch, Otto Dix. Das graphische Werk, 339, 340/II, 341, 343–345. 384 Bauer-Friedrich, Wer Augen hat zum Sehen, der sehe!, S. 14. 385 Das legt ein Rundbrief vom 01.10.1919 nahe, in dem Heckrott und Dix die Mitglieder aufforderten, am 04.10.1919 in den ersten Stock der Kunstausstellung Richter zu kommen und Material mitzubringen, wohl um eine Auswahl zu treffen; der Durchschlag im Nachlass von Felixmüller trägt das Signum „Su. (He/Di).“; s. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Felixmüller, Conrad, I,B8. 386 Grohmann, Graphik der Gruppe 1919; mit Dix’ erstem Auftauchen zu Ostern 1919 (20. April 2022) meint Grohmann wohl die Gründungsausstellung.
Dix’ Dada-Motti
Abb. 31: Otto Dix, Werden (Titelblatt zur Mappe), 1919, Holzschnitt, 848 × 157 mm (Darstellung), Karsch 345, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 1959-179
Dix’ Dada-Motti In der Mappe Werden (Abb. 31) erschien erstmalig der programmatische Holzschnitt Ich Dix bin das A und das O (Abb. 32) mit dem Selbstporträt des Malers im Zentrum der Komposition. Wir sehen – ganz groß ins Blatt gerückt – Dix’ Kopf und in der Umschrift das titelgebende Motto. Das Auge ist riesig in das Zentrum des Schädels gerückt, Strahlen gehen von ihm aus, die einen Lebenszyklus unterteilen, beginnend mit einem Säugling und endend mit einem Totenkopf. Dix bekennt sich hier zum radikalen Individualismus Max Stirners, Nietzsches und Salomo Friedlaenders. Die Trennung in Ich und Welt, Subjekt und Objekt, Sein und Bewusstsein sei, so Friedlaender, nur dadurch aufzuheben, dass die Welt von einem Nullpunkt her verstanden werde, und dieser Nullpunkt sei das Ich, Selbst, Individuum. Der Titel Ich Dix bin das A und das O ist mit der Umschrift identisch, die um das Profil herumgeführt ist. Es handelt sich um Dix’ Motto als Dadaist. Dix verwendete es mehrfach: Im Gemälde Der Lustmörder (Selbstbildnis) tauchte es in der Beschriftung eines Flacons „DIXAV“ auf (Abb. 72); in der Radierung nach dem Gemälde hat Dix
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Abb. 32: Otto Dix, Ich Dix bin das A und das O (mit Widmung an Viola Schulhoff: „Viola in Liebe zugeeignet“), 1919, Holzschnitt auf Bütten, 18,1 × 15,9 / 35,4 × 30,1 cm, Karsch 343, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, GUNG-0104
einen fünften Buchstaben hinzugesetzt: DIXAVO, eine Anspielung auf das bekannte Haarwaschmittel Pixavon der Dresdner Lingner-Werke. Gleichwohl lässt sich die Buchstabenfolge auch als „Dix – A und O“ auflösen, das Motto der Federzeichnung Dadaistisches Selbst-Porträt (Abb. 33). Sie ist beschriftet „AHOI! das ist DIX d.h. A+O zeit- und raumlos“; daneben erscheint das Ewigkeitssymbol der Schlange, die sich in den Schwanz beißt, das Dix auch als Signatur verwendete. „A und O“ steht für Alpha und Omega, den ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets und damit im übertragenen Sinne für Anfang und Ende, Geburt und Tod, Ein und Alles. Mit „mein A und O“ und damit als Kernpunkt seiner Philosophie bezeichnete Friedrich Nietzsche die Überwindung des Geistes der Schwere in der Kunst: „Und wenn das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib Tänzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, das ist mein A und O!“ Es steht auch für sein zyklisches Geschichtsmodell, die ewige Wiederkunft des Gleichen und das ständige Werden,
Dix’ Dada-Motti
Abb. 33: Otto Dix, Dadaistisches Selbstbildnis, 1920, Federzeichnung, 244 × 307 mm, Lorenz EDV 3.0.1, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv.-Nr. ZL 95/6541
das die Grundlage höchster Lebensbejahung bildet. Zugleich ist es ein Bekenntnis zum Monismus; Dix’ Freund Gert H. Wollheim, der laut Dirk Teuber ebenfalls unter dem Einfluß monistischen Denkens stand, hat es in seinem Text Neue Kunst in diesem Sinne verwendet: „[…] wir gehören alle der unersätzlichen Schöpfung an: Eins! Ohne Anfang, also ohne Ende.“387 Als außerhalb aller Zeit, Raum- und Wertdifferenzen stehend hat Salomo Friedlaender den Schöpfer bestimmt.388 Indem dieser ständig blitzartig erlebt, ist er zeit- und raumlos. In diesem Sinne gab Erwin Schulhoff für den dritten Satz seiner Fünf Pittoresken für Klavier, „In futurum“ überschrieben und nur aus Pausen bestehend, als Zeitmaß „zeitlos“ an, und die Aufführungsanweisung lautete: „tutto in canzone con espressione ad libitum, sempre, sin al fine!“389 387 Gert Wollheim, Neue Kunst, in: Der Mittag, Düsseldorf, 23.10.1920; zum Einfluss monistischen Denkens s. Teuber, Gert H. Wollheim und Max Ernst, S. 28–29. 388 Friedlaender, Schöpferische Indifferenz, S. 23. 389 Bek, Schulhoff, S. 45.
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Nach den Sehnsuchtsbildern mit geschlossenen Augen hat Dix im Holzschnitt das weit aufgerissene Auge übergroß ins Zentrum des Schädels gerückt. Hier verbildlichte der Augenmensch Dix seine Maxime „Der Maler ist das Auge der Welt“.390 Im kunsttheoretischen Kontext lässt sich der Buchstabe A als „Auge“ auflösen und der Buchstabe O als „Objekt“. Dix formuliert hier eine Vorstellung, die er wahrscheinlich seiner Schopenhauer-Lektüre verdankte (s. S. 62). In Die Welt als Wille und Vorstellung führte Schopenhauer aus: „Der Künstler läßt uns durch seine Augen in die Welt blicken. Daß er diese Augen hat, daß er das Wesentliche, außer allen Relationen Liegende der Dinge erkennt, ist eben die Gabe des Genius, das Angeborene; daß er aber imstande ist, auch uns diese Gabe zu leihen, uns seine Augen aufzusetzen: dies ist das Erworbene, das Technische der Kunst.“391 Schopenhauer misst der objektiven Anschauung einen Heilswert zu, weil für ihn Genialität gleichzusetzen ist mit Objektivität, d.h. der „Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten […] als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge“.392 Ein weiteres Motiv von Dix’ Selbstporträts (und nicht nur dieser) steht für die Indifferenz, nämlich das Rauchen. Dix hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg rauchend dargestellt (Selbstbildnis als Raucher, 1913/6, Kunstsammlung Gera) und damit ein Vergänglichkeitssymbol aufgegriffen, das die niederländischen Maler im 17. Jahrhundert in die Malerei eingeführt hatten. Die auf den 21. Mai 1921 datierte Zeichnung Selbstporträt in der Großstadt393 zeigt Dix mit einer Salem-Zigarette im Mund, hergestellt in der im orientalischen Stil erbauten Tabak- und Zigaretten-Fabrik Yenidze in DresdenFriedrichstadt. Auch die ägyptisierenden Motive der Selbstdarstellung wie Pyramiden, Sphinx und Palmen sind, ebenso wie der Schriftzug „Ramses“, der Zigarettenwerbung entnommen. Ramses Cheops und Sphinx waren Namen von Orientzigaretten, die von der Zigarettenfabrik Jasmatzi in Dresden-Striesen produziert wurden. Dresden war eine Hochburg der Zigarettenindustrie und der wichtigste Produktionsstandort in Deutschland für die sog. Orient- oder Knasterzigaretten, die aus einer Hanfkraut-Tabakmischungen hergestellt und als eine Art Joint light geraucht wurden.394 Im Selbstporträt in der Großstadt sicherte ein Skelett mit Zigarette die Vanitas-Deutung ab. Dix hat das Motiv aus der Tätowierkunst übernommen, wo der Totenkopf, mit Zylinder und brennender Zigarette zwischen den Zähnen neben einem Mädchenkopf, als „Der Ruin des Mannes“ bekannt ist. In der „Ikonographie“ Dadas stellt Rauchen als lustvolles Nichts „die Absolutheit, Indifferenz des Moments dar, die unvergängliche Wiederkehr 390 391 392 393 394
Dix, Gespräch mit Sonja Kätsch, S. 221. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vollendung, Bd. I, S. 278. Ebd., S. 266. Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, EDV 3.0.7, S. 546 Zur Zigarette: Karcher, Eros und Tod, Exkurs, S. 100–101. Silke Opitz vermutete schon für die Vorkriegszeit Hanfkonsum; s. Opitz, Aus der Botanisiertrommel, S. 158.
Das Manifest des Illuministen
alles Schwebenden in der inneren Versenktheit des Auflösens in Rauch“ (Raoul Hausmann).395
Das Manifest des Illuministen „Im Geschlechtsverkehr liegt die höchste Steigerung des Weltbewußtseins, ebenso ist alle Kunst Ekstase, Koitus; also das Produkt der höchst gespannten Sinne und Muskeln. Jede Kunst für sich spricht zu allen Sinnen und Kräften. Der Künstler ist Mann und Weib zugleich, beide Naturen sind in ihm stark, schroff und gegenständlich gebunden. Auch viel Kind ist im Künstler, und lachendes Jasagen zu seinen eigenen Dingen, zu den furchtbarsten wie zu den lächerlichsten. Kunst ist die Ueberwindung des Geistes der Schwere. Kunst ist amoralisch, anti-christlich, alogisch, anti-pazifistisch, antiethisch. Pessimistische Kunst und solche mit der Sehnsucht nach ‚Frieden der Seele‘ ist lebensfeindlich und negiert sich selbst. Sehnsucht nach Richtung ist Herdentrieb. Allzu starke Gehirnlichkeit ist unkünstlerisch, letzten Endes ist doch jeder echte Künstler Medium. Wessen? Seiner selbst!“396 Der kurze Text erfüllt alle Kriterien der Textgattung Manifest, das auch in Form eines Vorworts auftraten kann. Das Manifest darf sich, gemäß der schon zitierten Untersuchung Günther Eisenhubers (s. S. 116–117), darauf beschränken, seine Inhalte apodiktisch zu fixieren und auf Überzeugungsarbeit zur Gänze zu verzichten. Und es darf – zumal als eine stark nietzscheanisch geprägte Proklamation – in Metaphern und Aphorismen sprechen. Bereits in der äußeren Form griff Dix den aphoristischen Stil Nietzsches auf, inhaltlich arbeitete er ein regelrechtes Nietzsche-Programm ab. Der Mappentitel Werden bezieht sich auf die Philosophie des Werdens als eines ständigen Zeugens und Vernichtens.397 Indem Dix Kunst mit Ekstase und Koitus in eins setzte, präsentierte er die positive Seite des Werdens, das Zeugen. Das Manifest richtet sich zudem gegen die moralische Weltauslegung einer pessimistischen Kunst, für die der „Geist der Schwere“ steht.398 Ganz nietzscheanisch ist auch die Verurteilung der „Sehnsucht nach Richtung“ 395 Hausmann, Manifest von der Gesetzmäßigkeit des Lautes, S. 33. 396 Venator Hanstein. Buch- und Graphikauktionen, Köln, hat auf einer seiner Frühjahrsauktionen 100 und 101 am 23./24.03.2007 ein Exemplar der in einer Fünferauflage erschienenen Grafikmappe präsentiert, Losnummer 1131: Werden. (1920). Folge von 5 sign. Holzschnitten (statt 6), in Originalmappe mit signiertem Deckelholzschnitt, Dresden, Deutscher Genossenschaftsverlag, o. J., http://www.kunstmarkt.com/pagesprz/katsushika_hokusai/_d117007-/ show_praesenz.html?words=Hokusai%2C+Katsushika (abgerufen am 23.04.2022). 397 Erwin Hufnagel, Werden, in: Niemeyer, Nietzsche-Lexikon, S. 389–390. 398 Hans Gerald Hödl, Geist der Schwere, in: Niemeyer, Nietzsche-Lexikon, S. 116.
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als „Herdentrieb“, mit dem sich Nietzsche gegen Festlegungen jeglicher Art wendete, die ein Werden und damit ein höheres Sein und das Schöpfertum verhinderten.399 Auch mit dem Bekenntnis zur Amoralität der Kunst, zur Anti-Intellektualität, zum Kindsein des Künstlers und zu dessen lachendem „Jasagen zu seinen eigenen Dingen, zu den furchtbarsten wie zu den lächerlichsten“, bezog sich Dix auf Grundsätze des Philosophen. Nietzsche hatte als „physiologische Vorbedingung“ jeglichen Kunstschaffens den Rausch bestimmt, genauer: „alle noch so verschieden bedingten Arten des Rausches“. Dabei verwies er insbesondere auf den „Rausch der Geschlechtserregung, diese älteste und ursprünglichste Form des Rausches“.400 Entsprechend setzte Salomo Friedlaender, laut Ines Hoffmann, den Geschlechtsakt metaphorisch mit der Indifferenz gleich: „Der Indifferentist läßt die polaren Beziehungen, die den Kosmos durchwalten, intim miteinander kopulieren und schafft so einen harmonischen Ausgleich, der allerdings nach polaristischer Vorstellung notwendigerweise immer zwiespältig bleibt“.401 Auch Dix’ Manifest setzt den Geschlechtsakt mit der künstlerischen Schöpfung gleich und belegt somit die metaphorische Sinnschicht der sexuellen Vereinigungsbilder, und das durchaus in einer sehr spezifischen Form. Denn der Koitus ist ein rhythmischer Rausch mit einem klaren Indifferenzpunkt, dem Orgasmus, wie Erwin Schulhoff in seiner Sonata erotica (s. S. 112) demonstrierte, in der er ganz auf Musikinstrumente verzichtete. Zum Einsatz kommen nur eine „weibliche Solostimme“ und ein Gefäß, in das Wasser geschüttet wird. Die erzeugten Geräusche sind Ausrufe, Satzfetzen, einzelne Wörter, Seufzen, Stöhnen, Plätschern.402 Hier wird der Koitus nicht mehr musikalisch repräsentiert, sondern mittels realistischer Geräusche simuliert. Dennoch ist der Koitus nicht Realität, sondern klangliche Simulation. Damit realisierte Schulhoff die Kunst, wie er dies in seinem manifestartigen Text Revolution und Musik forderte, in dem er den „Grad der Bedeutung des Werks“ mit dem „Grad der menschlichen Sinnlichkeit“, und damit der des Künstlers gleichsetzte (s. Anhang, S. 256–259). In seinem Text Marschall Grosz der Metamusiker, der etwa gleichzeitig mit dem Manifest des Illuministen entstanden sein muss, verwies Schulhoff ausdrücklich auf Grosz’ „Hypersexualität“ und nannte ihn den typischen Dada-Sexuellen.403 Sexuell aufgeladen waren auch die Skulpturen Gela Forsters; von ihrer in der Ausstellung der Dresdner Sezession gezeigten Skulptur Der
399 400 401 402 403
Josef Schmid, Herde, Hirte, in: Niemeyer, Nietzsche-Lexikon, S. 146. Beck, Die kosmischen Bilder, S. 166–167. Hoffmann, Sinnlichkeit und Abstraktion, S. 112. Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 26–27. Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 32–34. Zu Grosz als Erotomanen s. HoffmannCurtius, Erotik im Blick des George Grosz.
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Mann wurde vermutet, dass sie einen eregierten Penis gehabt haben könnte.404 Alfred Günther schrieb in der Zeitschrift Menschen dazu: „Diese Torsi leben in einer Sphäre des Geschlechtlichen, die ihnen eine bedrohliche Existenz verleiht. Sie machen erschrecken, weil sie das Blut beschwören.“405 Theodor Däubler betonte in seinem Essay über die Bildhauerin, veröffentlicht im Juniheft der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung 1919: „Der Rebell ist immer erotisch: wenn er zugleich Künstler ist, meistens überaus sinnlich.“406 Dix’ Verweis auf den Künstler als Medium rekurriert auf die klassische Genielehre, nach der der geniale Künstler Medium einer oberen Instanz ist; in diesem Sinne bezeichnete sich Schulhoff Anfang 1918 als Medium des kosmischen Willens.407 Zwar brach Dada mit der herkömmlichen Vorstellung des Genies: „Dada ist der Wille, kein Genie zu sein“, deklarierte Raoul Hausmann.408 Doch hielt man an der Vorstellung fest, Medium zu sein, nämlich „seiner selbst“. Damit zeigt sich das Manifest des Illuministen auch von der Gedankenwelt Max Stirners beeinflusst, des Klassikers des Amoralismus und ethischen Egoismus. Dix hat Stirner gelesen und dessen Individualanarchismus sowie dessen Konzept vom „schöpferischen Nichts“ zusätzlich über Salomo Friedlaenders Schriften bzw. die Berliner Dadaisten rezipiert.409 Dix legte mit seinem Manifest des Illuministen ein programmatisches Bekenntnis zur manifestverliebten Dada-Szene, zur monistischen und vitalistischen Kunstauffassung Friedrich Nietzsches und zur radikal anti-idealistischen Kunstauffassung Dadas ab. Und er markierte hier seinen Anspruch, eine eigenständige Form des Dadaismus geschaffen zu haben, eben den Illuminismus.
Dada-Universität Dresden Der Begriff Illuminismus verweist auf die Illuminaten des 18. Jahrhunderts, einen Geheimorden, gegründet mit dem Ziel, die Prinzipien der Französischen Revolution durchzusetzen, die Menschheit aus der geistigen und geistlichen Herrschaft der Kirche und vom Despotismus der Fürsten und Könige zu befreien, eine klassenlose Gesellschaft zu errichten und somit eine bessere Welt zu schaffen. Bei den Ordens-
404 405 406 407 408 409
Lübbren, Gela Forster’s Radical New Sculpture, S. 713–714. Günther, Vor Bildwerken von Gela Forster. Däubler, Gela Forster, S. 51. Schulhoff, Tagebuch, S. 37, Eintrag vom 14.02.1918. Raoul Hausmann, Was ist Dada. Zu Dix und Stirner s. Beck, Otto Dix, S. 20; ders., Die kosmischen Bilder, S. 138, 147, 154; zu Friedlaender und Stirner s. Exner, Fasching als Logik, S. 216–219 und passim.
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mitgliedern handelte es sich meist um Professoren, die sich Ordensnamen gaben. Die Parallelen zu den Dadaisten sind offensichtlich: Diese vertraten ähnliche Ideale, etwa das Freiheits- und das Selbstverwirklichungsideal, waren anti-klerikal, anti-autoritär, radikal individualistisch und strebten eine – im Sinne Dadas – Verbesserung der Menschheit an. Die Dresdner Dadaisten gründeten eine Dada-Universität und schlüpften in Professoren-Rollen. Erwin Schulhoffs Brief an George Grosz, den Dix als Illuminist unterschrieb, meldete die Gründung einer Dresdner Filiale des Club Dada, nämlich der Dada-Universität Dresden, abgekürzt „Dadaundr“: „Wir haben hier in Dresden eine Universität gegründet mit den 4 Fakultäten, (Dadasophie, Dadazin, Dadaprudenz und Dadalogie) befindet sich Ostbahnstr. 28, wo auch zugleich die Zentralstelle der ‚Dadaundr‘ = Dada-Universität Dresden ist, Präsident bin ich – Colonel Schulhoff von Dadanola, Oberstdada, Musik- und Ehrendada des Berl. Club ‚Dada‘, mein Stell-
Abb. 34: Erwin Schulhoff, Dadaheft, 1919, Umschlag, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Wien
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vertreter ist Dixdaturmaldadadix, der Sekretär und Repräsentant Griebel-Dada.“410 Die Erfindung fiktiver Institutionen und Ämter, ja ganzer Staaten war eine Methode Dadas, staatliche und politische Autoritäten in Frage zu stellen und subversiv zu unterlaufen. Wie die Illuminaten lehnten vor allem die Berliner Dadaisten den Staat ab. Der Dadasoph Raoul Hausmann verfasste ein Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung, Dadaisten gegen Weimar. In Opposition zur Weimarer Republik riefen sie eine Dada-Republik aus und ließen sich Visitenkarten mit selbstgewählten Titeln drucken. Der Oberdada Johannes Baader legte sich gar den Titel „Präsident des Erd- und Weltalls Leiter des Weltgerichts. Wirklicher Geheimer Vorsitzender des intertellurischen oberdadaistischen Völkerbundes“ zu und betrieb, so Hermann Korte, eine „Politik der Antipolitik“ als „eine einzige Karikatur auf die aktuelle politische Praxis von links bis rechts“.411 Die Dresdner Filiale des Club Dada tat es ihnen gleich: Vermutlich in Anlehnung an Grosz’ militärischen Dada-Titel „Marschall“ nannte sich Erwin Schulhoff „Oberst“ oder in der anglisierten Form „Colonel“; Schulhoff war also der Kommandeur des Dresdner Dada-Regiments. Und dieses hatte eine Dada-Universität gegründet, deren Präsident Schulhoff, deren stellvertretender Präsident Otto Dix und deren Sekretär Otto Griebel war. In Zusammenhang damit legte Schulhoff ein Dada-Heft an, auf dessen Umschlag er zwei Etiketten klebte: Lernt Dada und Dada siegt (Abb. 34).412 Den Aufkleber mit der Parole „Dada siegt“ verwendeten die Berliner Dadaisten vielfach. Ihm typografisch nachempfunden ist das Etikett mit der Devise „Lernt Dada“, mit der der Präsident der Dada-Universität Dresden zum Lernen aufforderte.413 Zwischen die beiden Etiketten klebte er einen Zeitungsausschnitt mit den Worten „Kunst und Wissenschaft“. Das Heft enthält weitere Zeitungsausschnitte, hauptsächlich Annoncen und Ankündigungen von Veranstaltungen mit musikalischen Darbietungen, die Schulhoff handschriftlich kommentierte (Abb. 35), sowie eine Version des Textes Marschall Grosz der Metamusiker. An der „Dadaundr“ wurden Kunst und Wissenschaft gelehrt und gelernt, ergo Dada-Kunst und Dada-Wissenschaft. Letzterer wird erst seit kurzem im Zusammenhang mit der Edition der wissenschaftlichen und technischen Schriften von Raoul Hausmann Aufmerksamkeit gewidmet.414 Tatsächlich verarbeitete Hausmann in den zwanzi410 Erwin Schulhoff an George Grosz, o.D., Anm. 371. 411 Korte, Die Dadaisten, S. 72–73. 412 Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Misc.127/1-5; http://data.onb.ac.at/rec/ AC14362046 (abgerufen am 04.06.2022); Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 39–57. 413 Er verwendete die Devise auch im Januar 1920 im Autografen seiner Dada-Komposition Ironien (WZ 55); zudem notierte er in sein Tagebuch: „Meine Devise! / Lernt Dada / Daher, – glaub mir: / Dada siegt“; Schulhoff, Tagebuch, S. 50, Eintrag vom 19.11.1920. 414 Hausmann, Dada-Wissenschaft.
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Abb. 35: Erwin Schulhoff, Dadaheft, 1919, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Wien
ger Jahren „eine Vielzahl wissenschaftlicher Theorien, wie die seinerzeit ausgesprochen populäre Welteislehre, und studierte neue Technologien, zum Beispiel die Fotozelle.“415 Er rezipierte Goethes und Newtons Farblehre sowie Ernst Marcus’ Lehre von der exzentrischen Empfindung und sah sich 1921 „solchermaßen an den Anfang einer neuen optischen Wissenschaft gestellt, in der wir kaum noch die ersten Schritte getan haben, so müssen wir auch den schöpferischen Gestaltungen des Sehens der Welt mehr Wirklichkeit zugeben als bisher.“416 1927 stellte er für sein Optophon einen Patentantrag, der jedoch scheiterte; später, so schrieb er, entwickelte er das Gerät zu einer auf fotoelektrischer Basis arbeitenden Kalkuliermaschine um: „Dies war der erste kybernetische Roboter, für den ich 1935 das englische Patent Nr. 445338 erhielt. ‚Device to combine numbers on photo-electric basis‘.“417 Unter dem amerikanischen Pseudonym John S. Arndt begründete Hausmann eine Gesellschaft für magnetische Atomzertrennung, die sich mit der Zukunft der Atomenergiegewinnung beschäftigte.418 415 416 417 418
Niebisch, Einleitung, S. 19. Hausmann, Die neue Kunst. Erlhoff, Zu den Texten, S. 214. Bergius, Des Lachen Dadas, S. 128.
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Die Dadaisten richteten ihre Aufmerksamkeit im Besonderen auf Strahlungsphänomene. Eine Dresdner Schlüsselfigur dafür war der Nervenarzt und Schriftsteller Heinrich Stadelmann (1865–1948), den George Grosz den „unbewußten“ und „geheimen“ Dadaisten nannte.419 Stadelmann untersuchte Magnetismus und Strahlung, interessierte sich für die Zusammenhänge zwischen Parapsychologie und moderner Kunst und trat als Mäzen der Dadaisten auf. Sein spezifisches Interesse galt dem Phänomen der Hypnose und Suggestion, die er bei seinen Patienten anwandte. Im Oktober 1919 eröffnete er eine Vortragsreihe im Dresdner Großen Logenhaussaal mit einem Beitrag über Hypnose und Suggestion.420 Das Porträt, das Dix 1920 von ihm anfertigte (1920/18, Art Gallery of Ontario, Toronto), zeigt ihn mit weit aufgerissenen, übersinnlich leuchtenden eisgrünen Augen, in denen die Farbe derart pastos aufgetragen ist, dass sie plastisch hervortreten, den Betrachter mit hypnotisierendem Blick anstarrend. Es gibt eine weitere Parallele zu den historischen Illuminaten: Dada nahm, nachdem die gesellschaftlichen und politischen Widerstände größer wurden und es zu polizeilicher Verfolgung, strafrechtlichen Anklagen und juristischen Prozessen kam, den Charakter einer Geheimgesellschaft an. Die Dada-Rütli-Verschwörung, die „mit äußerster Vorsicht und strengster Geheimhaltung“ vorbereitet wurde (s. S. 221), ist hier ein einschlägiges Beispiel. Die Verwendung des Begriffes Dada wurde ab Mitte 1920, nachdem sich die KPD offiziell gegen Dada gewendet hatte, vermieden. Dada aber lebte undeklariert weiter.
419 Zu Stadelmann s. Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein, S. 134ff.; Rewald, Dr. Heinrich Stadelmann. 420 Dresdner Neueste Nachrichten, 22.06.1919, S. 3.
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Ein Dada-Atelier Im Herbst 1919 bezog Otto Dix als Meisterschüler Otto Gussmanns ein Einzelatelier in der ehemaligen Technischen Anstalt am Antonsplatz, wodurch sich seine Arbeitssituation erheblich verbesserte. Das geräumige Atelier war der benötigte Schutzraum, in dem er seine Kreativität – weder durch ästhetische noch inhaltliche Tabus eingeschränkt – ausleben konnte. Zettel an der Tür mit dem Wortlaut „Störende Besuche unerwünscht!“ bzw. „Ihr Besuch interessiert mich nicht“ sollten Neugierige abwehren.421 Hin und wieder erschien Otto Gussmann pflichtgemäß zur Korrektur, ein Begriff, den man nicht zu ernst nehmen darf, denn Gussmann war ein liberaler Lehrer. Hinzu kam, dass sich die Professoren den ehemaligen Kriegsteilnehmern gegenüber generell tolerant verhielten. Dass er seinem Lehrer viel abverlangte, war Dix bewusst: In einem frühen Lebenslauf schrieb er, die Besuche seien mal zu dessen „Vergnügen, mal zum Erschrecken“ ausgefallen.422 Oskar Kokoschka, der der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ als Ehrenmitglied assoziiert war und seit Sommer 1919 eine Professur an der Dresdner Kunstakademie innehatte, wurde von Dix zum Atelierbesuch eingeladen. Otto Griebel erinnerte sich: „Er [Dix] hatte bereits das ganze Atelier voller merkwürdiger Bilder stehen und begab sich dann eines Tages hinüber in die Akademie zu Kokoschka, der ihn sehr freundlich empfing und Dix einen baldigen Gegenbesuch auf dem Antonsplatz versprach. Kokoschka erschien mit Blumen in der Hand und war nobel gekleidet. […] Rings an den Wänden seines Ateliers hatte Dix nun seine Bilder aufgestellt, die Barrikade, die Kriegskrüppel, den Lustmörder, Bordellszenen und andere, die Kokoschka aufmerksam betrachtete. Ja, und als er dann wieder weggegangen war, kam Dix zu mir herüber und fragte etwas verdutzt: ‚Du, was meint der denn eigentlich damit; er hat gesagt, ich wäre ein richtiger Biedermeier‘.“423 Was Dix nicht verstand: Seine Werke hatten tatsachlich viel gemein mit der Wiener Biedermeiermalerei, die sich der Wirklichkeit mit zeitgenössischen Typen wie Bettlern, Soldatenszenen und realistischer Malweise näherte.424 421 422 423 424
Griebel, Mann der Straße, S. 90; Hulda Pankok, zit. nach Fischer, Otto Dix, S. 31. Dix, Lebenslauf. Griebel, Mann der Straße, S. 102. Kat. Wien 1993.
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Auch Ateliernachbarn wie Griebel und Sergius Winkelmann, die ebenfalls dadaistisch arbeiteten,425 und Kommilitonen wie der jüngere Kurt Großpietsch wurden eingelassen. An ihnen testete Dix die Wirkung seiner Werke. Großpietsch berichtete: „Nach einem gemeinsamen Mittagessen forderte er [Dix] mich auf, mit ihm ins Atelier zu gehen, das war durchaus eine Auszeichnung: Er bat mich, Platz zu nehmen, und zeigte mir ein Selbstbildnis als Lustmörder. Er stellte sich hinter das Bild und bewegte den Arm der Figur mit dem blutigen Messer.“426 Dix sollte später abstreiten, dass Der Lustmörder einen beweglichen Arm gehabt habe. Er sei vielmehr „artig mit Ölfarbe auf Leinwand gemalt“ gewesen: „Der ganze Mechanismus ist blöde Erfindung (obwohl ich mechanische Bilder gemacht habe)“.427
Die Kriegskrüppel Otto Griebel erinnerte sich, dass Dix im Meisteratelier wie ein „Berserker“ gearbeitet habe,428 vermutlich in Hinblick auf die für Januar 1920 geplante dritte Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in der Kunstausstellung Richter. Dort entwickelte Dix seine Dada-Malerei. Für die Forderung Dadas nach „unmittelbarer Vergegenwärtigung der Wirklichkeit“ in der Kunst fand er ein Motiv, das im Stadtbild omnipräsent war: die Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges. Dix muss bereits Ende 1919 mit dem ersten Werk dieses Themenkreises begonnen haben, Die Kriegskrüppel (Abb. 36). Felixmüller führte es unter dem Werktitel Die Kriegsverletzten in seinem Text vom Januar/Februar 1920 an (s. Anhang, S. 263).429 1965 darauf angesprochen, äußerte sich Dix nicht über die Novität des Themas, sondern des Stils: „1919/20 fing ich an, ganz grau, ohne viel Farben zu malen. Da es diesem Erleben, da es dem, was ich sah – der grauen Straße, den grauen Menschen –, am nächsten kam. Und es war auch gewissermaßen ein Widerspruch gegen die kolossale Farbigkeit der Expressionisten, nicht wahr? Ich sagte mir: Es ist ja gar nicht bunt. Es ist alles viel düsterer, in den Tönen viel ruhiger, viel einfacher. Also kurz und gut:
425 Sie gaben im Februar 1921 sogar ein dadaistisches Blatt namens Der Moloch heraus, von der allerdings nur eine Nummer erschien, s. Bergius, Das Lachen Dadas, S. 256; Porstmann/ Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, S. 26–25. 426 Zit. nach Fischer, Otto Dix, S. 23. 427 Otto Dix an Otto Conzelmann, 24.11.1954, s. Dix, Briefe, S. 645–646. 428 Griebel, Mann der Straße, S. 90; zur Planung einer großen Schau im Winter s. Kaemmerer, Dresdner Sommerausstellungen, S. 497. 429 Zur Datierung s. März, Otto Dix: Die Skatspieler; Schwarz, Wie der „furor teutonicus“ Dada den Weg bahnte, S. 137–138.
Die Kriegskrüppel
Abb. 36: Otto Dix, Die Kriegskrüppel (mit Selbstbildnis), 1920, Öl/Lwd., 150 × 200 cm, Löffler 1920/8, Verbleib unbekannt
Ich wollte die Dinge zeigen, wie sie wirklich sind.“430 Mit seinem neuen Farbpurismus setzte sich Dix von der „allgemeinen Farbenfreudigkeit“ der Dresdner Kunstszene ab, wie sie die Sommerausstellung der Künstlervereinigung vorgeführt hatte.431 Der Direktor der Gemäldegalerie Hans Posse erwarb aus dieser Ausstellung mit Werken von Max Pechstein, Emil Nolde und Kokoschka explizit starkfarbige Gemälde.432 Kokoschka entwickelte zeitgleich eine Starkfarbigkeit als spezifischen Dresdner Stil.433 Den Kritikern signalisierte Dix’ neuer Purismus, dass seine Kunst kein Expressionismus mehr sei und sie ergo damit aufhören sollten, ihn mit der expressionistischen Elle zu messen. 430 Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 269. 431 R. S. [Richard Stiller], Künstlervereinigung Dresden, in: Dresdner Anzeiger, Jg. 189, Nr. 235, 21.06.1919, S. 2. 432 Dalbajewa, Träger bewegteren Lebensgefühls. 433 Dalbajewa, Kokoschka und Dresdens „allgemeine Farbenfreudigkeit“.
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Das Gemälde Die Kriegskrüppel (Abb. 36) ist nicht nur unbunt, es ist auch außerordentlich einfach konstruiert, fast wie ein konstruktivistisches Bild. Es besteht aus zwei exakt bildparallelen und damit rechteckigen Bildplänen, dem Ausschnitt aus einer gründerzeitlichen Hausfassade mit zwei Fenstern und vier Ladenschildern im Hintergrund und dem Zug von vier Kriegskrüppeln im Vordergrund. Die Figuren sind flach, wirken wie ausgeschnitten und eingeklebt. Keine fluchtende Linie vermittelt zwischen ihnen und dem Hintergrund. Überhaupt sind räumliche und illusionistische Effekte, sogar Überschneidungen möglichst vermieden. Die Straße, auf der sich die Krüppel bewegen, ist nichts anderes als eine Farbfläche ohne raumschaffende Modulation oder Schattierung; ein rein grafisch angelegtes Rautenmuster symbolisiert das Straßenpflaster mehr, als dass es dieses darstellt. Es ist eine raumlose Welt, in der die Regeln der Flächenkunst herrschen. Das Streben nach Einfachheit, Allgemeinverständlichkeit, nach einem volkstümlichen Primitivismus, den wir bei Dix feststellen, zieht sich wie ein roter Faden auch durch Schulhoffs musikalisches Schaffen.434 Dix wandte die von Schulhoff in seinem Text Revolution und Musik propagierten ästhetischen Prinzipien Addition, Rhythmus und Variation konsequent auf das traditionelle Kunstmedium Gemälde an. Sie waren jedoch auch – erweitert durch die Prinzipien der großen Form, der Reduktion auf das Wesentliche und der reduzierten Farbigkeit – solche der Flächenkunst und Dix damit aus seiner Ausbildung als Dekorationsmaler an der Kunstgewerbeschule vertraut. Einer der Maler, die diese Prinzipien eklatant vertraten, war der Tiroler Albin Egger-Lienz, der seit 1912 in Weimar lehrte und auf der Großen Kunstausstellung dieses Jahres in Dresden, die großen Einfluss auf Dix ausübte, Furore gemacht hatte. Noch ausgeprägter konnte Dix Addition, Rhythmus und Variation in den monumentalen Kompositionen des ebenfalls dort auftretenden Ferdinand Hodler studieren.435
Dix als Schildermaler Der Primitivismus von Dix ist nicht der exotische Primitivismus der Brücke, der von den Artefakten im Völkerkundemuseum inspiriert war (was vielleicht noch im Gemälde Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen anklingt), sondern der volkstümliche Primitivismus der Schildermalerei, also eines Gewerbes, das seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Bild der Stadt als Wirtschafts- und Konsumort prägte. Die Richtung der Aneignung hatte sich im Vergleich zu der Zeit davor geändert: Fand sie zuvor von oben nach unten statt, von den Alten Meistern in der Dresdner Gemäldegalerie zum eigenen 434 Utz, Aller Ernst ist Verblödung, S. 63–65 (Einfachheit, „Mini-Musik“). 435 Schwarz, Von Klinger zu Meidner, S. 138; Pereña, Unzeitgemäße Betrachtungen.
Dix als Schildermaler
Werk, so verlief sie nun von unten nach oben: aus dem Handwerk, der Schildermalerei, der Volkskunst, in das Medium der Hochkunst, das Gemälde. Seinen Bezug auf Handwerk und Schildermalerei legte Dix offen, indem er in seinem Kriegskrüppelbild vier Ladenschilder darstellte: Von rechts nach links und damit in Bewegungsrichtung des Krüppelzuges sind das der wohl auf die Hauswand gemalte Schriftzug „Schuhmacher“, dann eine Zeigehand, welche die Richtung angibt, in der die Schusterwerkstatt zu finden ist, und schließlich das eigentliche Ladenschild der Werkstatt, ein Blechschild in Form eines Stiefels. Als viertes Signum ist links ein Männerkopf mit einem Fadenkreuz zu sehen, ein Zeichen, das aus dem geschilderten Kontext herausfällt. Der Kopf weist Ähnlichkeiten mit den metaphysischen Köpfen der Dadaisten auf und steht mit dem im Krüppelzug Zweitgereihten in inhaltlichem Zusammenhang. Bei diesem handelt es sich um einen „Kriegszitterer“ oder „Schüttelneurotiker“, d.h., er leidet an einer im Ersten Weltkrieg verbreiteten Neurose, von der man annahm, dass sie durch das oft tagelange Trommelfeuer, dem die Soldaten in den Schützengräben ausgesetzt waren, oder durch einen Kopfschuss ausgelöst wurde. Dix stellt das Zittern durch eine Vervielfachung der Umrisslinie dar. Ähnlich hat Erwin Schulhoff im ersten Satz seiner Ironien eine „tremolierende“ Tonrepetition verwendet, die ein plötzliches nervöses Zittern des Spielers darzustellen scheint.436 Die Ladenschilder verschränken die beiden Bildpläne nicht nur kompositionell, sondern auch inhaltlich, indem sie rebusartige Hinweise auf die Deutung geben. Der Krüppelzug bewegt sich von rechts nach links und damit gegen die Leserichtung und nach Maßgabe der Schilder auf ein Ziel hin, das außerhalb des Bildes liegt, nämlich die angezeigte Schusterwerkstatt. Bis auf den Letztgereihten fehlen den Versehrten Unterschenkel und Füße, sie staken auf mit einfachen Holzstangen verlängerten Beinstümpfen und Krücken über das Pflaster. Der Bezug auf die Schildermalerei dürfte vom sowjetischen Proletkult nicht unberührt geblieben sein. Hugo Zehder, der in den Kriegsjahren in die Rolle des Vermittlers der russischen Avantgarde hineingewachsen war, hatte im Februarheft 1919 der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung David P. Sterenbergs Aufruf der russischen fortschrittlichen bildenden Künstler an die deutschen Kollegen zur Zusammenarbeit abgedruckt und die kunstpolitische Situation in Russland kurz umrissen: In Moskau solle ein Museum entstehen, in dem neben der neuen Malerei die alte Malerei mit Handwerklichem vertreten sein werde, „mit Heiligenbildern, Schildern, Plakaten. […] Das Handwerk hebt sich zur Kunst […] das Schwinden des klassifizierenden Unterschiedes – Bildhauer und Stukkateur, Kunstmaler und Schildermaler – wirkt auf die Tätigkeit zurück […] die Verschmelzung der Kunst mit den Massen beginnt.“437 Das Kunstprogramm des Kom436 Utz, Aller Ernst ist Verblödung, S. 35. 437 Zehder, Ein Aufruf der russischen Künstler.
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missariats für Volksaufklärung in Russland, das 1919 breite publizistische Verbreitung fand, forderte eine „Abschaffung von klassifizierenden Unterschieden von Bildhauer und Stukkateur, Maler und Schildermaler“; Handwerk solle unter Kunst geführt werden.438 Als Vermittler mag auch Walter Spies gewirkt haben, der im Mai aus Moskau nach Dresden gekommen war, wo er als Bühnenbildner gewirkt hatte.
Dada und die Tradition 1991 hat Renate Heinrich an prominentem Ort, im Ausstellungskatalog zum 100. Geburtstag des Malers, Dix’ Dada-Werk vom Dadaismus ausdrücklich abgesetzt mit dem Argument, die Dadaisten hätten den wahren Ausdruck ihrer Zeit eben nicht mehr im Gemälde gefasst.439 Diese Position steht für den lange weit verbreiteten Irrtum, Dada als eine Anti-Kunst-Bewegung habe die Tradition abgelehnt und mit ihr auch das Gemälde. Doch die heftige Kritik der Dadaisten an der Kunst meinte nicht diese selbst, sondern deren Korrumpierung durch das bürgerliche Weltbild, meinte das Prinzip „l’art pour l’art“. Deshalb ist die neuere Dada-Forschung auch von dieser Position abgerückt: „Daß die Dadaisten gerade und überraschenderweise – bedenkt man die Rezeption Dadas als Anti-Kunst – nicht mit der Tradition brachen, sondern sie (und speziell die Mimesis) entgegen einem Trend in der Avantgarde und Kunstkritik sogar neu belebten, ist bislang von der Dada-Forschung nicht erkannt worden.“440 Fakt ist, dass die Dadaisten Kunstausstellungen veranstalteten und dass auf diesen selbstverständlich auch Gemälde gezeigt wurden, so in Berlin auf der im April 1918 in der Berliner Sezession, Kurfürstendamm 238a, und der im April 1919 im Graphischen Kabinett I.B. Neumann, Kurfürstendamm 232.441 Dort wurde neben Gemälden und Zeichnungen von Fritz Stuckenberg, Raoul Hausmann, Hannah Höch und Jefim Golyscheff „als dadaistisches Programmbild […] eine malerisch ungemein geschickte und witzige Darstellung des Wilhelminischen Zeitalters von George Grosz auf den Hauptplatz gesetzt“ (Udo Rukser), nämlich das heute verschollene Monumentalgemälde Deutschland, ein Wintermärchen (1918).442 Grosz, der auf den Dada-Soireen als Multikünstler, als Tänzer, Musiker und Performer auftrat, hatte dem Gemälde als 438 Das Kunstblatt, Jg. 3, 1919, S. 91–93; A. V. Lunacharsky, „Proletkult“, in: Die Aktion, Jg. 9, Nr. 10–11, 15.03.1919, Sp. 145–153. 439 Heinrich, Material und Malerei. Dix und Dada. 440 Schaschke, Dadaistische Verwandlungskunst, S. 340. 441 Bergius, Das Lachen Dadas, S. 338–339; Höch, Lebens-Collage, S. 528–529; Goergen, Urlaute dadaistischer Poesie. 442 Udo Rukser, Dada. (Ausführung und Ausstellung im Salon Neumann, Kurfürstendamm.), in: Freie Zeitung, 28, 08.05.1919.
Dada und die Tradition
künstlerischem Medium nie abgeschworen. Vielmehr intendierte er eine Erneuerung der Malerei, und zwar ausdrücklich mit Bezug auf die Kunstgeschichte. Seinem Freund, Harry Graf Kessler, vertraute er am 5. Februar 1919 an, er strebe etwas ganz Neues in der Malerei an, etwas, „was die Malerei früher geleistet hat (Hogarth, religiöse Malerei), was ihr aber im 19. Jahrhundert verloren gegangen ist.“443 Auch Dix hielt in seinen Dada-Gemälden an der kunsthistorischen Tradition fest. Über sein Gemälde Streichholzhändler äußerte er in den sechziger Jahren, das sei „doch uralt – ein frühgotischer Meister! Alles schon dagewesen“.444 Erwin Schulhoff, der mit der musikalischen Tradition aufgewachsen und durch sie geprägt war,445 empfahl in Revolution und Musik (s. Anhang, S. 256–259) die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts als vorbildlich für die zeitgenössische Kunst. Und für George Grosz war der englische Maler und Grafiker William Hogarth „das künstlerische Leitbild schlechthin“ (Peter-Klaus Schuster)446. In Grosz’ Berliner Wohnungen hingen dessen Stiche an den Wänden. „Er sagte, er möchte der ‚deutsche Hogarth‘ werden, bewußt gegenständlich und moralistisch; predigen, bessern, reformieren“ (Harry Graf Kessler).447 Anregungen, das Krüppel-Motiv aufzugreifen, hatte Dix zweifellos von Grosz’ Zeichnungen erhalten, in denen bettelnde Kriegsversehrte zum Inventar der zeitgenössischen Großstadt gehören. Dix isolierte das Motiv, vergrößerte es und machte es zum Gegenstand großer Ölgemälde. Vergleiche dafür bietet nur die ältere Kunstgeschichte mit den Darstellungen Pieter Brueghels d. Ä., vor allem Der Blindensturz von 1568 (Neapel, Museum Capodimonte) bzw. Die Krüppel (1568) im Louvre. Brueghel-Gemälde fanden sich in der Dresdner Gemäldegalerie und wurden von Dix auch studiert, denn er tauschte sich mit seinem Malerfreund Walter Spies über „Alte Meister in der Gemäldegalerie, Breughel etwa“, aus.448 Zwar besitzt die Dresdner Galerie keine Brueghel-Bilder mit Krüppelmotivik, doch konnte Dix diese aus Wilhelm Hausensteins 1910 im PiperVerlag erschienenem Buch über den „Bauern-Brueghel“ kennen.449 Das Gemälde Die Kriegskrüppel soll laut Werkverzeichnis ein Selbstbildnis beinhalten, das Diether Schmidt mit dem „wie ein Reklameplakat an der Hauswand“ wirkenden Bildfeld mit der schematische Kopfzeichnung und dem „Zielfadenkreuz auf dem Schädel“ identifizierte.450 Die Darstellung weist keine Porträtähnlichkeit auf, sondern erinnert an die mechanischen Köpfe der Dadaisten. Dix ähnlicher ist der Krüppel auf 443 444 445 446 447 448 449 450
Kessler, Tagebücher, S. 119–120. Zit. nach Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 252. Märker, Erwin Schulhoff und die Tradition. Schuster, Grosz als neuer Hogarth, S. 154. Kessler, Tagebücher, S. 119–120. Schindhelm, Spies, S. 49. Hausenstein, Der Bauern-Bruegel. Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 56.
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der Rollkarre; das scharfe Profil, die blonden Haare und die Zigarette finden sich auf allen seinen dadaistischen Selbstbildnissen wieder. Der Blinde ohne Gliedmaße kann weder sehen noch malen. Dem entsprechen der fehlende Unterleib und damit die Fähigkeit zum Koitus, der sinnbildlich für den Schöpfungsakt steht. Wenn es sich also tatsächlich um ein Selbstbildnis handelt, dann kein mimetisches, sondern ein symbolisches oder emblematisches (s. S. 262). Geschoben wird die Rollkarre von einem Versehrten, der zwar gehen kann, jedoch ein Auge und den Unterkiefer verloren hat. Er kann nicht sprechen und kommuniziert daher mit Hilfe einer Buchstabenkarte. Die dargestellten Prothesen sind primitive Bewegungshilfen, wie sie auch die Brueghel’schen Krüppeldarstellungen zeigen. Die Kriegskrüppel steuern ja auch eine Schuhmacherwerkstatt an, obwohl für technisch entwickelte moderne Prothesen der Bandagist zuständig war. Nur der Kiefer „Marke Dix“ und das Glasauge mit dem höhnisch-sarkastischen Markennamen Argusauge, dem Dix das Kürzel D.R.P. hinzufügte, das für das Deutsche Reichspatent steht, verweisen auf die zeitgenössische Prothetik. Hier erschließt sich ein kunsttheoretisch-sinnbildliches Bedeutungsfeld: Die Kriegskrüppel von Otto Dix sind lebende Montagen, mit denen er das dadaistische Prinzip der Montage „realisierte“.
Neuer Wind in Dresden: P. Ferd. Schmidt Zieht man eine Bilanz des Jahres 1919, so hält das Paradigma der jüngeren Forschung, Dix habe dank seiner Mitgliedschaft in der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ Karriere gemacht, dem nicht stand.451 Vielmehr war er im Kontext der Künstlergruppe durchgefallen, jedenfalls bei den Dresdner Kritikern und im Kunsthandel. Dix verkaufte nichts, während der Absatz der übrigen Sezessionisten gut war.452 Die Verkäufe, die sich für Dix nachweisen lassen, sind Privatverkäufe bzw. die Erwerbungen Paul Ferdinand Schmidts, die aber im Wesentlichen auch als Geschenke von privat getätigt wurden (s.u.). Es waren ihm sogar Karrierenachteile daraus erwuchsen, als Mitglied einer angeblich expressionistischen Künstlervereinigung gestartet zu sein, wie die anfängliche Ablehnung durch Paul Westheim und Hans Koch belegt. Westheim brachte dies 1923 im Rückblick auf den Punkt: „Zunächst hatte Dix zwei Scharten auszuwetzen. Erstens den faulen Provinzexpressionismus, auf den er sich im Bereich der Dresdner Neuen Sezession [sic!] eingelassen hatte.“ Doch immerhin habe er „schneller als die anderen, 451 Strobl, Otto Dix, S. 38; ihm folgt etwa Meyer-Büser, Otto Dix – Proletarischer Rebell und Großstadt-Dandy, S. 27. 452 Rubrik Aus der Sammlerwelt und vom Kunsthandel, Dresden, in: Der Cicerone, Jg. 11, 1919, S. 534; Dresdner Neueste Nachrichten, 13.08.1919.
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Abb. 37: Otto Dix, Bildnis Dr. Paul Ferdinand Schmidt, 1921, Öl/Lwd., 82 × 63 cm, Löffler 1921/14, Staatsgalerie Stuttgart
die Schlehmile, die zum Teil noch immer in diesem verspäteten Jugendstil stecken“, begriffen, was los sei.453 Künstlerischer Erfolg lässt sich jedoch, insbesondere zu Beginn einer künstlerischen Karriere, nicht nur an Verkäufen und positiven Zeitungsrezensionen messen. Für den Künstler selbst zählt in besonderem Maße die Anerkennung in seinem engeren sozialen Umfeld. Und die war außerordentlich gut: Unter Professoren, unter Kommilitonen und Künstlerfreunden galt Dix als großes Talent. Sein ebenfalls aus Gera stammender, aber jüngerer Kommilitone Erich Drechsler erinnerte sich: „Die Bilder, die ich erstmalig bei ihm sah, machten auf mich den stärksten Eindruck. So etwas hatte ich noch nie zu sehen bekommen. Ich war begeistert, fassungslos. […] Von diesen einmaligen und 453 Paul Westheim, Otto Dix, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 604, 17.08.1923, Erstes Morgenblatt, S. 3.
