Maß- und Integrationstheorie: Mit zahlreichen Beispielen und Übungsaufgaben [1. Aufl.] 9783662607497, 9783662607503

In diesem Lehrbuch wird die klassische Lebesguesche Maß- und Integrationstheorie stringent entwickelt und dargestellt –

294 78 3MB

German Pages VIII, 227 [230] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VIII
Maße (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 1-33
Das Borel-Lebesgue-Maß (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 35-75
Verallgemeinerte Maße (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 77-82
Integration (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 83-143
Lp-Räume (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 145-169
Die Fourier-Transformation (Uwe Storch, Hartmut Wiebe, Claas Becker)....Pages 171-218
Back Matter ....Pages 219-228
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Maß- und Integrationstheorie: Mit zahlreichen Beispielen und Übungsaufgaben [1. Aufl.]
 9783662607497, 9783662607503

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Uwe Storch Hartmut Wiebe Claas Becker

Maß- und Integrationstheorie Mit zahlreichen Beispielen und Übungsaufgaben

Maß- und Integrationstheorie

Uwe Storch  Hartmut Wiebe  Claas Becker

Maß- und Integrationstheorie Mit zahlreichen Beispielen und Übungsaufgaben

Uwe Storch Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland

Claas Becker Hochschule RheinMain Wiesbaden, Deutschland

Hartmut Wiebe Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland

ISBN 978-3-662-60749-7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3

ISBN 978-3-662-60750-3 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Iris Ruhmann Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Dieses Buch ist hervorgegangen aus dem dritten Band eines vierbändigen Lehrbuches der Mathematik. Diese Lehrbuchreihe enthielt den Stoff einer viersemestrigen Vorlesung Mathematik für Physiker, die Uwe Storch und Hartmut Wiebe viele Jahre an der RuhrUniversität Bochum gehalten haben, ging aber an vielen Stellen auch deutlich darüber hinaus. Im Rahmen einer Neuauflage dieses Lehrbuches wird der Stoff eines jeden Bandes nunmehr auf mehrere voneinander weitgehend unabhängige Lehrbücher verteilt. Die ersten beiden Bände der neuen Reihe sind bereits erschienen. Im Mittelpunkt dieses Lehrbuches steht die Lebesguesche Maß- und Integrationstheorie. Wir setzen Kenntnisse der elementaren Mengenlehre und der Analysis einer Veränderlichen voraus. Gelegentlich werden Grundkenntnisse der Topologie benötigt, ferner Kenntnisse der linearen Algebra. Wir beginnen mit dem Banach-Tarski-Paradoxon: Eine Kugel im R3 vom Radius 1 kann so in endlich viele Teile zerlegt werden und diese ohne Überlappungen oder Löcher neu zusammengesetzt werden, dass dabei eine Kugel von beliebig vorgegebenem Radius entsteht. Es ist also nicht möglich, jeder Teilmenge des Anschauungsraumes in sinnvoller Weise ein translations- und rotationsinvariantes Volumen zuzuordnen. Dies motiviert die Idee, nur gewissen Teilmengen der Grundmenge ein Maß zuzuordnen. Das erste Kapitel beschäftigt sich neben dem Banach-Tarski-Paradoxon mit  -Algebren, Inhalten und Maßen. Wir beweisen grundlegende Eindeutigkeits- und Existenzsätze und führen Produktmaße ein. Im zweiten Kapitel konstruieren wir das Borel-Lebesguesche Maß mithilfe des zugehörigen äußeren Maßes. Wir illustrieren dies durch zahlreiche Beispiele und Anwendungen, z.B. berechnen wir das Volumen der n-dimensionalen Einheitskugel. Wir haben aber auch Beispiele aus der geometrischen Zahlentheorie wie den Gitterpunktsatz von Minkowski aufgenommen, um dem Leser die Bezüge zwischen verschiedenen mathematischen Teildisziplinen zu verdeutlichen. Der Leser kann an dieser Stelle diejenigen Beispiele auswählen, die für ihn von besonderem Interesse sind. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit signierten Maßen und dem Zerlegungssatz von Hahn-Jordan. Ferner führen wir komplexwertige Maße ein und geben einen Ausblick auf Maße mit Werten in einem Banach-Raum. V

VI

Vorwort

Das vierte Kapitel ist dem Integralbegriff gewidmet. Wir definieren dabei das Integral, anders als vielfach üblich, direkt als Fläche unter der Kurve der zu integrierenden Funktion. Dieses Kapitel enthält ferner den Satz von Fubini sowie verschiedene Konvergenzsätze. Schließlich führen wir den Begriff der Dichte ein und beweisen den Satz von Radon-Nikodym. Im fünften Kapitel beschäftigen wir uns mit Lp -Räumen und insbesondere mit L2 -Räumen. Als Beispiel für ein vollständiges Orthonormalsystem eines Hilbert-Raumes behandeln wir Hermite-Polynome. Schließlich geben wir einen Ausblick auf den Begriff des Spektralmaßes. Das sechste Kapitel ist der Fouriertransformation gewidmet. Anders als vielfach in der Maßtheorie üblich, wählen wir die Koeffizienten der Fouriertransformierten so, dass man einen isometrischen Isomorphismus von L2 .Rn / erhält. Wir führen die Begriffe der vagen und schwachen Konvergenz von Maßen ein und stellen den Zusammenhang zur Konvergenz ihrer Fouriertransformierten her. Hieran schließen sich vielfältige Beispiele an, u. a. zur Fouriertransformation zentralsymmetrischer Funktionen. Die einzelnen Abschnitte werden durch zahlreiche Aufgaben ergänzt, deren Ergebnisse gelegentlich im Text benutzt werden. Zu den etwas schwierigeren Aufgaben werden Hinweise gegebenen. Dieses Buch gibt nicht den Inhalt einer einzelnen Vorlesung wieder und muss daher nicht Seite für Seite gelesen werden. Vielmehr kann der Leser einzelne Themen herausgreifen und das Buch als Nachschlagewerk nutzen. Wir danken Frau MSc L. Naiwert für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes. Ferner danken wir Herrn Dr. A. Rüdinger, Frau I. Ruhmann und Frau A. Herrmann von Springer Spektrum herzlich für ihre Geduld und die sehr angenehme Zusammenarbeit. Uwe Storch ist 2017 verstorben. Diese Lehrbuchreihe soll in seinem Sinne fortgesetzt werden. Wiesbaden und Bochum Oktober 2019

Class Becker Hartmut Wiebe

Inhaltsverzeichnis

1

Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Mengen ohne Volumen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Mengenalgebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Maßräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze

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1 1 8 15 23

2

Das Borel-Lebesgue-Maß . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Maße auf R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das Borel-Lebesgue-Maß auf Rn . . . . . . . . . 2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

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35 35 40 45

3

Verallgemeinerte Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Zerlegungssatz von Hahn-Jordan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77

4

Integration . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Messbare Funktionen . . . . . . 4.2 Integrierbare Funktionen . . . . 4.3 Der Satz von Fubini . . . . . . . 4.4 Konvergenzsätze . . . . . . . . . 4.5 Die Transformationsformel . . 4.6 Der Satz von Radon-Nikodym

5

Lp -Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5.1 Einführung der Lp -Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5.2 L2 -Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

6

Die Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln . 6.2 Der Umkehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Fourier-Transformierte quadratintegrierbarer Funktionen . . 6.4 Konvergenz von Maßen und ihren Fourier-Transformierten . 6.5 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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83 83 88 110 126 132 138

171 171 185 192 198 204 VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

1

Maße

1.1 Mengen ohne Volumen Es erscheint zunächst naheliegend, jeder Teilmenge des Rn ein Volumen zuzuordnen. Wie in diesem Abschnitt gezeigt werden soll, ist dies jedoch nicht auf sinnvolle Weise möglich. Daher ist es erforderlich, nur gewissen Teilmengen des Rn ein Volumen zuzuordnen, den sogenannten messbaren Mengen. Eine Volumenfunktion  für Teilmengen A des Rn sollte die folgenden Bedingungen erfüllen: (1) Es ist .A/ 2 RC D RC [ f1g. (2) Das Volumen eines Quaders Q D Œa1 ; b1       Œan ; bn  mit ai  bi ist gleich dem Produkt der Kantenlängen: .Q/ D .b1  a1 /    .bn  an /. (3)  ist  -additiv, viele paarweise disjunkte Teilmengen Ai , i 2 I ,  Ud. h. für  abzählbar U P n die Vereinigung von D von R ist  i 2I Ai i 2I .Ai /. Dabei bezeichnet paarweise disjunkten Mengen. (4)  ist translationsinvariant, d. h. bei Parallelverschiebungen einer Menge im Rn ändert sich ihr Volumen nicht. Für Teilmengen B, C des Rn mit B  C gilt also .C / D .B/ C .C  B/ nach 3) und dann .B/  .C / wegen 1). Wir können damit zeigen: Satz 1.1.1 Eine Volumenfunktion , die die obigen Bedingungen (1) bis (4) erfüllt und für alle Teilmengen des Rn erklärt ist, existiert bei n  1 nicht. Beweis Wir betrachten ein volles Repräsentantensystem A für die Menge Rn =Qn der Restklassen von .Rn ; C/ modulo .Qn ; C/. Man beachte, dass hierbei das Auswahlaxiom benutzt wird! Dabei können wir annehmen, dass A im Einheitswürfel E n WD Œ0; 1n von © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3_1

1

2

1

Maße

Rn liegt. Jedes n-Tupel x 2 Rn hat also eine eindeutige Darstellung x D y Cz mit y 2 A, z 2 Qn . Daher gelten mit den abzählbar unendlichen Indexmengen I WD Qn \ E n und J WD Qn \ Œ1; 2n die Inklusionen ] ] .A C z/  Œ0; 2n  .A C z/: z2I

z2J

Aus der ersten Inklusion erhält man mit 1) bis 4) ]  X X   .A/ D .A C z/ D  .A C z/   Œ0; 2n D 2n < 1: z2I

z2I

z2I

Wegen jI j D 1 folgt .A/ D 0. Aus der zweiten Inklusion ergibt sich damit der Widerspruch ]  X X   .A/ D .A C z/ D  .A C z/   Œ0; 2n D 2n :  0D z2J

z2J

z2J

Es sei noch bemerkt, dass der obige Widerspruch sich bereits dann einstellt, wenn von einem einzigen Quader mit positiven Kantenlängen bekannt ist, dass sein Volumen positiv und endlich ist. Der in Aussicht genommene Volumenbegriff ist also nicht realisierbar. Man löst dieses Dilemma, indem man darauf verzichtet, allen Teilmengen von Rn ein Volumen zuzusprechen. Insbesondere darf die im Beweis von 1.1.1 konstruierte Menge A nicht messbar sein. Wir kommen so zum Begriff der Borel-Lebesgue-messbaren Menge und allgemeiner zum Begriff des Messraums. Insbesondere werden wir in Abschn. 2.2 sehen, dass es genau eine translationsinvariante Volumenfunktion gibt, die für alle diese Borel-Lebesgue-messbaren Teilmengen von Rn erklärt ist und dem Einheitswürfel Œ0; 1n das Volumen 1 zuordnet, nämlich das Borel-Lebesgue-Maß. Nach 2.3.3 bleibt dafür das Volumen messbarer Mengen sogar bei beliebigen Kongruenzabbildungen1 f des Rn erhalten. Eine für alle Teilmengen des Rn , n  3, definierte Volumenfunktion , bei der das Volumen unter affinen Kongruenzabbildungen des Rn erhalten bleibt, existiert auch   Udann nicht, wenn man lediglich verlangt, dass  endlich additiv ist, d. h. die Formel  i 2I Ai D P i 2I .Ai / aus Bedingung 3) nur für endlich viele paarweise disjunkte Teilmengen Ai , i 2 I , von Rn gefordert wird. Für n D 3 ergibt sich dies aus dem folgenden Beispiel, das einen auch an sich sehr überraschenden Sachverhalt beschreibt.2 1

f lässt sich also als Komposition einer Translation und einer Drehung beschreiben. Der Fall n  4 lässt sich dann relativ leicht durch vollständige Induktion behandeln (vgl. Aufg. 1.1.4). In den Fällen n D 1 und n D 2 existieren hingegen exotische Volumenfunktionen der angegebenen Art. Wir verweisen dazu auf das Buch S. Wagon: The Banach-Tarski Paradox, Cambridge 1985, das auch eine wesentliche Quelle für die folgende Darstellung ist.

2

1.1

Mengen ohne Volumen

3

Beispiel 1.1.2 (Banach-Tarski-Paradoxon) Zwei Teilmengen A und B des Rn heißen kongruent, wenn es eine Bewegung (Kongruenzabbildung) f von Rn gibt mit f .A/ D U B. Wir nennen A und B kongruent zerlegbar, wenn es Zerlegungen A D i 2I Ai und U B D i 2I Bi von A bzw. B in jeweils endlich viele paarweise disjunkte Teilmengen Ai , i 2 I , bzw. Bi , i 2 I , gibt derart, dass für alle i 2 I die Mengen Ai und Bi kongruent sind. Wir schreiben dann A  B. Das Banach-Tarski-Paradoxon besagt, dass zwei beliebige beschränkte Teilmengen A; B des R3 mit nichtleerem Inneren stets kongruent zerlegbar sind. Beispielsweise ist es möglich, eine Kugel von der Größe einer Erbse oder auch nur eines Atoms so in endlich viele Teilmengen zu zerlegen, dass sich aus diesen Teilstücken eine oder auch mehrere disjunkte Kugeln von der Größe der Sonne ohne irgendwelche Löcher oder Überlappungen zusammensetzen lassen. Dabei werden die Teilmengen nur durch geeignete Drehungen und Verschiebungen in die neue Lage gebracht. Wegen des unterschiedlichen Volumens der betrachteten Kugeln kann es dann natürlich keine endlich additive Volumenfunktion geben, die auch allen dabei auftretenden Teilstücken ein Volumen zuordnet; insbesondere können diese nicht alle Borel-Lebesgue-messbar sein.3 Der Rest dieses Unterkapitels beschäftigt sich mit dem Beweis des Banach-Tarski-Paradoxons und kann beim ersten Lesen übersprungen werden. Die kongruente Zerlegbarkeit  ist eine Äquivalenzrelation: Reflexivität und Symmetrie von  sind klar. Zum Nachweis der Transitivität sei A  B und B  C für A; B; C  Rn . Dann gibt es jeweils endlich viele paarweise disjunkte Teilmengen Ai , i 2 I , von A, Bi , i 2 I sowie Bj0 , j 2 J , von B und Cj , j 2 J , von C und Bewegungen fi ; gj von Rn mit fi .Ai / D Bi , gj .Bj0 / D Cj . Dann bilden die Mengen Aij WD fi1 .Bi \ Bj0 / und Cij D gj .Bi \ Bj0 / Zerlegungen von A bzw. C in endlich viele paarweise disjunkte Teilmengen und gj ı fi bildet Aij auf Cij ab. Daher ist A  C . Wir nennen eine nichtleere Teilmenge X von Rn paradox, wenn es Teilmengen A; B von X mit A \ B D ; und A  X, B  X gibt. Genau dann ist also X ¤ ; paradox, wenn es endlich viele paarweise disjunkte Teilmengen Ai , i 2 I , Bj , j 2 J , von X gibt und U U dazu Bewegungen fi ; gj von Rn derart, dass X D i 2I fi .Ai / D j 2J gj .Bj / ist. Sind X; Y  Rn mit X  Y und ist X paradox, so ist offenbar auch Y paradox.

3

Jede endlich additive (nicht notwendig  -additive) und translationsinvariante Volumenfunktion  für Teilmengen des R3 , die dem Einheitswürfel Œ0; 13 das Volumen c zuordnet, ordnet notwendigerweise einem Quader mit den Kantenlängen ˛; ˇ;  das Volumen c˛ˇ und einer Kugel mit dem Radius r das Volumen 4c r 3 =3 zu. Der Leser sollte nicht versuchen, dies bereits jetzt zu beweisen. Am Ende von Kap. 2 ist das selbstverständlich.

4

1

Maße

Mit f und g bezeichnen wir nun die Drehungen des R3 (mit einem Drehwinkel von arccos 1=3 ), die bezüglich der Standardbasis durch die Matrizen 0

1=3 B A.s/ WD @s=3 0

s=3 1=3 0

1 0 C 0A 1

0

bzw.

1 B B.s/ WD @0 0

0 1=3 s=3

1 0 C s=3 A 1=3

p mit s WD 2 2 gegeben werden. Dann beschreiben A.s/ und B.s/ die Drehungen f 1 und g 1 . Wir betrachten im weiteren Produkte der Form fk    f1 mit fi 2 ff; f 1 ; g; g 1 g, die reduziert seien, d. h. Faktoren f und f 1 bzw. g und g 1 , die unmittelbar nebeneinander stehen, seien weggelassen. Wir zeigen, dass ein solches reduziertes Produkt fk    f1 bei k  1 niemals die Identität ist. Indem wir notfalls ffk    f1 f 1 betrachten und wieder reduzieren, können wir annehmen, dass f1 2 ff; f 1 gpist. Durch Induktion über k beweisen wir dann, dass fk    f1 .1; 0; 0/ die Form 31k .ak ; bk 2; ck / mit ak ; bk ; ck 2 Z und bk … Z3 hat, woraus fk    f1 .1; 0; 0/ ¤ .1; 0; 0/, d. h. fk    f1 ¤ id folgt. p Im Fall k D 1 handelt es sich um f ˙1 .1; 0; 0/ D 13 .1; ˙2 2; 0/, d. h. es ist a1 D 1, b1 D ˙2, c1 D 0. Beim Schluss von k auf k C 1 sieht man wegen 1 p p   1  ; b 2; c 4b ; .˙2a C b / 2; 3ck ; a D a k k k k k k k 3k 3kC1 1 p p   1  g ˙1 k ak ; bk 2; ck D kC1 3ak ; .bk 2ck / 2; ˙4bk C ck ; 3 3

f ˙1

dass auch akC1 ; bkC1 ; ckC1 in Z sind. Es ist noch bkC1 … Z3 zu zeigen. Dazu betrachten wir zunächst den Fall fk D f ˙1 . Dann ist bk D ˙2ak1 C bk1 nach Induktionsvoraussetzung nicht durch 3 teilbar. Ferner ist ck D 3ck1 . (Wir setzen a0 WD 1; b0 WD c0 WD 0.) Ist nun auch fkC1 2 ff; f 1 g, so ist fkC1 D fk D f ˙1 und wir sehen, dass bkC1 D ˙2ak C bk D ˙2.ak1 4bk1 / C bk D 2bk  9bk1 ebenfalls nicht durch 3 teilbar ist. Ist jedoch fkC1 2 fg; g 1 g, so ist bkC1 D bk 2ck D bk 6ck1 wie bk nicht durch 3 teilbar. Der Fall fk D g ˙1 wird ganz analog behandelt. Die Produkte fk    f1 , k 2 N, der soeben betrachteten Form bilden eine abzählbare Untergruppe F von SO3 .R/. Die vorstehende Aussage liefert, dass die Darstellung eines Elements aus F als reduziertes Produkt fk    f1 mit fi 2 ff; f 1 ; g; g 1 g eindeutig ist.4 Die Elemente von F sind Drehungen, die mit Ausnahme der Identität jeweils genau eine Drehachse haben, die die 2-Sphäre S 2 in genau zwei Punkten schneidet. Die Menge D der in S 2 gelegenen Fixpunkte aller Elemente ¤ id von F ist also eine abzählbare Teilmenge von S 2 . Wir zeigen nun: 4

Sie besagt, dass F eine freie (nicht abelsche) Untergruppe des Ranges 2 von SO3 .R/ ist.

1.1

Mengen ohne Volumen

5

1.1.3 Hausdorff-Paradoxon Die Teilmenge S 2  D von R3 ist paradox. Beweis Seien h 2 F und x 2 S 2  D. Dann ist h.x/ 2 S 2 , da h längentreu ist. Es ist   sogar h.x/ 2 S 2  D. Andernfalls gäbe es nämlich ein h0 2 F  fidg mit h0 h.x/ D h.x/, d. h. h1 h0 h.x/ D x, und es wäre doch x 2 D wegen h1 h0 h 2 F  fidg. Daher operiert F auf S 2  D, wobei kein h ¤ id aus F einen Fixpunkt in S 2  D hat. Sei nun M  S 2  D ein Repräsentantensystem für die Bahnen fh.x/ j h 2 F g, x 2 S 2  D, d. h. M enthalte aus jeder dieser Bahnen genau ein Element. Man beachte, dass an dieser S Stelle das Auswahlaxiom benutzt wird! Dann ist S 2  D D h2F h.M /. Es handelt sich sogar um eine Zerlegung von S 2  D, d. h. für h; h0 2 F , h ¤ h0 , ist h.M / \ h0 .M / D ;. Ist nämlich h.x/ D h0 .x 0 / für x; x 0 2 M , so folgt x D h1 h0 .x 0 /, d. h. x und x 0 liegen in derselben Bahn, und daher ist x D x 0 . Somit ist x 2 S 2  D Fixpunkt von h1 h0 , und es folgt h1 h0 D id, d. h. der Widerspruch h0 D h. Mit A01 ; A02 ; B10 ; B20 bezeichnen wir die Teilmengen von F , die aus denjenigen reduzierten Produkten fk    f1 mit fi 2 ff; f 1 ; g; g 1 g bestehen, für die das Element fk ganz links gleich f bzw. f 1 bzw. g bzw. g 1 ist. Dann sind offenbar F D fidg ] A01 ] A02 ] B10 ] B20 D A01 ] fA02 D B10 ] gB20 Zerlegungen von F in paarweise disjunkte Teilmengen. S S Für i D 1; 2 setzen wir nun Ai WD h2A0 h.M /, Bi WD h2B 0 h.M /. Dann sind i

i

S 2  D D M ] A1 ] A2 ] B1 ] B2 D A1 ] fA2 D B1 ] gB2 Zerlegungen von S 2  D in paarweise disjunkte Teilmengen. Für A WD A1 ] A2 und B WD B1 ] B2 gilt A \ B D ; und A  S 2  D, B  S 2  D, d. h. S 2  D ist tatsächlich paradox.  Um uns von der unanschaulichen Menge D in 1.1.3 zu befreien, zeigen wir: Lemma 1.1.4 S 2 und S 2  D sind kongruent zerlegbar. Beweis Da D abzählbar ist, gibt es eine Gerade U durch den Nullpunkt mit U \ D D ; und eine Drehung h um U derart, dass hn .D/ \ D D ; ist für alle n 2 N .5 Der Drehwinkel von h muss nämlich nur die abzählbar vielen Winkel der Form ˛=n, n 2 N , vermeiden, wo ˛ die Drehwinkel derjenigen Drehungen durchläuft, die einen Punkt aus D in einen weiteren Punkt aus D überführen. Für m ¤ n aus N ist dann hm .D/\hn .D/ D ;. S S1 n n Setzen wir A1 WD 1 nD0 h .D/, B1 WD h.A1 / D nD1 h .D/ D A1  D und A2 WD B2 WD S 2  A1 , so gilt S 2 D A1 ] A2 , S 2  D D B1 ] B2 . Es folgt S 2  S 2  D. 

5

Wir benutzen die Konventionen N D f0; 1; 2; : : :g und N D f1; 2; : : :g.

6

1

Maße

Mit S 2  D ist also auch S 2 paradox. Daraus folgt: Satz 1.1.5 Für a 2 R3 und r > 0 ist die Kugel B.aI r/ D fx j kx  ak  rg in R3 paradox. Beweis Es genügt, den Fall a D 0, r D 1 zu betrachten. Indem man jeder Teilmenge A von S 2 den zugehörigen Sektor ftx j 0 < t  1; x 2 Ag zuordnet, sieht man, dass paradoxe Zerlegungen von S 2 sofort solche von B 3  f0g nach sich ziehen. Es ist also nur noch zu zeigen, dass B 3  f0g und B 3 kongruent zerlegbar sind. Dazu sei h eine Drehung des R3 um die Drehachse R.1; 0; 0/C.0; 0; 1=2/ mit einem Drehwinkel, der kein rationales Vielfaches von 2 ist. Mit A1 WD fhn .0/ j n 2 Ng, B1 WD h.A1 / D A1  f0g, A2 WD B2 WD B 3  A1 gilt dann B 3 D A1 ] A2 , B 3  f0g D B1 ] B2 , woraus die Behauptung folgt.  Anschaulich bedeutet die soeben bewiesene schwache Form des Banach-Tarski-Paradoxons: Man kann jede vorgelegte Kugel so in endlich viele Teile zerlegen und gewisse dieser Teile durch Drehungen und Verschiebungen so arrangieren, dass sich dabei zwei nebeneinander liegende Kugeln ohne irgendwelche Löcher oder Überlappungen ergeben, die denselben Radius wie die ursprüngliche Kugel haben. Aufg. 1.1.1 zeigt, dass dies so geschehen kann, dass dabei kein Stück der ursprünglichen Kugel übrig bleibt. Indem man diesen Prozess iteriert, kann man sogar aus einer Kugel beliebig viele gleich große Kugeln machen. Um die eingangs beschriebene starke Form des Banach-Tarski-Paradoxons zu erhalten, definieren wir für Teilmengen A; B von Rn : Genau dann sei A B, wenn A  B 0 für eine geeignete Teilmenge B 0 von B gilt. Damit beweisen wir:6 1.1.6 Satz von Banach-Bernstein Für A; B  Rn folgt aus A B und B A bereits A  B. Beweis Nach Voraussetzung gibt es Teilmengen B 0 von B und A0 von A mit A  B 0 U U und B  A0 . Dann gibt es endliche Zerlegungen A D i 2I Ai , B 0 D i 2I Bi und Kongruenzabbildungen fi von Rn mit fi .Ai / D Bi . Die bijektive Abbildung f W A ! B 0 sei durch f jAi WD fi jAi definiert. Für alle Teilmengen C 0 von A gilt dann nach Konstruktion C 0  f .C 0 /. Analog sei die bijektive Abbildung gW B ! A0 so definiert, dass für alle Teilmengen D von B gilt D  g.D/. Wir bestimmen rekursiv Teilmengen Cn von A durch C0 WD A  A0 und CnC1 WD S gf .Cn / und setzen C WD 1 nD0 Cn . Dann ist 1 1 [ [   Cn D .A  C0 /  Cn D A  C : g B  f .C / D g.B/  gf .C / D A0  nD1 6

nD1

Man beachte die Analogie des folgenden Satzes mit dem Bernsteinschen Äquivalenzsatz.

1.1

Mengen ohne Volumen

7

Nach Wahl von g ist somit A  C  B  f .C /. Nach Wahl von f ist C  f .C /. Trivialerweise folgt daraus A  B.  Damit lässt sich nun zeigen: 1.1.7 Banach-Tarski-Paradoxon A und B seien beliebige beschränkte Teilmengen von R3 mit nichtleerem Inneren. Dann sind A und B kongruent zerlegbar. Beweis Wir zeigen zunächst A B. Nach Voraussetzung gibt es abgeschlossene Kugeln B.aI R/ und B.bI r/ mit Radien R; r > 0, für die A  B.aI R/ und B.bI r/  B gilt. S Für geeignete Punkte b1 ; : : : ; bn 2 R3 hat man dann A  B.aI R/  nkD1 B.bk I r/. Die Punkte c1 ; : : : ; cn seien so weit voneinander entfernt, dass die Kugeln B.ck I r/ paarU S weise disjunkt sind. Offenbar ist dann nkD1 B.bk I r/ nkD1 B.ck I r/ und somit A Un Un kD1 B.ck I r/. Durch wiederholtes Anwenden von 1.1.5 erhält man kD1 B.ck I r/ B.bI r/  B, also insgesamt A B. Analog beweist man B A. Mit 1.1.6 ergibt sich daraus die Behauptung A  B.  Wir bemerken abschließend, dass bei den Konstruktionen zum Banach-Tarski-Paradoxon wie schon beim Beweis von Satz 1.1.1 das Auswahlaxiom ganz wesentlich benutzt wird. }

Aufgaben Aufgabe 1.1.1 X  Rn sei paradox. Dann gibt es Teilmengen A; B von X mit A\B D ; und A  X, B  X, für die außerdem noch die Bedingung A [ B D X erfüllt ist. (Man verwende 1.1.6) Aufgabe 1.1.2 Sei n 2 N und sei B.aI r/  R3 eine Kugel mit Radius r > 0. Dann gibt es eine Zerlegung von B.aI r/ in eine endliche Anzahl von Stücken derart, dass sich für jedes k mit 1  k  n aus diesen Stücken genau k disjunkte Exemplare der ursprünglichen Kugel herstellen lassen. Aufgabe 1.1.3 R3 ist paradox. Aufgabe 1.1.4 Für n  3 zeige man: a) Die Einheitssphäre S n1 im Rn ist paradox. (Beim Induktionsschluss von n auf n C 1 ordne man jeder Teilmenge von S n1 die Teilmenge A0 der .x1 ; : : : ; xn ; xnC1 / 2 S n mit jxnC1 j ¤ 1 zu, für die .x1 ; : : : ; xn /=k.x1 ; : : : ; xn /k in A liegt und jeder eigentlichen Isometrie des Rn die entsprechende Isometrie des RnC1 , bei der die xnC1 -Achse festbleibt. Dann verwende man eine Drehung unendlicher Ordnung in den letzten beiden

8

1

Maße

Koordinaten, die die ersten n1 Koordinaten fest lässt, um S n f.0; : : : ; 0; ˙1/g  S n zu zeigen.) b) Jede Kugel B.aI r/  Rn mit r > 0 ist paradox. c) Zwei beschränkte Teilmengen des Rn mit nichtleerem Inneren sind stets kongruent zerlegbar.

1.2 Mengenalgebren Wir beginnen mit der Definition der  -Algebren, auf denen die im nächsten Abschnitt einzuführenden Maße erklärt sind. Definition 1.2.1 Sei X eine Menge. Eine Menge A von Teilmengen von X heißt eine  -Algebra auf X, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) Es ist ; 2 A. (2) Ist M 2 A, so ist auch das Komplement {M D X  M von M in X ein Element von A. (3) Ist Mi , i 2 I , eine abzählbare Familie von Elementen aus A, so ist auch ihre VereiniS gung i 2I Mi ein Element von A. Gilt dagegen Bedingung 3) nur für endliche Vereinigungen und gelten außerdem Bedingungen 1) und 2), so heißt A eine Algebra auf X. Offenbar ist jede  -Algebra eine Algebra. Die kleinste  -Algebra auf  SX enthältnur die T Mengen ; und X, die größte ist ganz P.X/. Wegen i 2I Mi D { i 2I .{Mi / sowie M  N D M \ {N ergibt sich sofort: 1.2.2 Für eine  -Algebra A auf X gilt: (1) X 2 A. (2) Für M; N 2 A ist auch M  N 2 A. (3) Ist Mi , i 2 I , eine abzählbare Familie von Elementen von A, so ist auch ihr Durchschnitt ein Element von A. Trivialerweise gilt: 1.2.3 Sei A ,  2 L, eine Familie von  -Algebren auf der Menge X. Dann ist auch der T Durchschnitt 2L A eine  -Algebra auf X. Aus 1.2.3 folgt sofort: Ist M  P.X/ eine beliebige Menge von Teilmengen von X, so gibt es eine kleinste  -Algebra auf X, die M umfasst (nämlich den Durchschnitt aller M umfassenden  -Algebren auf X). Diese  -Algebra A heißt die von M erzeugte  -Algebra auf X und M selbst ein Erzeugendensystem von A.

1.2

Mengenalgebren

9

Definition 1.2.4 Ein Messraum ist ein Tupel .X; A/, wobei X eine nichtleere Menge und A eine  -Algebra auf X ist. Die Elemente von A heißen auch messbare Mengen von X. Definition 1.2.5 Seien .X; A/ und .Y; B/ Messräume. Eine Abbildung f W X ! Y heißt messbar, wenn für jede messbare Menge M 2 B deren Urbild f 1 .M / 2 A ist. Offenbar sind die Identität eines Messraums und die Komposition messbarer Abbildungen wieder messbar. Wichtig ist die folgende Aussage: 1.2.6 Messbarkeitskriterium Eine Abbildung f W X ! Y von Messräumen ist bereits dann messbar, wenn die Urbilder f 1 .E/ der Elemente E eines Erzeugendensystems E der  -Algebra von Y messbar in X sind. Beweis Seien A bzw. B die  -Algebren der Messräume X bzw. Y . Mit BQ bezeichnen wir die Menge der Teilmengen von Y , deren Urbild in A liegt. Offenbar ist BQ eine  -Algebra auf Y , die nach Voraussetzung E umfasst. Da B die kleinste E umfassende  -Algebra ist,  folgt B  BQ . Dies ist die Behauptung. Beispiel 1.2.7 Die von den einelementigen Teilmengen der Menge X erzeugte  -Algebra A besteht genau aus den abzählbaren Teilmengen von X und ihren Komplementen. } Beweis Notwendigerweise gehören die angegebenen Mengen alle zu A. Andererseits bilden sie eine  -Algebra. Das folgt sofort daraus, dass Vereinigungen abzählbar vieler abzählbarer Mengen wieder abzählbar sind. Nach 1.2.6 ist eine Abbildung f eines Messraums X 0 in den so definierten Messraum X genau dann messbar, wenn ihre Fasern  f 1 .x/, x 2 X, messbar in X 0 sind. Beispiel 1.2.8 (Untermessräume) Seien X ein Messraum mit der  -Algebra A und X 0 ein Element von A. Dann ist A0 WD fM 2 A j M  X 0 g

wegen 1.2.2 (2) eine  -Algebra auf X 0 . Sie heißt die Beschränkung von A auf X 0 und wird mit AjX 0 bezeichnet. X 0 , versehen mit dieser  -Algebra, heißt ein Unter(mess)raum von X. Die kanonische Injektion X 0 ! X ist dann trivialerweise messbar. Beschränkungen messbarer Abbildungen auf Untermessräume sind also erst recht messbar. } Definition 1.2.9 Sei .X; T / ein topologischer Raum. Die von der Menge T der offenen Mengen von X erzeugte  -Algebra auf X heißt die  -Algebra der Borel-Mengen auf X. Wir bezeichnen sie mit B.X/. Die Elemente von B.X/ heißen Borel-Mengen von X. Neben den offenen sind natürlich auch die abgeschlossenen Mengen von X (als Komplemente der offenen Mengen) Borel-Mengen von X. Da bei stetigen Abbildungen die Urbilder offener Mengen wieder offen sind, ergibt sich mit dem Messbarkeitskriterium 1.2.6:

10

1

Maße

Satz 1.2.10 Stetige Abbildungen topologischer Räume sind Borel-messbar. Insbesondere induziert ein Homöomorphismus X ! Y eine Bijektion der  -Algebra B.X/ der Borel-Mengen von X auf die  -Algebra B.Y / der Borel-Mengen von Y . Die  -Algebra der Borel-Mengen auf Rn (versehen mit der natürlichen Topologie) bezeichnen wir auch kurz mit Bn . Neben den offenen und abgeschlossenen Teilmengen des Rn enthält sie Mengen, die sich aus diesen durch abzählbare Vereinigungen und Komplementbildung aufbauen. Da Punkte als abgeschlossene Mengen im Rn Borel-Mengen sind, enthält die  -Algebra Bn alle abzählbaren Teilmengen und ihre Komplemente. Insbesondere ist etwa Qn eine Borel-Menge im Rn . Als Faustregel kann man sagen, dass jede „in vernünftiger Weise“ beschreibbare Teilmenge des Rn eine Borel-Menge ist. Es sei aber ohne Beweis bemerkt, dass Bn bei n  1 nur die Mächtigkeit des Kontinuums hat, also gleichmächtig zu R ist, während die Mächtigkeit aller Teilmengen von Rn größer ist als die des Kontinuums. Trotzdem ist es gar nicht so leicht, eine Teilmenge des Rn anzugeben, die keine Borel-Menge ist. Beispiele dafür sind die im Beweis von Satz 1.1.1 konstruierten Mengen A  Rn , die wegen der Existenz des Borel-Lebesgue-Maßes, vgl. 2.2.1, nicht zu Bn gehören können. Von einer allgemeinen Borel-Menge im Rn kann man sich nur schwer ein Bild machen. Wir notieren einige häufig benutzte Erzeugendensysteme für die  -Algebren Bn D B.Rn /. Lemma 1.2.11 Die folgenden Systeme sind jeweils ein Erzeugendensystem für die  Algebra Bn D B.Rn / der Borel-Mengen im Rn W (1) Die Menge der offenen Mengen im Rn . (2) Die Menge der abgeschlossenen Mengen im Rn . (3) Die Menge der kompakten Mengen im Rn . (4) Die Menge der offenen Quader a1 ; b1 Œ      an ; bn Œ, ai ; bi 2 R, ai < bi für i D 1; : : : ; n. (5) Die Menge der kompakten Quader Œa1 ; b1       Œan ; bn , ai ; bi 2 R, ai  bi für i D 1; : : : ; n. (6) Die Menge der halboffenen Quader Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ, ai ; bi 2 R, ai < bi für i D 1; : : : ; n. (7) Die Menge der offenen Quader 1; b1 Œ      1; bn Œ mit bi 2 R für i D 1; : : : ; n. Beweis Mit Ausnahme von 6) handelt es sich jeweils um offene oder abgeschlossene Mengen und damit um Borel-Mengen. 1) und 2) ergeben sich unmittelbar aus der Den finition von Bn . Da jede abgeschlossene Menge  A  R  Vereinigung abzählbar vieler S kompakter Mengen ist (z. B. ist A D n2N A \ B.0I n/ ), folgt 3) aus 2). Jede offene Menge im Rn ist Vereinigung von abzählbar vielen offenen Quadern, weil die offenen Quader mit rationalen Eckpunkten eine abzählbare Basis der Topologie des Rn bilden. Dies liefert 4). Jeder offene Quader ist wiederum Vereinigung abzählbar vieler kompakter

1.2

Mengenalgebren

11

Abb. 1.1 Zu Lemma 1.2.11

bzw. halboffener Quader. Halboffene Quader sind als Differenz offener Mengen BorelMengen wegen Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ D .B1      Bn / 

n S

.B1      Bi 1  Ai  Bi C1      Bn /;

i D1

wobei Bi WD 1; bi Œ, Ai WD 1; ai Œ für i D 1; : : : ; n gesetzt wurde (siehe Abb. 1.1). Daher gelten 5) und 6). Außerdem zeigt die angegebene Identität, dass 7) aus 6) folgt.  Man beachte, dass die Erzeugendensysteme in 1.2.11 durchschnittstabil sind, d. h. mit je zwei Elementen auch deren Durchschnitt enthalten, falls man zu den Systemen in 4), 5) und 6) jeweils noch die leere Menge hinzufügt. Es wird später bequem sein, den Raum R D R [ f1; 1g als Messraum zur Verfügung zu haben. Wir nennen M  R messbar, wenn M \ R messbar ist. Dies definiert offenbar eine  -Algebra B auf R. Funktionen f W X ! R heißen auch numerische Funktionen auf X. Wegen f1g \ R D f1g \ R D ; sind f1g und f1g in B, und es folgt: Lemma 1.2.12 Sei X ein Messraum. Eine numerische Funktion f W X ! R ist genau dann messbar, wenn die Fasern f 1 .1/ und f 1 .1/ messbar sind und wenn f 1 .M / für jede Borel-Menge M  R messbar ist. Beispiel 1.2.13 (Endliche  -Algebren) Wir wollen die  -Algebren auf einer Menge X klassifizieren, die nur endlich viele Elemente enthalten. Sei A  P.X/ solch eine  Algebra. Die Elemente in A, die minimal sind (bzgl. der Inklusion) unter allen nichtleeren Elementen von A, heißen die Atome in A. Seien A1 ; : : : ; Ar die verschiedenen Atome in A. Diese sind paarweise disjunkt, da mit Ai und Aj auch Ai \ Aj zu A gehört, i; j D 1; : : : ; r. Ist M 2 A beliebig, so ist M die Vereinigung der Atome, die in M enthalten sind. Denn diese Vereinigung M 0 gehört zu A. Wäre M 0 eine echte Teilmenge von M , so wäre M  M 0 2 A nicht leer und umfasste eines der Atome A1 ; : : : ; Ar , was nach Konstruktion von M 0 nicht möglich ist. Es folgt: Jedes Element M 2 A ist Vereinigung von (durch M ) eindeutig bestimmten Atomen. Insbesondere enthält A genau 2r Elemente, wobei r die Anzahl der Atome von A ist.

12

1

Maße

Die endlichen  -Algebren auf X entsprechen umkehrbar eindeutig den Zerlegungen von X in endlich viele paarweise disjunkte nichtleere Teilmengen, nämlich den Atomen der zugehörigen  -Algebra. Auf einer endlichen Menge mit m Elementen gibt es also genau ˇm  -Algebren, wobei ˇm die m-te Bellsche Zahl ist.7 1.2.14 Eine  -Algebra A auf X, die von endlich vielen Elementen M1 ; : : : ; Mn  X n erzeugt wird, ist selbst endlich und enthält höchstens 22 Elemente. Beweis Bei der Induktion über n ergibt sich der Schluss von n auf n C 1 folgendermaßen: A1 ; : : : ; Ar , r  2n , seien die Atome der von M1 ; : : : ; Mn erzeugten  -Algebra. Dann sind offenbar die nichtleeren Mengen unter den Teilmengen A1 \ MnC1 ; : : : ; Ar \ MnC1 ; A1 \ .X  MnC1 /; : : : ; Ar \ .X  MnC1 / die Atome der von M1 ; : : : ; Mn ; MnC1 erzeugten  -Algebra, und dies sind höchstens 2r   2nC1 Stück. n

Übrigens besitzt eine  -Algebra mit 22 Elementen ein Erzeugendensystem aus n Elementen (vgl. Aufg. 1.2.9). } Für die Beweise einiger wichtiger Sätze werden wir die Charakterisierung der  -Algebren mittels sogenannter Dynkin-Systeme benutzen. Definition 1.2.15 Sei X eine Menge. Eine Menge D von Teilmengen von X heißt ein Dynkin-System auf X, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) Es ist X 2 D. (2) Sind M; N 2 D und ist N  M , so ist auch M  N ein Element in D. (3) Ist Mi , i 2 I , eine abzählbare Familie paarweise disjunkter Elemente aus D, so ist S auch ihre Vereinigung i 2I Mi ein Element von D. Ein Dynkin-System enthält mit jeder Menge M auch deren Komplement X  M . Natürlich ist jede  -Algebra wegen 1.2.2 (2) ein Dynkin-System. Genauer gilt: Satz 1.2.16 Ein Dynkin-System D auf X ist genau dann eine  -Algebra, wenn D durchschnittstabil ist, d. h. mit je zwei Elementen auch deren Durchschnitt enthält. Beweis Sei D ein durchschnittstabiles Dynkin-System. Es bleibt zu zeigen, dass D mit einer beliebigen abzählbaren Familie Mi , i 2 I , auch deren Vereinigung enthält. Wir 7

Die m-te Bellsche Zahl ˇm bezeichnet die Anzahl der Zerlegungen einer m-elementigen Menge.

1.2

Mengenalgebren

13

S können gleich annehmen, dass I D N ist. Dann ist aber 1 i D0 Mi die Vereinigung der paarweise disjunkten Mengen Mi \ .X  M0 / \    \ .X  Mi 1 /, i 2 N, die nach  Voraussetzung alle zu D gehören. Ist M  P.X/, so heißt das kleinste M umfassende Dynkin-System auf X das von M erzeugte Dynkin-System. Fundamental ist das folgende Lemma, dessen Beweis überraschend elementar ist: Lemma 1.2.17 Seien X eine Menge und M  P.X/ eine durchschnittstabile Teilmenge von P.X/, d. h. M enthalte mit je zwei Elementen auch deren Durchschnitt. Dann ist die von M erzeugte  -Algebra identisch mit dem von M erzeugten Dynkin-System. Beweis Seien D bzw. A das von M erzeugte Dynkin-System bzw. die von M erzeugte  -Algebra. Trivialerweise ist D  A. Es bleibt zu zeigen, dass D eine  -Algebra ist. Nach 1.2.16 genügt es zu zeigen, dass D durchschnittstabil ist. Für N 2 D setzen wir DN WD fM 2 D j M \ N 2 Dg:

Offenbar ist jedes DN , N 2 D, ein in D enthaltenes Dynkin-System. Wir haben DN D D für alle N 2 D zu zeigen. Dazu ist nachzuweisen, dass M in jedem DN enthalten ist. Da M durchschnittstabil ist, hat man aber M  DM , also D  DM  D und somit D D DM für alle M 2 M. Daher ist M \ N 2 D für alle M 2 M und alle N 2 D. Insbesondere ist dann M 2 DN für alle M 2 M, also M  DN für ein beliebiges  Element N von D.

Aufgaben Aufgabe 1.2.1 Sei f W X ! Y eine Abbildung. a) A sei eine  -Algebra auf X. Dann ist fN  Y j f 1 .N / 2 Ag eine  -Algebra auf Y . (Diese heißt das Bild von A unter f .) b) B sei eine  -Algebra auf Y . Dann ist ff 1 .N / j N 2 Bg eine  -Algebra auf X. (Diese heißt das Urbild von B unter f .) Aufgabe 1.2.2 Seien f W X ! Y eine Abbildung von Messräumen und Xi , i 2 I , eine abzählbare Familie von messbaren Teilmengen von X, deren Vereinigung ganz X ist. Genau dann ist f messbar, wenn alle Beschränkungen f jXi , i 2 I , messbar sind. Aufgabe 1.2.3 Sei X ein Hausdorff-Raum. Jede abzählbare Teilmenge von X ist eine Borel-Menge. Insbesondere ist B.X/ D P.X/, falls X überdies abzählbar ist.

14

1

Maße

Aufgabe 1.2.4 X sei ein topologischer Raum mit abzählbarer Basis. Dann ist jede Basis der Topologie von X ein Erzeugendensystem der  -Algebra B.X/ der Borel-Mengen von X. Aufgabe 1.2.5 Sei f W X ! Y eine stetige Abbildung von Hausdorff-Räumen. Die Menge M  X sei Vereinigung abzählbar vieler kompakter Teilmengen von X. (M ist insbesondere eine Borel-Menge in X.) Dann ist das Bild f .M / eine Borel-Menge in Y . (Ist beispielsweise f W Rn ! Y eine stetige Abbildung von Rn in einen HausdorffRaum Y , so ist das f -Bild einer jeden offenen oder abgeschlossenen Menge im Rn eine Borel-Menge in Y . Im Allgemeinen sind aber stetige Bilder von Borel-Mengen keine Borel-Mengen.) Aufgabe 1.2.6 Sei X 0 ein Unterraum des topologischen Raumes X. Dann ist B.X 0 / 0 0 0 gleich der  -Algebra fM \  X j M0 2 B.X/g. Insbesondere ist X ; B.X / ein Un termessraum von X; B.X/ , wenn X eine Borel-Menge in X ist. Aufgabe 1.2.7 Sei X ein topologischer Raum. Eine Teilmenge M  X heiße lokal Borelsch, wenn es zu jedem Punkt x 2 M eine Umgebung U gibt derart, dass U \ M eine Borel-Menge von U ist. Ist die Topologie von X abzählbar, so ist eine Teilmenge M  X genau dann eine Borel-Menge in X, wenn sie lokal Borelsch ist. Aufgabe 1.2.8 Sei f W X ! Y eine Abbildung des topologischen Raumes X in den metrischen Raum Y . Dann ist die Menge der Punkte von X, in denen f stetig ist bzw. in denen f nicht stetig ist, jeweils eine von X. schließe mit der Schwan˚ Borel-Menge   (Man 0 0 .f / WD Inf Supfd f .z/ ; f .z / j z; z 2 U g j U Umgebung von kungsfunktion x ! 7 S x  x . Sie ist eine messbare numerische Funktion auf X.) Aufgabe 1.2.9 Sei X eine endliche Menge mit 2n Elementen, n 2 N. a) Für 0  n  3 gebe man explizit ein Erzeugendensystem der  -Algebra P.X/ mit n Elementen an. b) Die  -Algebra P.X/ besitzt stets ein Erzeugendensystem aus n Elementen. (Vgl. Beispiel 1.2.13.) Aufgabe 1.2.10 Sei X eine endliche Menge mit 2r Elementen, r  2. Dann ist die Menge D der Teilmengen von X mit gerader Elementezahl ein Dynkin-System auf X, aber keine  -Algebra. Aufgabe 1.2.11 Eine  -Algebra auf einer Menge X ist endlich oder aber überabzählbar unendlich.

1.3

Maßräume

15

Aufgabe 1.2.12 a) Die Quadermengen in 1.2.11 (4), (5), (6) und (7) bleiben jeweils Erzeugendensysteme von Bn , wenn nur Quader mit rationalen Eckenkoordinaten ai ; bi 2 Q, i D 1; : : : ; n, betrachtet werden. b) Nimmt man zu den in a) betrachteten Quadermengen noch ; hinzu, so sind sie jeweils durchschnittstabil, d. h. sie enthalten mit je zwei Elementen auch deren Durchschnitt. Aufgabe 1.2.13 Sei X ein Messraum und Y ein topologischer Raum mit abzählbarer Topologie, in dem jeder Punkt eine Umgebungsbasis aus abgeschlossenen Umgebungen besitzt (z. B. ein metrischer Raum mit abzählbarer Topologie). Ist dann fn W X ! Y eine Folge (bzgl. B.Y /) messbarer Abbildungen, die punktweise gegen die Abbildung f W X ! Y konvergiert, so ist auch f messbar. (Ist V offen in Y , so ist f 1 .V /  S S T 1 1 .V /. Nun schreibe man V als Vereinigung k Vk von abzählm nm fn .V /  f bar vielen offenen Mengen Vk mit V k  V .)

1.3 Maßräume Für das Rechnen in R D R [ f1; 1g mit den Symbolen 1 und 1 verwenden wir die üblichen Konventionen. Insbesondere weisen wir darauf hin, dass das Produkt von 0 mit ˙1 (in beliebiger Reihenfolge) gleich 0 ist und dass 1 C .1/ sowie .1/ C 1 nicht definiert sind. Ferner benutzen wir im Folgenden den Begriff der Summierbarkeit in R, wie wir ihn im Band Grundkonzepte der Mathematik [10] eingeführt haben, siehe P P P Abschnitt 3.7. Es ist i 2I ai D i 2I;ai 0 ai C i 2I;ai 0, so spricht man von einem Punktmaß, das auf x0 konzentriert ist. Ist dabei .x0 / D 1, so handelt es sich um das sogenannte Dirac-Maß ıx0 . P (3) Ist .X/ D x2X .x/ D 1, so ist .X; P.X/; / ein diskreter Wahrscheinlichkeitsraum. Daher heißt  in diesem Fall ein diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß. } Beispiel 1.3.3 Ist A eine endliche  -Algebra auf der Menge X mit den Atomen A1 ; : : : ; Ar , vgl. Beispiel 1.2.13, so ist ein Maß W A ! RC eindeutig durch seine Werte .Ai /, i D 1; : : : ; r, auf den Atomen bestimmt, da jedes M 2 A disjunkte Vereinigung von Atomen ist. Umgekehrt gibt es zu beliebig vorgegebenen Werten i 2 RC genau ein Maß  auf .X; A/ mit .Ai / D i , i D 1; : : : ; r. Für A 2 A ist X i : } .A/ D Ai A

Definition 1.3.4 Sei f W X ! Y eine messbare Abbildung zwischen den Messräumen X D .X; A/ und Y D .Y; B/. Ferner sei W A ! RC ein Maß auf X. Dann wird durch   f .N / WD  f 1 .N / ; N 2 B; ein Maß f W B ! RC auf Y definiert. Das so definierte Maß f  auf Y heißt das Bildmaß von  bezüglich f . Es ist nämlich  ]   X  ]   ]  Ni D  f 1 Ni D  f 1 .Ni / D  f 1 .Ni / f  i 2I

D

X

i 2I

i 2I

i 2I

f .Ni /

i 2I

für jede abzählbare Familie paarweise disjunkter Mengen Ni , i 2 I , in B.

1.3

Maßräume

17

Ein wichtiger Spezialfall dieser Konstruktion liegt vor, wenn X ein Untermessraum von Y ist und f die kanonische Einbettung W X ! Y ist. In diesem Fall ist  .N / D .N \ X/, N 2 B, die triviale Fortsetzung von , die dadurch charakterisiert ist, dass sie auf X mit  übereinstimmt und auf Y  X das Nullmaß induziert. Ist X 0 D .X 0 ; A0 / ein Untermessraum des Messraumes X D .X; A/ und ist W A ! RC ein Maß auf X, so definiert die Beschränkung jA0 W A0 ! RC ein Maß auf X 0 , das die Beschränkung von  auf X 0 heißt. Generell versehen wir eine messbare Teilmenge X 0 eines Maßraumes X stets mit diesem Maß, falls nichts anderes gesagt wird. Zur Formulierung einiger Rechenregeln führen wir folgende Bezeichnungen ein: Ist Mn , n 2 N, eine Folge von Mengen mit M0  M1      Mn  MnC1      M WD T1 S1 nD0 Mn (bzw. mit M0 M1    Mn MnC1    M WD nD0 Mn ), so sagen wir, die Mn , n 2 N, schöpfen M aus (bzw. die Mn , n 2 N, schrumpfen auf M ) und drücken diesen Sachverhalt durch das Symbol Mn " M

(bzw. Mn # M /

aus. Man beachte, dass M zur  -Algebra A gehört, wenn dies für alle Mn gilt mit Mn " M oder mit Mn # M . 1.3.5 Rechenregeln Sei X D .X; A; / ein Maßraum. Dann gilt: (1) Für M; N 2 A mit N  M ist .M / D .N / C .M  N /: Insbesondere folgt .N /  .M / für N  M (Monotonie von ). (2) Für M; N 2 A ist .M [ N / C .M \ N / D .M / C .N /. (3) Ist Mi , i 2 I , eine abzählbare Überdeckung von M 2 A durch messbare Mengen S Mi 2 A, d. h. ist M  i 2I Mi , so ist .M / 

X

.Mi /

.Pflasterungsformel/:

i 2I

(4) Für Mn 2 A, n 2 N, mit Mn " M ist  .M / D lim .Mn / D Sup .Mn /; n 2 N/ n!1

(Ausschöpfungsformel):

(5) Für Mn 2 A, n 2 N, mit Mn # M und .M0 / < 1 ist   .M / D lim .Mn / D Inf .Mn /; n 2 N .Schrumpfungsformel/: n!1

Insbesondere ist limn!1 .Mn / D 0 im Fall Mn # ; und .M0 / < 1.

18

1

Maße

Beweis (1) Die Behauptung folgt aus M D N ] .M  N /. (2) Aus M [ N D M ] .N  M / und .M \ N / ] .N  M / D N folgen .M [ N / D .M / C .N  M / und .M \ N / C .N  M / D .N /, also .M [ N / C .M \ N / C .N  M / D .M / C .N / C .N  M /: Im Fall .N  M / < 1 ergibt sich die Behauptung. Im Fall .N  M / D 1 sind .N / und .M [ N / erst recht gleich 1, und die Formel gilt ebenfalls. S (3) Wegen M D i 2I .M \ Mi / und .M \ Mi /  .Mi / können wir annehmen, dass S M D i Mi ist. Ferner genügt es, den Fall I D N zu behandeln. Dann setzen wir S S U Nn WD Mn  n1 n2N Mn D n2N Nn . Es folgt i D0 Mi , n 2 N, und erhalten  ]  X [ X  Mn D  Nn D .Nn /  .Mn /: n2N

n2N

n2N

n2N

(4) Wir setzen N0 WD M0 und NnC1 WD MnC1  Mn für n 2 N, und erhalten Mn D S U N0 ]    ] Nn sowie M D n2N Mn D n2N Nn . Es folgt .M / D

1 X

.Nk / D lim

kD0

n!1

n X kD0

.Nk / D lim .Mn /: n!1

(5) Wir setzen Nn WD M0  Mn , n 2 N. Dann gilt Nn " .M0  M /, und nach (4) ist .M0  M / D limn!1 .Nn/ D limn!1 .M0  Mn /. Wegen .M0 / < 1 ist .M0  M / D .M0 /  .M / und .M0  Mn / D .M0 /  .Mn /. Daraus folgt die Behauptung.  Definition 1.3.6 Sei X D .X; A; / ein Maßraum. Eine messbare Menge M 2 A heißt eine (-)Nullmenge, wenn .M / D 0 ist. Aus 1.3.5 (1) bzw. (3) folgt: 1.3.7 Sei X D .X; A; / ein Maßraum. (1) Jede messbare Teilmenge einer Nullmenge in X ist ebenfalls eine Nullmenge. (2) Die Vereinigung einer abzählbaren Familie von Nullmengen in X ist ebenfalls eine Nullmenge in X. Es wird sich im Weiteren herausstellen, dass Nullmengen häufig vernachlässigbar sind. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die folgende Sprechweise: Es sei X D .X; A; / ein Maßraum. Ferner sei P eine Eigenschaft, die für die Punkte in X erklärt ist. Man sagt dann, P gilt fast überall (abgekürzt: f. ü.), wenn P für alle Punkte x 2 X außerhalb einer -Nullmenge von X gilt. Beispielsweise heißen danach zwei Abbildungen f; gW X ! Y von X in eine Menge Y fast überall gleich (in Zeichen: f D g (f. ü.)), wenn f .x/ D g.x/ ist für alle Punkte x 2 X außerhalb einer Nullmenge in X.

1.3

Maßräume

19

Definition 1.3.8 Ein Maß W A ! RC auf dem Maßraum X D .X; A; / heißt vollständig, wenn jede Teilmenge einer Nullmenge in X messbar und damit ebenfalls eine Nullmenge ist. Aus einem beliebigen Maß  lässt sich leicht ein vollständiges Maß b  gewinnen. b  b derjenigen Teilmengen von X, die eine Darstellung der ist definiert auf der  -Algebra A Form M [ N besitzen, wobei M 2 A und N Teilmenge einer Nullmenge ist. Für solch eine Menge setzt man b .M [ N / WD .M /: Der Leser prüft sofort, dass dieser Wert unabhängig von der Wahl der Darstellung von M [ N als Vereinigung einer messbaren Menge M und einer Teilmenge N einer Nullmenge ist. Die Nullmengen bezüglich b  sind dann genau die Teilmengen der Nullmengen bezüglich . Man nennt b  auch die Vervollständigung von . Schließlich erwähnen wir noch zwei Endlichkeitsbegriffe: Definition 1.3.9 Sei X D .X; A; / ein Maßraum. (1) Das Maß  heißt endlich, wenn .X/ < 1 ist. (2) Das Maß  heißt  -endlich, wenn es eine Folge Xn , n 2 N, messbarer Teilmengen in X gibt mit Xn " X und .Xn / < 1, n 2 N. Ein diskretes Maß  auf einer Menge X (vgl. Beispiel 1.3.2) ist offenbar genau dann  -endlich, wenn .x/ < 1 ist für alle x 2 X und .x/ ¤ 0 für höchstens abzählbar viele x 2 X. Alle im Weiteren wichtigen Maße sind  -endlich, aber im Allgemeinen nicht endlich. Definition 1.3.10 Seien X D .X; A; / und Y D .Y; B; / zwei Maßräume. Eine maßtreue Abbildung dieser Maßräume ist eine bijektive Abbildung f W X ! Y , die zusammen   mit ihrer Umkehrabbildung messbar ist und die Maße respektiert, also mit f .M / D .M / für alle M 2 A. Die maßtreuen Abbildungen eines Maßraumes auf sich bilden offensichtlich eine Untergruppe der Permutationsgruppe von X. Ein einfaches Beispiel zum Begriff der maßtreuen Abbildung ist die folgende Aussage: 1.3.11 Wiederkehrlemma Seien f W X ! X eine maßtreue Abbildung des Maßraumes X D .X; A; / auf sich und M  X eine messbare Menge mit .M / > 0. Das Maß  sei endlich. Dann gibt es eine unendliche Teilfolge 1  n1 < n2 <    der Folge der natürlichen Zahlen mit M \ f nk .M / ¤ ; für k D 1; 2; : : :, siehe Abb. 1.2.

20

1

Maße

Abb. 1.2 Wiederkehrlemma

Beweis Nehmen wir an, es wäre M \ f n .M / D ; für alle n  m. Dann wäre auch   f km .M / \ f lm .M / D f km M \ f .lk/m .M / D ; für alle k; l 2 N, k < l, und es ergäbe sich ein Widerspruch zur Endlichkeit von : 

]

 X   X f km .M / D  f km .M / D .M / D 1:

k2N

k2N



k2N

Aufgaben U Aufgabe 1.3.1 Seien X D j 2J Xj eine Zerlegung des Messraumes X D .X; A/ in paarweise disjunkte messbare Mengen Xj , j 2 J , und j Maße auf Xj , j 2 J . Dann P P wird durch .M / WD j 2J j .M \Xj /, M 2 A, ein Maß  D j 2J j auf X definiert, dessen Beschränkung auf Xj mit j übereinstimmt. Ist J abzählbar, so ist  das einzige solche Maß. Aufgabe 1.3.2 Sei j , j 2 J , eine Familie von Maßen auf dem Messraum X D .X; A/. P P Dann ist auch  D j 2J j mit .M / WD j 2J j .M /, M 2 A, ein Maß auf X. (Es heißt die Summe der j , j 2 J .) Aufgabe 1.3.3 Seien X D .X; A; / ein Maßraum und Xn " X eine Ausschöpfung von X mit messbaren Teilmengen Xn , n 2 N. Für jedes M 2 A ist dann .M / D limn!1 .M \ Xn /. – Insbesondere ist  durch seine Beschränkung auf die Teilräume Xn , n 2 N, eindeutig bestimmt. Aufgabe 1.3.4 Ist Mn , n 2 N, eine Folge messbarer Mengen im Maßraum .X; A; /, so ist 

1 [ nD0

k   [ Mn D lim  Mn : k!1

nD0

1.3

Maßräume

21

Aufgabe 1.3.5 Seien Mi , i 2 I , bzw. Ni , i 2 I , abzählbare Familien messbarer Mengen T T S des Maßraumes .X; A; /. Dann gilt i 2I Mi  i 2I Ni [ i 2I .Mi  Ni / und folglich 

\

 \  X Mi   Ni C .Mi  Ni /:

i 2I

i 2I

i 2I

Aufgabe 1.3.6 Ist der Wert von  für wenigstens eine der beiden messbaren Teilmengen M; N des Maßraumes .X; A; / endlich, so gilt für ihre symmetrische Differenz M 4N D .M  N / [ .N  M / .M 4N /  j.M /  .N /j: Aufgabe 1.3.7 Sei .X; A; / ein Maßraum. Zwei messbare Mengen M; N  X heißen  -gleich, wenn .M 4N / D 0 ist. Man schreibt dann M D N . 

a) Seien M; N 2 A. Genau dann ist M D N , wenn für die Indikatorfunktionen eM D eN f. ü. bezüglich  gilt. Die -Gleichheit ist eine Äquivalenzrelation auf A.  b) Aus M D N folgt .M / D .N /. c) Ist  vollständig und sind M und M 4N messbar mit .M 4N / D 0, so ist auch N  messbar und somit M D N . b ! Aufgabe 1.3.8 Man beweise, dass die im Text angegebene Vervollständigung b W A b ist mit RC tatsächlich wohldefiniert und ein vollständiges Maß auf der  -Algebra A b  jA D . Aufgabe 1.3.9 Seien  und  -endliche Maße auf dem Messraum .X; A/ mit   . Dann gibt es genau ein Maß  auf .X; A/ mit D  C . (Zur Summe von Maßen vergleiche Aufg. 1.3.2.) Aufgabe 1.3.10 Seien Mi messbare Mengen des Maßraumes X D .X; A; / mit .Mi / < 1, i D 1; : : : ; n. Dann gilt die folgende Siebformel: .M1 [    [ Mn / D

n X kD1

.1/k1



X

 .Mi1 \    \ Mik / :

1i1 0 P und ın > 0 mit n ın < 1 sowie Mn 2 A mit .Mn /  ın , aber .Mn / > ", n 2 N. Nach Aufg. 1.3.14 d) ist .M / D 0 und es genügt, .M /  " zu zeigen.) Aufgabe 1.3.17 Sei X ein topologischer Raum. Ein Maß W B.X/ ! RC heißt lokal endlich, wenn zu jedem Punkt x 2 X eine offene Umgebung U von x mit .U / < 1 existiert. a) Ist W B.X/ ! RC ein lokal endliches Maß und ist die Topologie von X abzählbar, so ist   -endlich.

1.4

Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze

23

b) Ist X lokal kompakt, so ist ein Maß W B.X/ ! RC genau dann lokal endlich, wenn .K/ < 1 ist für jede kompakte Menge K  X. c) Ein Maß W Bn D B.Rn / ! RC ist genau dann lokal endlich, wenn .M / < 1 ist für jede messbare beschränkte Menge M  Rn . Aufgabe 1.3.18 (Träger eines Maßes) Sei X ein topologischer Raum mit abzählbarer Topologie und W B.X/ ! RC ein Maß. Dann gibt es eine größte offene Menge U in X mit .U / D 0. Ihr Komplement heißt der Träger des Maßes . (Man beachte, dass das Komplement des Trägers in der Regel keineswegs die größte messbare Menge in X ist, auf der  verschwindet. Eine solche Menge braucht es gar nicht zu geben.) Aufgabe 1.3.19 Sei X ein Hausdorff-Raum mit abzählbarer Topologie und W B.X/ ! RC ein Maß ¤ 0, das nur die Werte 0 und 1 annimmt. Dann ist  ein Dirac-Maß.   (Sei x0 ein Punkt des Trägers von , vgl. Aufg. 1.3.18. Mit 1.3.5 (5) zeige man  fx0 g D 1. Lassen sich die Voraussetzungen an den topologischen Raum X abschwächen? ) Aufgabe 1.3.20 (Ergodische Abbildungen) Sei X D .X; A; / ein Wahrscheinlichkeitsraum. Für eine maßtreue Abbildung F W X ! X von X auf sich sind folgende Aussagen äquivalent: 1) Ist A 2 A und F .A/ D A, so ist .A/ D 0 oder .A/ D 1.  2) Ist A 2 A und F .A/ D A (vgl.  S Aufg.k1.3.7),  so ist .A/ D 0 oder .A/ D 1. 3) Ist > 0, so ist  F .A/ D 1. 4) Ist A 2 A und .A/ > 0, so ist A2 A und .A/ k2Z  S k F .A/ D 1. 5) Ist f W X ! R messbar und gilt f ı F D f f. ü., so ist f f. ü.  k2N konstant. 6) Ist A 2 A und eA ı F D eA f. ü., so ist eA f. ü. konstant, d. h. eA D eX 1 f. ü. oder eA D e; 0 f. ü. (Zum Beweis von 1) ) 5) reduziere man auf den Fall, dass f ı F D f überall gilt, und wende dann Aufg. 1.3.19 auf das Bildmaß f W B1 ! RC an. – Eine maßtreue Abbildung F , die die obigen äquivalenten Bedingungen erfüllt, heißt ergodisch. Die Bedingung 4) besagt, dass man durch wiederholtes Anwenden einer ergodischen Abbildung ausgehend von den Punkten einer Menge A positiven Maßes fast jeden Punkt mit endlich vielen Schritten erreicht.) Aufgabe 1.3.21 Man beweise folgende Variante des Wiederkehrlemmas 1.3.11: Seien X; f; M wie in 1.3.11. Die Menge der x 2 M mit f n .x/ 2 M für nur endlich viele n 2 N ist eine -Nullmenge.

1.4 Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze Wir beweisen in diesem Abschnitt drei wichtige Sätze der Maßtheorie, nämlich den Eindeutigkeitssatz 1.4.1, den Fortsetzungssatz 1.4.6 und den Satz 1.4.8 über die Existenz von Produktmaßen. Die Beweise der beiden letzten Sätze sind etwas technisch und können ohne weiteres übergangen werden. Einfach dagegen ist der folgende Eindeutigkeitssatz zu beweisen:

24

1

Maße

1.4.1 Eindeutigkeitssatz für Maße Es seien .X; A/ ein Messraum und M ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem der  -Algebra A (d. h. M enthalte mit je zwei Elementen auch deren Durchschnitt). Sind dann 1 ; 2 W A ! RC Maße mit 1 jM D 2 jM und gilt 1 .Mn / D 2 .Mn / < 1 für eine Folge Mn 2 M, n 2 N, mit Mn " X, so ist 1 D 2 . Beweis Wegen i .M / D limn!1 i .M \ Mn /, i D 1; 2; : : :, vgl. 1.3.5 (4), genügt es zu zeigen, dass 1 .M \ Mn / D 2 .M \ Mn / ist für alle M 2 A und alle n 2 N. Für n 2 N sei nun ˚



Dn WD M 2 A j 1 .M \ Mn / D 2 .M \ Mn /  A:

Mit M liegt auch M \ Mn in M; nach Voraussetzung über 1 und 2 ist daher M  Dn . Wegen 1.2.17 ist A auch das von M erzeugte Dynkin-System. Dann ist wie gewünscht Dn D A, wenn wir gezeigt haben, dass Dn ein Dynkin-System ist. Aus 1 .Mn / D 2 .Mn / folgt aber X 2 Dn . Seien M; N 2 Dn mit N  M . Dann gilt 1 .M \ Mn / D 2 .M  \Mn /  2.Mn / <  1 und analog 1 .N \Mn / D 2 .N \Mn /. Mit 1.3.5 (1) folgt 1 .M N /\Mn D 2 .M N /\Mn , d. h. M N 2 Dn . Für eine abzählbare Familie  S N i \ Mn D Ni , i 2 I , paarweise disjunkter Mengen aus Dngilt schließlich 1 i 2I P S S P Ni 2 D n .  i 2I 1 .Ni \ Mn / D i 2I 2 .Ni \ Mn / D 2 i 2I Ni \ Mn , d. h. Das wichtigste Prinzip zur Konstruktion von Maßen ist das folgende: Man definiert das gesuchte Maß  zunächst nur auf einem geeigneten relativ kleinen Mengensystem M  P.X/ und setzt diese Funktion dann zu einem Maß auf der von M erzeugten  Algebra fort. Als Ausgangssysteme M sind die sogenannten Ringe günstig. Definition 1.4.2 Sei X eine Menge. Eine Menge R von Teilmengen von X heißt ein (Mengen-)Ring auf X, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) Es ist ; 2 R. (2) Sind M; N 2 R, so gehört auch die Differenzmenge M  N zu R. (3) Sind M; N 2 R, so gehört auch ihre Vereinigung M [ N zu R. Man beachte, dass ein Ring wegen M \N D M .M N / auch durchschnittstabil ist. Dagegen gehört die Gesamtmenge X nicht notwendigerweise zu einem Ring. Ein Ring, der die Gesamtmenge X enthält, ist eine Algebra auf X, siehe Definition 1.2.1. Vgl. auch Aufg. 1.4.9. Definition 1.4.3 Sei R ein Ring auf der Menge X. Wir nennen eine Abbildung W R ! RC ein äußeres Maß, wenn .M /  .N / für alle M; N 2 R mit M  N ist und wenn ferner für jede abzählbare Familie Mi , i 2 I , paarweise disjunkter Elemente in R, deren

1.4

Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze

25

Abb. 1.3 Pflasterung von M

Vereinigung ebenfalls in R liegt, gilt: 

]

 X Mi  .Mi /:

i 2I

i 2I

Die Abbildung  heißt ein Prämaß, wenn hier stets das Gleichheitszeichen gilt. Ein Maß ist also ein Prämaß, das nicht nur auf einem Ring, sondern sogar auf einer  -Algebra definiert ist. Für ein Prämaß gelten die Rechenregeln aus 1.3.5, wie eine Durchsicht der Beweise zeigt. In der Ausschöpfungs- bzw. Schrumpfungsformel hat man natürlich vorauszusetzen, dass die Vereinigung bzw. der Durchschnitt M der Folge Mn , n 2 N, mit Mn " M bzw. mit Mn # M wieder zum Ring R gehören. Wir nennen ein Prämaß W R ! RC  -endlich, wenn es eine Folge Mn 2 R, n 2 N, gibt mit Mn " X und .Mn / < 1 für alle n 2 N. Ein äußeres Maß, das additiv ist, d. h. mit .M ]N / D .M /C.N / für M; N 2 R, M \ N D ;, ist bereits ein Prämaß. Sei nämlich Mi , i 2 I , eine abzählbare Familie U Teilmenge paarweise disjunkter Elemente von R mit  i 2I Mi 2  R. Für  Ujede endliche  U P P .M / D  M M    J von I hat man dann i i i i 2J i 2I i 2I .Mi /,  P i 2J U woraus  i 2I Mi D i 2I .Mi / folgt. Jedes äußere Maß W R ! RC lässt sich in natürlicher Weise von dem Ring R auf der Menge X auf die ganze Potenzmenge P.X/ von X fortsetzen: Für ein M  X nennen wir eine abzählbare Überdeckung Mi , i 2 I , von M mit Elementen Mi 2 R, d. h. M  [i 2I Mi , eine (R-)Pflasterung von M , siehe Abb. 1.3. Die Fortsetzung  W P.X/ ! RC von  auf die Potenzmenge P.X/ definiert man nun durch X  .Mi / ;  .M / WD Inf i 2I

wobei das Infimum über alle R-Pflasterungen von M  X zu nehmen ist.8 In dieser Situation gilt: Lemma 1.4.4  ist ein äußeres Maß auf dem Ring P.X/, das auf R mit  übereinstimmt. 8

Das Infimum über die leere Familie ist 1.

26

1

Maße

Beweis Für N  M  X gilt trivialerweise  .N /   .M /. Da M 2 R selbst eine R-Pflasterung von M ist, hat man .M / D  .M / für M 2 R aufgrund der Pflasterungsformel 1.3.5 (3). Sei nun Mi  X, i 2 I , eine abzählbare Familie von Teilmengen von X. Wir haben 

[

 X Mi   .Mi /

i 2I

i 2I

P

zu zeigen und können  .Mi / < 1 voraussetzen. Sei " > 0 vorgegeben. Es gibt P "i > 0, i 2 I , mit "i  " und Pflasterungen .Min /n2N von Mi , i 2 I , mit X

 .Mi / 

.Min /   .Mi / C "i :

n2N

Dann ist Min , .i; n/ 2 I  N, eine Pflasterung von 

[

 Mi 

i 2I

X

.Min / D

.i;n/2I N



X i 2I

S





Mi und folglich

XX i 2I

 .Min /

n2N

 .Mi / C "i  " C

X

 .Mi /:

i 2I

Da " > 0 beliebig gewählt werden kann, folgt die Behauptung.



Sei W R ! RC weiterhin ein äußeres Maß. Wir sagen, eine Teilmenge M  X habe die Zerlegungseigenschaft, wenn für alle N  X gilt:    .N / D  .M \ N / C  .X  M / \ N : Die Zerlegungseigenschaft für M  X ist damit  äquivalent, dass für alle N  X gilt  .N /   .M \ N / C  .X  M / \ N , da die umgekehrte Ungleichung für das   äußere Maß  sofort aus N D .M \ N / ] .X  M / \ N folgt. Wir zeigen: Lemma 1.4.5 Seien W R ! RC ein äußeres Maß auf dem Ring R  P.X/ und  W P.X/ ! RC die Fortsetzung von . (1) Die Teilmengen von X, die die Zerlegungseigenschaft haben, bilden eine  -Algebra A , und die Beschränkung von  auf diese  -Algebra ist ein Maß. (2) Ist  ein Prämaß, so besitzen alle Elemente von R die Zerlegungseigenschaft. Beweis 1) Mit M ist trivialerweise auch das Komplement X  M in A . Als nächstes zeigen wir, dass mit M; M 0 2 A auch M [ M 0 2 A ist. Sei dazu N  X beliebig.