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unglaublich gewaltig wirkenden Arbeiten, die leider in der später folgenden Nazibarbarei zum Teil vernichtet wurden, war ich so erschüttert und mitgerissen, daß ich oft nahe genug daran war, Pinsel und Stift aus der Hand zu legen.“454 Mit Hugo Zehder, Will Grohmann, Theodor Däubler und Heinar Schilling hatte Dix wichtige Vertreter und Propagandisten der jungen Kunst für sich gewinnen können. Und was die Presse-Berichterstattung anging, bahnte sich zum 1. September 1919 eine entscheidende Wende an: Der Kunsthistoriker Paul Ferdinand Schmidt (Abb. 37) wurde Direktor der kunsthistorischen Abteilung des Dresdner Stadtmuseums.455 Schmidt, ehemaliges passives Mitglied der Brücke, war zuvor an verschiedenen Museen tätig gewesen und ging die neue Position professionell an. Die Forderungen nach Öffnung der öffentlichen Kunstsammlungen für die junge Kunst nutzte er, um für das Dresdner Stadtmuseum eine Moderne-Abteilung aufzubauen. Dazu entwickelte er ein klares Sammlungsprofil. Brennpunkte seiner Sammeltätigkeit sollten die beiden Künstlerkreise werden, durch die Dresden eine führende Rolle in der Kunstentwicklung einnehme: die Romantik und der „Expressionismus des Brücke-Kreises“, zu dem er anfänglich die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ hinzuzählte. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm, Schlüsselpositionen für die externe Wahrnehmung der Dresdner Kunstszene zu besetzen. Bereits seit längerem für die Kunstzeitschrift Der Cicerone tätig, berichtete er ab 1920 für diese aus Dresden. Gleichzeitig löste er den Dix-kritischen Carl Puetzfeld als Dresdner Korrespondent des Kunstblattes ab. Dieser Umstand führte dazu, dass Dix ab 1920 in beiden überregionalen Kunstzeitschriften eine zunehmend wichtige Rolle spielen konnte. Als einen seiner ersten Museumsankäufe erwarb Schmidt im November 1919 Lasar Segalls Gemälde Die ewigen Wanderer.456 Doch schon am 25. Januar 1920 meldeten die Dresdner Neuesten Nachrichten die Erwerbung von drei Ölgemälden und zwei Aquarellen von Otto Dix, Werke aus der Vorkriegszeit, gestiftet von Hans Laube, Inhaber der Buchdruckerei Oskar Laube.457 Der Umstand, dass diese komplexe Transaktion Zeit brauchte – ein Finanzier musste erst gefunden werden – lässt den Rückschluss zu, dass Schmidt bald nach seiner Bestellung mit dem Aufbau einer systematischen Dix-Sammlung begann und „Dokumente frühreifen Genies“ mit „Naturdetails, deren minutiöse Treue einen Richard Müller erbleichen machte“, sowie „Landschaften voll explosiver 454 Drechsler, Erinnerungen an Otto Dix. 455 Wartenberg, Die Städtische Kunstsammlung Dresdens; zur Biografie ebd., S. 9–11. 456 Ankaufsnotiz, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 11.11.1919; Wartenberg, Die Städtische Kunstsammlung Dresdens, S. 52, Anm. 254. 457 Schenkung für die Städtischen Sammlungen, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 25.01.1920, S. 3; Paul Ferdinand Schmidt, Moderne Aufgaben städtischer Museen und die Neuerwerbungen der Städtischen Sammlungen zu Dresden, in: Dresdener Neueste Nachrichten, 24.03.1921, S. 2.
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Kraft natürlichen Ausdrucks (im nachimpressionistischen Stil)“ so aus „chaotischem Durcheinander“ rettete.458 Insgesamt lassen sich circa zwanzig Sammlungszugänge Dix’scher Werke unter Schmidts Direktorat feststellen; zum größten Teil handelte es sich um Zeichnungen und Grafiken, doch befanden sich darunter auch das Dada-Gemälde Die Kriegskrüppel und die Nietzsche-Büste.459 Ende 1919 setzte auch das publizistische Engagement des „Pferde-Schmidt“, wie Schmidt in Dresdner Kreisen genannt wurde – der Name zieht die abgekürzten Vornamen „P. Ferd.“ zusammen –, für Dix ein. Er verfasste die Einleitungstexte zu dessen Grafikmappen, die im Dresdner Verlag herausgegeben wurden. 1920 erschien im Kaemmerer-Verlag seine Einführung in die aktuelle Kunst Von neuer deutscher Kunst. Abbildungen neuer Malerei, Plastik und Baukunst, in der Dix mit vier ganzseitigen Abbildungen der Gemälde Schwangeres Weib, Prometheus (Selbstbildnis), „Mondweib“ und Auferstehung des Fleisches vertreten war.460 Schmidt förderte aus dem Kreis der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ zwei Künstler in besonderem Maße, die dem Schulhoff-Kreis und der Zehder-Fraktion angehörten, nämlich Dix und Segall. 1921 haben beide den Kunsthistoriker als großes Dankeschön porträtiert. Die Stadt Dresden indes sollte ihm sein Engagement nicht danken: Zum 1. Februar 1924 wurde er wegen seiner Ankäufe moderner Kunst in den einstweiligen, zum 1. November 1933 in den dauernden Ruhestand versetzt.461
458 Schmidt, Otto Dix (1923); gemeint sind Restaurant an der Elbe, Löffler 1912/15, Haus am Bach, 1912, Haus in Tal (wohl auch 1912) und Aquarelle aus der Studienzeit an der Kunstgewerbeschule. 459 Wartenberg, Die Städtische Kunstsammlung Dresdens, S. 55. 460 Schmidt, Von neuer deutscher Kunst. 461 Wartenberg, Die Städtische Kunstsammlung Dresdens, S. 11.
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Felixmüllers Austritt Wie wir gesehen haben, hatten Felixmüllers kunstpolitische Aktivitäten als „Vertrauensmann“ der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ für die übrigen Mitglieder durchaus nachteilige Effekte (s. S. 106ff.). Der als Expressionist der zweiten Generation auf dem Kunstmarkt bereits Etablierte prägte als Frontmann, absichtlich oder unabsichtlich, die Erwartungen, die an die neue Gruppe herangetragen wurden. So jedenfalls ist es im Sommer 1919 geschehen, als die Gruppe im Graphischen Kabinett von Bergh und Co. in Düsseldorf vorgestellt wurde. Dessen Leiter, der Urologe und Kunstsammler Dr. Hans Koch (Abb. 68), verfolgte zu diesem Zeitpunkt ein im Wesentlichen expressionistisches Galerieprogramm, in dessen Zuge er Felixmüller bereits im Jahr zuvor ausgestellt hatte.462 Wohl auf dessen Ersuchen hin verfasste er im Juli 1919 einen freundlichen, allerdings wenig konkreten Artikel über die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ für die Neuen Blätter für Kunst und Dichtung, von der er offenbar aber noch keine Ausstellung gesehen hatte.463 Nachdem er dann von der Kunsthandlung Emil Richter die Exponate für die Gruppenschau erhalten hatte, meldete er am 12. August 1919 enttäuscht an Felixmüller: „Die Ausstellung wird kaum wesentlich werden. […] Mit Felixmüller ist sozusagen der Rahm abgeschöpft! […] Campendonk schrieb mir dieser Tage: Mit dieser Secession aus Dresden! Die Leute geben sich allerhand Mühe, es zu scheinen, sind es aber umso weniger. Ausnahmen FM und L. Segall.“464 Er hatte bereits vor Ausstellungsbeginn viel von seinen Protagonisten Felixmüller und Segall verkauft, weshalb er Anfang September 1919 nach Dresden fuhr, um Nachschub zu beschaffen. Dix stand jedoch nicht auf seinem Besuchsprogramm; auf der Düsseldorfer Schau war dieser nur mit dem Gemälde Prometheus (Selbstbildnis), (Abb. 22) vertreten.465 Am 17. Januar 1920 ließ Felixmüller in den Dresdner Neuesten Nachrichten und den Dresdner Nachrichten seinen Austritt aus der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ mel462 Hierzu und zum Folgenden: Kat. Düsseldorf 1994, S. 14–17. 463 Abgedruckt in: Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 77–78; anders als dort angegeben wurde der Artikel nicht in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung gedruckt. 464 Hans Koch an Conrad Felixmüller, 12.08.1919, abgedruckt ebd., S. 79. 465 Kat. Düsseldorf 1994, S. 15.
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den.466 Knapp ein Jahr nach Gründung „seiner“ Künstlergruppe verließ er diese also wieder und gab künstlerische und moralische Beweggründe dafür an. Ausführlicher äußerte er sich ebenfalls im Januar seinem Mäzen Heinrich Kirchhoff gegenüber: „Es ist mir aus Verantwortungsgefühl nicht mehr möglich, mich solidarisch zu erklären mit Dadaisten, Kubisten, abstrakten Expressionisten, wie sie in der Dresdner Secession zusammengewürfelt sind.“467 Auch Paul Ferdinand Schmidt konstatierte im Dezember 1920 „abstrakten Expressionismus“ bei Lasar Segall und Mitschke-Collande sowie „naturalistisch-dadaistischen“ bei Otto Dix. Nur der reine Kubismus fehle, doch habe man vor, diesen im Frühjahr auszustellen.468 Gemeint ist die Präsentation der tschechischen Künstlergruppe Tvrdosíjní mit Gemälden, Aquarellen und Grafiken von Josef Capek, Vlastislav Hofmann, Vaclac Spala und Jan Zrzavy, die im April 1920 stattfinden sollte.469 Bereits im Spätsommer 1919 hatten Paul Cassel und Otto Griebel in den ständigen Ausstellungsräumen der Gruppe bei Richter kleinformatige, abstrakte Kompositionen gezeigt.470 Ein Jahr nach ihrer Gründung hatte die Gruppe es also erreicht, als offenes, polystilistisches Forum der jungen Kunst wahrgenommen zu werden. Da aber die abstrakte Kunst ebenso wie Dada von der KPD abgelehnt wurde, war dies mit Felixmüllers politischen Karrierezielen nicht mehr vereinbar.471 Angekündigt hatte sich Felixmüllers Austritt schon zuvor (s. S. 106ff.), den Anlass zum endgültigen Schritt dürfte die Dresdner Dada-Soiree der Berliner Dadaisten gegeben haben; die Dresdner Neuesten Nachrichten meldeten den Vorgang in derselben Ausgabe, in der auch der Dresdner Dada-Abend angezeigt wurde.472 Was auf der Soiree zu erwarten war, dürfte ihm klar gewesen sein, war doch sein Freund Raoul Hausmann einer der Veranstalter; Hausmann positionierte sich schon seit längerem gegen den Expressionismus und die aktivistisch-politische Kunst, zuletzt in seinem Pamphlet Der deutsche Spießer ärgert sich, wo er zu einem Rundumschlag ansetzte: „ […] o, Expressionismus, Du Weltwende der romantischen Lügenhaftigkeit! Unerträglich wurde 466 Dresdner Nachrichten, 17.01.1920, S. 3; Dresdner Neueste Nachrichten, 17.01.1920, S. 2. 467 Zit. nach Penndorf, Conrad Felixmüller und seine Sammler, S. 46; der Brief ging am 23. Januar 1920 bei Kirchhoff ein. 468 Schmidt, Ausstellung der Dresdner Sezession (Oktober–November bei Arnold in Dresden). 469 Hoffmann, Vier tschechische Maler, S. 230; Schmidt, Die jungen Tschechen in Dresden; Hollmann, Ein Joint-Venture des Expressionismus; Rakšanová, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919 und Die Unentwegten. 470 Griebel, Mann der Straße, S. 86–87. 471 Die Richtlinien waren in der Zeitschrift Die Aktion bekannt gemacht worden, wo Auszüge aus Lunatscharskis Broschüren Die Kulturaufgaben der Arbeiterklasse und Der russische Proletkult. Von einem Genossen erschienen, s. Die Aktion, Jg. 9, Nr. 10/11, 15. März 1919, Sp. 145– 153. 472 Dresdner Nachrichten, 17.01.1920, S. 3.
Die Dresdner Dada-Soiree
die Farce aber erst durch die Aktivisten, die den Geist und die Kunst, die sie vom Expressionismus absahen, dem Volke bringen wollten. Diese Schwachköpfe, die irgendwie mal Tolstoi gelesen und selbstverständlich nicht verstanden haben, triefen nun von einer Ethik, der man nur mit der Mistgabel sich nähern kann. Diese Dussel, die unfähig sind, Politik zu treiben, haben die aktivistische Äternistenmarmelade erfunden, um sich doch auch an den Mann, hier den Proletarier, zu bringen.“473 Im Dezember 1919 hatte er sich zudem über die „politische[n] Literaten“, die in der linksradikalen Zeitschrift Die Aktion veröffentlichten, also auch über Felixmüller, despektierlich geäußert.474
Die Dresdner Dada-Soiree Am 19. Januar 1920 fand dann das erste Gastspiel der Berliner Dadaisten außerhalb der Hauptstadt im Saal der Kaufmannschaft in Dresden statt.475 Anwesend waren Otto Dix, Otto Griebel, Elis Franz, Kurt Lohse, der die Berliner in seiner Wohnung untergebracht hatte, dessen Freundin Elfriede Wächtler, Paul Cassel sowie Gela Forster, Walter Jacob und der Dichter Ivar von Lücken. Erwin Schulhoff fehlte, da er sich in Prag aufhielt.476 An diesem Abend wurde Dresden erstmalig mit der performativen Seite Dadas konfrontiert. Otto Griebel hat einen eindrücklichen Bericht der von Richard Huelsenbeck, Johannes Baader und Raoul Hausmann veranstalteten Performance hinterlassen.477 Einleitend habe Huelsenbeck das ‚Dadaistische Manifest‘ vorgetragen, dann sei Oberdada Baader aufgetreten und rauchend auf der Bühne hin und her gegangen, ohne etwas zu sagen, danach hätten Hausmann und Huelsenbeck ein bruitistisches Gedicht vorgetragen. Anschließend erfolgte eine Attacke Hausmanns gegen den politischen Aktivismus, in dem er ganz gezielt die Dresdner Sozialistische Gruppe der Geistesarbeiter und Walter Hasenclever angriff. Die Situation eskalierte: Der ganze Saal habe getobt, nach der Polizei verlangt und das Eintrittsgeld zurückgefordert; einige Aufgebrachte hätten auf die Dadaisten eingeprügelt, so dass sich diese durch die Hintertür in Sicherheit hätten bringen müssen. Paul Ferdinand Schmidt sprach in einer Besprechung von „anonymen Herren“, die ganze fünf Dadaisten niedergebrüllt hätten.478 Der Organisator der Soiree, die Konzertdirektion R. Schönfelder, wurde in seiner offiziellen Stellungnahme kon-
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Hausmann, Der deutsche Spießer ärgert sich, S. 83-84. Züchner, Scharfrichter, S. 55. Zum Dresdner Dadaisten-Abend s. Bergius, Das Lachen Dadas, S. 352–354. Am 7. Januar 1920 vollendete Schulhoff seine Ironien (WZ 55) und unterzeichnete „Prag, 7.1.1920“; s. Bek, Schulhoff, S. 205. 477 Griebel, Mann der Straße, S. 91–93. 478 Schmidt, Die jungen Tschechen in Dresden, S. 383.
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kreter und sah eine „planmäßige Hetze, die von einer Sprengkolonne aus politischem Grunde inszeniert“ worden sei.479 Hausmann gab im Rückblick an, es habe sich um Sozialisten gehandelt, was insofern plausibel erscheint, da die Sozialistische Gruppe der Geistesarbeiter massiv angegriffen worden war.480 Die Reaktionen der Presse auf den Dada-Abend waren entsprechend desaströs.481 „Ekel, stummer, würgender Ekel war der Eindruck“, so der Dresdner Anzeiger, „Ekel vor der kalten Geschäftsmache der Dadaisten, die Geld nehmen für eine geistige Marktschreierei und Prostitution; Ekel vor dem Teil des Publikums, der sich benahm wie der Vorstadtpöbel, gröhlte, brüllte, schnarrte, tutete, trillerte, pfiff, Zigaretten anbrannte, mit Äpfeln warf, mit heiserer Kehle bis zur Bewußtlosigkeit schrie, lachend auf Stühle kletterte, den Saal umsäumte, als gelte es hier einer Gladiatorenschlächterei zuzusehen, jede Auswirkung der Dadaisten unmöglich machte, das Podium erklomm und unsinnig raufte […].“482 Es folgte noch ein dadaistisches Nachspiel: Als die Presseberichte in den Aushängekästen der Zeitungen auftauchten, öffneten einige der Dresdner Dadaisten diese und „schmuggelten dadaistische Pamphlete hinein, die das Straßenpublikum verdutzt und kopfschüttelnd zur Kenntnis nahm“ (Otto Griebel).483 Ein zweiter, für den 29. Januar 1919 angesetzter Abend wurde abgesagt.484
Felixmüllers Dix-Artikel Nach Felixmüllers Austritt scheint sich das schwierige Verhältnis zwischen ihm und Dix gebessert zu haben. Die Annäherung hatte sicherlich unterschiedliche Ursachen. Zum einen entfiel die gruppeninterne Rivalität; zum anderen war Dix nach der Absage der Winterausstellung der Dresdner Sezession dringlicher als je auf Unterstützung und Kooperation angewiesen. Dix arbeitete zu diesem Zeitpunkt hin und wieder in Felixmüllers Atelier, was vermutlich auch mit einer gewissen Gastlichkeit verbunden war. Jedenfalls beklagte er dem Freund gegenüber seine wirtschaftliche Situation: „Ich kumm uff keenen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich! Entweder ich werde berühmt – oder berüchtigt.“485 Es gab durchaus Grund zum Klagen, denn andere Sezessionsmit479 Die Konzertdirektion R. Schönfelder, in: Dresdner Lokal-Anzeiger, 24.01.1920, wiederabgedruckt in: Füllner, Dada Berlin in Zeitungen, S. 51. 480 Riha, Raoul Hausmann, S. 130–133. 481 Zu den Pressereaktionen s. Füllner, Dada Berlin in Zeitungen, S. 38–51. 482 Friedrich Kummer, Der gestrige Dadaistenabend, in: Dresdner Anzeiger, 20.01.1920, zit. nach ebd., S. 40–41. 483 Griebel, Mann der Straße, S. 93. 484 Dresdner Lokal-Anzeiger, 24.01.1920, zit. nach Füllner, Dada Berlin in Zeitungen, S. 51. 485 Felixmüller, Legenden, S. 54.
Felixmüllers Dix-Artikel
glieder verkauften wesentlich besser als er: In diesem Frühjahr widmete das Museum Folkwang in Hagen Lasar Segall eine Einzelausstellung, auf der Karl Ernst Osthaus das Bild Witwe und Rosa Schapire das Gemälde Liebende von 1919 erwarben.486 Hinzu kam, dass sich durch die Trennung von Viola die wirtschaftliche Situation von Dix wieder verschärft hatte. Nicht nur, dass seine „Dada-Braut“ ihn durchgefüttert hatte; vermutlich hatte sie ihm auch bei der Herstellung seiner Malgründe geholfen, vielleicht sogar Stoffe bereitgestellt. Für das Gemälde Matrose Fritz Müller aus Pieschen, das während seiner Liaison mit Viola entstanden ist, wurden vier dünne Stoffteile aus Baumwolle, vermutlich ein Bettlaken oder ein ähnlicher Alltagsstoff, mit einer Nähmaschine zusammengenäht; als Modestudentin verfügte Viola über eine solche.487 Doch in der ersten Hälfte des Jahres 1920 fehlte Violas Unterstützung und wegen der ausbleibenden Verkäufe auch das Geld für die Malmaterialien, was wiederum Dix’ Lebenskonzept als Künstler gefährdete. Die Dada-Gemälde dieser Zeit sind oft aus mehreren Stoffstücken unterschiedlicher Stärke und Qualität zusammengenäht sowie mit Flicken und gestopften Löchern übersäht. Im Falle des Streichholzhändlers handelt es sich um dreizehn verschiedene Stoffteile.488 Ein Bericht Otto Griebels führt uns die Notlage drastisch vor Augen: „Weil wir kein Geld hatten, um uns Leinewand zu kaufen, gingen Dix, die Laus [die Malerin Elfriede Wächtler] und ich sonntags abends durch die Straßen, hängten die Leinewände von den Schaufenstern mancher Geschäfte ab und teilten die Beute dann in einem dunklen Hausflur.“489 Felixmüller unterstützte Dix in vieler Hinsicht. Wohl auf dessen Vermittlung hin konnte er im Mai 1920 mit zwei Gemälden an der Ausstellung Deutsche Expressionisten in der Freien Künstlervereinigung Bautzen teilnehmen, zu der Felixmüller über seine langjährige Freundin, die Bautzener Malerin Marianne Britze, Verbindung hatte; Sehnsucht (Abb. 17) wurde von deren Bruder noch vor Ausstellungsbeginn erworben.490 Felixmüller gab ihm zudem die Adresse von Hans Koch in Düsseldorf, an den Dix im Frühjahr 1920 vier Radierungen sandte mit der Bitte, ihm diese abzukaufen. Zu seiner Enttäuschung erhielt er eine ablehnende Antwort. Die Blätter genügten Koch für seine Sammlung nicht, er antwortete, sie zurücksenden zu wollen.491 Im Januar 1919 verfasste Felixmüller einen kurzen Artikel über den Dadaisten Dix: 486 Zur Ausstellung s. Koßmann, Will Grohmann, Lasar Segall und die „Dresdner Sezession Gruppe 1919“, S. 130. 487 Iazurio, Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen, S. 273. 488 Lorenzer, Studien zur Maltechnik, S. 121–122. 489 Griebel, Mann der Straße, S. 95. 490 Werner, Anmerkungen, S. 39; Ausstellungskalender in: Der Cicerone, Jg. 12, 1920, nach S. 390; Otto Dix an Miriam Britzel, 24.03.1920 und 25.03.1920, s. Dix, Briefe, S. 459–460. 491 Otto Dix an das Graphische Kabinett von Bergh, Frühjahr 1920, s. Dix, Briefe, S. 773; Otto Dix an Israel Ber Neumann, o.D., ebd., S. 776; Kat. Düsseldorf 1994, S. 30–31.
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Dix und Felixmüller
Abb. 38: Dore Bartcky, Felixmüller mit Palette Otto Dix mit Palette, Foto, Aufnahme vermutlich 1920, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv
„Nach dem Krieg, gesund und übervoll an Kräften, ‚klebte‘ Dix Bilder aus Papier, Glas, Stoff, Holz, Pelz, Spitzen, Muscheln, Polstern, Stammbuchblümleins; ganz naturalistischer Art und höchst gegenständlich“ (s. Anhang, S. 263). Felixmüller deutete den Einsatz dadaistischer Techniken wie Collage und Montage psychologisch, als Folgen einer Verzweiflung und Selbstverachtung, ausgelöst durch ein Kriegstrauma: „Man spreche hier nicht von Dadaismus oder Merzmalerei. Hier ist der zusammengebrochene Mensch, den der Ekel vor sich und dem Leben packte und der sein eigener Beleidigter wurde; der kummervolle Mensch, den das Dasein drückt, reißt und stößt.“ Der Text endet: „Otto Dix ist einsam, verzweifelt und ganz arm. Er weiß, daß ihm diese Bilder kein Mensch abkauft; er weiß, daß er nicht glücklich ist.“ Vermutlich wurde der Text im Hinblick auf die ursprünglich für Januar 1920 geplante dritte Ausstellung der Gruppe
Der Streichholzhändler
1919 verfasst.492 Die Publikation sollte allerdings, ebenso wie die Ausstellung, erst im Herbst 1920 realisiert werden (s. S. 212–213). Was Dix und Felixmüller ganz grundsätzlich verband, war ihr Engagement für das Ölgemälde als künstlerisches Medium. Dieses Engagement dokumentierten sie in einem fotografischen Doppelporträt, das sie dezidiert als Maler in Szene setzt (Abb. 38).493 Beide halten als Attribute ihrer Profession die Palette, Felixmüller zusätzlich noch eine größere Anzahl Pinsel. Dix’ Montur ist für die Malpraxis wenig geeignet, er trägt Tweed-Anzug, weißes Hemd und Krawatte, tritt also als Da-Dandy und Mal-Dadaist auf; frontal steht er da, den Betrachter ernst fixierend. Neben ihm präsentiert sich Felixmüller in Seitenansicht und positioniert sich mit russischem Bauernkittel als Anhänger der kommunistischen Revolution. Sein Verhältnis zu Dix beschrieb Felixmüller in einem Brief an Marianne Britze im März 1920 folgendermaßen: „Ich mag ihn persönlich gern, trotz einer gewissen politischen Lauheit. Aber auch das wird anders werden. – Dix gibt mir recht, und in manchen seiner Bilder kehrt er von DADA zur Realität zurück.“494 Dass die Rückkehr zur Realität oberste Maxime Dadas war, kann Felixmüller mit seinem engen Kontakt zum Dadasophen Raoul Hausmann schwerlich entgangen sein. Möglicherweise lag aber gerade in dieser engen Verbindung das Problem: Felixmüller hätte in diesem Fall dessen Forderung nach dem neuen Material in der Malerei und dessen Anti-Kunst-Äußerungen überbewertet.
Der Streichholzhändler In seinem Artikel über den Dadaisten Dix erwähnte Felixmüller fünf Werke mit Bildtiteln: Das Bordellmädchen, Matrose Fritz Müller aus Pieschen, Ich Dix, Akrobaten am Trapez und Die Kriegsverletzten (Vier geben noch keinen ganzen Menschen). Nur zwei davon fanden Aufnahme ins Werkverzeichnis und nur eines ist erhalten geblieben: Matrose Fritz Müller aus Pieschen.495 Unmittelbar nach Verfassen des Textes, im Frühjahr 1920, entstand ein Gemälde, von dem Felixmüller angetan war, vermutlich, weil es Empathie 492 Zur Planung einer großen Schau im Winter s. Kaemmerer, Dresdner Sommerausstellungen, S. 497. 493 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Felixmüller, Conrad, I,A-10a-0038a, beschriftet auf der Rückseite: „Felixmüller mit Palette Otto Dix mit Palette, 1921“. Beck, Die kosmischen Bilder, S. 244, datiert es auf 1919/1920; ich halte eine Datierung auf 1920 für am plausibelsten. 494 Zit. nach Werner, Anmerkungen, S. 39; Kat. Bautzen 2003. 495 Ohne bildnerische Dokumentation blieben Bordellmädchen, Ich Dix und Akrobaten am Trapez.
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Dix und Felixmüller
Abb. 39: Otto Dix, Streichholzhändler, 1920, Öl, Collage, Papier/Lwd., 144 x 166 cm, Löffler 1920/9, Staatsgalerie Stuttgart
für den Kriegsversehrten zeigt und Kritik an dessen gesellschaftlicher Ausgrenzung übt: Streichholzhändler (Abb. 39).496 Nachdem er es auf der Ausstellung Deutscher Expressionismus in Darmstadt (wieder)gesehen hatte, schrieb er an seinen Mäzen Kirchhoff: „[V]on dem Maler Dix sahen wir in Darmstadt sein schönes Bild ‚Straßenbettler‘“, womit der Streichholzhändler gemeint ist.497 Wie im Gemälde Kriegskrüppel, an das es thematisch und stilistisch anknüpft, stellte Dix eine Straßenszene mit einem Kriegsver-
496 Beck, Die kosmischen Bilder, S. 83, datiert das Gemälde auf 1919 mit dem Argument, Felixmüller habe es in seinem Text vom Januar 1920 erwähnt; die Erwähnung erfolgte aber erst in der aktualisierten Textversion für Das Ey, die im Oktober 1920 erschien, s. Conrad Felixmüller, Otto Dix, in: Das Ey, H. 3, 1920, S. 10. Weitz, Kriegskrüppel, Kapp-Putsch und Kunstlump-Debatte, S. 98, datiert überzeugend auf April/Mai 1920. 497 Conrad Felixmüller an Heinrich Kirchhoff, 27.07.1920, zit. nach: Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 90.
Der Streichholzhändler
Abb. 40: Otto Dix, Streichholzhändler, 1920, Öl, Collage, Papier/Lwd., Löffler 1920/9, Staatsgalerie Stuttgart, Detail
sehrten dar; wie dort ist der Bildausschnitt auf den Gehweg und den unteren Teil einer Hauswand begrenzt, die wieder zwei klar voneinander getrennte Bildzonen schaffen. Allerdings sind Gehweg und Hauswand nun nicht bildparallel, sondern schräg und mit perspektivischer Verkürzung ins Bild gesetzt. Zudem konzentrierte sich Dix nun auf eine Hauptperson, einen blinden Bettler ohne Unterarme und Unterschenkel, der in einem Bauchladen Streichhölzer anbietet; mit zahnlosem Mund ruft er: „Schtreichhölzer, Echte Schwedenhölzer“; die Geldscheine in seiner Kasse sind eingeklebte reale Geldnoten, wertloses Inflationsgeld (Abb. 40).
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Dix und Felixmüller
Vorbild dürften Krüppeldarstellungen von George Grosz gewesen sein.498 Doch anders als Grosz machte Dix einen Streichholzverkäufer zur Haupt- und Identifikationsfigur eines Gemäldes. Er ist die einzige vollständige Bildfigur, von den vorbeihastenden Passanten sind nur Körperteile zu sehen. Anregend mag ein literarisches Motiv Nietzsches aus Also sprach Zarathustra gewesen sein: „Ich sehe und sah Schlimmes und mancherlei so Abscheuliches, daß ich nicht von jeglichem reden und von einigem nicht einmal schweigen möchte: […] Menschen, welche nichts weiter sind, als ein großes Auge oder ein großes Maul oder ein großer Bauch oder irgend etwas Großes – umgekehrte Krüppel heiße ich solche.“499 Die Wahl des Bildausschnittes macht die Passanten zu „umgekehrten Krüppeln“ und den Streichholzverkäufer, den Kriegskrüppel, zum ganzen Menschen, auch im übertragenen Sinne. Dix prangerte hier die Ignoranz der Nachkriegsgesellschaft und deren moralische Kapitulation vor der Verelendung der Kriegsversehrten an. Er reagierte damit auf Lebenshilfe-Publikationen für Kriegsversehrte wie das 1919 erschienene Buch Nicht Krüppel – Sieger! von Karl von Kügelgen. Eine Annonce für das Buch war unmittelbar neben der Besprechung der zweiten Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ von Richard Stiller im Dresdner Anzeiger vom 8. Juli 1919 platziert, jenem Verriss, auf den Erwin Schulhoff mit einem Leserbrief reagierte (s. S. 96f.). Die Anzeige preist: „Das Wertvolle des Buches liegt in der inneren Überwindung der quälenden Auffassung, daß der Verlust eines Gliedes den Betreffenden zu einem minderwertigen Menschen herabdrücke. Es wird in überzeugender Weise dargetan, wie gerade das Unglück – richtig aufgefaßt – zu einer unerschöpflichen Kraftquelle wird und das bedrückende Gefühl, vom Schicksal vergewaltigt zu sein, sich umwandelt in das Bewußtsein des Siegers. Das Buch ist sowohl Kriegsbeschädigten wie deren Umgebung wärmstens empfohlen.“500 Angesichts des wirtschaftlichen und sozialen Elends der Kriegsversehrten war dies von unsäglicher Verlogenheit. Eine solche Idealisierung mutete den Kriegsopfern letztlich zu, ihr Schicksal klag- und anspruchslos hinzunehmen.
498 Weitz, Kriegskrüppel, Kapp-Putsch und Kunstlump-Debatte, S. 97. 499 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Zweiter Teil, Von der Erlösung, zit. nach Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 2, S. 392-393. 500 hlg., Nicht Krüppel – Sieger, in: Dresdner Anzeiger, 08.07.1919, S. 2 (Rubrik Kunst und Wissenschaft).
Die „pornographischen Dinger“
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Die „pornographischen Dinger“ Felixmüllers spät niedergeschriebenen Erinnerungen erschienen kurz nach seinem Tod unter dem im Rückblick doppeldeutigen Titel Felixmüller, Legenden. Darin führte er aus, er habe Dix auf dessen Klagen hin den Tipp gegeben, Grafik zu machen, da diese leichter verkäuflich sei bei geringerem Arbeitsaufwand und geringeren Materialkosten.501 Doch Dix produzierte ja bereits Holzschnitte, seine „Dadagraphien“, die in Zeitschriften erschienen und vom Rudolf-Kaemmerer-Verla verlegt wurden (s. S. 116ff.).
Abb. 41: Conrad Felixmüller und Otto Dix, Otto Dix zeichnet, 1920, Radierung auf Maschinenbütten, 29 x 34 / 48,9 x 33,8 cm, Söhn 227, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, GUN-G-0163
501 Felixmüller, Legenden, S. 54.
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Dix und Felixmüller
Der Holzschnitt war das grafische Medium der jungen Kunst, „Sinnbild eines neuen Anfangs, einer neuen Monumentalität“, schrieb Will Grohmann im Einführungstext zur ersten, Ende 1919 erschienenen Grafikmappe der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“.502 Zu den ästhetischen Vorbehalten kam, dass Radieren technisch aufwendiger ist als Holzschnitt-Drucken, da man dazu eine Walzendruckpresse benötigt. Seine Holzschnitte konnte Dix als Handdruck selbst drucken. Felixmüllers Verdienst liegt darin, Dix von der Radiertechnik überzeugt zu haben. Die von Max Klinger und Otto Greiner zu höchster Vollendung getriebene und an der Leipziger Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe als selbstständiger Ausbildungszweig gelehrte Drucktechnik galt ihm als unkünstlerische Reproduktionstechnik des 19. Jahrhunderts. Als der dort studierende August Wilhelm Dressler Radierungen an Dix sandte, vermutlich für die ständige Ausstellung der Gruppe 1919, warf Dix ihm „Radiererfingerfertigkeit“ vor und dass er in Leipzig „vergraphikere“; er resümierte: „Der Mann kann viel zu gut radieren.“503 Um Dix den technischen Vorgang vorzuführen, ritzte Felixmüller auf einer Zinkplatte „mit breiter Nadel“ ein Porträt seines Freundes: „Die rechte obere Ecke ließ ich unbearbeitet, damit Otto Dix in den weichen Grund, er wählte eine spitzere Nadel, ein Motiv, ein Bild auf Staffelei stehend einzeichnen konnte: eine sich entkleidende Frau, Collage aus Spitzenhöschen, Wattepolstern, Klebebildern. Ich ätzte sofort die Platte und machte Probedrucke davon.“504 Felixmüllers Radierung Otto Dix zeichnet (Abb. 41) enthält also den ersten Radierversuch von Otto Dix. Als Felixmüller ihm danach eine Zinkplatte mit Stahlnadel zur Verfügung stellte, brachte Dix diese einige Tage später mit den Kriegskrüppeln bearbeitet zurück, um sie drucken zu lassen.505 All dies dürfte sich im März 1920 ereignet haben, jedenfalls berichtete Felixmüller am 31. März an Marianne Britze, Dix und er hätten „diese Tage zusammen Radierungen bei mir gedruckt“.506 Da Felixmüller soeben an einer Vierfarben-Lithografie arbeitete, führte er Dix auch in diese Technik ein. Dazu nahm er ihn mit in die grafischen Werkstätten der Akademie: „Der Drucker richtete für Otto Dix einen feingekörnten Stein her. Schon am nächsten Tag brachte er mir den ersten Probedruck seiner ersten Lithographie, als Motiv wieder die in feingestrichelter Fleißarbeit hergerichtete Dame – über der Korsage 502 Will Grohmann, Einführungstext, 1. Graphikmappe der Dresdner Sezession Gruppe 1919, s. Kat. Dresden 2019, Abb. 15, S. 47, Kat.-Nr. 170–181 und S. 220–227. 503 Otto Dix an Kurt Günther, 1919, s. Dix, Briefe, S. 459; Kat. Dresden 2011, S. 201. 504 Felixmüller, Legenden, S. 54; Hanne Bergius, Das Lachen Dadas, S. 251, hat aus Felixmüllers Erinnerungen auf eine lebensgroße weibliche Puppe in Assemblagetechnik geschlossen; die Quellen lassen jedoch nur den Schluss auf eine Assemblage/Collage zu. 505 Felixmüller, Legenden, S. 54. 506 Conrad Felixmüller an Marianne Britze, 31.03.1920, zit. nach Werner, Anmerkungen, S. 39.
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Abb. 42: Otto Dix, Mieze II (mit Widmung an Conrad Felixmüller: „Meinem lieben Felixmüller“), 1920, 493 x 456 mm, Lithografie (Unikat), Karsch 3, Standort unbekannt
gepolsterter, quellender Busen.“507 Die Lithografie Mieze II (Abb. 42) setzt die bereits erwähnte „Collage aus Spitzenhöschen, Wattepolstern, Klebebildern“ um, die Dix auch in seiner ersten Radierung als Motiv gewählt hatte. Dix griff hier das Bildschema des Gemäldes Abenteurer von George Grosz auf, der breitbeinig ausschreitend fast die gesamte Bildfläche einnimmt. Willi Wolfradt hatte dem Abenteurer 1919 in der Zeitschrift Der Cicerone einen Artikel gewidmet;508 zudem sollte es in der Herbstausstellung 507 Felixmüller, Legenden, S. 54. 508 Wolfradt, George Groß.
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Dix und Felixmüller
Abb. 43: Conrad Felixmüller, Otto Dix malt, 1920, Öl/Lwd., 120 × 95 cm, Spielmann 206, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ gezeigt und anschließend vom Dresdner Stadtmuseum angekauft werden (s. S. 182). Um Mietze herum rotieren Sinnbilder der Großstadt und ihrer Vergnügungen: ein Rad mit griechischen Buchstaben, architektonische Elemente, eine Tram; in der Lithografie kommen hinzu zwei Männer mit Bowlerhut und mehrere Textfragmente: „Ewig, Vater & Friedefürst“ ist ein Bibel-Zitat (Jesaja 9,6): „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; er heißt Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater Friedefürst“; „Ach wie trügerisch sind Weiber Hosen“, ist eine Verballhornung auf die Kanzone des Herzogs von Mantua aus dem dritten Akt von Giuseppe Verdis Oper Rigoletto: Ach wie so trügerisch sind Weiberherzen. Und dann zitierte Dix auch noch die tschechische Operette von Jara Beneš Auf der grünen Wiese, deren Titelmelodie als Schlager volkstümlich wurde: „Auf der grünen Wiese / hab ich
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sie gefragt, / ob sie mich wohl liebe. / ‚Ja‘ hat sie gesagt! / Wie im Paradiese / fühlte ich mich gleich, / und die grüne Wiese / war das Himmelreich“. Von der Lithografie hat sich nur ein Exemplar erhalten, weil der Drucker nach dem Andruck den Stein abschliff mit dem Argument: „Solche Schweinereien drucke ich nicht!“ Dix reproduzierte bzw. bearbeitete in der Radierung Otto Dix zeichnet und in der Lithografie Mieze II wohl ein und dasselbe heute verschollene Dada-Werk, nämlich Mieze I, ein Gemälde mit Collageelementen. Kenntnis davon gibt uns Felixmüllers Gemälde Otto Dix malt (Abb. 43). Es zeigt Dix mit erhobenem Pinsel und Palette vor der Staffelei stehend, auf der eine Frau in Korsage und Stiefeletten zu sehen ist, mithin eine Prostituierte. Der Bildrand schneidet die Figur etwa in der Mittelachse. Vermutlich entstand Mieze I im März 1920; Felixmüllers Dix-Artikel von Januar/Februar 1920 führt das Werk nicht an, doch schließt es stilistisch am letzten Werk der dortigen Werkliste an, den Kriegskrüppeln; vergleichbar ist der anti-illusionistisch als Rautenmuster angelegte Fliesenboden, das abgewinkelte Bein mit Stiefelette, der erhobene, zum Kopf geführte Arm, der nackte Busen sowie einige aus dem Zentrum heraus sich auffächernde architektonische Elemente wie das die moderne Großstadt symbolisierende Hochhaus. Die Eintracht zwischen Dix und Felixmüller hielt nicht lange: Am 27. Juli 1920 und damit zwei Tage nach der vernichtenden Kritik der Roten Fahne an der Dada-Messe, betonte Felixmüller in einem Brief an seinen Mäzen Heinrich Kirchhoff erneut seine anti-dadaistische Position und setzte sich von Dix ab: „Ich bin noch überzeugter nach dieser Reise durch die Stätten der ernsten sachlichen Arbeit [gemeint ist die Ruhrgebietsreise], daß es schlecht und widerlich ist ‚Dadaist‘ zu sein, d.h. alles zu verulken, Klamauk zu machen. […] Leider ist der Mann [Dix] wieder vollkommen Dadaist und ‚malt‘ pornographische Bilder übelster Art; ich halte ihn für verloren, deshalb, da dies bei ihm Veranlagung zu sein scheint. Sehr schade!“509 Möglicherweise bezog er sich mit dem Vorwurf der Pornografie auf Mietze. In der Radierung schnitt Dix sie durch den Bildrand so, dass der Kopf nicht zu sehen ist, dafür aber die Scham, auf die zusätzlich ein Pfeil hinweist; Felixmüller indes entschärfte das Motiv, indem er den Akt so ins Bild setzte, dass er den auf die Scham weisenden Pfeil weglassen konnte. Die Lithografie, in der die Vulva stark betont ist, widmete Dix mit leicht ironischem Unterton „Meinem lieben Felixmüller“ (s. Abb. 42).
509 Conrad Felixmüller an Heinrich Kirchhoff, 27.07.1920, zit. nach Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 90–91.
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Monteur Dix
Monteur Dix
Ich Dix Im Atelier am Antonsplatz entstanden mehrere mechanische Werke, „Bilder aus Stoff, Blech Holz, bewegliche aufklappbare verschiebbare“, wie Dix in einem um 1924 verfassten handschriftlichen Lebenslauf schrieb.510 Sein Ateliernachbar Otto Griebel erinnerte sich an ein „Selbstbildnis (mit bemalter Totenmaske)“, ein „Straßenbild (Student mit aufklappbarem Kopf )“ und an mehrere „Schiebe-Drehbilder“.511 Zu dem Selbstbildnis mit bemalter Totenmaske führte Griebel aus, es habe aus einem farbig bemalten Abguss von Dix’ Gesichtsmaske, einem aufgeklebten harten Hut und einem Anzugstoff bestanden, der sich öffnen ließ. Was man darunter erblickte, habe äußerst obszön gewirkt und „mußte deshalb auch verborgen gehalten bleiben“.512 Der Düsseldorfer Journalist Gerth Schreiner erwähnte es 1925 unter dem Werktitel Ich als ein „Selbstbildnis mit richtigem Anzug, Schuhen und steifem Hut“.513 Es dürfte mit dem von Felixmüller aufgeführten Werk Ich Dix identisch sein.
Akrobaten am Trapez Laut Otto Griebel muss Dix auch mehrere „Schiebe-Drehbilder“ produziert haben. Hans Jürgen von der Wense, der am 7. Oktober 1919 in Dixens Atelier zu Besuch war, notierte in sein Tagebuch: „Sein Drehbild. Wüst, aber sehr echt, wie Unkraut, Nesseln! Jede Kontur ist ein Stich.“514 Ein „Drehbild“ muss mithin schon im Oktober 1919 fertiggestellt und damit in direkter Reaktion auf den Kontakt mit Berlin-Dada hergestellt worden sein. Drehbar war das Bewegliche Figurenbild, das auf der Internationalen Dada-Messe in Berlin ausgestellt war (s. S. 176f. und Abb. 52). Felixmüllers Text von Januar 1920 erwähnt ein zweites bewegliches und wahrscheinlich auch drehbares Werk 510 511 512 513 514
Dix, Lebenslauf. Zit. nach Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 303. Griebel, Mann der Straße, S. 117. Schreiner, Otto Dix; Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 58. Wense, Geschichte einer Jugend, S. 238.
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Abb. 44: Otto Dix, Konstruktion für ein bewegliches Bild, 1919, Feder in Tinte/Papier, 266 × 220 mm, Lorenz EDV 1.2.17, Standort unbekannt
mit dem Titel Akrobaten am Trapez. Es hat Spuren im zeichnerischen Werk hinterlassen: Die Zeichnung Konstruktion für ein bewegliches Bild (Abb. 44) dürfte sich darauf beziehen.515 Sie zeigt eine Akrobatin, die sich vermutlich im Zirkuszelt an Ringen durch die Lüfte schwingt, sowie einen Akrobaten am Trapez im Gegenschwung. Die dazu nötige Konstruktion ist im unteren Teil der Skizze angedeutet, aber wegen deren Ungenauigkeit nicht dechiffrierbar. Doch scheint der Bewegungsablauf komplex gewesen zu sein, denn es dürfte eine gegenläufige Bewegung der beiden Akrobaten zustande gekommen sein. Aus dieser Werkphase haben sich einige Skizzen zu beweglichen Bildern erhalten.516
515 Otto Dix, Konstruktion für ein bewegliches Bild, in: Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, EDV 1.2.17, S. 514. 516 Ebd., S. 512–514.
Altar für Cavaliere
Altar für Cavaliere Bei dem von Griebel als Straßenbild bezeichneten Werk handelt es sich um den Altar für Cavaliere (Abb. 45–48). Dieses dadaistische Simultangemälde hat sich in Privatbe-
Abb. 45: Otto Dix, Altar für Cavaliere, 1920, Öl und Collage/Holz und Zink mit Montagen, Größe unbekannt, Löffler 1920/5, Privatbesitz, Aufnahme mit Teilöffnung der beweglichen Teile
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sitz erhalten, wurde jedoch wohl noch nie öffentlich ausgestellt. 1964 wurde das Werk von Florian Karsch, dem Inhaber der Galerie Nierendorf in Berlin, aus Privatbesitz angekauft; er übergab es Dix zur Restaurierung.517 Meine Anfrage bei der Galerie Nierendorf über den Verbleib des Werks und eventuelle Farbabbildungen im Archivbestand blieb ergebnislos. Wir müssen also weiterhin mit den im Dix-Nachlass vorhandenen Schwarz-Weiß-Fotos Vorlieb nehmen. Angesichts der großen Verluste, die Dix’ DadaŒuvre erlitten hat, ist dies mehr als bedauerlich. Eine öffentliche Präsentation und wissenschaftliche Bearbeitung des Werks bleibt ein dringendes Desiderat. Denn der Altar für Cavaliere ist ein Schlüsselwerk, da Dix die dort erstmalig aufgegriffenen Themen in seinen Salon- und Lustmord-Darstellungen weiterentwickelte. Der Bildtitel nimmt mit dem Begriff „Altar“ Bezug auf mittelalterliche Wandel- oder Flügelaltäre, deren Bildgefüge dem liturgischen Bedarf entsprechend verändert werden. Dix, der sein Simultangemälde 1965 anlässlich der Restaurierung im Atelier in Hemmenhofen hatte und es dort einer Besucherin vorführte, zog beim Auf- und Zuklappen den Vergleich „nach Art der Altäre“.518 Doch anders als bei Retabeln schließen die Klappteile wie die Türchen von Adventskalendern die Oberfläche plan ab, so dass die „Bildermaschine“ im geschlossenen Zustand ein „normales“ Gemälde zu sein scheint. Zu sehen sind zwei Passanten vor einem städtischen Wohngebäude, ein Corps-Student mit Schmiss, Schirmmütze und Hakenkreuz-Anhänger am Revers sowie eine junge Frau mit riesigem Busen und ebenso riesigem Hinterteil. Beide Vordergrundfiguren sind vollständig aufklappbar (s. Abb. 46–48). Die junge Frau entpuppt sich durch das Öffnen ihrer Klappteile als nackte Alte, haarlos und abgemagert, mit eingefallenem Mund, hängenden Brüsten und schlaffem Hinterteil. Ihr Unterkörper zeigt sich nun in Gegenrichtung zum Oberkörper nach links gedreht, so dass eine übergroße Vulva sichtbar ist. Ihre jugendliche Schönheit gibt sich als Illusion zu erkennen, als reale Konstruktion, die aus einer Schneiderpuppe mit Perücke und einem angeschnallten Busen der Marke Juno besteht. Als Unterschenkel fanden Strumpf- oder Sockenpräsenter Verwendung, also Hilfsmittel für die Warenpräsentation in Schaufenstern. 1964 führte Dix eine Restaurierung des Klappteils mit dem Kopf des Studenten durch, das wohl verloren gegangen war. Jedenfalls teilte er Florian Karsch mit, er müsse die Außenseite neu malen, und das werde dauern, da Grundierung und Farbe auf Zink nur langsam trockneten. Die Rückseite der Platte mit den Zeitungsausschnitten könne er nicht wiederherstellen: „Ich hab zwar ein Foto, aber es ist darauf ersichtlich, daß es eine Collage ist von irgendwelchem Material, auch sind mir die Farben natürlich nicht mehr gegenwärtig. Nicht einmal der Sinn des Inhalts ist zu enträtseln. Ich kann also 517 Otto Dix an Florian Karsch, 28.05.1964, s. Dix, Briefe, S. 836. 518 Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 270.