1.4

Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze

27

Nach Definition von A gilt dann    .N / D  .M \ N / C  .X  M / \ N ;        .X  M / \ N D  M 0 \ .X  M / \ N C  .X  M 0 / \ .X  M / \ N     D  M 0 \ .X  M / \ N C  .X  .M [ M 0 // \ N ;        .M [ M 0 / \ N D  M \ .M [ M 0 / \ N C  .X  M / \ .M [ M 0 / \ N   D  M \ N / C  .M 0 \ .X  M / \ N : Aus diesen drei Gleichungen ergibt sich wie behauptet      .N / D  .M [ M 0 / \ N C  .X  .M [ M 0 // \ N :   Damit folgt M  M 0 D X  .X  M / [ M 0 2 A für M; M 0 2 A . S Sei nun Mn , n 2 N, eine Folge von Elementen aus A . Wir zeigen Mn 2 A . Nach dem schon Bewiesenen liegen die paarweise disjunkten Mengen Mn  .M0 [    [ Mn1 /, S n 2 N, in A . Da deren Vereinigung mit Mn übereinstimmt, können wir annehmen, dass die Mn selbst paarweise disjunkt sind. Dann ist aber, wie die letzte der obigen drei Gleichungen zeigt,      .M0 [    [ Mn / \ N D  .M0 \ N / C  .M1 [    [ Mn / \ N D    D  .M0 \ N / C    C  .Mn \ N / für beliebige N  X. Insbesondere ist  endlich additiv auf A . Es folgt wegen M0 [    [ Mn 2 A

     .N / D  .M0 [    [ Mn / \ N C  .X  .M0 [    [ Mn // \ N   S   .M0 \ N / C    C  .Mn \ N / C  .X  1 nD0 Mn / \ N für alle n 2 N, also auch  .N /  

1 X

 S  .Mn \ N / C  .X  1 nD0 Mn / \ N /

nD0 S1 

nD0

    S Mn \ N C  .X  1 nD0 Mn / \ N :

Also ist A eine  -Algebra. Maß: Sei Mn , n 2 N, eine Folge paarweise disjunkter EleSchließlich ist  jA ein U P1 1



mente in A . Dann ist  nD0 Mn  nD0  .Mn /. Aus der endlichen Additivität folgt  .M0 / C    C  .Mk / D  .M0 [    [ Mk /  

U1 nD0

Mn



28

1

Maße

 U1  P



für alle k 2 N, also auch 1 nD0  .Mn /   nD0 Mn . Das beweist die  -Additivität von  jA und beendet den Beweis von 1.4.5 (1). 2) Seien M 2 R und Ni , i 2 I , eine R-Pflasterung von N  X. Dann sind M \ Ni , i 2 I , bzw. .X  M / \ Ni , i 2 I , R-Pflasterungen von M \ N bzw. .X  M / \ N . Da  ein Prämaß ist, ist .Ni / D .M \ Ni / C ..X  M / \ Ni /, und es folgt X X X   .Ni / D .M \ Ni / C  .X  M / \ Ni i 2I

i 2I

i 2I

    .M \ N / C  .X  M / \ N :

  Daraus ergibt sich  .N /   .M \ N / C  .X  M / \ N , was noch zu zeigen war.  Wir fassen diese Resultate noch einmal zusammen und erhalten den folgenden Fortsetzungssatz, der auf Carathéodory zurückgeht: 1.4.6 Fortsetzungssatz für Maße Seien R ein Ring auf der Menge X und A die von R erzeugte  -Algebra. Ferner sei W R ! RC ein Prämaß. Dann ist die Beschränkung  jA des zu  gehörenden äußeren Maßes  auf A ein Maß. Ist   -endlich, so ist  jA die einzige Fortsetzung von  zu einem Maß auf A. Beweis Die Aussage folgt aus 1.4.5 (1) und (2). Der Zusatz über die Eindeutigkeit der Fortsetzung von  ergibt sich aus dem Eindeutigkeitssatz 1.4.1.  Als erste Anwendung nutzen wir den soeben bewiesenen Fortsetzungssatz zur Konstruktion der Produktmaße. Definition 1.4.7 Seien .X1 ; A1 / ; : : : ; .Xm ; Am / endlich viele Messräume. Die kleinste  -Algebra auf X WD X1      Xm , die alle verallgemeinerten „Quader“ M1      Mm , Mi 2 Ai , i D 1; : : : ; m, enthält, heißt die Produkt- -Algebra auf X. Man bezeichnet sie mit A1 ˝    ˝ Am :

Seien i W Ai ! RC Maße. Gesucht ist ein Maß auf A1 ˝    ˝ Am , das für jeden „Quader“ M1      Mm , Mi 2 Ai , i D 1; : : : ; m, den Wert 1 .M1 /    m .Mm / hat. Wir zeigen: 1.4.8 Satz über die Existenz des Produktmaßes .Xi ; Ai ; i /, i D 1; : : : ; m, seien endlich viele  -endliche Maßräume. Dann gibt es genau ein Maß 1 ˝    ˝ m auf A1 ˝    ˝ Am mit .1 ˝    ˝ m /.M1      Mm / D 1 .M1 /    m .Mm /

1.4

Grundlegende Existenz- und Eindeutigkeitssätze

29

Abb. 1.4 Das Produktmaß im Fall endlich vieler Atome

für alle Mi 2 Ai , i D 1; : : : ; m. Dieses Maß heißt das Produktmaß der Maße 1 ; : : : ; m . Es ist ebenfalls  -endlich. Beweis Die Quader M1      Mm , Mi 2 Ai , i D 1; : : : ; m, bilden ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem der  -Algebra A WD A1 ˝    ˝ Am . Aus Xi;n " Xi , i D 1; : : : ; m, folgt .X1;n      Xm;n / " .X1      Xm /. Die  -Endlichkeit und Eindeutigkeit des Produktmaßes ergeben sich daraus direkt aus dem Eindeutigkeitssatz 1.4.1. Beim Beweis der Existenz genügt es, den Fall m D 2 zu betrachten (Induktion über m). Wir setzen .X; A; / WD .X1 ; A1 ; 1 / und .Y; B; / WD .X2 ; A2 ; 2 /. Ferner können wir voraussetzen, dass  und sogar endliche Maße sind. Haben wir nämlich abzählbare U U Zerlegungen X D i 2I Xi bzw. Y D j 2J Yj mit .Xi / < 1 und .Yj / < 1 für alle i 2 I bzw. j 2 J , so ist X Y D

]

.Xi  Yj /

.i;j /2I J

eine abzählbare Zerlegung von X Y und das Produktmaß ˝ auf X Y ist die Summe P .i;j / i ˝ j der Produktmaße i ˝ j auf Xi  Yj , .i; j / 2 I  J , wobei i WD jXi und j WD jYj ist, vgl. Aufg. 1.3.1. Fast trivial ist das Produktmaß, wenn die  -Algebren A auf X und B auf Y jeweils nur endlich viele Elemente haben. Sind dann nämlich A1 ; : : : ; Ar die Atome von A und B1 ; : : : ; Bs die Atome von B (vgl. Beispiel 1.2.13), so sind Ai  Bj , i D 1; : : : ; r, j D 1; : : : ; s, die Atome der Produkt- -Algebra A ˝ B, siehe Abb. 1.4. Das eindeutig bestimmte Produktmaß  ˝ ist durch seine Werte . ˝ /.Ai  Bj / WD .Ai / .Bj /, i D 1; : : : ; r, j D 1; : : : ; s, auf diesen Atomen wohldefiniert. Sei nun im allgemeinen Fall R der kleinste Ring auf X  Y , der alle „Rechtecke“ M  N , M 2 A, N 2 B, enthält. R ist die Vereinigung der endlichen  -Algebren A0 ˝ B0 , wobei A0 bzw. B0 die endlichen Teilalgebren von A bzw. B durchlaufen. Es gibt also nach der Vorbemerkung über den endlichen Fall eine Funktion W R ! RC mit .M  N / D .M / .N / für M 2 A, N 2 B, für die die Additivitätsformel ]  X  Pi D .Pi / i 2I

i 2I

30

1

Maße

für endliche Familien paarweise disjunkter Elemente Pi 2 R gilt, i 2 I . Es genügt zu zeigen, dass  sogar ein Prämaß ist. Das Produktmaß  ˝ ist dann einfach die Fortsetzung dieses Prämaßes gemäß 1.4.6 auf die von R erzeugte  -Algebra A ˝ B. Sei Q 2 R. Für x 2 X setzen wir Q.x/ WD fy 2 Y j .x; y/ 2 Qg  Y . Da Q in einer der endlichen Algebren A0 ˝ B0 liegt, folgt: (1) Q.x/ ist für jedes x 2 X messbar in Y (und sogar ein Element von B0 , falls Q 2 A0 ˝ B0 ist).   (2) Die Menge Q.a/ der x 2 X, für die Q.x/ einen festen Wert a 2 RC hat, ist messbar in X (und sogar ein Element von A0 , falls Q 2 A0 ˝ B0 ist). Es gilt .Q/ D

X

   Q.a/ a;

a2RC

wobei zu beachten ist, dass Q.a/ D ; ist für fast alle a 2 RC und insbesondere für alle a > .Y /. Sei nun Pn , n 2 N, eine Folge paarweise disjunkter Elemente in R mit P WD Wir haben zu zeigen: Es ist .P / D

1 X

.Pk / D lim

n!1

kD0

n X

U

P n 2 R.

.Pk / D lim .P0 ]    ] Pn / n!1

kD0

oder limn!1 .Qn / D 0 für Qn WD P  .P0 ]    ] Pn /. Es gilt Qn # ;. Daher ist auch Qn .x/  # ; für alle x 2 X. Da ein Maß ist, ergibt die Schrumpfungsformel limn!1 Qn .x/ D 0 für alle x 2 X. S .a/ Daraus folgt: Ist " > 0, so ist Qn" # ;, wobei Qn" WD a" Qn gesetzt ist. Nach " der Schrumpfungsformel für  gilt auch limn!1 .Qn / D 0. Seien "; > 0 vorgegeben und .Qn" /  für n  n0 . Dann gilt für n  n0 : .Qn / D

X a2RC

X  X       Qn.a/ a D  Qn.a/ a C  Qn.a/ a  .X/  " C  .Y /: a 0 vorgegeben. Dann gibt es wegen der linksseitigen Stetigkeit von F Zahlen b10 ; : : : ; bs0 , ai < bi0 < bi , mit .N  N 0 / D  Ps  0 0 0 0 i D1 F .bi /  F .bi /  " für N WD Œa1 ; b1 Œ ]    ] Œas ; bs Œ 2 F , siehe Abb. 2.1. Insbe0 0 0 sondere ist dabei N D Œa1 ; b1  ]    ] Œas ; bs   N . P Sei nun "n , n 2 N, eine Folge positiver reeller Zahlen mit 1 nD0 "n  ı. Zu obiger Folge .Nn / mit Nn # ; konstruieren wir gemäß der Bemerkung eine Folge .Nn0 / mit Nn0  Nn und .Nn  Nn0 /  "n für alle n 2 N. Sei Pn WD N00 \    \ Nn0 . Dann ist S P n  Nn0  Nn , also gilt auch P n # ;. Andererseits ist Nn  Pn [ nkD0 .Nk  Nk0 /, und folglich .Pn /  .Nn / 

n X kD0

.Nk  Nk0 /  ı 

n X

"k > 0:

kD0

Insbesondere ist Pn ¤ ; und damit P n ¤ ;. Wegen des Satzes von Weierstraß-Bolzano T (oder wegen der Kompaktheit von P 0 ) gilt dann aber 1 nD0 P n ¤ ;. Ist nämlich a ein T  Häufungspunkt einer Folge .an / mit an 2 P n , so ist a 2 1 nD0 P n . Widerspruch! Da F nach 1.2.11 (6) die  -Algebra B1 der Borel-Mengen von R erzeugt, lässt sich das Prämaß  mit dem Fortsetzungssatz 1.4.6 zu einem Maß auf B1 fortsetzen, das wir mit F bezeichnen. Da F ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von B1 bildet und die Intervalle Œn; nŒ, n 2 N, ganz R ausschöpfen, zeigt der Eindeutigkeitssatz 1.4.1, dass das Maß F eindeutig durch seine Werte auf F und daher schon auf den halboffenen Intervallen bestimmt ist. Aus der Konstruktion des Prämaßes auf F ergibt sich sofort, dass eine monoton wachsende, linksseitig stetige Funktion dann und nur dann zum selben Prämaß wie F führt, wenn sie sich von F nur um eine Konstante unterscheidet. Wir fassen zusammen:

38

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Satz 2.1.4 Jede monoton wachsende, linksseitig stetige Funktion F W R ! R definiert 1 1 genau  ein Maß F W B ! RC auf der  -Algebra B der Borel-Mengen von R mit F Œa; bŒ D F .b/  F .a/ für alle a; b 2 R, a < b. Zwei solche Funktionen definieren genau dann dasselbe Maß, wenn sie sich nur um eine additive Konstante unterscheiden. Ordnet man F wieder die monoton wachsende und linksseitig stetige Funktion FF gemäß 2.1.1 zu, so ist FF .t/ D F .t/  F .0/ für alle t 2 R. Umgekehrt ist natürlich F D  für jedes lokal endliche Maß W B1 ! RC . Man nennt F das Stieltjes-Maß   Rb zu F . Ist F stetig differenzierbar, so ist F Œa; bŒ D a F 0 .t/ dt. Angewandt auf die Identität F .t/ WD t von R liefert 2.1.4: Satz 2.1.5 Es gibt genau ein Maß 1 W B1 ! RC auf der  -Algebra B1 der Borel-Mengen von R, das jedem abgeschlossenen Intervall Œa; b, a; b 2 R, a < b, seine Länge b  a zuordnet.       1 h.  fbg D Beweis Wir haben nur noch zu zeigen, dass stets 1 Œa; bŒ D 1 Œa; b , d.   1 fbg > 0 den 0 ist. Dies folgt aus Aufg. 2.1.1 oder auch direkt, wenn man bei " WD     Widerspruch " D 1 Œb; b C "Œ  1 fbg C 1 Œb C 2" ; b C "Œ D 32 " beachtet. Das Maß 1 aus 2.1.5 heißt das Borel-Lebesgue-Maß auf R, seine Vervollständigung b 1 c  W B1 ! RC das Lebesgue-Maß auf R. Ferner setzt man 1 bzw. b1 trivial fort auf R D R [ f1; 1g, wobei die Punkte 1 und 1 wie schon die endlichen Punkte b 2 R das Maß 0 erhalten.

Aufgaben Aufgabe 2.1.1 Für die Sprunghöhe der Verteilungsfunktion F aus 2.1.1 in einem Punkt   .tC/  F .t/ D  ftg . Genau dann ist F in t stetig, wenn t 2 R zeige man F     ftg D 0 ist. Aufgabe 2.1.2 a) Sei e D ea;1Œ W R ! R die Indikatorfunktion zu a; 1Œ, a 2 R. Dann wird e gemäß 2.1.4 das Dirac-Maß e D ıa zugeordnet, das für M 2 B1 den Wert 1 bei a 2 M und den Wert 0 bei a … M hat. b) Sei allgemeiner W B1 ! RC ein endliches diskretes Maß. Dann ist  D F mit der P Verteilungsfunktion F D a2R .a/ ea;1Œ, die im Punkt a 2 R die Sprunghöhe .a/ hat. Aufgabe 2.1.3 (Cantorsches Diskontinuum) Eine Folge Ik , k 2 N, kompakter Teilmengen von R werde folgendermaßen definiert. Es sei I0 WD Œ0; 1, I1 D Œ0 ; 1=3 [ Œ2=3 ; 1 bestehe aus dem linken und rechten abgeschlossenen Drittel von I0 , I2 entstehe

2.1 Maße auf R

39

Abb. 2.2 Zu Aufgabe 2.1.4 a)

aus I1 , indem das mittlere offene Drittel eines jeden der beiden abgeschlossenen Teilintervalle von I1 weggelassen wird, usw. Ist Ik bereits als Vereinigung von 2k disjunkten abgeschlossenen Intervallen der Form Œa=3k ; .a C 1/=3k  mit a 2 N definiert, so erhält man IkC1  Ik , indem man jedes dieser Intervalle durch seine beiden Teilintervalle Œa=3k ; .3a C 1/=3kC1  ; Œ.3a C 2/=3kC1 ; .a C 1/=3k  ersetzt. Das Cantorsche DiskontiT nuum oder die Cantorsche Wischmenge C ist dann durch C WD 1 kD0 Ik definiert. C ist eine überabzählbare Borelsche Nullmenge. Außerdem ist C kompakt und total unzusammenhängend. Aufgabe 2.1.4 Wir wollen noch einige mit dem Cantorschen Diskontinuum verwandte Mengen angeben. Es sei E D Œ0; 1 das abgeschlossene Einheitsintervall. .0/

a) Seien 0 < a < 1 und Ua das offene Intervall .1  a/=2 ; .1 C a/=2Œ der Länge .0/ a in der Mitte des Intervalls E. Den Rest E  Ua bilden zwei abgeschlossene In.1/ 1 tervalle jeweils der Länge `0 D 2 .1  a/. Die Menge Ua sei die Vereinigung der mittleren Intervalle der Länge a`0 in diesen beiden Restintervallen. Den Rest  .0/offenen .1/  E  Ua [Ua bilden vier abgeschlossene Intervalle der Länge `1 . Mit diesen bildet .2/ man entsprechend die Vereinigung Ua von vier offenen Intervallen der Länge a`1 und S .n/ so fort, siehe Abb. 2.2. Dann ist Ua WD n0 Ua eine offene Menge mit Borel-Lebesgue-Maß 1, und die „Wischmenge“ Da WD E  Ua ist eine kompakte, überabzählbare, total unzusammenhängende Menge vom Maß 0. D1=3 ist das klassische Cantorsche Diskontinuum C aus Aufg. 2.1.3. .0/ b) Seien 0 < a  13 und Va das offene Intervall der Länge a in der Mitte von E. .1/ Die Menge Va sei die Vereinigung der mittleren offenen Intervalle der Länge a2 in .0/ .2/ den beiden Intervallen des Restes E  Va . Entsprechend sei Va die Vereinigung der mittleren offenen Intervalle der Länge a3 in den vier Teilintervallen des Restes S .0/ .1/ .n/ E  .Va [ Va / und so fort. Dann ist Va WD n0 Va eine offene Menge des Maßes a=.1  2a/, und E  Va ist eine kompakte, total unzusammenhängende Menge vom Maß .1  3a/=.1  2a/. E  V1=3 ist wieder das Cantorsche Diskontinuum C aus Aufg. 2.1.3. c) Sei A  E abgeschlossen mit 1 .A/ D 1. Dann ist A D E. Zu jedem " > 0 gibt es eine abgeschlossene, total unzusammenhängende Teilmenge B  E mit 1 .B/  1  ". (Man wähle etwa B so, dass B \ Q D ; ist, oder B D E  Va wie in Teil b) mit .1  3a/=.1  2a/  1  ".) Aufgabe 2.1.5 Jede offene Menge U  R ist die Vereinigung abzählbar vieler paarweise P disjunkter offener Intervalle Ii , i 2 I , und es ist 1 .U / D i 2I `.Ii /, wobei `.I / die Länge eines Intervalls I  R bezeichne.

40

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Aufgabe 2.1.6 Sei W B1 ! RC ein lokal endliches Maß und sei F D F die zugehörige verallgemeinerte Verteilungsfunktion. Seien A WD lim t !1 F .t/ und B WD lim t !1 F .t/. hW A; BŒ ! R sei gegeben durch h.s/ D Sup ft 2 R j F .t/  sg, s 2 A; BŒ. Dann ist h messbar und  gleich dem Bildmaß h 1 des Borel-LebesgueMaßes 1 j A; BŒ.

2.2 Das Borel-Lebesgue-Maß auf Rn Wir verwenden das 1-dimensionale Borel-Lebesgue-Maß 1 , um das Borel-LebesgueMaß n W Bn ! RC auf der  -Algebra Bn der Borel-Mengen im Rn zu konstruieren: n ist das n-fache Produkt n WD 1 ˝    ˝ 1 von 1 mit sich selbst, vgl. Satz 1.4.8 über die Existenz des Produktmaßes. Für jeden Quader Q D Œa1 ; b1       Œan ; bn  (mit ai  bi für i D 1; : : : ; n/ ist dann     n .Q/ D 1 Œa1 ; b1     1 Œan ; bn  D .b1  a1 /    .bn  an / das Produkt der Kantenlängen von Q. Da diese Quader zusammen mit der leeren Menge ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von Bn bilden und da Rn mit abzählbar vielen davon ausgeschöpft werden kann, gibt es nach dem Eindeutigkeitssatz 1.4.1 nur ein solches Maß. 2.2.1 Existenzsatz für das Borel-Lebesgue-Maß Sei n 2 N . Dann gibt es genau ein Maß n W Bn ! RC auf der  -Algebra Bn D B.Rn / der Borel-Mengen im Rn , das für jeden Quader Œa1 ; b1       Œan ; bn  (mit ai  bi für i D 1; : : : ; n) den Wert n n .b1  a1 /   .bn  an / hat.  – Für eine Borel-Menge M  R ist  .M / gleich dem InP n fimum Inf i 2I  .Qi / , wobei alle abzählbaren Pflasterungen von M mit halboffenen Quadern Qi , i 2 I , im Rn zu berücksichtigen sind. Natürlich kann man bei den Pflasterungen in 2.2.1 auch kompakte oder offene Quader nehmen. Das Maß n aus 2.2.1 heißt das n-dimensionale Borel-Lebesgue-Maß. Anmerkung 2.2.2 Man kann das Borel-Lebesgue-Maß n auch direkt wie 1 in Abschn. 2.1 konstruieren. Man startet dann mit dem natürlichen Prämaß auf dem Ring F n derjenigen Teilmengen von Rn , die sich als eine endliche Vereinigung von halboffenen Quadern Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ  Rn darstellen lassen. Dies lässt sich sogar in der allgemeinen Form des Satzes 2.1.4 mit einer verallgemeinerten Verteilungsfunktion F W Rn ! R durchführen, deren charakteristische Eigenschaften dann allerdings sorgfältig anzugeben sind, was wir hier nicht ausführen wollen. Für ein lokal endliches Maß

2.2 Das Borel-Lebesgue-Maß auf Rn

41

W Bn ! RC ist die verallgemeinerte Verteilungsfunktion F D F durch F .t1 ; : : : ; tn / WD Sign .t1    tn / .I t1      I tn / definiert.2 Für beliebige ai ; bi 2 R mit ai  bi , i D 1; : : : ; n, ist dann X    Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ D .1/jH j F .aH ; bH 0 /; H f1;:::;ng

wobei .aH ; bH 0 / das n-Tupel .c1 ; : : : ; cn / ist mit ci WD ai , falls i 2 H , und ci WD bi , falls i … H . Beweis! Für n selbst ist F .t1 ; : : : ; tn / D t1    tn . Etwas abweichend davon ist die folgende Konstruktion von n , die der des HausdorffMaßes H n in Beispiel 2.3.17 ähnlich ist. Man definiert zunächst das äußere Maß X  n .Qi / ; .n / W P.Rn / ! RC durch .n / .M / WD Inf i 2I

wobei das Infimum über alle abzählbaren Pflasterungen .Qi /i 2I von M mit Quadern Qi  Rn zu nehmen ist und für einen Quader Q der Wert n .Q/ als das Produkt der Kantenlängen definiert ist. Man kann sich dabei auf Pflasterungen mit offenen (oder mit halboffenen oder mit abgeschlossenen) Quadern beschränken. .n / ist offenbar ein metrisches äußeres Maß, d. h. für Mengen M; M 0  Rn mit positivem Abstand d.M; M 0 / gilt .n / .M [ M 0 / D .n / .M / C .n / .M 0 /. Mit 2.3.18 folgt nun, dass alle Borel-Mengen zur  -Algebra A der Teilmengen von Rn gehören, die bzgl. .n / die Zerlegungseigenschaft besitzen. Dass für kompakte Quader Q  Rn das äußere Maß .n / .Q/ mit dem Produkt der Kantenlängen übereinstimmt, folgt daraus, dass nach dem Satz von Heine-Borel jede Überdeckung von Q mit offenen Quadern eine endliche Teilüberdeckung enthält und für endlich viele Quader Q1 ; : : : ; Qm mit Q  Q1 [    [ Qm die P n n Ungleichung n .Q/  m i D1  .Qi / fast selbstverständlich ist.  ist nun die Beschrän} kung .n / jBn . n ist translationsinvariant, d. h. es gilt n .x C M / D n .M / für alle x 2 Rn und alle M 2 Bn . Zum Beweis beachte man, dass M 7! n .x C M /, M 2 Bn , ein Maß auf Bn ist, das auf den Quadern und daher nach dem Eindeutigkeitssatz auf ganz Bn mit n übereinstimmt. Dies führt zu folgender Charakterisierung des Borel-Lebesgue-Maßes: 2.2.3 Eindeutigkeitssatz für das Borel-Lebesgue-Maß Das Borel-Lebesgue-Maß n W Bn ! RC ist das einzige translationsinvariante Maß Bn ! RC , das für den Einheitswürfel E n D Œ0; 1n den Wert 1 hat. 2

Zur Definition der Intervalle I t vgl. den Beginn des Abschn. 2.1.

42

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Beweis Es ist nur noch zu zeigen, dass ein translationsinvariantes Maß W Bn ! RC mit .E n / D 1 notwendigerweise gleich n ist. Es genügt zu zeigen, dass  und  auf den Quadern Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ mit rationalen ai ; bi übereinstimmen, da diese (mit ;) ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von Bn bilden, vgl. Aufg. 1.2.12 und den Eindeutigkeitssatz 1.4.1. Wegen der Translationsinvarianz können wir dabei a1 D    D  an D 0 annehmen. Es ist auch  Œ0; 1Œn D 1 (vgl. Aufg. 2.2.2). Da Œ0; 1Œn für jedes m 2 N die disjunkte Vereinigung der mn Würfel W .mI r1 ; : : : ; rn / WD

hr r C 1h r1 C 1 h n n   ; ; m m m m

hr

1

;

0  ri < m, ri 2 N, ist, die alle aus einem durch Translationen hervorgehen, gilt    Œ0; 1=mŒn D 1=mn : Ist nun bi D ci =m mit ci 2 N und dem Hauptnenner m 2 N , so ist Œ0; b1 Œ      Œ0; bn Œ die disjunkte Vereinigung der c1    cn Würfel W .mI r1 ; : : : ; rn /, 0  ri < ci , ri 2 N, für  die  jeweils den Wert 1=mn hat. Das ergibt die Behauptung. Korollar 2.2.4 Sei W Bn ! RC ein translationsinvariantes Maß, das auf dem Einheitswürfel E n D Œ0; 1n den Wert a 2 RC hat. Dann ist  D an . Beweis Sei zunächst a D 0. Mit der Bezeichnung aus dem Beweis von 2.2.3 ist Rn die Vereinigung der abzählbar vielen Würfel W .1I r1 ; r2 ; : : : ; rn /, .r1 ; : : : ; rn / 2 Zn . Diese gehen aus W .1I 0; : : : ; 0/  E n durch Translation hervor, haben also das Maß 0. Folglich ist auch .Rn / D 0 und somit  das Nullmaß. Ist a > 0, so ist a1  ein translationsinvariantes Maß mit a1 .E n / D 1. Nach 2.2.3  ist dann a1  D n . Gelegentlich ist es bequem, statt des Borel-Lebesgue-Maßes n seine Vervollständigung bn zu benutzen, vgl. Abschn. 1.3. bn heißt Lebesgue-Maß auf Rn und ist auf der Bn der Lebesgue-Mengen des Rn definiert. Dies sind die Teilmengen der Form  -Algebra b M [ N von Rn , wobei M 2 Bn eine Borel-Menge und N eine beliebige Teilmenge einer Borelschen Nullmenge ist. Für eine solche Menge ist bn .M [ N / D n .M /: Offenbar hat eine Teilmenge N von Rn genau dann die Eigenschaft bn .N / D 0, ist also eine Lebesguesche Nullmenge, wenn sie Teilmenge einer Borelschen Nullmenge ist. Satz 2.2.5 Genau dann ist eine Teilmenge N von Rn eine Lebesguesche Nullmenge, wenn S es zu jedem " > 0 eine abzählbare Familie Qi , i 2 I , von Quadern gibt mit N  i 2I Qi P und i 2I n .Qi /  ".

2.2 Das Borel-Lebesgue-Maß auf Rn

43

Beweis Eine Lebesguesche Nullmenge N ist Teilmenge einer Borelschen Nullmenge, die sich auf Grund des Zusatzes in 2.2.1 in der angegebenen Weise überdecken lässt. Hat N umgekehrt die obige Überdeckungseigenschaft und ist "n , n 2 N, eine Nullfolge positiver reeller Zahlen, so gibt es zu jedem n 2 N eine abzählbare Vereinigung Nn D T [i 2I Qi von Quadern Qi mit N  Nn und .Nn /  "n . Dann ist N 0 WD n2N Nn eine  Borelsche Nullmenge mit N  N 0 . Beispiel 2.2.6 Die im Beweis von 1.1.1 konstruierten Teilmengen A sind sicherlich keine Lebesgue-Mengen, da das Lebesgue-Maß bn (ebenso wie das Borel-Lebesgue-Maß) cn ¤ P.Rn / für alle den dort für  vorausgesetzten Rechenregeln genügt. Es ist also B cn ist aber gleich der Mächtigkeit von P.Rn /, also gleich n 2 N . Die Mächtigkeit von B

der Mächtigkeit 2@ von P.R/. Um dies einzusehen, genügt es nach dem Bernsteinschen Äquivalenzsatz (siehe Band Grundkonzepte der Mathematik [10], Satz 1.8.16), eine Borelsche Nullmenge M anzugeben, die die Mächtigkeit des Kontinuums hat. Die Menge der Lebesgueschen Nullmengen, die Teilmengen von M sind, hat dann nämlich schon die Mächtigkeit von P.R/. Bei n  2 kann man für M einfach irgendeine Hyperebene von Rn nehmen, vgl. auch Aufg. 2.2.11 a), und bei n D 1 das Cantorsche Diskontinuum aus Aufg. 2.1.3. Da Bn nur dieselbe Mächtigkeit wie R hat, vgl. die Bemerkungen vor Lemma 1.2.11, cn für n 2 N . Konkrete Beispiele für nicht-Borelsche Lebesgue-Mengen ist sicher Bn ¤ B sind bei n  2 etwa solche Teilmengen von Hyperebenen des Rn , die keine Borel-Mengen sind, aber natürlich Lebesguesche Nullmengen. Die hier definierten Lebesgue-Mengen in Rn sind genau die Teilmengen von Rn , die die Zerlegungseigenschaft bezüglich des äußeren Maßes .n / besitzen, vgl. Aufg. 2.2.6. Dementsprechend sind die Lebesgueschen Nullmengen genau die Teilmengen N von Rn mit .n / .N / D 0, vgl. Satz 2.2.5. }

Aufgaben Aufgabe 2.2.1 Man führe die in Bemerkung 2.2.2 angedeutete Konstruktion von n durch, bei der n zunächst als Prämaß auf dem Ring F n der Teilmengen von Rn eingeführt wird, die endliche Vereinigungen von nach rechts halboffenen Quadern sind. Aufgabe 2.2.2 Sei W Bn ! RC ein translationsinvariantes Maß mit .E n / < 1. Man beweise die im Beweis von 2.2.3 benutzte Aussage, dass .R/ D 0 ist für R WD E n  n Œ0; 1Œ . ( ist  -endlich, und die Mengen .a; : : : ; a/ C R, a 2 R, sind paarweise disjunkt.) Aufgabe 2.2.3 Zu n 2 N und " > 0 gibt es ein Kompaktum K  Œ0; 1n  Qn mit n .K/  1  ".

44

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Aufgabe 2.2.4 (Regularität des Borel-Lebesgue-Maßes) M sei eine Borel-Menge im Rn . a) Zu jedem " > 0 gibt es eine offene Menge U  Rn mit M  U und n .U  M /  ". (Man kann auf den Fall reduzieren, dass M beschränkt und insbesondere n .M / < 1 ist, und dann 2.2.1 benutzen.) b) Zu jedem " > 0 gibt es eine abgeschlossene Menge A  Rn mit A  M und n .M  A/  ". Ist n .M / < 1, so kann A kompakt gewählt werden. (Man wende a) auf Rn  M an.) (Zu a) und b) analoge Aussagen gelten, wenn man statt n ein beliebiges lokal endliches Maß W Bn ! RC nimmt. – Sie besagen insbesondere, dass  regulär ist. Generell heißt ein Maß W B.X/ ! RC auf einem Hausdorff-Raum X regulär, wenn für jede BorelMenge M  X gilt: .M / D Inff.U / j M  U; U offen in Xg D Supf.K/ j K  M; K kompakt g.) c) Sei n .M / > 0. Dann umfasst M C .M / D fx  y j x; y 2 M g eine Umgebung von 0 in Rn . (M ist ohne Einschränkung kompakt, vgl. b). Nach a) gibt es eine offene Umgebung U von M mit n .U / < 2n .M /. Dann gibt es ein " > 0 mit B.0I "/CM  U und folglich mit M \.x CM / ¤ ; für alle x 2 B.0I "/, d. h. B.0I "/  M C.M /.) Aufgabe 2.2.5 Das Komplement einer Lebesgueschen Nullmenge des Rn ist dicht im Rn . Aufgabe 2.2.6 Sei .n / das äußere Maß von Rn zum Borel-Lebesgueschen Maß n . (Dies ist natürlich das äußere Maß zur Beschränkung von n auf den Ring F n der endlichen Vereinigung von nach rechts halboffenen Quadern.) a) Eine Teilmenge M von Rn ist genau dann eine Lebesguesche Nullmenge, wenn ihr äußeres Maß 0 ist. b) Für eine Menge M  Rn sind äquivalent: 1) M ist eine Lebesgue-Menge. 2) Zu jedem " > 0 gibt es eine offene Menge U  Rn mit M  U und .n / .U  M /  ". 2’) Zu jedem " > 0 gibt es eine Borel-Menge B  Rn mit M  B und .n / .B  M /  ". 3) Zu jedem " > 0 gibt es eine abgeschlossene Menge A  Rn mit A  M und .n / .M  A/  ". 3’) Zu jedem " > 0 gibt es eine Borel-Menge B  Rn mit d. h. es ist B  M und .n / .M  B/  ". 4) M erfüllt die Zerlegungseigenschaft,  n

n

n

n n . / .N / D . / .M \ N / C . / .R  M / \ N für alle N  R . Aufgabe 2.2.7 Eine Menge N  Rn ist bereits dann eine Borelsche (bzw. Lebesguesche) Nullmenge, wenn sie dies lokal ist, d. h. wenn es zu jedem x 2 N eine Umgebung U von x gibt derart, dass U \ N eine Borelsche (bzw. Lebesguesche) Nullmenge ist. (Vgl. auch Aufg. 1.2.7.)

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

45

1

cm ˝ B cn ¤ BmCn . (Man verwende Aufg. 1.4.6 c).) Aufgabe 2.2.8 Für m; n 2 N ist B Aufgabe 2.2.9 Sei f W Rn ! Rn eine Streckung mit dem Streckungsfaktor a2 R . Mit M  Rn ist dann auch f .M / Borel- bzw. Lebesgue-messbar, und es gilt n f .M / D jajn n .M /. Allgemeiner ist   n f .M / D ja1    an j n .M /; falls f von der Form .t1 ; : : : ; tn / 7! .a1 t1 ; : : : ; an tn / ist, .a1 ; : : : ; an / 2 .R /n . (Es genügt, die Formel für Quader zu bestätigen.) Aufgabe 2.2.10 Jede Teilmenge des Rn , deren Rand eine Borelsche Nullmenge ist, ist Lebesgue-messbar. Aufgabe 2.2.11 Aus der Tatsache, dass in einem  -endlichen Maßraum eine Familie fast disjunkter messbarer Mengen nur abzählbar viele Mitglieder mit positivem Maß enthalten kann, vgl. Aufg. 1.3.13, folgere man: a) Jede affine Hyperebene und damit jede Teilmenge einer affinen Hyperebene im Rn ist eine Lebesguesche Nullmenge. b) Sei M  Rn eine messbare Menge mit folgender Eigenschaft: Für ein festes P … M treffe jeder Strahl RC v C P , v 2 Rn  f0g, die Menge M in höchstens einem Punkt. Dann ist M eine Nullmenge. (Man betrachte die Mengen Ma , a 2 RC , die aus M durch die Streckung mit dem Streckungsfaktor a und dem Streckungszentrum P entstehen.) c) Der Rand einer konvexen Menge M ist eine Nullmenge. (Ohne Einschränkung enthalte M einen inneren Punkt P . Dann erfüllt der Rand von M bzgl. P die Voraussetzung aus b).) Man folgere, dass jede konvexe Teilmenge des Rn Lebesgue-messbar ist.

2.3

Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

Wir wollen zunächst untersuchen, wie sich das Borel-Lebesguesche Maß n bei einem linearen Automorphismus f W Rn ! Rn verhält. Da es sich dabei um einen Homöomorphismus handelt, induziert f nach 1.2.11 eine bijektive Menge der Borel  Abbildung der Bn wird dann ein Maß / für M 2 Mengen des Rn auf sich. Durch .M/ WD n f .M      W Bn ! RC definiert, das wegen n f .x C M / D n f .x/ C f .M / D n f .M / ist. Nach 2.2.4 hat es daher die Form  D n .f / n , wobei wie n translationsinvariant  n n n  .f / WD .E / D  f .E n / das Volumen des Parallelotops f .E n / D Q.0I x1 ; : : : ; xn / WD f˛1 x1 C    C ˛n xn j .˛1 ; : : : ; ˛n / 2 Œ0; 1ng

46

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

ist, dessen Kantenvektoren die Bilder x1 WD f .e1 / ; : : : ; xn D f .en / der Standardbasis des   Rn sind. Wie aus der linearen Algebra bekannt ist, gilt n f .E n / D jDet f j n .E n / D jDet f j. Damit ist bewiesen: Satz 2.3.1 Sei f W Rn ! Rn ein linearer Automorphismus des Rn . Für jede Borel-Menge M  Rn gilt dann   n f .M / D jDet f j  n .M /: Die Borel-Lebesgue-Maße lassen sich auf endlichdimensionale reelle Vektorräume oder allgemeiner auf endlichdimensionale reelle affine Räume übertragen. Sei E ein reeller affiner Raum der Dimension n. Dann gibt es einen affinen Isomorphismus F W Rn ! E. Dieser ist ein Homöomorphismus und induziert somit eine bijektive Abbildung von Bn auf die Menge B.E/ der Borel-Mengen von E. Für a 2 RC heißt das zugehörige Bild n n 1 maß F .a /W M 7! a F .M / , M 2 B.E/, ein Borel-Lebesgue-Maß auf E. Nach Satz 2.2.3 sind die Borel-Lebesgue-Maße auf E genau die lokal endlichen translationsinvarianten Maße ¤ 0, d. h. die translationsinvarianten Maße ¤ 0, die für beschränkte Mengen einen endlichen Wert haben. Ein solches Borel-Lebesgue-Maß  ist eindeutig bestimmt durch seinen Wert auf einem einzigen Parallelotop Q.OI v1 ; : : : ; vn /, wo OI v1 ; : : : ; vn ein affines Koordinatensystem von E ist. Die Wahl des Ursprungs O hat dabei keinen Einfluss auf . Für v D .v1 ; : : : ; vn / bezeichnen wir mit v das eindeutig bestimmte Borel-Lebesgue-Maß auf E mit   v Q.OI v/ D 1: Ist v0 D .v10 ; : : : ; vn0 / eine weitere Basis des R-Vektorraums V der Translationen von E Pn 0 und ist B D .bij / 2 GLn .R/ die zugehörige Übergangsmatrix mit vj D i D1 bij vi , 0 j D 1; : : : ; n, so wird der Automorphismus f von V , der jeweils vj auf vj abbildet, in der Basis .v10 ; : : : ; vn0 / durch B beschrieben, und nach Satz 2.3.1 ist        v0 Q.OI v/ D v0 f Q.OI v0 / D jDet f j  v0 Q.OI v0 / D jDet Bj: Also gilt v0 D jDet Bj  v : Wir haben insbesondere gezeigt: Satz 2.3.2 Zwei Basen v und v0 des Raums V D V.E/ der Translationen eines endlichdimensionalen reellen affinen Raumes E definieren genau dann dasselbe Borel-LebesgueMaß auf E, wenn der Betrag der Determinante ihrer Übergangsmatrix gleich 1 ist. Für affine Räume liefert Satz 2.3.1 wegen der Translationsinvarianz der Borel-Lebesgue-Maße:

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

47

Satz 2.3.3 Ist  ein Borel-Lebesgue-Maß auf dem endlichdimensionalen reellen affinen Raum E und ist f W E ! E eine bijektive affine Abbildung, so ist    f .M / D jDet f0 j  .M / für jede Borel-Menge M  E, wobei f0 der lineare Anteil von f ist. Insbesondere ist f genau dann maßtreu, wenn jDet f0 j D 1 ist. Satz 2.3.1 erlaubt es auch, jeder Determinantenfunktion auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum V ein Borel-Lebesgue-Maß auf V zuzuordnen. Sei dazu n WD DimR V und W V n ! R eine Determinantenfunktion ¤ 0. Dann ist j j dasjenige BorelLebesgue-Maß auf V , das einem und damit jedem Parallelotop mit linear unabhängigen Kantenvektoren v D .v1 ; : : : ; vn / 2 V n das Volumen   j j Q.xI v1 ; : : : ; vn / WD j .v1 ; : : : ; vn /j D j .v/j zuordnet. In der Tat wird dadurch unabhängig von den speziell ausgewählten linear unabhängigen Kantenvektoren v D .v1 ; : : : ; vn / das Borel-Lebesgue-Maß j j D j .v/j  v auf V bestimmt. Für die triviale Determinantenfunktion 0 definieren wir noch j0j als das Nullmaß. Dann gilt offenbar ja j D jaj j j für alle a 2 R und alle Determinantenfunktionen W V n ! R. Es ist sehr zweckmäßig, den Begriff der Borel-Lebesgue-Maße auf V so zu erweitern, dass diese einen 1-dimensionalen R-Vektorraum bilden, der zum Raum D.V / der Determinantenfunktionen V n ! R isomorph ist. Dazu betrachten wir neben den bis jetzt eingeführten positiven Borel-Lebesgue-Maßen B.V / ! RC allgemeiner solche Funktionen W B.V / ! R, die  -additiv und translationsinvariant sind und die auf jeder beschränkten Menge einen endlichen Wert annehmen. Es sind dies genau die reellen Vielfachen a, wobei  ein positives Borel-Lebesgue-Maß ¤ 0 im bisherigen Sinne ist. Beweis Nach Korollar 2.2.4 genügt es zu zeigen, dass alle Werte von  kleiner-gleich 0 sind, wenn es ein A 2 B.V / mit .A/ < 0 gibt. Angenommen, es sei .A/ < 0 und .B/ > 0 für A; B 2 B.V /. Wir können annehmen, dass A und B beschränkt sind. Es gibt Folgen .xi / ; .yj / in V derart, dass alle Mengen xi C A sowie yj C B paarweise disjunkt sind, und die Familie .xi C A/ .D .A//, i 2 N, .yj C B/ .D .B//, j 2 N, ist auch im uneigentlichen Sinne nicht summierbar im Widerspruch zur  -Additivität von .  Die in diesem Sinne verallgemeinerten Borel-Lebesgue-Maße bilden also wie D.V / einen 1-dimensionalen R-Vektorraum M.V /. Für jedes  2 M.V / ist dann A 7! j.A/j ein positives Borel-Lebesgue-Maß jjW B.V / ! RC . Es gibt genau zwei R-Isomorphismen oW D.V / ! M.V / mit jo. /j D j j für alle Determinantenfunktionen 2 D.V /. Ist ¤ 0 eine Determinantenfunktion auf V , so ist notwendigerweise o. / gleich j j oder

48

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

j j. Die Wahl eines dieser beiden Isomorphismen ist äquivalent mit der Wahl einer Orientierung auf V . Da nämlich M.V / in kanonischer Weise durch die positiven BorelLebesgue-Maße orientiert ist, wird durch o eine Orientierung auf D.V / und damit auf V übertragen. Diese Orientierung wird genau dann von der Basis v von V repräsentiert, wenn für die zugehörige Determinantenfunktion v gilt o. v / D j v j D v : Die Angabe einer Determinantenfunktion ¤ 0 von V ist also äquivalent zur Angabe eines positiven Borel-Lebesgue-Maßes auf V (nämlich j j) und einer Orientierung auf V (nämlich der durch bestimmten Orientierung). Ist eine Orientierung o auf V vorgegeben, so bezeichnen wir das einer Determinantenfunktion 2 D.V / zugeordnete nicht notwendig positive Borel-Lebesgue-Maß o. / auf V ebenfalls mit , falls keine Missverständnisse zu befürchten sind. Ist .v1 ; : : : ; vn / eine Basis von V , so ist .v1 ; : : : ; vn / das Volumen eines jeden Parallelotops mit den Kantenvektoren v1 ; : : : ; vn , falls .v1 ; : : : ; vn / die gegebene Orientierung repräsentiert. Andernfalls ist .v1 ; : : : ; vn / das Negative dieses Volumens. Beispiel 2.3.4 Sei E ein euklidischer affiner Raum über dem euklidischen Vektorraum V mit dem Skalarprodukt h; i. Da die Übergangsmatrix zweier Orthonormalbasen von V eine Orthogonalmatrix und folglich der Betrag ihrer Determinante gleich 1 ist, definieren alle Orthonormalbasen v von V dasselbe Borel-Lebesgue-Maß E D v auf E. Es heißt das kanonische Borel-Lebesgue-Maß auf E und ist dadurch charakterisiert, dass die Würfel Q.OI v1 ; : : : ; vn / für kartesische Koordinatensysteme OI v1 ; : : : ; vn von E alle das Maß 1 haben. } Satz 2.3.5 Seien x1 ; : : : ; xn beliebige Vektoren in V und E das kanonische Borel-Lebesgue-Maß auf E. Dann ist für jeden Punkt O 2 E ˇ ˇhx1 ; x1 i  ˇˇ :  E Q.OI x1 ; : : : ; xn / D ˇ :: ˇ ˇhx ; x i n 1

 :: : 

ˇ1=2 hx1 ; xn iˇˇ :: ˇ : ˇˇ : hx ; x iˇ n

n

Unser Anschauungsraum E ist ein dreidimensionaler euklidischer affiner Raum. Er trägt das kanonische Volumenmaß E . Entsprechend trägt jede affine Ebene darin das kanonische Flächenmaß und jede Gerade das kanonische Längenmaß. Da der lineare Anteil einer Isometrie eines euklidischen affinen Raumes die Determinante ˙1 hat (oder da Isometrien Kugeln in Kugeln mit demselben Radius überführen), ergibt sich sofort: Satz 2.3.6 Isometrien, d. h. längentreue Abbildungen euklidischer affiner Räume, sind auch volumentreu. }

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

49

Abb. 2.3 Die Mengen M und M.t /

Es ist im Allgemeinen schwierig, für eine beliebige Borel-Menge M  Rn deren Borel-Lebesgue-Maß n .M / zu bestimmen. Für Mengen im R2 ist der Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung eine Hilfe. Wir wollen diesen hier etwas verallgemeinern. Es handelt sich um Spezialfälle des sehr viel allgemeineren Satzes von Cavalieri, vgl. 4.3.2. Seien I  R ein Intervall, X D .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und M  I  X eine messbare Menge. Für jedes t 2 I betrachten wir die Menge (siehe Abb. 2.3) M.t/ WD fx 2 X j .t; x/ 2 M g  X: M.t/ ist für jedes t 2 I eine messbare Menge in X, vgl. Aufg. 1.4.6. Folgende Bedingungen seien erfüllt:   (1) Für jedes t 2 I ist  M.t/ < 1. (2) Zu jedem t0 2 I und jedem " > 0 gibt es ein ı > 0 und messbare Mengen M 0 ; M 00  X mit M 0  M.t/  M 00 und .M 00/  .M 0 / C " für alle t 2 I , jt  t0 j  ı.   Aus (2) folgt sofort die Stetigkeit der Funktion t 7!  M.t/ auf I . Es gilt: Satz 2.3.7 Sind a; b 2 R, a  b, die Grenzen des Intervalls I mit M  I  X, so gilt Zb . ˝ /.M / D 1

   M.t/ dt:

a

aus, Beweis Sei WD 1 ˝ . Schöpfen wir I mit einer Folge In , n 2 N, von Intervallen  so ist nach der Ausschöpfungsformel .M / D limn!1 M \ .In  X/ . Wir können daher annehmen, dass I D Œa; b   R kompakt  ist. Für t 2 I sei F .t/ WD M \ Œa; t  X . Wir habenzu zeigen, dass F .t/ < 1 ist für alle t 2 I und F eine Stammfunktion zut 7!  M.t/ . Für t1 ; t2 2 I mit t1 < t2 ist  aber F .t2 / D F .t1 / C M \ Œt1 ; t2   X . Sind M 0 und M 00 messbare Mengen in X

50

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Abb. 2.4 Die Mengen M 0 und M 00

mit M 0  M.t/  M 00 für t 2 Œt1 ; t2 , so haben wir (siehe Abb. 2.4)   Œt1 ; t2   M 0  M \ Œt1 ; t2   X  Œt1 ; t2   M 00 ; also .M 0/ 

F .t2 /  F .t1 /  .M 00 / t2  t1

(falls F .t1 / und .M 00/ endlich sind). Daraus ergibt sich mit der vorausgesetzten obigen Bedingung (2) sofort, dass F .t/ < 1 ist für alle t 2 I und überdies F 0 .t/ D  M.t/ gilt.  Ist im soeben bewiesenen Satz 2.3.7 das Intervall I D Œa; b kompakt   mit der Länge 1 h WD b  a und bezeichnet man  M.a/ ,  M. 2 .a C b/ bzw.  M.b/ der Reihe nach mit F0 ; Fh=2 ; Fh , so ergibt die Simpson-Regel die Näherung h .F0 C 4Fh=2 C Fh /; 6   wobei diese Näherung exakt ist, wenn t 7!  M.t/ eine Polynomfunktion vom Grade  3 ist. Man nennt diese Regel die Keplersche Fassregel: Sie approximiert das Volumen V eines Fasses mit Hilfe der Höhe h, des Bodens F0 , des Deckels Fh und der Mittelfläche Fh=2 des Fasses, siehe Abb. 2.5. Es ist eines der Hauptanliegen der Integrationstheorie, den Integralbegriff so zu erweitern, dass die Formel in 2.3.7 ohne jede weitere Voraussetzung über die messbare Menge M  I X gilt. Dies geschieht im übernächsten Kapitel. Man vergleiche dazu den bereits zitierten Satz von Cavalieri 4.3.2. V D .1 ˝ /.M / 

Beispiel 2.3.8 (Kugelvolumen  Sphärenvolumen) Wir wollen 2.3.7 benutzen, um die n Volumina der Einheitskugeln B WD B.0I 1/ D fx 2 Rn j kxk  1g im Rn zu bestim-

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

51

Abb. 2.5 Keplersche Fassregel

Abb. 2.6 Berechnung des Kugelvolumens

men.3 Dabei ist kk die euklidische Standardnorm. Wir setzen !n WD n .B n /: Das Volumen einer Kugel mit dem Radius r ist dann !n r n . (Warum? Vgl. auch Aufg. 2.2.9.) Es ist !1 D 2 und !2 D . Für n D 3 ergibt die Keplersche Fassregel (vgl. das vorhergehende Beispiel) die Gleichung  2 4 0 C 4!2 C 0 D  6 3    von Archimedes, da die Fläche 2 ftg  R2 \ B 3 D .1  t 2 /, 1  t  1, ein Polynom vom Grad 2 . 3/ in t ist (siehe Abb. 2.6). Entfernt man aus der Kugel B.0I r/  R3 einen zentralen zylindrischen p Kern vom Radius  r, so erhält man einen „Armreif“ der Breite b.D h/ D 2 r 2  2 . Sein Volumen hat, wiederum nach der Keplerschen Fassregel, den Wert b  .0 C 4.r 2  2 / C 0/=6 D b 3 =6. Es ist vielleicht bemerkenswert, dass dieser Wert nur von b abhängt, also stets gleich dem Volumen einer Kugel mit Durchmesser b ist. 2.3.7 liefert allgemein für n 2 N die Rekursion !3 D

Z1 !nC1 D 1 3

Z 1 p  n p n  2  B 0I 1  t 1  t 2 dt; dt D !n n

1

Dieses Beispiel findet sich auch im Band Analysis einer Veränderlichen [11], Beispiel 3.3.4.

52

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

also !n D 2n c1    cn mit Z1 Z=2 k1 1 p 1  t2 dt D sink t dt ck WD 2 1 0 ! 8  1 2m ˆ ˆ ˆ  ; falls k D 2m gerade; ˆ < 2 4m m , ! D ˆ ˆ 2m 4m ˆ ˆ ; falls k D 2m C 1 ungerade: : 2m C 1 m Die Zwischenschritte dieser Rechnung finden sich im Band Analysis einer Veränderlichen [11], Beispiel 3.2.6 (4). Es folgt 8 2mC1  m ˆ < ; falls n D 2m C 1 ungerade;  3    .2m C 1/ !n D 1 m ˆ : ; falls n D 2m gerade: mŠ Mit der -Funktion erhält man (siehe Band Analysis einer Veränderlichen [11], Satz 3.5.1) für alle n 2 N die leicht merkbare Formel !n D

 n=2  n=2 1  2e n=2 n D : p .n=2/Š n n

2 C1

Zur asymptotischen Darstellung für n ! 1 wurde die Stirlingsche Formel benutzt:  n n p nŠ  2 n für n ! 1: e !n konvergiert somit für n ! 1 rapide gegen 0; noch extremer gilt dies für den Quotienten !n =2n aus dem Volumen der Einheitskugel B n D B.0I 1/ und dem Volumen des umschließenden Würfels Œ1; 1n . Mit wachsender Dimension füllen die Kugeln den Raum also immer schlechter aus. (Für welches x0 2 RC hat die Funktion x 7!  x =xŠ ihr Maximum und wie groß ist dieses?) Akzeptiert man (oder betrachtet es als Definition), dass das Volumen !n ..r C r/n  r n / der Kugelschale B.0I r C r/  B.0I r/  Rn , dividiert durch deren Dicke r > 0, für r ! 0 gegen das Volumen der .n  1/-dimensionalen euklidischen Sphäre S.0I r/  Rn konvergiert, so erhält man für dieses die Formel   !n .r C r/n  r n D ˝n1 r n1 lim r!0C r ı mit ˝n1 WD n!n D 2 n=2 .n=2/; n  2: p Der Quotient ˝n =!n D .n C 1/!nC1 =!n D 2.n C 1/cnC1  2 n, der für n D 1 (wenn man will, definitionsgemäß) gleich  ist, wächst somit für n ! 1 über alle Grenzen. Für } gerades n ist ˝n =!n 2 Q, z. B. ˝2 D 4!2 D 4.

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

53

Abb. 2.7 Approximation der Menge M mit Grundwürfeln

Beispiel 2.3.9 (Gaußsche Volumenformeln) Für eine positive reelle Zahl ı bezeichne

.ı/ das Gitter ıZn D Zıe1 C    C Zıen der Punkte .ıa1 ; : : : ; ıan / mit a1 ; : : : ; an 2 Z. Ein Würfel der Form Œıa1 ; ı.a1 C 1/      Œıan ; ı.an C 1/ heißt ein Grundwürfel des Gitters .ı/. Er besitzt das Volumen ı n . Sei nun M eine beschränkte Teilmenge des Rn , n  1. Mit Aı D Aı .M / bzw. Bı D Bı .M / bezeichnen wir die Anzahl der Grundwürfel von .ı/, die ganz in M liegen bzw. mit M wenigstens einen Punkt gemeinsam haben, und mit Nı D Nı .M / die Anzahl der Punkte in M \ .ı/. Offenbar ist Aı  Nı  Bı . M heißt Jordan-messbar (oder auch Riemann-messbar) , wenn limı!0 ı n .Bı  Aı / D 0, d. h. Bı D Aı C o.ı n / für ı ! 0 gilt. Sind Pı und Qı die Vereinigungen der Würfel, die durch Aı bzw. Bı gezählt werden (siehe Abb. 2.7), so ist eine Jordan-messbare Menge M in der Vereinigung S m2N

P1=m [

T m2N

.Q1=m  P1=m /

S enthalten und unterscheidet sich von der Borel-Menge P1=m nur um eine Lebesguesche Nullmenge. Jede Jordan-messbare Menge ist somit Lebesgue-messbar. Die Umkehrung gilt in der Regel nicht. Beispielsweise ist die beschränkte Lebesgue-Menge M WD Q \ 0; 1Œ  R nicht Jordan-messbar wegen A1=m .M / D 0 und B1=m .M / D m, d. h. limm!1 m1 .B1=m  A1=m / D 1. Stets gilt Pı  M  Qı und somit ı n Aı  n .M /  ı n Bı für eine Lebesgue-messbare Menge M  Rn . Ist M sogar Jordan-messbar, so folgt n .M / D lim ı n Aı D lim ı n Nı D lim ı n Bı : ı!0

ı!0

ı!0

Dies sind die sogenannten Gaußschen Volumenformeln. Falls n .M / ¤ 0 ist, erhält man daraus für ı ! 0 die asymptotische Beziehung Aı  Nı  Bı 

n .M / : ın

}

54

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Jeder Grundwürfel in .ı/, der eine beschränkte Menge M  Rn trifft, aber nicht ganz in M liegt, hat einen Punkt mit Rd M gemeinsam. Somit ist Bı .M /  Aı .M /  Bı .Rd M /. Es folgt: 2.3.10 Sei M  Rn eine beschränkte Menge, deren Rand Rd M Jordan-messbar ist mit n .Rd M / D 0. Dann ist M selbst Jordan-messbar. Beweis Es ist 0 D n .Rd M / D limı!0 ı n Bı .Rd M /, also wegen obiger Ungleichung  erst recht lim ı n Bı .M /  Aı .M / D 0. Übrigens gilt auch die Umkehrung von 2.3.10, vgl. Aufg. 2.3.9. Im nächsten Satz benutzen wir den Begriff der C1 -Hyperfläche im Rn , den wir hier kurz wiederholen. Eine C1 -Hyperfläche im Rn ist eine Teilmenge X  Rn mit folgender Eigenschaft: Ist a D .a1 ; : : : ; an / 2 X, so gibt es ein j 2 f1; : : : ; ng, offene Umgebungen U1 von .a1 ; : : : ; aj 1 ; aj C1 ; : : : ; an / 2 Rn1 und U2 von aj 2 R, sowie eine C1 -Funktion hW U1 ! U2 derart, dass X \ .U1  U2 / gleich dem Graphen ˚ ˇ  t1 ; : : : ; tj 1 ; h.t1 ; : : : ; tj 1 ; tj C1 ; : : : ; tn /; tj C1 ; : : : ; tn ˇ .t1 ; : : : ; tj 1 ; tj C1 ; : : : ; tn / 2 U1 von h ist. Ist f W G ! R eine C1 -Funktion auf der offenen Menge G  Rn und b 2 R ein regulärer Wert von f , so ist die Faser f 1 .b/ eine C1 -Hyperfläche. Satz 2.3.11 Es sei M  Rn , n  1, eine beschränkte Menge. Ihr topologischer Rand Rd M lasse sich überdecken durch endlich viele kompakte Teilmengen von C1 -Hyperflächen. Dann ist Rd M eine Jordan-messbare Nullmenge und somit M Jordan-messbar. Genauer ist Bı .Rd M / D O.1=ı n1 / und insbesondere Nı .M / D

 1  n .M / ; C O ın ı n1

d. h. n .M / D ı n Nı .M / C O.ı/ für ı ! 0. Beweis Um Bı .Rd M / D O.1=ı n1 / zu beweisen, genügt es zu zeigen, dass für den Graphen H D ftn D h.t1 ; : : : ; tn1 /g einer Funktion hW K ! R, die die Beschränkung einer C1 -Funktion auf eine offene Umgebung U des kompakten Quaders K in Rn1 ist, die Abschätzung Bı .H / D O.1=ı n1 / gilt. Ein Grundwürfel Œıa1 ; ı.a1 C 1/      Œıan ; ı.an C 1/ von .ı/ trifft den Graphen H genau dann, wenn das  Intervall Œıan ; ı.an C 1/ einen Punkt mitdem Bildintervall der „Grundfläche“ K \ Œıa1 ; ı.a1 C 1/      Œıan1 ; ı.an1 C 1/ unter der Funktion h gemeinsam hat. Für zwei Punkte h.a/ und h.a0 / dieses Bildintervalls gilt nach der Taylor-Formel mit einem  2 Œ0; 1   jh.a/  h.a0 /j D jh a  a0 ; grad h a C .a0  a/ i j  ka  a0 k kgrad hkK  C ı

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

55

p mit der Konstanten C WD n  1 kgrad hkK 2 RC . Folglich gibt es zu einer festen Grundfläche nur höchstens ŒC  C 1 Intervalle der Form Œıan ; ı.an C 1/, die dieses Bildintervall treffen, und damit auch höchstens ebenso viele Grundwürfel in .ı/ mit dieser Grundfläche, die H treffen. Da K beschränkt ist, ist die Anzahl der möglichen Grundflächen gleich O.1=ı n1 / und insgesamt Bı .H / D O.1=ı n1 /. Wegen limı!0 ı n Bı .Rd M / D 0 und Aı .Rd M /  Bı .Rd M / ist Rd M eine Jordanmessbare Nullmenge und somit  M nach 2.3.10Jordan-messbar. Schließlich ergibt sich ı n Bı .M /  Aı .M / D O.ı/ und daher wegen Aı  Nı  Bı und ı n Aı  n .M /  ı n Bı auch n .M / D ı n Nı C O.ı/, sowie Nı D n .M /=ı n C O.1=ı n1 / für ı ! 0.  Sind d1 ; : : : ; dn 2 RC , n  1, und ist M  Rn das Simplex mit den Ecken 0; d1 e1 ; : : : ; dn en und dem Volumen n .M / D d1    dn =nŠ, so erhalten wir: Für die Anzahl Nı , ı 2 RC , der Punkte .a1 ; : : : ; an / 2 N n mit a1 =d1 C    C an =dn  1=ı gilt Nı D

 1  d1    dn C O nŠ ı n ı n1

und insbesondere Nı 

d1    dn nŠ ı n

für ı ! 0:

Für paarweise teilerfremde natürliche Zahlen q1 ; : : : ; qn > 1 (z. B. für paarweise verschiedene Primzahlen) erhält man daraus: Ist x 2 RC und bezeichnet N.q1 ; : : : ; qn I x/ die Anzahl der m 2 N mit m  x, die eine Darstellung m D q1a1    qnan , a1 ; : : : ; an 2 N, besitzen, für die also ln m D a1 ln q1 C    C an ln qn  ln x ist, so gilt N.q1 ; : : : ; qn I x/ 

.ln x/n Qn nŠ i D1 ln qi

für x ! 1:

Daraus folgt insbesondere, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.4 Sei n 2 N und M  Rn eine beschränkte Jordan-messbare Menge. Wir wollen der Gaußschen Volumenformel n .M / D lim ı n Nı .M / ı!0

für n  2 noch eine andere Gestalt geben. Sei dazu x D .ıa1 ; : : : ; ıan / ¤ 0 ein Punkt ¤ 0 des Gitters .ı/. x heiße sichtbar (von 0 aus), wenn die Strecke Œ0; x außer den Endpunkten keine weiteren Punkte des Gitters .ı/ enthält. Dies ist genau dann der Fall, wenn der größte gemeinsame Teiler der a1 ; : : : ; an gleich 1 ist. Die Anzahl der sichtbaren ˇ ˇ˚ ˇ Dies folgt schon aus N.q1 ; : : : ; qn I x/  ˇ .a1 ; : : : ; an / 2 N n ˇ a1 C    C an  ln x= ln 2 ˇ D  n   Œln x= ln 2Cn  Œln x= ln 2 C 1 D O .ln x/n . – Für die Anzahlen N.q1 ; : : : ; qn I x/ findet man n eine feinere Abschätzung bei M. Rubinstein in Am. Math. Monthly 100, 388–392 (1993).

4

56

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Punkte von .ı/, die in M liegen, sei Sı .M / und die Anzahl aller von 0 verschiedenen Punkte von .ı/, die in M liegen, sei Nı0 .M /. Dann unterscheidet sich Nı0 .M / von Nı .M / um höchstens 1, und es gilt X

Nı0 .M / D

Sd ı .M /:

d 2N

P 0 .M / D d 2N Smd ı .M /. Die Umkehrformel aus dem Band Für m 2 N ist also Nmı Grundkonzepte der Mathematik [10], Aufgabe 3.7.9, liefert Sı .M / D

X

0 .m/Nmı .M /:

m2N

Dabei ist  die Möbius-Funktion mit .m/ WD .1/r , falls m keine mehrfachen Primfaktoren besitzt und r die Anzahl der Primfaktoren von m ist, und .m/ WD 0 sonst. Für P1 P n n die Zeta-Funktion .n/ D 1 mD1 1=m gilt mD1 .m/=m D 1=.n/, siehe Aufgabe 3.7.8 d) aus dem Band Grundkonzepte der Mathematik [10]. Es folgt ı n Sı .M / 

1 X  .m/  n .M / 0 .M /  n .M / : .mı/n Nmı D n .n/ m mD1

ˇ .m/  ˇ c 0 .M /  n .M / ˇ  n mit einer von ı und m unabhängigen .mı/n Nmı Wegen ˇ n m m  n .M /  n Konstanten c ergibt sich lim ı Sı .M /  D 0. Damit haben wir bewiesen: ı!0 .n/ Satz 2.3.12 Das Volumen einer beschränkten Jordan-messbaren Menge M  Rn , n  2, ist n .M / D .n/ lim ı n Sı .M /; ı!0

wo Sı .M / die Anzahl der sichtbaren Punkte des Gitters .ı/ ist, die in M liegen. Als Beispiel erhält man die folgende Aussage: Korollar 2.3.13 Sei n  2 und sei Vn .m/ die Anzahl der n-Tupel teilerfremder positiver natürlicher Zahlen  m 2 N . Dann ist lim

m!1

Vn .m/ 1 D : n m .n/

Beweis Man wendet 2.3.12 auf M WD0; 1n an und lässt ı die Folge 1=m, m 2 N , durchlaufen. 

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

57

2.3.13 lässt sich etwas ungenau in folgender Weise formulieren: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Komponenten eines n-Tupels .n  2/ positiver natürlicher Zahlen teilerfremd sind, ist gleich 1=.n/, bei n D 2 also gleich 6= 2 . – Eine weitere Interpretation von 2.3.13 ist die folgende: Ein Punkt x im projektiven Raum P n .Q/ über den rationalen Zahlen lässt sich bis auf das Vorzeichen eindeutig durch ein .n C 1/-Tupel .x0 ; : : : ; xn / 2 ZnC1  f0g teilerfremder ganzer Zahlen repräsentieren, so dass seine Höhe   H.x/ WD Max jx0 j; : : : ; jxn j 2 N

  wohldefiniert ist. Sei wm P n .Q/ die Anzahl der Punkte in P n .Q/ mit einer Höhe  m 2 N . Da die Punkte auf den Koordinatenhyperebenen asymptotisch keine Rolle spielen, ergibt 2.3.13: Für m ! 1 und n  1 ist   wm P n .Q/ 

2n  mnC1 : .n C 1/

Das Gitter .1/ D Zn ist eine Untergruppe von .Rn ; C/ und der halboffene Würfel E D Œ0; 1Œn ein volles Repräsentantensystem für die Restklassen von Rn =Zn . Jedes x 2 Rn lässt sich eindeutig in der Form x D xZ C xE schreiben mit xE 2 E und xZ 2 Zn . Die kanonische Projektion W Rn ! Rn =Zn liefert die hier ebenfalls mit  bezeichnete Abbildung W Rn ! E mit .x/ D xE . Mit diesen Bezeichnungen formulieren wir zunächst eine Hilfsaussage. 2.3.14 Lemma von Blichfeldt Sei M  Rn eine Borel-Menge. Dann gilt: (1) Ist jM (2) Ist jM (3) Ist jM (4) Ist jM

injektiv, so ist n .M /  1. surjektiv, so ist n .M /  1. bijektiv, so ist n .M / D 1. injektiv und ist M kompakt, so ist n .M / < 1.

sein kann. Beweis (1) Sei n .M / > 1. Wir zeigen, dass jM  dann nicht injektiv  U U n Wegen R D z2Zn .z C E/ ist M D z2Zn M \ .z C E/ eine Zerlegung von M in paarweise disjunkte Borel-Mengen, und die Translationsinvarianz von n liefert 1 < n .M / D

X z2Zn

X      n M \ .z C E/ D n z C M \ .z C E/ : z2Zn

  Da die Mengen z C M \.z CE/ , z 2 Zn , alle in E liegen, können sie wegen n .E/ D 1 nicht paarweise disjunkt sein. Es gibt daher x 2 E und z1 ; z2 2 Zn mit z1 ¤ z2 und x Cz1 2 M \.z1 CE/ sowie x Cz2 2 M \.z2 CE/. Dafür ist .x Cz1 / D x D .x Cz2/ und x C z1 ¤ x C z2 , d. h. jM ist nicht injektiv. – Zum Beweis von (2) verweisen wir auf Aufg. 2.3.10. (3) folgt aus (1) und (2).

58

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

(4) Ist nun M kompakt mit n .M / D 1, so nimmt die Funktion x 7! kxk in einem Punkt a 2 M ihr globales Maximum an. Dann sind die Mengen Mm WD M [ B.aI 1=m/, m 2 N , kompakt und es gilt Mm # M sowie n .Mm / > n .M / D 1. Nach (1) gibt es xm ; ym 2 Mm mit xm ¤ ym und .xm / D .ym /, d. h. xm  ym 2 Zm  f0g. Nach Übergang zu einer Teilfolge können wir annehmen, dass die Folgen .xm / und .ym / konvergieren mit Grenzwerten x bzw. y. Da die Mm kompakt sind und Mm # M gilt, folgt x; y 2 M . Ferner konvergiert zm WD xm ym dann gegen z WD xy. Wegen zm 2 Zn f0g für alle m liegt z ebenfalls in der abgeschlossenen Menge Zn  f0g. Daher ist x ¤ y und .x/ D .y/, d. h. jM kann nicht injektiv sein.  Wir nennen eine Menge M  Rn zum Nullpunkt symmetrisch, wenn sie mit x stets auch x enthält. Für solche Mengen können wir nun leicht zeigen: 2.3.15 Gitterpunktsatz von Minkowski Sei M  Rn eine konvexe, zum Nullpunkt symmetrische Borel-Menge mit dem Volumen n .M / > 2n . Dann enthält M einen von 0 verschiedenen Punkt des Gitters Zn . – Ist M kompakt, so gilt dies bereits dann, wenn die Voraussetzung über das Volumen von M durch die schwächere Bedingung n .M /  2n ersetzt wird. Beweis Bezeichnet  W Rn ! Rn die durch  .x/ WD 12 x definierte Streckung, so gilt   n  .M / D jDet  j n .M / D n .M /=2n : Ferner ist  .M / kompakt, falls M dies ist. In beiden betrachteten Fällen kann j .M / n nach 2.3.14 dann nicht injektiv sein. Es gibt also x; y 2  .M / mit x  y 2  Z  f0g. Nun  1 gilt 2x; 2y 2 M , also 2y 2 M wegen der Symmetrie, sowie x  y D 2 2x C .2y/ 2 M wegen der Konvexität von M .  Ist in der Situation von 2.3.15 ein beliebiges volles Gitter in Rn mit Gitterbasis x1 ; : : : ; xn und Grundmaschenvolumen . / WD n .Q.0I x1 ; : : : ; xn // D j e .x1 ; : : : ; xn /j, so enthält M einen Punkt aus  f0g, wenn n .M / > 2n . / bzw. n .M /  2n . / ist. Der Gitterpunktsatz von Minkowski ist ein wichtiges Hilfsmittel, um Aussagen der Zahlentheorie mit Hilfe geometrischer Überlegungen zu gewinnen (Geometrie der Zahlen). Als typisches Beispiel zeigen wir den berühmten Vier-Quadrate-Satz von Lagrange: Jede natürliche Zahl ist Summe von vier Quadratzahlen.5 Beweis Wir benutzen die Algebra H.Z/ D Z4  H D H.R3 / D R4 der ganzzahligen Quaternionen q D q0 Cq1 iCq2 jCq3 k, q0 ; q1 ; q2 ; q3 2 Z. Mit der konjugierten Quaternion q D q0  q1 i  q2 j  q3 k ist qq D qq D kqk2 D q02 C q12 C q22 C q32 . Ferner ist pq D q p 5

Vgl. dazu Aufgabe 2.10.28 im Band Grundkonzepte der Mathematik [10].