Altar für Cavaliere
Abb. 46: Otto Dix, Altar für Cavaliere, 1920, Öl und Collage/Holz und Zink mit Montagen, Größe unbekannt, Löffler 1920/5, Privatbesitz, Aufnahme mit Gesamtöffnung der beweglichen Teile
nicht irgend welchen Quatsch darauf machen; mich sozusagen selbst schlecht imitieren.“519 Das Klappteil bestand also aus einer Zinkplatte, hinter der sich das Gehirn des
519 Otto Dix an Florian Karsch, 28.05.1964, s. Dix, Briefe, S. 836.
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Abb. 47: Otto Dix, Altar für Cavaliere, 1920, Öl und Collage/Holz und Zink mit Montagen, Größe unbekannt, Löffler 1920/5, Privatbesitz, Detail mit aufgeklappter Frauenfigur
Altar für Cavaliere
Abb. 48: Otto Dix, Altar für Cavaliere, 1920, Öl und Collage/Holz und Zink mit Montagen, Größe unbekannt, Löffler 1920/5, Privatbesitz, Detail mit aufgeklapptem Studentenkopf
Studenten verbarg, das „mit allerlei Unrat gefüllt“ war (Griebel).520 Öffnete man es, kam antisemitischer und nationalistischer Gedankenmüll in Form von Zeitungsausschnitten zum Vorschein, darunter ein Foto des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. Im Foto nach dem Originalzustand ist zu lesen: „Der deutsche Mann kann keine Juden leiden, doch ihre Töchter nimmt er gern.“ Herausgeschnitten wurde der Satz aus einem Wahlaufruf der SPD zu den Reichstagswahlen 1920, der sich gegen den Antisemitismus der bürgerlichen Parteien richtete und für die Wahl der „Liste 1 Buck, Schmidt, Frau Lutze“ warb. Dix hat weitere Teile desselben Flugblattes in dem Gemälde Prager Straße verwendet (Abb. 57 u. S. 191). Der gewählte Ausschnitt dürfte jedoch bedeuten, dass der Corps-Student nicht den Apell der SPD wahrnimmt, sondern eben nur dessen Zitate antisemitischen Inhaltes. Damit stehe Clipping und Collage für die selektive Wahrnehmung der Realität durch die rechtsgerichtete Studentenschaft. Öffnen ließen sich auch die Fensterläden des Gebäudes im Hintergrund. Man konnte, so Otto Griebel, einen Fensterladen sogar verschieben.521 Die Öffnung gibt den Blick auf verschiedene sexuelle Szenen frei, die Dix folgendermaßen kommentierte: 520 Griebel, Mann der Straße, S. 117. 521 Ebd.
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„Man sieht da sozusagen in das Innere der Menschen. Das ist ein ‚Salon‘. Und dieses hier (öffnet weitere montierte Fensterläden), das ist ein Musterschüler, der einen bestimmten Traum hat. Und hier geschieht ein Lustmord.“522 Sind alle Läden geöffnet, wird man gewahr, dass die Sex-Szenen eine Bildsequenz bilden, die das Thema der kaleidoskopischen (Lebenskreislauf )-Bilder wie Sehnsucht oder Ich Dix bin das A und das O weiterentwickelt und zugleich radikalisiert.523 Die Anfangsszene links zeigt einen Pubertierenden im Matrosenanzug, der auf einem Stuhl sitzt und eine nackte Frau imaginiert, nach Dix ein „Musterschüler, der einen bestimmten Traum hat“. Vom Erwachen sexueller Begierde führen die Steigerungsstufen bis hin zum Lustmord. In der zweiten Szene sehen wir einen Bürger, den „Spießbürger“, vor einem Bordell, der eine Erektion hat. Als Nächstes folgt ein Paar beim Sex. Die Bildersequenz gipfelt in einem Lustmord, in dem sich Sexualität polar-monistisch, als zugleich Lebens- und Todestrieb äußert. Mit Bezug auf das Manifest des Illuministen und dessen Gleichsetzung von Kunst mit Ekstase und Koitus (s. Anhang, S. 262) lässt sich die Abfolge der Szenen auch kunsttheoretisch deuten als die verschiedenen Phasen künstlerischer Entwicklung bzw. verschiedene Realisationsphasen des Kunsttriebes in der Art eines Lebenszyklus. Phase eins steht für die jugendliche, idealistische Imagination, Phase zwei für die Wahrnehmung und Konfrontation mit der Realität, Phase drei bedeutet die Realisierung des Kunsttriebes im Schöpfungsakt, der durch den Koitus versinnbildlicht wird, und Phase vier ist der Lustmord im Blutrausch, der den Lebenszyklus beendet. Nietzsche hatte den ästhetischen Zustand als Rauschzustand charakterisiert und den Künstler als Gaukler, Abenteurer, Tänzer und Verbrecher. Dix stellte hier nun den dionysischen Rauschzustand in seiner extremsten Form dar: dem sexuellen Blutrausch.
Dada-Premiere in Berlin Ein Jahr lang hatte Paul Westheim Dix als „Expressionisten“ abgelehnt und schlichtweg ignoriert. Doch im April 1920 druckte er Däublers Dix-Essay mit fast einjähriger Verspätung ab.524 Es dürfte singulär sein, dass die Ersterwähnung eines Künstlers in dem für die junge Kunst so wichtigen Organ nicht in einer Ausstellungsbesprechung, sondern in einem Essay aus der Feder eines so prominenten Autors erfolgte. Da die besprochenen Werke „Mondweib“, Auferstehung des Fleisches, Selbstporträt in Phasen = Der Mond, Doppelbildnis (vielleicht Mädchen und Tod) und Schwangeres Weib das aktuelle Dada-Schaffen nicht mehr repräsentierten, wurde der Beitrag von zwei „Dadagraphien“ 522 Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 270. 523 Beck, Die kosmischen Bilder, S. 124. 524 Windhöfel, Paul Westheim, S. 202–203.
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Abb. 49: Otto Dix, Katzen (Theodor Däubler gewidmet), 1920, Öl und Glitter/Blattaluminium/Holz, 47 × 37 cm, Löffler 1920/3, Otto Dix Stiftung, zur Zeit in Auktion
illustriert und auf die Mappe Werden verwiesen. Seinen Durchbruch im Kunstblatt hatte Dix damit als Dadaist, und zwar in einem Heft, das zudem Beiträge von Carl Einstein über Rudolf Schlichter und von Alfred Salmony über George Grosz enthält.525 In Reaktion darauf zählte Paul Ferdinand Schmidt Dix in dem Übersichtswerk Von neuer deutscher Kunst. Abbildungen neuer Malerei, Plastik und Baukunst gemeinsam mit Grosz und Schlichter zu den Dadaisten.526 Für die Außenwirkung von Dada-Dix war die ab Mai 1920 laufende Sonderausstellung der Novembergruppe innerhalb der Berliner Kunstausstellung wichtiger als die im Sommer 1920 stattfindende Erste Internationale Dada-Messe, denn sie wurde „nicht 525 Das Kunstblatt, Jg. 4, 1920, H. 4 (Aprilheft). 526 Schmidt, Von neuer deutscher Kunst.
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nur von Kunstkennern, sondern von einem weiten Publikumskreis besucht, der in Spitzenzeiten in die Hunderttausende gegangen sein soll.“527 Zu sehen waren Merzwerke von Curt Schwitters und solche von angeblichen Merz-Nachahmern sowie Dada-Malereien mit Collage-Elementen.528 Noch verstärkt wurde die Außenwirkung durch den Skandal, den die Ausstellung auslöste und der sich zum Politikum hochschaukelte (s. S. 205). Paul Westheim, der kurz zuvor das Ende des Expressionismus ausgerufen hatte, besprach die Schau der Novembergruppe unter dem programmatischen Titel „Vom Expressionismus zum Dadaismus“, ebenso wie Paul Lindau in der Berliner Börsen-Zeitung, für den die Ausstellung sogar den „Sieg des Dadaismus“ markierte, „mit dem man fortan als Stil rechnen müsse.“529 Dix präsentierte drei Exponate mit Collage-Elemente: Katzen (Abb. 49), Matrose Fritz Müller aus Pieschen (Abb. 50) und Die Elektrische (Abb. 28).530 Sie blieben keineswegs unbeachtet, wie Andreas Strobl meinte.531 Albert Dresdner ging in der Deutschen Rundschau auf Matrose Fritz Müller aus Pieschen ein: „Ebenfalls aus Dresden stammt ein Bild in der Novembergruppe der Großen Ausstellung, welches sich ‚Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen‘ betitelt und diesen mit einem Stück Stadtplan von Dresden im Kopfe vorstellt, daneben aber allerlei Wirklichkeitshieroglyphen gibt, die vermutlich den Geistes- und Seelenzustand selbigen Müllers versinnbildlichen sollen.“532 Dass er den Namen Dix nicht erwähnte, muss nicht verwundern, hatte doch die Novembergruppe in dem von ihr herausgegebenen Führer die Kunstwerke anonymisiert.533 Das Gemälde Katzen war mit dem Titel Theodor Däubler gewidmet ausgestellt. Dies dürfte ein Dankeschön für Däublers Essay und Einsatz gewesen sein.534 Es zeigt Katzen auf Hochhausdächern und einer Stromleitung, die den Mond anmiauen, also Katzenmusik und mithin misstönende, dissonante Musik machen. Könnte damit Dada-Musik
527 Nentwig, Befreiungsenergien, S. 47. 528 Burmeister, Unvereinbar radikal, S. 83–84 und Kat.-Nr. 40, S. 92. 529 Westheim, Novembergruppe, S. 223; Paul Landau, Die Ausstellung der Novembergruppe. Vom Expressionismus zum Dadaismus, in: Berliner Börsen-Zeitung, 01.07.1920, Nr. 283, zit. nach Nentwig, Befreiungsenergien, S. 51. 530 Kat. Berlin 1920, Kat.-Nr. 1116: Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen, Kat.-Nr. 1117: Elektrische Bahn (Abb. 47) und Kat.-Nr. 1118: Theodor Däubler gewidmet; zur Ausstellung s. Bergius, Montage und Metamechanik, S. 36–37, dort werden einige Rezensionen zitiert; Burmeister, Unvereinbar radikal, S. 82–86. 531 Strobl, Malerkarriere, S. 72. 532 Albert Dresdner, Berliner Kunstleben, in: Deutsche Rundschau, 190, S. 303. 533 Nentwig, Befreiungsenergien, S. 52. 534 Eine eigenhändige Widmung befindet sich auf der Rückseite des Gemäldes; s. Beck, Die kosmischen Bilder, Anm. 29, S. 140; das Gemälde nimmt thematisch Bezug auf Däublers Gedicht Katzen, s. ebd., S. 140.
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gemeint sein? Wie in seinem Selbstbildnis Der Mond (Abb. 26) verwendete Dix Silber, diesmal malte er auf Blattaluminium und setzte Glanzlichter, etwa im Fell der Katzen, mit Metallglitter, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Herstellung von Weihnachtsschmuck und Grußkarten industriell hergestellt wurde. Noch dadaistischer kommt das Gemälde Matrose Fritz Müller aus Pieschen (Abb. 50) daher, dessen höchst ungewöhnliches quadratisches Format mit dem diagonal ins Bildfeld gesetzten Hauptmotiv, dem Kopf des Matrosen, eine Aufhängung an der Ecke und damit als Raute erforderlich macht. Erneut ist der Rahmen in die Komposition einbezogen. „Mit farbigen Glassplittern besetzt und mit Knöpfen benagelt, gibt er diesem phantasievollen Überkitsch erst die Vollendung.“535 Ursprünglich waren auch Muscheln und Seesterne aufgeklebt, wovon heute nur noch die Abdrücke zeugen.536 Dass man Gemaltem kostbare Rahmen und Behälter gibt und dafür reflektierende Metalle wie Gold, Silber und Edelsteine verwendet, ist aus der Ikonenmalerei der Ostkirche bzw. der mittelalterlichen westlichen Malerei bekannt. Dix ersetzte die kostbaren Materialien durch billige zeitgenössische Produkte der boomenden Geschenkwaren-Industrie wie Aluminium- und Glas-Glitter sowie Glas-Flakes, wie sie etwa für Adventskalender und Grußkarten verwendet wurden und werden. Im Bildfeld prangt zentral eine Matrosenbüste, umbrandet von den Wellen der Weltmeere, zwischen vier kleinen Szenen in den Bildecken, welche die barocke Vier-Erdteile-Ikonografie aufgreifen: oben Amerika (USA) mit Indianer und Wigwam-Dorf sowie einem Cowboy vor Wolkenkratzern, darüber der Adler mit u. a. USA-Flaggen; links stehen Pyramide, Sphinx, ein reitender bewaffneter Beduine für den Nahen Osten, eine Flagge mit Halbmond und Stern, der Flagge Pakistans ähnlich, steht hier wohl ganz allgemein für den islamischen Orient. Das rechte Bildchen verkörpert mit chinesischem Drachen, aufgehender Sonne und Geishas den Fernen Osten, unten folgt Afrika mit einem schwarzafrikanischen Paar und Lehmhütten. Die Sehnsuchtsszenen sind mit Gold- und Silberfarbe hinterlegt, die Schaumkronen der Wellen mit Glitter besetzt; der Effekt erinnert an Glanzbilder, die man in Sammel- oder Poesiealben klebte. Die Embleme der vier Erdteile suggerieren Weltläufigkeit, der Bildtitel jedoch konterkariert entsprechende Assoziationen: Fritz Müller aus Pieschen ist ein Süßwassermatrose, dessen geistiger Horizont nicht über die Stadtgrenze von Dresden hinausreicht, wie der in die Schädelkalotte eingeklebte Stadtplan-Ausriss verbildlicht. In Pieschen befand sich zwar ein Hafen, doch war dieser mit der Errichtung des Alberthafens in Dresden-Friedrichstadt am Ende des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutungslosen Binnenhafen herabgesunken und wurde hauptsächlich für Freizeitaktivitäten genutzt. Der Wein- und Bierort stand für das Vergnügen der kleinen Leute, hier fand das älteste 535 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 5. Aufl. 1983, S. 25–26. 536 Iazurlo, Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen, S. 276.
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Volksfest der Stadt statt, die sogenannte Vogelwiese, wo Matrosen in den Schaubuden auftraten und möglicherweise die Schiffsschaukeln bedienten. Darauf bezieht sich Fritz Löfflers Hinweis auf Pieschen als Lieferant der starken Männer und Matrosen für die Vogelwiese.537 Der Süßwassermatrose Fritz Müller gibt sich also seinen Sehnsüchten und Illusionen hin: Er verschlingt mit seinem gierig aufgerissenen Pailletten-Auge „nur“ ein Bild, ein rosenumranktes Ovalmedaillon mit dem Brustbild einer dunkelhaarigen und barbusigen Frau, vermutlich einer Italienerin. Die Beischrift „Kennst du das Land“ ist jedenfalls ein Verweis auf das Gedicht Mignon von Johann Wolfgang von Goethe, das die Italiensehnsucht der Deutschen besingt und dessen erste Zeile lautete: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Das Standardwerk über Die Tätowierung in den deutschen Hafenstädten von Adolf Spamer, 1934 in Bremen erschienen, stellt fest, dass Tätowierte – und dabei handelte es sich meist um Matrosen – immer wieder lange und detaillierte Berichte über ihre Weltreisen erzählten, die sich bei Nachprüfung jedoch als Phantasiegebilde erwiesen.538 Das Gemälde ist auch eine ironische Abrechnung mit Conrad Felixmüller. Denn der Name Fritz Müller ist nicht nur als Allerweltsname ein Synonym für den Durchschnittsmenschen, der in der Verkleinerung als „Fritzschen Müller“ für eine Witzfigur steht. Das tätowierte Monogramm FM, das groß auf der Brust des Matrosen prangt, ist Felixmüllers Monogramm, der entsprechend von Freunden und Kollegen auch „FM“ genannt wurde.539 Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Anspielung im Freundeskreis verstanden wurde. Die Datierung „1910“ unterstellte ihm – aus dadaistischer Sicht begründet –, der Vorkriegsgeneration anzugehören und damit künstlerisch veraltet zu sein. Doch bei aller ironischen Distanz ist Fritz Müller keine unsympathische Figur. Denn nach Friedrich Nietzsche sind Trugbilder nötig, um das Leben zu bestehen. Das Leben will nach Nietzsche Täuschung und braucht Täuschung, und das darzustellen sei die Aufgabe der Kunst.540 Dix wies hier auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei Felixmüller hin, dessen „politischer Linksradikalismus […] sich nahezu ausschließlich in seinen Beiträgen zur ‚Aktion‘“ (Johanna Kutschera)541 äußerte. Für seine großbürgerliche Sammler-Klientel malte er indes Familien- und Paaridyllen. Erst 1920 und vermutlich
537 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 5. Aufl. 1983, S. 25; Wozel, Dresdner Vogelwiese. 538 Spamer, Die Tätowierung in den deutschen Hafenstädten, S. 12. 539 Hans Koch an Conrad Felixmüller, 10.07.1919, in: Kat. Nürnberg 1982, S. 79–80, hier S. 80. 540 Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, Vorrede 1, in: Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, S. 438 541 Kutschera, Aufbruch und Engagement, S. 201.
Dada-Premiere in Berlin
Abb. 50: Otto Dix, (Der) Matrose Fritz Müller aus Pieschen, 1919, Öl und Collage (Stadtplan, Glitter)/ Lwd. mit gestaltetem Rahmen, 127 × 127 cm, Löffler 1919/11, Turin, GAM – Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea. Su concessione della Fondazione Torino Musei, Inv.-Nr. P/1730
durch die Kritik seiner Malerkollegen nicht unbeeinflusst, malte er Otto Rühle spricht. Erstmals ausgestellt war das Bildnis des sächsischen Revolutionärs auf der Sommerausstellung der Künstlervereinigung 1920. Der Umstand, dass sich ein „Linksradikaler […] in diesem überwiegend bürgerlichen Kulturkreise offenbar mit seinen proletarischen Gesinnungsbildern recht wohl“ zu fühlen schien, rief in den rechtskonservativen Dresd-
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ner Nachrichten (und vermutlich nicht nur dort) Spott hervor; sogar Paul Ferdinand Schmidt übte Kritik.542
542 Felix Zimmermann, in: Dresdner Nachrichten, 22.07.1920; Schmidt, Ausstellung der Künstlervereinigung in Dresden, S. 590.
Dix auf der Dada-Messe
Eine dadaistische „Monstre-Schau“ Die größte Veranstaltung der Berliner Dadaisten, die Erste Internationale Dada-Messe, zeigte rund 180 Ausstellungsstücke von 31 Beteiligten.543 Wiewohl die Schau als Verkaufsmesse von dadaistischen Erzeugnissen propagiert und das von „Monteurdada“ John Heartfield gestaltete Faltblatt als Zeitung gestaltet wurde, handelte es sich doch um eine Kunstausstellung, durchgeführt vom Kunstsalon Dr. Otto Burchard. Die Veranstalter dürften jedenfalls nicht mit vielen Verkäufen gerechnet haben, die Finanzierung erfolgte über den exorbitant hohen Eintrittspreis von 3,30 Mark und den „Finanzdada Dr. O. Burchard“, dessen Porträt in der Ausstellung gezeigt wurde.544 Auch der den Dadaisten nahestehende Adolf Behne sprach in seiner Besprechung von einer Kunstausstellung und von der Kunst der Dadaisten, auch wenn es „gewiss nicht streng in das Dada-Programm (passe), Kunst zu machen“.545 Teilnehmer und Exponate brachten die Pluralität der dadaistischen Bewegung zum Ausdruck. Neben den Berliner Dadaisten nahmen aus Paris Francis Picabia, aus Zürich Hans Arp, aus Köln Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld, aus Karlsruhe Georg Scholz und Rudolf Schlichter, aus Antwerpen Otto Schmalhausen, aus Chicago Benn Hecht, aus Magdeburg W. (= Hans Heinz) Stuckenschmidt und aus Dresden Otto Dix teil. Dementsprechend gab der Einführungstext des Ausstellungsfaltblattes eine weitgefasste Definition des dadaistischen Werkes: „An sich ist jedes Erzeugnis dadaistisch, das unbeeinflusst, unbekümmert um öffentliche Instanzen und Wertbegriffe hergestellt wird, sofern das darstellende illusionsfeindlich, aus dem Bedürfnis heraus arbeitet, die gegenwärtige Welt, die sich offenbar in Auflösung, in einer Metamorphose befindet, zersetzend weiterzutreiben.“546 Raoul Hausmann erklärte zeitgleich, um „die moralischpharisäische Bürgerwelt mit ihren eigenen Mitteln zu zerschlagen“, dürfe Dada „alle
543 Adkins, Erste Internationale Dada-Messe; Bergius, Das Lachen Dadas, S. 252–253; Bergius, Montage und Metamechanik, S. 233–287, 349–414. 544 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 86, S. 392. 545 Adolf Behne, Dada, in: Die Freiheit, 09.07.1920 (Abendausgabe), 1. Blatt. 546 Herzfelde, Zur Einführung.
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Dix auf der Dada-Messe
Abb. 51: Unbekannter Fotograf, Erste Internationale Dada-Messe, Berlin, 1920, Foto des Hauptraumes
Formen und Gebräuche“ verwenden.547 Und das charakteristischste Medium der „moralischpharisäischen Bürgerwelt“ war eben das „Salongemälde“. Daher führte die Dada-Messe das technisch konventionelle Ölbild als Dada-Medium vor. Kurt Tucholsky bezeichnete in seiner Besprechung die Collagen als „Klebgemälde“ und die Dada-Gemälde als „Malgemälde“.548 Wie viele Gemälde es waren, lässt sich nicht exakt feststellen, da von vielen Exponaten nicht bekannt ist, in welcher Technik sie ausgeführt waren. Doch sind acht Gemälde nachweisbar: die vier Exponate von Dix, die im Folgenden behandelt werden, und je zwei von George Grosz und von Georg Scholz.549 Von der Anzahl her ist das wenig, doch stachen die großformatigen Gemälde aus der Menge der sonst kleinteiligen Exponate heraus. Zwei dominierten den Hauptraum: Deutschland, ein Wintermärchen von George Grosz und die Kriegskrüppel von Otto Dix. Der Dadaist Hans Richter erinnerte sich später, dass „gerade diese Dix- und 547 Hausmann, „Dada in Europa“, in: Der Dada, Nr. 3, 1920, S. 2. 548 Kurt Tucholsky, Dada, in: Berliner Tageblatt, 20.07.1920, zit. nach: Riha, Dada Berlin, S. 125–126. 549 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 70, S. 386, Nr. 92 und Nr. 93, S. 394, und Nr. 108, S. 398.
Die Kriegskrüppel
Groszschen grauenvollen Kriegs-Revolutions-Szenen zusammen mit den politischen Provokationen als Gesamteindruck haften“ blieben.550
Die Kriegskrüppel Das Gemälde Die Kriegskrüppel (Abb. 51), das Felixmüller in seinem Text vom Januar 1919 als Die Kriegsverletzten (Vier geben noch keinen ganzen Menschen) erwähnt, war unter dem Titel 45 % Erwerbsfähig! ausgestellt.551 In die Bildfläche waren während der Ausstellung zwei Werke von Grosz integriert: die Collage Ein Opfer der Gesellschaft, 1919, und die Montage Galerie deutscher Mannesschönheit. Preisfrage „Wer ist der Schönste?“.552 Es handelte sich damit um ein ephemeres Gemeinschaftswerk von Dix und Grosz. Zwei weitere Exponate sind als Kollektivkunstwerke, diesmal von Dix und Else Lasker-Schüler, deklariert (als Otto Lasker-Dix bzw. Otto Else Lasker-Dix). Auch in diesem Fall handelte es sich nicht um ein tatsächliches Gemeinschaftswerk im Sinne eines gemeinschaftlich hergestellten Objekts. Vermutlich bezog sich der Hybrid-Name auf ein im selben Raum ausgestelltes, leider verschollenes Fotoporträt Otto Else LaskerDix, Dresden von George Grosz.553 Mit dem Titel 45 % Erwerbsfähig! wurde das Bild auf die Prothesenwirtschaft der Weimarer Republik bezogen und damit politisiert, denn der Aspekt des Illusionären verlagerte sich so auf die Nachkriegsgesellschaft und deren Wunschdenken, eine Eingliederung der Kriegsversehrten in den Arbeitsprozess und damit in ein normales Leben sei möglich. Vielleicht war dieser Aspekt tatsächlich erst gegen Ende März 1920 und damit nach Fertigstellung des Gemäldes in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Zu diesem Zeitpunkt veranstaltete die Deutsche Orthopädische Gesellschaft im Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt, der ersten orthopädischen Universitäts-Poliklinik Deutschlands, ihren 15. Kongress, der sich der Aufarbeitung der Kriegsschäden widmete. Dem Fachpublikum wurden Kriegsversehrte vorgeführt, die aus ganz Deutschland angereist waren.554 Dix stand 1920 in Kontakt mit dem Stadtkrankenhaus DresdenFriedrichstadt, in dessen Pathologisch-Anatomischem Institut er Studien betrieb, vermutlich für sein Gemälde Schützengraben.555 550 Richter, Dada – Kunst und Antikunst, S. 137. 551 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 43, S. 378. 552 Ebd., Nr. 40 und Nr. 41, S. 376, und Nr. 43, S. 378, sowie S. 266–267; Biro, The Dada Cyborg, S. 146–197. 553 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 141, S. 405. 554 Notiz, in: Dresdner Nachrichten, 18.01.1920. 555 Pfäffle, Otto Dix. Werkverzeichnis der Aquarelle und Gouachen, A 1920/10, S. 146–147; s. ebd., A 1920/11, A 1920/15 und A 1920/16. Griebel, Mann der Straße, S. 110–111, berichtete von Studien für Lustmorddarstellungen dort im Jahr 1922.
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Dix auf der Dada-Messe
Bewegliches Figurenbild Ebenfalls im Hauptraum befand sich das Bewegliche Figurenbild (Abb. 52).556 Es bestand, wie ein Ausstellungsfoto zeigt, aus drei auf einen festen Bildträger, vermutlich Holzplatten, gemalten und ausgeschnittenen großen Figuren, die übereinander montiert sind: Eine in Unterwäsche und Schnürstiefelchen mehr ent- als bekleidete Frau, eine Prostituierte, ist als die obere der Figuren die Hauptfigur; darunter folgt ein Mann im Frack, Kellner oder eher wohl Kunde; zuunterst montiert ist ein Rind, diesmal ohne Hörner und Geschlechtsmerkmale, geradezu „neutralisiert“. Das Ganze war wohl auf eine Trägerplatte montiert, die im Foto an einer dicken weißen Schnur zu hängen scheint. Schnüre werden auch ansonsten sichtbar, so dass die Beweglichkeit über diese funktioniert haben dürfte. Wieland Herzfelde macht sich gerade an dem Objekt zu schaffen, er scheint mit einer Kreide oder einem Wachsmalstift die Nase der Frau zu
Abb. 52: Unbekannter Fotograf, Das Bewegliche Figurenbild von Otto Dix auf der Ersten Internationalen Dada-Messe, Foto, Aufnahme vom 5. Juni 1920
556 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 80, S. 391.
Fleischerladen
bearbeiten. Das Foto inszeniert also eine Kollektivarbeit; das an der Wand darüber platzierte Schriftbild „Nur zupacken und festhalten“ dürfte eine Anleitung zur Interaktion gegeben haben. So ungewöhnlich ein bewegliches Figurenbild als Bildmedium auch ist, die Malerei fügt sich widerstandslos in das Schaffen von Dix ein. Mit dem Beweglichen Figurenbild entwickelte Dix die kaleidoskopischen Kompositionen der Collage Mieze I zum real drehbaren Objekt weiter. Die Bewegung im Bild wird nun tatsächlich realisiert. Damit hatte er ein neues Dada-Medium entwickelt, das Vorläufer im mechanischen Spielzeug bzw. Aufziehspielzeug hat, für das in seiner Thüringer Heimat wichtige Produktionsstätten lagen. Dass es als besonders bezeichnend für Dada angesehen wurde, zeigt die Bebilderung eines Artikels von Tristan Tzara über Dada, der am 1. Oktober 1920 in der illustrierten Monatsbeilage der römischen Tageszeitung La Tribuna erschien, mit einem Clipping des am Bild hantierenden Wieland Herzfelde.557 Der Artikel bereitete die von Enrico Prampolini organisierte, am 23. Oktober 1920 eröffnete Aquarellausstellung der Novembergruppe in der Casa d’Arte Italiana in Rom vor, an der Dix mit zwei Objekten, vermutlich Aquarellen, betitelt „scala azzurra“ (Blaue Treppe) und „melo fiorito“ (Blühender Apfelbaum), vertreten war.558
Fleischerladen Der Hauptraum ist aufgrund der Ausstellungsfotos gut zu rekonstruieren, doch von dem Nebenraum fehlen Fotos. Hier hingen zwei Werke von Dix, Fleischerladen559 (Abb. 53) und Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld560. Der Fleischerladen wurde von Adolf Behne als „ausgezeichnetes Schlächterladen-Bild“ erwähnt, das allerdings im Nebenraum sehr schlecht gehängt gewesen sei, ebenso wie „ein gutes Bild von Paul Albrecht, ‚Der Tod des Füseliers Helmhake auf dem Feld der Ehre‘“.561 Für die schlechte Hängung gab Behne eine ironische Erklärung: „Sie sind allerdings kein 557 Tzara, Dada, s. Höch. Eine Lebenscollage, S. 706, Kat.-Nr. 13.53 und Abb. S. 703. 558 Bollettino quindicinale della „Casa d’arte italiana“, Nr. 1, 1920 (Einladung zur Ausstellungs-Eröffnung am 23. Oktober 1920), s. Höch, Lebenscollage, Kat.-Nr. 13.54, S. 706 und Abb. S. 707; zur Ausstellung s. Nentwig, Chronik der Novembergruppe, S. 228. 559 Bergius, Montage und Metamechanik, Nr. 104, S. 397. 560 Otto Else Lasker-Dix, 1919, Dresden, Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld, ebd., Nr. 136, S. 404. 561 Adolf Behne, Dada, in: Die Freiheit, 09.07.1920 (Abendausgabe); zu dem Gemälde Der Tod des Füseliers Helmhake auf dem Feld der Ehre s. Bergius, Montage und Metamechanik, Kat.Nr. 108, S. 398 und passim.
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Dix auf der Dada-Messe
Abb. 53: Otto Dix, Fleischerladen, 1920, Öl/Lwd., 80,5 × 70 cm, Löffler 1920/6, Privatbesitz
schulmäßige[r] Dadaismus.“ Mit der Bezeichnung als Schlächterladen-Bild stellte Behne einen Bezug zu den Schlachten des Ersten Weltkrieg her. Auf einen solchen Zusammenhang verweisen auch die Tattoos des linken Metzgers, ein Emblem mit der Nummer des Feld-Artillerie-Regiments Nr. 48, mit dem Dix an der Schlacht von Verdun beteiligt war, und ein das Osterlamm mit der Christusfahne, also ein Auferstehungsmotiv. Die Schlacht von Verdun war eine der längsten und verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkrieges, die zum Symbol für einen strategisch völlig sinnlosen und ethisch
Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld
unverantwortlichen Stellungskrieg geworden ist. In der Schlacht von Verdun stand das Regiment unter Oberbefehl des Kronprinzen Wilhelm von Preußen (1882–1951), der wegen des sinnlosen Todes hunderttausender von Soldaten der ‚Schlächter von Verdun‘ genannt wurde. Auf die Verantwortung des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. an der Menschenschlächterei verweist die Matrosenmütze des Kindes, auf der [M]S Wilhelm II. zu lesen ist. Dix hat die Physiognomien der Metzger sowie der Verkäuferin im Vordergrund dem Aussehen des geschlachteten Schweines angeglichen, das gerade zerlegt wird. Das ist ein politisches und ein anthropologisches Statement, zudem ein künstlerisches. Denn damit liefert das Gemälde einen weiteren Beleg für Dixens Monismus, der innere, seelische oder geistige Vorgänge mit äußeren, leiblichen, physiologischen Vorgängen gleichsetzt. Denn für Dix drückt sich das Wesen jedes Menschen in seinem Außen aus, wie er dies 1955 in seinem Text Gedanken zum Porträtmalen auf den Punkt bringen sollte: „[D]as Außen ist der Ausdruck des Inneren, d.h. Äußeres und Inneres sind identisch.“562 Dies führte er hier in dadaistisch-grotesker Form vor.
Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld Vom vierten Gemälde Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld liegt keine fotografische Dokumentation vor. Der Werktitel zitiert eine Zeile aus dem „Dirnenlied“ In Hamburg, da bin ich gewesen, die entsprechende Strophe lautet: „Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld. Es kann ja nichts Schöneres geben, als in Hamburg ein Mädchen fürs Geld“.563 Bei dem Werk habe es sich, so Dix, um einen 1919 geschaffenen, auf einem Sofa liegenden Akt mit aufgeklebtem Schleier gehandelt, an der Wand habe sich ein Kaiserbild befunden; das Gemälde sei am Auslagerungsort in Reinholdshain vernichtet worden (s. dazu S. 246).564 Es muss sich um das auf der Reinholdshainer Liste als Mädchen auf dem Sofa bezeichnete Bild
562 Dix, Gedanken zum Porträtmalen. 563 Möglicherweise ergibt sich ein Zusammenhang zu Gerth Schreiners Hinweis auf ein Bild des Titels Bordellmädchen, das den Zusatztitel Was kann es denn schöneres geben als in Hamburg ein Mädchen fürs Geld geführt habe; s. Schreiner, Otto Dix. Möglicherweise handelte es sich aber auch um ein zweites verlorenes Gemälde; Dix berichtete 1966 seinerseits, er habe ein Bild mit dem Titel In Hamburg, da bin ich gewesen, das im Krieg verloren gegangen sei, nach einem Aufenthalt in Hamburg, auf der Reeperbahn und in der Herbertstraße, gemalt; s. Otto Dix im Hamburger Abendblatt, 09.12.1966, in: Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 276. Ein Hamburg-Aufenthalt ist jedoch nur für Sommer 1921 belegt. 564 Otto Dix an Otto Conzelmann, 17.02.1951, s. Dix, Briefe, S. 582.
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handeln, das etwa 170 × 150 cm groß war.565 Bei dem erwähnten Kaiserbild dürfte es sich um ein Bildnis Kaiser Wilhelms II. von Preussen gehandelt haben. Wir dürfen voraussetzen, dass ein Kenner der Dresdner Gemäldegalerie wie Dix um die große kunsthistorische Tradition eines liegenden weiblichen Aktess wusste, ist doch Giorgiones Schlummernde Venus (1508/10) eines der Hauptwerke der Galerie. Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld ist damit ein „korrigiertes Meisterwerk“, mit dem Dix die bürgerlichen „Kunstphilister“ mit einer aktualisierten und entidealisierten Fassung eines der berühmtesten Meisterwerke der Kunstgeschichte konfrontierte. Damit erfüllten seine Dada-Gemälde Herzfeldes Dada-Kriterien, das gegenwärtige Geschehen zum Inhalt zu nehmen und zugleich illusionsfeindlich und zersetzend zu wirken. Das genau sollte Adolf Behne in seinem berühmten Dix-Artikel 1922 ausführen: Dix arbeite an der Aufhebung des Bildes als ästhetische Angelegenheit, indem er „das problemlose Bild“, „das liebe Bild des Publikums“ als Waffe gegen dieses verwende.566 Die Bedeutung der Dada-Messe für Kunst und Karriere von Otto Dix muss neu kalibriert werden. Weder war seine Mitgliedschaft in der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ für die Teilnahme ausschlaggebend, noch wurde er von der Presse mit Schweigen übergangen.567 Dix trat vielmehr äußerst selbstbewusst als Mitglied des Club Dada (s. S. 126f.) auf. Die Veranstalter George Grosz und John Heartfield legten Wert auf seine Anwesenheit, luden ihn zur Vorbesichtigung ein. „Lieber Freund Dixdada, die dada-Ausstellung wird am 25. Juni (Freitag) eröffnet. Vielleicht kannst Du aber schon am 24. (Donnerstag) zur Vorbesichtigung in Berlin sein, für Unterkunft für Dich sorgen wir gern.“568 Sie hatten ihm Quartier bei „Dr. Klapper“ besorgt, einem Freund von Grosz, der eine große Wohnung am Kurfürstendamm hatte.569 Mit der Teilnahme und Anerkennung auf der Dada-Messe war seine Dada-Malerei als ein eigenständiger Beitrag zur Dada-Bewegung bestätigt. „Feuer und Flamme“ sei er, so Otto Griebel, danach gewesen und habe erklärt: „Wir müssen die Berliner schlagen.“570 Dix sah sich also in einem kompetitiven Verhältnis zu den Berliner Dadaisten. In seinem Atelier habe er, so Griebel weiter, auch allerlei für den Überbietungswettbewerb vorbereitet, ohne es aber vorerst zu zeigen. Er bereitete die Exponate für die dritte Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ in der Galerie Ernst Arnold vor.
565 566 567 568
Fischer, Beschlagnahmt – zerstört – verschollen, S. 248. Behne, Der Staatsanwalt schützt das Bild, S. 547. Strobl, Malerkarriere, S. 39–40. John Heartfield und George Grosz an Otto Dix, 16.06.1920, Faksimile in: Fischer, Ein Malerleben, S. 26 und 27. 569 Ebd., S. 27–28. 570 Griebel, Mann der Straße, S. 107.
Maldadadix in Dresden
Die dritte Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ Die dritte Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ war von der Kunsthandlung Emil Richter mehrfach verschoben worden und fand vom 16. Oktober bis zum 21. November 1920 an neuem Ort statt, in der Galerie Ernst Arnold.571 Der Galeriewechsel war nötig geworden, weil die Galerie Richter sich weigerte, Dix’ Dada-Werke auszustellen, und möglich geworden, weil der Alleinvertretungsvertrag zwischen der Firma Richter und der Künstlergruppe im Frühjahr 1920 ausgelaufen war. Die Galerie Arnold hatte sich bereits 1917 für Dix eingesetzt (s. S. 27–29) und zeigte sich den neuen dadaistischen und abstrakten Tendenzen gegenüber aufgeschlossen, wie die Präsentation von Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer und Willi Baumeister im Sommer 1920 belegte.572 Zu der Ausstellung erschien kein Katalog. Die Gruppe gab lediglich eine Grafikmappe heraus, für die Will Grohmann einen Einführungstext verfasste.573 Bis heute liegt auch keine zufriedenstellende Rekonstruktion vor. Daher konnte sich Felixmüllers Behauptung, die Gruppe habe nach seinem Austritt „ein Schattendasein als Ausstellungsorganisation ohne Gewicht und markantes Profil“ geführt, halten.574 Allein die äußeren Eckdaten – der renommierte Ausstellungsort und die Organisation durch Will Grohmann – geben Anlass, Felixmüllers Narrativ zu hinterfragen.575 Ein markantes Gruppenprofil zu entwickeln war nicht das Ziel der Veranstaltung, vielmehr wollte man die junge Kunst als eine nach allen Seiten hin offene polystilistische, internationale Bewegung präsentieren. Deshalb hatten sich die Mitglieder der Gruppe 1919 unter die Gäste gemischt, um als Teil der größeren, übergreifenden Bewegung kenntlich zu sein. Um den bekannten Vorbehalten der lokalen Kritik – Fehlen eines Dresdner Gruppenstils, daher künstlerische Krise – entgegenzuwirken, übte Will Grohmann in seiner
571 Kat. Dresden 1920; Negendanck, Galerie Ernst Arnold, Nr. 213, S. 483 und S. 149. 572 Negendanck, Galerie Ernst Arnold, Nr. 209, S. 481; in seiner Besprechung wies Paul Ferdinand Schmidt auch auf Dix hin; s. Schmidt, Schwitters, Schlemmer, Baumeister. 573 1. Graphikmappe der Dresdner Sezession Gruppe 1919, s. Kat. Dresden 2019, Abb. 15, S. 47, Kat.-Nr. 170–181, S. 273, und Abb. S. 220–227. 574 Gleisberg, Conrad Felixmüller und die Gründung der „Sezession. Gruppe 1919“, S. 172. 575 Rudert, Die Dresdner Sezession Gruppe 1919 und Will Grohmann.
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Maldadadix in Dresden
Eröffnungsrede massiv Kritik an dem Stereotyp einer „Krise der Kunst“ und diagnostizierte im Gegenzug eine „Krisis der öffentlichen Meinung“.576 Und im Einleitungstext der Graphischen Mappe betonte er, die Spannweite der Gestaltungskraft innerhalb der Gruppe sei zwar erheblich, die Einheit aber keineswegs gefährdet.577 Tatsächlich war die dritte Ausstellung im Herbst 1920 die bis dahin größte. Man hatte insgesamt fünf Räume zur Verfügung, darunter den großen repräsentativen Oberlichtsaal der Galerie Arnold. Von den Gründungsmitgliedern ragten Mitschke-Collande, Segall und Dix mit je drei großen Gemälden heraus, Lange und Heckrott hatten Arbeiten auf Papier eingereicht. Weiterhin traten Heinrich Barcinsky, Otto Griebel, Hans Meyboden und der Bildhauer Otto Krischer sowie als auswärtige Mitglieder Bruno Taut, Hans Poelzig, der zwischenzeitlich von Dresden nach Berlin gegangen war, Walter Gropius und Paul Klee der Gruppe bei (s. S. 226) Als Gäste waren wieder Künstler aus ganz Deutschland vertreten.578 Unter den Teilnehmern befanden sich erneut Kurt Schwitters mit „kleine[n] Stoffklebereien“ sowie George Grosz mit dem Gemälde Der Abenteurer (1917).579 Die Ausstellung zeichnete sich durch ein prägnantes kuratorisches Konzept aus. Am auffälligsten war die Schwerpunktsetzung auf die Bildhauerei.580 Drei junge Dresdner, noch Studierende, nämlich Eugen Hoffmann, Ludwig Godenschweg und Christoph Voll, waren als neue Mitglieder gewonnen worden. Hoffmann zeigte die bemalten Holzstatuetten Weiblicher Torso, Groteske, Jungfer, zudem ein Weibliche Torsi betiteltes Gemälde, Godenschweg eine weibliche Steinfigur und Voll drei Mönchs- und Nonnenstatuen aus Holz. Gela Forster war mit zwei Gipsskulpturen, einem weiblichen Torso und der Büste der Bianca Segantini, Ehefrau von Hugo Zehder, vertreten. Weitere Bildhauer waren als Gäste geladen, so Rudolf Belling, der seine erste abstrakte Plastik Dreiklang (1919), eine Ikone der modernen Bildhauerkunst, präsentierte. Der Schweizer
576 Felix Zimmermann, Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, in: Dresdner Nachrichten, 31.10.1920, S. 4. 577 Will Grohmann, Einführungstext, in: 1. Graphikmappe der Dresdner Sezession Gruppe 1919, s. Kat. Dresden 2019, Abb. 15, S. 47, Kat.-Nr. 170–181. 578 Die Besprechungen erwähnen Erich Heckel, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff und Otto Mueller, Heinrich Nauen, Heinrich Maria Davringhausen, Paul Klee, Alexej von Jawlensky, Wilhelm Morgner, Heinrich Campendonk, Josef Eberz, Carl Mense, César Klein, August Macke, Georg Kars, [Kay oder Otto (?)] Nebel, Carl Gunschmann, [Albert?] Bloch, Rüdiger Berlit, Walter Jakob, Lyonel Feininger, Otto Gleichmann, Max Burchartz, Josef Achmann, Georg Tappert, Rudolf Belling, und Hans Brass. 579 Der Abenteurer, 1917, 150 × 120, ehemals Stadtmuseum Dresden, verschollen, s. Kat. Berlin 1995, Kat. IX.11, S. 326. 580 Quermann, Bildhauerei in der Dresdner Sezession.
Die Skatspieler
Maler und Bildhauer Arturo (Turo) Pedretti war mit einer Holzgruppe Mann und Weib vertreten, der Bildhauer Walter Reger mit einer Plastik Saul und David .581
Die Skatspieler Nach seinen vorangegangenen Erfolgen in Berlin präsentierte sich Dix auf der dritten Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ mit drei großen Dada-Gemälden, alle mit Collage-Elementen, nämlich Die Barrikade, Bettler (= Prager Straße) und Die Skatspieler.582 Erneut gereichten seine Exponate, wie ein Rezensent schrieb, „dem Bürger zu schwerem Ärgernis“, doch diesmal war die Provokation kalkuliert und zielte mit voller Absicht auf den Dresdner „Kunstphilister“. Der Spielort ist in allen Fällen Dresden: Vorbild für die Gründerzeitstraße in der Barrikade (Abb. 55) soll die Marschallstraße gewesen sein.583 Der Bettler (Prager Straße, Abb. 57) hat sich in der Prager Straße niedergelassen, der ehemals vornehmsten Einkaufsstraße der Stadt, die den Hauptbahnhof mit der Stadtmitte verbindet.584 Und die Skatspieler (Abb. 54) haben sich in den ersten Maitagen 1920 in einem Dresdner Lokal getroffen, wie die am Kleiderständer hängenden Dresdner Tageszeitungen zeigen.585 Die Skatspieler sind von den drei Werken das am besten bearbeitete, was damit zusammenhängt, dass die Erwerbung durch die Nationalgalerie mit einer spektakulären Spendenaktion verbunden war.586 Das Gemälde zeigt drei Kriegsveteranen, die in einer Gastwirtschaft mit dem Sächsischen Doppelbild aus Altenburg Skat spielen. „Links sitzt der fiese Unteroffizier, Typ Leuteschinder und Spießer à la Grosz: blindgeschossen, ekelhaft vernarbtes Gesicht, mit den Umrissen eines nackten Frauenleibes im Schädel“, so
581 Zu den Rezensionen s. Anm. 604–610; Dix hatte Pedretti das Sonderheft zur Dresdner Sezession der Neuen Blätter für Kunst und Dichtung zugesandt, wie er Kurt Günther brieflich mitteilte: „Sonderheft an Pedretti geht morgen ab“; Otto Dix an Kurt Günther, 1919, s. Dix, Briefe, S. 459; Kurt Günther dürfte von Davos aus den Kontakt hergestellt haben. 582 Dass Streichholzhändler und Die Barrikade „größtenteils im Jahr 1919 entstanden“ seien (Beck, Die Kosmischen Bilder, S. 83), kann ausgeschlossen werden; Felixmüllers Manuskript vom Januar 1919, auf das Beck seine Argumentation stützt, erwähnt die Gemälde nicht; sie werden erst in der Druckversion vom Oktober 1920 genannt; s. dazu Anhang, S. 262f. 583 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 1. Aufl. 1960, S. 36. 584 Dix hat das Gemälde rückseitig beschriftet: „Bild der Prager Straße - meinen Zeitgenossen gewidmet“; s. März, Otto Dix: Die Skatspieler, Abb. 26, S. 382. 585 Es handelt sich um den Dresdner Anzeiger vom 3. Mai 1922 sowie die Dresdner Neueste Nachrichten und das Berliner Tageblatt vom 4. Mai 1920; s. März, Otto Dix: Die Skatspieler, S. 364–366. 586 Ebd., S. 380–386.
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Maldadadix in Dresden
Abb. 54: Otto Dix, Die Skatspieler, 1920, Öl und Collage/Lwd., 110 × 87 cm, Löffler 1920/10, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
Roland März in seiner wortgewaltigen Beschreibung. „In der Mitte des Bildes herrscht unumschränkt der Hauptmann, altgedienter Frontoffizier mit halbiertem Wilhelm-II.Schnauzer: armlos, mit Glasauge am festgeschraubten Schädel an der Halsprothese, die Oberschenkelstümpfe weithin ausgestellt. […] Im Kammerspiel des Otto Dix sitzt rechts der Leutnant, der knabenhafte Aristokrat, der adrette Typ mit akkuratem Scheitel, Nasenläppchen, Vatermörder und am Rock das zerbrochene Eiserne Kreuz, Überbleibsel des vergangenen Ruhmes und Kennzeichen für das Opfer militaristischer Durchhaltegesinnung.“587 Thema des paradoxen Kartenspiels ist laut März das Weiterleben des wilhelminischen Militarismus in der Weimarer Republik. Die Artikel in den 587 Ebd., S. 366 und S. 368.
Die Barrikade
collagierten Tageszeitungen behandeln: „Kapp-Putsch – Reichstagswahlen – Status der Offizierskaste – Aufruf zur Revanche der ‚Schmach von Versailles‘“. Auch die Inschrift auf der Bildrückseite „Skatclub ehemaliger 342er“ weist in diese Richtung. Die 342er waren ein Regiment der Sächsischen Infanterie, das erst in den letzten Kriegsjahren aufgestellt wurde und in dem Dix nicht gedient hat.588 Doch auch dieses Krüppelbild enthält, über aktuelle politische und gesellschaftspolitische Bezüge hinaus, eine kunstimmanente Botschaft. Denn wiewohl die drei Veteranen zusammengenommen nur noch ein Bein, einen Arm und eine Armprothese als Greif- und Fortbewegungsorgane besitzen, halten sie an ihrem Skatspiel fest. Dix war offenbar fasziniert von ihrem unbedingten Lebens- und Vergnügungsdrang. Der mittlere Skatspieler hält die Karten mit seinem künstlichen Gebiss im künstlichen Kiefer. Dix hat sich mit Fotoporträt in der rechten Figur dargestellt. „Unterkiefer: Prothese Marke: Dix. Nur echt mit dem Bild des Erfinders“, ist dort zu lesen – die Signatur wird ganz dadaistisch zum Markenzeichen umgedeutet. Noch einmal sei Roland März zitiert, und zwar hinsichtlich der dadaistischen Polytechnik des Gemäldes: „Assemblage, wohin man blickt: Die Bildtechnik ein Zwitter aus mehrschichtig deckender Ölmalerei alla prima und den pointiert eingeklebten und eingenähten Realien (Spielkarten, Tageszeitungen, Aluminiumfolie, Textilimitation, Photographie)“.589 Auch Uwe M. Schneede hat die Raffinesse der Machart betont: „Aufgenäht hat Dix eine Stoffimitation aus Papier als Bekleidung der rechten Figur, während das Jackett des linken Spielers mit einer Textilimitation gestempelt wurde, also mal die Imitation selbst und mal der Abklatsch der Imitation. Dagegen hat bei der mittleren Figur die pastos aufgetragene Farbe mit Hilfe des Pinselstils eine leinenartige Struktur erhalten – hier also die Anmutung von Textil durch malerische Mittel.“590
Die Barrikade Das großformatige Gemälde Die Barrikade (Abb. 55) dürfte das Profil der Schau maßgeblich bestimmt haben. Das Werk reflektiert vermutlich die Vorgänge des Kapp-Putsches vom 15. März 1920, eines Putschversuches von rechts gegen die sozialdemokratische Reichsregierung. Es zeigt Aufständische, die sich hinter einer Barrikade verschanzt haben, zwei sind tot, drei kämpfen gegen den nicht sichtbaren Feind. Laut einer Beschreibungen des Gemäldes war die „Todeswunde“ – wohl der Bauchschuss des toten Matrosen ganz oben auf der Barrikade – „als großes, schwarzes Loch in die Leinwand 588 Ebd., S. 374. 589 Ebd., S. 370–371. 590 Schneede, Otto Dix, S. 21–22.
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Abb. 55: Otto Dix, Die Barrikade, 1920, Öl/Lwd. mit Collagen, Maße unbekannt (etwa 200 × 190 cm), Löffler 1920/13, zerstört
geschlagen, und die Wundränder mit dicken Farbwülsten wie von geronnenem Blut umklebt“.591 Die dargestellte Barrikade besteht aus bürgerlichem „Kulturschrott“, darunter der Hausspruch „Wo Liebe, da Friede, wo Friede, da Gott, wo Gott keine Not“, ein Kruzifix, eine kleinformatige Gipskopie der Venus von Milo, die Bibel, Tizians Gemälde Der 591 Paul Fechter, Otto Dix, Gesamtausstellung bei Neumann-Nierendorf, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 11.02.1926.