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

59

und insbesondere kpqk2 D kpk2 kqk2 für beliebige p; q 2 H. Wegen 2 D 12 C 12 C 02 C 02 genügt es also zu zeigen: Jede Primzahl ` > 2 ist Summe von vier Quadraten. Wir rechnen modulo `. Für K` WD Z=Z` betrachten wir die 4-dimensionale K` -Algebra H.Z/=`H.Z/ D H.K` / D K4` mit der kanonischen Projektion H.Z/ ! H.K` /. In K` gibt es .` C 1/=2 Quadrate x 2 und .` C 1/=2 Elemente der Form y 2  1, also Elemente x; y mit 1 C x 2 C y 2 D 0. Für q WD 1 C xi C yj ist somit qq D 0 in H.K` /. Das Bild qH.K` / der Linksmultiplikation q mit q in H.K` / ist mindestens 2-dimensional und wegen q H.K` /  Kernq auch höchstens 2-dimensional.6 Das Urbild von qH.K` / in H.Z/ D Z4 bzgl. der kanonischen Projektion ist also ein Untergitter  Z4 vom Index `2 , und für jedes p 2 ist kpk2 D pp durch ` teilbar, da pp D 0 ist in K` für solch ein p. Da der Grundmascheninhalt . / von gleich dem Index `2 ist und da die Kugel vom Radius .2`/1=2 in R4 nach Beispiel 2.3.8 das Volumen 4`2 !4 D 4`2  2 =2 > 24 . / D 24 `2 hat, gibt es nach dem Minkowskischen Gitterpunktsatz 2.3.15 in ein Element p ¤ 0 mit kpk2 < 2`. Dann ist aber notwendigerweise kpk2 D `, und ` ist Summe von vier Quadratzahlen.  Man beweise analog unter Benutzung der Algebra ZŒ i  D Z C Zi D Z2  C D R2 der ganzen Gaußschen Zahlen den Zwei-Quadrate-Satz von Fermat-Euler:7 Eine Zahl n 2 N ist genau dann Summe von zwei Quadratzahlen, wenn Primzahlen 3 mod 4 stets mit einer geraden Vielfachheit in n vorkommen. Es genügt zu zeigen: Jede Primzahl ` 1 mod 4 ist Summe zweier Quadrate. Für solche ` hat die Gleichung 1 C x 2 D 0 Q Lösungen in K` , nämlich x WD ˙..`1/=2/Š 2 K` wegen x 2 D .`1/Š D t 2K t D 1 ` in K` . Beispiel 2.3.16 (Isodiametrische Ungleichung) Der Rn sei mit der Standardmetrik versehen. Wir geben in diesem Beispiel einen elementaren Beweis für die so genannte Bieberbachsche oder isodiametrische Ungleichung: Sei K  Rn eine nichtleere BorelMenge vom euklidischen Durchmesser d D Supfkx  yk j x; y 2 Kg < 1. Dann gilt   n .K/  n B.0I d=2/ D !n d n =2n : Ist K kompakt, so gilt dabei das Gleichheitszeichen nur dann, wenn K eine Kugel vom Durchmesser d ist. Abgeschlossene Kugeln (und nur diese) haben also bei gegebenem Durchmesser unter allen abgeschlossenen Mengen das größte Volumen. Beweis Ohne Einschränkung sei d > 0. Da sich der Durchmesser beim Abschluss nicht ändert, können wir annehmen, dass K abgeschlossen, also kompakt ist und überdies in der abgeschlossenen Kugel B.0I d / liegt. Alle nichtleeren kompakten Teilmengen vom Durchmesser  d dieser Kugel bilden bezüglich des Hausdorff-Abstands einen kompakten metrischen Raum, auf dem das Volumen n stetig ist, vgl. Aufg. 2.3.18. 6 7

H.K` / ist übrigens isomorph zur Matrizenalgebra M2 .K` /. Siehe Korollar 2.10.42 im Band Grundkonzepte der Mathematik [10].

60

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Abb. 2.8 Minkowski- und Steiner-Symmetrisierung

( )

Sei nun K eine kompakte Menge vom Durchmesser  d mit maximalem Volumen (und damit vom Durchmesser D d ). Wir haben zu zeigen, dass K eine Kugel ist. K ist sicherlich konvex. Beim Übergang zur konvexen Hülle ändert sich nämlich der Durchmesser nicht, das positive Volumen wird aber echt größer, wenn K nicht selbst schon konvex war (Beweis!). Wir können annehmen, dass 0 der Mittelpunkt 8 von K ist.9 Für eine Hyperebene H durch 0 bezeichne sH die orthogonale Spiegelung des Rn an H . Dass K eine Kugel ist, ist äquivalent damit, dass K unter allen diesen Spiegelungen sH invariant ist. Wir setzen n1 o 1 1 1 ˇˇ x C y ˇ x 2 K; y 2 sH .K/ : KHM WD K C sH .K/ D 2 2 2 2 KHM ist offenbar wie K kompakt und konvex und hat einen Durchmesser  d . Diese Minkowski-Symmetrisierung von K enthält als Teilmenge die sogenannte Steiner-Symmetrisierung KHS , siehe Abb. 2.8. Die Menge KHS hat definitionsgemäß dieselbe orthogonale Projektion auf H wie K und entsteht aus K dadurch, dass für jede zu H orthogonale affine Gerade g, die K trifft, das kompakte Intervall g \ K auf g so verschoben wird, dass sein Mittelpunkt in H liegt. KHS ist ebenfalls wie K kompakt und konvex und hat überdies nach dem Prinzip des Cavalieri, vgl. 4.3.2, dasselbe Volumen wie K. Da K bezüglich des Volumens maximal gewählt worden war, muss also KHM D KHS sein.10 Wir werden daraus folgern, dass sH .K/ aus K durch eine Translation orthogonal zu H hervorgeht. Da aber K und sH .K/ denselben Mittelpunkt 0 haben, kann diese Translation nur die Identität sein, d. h. es ist K D sH .K/, wie gewünscht. Sei P  H die orthogonale Projektion von K auf H , ferner sei z ein Einheitsnormalenvektor zu H , mit dessen Hilfe wir auf jeder Geraden Rz C x, x 2 P , eine Koordinate Für eine beschränkte nichtleere Menge M  Rn sei der Mittelpunkt von M hier folgendermaßen definiert: R sei das Infimum der Radien der abgeschlossenen Kugeln, die M umfassen. Dann gibt es genau einen Punkt O 2 Rn mit M  B.OI R/ (Beweis!). Diese Kugel heißt die Umkugel, O der Mittelpunkt und R der Umkugel-Radius von M . 9 Statt mit dem Mittelpunkt könnte man im Folgenden auch mit dem Schwerpunkt von K argumentieren; dieser lässt sich allerdings nicht so elementar definieren. 10 Zwei konvexe Körper im Rn (d. h. zwei konvexe kompakte Teilmengen des Rn mit nichtleerem Inneren), die ineinander enthalten sind und dasselbe positive Volumen haben, sind identisch. 8

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

61

Abb. 2.9 Die Funktionen A und B

einführen. Dann ist der Schnitt K \.Rz Cx/, x 2 P , ein Intervall ŒA.x/ ; B.x/  R. Die Funktionen A und B sind offenbar stetig auf P . Wir haben zu zeigen, dass A.x/ C B.x/ eine Konstante C ist. Dann geht nämlich sH .K/ aus K durch die Translation mit dem Vektor C z hervor. Um die Konstanz von A.x/ C B.x/ zu beweisen, können wir durch Betrachten ebener Schnitte annehmen, dass n D 2 ist. Sei H D Re1 , z D e2 und P D Œa; be1 , siehe Abb. 2.9. Für h 2 R und x 2 a; bŒ mit x  h; x C h 2 Œa; b ist  1  x; 2 B.x  h/  A.x C h/ 2 KHM D KHS : Es folgt B.x  h/  A.x C h/  B.x/  A.x/. Mit Ch .x/ WD B.x  h/ C A.x/ folgt daraus für beliebige q 2 N

  h 2h   Ch=q x C      Ch=q .x C h/; Ch=q .x/  Ch=q x C q q d. h.   h h C A.x/  B x C h  C A.x C h/: B x q q Für q ! 1 ergibt sich B.x/ C A.x/  B.x C h/ C A.x C h/, d. h. B.x/ C A.x/ ist lokal monoton wachsend und monoton fallend, also lokal konstant und damit überhaupt konstant.  Beispiel 2.3.17 (Hausdorff-Maße  Hausdorff-Dimension) Wir wollen die sogenannten Hausdorff-Maße auf Rn besprechen, die es gestatten, für komplizierte Mengen wie etwa das Cantorsche Diskontinuum, vgl. Aufg. 2.1.3, oder andere Fraktale 11 einen Di11

Der Begriff „Fraktal“ ist schillernd und seine Definition uneinheitlich. Für kompakte Mengen wird häufig die folgende Definition vorgeschlagen: Die kompakte Menge K  Rn heißt ein Fraktal, wenn ihre Hausdorff-Dimension dimH K (die wir weiter unten definieren) größer ist als ihre topologische Dimension dim K (für deren Definition wir auf Lehrbücher der Topologie verweisen). Generell gilt dimH K  dim K.

62

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

mensionsbegriff einzuführen, der diesen eine nicht-negative reelle Zahl und nicht notwendigerweise eine natürliche Zahl als Dimension zuordnet und damit die Eigenschaften dieser Mengen viel besser wiedergibt. Wir versehen dazu der Einfachheit halber Rn mit dem Standardskalarprodukt und der Standardnorm. Für M  Rn ist kM k D Supfkxyk j x; y 2 M g 2 RC der Durchmesser von M . Sei ı > 0 vorgegeben. Unter einer ı-Pflasterung von M verstehen wir eine Überdeckung von M durch abzählbar viele Teilmengen von Rn , deren Durchmesser  ı ist. Für s 2 RC definiert man nun ein äußeres Maß Hıs auf der Potenzmenge P.Rn / durch  X Hıs .M / WD Inf kUi ks ; i 2I

wobei das Infimum über alle ı-Pflasterungen Ui , i 2 I , von M zu nehmen ist. Für ı  ı 0 ist Hıs .M /  Hıs0 .M /, da jede ı-Pflasterung eine ı 0 -Pflasterung ist. Daher existiert H s .M / WD lim Hıs .M / 2 RC ; ı!0C

und die Rechenregeln für Limiten zeigen, dass auch H s ein äußeres Maß auf Rn ist, dessen Beschränkung auf die gemäß 1.4.5 konstruierte  -Algebra A folglich ein Maß H s liefert. Wir sprechen vom s-dimensionalen (äußeren) Hausdorff-Maß. Das äußere Maß H s ist metrisch, d. h. für Mengen M; M 0  Rn mit positiven Abstand ˇ ˚  d.M; M 0 / D Inf kx  x 0 k ˇ x 2 M; x 0 2 M 0 addieren sich die Maße bei Vereinigung: Bei d.M; M 0 / > 0 gilt H s .M [ M 0 / D H s .M /CH s .M 0 /. Dies folgt daraus, dass für ı < 12 d.M; M 0 / ı-Pflasterungen Ui , i 2 I , von M und Uj0 , j 2 J , von M 0 existieren mit Ui \ Uj0 D ; für i 2 I , j 2 J . Wir können nun im Anschluss an C. Carathéodory zeigen, dass alle Borel-Mengen zur  -Algebra A derjenigen Teilmengen von Rn gehören, die bezüglich H s die Zerlegungseigenschaft besitzen. Satz 2.3.18 Sei W P.Rn / ! RC ein metrisches äußeres Maß. Dann besitzt jede BorelMenge in Rn die Zerlegungseigenschaft bezüglich . Beweis Da die abgeschlossenen Mengen die  -Algebra Bn der Borel-Mengen erzeugen, genügt es zu zeigen, dass eine beliebige abgeschlossene Menge Mdie Zerlegungseigen schaft bezüglich  besitzt. Wir haben .N /  .M \ N / C  .Rn  M / \ N für beliebig vorgegebenes N  Rn zu beweisen. Setzen wir Nk WD fx 2 N j d.M; x/  k1 g für k 2 N , so ist d.M \ N; Nk /  und somit nach Voraussetzung über  und wegen .M \ N / [ Nk  N   .N /   .M \ N / [ Nk D .M \ N / C .Nk /:

1 k

>0

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

63

  Es genügt also zu zeigen, dass die Folge .Nk /, k 2 N , gegen  .Rn  M / \ N konvergiert.  Zunächst ist Nk  NkC1  N M D .Rn M /\N , also lim .Nk /   .Rn M /\  N D .N  M /, und wir können lim .Nk / < 1 annehmen (sonst gilt die Behauptung trivialerweise). Da jedes x 2 N  M von M wegen der Abgeschlossenheit von M einen S positiven Abstand von M hat und somit in einem Nk liegt, ist k Nk D N M . Zu jedem x 2 .N  M /  NkC1 gibt es ein y 2 M mit kx  yk < 1=.k C 1/. Ist nun z 2 Nk , so ist kz  yk  1=k und daher kz  xk  kz  yk  kx  yk  1=k.k C 1/. Es folgt  d .N  M /  NkC1 ; Nk  1=k.k C 1/. Setzt man noch N0 WD ; und Dk WD Nk  Nk1 für alle k 2 N , so ist DkC2  .N  M /  NkC1 , Dk  Nk und daher d.DkC2 ; Dk /  1=k.k C 1/ für k 2 N . Da  metrisch ist, hat man k X

.D2j / D 

j D1 k X

k [

 D2j  .N2k /;

j D1

.D2j 1 / D 

j D1

k [

 D2j 1  .N2k1 /  .N2k /;

j D1

P und aus lim .Nk / < 1 folgt die Konvergenz von j .Dj /, d. h. zu vorgegebenem P " > 0 gibt es ein k 2 N mit j1DkC1 .Dj /  ". Es ergibt sich 1 1   [ X .N  M / D  Nk [ Dj  .Nk / C .Dj /  lim .Nk / C " j DkC1

j DkC1

und daher .N  M /  lim .Nk /, was noch zu zeigen war.

k!1



Aus 2.3.18 folgt mit 1.4.5, dass H s , beschränkt auf die  -Algebra Bn der Borel-Mengen des Rn , ein Maß ist. Für s D 0 handelt es sich offenbar um das Zählmaß auf Rn , vgl. Beispiel 1.3.2 (1), für s D n D 1 ist H 1 einfach das Borel-Lebesgue-Maß 1 , wie sofort aus den Definitionen folgt. Allgemein ist bei s D n das Hausdorff-Maß H n ein Vielfaches des Borel-Lebesgue-Maßes n : !n Satz 2.3.19 Für n 2 N ist n D n H n auf Bn , wobei !n D  n=2 =.n=2/Š das Volumen 2 der Einheitskugel im Rn ist. Beweis Da das Hausdorff-Maß H n nach Konstruktion ein translationsinvariantes Maß ist, liefert 2.2.3 bereits die gewünschte Gleichheit, wenn für eine einzige offene Kugel B  Rn mit Radius 1=2 gezeigt werden kann H n .B/ D 1.

64

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Zunächst beweisen wir H n .B/  1, d. h. Hın .B/  1 für ein beliebiges ı > 0. Dazu wählen wir eine Folge Bj , j 2 N, paarweise disjunkter, abgeschlossener Kugeln Bj  B mit Durchmesser kBj k  ı, indem wir nach erfolgter Wahl von B 0 ; : : : ; B k für B kC1 S eine beliebige abgeschlossene Kugel nehmen, die in Dk WD B  jkD0 Bj enthalten ist, deren Durchmesser  ı aber mindestens halb so groß ist wie das Supremum der Durchmesser von abgeschlossenen Kugeln mit Durchmesser  ı, die in der offenen Menge Dk 0 liegen. Zu jeder dieser Kugeln Bj betrachten wir noch die abgeschlossene Kugel Bj , die denselben Mittelpunkt hat wie Bj und einen dreimal so großen Durchmesser. Aus der P Konstruktion der Bj folgt, dass limj !1 kBj k D 0 ist, da j n .Bj /  n .B/ < 1 ist. Wir zeigen, dass die Bj die Kugel B bis auf eine Menge vom H n -Maß 0 überdecken. Sei x 2 Dk . Dazu gibt es eine abgeschlossene Kugel K  Dk mit Mittelpunkt x und positivem Durchmesser  ı. Die Zahl m 2 N sei minimal mit m > k und kB m k < kKk=2. Nach Wahl von B m gibt es ein j0 mit m > j0 > k und Bj0 \ K ¤ ;. Wegen S 0 0 kBj0 k  kKk=2 ist dann x 2 Bj0 . Es folgt Dk  j1DkC1 Bj . 0

Sei nun k so groß gewählt, dass für alle j > k gilt kBj k  ı=3, d. h. kBj k  ı. Zu " > 0 ist 

1 [

Hın B 

1 1   [  X 0 0 Bj  Hın .Dk /  Hın Bj  Hın .Bj /

j D0

j DkC1



1 X

3n kBj kn D

j DkC1

n

6 !n

1 X

j DkC1

n .Bj /  "

j DkC1

S  P für hinreichend großes k, da j1D0 n .Bj / D n j1D0 Bj  n .B/ D !n =2n konverS giert. Es folgt Hın .B  j1D0 Bj / D 0 und somit Hın .B/ D Hın

1 [

1 1 1   [ [   X Bj [ B  Bj  Hın .Bj / C Hın B  Bj

j D0



1 X j D0

kBj kn D

j D0 1 X j D0

n

j D0

j D0

n

2 n 2 n  .Bj /   .B/ D 1: !n !n

Um umgekehrt Hın .B/  1 zu zeigen, verwenden wir die isodiametrische Ungleichung aus Beispiel 2.3.16. Zu vorgegebenem " > 0 gibt es eine ı-Pflasterung Ui , i 2 I , von P B mit i 2I kUi kn  Hın .B/ C ". Da der Durchmesser sich beim Übergang zum topologischen Abschluss nicht ändert, können wir annehmen, dass die Ui kompakt und damit Borelsch sind. Dann gilt nach der isodiametrischen Ungleichung n .Ui /  !n kUi kn =2n

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

65

und somit Hın .B/ 

X i 2I

  2n  X n 2n n kUi kn  "   .Ui /  "   .B/  " D 1  ": !n i 2I !n

Indem man " > 0 beliebig klein wählt, sieht man Hın .B/  1 und daher H n .B/  1.  Wir kehren noch einmal zum äußeren Hausdorff-Maß zurück. Für s; t 2 RC mit s < t und eine Teilmenge M von Rn mit kM k  ı gilt kM kt  ı t s kM ks . Es folgt Hıt .M /  ı t s Hıs .M /. Führt man den Grenzübergang ı ! 0 aus, so sieht man: Aus H s .M / < 1 folgt bereits H t .M / D 0 für t > s. Die Funktion s 7! H s .M / von RC in RC D RC [ f1g ist also monoton fallend und nimmt an höchstens einer Stelle einen von 0 und 1 verschiedenen Wert an. Wir definieren die Hausdorff-Dimension dimH M von M durch dimH M WD Supfs 2 RC j H s .M / D 1g D Inffs 2 RC j H s .M / D 0g: dimH M ist also die Stelle, an der das äußere Hausdorff-Maß von 1 auf den Wert 0 springt. Ist 0 < H s .M / < 1 für ein s 2 RC , so ist dieses s sicher gleich der HausdorffDimension von M . Aber es kann durchaus vorkommen, dass H s .M / nur die Werte 1 und 0 annimmt. Für M  M 0 ist H s .M /  H s .M 0 / und daher dimH M  dimH M 0 . Für jede beschränkte Menge M  Rn ist dimH M  n, denn für s > n und ı > 0 gilt mit den in Beispiel 2.3.9 eingeführten Bezeichnungen Hps nı .M /  ns=2 ı s Bı .M /  ı !0 ns=2 ı s .C =ı/n D C n ns=2 ı sn ! 0, wobei C eine Konstante > 0 ist. Dann ist dimH M  n für jede Teilmenge M  Rn . Ist aber M eine Borel-Menge mit n .M / > 0, so ist dimH M D n, da nach 2.3.19 dann auch H n .M / D 2n n .M /=!n > 0 ist. Ist M überdies beschränkt, so ist 0 < n .M /  ı n Bı .M /  ı n .C =ı/n , d. h. ln n .M /  n ln ı C ln Bı .M /  n ln C und insbesondere auch n D dimB M , wo ln Bı .M / ı!0C  ln ı

dimB M WD lim

die so genannte Boxdimension von M ist, die für eine beschränkte Menge M  Rn immer dann definiert ist, wenn der zuletzt angegebene Grenzwert existiert. Stets ist dimH M  dimB M , genauer ist dimH M  dimB M WD lim infı!0C ln Bı .M /=. ln ı/ (wiederum wegen Hps nı .M /  ns=2 ı s Bı .M /). Im Allgemeinen ist jedoch dimH M < dimB M , z. B. ist 0 D dimH .Œ0 ; 1 \ Q/ < dimB .Œ0 ; 1 \ Q/ D 1. Generell ist offenbar dimB M D dimB M . Die Hausdorff-Dimension einer Teilmenge von Rn ist – wie bereits erwähnt – nicht immer eine natürliche Zahl. Wir erläutern dies für das Cantorsche Diskontinuum, das noch einfach zu behandeln ist und dessen Hausdorff-Dimension überdies gleich der Boxdimension ist, vgl. Aufg. 2.3.20. }

66

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Abb. 2.10 Konstruktion des Cantorschen Diskontinuums

Beispiel 2.3.20 (Cantorsches Diskontinuum) Wir beweisen, dass das Cantorsche Diskontinuum C aus Aufg. 2.1.3 die Hausdorff-Dimension s WD ln 2= ln 3 hat.12 Dazu genügt es zu zeigen, dass H s .C / D 1 für dieses s gilt. Mit den in der zitierten Aufgabe eingeführten Bezeichnungen liegt C in Ik , lässt sich also durch 2k Intervalle der Länge 1=3k überdecken, siehe Abb. 2.10. Wegen 3s D 2 folgt s k k s k k s H1=3 k .C /  2 .1=3 / D 2 =2 D 1 und damit H .C /  1. Angenommen, es gebe ein ı > 0 und eine ı-Pflasterung Ui , i 2 I , von C mit X

kUi ks < 1:

i 2I

P s "i < 1 ist. Indem Die Zahlen "i > kUi k, i 2 I , seien so gewählt, dass auch noch man jedes Ui durch ein abgeschlossenes Intervall der Länge "i ersetzt, das Ui im Inneren enthält, kann man wegen der Kompaktheit von C annehmen, dass Ui , i 2 I , eine Überdeckung von C durch endlich viele abgeschlossene Intervalle ist. Dabei kann man die Ui so groß wählen, dass Ui von der Form Œa=3ki ; b=3ki  mit a; b 2 N ist und immer noch P kUi ks < 1 gilt. Sei schließlich k das Maximum der dabei auftauchenden ki , und sei nun U eines dieser Ui . Wir bezeichnen mit U .1/ und U .3/ die Teile von U , die im linken bzw. rechten Drittel von I1 liegen, ferner sei U .2/ D U  I1 . Dann ist U D U .1/ ] U .2/ ] U .3/ , und U .1/ und U .3/ beide ¤ ; sind, ist kU .2/ k D 13  Max kU .1/ k ; kU .3/ k   falls 1 .1/ k C kU .3/ k . Daraus folgt 2 kU 1 s 1 D 2 kU .1/ k C kU .3/ k 2 2 2  1 1  2 kU .1/ ks C kU .3/ ks D kU .1/ ks C kU .3/ ks ; 2 2

kU ks 

3

kU .1/ k C kU .3/ k

s

da die Funktion x 7! x s konkav ist. Wegen U .2/ \ I1 D ;, d. h. U .2/ \ C D ;, kann man in der betrachteten Pflasterung U durch U .1/ und U .3/ , also Intervalle der Länge P  1=3, ersetzen, wobei die Beziehung kUi ks < 1 erhalten bleibt. (Ist etwa U .1/ D ;, so kann man U allein durch U .3/ ersetzen.) In dieser Weise fortfahrend, ersetzt man U .1/ und U .3/ durch Intervalle der Länge  1=9, da man Mittelteile, die nicht in I2 liegen, 12 Die topologische Dimension von C ist wie die eines jeden total unzusammenhängenden kompakten topologischen Raumes gleich 0. Somit ist C ein Fraktal im Sinne von Fußnote 11.

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

67

Abb. 2.11 Rektifizierbare Kurve

mit einem entsprechenden Argument wie oben weglassen kann. Nach k Schritten dieser Art hat man U durch abgeschlossene Intervalle der Länge  1=3k mit Eckpunkten der Form a=3k ersetzt. Es kann sich dabei nur um einige der 2k Teilintervalle von Ik handeln. Die Überdeckung Uj0 , j 2 J , von C , zu der man so kommt, muss alle 2k Teilintervalle P P von Ik enthalten, wobei immer noch kUj0 ks < 1 gilt. Andererseits ist aber kUj0 ks  } 2k .1=3k /s D 1. Widerspruch. Wir erinnern an den Begriff der rektifizierbaren Kurve, siehe Abb. 2.11. Sei f W Œa; b ! Rn eine stetige Abbildung. Wir nennen solch eine Abbildung f eine Kurve und f .Œa; b/ die zugehörige Trajektorie. Dann heißt das Supremum über die Längen aller Streckenzüge Œf .t0 /; : : : ; f .tm /, wobei t0 ; : : : ; tm alle endlichen Folgen a  t0      tm  b durchläuft, die Länge Lba .f / D L.f / von f . Ist L.f / < 1, so heißt f rektifizierbar. Wir wollen die Hausdorff-Dimension der Trajektorie f .Œa; b/ bestimmen. Dazu benötigen wir das folgende Lemma, das auch an sich nützlich ist. Lemma 2.3.21 Sei 'W M ! Rm eine Lipschitz-stetige Abbildung von M  Rn in Rm mit Lipschitz-Konstante  L >0, d. h. k'.x/  '.y/k  Lkx  yk für alle x; y 2 M . Für s 2 RC gilt dann H s '.M /  Ls H s .M /. Insbesondere ist dimH '.M /  dimH M . Beweis Sei Ui , i 2 I , eine ı-Pflasterung von M . Dann ist '.Ui /, i 2  I , eine  P P s '.M /  Lı-Pflasterung von '.M /, und es gilt k'.Ui /ks  Ls kUi ks , also HLı  Ls Hıs .M /, woraus die Behauptung folgt. Beispiel 2.3.22 (Rektifizierbare Kurven) Seif W Œa;b ! Rn eine injektive rektifizierbare Kurve, a< b. Dann hat ihre Trajektorie f Œa; b die Hausdorff-Dimension 1,13 und  1 H f Œa; b ist gleich der Kurvenlänge Lba .f / von f .    Beweis Wegen 0 < Lba .f / < 1 genügt es, H 1 f Œa; b D Lba .f / zu zeigen. Dazu können wir annehmen, dass die Kurve durch die Kurvenlänge parametrisiert ist. Dann   Die topologische   Dimension der Trajektorie f Œa; b ist wie die des Intervalls Œa; b ebenfalls gleich 1. f Œa; b ist also sicherlich kein Fraktal im Sinne von Fußnote 11. 13

68

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

gilt Lba .f / D jb  aj, und es ist kf .t/  f .t 0 /k  jt  t 0 j für t; t 0 2 Œa; b, d. h. f ist Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante    1.   Zunächst ergibt sich H 1 f Œa; b  H 1 Œa; b D jb  aj. Bezeichnet pW Rn ! Rn die orthogonale Projektion des Rn auf die affine Gerade durch den Anfangspunkt f .a/ und den Endpunkt f .b/ der Kurve, so ist p Lipschitz-stetig mit der Lipschitz-Konstanten 1. Da auf der Geraden das Hausdorff-Maß H 1 und das Borel-Lebesgue-Maß übereinstimmen, folgt      kf .b/  f .a/k D H 1 Œf .a/; f .b/  H 1 f Œa; b : des Intervalls Œa; b, so stimmen Ist a D t0 < t1 <    < tk D b eine Unterteilung   zwei zugehörige Kurvenstücke f Œti 1 ; ti  und f Œtj 1 ; tj  für i ¤ j höchstens in den Randpunkten, also Mengen vom H 1 -Maß 0 überein. Es folgt k1 X

kf .ti C1 /  f .ti /k 

i D0

k1 X

 

H 1 f Œti ; ti C1 



   D H 1 f Œa; b ;

i D0

   also jb  aj D Lba .f /  H 1 f Œa; b , was noch zu zeigen war.



Natürlich gibt es Kurven im Rn , n > 1, deren Trajektorien eine Hausdorff-Dimension > 1 haben, beispielsweise die Peano-Kurven, deren Trajektorien den ganzen Einheitswür} fel Œ0; 1n ausfüllen. Beispiel 2.3.23 (Selbstähnliche Mengen) Wir erinnern daran, dass wir unter einer Ähnlichkeit f des Rn eine Streckung des Rn , gefolgt von einer Bewegung (Kongruenzabbildung) des Rn verstehen. Dabei sei Rn mit dem Standardskalarprodukt versehen. Ist c der positive Streckungsfaktor von f , so gilt kf .x/  f .y/k D ckx  yk für alle x; y 2 Rn . Insbesondere ist f stark kontrahierend, wenn c < 1 ist. Eine nichtleere Borel-Menge M  Rn heißt selbstähnlich, wenn es endlich viele Ähnlichkeiten f1 ; : : : ; fm des Rn S mit Streckungsfaktoren c1 ; : : : ; cm 2  0; 1Œ gibt derart, dass M D m i D1 fi .M / ist. Dabei wollen wir noch die folgende möglichst allgemeine Voraussetzung machen, die sicherstellt, dass die einzelnen Teile fi .M / von M sich nicht zu stark überlappen: Es soll eine U nichtleere offene Menge U des Rn geben mit U m i D1 fi .U /. Die im vorangehenden Beispiel besprochene Cantor-Menge C ist selbstähnlich. Bezeichnen nämlich f1 und f2 die beiden Ähnlichkeiten des R1 mit Streckungsfaktor 1=3, die durch f1 .0/ D 0, f1 .1/ D 1=3, f2 .0/ D 2=3, f2 .1/ D 1 gegeben sind, so ist C D f1 .C / ] f2 .C /. Die obige Zusatzbedingung ist mit U D  0; 1Œ erfüllt. Kehren wir zur allgemeinen Situation zurück, so gilt trivialerweise 



H s fi .M / D cis H s .M /

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

69

Abb. 2.12 Konstruktion der von Kochschen Kurve

für s 2 RC unddie Zusatzbedingung stellt, wie man zeigen kann, sicher, dass die Haus der fi .M / addieren.14 dorff-Maße H s fi .M / sich beiVereinigung  P Pm s s s s s Es folgt H .M / D i D1 H fi .M / D m i D1 ci H .M /, woraus bei 0 < H .M / < 1 sofort s ; 1 D c1s C    C cm

also eine Bestimmungsgleichung für die Hausdorff-Dimension s D dimH M folgt. Das Problem besteht allerdings gerade darin, zu zeigen, dass unter den gemachten VoraussetP s zungen tatsächlich 0 < H s .M / < 1 für die Zahl s mit 1 D m i D1 ci gilt. Wir verweisen dazu auf die Literatur.15 Sind speziell die Streckungsfaktoren ci alle gleich 1=c, so folgt s D ln m= ln c. Für das Cantorsche Diskontinuum C ergibt sich auf diese Weise noch einmal dimH C D ln 2= ln 3. Ein weiteres Beispiel einer selbstähnlichen Menge ist die von Kochsche Kurve K, die als Grenzwert einer Folge Kn , n 2 N, von Kurven in R2 definiert wird, wobei K0 D Œ0; 1  f0g ist und KnC1 aus Kn dadurch gewonnen wird, dass das mittlere Drittel einer jeden Teilstrecke von Kn durch die beiden übrigen Seiten eines über diesem Drittel errichteten gleichseitigen Dreiecks ersetzt wird, siehe Abb. 2.12. Dann wird die Selbstähnlichkeit von K offenbar durch 4 Ähnlichkeiten mit Streckungsfaktoren 1=3 gegeben, wobei sich die Teilstrecken nur in Eckpunkten überlappen, und es folgt dimH K D ln 4= ln 3. Insbesondere ist die von Kochsche Kurve nicht rektifizierbar, was man natürlich auch leicht direkt einsieht, da die Länge von Kn gleich .4=3/n ist. K ist ein Fraktal der topologischen Dimension 1 im Sinne von Fußnote 9. Wir bemerken schließlich, dass zu gegebenen Ähnlichkeiten f1 ; : : : ; fm des Rn mit Streckungsfaktoren c1 ; : : : ; cm 2 0; 1Œ genau eine selbstähnliche nichtleere kompakte S Menge K  Rn existiert mit K D m i D1 fi .K/. Dies folgt sofort aus dem Banachschen Fixpunktsatz, vgl. Aufg. 2.3.19 b). } 14

Bei konkreten Beispielen sind die fi .M / oft disjunkt oder treffen sich nur in einzelnen Punkten, so dass dies ebenfalls trivial ist. 15 Einen Beweis findet man etwa in Chapter 9 von K. Falconer, Fractal Geometry, Chichester 1990.

70

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

Aufgaben Wenn nichts anderes gesagt wird, ist Rn hier immer mit dem Standardskalarprodukt und der zugehörigen Standardmetrik versehen. Aufgabe 2.3.1 Man untersuche, ob die folgenden Teilmengen M von R2 Borel-Mengen sind, und bestimme gegebenenfalls den Flächeninhalt 2 .M / (unter Verwendung von 2.3.7). a) b) c) d) e) f)

M M M M M M

WD f.x; y/ j x 2 Q; y 2 R  Qg. WD f.x; y/ j x; y 2 R  Qg. WD f.x; y/ j 1  x 2  jyj g. WD f.x; y/ j jy 2  x 2 j < 1; jxj  1g. ˇ 2 ˚  2 WD ˚.x; y/ ˇˇ xa2 C yb 2  1 , a; b > 0 (vgl. Aufg. 2.3.3).  WD .x; y/ ˇ y  x ; x  y  x C e.xCy/ .

Aufgabe 2.3.2 Man berechne die Borel-Lebesgueschen Volumina der folgenden kompakten Mengen im R3 (unter Verwendung von 2.3.7). a) b) c) d) e)

p ˇp  ˚ .x; y; z/ ˇ x 2 C y 2 C z 2  1 ; x 2 C y 2  " , 0  "  1. p ˇ ˚ .x; y; z/ ˇ x 2 C y 2  1 ; x C 1  z  3g. p ˇ ˚  ˇ 1 ; z 2 Œ0; 2 ; jyj  12 .2  z/ 1  x 2 . ˚.x; y; z/ ˇ x 22 Œ1; z sin z ; jzj  h2 , r; h 2 RC . .x; y; z/ ˇ x C y 2  r 2 1  2h h ˚ ˇp ˇp ˚  .x; y; z/ ˇ x 2 C y 2  12 ; jzj  1g \ .x; y; z/ ˇ y 2 C z 2  12 ; jxj  1 .

Aufgabe 2.3.3 Das Borel-Lebesguesche Volumen des Ellipsoids ˇ 2 n o ˇx x2 .x1 ; : : : ; xn / 2 Rn ˇ a12 C    C a2n  1 ; ai 2 RC ; 1  i  n; 1

n

ist !n a1    an , wobei !n das Volumen der Einheitskugel im Rn ist, vgl. Beispiel 2.3.8. Aufgabe 2.3.4 Man skizziere die Menge M WD H1 \H2 \H3 im R2 mit Hi WD f.x; y/ 2 R2 j fi .x; y/  0g, i D 1; 2; 3, und f1 .x; y/ WD x C 3y C 1, f2 .x; y/ WD 5x C y C 1, f3 .x; y/ WD x  y C 3 und berechne ihren Borel-Lebesgueschen Flächeninhalt. Aufgabe 2.3.5 Man betrachte die Folge Fn , n 2 N , ebener Mengen, wobei F1 ein gleichseitiges Dreieck der Kantenlänge 1 ist und FnC1 aus Fn , n 2 N , dadurch entsteht, dass auf das mittlere Drittel einer jeden Randkante von Fn jeweils ein gleichseitiges Dreieck aufgesetzt wird, siehe Abb. 2.13. Man berechne den Borel-Lebesgueschen FläS cheninhalt von n1 Fn . (Der Rand dieser Menge besteht aus 3 Exemplaren der von Kochschen Kurve und hat die Hausdorff-Dimension ln 4= ln 3.)

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

71

Abb. 2.13 Zu Aufgabe 2.3.5

Aufgabe 2.3.6 Sei f W G ! W eine stetig differenzierbare Abbildung auf der offenen Menge G  V , wobei V; W endlichdimensionale R-Vektorräume sind, versehen jeweils mit einem Borel-Lebesgueschen Maß. Es sei DimR V  DimR W . a) Ist N eine Lebesguesche Nullmenge in G, so ist f .N / eine Lebesguesche Nullmenge in W . (Man verwende Aufg. 2.2.7 und den Mittelwertsatz für vektorwertige Funktionen. Es genügt, Überdeckungen von N durch Würfel zu betrachten. – Im Allgemeinen ist das f -Bild einer Borelschen Nullmenge aber keine Borel-Menge mehr. – Die Aufgabe zeigt insbesondere, dass die Eigenschaft einer Menge, eine Lebesguesche (oder eine Borelsche) Nullmenge zu sein, invariant ist gegenüber Diffeomorphismen. Das Ergebnis erlaubt es, Lebesguesche und Borelsche Nullmengen in differenzierbaren Mannigfaltigkeiten zu erklären.) b) Ist DimR V < DimR W , so ist f .G/ eine Lebesguesche Nullmenge in W . (G  f0g ist eine Nullmenge in V  R.) c) Ist B eine Lebesgue-Menge in G, so ist f .B/ eine Lebesgue-Menge in W . (Es gibt nach Aufgabe 2.2.4 b) und c) eine Darstellung B D A [ N , wobei A eine abzählbare Vereinigung abgeschlossener Mengen ist, die sogar kompakt gewählt werden können, und N eine Lebesguesche Nullmenge. Dann wende man a) und Aufgabe 1.2.5 an.) Aufgabe 2.3.7 Sei ˚ eine nicht-ausgeartete symmetrische Bilinearform auf dem n-dimensionalen reellen Vektorraum V . Eine Basis v1 ; : : : ; vn von V heißt eine verallgemeinerte Orthonormalbasis von V (bzgl. ˚), wenn j˚.vi ; vj /j D ıij für i; j D 1; : : : ; n ist. Die Determinante der Übergangsmatrix zwischen zwei solchen verallgemeinerten Orthonormalbasen hat den Betrag 1. a) Man zeige, dass es ein Borel-Lebesgue-Maß ˚ auf V gibt, das für jedes Parallelotop, dessen Kantenvektoren eine verallgemeinerte Orthonormalbasis bilden, den Wert 1 hat. (Dieses Maß heißt das kanonische Borel-Lebesgue-Maß auf V D .V; ˚/. Es ist analog für jeden affinen Raum über V definiert. Insbesondere gibt es auf jedem Einstein-Minkowski-Raum ein kanonisches Borel-Lebesgue-Maß, das für jedes Parallelotop, dessen Kantenvektoren eine Lorentz-Basis bilden, den Wert c der Lichtgeschwindigkeit hat.)

72

2 Das Borel-Lebesgue-Maß

p   b) Sind x1 ; : : : ; xn 2 V beliebig,  so ist ˚ Q.OI x1 ; : : : ; xn / D jG˚ .x1 ; : : : ; xn /j, wobei G˚ .x1 ; : : : ; xn / D Det ˚.xi ; xj / die Gramsche Determinante der x1 ; : : : ; xn bzgl. ˚ ist. (Bemerkung. Durch die letzte Formel wird offenbar auch dann invariant ein Borel-Lebesgue-Maß ˚ auf V definiert, wenn ˚ eine zwar nicht-ausgeartete, aber nicht notwendig symmetrische Bilinearform auf V ist.) Aufgabe 2.3.8 Sei ˚ ein Skalarprodukt auf Rn , und sei   D WD G˚ .e1 ; : : : ; en / D Det ˚.ei ; ej / : Borel-Lebesguesche Volumen des Ellipsoids fx 2 Rn j ˚.x; x/  a) Für c 2 RC ist das p n !n cı = D, wobei !n das Volumen der Einheitskugel im Rn bezeichnet. c 2 g gleichp p 2n b) Zu c  2 D n !n gibt es ein xD 2 Zn  f0g mit ˚.xD ; xD /  c 2 . (Man verwende 2.3.15.) Aufgabe 2.3.9 Man zeige, dass der Rand Rd M einer beschränkten Menge M  Rn , die Jordan-messbar ist, eine Jordansche Nullmenge ist. (Umkehrung zu 2.3.10.) Aufgabe 2.3.10 Man beweise 2.3.14 (2). (Es ist E D surjektivem .)

S z2Zn

   z C M \ .z C E/ bei

Aufgabe 2.3.11 Für n; m 2 N sei Rn .m/ die Anzahl der Punkte .a1 ; : : : ; an / 2 Zn mit a12 C    C an2  m. a) Es ist Rn .m/ D !n mn=2 C O.m.n1/=2 / für m ! 1. (Beispiel 2.3.8 und Satz 2.3.11.) b) Für n D 2 zeige man die auf C. F. Gauß zurückgehende Formel p  p X 2 p  m C m=2 C 2  m  k2 : R2 .m/ D 1 C 4 k2N;m=2 1, so wähle man ein i0 und ein a 2 R derart, dass jede der Mengen K1 WD K \ fx D .x1 ; : : : ; xn / 2 Rn j xi0  ag und K2 WD K \ fx 2 Rn j xi0  ag wenigstens einen der Quader enthält, die K ausmachen, und dann ein b 2 R derart, dass für L1 WD L \ fx 2 Rn j xi0  bg gilt n .L1 / D n .K1 / n .L/=n .K/. Dann gilt für L2 WD L \ fx 2 Rn j xi0  bg ebenfalls n .L2 / D n .K2 / n .L/=n .K/. Auf K1 C L1 und K2 C L2 wende man nun die Induktionsvoraussetzung an und beachte n .K C L/  n .K1 C L1 / C n .K2 C L2 /. Beliebige kompakte Mengen lassen sich schließlich bei beliebigem vorgegebenem " > 0 durch endlich viele paarweise fast disjunkte Quader überdecken, wobei die Differenzmenge ein Volumen  " hat. – Beispiel: Für jede nichtleen re kompakte Menge K  Rn und jedes n r > 0 hat fx n2 R j d.K; x/  rg D K C B.0I r/ p p n n n  .K/ C r !n und fx 2 R j 0 < d.K; x/  rg ein Volumen ein Volumen  p  nr n !n n .K/.n1/=n .) Aufgabe 2.3.18 Ist X  Rn kompakt, so ist die Funktion n jF .X/ stetig auf dem Raum F .X/ der nichtleeren kompakten Teilmengen von X, versehen mit dem Hausdorff-Abstand. Zum Begriff des Hausdorff-Abstandes siehe Band Grundkonzepte der Mathematik [10], Beispiel 4.5.29. Aufgabe 2.3.19 Seien X ein nichtleerer vollständiger metrischer Raum und f1 ; : : : ; fm W X ! X stark kontrahierende Abbildungen von X in sich mit Kontraktionsfaktoren L1 ; : : : ; Lm < 1, m 2 N . Mit K D K .X/ bezeichnen wir den Raum der nichtleeren kompakten Teilmengen von X, versehen mit dem Hausdorff-Abstand. K ist vollständig. Ist X sogar kompakt, so auch K . S a) Die Abbildung f W K ! K mit A 7! m i D1 fi .A/ ist stark kontrahierend mit Kontraktionsfaktor L WD Max .L1 ; : : : ; Lm / und besitzt folglich genau einen Fixpunkt K, für S den also K D f .K/ D m i D1 fi .K/ gilt. Man beachte, dass die Mengen fi .K/ paarweise disjunkt sind, wenn dies für die Bildmengen fi .X/, i D 1; : : : ; m, gilt. Für jede nichtleere kompakte Teilmenge K0  X konvergiert die Folge K0 ; K1 D f .K0 / ; : : :, nC1 .K0 / ; : : : bzgl. der Hausdorff-Metrik gegen K. Ist P0 2 X, so KnC1 D  f  f .Kn / D gilt fi B.P0 I R/  B.P0 I R/ für alle R  R0 WD Max fd.P0 ; fi .P0 //=.1  Li /ji D 1; : : : ; mg und alle i D 1; : : : ; m. Man kann also X gleich durch eine Kugel B.P0 I R/ ersetzen. Insbesondere gilt K  B.P0 I R/ für den Fixpunkt K von f . b) Seien f1 ; : : : ; fm affine Ähnlichkeiten des Rn , n  1, mit Streckungsfaktoren c1 ; : : : ; cm 2 0; 1Œ. Es gibt genau eine nichtleere kompakte Teilmenge K  Rn S mit K D m i D1 fi .K/. Die Menge K ist also ˚ selbstähnlich, vgl.ˇ Beispiel 2.3.23.  K ist Teilmenge der Kugel B.0I R0 /, R0 WD Max kfi .0/k=.1  ci / ˇ i D 1; : : : ; m .

2.3 Volumina und Determinanten  Erste Beispiele

75

Ergebnisse dieser Aufgabe und Varianten davon liefern in der Datenverarbeitung Methoden zur Bildkompression: Bei der Kompression approximiert man eine kompakte Teilmenge des Bildes im Sinne des Hausdorff-Abstandes durch eine solche kompakte Menge K, die mit einfach zu speichernden kontrahierenden Ähnlichkeiten f1 ; : : : ; fm des S Zur Dekompression wird R2 als Fixpunkt K D m i D1 fi .K/ charakterisiert werden kann. S K dann approximiert durch die Iterierten K0 ; : : : ; KnC1 D m i D1 fi .Kn / ; : : : mit einer beliebigen kompakten Ausgangsmenge K0 , z. B. dem gesamten Bild.

Aufgabe 2.3.20 a) Es ist dimB C D ln 2= ln 3 D dimH C . Vgl. das Ende von Beispiel 2.3.17 und Beispiel 2.3.20. b) Für S WD f1=n j n 2 N g ist dimB S D 1=2. (Die Boxdimension dimB hat also ihre Tücken.)

3

Verallgemeinerte Maße

3.1 Der Zerlegungssatz von Hahn-Jordan Ein Maß W B.E/ ! RC , wobei E unser Anschauungsraum ist, kann man als eine Massenverteilung oder als einen (Massen-)Körper interpretieren: Ist M  E eine Borel-Menge, so gibt .M / 2 RC die Masse an, die sich im Bereich M befindet. Ist etwa K  E eine feste Borel-Menge sowie 2 RC und ist  das Maß, das auf K mit E übereinstimmt und außerhalb K das Nullmaß ist (vgl. 1.3.5), so handelt es sich um den homogenen Körper K mit der konstanten Dichte . Betrachtet man statt Massenverteilungen Ladungsverteilungen, so lassen sich diese nicht mehr mit Maßen beschreiben, deren Werte stets  0 sind. Man benötigt vielmehr den Begriff des verallgemeinerten Maßes: Definition 3.1.1 Sei .X; A/ ein Messraum. Eine Funktion 'W A ! R heißt ein verallgemeinertes Maß (mit Werten in R D R [ f1; 1g), wenn für jede abzählbare Familie Mi , i 2 I , paarweise disjunkter messbarer Mengen Mi 2 A die Familie '.Mi /, i 2 I , in R summierbar ist und wenn gilt: ]  X Mi D '.Mi /: ' i 2I

i 2I

Beispiel 3.1.2 Sei .X; A/ ein Messraum. (1) Die Menge X sei zerlegt in disjunkte messbare Mengen XC bzw. X , d. h. es sei X D XC ] X , siehe Abb. 3.1. Ferner seien 'C W A.XC / ! RC bzw. ' W A.X / ! RC Maße (im bisherigen Sinne) auf den Teilräumen XC bzw. X , von denen wenigstens eines endlich ist. Dann ist '.M / WD 'C .M \ XC /  ' .M \ X /;

M 2 A;

ein verallgemeinertes Maß auf .X; A/. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3_3

77

78

3

Verallgemeinerte Maße

Abb. 3.1 Zerlegung der Menge X

(2) Allgemeiner als in (1) seien  und Maße A ! RC , von denen wenigstens eines endlich ist. Dann ist ' WD   mit '.M / WD .M /  .M /, M 2 A, ein verallge} meinertes Maß auf .X; A/. Im Unterschied zu den verallgemeinerten Maßen bezeichnet man die bisher betrachteten Maße auch als positive Maße. Ist '.M /  0 für alle M 2 A, d. h. ist ' positiv, so heißt ' ein negatives Maß. Es mag überraschen, dass jedes verallgemeinerte Maß in der in Beispiel 3.1.2 (1) beschriebenen Weise gewonnen werden kann. Dies ist der Inhalt des weiter unten folgenden sogenannten Hahn-Jordanschen Zerlegungssatzes 3.1.5. Mit ihm wird das Studium der verallgemeinerten Maße im Wesentlichen auf das Studium der positiven Maße zurückgeführt. Wir werden uns daher in den folgenden Abschnitten auf die Betrachtung positiver Maße beschränken und auf den allgemeinen Fall nur gelegentlich hinweisen. Entscheidend für den Beweis des Hahn-Jordanschen Zerlegungssatzes ist das folgende Lemma: Lemma 3.1.3 Sei 'W A ! R ein verallgemeinertes Maß auf dem Messraum .X; A/. Dann gibt es messbare Mengen MC und M mit '.MC / D Supf'.M / j M 2 Ag

und

'.M / D Inff'.M / j M 2 Ag:

Beweis Es genügt, die Existenz von MC zu beweisen. Wir können dazu annehmen, dass '.M / < 1 ist für alle M 2 A. Sei dann Mn , n 2 N, eine Folge messbarer Mengen mit lim '.Mn / D mC WD Supf'.M / j M 2 Ag. Mit An bezeichnen wir die von M0 ; : : : ; Mn erzeugte endliche  -Algebra und mit An;1 ; : : : ; An;rn ihre Atome, vgl. Beispiel 1.2.13, und definieren ] An;i mit In WD fi j 1  i  rn ; '.An;i /  0g: Nn WD i 2In

Offensichtlich ist '.N /  '.Nn / für alle N 2 An und insbesondere '.Mn /  '.Nn /. S Ferner ist '.N /  0 für alle N 2 An mit N  Nn . Sei nun Pn;k WD kiD0 NnCi , k 2 N [ f1g. Dann ist '.Mn /  '.Nn / D '.Pn;0 /  '.Pn;1 /      '.Pn;1 /

3.1 Der Zerlegungssatz von Hahn-Jordan

79

wegen Pn;kC1  Pn;k  NnCkC1 . Für MC WD

\

Pn;1 2 A

n2N

gilt nun Pn;1 # MC und 0  '.P0;1 / < 1. Es folgt '.MC / D lim '.Pn;1 /; n!1

vgl. den Beweis von 1.3.5 (5), der sich unmittelbar auf verallgemeinerte Maße überträgt. Aus '.Pn;1 /  '.Mn / folgt '.MC / D lim '.Pn;1 /  lim '.Mn / D mC , also notwendi gerweise '.MC / D mC , wie gewünscht. Korollar 3.1.4 Sei 'W A ! R ein verallgemeinertes Maß auf dem Messraum .X; A/. (1) Genau dann ist ' nach oben beschränkt, wenn '.M / < 1 ist für alle M 2 A. (2) Genau dann ist ' nach unten beschränkt, wenn '.M / > 1 ist für alle M 2 A. (3) Genau dann ist ' beschränkt, wenn '.M / 2 R ist für alle M 2 A. (4) ' ist nach oben beschränkt oder nach unten beschränkt. Beweis Die Aussagen (1) bis (3) folgen unmittelbar aus 3.1.3. Zum Beweis von (4) haben wir wegen (1) und (2) nur zu zeigen, dass es nicht gleichzeitig Mengen M; N 2 A geben kann mit '.M / D 1 und '.N / D 1. Die Summierbarkeitsbedingung in Def. 3.1.1 liefert für die paarweise disjunkten Mengen M  N , N  M und M \ N aber, dass unter den '-Werten dieser drei Mengen nur höchstens einer der Werte 1 und 1 vorkommt. Da M und N aus diesen Mengen durch Vereinigung entstehen, gilt dies dann auch für M und N .  Nun erhalten wir ohne Schwierigkeiten: 3.1.5 Hahn-Jordanscher Zerlegungssatz Sei 'W A ! R ein verallgemeinertes Maß auf dem Messraum .X; A/. Dann gibt es eine Zerlegung X D XC ]X von X in disjunkte messbare Mengen XC und X derart, dass ' auf XC ein positives Maß und auf X ein negatives Maß induziert. Für jedes M 2 A ist somit '.M / D '.M \ XC / C '.M \ X / mit '.M \ XC /  0 und '.M \ X /  0. Beweis Wegen 3.1.4 (4) können wir ohne Einschränkung annehmen, dass ' nach unten beschränkt ist. Nach Lemma 3.1.3 existiert dann eine Menge X 2 A mit '.X / D Inff'.M / j M 2 Ag > 1. Für M 2 A mit M  X gilt '.M /  0, da andernfalls

80

3

Verallgemeinerte Maße

'.X M / < '.M /C'.X M / D '.X / wäre. Daher ist ' auf X negativ. Nun setzen wir XC WD X  X . Für M 2 A mit M  XC folgt dann '.M /  0, da andernfalls  '.X ] M / D '.X / C '.M / < '.X / wäre. Daher ist ' auf XC positiv. Die Zerlegung von X gemäß 3.1.5 ist im Wesentlichen eindeutig: Ist X D XC0 ] X0 eine zweite solche Zerlegung, so ist ' auf XC \ X0 D XC  XC0 gleichzeitig positiv und negativ, also das Nullmaß. Entsprechend ist ' auf XC0  XC , X  X0 und X0  X identisch 0. Insgesamt ist ' auf den symmetrischen Differenzen XC 4XC0 und X 4X0 das Nullmaß. Setzt man für M 2 A 'C .M / WD '.M \ XC / und ' .M / WD '.M \ X /; so erhält man Maße 'C ; ' W A ! RC , die auf Grund der vorstehenden Eindeutigkeitsaussage für XC und X eindeutig bestimmt sind. Es gilt ' D 'C  ' . Der Betrag des verallgemeinerten Maßes ' wird definiert durch j'j WD 'C C ' : Man beachte, dass j'j nicht einfach die Funktion A 7! j'.A/j, A 2 A, ist, vgl. Aufg. 3.1.3. Der Begriff des Maßes lässt sich weiter verallgemeinern: Definition 3.1.6 Ist .X; A/ ein Messraum und ist W ein K-Banach-Raum, so heißt eine Abbildung 'W A ! W ein Maß auf .X; A/ mit Werten im Banach-Raum W , wenn für jede abzählbare Familie Mi , i 2 I , paarweise disjunkter messbarer Mengen in X die Familie '.Mi /, i 2 I , in W summierbar ist und die folgende Gleichheit gilt: '

] i 2I

 X Mi D '.Mi /: i 2I

Ist f W W ! W 0 eine stetige lineare Abbildung zwischen K-Banach-Räumen und ist ' ein Maß mit Werten in W , so ist f ı ' offenbar ein Maß mit Werten in W 0 . Der Betrag j'j des Maßes 'W A ! W wird definiert durch X  j'j.M / WD Sup k'.Mi /k ; i 2I

wobei M 2 A ist und Mi , i 2 I , alle abzählbaren Familien paarweise disjunkter messbarer Teilmengen von M durchläuft. Es genügt dabei, für Mi , i 2 I , alle abzählbaren Zerlegungen von M in messbare Mengen zu nehmen. Aus der Definition ergibt sich sofort, dass j'jW A ! RC ein Maß im üblichen Sinne auf dem Messraum .X; A/ ist. Offenbar

3.1 Der Zerlegungssatz von Hahn-Jordan

81

ist j'j.M /  k'.M /k. Im Spezialfall K D R D W stimmt der hier definierte Betrag mit dem bereits oben definierten Betrag j'j des nach oben und unten beschränkten verallgemeinerten Maßes 'W A ! R überein, vgl. Aufg. 3.1.3. Der Wert k'k WD j'j.X/ 2 RC heißt die Norm von ', vgl. dazu Aufg. 3.1.5. Man verwechsele k'k nicht mit k'.X/k. Sei schließlich W ein endlichdimensionaler R-Vektorraum mit einer Basis v1 ; : : : ; vn . Die zugehörigen Koordinatenfunktionen seien v1 ; : : : ; vn . Für ein Maß 'W A ! W auf dem Messraum .X; A/ mit Werten in W sind dann 'j WD vj ı 'W A ! R, j D 1; : : : ; n, (beschränkte) verallgemeinerte Maße, und es gilt für M 2 A: '.M / D

n X

n X   vj '.M / vj D 'j .M / vj :

j D1

j D1

Sind umgekehrt '1 ; : : : ; 'n verallgemeinerte Maße auf .X; A/ mit Werten in R, so wird P durch '.M / WD j 'j .M / vj ein Maß mit Werten in W gegeben. Die Maße mit Werten in W lassen sich also nach Auszeichnen einer Basis v1 ; : : : ; vn mit den n-Tupeln .'1 ; : : : ; 'n / verallgemeinerter Maße mit Werten in R identifizieren. Insbesondere ist die Angabe eines komplexwertigen Maßes 'W A ! C äquivalent mit der Angabe der verallgemeinerten reellwertigen Maße Re ' und Im '. Für den Betrag eines Maßes 'W A ! W gilt schließlich j'j.M / D Sup

X

n  XX  k'.Mi /k  Sup j'j .Mi /j kvj k

i 2I



n X j D1

Sup

i 2I j D1

X i 2I

n  X j'j .Mi /j kvj k D j'j j.M / kvj k; j D1

wobei M 2 A ist und Mi , i 2 I , jeweils alle abzählbaren Zerlegungen von M in messP P k'j k kvj k. bare Mengen durchläuft. Es folgt j'j  j'j j kvj k und speziell k'k  Insbesondere ist j'j ein endliches Maß. Bei unendlichdimensionalem W braucht dies nicht der Fall zu sein, vgl. Aufg. 3.1.6. Schließlich hat man den Begriff des Maßes häufig in der Weise weiter auszudehnen, dass man zur Definition der  -Additivität schwächere Summierbarkeitsbegriffe benutzt. Wir werden darauf gegebenenfalls hinweisen. Für ein Beispiel vgl. Definition 5.2.13.

Aufgaben Aufgabe 3.1.1 Ist 'W A ! R ein verallgemeinertes Maß auf .X; A/ mit '.X/ 2 R, so ist ' beschränkt.

82

3

Verallgemeinerte Maße

Aufgabe 3.1.2 Auch für verallgemeinerte Maße gilt der zu 2.2.3 analoge Eindeutigkeitssatz. Aufgabe 3.1.3 Ist 'W A ! R ein verallgemeinertes Maß auf .X; A/, so wird sein Betrag j'jW A ! RC für M 2 A gegeben durch j'j.M / D Sup

X

 j'.Mi /j ;

i 2I

wobei Mi , i 2 I , alle abzählbaren Familien paarweise disjunkter messbarer Teilmengen von M durchläuft. (Vgl. Bemerkung 3.1.6.) Aufgabe 3.1.4 'W A ! R und W A ! R seien verallgemeinerte Maße auf dem Messraum .X; A/, wobei nach oben und unten beschränkt sei. Man zeige die Äquivalenz der folgenden Bedingungen: (1) Für alle M 2 A folgt aus j'j.M / D 0 stets .M / D 0. (2) j j ist stetig bzgl. j'j (im Sinne von Aufg. 1.3.16). (3) C und  sind stetig bzgl. j'j. Aufgabe 3.1.5 .X; A/ sei ein Messraum, und W sei ein K-Banach-Raum. Dann bilden die Maße ' auf X D .X; A/ mit Werten in W , die eine endliche Norm haben, einen normierten K-Vektorraum M.X; W / bzgl. ' 7! k'k D j'j.X/. (Zu einer wichtigen Interpretation des Raums der K-wertigen Maße mit endlicher Norm im Fall, dass X kompakt und metrisch ist, verweisen wir auf den Darstellungssatz von Riesz im Band Funktionalanalysis.) Aufgabe 3.1.6 Man zeige anhand eines Beispiels, dass der Betrag j'j eines Maßes ' mit Werten in einem nicht endlich-dimensionalen K-Banach-Raum nicht notwendigerweise ein endliches Maß ist.

4

Integration

4.1

Messbare Funktionen

Der Integralbegriff wird für messbare numerische Funktionen f W X ! R auf einem beliebigen  -endlichen Maßraum X D .X; A; / erklärt. R D R [ f˙1g ist dabei mit der  -Algebra B D B.R/ der Borel-Mengen von R versehen. Eine Menge M  R gehört genau dann zu B, wenn M \ R eine Borel-Menge in R ist. Auf B betrachten wir das Maß B ! RC mit M 7! 1 .M \ R/ und bezeichnen es ebenfalls einfach mit 1 . Wie .R; B1 ; 1 / ist auch .R; B; 1 / ein  -endlicher Maßraum. Das Kriterium 1.2.12 gestattet es, die Messbarkeit numerischer Funktionen f W X ! R auf die Messbarkeit reellwertiger Funktionen zurückzuführen: f ist genau dann messbar, wenn die Fasern f 1 .1/ und f 1 .1/ messbar in X sind und wenn die reellwertige Beschränkung von f auf das Komplement von f 1 .1/ ] f 1 .1/ in X messbar ist. Nach dem Messbarkeitskriterium 1.2.6 ist f W X ! R bereits dann messbar, wenn die Mengen f 1 .M / messbar sind für alle Mengen M eines Erzeugendensystems M von B. Daraus ergibt sich unter Verwendung von 1.2.11: 4.1.1 Sei f W X ! R eine numerische Funktion auf dem Messraum X D .X; A/. Dann sind folgende Aussagen äquivalent: (1) (2) (2’) (3) (3’)

f ist messbar. Für jedes a 2 R ist die Menge ff Für jedes a 2 R ist die Menge ff Für jedes a 2 R ist die Menge ff Für jedes a 2 R ist die Menge ff

 ag WD fx > ag WD fx  ag WD fx < ag WD fx

2X 2X 2X 2X

j f .x/  ag messbar. j f .x/ > ag messbar. j f .x/  ag messbar. j f .x/ < ag messbar.

Insbesondere sind stetige Funktionen X ! R messbar, wenn X ein topologischer Raum ist, der mit der  -Algebra B.X/ der Borel-Mengen auf X versehen ist. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3_4

83

84

4

Integration

4.1.2 Seien f und g messbare numerische Funktionen X ! R auf dem Messraum X D .X; A/. Dann sind die folgenden Mengen messbar: (1) ff (2) ff (3) ff (4) ff

< gg WD fx 2 X  gg WD fx 2 X D gg WD fx 2 X ¤ gg WD fx 2 X

j f .x/ < g.x/g. j f .x/  g.x/g. j f .x/ D g.x/g. j f .x/ ¤ g.x/g.

  Beweis Wir betrachten die messbare Abbildung hW X ! R  R mit x 7! f .x/; g.x/ von X in den Produktraum .R  R; B ˝ B/. Da in R  R die Menge der Punkte .y; z/ 2 R  R mit y < z bzw. y  z bzw. y D z bzw. y ¤ z jeweils messbar ist, gilt dies auch für ihr h-Urbild in X. Das ist die Behauptung.  4.1.3 Seien f und g messbare numerische Funktionen X ! R auf dem Messraum X. Dann gilt: (1) Die Funktionen f C g und f  g sind auf den Teilräumen, auf denen sie definiert sind, messbar. (2) Die Funktion fg ist messbar. Beweis Offenbar genügt es zu zeigen, dass die Beschränkung der Funktionen f Cg, f g bzw. fg auf den Teilraum von X messbar sind, auf dem sowohl f als auch g reellwertig sind. Wir können also annehmen, dass f und g reellwertig sind.   Dann betrachten wir die messbare Abbildung hW X ! R  R mit x 7! f .x/ ; g.x/ . Da Addition, Subtraktion und Multiplikation stetige und insbesondere messbare Funktionen R  R ! R sind, gilt das auch für ihre Kompositionen mit h. Dies ergibt aber die Funktionen f ˙ g bzw. fg.  Korollar 4.1.4 Die messbaren Funktionen X ! R auf einem Messraum X bilden eine R-Unteralgebra der Algebra aller R-wertigen Funktionen auf X. Analog zu 4.1.4 bilden natürlich auch die messbaren C-wertigen Funktionen auf einem Messraum X eine C-Unteralgebra der Algebra aller komplexwertigen Funktionen auf X. Die folgende Aussage zeigt, wie angenehm sich die messbaren Funktionen etwa im Vergleich zu den stetigen oder gar differenzierbaren Funktionen verhalten. 4.1.5 Sei fn W X ! R, n 2 N, eine Folge messbarer Funktionen auf dem Messraum X. Dann sind auch die folgenden Funktionen messbar: 1/ Supn2N fn :

2/ Infn2N fn :

3/ lim sup fn :

4/ lim inf fn :

4.1 Messbare Funktionen

85

Beweis Die angegebenen Funktionen sind jeweils punktweise definiert, also etwa durch T .Supn2N fn /.x/ WD Supn2N fn .x/ usw. Wegen fSupfn  ag D n2N ffn  ag folgt die Messbarkeit von Supfn aus 4.1.1. Wegen Inf fn D Sup .fn / ist auch Inf fn messbar. Schließlich folgt die Messbarkeit der beiden übrigen Funktionen aus den folgenden generell nützlichen Darstellungen (die man auch als Definitionen nehmen kann):   lim sup fn D Infn2N Supmn fm ;

  lim inf fn D Supn2N Infmn fm :



Aus 4.1.5 folgt insbesondere (vgl. Aufg. 1.2.13 für eine allgemeinere Aussage): Korollar 4.1.6 Die Folge fn W X ! R, n 2 N, messbarer Funktionen auf dem Messraum X sei punktweise konvergent. Dann ist auch die Grenzfunktion limn!1 fn messbar. Korollar 4.1.7 Sind f1 ; : : : ; fm messbare numerische Funktionen auf dem Messraum X, so sind auch die Funktionen Sup .f1 ; : : : ; fm / und Inf .f1 ; : : : ; fm / messbar. Korollar 4.1.8 Ist f eine messbare numerische Funktion auf dem Messraum X, so ist auch die Funktion jf j D Sup .f; f / messbar. Besonders übersichtlich sind die sogenannten Treppenfunktionen: Definition 4.1.9 Eine numerische Funktion f W X ! R auf einem Messraum X D .X; A/ heißt eine Treppenfunktion, wenn sie messbar ist und ihr Bild f .X/ nur abzählbar viele Elemente enthält. Da die einpunktigen Mengen in R messbar sind, sind alle Fasern f 1 .a/; a 2 R, einer messbaren Funktion f W X ! R messbar. Ist das Bild f .X/ von f abzählbar, so ist umgekehrt f messbar, wenn die Fasern messbar sind. Es ist dann sogar das Urbild f 1 .U / für jede Teilmenge U  R als Vereinigung abzählbar vieler nichtleerer Fasern messbar. Eine numerische Funktion X ! R auf einem Messraum X ist also genau dann eine Treppenfunktion, wenn sie nur abzählbar viele Werte annimmt und ihre Fasern messbar sind. Treppenfunktionen, die nur endlich viele Werte annehmen, heißen auch einfache Treppenfunktionen oder einfache Funktionen. Sind ai , i 2 I , die verschiedenen Werte einer Treppenfunktion f , so ist f D P 1 .ai / i 2I ai eAi , wobei eAi für i 2 I die Indikatorfunktion der messbaren Faser Ai WD f von f über ai ist. Zum Beweis einiger Aussagen über integrierbare Funktionen in den nächsten Abschnitten ist das folgende Lemma nützlich: Lemma 4.1.10 Sei f W X ! RC eine messbare nichtnegative Funktion auf dem Messraum X. Dann gibt es eine Folge fn , n 2 N, von einfachen reellwertigen Treppenfunktionen auf X mit 0  fn  fnC1 für alle n 2 N und limn!1 fn D f , siehe Abb. 4.1.

86

4

Integration

Abb. 4.1 Zu Lemma 4.1.10

Beweis Wir setzen für n 2 N und x 2 X: 8 0 mit  ff  "g > 0.

88

4

Integration

4.2 Integrierbare Funktionen Im Weiteren seien alle Maßräume  -endlich, falls nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird. Dies sichert nach 1.4.8 die Existenz und Eindeutigkeit des Produktmaßes auf einem endlichen Produkt solcher Räume. Bei der Definition des Integrals numerischer Funktionen f W X ! R auf einem  -endlichen Maßraum X D .X; A; / lassen wir uns vom Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung leiten: Bei f  0 soll das Integral gleich der Maßzahl der Menge G.f / WD G.f I X/ WD f.x; y/ 2 X  R j 0  y  f .x/g in X  R sein, siehe Abb. 4.2. X  R trägt das Produktmaß  ˝ 1 , das für messbare Rechtecke M  N , M 2 A, N 2 B, den Wert . ˝ 1 /.M  N / D .M /  1 .N / hat. Neben G.f I X/ betrachten wir noch die Menge G ı .f / WD G ı .f I X/ WD f.x; y/ 2 X  R j 0  y < f .x/g  X  R: Bei f  0 ist dann G.f I X/ D G ı .f I X/ ] .f I X/, wobei

.f / WD .f I X/ WD f.x; y/ 2 X  R j y D f .x/g  X  R der Graph von f ist. Für eine Teilmenge X 0  X setzen wir G.f I X 0 / WD G.f jX 0 I X 0 / und definieren G ı .f I X 0 / und .f I X 0 / entsprechend. Es gilt: Lemma 4.2.1 Sei f W X ! RC eine messbare nichtnegative numerische Funktion auf dem Maßraum .X; A; /. Dann sind die Mengen G.f I X/, G ı .f I X/ und .f I X/ in X  R messbar. Ferner ist der Graph .f I X/ eine Nullmenge, und folglich gilt     . ˝ 1 / G.f I X/ D . ˝ 1 / G ı .f I X/ : Beweis Die Funktionen f1 W X  R ! R und p2 W X  R ! R mit f1 .x; y/ D f .x/ bzw. p2 .x; y/ D y sind messbar. Nach 4.1.2 sind dann die Mengen G.f / D f0  p2 g \ fp2  f1 g; G ı .f / D f0  p2 g \ fp2 < f1 g; .f / D fp2 D f1 g

Abb. 4.2 Fläche unterhalb des Graphen von f

4.2 Integrierbare Funktionen

89

Abb. 4.3 Zerlegung von f in positiven und negativen Teil

  messbar. Ferner ist .f / D .f I X 0 / ] .X  X 0 /  f1g , X 0 WD f 1 .RC /, und .X  X 0 /  f1g ist eine Nullmenge. Um zu beweisen, dass .f / eine Nullmenge ist, können wir also X D X 0 , d. h. f .X/  RC annehmen. Zunächst bemerken wir, dass für jedes a 2 R die Funktion y 7! y C a eine maßtreue Abbildung von R auf sich und folglich .x; y/ 7! .x; y C a/ eine maßtreue Abbildung von X  R auf sich ist. Die (wegen f .X/  R) paarweise disjunkten Graphen .f C a/, a 2 R, haben somit alle dasselbe Maß in X  R. Dies ist in dem  -endlichen Maßraum X  R nur möglich, wenn alle diese Graphen das Maß 0 haben, vgl. Aufg. 1.3.13.  Sei nun f W X ! R eine beliebige messbare numerische Funktion auf dem  -endlichen Maßraum X D .X; A; /. Dann heißen die nach 4.1.7 messbaren Funktionen fC WD Sup .f; 0/

bzw.

f WD Sup .f; 0/

der positive Teil bzw. der negative Teil von f , siehe Abb. 4.3. Es ist fC  0, f  0 und f D fC  f . Definition 4.2.2 (1) Ist f D fC  0, so heißt Z       f d WD  ˝ 1 G.f I X/ D  ˝ 1 G ı .f I X/ X

das Integral von f über X bezüglich des R R Maßes . (2) f heißt integrierbar (bzgl. ), wenn X fC d < 1 und X f d < 1 ist. In diesem Fall heißt Z Z Z f d WD fC d  f d X

X

X

das Integral von f über X bezüglich des Maßes R . R (3) Ist wenigstens einer der Werte X fC d bzw. X f d endlich, so heißt f im weiteR R R ren Sinne integrierbar mit dem Integral X f d WD X fC d  X f d.

90

4

Integration

Mit 4.2.2 wird der Integralbegriff direkt auf den Maßbegriff zurückgeführt. Viele Aussagen der Integrationstheorie sind daher einfache Folgerungen aus entsprechenden Sätzen der Maßtheorie.   Sei f W X ! R messbar. Es ist jf j D fC C f und G ı jf j D G ı .fC / ] G ı .f /, also Z

Z jf j d D X

Z fC d C

X

f d; X

insbesondere gilt bei integrierbarem f ˇ ˇ

Z

ˇ f dˇ 

X

Z jf j d: X

Die folgende Charakterisierung der Integrierbarkeit ergibt sich unmittelbar aus den Definitionen: Satz 4.2.3 Für eine messbare Funktion f W X ! R sind folgende Aussagen äquivalent: (1) f ist integrierbar. (2) fC und f sind integrierbar. (3) jf j ist integrierbar. (4) Es gibt eine integrierbare Funktion gW X ! RC mit jf j  g.   Für die Implikation (4) ) (3) beachte man G jf j  G.g/. Man nennt eine Funktion g mit jf j  g eine Majorante von jf j. Insbesondere ist nach 4.2.3 (4) auf einem endlichen Maßraum jede beschränkte messbare Funktion integrierbar. Gegeben sei der Maßraum X D .X; A; / sowie Y 2 A. Für die Beschränkung des Maßes  auf Y schreiben wir ebenfalls , wenn keine Missverständnisse zu befürchten sind. Ist dann f W X !  R integrierbar,   so ist  auch die Beschränkung f jY von f auf Y integrierbar wegen G jf j I Y  G jf j I X . Es gilt Z

Z f jY d D Y

f eY d; X

R wobei eY die Indikatorfunktion von Y ist. Wir schreiben auch kurz Y f d . Aus der  -Additivität der Maße folgt sofort die  -Additivität der Integrale: Satz 4.2.4 Sei Xi , i 2 I , eine abzählbare Zerlegung des Maßraumes X D .X; A; / U Xi . Für eine messbare Funktion f W X ! R gilt dann in messbare Teilmengen: X D i 2I

4.2 Integrierbare Funktionen

R X

jf j d D

P

R

i 2I Xi

91

jf j d. Ist f integrierbar, so gilt Z f d D U i 2I

f d:

i 2I X i

X

Beweis Es ist G.fC I X/ D

XZ

G.fC I Xi / und entsprechend für f .



Die letzte Gleichung in 4.2.4 gilt natürlich auch dann, wenn f nur im weiteren Sinne integrierbar ist. Ist f W X ! RC eine nichtnegative messbare Funktion auf dem Maßraum .X; A; /, R so besagt 4.2.4 unter anderem, dass die Funktion M 7! M f d, M 2 A, ein Maß auf dem Messraum .X; A/ ist. Definition 4.2.5 Für eine nichtnegative messbare Funktion f W X ! RC auf dem Maßraum .X; A; / heißt das Maß Z M 7!

f d M

das Maß mit der Dichte f bezüglich . Es wird mit f bezeichnet. Über die Existenz solcher Dichten f für ein Maß werden wir in Abschn. 4.6 den wichtigen Satz von Radon-Nikodym beweisen. Zur Eindeutigkeit von Dichten vergleiche man Aufg. 4.2.8. R Ist f W X ! R im weiteren Sinne integrierbar, so ist M 7! M f d nach 4.2.4 und dem Zusatz dazu ein verallgemeinertes Maß gemäß Definition 3.1.1. Auch hier spricht man von der Dichte f bezüglich . Für die Hahn-Jordan-Zerlegung X D XC ] X gemäß 3.1.5 kann man zum Beispiel die Mengen XC WD ff  0g und X WD ff < 0g wählen. Mit der Ausschöpfungsformel 1.3.5 (4) ergibt sich: 4.2.6 Ausschöpfungssatz Sei Xn " X eine Ausschöpfung des Maßraumes X D .X; A; / mit einer Folge Xn , nR 2 N, von messbarenR Teilmengen. Für eine messbare Funktion f W X ! R gilt dann X jf j d D limn!1 Xn jf j d. Ist f integrierbar, so gilt Z

Z f d D lim X

n!1 Xn

f d:

92

4

Integration

Beweis Es ist G.fC I Xn / " G.fC I X/ und folglich Z Z     1 1 fC d D . ˝  / G.fC I X/ D lim . ˝  / G.fC I Xn / D lim fC d: n!1

n!1 Xn

X



Entsprechend schließt man bei f .