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Abb. 56: Otto Dix, Die Prominenten (Konstellation), 1920, Holzschnitt auf Maschinenbütten, 25 x 20 / 42,3 × 35,5 cm, Karsch 25, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, GUNG-0106
Zinsgroschen, ein Hauptwerk der Dresdner Gemäldegalerie, sowie ein Heft der Neuen Metaphysischen Rundschau, einer „Monatsschrift für Philosophische, Psychologische und Okkulte Forschungen in Wissenschaft, Kunst und Religion“, die sich für Spiritualismus, Hypnotismus und ähnlich übersinnliche Phänomene interessierte. Auch ein anti-expressionistisches bzw. anti-dadaistisches Statement fehlt nicht, nämlich eine Grafik, vermutlich ein Holzschnitt.592
592 Stilistisch gesehen könnte es sich um eine Druckgrafik von Lasar Segall handeln; so auch Strobl, Malerkarriere, S. 137, Anm. 396.
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Das Gemälde ist zerstört, die Collageteile im alten Schwarz-Weiß-Foto nur schwer oder nicht auszumachen, gleichwohl durch zeitgenössische Beschreibungen gesichert: „Da der Pinsel dem Tempo des Rasens nicht zu folgen vermag, nimmt Dix irgendeinen alten Fetzen und klebt ihn als Hose auf die Leinwand. Der Inhalt der Wohnungen ist auf die Straße geschüttet, die Gemütsapparate der braven Spießer, die Haussegen, die Matratzen, die Gipsfiguren, das Vertikow, der Irrigator [Gerät, um einen Einlauf zur Darmreinigung durchzuführen], dienen als Schutzwand für Straßenschützen. Da sich das Gemüll nicht so schnell malen läßt, wie die Not fordert, und wie man es hinhauen möchte, nimmt der rasende Derwisch wieder das eine oder andere Stück aus dem umherliegenden Plunder und appliziert es als klägliche Wirklichkeit; den Einband einer Bibel nagelt er als Stütze unter das Maschinengewehr. Ist das schon Wahnsinn, hat es doch Methode, die Methode der Weltverwüstung und Ausrenkung und Besudelung aller geltenden Werte.“593 Das Gemälde Die Barrikade ist ein Sinnbild für Dada Dresden. Dem schießenden Matrosen hat Dix mit Hakennase und Pfeife Porträtzüge und Attribut Otto Griebels gegeben, der sich entsprechend in seinem Dadaistischen Selbstbildnis von 1920 dargestellt hat.594 In Dix’ Holzschnitt Die Prominenten von 1920 (Abb. 56) tritt Griebel im selben Porträttypus als Verkörperung von Dada auf. Dort unterschreibt eine Person mit vier Köpfen soeben ein Manifest, das Liebe, Ordnung, Vaterland und Dada proklamiert. Für die Liebe steht ein Christuskopf, für die Ordnung ein Militär mit Pickelhaube (Wilhelm II.?), für Vaterland ein Politiker (eine Mischung von Lenin und Philipp Scheidemann) und für Dada eben Griebel mit großer Nase und Pfeife. Mit Die Barrikade kam Dix der im Pamphlet Der Kunstlump von George Grosz und John Heartfield gestellten Forderung nach, „Stellung zu nehmen gegen die masochistische Ehrfurcht vor historischen Werten, gegen Kultur und Kunst!“595 Seine Barrikadenkämpfer haben der flehentlichen Bitte Oskar Kokoschkas nicht entsprochen, „solche geplanten kriegerischen Handlungen […] auf den Schießplätzen der Heide abhalten zu wollen, wo menschliche Kultur nicht in Gefahr kommt.“596 Sie haben sich vielmehr in der Dresdner Innenstadt verbarrikadiert und ein Hauptwerk der Gemäldegalerie zum Barrikadenbau benutzt, Tizians Der Zinsgroschen (um 1516). Dix klebte eine Reproduktion des Gemäldes in sein Bild, scheint damit aber das Original gemeint zu haben, wofür der prächtige Galerie-Rahmen und die Größe des dargestellten Bildes sprechen (das Original misst 75 × 56 cm). 593 594 595 596
Breuer, Dix und Barlach, S. 263. Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, B44, S. 126 und. S. 24. Grosz/Heartfield, Der Kunstlump, S. 86. Oskar Kokoschka, Offener Brief. An die Einwohnerschaft Dresdens [Ende März 1920], in: Kokoschka/Spielmann, Oskar Kokoschka. Briefe II, S. 12.
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Dass Dix dieses und kein anderes Galeriegemälde verwendete, könnte damit zusammenhängen, dass der Zinsgroschen im Kreis der Dresdner Dadaisten eine besondere, möglicherweise anti-kapitalistische Bedeutung hatte; jedenfalls hat auch Otto Griebel ein leider verschollenes Aquarell Der Zinsgroschen genannt.597 Tizians Zinsgroschen hat die zentrale Auseinandersetzung Christi mit den Pharisäern zum Gegenstand, somit von Mitgliedern einer religiös-politischen Partei, die für die wortgenaue Einhaltung der mosaischen Gesetze eintrat. Christus antwortet ihnen auf die Frage nach dem Zinsgroschen, also die dem Kaiser zu entrichtenden Steuern: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ Man kann Die Barrikade als Kommentar auf den Kapp-Putsch, der ja die Wiederherstellung der Monarchie zum Ziel hatte, und seine Niederschlagung lesen. Möglich ist aber auch hier eine kunstimmanente Deutung: Maldadadix gibt dem Bürger, was des Bürgers ist, nämlich „das liebe Bild des Publikums“ (Adolf Behne), und verwendete es damit zugleich als Waffe gegen diesen.598 Dix demonstrierte seinen pharisäischen „Zeitgenossen“ mit dem Gemälde zugleich, dass Dada die Elbstadt längst erobert hatte, nämlich mit dem Kapp-Putsch und seiner Niederkämpfung, und dass Dada lebte und Dada siegte, denn Dada war die Realgroteske des alltäglichen Lebens.
Prager Straße Dix bearbeitete das Thema Dekomposition, für das die Barrikade steht, erneut im Gemälde Prager Straße (Abb. 57), einem „Krüppel-Bild“, mit dem er die formale und moralische Dekonstruktion noch ein Stück weiter trieb: Auf dem Bild sind nur fragmentierte Körper zu sehen, abgesehen von dem Kind im Hintergrund. Im Zentrum sitzt ein blinder Bettler, dessen linker Arm und dessen Füße amputiert und durch eine simple Holzprothese bzw. durch Stöcke aus Holz ersetzt sind. Auf dem Trottoir vor ihm fährt ein weiterer Invalide ganz ähnlichen „Zuschnitts“ auf einem Rollwägelchen vorbei. Doch hat dieser sein Augenlicht nicht verloren und ist, wie seine Kleidung und sein Rollbrett zeigen, gutsituiert. Dennoch ignoriert er seinen darbenden Leidensgenossen, zeigt weder Mitleid noch Solidarität. Links schiebt sich der Kopf eines Dackelhundes ins Bild, rechts ist das Hinterteil eines solchen zu sehen. Von einem Passanten, dem Besitzer des linken Dackels, ist nur eine Kunsthand mit Spazierstock sichtbar; über dieser erscheint die rechte Hand des Bettlers, darüber die behandschuhte Hand eines weiteren Fußgängers, der das Bild gerade verlassen hat, jedoch im Vorbeigehen eine Briefmarkte in die Hand des Bettlers 597 Porstmann/Schmidt, Griebel. Verzeichnis seiner Werke, B40, S. 125. 598 Behne, Der Staatsanwalt schützt das Bild, S. 547.
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Abb. 57: Otto Dix, Prager Straße, 1920, Öl und Collage/Lwd., 101 × 81 cm, Löffler 1920/7, Kunstmuseum Stuttgart
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fallen lässt. Am rechten Bildrand verlässt eine Frau in rosa Rock und Schnürstiefelette soeben das Bildfeld, deren hohe Plateau-Sohle möglicherweise ein körperliches Gebrechen, ein zu kurzes Bein, ausgleicht. Das Gemälde dürfte im Juni 1920 entstanden sein, jedenfalls fordert das eincollagierte sozialdemokratische Flugblatt zur Wahl des damaligen Ministerpräsidenten Sachsens, Johann Wilhelm Buck, auf.599 Damit war auch ein aktuelles politisches, ja kunstpolitisches Thema angesprochen: Buck hatte nach der Novemberrevolution als Volksbeauftragter in der sächsischen Regierung das Kultus- und Unterrichtsministerium geführt, eine Position, wie sie auch Felixmüller für sich reklamierte (s. S. 106). Die Szene spielt sich vor zwei Schaufenstern ab, links ist es das eines Perückenmachers und zeigt Friseurbüsten, rechts das eines Bandagisten mit orthopädischen Hilfsmitteln und Apparaturen. Die Schaufenster präsentieren also die Mittel, die zur Optimierung und Verschönerung des modernen Menschen nötig sind; sie dienen der Herstellung der Illusion vom perfekten Körper. Und sie präsentieren diese nach dem im Schulhoff-Kreis propagierten Kompositionsprinzip der Addition. Betrachten wir das Gemälde Prager Straße unter allegorischen Prämissen, so gibt es sich als Atelierbild zu erkennen, nur dass Maldadadix sein Atelier auf die Straße verlegt hat. Dix setzte sich hier mit dem im selben Jahr entstandenen Gemälde Zeichenklasse an der Akademie (Abb. 58) von Richard Müller auseinander, das einen Einblick in Müllers Akademieklasse gibt. Höchst raffiniert führt der Maler unseren Blick raffiniert durch ein Repoussoir, einen Gegenstand im Vordergrund des Bildes zur Steigerung der Tiefenwirkung. Und er wählte dazu ein Menschenskelett, das an der Decke hängt. Es diente den Zeichenschülern als Übungsobjekt, ebenso wie der Gipsabguss der antiken Skulptur, der Torso einer nackten Frau ohne Kopf und Gliedmaße, der ebenfalls im Vordergrund von Richard Müllers Bild zu sehen ist. Das Atelier des Maldadadix ist die Straße, genauer: die modernste Einkaufsstraße Dresdens. Sie bot aktuelle und lebendige Torsi zum künstlerischen Training an: den kriegsversehrten Bettler, den beinlosen Passanten auf dem Rollbrett, die Frau mit der Plateau-Sohle, die Friseurbüsten sowie die Bein- und Armprothesen in den Schaufenstern. Hier taucht auch das Selbstporträt von Dix auf, und zwar als Fotocollage; als weitere Realien klebte Dix Haare und Fahrscheine ein. Maldadadix, von Hugo Zehder als kühner Indianerhäuptling aus Thüringens Wäldern bezeichnet, ist verschiedentlich in die Rolle des Indianers geschlüpft (s. S. 109). Auch im Gemälde Prager Straße taucht ein Indianer auf: Das kleine Mädchen im Hintergrund zeichnet einen Indianerkopf mit Kreide auf die Hauswand. Eine Deutung des Kindes als Personifikation des Dix’schen Dadaismus liegt nahe. Denn, wie Hugo Ball 599 Weitz, Kriegskrüppel, Kapp-Putsch und Kunstlump-Debatte, S. 98. Dix verwendete dasselbe Flugblatt noch ein zweites Mal, nämlich im Altar für Cavaliere (s. S. 165).
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Abb. 58: Richard Müller, Zeichenklasse in der Akademie, 1920, Öl/Lwd., 120 x 90,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Albertinum, Gal.Nr. 3141
ausführte: „Dada heißt im Rumänischen Ja, Ja, im Französischen Hotto- und Steckenpferd. Für Deutsche ist es ein Signum alberner Naivität und zeugungsfroher Verbundenheit mit dem Kinderwagen.“600 Dix’ Künstlerbild ist jedenfalls, ganz nietzscheanisch, am Kind orientiert; im Manifest des Illuministen formulierte er: „Auch viel Kind ist im Künstler, und lachendes Jasagen zu seinen eigenen Dingen, zu den furchtbarsten wie zu den lächerlichsten“ (s. S. 262). Künstlerische Erneuerung durch ein neues Kindwerden, den Wunsch äu600 Ball, Die Flucht aus der Zeit, S. 95.
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ßerte er George Grosz gegenüber noch 1931.601 Kreide als Zeichenmaterial, die Dix auch im Streichholzhändler (Abb. 60) verwendete, steht für das Ephemere, hier für das dadaistische Schaffen im Augenblick und die Vergänglichkeit des Werks, dort für die Kurzlebigkeit des gesprochenen Wortes. Die Dadaisten haben verschiedentlich mit Kreide gearbeitet: Auf der Matinee am 23. Januar in Paris, der ersten Veranstaltung der Pariser Dadaisten, soll Francis Picabia ein auf einer schwarzen Tafel gezeichnetes Bild gezeigt haben, „das auf der Szene wieder weggewischt wurde. Damit sollte gesagt sein, dieses Bild hat nur für zwei Stunden Bedeutung.“602 Mit Kreide hat Wieland Herzfelde möglicherweise auch Dix’ Bewegliches Figurenbild auf dem Ausstellungsfoto bemalt (s. Abb. 52, S. 176). Als extremer Vertreter des Akademismus, wegen seiner akribischen Zeichentechnik und seiner brutalen Lehrmethoden unter den Studierenden berüchtigt, war Richard Müller ein passendes Objekt dadaistischer Persiflage. Dix hatte nicht bei ihm studiert, aber der Umstand, dass Viola Schulhoff Müllers Zeichenklasse an der Akademie besuchte, mag für die Auseinandersetzung mit dessen Gemälde eine Rolle gespielt haben.603 Der bekennende Anti-Akademiker Dix entwickelte dazu in seinem Gemälde Prager Straße das dadaistische Gegenmodell: eine Malerei, die den Schutzraum der Akademie verlassen und sich der zeitgenössischen großstädtischen Realität zugewandt hat. Das Atelier des Dadaisten ist der öffentliche Raum, das Kind steht für den Primitivismus seiner Kunst, die Hauswand sein Malgrund, die Kreidezeichnung als ephemeres Medium seine Zeitkunst, die sich im Hier und Jetzt realisiert.
Verrat an der Kunstrevolution? Auch die Hängung der dritten Ausstellung stieß auf allgemeines Unverständnis: Die Gruppe 1919 gehe im weitläufigen Kreis „als Dresdner Gruppe“ unter, monierte etwa der Dresdner Anzeiger.604 Der Kritiker der Dresdner Nachrichten, Felix Zimmermann, unterstellte der Gruppe gar, sich nach dem Ausscheiden von Felixmüller und Böckstiegel nicht stark genug zu fühlen, eine große Schau ihres eigenen Schaffens zu bestreiten, ergo könne sie „keine Kunstgröße ersten Ranges“ sein.605 Dass es sich dabei um eine
601 George Grosz an Otto Schmalhausen, 23.08.1931, zit. nach Knust, Briefe, S. 126. 602 Tzara, Erinnerungen an Dada, S. 55. 603 Durus, Bilder von Viola Günther-Schulhoff, S. 117. 604 Richard Stiller, Ausstellung der Dresdner Sezession Gruppe 19, in: Dresdner Anzeiger, 23.10.1920. 605 Felix Zimmermann, Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, in: Dresdner Nachrichten, 31.10.1920, S. 4.
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spezifische Dresdner Sicht handelte, belegt die Reaktion des Berliner Kritiker Franz Servaes, der das Ausscheiden des „bisherige[n] Führer[s] Felix Müller“ als „vielleicht ein rechtes Glück“ bezeichnete: „Dieser zwar begabte Künstler ist doch vor allem ein geräuschvoller Raketenabbrenner, demgegenüber ein gewisses Maß von Vorsicht und Mißtrauen am Platze ist.“606 Die Exponate von Dix wurden nun als „politische Zynismen“ und „Gesinnungsausdruck“ wahrgenommen.607 Richard Stiller sah in ihnen schlimmsten Künstlernihilismus: Dix sei „sonderbar rückständig mit seinen Schauerstücken. Mit der auffallenden Armseligkeit seiner Kolportage- und Kinophantasie steht die zusammengesuchte Darstellungsweise in vollem Einklang. Eigenart ist weder in der Erfindung, noch in solchen Vergrößerungen verjährter kitschiger Buntdruckpostkarten in Verbindung mit aufgeklebten Vordergrundsteilen nach der Art des alten Panoramanaturalismus zu entdecken. Mit Kunst haben diese Handfertigkeitsleistungen nichts zu tun.“608 Empört zeigte sich auch die linke Presse: Marie Frommer von der sozialdemokratischen Volkszeitung protestierte energisch gegen die „tief unkünstlerische, spekulative Art“, in der Dix Krieg und Revolution ausschlachte: „Was hier als Niederschlag der größten Katastrophe, die die Weltgeschichte kennt, zusammengemalt, geklebt und gepappt ist, verrät ein unüberbietbares Maß an Zynismus. Marktschreierisch wird antimilitaristische Gesinnung bezeugt. […] Es ist zu bedauern, daß die ‚Gruppe 1919‘, der Dix angehörte, zu wenig innere Kraft besaß, um diese Arbeiten abzuweisen.“609 In den wichtigsten überregionalen Kunstzeitschriften Der Cicerone und Das Kunstblatt berichtete jetzt nicht mehr Carl Puetzfeld aus Dresden, sondern Paul Ferdinand Schmidt, der als wissenschaftlich ausgebildeter Kunsthistoriker und Direktor des Dresdner Stadtmuseums mit hoher Expertise und Autorität ausgestattet war. Er sah in der Stilpluralität der Ausstellung eine Qualität; dadurch gelinge es der Gruppe 1919, die wesentlichsten Elemente der aktuellen Kunstentwicklung vorzuführen, nämlich „abstrakten Expressionismus in Lasar Segall und Mitschke-Collande, lyrischen in Otto Lange und Heckrott, naturalistisch-dadaistischen in Otto Dix.“ Nur der reine Kubismus fehle, doch habe man vor, diesen im Frühjahr auszustellen.610 In beiden Organen stimmte Schmidt wahre Loblieder auf Dix an und hob dessen „sehr bemerkenswerten Naturalismus dadaistischer Richtung“ hervor: „Otto Dix mit grausamen Zeitbildern, die eine
606 Servaes, Ergebnisse des Expressionismus; Ernst Meunier, Ausstellung der Dresdner Sezession, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 21.10.1920. 607 Ausstellung der Dresdner Sezession Gruppe 1919, in: Dresdner Nachrichten, 31.10.1920; Ernst Meunier, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 28.10.1920. 608 Richard Stiller, in: Dresdner Anzeiger, 23.10.1920. 609 Marie Frommer, Die Sezession in der Galerie Arnold, in: Dresdner Volkszeitung, 22.11.1920. 610 Schmidt, Ausstellung der Dresdner Sezession, S. 826.
Der Radio=Dada Dix
sehr besondere und schlagkräftige Abart des Positivismus darstellen: ‚Barrikade‘, ‚Skatspieler‘, ‚Bettler‘, die alle Scheußlichkeiten von Blut, Elend, Prothesen-Existenz mit greller Unmittelbarkeit bis zu aufgeklebten Details in größte Sinnennähe rücken.“611 Für ihn war Dix die stärkste Erscheinung der Ausstellung. In beiden Periodika forderte er nun auch eine umfassendere Wahrnehmung des Künstlers und einen monografischen Artikel über den „rücksichtslosen und phantasievollen Dadaisten“ ein.612 Die Kritiker bezeichneten Dada als Naturalismus und verwendeten damit einen höchst negativ besetzten Stilbegriff, der Kunstströmungen des 19. Jahrhunderts bezeichnete, die eine exakte Nachahmung der Natur, quasi ohne künstlerische Gestaltung, angestrebt hatten. Dieses „Abmalen“ war von der modernen Kunst als seelen- und kunstlos kritisiert worden. Mit dem Naturalismusbegriff wurde der Kunst von Dix also implizit eine Kontinuität mit der Kunst des 19. Jahrhunderts unterstellt. Ein Münchner Kunsthändler sollte sich 1922 mit eben dieser Argumentation weigern, seine Bilder auszustellen: Sie seien reiner Naturalismus, rückständig, „Verrat an der Kunstrevolution seit 1910“.613
Der Radio=Dada Dix Otto Dix war in einen Wettbewerb mit den Berliner Dadaisten getreten mit dem Ziel: „Wir müssen die Berliner schlagen“.614 Eine Fotopostkarte vom 2. November 1920 an die Eltern in Gera (Abb. 59) dokumentiert das neue Selbstbewusstsein. Sie zeigt ihn in dadaistischer Selbstinszenierung als Da-Dandy mit Mantel, Hut und Spazierstock. Bei Letzterem könnte es sich um einen Malstock handeln, denn er ist so dünn, dass er sich verbiegt.615 Mit dem Missbrauch eines der wichtigsten Hilfsmittel der akademischen Malerei würde sich der Da-Dandy als Anti-Akademiker positionieren. Auf dem Foto steht in großen Buchstaben geschrieben: „Der Radio=Dada Dix dessen Monumentalgemälde ‚Barrikade‘ in Dresden großes Aufsehen erregte.“ „Radio“ ist bekanntlich die Abkürzung für Rundfundübertragungsgerät und steht damit für das neue Massenmedium der zwanziger Jahre. Die Eigenbezeichnung „Radio=Dada Dix“ könnte darauf verweisen, dass Dix sich als Medium sah, entsprechend seiner Aussage im Manifest des Illuministen: „[L]etzten Endes ist doch jeder echte Künstler Medium. Wessen? Seiner selbst!“ „Radio“ lässt sich aber auch als erste Person Sin611 Ebd. 612 Schmidt, Dresden (1920), S. 381. 613 Otto Dix an Hans Koch und Maria Lindner, 17.03.1922, in: Dix, Dix Briefe, S. 62. 614 Griebel, Mann der Straße, S. 107. 615 Ich danke Heidrun Rosenberg, Wien, für diese Beobachtung.
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Abb. 59: Der Radio=Dada Dix, Postkarte von Otto Dix an seine Eltern, 2. November 1920, 135 × 86 mm, Kunstsammlung Gera, Otto-Dix-Archiv
Der Radio=Dada Dix
gular Präsens des lateinischen Verbs radiare lesen, übersetzt „ich strahle, glänze“. Zwar konnte Dix kein Latein, doch hatten viele seiner Freunde eine humanistische Bildung genossen; jedenfalls waren an der Dada-Universität Dresden lateinische Bezeichnungen geläufig. Die Wortkombination „Radio=Dada Dix“ ließe sich damit folgendermaßen entschlüsseln: Dix sendet Dada aus Dresden in die Welt, eine Aussage, die angesichts seiner Teilnahme an der Internationalen Dada-Messe ihre Berechtigung hätte. Mit dieser neuen Selbstinszenierung setzte er sich von der wild-romantischen Stilisierung als Künstlerboheme mit rotem Hemd und ölfarbenbeschmiertem Soldatenrock ab.616 Der Dandy galt seit seinem ersten Auftreten im 18. Jahrhundert als Gegenentwurf zur bürgerlichen Kultur, denn er strebt absolute Unabhängigkeit und die Verwirklichung seiner Individualität und Originalität an. Er steht zudem für die vollkommene Affektbeherrschung, ist unnahbar, gibt nichts von seiner Innerlichkeit preis, wirbt nie um die Sympathien seiner Mitmenschen, vielmehr erweckt er Erstaunen, Verblüffung, Irritation. In der Figur des Da-Dandy fand daher der Anti-Expressionismus seine Personifikation.617 Da eine Dandy-Ausstattung teuer ist – es braucht dazu Anzug, Hut und Mantel –, ließ sich Dix mit Kleidung bezahlen. Als Gegenleistung für die Kriegskrüppel, die der Dresdner Textilkaufmann Johannes Mühlberg, Inhaber des Mode- und Sport-Warenhauses Hermann Mühlberg der Städtischen Galerie schenkte, durfte er sich in dessen Kleidergeschäft in der Dresdner Altstadt einkleiden.618 Einen „Kött“ (Frack) erhielt er von „Rubin, Import Export“, vermutlich dem Kaufmann Victor Rubin, einem der Unterstützer der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“.619 Alles in allem war seine Dandy-Ausstattung ein „Konglomerat von abgelegten Kleidungsstücken kunstpflegender Bürger oder hilfsbereiter Freunde und ein paar selbsterstandenen Einzelobjekten, die ein Bedürfnis nach extravaganter Eleganz erkennen lassen.“620
616 Griebel, Mann der Straße, S. 76. 617 Grundmann, Einleitung. 618 Löffler, Begegnungen und Erinnerungen, S. 9; Inhaber war nicht mehr Hermann Mühlberg, wie Löffler angab, sondern sein Sohn Johannes; Löffler meinte diesen, wie sein Hinweis auf den Konsultitel belegt, den dieser trug. Hermann Mühlberg war 1912 verstorben. 619 Fischer, Ein Malerleben, S. 38–39; s. Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, S. 924–925, EDV 31.1.19, Herr Rubin und Mutzli, 1922, und EDV 13.1.21, Mutzli ist erschüttert über Jimmys neuen Kött, 1922. 620 Fischer, Der Dadaist (Otto Dix), s. Anhang, S. 264–270.
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Die Krise des politischen Dadaismus 1920 erklärten einige der Berliner Dadaisten Dada für tot. Vorausgegangen waren mehrere Vorfälle, welche die linke Kunstszene grundsätzlich erschütterten, nämlich der Kapp-Putsch und die auf ihn folgende Kunstlump-Debatte. Als während des Kapp-Putsches im März 1920 bei Schießereien unweit der Dresdner Gemäldegalerie ein Querschläger Rubens’ Gemälde Bathseba im Bade beschädigte, verfasste Oskar Kokoschka, Ehrenmitglied der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, einen Aufruf, solche mit „Schießprügeln“ ausgetragenen politischen Auseinandersetzungen vor der Stadt, auf den Schießplätzen der Heide abzuhalten, wo menschliche Kultur nicht in Gefahr komme, und unterschrieb diesen als „Professor an der Akademie der bildenden Künste in Dresden“.621 Kokoschkas Aufruf, den zahlreiche überregionale Zeitungen abgedruckten, wurde zum Anlass einer heftigen und ausgedehnten Debatte um den Kulturanspruch und die Aneignung des künstlerischen Erbes sowie die Berechtigung und Funktion von „Salonkunst“.622 Grosz und Heartfield distanzierten sich in ihrem Artikel Der Kunstlump scharf von der angeblich „bourgeoisen“ Kunstauffassung Kokoschkas und begrüßten „mit Freude, daß die Kugeln in Galerien und Paläste, in die Meisterbilder der Rubens sausen statt in die Häuser der Armen in den Armenvierteln!“623 Dix kommentiert den Vorgang, indem er einen Ausriss aus Oskar Kokoschkas Offenem Brief an die Einwohnerschaft Dresdens in den Rinnstein legt und einen Dackel darauf urinieren lässt (Abb. 60). Doch Kokoschka, dem damit unterstellt wurde, unpolitisch zu sein, reagierte nicht nur auf die eine verirrte Kugel, sondern auf eine politische Situation, in der er die Kunstbestände der Museen gefährdet sah. In der wirtschaftlich prekären Lage nach dem Ersten Weltkrieg waren von linkspolitischer Seite Forderungen nach Auflösung der Kunstmuseen erhoben worden, diskutiert wurde auch der Verkauf von Kunstwerken zur Unterstützung hungernder Künstler bzw. der notleidenden Bevölkerung. Eine weitere Gefahr für die Museumsbestände bildeten die Reparationsforderungen der Siegerstaaten des Ersten Weltkrieges, von denen auch Hauptwerke der Dresdner Galerie betroffen waren. Kokoschka waren diese Forderungen präsent, denn er wohnte zu diesem Zeitpunkt als Untermieter in der Wohnung des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse, mit dem er sich befreundet hatte.624 In Kokoschkas Heimat621 Kokoschka/Spielmann, Oskar Kokoschka. Briefe II, S. 12. 622 Der offene Brief Kokoschkas und die sich anschließenden Auseinandersetzungen sind dokumentiert in: Fähnders/Rector, Literatur im Klassenkampf, S. 47–65. 623 Grosz/Heartfield, Der Kunstlump, S. 86; Weitz, Kriegskrüppel, Kapp-Putsch und Kunstlump-Debatte. 624 Hierzu und zum Folgenden: Schwarz, Rittmeister und Excellenz.
Die Krise des politischen Dadaismus
Abb. 60: Otto Dix, Streichholzhändler, 1920, Öl, Collage, Papier/Lwd., 144 × 166 cm, Löffler 1920/9, Staatsgalerie Stuttgart, Detail
stadt Wien hatte eine italienische Abordnung mit Militärbegleitung im Februar 1919 61 Gemälde aus dem Kunsthistorischen Museum und 88 aus der Galerie der Akademie einfach abtransportiert, ein Vorgang ohne rechtliche Grundlage. Zudem hatte die neue österreichische Regierung im Oktober 1919 ein Gesetz erlassen, mit dem sie sich zu Verpfändung, Verkauf und Ausfuhr von Kunst- und Kulturgut ermächtigte und das von den mit Kokoschka befreundeten Kunsthistorikern Hans Tietze und Max Dvořák vehement bekämpft wurde. Zudem blieb es nicht bei einer publizistischen Debatte. Kokoschka erhielt anonyme Drohbriefe mit Todesdrohungen und nahm diese so ernst, dass er sich ein halbes Jahr nach Wien zurückzog.
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Aufgrund der Skandale, welche die öffentlichen Auftritte der Dadaisten auslösten, und die negative Presseberichterstattung darüber wurde auch Dada als nihilistische, kunst- und wertevernichtende Bewegung wahrgenommen. In Reaktion auf die Dresdner Dada-Soiree stellte Karl Heinz Strobl in den Dresdner Neuesten Nachrichten den Dadaismus ganz fundamental als politische und gesellschaftliche Gefahr dar: „Der Dadaismus […] greift an, er schlägt zu, er legt Feuer an die Häuser und streut Gift in die Brunnen. Es ist kein harmloser, sondern ein gefährlicher Irrsinn, um so gefährlicher, als der Irrsinn aus Geschäftsgründen gespielt ist. Der Dadaismus und sein Erfolg gehören mit zu den Dingen, die den Glauben an die deutsche Zukunft erschüttern können. Wie ein Aussatz frißt er an dem fiebernden Volkskörper, als ein Krebsgeschwür vernichtet er edelste Teile.“625 Die Dada-Tournee führte weiter nach Prag, wo es ebenfalls zu einem Skandal kam, der wohl die Schulhoff-Eltern erreichte. Im Sommer 1920 kam es zum Bruch zwischen Schulhoff und seinen Eltern, die sein Engagement für die Moderne, wie er an Alban Berg schrieb, als „Propaganda für den Bolschewismus“ bewerteten.626 Nun, Schulhoff selbst hat seine politische Gesinnung 1921 als „potenzierte Linksianergesinnung“ beschrieben.627 Nachdem ihm die väterliche Apanage gestrichen worden war, musste er für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen und trat zum 15. Oktober 1920 eine Stelle als Leiter der Klavieroberklassen am Konservatorium bei Eduard Bornschein in Saarbrücken an, einem Vorgängerinstitut der heutigen Hochschule für Musik. Verbittert bezeichnete er Saarbrücken als „Abort von Deutschland“, dessen „Menschenmaterial“ „die Scheisse in diesem war.“628 Mit Schulhoffs Wegzug aus Dresden verlor die Dresdner Filiale des Club Dada ihren „Präsidenten“ und einen wichtigen Veranstaltungsort, das Schulhoff-Atelier. Der Druck auf die Dadaisten nahm allgemein zu, die verachtete deutsche Republik schlug zurück. Eine scharfe Reaktion erfolgte auf die Ausstellung der Novembergruppe in der Berliner Ausstellung hin. Da diese vom Ministerium veranstaltet wurde, hagelte es harsche Kritik an Minister Konrad Haenisch. Ein furioser Artikel in der Weltbühne macht die Heftigkeit der bürgerlichen Gegenwehr deutlich, die Dada in dem Moment entgegenschlug, als die Bewegung den Rahmen von Privatgalerien verließ: „So läßt sich denn heute mancher treffliche Volkstribun […] verleiten, Geschriebenes, Gepinseltes, Geknetetes, Geklebtes und Gebasteltes, weil es gar so traditionswidrig, gar so umstürzlerisch und verwegen und toll ausschaut, für Vorboten des neuen Völkerfrühlings zu 625 Zit. nach Goergen, Oberstdada Colonel Schulhoff, S. 10. 626 Widmaier, Kakophonien, S. 81–82. 627 Erwin Schulhoff an Alban Berg, 15.08.1921, Österreichische Nationalbibliothek, MUS, Misc.127/15. 628 Schulhoff, Tagebuch, Eintrag vom 04.07.1921.
Die Krise des politischen Dadaismus
halten, zumal dann, wenn die Urheber solcher Sachen gleichzeitig selbst, weils modern ist, ein bißchen in politischem Revoluzzertum machen. Diesen wohlmeinenden, aber kunstblinden Volksführern muß darum immer wieder und so laut wie möglich zugerufen werden: Ihr irrt! Ihr irrt heillos! Dies ist kein Anfang, sondern ein Ende …“629 Auch die KPD positionierte sich nun deutlich gegen Dada. Die Feuilletonredakteurin der Roten Fahne, Gertrud Alexander, distanzierte sich am 9. Juni 1920 von Grosz’ Kunstlump-Artikel und erklärte die Bewahrung der bürgerlichen Kunsttradition zu einem starken und vorwärtstreibenden Element im politischen Kampf des Proletariats; Dada hingegen sprach sie jegliche revolutionäre Funktion ab.630 Felixmüller, der sich ja bereits längst von „Dadaisten, Kubisten, abstrakten Expressionisten, wie sie in der Dresdner Secession zusammengewürfelt“ seien, abgewandt hatte, sah sich erneut zu einer öffentlichen Distanzierung von Dada veranlasst. Am 12. Juni 1920 erschien in der Aktion sein autobiografischer Beitrag Der Prolet (Pönnecke), in der er Dada als Bluff und Klamauk bezeichnete, als „die letzten Zuckungen einer bourgeoisen Kunst“, und seine eigene Entwicklung zu einem politisch aktiven Künstler, einem Kämpfer der sozialen Revolution, davon absetzte.631 Am 25. Juli 1920 wandte sich der Zorn Gertrud Alexanders gegen die Internationale Dada-Messe: „Indem er [Dada, d. V.] all solchen Allotria an Wänden und im Raum verteilt, glaubt er, ‚die bürgerliche Gesellschaft zu zerschmettern‘, der ‚bürgerlichen Kunst auf den Leib zu rücken‘. Bilden sich diese Herrschaften wirklich ein, der Bourgeoisie damit etwas anzuhaben? Die Bourgeoisie lacht darüber. […] Wer aber selber nichts kann als blöden Kitsch kleben wie Dada, soll die Hände lassen von der Kunst.“632 Raoul Hausmann reagierte mit einer bitterbösen Satire, dem auf den 7. August 1920 datierten Manifest Puffke propagiert Proletkult, das er am 15. Dezember 1920 in der Berliner Sezession vortrug: „Die von der Roten Fahne möchten auch mal so im Lehnstühlchen sitzen, im Großvaterstuhl, im schönen Schlafrock mit gestickten Pantoffeln und der langen Pfeife – und möchten noch so’n bißchen Mittelalter oder Renaissancekunst genießen! Wie wird erst der deutsche Bergarbeiter Kohle fördern, wenn er so weit ist, daß er’s nicht mehr erwarten kann, abends noch Lübbke-Semraus Kunstgeschichte zu lesen, oder Grünewalds, Dürers, Altdorfers und anderer Meister Handzeichnungen zu vergleichen!“633 629 630 631 632 633
Koester, Berliner Kunstskandal; Kratz-Kessemeier, Kunst für die Republik, S. 154. Alexander, Herrn John Heartfield und Georg Grosz. Felixmüller, Der Prolet (Pönnecke). Alexander, Dada; s. auch McCloskey, George Grosz, S. 80ff. Bei drei Blättern des Manuskripts im Archiv der Berlinischen Galerie – Museum für Moderne Kunst, Nachlass Hanna Höch, BG-HHC H 1486/79, befindet sich auf der Rückseite der Programmzettel: Heiterer Abend (mit Elisabeth Klockmann und Raoul Hausmann). Berlin: Berliner Secession, 15.12.1920, s. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/HQUSYADGIHASEHHNLLHYODMVSF7D2A66 (abgerufen am 06.07.2022).
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Raoul Hausmann, George Grosz, Rudolf Schlichter und John Heartfield verfassten das Manifest Die Gesetze der Malerei, mit dem sie „den historischen Materialismus in die Malerei“ einzuführen vorgaben. Es handelt sich offensichtlich um den Versuch, eine der KPD genehme neue Malerei, mit Pinsel, auf Leinwand, von der Machart her konventionell und mit Traditionsbindung, kurz: „historisch-materialistisch“ zu kreieren. Die Malerei, wie man sie anstrebte, sei im Mittelalter erfunden worden, habe ihr Ende in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts gefunden und dann erst bei Ingres wieder eingesetzt. Ihre Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert habe sie durch Carlo Carrà und Giorgio de Chirico gefunden. Im Anschluss wurden Regeln zu deren Konstruktion festgelegt, die auf Stereometrie und Perspektive mittels Zeichnung beruhe. Die Farben seien dazu da, „das Feste zu geben; man verwendet sie nicht, um einen Rausch darzustellen.“ So gelange man zu einer klaren und bestimmten materialistischen Malerei, die kollektiv und universalistisch sei.634 In der Zeitschrift Das Kunstblatt veröffentlichte Grosz 1921 einen erklärenden Text Zu meinen neuen Bildern, sozusagen eine nachgeschobene Gebrauchsanleitung, um die Interpretation abzusichern. Er versuche, „ein absolut realistisches Weltbild“ zu geben, und strebe einen „klaren, einfachen Stil“ an, um jedem Menschen verständlich zu sein. Er wolle den Menschen als kollektivistischen, fast mechanischen Begriff darzustellen. Die gestalterische Leitlinie sei die Sachlichkeit und Klarheit der Ingenieurzeichnung.635 Die Berliner Dadaisten reagierten in ihrer Eigenschaft als Kautschukmänner elastisch und erklärten Dada für tot. Gemeint war dabei das Mouvement Dada, insbesondere Dada als politische Bewegung. Als Kunstbewegung lebte Dada jedoch weiter: „DADA war tot, ohne Ruhm noch Staatsbegräbnis“, erklärte Raoul Hausmann. „Ich erklärte mich zum Anti-DADA und PREsentisten und nahm den Kampf, gemeinsam mit Schwitters, auf einer anderen Ebene wieder auf.“636
Collage-Gemälde Eine klare und materialistische Malerei mittels Stereometrie und Perspektive erarbeitete sich Dix zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem mit seinen Collage-Gemälden. Abschied von Hamburg (Abb. 61) zeigt das Brustbild eines Matrosen in der Art einer Porträtbüste, die sich über einem Emblem aus Erdkugel und sechs Nationalflaggen erhebt. Nach der Aufschrift auf der Tellermütze zu schließen gehört der Matrose zur Crew 634 Höch, Lebenscollage, Kat.-Nr. 13.50, S. 696–698 und S. 634; März, Republikanische Automaten. 635 Grosz, Zu meinen neuen Bildern. 636 Hausmann, Dada empört sich, regt sich und stirbt in Berlin.
Collage-Gemälde
der Hamburg, vermutlich des ausfahrenden Dampfschiffes, das im Hintergrund in See sticht. Dix entwickelte hier nicht nur das Thema, sondern auch die Bilderfindung des Gemäldes Matrose Fritz Müller aus Pieschen (Abb. 50) weiter in Richtung einer Verfestigung der Bildelemente und einer Geometrisierung der Komposition. Die Sprengung der Bildeinheit „zugunsten eines Nebeneinander und Nacheinander“, auf die Fritz Löffler in Zusammenhang mit dem älteren Gemälde hinwies und die Hanne Bergius als Rückwirkung des Prinzips der Montage in die Ölmalerei bestimmte,637 hat sich verstärkt. War dort das Matrosenporträt in die Wellen der Weltmeere „eingewoben“, die ganze Komposition durch die Aufhängung an der Spitze instabil, so sitzt die Bildbüste nun auf einer Art „Sockel“, der aus einem rechteckigen Bildfeld besteht, monochrom in Brauntönen ausgeführt, die an „eine in den Rahmen gesteckte Fotografie“ (Thomas Bauer-Friedrich) erinnert.638 Bildkombinationen wie diese sind typisch für Oblaten- bzw. Poesiealben und Buntdruckpostkarten, d.h., sie sind volkstümlich und jedem Betrachter vertraut, auch oder insbesondere dem proletarischen.639 Raoul Hausmann betonte dies in seinem Vorwort des Katalogs zur Ausstellung der Novembergruppe auf der Großen Berliner Kunstausstellung: „In den alltäglichen Formen der Postkarte und Dilettantenmalerei lässt der Maler hier satirisch unsere Zeit sich durch sich selbst ausdrücken – so seid ihr, sagt er uns, so banal, so kitschig und dabei doch so romantisch.“640 Die Kunstgeschichte kennt das Motiv der in den Rahmen gesteckten Schriftstücke bzw. Zeichnungen aus sogenannten Augentäuscher-Stillleben. Auch die Seesterne und Muscheln, die im älteren Gemälde als Realien auf den Rahmen appliziert waren,641 sind gemalt als Sandstrand-Stillleben mit angeschwemmten Muscheln, Krabben, Seesternen und Seeigel/Seespinne ins Bildfeld gerückt. Die von Erwin Schulhoff in seinem kunsttheoretischem Text Revolution und Musik (Anhang, S. 256–259) angeführten Kompositionsprinzipien Rhythmus und Addition haben das Bild geordnet. Addition aber ist Simultanität ohne Chaos und Anarchie, ist Simultanität als Ordnungsprinzip. Auch die Kunst, von Schulhoff als „Ausdruck gesteigerter menschlicher Sehnsucht“ bestimmt, hat sich „realisiert“. Aus den Sehnsuchtsmotiven Fritz Müllers aus Pieschen, den imaginierten exotischen Liebesabenteuern unter Palmen, ist eine Petting-Szene in Gründerzeitinterieur geworden. Die damit verbunde-
637 Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 5. Aufl. 1983, S. 25–26; Bergius, Montage und Metamechanik, S. 63. 638 Bauer-Friedrich, Wer Augen hat zum Sehen, S. 15. 639 Zu den Vorläufern der Collagen s. Kat. Edinburgh 2019, hier insb. Gowrley, Collage before Modernism. 640 Hausmann, Führer durch die Abteilung der Novembergruppe. 641 Iazurlo, Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen, S. 276.
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Abb. 61: Otto Dix, Abschied von Hamburg, 1921, Öl/Lwd., 85 × 58,9 cm, Löffler 1921/1, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, GUN-M-0080
Die Grobeka 1921
ne Verharmlosung des Sexuellen steht jedoch mit der ins Auge springenden Symbolik des phallischen Leuchtturms und der vaginaähnlichen Muscheln in Zusammenhang.642 Sinnbild und Realismus ergänzen sich polar.
Die Grobeka 1921 An der Großen Berliner Kunstausstellung (Grobeka) 1921 nahm Dix, wie im Jahr zuvor, in der Abteilung der Novembergruppe teil. Eingereicht hatte er die Gemälde Alma (Abb. 62), Sulaika, (Abb. 63) und Der Salon I (Abb. 64). Wegen des vorjährigen Skandals (s. S. 167ff.) drohte das Ministerium, die Abteilung der Novembergruppe nicht eröffnen zu lassen, wenn die Exponate den Anschauungen der Behörden über Kunst erneut nicht entsprächen. Daraufhin nahm die Ausstellungsleitung der Novembergruppe aus dem Konvolut Sulaika heraus, wohl weil man wegen der herausfordernden Nacktheit Sulaikas den Vorwurf der Unsittlichkeit fürchtete.643 Vermutlich bat Raoul Hausmann Dix brieflich um Ersatz. Jedenfalls erhielt er am 25. April 1921 von Dix eine ablehnende Antwort mit einem Ultimatum: „Falls die Bilder nicht alle drei ausgestellt werden bitte ich um sofortige Rücksendung.“644 Ausgestellt wurden dann jedoch nur Sulaika und Alma, wie der von Hausmann verfasste Führer durch die Novembergruppe und mehrere Ausstellungsbesprechungen belegen.645 Die sogenannte Opposition der Novembergruppe veröffentlichte am 20. April 1921 in der Zeitschrift Der Gegner ein Protestschreiben, das auch Dix unterzeichnete.646 Darin heißt es, „dass ein gewisser Teil der Mitglieder nicht Künstler im Sinne der bürgerlichen Kulturvorstellung sein wollte, weil sie nicht in der Aufstellung einer angeblich revolutionären Aesthetik den Weg zur Befreiung ihres Menschlichen erblickten“. Gefordert wurden eine neue Gegenständlichkeit und die Überwindung der Individualität. Das Gemälde Sulaika, das tätowierte Wunder (Abb. 63) führt diese Prinzipien paradigmatisch vor: Der Körper Sulaikas ist vollständig von Hautbildern übersäht. Bei der Tätowierkunst handelt es sich um eine unpersönliche Gemeinschaftskunst, denn Tätowierer arbeiten in aller Regel nach Musterbuch oder Musterkartons und übertragen die Motive
642 Söll, Neue Männlichkeit, S. 50. 643 Große Berliner Kunstausstellung 1921, Kat.-Nr. 1051: Alma und Kat.-Nr. 1052: Der Salon; hierzu und zum Folgenden s. Burmeister, Unvereinbar radikal, S. 86–89. 644 Otto Dix an Raoul Hausmann, 25.04.1921, Berlinische Galerie, Archiv, Nachlass HannahHöch, Novembergruppe, Inv.-Nr. BG-HHC K 4100/79; nicht in Dix, Briefe. 645 Hausmann, Führer durch die Abteilung der Novembergruppe. 646 Dix u.a., Offener Brief an die Novembergruppe.
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Abb. 62: Otto Dix, Alma, 1921, Öl/Lwd., Maße unbekannt, Löffler 1921/4, verbrannt
per Schablone, Punktierung, Pauspapier auf die Haut; auch die Bedeutung der Hautbilder als Glücks- und Schutzsymbole war festgelegt. Tattoos waren vornehmlich unter Matrosen verbreitet, weshalb sich das Zentrum der Tätowierkunst im Hamburger Stadtteil St. Pauli befand; der dort ansässige langjährige Seefahrer Christian Warlich war Deutschlands bedeutendster Tätowierer. Entsprechend
Die Grobeka 1921
Abb. 63: Otto Dix, Sulaika, das tätowierte Wunder, 1920, Öl/Lwd., 162 × 100 cm, Löffler 1920/4, Privatbesitz
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prangt im Gemälde Abschied von Hamburg (Abb. 61) auf der Brust des Matrosen ein Adler-Tattoo, dessen gepunktete Linien klar zeigen, dass es von einer Vorlage durchgestochen und so auf die Haut übertragen wurde. Letztlich sind alle Motive des Gemäldes – das abfahrende Schiff, der Adler mit den Flaggen über der Weltkugel, die Matrosenbüste – standardisierte Motive aus der Tätowierkunst.647 In Sulaika, das tätowierte Wunder signierte Dix sein Werk als Tätowierer, d.h. dass er sein Schaffen mit der Tätowierkunst in Verbindung brachte. Dix verweist damit erneut auf die symbolische Ebene seiner als realistisch geltenden Malerei. Denn die tätowierte oder geschminkte Haut als gestaltete Oberfläche, auf der eine Illusion zustande kommt, gilt von Alters her als Sinnbild der Malerei.648 Und mit dem gestochenen Hautbild brachte Dix zum Ausdruck, dass seine Dada-Malerei unter die Haut gehen solle. Dix reagierte auf den gruppeninternen Rückzieher in einem Brief an Raoul Hausmann vom 7. Mai 1921 äußerst erbost: „Lieber Raoul, sage der Nov. Gr. [Novembergruppe, d. V.] sie seien elende Spießer und ich zolle diesen Leuten meine vollste Verachtung das Bild ist nicht unsittlich wohl aber die Gehirne dieser Pfahlbürger die sich obendrein erlauben die Schnauze verächtlich zu rümpfen über alles was aus der Provinz kommt In der Dresdner Sezession die sicher sehr reaktionär ist hätte ich das Bild ohne weiteres ausstellen können. Es ist eine Schweinerei grade das beste Bild raus zu nehmen. Zeige das Bild vielen Leuten und betone auch dabei daß es die Nov. gruppe nicht ausstellen kann […] Deiner neuen Gruppe trete ich sofort schon im Voraus bei Ich hab die Schnauze voll von diesem l art pour l art-Gesindel allerwärts“.649 Die Feuilletonchefin der Roten Fahne Gertrud Alexander protestierte in ihrer Besprechung am 15. Juli 1921 dagegen, dass sich „ein Geist wie Hausmann“, der zu einem tieferen Begreifen der Interessen und Möglichkeiten proletarischer Kunst gar nicht fähig sei, zum Anwalt der Arbeiter-Kunst-Interessen mache. Immerhin setzte sie Dix, den sie irrtümlicherweise „Karl“ nannte, von den angeblich eskapistischen Kunsttendenzen des Dadaismus ab: „Weiter von Karl Dix-Dresden […] zwei Dirnen ‚Alma‘ und ‚Sulaika‘ in der abstoßenden Schamlosigkeit und der brutalen Gemeinheit ihrer Umgebung, in der Menschenunwürdigkeit ihrer Situation eine furchtbare Anklage für die Gesellschaft, in der solche Bilder Wahrheit sind. Sittenbilder von noch nie dagewesener Rohheit, beschämend und drohend.“650 Dix stellte den zurückgewiesenen Salon I (Abb. 64) wenig später auf der Juryfreien aus. Auch dort kam es zu heftigen Attacken durch die Kritik. Der Kunstkritiker Albert 647 Spamer, Die Tätowierung. 648 Bohde/Fend, Weder Haut noch Fleisch. 649 Otto Dix an Raoul Hausmann [Mai 1921], Berlinische Galerie, Archiv, Nachlass Hannah Höch, Inv.-Nr. GH-HHC K 4100/79. 650 Gertrud Alexander, Ausstellungskunst (Fortsetzung), in: Die rote Fahne, 15.07.1921.
Die Grobeka 1921
Abb. 64: Otto Dix, Der Salon I, 1921, Öl/Lwd., 86 × 120,5 cm, Löffler 1921/17, Kunstmuseum Stuttgart
Dresdner glaubte vor dem „purement et simplement obszönen“ Salon, „ein gewisses perverses Vergnügen am Scheußlichen herauszufühlen.“651 Von Arno Nadel erhielt er jedoch höchstes Lob: „Dix sollte ohne viele Gedanken – malen, da wird er einer der bedeutendsten Künstler in naher Zukunft.“652 Und von Anzeigen blieb er verschont.