Auch 4.2.6 gilt für im weiteren Sinne integrierbare Funktionen. Die Ausschöpfungsformel liefert ferner den folgenden Konvergenzsatz. 4.2.7 Satz von Beppo Levi (Satz von der monotonen Konvergenz) Sei fn W X ! RC , n 2 N, eine monoton wachsende Folge nichtnegativer messbarer Funktionen auf dem Maßraum X D .X; A; / und f D lim fn ihre nach 4.1.6 messbare Grenzfunktion. Dann ist Z Z Z  f d D lim fn d D Supn2N fn d : n!1

X

X

X

Beweis Wegen 0  fn  fnC1 für alle n 2 N gilt G ı .fn / " G ı .f /.



Beispiel 4.2.8 (Integrale über Treppenfunktionen  Integrale als Grenzwerte Riemannscher Summen) Seien f W X ! R eine Treppenfunktion auf dem Maßraum U .X; A; / und X D i 2I Ai eine Zerlegung von X in abzählbar viele messbare Teilmengen Ai , auf denen f jeweils den konstanten Wert ai 2 R hat, siehe Abb. 4.4. Dann ist    U Ai  Œ0; jai jŒ G ı jf j D i 2I

ı

G .fC / D ı

G .f / D

U

i 2IC

Ai  Œ0; ai Œ



 U Ai  Œ0; ai Œ

i 2I

  mit IC WD fi 2 I j ai > 0g und I WD fi 2 I j ai < 0g. Wegen . ˝ 1 / A  Œ0; aŒ D a.A/ für A 2 A und a 2 RC ergibt sich Z X jf j d D jai j .Ai /: i 2I

X

Genau dann ist f integrierbar, wenn die Familie ai .Ai /, i 2 I , in R summierbar ist. In diesem Fall ist Z X f d D ai .Ai /: X

i 2I

4.2 Integrierbare Funktionen

93

Abb. 4.4 Zu Beispiel 4.2.8

Man nennt solch ein Integral auch eine Riemannsche Summe. Genau dann ist f im weiteren Sinne integrierbar, wenn ai .Ai /, i 2 I , in R im weiteren Sinne summierbar ist. Wieder gilt dann die zuletzt angegebene Formel. Für eine messbare Teilmenge A  X gilt insbesondere Z

Z 1  d D

.A/ D A

eA d; X

wobei eA die Indikatorfunktion von A ist. Ist beispielsweise f D eQ die Dirichlet-Funktion auf R mit 8 0 gibt es ein ı > 0 derart, dass kiD1 jF .yi /  F .xi /j  " ist für alle paarweise disjunkten Teilintervalle Œxi ; yi   Œa; b, i D R P 1; : : : ; k, mit kiD1 .yi  xi /  ı. Wegen F .yi /  F .xi / D Œxi ;yi  f .t/ dt folgt Letzteres direkt aus Aufg. 4.2.5. (2) Ist F W Œa; b ! R differenzierbar mit integrierbarer Ableitung f D F 0 , so gilt die Rx Gleichung F .x/  F .a/ D a f .t/ dt für alle x 2 Œa; b. Da die Ableitung f D F 0 stets messbar ist, ist die Integrierbarkeit sicherlich dann gegeben, wenn sie beschränkt ist, vgl. auch Aufg. 4.2.23. In diesem Fall ist der Beweis der Formel mit Hilfe des Lebesgueschen Konvergenzsatzes 4.4.2 recht einfach und sei dem Leser als Übung empfohlen. Es gibt aber differenzierbare Funktionen, deren Ableitung nicht integrier  bar ist. Beispielsweise besitzt die Funktion f W R ! R mit f .x/ WD x1 sin x12 für x ¤ 0 und f .0/ D 0 eine Stammfunktion auf R, ist aber auf Œ0; 1 nicht integrierbar. Ferner gibt es stetige Funktionen F W Œa; b ! R, die fast überall differenzierbar sind, deren Ableitungen f D F 0 integrierbar sind (d. h. f ist integrierbar auf Œa; b  N , wobei N eine Nullmenge ist, außerhalb der F differenzierbar R b ist, vgl. die Bemerkung im Anschluss an Beispiel 4.2.14) und für die die Gleichung a f .t/ dt D F .b/F .a/ nicht gilt, vgl. dazu das Beispiel in Aufg. 4.6.6. (3) Ist F W Œa; b ! R absolut stetig (vgl. (1)), soR ist F fast überall differenzierbar und für x } die Ableitung f D F 0 gilt F .x/  F .a/ D a f .t/ dt für alle x 2 Œa; b. Beispiel 4.2.14 (Uneigentliche Integrale) Seien I  R ein beliebiges nicht notwendig kompaktes Intervall mit den Grenzen a; b 2 R, a  b, und f W I ! R eine stetige R Funktion. Genau dann ist f integrierbar, wenn I jf j d1 < 1 ist. Nach dem Ausschöpfungssatz 4.2.6 und R b Beispiel 4.2.13 ist dieses Integral identisch mit dem eventuell uneigentlichen Integral a jf .t/j dt. Ist dieses uneigentliche Integral endlich, f also abR Rb solut uneigentlich integrierbar, so ist wiederum nach 4.2.6 I f d1 D a f .t/ dt. Man schreibt daher generell Z

Zb f .t/ dt WD a

f d1 I

für eine beliebige integrierbare Funktion f W I ! R. Beispielsweise existiert das uneigentliche Integral Z1

sin t  dt D ; t 2

0

wohingegen Z1 0

ˇ sin t ˇ ˇ ˇ dt D 1 t

4.2 Integrierbare Funktionen

97

ˇ ˇ ist. Daher ist ˇ 1t sin t ˇ und dann nach 4.2.3 auch 1t sin t auf  R  C nicht integrierbar. Auch für die in Beispiel 4.2.13 (2) betrachtete Funktion x1 sin x12 existiert das uneigentliche Integral Z1

sin .1=t 2 / dt; t

0

}

während dieses Integral als Lebesguesches Integral nicht existiert.

Wir haben noch einige Rechenregeln nachzutragen. Zunächst eine Bemerkung, die die Abhängigkeit des Integrals von den Werten einer Funktion auf einer Nullmenge betrifft: Seien f W X ! R eine messbare Funktion auf .X; A; / und N  X eine Nullmenge. Dann ist N  R eine Nullmenge in X  R und folglich     . ˝ 1 /G jf jI X D . ˝ 1 /G jf jI X  N : R R Es folgt: Für jede Nullmenge N  X ist X jf j d D X N jf j d und Z Z f d D f d; X N

X

falls eines der beiden letzten Integrale existiert. Existenz und Wert des Integrals einer Funktion sind also völlig unabhängig von den Werten der Funktion auf einer Nullmenge. Dies ist eine sehr angenehme Eigenschaft des allgemeinen Integrals. Sie erlaubt es zum R Beispiel, das Integral X f d auch für solche Funktionen invariant zu erklären, die nur fast überall auf X definiert sind: Ist N  X eine Nullmenge und f W .X  N / ! R eine messbare Funktion, so setzt man Z Z f d WD f d; X N

X

falls das Integral auf der rechten Seite existiert. Dabei kann man N durch jede Nullmenge ersetzen, auf deren Komplement f definiert und messbar ist. Wir sprechen kommentarlos auch dann von integrierbaren Funktionen auf X, wenn das Integral nur in diesem allgemeineren Sinne definiert ist. Wir beweisen nun, dass das Integral linear ist. Zunächst zeigen wir mit einem Beweisverfahren, das typisch ist für viele Beweise der Integrationstheorie, einen Spezialfall: Satz 4.2.15 Seien f und g nichtnegative messbare Funktionen X ! RC und a 2 RC . Dann ist Z Z Z Z Z .f C g/ d D f d C g d und .af / d D a f d: X

X

X

X

X

98

4

Integration

Beweis Die angegebenen Formeln gelten für Treppenfunktionen f und g: Sind nämlich f und g Funktionen, die auf den abzählbar vielen messbaren Teilmengen Ai , i 2 I , der U Zerlegung X D i 2I Ai von X den konstanten Wert ai bzw. bi haben, so ist Z .f C g/ d D

X

.ai C bi / .Ai /

i 2I

X

D

X

ai .Ai / C

i 2I

Z .af / d D

bi .Ai / D

i 2I

X

aai .Ai / D a

i 2I

X

Z

X

X

Z f d C

X

X

Z

ai .Ai / D a

i 2I

g d;

f d: X

Im allgemeinen Fall wählen wir gemäß 4.1.10 nichtnegative Treppenfunktionen fn bzw. gn mit fn " f bzw. gn " g. Dann gilt auch .fn C gn / " .f C g/ und .afn / " .af /, und wir erhalten mit 4.2.7 Z Z Z Z  .f C g/ d D lim .fn C gn / d D lim fn d C gn d n!1

X

n!1

X

Z fn d C lim

D lim

n!1

R

X .af

/ d D a

R X

Z

gn d D

n!1

X

sowie analog

X

Z X

X

Z

f d C X

g d; X



f d.

Aus der soeben bewiesenen Additivitätsaussage und dem Satz 4.2.7 von Beppo Levi folgt: Satz 4.2.16 Ist fi , i 2 I , eine abzählbare Familie nichtnegativer messbarer Funktionen X ! RC , so ist Z X X

i 2I



fi d D

XZ

fi d:

i 2I X

Seien nun f; gW X ! R beliebige integrierbare Funktionen. Dann sind f 1 .˙1/ und g .˙1/ Nullmengen in X. Wären nämlich etwa f 1 .1/ oder f 1 .1/ keine Nullmengen, so hätten f 1 .1/ Œ0; 1Œ  G ı .fC I X/ bzw. f 1 .1/ Œ0; 1Œ  G ı .f I X/ unendliches Volumen im Widerspruch zur Integrierbarkeit von f . Daher ist für beliebige reelle Zahlen a; b 2 R die Funktion af C bg außerhalb einer Nullmenge definiert und messbar. Es gilt: 1

4.2 Integrierbare Funktionen

99

4.2.17 Linearität des Integrals Sind f; gW X ! R integrierbare Funktionen, so ist auch af C bg für beliebige a; b 2 R integrierbar und es ist Z

Z .af C bg/ d D a X

Z f d C b

X

g d: X

Beweis Nach der Vorbemerkung können wir annehmen, dass f und g reellwertig sind.  R R R  Wegen jf C gj  jf j C jgj und X jf j C jgj d D X jf j d C X jgj d < 1 (nach 4.2.15) ist h WD f C g integrierbar. Ferner ist h D hC  h D fC C gC  f  g , d. h. hC C f C g D fC C gC C h . Nach 4.2.15 ist dann Z

Z hC d C X

Z f d C

X

Z g d D

X

Z fC d C

X

Z gC d C

X

h d; X

woraus nach Definition des Integrals Z

Z h d D X

Z f d C

X

g d X

R R folgt. Es bleibt X .af / d D a X f d zu zeigen. Wir können a  0 annehmen. Dann ist .af /C D afC und .af / D af , und die Behauptung folgt ebenfalls aus 4.2.15.  Nach 4.2.17 bilden die integrierbaren reellwertigen Funktionen X ! R einen R-Untervektorraum aller reellwertigen Funktionen auf X. Diesen Vektorraum bezeichnen wir mit L1 .X/ D L1R .X/ D L1R .X; /:

Es gilt: Korollar 4.2.18 Das Integral f 7!

R X

f d ist eine Linearform auf L1 .X/.

Es sei ausdrücklich bemerkt, dass Produkte integrierbarer Funktionen X ! R im Allgemeinen nicht integrierbar sind, vgl. Aufg. 4.2.2. Durch Approximation mit Treppenfunktionen beweist man auch den folgenden Satz, der das Integral bezüglich eines Maßes f mit einer Dichte f zurückführt auf das Integral bezüglich . Satz 4.2.19 Seien f W X ! RC eine nichtnegative messbare Funktion auf dem Maßraum .X; A; / und WD f das Maß mit der Dichte f bezüglich . Es sei ebenfalls

100

4

Integration

R R  -endlich. Für eine messbare Funktion gW X ! R gilt dann X jgj d D X jgjf d. Genau dann ist g bezüglich integrierbar, wenn gf bezüglich  integrierbar ist. In diesem Fall ist Z Z g d D gf d: X

X

Beweis Wegen .gf /C D gC f und .gf / D g f genügt es, die erste Behauptung zu beweisen; wir können also gleich g D jgj annehmen. U P Sei zunächst g eine Treppenfunktion, g D i 2I ai eAi , wobei X D i 2I Ai eine abzählbare Zerlegung von X in messbare Mengen Ai ist. Dann gilt (vgl. 4.2.4) Z Z X X Z XZ g d D ai .Ai / D ai f d D ai f d D gf d: i 2I

X

i 2I

i 2I A i

Ai

X

Ist im allgemeinen Fall gn eine Folge nichtnegativer Treppenfunktionen mit gn " g, so erhält man wegen gn f " gf Z Z Z Z g d D lim gn d D lim gn f d D gf d:  n!1

X

n!1

X

X

X

Häufig nützlich ist die folgende triviale Abschätzung. Man beachte dabei die Analogie zur Tschebyschewschen Ungleichung aus der Stochastik. Satz 4.2.20 Seien f W X ! RC eine nichtnegative messbare Funktion und a 2 RC . Dann ist Z   f d  a ff  ag : X

Beweis Für A WD ff  ag D fx 2 X j f .x/  ag ist A  Œ0 ; a  G.f I X/, siehe Abb. 4.5.  RKorollar 4.2.21 Sei f W X ! RC eine nichtnegative messbare Funktion. Genau dann ist X f d D 0, wenn f fast überall verschwindet. R Beweis Sei X f d D 0 und An WD ff  1=ng für n 2 N . Nach 4.2.20 ist .An / D 0,  R   S also auch  ff > 0g D  n An D 0. – Umgekehrt ist natürlich X f d D 0, wenn fast überall f D 0 ist.  Zum Schluss wollen wir das Integral auf vektorwertige Abbildungen ausdehnen. Seien .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und f W X ! V eine messbare Abbildung in

4.2 Integrierbare Funktionen

101

Abb. 4.5 Zu Satz 4.2.20

einen endlichdimensionalen R-Vektorraum V , versehen mit der  -Algebra B.V / der Borel-Mengen in V . Sind nun v1 ; : : : ; vn eine Basis von V und f1 ; : : : ; fn die Komponentenfunktionen von f bezüglich v1 ; : : : ; vn , so gilt f .x/ D

n X

fi .x/ vi :

i D1

f1 ; : : : ; fn sind messbare Funktionen X ! R. Wir sagen, dass f integrierbar ist, wenn alle Funktionen f1 ; : : : ; fn integrierbar sind, und setzen dann Z f d WD

n Z X i D1

X

 fi d vi :

X

Wir haben zu zeigen, dass diese Definition von der Wahl der Basis v1 ; : : : ; vn unabhängig P ist: Ist v10 ; : : : ; vn0 eine weitere Basis mit vj D niD1 bij vi0 , j D 1; : : : ; n, so ist f D

n X

fj vj D

j D1

mit fi0 WD

Pn

j D1 bij fj ,

n Z X i D1

n X n X i D1

 bij fj

j D1

vi0

D

n X

fi0 vi0

i D1

und 4.2.16 liefert

n X n Z n Z    X X fi0 d vi0 D bij fj d vi0 D fj d vj : i D1 j D1

X

j D1

X

X

Satz 4.2.22 Sei f W X ! V eine messbare Abbildung des Maßraumes .X; A; / in den endlichdimensionalen R-Vektorraum V . Dann gilt: (1) Ist f integrierbar und ist F W V ! W eine lineare Abbildung von V in einen endlichdimensionalen R-Vektorraum W , so ist F ı f integrierbar mit Z Z  .F ı f / d D F f d : X

X

102

4

Integration

(2) Genau dann ist f integrierbar, wenn die Funktion kf kW x 7! kf .x/k integrierbar ist (wobei kk eine beliebige Norm auf V sei). In diesem Fall ist Z



f d 

X

Z kf k d: X

Beweis (1) folgt sofort aus den Definitionen, wenn man F in Basen von V und W durch eine Matrix beschreibt.  R (2) Es V ¤ 0) eine Linearform LW V ! R mit kLk D 1 und L X f d D R gibt (bei f d . Dann folgt mit (1) wegen jL ı f .x/j  kLk kf .x/k D kf .x/k X

Z X

Z Z Z  Z f d D L f d D .L ı f / d  jL ı f j d  kf k d: X

X

X



X

Insbesondere ist für einen Maßraum .X; A; / die Menge L1C .X/ D LC .X; /

der C-wertigen integrierbaren Funktionen auf X definiert. Genau dann gehört eine messR bare komplexwertige Funktion f W X ! C zu L1C .X/, wenn X jf j d endlich ist. Es gilt dann Z Z ˇ ˇ ˇ f dˇ  jf j d: X

X

L1C .X/ ist ein C-Untervektorraum aller komplexwertigen Funktionen auf X, und das R Integral f 7! X f d ist eine C-Linearform auf L1C .X/. Generell ist für einen end-

lichdimensionalen K-Vektorraum V die Menge

L1 .X; V /

der V -wertigen integrierbaren Abbildungen ein K-Unterraum aller Abbildungen X ! V , R und das Integral f 7! X f d ist eine K-lineare Abbildung mit Werten in V . Anmerkung 4.2.23 (Integrale über Abbildungen mit Werten in Banach-Räumen) Für eine beliebige messbare Abbildung f W X ! V auf einem Maßraum .X; A; / mit Werten in einem beliebigen R-Banach-Raum V definiert man das Integral in Anlehnung an Satz 4.2.22 (1) am schnellsten folgendermaßen: Man betrachtet für jede stetige Linearform LW V ! R die messbare Funktion L ı f und verlangt zunächst, dass alle R R Integrale X .L ı f / d existieren. Dann ist I W L 7! X .L ı f / d eine Linearform

4.2 Integrierbare Funktionen

103

auf dem stetigen Dualraum V 0 D LR .V; R/. Gibt es dazu einen Vektor v 2 V mit R L.v/ D I.L/ D X .L ı f / d, so heißt dieses v das Integral Z f d WD v: X

R

0 I stetig Genau dann existiert also X f d, wenn   auf V ist und zum Bild der kanoni00 schen Abbildung V ! V mit x 7! e 7! e.x/ gehört. Da diese Abbildung nach dem Satz von Hahn-Banach die Norm erhält und insbesondere injektiv ist, ist das Integral, falls es existiert, eindeutig bestimmt. Ist V ! V 00 bijektiv – V heißt dann ein reflexiver Banach-Raum –, so ist die Stetigkeit von I auch hinreichend für die Existenz des Integrals. Wir bemerken, dass nach dem Rieszschen Darstellungssatz Hilbert-Räume stets reflexiv R R dann stetig, wenn sind. Wegen X j.L ı f /.x/j d  kLk X kf .x/k d ist I sicherlich R kf kW x 7! kf .x/k auf X integrierbar ist, und dann gilt kI k  X kf .x/k d. Für Hilbert-Räume erhalten wir also: Ist V ein Hilbert-Raum und f W X ! V eine messbare R Abbildung mit X kf k d < 1, so ist f integrierbar mit



Z X

f d 

Z kf k d: X

Wiederum mit dem Satz von R Hahn-Banach erhält man diese Formel für beliebige BanachRäume, falls das Integral X f d existiert. Ist V separabel, so existiert dieses Integral R die Aufg. 5.1.11 über das Bochner-Inteimmer, wenn X kf k d < 1 ist. Vgl. dazu R f d auch im Fall eines Hilbert-Raums V gral. Wir betonen aber, dass das Integral X R } existieren kann, ohne dass X kf k d endlich ist. Beispiel! Anmerkung 4.2.24 (Integrale über nicht notwendig  -endliche Maßräume) Gelegentlich hat man auch Integrale für messbare Funktionen f W X ! R auf nicht  -endlichen Maßräumen .X; A; / zu betrachten. Sie werden für solche messbaren Funktionen f definiert, für die der messbare Teilraum Xf WD fx 2 X j f .x/ ¤ 0g  -endlich ist. Man setzt dann Z Z f d WD f d; X

Xf

falls das Integral auf der rechten Seite existiert. Der Raum der in diesem Sinne integrierbaren Funktionen modulo des Raums der f. ü. verschwindenden Funktionen ist die Vervollständigung des Raums der integrierbaren Treppenfunktionen bzgl. der L1 -Norm, vgl. dazu Satz 5.1.5. }

104

4

Integration

Aufgaben Aufgabe 4.2.1 Seien f; gW X ! R messbare Funktionen auf dem Maßraum X D .X; A; /. Sind f und g integrierbar, so auch Sup .f; g/ und Inf .f; g/. Ist f integrierbar und g beschränkt, so ist auch fg integrierbar.   Ist .X/ < 1, so sind 1=.1 C f 2 /, 1=.1 C jf j/ und Inf 1; 1=jf j integrierbar. Ist .X/ < 1, f nicht-negativ und ist f p integrierbar für ein p > 0, so ist auch f q integrierbar für alle q mit 0  q  p. (Es ist f q  Sup .1; f p /.) e) Ist f nichtnegativ und beschränkt und ist f q integrierbar für ein q > 0, so ist auch f p integrierbar für alle p mit q  p < 1.

a) b) c) d)

Aufgabe 4.2.2 a) Man gebe Beispiele dafür an, dass das Quadrat f 2 einer integrierbaren Funktion f im Allgemeinen nicht wieder integrierbar ist. b) Man gebe Beispiele dafür an, dass das Quadrat einer messbaren Funktion integrierbar sein kann, ohne dass die Funktion selbst integrierbar ist. Aufgabe 4.2.3 Die Ableitung der Funktion f W Œ1; 1 ! R mit f .t/ WD t 2 sin 1=t 2 für t ¤ 0 und f .0/ WD 0 ist nicht integrierbar (aber natürlich messbar). Aufgabe 4.2.4 Sei f W X ! R eine integrierbare Funktion auf dem Maßraum .X; A; /. Zu jedem " > 0 gibt es dann eine einfache Treppenfunktion gW X ! R mit der EigenR schaft X jf  gj d  ". Aufgabe 4.2.5 Sei f W X ! R eine integrierbare Funktion auf dem Maßraum .X; A; /. Dann ˇ jedem " > 0 ein ı > 0, so dass für jede messbare Menge A mit .A/  ı ˇRgibt es zu gilt ˇ A f dˇ  ". (Ohne Einschränkung sei f nichtnegativ und ferner beschränkt; für die zweite Reduktion benutze man 4.2.7.) Aufgabe 4.2.6 Sei f W R ! R integrierbar bzgl. 1 . Dann ist die Funktion x 7! Rx 1 f .t/ dt auf R stetig, sogar gleichmäßig stetig. Aufgabe 4.2.7 Sei f W Rn ! R integrierbar bzgl. n . Dann ist die Funktion x 7! R n n n I.x/ f d auf R gleichmäßig stetig, wobei I.x/ für x D .x1 ; : : : ; xn / 2 R der Quader mit Hilfe des Ausschöpfungssatzes zu " > 0   1; x1        1; xn  ist. (Man kann R einen kompakten Quader Q finden mit Rn Q jf j d  ".) Aufgabe 4.2.8 Seien f W X ! R und gW X ! R integrierbare Funktionen auf dem Maßraum .X; A; /. Dann sind äquivalent:

4.2 Integrierbare Funktionen

105

(1) f D g fast überall. R (2) X jf  gj d D 0. R R (3) Für alle M 2 A ist M f d D M g d, d. h. die verallgemeinerten Maße f d und g d mit den Dichten f und g stimmen überein. (4) Für M eines durchschnittstabilen Erzeugendensystems von A gilt R R alle Teilmengen f d D g d. M M (Die Gleichheit f D g fast überall gilt offensichtlich auch dann, wenn f und g im verallgemeinerten Sinn integrierbar sind, die verallgemeinerten Maße f d und g d  -endlich sind und eine der Bedingungen (3) oder (4) erfüllt ist, wobei im Falle von Bedingung (4) R die Endlichkeit von Mk f d für eine X ausschöpfende Folge Mk , k 2 N, von Elementen Mk des Erzeugendensystems vorauszusetzen ist.) Aufgabe 4.2.9 Seien X  Rn eine Borel-Menge und f W X ! R eine messbare Funktion. Im Punkte x0 2 X sei f stetig. Dann gibt es zu jedem " > 0 ein ı > 0 mit folgender Eigenschaft: Ist M  X \ B.x0 I ı/ eine Borel-Menge, so ist Z ˇ ˇ ˇ f dn  f .x0 / n .M /ˇ  "n .M /: M n offene Menge und f und g stetige Funktionen Aufgabe 4.2.10 R R eine R Seienn X  X ! R mit M f d D M g dn für alle beschränkten Borel-Mengen M  X, auf denen auch f und g beschränkt sind. Dann ist f D g überall auf X. (Besitzt also ein   Maß  auf X; B.X/ eine stetige Dichte f bezüglich n , so ist diese eindeutig bestimmt und zwar ist zum Beispiel für x0 2 X nach Aufg. 4.2.9    X \ B.x0 I ı/ : f .x0 / D lim n  ı!0C  X \ B.x0 I ı/

Dies ist die übliche Vorstellung, die man mit einer Dichte als Masse pro Volumen verbindet.) Aufgabe 4.2.11 a) Man berechne für ˛; ˇ 2 R und 0  r  R  1 die Integrale Z Z ˇ ˛ n kxk d und kxk˛ ekxk dn : rkxkR

Rn

b) Sei ˚W Rnp Rn ! R eine positiv definite symmetrische Bilinearform mit der Norm kxk˚ D ˚.x; x/, x 2 Rn . Für jede messbare Funktion f W RC ! R gilt Z Rn

  n!n f kxk˚ dn D p D

Z1 t n1 f .t/ dt; 0

106

4

Integration

  wobei D WD Det ˚.ei ; ej / die Gramsche Determinante von ˚ für die Standardbasis e1 ; : : : ; en ist. Dabei existiert eines der Integrale genau dann, wenn das andere existiert. (Man beachte Beispiel 4.2.12 und Aufg. 2.3.8.) Aufgabe 4.2.12 Sei hW I ! J eine bijektive stetig differenzierbare Abbildung von Intervallen I; J  R. a) Das Bildmaß von jh0 j1 auf I ist gleich dem Maß 1 auf J . b) Sei f W J ! R eine messbare Funktion. Genau dann ist f integrierbar bzgl. 1 , wenn die Funktion .f ı h/ h0 auf I integrierbar ist. In diesem Falle gilt Z

Z f d D 1

J

.f ı h/  jh0 j d1 :

I

(Dies ist die Substitutionsregel für integrierbare Funktionen in einer Veränderlichen. Gibt man die Grenzen der Intervalle I und J in der Reihenfolge an, wie sie sich vermöge h entsprechen, so sind in der Substitutionsregel die Betragsstriche bei jh0 j wegzulassen. – Insbesondere folgt, dass das Bild h.N / der Nullstellenmenge N von h0 in I eine Nullmenge in J ist. Man beachte aber, dass N selbst nicht notwendigerweise eine Nullmenge ist. Ist etwa N  R eine abgeschlossene total unzusammenhängende Menge positiven Maßes (vgl. Aufg. 2.1.4 c)) und bezeichnet h.t/ die Funktion, deren Ableitung die stetige Funktion d.t; N /, also der Abstand zu N ist, so ist h streng monoton wachsend, und h0 verschwindet genau auf der Menge N von positivem Maß. – Man konstruiere explizit bijektive, monoton wachsende und stetig differenzierbare (oder C1 -) Funktionen h1 W Œ0; 1 ! Œ0; 1, h2 W Œ0; 2 ! Œ0; 1 mit    1  1 0 h01 h1 1 .x/ D 2 h2 h2 .x/ für alle x 2 Œ0; 1. Interpretiert man also h1 und h2 als die Zeit-Weg-Funktionen zweier Läufer L1 ; L2 , so besitzt der Läufer L1 an jeder Wegstelle x 2 Œ0; 1 nur die halbe Geschwindigkeit von L2 und braucht dennoch nur die Hälfte der Zeit des Läufers L2 zum Zurücklegen derselben Gesamtstrecke Œ0; 1. Dabei macht keiner der Läufer eine Pause, wenn eine Pause definitionsgemäß ein nichttriviales ist, auf  Zeitintervall  dem die Geschwindigkeit gleich 0 ist. Natürlich   ist 1 fh01 ¤ 0g D 2 1 fh02 ¤ 0g .) c) Man gebe für das Bildmaß von 1 unter der Funktion R ! R mit t 7! .Sign t/jtj˛ eine Dichte an (wobei ˛ 2 RC beliebig ist). Aufgabe 4.2.13 Sei W B1 ! RC ein Maß, das auf jedem beschränkten Intervall endlich ist, und F W R !  R die  gemäß 2.1.1 zugeordnete linksseitig stetige, monoton wachsende Funktion mit  Œa; bŒ D F .b/  F .a/. a) Besitzt  eine Dichte bzgl. 1 , so ist F stetig. b) Ist F stetig differenzierbar, so ist die Ableitung F 0 eine Dichte von  bzgl. 1 .

4.2 Integrierbare Funktionen

107

c) Man gebe eine Dichte zu der folgenden Funktion F an:

F .x/ WD

8 0:

d) Man gebe die Funktion F an, wenn  eine der folgenden Dichten bzgl. 1 hat: 1 ; a>0 2 8 Ct 0; ˛; ˇ > 0

e) Seien und B WD F .1/ D lim F .t/:

A WD F .1/ D lim F .t/ t !1

t !1

Die Funktion hW A; BŒ ! R sei definiert durch h.s/ WD Sup ft 2 R j F .t/  sg. Dann ist h monoton wachsend und rechtsseitig stetig (und bei streng monoton wachsendem, stetigem F gleich der Umkehrabbildung F 1 ), vgl. Aufg. 2.1.6. Es gilt  D h 1 und somit Z

Z f dF WD R

Z f d D

R

ZB f dh 1 D

R

.f ı h/ d1 A

für jede messbare Funktion f W R ! R, wobei jedes der Integrale genau R dann existiert, wenn dies für das andere gilt. (Man nennt Integrale der Form R f dF auch Stieltjes-Integrale. Mit Hilfe der hypsographischen Funktion h zu F lassen sie sich also auf gewöhnliche Lebesgue-Integrale über 1 zurückführen.) Aufgabe 4.2.14 Seien .X; A; /, .Y; B; / und .Z; C ; /  -endliche Maßräume. Ferner seien F W X ! Y und GW Y ! Z messbare Abbildungen sowie f W Z ! RC , gW Z ! RC messbare Funktionen. Dann gilt: a) b) c) d)

  .G ı F / ./ D G F ./ . G .f ı G/ D f G . / (falls G . /  -endlich ist). f .g/ D .fg/ (falls g  -endlich ist). Aus F ./ D .f ıG/ und G . / D g folgt .G ıF / ./ D .fg/ (falls G . / D g  -endlich ist).

108

4

Integration

Aufgabe 4.2.15 Sei  ein  -endliches diskretes Maß auf der Menge X, vgl. Beispiel 1.3.2. Dann ist Z jf j d D

X

jf .x/j .x/

x2X

X

für alle Funktionen X ! R. Genau dann ist eine Funktion X ! R integrierbar, wenn die Familie f .x/.x/, x 2 X, in R summierbar ist. In diesem Fall ist Z f d D

X

f .x/ .x/:

x2X

X

Aufgabe 4.2.16 Sei X eine abzählbare Menge. Jedes  -endliche diskrete Maß  auf X besitzt eine Dichte bezüglich des Zählmaßes auf X. Aufgabe 4.2.17 Sei f integrierbar auf dem  -endlichen Maßraum .X; A; /. Dann ist lim

a2R;a!1

   f jf j  ag D 0:

Aufgabe 4.2.18 Sei f W X ! R eine messbare numerische Funktion auf einem  -endlichen Maßraum .X; A; /. 

a) Ist f integrierbar, so ist die Beschränkung des Bildmaßes f ./ auf R WD R  f0g  -endlich.  b) Sei die Beschränkung von f ./ auf R  -endlich. Dann ist Z

Z jf j d D X

Ist f integrierbar, d. h.

R

R R

Z jtj df ./ D



jtj df ./: R

jtjdf ./ < 1, so ist Z

Z f d D X

t df ./: R



c) Die Beschränkung von f ./ auf R sei  -endlich und besitze die Dichte g bezüglich 1 . Dann ist Z1

Z jf j d D X

jtjg.t/ dt: 1

4.2 Integrierbare Funktionen

109

Ist f integrierbar, so ist Z

Z1 f d D

tg.t/ dt: 1

X

Aufgabe 4.2.19 Seien M  Rn eine Borel-Menge und HC WD fx 2 Rn j x1  0g. Die Funktion f W M ! R sei integrierbar. a) Ist M punktsymmetrisch bezüglich 0 2 Rn , so ist Z Z   f dn D f .x/ C f .x/ dn : R

M \HC

M

Insbesondere ist MR f d D 0, falls f ungerade ist, d. h. stets f .x/ D f .x/ gilt, R n und M f d D 2 M \HC f dn , falls f gerade ist, d. h. stets f .x/ D f .x/ gilt. b) Sei M symmetrisch bezüglich der Spiegelung an der Ebene Re2 C    C Ren (längs Re1 /. Dann ist Z Z   n f d D f .x1 ; x2 ; : : : ; xn / C f .x1 ; x2 ; : : : ; xn / dn : M

n

M \HC

Aufgabe 4.2.20 Seien P0 ; : : : ; Pn 2 Rn affin unabhängige Punkte und S das (konvexe) Simplex mit diesen Punkten als Ecken. Zu beliebigen Werten y0 ; : : : ; yn 2 R gibt es genau eine affine Funktion f mit f .Pi / D yi , i D 0; : : : ; n. Man zeige: Z y0 C    C yn n f dn D   .S/: nC1 S

4.2.21 Für ein Maß W B1 ! RC auf R1 und r 2 N heißen die Integrale RAufgabe r R t d , soweit sie existieren, die Momente von . Man berechne die Momente (falls sie existieren) für die Maße mit den folgenden Dichten R ! RC bezüglich 1 (a 2 RC , b; ˛ 2 R sind konstant): 8 0 1 2 t 7! 4 I t 7! t 7! ea.t b/ I :0; t C1 falls t  0: Aufgabe 4.2.22 LW G ! R sei eine konvexe messbare Funktion auf der konvexen Borel-Menge G  Rn , und f; gW X ! G seien messbare Abbildungen auf dem Maßraum X D .X; A; /. Sind dann L ı f und L ı g auf X integrierbar, so ist L ı .1  s/f C sg für alle s 2 Œ0; 1 integrierbar und es gilt Z Z Z   S.s/ WD L ı .1  s/f C sg d  .1  s/ .L ı f / d C s .L ı g/ d: X

Die Funktion S.s/ ist also auf Œ0; 1 konvex.

X

X

110

4

Integration

Aufgabe 4.2.23 Eine Funktion f W Œa; b ! R heißt Riemann-integrierbar, wenn sie beschränkt ist und die Menge N ihrer Unstetigkeitsstellen (die stets eine Borel-Menge ist) eine Nullmenge ist.   Eine Riemann-integrierbare Funktion ist auch Lebesgue-integrierbar, da f j Œa; b  N stetig (und damit messbar) sowie beschränkt ist. Es ist also definitiR Rb onsgemäß a f .t/ dt D Œa;bN f d1 .1 Wie bereits in Beispiel 4.2.13 (2) bemerkt, ist Rx das Integral x 7! a f .t/ dt für jede differenzierbare Funktion F W Œa; b ! R mit Riemann-integrierbarer Ableitung f eine Stammfunktion von f , also bis auf eine additive Konstante gleich F . Dies gilt – wie dort beschrieben – auch dann, wenn die (stets messbare) Ableitung f D F 0 nur beschränkt ist. Es gibt differenzierbare Funktionen F , für die F 0 beschränkt aber nicht Riemann-integrierbar ist. Die Konstruktion eines solchen Beispiels auf dem Einheitsintervall E WD Œ0; 1 soll hier angedeutet werden, wobei die Menge N der Unstetigkeitsstellen von F 0 gleich der in Aufg. 2.1.4 b) zu einem a mit 0 < a < 1=3 definierten Cantorschen Wischmenge Na WD E  Va vom Maß .1  3a/=.1  2a/ > 0 ist. (Die Bezeichnungen der U .n/ zitierten Aufgabe und insbesondere die Darstellung Va D n0 Va als Vereinigung offener disjunkter Intervalle werden übernommen.) Wir benutzen die Hilfsfunktion h.x/ WD x 2 sin .1=x/, x ¤ 0, h.0/ WD 0, die überall differenzierbar ist und deren Ableitung h0 .x/ D 2x sin .1=x/  cos .1=x/, x ¤ 0, h0 .0/ D 0, unendlich oft in jeder noch so kleinen Umgebung von 0 verschwindet, auf jedem kompakten Intervall beschränkt sowie im Nullpunkt unstetig ist. Für ˛; ˇ 2 R mit ˛ < ˇ sei  die größte Nullstelle von h0 im Intervall Œ0; .˛ C ˇ/=2 und g˛;ˇ W Œ˛; ˇ ! R die differenzierbare Funktion mit g˛;ˇ .x/ WD h.x  ˛/ für x 2 Œ˛; ˛ C , g˛;ˇ .x/ WD h.ˇ  x/ für x 2 Œˇ   ; ˇ und g˛;ˇ .x/ WD h./ für x 2 Œ˛ C  ; ˇ  . Die angekündigte Funktion F auf E wird nun folgendermaßen definiert: Auf jeder Zusammenhangskomponente ˛; ˇŒ von Va stimme F mit g˛;ˇ überein, und auf Na sei F identisch 0. Man sieht leicht, dass F auch in den Punkten von Na differenzierbar ist mit Ableitung 0 und dass F 0 genau in den Punkten von Na nicht stetig ist.