651 Albert Dresdner, Berliner Kunstleben, in: Deutsche Rundschau, 190, S. 303. 652 Arno Nadel, Die Juryfreie, in: Der Kritiker, Jg. 3, 1921, H. 22, S. 3.
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Erste Erfolge im Rheinland Die Rekonstruktion von Dix’ Verbindung ins Rheinland erschöpfte sich bisher im Anekdotischen, eine Folge des Paradigmas vom „späten Start“ und der Marginalisierung Dadas. Olaf Peters fasste den Forschungsstand folgendermaßen zusammen: Frau Ey habe „den jungen, weithin unbekannten Künstler angeschrieben und um die Überlassung von Graphiken gebeten.“653 Im Mittelpunkt des Interesses stand daher die Frage, wer den angeblich Unbekannten denn nach Düsseldorf vermittelt haben könne.654 Felixmüller war sicherlich der Erste, der sich darum bemüht hat, allerdings mit wenig Erfolg (s. S. 147). Die Ehre, Dix für Düsseldorf künstlerisch „entdeckt“ zu haben, dürfte dem Maler und Schriftsteller Gert Heinrich Wollheim gebühren, der mit Otto Pankok Ausstellungen in der Galerie Neue Kunst Frau Ey auf dem Hindenburgwall 11 organisierte. Wollheim gab 1971 in einem Interview an, durch Theodor Däublers Artikel im Aprilheft 1920 des Kunstblattes mit den Holzschnitten Drei Katzen und Nächtliche Szene auf Dix aufmerksam geworden zu sein: „Da hab ich zu Pankok gesagt: ‚Hör mal zu, das ist einer von uns.‘ Weil ich fühlte, der steht auf meinem Standpunkt. […] Ich hab ihm einfach geschrieben nach Dresden. […] ‚Sehr geehrter Herr Dix […] ich wäre sehr glücklich, wenn sie sich unserer Neugründung hier im Ey mit ihrer Kunst und auch sonst nähern könnten und sollten.‘“655 Dix war eben kein weithin Unbekannter mehr, als er am 14. Juli 1920 erste Druckgrafiken an die Galerie Neue Kunst Frau Ey nach Düsseldorf sandte. Theodor Däubler hatte ihn im Kunstblatt einem breiten Publikum vorgestellt, zudem machten seine Dada-Gemälden sowohl auf der Kunstausstellung Berlin 1920 als auch auf der Ersten Internationalen Dada-Messe Furore. Da auf der Dada-Messe auch die Kölner Dadaisten Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld ausstellten und Wollheim familiäre Bindungen nach Berlin hatte, dürfen wir voraussetzen, dass der Künstlerkreis um die Galerie Neue Kunst Frau Ey über die Kunstszene in der Reichshauptstadt auf dem Laufenden war. 653 Peters, Dix, S. 63. 654 Zur Diskussion s. Walter-Ris, Die Geschichte der Galerie Nierendorf, S. 81–83. 655 Gert Wollheim im Interview mit Jutta Ostenhof 1971, zit. nach Kat. Düsseldorf 1993, S. 208.
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Die zehn Radierungen, die Dix nach Düsseldorf sandte, setzten Dada-Gemälde grafisch um, darunter Die Kriegskrüppel und Fleischerladen, die gleichzeitig auf der Dada-Messe zu sehen waren.656 Die Kehrtwende in der Bewertung von Otto Dix, die Hans Koch 1920 vollzog, ist also nicht unerklärlich, sondern symptomatisch; vorangegangen war Anfang 1920 die erste Dada-Ausstellung in Düsseldorf in seinem Graphischen Kabinett mit Werken von Hans Arp, Johannes Theodor Baargeld, Max Ernst, Heinrich Hoerle usw. Die Nachricht über Dix’ kometenhaften Aufstieg im ersten Halbjahr in Berlin kann Koch also über verschiedenen Quellen erreicht haben. Doch soll hier auf eine besonders hingewiesen werden, nämlich I. B. Neumann, der im Juni 1920 Kochs Graphisches Kabinett übernahm; Neumanns Berliner Niederlassung war ein Hotspot des Berliner Dadaismus; hier hatte Richard Huelsenbeck am 22. Januar 1918 seine erste Dada-Rede in Deutschland gehalten, hier hatte die „soirée spectaculeuse“ vom 30. April 1919 (s. S. 87) und anschließend die erste Dada-Ausstellung in Berlin stattgefunden.657
Der Dix-Artikel im Ey „Mutter Ey“, wie Johanna Ey wegen der Bemutterung „ihrer“ Künstler genannt wurde, verkaufte auffällig gut. Möglicherweise war einer ihrer Abnehmer Karl Nierendorf, der Ostern 1920 eine Galerie in Köln eröffnet hatte; Nierendorf soll jedenfalls von Beginn an Werke von Dix in seinem Fundus geführt haben.658 Johanna Ey forderte jedenfalls schon bald Nachschub an. Dix wies daraufhin das Graphische Kabinett von Bergh an, die dort befindlichen Blätter an die Galerie Neue Kunst Frau Ey zu senden, und lieferte am 14. August 1920 noch einmal zwölf Handzeichnungen und fünf Holzschnitte nach.659 Die Begeisterung für Dix war so groß, dass man ihn im hauseigenen Kunst-Heft Das Ey mit einem Artikel und einem Originalholzschnitt vorzustellen plante. Daraufhin bot Dix Felixmüllers Artikel vom Januar/Februar 1920 als „einen sehr treffenden bisher noch nicht veröffentlichten Aufsatz über mein Schaffen“ an. Gleichzeitig beharrte er auf einer Propagierung als Maler und schlug Gemäldereproduktionen vor: „Falls sie Bildreproduktionen machen, wäre mir Bild lieber und würde Ihnen gute Fotos senden, da ich eigentlich mehr Maler als Grafiker bin.“660 656 Otto Dix an Johanna Ey, 14.07.1920, s. Dix, Briefe, S. 773. 657 Huelsenbeck, Erste Dadarede in Deutschland; zur ersten Dada-Ausstellung s. Bergius, Das Lachen Dadas, S. 338–339. 658 Walter-Ris, Die Geschichte der Galerie Nierendorf, S. 80–83, hier S. 80. 659 Otto Dix an die Galerie Das Ey, 14.08.1920, s. Dix, Briefe, S. 774. 660 Otto Dix an die Galerie Das Ey, 08.09.1920, ebd., S. 775.
Düsseldorfer in Dresden
Entsprechend erschien Felixmüllers Dix-Artikel im Herbst 1920 im dritten Heft des Ey, das der neuen Malerei gewidmet ist und Wollheims Text zu einem „neuen Bild“ enthält: Worte von der Kunst, ein Gewächs aus der Lunge (Abb. 65).661 Der Dix-Artikel ist „Dein Freund Felixmüller“ gezeichnet und auf Januar 1920 datiert; der Text war jedoch durch die Aufnahme zwischenzeitlich entstandener Werke aktualisiert worden; neu hinzugekommen waren Streichholzhändler, Indiskreten Menschen gewidmet (Altar für Cavaliere) und Die Barrikade. Zudem wurden kleinere stilistische Änderungen vorgenommen. An einer entscheidenden Stelle wurde auch inhaltlich eingegriffen, und zwar massiv. Der Satz „Man spreche hier nicht von Dadaismus oder Merzmalerei“ wurde ersetzt durch: „Es ist keine Merzmalerei, auch kein Klamauk“. Der Begriff Dadaismus wurde also herausgenommen, d.h. Abb. 65: Das Ey, Heft Nr. 3, Über Neue Malerei, 1920 dessen Verneinung damit auch eliminiert; Dix’ Malerei war also nicht mehr „kein Dadaismus“, sondern „kein Klamauk“, ein Begriff, den die Kritik häufig als Synonym für Dada verwendete. Dies entspricht der Strategie, den Begriff Dada nicht mehr zu verwenden. Es ist aber zugleich auch noch mehr: Denn es wurde nicht nur der Begriff vermieden, sondern auch seine Verneinung eliminiert. Und das bedeutete: Dix’ Malerei ist Dada!
Düsseldorfer in Dresden Ende Dezember 1920 stattete Gert H. Wollheim Felixmüller und Dix in Dresden einen Besuch ab.662 Vermutlich war er auf Weihnachtsbesuch bei seiner Familie in Berlin und unternahm von dort den Abstecher in die sächsische Hauptstadt. Im Atelier von Dix müssen nicht nur die montierten Dada-Werke zu sehen gewesen sein, sondern auch Dreh- und Schiebebilder, das Selbstbildnis Ich Dix und das Gemälde Mieze. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt Collage-Gemälde in Arbeit, Abschied von Hamburg (Abb. 61) 661 Conrad Felixmüller, Otto Dix, in: Das Ey, H. 3, 1920, S. 10; https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/8847936 (abgerufen am 05.11.2019). 662 Laut Stephan Wiese war das „gerade zum Zeitpunkt der Geburt von Titus Felixmüller am 29. Dezember“; s. Wiese, Die Biographie von Gert H. Wollheim, S. 208.
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ist laut Werkverzeichnis das erste Gemälde des Jahres 1921; auch Alma (Abb. 62) mit der Werknummer 1921/4 könnte im Entstehen gewesen sein; Dix sollte das Gemälde im April 1921 zur Ausstellung der Novembergruppe in Berlin einreichen (s. S. 205). Nach Wollheims Atelier-Besuch setzte eine intensive Korrespondenz zwischen Dix und Otto Pankok ein, der für das Ausstellungsmanagement in der Galerie Neue Kunst Frau Ey zuständig war. Am 5. Januar 1921 schrieb Dix: „Es freut mich, Ihrem Kreis anzugehören. […] Ich hoffe, die Herrn Kollegen noch im Laufe dieses Jahres in Düsseldorf mal begrüßen zu können […].“663 Pankok muss ihn um die Zusendung von Gemälden gebeten haben, das legt Dix’ Beteuerung im Antwortschreiben nahe: „Würde gern Ölschinken senden, aber Transportkosten sind zu hoch und ich habe meist große Sachen. Vielleicht suchen Sie, wenn sie nach Dresden kommen, etwas aus. […] Vielleicht könnten Sie mal eine Kollektion (im April–Mai oder später) kleinere Bilder und Grafik, die ich in eine Kiste bringe, im Ey ausstellen oder haben Sie keinen Raum dafür? Werde Ihnen nächstens einige Fotos von Bildern mitsenden.“664 Im April 1921 erschien auch Pankok gemeinsam mit seiner Frau im Atelier von Dix. Hulda Pankok berichtete: „An seiner Ateliertür stand: Ihr Besuch interessiert mich nicht. Das galt nicht für uns. Wir waren nicht angemeldet. Als wir die Tür öffneten und Dix uns erkannte, war er sehr glücklich. Er hatte gerade ein wunderschönes Kinderbild fertig, und er servierte seinen zwei kleinen Modellen an einem Kindertisch vielerlei Süßigkeiten und Obst. Die Kinder strahlten uns an. An den Wänden aber hingen Anklagen an die verirrte Gesellschaft – Bildversuche von Menschen aus Stoff, Glitzerzeug – unheimlich. Ich mußte nach diesem Erlebnis Kaffee trinken. Ein unvergessener Trost: Das Kinderbild!“665 Die Dada-Werke hinterließen also auch bei den Pankoks größten Eindruck. Vermutlich schmiedete man erste Pläne für eine Ausstellung in Düsseldorf, doch es fehlten die Mittel, die hohen Transportkosten für Bilderkisten zu zahlen. Eine Lösung schien sich anzubahnen, nachdem Gemälde, die Dix für die vom Verein für Literatur und Kunst veranstaltete Expressionismus-Schau666 nach Mainz gesandt hatte, dort aus sittlichen Gründen abgelehnt worden waren. Die Idee, diese von Mainz nach Düsseldorf umzulenken, kam allerdings zu spät, sie befanden sich zwischenzeitlich bereits wieder auf dem Rückweg nach Dresden. Dix tröstete: „Ich werde Ihnen doch lieber mal eine Anzahl Sachen zusammenpacken und eine Kollektivausstellung bei Ihnen machen. Vielleicht aber doch erst im Herbst.“667 663 Otto Dix an Otto Pankok, 05.01.1921, s. Dix, Briefe, S. 777. 664 Ebd. 665 Zit. nach Fischer, Ein Malerleben, S. 31. 666 Rubrik Ausstellungen, Mainz, in: Der Cicerone, Jg. 13, 1921, S. 315–316. 667 Otto Dix an Otto Pankok, 03.06.1921, s. Dix, Briefe, S. 779.
Düsseldorfer in Dresden
Abb. 66: Gert H. Wollheim, Weibliches Selbstbildnis (Der Golem), 1921, Öl und Haar/Lwd., 120 × 100 cm, Kunstpalast, Düsseldorf
Auch Wollheim collagierte nun und malte Collagen wie Weibliches Selbstbildnis (Der Golem) (Abb. 66). Er war einer jener nun „geheimen“ Dadaisten, die ihre Gemälde nicht mehr als Dada-Werke deklarierten, sondern als neue Malerei. Als in der Galerie von Johanna Ey in der ersten Februarhälfte 1921 neue Arbeiten von ihm gezeigt wur-
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den, war ein solches Collage-Gemälde im Schaufenster zu sehen, nämlich Lenkbares Stück Festland passiert unter wehender Fahne den Raum von Omega, 1921.668 Wollheim hatte nicht nur eine reale Haarlocke eingeklebt, er griff auch die kaleidoskopischen Kompositionen der Zeichnungen von Johannes Baargeld bzw. der „Dadagraphien“ von Dix auf. Das Gemälde verbindet zudem ein sehr ungewöhnliches Motiv mit Dixens Selbstbildnis Ich Dix (s. S. 159), nämlich dass darin das „Geschlechtstheil des Mannes“ zu sehen war. Wollheim dürfte Ich Dix bei seinem Dresden-Besuch gesehen haben. Doch anders als Dix präsentierte er sein Werk öffentlich, woraufhin es polizeilich beschlagnahmt wurde und er sich vor Gericht verantworten musste; der Prozess endete jedoch mit einem Freispruch.669
Dix zu Besuch in Düsseldorf Als Dix im Herbst 1921 auf Einladung Johanna Eys nach Düsseldorf kam, war er kein Unbekannter, sondern ein Star in der Berliner Kunstszene. Ab Mai dieses Jahres waren seine drei im Oktober 1920 in Dresden gezeigten Dada-Gemälde – Die Barrikade, Die Skatspieler, Prager Straße – auf der Frühjahrsschau der von Lovis Corinth geleiteten Berliner Sezession ausgestellt.670 Die triptychonartige Hängung im Mittelsaal (Abb. 67) inszenierte sie als Höhepunkt der ganzen Ausstellung. Zwar zeigte sich der renommierte Berliner Kritiker Karl Scheffler erwartungsgemäß empört: Die „Monstrositäten, wie sie der Dresdner Dix in seinen halbgemalten, halb geklebten Schauerkompositionen zeigt“, würden „nichts mehr mit Kunst in dem Sinne zu tun haben, wie er an einer Stätte gepflegt werden sollte, die ein Lovis Corinth mit seinem Namen sanktioniert.“671 Für den jüdischen Maler, Schriftsteller und Musikwissenschaftler Arno Nadel indes bildeten die Werke den Höhepunkt der Ausstellung: „Wieviel schönes, großes Selbst-Geschehen ist in dieser Ausstellung zu verzeichnen? – Vielleicht einzig der linke der drei kartenspielenden Krüppel des bedeutendsten, herrlich kreischenden Talentes Dix, vielleicht noch das dadaistische Gedicht ‚Barrikade‘. Nur als Gedicht. Die Explosion, der Knall, die Übergewalt des Todes inmitten einer Welt der Venus und des Tingeltangels, des Heilandes und der häßlichen Stadthäuser. Die Schärfe und der Haß von Groß [George Grosz]: in großen Malstil verwandelt. Wo nimmt man die großen Inhalte her für solche
668 Öl/Lwd., verbrannt, Abb. in: Kat. Düsseldorf 1993, S. 39. 669 Wiese, Die Biographie von Gert H. Wollheim, S. 212. 670 Schwarz, Wie der „furor teutonicus“ Dada den Weg bahnte, S. 133–147; Strobl, Malerkarriere, S. 100–101. 671 Scheffler, Berliner Ausstellungen, S. 283.
Dix zu Besuch in Düsseldorf
Abb. 67: Drei Gemälde von Otto Dix (Die Skatspieler, Die Barrikade, Prager Straße) in der Ausstellung Berliner Sezession im Sommer 1921, Abbildung in einem Zeitungsartikel
Talente?!“672 Der Journalist, Kritiker und Schriftsteller Franz Servaes meinte im Magazin Die Woche: „[A]us diesen Bildern, aus diesem ‚Barrikadenkampf‘ mit dem brutal über einen Trümmerhaufen rührend andächtig herbeigetragenen Reminiszenzen einer Zivilisation hingemalten, hingehauenen, tierischen Verwüsten mit dem Maschinengewehr spricht, schreit, höhnt und blutet ein Maß an Empörung, Schmerz, Haß und Verzweiflung eines dichterischen, in der Tat dichterischen Gemüts, daß sich uns das Herz zusammenkrampft. Nein, mit irgend einer normativen Aesthetik hat das nichts zu tun, aber als Dokumente unserer im Chaos kreißenden Zeit sollte sie der Kunstphilister nicht so überlegen abtun.“673 Auch Lovis Corinth war begeistert. Vor dem Gemälde Die Barrikade sei ihm der Wunsch gekommen, Dix in die Sezession aufzunehmen, eröffnete er diesem 1924.674 672 Arno Nadel, Die kranke Sezession. Zur Eröffnung der „Berliner Secession“, in: Der Kritiker, Jg. 3, 1921, H. 8, S. 5–6. 673 Servaes, Ergebnisse des Expressionismus. 674 Kat. Nürnberg 1977, Dokumente B 58, S. 32, und C 48, S. 42, sowie Abb. S. 63.
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Abb. 68: Otto Dix, Bildnis Dr. med. Hans Koch, 1921, Öl/Lwd., 100,5 × 90 cm, Löffler 1921/13, Museum Ludwig , Köln
Die kunstpolitische Situation war für einen Neuanfang günstig. Im November 1921 wurde der Vorstand mit Arthur Kaufmann als Erstem Vorsitzenden und den Vorstandsmitgliedern Adolf Uzarzki, Gert H. Wollheim und Walter Ophey neu gewählt. Damit war der Künstlerkreis um die Galerie von Johanna Ey an die Schalthebel der Künstlergruppe gelangt, deren Geschäftsräume nun an die Adresse Hindenburgring 11 verlegt wurden; Künstlervereinigung und Kunsthandlung begannen miteinander zu verwachsen. Die Düsseldorf-Reise wurde auch zum geschäftlichen Erfolg. Hans Koch kaufte die
Ein Dada-Revival
Gemälde Der Salon I und Salon II und ließ sich malen (Abb. 68).675 Der Maler Arthur Kaufmann, Erster Vorsitzender des Jungen Rheinlandes, erwarb das Bild Kleines Mädchen (1922/11) und gab gleichfalls sein Porträt in Auftrag.676 Die genauen Daten des Aufenthalts, der bisher zeitlich nur grob auf Herbst bzw. Oktober datiert wurde, waren bisher unbekannt. Der Poststempel einer Karte, die Dix aus Düsseldorf an Erwin Schulhoff nach Saarbrücken sandte, trägt das Datum 28. Oktober 1921.677 „Mutter Ey“ hatte Dix auf 14 Tage eingeladen, in denen dieser in ihrer Galerie – einem Ladenlokal mit Wohnung/Zimmer – unterkommen konnte. Doch die Wohnverhältnisse waren beengt: „Wie die das gemacht haben, das weiß ich nicht“, wunderte sich Martha, „die hatte ja nur zwei Meter Raum und hinten ihr Schlafzimmer.“678 Während der Arbeit am Porträt Kochs hatte Dix dessen junge Ehefrau Martha kennengelernt und verliebte sich in sie. Möglicherweise zog Dix im Laufe des Aufenthalts dann zu Hans und Martha Koch in die Bismarckstr. 40 um. Der Münchner Kunsthändler Hans Goltz richtete am 19. Dezember 1921 unter dieser Postadresse jedenfalls einen Brief an Dix.679 Als Dix nach Dresden zurückkehrte, ging Martha mit ihm. Da Hans Koch und Marthas ältere Schwester Maria Lindner ein Verhältnis miteinander hatten – zeitweise war die Ehe als ménage à trois geführt worden –, sahen alle Beteiligten die Entwicklung positiv. Die neue Liebe und der geschäftliche Erfolg leiteten eine äußerst produktive Schaffensphase ein. „Es wird fortwährend neue Ware fertig“, konnte Dix im April 1922 nach Düsseldorf berichten.680
Ein Dada-Revival Dix hielt sich mindestens sechs Wochen, vermutlich sogar länger in Düsseldorf auf. Damit war er während der Laufzeit der Ausstellung Max Ernst und Alois Erbach vor Ort, die ab 1. November 1921 als eine Veranstaltung des Jungen Rheinlandes in der 675 Dix bezeichnete sie in einem Brief an Hans Koch als „deine Bilder“; Otto Dix an Hans Koch und Maria Lindner, Poststempel vom 17.03.1922, s. Dix, Briefe, S. 62; Schreiner, Otto Dix. 676 Martha Dix an Miriam Etz, Tochter von Arthur Kaufmann, 17.02.1983, zit. nach Kat. Düsseldorf 1983, S. 64 und S. 88, Anm. 8. 677 Otto Dix an Erwin Schulhoff, 28.10.1921, Akademie der Künste, Berlin, Erwin-SchulhoffArchiv, Nr. 64. 678 Martha Dix im Gespräch mit Peter Barth, 12.03.1983, zit. nach Kat. Düsseldorf 1983, S. 34 und S. 88, Anm. 7. 679 Hans Goltz an Otto Dix, 19.12.1921, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,C-268; Kat. Düsseldorf 1983, S. 38. 680 Otto Dix an Hans Koch, 06.04.1922, s. Dix, Briefe, S. 63.
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Abb. 69: Unbekannter Fotograf, Barrikadenkampf auf dem Düsseldorfer Ey-Wall, copyright by 24. XII. 1919, Foto, Aufnahme wohl 1921, Reproduktion aus: Das Stachelschwein, Berlin, Nr. Nr. 4, 7. März 1925
Galerie Neue Kunst Johanna Ey lief.681 Bei dieser Veranstaltung trafen drei Teilnehmer der Internationalen Dada-Messe aufeinander, deren Werke dort in Saal II in unmittelbarer Nachbarschaft gehangen hatten. Spätestens zu dieser Gelegenheit lernten sich Dix und Max Ernst persönlich kennen, wenn dies nicht schon zuvor im Hause Koch geschehen war.682 In der Ausstellung zeigte Max Ernst „ein plastoma, benannt Die Knochenmühle der donnerlosen (gewaltlosen?) Friseure im Stile von Kurt Schwitters‚ Müllers Drahtfrühling, den wir vorher ausgestellt hatten“ (Gert H. Wollheim).683 Daneben dürften auch zwei große Ölgemälde zu sehen gewesen sein, Celebes und Die Leimbereitung aus Knochen. Bei letzterem handelte es sich um die Vergrößerung einer kleinformatigen 681 Die Schau erhielt eine Art Katalogbegleitung mit dem zweiten Heft der Zeitschrift Das Junge Rheinland vom 2. November 1921. 682 S. Kat. Köln 1980, S. 37. 683 Zit. nach Gert Wollheim im Interview mit Jutta Ostenhof, 1971, s. Teuber, Gert H. Wollheim und Max Ernst, S. 29 und Anm. 31.
Erste Gemäldeausstellungen
Collage als Ölgemälde und damit das erste „Collage Painting“ (William A. Camfield) von Max Ernst.684 Ernst hatte die Leimbereitung aus Knochen gemalt, nachdem er sich im Sommer zuvor mit Hans Arp und Walter Serner im österreichischen Tarrenz (Tirol) getroffen hatte, wo sie in Reaktion auf die Berliner Deklarationen vom Tod Dadas dessen Weiterleben beschlossen hatten. Davon berichtet sein Artikel Dada est mort, vive Dada!, der im Januar 1922 in der Zeitschrift Der Querschnitt erschien und in dem er höchst ironisch auf die Selbstzerfleischung der Berliner Dadaisten eingeht: „Ein großes Dada-Dämmern scheint heraufzuziehen. Wie im Muspilli gehen die Helden gegeneinander los. […] Großdada Arp (Qualitätsarp), Serner und der Dadafex Maximus (Dadamax Ernst) sollen einem noch nicht bestätigten Gerücht zufolge in einer Nacht zusammengetreten sein, um den neuen Dada-Rütli zu verschwören. Mit äußerster Vorsicht und strengster Geheimhaltung ihrer Pläne treffen diese unvergleichlichen Männer ihre Vorbereitungen. Sie holen, so sagt man, zu einem letzten, entscheidenden Schlag aus.“685 Während sich Berlin-Dada also selbst abschaffte, schlossen sich Arp, Serner und Ernst zu einem Geheimbund zusammen, ähnlich den Dresdner Illuministen, der Dada weiterführte und mit Dada-Malerei zum letzten, entscheidenden Schlag ausholte. Johanna Ey kaufte die Leimbereitung aus Knochen an und an Gert H. Wollheim weiter, der das Bild mithin geschätzt haben muss.686 Ein Foto zeigt Mitglieder des Jungen Rheinlandes mit Johanna Ey, wie sie sich hinter dem Gemälde verbarrikadieren (Abb. 69). Das Arrangement dürfte von Dix’ Gemälde Die Barrikade (Abb. 55) zumindest angeregt gewesen sein, das in Düsseldorf bekannt gewesen sein muss. Jedenfalls hatte Dix nach dem ersten Aufenthalt dort „Barrikadenkämpfe, tolle Frauentypen, geklebte und gemalte Figuren“ an Johanna Ey geschickt.687 Mit „Barrikadenkämpfe“ kann nur Die Barrikade gemeint sein.
Erste Gemäldeausstellungen Für Dix liefen die Rezeption und der Verkauf von Grafikwerken inzwischen gut. Auf die am 1. Februar 1921 in der Kunstausstellung Emil Richter gezeigte Grafik-Ausstellung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ hin reagierten die Dresdner Kritiker erstaunlich 684 Zur Ausstellung s. Camfield, Max Ernst, S. 104–106; Schaschke, Dadaistische Verwandlungskunst, S. 258–259. 685 Ernst, Dada est mort, vive Dada! 686 Kat. Köln 1975, Nr. 436, S. 222. 687 Anna Klapheck, Mutter Ey – Eine Düsseldorfer Künstlerlegende, Düsseldorf 1958, 2. Aufl. 1977, S. 28, zit. nach Kat. Düsseldorf 1983, S. 40.
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gnädig. So schrieb Felix Zimmermann in den Dresdner Nachrichten: „Mit viel mehr Naturalismus, als ihm bewußt sein mag, haftet Otto Dix in seinen Akten an der Realität, deren trübsten Bodensatz er provokatorisch aufwühlt. Aber seine stofflich rohen Blätter offenbaren ihn doch als einen Könner nicht bloß in der Verblüffungstechnik.“688 Ernst Meunier gestand ihm in den Dresdner Neuesten Nachrichten sogar selbstsichere und selbstgefällige Könnerschaft zu, schränkte aber zugleich ein, dass er zwar eine ungemein scharfe und sinnlich eindeutige Ausdrucksform finde, diese aber geistig nicht genug auszuwerten vermöge. Doch kommt der Kritiker nicht umhin, „die vielen Anklänge jüngerer Maler an seine Ausdrucksweise“ zu konstatieren.689 Diesmal kaufte das Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen in größerem Umfange Exponate an, allerdings wieder nichts von Dix; doch konnte Paul Ferdinand Schmidt für das Stadtmuseum eine seiner Zeichnungen erwerben.690 Die Grafik-Ausstellung ging im Anschluss auf Wanderung durch zahlreiche Großstädte. Auch auf der Prager Schau Die Unentwegten und Gäste im Rudolphinum war die Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, darunter Dix, mit Grafik präsent.691 Der Münchner Kunsthändlers Hans Goltz, der die Galerie Neue Kunst in der Brienner Straße 8 führte, rechnete am 5. Dezember 1921 Papierarbeiten mit Dix ab und lud ihn zu einer umfangreicheren Grafikschau ein.692 Am 19. Dezember 1921 einigte man sich darauf, in die für Februar 1922 geplante Präsentation auch Gemälde einzubeziehen. Dix sandte Porträt Dr. Koch, Bildnis meiner Eltern, Porträt Dr. Schmidt, Porträt Dr. Glaser, Schwangere mit Kind, Arbeiterbildnis, Matrosen-Liebste, Mädchen mit rotem Hut, Halbakt mit Hut, Abschied von Hamburg und Der Salon I.693 Nach deren Erhalt machte Goltz jedoch einen Rückzieher: „Ich kann meine neu eingerichteten Räume nicht mit einer Ausstellung eröffnen, welche in der Presse mit Recht als eine Bordell-Ausstellung bezeichnet werden würde. Dazu kommt noch, dass ein Gemälde wie ‚Abschied von Hamburg‘ in meinen Augen unkünstlerisch ist und Salon I sowie einige andere mit unserer jungen Kunst nichts zu tun haben. Das ist für mich reiner Naturalismus für den die ganze Kunstrevolution seit 1910 überhaupt nicht da war. Solche Gemälde konnten schon 1890 bis 1900 gemalt werden.“694 Dix reagierte empört und 688 F. Z., Die Ausstellung der Dresdner Sezession, in: Dresdner Nachrichten, nach dem 11.02.1921. 689 E. M., Dresdner Sezession, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 04.02.1921, S. 2–3, hier S. 2. 690 Notiz, in: Dresdner Nachrichten, 04.02.1921, S. 3. 691 Hollmann, Ein Joint-Venture des Expressionismus, S. 470–471. 692 Hans Goltz an Otto Dix, 05.12.1921, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,C-268. 693 Hans Goltz an Otto Dix, 21.03.1922, ebd. 694 Hans Goltz an Anton [sic!] Dix, Dresden, Antonsplatz 1, 04.02.1922, ebd.; zu der Goltz-Affäre s. Strobl, Malerkarriere, S. 50–54.
Erste Gemäldeausstellungen
schrieb an Hans Koch: „Goltz hat mir einen sehr netten Brief geschrieben, worin er mir mit viel Bombast und ehrlicher Entrüstung schreibt, daß er und andere Deine beiden Bilder (außer dem Porträt) aus unsittlichen Gründen (oder heißts ‚sittlichen‘?) nicht ausstelle – und überhaupt – ! rückständig, Naturalismus Verrat an der Kunstrevolution seit 1910“.695 Tatsächlich zeigte Goltz dann nur Grafikarbeiten von Dix, zusammen mit Werken von Heinrich Maria Davringhausen und George Grosz.696 Dix bat den Kunsthändler, die Gemälde an das Kaiser-Friedrich-Museum nach Magdeburg zu schicken, wo ihm die Künstlervereinigung Die Kugel auf ihrer Jahresausstellung eine Retrospektive einzurichten gedachte. Am 21. März 1922 meldete Goltz den Versand.697 Dieses Gemäldekonvolut setzte in der Jahresschau der Kugel von Mitte April bis Mai 1922 „unzweifelhaft die stärkste Note der Ausstellung“.698 Doch auch hier wurde seine Kunst als Naturalismus diffamiert. Der Kritiker der Magdeburger Zeitung, Ernst von Niebelschütz, schrieb: „Wenn das die Kunst der Zukunft sein soll, die da unter dem Banner des Berliners Otto Dix anmarschiert, so ist denn allerdings zu sagen: lieber die wildeste Gefühlsexplosion als diese Art von Naturalismus, bei deren Anblick uns wirklich der physische Ekel aufsteigt.“699 Ein anderer Kritiker urteilte ebenfalls vernichtend: „Es ist der Kitsch des Grauens, wie es der Kitsch des Erhabenen ist, wenn sich der Bürgersmann an einem Oeldruck der Alpenlandschaft erfreut, die er auf der letzten Sommerreise sah. Es ist Malerei aus Haß, aus Verachtung, Kunst, die einreißt und zertrümmert, ohne an Wiederaufbau zu denken, die seziert und operiert nicht mit dem Glauben und dem Willen, zu heilen, sondern mit jenem faunischen Wollustlächeln, das aus dem feisten Gesicht des Frauenarztes, so wie Dix ihn sieht, spricht.“700
695 Otto Dix an Hans Koch und Maria Lindner, Poststempel vom 17.03.1922, s. Dix, Briefe, S. 62. 696 Anzeige, in: Der Cicerone, Jg. 14, 1922, H. 2, o. S. 697 Hans Goltz an Otto Dix, 21.03.1922, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,C-268. 698 N. N., Die Kugel, Magdeburg, in: Volksstimme, 13.04.1922; zur Kunstvereinigung Kugel s. Hagedorn, Die Kugel. 699 Ernst von Niebelschütz, Die Kugelausstellung, in: Magdeburger Zeitung, 11.04.1922. 700 Paul Schaeffer-Heyrothsberge, Jahresausstellung der Kugel II, in: Magdeburger Tageszeitung, 13.04.1922.
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Die Frühjahrsausstellung 1920 der Dresdner Sezession Als Veranstaltung der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ war für Oktober 1921 eine Gesamtschau von Dix und Segall angekündet, aber immer wieder verschoben worden.701 Als Will Grohmann endlich am 12. Mai 1922 die große Präsentation in der Galerie Arnold eröffnete, waren ihr zwar zwei Sonderschauen integriert, die allerdings nicht Dix und Segall, sondern Max Beckmann und dem Neuen Bauen gewidmet waren. Für diese wichtige Ausstellung, an der an auswärtigen Malern Reinhold Ewald, Lyonel Feininger, Ludwig Meidner, Heinrich Campendonk und Karl Schmidt-Rottluff teilnahmen, liegt bis heute keine umfassende Rekonstruktion vor. Spektakulär war vor allem die Architekturschau, die Modelle und Zeichnungen von Bruno Taut, Stadtbaurat in Magdeburg, seinem dortigen Mitarbeiter Carl Krayl, Hans Poelzig, dem Poelzig-Schüler Edmund Schuchardt und Walter Gropius zeigte.702 Die Exponate der Gruppe 1919 wurden im ersten Raum präsentiert, waren aber wieder nicht nach Künstlern, sondern „durcheinander“ und eng gehängt. Erneut klagten die Dresdner Kritiker über das Fehlen eines einheitlichen Lokalstils. Von der bei der Gruppengründung hervorgehobenen Gemeinsamkeit des künstlerischen Wollens sei nichts mehr zu spüren, lamentierte etwa Fritz Nemitz in den Dresdner Neuesten Nachrichten: „Jeder kommt von einem anderen Punkt der Peripherie her, jeder spricht eine andere Sprache; so zerflattern die einzelnen Stimmen und es entsteht kein Akkord.“703 Die Kunsthistoriografie folgt bis heute dieser negativen historischen Kritikerposition. Die Bemerkung von Otto Griebel in einem Brief an Otto Dix, „unsere Dresdner Sezession wird immer powerer. Reaktionärste Biedermeierluft. Wenn die hier so weiter machen, passiert was“, wird entsprechend als interne Kritik an der Künstler-
701 Michael, Tageszeitungen, S. 66. 702 Negendanck, Galerie Ernst Arnold, Nr. 226; Schönjahn, „… immer ein Anfang sein“, S. 109; Notiz, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 07.05.1922; Grohmann, Dresden, in: Das Kunstblatt, Jg. 6, 1922, S. 320; R. Stiller, Ausstellung der Dresdner Sezession, in: Dresdner Anzeiger, 24.05.1922. 703 Fritz Nemitz, Dresdner Sezession Gruppe 1919, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 25.05.1922.
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Abb. 70: Otto Griebel, Zeitbild (Das Jahr 1922), 1922, Öl/Lwd., Maße unbekannt, Porstmann/ Schmidt A42, verbrannt
gruppe wegen deren angeblicher Abwendung von „anfänglichen gesellschaftsrelevanten Ambitionen“ gedeutet.704 Dabei bedeutet der Anglizismus „powerer“ ja „mächtiger“ und dürfte sich auf den Zuwachs an neuen Dresdner Mitgliedern wie Griebel selbst, Heinrich Barcinsky, Hans Meyboden und dem Bildhauer Otto Krischer sowie prominenten auswärtigen Mitgliedern wie Bruno Taut, Hans Poelzig, Walter Gropius und Paul Klee beziehen.705 „Reaktionärste Biedermeierluft“ ist nicht auf die Künstlergruppe, 704 Zuletzt: Schönjahn, … immer ein Anfang sein, S. 109. 705 Michael, Tageszeitungen. Am 28.01.1922 wies eine Pressenotiz im Dresdner Anzeiger darauf hin; Meldung, Dresdner Nachrichten, 29.04.1921, S. 2, zit. nach Hollmann, Ein Joint Venture, S. 476, Anm. 52.
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Abb. 71: Otto Dix, Mädchen am Spiegel, 1921, Öl/Lwd., Maße unbekannt, Löffler 1921/8, zerstört
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sondern auf das lokale Kunstklima zu beziehen, d.h., die Kritik galt den Dresdner Kritikern. Otto Griebel konnte mit der Ausstellung jedenfalls ganz zufrieden sein, die ihm mit drei kapitalismuskritischen Dada-Gemälden, Arbeiter, Zeitbild und Straßenbild, einen großen Auftritt bot.706 Das Zeitbild (Abb. 70) war eine gemalte Collage, die einen amerikanischen Börsenmakler zeigt, der seinen Fuß auf den Kopf eines Arbeiters setzt; dabei geht er telefonierend und ein Börsenblatt lesend seinen Geschäften nach; das Ganze findet vor einer Kulisse aus Versatzstücken des modernen Großstadtlebens statt. Die seit längerem angestrebte Dix-Sonderschau fiel also erneut ins Wasser, weil, so zumindest Paul Ferdinand Schmidt, eine größere Anzahl seiner Bilder auf der Jahresausstellung der Künstlervereinigung Die Kugel in Magdeburg zurückgehalten worden waren.707 So waren in Dresden von Dix nur zwei „Hurenbilder“ zu sehen, Dirnencaffe (oder Dirnenkaffeehaus) und das Mädchen vor dem Spiegel (Abb. 71). Die Auswahl stieß erwartungsgemäß auf allergrößten Widerstand. Dix sei, so Fritz Nemitz in den Dresdner Neuesten Nachrichten, „über das Roh-Modellmäßige eines platten Naturalismus noch nicht hinausgekommen, sondern im Stofflichen hängengeblieben. […] Gewiß ist ein Können da; aber ein ausgeprägt naturalistisches von gestern. Gewiß ist ein Charakterisierungsvermögen da, aber eines ohne Seele. […] Er könnte ein Karikaturist werden, besäße er die Fähigkeit, das Groteske, Häßliche, Stumpfsinn und Gier des Lebens in die Sphäre der Kunst zu heben. Aber die Erregung stofflicher Interessen erscheint ihm als das Wesentliche. Seine Farbe bleibt Substanz, wird nicht Geist; sie ist grell und scharf, von aufdringlicher Buntheit […] Was haben diese Dinge mit Expressionismus zu tun, der das Geistige besonders betont? Ihr Sinn erschöpft sich in ihrer Aktualität. Am Ende dieses Weges liegt Auflösung und Katastrophe, künstlerischer Nihilismus.“708 Die Dresdner Neuesten Nachrichten starteten sogar eine regelrechte Anti-Dix-Kampagne. Schon in der Eröffnungsbesprechung protestierte die Redaktion gegen das Mädchen am Spiegel. Fünf Tage später triumphierte sie mit der Meldung von dessen polizeilicher Entfernung: „Da hier das Häßliche nur um seiner selbst willen gesucht ist, hat dieses Werk mit Kunst nichts zu tun. Jeder wahre Freund der Kunst wird die Entfernung des Bildes begrüßen, da die Kunst durch solche Machwerke eines brutalen Naturalismus nur geschädigt werden kann.“709
706 Bis auf das Zeitbild lassen sich die Werke aufgrund ihrer unspezifischen Werktitel und fehlender Abbildungen nicht eindeutig identifizieren; vermutlich sind sie alle am 13. Februar 1945 in Griebels Dresdner Atelier verbrannt. 707 Schmidt, Ausstellung der Dresdner Sezession (1922). 708 Fritz Nemitz, Dresdner Sezession Gruppe 1919, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 25.05.1922. 709 Notiz, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 18.05.1922, S. 2–3.
Die Übersiedelung ins Rheinland
Die Übersiedelung ins Rheinland Im Oktober 1922 verließ Dix Dresden. Nach dem turnusmäßigen Verlust seines Akademieateliers hielt ihn nichts länger in der Stadt. Mit dem Ortswechsel zog er die Konsequenz daraus, dass es ihm über drei Jahre hin nicht gelungen war, dort eine Galerie zu finden, die ihm eine Einzelausstellung einrichten bzw. ihn vertreten wollte. Zwar hatte er sich einen Freundes-, Unterstützer- und Sammlerkreis aufbauen können – neben dem Direktor des Stadtmuseums Paul Ferdinand Schmidt gehörten dazu etwa der Rechtsanwalt Dr. Fritz Glaser, der Kaufmann Max Roesberg und der Schriftsteller und Herausgeber Heinar Schilling –, doch hatte sich das Expressionismus-Paradigma als resistent erwiesen. Der Expressionismus hatte sich inzwischen als ein angeblich spezifisch deutscher Stil etabliert und galt aufgrund der Einrichtung der Neuen Galerie in der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais, zahlreicher Erwerbungen anderer Museen und der hohen Nachfrage auf dem Kunstmarkt als anerkannt und arriviert. Und so legte die Dresdner Kritikerschaft noch 1922 die „expressionistische“ Elle an das Werk von Dix an. Im Vorwort der ersten bei Karl Nierendorf erschienen Dix-Monografie von 1923 resümierte Paul Ferdinand Schmidt, Dix sei „nur auf seine Stofflichkeit hin betrachtet und selbst von radikaler gesinnten Kritikern schnöde im Stich gelassen worden“. Niemand sei imstande gewesen, „das außerordentliche Phänomen zu überschauen, das uns hier entgegentritt, und das uns zu einer abermaligen Umwertung unsrer Kunstwertungen zwingen wird.“710 Der Zeitpunkt des Umzugs hing, wie erwähnt, mit dem turnusmäßen Verlust des Dresdner Einzelateliers zum Wintersemester 1922 zusammen. In Düsseldorf hatte ihm Johanna Ey ein Privatatelier besorgt, allerdings hatte es finanziell nicht zu mehr als einem „alten Schuppen“ gereicht, der sehr zugig war. Deshalb arbeitete Dix etwa ein Dreivierteljahr, von Herbst 1922 bis Sommer 1923, im Atelier von Gert H. Wollheim. Peter Barth hat Wollheim als „fast ein polares Gegenbild zu Dix“ beschrieben, als einen „Großindustriellen und Millionärssohn, aufgewachsen im großstädtischen Berlin, hyperintellektuell, redegewandt, multitalentiert, er schreibt, dichtet, hält Vorträge, zeichnet, malt und musiziert – als leidenschaftlicher Geige-Spieler hegt er zeitweise musikalische Berufsambitionen –, er ist politisch engagiert und aktiv“.711 Auffällig sind Parallelen zu Erwin Schulhoff, den man entsprechend als Großkaufmann- und Millionärssohn, aufgewachsen im großstädtischen Prag, redegewandt, multitalentiert, schreibend, dichtend und Musiker, politisch engagiert und aktiv beschreiben kann. Dix suchte also eine ähnliche Konstellation wiederherzustellen, wie er sie im Schulhoff’schen Atelier in Dresden als künstlerisch außerordentlich anregend erlebt hatte. Seine Hoffnung sollte sich erfüllen. 710 Schmidt, Otto Dix (1923). 711 Kat. Düsseldorf 1989, S. 6.
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Unter Einfluss von Wollheim verstärken sich die surrealen Tendenzen im Werk von Dix. Das dürfte mit der in Düsseldorf allgemein und insbesondere im Kreis um die Galerie Neue Kunst Johanna Ey verstärkten Einfluss des Monismus zusammenhängen712. Denn in der monistischen Einheitsschau liegt – so Monika Fick – die provokative These beschlossen, dass die sichtbare Oberfläche Ausdruck der unergründlichen Tiefe sei und dass es sinnliche Äquivalente gebe für das Unbekannte und Rätselvolle.713 Fritz Löffler behauptete sogar, Dix habe den Surrealismus vorbereiten geholfen, und gab damit sicherlich eine Selbsteinschätzung des Malers wieder.714 Zudem Dix selbst den Realismusbegriff für sein Werk relativiert und auf den Begriff des „magischen Realismus“ von Franz Roh verwiesen hat.715
Dada nach Dada Am 10. und 11. März 1922 fanden sich in Weimar Das Junge Rheinland, Novembergruppe und Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ zum Kartell der fortschrittlichen Künstlergruppen zusammen. An der Gründungsveranstaltung nahmen für die Dresdner Sezession Otto Lange, Constantin von Mitschke-Collande, Otto Krischer und Will Grohmann teil. Man legte gemeinsame Richtlinien für die Erneuerung des kunstpolitischen und kunstwirtschaftlichen Lebens in Deutschland fest, fasste Beschlüsse über die Abschaffung der Kunstakademien und die Erneuerung des staatlichen Kunstschulbetriebes sowie über die gemeinsame Organisation repräsentativer Kunstschauen der jungen Kunst. Die Zentralgeschäftsstelle hatte nun die Adresse Düsseldorf, Hindenburgwall 11. Als Organ des Kartells fungierte die Zeitschrift Das Junge Rheinland, nun von den drei Künstlergruppen gemeinsam herausgegeben. Das erste Heft unter erweiterter Herausgeberschaft erschien am 1. Mai 1922 und war der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ gewidmet. Unter der Redaktion von Will Grohmann stellte es Lasar Segall, Otto Lange und Constantin von Mitschke-Collande in Text und Bild vor. Dix sollte im nächsten Heft folgen (s. S. 232). Vom 28. Mai bis 3. Juli 1922 war die vom Jungen Rheinland organisierte I. Internationale Kunstausstellung im Düsseldorfer Warenhaus Leonard Tietz mit Werken von 712 713 714 715
Teuber, Gert H. Wollheim und Max Ernst, S. 28. Fick, Sinnenwelt und Weltseele, S. 359–360. Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, 1. Aufl. 1960, S. 25. Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 266; die Nationalgalerie in Berlin hat das Phänomen der „Surrealen Sachlichkeit“ 2016 anhand ihres eigenen Gemäldebestandes untersucht, u.a. an Werken von Dix, Kurt Günther, George Grosz, Gert Wollheim und Max Ernst, s. Kat. Berlin 2016; eine systematische Aufarbeitung fehlt allerdings bis heute.
Dada nach Dada
344 Künstlern aus 19 Ländern zu sehen.716 Dix zeigte sein Gemälde Zwei Kinder und Schlächterladen sowie eine Radierung. Von der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ stellten darüber hinaus Otto Griebel, Will Heckrott, Eugen Hoffmann, Hans Meyboden, Constantin von Mitschke-Collande, Otto Lange und Lasar Segall sowie die Ex-Mitglieder Felixmüller und Böckstiegel aus. An die Eröffnung gekoppelt war der 1. Kongress der Union internationaler fortschrittlicher Künstler, der vom 28. bis zum 31. Mai 1922 stattfand.717 Teilnehmer waren u.a. Futuristen, Dadaisten und Konstruktivisten aus zahlreichen Ländern, darunter Raoul Hausmann, Ruggero Vasari, Theodor und Nelly van Doesburg, Enrico Prampolini, Hans Richter, El Lissitzky, die Künstlerpaare Stanislaw und Margarete Kubicki sowie Iwan Puni und Xenia L. Boguslawskaja sowie Karl Zalit. Als offizieller Vertreter der Dresdner Sezession waren Will Grohmann und Lasar Segall angereist. Dix hatte für Hausmann bei Hans Koch für Quartier gesorgt.718 Der Düsseldorfer Kongress war bereits Folge eines größeren Dada-Revivals, dessen Effekte sich im musikalischen Schaffen von Erwin Schulhoff gut fassen lassen. Der Kontakt zwischen ihm und Dix war nach dem Wegzug aus Dresden nicht abgebrochen, wie die bereits erwähnte Postkarte aus Düsseldorf vom 28. Oktober 1921 mit der Empfängeradresse „Herrn Erwin Schulhoff, Dada-Komponist, Saarbrücken 1, Städt. Konservatorium“ belegt.719 Ausgeprägten Dada-Werke entstanden in Saarbrücken zwar nicht, doch bestätigte er sich am 19. November 1920, kurz nach dem Umzug dorthin, in seinem Tagebuch trotzig als Dadaist mit der Durchhalte-Devise: „Lernt Dada / Daher, – o glaubt mir: / Dada siegt“.720 Seit Januar 1922 lebte Schulhoff jedoch in Berlin und hatte dadurch wieder direkten Kontakt in die Dada-Szene. Hier entstanden in diesem Jahr mehrere dadaistische Werke, darunter die Bassnachtigall mit Beschimpfung der Expressionisten, ein unvollendetes Orchesterwerk Lunapark und die Wolkenpumpe, eine Hommage an die Dadaisten, mit der er sich auf den 1920 erschienenen zweiten Gedichtband von Hans Arp Die Wolkenpumpe bezog.721 In Schulhoffs Textcollage tauchen 716 Kat. Düsseldorf 1922, Kat.-Nr. 59: Zwei Kinder, Kat.-Nr. 60: Schlächterladen, Kat.-Nr. 61: Radierung; zur Ausstellung zuletzt: von Huelsen-Esch, Die I. Internationale Kunstausstellung. 717 Müller, Der Kongreß der ‚Union Internationaler Fortschrittlicher Künstler‘ in Düsseldorf. 718 Raoul Hausmann an Hedwig Mankiewitz, 29.05.1922, Berlinische Galerie, Archiv, Teilnachlass Raoul Hausmann, Inv. BG-RHA 272; abgedruckt in: Züchner, Scharfrichter, Nr. 22/4, S. 132–137. 719 Akademie der bildenden Künste, Berlin, Erwin Schulhoff-Archiv 64. Am 5. November 1922 grüßte Karl Nierendorf Dix von Erwin Schulhoff, den er in Berlin getroffen hatte; s. Karl Nierendorf an Otto Dix, 05.11.1922, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I, C-524b. 720 Schulhoff, Tagebuch, S. 50. 721 Bek, Schulhoff, WV 59, S. 207–208, WV 60, S. 208, WV 61, S. 208–209.
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die Namen von Hans Arp, George Grosz, Walter Mehring, Raoul Hausmann, Johannes Baader, Richard Huelsenbeck, Wieland Herzfelde, Theodor Däubler sowie von Dix und seiner selbst in Wortteile zerschnitten und neu zusammengesetzt auf: „Spiegeldada, Oberarp, Hoff macht Schule, / Sensation. – Sensation!! – / Dixe Grosse vermehringen sich / der Hausmann badert den Beck der Huelsenfrucht, abseits uriniert einer von Herzen am Felde, / also sprach Jehova Däubler und lacht!“ Am letzten Kongress der Dadaisten in Weimar Ende September 1922, organisiert von Johannes Baader und Peter Röhl, sollte Schulhoff ebenfalls teilnehmen. „Es war eine monströse Dada-Aktion, woran den Erinnerungen Tristan Tzaras zufolge Delegierte aus Ungarn, der Tschechoslowakei, aus Jugoslawien, Litauen, Rußland, den Niederlanden, der Schweiz, Italien, Deutschland und Frankreich teilnahmen.“722 Unter den Teilnehmern waren Hans Arp, Kurt Schwitters und Tristan Tzara, mit dem Schulhoff verschiedene künstlerische Pläne schmiedete, unter anderem zu seinem Ballett Ogelala. Nelly van Doesburg spielte hier dadaistische Kompositionen, u.a. von Schulhoff.723 Auch in Dresden fand zu Pfingsten 1922 und damit Anfang Juni noch eine dadaistische Aktion statt, die „Erste Freilicht-Dada-Ausstellung im Großen Garten“. Sie sei von Johannes Baader organisiert gewesen, so berichtete Griebel: „Ich klebte mit Sorgfalt und Erfindungsgabe eine emaillierte Waschschüssel voller Bildausschnitte und nannte dieses Ausstellungsstück ‚Blick in die Ewigkeit‘.“724 Darüber hinaus gab es korrigierte Reproduktionen nach Werken älterer und neuerer Meister, Plastiken aus Abfällen, Draht, Pappe, Linoleum, Korken und alten Regenschirmgestellen, aus Konservenbüchsen, Zigarettendosen und Blechdeckeln zusammengelötete phantastische Gebilde, Kompositionen aus Möbelteilen, Kleiderbügeln und allerlei Gerümpel. All das wurde so in die Bäume einer Allee des Großen Gartens gehängt, dass die morgendlichen Pfingstkonzertbesucher zu Besuchern dieser Dada-Ausstellung wurden. Aber die Polizei griff ein, holte die Objekte von den Bäumen und arretierte einige der Dadaisten, so dass das geplante dadaistische Großmeeting am Palais im Großen Garten ausfiel.
Ilse Fischer: Der Dadaist (Otto Dix) Im Juliheft der Zeitschrift Das Junge Rheinland, als Beitrag der Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ und von Will Grohmann als verantwortlichem Schriftleiter verantwortet, erschien ein Essay mit der Überschrift Der Dadaist (Otto Dix), der Dix als prototypischen Dadaisten beschreibt (s. Anhang, S. 264–270). Es handelt sich um einen Schlüsseltext, 722 Bek, Schulhoff, S. 59. 723 Widmaier, Colonel Schulhoff, S. 19. 724 Griebel, Mann der Straße, S. 142–143, hier S. 142.
Ilse Fischer: Der Dadaist (Otto Dix)
der erst 1983 von Peter Barth in die Dix-Forschung eingeführt wurde, nachdem er „in der bisherigen Dix-Literatur fast völlig vernachlässigt“ worden sei.725 Diese Vernachlässigung war Folge der beschriebenen Dada-Marginalisierung, die bis heute ihre Wirkung zeigt, auch in der Kunsthistoriografie zur Düsseldorfer Kunstszene der zwanziger Jahre. Die Kunstgeschichte terminiert die Dada-Phase in aller Regel auf 1919/1920, obwohl sich Dix mit diesem Text noch 1922 als Dadaist propagieren ließ. Ein Grund für die geringe Durchschlagkraft des Textes auf das Dix-Image dürfte darin liegen, dass die Autorin Ilse Fischer unbekannt ist; der Name ist vermutlich ein Pseudonym, es muss sich jedoch um eine Person aus dem Dix-Kreis handeln.726 Der Essay zeigt jedenfalls Fachverstand hinsichtlich des künstlerischen Schaffensprozesses und dessen psychischer Bedingungen und gibt grundsätzliche Anweisungen für die Deutung des Werks, so dass wir davon ausgehen müssen, dass er in direktem Austausch mit Dix entstanden ist. Er muss jedenfalls als von ihm autorisiert gelten. Der Artikel führt Dix’ Namen im Titel Der Dadaist (Otto Dix), erwähnt ihn im Text aber nicht mehr. Die Autorin führt einleitend aus, weshalb Dix zu den Dadaisten gezählt wurde: „Er hat natürlich zur Zeit dadaistischer Hochflut verwirrende Simultangemälde, symbolistische Farbchaoten und groteske, bewußte Kitschwerke fabriziert. Riesenformate in die Ausstellungen geschickt, die von sich reden machten. Bilder von aggressiver Profanierung bürgerlichen Lebens, die alle Töne vom Widerlich-Lächerlichen bis zum Schmerzlich-Ekelhaften anschlagen. Er hat echt dadaistisch Stoffteile, Photographien, Briefausschnitte, Straßenbahnkarten, Stempelmarken und gedruckte Sinnsprüche eingeklebt, Löcher in die Leinwand gerissen, Linien und Farben in rohester Unverschämtheit verwendet.“ Doch nicht aufgrund dieser Werke sei er Dadaist: „Entscheidend für den Dadaisten ist nicht sein Kunstprodukt, sondern seine Persönlichkeit.“ Damit formulierte sie das Grundprinzip Dadas, nämlich keine Kunstrichtung zu sein, sondern die Art und Weise des Lebensvollzuges, die das eigene Erleben in den Mittelpunkt rücke. „Dada will gelebt sein. […] Dada ist keine Kunstrichtung“, betonte Theo van Doesburg 1923.727 Die ausführliche Beschreibung des prototypischen Dadaisten folgt weitgehend dem Bildnistopos der Selbstdarstellungen von Otto Dix: „Er hat den Mund des rücksichtslosen Triebmenschen mit der brutal vorgeschobenen Unterlippe und tiefgegrabenen Linien um die Winkel, die grauen Augen des nüchternen Analytikers, die feingeschnit725 Kat. Düsseldorf 1983, S. 8–15. 726 Lutz Tittel, Dix – neu gesehen, S. 63, Anm. 29, vermutet hinter dem Pseudonym Viola Schulhoff; die Dix-Literatur ist ihm darin verschiedentlich gefolgt. Da der Text lange nach dem Bruch der Beziehung verfasst wurde, ist das auszuschließen, zumal Viola Schulhoff zu diesem Zeitpunkt in Prag lebte. 727 Theo van Doesburg, Was ist Dada?, 1923.
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tene Nase des klaren Gefühlsmenschen, die über den Augen gewulstete, breite Stirn des verzweifelten Denkers, das glattgebürstete blonde Haar des Amerikaners. […] Das Amerikanische hat er auch […] im Schnitt des Anzugs: übertrieben weite, kurze Hosen, gepolsterte Oberärmel, unmotiviert hohe Taille.“ Nur in einem Detail, allerdings einem wichtigen, weicht sie davon ab, nämlich im Passus über die Hände: „Seine muskulösen Arbeiterhände sind ungepflegt, denn er ist Proletarier von Geburt, aus Instinkt, aus Rebellion.“ Tatsächlich besaß Dix, „ein kleiner, beinahe schmächtiger Mensch“ (Gerth Schreiner), auffällig feingliedrige Hände.728 Nun ist es so, dass auch die übrige Beschreibung einem Rollenbild folgt, nämlich dem des Da-Dandys, zu dem die ungepflegten Arbeiterhände in einem Widerspruch stehen. Es steht also zu vermuten, dass die Autorin den Aspekt der proletarischen Herkunft aus politisch-ideologischen Gründen betonte. Fischers Persönlichkeitsbeschreibung folgt dem Paradigma des dionysischen Künstlers: Es ist die Rede von der „chaotischen Zersplitterung seiner Natur, in der die schärfsten Gegensätze ungelöst aneinanderprallen“, von „ewiger Unausgeglichenheit“, der Besessenheit „von einem fanatischen Vernichtungswillen gegen alles Bestehende“. Und ganz nietzscheanisch geht es dann weiter: „[E]r zerreisst, was ihn reizt. Mit einem bösen Lachen dreht er um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, w e n n man sie umkehrt. […] Im Hintergrunde seines Treibens und Schweifens — denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste — steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. ‚Kann man nicht a l l e Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht Böse? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist Alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht ebendadurch auch Betrüger? M ü s s e n wir nicht auch Betrüger sein?‘“ Danach setzt die Autorin zu einer Interpretation des Gemäldes Der Lustmörder (Abb. 72) an, in dem sich Dix im Zustand der Raserei darstellt, umgeben von den umherfliegenden Körperteilen einer zerstückelten Frauenleiche. Sie deutet das Gemälde als Sinnbild für den „dadaistischen alles zersetzenden Willen einer negativ gerichteten Schöpferkraft“: „Heftig und impulsiv stürzt er sich auf das Objekt – zersetzt, zerstückt, zerschneidet mit der Wollust des Lustmörders alles, was er findet.“ Seit alters her wird die Kunst von einer nackten Frau versinnbildlicht, auch von den Dadaisten. So jedenfalls Raoul Hausmann in seinem Text Der deutsche Spießer ärgert sich: „O, meine Herren Spießer, Sie sagen, die Kunst sei in Gefahr? Ja, wissen Sie nicht, daß die Kunst eine schöne weibliche Gestalt ist, ohne Kleidung, daß sie darauf rechnet, ins Bett genommen zu werden, oder dazu anzuspornen? Nein, meine Herren, die Kunst ist nicht in Gefahr – 728 Schreiner, Otto Dix, S. 111; so auch Jan Dix über seinen Vater, s. https://www.youtube.com/ watch?v=0CjvG8OGxR0 (angerufen am 28.10.2021).
Ilse Fischer: Der Dadaist (Otto Dix)
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Abb. 72: Otto Dix, Der Lustmörder (Selbstbildnis), 1920, Öl/Lwd., 170 × 120 cm, Löffler 1920/12, zerstört
denn die Kunst existiert nicht mehr! Sie ist tot.“729 Für die Dadaisten ist die bürgerliche Kunst eine Hure, die sich mit dem Bürger ins Bett legt und sich an ihn verkauft; so hat die Opposition der Novembergruppe in ihrem offenen Brief die Rolle des Künstler in der kapitalistischen Gesellschaft als „aufgezwungene Drohnen- und Prostituiertenrolle“ charakterisiert.730 Noch näher an das Lustmörder-Selbstbild kommt Alfred Günther in seinem Essay über Gela Forster, in dem er die Kunst gar mit zerrissenen Menschenleibern gleichsetzt: „Du mußt, Künstler, das Letzte wagen. Nur Gewalt kann befreien. Rüttle an den sanft glänzenden Menschleibern, die in ihrer hellen Haut ruhen wie reife Früchte! Sprenge sie auf! Zerre ihre Glieder auseinander! Brich sie aus ihren Gelenken! Reiße sie aus ihren Achsenhöhlen!“731 Der Lustmörder ist Dix’ Selbstbildnis als Dada729 Hausmann, Der deutsche Spießer ärgert sich, S. 67. 730 Dix u.a., Offener Brief an die Novembergruppe. 731 Günther, Vor Bildwerken von Gela Forster. Katrin Hoffmann-Curtius hat das Gemälde als
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Illuminist, der Erleuchtung, also Erkenntnis in der Extremsituation, der sexuellen Ekstase im Blutrausch sucht. Am Ende ihres Textes geht Fischer auf die Kunst von Dix ein, die sie als einen „befreienden Gegenpol“ zu seiner Lebensführung und damit zu seinem Dadaismus beschreibt. „Aber seine Kunst ist der befreiende Gegenpol zu seinem Dadaismus. Hier fällt jede Eitelkeit, Schwäche, Disharmonie. Hier erwacht sein zielbewußter Wille, gelingt ihm das Zusammenraffen der widerstreitenden Kräfte, die zwingend klare Synthese. Hier kommt er zur positiven Schöpfung. Hier liegt sein Weg zu geschlossener Größe.“ Auch Nietzsche hat die Nützlichkeiten der Leidenschaften und Begierden betont, welche die Voraussetzung für das Vernichten sind. Das Vernichten selbst bezieht sich bei ihm auf den Schein bzw. die Illusionen und ist dem Schaffen als notwendige Vorbedingung eingeschlossen.732
Die Kunstwelt solidarisiert sich Gleichzeitig mit der Übersiedlung ins Rheinland erfolgte auch der künstlerische Durchbruch in Berlin. Die am 14. Oktober 1922 eröffnete Juryfreie Kunstschau richtete Dix eine Sonderschau mit Zeichnungen, Aquarellen und einer kleinen Kollektion von Gemälden ein, darunter das Mädchen vor dem Spiegel.733 Willi Wolfradts Reaktion im Kunstblatt fiel geradezu hymnisch aus: „Unheimlich stark, sich einbrennend in den Betrachter, die grellen, zynischen, aufschreckenden Bilder des Dresdners Dix, in ihrer antikünstlerischen Schärfe und in der Brutalität ihrer Entzauberungen mehr sozial als sinnlich-geistig erregend. […] So weit seitab vom Klima rein künstlerischer Wirkung dieser Dix steht, hilft nichts: die echtere Kunst rundum bleibt unwichtig neben seiner schrillen Energie.“734 Am Vormittag des 30. Oktober 1922 erschien auf Anordnung des Landgerichts ein Mitglied der Staatsanwaltschaft mit drei Polizeibeamten und beschlagnahmte fünf Exponate, darunter das Gemälde Mädchen vor dem Spiegel. Ein Oberlehrer aus Steglitz soll an den Darstellungen Anstoß genommen und Anzeige wegen Unzüchtigkeit erstattet haben.735 Die Berliner Kunstkritiker, durch vorangegangene Prozesse sensibi-
Allegorie auf Nietzsches Ästhetik der kreativen Zerstörung gelesen; s. Hoffmann-Curtius, John, der Frauenmörder. 732 Michael Skowron, Vernichten, in: Niemeyer, Nietzsche-Lexikon, S. 370. 733 Kat. Berlin 1922, Otto Dix: Saal-Nr. 2, 5, 19. 734 Wolfradt, Juryfreie Kunstschau (1922), S. 543. 735 M. O. [Max Osborn], Der Staatsanwalt bei der „Juryfreien“, in: Vossische Zeitung, 31.10.1922.
Die Kunstwelt solidarisiert sich
lisiert, reagierten entschieden auf diesen erneuten Eingriff in die Kunstfreiheit. Max Osborn, der Kunstkritiker der Vossischen Zeitung, unkte: „Die ‚Sittlichkeits‘-Schnüffelei geht wieder um. […] mit feinem Instinkt haben sich die Sittlichkeitswärter just ein paar Proben vom Besten ausgesucht, was die Ausstellung enthält. Der Maler Dix ist ein grimmiger Spötter, der mit einem Fanatismus des Hohns die Eitelkeit der Welt, der Zeit und der Menschen zu geißeln liebt. Sein ‚Mägdelein vor dem Spiegel‘ ist nichts weniger als eine rosige Oblatenschönheit, sondern eine verruchte, alte Vettel, die vor dem Spiegel Toilette macht und sich die Lippen schminkt. […] Wahrscheinlich hat jemand wieder die ‚Häßlichkeit‘ des Objekts mit künstlerischer Unschönheit verwechselt. Aber müssen Landgericht und Staatsanwaltschaft so kunstfremden Regungen nachgeben?“736 Furios fiel Adolf Behnes Beitrag in der Weltbühne aus. „Auch Otto Dix, der in der Juryfreien am stärksten interessiert, arbeitet an der Aufhebung des Bildes. Auch er sieht die aesthetische Angelegenheit ‚Bild‘ als erledigt an. Er benutzt also das Bild in einem bewußt außer-aesthetischen (‚kitschigen‘) Sinne zur unmittelbaren, desillusionierenden Wirkung auf den Menschen. […] Der Staatsanwalt […] schützte mit der Autorität das arme, von allen Seiten bedrohte ‚Bild‘, aber er fiel, wie das seine Pflicht ist, als moralische Person, einem Menschen in den Arm, der starken sittlichen Tendenzen folgt.“737 Die bis dahin umfassendste Ausstellung von Dix fand wohl zu Beginn des Jahres 1923 in der Galerie van Garvens in Hannover statt.738 Der Kunsthistoriker Eckart von Sydow, Direktor der Kestner Gesellschaft, rezensierte im Februarheft des Cicerone mit Redaktionsschluss 24. Januar 1923 und erwähnte eine große Zahl neuer Arbeiten, „Aquarelle und Ölbilder zumeist, außerdem einige graphische Blätter, so daß sich ein rundes Bild des Wesens des Malers ergibt.“ Er schloss: „[V]on all denen, die wie er um die Wesens-Schau der Scheußlichkeiten modernster Zeitläufe kämpfen, ist er der Überzeugteste und der Überzeugendste.“739 Als Begleitpublikation war die erste DixMonografie mit einem Text von Paul Ferdinand Schmidt erschienen, mit Bezug auf die Anklageerhebung: „Was man Grosz hingehen lässt: die grimmige Negation bürgerlicher Gefühlskomplexe, scheint bei Dix unverzeihlich und erregt groteske Empörung beim Publikum, groteske Abwehrmaßregeln bei Polizei und Staatsanwalt. Und so geschah es, dass er nur auf seine Stofflichkeit hin betrachtet und selbst von radikaler gesinnten 736 Ebd. 737 Behne, Der Staatsanwalt schützt das Bild, S. 547. 738 Nierendorf schrieb an Dix, dass Garvens „ja die erste große Ausstellung von Ihnen macht“; s. Karl Nierendorf an Otto Dix, o.D., Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,C-524a. 739 Sydow, Hannover.
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Kritikern schnöde im Stich gelassen worden ist, weil niemand imstande war, das außerordentliche Phänomen zu überschauen, das uns hier entgegentritt, und das uns zu einer abermaligen Umwertung unsrer Kunstwertungen zwingen wird.“740
Der Unzuchts-Prozess Der Prozess gegen Dix wegen „Verbreitung unzüchtiger Darstellungen“ begann am 17. April 1923 vor dem Berliner Landgericht. Als Gutachter vertraten Ernst Cohn-Wiener, Max Osborn, Willi Wolfradt, Karl Nierendorf sowie Karl Hofer, Max Slevogt und Hermann Sandkuhl die Interessen des Angeklagten. Die Vossische Zeitung berichtete am 26. März 1923, dass mehrere Gemälde von Dix ins Gericht geschafft worden seien, um den „ernsten Charakter des Malers“ unter Beweis zu stellen.741 Die Dresdner Neuesten Nachrichten verfolgte den Prozess genau und berichtete über die Vertagung und am 28. Juni 1923 über den Freispruch.742 Da der Maler in Dresden von der Bildfläche verschwunden war, kursierte dort das Gerücht, er sei verhaftet worden.743 Zu Prozessbeginn erschien ein Dix-Sonderheft des Kunstblattes mit Carl Einsteins Dix-Artikel sowie Reproduktionen von sieben Gemälden und Grafiken der Jahre 1922 und 1923.744 Zudem engagierte sich Herausgeber Paul Westheim am 17. August 1923 in einem furiosen Artikel in der Frankfurter Zeitung für den Maler.745 Rechtzeitig zum Prozessbeginn widmete Karl Nierendorf Dix zum ersten Mal in Berlin eine Einzelausstellung. Der Kunsthändler hatte, nachdem I. B. Neumann seine Tätigkeit nach Amerika verlegt hatte, die künstlerische und geschäftliche Leitung von dessen Graphischem Kabinett in der Kurfürstenstraße 232 übernommen und eröffnete dieses mit der DixSchau. Zu sehen waren Arbeiten auf Papier und einige Gemälde, darunter der Matrose Fritz Müller aus Pieschen und Zuhälter mit Nutte.746 Als besonderen Coup integrierte Nierendorf, nachdem der Staatsanwalt es freigegeben hatte, das inkriminierte Mädchen vorm Spiegel in die Schau.747 In der Vossischen Zeitung begrüßte Max Osborn diesen Zusammenhang ausdrücklich: „Gerade zur rechten Zeit, zur allgemeinen Aufklärung vor 740 Schmidt, Otto Dix (1923). 741 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,B-23 (Rechtsstreitigkeiten, Prozesse, Mädchen vor dem Spiegel, Im Salon, 1923); Strobl, Malerkarriere, S. 67ff. 742 „Mädchen am Spiegel“, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 28.06.1923. 743 Otto Griebel an Johanna Ey, zit. nach: Kat. Düsseldorf 1987a, S. 66. 744 Einstein, Otto Dix; Windhöfel, Paul Westheim, S. 203. 745 Paul Westheim, Otto Dix, in: Frankfurter Zeitung, 17.08.1923. 746 Wolfradt, Berliner Ausstellungen, S. 359. 747 Rubrik Kleine Nachrichten, Berlin, in: Der Cicerone, Jg. 15, 1923, S. 984.
Der Unzuchts-Prozess
dem unverständlichen Prozeß, den der Staatsanwalt nächste Woche gegen den Dresdener Maler Otto Dix führen wird, kommt die Ausstellung des Künstlers im Graphischen Kabinett bei Neumann. Keiner der beamteten Juristen, die über Dix zu Gericht sitzen werden, dürfte versäumen, hier einen Begriff vom Wesen dieses merkwürdigen Malers und Zeichners zu gewinnen.“748 Das Presseecho war gewaltig. Willi Wolfradt berichtete im Cicerone, Alfred Kuhn in Kunstchronik und Kunstmarkt, Karl Scheffler in Kunst und Künstler, Fritz Stahl, Dix im Graphischen Kabinett, Max Osborn in der Vossischen Zeitung und im Berliner Tageblatt u. Handelszeitung. Auch die bürgerliche Presse stand nun hinter Dix. Alfred Kuhn meinte etwa, Dix sei bisher nur ungünstig in Berlin vertreten gewesen. „Auf den Ausstellungen der Novembergruppe erschien er als ein talentvoller, aber reichlich manierierter Bürgerfresser. Die Überschau bei Neumann zeigt ihn als eine der stärksten Potenzen der jungen Generation, als einen Mann, mit dem sich sehr ernstlich zu beschäftigen dringend notwendig ist.“749 Auf der am 19. Mai 1923 eröffneten Großen Berliner Kunstausstellung oder Juryfreien Kunstschau war Dix mit zwanzig neuen Gemälden vertreten. Willi Wolfradt, der mit seinen Beiträgen für das Kunstblatt und den Cicerone die Berichterstattung dominierte, brach in Jubel aus: „Und schließlich mehr als zwanzig neue Werke von Otto Dix, Bild um Bild aufregend diese herzzerreißende Aufrichtigkeit mit phantastischen Gelächtern, eins schärfer gefaßt, stupender gemalt als das andere. Das ist ein toller Bursche, wahrhaft genial in der Rasanz seines Stils, urwüchsige Fülle und scharfe Entschlossenheit, ein triumphierender Umkrempler, ein Kursweisender. Jetzt mehr sagen, hieße ihn verkleinern. Ein andermal von ihm, den die `Juryfreie´ so zu zeigen und stolz ihr Eigen zu nennen ein gutes Recht hat.“750 Das Gericht hatte auch den Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste Max Liebermann als Zeugen benannt, dieser hatte jedoch aus Altersgründen abgesagt.751 Doch hätte kein Auftritt vor Gericht die Wirkung haben können wie das, was er stattdessen tat: nämlich Dix in die Frühjahrsausstellung der Akademie aufzunehmen. Während also ein preußisches Gericht darüber verhandelte, ob Dix’ Werk nun Kunst sei oder nicht, stellte die höchste preußische Kunstinstitution ihn aus. Karl Schefflers Bemerkung, Dix sei akademiereif geworden, während die Staatsanwaltschaft ihm aus seiner Malerei ein Verbrechen mache, nahm auf die paradoxe Situation Bezug.752 Da748 749 750 751
Max Osborn, Kunst-Umschau, in: Vossische Zeitung, 13.04.1923. Kuhn, Otto Dix-Ausstellung bei I. B. Neumann. Wolfradt, Berliner Ausstellungen, S. 1056. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv, NL Dix, Otto, I,B-23. (Rechtsstreitigkeiten, Prozesse, Mädchen vor dem Spiegel, Im Salon, 1923). 752 Scheffler, Die Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste, S. 288.
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mit hingen Dix’ Werke an dem Ort, dem Leitbildfunktion für die Kunst in Deutschlands zukam. Hier zählte nicht der Stoff, also das Dargestellte, sondern die Qualität der künstlerischen Arbeit – dafür stand Liebermann mit seiner ganzen Autorität ein. Genau dies brachte Lothar Brieger in der Berliner Zeitung zum Ausdruck: Dix sei zwar „ein seltsamer Gast in einer Akademieausstellung!“: „Aber nicht minder seltsam, wie diese sehr starke Begabung, sicher eine der stärksten unter den Jüngeren, hier, wo nicht der Stoff, sondern die Qualität der Arbeit den Ausschlag gibt, durchaus zum Platze ist.“753 Dix hatte bewiesen, dass das Gemälde kein Auslaufmodell war, sondern vielmehr in der Lage, alle bürgerlichen Konventionen und Vorstellungen zu sprengen und sich so als bildnerisches Medium zu erneuern. Das Feuilleton stand fast geschlossen hinter Liebermanns Entscheidung. Max Osborn feierte im Titel eines Zeitungsbeitrags Die Akademie als Hüterin.754 Ab 1923 war Dix regelmäßig auf den Ausstellungen der Berliner Akademie vertreten; Liebermann sollte dort im folgenden Frühjahr seinen Schützengraben vorstellen und damit einen der größten Kunstskandale der Weimarer Republik auslösen. Der Freispruch erfolgte am 26. Juni 1923. Das Gericht sah es als bewiesen an, dass das Gemälde „unzweifelhaft“ einen ernsten Charakter trage und ihm ein bedeutender, anerkannter künstlerischer Wert innewohne und es daher in seiner Totalität nicht als unzüchtig im Sinne des Gesetzes anzusehen sei.755
An die Schönheit 1922 widmete Dix sein Selbstbildnis der Schönheit (Abb. 73) und griff damit einen Leitbegriff idealistischer Kunsttheorie und Ästhetik auf. Als solcher meint er Naturschönheit. Doch Dix widmete sich der Schönheit des modernen Lebens, genauer des modernen Gesellschaftslebens und damit einer gemachten, einer inszenierten, einer künstlichen Schönheit. „Die Schönheit unseres täglichen Lebens“, so Raoul Hausmann in seinem Manifest PRÉsentismus, „wird bestimmt durch die Mannequins, die Perückenkünste der Friseure, die Exaktheit einer technischen Konstruktion.“756 Inspiriert war er dabei von William Hogarths kunsttheoretischer Abhandlung Analysis of Beauty (London 1753), die 1914 in deutscher Übersetzung und einer schönen, 753 Lothar Brieger, Die Frühjahrsausstellung der Akademie, in: Berliner Zeitung am Mittag, 05.05.1923. 754 Max Osborn, Die Akademie als Hüterin, in: Vossische Zeitung, 05.05.1923. 755 Max Osborn, „Unzüchtige Bilder“. Ein Vorschlag zur Güte, in: Vossische Zeitung, 04.07.1923; N. N., Freispruch, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 28.06.1923. 756 Zit. nach Bergius, Montage und Metamechanik, S. 228.
An die Schönheit
Abb. 73: Otto Dix, An die Schönheit, 1922, Öl/Lwd., 139,5 × 120,5 cm, Löffler 1922/6, Von der Heyd-Museum, Wuppertal
handlichen Ausgabe im Berliner Julius Bard Verlag erschienen war.757 Für George Grosz war Hogarth „das künstlerische Leitbild schlechthin“. Nicht nur dessen beißende Gesellschaftskritik faszinierte Grosz, er war ebenso in seinem „zerstückelnd montierenden Schönheitsideal von niemandem so beeinflußt wie von Hogarth“ (Peter-Klaus Schus757 Leitner, William Hogarths Aufzeichnungen.
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Abb. 74: William Hogarth, Analysis of Beauty, Tafel I, Der Statuenhof, 1753, 38.8 × 50 cm, Radierung und Kupferstich, Metropolitan Museum New York, Inv.-Nr. DP827041
ter) und signierte sogar mit Hogarths Schönheitslinie unter seinem Namen.758 Das neu erwachte Interesse an dem Kunsttheoretiker des 18. Jahrhunderts dürfte damit zusammenhängen, dass sich Hogarth sowohl mit sozialen als auch mit formalen Problemen auseinandergesetzt hat; er war sozusagen ein Bauhäusler des 18. Jahrhunderts. In seiner Schrift bestimmte er Schönheit als eine gedrehte S-förmige Linie („line of beauty“), die allem Schönen innewohne. Hogarth veranschaulichte seine Vorstellungen in zwei Kupferstichen: Der Statuenhof und Der Tanz (Abb. 75 und 76). Ersterer zeigt einen Hof mit antiken Skulpturen, letzterer einen Ballsaal mit tanzenden Paaren. Gemeinsam ist ihnen, dass viele kleine Einzelbilder ein größeres, programmatisches Mittelbild rahmen. Die Einzelbilder enthalten die Bausteine, aus denen sich das Schöne bauen lässt, das im großen Mittelbild gezeigt wird; mit den Einzelbildern sind die ästhetischen Prinzipien der Vielfalt und Variation angesprochen, die an Stuhlbeinen, an Beispielen aus der zeitgenössischen Kleider- und Frisurenmode wie Korsagen, am Schraubengewinde eines Bratenwenders veranschaulicht werden. 758 Schuster, Grosz als neuer Hogarth, S. 154.
An die Schönheit
Abb. 75: William Hogarth, Analysis of Beauty, Tafel II, Der Tanz, 1753, Kupferstich, 39 × 52.5 cm, Metropolitan Museum New York, Inv.-Nr. DP827041
In seinem der Schönheit gewidmeten Selbstbildnis steht Dix in einem gründerzeitlichen Tanzsaal, ganz ähnlich dem des legendären Ballhauses Watzke in DresdenPieschen, also dem Ortsteil, auf den schon der Titel des Gemäldes Matrose Fritz Müller aus Pieschen Bezug nahm. Herausgeputzt nach der letzten Mode mit amerikanischem Anzug und pomadiertem, straff nach hinten gekämmtem Haar, zudem gepudert und geschminkt, tritt Dix uns als Da-Dandy entgegen, wie wir dies bereits aus anderen Selbstdarstellungen kennen. Der Dandy, insbesondere der Da-Dandy ist der Feind des Bürgers, denn er vertritt einen Lebensentwurf des Künstlerischen und Künstlichen. In der Rolle des Da-Dandys, die er hier einnimmt, hat Dix seinen Wirkungsort, sein ehemaliges Atelier, die Straße, verlassen und ihn in den bürgerlichen Tanzsalon verlegt. Und hier lässt er nun die Exponenten der Schönheit auftreten, allerdings nicht nur die „Mannequins und Perückenkünste“ von 1922, sondern auch die der Zeit um 1900. Das Inventar vieler seiner Werke – Palmen, Säulen, überhaupt der Tanzsalon – steht für die ästhetischen Prinzipien der Gründerzeit, für die Malerfürsten der Jahrhundertwende wie Hans Makart, deren Ateliers gesellschaftliche Treffpunkte waren und die Ästhetik ihrer Zeit grundlegend geprägt haben. Der An-
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spruch, den Dix vorträgt, ist also ein gewaltiger. Er ist bereit, die Schönheit seiner Zeit zu formen. Dix steht im Zentrum und damit im Kreuzungspunkt älterer und neuerer Schönheitsprinzipien. Indem er ältere ästhetische Leitbilder zur Definition der Schönheit heranzieht, gelingt es ihm, deren Veränderbarkeit und Zeitgebundenheit zum Ausdruck zu bringen und so den Ewigkeitsanspruch des idealistischen Schönheitsbegriffes anzugreifen. Tatsächlich war die Großstadt im Jahr 1922 ja noch nicht von der Bauhausästhetik geprägt, sondern von der Ästhetik der Gründerzeit. Für die alten Schönheitsideale stehen Friseurbüste und Korsettpuppe, für die neue Jazzband und Tanzpaar. Die Musik, die erklingt, ist der Jazz. Dix selbst nannte das Bild sein „Jazzbandbild“.759 Bei der Frauenbüste links handelt sich um eine Friseurbüste, wie in den Vorzeichnungen noch deutlich erkennbar ist.760 Änne Söll hat auf die Parallelisierung ihres stark geschminkten Gesichts mit dem von Dix hingewiesen, das ihre Farbgebung in abgeschwächter Form nachahme: „Auch sein Gesicht ist weiß gepudert, mit Rouge unter den Augen, auf den Wangen und Lippen versehen, wenn auch in lange nicht so intensiver Farbtönung wie die Büste. So wirken Dix und die Büste einerseits wie ein Paar […].“761 Eine analoge Paarbildung, auf Parallelisierung und Kontrastierung beruhend, besteht mit der Korsettladenschneiderpuppe im rechten Hintergrund. Auch sie steht für vergangene Schönheitsprinzipien, denn ihre durch enge Schnürung erreichte Sanduhrform prägte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts, zur Kaiserzeit aus. Wegen der starken Einschnürung der inneren Organe kritisierte die Reformbewegung das Korsett als gesundheitsschädlich und propagierte das locker fallende Reformkleid, wie es die Tänzerin im Mittelgrund trägt. Da-Dandy Dix steht mit seinem taillierten, körperbetonten Anzug, der schmalen Taille und dem geschminkten Gesicht in der Tradition der Korsettpuppe; Dandys schminkten sich nicht nur, manche trieben den Schönheitskult sogar so weit, Korsett zu tragen. In der Person des Da-Dandy vereinigte Dix also die alten und die neuen Schönheitsprinzipien. In der Hand hält Dix ein Telefon und bekennt sich damit als Nutzer neuester Kommunikationsmedien und somit als Zeitgenosse. Er hält es attributhaft, wie Heiligenfiguren auf mittelalterlichen Altarretabeln ihre Beigaben halten, die wiederum sinnbildlich für diese selbst stehen. Ähnlich steht das Telefon für Dix, der sich laut seines Statements im Manifest des Illuministen als modernes Kommunikationsmedium verstand: „[L]etzten Endes ist doch jeder echte Künstler Medium. Wessen? Seiner selbst!“ 759 Zit. nach Kat. Düsseldorf 1994, S. 36. 760 Dies wird durch die vorbereitenden Skizzen bestätigt; s. Lorenz, Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, EDV 4.8.23–4.8.25, S. 594. 761 Söll, An die Schönheit, S. 153.
Das Schicksal der Dada-Werke
Dix entwickelt hier die Idee des Gemäldes als Bildkasten weiter, die er in verschiedener Form in Die Kriegskrüppel und Prager Straße (s. S. 191) vorgeführt hatte. Das Schaufenster hat sich zum Schauraum einer Tanzbar geweitet, in der es nicht zuletzt auch um Sehen und Gesehenwerden geht. Dix arrangiert seine Figuren im Bild, wie ein Dekorateur Kleiderpuppen und sonstige Utensilien im Schaufenster anordnet, und diesen entsprechen auch die wie eingefrorenen eckigen Bewegungen. Die Realität ist zum Wachsfigurenkabinett geworden. An die Schönheit stellt keine realistische Tanzszene statt, sondern eine seltsame Begegnung zwischen Korsettpuppe und Friseurpuppe, Tanzpaar und Jazzband; die Stimmung und Konstellation muten durchaus surreal an. Die Schönheit, die Dix hier in seinem Gemälde preist, ist kein Naturphänomen, sondern ein Kulturphänomen, eine hergestellte, die Welt, die er zeigt, eine konstruierte, eine Kunstwelt aus Realitätspartikeln. Dix erwähnte das Konstruierte dieses Bildes in einem Brief an Martha: Er habe im Café, vermutlich einem Künstlertreffpunkt, über „konstruktive Perspektiven“ gesprochen, „weil ich nämlich gerade an meinem Jazz-Bands Bild zu konstruieren habe.“762 Die außerordentliche Materialität seines tweedartigen Anzugsstoffes wird durch helle grüne Schraffuren auf dunklem Grund hergestellt, was ihn lebendig, ja „lebensecht“ erscheinen lässt. Es ist ein analoges Verfahren, kein mimetisches. Entsprechend ist Dix’ Dada-Realismus ein analoger, ein scheinbarer Realismus. Denn die Wahrheit, so Nietzsche, wird in der Kunst symbolisiert, und dazu muss sie sich des Scheines bedienen. Doch der Schein wird nicht mehr als Schein genossen, sondern als Symbol, als Zeichen der Wahrheit.763
Das Schicksal der Dada-Werke Zwei Hauptwerke der Dadaphase wurden 1933 bei einer der ersten nationalsozialistischen Säuberungsaktionen „Entartete Kunst“ aus dem Bestand des Dresdner Stadtmuseums beschlagnahmt und 1937 in der Münchner Feme-Ausstellung Entartete Kunst gezeigt: Die Kriegskrüppel (Abb. 36) und der Schützengraben (Abb. 76). Ersteres hatte Paul Ferdinand Schmidt 1920 aus Stiftungsmitteln für das Museums angekauft.764 Im Falle des Schützengrabens ist die Provenienz komplexer. Das Gemälde war 1924 direkt aus Dix’ Atelier vom Kölner Wallraf-Richartz-Museum angekauft und dort in die Neueröffnungsausstellung aufgenommen worden. Die Kontroverse, die es entzündete, führ762 Otto Dix an Martha Koch, 1922, s. Dix, Briefe, S. 58. 763 Nietzsche, Die dionysische Weltanschauung, 3, s. http://www.nietzschesource.org/#eKGWB (Zugriff 04.05.2022). 764 Wartenberg, Die Städtische Kunstsammlung Dresdens, S. 54.
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te dazu, dass es 1925 an Dix’ Kunsthändler Nierendorf zurückgegeben werden musste. 1928 erwarb es Hans Posse als gemeinsamer Ankauf des Patronatsvereins und der Stadt Dresden für die Dresdner Gemäldegalerie, gab es jedoch kurz vor der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ an das Stadtmuseum ab, aus dessen Bestand es dann beschlagnahmt wurde.765 Beide Werke sind verschollen. Die meisten Dada-Werke befanden sich zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 jedoch noch in Dix’ Besitz. Da er als einer der von den Nationalsozialisten meistgehassten Maler Haus- bzw. Atelierdurchsuchungen sowie Beschlagnahmungen fürchten musste, verbarg er als gefährdet eingeschätzte Bilder in fünf Bilderkisten 1933 in einem Speicher der Bienert’schen Mühlen.766 Im Februar 1944, mit Heranrücken der Ostfront, wurden die Kisten nach Reinholdshain im Erzgebirge, heute ein Ortsteil von Dippoldiswalde, in das landwirtschaftliche Gut Pfunds Erbenhof verlagert. Nach einer unvollständigen Auslagerungsliste befanden sich fünf Bilder dort: Straßenkampf, Die Barrikade, zwei Fassungen des Lustmörders und Mädchen auf dem Sofa (Was nützt dem Kaiser die Krone, was nützt dem Seemann sein Geld). Letzteres, so Dix, sei dort vernichtet worden.767 Das Kriegs-Triptychon wurde 1946 von Reinholdshain nach Dresden gebracht, um es auf der Ersten Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung im Oktober dieses Jahres auszustellen.768 Auch Sulaika, das tätowierte Wunder dürfte auf diesem Wege gerettet worden sein; jedenfalls hat sich das Bild erhalten. Die übrigen Gemälde blieben jedoch am Auslagerungsort und wurden vom Pächter des Guts 1950 dort zerstört. Lothar Fischer hat diesen absurden Fall einer Bildervernichtung rekonstruiert.769 Anlässlich des Prozesses, der vor dem Landgericht Dresden in dieser Causa geführt wurde, machte der Pächter zu den Gemälden folgende Angaben: Zwei seien je etwa zwei mal zwei Meter groß gewesen und hätten die Revolution von 1918 oder Kriegsdarstellungen gezeigt. Die Angaben weisen auf Straßenkampf (1927/1) und Die Barrikade (Abb. 55) hin. Auf einem weiteren gleichgroßen Bild, so der Pächter, sei ein Mann zu sehen gewesen, der eine Frau zerstückelte; damit ist zweifellos das Gemälde Der Lustmörder gemeint, das nach Angaben von Dix eine ungefähre Größe von 180 auf 120 Zentimeter hatte. Er gab zudem an, drei kleinere Gemälde von ungefähr 40 auf 60 Zentimeter vernichtet zu haben; auf einem habe sich eine Frau vor einem Spiegel die Haare gekämmt (vermutlich Mädchen am Spiegel, Abb. 71), die übrigen konnte er nicht mehr beschreiben. Doch kann vermutet werden, dass es sich um die beiden Salon-Gemälde gehandelt hat. 765 766 767 768 769
Dalbajewa/Peters, Die Auseinandersetzung mit dem Krieg. Fischer, Beschlagnahmt – zerstört – verschollen. Otto Dix an Otto Conzelmann, 17.02.1951, s. Dix, Briefe, S. 582. Dalbajewa, Das Triptychon „Der Krieg“ in der DDR, S. 259 und Anm. 1, S. 267. Fischer, Beschlagnahmt – zerstört – verschollen.
Dada-Malerei als nietzscheanische Malerei Lange wurde insbesondere in der deutschen Kunstgeschichtsschreibung das Bild von Dada als Anti-Kunst gezeichnet: Danach stand der wahre Dadaist in Opposition zum konventionellen Gemälde, d.h. er performte, er collagierte, er montierte, aber er malte nicht. Doch dieses Image basiert nicht zuletzt auf der Selbstdarstellung vor allem der Berliner Dadaisten aus der Nachkriegszeit, die vor dem Hintergrund neodadaistischer Kunstbewegungen ein auf den ästhetischen Nachkriegskanon zugeschnittenes DadaBild als Anti-Kunst zeichneten.770 Die neuere Forschung zeichnet ein offeneres Bild von Dada als einer künstlerischen Befreiungsbewegung, die als solche positive Ziele verfolgte, nämlich eine neue Kunst zu schaffen, „die unmittelbare Vergegenwärtigung der Wirklichkeit“ sein sollte, wie Richard Huelsenbeck in seiner ersten Dadarede in Deutschland betont hatte.771 Dada verfolgte das Ziel, „die moralischpharisäische Bürgerwelt mit ihren eigenen Mitteln zu zerschlagen“,772 wie der führende Kopf der Berliner Dadaisten Raoul Hausmann proklamierte. Und dazu durfte Dada gemäß Hausmann „alle Formen und Gebräuche“ benutzen, also auch und insbesondere das bürgerlichste Kunstmedium, das konventionelle ‚Salongemälde‘. Otto Dix jedenfalls malte große, anspruchsvolle Dada-Gemälde, mit denen er auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin Furore machte, und nannte sich ganz programmatisch „Maldadadix“. Ihm kommt das große Verdienst zu, Dada „in großen Malstil verwandelt“ zu haben, wie Arno Nadel 1921 anerkannte (s. S. 216f.). Otto Dix kam im Mai 1919 mit Berlin-Dada in Kontakt, rezipierte das Dadaistische Manifest von 1918 sowie weitere dadaistische Schriften und traf George Grosz. Die „unmittelbare Vergegenwärtigung der Wirklichkeit“ (Richard Huelsenbeck), die Dada in der Kunst forderte, hatte bereits zuvor eingesetzt. Lichtphänomene, die Dix schon in seinem Vorkriegswerk außerordentlich interessiert hatten, wurden nicht mehr dargestellt, vielmehr wurde das reale Licht mittels Silberfarbe und Aluminiumfolie ins Bild 770 Lindlar, Visuelle Lautpoesie, S. 84–88 (Exkurs: Der ‚Mythos‘ Dada und das Problem seiner Erforschung). 771 Huelsenbeck, Erste Dadarede in Deutschland; zur Deutung Dadas als positive Kraft s. Berg, Avantgarde und Anarchismus, S. 456–457; Asholt/Fähnders, Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), Einleitung, S. XVIII. 772 Hausmann, Was will der Dadaismus in Europa?, S. 95.
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Abb. 76: Otto Dix, Der Schützengraben, 1920–1923, Öl/Lwd. (Rupfen), 227 × 250 cm, Löffler 1923/2, Verbleib unbekannt
integriert; an die Stelle dargestellter Lichtphänomene traten reale Lichtphänomene. Dix „realisierte“ die Kunst (um die Formulierung von Erwin Schulhoff aus seinem manifestartigen Text Revolution und Musik anzuwenden). Nach dem Kontakt mit Berlin-Dada radikalisierte sich dieser Prozess. Das Licht wurde nun mittels Glitter und Leuchtfarbe sowie dreidimensionaler reflektierender Objekte ins Bild geholt. Zudem klebte Dix auch Realien wie Fotos, Geldscheine, Flugblätter, Haarlocken, Textilien ins Gemälde, wurde gar zum Monteur und schuf bewegliche Bilder, die eine direkte Interaktion des Betrachters einfordern (Bewegliches Figurenbild, Abb. 52). Dabei rezipierte Dix Dada als nietzscheanische Kunst. Salomo Friedlaenders philosophisches Hauptwerk Schöpferische Indifferenz hatte dazu den Weg bereitet. Dix arbeitete in den Jahren 1919 bis 1922 konsequent an einer Kunst des dionysischen Jasagens zur Welt, wie sie ist, ohne Abzug, Ausnahme und Auswahl. Seine von Nietzsche inspi-
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rierte Umwertung aller Werte in der Kunst führte zu einem Wechsel in der Auswahl von Vorbildern. Er bezog sie nicht wie zuvor (Leda und der Schwan, Abb. 14) aus der Hochkunst, sondern aus dem Kunstgewerbe und der Alltags- und Trivialkunst. Dada gab ihm die Freiheit, mechanische und automatistische bzw. halbautomatistische Malverfahren, die er sich während seiner Anstreicherlehre und Ausbildung als Dekorationsmaler angeeignet hatte, in das Geniemedium Gemälde zu übertragen. Maldadadix wurde zum Anstreicher, zum Schildermaler, zum Dekorationsmaler, zum Kulissenmaler und zum Tätowierer (Die Kriegskrüppel, Abb. 36, Sulaika, das tätowierte Wunder, Abb. 63). Auch der Umstand, dass die Realie bei Dix das Bild nie dominiert, sondern sich sowohl formal wie auch inhaltlich dem Gemaltem unterordnet, folgt einer nietzscheanischen Logik. Für Nietzsche war die Kunst ein Erkenntnisinstrument. Das Sein ist Schein, die Kunst daher, wie seit Plato kritisiert, Schein vom Schein. Im Unterschied zum Sein kommt ihr jedoch die Fähigkeit zu, ihre Scheinhaftigkeit erkennbar zu halten. Nietzsche sprach der Kunst daher – wie schon Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer vor ihm – Erkenntniswert zu. Allerdings muss das Gemälde, um seinen Erkenntnischarakter zu bewahren, den illusionistischen Effekt präsent halten; die Bildwelt muss als eine von der Realität geschiedene, als etwas Künstliches definiert sein. Das war der Grund, weshalb Dix dazu überging, das dadaistische ‚Prinzip Collage‘ in die Malerei zu übertragen, als Konstruktionsprinzip und Maltechnik, und so zum Konstrukteur und Polytechniker zu werden. Er suchte Faktur und Fakturkontraste, wie dies zahlreiche Dada-Maler und Künstler des Bauhauses getan haben. So stellte er sicher, dass das Bild als etwas Gemachtes erkennbar ist und bleibt. Dix wandte das ‚Prinzip Collage‘ auf allen Ebenen des Bildherstellungsprozesses an, des materiellen wie des gedanklichen: „Ich sammle fortwährend, und aus dem Gesammelten wird das Ganze. Ein Bild ist bei mir nie auf Anhieb fertig […].“773 Um die Distanz zur Realität aufrechtzuerhalten, gibt es in den Dada-Gemälden von Otto Dix keinen atmosphärischen Raum, der die Bildgegenstände miteinander verbindet. Nichts außer der Bild-Konstruktion hält sie zusammen. Deshalb kehrt Dix den Blick des Betrachters so gerne um: Er fällt nicht mehr aus dem Innern wie durch ein Fenster auf die Welt, wie dies das Modell der neuzeitlichen Malerei ist. Dix wählt vielmehr das spätmittelalterliche Modell des Kastenraums, in den der Blick des Betrachters von außen eindringt. Sein Bildmodell entspricht dem Schaufenster (Prager Straße), den Fenstern eines Bordells (Altar für Cavaliere) oder der Bühne als Panoptikum (Sulaika). In jedem Fall jedoch verengt sich der Blick, fokussiert sich auf eine konstruierte Kunstwelt, deren Elemente kulissenartigen Charakter haben und deren Bildfiguren Schaufenster- oder Friseurpuppen ähneln (An die Schönheit, Abb. 73). Auch seine Malverfahren stehen in einem analogen Verfahren zur Wirklichkeit. Nehmen wir 773 Dix, im Gespräch mit Hans Kinkel, S. 252.
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als Beispiel den Anzugsstoff im Gemälde An die Schönheit: Dessen tweedähnliche Struktur ist durch helle grüne Schraffuren auf dunklem Grund hergestellt, was ihn lebendig, ja „lebensecht“ erscheinen lässt. Das Reale wird so in ein künstlerisches Konstrukt transformiert. Welche eminente Bedeutung Dada als künstlerische Befreiungsbewegung für das Werk von Otto Dix hatte, belegt sein verschollenes Hauptwerk, Der Schützengraben (Abb. 76), eines der bedeutendsten Gemälde des 20. Jahrhunderts. Dieses monumentale Anti-Kunst-Kunstgemälde war ein „Anti-Anton-von Werner“ (Otto Dix), das der vorangegangenen heroisierenden und damit als verlogen empfundenen Kriegsmalerei ein wahrhaftes Bild des Krieges entgegensetzte. Das Werk gilt als Beispiel für Dixens Realismus bzw. Verismus und damit als Abkehr und Überwindung Dadas. Das ist, wie dargelegt, eine der absurdesten Fehldeutungen der Kunstgeschichtsschreibung, denn die Rückkehr der Kunst zur Realität war die oberste Maxime Dadas! Dix begann mit der Arbeit daran im Jahr 1920 und damit auf dem Höhepunkt seines Dada-Schaffens. Die engste stilistische, maltechnische und motivische Verwandtschaft besteht mit dem Gemälde Die Barrikade, mit dem sich Dix im Oktober 1920 als Maldadadix präsentierte (s. Abb. 55 und S. 195ff.). Schon diese All-Over-Komposition mit schießenden und toten Spartakisten setzte den Eigenausdruck von Farbe und Faktur darstellerisch ein und somit Dadas Forderung nach „unmittelbare[r] Vergegenwärtigung der Wirklichkeit“ um. So war die Wunde eines Erschossenen als Loch in die Leinwand gestoßen und mit roter Farbe „umkrustet“.774 Wie die Die Barrikade war Der Schützengraben ein dadaistisches, nämlich ein bruitistisches Bild, ein – frei nach der Definition im Dadaistischen Manifest von 1918 – simultanes Gewirr von Leichen und Leichenteilen in verschiedenen Zersetzungs- und Verwesungsphasen. Er stellte die Folgen menschlicher Gewalt dar und war zugleich ein „Beispiel malerischer Gewalt“ (Willi Wolfradt).775 Denn auch der Farbauftrag war „bruitistisch“, wie Beschreibungen des Originals bestätigen, die von einem „grauenhaft schönen Bild“ sprechen, mit „starken, schleimig gleißenden Farben“, die pastos, mitunter „ganz dick aufgetragen“ waren, die Darstellung „schwärend in chaotischen Farben und sumpfiger Verstrickung.“776 Eine annäherungsweise Vorstellung von der Materialität und Farbigkeit gibt das Gemälde Tiere in Phantasielandschaft von 1923 (Abb. 77), das in der Phase der Vollendung des Schützengrabens bzw. unmittelbar danach gemalt wurde. Denn fertiggestellt wurde das Antikriegs-Kriegsbild erst 1923, und zwar nach der Übersiedlung des Malers ins Rheinland. Der Umstand, dass Dix „Farbchaoten“ ge774 Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 50; s. dazu auch: Schwarz, Dix und Wols, S. 119– 120. 775 Wolfradt, Otto Dix, S. 14. 776 Zu den Besprechungen s. Schröck-Schmidt, Die Rezeption des „Schützengraben“, S. 42ff.
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Abb. 77: Otto Dix, Tiere in Phantasie-Landschaft, 1923, Öl/Lwd., 125 × 83,5 cm, Löffler 1923/13, Kunstpalast, Düsseldorf
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malt und Farben in rohester Unverschämtheit verwendet habe, wurde von Ilse Fischer in ihrem Artikel über den Dadaisten Dix vom Herbst 1922 ausdrücklich als dadaistisch deklariert (s. Anhang, S. 264–270). Der Schützengraben ist das großartigste Beispiel der monistisch-polaren Dada-Malerei, mit der sich Dix als Polarisator im Sinne der stark von Nietzsche inspirierten Schöpfungsphilosophie Salomo Friedlaenders auswies. Polar war der Farbauftrag, der einerseits die Materialität der Farbe durch pastosen Auftrag und möglicherweise Beimischung fester Substanzen wie Sand betonte, an anderen Stellen mit Öl verdünnte und mittels lichtreflektierender Untermalung, möglicherweise auch Phosphor bzw. Leuchtfarbe, entmaterialisierte. Eine Beschreibung führte aus, Dix habe „versucht, das Übergewicht der Stofflichkeiten durch Farbenspiel aufzuheben, am deutlichsten etwa dort, wo das schweflige Grün und Gelb in der Pfütze und Grabensohle in dem Regenbogen hoch oben aufgenommen und verklärt wird.“777 Neben den Brutalismus des Farbauftrags, das Impasto der Oberfläche, die Materialität des Gemäldes tritt die Farbe als entmaterialisierte Substanz, als Licht und Energie. Aus der Negativität der Zerstörung bricht die Bejahung hervor. Der Schützengraben vergegenwärtigt das Grauen und transzendiert es zugleich: Im Hintergrund geht die Sonne auf, ein neuer Tag beginnt und mit ihm der endlose Kreislauf von Untergang und neuem Werden. Ernst Kállai hat die inhaltliche Polarität des Gemäldes auf den Punkt gebracht: „Das Schützengrabenbild von Dix könnte ebensogut der Gegenstand höchster Anbetung eines fanatischen Kriegsgottverehrers, als pazifistisches Propagandamittel sein“.778 Für die Dada-Malerei ohne Collage-Elemente, wie sie der Schützengraben hier repräsentiert, und damit die Schaffensphase 1921/22 hat sich der Begriff Verismus eingebürgert, worunter man eine Form von Realismus mit sozialkritischer Tendenz versteht. Sozialkritische Intentionen hat Dix für sich jedoch stets verneint. Gemäß Salomo Friedlaender kann der Künstler als Polarisator per se keine Tendenz verfolgen; der tendenziöse Künstler sei ein Widerspruch an sich.779 Legitimiert scheint die Vorstellung vom Dix’schen Realismus durch Selbstinterpretationen des Künstlers als „Realist“ und „Wirklichkeitsmensch“. Die Bekenntnisse zur Realität sind jedoch immer auf das eigene Erleben bezogen, nicht auf das Werk.780 Tatsächlich ist Dix’ Kunst kein Realismus, vielmehr fließt Realität in Form des eigenen Erlebens in den Werkprozess ein, wie dies
777 ü., Zur Neuordnung des Wallraf-Richartz-Museums, Kölner Stadtanzeiger 02.12.1923, zit. nach Schröck-Schmidt, Die Rezeption des „Schützengraben“, Anhang, S. 54. 778 Kállai, Dämonie der Satire, S. 97. 779 Hoffmann, Sinnlichkeit und Abstraktion, S. 103–153. 780 Otto Dix, Über Kunst, Religion, Krieg, S. 255 und 256; s. dazu Schwarz, Das zeitlose Grauen der Welt packen.
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Raoul Hausmann 1919 gefordert hat: „Der Dadaist ist […] für das eigene Erleben!!!“781 Warnungen, am Realismus bzw. Verismus als Erklärungsmuster festzuhalten, gab es immer wieder.782 Am entschiedensten hat Uwe M. Schneede „allen Versuchen, Dix zum Naturalisten oder Realisten oder Neusachlichen oder Veristen zu stempeln“, widersprochen. Es handele sich dabei um eine „Wahrnehmungsfalle“; Dix’ Bildrealität sei „eine zusammengesetzte, eine konstruierte, eine erfundene“.783 Sowohl der Realismus- wie auch der damit zusammenhängende Verismus-Begriff verwischen den Differenzcharakter von Kunst und Leben. Sie haben etwa verhindert, den Sinnbildcharakter der Werke der hier betrachteten Schaffensphase wahrzunehmen. In der weitverbreiteten rororo-Monografie von Dietrich Schubert heißt es etwa, die Bilder der zwanziger Jahre seien „Widerspiegelung, Reportage, aber noch nicht Sinngebung“; erst der Dix nach 1933 habe Sinnbilder gestaltet.784 Doch Dix’ künstlerisches Schaffen hat von Beginn an und durchgehend symbolischen, oft auch emblematischen bzw. allegorischen Charakter.785 Zeitgenössische Kritiker haben das gesehen, allerdings meist als Regression, als Rückfall in das Bilddenken des 19. Jahrhunderts, missverstanden und missbilligt. Carl Einstein konstatierte dem Gemälde Schützengraben 1926 „peinliche Allegorie“.786 Karl Scheffler warf Dix 1926 vor, er habe als „forcierter Allegorienmaler“ begonnen und sei es immer noch.787 Die Dix-Deutung ist heute also von einem großen Widerspruch geprägt. Einerseits wird Dix als Nietzsche-Adept angesehen, andererseits seine Kunst als Realismus bzw. Verismus deklariert. Doch das eine schließt das andere aus: Nach Nietzsche spiegelt eine Malerei, die ihre Scheinhaftigkeit offenlegt – und das genau tut die Malerei von Otto Dix, insbesondere seine Dada-Malerei – die Welt nicht wider, sondern symbolisiert sie. „Die Wahrheit wird jetzt symbolisirt, sie bedient sich des Scheines, sie kann und muß darum auch die Künste des Scheins gebrauchen.“788 Der Schein wird nicht mehr als Schein genossen, sondern als Symbol, als Zeichen der Wahrheit. Auch nach Friedlaenders Schöpfungsphilosophie erhalten die Phänomene im Zustand der schöpferischen Indifferenz des Künstler-Schöpfers den „Charakter des Gleichnisses“.789 Für 781 Hausmann, Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung, S. 104. 782 Dix, Ein harter Mann, dieser Maler. Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, S. 265–266; Spanke, Das Auge der Welt, S. 16–17; Marno, Otto Dix’ Radierzyklus Der Krieg. 783 Schneede, Otto Dix, S. 26; ders., Wer war Otto Dix?, S. 15. 784 Schubert, Dix, 3. Aufl. 1991, S. 125. 785 Schwarz, Das zeitlose Grauen der Welt packen, S. 43–44. 786 Einstein, Die Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 156. 787 Scheffler, Berlin, S. 250. 788 Nietzsche, Die dionysische Weltanschauung, 3, s. http://www.nietzschesource.org/#eKGWB (Zugriff 04.05.2022). 789 Friedlaender, Schöpferische Indifferenz 1918, S. 278; Exner, Fasching als Fasten, S. 200.
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den Monisten Dix sind innere, seelische oder geistige Vorgänge mit äußeren, leiblichen, physiologischen Vorgängen identisch, und damit ist auch das Sinnliche nicht vom Symbolischen zu trennen. Dass Ernst Cassirer parallel dazu seine Philosophie der Kunst als symbolische Form entwickelte, nach der sich Form und Inhalt nicht trennen lassen, die Symbolik der Kunst somit eine immanente ist, zeigt, dass Dix mit seiner Dada-Malerei konzeptionell und gedanklich auf der Höhe seiner Zeit war. Bei der bisher bei Dix als Verismus bezeichnete Stilphase handelte es sich DadaMalerei; sie entspricht der von Hanne Bergius als Metamechanik bezeichneten Schaffensphase der Berliner Dadaisten. Die Jahre 1919 bis 1922 sind als experimentelle Orientierungsphase grundsätzlich falsch verstanden. Dada-Dix war in dieser Phase seines Schaffens nicht auf der Suche nach einem eigenen Stil, denn er war Polystilist, befreit von Stilzwang und Fortschrittsdenken Dada lehnte Personalstil als Mechanismus des kommerziellen, bürgerlichen Kunstmarktes ab und entwickelte verschiedene Abwehrstrategien, hier sei nur auf die Verunklärung der Autorschaft hingewiesen. Dix trat auf der Dada-Messe unter drei verschiedenen Hybrid-Namen auf. Dada bedeutet eben gerade, keine konsistente Maltechnik, keine homogene Maloberfläche und keinen Personalstil mehr anzustreben. Zudem: In Dada nur eine Phase oder Etappe der Kunstgeschichte zu sehen, sei, so warnte Max Ernst 1958, „genau das Gegenteil von dem, was Dada wollte.“790 Er verwies damit auf einen grundlegenden Impuls Dadas, der über das Experiment weit hinausging und weiterwirkte: Dada war eine Lebenseinstellung und damit eine künstlerische Disposition. Und so war das Schaffen von Dix ganz grundsätzlich und damit langwirkend von Dada geprägt. Dada liefert den Schlüssel für das Verständnis und die Deutung des Gesamtwerks, insbesondere seiner Widersprüchlichkeiten und Polaritäten, aus denen heraus es seine Kraft und Spannung bezieht. Diese Kunst-Geschichte ist aber erst zu schreiben.
790 Zit. nach Korte, Die Dadaisten, S. 8.
Anhang: Zeitgenössische Schriften zu Dada und Otto Dix 1919 Will Grohmann, Dresdner Sezession „Gruppe 1919“ (Ausschnitt) Erwin Schulhoff, Werkstatt der Zeit Erwin Schulhoff, Revolution und Musik Theodor Däubler, Otto Dix Hugo Zehder, Otto Dix Otto Dix, Vorwort zur Mappe Werden 1920 Felixmüller, Otto Dix, Manuskript 1922 Ilse Fischer, Der Dadaist (Otto Dix)
Will Grohmann, Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, aus: Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 1 (1918/19), Märzheft 1919, S. 257–260, Auszug, S. 259. O t t o D i x ist reiner Instinkt, allen Erwägungen feind, denkt nicht über sich, erlebt sich. Von südlicher Fülle, ungebändigter Phantasie, wundergläubig, selbst ein Wunder. Letzter Extrakt seiner Erinnerungen; keine Analysen, keine Kunst des Vocabulaire; Rausch des Lebens, tänzerische Besessenheit der Farben. Ihr könnt seine Bilder umdrehen – sie bestehen. So sehr ist seine Kunst reine Darstellung der Affekte. Genialer Dilettantismus? Dazu sind die Behauptungen zu sicher: „Leda“: Zergehen in Lust, auch das Weib brennend. „Der Kanonier“: die Hölle der Vernichtung und doch Sieg, Auferstehung. Erwin Schulhoff, „Aus der Werkstatt der Zeit.“ Aufführungen von Werken der Zukunftsmusik, Manuskript, 1919, Auszug. Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Misc. 127/2, zitiert nach: Schulhoff, Schriften, 1, S. 9–10. Die Kunst an sich ist der Ausdruck gesteigerter menschlicher Sehnsucht, das Kunstwerk als solches die Explosion eines gesteigerten Empfindens. Absolute Kunst ist Revolution, sie benötigt weiter Flächen zur Entfaltung, führt Umsturz herbei um neue Wege zu eröffnen, entspringt stärkstem psychischen Erleben und abstrahiert sich am stärksten in der Musik, jeder Schaffende auf dem Musikgebiet öffnet auch hier sein Inneres, (Ausdruck, – Ausdruckskunst, – „Expressionismus“ als Schlagwort und Zeitbezeichnung),
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Anhang: Zeitgenössische Schriften zu Dada und Otto Dix
strebt nach erlösender Klärung seelischer Zustände – Crystallisation des „Ich’s“! Der Gedanke der Kunstrevolution ist seit Jahrzehnten besonders stark entwickelt, einerlei, unter welcher Sonne die Schaffenden leben, sofern für diese „Kunst“ als Gemeingut der Menschheit gilt, am eigenartigsten zeigt sich dies in der Musik, weil diese Kunstart mit eine der Lebhaftesten ist und daher die Revolution am stärksten und eindringlichsten spiegelt und betont, – die völlige Loslösung von imperialistischen Tonalitäten und Rhythmen, das Steigen zum extatischen Aufschwunge! Erwin Schulhoff, Revolution und Musik, handschriftliches Manuskript, 1919, Auszug. Archiv des Museums der tschechischen Musik (Prag), Nachlass Schulhoff, Inv. Nr. 303 (Notizheft mit Aufzeichnungen), zit. nach der Transkription in: Schulhoff, Schriften, 2, S. 11–15. Werke sollen Epochen schaffen, sofern sie Bedeutung haben, nie aber von der Epoche geschaffen worden sein, – es ist ja allerlei im Grunde genommen, welcher Art das Werk ist oder welches Gebiet es vertritt. Diese Tatsache wird sich immer behaupten trotz aller Auswüchse, trotz der Sekten, die „Abschaffung der Kunst“ oder dglch. in die Welt hinausposaunen und alle Fundamente und Naturgesetze umstoßen wollen, nur einer Sensation halber, denn je mehr sie dies tun, um so unbewußter machen sie in der Tat mehr Reklame für Kunstwerke, die sie verwerfen. Das Werk im allgemeinen entspringt gesteigerter menschlicher Sinnlichkeit, der Grad der Bedeutung des Werkes entspricht dem Grade der menschlichen Sinnlichkeit! Da der Mensch sinnlich ist, d.h. eine starke Steigerung des Empfindens unausgesetzt anstrebt (Tempobeschleunigung durch die Maschine, dadurch erzeugtes Bequemlichkeitsempfinden, – Besuche der Kinos, Erzeugnis der Erlebnisempfindung u.s.w.), ist ja schon an und für sich jede Möglichkeit einer Kunstabschaffung ausgeschlossen, es wird sogar die Maschine zum Kunstwerke, wenn man bedenkt, daß sie ja zur Sinnessteigerung, ja sogar zur Ekstase aufschwingen läßt, von der die Masse ergriffen und gewirbelt wird (Grammophone, Orchestrione, Aeroplane, Autos, amerikanische Vergnügungsetablissements etc., dies nur als einzelne Beispiele herausgenommen), dann muß ja natürlich das Kunstwerk in diesem Sinne bestehen bleiben, wir wollen aber trotz alledem die Frage aufwerfen, wieso kam man auf den Gedanken die „Kunst“ abzuschaffen, es muß dies einer enormen Blasiertheit entspringen, als Consequenz einer Überproduktion, deren quantitative Aufnahme selbstverständlich zu geistigem Magenübel führen muss, es ist klar, daß die Zentralisation der Produkte dort ist, wo am meisten Menschen leben (ich betone „Menschen“ – da ja dieser das höch[st]stehende Tier ist), um die Gehirnprodukte genügend zur Schau zu stellen, Zeit zum Sortieren ist nie vorhanden, da die Quantität zu groß ist, daher die Aufeinanderfolge zu schnell, die gedankliche Konzentration und Verarbeitung wird überanstrengt, die Auffassung ermüdet, erschlafft, wird krank und der Zustand geistiger Katalepsie ist geschaffen, gleichzeitig damit auch der Gedanke einer Kunstabschaffung, weil sich irgendwo in einem abgelegenen Winkel Menschen flüchten, um nicht von
Anhang: Zeitgenössische Schriften zu Dada und Otto Dix
diesem Massenandrang vollends erdrückt zu werden, die plötzlich eintretende Ruhe, das „Sich-finden“ zeigt denen das Leben, nackt und schamlos, entkleidet eines jeglichen geschmacklosen Baro[c]ks, und diese sind es, die angepöbelt von der „Kunst“ und halb erstickt von der Kultübung sich aufbäumen gegen diese schlimmste Art von Vergewaltigung ihrer geistigen Freiheit, es ist dies aber leider ein gar zu kleines Häuflein, welches sich da absorbiert, doch über den ganzen Erdball zerstreut ist und hie und da aufzuleuchten versucht. Nichtsdestoweniger ist aber diese Gilde bemüht, den bürgerlichen Baro[c]k und die üblichen Verkehrsregeln abzuschütteln und sich frei zu geben, Leben zu bejahen, Pathos zu verneinen, sie wollen nicht Aestheten, nicht Ethiker sein, im gegebenen Momente sind sie Phlegmatiker, sind Choleriker, unausgesetzt fatalistisch und stets erleben! Als sie sich zusammentaten, nannte sie sich „Da-Da“, damit ist die Primitivität des Ausdrucks gemeint, die „Kindlichkeit“, die Naivität alles Bestehenden, das Bestehende aber ist nichts anderes als das Instrument mittels dessen sich der Kosmos bedient, um immer wieder an sich Erinnern zu machen! – Ist es nicht einerlei geworden, ob das Bestehende Mensch oder sein Produkt ist, Tier oder dessen Exkrement, Idioten, Mißgeburten, Pflanzen oder irgendwelcher Dreck ist? – Gewiß, denn unsere „große Schöpfung“ ist ja nichts anderes als ein Misthaufen, auf dem mehr oder weniger Dreck zu sortieren ist, das ganz reale Dasein des Dreckhaufens am richtigen Orte befindlich kann häufig viel mehr Anregung verschaffen, wie das gewöhnlich immer schlecht angebrachte Kunstwerk, um das immer mehr getan wird als es jemals darstellt, denn letzten Endes ist jede Kunst Charlatanerei und Lüge, weil sie immer die Dinge anders gibt als sie in Wirklichkeit sind, ja, mit falschem Pathos die Dinge idealisiert, verziert, sie verschämt bemäntelt und die Tatsache sonst vor dem Auge der Menge immer mehr und mehr verhüllt, man nimmt jedes Ding einzeln, gibt ihm den Nimbus, läßt nun nach und [nach] das Ding verschwinden, verarbeitet dessen Nimbus bis zur Unmöglichkeit (abstrahiert), und diesen Brei nennt man „Expressionismus“, – ich möchte hier die Frage aufwerfen: Warum läßt man nicht die Dinge als ganzes zusammenwirken und läßt der Gesamtheit den Ausdruck, ist es nicht mehr Verbrechen, die Dinge aus ihrem selbstverständlichen Dasein herauszureißen, um sie mit dem Nimbus zu umgeben, ist es denn nicht klar genug, daß die Dinge schon da sind? – Nein, durch falsches Pathos muß die Menge an diese Narretei krankhaften Intellektualismusses blind glauben und die „Künstler“-Väter der Werke fühlen sich „unverstanden“, ja [als] Märtyrer, weil eben die Menge heute „noch immer nicht so weit ist“ ist, ihre aesthetische Schwärmerei zu verstehen. Endlich also ist man an dem Punkte angelangt, der quasi „Regeneration des Gedankens“ fordert! „Kunst“ ist demnach die Addition aller Dinge, deren Resultat steter Ausdruck sein wird, Realismus ist Mittel zum Zweck! Die Malerei brachte es soweit, mittels aufgeklebter Briefmarken, Zeitungen, Postkarten etc. etc. dem Unsinne den Sinn zu geben, d.h. alle diese realistischen Dinge einem bestimmten Rhythmusse unterzuordnen, in der Literatur und Dichtkunst ist dieser Gedanke bereits älter (Soziale Be-
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gebenheiten – Strindberg, Ibsen, Dostojewski, usw. – Fabriks- und Vorstadtlyrik), es ist de facto schon im besten Sinne da. Musik blieb zurück, und warum? Einfach deshalb, weil hier nicht mehr Rhythmus, sondern Klang Mittel zum Zweck wurde, und dies allein ist das Manco, warum die Masse gerade der Musik am fremdesten gegenübersteht, weil diese nicht mehr geil-rhythmisch-aufpeitschende Gewalt mehr besitzt, sondern nur „Klangbrei“ ist bis zur lächerlichen Decadenz, gewaltsames Anklammern an die Aesthetik, warum wird der Rhythmus gänzlich zur Seite geschoben? Auch hier wird der Gegenstand immer wieder herausgezerrt und ein lächerliches Theater um ihn gemacht! Musik soll in erster Linie durch Rhythmus körperliches Wohlbehagen, ja sogar Ekstase erzeugen, sie ist niemals Philosophie, sie entspringt dem ekstatischen Zustande und findet in der rhythmischen Bewegung ihren Ausdruck! Nur der Bourgeois ist fähig zu glauben, sie sei Philosophie, weil dieser immer mehr durch Verkehrsformeln zur Aesthetik neigen wird als zur nackten Tatsache, er besitzt Schamgefühl stets dann nur, wenn es nie angebracht ist! […] Musik ist abstrakteste Kunst, Wort und Malerei ist [sind] stets mehr an den Gegenstand gebunden, das Wort sogar noch mehr als [die] Malerei, in welcher Kandinsky, Muche, [Rudolf ] Bauer eine vollständige Loslösung vom Gegenständlichen versuchten, indem sie Klangfarben brachten, Farbencompositionen, die Farbe absolut musikalisch, gänzlich abstrakt, Muche und Bauer kamen sogar weiter als Kandinsky, da sie dies rhythmisch versuchten zu geben, während letzterer nur klanglich ist, doch bleibt dies mehr oder weniger doch nur im Experimentellen stecken! […]791 Alle diese Werke der hier aufgeführten Componisten, welche die „neue“ Richtung bestimmen, sind, obwohl von großer Bedeutung, mehr Erzeugnis absoluter aesthetischer Intuition als rhythmischer, sie sind durchwegs Klang bezw. Klangfarbe, häufig mit einem Beigeschmack krankhaften Intellekts untermischt. Man kann also diese Richtung als „romantisch-phantastischen Expressionismus“ bezeichnen, – dem an sich kränklichen Gedanken fehlt also die Überzeugungskraft, daher auch die Dauerhaftigkeit, Radikalität, obzwar dieser vorhanden ist, hat nicht die notwendige Ausdauer und versagt, wenn standzuhalten ist! Es fehlt am rhythmischen Rückgrate, vielmehr am rhythmischen Rückgrate plus Klangfarbe! Der Mensch, welcher normalerweise am Rhythmus sein ergötzen findet, bekommt diesen durch umsomehr Aesthetik ersetzt! In einem Zeitalter, in welchem Materialismus und Realismus vorherrscht, gibt es also auch nur demnach eine entsprechende Kunst, d.h. „Kunst“, nicht mehr als die lächerlich große Geste, sondern gänzlich aus dem realen Erlebnisse heraus, nicht mehr übergrosses Pathos, sondern Selbstverständlichkeit, und wie einst Teniers als einer der ersten niederländischer Klassik in der Malerei Kunst als reales Dasein erfasste, wie heute Klee, Grosz 791 Schulhoff kommt nun auf die Musikgeschichte als Auseinandersetzung zwischen Klang und Rhythmus zu sprechen, bis hin zur neuen Musik von Arnold Schönberg, Alexander Skrjabin und Cyrill Scott, die er der folgenden Kritik unterzieht.
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u.s.w. Kunst gänzlich realisieren, warum sollte dies am wenigsten in der Musik möglich sein? Gerade also hier, da tatsächlich Sinn für Rhythmus in reichem Maße vorhanden ist, denn die Menge tanzt, tanzt seit jeher und tanzt heute immer noch mit gleicher ekstatischer Begeisterung für den absoluten Rhythmus, einerlei ob die Töne nach ‚höherer Musik‘ sind oder One-Step, Foxtrott, Tango, Yazz u.s.w. nach banalster Sorte von Musik ist, der Rhythmus bleibt bestehen und mit diesem das Empfinden körperlichen Wohlbehagens (Tanz) beim Schwingen desselben. […] Theodor Däubler, Otto Dix, in: Das Kunstblatt, Jg. 4, 1920, S. 118–122. Fast immer sieht man bei Chagall den großen Wurf, das poetische Empfinden seiner Gesichte. Daß dieser russische Erzähler auch ganz neue Auffassungen von Blumen, Geschirr, allerhand Hausgerät bringt, merkt aber kaum einer. Otto Dix, dessen Grundstimmung übrigens eine ganz andere, mehr kompositorische als fabulierende ist, hat sich da allerhand Entdeckungen gemacht. Er weiß jetzt ganz Wundervolles über Pflege von Blumen, besonders Rosen und Tulpen, zu malen. Oft läßt er sie auf schwarzem Grund blühen. Schwarz ist der richtige Humus für so reichfarbige Gewächse. Nun weiß Dix aber auch, diese Pflanzen gut und dabei frei zu girlandisieren, das heißt, sie als selbständig wachsend, so zu rhythmisieren, daß sich auf seinen Gemälden dekorativ eigentümliche Blütengemeinschaften bilden können. Ähnlich verfährt er mit Straßenlaternen, auch sie sternen in strengem Gefüge auf, streben, für uns pentagrammisch aufgezeichnet, in die ferne Höhe und ordnen sich wirklichen Sternenbildern ein. Folglich: Lichter bei uns, durch uns, sind also ganz deutlich kosmisch geschaut. Blumen verschenken sich oft und bald, in lyrischer Aneinanderreihung, an glimmende Morgenwolken, oder an Visionen, die durch Gewölk entstehen, wie etwa in seiner ‚Auferstehung des Fleisches‘, wo Kissen, Wolken, Menschen (ein Paar) in ihren Pfühlen, rosafarbene Morgenluft über die dunkle, mit glühenden Blumen geteppichte Nacht, verstrahlen. Oder Dix sieht sich auf einem Selbstporträt in Phasen. Im Profil, im Halbprofil, und als tot. Daher das Silber. Es paßt zur Sichel. Auch auf diesem Bild wieder Blumen und viel Freudigkeit: bei der Wahl der Embleme irdischen Heiterwerdens alles durch munterste Farben, im Gegensatz zum fahlen Silber des abstrakten eigentlichen Bildnisses, ausgedrückt. Auf einem neuesten Bild bringt er wolkenartige Menschengebilde in sehr mildem Blau, wie es auf venezianischen Gläsern leicht selbstleuchtend wirkt. Und sein Weiß ist bei dieser Gelegenheit eigentlich das von Milchscheiben. Folglich: Dix ist Lyriker! Und deshalb: er malt aus vollem Temperament. Man kann ihn sogar einen der hitzigsten Draufgänger unter den Jüngsten nennen. Vielleicht wird das bis jetzt beim Betrachten seines ‚Doppelbildnisses‘ am klarsten, wo zwei Menschen geradezu von einer Wolke Wollust in Hochrot zusammengehalten werden. Ganz rasendes Tempo: übrigens auch
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hier rhythmisch hingestreute Feuerblüten. Ohne Blumen, Kränzchen, Sternlein kaum ein Bild von ihm! Beinah bis zur Gefahr der Manier des Allzukunstgewerblichen. Besonders auf seinem letzten großangelegten Ölgemälde tritt dieser Fehler augenscheinlich hervor. Es heißt ‚Die Schwangere‘ und ist im Hochformat aufgebaut. Die Schwangere steht: und sie bedeutet „die ewig schwangere Welt“ oder bereits „das“ nicht „ein“ schwangeres Weib im Mikrokosmos. Das ist nur eine menschenartige, rotschattige Masse. Fast im Profil gesehen. Große Wirbel treten hervor, und zwar: in übernatürlichem Rot. „Colore oscuro“ ganz kurzweg, ohne Angabe ob rot, grün, blau oder schwarz, nennt Dante in seiner Hölle eine Farbe: es ist diese, weil, wie tief erwiesen, ein trüb-Rot ins Braun hinüber. Statt ‚Die Schwangere“ könnte das Bild auch, allerdings recht abstrakt ‚Involution‘ heißen. Letzte Fernen, unermeßlich über den Rahmen hinaus, werden in diese Kreisungen miteinbezogen. Schwangerschaft heißt also, so erfaßt: Verknotung von Unendlichkeiten in ein keimendes Bewußtsein herunter. Es könnte auch heißen herauf! Dabei ist Dix ein ganz naiver Künstler: durchaus unliterarisch, aber unterbewußt liegt ihm das Kosmische voll eindringlicher Vehemenz im Wesen. Leider hat er, als er sich über diese eigne Sprache zu klar wurde, Sternlein in die Flächen, durch die Wirblungen hindurch, verkranzt; auf diese Weise ist das Bild spielerisch geworden. Das Monument hat gelitten. Otto Dix ist vorläufig eine Überraschung. Er blendet aber nicht. Fast jeder geht an seinen Gemälden, meistens sogar ohne Achselzucken, vorüber. Hugo Zehder, Otto Dix, 1919, in: Neue Blätter für Kunst und Dichtung, Jg. 2 (1919/20), Septemberheft 1919, S. 119–120. „Wie male ich expressionistisch?“ Diese Frage der Unzulänglichen und Zuspätkommenden, welchen heute das zweifelhafte Glück zuteil wird, aus der Verbürgerlichung einer radikalen Kunstbewegung Kapital zu schlagen, hat sich Otto Dix niemals gestellt. Die geistige Revolution, deren Urheber und Führer vor und während des europäischen Krieges durch ein paar Dutzend Namen in Frankreich, Rußland, Deutschland, Österreich, Belgien, Italien usw. bezeichnet werden können und zu denen nur wenige von gleichem Rang hinzukommen, wohl zum Ausgleich für die durch Massenmord der Gemeinschaft geraubten, ward für Dix Signal, feurig helle Fanfare: sprungbereit, auf der Lauer nach dem Augenblick des großen Vorstürmens, wartete der ganze ungeteilte und unteilbare Mensch in ihm nur auf das Zeichen zum Aufbruch. Irgendwoher und einmal mußte es auch zu ihm kommen, trotz der geistigen Blockade, deren Vorhandensein von freieren, unbefangenen Geistern nicht als eine erst durch den äußeren „Feind“ hervorgerufene Tatsache empfunden wurde. Natürlich fiel es Dix nicht ein, den Ruf zur Freiheit als einen neuen Befehl zum Marsch in Reih’ und Glied aufzufassen, als Erlaubnis, mit dem großen Troß der Umlerner die Revolution ordnungsgemäß zu vollziehen. Sein prachtvolles Temperament läßt sich nicht zu einem Spaziergänger-
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schritt einladen, der allerlei Familienfreuden, Stammtischbedenken und die berühmten „ewigen Ideale“ und „heiligsten Güter“ als guten Ballast im Rucksack mit sich führt. Er ist ein Indianer, ein Sioux-Häuptling. Immer auf dem Kriegspfad. Wie eine Axt schwingt er den Pinsel und jeder Hieb ist ein Farbenschrei. Seine verhaltene Wildheit lechzt nach den Gluträuschen rein hervorbrechender Farben. Die Welt ist ihm gebärendes Chaos, das prasselnd, lustbebend, wutschnaubend einmalige und schnell wechselnde Erscheinung gebiert. Und auf den explosiven Akt der Zeugung, auf den Wirbel der Kräfte ist seine Aufmerksamkeit gerichtet, mehr als auf das Ding gewordene Resultat, an dessen scheinbare Gesetzmäßigkeit er nicht glauben will. Einmal entdeckte er, daß das klingende Rauschen der Farbe, welches fähig ist, von der Begier, der Unruhe und dem bebenden Luststrom seiner Empfindungen musikalisch auszusagen, seine Sprache werden müßte. In den Taumeltanz der Farben riß er die Begegnungen aus seiner Welt, stürzte sie in den Wirbel und liebte sie nur so, in den Augenblicken ihrer Ekstasen. Sollte er sich und sie am Zügel halten? Es ist oft unachtsame, ja barbarische Nachlässigkeit, nichts anderes, die ihn veranlaßt, Kraft und Adel legitimer Form, die Klarheit präzisen Ausdrucks zu zertrümmern und zu verwischen. Seine Gebilde erschrecken mitunter mehr, als daß sie zupacken und leidenschaftlich an sich ziehen. Aber schon im Moment der lächelnden Besinnung und ruhigen Abwehr des kühnen Angriffs beginnt das Erkennen: dieser tanzende Derwisch ist ein wirklich Besessener, der gar nicht die Spezialgaukelei einer „Kunst“ vormachen will; sein Farbenfackeltanz ist ein wohl höchstgesteigerter, aber so „natürlicher“ Vorgang wie eine liebende Umarmung, ein hitziger Streit, die Verrichtung einer Hebamme, ein Barrikadensturm. Und in seinen Bewegungen ist immerhin sehr viel Ordnung und Anordnung: die Selbstdisziplin, gewonnen aus der großen Lehre des Kubismus. Besonders erfreulich wirkt eine Erscheinung wie der Maler Dix in einer Zeit, die, unfertig wie keine andere, sich eilig mit den paar gewonnenen Resultaten einrichten möchte; in den prachtvollen, neuentdeckten und für Menschheitszwecke und Gelüste zu erschließenden Gefilden der Kunst sind schon wieder „neuzeitliche“ Kunstbeamte emsig dabei, Bezirke abzustecken und zu umzäunen, darinnen sich nebst der nachtrollenden Herde auch der einst nicht unmutige Pionier das Futter zu holen hat; dort werden auch Predigten gehalten über neues Weltbewußtsein, expressionistische Religiosität und den kosmischen Revolutionär, nicht ohne schmeichelhafte Beziehungen zu einer Vergangenheit, die sich von der Gegenwart am vorteilhaftesten dadurch unterschied, daß sie zu ihrer Selbstbehauptung keiner erdachten Beziehungen bedurfte. Dix pfeift auf diese neue Staatengründung. Er liebt die großen neuen Meister und weiß, was sie zu den Gipfeln führte; er will von ihnen lernen, wie der aus den Wäldern oder über den See kommende Wilde, fürstlicher Abstammung und sich seiner Eigenart bewußt, in den großen Tempelstädten zu Füßen der Weisen des aufgeklärten Landes lernt. Wird’s einmal Küchenlatein, gut, – so wird es dafür ein anderes Mal in den Lauten seiner Heimat der schönste Vers: eine primitive,
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wildbewegte oder träumerische, aus dem Chaos aufeinander eindringender Gefühle sich emporringende Bild-Gestalt. Ihre Besonderheit darf natürlich nicht an der Schönheit der neuen Meister gemessen werden, und das sie Bewegende, ihre Ursache, will auch immer weniger mit den Glaubenssätzen des Katechismus der expressionistischen Malerei, der demnächst in einer Volksausgabe erscheint, Berührung suchen. Er scheint auch: kein Dualist mehr. Was die anderen meist noch zu sein vorgeben, um den Auslegern Gelegenheit zu bieten, sich gemeinsam aus der sie immer noch verstrickenden Psychologie in den Psychologismus „Geistigkeit“ hinüberretten zu lassen. Dazu dieses dumme, verlogene und glaubensleere Unendlichkeitsgerede in den Etappen und im Hinterland einer vorwärtsstürmenden Zeit, durch das sich alle Drückeberger ihre Unabkömmlichkeit zu erringen suchen. Dix marschiert, läuft, stolpert wacker dem entgegen, was morgen, ohne Zutun der anderen, kommen wird. In den Stunden seiner Marschtage fühlt er die lebensstarken Triebe seines Daseins, hört im Sausen des Blutes den Prozeß ewigen Neuwerdens, beschwichtigt durch buntes Träumen die stets sprungbereiten Kräfte, und schreckt, zum Zeitvertreib, den lendenlahmen Kleinbürger aller Berufe und Stände. Er malt Bilder. Das will er. Nichts weniger, aber auch nicht mehr. Für wen? Für die Mehrheit, die wohl diese Bilder brauchen und sich die „Kunsterziehung“ verbitten wird. Aber, das ist ein Kapitel für sich. – Otto Dix, Vorwort zur Mappe Werden, 1919 (Manifest des Illuministen) Im Geschlechtsverkehr liegt die höchste Steigerung des Weltbewußtseins, ebenso ist alle Kunst Ekstase, Koitus; also das Produkt der höchst gespannten Sinne und Muskeln. Jede Kunst für sich spricht zu allen Sinnen und Kräften. Der Künstler ist Mann und Weib zugleich, beide Naturen sind in ihm stark, schroff und gegenständlich gebunden. Auch viel Kind ist im Künstler, und lachendes Jasagen zu seinen eigenen Dingen, zu den furchtbarsten wie zu den lächerlichsten. Kunst ist die Ueberwindung des Geistes der Schwere. Kunst ist amoralisch, anti-christlich, alogisch, anti-pazifistisch, antiethisch. Pessimistische Kunst und solche mit der Sehnsucht nach ‚Frieden der Seele‘ ist lebensfeindlich und negiert sich selbst. Sehnsucht nach Richtung ist Herdentrieb. Allzu starke Gehirnlichkeit ist unkünstlerisch, letzten Endes ist doch jeder echte Künstler Medium. Wessen? Seiner selbst! Conrad Felixmüller, ohne Titel, Manuskript Kat. Nürnberg 1981/1982, S. 76–78; in veränderter Form in der Zeitschrift Das EY abgedruckt: Conrad Felixmüller, Otto Dix, in: Das Ey, H. 3, 1920, S. 10; online: http://digital. ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/8848960 (abgerufen am 05.11.2019). In Dresden lebt ein Maler Thüringens (dort ist irgendwo sein Vater Eisengießer); wer Thüringen gesehen hat, erkennt das Land bei Otto Dix wieder, in den Farben,
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in der Bewegung und in der Übereinanderhäufung von Hügeln, Bäumen, Häusern, Menschen. Dieser Otto Dix kam in den Krieg; fort von der Kunstgewerbeschule, wo er freischaffend Nachtbilder und Portraits von ungeheuerer instinktiver Psychologie malte. Im Krieg war er Wachtmeister bei der schweren Artillerie. Seine Untergebenen taten seinen Dienst, währenddessen er brutal Mord am Menschen zeichnete, so brutal und viehisch als nur ein Mensch aus dem grausamsten Militarismus zeichnen kann; barbarisch; ohne jegliche pazifistische oder militaristische Tendenz: Messer im Blutbauch zu sternklarer Nacht, weder Leid noch Freud’. Oder Dix zeichnete das sexuelle Menschentier in diesem grauenhaften Milieu: die sinnliche Not und daraus Phantasien. Nach dem Krieg, gesund und übervoll an Kräften, ‚klebte‘ Dix Bilder aus Papier, Glas, Stoff, Holz, Pelz, Spitzen, Muscheln, Polstern, Stammbuchblümleins; ganz naturalistischer Art und höchst gegenständlich; und wieder den Menschen in seinen bösen dämonischen Instinkten, sein geheimnisvolles Leben in der Großstadt; die kleinen täglichen Verbrechen am Mitmenschen und Geschlecht, überhitzt, ermüdet, bei Tag und bei Nacht. Das Bordellmädchen, der Matrose Fritz Müller aus Pieschen. Ich Dix. Akrobaten am Trapez (das Bild dreht und bewegt sich in sich). Die Kriegsverletzten (Vier geben noch keinen ganzen Menschen). Man spreche hier nicht von Dadaismus oder Merzmalerei. Hier ist der zusammengebrochene Mensch, den der Ekel vor sich und dem Leben packte und der sein eigener Beleidigter wurde; der kummervolle Mensch, den das Dasein drückt, reißt und stößt. Die Scham ist tot und das Wollen ist tot: die Kraft der Instinkte lebt im Rausch und versinkt im Glauben an Garnichts. Man muß das Leben von der schlechten Seite kennengelernt haben und einsam geblieben sein. So wie Otto Dix; den das Leben peinigt und schon langweilt. Seine Bilder sind ihm keine Freunde, nur daß er mit dem Material spielen kann, treibt ihn vorwärts, macht ihn erfinderisch und hält ihn lebendig. So entstehen seine Bilder, die den ganzen Jammer und die große Verzweiflung von uns heutigen Menschen enthalten. Otto Dix ist einsam, verzweifelt und ganz arm. Er weiß, daß ihm diese Bilder kein Mensch abkauft; er weiß, daß er nicht glücklich ist. Doch verraten seine Bilder die faustische Kraft eines Künstlers, und die Bilder sagen uns, daß er doch eines Tages glücklich werden wird und die Freude, zuerst vom hungrigen Magen ausgegangen, auch unser freudehungriges Herz treffen wird. Man muß auch mit ihm Mensch=Genosse sein. Seine künstlerische Kraft wird es Allen lohnen. Felixmüller Jan. Febr. 20.
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Ilse Fischer, Der Dadaist (Otto Dix), in: Das Junge Rheinland, H. 9/10, Düsseldorf 1922, S. 23–28. Er hat natürlich zur Zeit dadaistischer Hochflut verwirrende Simultangemälde, symbolistische Farbchaoten und groteske, bewußte Kitschwerke fabriziert. Riesenformate in die Ausstellungen geschickt, die von sich reden machten. Bilder von aggressiver Profanierung bürgerlichen Lebens, die alle Töne vom Widerlich-Lächerlichen bis zum SchmerzlichEkelhaften anschlagen. Er hat echt dadaistisch Stoffteile, Photographien, Briefausschnitte, Straßenbahnkarten, Stempelmarken und gedruckte Sinnsprüche eingeklebt, Löcher in die Leinwand gerissen, Linien und Farben in rohester Unverschämtheit verwendet. Um dieser Bilder willen zählt man ihn zu den Dadaisten. Er ist Dadaist auch ohne sie – obwohl er sie natürlich malen mußte – denn Dadaismus ist keine Kunstform, hat mit Kunst nicht mehr zu tun als wie mit allen übrigen Lebenserscheinungen. Dadaismus ist Schlagwort für den alles zersetzenden Willen einer negativ gerichteten Schöpferkraft. Die dadaistische Kunst ist Aktivitätsäußerung eines sich selbstauflösenden Chaos. Entscheidend für den Dadaisten ist nicht sein Kunstprodukt, sondern seine Persönlichkeit. Er ist 30 Jahre alt. Sein scharfgeschnittenes germanisches Gesicht ist verwüstet, grau. Er hat den Mund des rücksichtslosen Triebmenschen mit der brutal vorgeschobenen Unterlippe und tiefgegrabenen Linien um die Winkel, die grauen Augen des nüchternen Analytikers, die feingeschnittene Nase des klaren Gefühlsmenschen, die über den Augen gewulstete, breite Stirn des verzweifelten Denkers, das glattgebürstete blonde Haar des Amerikaners. In Tagen der Lebensbejahung sind die Muskeln seines Gesichtes gespannt, seine Augen von naiver Lebendigkeit. Die Haut hat einen warmen Blutton und der Mund ein derbfrohes Lachen. Wer den Menschen so sieht, glaubt ihm seine sorglose Genußbereitschaft, steht so stark im Banne seiner Beschwingtheit, daß er vergißt, den gefährlichen Linien dieses harten Kopfes nachzuspüren. Das Amerikanische hat er auch – wenn es seine Einnahmen erlauben, die ebenso unregelmäßig sind wie er selbst – im Schnitt des Anzuges: übertrieben weite, kurze Hosen, gepolsterte Oberärmel, unmotiviert hohe Taille. Im übrigen ist seine Garderobe ein Konglomerat von abgelegten Kleidungsstücken kunstpflegender Bürger oder hilfsbereiter Freunde und ein paar selbsterstandenen Einzelobjekten, die ein Bedürfnis nach extravaganter Eleganz erkennen lassen. Er bewegt sich mit gesunder Selbstverständlichkeit in diesem sonderbaren Gemisch. Sein Schritt ist amerikanisch kurz und bewußt. Selbst in Perioden weltschmerzlicher Depression geht er so. Seine muskulösen Arbeiterhände sind ungepflegt, denn er ist Proletarier von Geburt, aus Instinkt, aus Rebellion. Er haßt die Bürgerlichen, in deren intellektuelle kunstliebende, kunstzahlende Kreise ihn sein Beruf und sein heftiger Drang nach geklärtem Wissen getrieben haben. Er haßt ihre Konventionen und gesellschaftlichen Formen als Verlogenheiten – haßt das bürgerliche Bedürfnis als Stillstand – und das Streben
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nach ruhendem Besitz als Egoismus. Er traut dem Bürger nie, wittert in allen seinen Äußerungen Anzeichen arroganter Ichsucht und empfindet ihn stets als ihm feindlich gesinnt. Daß diese Feindseligkeit nur mehr oder weniger instinktive Abwehr – niemals Angriff – ist, leuchtet seinem proletarischen Empfinden nicht ein. Ausfällig und hetzlustig äußert er sich unter Gleichgesinnten über den Bürger. „Kotz – Kitsch – Klamauk – Scheiße“ ist alles, was dieser liebt. Aber dem Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiterklasse wirken seine verfeinerten Lebensansprüche und seine ungeheure Sensibilität entgegen. Er verträgt die Plumpheit des proletarischen Benehmens, den engen Horizont, den unselbständigen Masseninstinkt nicht. Vom Proletarier wird er auch – trotz seiner unverhohlenen Sympathie – als Entfremdeter empfunden. So bewegt er sich entwurzelt zwischen den Klassen. Sein Auftreten in Bürgerkreisen ist einfach und bescheiden. Er drängt sich nicht vor, verhält sich zunächst immer abwartend, beobachtend. Nur anläßlich irgend einer bürgerlichen Arroganzäußerung fährt er heftig auf und pulvert in wenig veredeltem Fabrikarbeiterdialekt ein paar revolutionäre Sätze heraus. In kunstsinnigen, unkonventionellen Häusern lädt man ihn gern zu Mittags- und Abendgesellschaften ein. Dann legt er sich keinen Zwang auf und gibt sich – wenn die allgemeine Stimmung über die Schranken förmlicher Geselligkeit hinausbrandet – ungehemmt dem Genuß der Stunde hin. Nach überschlafenem Fest konstatiert man seine Zügellosigkeit, doch ohne ihm einen Vorwurf daraus zu machen, weil man einmal freidenkend ist – und im übrigen sich wohl selbst nicht ganz rein fühlt. Höchstens ein paar aristokratisch empfindende Gemüter äußern ihre Mißbilligung über die Tatsache, daß man diesen Menschen in der guten Gesellschaft duldet. Sie kommen aber nicht gegen das allgemeine Urteil auf: „ein gutmütiger, brutaler Bursche“, dessen gesellschaftliches Manko man um seines natürlichen Freimuts und um seiner künstlerischen Bedeutung willen übersieht. Er ist sich klar über diese Beurteilung, lacht verächtlich darüber und ist doch – obwohl ihm das keiner anmerkt und er es sich selbst nicht eingesteht – in seiner Eitelkeit gekränkt. Daraus erklärt sich auch, daß er auf alle Leute – selbst minderwertige Persönlichkeiten – hereinfällt, die ihn als Totalität begeistert anerkennen. Dabei sind seine Ansprüche an die Menschen hoch, mit denen er nicht bloß vorübergehend verkehrt. Er fordert Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Mut, Intelligenz und Wärme. Mit instinktiver Sicherheit spürt er sofort, ob ein Mensch ihm wahrhaft wohlwill oder nicht. Nur, wenn er dieses Wohlwollens sicher ist, geht er aus sich heraus. Dann ist er ein lebhafter Unterhalter, ein gemütlicher Freund. Die Kameraden aus der Dienstund Kriegszeit kennen ihn so. Wenn der Zufall ihm heute den einen oder den anderen in den Weg führt, hat er immer einen herzlichen Gruß für den alten Bekannten, eine freundliche Frage nach dessen Wohlergehen.
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Frauen gegenüber ist seine Empfindsamkeit besonders stark. So aufreizend jedes Spießbürgertum auf ihn wirkt, beurteilt er gelegentlich eine Spießbürgerin ganz freundlich, bloß weil sie ein liebenswürdiges, teilnahmsvolles Wort für ihn fand. Ja, es kann sogar vorkommen, daß ein gütiger Blick aus den Augen irgend einer fremden, vorübergehenden Frau ihn für den ganzen Tag leicht und froh stimmt. Das Alleinsein kann er außerhalb seines Ateliers schwer ertragen. Er sucht immer Geselligkeit, um sich von sich selbst abzulenken. Dann aber auch in Gesprächen mit andern seiner starken geistigen Regsamkeit Nahrung zu verschaffen. Unterhaltungen folgt er scharf, oft lange ohne einzugreifen, bis er an einem Punkte mit leidenschaftlicher Bestimmtheit einsetzt. Hat er es mit geistig geschultem Gegner zu tun, so versagt er meist nach kurzer Zeit, denn so intuitiv richtig auch seine Gedanken sind, fehlt ihm die Fähigkeit der logischen Systematisierung ebenso wie die sprachliche Ausdrucksgewandtheit. Und doch kann er, von plötzlichen Impulsen getrieben, langatmig und leichtflüssig reden, wenn es im intimsten Freundeskreis auf Kunst- und Lebensfragen kommt. Seine Sprache hat dann einen pathetischen Schwung und er tut Aussprüche von verblüffender Originalität und Prägnanz. Seine philosophische Bildung ist mangelhaft. Trotz einer gewissen Empfänglichkeit für die mystisch-geisteswissenschaftlichen Tendenzen unserer Zeit verhält er sich kritisch ablehnend ihnen gegenüber. Rebellisch greift er jedes formulierte geistige System an. Begriffe, wie Seele, Geist, Gesetz verwirft er als jenseits der menschlichen Erkenntnissphäre liegend. Seine Weltanschauung ist – wenn man bei ihm von einer solchen reden kann – dynamisch-motorischer Monismus. Er erkennt nichts an als den Raum, in dem sich die Bewegung alles Lebens, das in seiner Ursubstanz überall gleich ist, vollzieht. Dank seines lebendigen Erkenntnistriebes und der starken Reagenzfähigkeit auf jede geistige Anregung hat er auf allen Gebieten zwar kein gründliches, klares Wissen, aber doch deutliche Begriffe der wesentlichen Wissenselemente, die ihn befähigen, überall denkend anzugreifen. Und er greift alles an, freilich ohne jede Systematik. Mit hartnäckigem Grübeln trachtet er, alle Dinge nach ihrem wahren Grund zu durchforschen, die der Zufall an seinen unruhig tastenden Verstand herandrängt. Heftig und impulsiv stürzt er sich auf das Objekt – gleichgültig, ob Sache oder Mensch – entfernt brutal alles schmückende Beiwerk, wühlt grausam kritisch in den bloßgelegten Fäden, zersetzt, zerstückt, zerschneidet mit der Wollust des Lustmörders alles, was er findet. Aber so wie letzterer nach der Tat schrecklich ernüchtert, leer davongeht, steht auch er zum Schluß vor Dingen und Menschen, vor sich selbst, ernüchtert, hoffnungslos. Versteht Ihr jetzt die grauenvolle Wahrhaftigkeit seiner Lustmordbilder, Ihr, die Ihr ein wenig verächtlich von der Wahl eines solchen Motives denkt, das Euch unehrlich –
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nicht naturnotwendig erscheint, weil Ihr sehr genau wißt, daß dieser gutmütige Geselle nie ein Weib morden wird? So intuitiv sicher seine analytische Begabung ist, so absolut fehlt ihm die Fähigkeit der Synthese. Chaotisch bewegen sich in seinem Hirn die allen Scheins entblößten, ins Feinste analisierten Elemente des Seins und jagen ihn stundenweise in Angstzustände, die dem Verfolgungswahnsinn nahekommen. Dann sucht er die Straße, das Weib. Dieses Narkotikum ist um so bedenklicher, als es einmal, zufolge seiner Vielgestaltigkeit, sein Verlangen nach Vielheit nur steigert – und zum andern, weil es aus dem brutalen Revolutionär den passiven Geschlechtsmann macht. Ein Sklave der Erscheinung, reagiert er wahllos auf das andere Geschlecht. Es gibt fast kein Weib, das er nicht haben möchte; nicht aus gigantischem Herrentrieb heraus – sondern aus der Sucht, sie alle an ihrer Wurzel zu fassen, zu erkennen. Und es gibt kein Weib, an dem er nicht, trotz der geilen Wollust, mit der er exzentrische Genüsse aus der vereinigten Fleischlichkeit zieht, sentimental wird. Er haßt diese Sentimentalität und läßt deshalb jedes Weib fallen, sobald ihr Apell an seine Sentimentalität stärker ist als ihr geschlechtlicher Neureiz. Selten nur sind seine Beziehungen zu einer Frau ernsthafter Natur. Aber wenn sie es sind, werden Kräfte und Sehnsüchte in ihm wach, die er sonst in trotziger Scham vor sich selbst verbirgt. Dann beobachten seine Freunde einen fast feierlichen Ernst an ihm, den er vergeblich zu bemänteln sucht. Er lebt in einer glücklichen Spannung, beschwingt von dem schönen und starken Drang, dem Weibe Erfüllung und Erlösung zu sein – sich selbst in ihr zu finden. Den Ruhelosen überkommt eine Sehnsucht, hingegeben an die körperliche Nähe der Geliebten, den Zustand dieser großen Ruhe zeitlos lange auszukosten. Dann wird der Mißtrauisch-Einsame zutraulich und mitteilsam. Impulsiv folgt er seinem schlicht-menschlichen Bedürfnis nach Zärtlichkeit. Dann fleht das Kind in ihm um mütterliche Güte und der Mann in ihm erwartet großherziges Verstehen. Dann glaubt er an sich selbst, an die Liebe, an das Leben … so lange, bis sein zersetzender Nihilismus sich an der romantisch beflügelten Daseinsbejahung rächt und er ernüchtert und ermüdet die Beziehungen versanden läßt. Ethik und Moral existieren für ihn nicht. Abenteuer ist ihm das Weib. Er weiß nichts von Treue, von ritterlicher Dankbarkeit, will nichts davon wissen. Er will weder besitzen, noch besessen sein. In seltenen Augenblicken der Besinnung vergleicht er sich wohl ein wenig verwundert mit den soliden Durchschnittsmenschen, die um ihn herum leben, ja, es überkommt ihn schattenhaft ein Verlangen, ihr wohlanständiges Leben zu teilen. Das würde jedoch ein Eindämmen seiner triebhaften Lebenskraft bedeuten, ein Beschneiden seines rücksichtslosen Freiheitsdranges. Gehemmt würde er sein. Hemmung von außen aber erträgt er nicht (er, dessen beste menschliche Fähigkeiten an in-
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neren Hemmungen unentfaltet bleiben.) Hemmung heißt für ihn Stillstand, Ertötung des lebendig Werdenden. Er fühlt zu gewaltig das Werden in sich, um auch nur den Willen aufzubringen, es in bewußte Bahnen zu lenken. Ihm fehlt jedes Verantwortlichkeitsgefühl für sich und andere, aber er hat den gläubigen Mut des Genies, das sich das Recht nimmt, mit brutalem Egoismus zu leben, wie sein Dämon ihn treibt. Dieser Dämon läßt ihn unbeständig von einem Erlebnis zum anderen taumeln, erhitzt an jedem Neuen seine romantische Begeisterung – obgleich ihm Romantik ebenso minderwertig wie widerwärtig dünkt. Passiv läßt sich dieser aktivste Maler vom Lebensstrom treiben, immer hungrig nach Eindrücken, nach kinematographisch rascher Bewegung. Wer gleich ihm sich furchtlos jenseits der Gesetze stellt, darf auf seine uneingeschränkte Bewunderung rechnen. Er verehrt das Übermenschentum Nietzsches ebenso wie die groteske Frechheit eines Höltz. Dabei weiß er im Grunde geschicktes Bluffertum vom wahrhaft Großen sicher zu unterscheiden. Auf künstlerischem Gebiete erkennt er – neben seinem Enthusiasmus für die gewagteste Kunst unserer Tage – die Schönheit und Größe alter Meisterwerke unumwunden an. Großzügigkeit ist ihm Lebensbedürfnis. Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, erregt seine bewegliche Phantasie. Das bundschillernde Treiben großer Hafenstädte lockt ihn. Für die Psychologie des Verbrechers und Geisteskranken hat er ein erschreckend sachliches Interesse. Das Gemeine zieht ihn ebenso an wie das Grauenvolle. Er freut sich an gesundem Naturmenschentum, wenn es sich kraftvoll und heiter durchsetzt, lebt auf Fußwanderungen mit Kameraden anspruchslos abenteuerlich. Dabei findet alles Exzentrische in ihm leidenschaftlichen Widerhall. Exzentrische Weiber, exzentrische Tänze, exzentrische Kunst liebt er. Seine ganze Lebensweise ist exzentrisch. Er hat Perioden angespanntester Tätigkeit, wo er jede mögliche Stunde im Atelier arbeitet – und dann kann er tagelang, wochenlang herumbummeln, äußerlich vernachläßigt – oder auch kindlich eitel mit seinem Anzug, seiner Frisur beschäftigt. Diese Zustände der Schlappheit sind ihm zuwider. Denn nur solange er arbeitet, ist er restlos glücklich, vom Stoff absorbiert, beschwingt vom Bewußtsein unerbittlichen Tätigseins. In der Regel ist er dann jeden Morgen gegen 9 Uhr früh im Atelier und arbeitet mit einer kurzen Mittagspause bis 5 Uhr. Über dadaistische Reklameschinken ist er hinaus. Die weiblichen Modelle kommen ungern zu ihm, weil er keine Scherze mit ihnen treibt und sie nur gelegentlich zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes benutzt. Wenn er malt oder zeichnet, redet er nicht. Er beobachtet scharf mit gieriger Nüchternheit. Sein Gesicht nimmt unbewußt die Muskelspannungen in dem des Modells an. Es ist ihm vollkommen gleichgültig, wer vor ihm sitzt. Er sieht nur das Ineinanderschneiden von Linien, das Kontrastieren und Zusammenklingen von Farben
Anhang: Zeitgenössische Schriften zu Dada und Otto Dix
und Lichtern, die räumliche Tiefenausdehnung des Gegenständlichen. Das müht er sich wiederzugeben mit handwerklicher Sauberkeit, mit rücksichtsloser Objektivität. Als Porträtmaler ist er hierdurch für den unkünstlerischen Menschen nicht möglich, denn dieser hat zu wenig Objektivität und zuviel Eitelkeit, um den Anblick seines wahren Gesichtes ertragen zu können, noch dazu wenn es mit unversöhnlicher Strenge und fast gothischer Düsterkeit dargestellt wird. Selbst wenn er Rot und Gelb und Blau schreierisch aufsetzt, zerschlägt er damit das niederhaltende Braungrau nicht, das auf seinen Bildern lastet. Er malt mit der dem Deutschen eigenen Realistik, wie er die Welt sieht: den Proletarier, den Bürger, den Arzt, den Gelehrten, die Dirnen, den Krieg. Er erzählt mit einem starken Sinn für das Phantastische, das auch dem banalsten Leben eigen ist. Ohne Rücksicht auf das Tragische gibt er Geschautes in leidenschaftlicher Sachlichkeit wieder – erschreckt er den Bürger – und erschüttert den ernsten Beschauer durch die kraftvolle Aktivität, die furchtlose Wahrhaftigkeit und bildnerische Geschlossenheit seiner Kunst. Wenn um 6 Uhr das Atelier geschlossen wird, beginnt seine gefährliche Zeit. Wie eine plötzlich abgestoppte Maschine steht er dann zwecklos im Getriebe. Langeweile frißt ihn. Fürchterliche, graue Langeweile. Er ist nicht fähig, in diesem Zustand eine notwendige Entspannung zu erblicken. Hilft ihm keine Verabredung mit Freunden oder sonst eine Einladung über die Leere des Abends hinweg, so begibt er sich in die Kaffeehäuser, Kinos, Zirkus und Tanzdielen, obwohl diese Lokale im Grunde längst allen Reiz für ihn verloren haben. Hier findet er doch immer wieder Betäubungsmittel, die ihn für den Augenblick seinen unerträglichen Zustand vergessen machen. Manchmal glaubt er, daß ein Weib, bescheiden, unselbstisch, unkompliziert, fröhlich und gütig, ihn aus seiner düsteren Verzweiflung retten könnte, die geboren wird aus der chaotischen Zersplitterung seiner Natur, in der die schärfsten Gegensätze ungelöst aneinanderprallen. Neben den proletarischen Instinkten – das Bedürfnis nach verfeinertem Lebensgenuß, neben plump-naiver Eitelkeit – bescheidene Natürlichkeit, neben fast krankhafter Sentimentalität – eine brutale Rohheit, neben dem ständigen Hunger nach neuen Reizen – die Unfähigkeit ihrer gedanklichen Verarbeitung, neben stärkster analytischer Begabung – das gänzliche Fehlen synthetischen Denkens, neben der Sucht nach amerikanisch beschleunigtem Tempo – deutsche Schwerfälligkeit, neben gesetzlosem Leichtsinn – eine durchaus anständige Gesinnung, neben sicherem Geschmack – die Lust an Verkitschungen, neben derbster Nüchternheit – Nietzsches vergeistigte Romantik, neben zynischer Verachtung der Geschlechtsabhängigkeit – überreizte Sexualität, neben mißtrauischer Verschlossenheit – eine allzu rasche Vertrauensseligkeit, neben unbeugsamer Härte – ein Verlangen nach Güte und Hingabe, neben unüberwindlicher Abscheu vor jedem Zustand der Ruhe – eine tiefgeheime Sehnsucht nach Frieden.
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In ewiger Unausgeglichenheit fällt er aus einem Extrem ins andere, unfähig zu einem gesunden Lebensrhythmus, besessen von einem fanatischen Vernichtungswillen gegen alles Bestehende, chaotisch in ihm Kreisende. Nicht das Weib kann ihn retten, selbst wenn es ihrer klugen, hellen Liebe gelingen sollte, den Treulosen, Undankbaren, Unbeständigen dauernd festzuhalten. Kein Weib hat die Kraft, dieses Chaos zu meistern. In seiner Kunst, wenn er sie nicht zum Affenspiegel seiner selbst entwürdigt, liegt die Möglichkeit der Selbsterlösung, nicht eine Erlösung zur Freude, zum ruhevollen Lebensgenuß. Aber seine Kunst ist der befreiende Gegenpol zu seinem Dadaismus. Hier fällt jede Eitelkeit, Schwäche, Disharmonie. Hier erwacht sein zielbewußter Wille, gelingt ihm das Zusammenraffen der widerstreitenden Kräfte, die zwingend klare Synthese. Hier kommt er zur positiven Schöpfung. Hier liegt sein Weg zu geschlossener Größe.
Quellen und Literatur Unveröffentlichte Quellen Griebel, Otto, Erinnerungen an Dada. Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert (circa 1960), Nachlass Otto Griebel. Schulhoff, Erwin, Tagebuch. Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Verschiedene handschriftliche Aufzeichnungen, 3 Briefe an Erwin Schulhoff und ein Tagebuch, Signatur: Misc.127/1-5, http://data.onb.ac.at/rec/AC14362046.
Sammlungs- und Ausstellungskataloge Kat. Albstadt 1985: Otto Dix. Bestandskatalog. Zeichnungen, Pastelle, Aquarelle, Kartons und Druckgraphik der Jahre 1912–1969 aus der Stiftung Walter Groz in der Städtischen Galerie Albstadt, hg. von Alfred Hagenlocher, 2., erw. Aufl., Albstadt 1985. Kat. Albstadt 1995: Otto Dix (1891–1969). Bilder der Bibel und andere christliche Themen, Ausst.-Kat. Städtische Galerie Albstadt 1995. Kat. Bautzen 2003: Marianne Britze 1883–1980. Leben und Werk. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Ausst.-Kat. Bautzen, Stadtmuseum 2003. Kat. Berlin 1920a: Freie Secession. Sommerausstellung April–Juli 1920, Ausst.-Kat. Berlin 1920. Kat. Berlin 1920aa: Erste Internationale Dada-Messe. Ausstellung und Verkauf dadaistischer Erzeugnisse, Ausst.-Kat. Berlin, Kunsthandlung Dr. Otto Burchard, Berlin 1920. Kat. Berlin 1920: Kunstausstellung Berlin 1920, im Landesausstellungsgebäude, das vom Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dem Verein Berliner Künstler und der Novembergruppe zur Verfügung gestellt ist, Ausst.-Kat. Verein Berliner Künstler, Novembergruppe, Berlin 1920. Kat. Berlin 1921: Große Berliner Kunstausstellung. Ausst.-Kat. Landesausstellungsgebäude Lehrter Bahnhof, Berlin 1921. Kat. Berlin 1921a: Führer durch die Abteilung der Novembergruppe, Kunstausstellung Berlin 1921, Berlin 1921. Kat. Berlin 1922: Juryfreie Kunstschau Berlin 1922, Ausst.-Kat., Berlin 1922.
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Quellen und Literatur
Kat. Berlin (Ost) 1957: Otto Dix. Gemälde und Graphik von 1912–1975, Ausst.-Kat. Deutsche Akademie der Künste, Berlin 1957. Kat. Berlin (Ost) 1974: Realismus und Sachlichkeit. Aspekte deutscher Kunst, Ausst.Kat. Staatliche Museen zu Berlin, National-Galerie, Kupferstichkabinett, Berlin Ost 1974. Kat. Berlin 1988: Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland 1910–1962, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin 1988, hg. von Eberhard Roters, Köln 1988. Kat. Berlin 1991/1992: Otto Dix zum hundertsten Geburtstag, Ausst.-Kat. Galerie Nierendorf, Berlin 1991/1992, Berlin 1991. Kat. Berlin 1994: Der deutsche Spießer ärgert sich. Raoul Hausmann 1886–1971, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin 1994. Kat. Berlin 1998: Marriage a-la-mode – Hogarth und seine deutschen Bewunderer. Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie Frankfurt a. M. 1998/1999, hg. von Martina Dillmann und Claude Keisch, Berlin 1998. Kat. Berlin 2018: Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918–1935, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin 2018/2019, hg. von Thomas Köhler, Ralf Burmeister und Janina Nentwig, München [u.a.] 2018. Kat. Berlin/Düsseldorf 1994/1995: George Grosz: Berlin – New York, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin, Düsseldorf, Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen, Berlin 1994. Kat. Bielefeld 1981: Hermann Freudenau, Heinz Lewerenz – westfälische Künstler, Ausst.-Kat Kulturhistorisches Museum Bielefeld 1981. Kat. Chemnitz 2011: Otto Dix in Chemnitz, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser, Chemnitz 2011–2012, hg. von Ingrid Mössinger und Thomas Bauer-Friedrich, München 2011. Kat. Chemnitz/Bietigheim-Bissingen/Hamburg 2012: Conrad Felixmüller. Zwischen Kunst und Politik. Bestandsverzeichnis und Ausstellungskatalog, Kunstsammlungen Chemnitz–Museum Gunzenhauser 2012/2013, Städtische Galerie BietigheimBissingen 2013, Ernst Barlach Haus, Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg 2013/2014, hg. von Ingrid Mössinger und Thomas Bauer-Friedrich, Köln 2012. Kat. Colmar 2016/2017: Otto Dix – Isenheimer Altar, Ausst.-Kat. Musée Unterlinden Colmar, 2016/2017, hg. von Fréderique Goerig-Hergott, Paris 2016. Kat. Darmstadt 1920: Deutscher Expressionismus Darmstadt 1920, Ausst.-Kat. Städtisches Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe, Darmstadt 1920. Kat. Darmstadt 2010: Gesamtkunstwerk Expressionismus – Kunst, Film, Literatur, Theater und Architektur 1905 bis 1925, Ausst.-Kat. Mathildenhöhe Darmstadt 2010/2011, hg. von Ralf Beil und Claudia Dillmann, Stuttgart 2010.
Sammlungs- und Ausstellungskataloge
Kat. Dresden 1916: Zweite Ausstellung Dresdner Künstler, die im Heeresdienst stehen, Ausst.-Kat. Galerie Arnold, Dresden, 1916. Kat. Dresden 1917: Herbstausstellung 1917, Ausst.-Kat. Künstler-Vereinigung Dresden, Lennéstraße, Dresden 1917. Kat. Dresden 1917a: Herbst-Ausstellung Gemälde – Aquarelle – Graphik 1917, Galerie Ernst Arnold, Faltblatt, Dresden 1917. Kat. Dresden 1919: Sezession Gruppe 1919. Mit einem Textbeitrag von Walter Rheiner, 22 Abbildungen und drei Originalholzschnitten, hg. vom Verlag Emil Richter, Ausst.-Kat. Dresden 1919. Kat. Dresden 1919a: Felixmüller. Katalog seiner Holzschnitte, Lithografien, Radierungen, hg. von F. Boettger, mit Beiträgen von Theodor Däubler und Hugo Zehder, Kunsthandlung Emil Richter, Dresden 1919. Kat. Dresden 1919b: Zweite Sonderausstellung. Dresdner Sezession Gruppe 1919. Mit auswärtigen Gästen, Ausst.-Kat. Galerie Emil Richter, hg. von Rudolf Probst, Dresden 1919. Kat. Dresden 1919c: Der Sturm. Expressionisten. Futuristen. Kubisten, Ausst.-Kat. Galerie Ernst Arnold 1919. Kat. Dresden 1920: Herbstausstellung. Dresdner Sezession Gruppe 1919. Mit ausgewählten Gästen in der Galerie Ernst Arnold, Dresden 1920. Kat. Dresden 1921: Dresdner Kunstgenossenschaft, Kunstausstellung Dresden 1921, Ausst.-Kat. Brühlsche Terrasse 2. Juli bis Ende September, Dresden 1921. Kat. Dresden 1924: Kunstausstellung Dresden 1924, Ausst.-Kat. Kunstverein Dresden auf der Brühlschen Terrasse, vom 28. Juni bis Ende September, Dresden 1924. Kat. Dresden 1939: Aus der Dresdner Richard Wagner Ehrung im Schloß Albrechtsberg [Begleitheft zur Ausstellung der Werke von Richard Guhr], Dresden 1939. Kat. Dresden 1981: Kunst im Aufbruch. Dresden 1918–1933, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden 1981. Kat. Dresden 1999: Fritz Löffler 1899–1988. Ein Leben für Kunst und Denkmalpflege in Dresden, Ausst.-Kat. Kunst Haus Dresden 1999, hg. von Sigrid Walther, Dresden 1999. Kat. Dresden 2011: Neue Sachlichkeit in Dresden. Malerei der Zwanziger Jahre von Dix bis Querner, Ausst.-Kat. Kunsthalle im Lipsiusbau Dresden, Brühlsche Terrasse, 2011/2012, hg. von Birgit Dalbajewa, Dresden 2011. Kat. Dresden 2012: Rudert, Konstanze (Hg.): Im Netzwerk der Moderne. Kirchner, Braque, Kandinsky, Klee … Richter, Bacon, Altenbourg und ihr Kritiker Will Grohmann, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunsthalle im Lipsiusbau, 2012/2013, München 2012. Kat. Dresden 2014: Otto Dix. Der Krieg – Das Dresdner Triptychon, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum 2014, hg. von den Staatlichen Kunst-
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Quellen und Literatur
sammlungen Dresden, Birgit Dalbajewa, Simone Fleischer und Olaf Peters, Dresden 2014. Kat. Dresden 2019: Signal zum Aufbruch! 100 Jahre Gründung der Dresdner Sezession – Gruppe 1919, Ausst.-Kat. Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, hg. von Johannes Schmidt und Gisbert Porstmann, Dresden 2019. Kat. Dresden/Hannover 1997: Conrad Felixmüller. Die Dresdner Jahre 1910–1934. Ausst-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister 1997, Spengel Museum Hannover 1997, hg. von Ulrich Krempel, Köln 1997. Kat. Düsseldorf 1922: I. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922, Ausst.-Kat. Kaufhaus Tietz Leonhard Tietz A.G., Düsseldorf 1922. Kat. Düsseldorf 1983: Barth, Peter, Otto Dix und die Düsseldorfer Künstlerszene 1920–1925. Aquarelle – Zeichnungen – Druckgraphiken, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1983. Kat. Düsseldorf 1984: Barth, Peter, Johanna Ey und ihr Künstlerkreis, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1984. Kat. Düsseldorf 1985: Am Anfang. Das Junge Rheinland. Zur Kunst- und Zeitgeschichte einer Region 1918–1945, Ausst.-Kat. Kunsthalle Düsseldorf, hg. von Ulrich Krempel, Düsseldorf 1985. Kat. Düsseldorf 1987: Barth, Peter, Conrad Felixmüller. Die Dresdner Jahre 1913– 1933, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1987. Kat. Düsseldorf 1987a: Die Dresdner Künstlerszene 1913–1933. (Die zwanziger Jahre in Dresden Teil II), Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1987. Kat. Düsseldorf 1989: Barth, Peter, Dix – Pankok – Wollheim. Freunde in Düsseldorf 1920–1925, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1989. Kat. Düsseldorf 1993: Gert H. Wollheim 1894–1974. Eine Retrospektive, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof 1993, bearbeitet von Stephan von Wiese, Köln 1993. Kat. Düsseldorf 1994: Barth, Peter, Von Nolde bis Dix. Der Düsseldorfer Arzt, Sammler und Kunsthändler Dr. Hans Koch und „Das Graphische Kabinett von Bergh & Co.“, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1994. Kat. Düsseldorf 2017: Otto Dix – der Böse Blick, Ausst.-Kat. Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Tate-Gallery Liverpool, hg. von Susanne Meyer-Büser, Düsseldorf [u.a.] 2017. Kat. Düsseldorf 2019: „Zu schön um wahr zu sein“. Das Junge Rheinland, Ausst.-Kat. Kunstpalast, Düsseldorf 2019, Köln 2019. Kat. Edinburgh 2019: Patrick Elliott, Cut and Paste. 400 Years of Collage, Ausst.-Kat. National Galleries of Scotland, Edinburgh 2019. Kat. Frankfurt a. M. 1977: Dada in Europa. Werke und Dokumente, Ausst.-Kat. Städ-
Sammlungs- und Ausstellungskataloge
tische Galerie im Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt a.M. 1977/1978, hg. von Klaus Gallwitz, Berlin 1977. Kat. Friedrichshafen 1992: Otto Dix. Die Friedrichshafener Sammlung. Bestandskatalog, hg. von Lutz Tittel, Friedrichshafen 1992. Kat. Gera 1993: Kurt Günther 1893–1955. Zum 100. Geburtstag, Ausst.-Kat. Kunstgalerie Gera 1993. Kat. Gera 1996: Otto Dix. Gemälde. Zeichnungen. Druckgrafik, Kunstsammlung Gera, hg. von Ulrike Rüdiger, München [u.a.] 1996. Kat. Gera 1999: Erich Drechsler 1903–1979. Gemälde. Pastelle. Zeichnungen, Ausst.Kat. Kunstsammlung Gera, Orangerie, 1999. Kat. Gera 2011: Otto Dix: retrospektiv. Zum 120. Geburtstag. Gemälde und Arbeiten auf Papier, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Gera, Orangerie, 2011/2012, Konzept und Katalog: Holger Peter Saupe, Gera 2011. Kat. Gera 2020: Kurt Günther. Werke des Meisters der Neuen Sachlichkeit aus dem Bestand der Kunstsammlung Gera, Gera 2020. Kat. Gera/Albstadt 2000/2001: Dix avant Dix. Das Jugend- und Frühwerk 1903– 1914, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Gera, Orangerie/Städtische Galerie Albstadt, 2000/2001, hg. von Ulrike Lorenz, Jena 2000. Kat. Hamburg 1977: Otto Dix – Zeichnungen, Aquarelle, Grafiken, Kartons, Ausst.Kat. Kunstverein in Hamburg 1977. Kat. Hamburg 2007: Geisterbahn und Glanzrevue. Otto Dix. Aquarelle und Gouachen, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2007, Ausst. und Kat. Karsten Müller, München 2007. Kat. Hannover 1986: Kurt Schwitters. 1887–1948. Ausstellung zum 99. Geburtstag, Ausst.-Kat. Sprengel-Museum, Hannover, hg. von Joachim Büchner, Berlin 1986. Kat. Innsbruck 2019: Egger-Lienz und Otto Dix. Bildwelten zwischen den Kriegen, Ausst.-Kat. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 2019, München 2019. Kat. Kaiserslautern 1987: Otto Dix. Zeichnungen und Druckgraphik aus der Stiftung Walther Groz in der Städtischen Galerie Albstadt, Ausst.-Kat. Pfalzgalerie Kaiserslautern 1987. Kat. Köln 1975: Max Ernst – Œuvre-Katalog. Bd. 2: Werke 1906–1925, bearbeitet von Werner Spies, Sigrid und Günter Metken, hg. von Werner Spies, Köln 1975. Kat. Köln 1980: Max Ernst in Köln. Die rheinische Kunstszene bis 1922, Ausst.-Kat. Kunstverein, Köln, hg. von Wulf Herzogenrath, Köln 1980. Kat. Magdeburg 1993: „Die Kugel“ – eine Künstlervereinigung der 20er Jahre. Spätexpressionistische Kunst in Magdeburg, Ausst.-Kat. Kloster Unserer Lieben Frauen Magdeburg, hg. von Matthias Puhle, Magdeburg 1993. Kat. Mannheim 2013: Dix/Beckmann. Mythos Welt, Ausst.-Kat. Kunsthalle Mannheim, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München 2013/2014, München 2013. Kat. Montreal/New York 2010/2011: Otto Dix, Ausst.-Kat. Neue Galerie New York,
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Quellen und Literatur
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Verzeichnis der übrigen Literatur (außer Artikel in Tageszeitungen)
Kat. Wien/Dresden 1996: Kokoschka und Dresden, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister, Österreichische Galerie/Belvedere Wien 1996, Leipzig 1996. Kat. Zürich/Wien 2018/2019: Oskar Kokoschka. Expressionist. Migrant. Europäer. Eine Retrospektive, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, Leopold Museum, Wien, 2018/ 2019, hg. von Cathérine Hug und Heike Eipeldauer, Heidelberg [u.a.] 2018.
Verzeichnis der übrigen Literatur (außer Artikel in Tageszeitungen) Adkins, Helene, „Die Zeit der Kohlrübe in Deutschland“, in: Kat. Berlin/Düsseldorf 1994/1995, S. 132–139. Adkins, Helene, Erste Internationale Dada-Messe, Berlin 1920, in: Kat. Berlin 1988, Kommentarband, S. 77–94. Alexander, Gertrud, Dada (Ausstellung am Lützowufer 134, Kunstsalon Burchard), in: Die Rote Fahne, Jg. 3, 1920, Nr. 139, 25.07.1920, wiederabgedruckt in: Fähnders/ Rector, Literatur im Klassenkampf, S. 93–95. Alexander, Gertrud, Herrn John Heartfield und Georg Grosz, in: Die Rote Fahne, Jg. 3, 1920, Nr. 99, 09.06.1920, wiederabgedruckt in: Fähnders/Rector, Literatur im Klassenkampf, S. 50–53. Almai, Frank, „Wir aber müssen die Welt ändern.“ Zur personellen und institutionellen Vorgeschichte der Dresdner Sezession – Gruppe 1919, in: Kat. Dresden 2019, S. 18–26. Ash, Mitchell G., Gestalt Psychology in German Culture, 1890–1967: Holism and the Quest for Objectivity, Cambrigde/Mass. [u.a.] 1998. Asholt, Wolfgang, und Walter Fähnders, Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), Stuttgart [u.a.] 1995. Ball, Hugo Die Flucht aus der Zeit, Zürich 1992. Bauer-Friedrich, Thomas, Der Gott des Krieges. Stilkritische Diskussion eines Blattes aus der Sammlung des Museums Gunzenhauser, in: Kat. Chemnitz 2011, S. 246–249. Bauer-Friedrich, Thomas, „Man kann nicht malen wie der Ochse brüllt.“ Betrachtungen zu Conrad Felixmüllers Schaffen zwischen 1945 und 1967, in: Kat. Chemnitz/ Bietigheim-Bissingen/Hamburg 2012, S. 167–179. Bauer-Friedrich, Thomas, „Wer Augen hat zum Sehen, der sehe!“. Die Werke von Otto Dix in der Stiftung Dr. Alfred Gunzenhausers, in: Kat. Chemnitz 2011, S. 9–22. Beck, Rainer, Otto Dix. Die kosmischen Bilder. Zwischen Sehnsucht und Schwangerem Weib, Dresden 2003. Beck, Rainer, Otto Dix – Otto Hermann Baumgärtel – Marga Kummer. Biographische
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Verzeichnis der übrigen Literatur (außer Artikel in Tageszeitungen)
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Abbildungsnachweis/Copyright
Abbildungsvorlagen gelten unentgeltlich zur Verfügung: Albertinum / Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Abb. 17 (Foto: Hans-Peter Klut) Archiv der Verfasserin: Abb. 65, 69 Archiv Museum Gunzenhauser, Chemnitz: Abb. 30, 32, 41, 61, 56 Deutsches Kunstarchiv, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: Abb. 3 (NL Guhr, Richard, I,B-7-1939-0028), Abb. 5 (NL Guhr, Richard, I,B-7-1939-0011), Abb. 7, 8 (NL Gutbier, Arnold, I,B-137-1917-09-02a,b), Abb. 23 (NL Felixmüller, Conrad, I,A-10a-0033), Abb. 38 (NL Felixmüller, Conrad, I,A-10a-0038a) Galerie Valentien, Stuttgart: Abb. 24 Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien: Abb. 42 (Kat. Berlin 1991/1992, S. 37), Abb. 53 (Kat. Düsseldorf 2017, S. 225) Kunstmuseum Albstadt: Abb. 16 (Inv.-Nr. SWG 1980-105) Kunstmuseum Stuttgart: Abb. 6, 57, 64 Kunstpalast, Düsseldorf: Abb. 66, Abb. 77 (Kunstpalast / ARTOTHEK) Kunstsammlung Gera: Abb. 20, 21, 25, 29 (Archiv Kunstsammlung Gera), Abb. 59 (Otto-Dix-Archiv, Inv.-Nr. D/A 95) Metropolitan Museum of Art, New York: Abb. 74, 75 (Harris Brisbane Dick Fund, 1932, Inv.-Nr. DP827041) Nachlass Otto Griebel: Abb. 70 Österreichische Nationalbibliothek: Abb. 34, 35 (http://data.onb.ac.at/rec/ AC14362046) Otto Dix Stiftung, Vaduz: Abb. 15, 22, 26, 27, 36, 44-49, 55, 71, 72, 76 Private Collection c/o Sotheby‘s: Abb. 28 Saint Louis Art Museum, Saint Louis, Missouri: Abb. 13 (Artists Right Society (ARD), New York / VG Bild-Kunst, Bonn) Staatsgalerie Stuttgart: Abb. 37, 39, 40, 60 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: Abb. 4 Von der Heyd-Museum, Wuppertal: Abb. 73 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München: Abb. 2 (Inv.-Nr. 202447)
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Abbildungsnachweis/Copyright
Sonstige Abbildungsvorlagen: Albertinum / Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Abb. 58 (Foto: Franz Zadnicek) bpk-Bildagentur, Berlin: Abb. 9 (bpk / Deutsches Historisches Museum), Abb. 14 (bpk / Los Angeles County Museum of Art/Art Resource, New York), Abb. 18 (bpk / Nationalgalerie, SMB/ Jörg P. Anders), Abb. 19 (bpk / CNAC-MNAM/ Georges Meguerditchian), Abb. 33 (bpk / Herzog Anton Ulrich-Museum), Abb. 43 (bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders), Abb. 51 (Vue de la première foire internationale Dada (erste internationale Dada-Messe) à la galerie du Dr. Otto Burchard à Berlin (Allemagne). Le 5 juin 1920, bpk / adoc-photos), Abb. 52 ( Tableau tournant d’Otto Dix exposé lors de la première foire internationale Dada (erste internationale Dada-Messe) à la galerie du Dr. Otto Burchard à Berlin (Allemagne). Le 5 juin 1920, bpk / adoc-photos), Abb. 54 (bpk / Nationalgalerie, SMB, Verein der Freunde der Nationalgalerie, Foto: Jörg P. Anders), Abb. 67 (bpk / Zentralarchiv, SMB), Abb. 68 (bpk / Rheinisches Bildarchiv Köln) Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Abb. 12, 31 (Foto: Herbert Boswank) Sächsische Landsbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB): Abb. 1 (SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Reproduktion nach Aufnahme von Erich Andres), Abb. 10 (SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Unbekannter Fotograf ) Städtische Sammlungen Freital: Abb. 11 (Foto: Franz Zadniček) Turin, GAM – Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea: Abb. 50 (Turino, GAM – Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea. Su concessione della Fondazione Torino Musei, Foto: Studio Fotografico Gonella 2013)
© für die Werke von Otto: VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Abb. 13 zusätzlich: Artists Right Society (ARD), New York © für das Werk von Gert H. Wollheim: Jutta Osterhof © für die Werke von Kurt Günther, Conrad Felixmüller und Richard Müller: Bildrecht, Wien 2022
Personenverzeichnis Achieser, Baruch 81 Adler, Paul 80 Albrecht, Paul (George Grosz?) 177 Alexander, Gertrud 201, 208 Altdorfer, Albrecht 201 Amann, Albin 18 Amann, Friedrich 18 Amann, Fritz 18 Appia, Adolphe 80 Arp, Hans 173, 212, 221, 231, 232 Baader, Johannes 127, 145, 232 Baargeld, Johannes Theodor 173, 211, 212, 216 Ball, Hugo 102, 191 Barcinsky, Heinrich 182, 226 Barranow-Rossiné, Wladimir 82 Barth, Peter 229, 233 Bauer-Friedrich, Thomas 37, 203 Baumeister, Willi 181 Beck, Rainer 65 Beckmann, Max 225 Behne, Adolf 92, 173, 177, 178, 180, 189, 237 Bek, Josef 105 Belling, Rudolf 182 Beneš, Jara 156 Berg, Alban 73, 84, 111, 112, 115, 200 Bergius, Hanne 12, 203, 254 Bienert, Friedrich (Fritz) 66, 81, 95 Bienert, Ida 95 Böckstiegel, Peter August 28, 41, 45, 93, 97, 193, 213 Boguslawskaja, Xenia L. 231 Bornschein, Eduard 200 Brettschneider, Hans 62 Brieger, Lothar 240 Britze, Marianne 147, 149, 154 Brueghel, Pieter d. Ä. 137 Buonarroti, Michelangelo (s. Michelangelo)
Burmeister, Ralf 103, Camfield, William A. 221 Campendonk, Heinrich 143, 225 Capek, Josef 144 Cassel, Paul 144, 145 Cassirer, Ernst 254 Chagall, Marc 59, 69, 259 Cohn-Wiener, Ernst 238 Conzelmann, Otto 13–15, 62, 63 Corinth, Lovis 216, 217 Däubler, Theodor 51, 52, 54, 60, 67, 73, 74, 82, 85, 89–91, 93, 95, 104, 107, 125, 140, 166-168, 211, 232, 259 Dalbajewa, Birgit 25 Davringhausen, Heinrich Maria 223 De Chirico, Giorgio 202 Dehmer, Andreas 25 Delaunay, Robert 69 Deutsch, Ernst 32, 42 Dietrich, Rudolf Adrian 33, 68 Dix, Hedwig 116 Dix (auch Koch), Martha 13, 17, 40, 67, 115, 219, 245 Doesburg, Nelly 231, 232 Doesburg, Theodor 231, 233 Drechsler, Erich 18, 139 Drescher, Arno 28 Dresdner, Albert 168 Dressler, August Wilhelm 154 Dürer, Albrecht 201 Dvořák, Max 199 Egger-Lienz, Albin 134 Einstein, Carl 12, 167, 238, 253 Eisenhuber, Günther 117, 123 Elsler, Suse 54, 73, 80, 89 Erbach, Alois 219 Erdmann, Eduard 73, 84
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Personenverzeichnis
Ernst, Max 173, 211, 212, 219-221, 254 Ewald, Reinhold 225 Ey, Johanna 66, 211, 212, 215, 216, 218, 219, 221, 229 Fechter, Paul 27, 47 Feininger, Lyonel 93, 225 Felixmüller, Conrad (auch Felix Müller) 28, 29, 33–48, 68, 81, 90, 93, 94, 106–108, 132, 143–145, 147, 149, 153–157, 159, 170, 175, 181, 191, 193, 201, 211-213, 231, 262, 263 Felixmüller, Londa 81 Fick, Monika 60, 230 Fischer, Ilse 60, 66, 232–234, 236, 252, 264 Fischer, Lothar 246 Forster, Gela 41-43, 45, 48, 81, 95, 124, 145, 182, 235 Frank, Leonhard 67 Franz, Elis 52, 54, 145 Friedlaender, Salomo 59, 63–66, 70, 79, 88, 89, 113, 119, 121, 124, 125, 248, 252, 253 Frommer, Marie 194 Gerstenberg, Kurt 85, 92 Giorgione 180 Glaser, Curt 92 Glaser, Fritz 229 Glatter, Alfred 45, 96 Gleisberg, Dieter 37 Godenschweg, Ludwig 95, 182 Goethe, Johann Wolfgang von 66, 78, 79, 128, 170 Goltz, Hans 219, 222, 223 Golyscheff, Jefim 87, 136 Greiner, Otto 154 Griebel, Otto 19, 40, 52, 54, 77, 78, 82, 85, 87, 88, 90, 99, 101, 104, 106, 127, 131, 132, 144–147, 159, 161, 165, 180, 182, 188, 189, 226, 228, 231, 232 Grohmann, Gertrud 81 Grohmann, Will 11, 17, 41, 45, 47, 49, 54, 73, 81, 115, 118, 140, 154, 181, 225, 230–232, 255
Gropius, Walter 182, 225, 226 Großpietsch, Kurt 132 Grosz, George 54, 68, 87, 88, 95, 104, 105, 110-113, 118, 124, 126, 127, 129, 136, 137, 152, 155, 167, 174, 175, 180, 182, 188, 193, 198, 201, 202, 216, 223, 232, 237, 241, 247, 258 Grünewald, Matthias 201 Grundig, Lea 25 Günther, Alfred 80, 125, 235 Günther, Kurt 18, 32, 35, 41, 58, 68, 69, 75-78, 103, 104, 109, 110 Guhr, Richard 19, 21–24, 32 Gussmann, Otto 27, 28, 93, 94, 110, 131 Haeckel, Ernst 60, 88 Haenisch, Konrad 200 Haftmann, Werner 66 Hasenclever, Walter 42, 65, 145 Hauer, Josef 73 Hauptmann, Carl 93 Hauptmann, Gerhard 94 Hausenstein, Wilhelm 107, 137 Hausmann, Raoul 33, 67, 68, 79, 82-84, 88, 101, 123, 125, 127, 128, 136, 144– 146, 149, 173, 201–203, 205, 208, 231, 232, 234, 240, 247, 253 Heartfield, John 111, 173, 180, 188, 198, 202 Heckel, Erich 28 Heckrott, Will 34, 38, 41, 45, 48, 81, 93, 97, 118, 182, 194, 231 Hecht, Benn 174 Heidegger, Martin 61 Heinrich, Renate 136 Hermann, Paul 25 Herzfelde, Wieland 68, 176, 177, 193, 232 Höch, Hannah 87, 136 Hodler, Ferdinand 134 Hoerle, Heinrich 212 Hofer. Karl 238 Hoffmann, Eugen 40, 95, 182, 231 Hoffmann, Ines 124 Hofmann, Vlastislav 144 Hogarth, William 137, 240–243
Personenverzeichnis
Huelsenbeck, Richard 70, 88, 102, 145, 212, 232, 247 Hütt, Wolfgang 37 Husserl, Edmund 61 Jacob, Helene 29 Jacob, Walter 145 Jacques-Dalcorze, Émile 80 Janco, Marcel 68 Johansson, Erik 45 Johst, Hanns 94 Junge, Margarete 52 Kaemmerer, Rudolf Herbert 47, 82, 94 Kandinsky, Wassily 59, 74, 81, 258 Kant, Immanuel 62, 249 Karsch, Florian 117, 162 Kaufmann, Arthur 218, 219 Kessler, Harry Graf 137 Kind, Georg 45 Kirchhoff, Heinrich 144, 150, 157 Kirchner, Ernst Ludwig 28, 32, 98 Klee, Paul 69, 104, 182, 226, 258 Klinger, Max 19, 21, 154 Kokoschka, Oskar 42, 43, 47, 59, 93, 98, 131, 133, 188, 198, 199 Korte, Hermann 127 Kraus, Karl 67 Krayl, Carl 225 Krenek, Ernst 84 Kretzschmar, Bernhard 28, 45 Krischer, Otto 182, 226, 230 Kügelgen, Karl von 152 Kuhn, Alfred 239 Küppers, Paul Erich 107, 108 Kummer, Margarete 52 Kutschera, Johanna 170 Kutzschbach, Hermann 54, 73, 84, 112 Laban, Rudolf von 114, 115 Lachnit, Wilhelm 40 Lange, Otto 28, 38, 41, 43, 45, 90, 93, 107, 108, 182, 194, 230, 231 Lasker-Schüler, Else 175
Laube, Hans 140 Lehnert, Johanna 52 Ley, Walter 92 Liebermann, Max 239, 240 Liebknecht, Karl 36 Lindner, Maria 219 Lissitzky, El 231 Löffler, Fritz 13-17, 19–25, 31, 35, 36, 59, 67, 203, 230 Lohse, Kurt 145 Lorenz, Ulrike 13, 24, 62, 116 Lublinski, Samuel 59-61 Lücken, Ivar von 42, 145 Lunatscharski, Anatoli Wassiljewitsch 106 Luxemburg, Rosa 36 März, Roland 184, 185 Mann, Thomas 66, 84 Marc, Franz 59 Marcus, Ernst 59, 67, 68, 128 Mehring, Walter 232 Meidner, Ludwig 42, 98, 225 Meyboden, Hans 182, 226, 231 Michelangelo 48 Mitschke-Collande, Constantin von 28, 38, 41, 48, 97, 144, 182, 194, 230, 231 Muche, Georg 59, 258 Mühlberg, Johannes 197 Müller, Otto 28, 98 Müller, Richard 140, 191–193 Nadel, Arno 209, 216, 247 Nauen, Heinrich 18 Nemitz, Fritz 225, 228 Neroslow, Alexander 54 Neuberger, Fritz 42 Neumann, I. B. 48, 87, 136, 212, 238, 239 Newton, Isaac 79, 128 Niebelschütz, Ernst von 223 Nierendorf, Karl 75, 212, 229, 238, 246 Nierendorf, Meta 56, 75 Nietzsche, Friedrich 15, 48, 49, 51, 59, 61–66, 78, 88, 89, 110, 113, 114, 116, 119, 120, 123–125, 152, 166, 170, 236,
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Personenverzeichnis
245, 248, 249, 252, 253, 268, 269 Nolde, Emil 98, 133 Obrusnik, Heinrich 21, 22 Ophey, Walter 218 Osborn, Max 237-240 Osthaus, Karl Ernst 147 Pankok, Hulda 214 Pankok, Otto 211, 214 Pechstein, Max 28, 98, 133 Pedretti, Arturo (Turo) 183 Peinelt, Sabine 12 Perls, Fritz 64 Peters, Anne 83 Peters, Olaf 66, 212 Picabia, Francis 173, 193 Piepho, Carl 45 Poelzig, Hans 54, 73, 74, 93, 182, 225, 226 Posse, Hans 106, 107, 133, 198, 246 Prampolini, Enrico 82, 177, 231 Probst, Rudolf 93, 94 Puetzfeld, Carl 29, 47, 48, 97, 98, 106, 140, 194 Puni, Iwan 231 Rade, Carl 25, Rade, Max 24, 25 Rheiner, Walter 33, 35, 36, 45, 65 Richter, Hans 174, 231 Reger, Walter 183 Rembrandt van Rijn 24 Röhl, Karl Peter 232 Roesberg, Max 229 Roh, Franz 230 Rubens, Peter Paul 47, 198 Rubin, Victor 81, 197 Rudolph, Wilhelm 45 Rühle, Otto 38, 106 Rukser, Udo 48, 136 Runge, Philipp Otto 59 Rustenbach, Lucy 81 Salmony, Alfred 167
Sandkuhl, Hermann 238 Saupe, Holger Peter 77 Schapire, Rosa 147 Scheffler, Karl 216, 239, 253 Scheidemann, Philipp 188 Scheptowitzky, Abraham 81 Scherchen, Hermann 73 Schilling, Heinar 33, 36, 90, 118, 140, 229 Schlee, Alfred 54, 80, 115 Schleiermacher, Friedrich 62 Schlemmer, Oskar 115, 181 Schlichter, Rudolf 167, 173, 202 Schmalhausen, Otto 173 Schmidt, Diether 12, 15, 68, 137 Schmidt, Paul Ferdinand 59 Schmidt-Rottluff, Karl 28, 93, 225 Schmitz, Angelika (s. Forster, Gela) Schnabel, Artur 84, 87 Schnabel, Therese 84 Schneede, Uwe M. 185, 253 Schönberg, Arnold 73, 74, 84, 87 Scholz, Georg 173, 174 Schopenhauer, Arthur 62, 66, 113, 122, 249 Schreiner, Gerth 159, 234 Schubert, Dietrich 253 Schubert, Otto 34, 38, 41, 43, 45, 48, 81 Schuchardt, Edmund 115 Schulhoff, Erwin 11, 52–54, 59, 67, 68, 73–82, 84, 87–89, 91, 96, 97, 99, 100, 102–105, 110–116, 121, 124–128, 134, 135, 137, 145, 152 Schulhoff, Julius 54 Schulhoff, Viola 11, 51–56, 75–77, 110, 117, 120, 147, 193 Schunke, Ernst 60 Schuster, Peter-Klaus 137 Schwarz, Michael Viktor 102 Schwitters, Kurt 95, 97, 168, 181, 182, 202, 220, 232 Scott, Cyrill 73 Secker, Hans 107 Seebach, Nikolaus Graf von 93 Segall, Lasar 34, 38, 41, 43, 45, 48, 54, 73,
Personenverzeichnis
81, 94, 115, 140, 141, 143, 144, 147, 182, 194, 225, 230, 231 Segantini, Bianca 81, 182 Senff, Carl Robert 25 Serner, Walter 221 Servaes, Franz 194, 217 Skrjabin, Alexander 67, 73, 81, 82, 84, 87 Slevogt, Max 24, 238 Söll, Änne 244 Sonnenschein, Adolf 19 Spala, Vaclac 144 Spamer, Adolf 170 Spies, Ira 81 Spies, Walter 62, 80, 81, 95, 100, 116, 136, 137 Stadelmann, Heinrich 129 Stahl, Fritz 239 Sterenberg, David P. 135 Sterl, Robert 107 Stiemer, Felix 33 Stiller, Richard 47, 85, 96, 194 Stirner, Max 119, 125 Strobl, Andreas 26, 168 Strobl, Karl Heinz 200 Stuckenberg, Fritz 136 Stuckenschmidt, Hans Heinz 173 Suhrawardi 113, 114 Sydow, Eckart von 237 Taut, Bruno 182, 225, 226 Tietze, Hans 199 Tittel, Lutz 16 Tizian 186, 188, 189 Tucholsky, Kurt 174
Türk, Johannes 24 Tzara, Tristan 177, 232 Uhlitzsch, Joachim 38 Uzarzki, Adolf 218 Vasari, Ruggero 231 Verdi, Giuseppe 156 Voll, Christoph 182 Wächtler, Elfriede (Laus) 145, 147 Wagner, Richard 22–24, 104 Walzel, Oskar 59, 61 Warlich, Christian 206 Webern, Anton von 73, 84 Wellesz, Egon 73, 84 Wense, Hans Jürgen von der 40, 54, 84, 95, 99-101, 111, 159 Westheim, Paul 28, 48, 138, 166, 168, 238 Wigman, Mary 114, 115 Wilhelm II. von Preussen 165, 179, 184, 188 Winkelmann, Sergius 132 Wolfradt, Willi 116, 155, 236, 238, 239, 250 Wollheim, Gert H. 121, 211, 213–216, 218, 220, 221, 229, 230 Zalit, Karl 231 Zehder, Hugo 32–35, 42, 43, 45, 47, 59–61, 74, 79, 81, 93, 94, 106–109, 114, 115, 118, 135, 140, 182, 191, 260 Zimmermann, Felix 97, 193, 222 Zrzavy, Jan 144
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