4.3

Der Satz von Fubini

Mit dem Satz von Fubini werden Integrale über ein Produkt X1     Xn von  -endlichen Maßräumen Xi , i D 1; : : : ; n, auf Integrale über die Faktoren zurückgeführt. Insbesondere lassen sich Integrale über Rn oder geeignete Teilmengen davon bzgl. des Maßes n D 1 ˝    ˝ 1 mit Hilfe von Integralen über Intervalle des R1 , versehen mit dem Maß 1 , ausdrücken. Diese lassen sich in vielen Fällen in der üblichen Weise mit Hilfe von Stammfunktionen berechnen, vgl. die Beispiele 4.2.13 und 4.2.14.

1

Das Integral über eine Riemann-integrierbare Funktion lässt sich auch mit Hilfe von Riemannschen Summen definieren. Dies wird in der Regel ausführlich in klassischen Analysis-Büchern beschrieben.

4.3 Der Satz von Fubini

111

Abb. 4.6 Schnitte der Menge C

Seien .X; A; / und .Y; B; /  -endliche Maßräume und .Z; C ; / mit Z WD X  Y , C D A ˝ B,  D  ˝ ihr Produkt. Da für jedes x0 2 X und jedes y0 2 Y die Inklusionen x0 W Y ! X  Y mit y 7! .x0 ; y/ bzw. y0 W X ! X  Y mit x 7! .x; y0 / messbar sind, sind für jedes C 2 C die Mengen CY .x0 / WD 1 x0 .C / D fy 2 Y j .x0 ; y/ 2 C g; x0 2 X, und CX .y0 / WD y1 .C / D fx 2 X j .x; y0 / 2 C g; 0 y0 2 Y , messbar in Y bzw. X. CY .x0 / heißt auch der Schnitt der Menge C in x0 , siehe Abb. 4.6. Analog heißt CX .y0 / der Schnitt der Menge C in y0 . Wir beweisen zunächst das folgende fundamentale Lemma: Lemma 4.3.1 Sei C 2 C . Dann sind die Funktionen X ! RC und Y ! RC mit   x 7! CY .x/

  bzw. y 7!  CX .y/

messbar. Beweis Es genügt zu zeigen, dass x 7! .CY .x// messbar ist. Statt CY .x/ schreiben wir dabei zur Abkürzung einfach C.x/. Da Y ein  -endlicher Maßraum ist, gibt es eine Ausschöpfung Yn " Y von Y durch messbare Teilmengen Yn  Y mit .Yn / < 1. Setzt man Cn WD C \ .X  Yn /, n 2 N, so gilt Cn " C , also Cn .x/ " C.x/ und folglich limn!1 .Cn .x// D .C.x//. Wegen 4.1.6 genügt es zu zeigen, dass x 7! .Cn .x// messbar ist. Wir können daher gleich .Y / < 1 annehmen. Mit D bezeichnen wir die Menge der C 2 C , für die die Funktion x 7! .C.x// messbar ist. Ist C ein Rechteck C D A  B mit A 2 A, B 2 B, so ist C.x/ D B für x 2 A und C.x/ D ; für x … A. Bezeichnet eA die (messbare) Indikatorfunktion von A, so ist in diesem Fall x 7! .C.x// die messbare Funktion .B/eA. Daher enthält D alle Rechtecke A  B mit A 2 A, B 2 B.

112

4

Integration

Diese Rechtecke bilden ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem für die  -Algebra C . Nach 1.2.17 erzeugen sie C auch als Dynkin-System. Wir zeigen noch, dass D ein Dynkin-System ist. Dies liefert dann D D C und damit die Behauptung. Aus dem oben Gezeigten ergibt sich zunächst, dass Z D X  Y 2 D ist. Sind nun   C; D 2 D mit C  D, so ist auch x 7! ..D  C /.x// D .D.x//  .C.x// wegen .D  C /.x/ D D.x/  C.x/ messbar und somit D  C 2 D. Sind schließlich

U Ci , i 2 I , abzählbar viele paarweise disjunkte Mengen in D und ist C D i 2I Ci deren P U Vereinigung, so ist C.x/ D i 2I Ci .x/ und daher x 7! .C.x// D i 2I .Ci .x// als U Grenzfunktion messbarer Funktionen nach 4.1.6 ebenfalls messbar. i 2I Ci liegt somit in D.  Wir können nun die folgende Verallgemeinerung von Satz 2.3.7 formulieren: 4.3.2 Satz von Cavalieri .X; A; / und .Y; B; / seien  -endliche Maßräume. Für alle C 2 A ˝ B gilt dann Z . ˝ /.C / D

  CY .x/ d D

X

Z

   CX .y/ d :

Y

Beweis Wir setzen wieder C.x/ WD CY .x/ Rfür x 2 X. Es genügt die erste Gleichheit Q C 7! zu beweisen. Dazu zeigen wir, dass W X .C.x// d ein Maß auf A ˝ B ist, das für Rechtecke A  B, A 2 A, B 2 B, mit dem Produktmaß  ˝ übereinstimmt. Der Eindeutigkeitssatz 1.4.1 liefert dann die Behauptung Q D  ˝ . R Q  B/ D .B/ d D .A/ .B/ D . ˝ /.A  B/. Für A 2 A, B 2 B gilt .A A Bezeichnet Ci , i 2 I , eine abzählbare Familie paarweise disjunkter Elemente von A ˝ B, Q so liefert der Satz von Beppo Levi, vgl. 4.2.16, die  -Additivität von : Z X ]  Z ]  Q Ci D Ci .x/ d D .Ci .x// d i 2I

X

D

XZ

i 2I

X

.Ci .x// d D

i 2I X

X

i 2I

Q i /: .C



i 2I

Als Konsequenz erhalten wir sofort: Satz 4.3.3 Sei f W X  Y ! RC eine nichtnegative messbare Funktion auf dem Produkt der  -endlichen Maßräume .X; A; / und .Y; B; /. Dann sind die Funktionen f .; y/W x 7! f .x; y/, y 2 Y fest, sowie Z

Z f .x; y/ d WD

y 7! X

f .; y/ d X

4.3 Der Satz von Fubini

113

auf X bzw. Y ebenfalls messbar. Analog sind die Funktionen f .x; /W y 7! f .x; y/, x 2 X fest, sowie Z Z x 7! f .x; y/ d WD f .x; / d Y

Y

auf Y bzw. X messbar. Dabei gilt Z Z Z Z Z   f d. ˝ / D f .x; y/ d d D f .x; y/ d d: X Y

Y

X

X

Y

Beweis Das Urbild eines Rechtecks A  B mit A 2 A, B 2 B bei y W X ! X  Y , y .x/ WD .x; y/, ist A. Daher sind y und dann auch f .; y/ D f ı y messbar. Ferner ist Z     f .x; y/ d D . ˝ 1 / G.f .; y/I X/ D . ˝ 1 / G.f I X  Y /.y/ : X

R Nach 4.3.1 ist daher y 7! X f .x; y/ d messbar, und 4.3.2 liefert Z    f d. ˝ / D  ˝ ˝ 1 G.f I X  Y / X Y

Z D



˝

1



 G.f I X  Y /.y/ d D

Y

Z Z Y

 f .x; y/ d d :

X

Die restlichen Behauptungen erhält man durch Vertauschen der Rollen von X und Y .  Wir können nun leicht das folgende Kriterium für die Integrierbarkeit einer messbaren Funktion auf einem Produktraum beweisen. 4.3.4 Satz von Tonelli Eine messbare Funktion f W X  Y ! R auf dem Produkt der  -endlichen Maßräume .X; A; / und .Y; B; / ist genau dann integrierbar, wenn eines der beiden (untereinander stets gleichen) Integrale Z Z Z Z jf .x; y/j d d und jf .x; y/j d d Y

X

X

Y

einen endlichen Wert hat. R Beweis Nach 4.2.3 ist f genau dann integrierbar, wenn X Y jf j d. ˝ / einen endlichen Wert hat. Dieses Integral ist aber wegen 4.3.3 gleich jedem der beiden in der Aussage von 4.3.4 angegebenen Integrale.  Mit Hilfe des Satzes von Tonelli lässt sich in der Regel leicht feststellen, ob die Integrierbarkeitsvoraussetzung im nun zu beweisenden Satz von Fubini erfüllt ist.

114

4

Integration

4.3.5 Satz von Fubini Sei f W X  Y ! R eine integrierbare Funktion auf dem Produkt der  -endlichen Maßräume .X; A; / und .Y; B; /. Dann sind die Funktionen Z Z y 7! f .x; y/ d und x 7! f .x; y/ d X

Y

jeweils fast überall definiert und integrierbar, und es gilt Z Z Z Z Z   f d. ˝ / D f .x; y/ d d D f .x; y/ d d: X Y

Y

X

X

Y

R

Beweis Nach 4.3.4 ist die Funktion y 7! X jfR .x; y/j d auf Y integrierbar. Insbesondere gibt es daher eine Nullmenge N  Y mit X jf .x; y/j d < 1 für alle y 2 Y  N , vgl. die Bemerkungen im Anschluss an 4.2.16. Für diese y sind dann wegen 4.2.3 auch die Funktionen x 7! f R .x; y/, x 7! fC .x; y/ und x 7! f .x; y/ über X integrierbar. Für y 2 Y  N ist somit X f .x; y/ d definiert, und es gilt Z Z Z f .x; y/ d D fC .x; y/ d  f .x; y/ d 2 R: X

X

X

R

Um die Integrierbarkeit von y 7! X f .x; y/ d auf Y  N zu zeigen, genügt es also, die R R Integrierbarkeit von y 7! X fC .x; y/ d (und analog y 7! X f .x; y/ d) zu zeigen. Da X  N eine Nullmenge in X  Y ist, ergibt sich dies mit 4.3.3 aus der Integrierbarkeit von f wegen Z Z Z Z  fC .x; y/ d d D fC d. ˝ / D fC d. ˝ / < 1: Y N

X Y

X .Y N /

X

Außerdem erhält man so Z Z Z f d. ˝ / D fC d. ˝ /  f d. ˝ / X Y

X Y

D

Z Z

Y N

D

X

Z Z

Y N

X

X Y



fC .x; y/ d d  

f .x; y/ d d D

Z Z

Y N

Z Z Y

 f .x; y/ d d

X

 f .x; y/ d d :

X

Die restlichen Aussagen gewinnt man durch Vertauschen der Rollen von X und Y im vorstehenden Beweis.  Die Sätze von Tonelli und Fubini lassen sich sofort auf Produkte endlich vieler Maßräume verallgemeinern. Wir fassen zusammen:

4.3 Der Satz von Fubini

115

Satz 4.3.6 Es sei f W X1      Xn ! R eine messbare Funktion auf dem Produkt der  -endlichen Maßräume .X1 ; A1 ; 1 / ; : : : ; .Xn ; An ; n /, und es sei  2 Sn eine Permutation. Dann ist f genau dann integrierbar, wenn gilt Z  Z    Z  jf .x1 ; : : : ; xn /j d .n/    d .2/ d .1/ < 1: X.1/

X.2/

X.n/

In diesem Fall ist Z  Z Z    f d.1 ˝    ˝ n / D f .x1 ; : : : ; xn / d .n/    d .1/ : X1 Xn

X.1/

 .n/

Beispiel 4.3.7 Für eine integrierbare Funktion f W Rn ! R ergibt 4.3.6 speziell Z1

Z f d D



n

Rn

1

wofür man auch kurz Z f .t1 ; : : : ; tn / dt1    dtn

 Z1

 f .t1 ; : : : ; tn / dt1    dtn ;

1

Z t D .t1 ; : : : ; tn /;

f .t/ dt;

bzw.

Rn

Rn

}

oder ähnliches schreibt.

Beispiel 4.3.8 Seien f W X ! R und gW Y ! R messbare Funktionen auf den  -endlichen Maßräumen .X; A; / bzw. .Y; B; /. Dann ist auch die Funktion f ˝gW X Y ! R mit .f ˝ g/.x; y/ WD f .x/ g.y/ messbar. Nach dem Satz von Tonelli ist Z Z Z  jf ˝ gj d. ˝ / D jf .x/j jg.y/j d d X Y

Y

X

Z

jg.y/j

D Y

D

Z X

Z

 jf .x/j d d

X

jf .x/j d

 Z

 jg.y/j d :

Y

Sind also f und g integrierbar, so ist auch f ˝ g integrierbar über X  Y , und der Satz von Fubini liefert mit einer analogen Rechnung Z Z  Z  f ˝ g d. ˝ / D f .x/ d g.y/ d : X Y

X

Y

116

4

Integration

Sind dabei die Funktionen f und g nichtnegativ und sind die Maße f und g ebenfalls  -endlich, so hat das Produktmaß f ˝ g die Dichte f ˝ g bezüglich  ˝ . Für ein messbares Rechteck A  B mit A 2 A, B 2 B gilt nämlich   .f ˝ g/ . ˝ / .A  B/ D

Z f .x/ g.y/ d. ˝ / D

Z

AB

 Z f .x/ d

A

B

D .f/.A/  .g /.B/ D .f ˝ g /.A  B/: Beispiel 4.3.9 (Fehlerintegral) Wir berechnen das Integral E WD von Beispiel 4.2.12, angewandt auf f .t/ WD et , erhält man2 Z

e.x

2 Cy 2 /

Z1 dx dy D 2!2

R2

 g.y/ d

R1 1

}

et dt. Mit Hilfe 2

ˇ   1 2 2 ˇ1 D : tet dt D 2  et ˇ 0 2

0

Andererseits liefert Beispiel 4.3.8 Z

e.x

2 Cy 2 /

dx dy D

ex dx 2

 Z

R

R2

Wegen E  0 folgt E D Fehlerintegral

Z

 2 ey dy D E 2 :

R

p p . Die Substitution  D 2t ergibt dann für das so genannte Z1

et

2 =2

dt D

p

2:

}

1

Die Sätze von Tonelli und Fubini lassen sich auch benutzen, um Integrale messbarer Funktionen f über messbare Teilmengen C eines Produktraums X  Y zu berechnen. Dazu wendet man diese Sätze auf die triviale Fortsetzung von f auf X  Y an und erhält mit den am Anfang dieses Abschnitts eingeführten Bezeichnungen: Satz 4.3.10 Es sei C  X  Y eine messbare Menge im Produkt der  -endlichen Maßräume .X; A; / und .Y; B; /, und f W C ! R sei eine messbare Funktion. Dann ist f genau dann integrierbar, wenn gilt: Z  Z Y

2

 jf .x; y/j dx dy < 1:

CX .y/

Natürlich kann man dies auch durch Einführung von Polarkoordinaten sehen, vgl. Beispiel 4.5.4.

4.3 Der Satz von Fubini

117

Abb. 4.7 Zu Beispiel 4.3.11

In diesem Fall ist

Z f d. ˝ / D C

Z  Z Y

 f .x; y/ dx dy:

CX .y/

Dabei genügt es, statt über Y über die nach 4.3.1 messbare Menge derjenigen y 2 Y zu integrieren, für die .CX .y// > 0 ist. Natürlich gilt auch eine analoge Aussage, bei der die Rollen von X und Y vertauscht sind. ˇ  ˚ Beispiel 4.3.11 Sei C WD .x; y/ 2 R2 ˇ 0  x  1 ; 0  y  x 2 , siehe Abb. 4.7. Es gilt nach 4.3.10 Z x e dx dy D y

C

Z1  Z 1 0



Z1

x e dx dy D y

p y

1 1 .1  y/ ey dy D e  1: 2 2

0

Integriert man in der umgekehrten Reihenfolge, so erhält man ebenfalls Z x e dx dy D y

C

Z1  Zx 2 0



Z1

x e dy dx D y

0

2

.x ex  x/ dx D

1 e  1: 2

}

0

Es seien  und beliebige  -endliche Maße auf dem Messraum .Rn ; Bn /. Das Bildmaß von  ˝ W B2n ! RC unter der Summenabbildung SW .x; y/ 7! x C y von Rn  Rn auf Rn heißt die Faltung von  und und wird mit  bezeichnet. Definitionsgemäß gilt also für jede Borel-Menge M  Rn   . /.M / D . ˝ / S 1 .M / : Besitzen  und Dichten f W Rn ! RC bzw. gW Rn ! RC bezüglich des Borel-Lebesgue-Maßes n , d. h. ist  D f n , D gn , so besitzt  ˝ gemäß Beispiel 4.3.8 die Dichte f ˝ g bezüglich n ˝ n D 2n . Für beliebige Borel-Mengen M  Rn gilt also Z f .x/ g.y/ d2n : . /.M / D S 1 .M /

118

4

Integration

Bei einem Quader Q WD1; a1 Œ      1; an Œ mit a1 ; : : : ; an 2 R ist S 1 .Q/ D f.x; y/ 2 R2n j x1 C y1 < a1 ; : : : ; xn C yn < an g: Der lineare Automorphismus F des R2n mit F .x; z/ WD .x; z  x/ hat die Determinante Det F D 1, und F .Rn  Q/ D S 1 .Q/. Die lineare Transformationsformel 4.2.11 zusammen mit dem Satz von Fubini liefert Z Z 2n . /.Q/ D f .x/ g.y/ d D f .x/ g.z  x/ d2n S 1 .Q/

D

Z Z

Q

Rn Q



Z

f .x/ g.z  x/ dx dz D

Rn

.f g/ dn ; Q

wobei f g die Faltung von f und g im Sinne der folgenden Definition ist. Definition 4.3.12 Sind f W Rn ! R und gW Rn ! R integrierbare Funktionen, so heißt die Funktion f gW Rn ! R mit Z f .x/ g.z  x/ dx

.f g/.z/ WD Rn

die Faltung von f und g. Man bemerke, dass f g im Allgemeinen nur fast überall auf Rn definiert ist. Bei festem z liefert die affine Transformation x D z  y, d. h. y D z  x, mit der Determinante .1/n sofort Z f .z  y/g.y/ dy;

.f g/.z/ D Rn

insbesondere ist f g D g f . Außerdem haben wir oben bewiesen: Satz 4.3.13 Sind f und g nichtnegative integrierbare Funktionen auf dem Rn , so gilt3 .f n / .g n / D .f g/ 2n : Anmerkung 4.3.14 Die Faltung f1    fm lässt sich auch für m integrierbare Funktionen f1 ; : : : ; fm auf dem Rn definieren, m  2. Man erklärt f1    fm als die Bei beliebigen integrierbaren Funktionen f und g auf dem Rn gilt diese Gleichung offenbar auch für die entsprechenden verallgemeinerten Maße.

3

4.3 Der Satz von Fubini

119

Dichte (bzgl. n ) des Bildmaßes von .f1 n / ˝    ˝ .fm n / unter der Summenabbildung .x1 ; : : : ; xm / 7! x1 C    C xm . Damit folgt leicht, dass die Faltung assoziativ ist. Man kann also in einem Faltungsprodukt beliebig klammern und wegen der Kommutativität auch beliebig umordnen. Trivialerweise gilt außerdem das Distributivgesetz .f C g/ h D f h C g h. Die Menge L1 .Rn / der auf Rn bzgl. n integrierbaren Funktionen bildet also mit der Faltung als Multiplikation sowie der gewöhnlichen Addition einen kommutativen Ring, dem allerdings ein neutrales Element der Multiplikation fehlt. In der Tat gibt es keine integrierbare Funktion f W Rn ! R mit f g D g für alle g 2 L1 .Rn /. Beweis! Man beachte aber, dass es für die Faltung von Maßen ein neutrales Element gibt. Für jedes  -endliche Maß W Bn ! RC ist nämlich ı0  D  D  ı0 , wobei ı0 das im } Nullpunkt 0 2 Rn konzentrierte Dirac-Maß ist, vgl. Aufg. 4.3.12.

Aufgaben Aufgabe 4.3.1 Man berechne das Volumen der folgenden Borelschen Teilmengen M von R3 bezüglich des Borel-Lebesgueschen Maßes 3 . (Man vgl. auch Aufg. 2.3.1 und 2.3.2.) M WD f.x; y; z/ j x 2  y  x; 0  z  xyg. M WD f.x; y; z/ j x 2 C y 2  z  1g. M WD f.x; y; z/ j 0  y  x  1; 0  z  x 2 C y 2 g. C y 2 C z  1g. M WD f.x; y; z/ j x 2 C y 2 C z 2  1; x 2p p p M WD f.x; y; z/ j r  x  r; R  r 2  x 2  y 2 C z 2  R C r 2  x 2 g, 0 < r < R (Torus). f) M WD f.x; y; z/ j x 2 C y 2  1; x 2 C z 2  1g. g) M WD f.x; y; z/ j x 2 C y 2 C z 2  R2 ; y 2 C z 2  r 2 g, 0 < r < R.

a) b) c) d) e)

Aufgabe 4.3.2 Man berechne die folgenden Integrale: R a) RM xy dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2C j x C y  1g. b) RM .xy 2 C z 3 / dx dy dz, M WD Œ0; 13 . c) M y sin.xy/ dx dy, M WD Œ0; 2  Œ; 2. p R d) M .x 2 C y 2 / dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j 1  x 2 C y 2  2g bzw. M f.x; y/ 2 R2 j x 2  y  1g. R WDjxyj dx dy, M WD Œ0; 12 . e) RM xe y f) M xe dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j x 2  y  xg. R g) RM xey z 2 dx dy dz, M WD f.x; y; z/ 2 R3 j x 2 C y 2 < 1; 1 < z < 1g. h) M sin y 2 dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j 0  x  y  1g. R i) M y dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j x 2 C y 2 < 1, y > 0g. R 1 M WD f.x; y/ 2 R2 j x; y  1; x C y  3g. j) M .xCy/ 3 dx dy,

120

4

Integration

R

M xyz dx dy dz, p 3 M WD f.x; y; z/ 2 R j 0  x  1; 0  y  1; x 2 C y 2  z  2g. R y l) RM .xy sin x C xe / dx dy, M WD Œ0; =2  Œ1; 1. m) M y sin jx  yj dx dy, M WD Œ0; 2 . R n) M y 2 exy dx dy, M WD Œ0; 12 . R z3 o) M .xz/ M WD Œ1; 2  Œ0; 12 . 2 dx dy dz, R 2 2 p) M x 2 dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j xa2 C yb 2  1g, a; b > 0. R q) RM x dx dy dz, M WD f.x; y; z/ 2 R3 j 0  xI x 2 C y 2  a2 ; 0  z  2ag, a > 0. r) RM x 3 .1  x 4  y 4 / dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j 0  x; yI x 4 C y 4  1g. s) M ejxCyj dx dy, M WD Œa; a2 , a > 0. R 2 t) M e.xCy/ dx dy, M WD R2C .

k)

Aufgabe 4.3.3 Man untersuche, ob die folgenden Integrale existieren, und berechne sie gegebenenfalls. R a) RM x dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j x  1; jyj  1=x 3 g. 1 M WD f.x; y/ 2 R2 j x 2  y  1g bzw. M WD f.x; y/ 2 R2 j b) M .xCy/ 2 dx dy, 0R  y  x 2  1g. 1 M WD f.x; y/ 2 R2 j 0  x; y; x C y  1g, ˛ 2 R. c) M .1.xCy// ˛ dx dy, R xy d) M e dx dy, M WD R2C .

Aufgabe 4.3.4 a) Für eine integrierbare Funktion f W Œa; b2 ! R ist Zb  Zx a



f .x; y/ dy dx D

a

Zb  Zb a

 f .x; y/ dx dy:

y

b) Mit f W Œa; b ! R, a; b 2 R, ist auch fQW Œa; b2 ! R, fQ.x; y/ WD f .y/, integrierbar, und dann gilt Zb  Zx a



Zb

f .y/ dy dx D

a

.b  y/f .y/ dy: a

Aufgabe 4.3.5 Sei f W Œa; b ! RC integrierbar. Dann ist  Zb a

 Zb dt  f .t/ dt  .b  a/2 : f .t/ a

4.3 Der Satz von Fubini

121

Abb. 4.8 Berechnung des Kegelvolumens

Zb Zb (Man betrachte a

f 2 .x/ C f 2 .y/ dx dy.) 2f .x/f .y/

a

Z Aufgabe 4.3.6 (Kugelvolumen) Sei En WD

e.x1 CCxn / dx1    dxn . Dann ist einer2

2

Rn

seits En D  n=2 und andererseits Z1 n n n 2 D !n Š: En D n!n t n1 et dt D !n 2 2 2 0

  Für das Kugelvolumen !n D n B.0I 1/ folgt !n D  n=2 =.n=2/Š, vgl. Beispiel 2.3.8. Aufgabe 4.3.7 (Zylindervolumen) Seien H eine Hyperebene im euklidischen affinen Raum E und G  H eine Borel-Menge. Ferner sei v ein Verschiebungsvektor in E. S Der Zylinder Q2G ŒQ; v C Q mit Grundfläche G und Verschiebungsvektor v ist dann messbar in E und hat den Inhalt H .G/h, wobei h die Höhe, d. h. der Abstand der beiden begrenzenden Hyperebenen H und v C H ist. Aufgabe 4.3.8 (Kegelvolumen) Seien H eine Hyperebene im euklidischen affinen Raum E der Dimension n  1 und G  H eine Borel-Menge. Ferner sei P 2 E ein S Punkt mit dem Abstand h von H . Der Kegel Q2G ŒQ; P  mit Grundfläche G und Spitze P ist dann messbar (in E) und hat den Inhalt n1 H .G/h, siehe Abb. 4.8. Aufgabe 4.3.9 (Guldinsche Regel) Sei F  f.x1 ; : : : ; xn / 2 Rn j xn  0g messbar, n  1. Durch Rotation um Rn1  f0g entsteht aus F der Drehkörper q   2 2 F g  RnC1 : D WD f.x1 ; : : : ; xnC1 / j x1 ; : : : ; xn1 ; xn2 C xnC1 Z a) D ist messbar, und es gilt nC1 .D/ D 2

xn dx1    dxn . F

Ist nC1 .D/ endlich, so ist dies die Länge des Weges, den der Schwerpunkt von F bei der Rotation zurücklegt, multipliziert mit dem Inhalt von F . ((Erste) Guldinsche Regel).

122

4

Integration

Abb. 4.9 Torus mit den Radien r und R

b) Ist speziell F von der Form F D G ı .f I M / D f.x1 ; : : : ; xn / 2 Rn j 0  xn < f .x1 ; : : : ; xn1 /; .x1 ; : : : ; xn1 / 2 M g mit einer nichtnegativen messbaren Funktion f W M ! RC auf der Borel-Menge M  Rn1 , so ist Z nC1 .D/ D  f 2 dx1    dxn1 : M

c) Man berechne die Volumina der beiden Drehkörper, die durch Drehung der Menge F D f.x; y/ 2 R2C j 0  x  6;

0  y  2 C cos xg

um die x-Achse bzw. um die y-Achse entstehen. d) Man berechne das Volumen des Torus mit den Radien r und R, r  R, siehe Abb. 4.9. Vgl. Aufg. 4.3.1 e). e) Man berechne die Volumina folgender mit einer Hyperbel erzeugten Drehkörper, siehe Abb. 4.10.

Abb. 4.10 Mit einer Hyperbel erzeugte Drehkörper

4.3 Der Satz von Fubini

123

Aufgabe 4.3.10 a) Sei f W R2C ! R messbar. Dann ist Z

0 1 Z1 Zu   1 @ uCv uv f .x; y/ dx dy D f ; dv A du; 2 2 2

R2C

0

u

wobei das eine Integral genau dann existiert, wenn dies für das andere gilt. b) Für a > 0 berechne man Z exp

y x yCx

dx dy;

M WD f.x; y/ 2 R2 j 0  x; yI x C y  ag:

M

P Aufgabe 4.3.11 Seien fi D jnD1 aij xj , i D 1; : : : ; n, linear unabhängige Linearformen auf dem Rn . Man berechne Z f1    fn dn ; M WD fx 2 Rn j 0  fi .x/  1; i D 1; : : : ; ng: M

Aufgabe 4.3.12 Sei W Bn ! RC ein  -endliches Maß. a) Für das im Nullpunkt konzentrierte Dirac-Maß ı0 W Bn ! RC gilt ı0  D  D  ı0 . b) Für das im Punkt a 2 Rn konzentrierte Dirac-Maß ıa W Bn ! RC gilt ıa  D .a /  D  ıa , wobei a W Rn ! Rn die Translation um a ist. c) Besitzt  eine Dichte f W Rn ! RC bezüglich n , so besitzt ıa  die Dichte f ı a . Aufgabe 4.3.13 Sei f W .Rn /m ! RC eine Dichte für das endliche Maß W Bnm ! RC bezüglich nm . Dann hat das Bildmaß von  bezüglich der Summenbildung .x1 ; : : : ; xm / 7! x1 C    C xm , xi 2 Rn , die Dichte Z f .x  x2      xm ; x2 ; : : : ; xm / dx2    dxm ; x 2 Rn : gW x 7! .Rn /m1

Aufgabe 4.3.14 Man berechne die Faltung der Indikatorfunktionen eŒa;b und eŒc;d  zweier Intervalle in R. Aufgabe 4.3.15 Man berechne die Faltung f f für f .x/ WD 1= cosh x. 1 e" , wo e" die IndikatorfunktiAufgabe 4.3.16 Seien f W R ! R integrierbar und g" WD 2" R zC" 1 on des Intervalls Œ"; " ist, " > 0. Dann ist .f g" /.z/ D 2" z" f .x/ dx. Insbesondere ist lim .f g" /.z/ D f .z/ , falls f in z stetig ist. "!0 ">0

124

4

Integration

Abb. 4.11 Zu Aufgabe 4.3.18

Aufgabe 4.3.17 Sei f W X  Y ! RC eine Dichte auf dem Produkt der  -endlichen Maßräume .X; / und .Y; / bezüglich des Produktmaßes  ˝ . Seien pX bzw. pY die Projektionen von X  Y auf X bzw. Y . Dann besitzen die Bildmaße von f . ˝ / unter diesen Projektionen die Dichten fX bzw. fY mit Z fX .x/ D

Z f .x; y/ d ;

Y

fY .y/ D

f .x; y/ d: X

Diese Dichten heißen die Marginal- (oder Rand-)dichten von f . Sie sind analog auch für mehr als zwei Faktoren definiert. Man berechne die Marginaldichten der Dichten 2 2 2 2 f .x; y/ D 1=.x 2 C y 2 / (bzw. f .x; y/ D .x C y/2 e.x Cy / bzw. f .x; y/ D e.1Cx /y ) auf dem R2 bezüglich 2 D 1 ˝ 1 . Aufgabe 4.3.18 (Partielle Integration) Seien f W Œa; b ! R und gW Œa; b ! R integrierbare R x Intervall Œa; b mit den (stetigen) Integralfunktionen R xFunktionen auf dem F .x/ WD a f .t/ dt, G.x/ D a g.t/ dt. Dann gilt Zb

Zb f .t/ G.t/ dt C

a

ˇb ˇ F .t/ g.t/ dt D F G ˇ D F .b/ G.b/: a

a

(Man wende den Satz von Fubini an, um die Integrale in der folgenden Formel zu berechnen, siehe Abb. 4.11: Z

Zb Zb f .x/ g.y/ dx dy D a

a

Z f .x/ g.y/ dx dy C

1

f .x/ g.y/ dx dy:/ 2

Aufgabe 4.3.19 Sei f W X ! RC eine Funktion auf dem  -endlichen Maßraum .X; A; /. Ist dann die Menge G.f I X/ (oder auch G 0 .f I X/) messbar bezüglich  ˝ 1 , so ist f eine messbare Funktion. (Man verwende 4.3.1.) Aufgabe 4.3.20 Seien f; gW X ! R messbare Funktionen auf dem  -endlichen Maßraum .X; /. Die Menge M WD f.x; t/ j t liegt zwischen f .x/ und g.x/g ist messbar, siehe

4.3 Der Satz von Fubini

125

Abb. 4.12 Fläche zwischen f und g

Abb. 4.12. Es gilt Z . ˝  /.M / D

jf  gj d:

1

X

(Hier sei ausnahmsweise 1  1 WD 1  .1/ WD 0 gesetzt.) Aufgabe 4.3.21 Sei C eine messbare Menge im Produkt X  Y der  -endlichen Maßräume X und Y . Ist für fast alle x 2 X die Menge C.x/ D fy 2 Y j .x; y/ 2 C g  Y eine Nullmenge in Y , so ist C selbst eine Nullmenge. Aufgabe 4.3.22 a) Sei f W Kn ! K eine von 0 verschiedene Polynomfunktion. Dann ist die Nullstellenmenge ff D 0g von f eine Nullmenge in Kn bzgl. des Borel-Lebesgue-Maßes. b) Allgemeiner als in a) zeige man: Ist f W G ! K eine von 0 verschiedene analytische Funktion auf dem Gebiet G  Kn , so ist ff D 0g eine Nullmenge in G bzgl. des Borel-Lebesgue-Maßes. (Induktion über n. In b) kann man annehmen, dass f durch eine Potenzreihe beschrieben wird.) Aufgabe 4.3.23 Sei .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und V ein endlich-dimensionaler R-Vektorraum mit einem Borel-Lebesgue-Maß. Für jede messbare  Abbildung f W X ! V ist die Abbildung X  V ! X  V mit .x; y/ 7! x; y C f .x/ ein maßtreuer Automorphismus des Produkt-Maßraums X  V bzgl. des Produktmaßes. Aufgabe 4.3.24 Die Doppelintegrale Z1  Z1 0

0

 xy 1 dx dy D  .x C y/3 2

Z 1  Z1 und 0

 xy 1 dy dx D .x C y/3 2

0

auf 0; 1Œ2 existieren, haben aber verschiedene Werte. Der Integrand ist also auf 0; 1Œ2 nicht integrierbar.

126

4

Integration

Aufgabe 4.3.25 Man formuliere die Sätze von Tonelli und Fubini für den Fall, dass die   Maßräume .X; A; / und .Y; B; / beide gleich dem Raum N; P.N/ versehen mit dem Zählmaß sind. Aufgabe 4.3.26 Sei .an / eine streng monoton wachsende Folge positiver reeller Zahlen, P für die die Reihe 1 nD1 .an  an1 / konvergiert. Die Funktion f W N  N ! R sei definiert durch 8 ˆ ˆ < an ; f .n; m/ WD an ; ˆ ˆ : 0

falls n D m; falls n D m C 1; sonst:

Versieht man N mit dem Zählmaß, so ist Z Z N

Z Z   f .n; m/ d n d m ¤ f .n; m/ d m d n:

N

N

N

Insbesondere ist f auf N  N nicht integrierbar, d. h. nicht summierbar. Aufgabe 4.3.27 Versieht man das Intervall Y WD Œ0; 1 mit dem Zählmaß Kard, so ist der Maßraum .Y; B1 .Y /; Kard/ nicht  -endlich. Definiert man Integrale auch bei nicht  -endlichen Maßräumen wie in Abschn. 4.2, so sind in dieser Situation die Aussagen des Prinzips von Cavalieri und damit auch der Sätze von Tonelli und Fubini nicht notwendigerweise gültig: Sei nämlich X ebenfalls das Intervall Œ0; 1, versehen mit dem Borel-Lebesgue-Maß 1 , und sei Y wie oben gewählt. Für die Diagonale C WD f.x; x/ j x 2 Œ0; 1g von X  Y gilt dann .1 ˝ Kard/.C / D 1, Z

  Kard CY .x/ d1 D 1 und

X

Z

  1 CX .y/ d Kard D 0:

Y

(Die drei Ausdrücke in 4.3.2 sind hier also alle voneinander verschieden. – Zum Produktmaß 1 ˝Kard vgl. Aufg. 1.4.12. – Übrigens hängt das Scheitern der Formel von Cavalieri im vorliegenden Fall daran, dass .1 ˝ Kard/jC ebenfalls nicht  -endlich ist. Um welches Maß auf C handelt es sich dabei? – Vielleicht versteht der Leser jetzt die Bemerkung in 4.2.24 besser.)

4.4 Konvergenzsätze Die Grundlage für alle Konvergenzsätze ist der Satz von Beppo Levi, vgl. 4.2.7, der unmittelbar aus der Ausschöpfungsformel für Maße folgt. Er besagt, dass für jede Folge

4.4 Konvergenzsätze

127

.fn / nichtnegativer messbarer Funktionen auf einem  -endlichen Maßraum .X; A; /, die punktweise monoton wachsend gegen die (messbare) Grenzfunktion f konvergiert (d. h. mit fn " f ), gilt: Z Z f d D lim fn d: n!1

X

X

Bezeichnen wir für eine beliebige Funktionenfolge .fn / auf X den punktweise berechneten kleinsten Häufungspunkt  in R als Limes inferior lim inf fn , so ist .lim inf fn /.x/  D Sup Inf ffm .x/ j m  ng und wir erhalten: 4.4.1 Lemma von Fatou Sei fn W X ! RC , n 2 N, eine Folge nichtnegativer messbarer Funktionen auf einem  -endlichen Maßraum .X; A; /. Dann gilt Z Z  .lim inf fn / d  lim inf fn d : X

X

Beweis Wir setzen gn WD Infffm j m  ng und f WD lim inf fn . Nach 4.1.5 ist gn messbar, und es gilt gn " f . Der Satz von Beppo Levi liefert Z Z Z f d D lim gn d D Supn gn d: n!1

X

R

X

X

R Wegen X gn d  X fm d für m  n ist X gn d  Inf f X fm d j m  ng, und es folgt Z Z Z  nZ o f d D Supn gn d  Supn Inf fm d j m  n D lim inf fn d:  X

R

R

X

X

X

Konvergiert die Folge .fn / in 4.4.1 punktweise gegen f W X ! R, so gilt also einfach Z Z  f d  lim inf fn d : X

X

Der folgende Konvergenzsatz ist eine weitreichende Verallgemeinerung der beiden Sätze 3.2.14 und 3.4.7 aus dem Band Analysis einer Veränderlichen [11]. Dort haben wir für gleichmäßig konvergente Folgen stetiger Funktionen fn W Œa; b ! R auf einem beschränkten Intervall Œa; b  R mit Grenzfunktion f W Œa; b ! R die Vertauschbarkeitsrelation Zb

Zb fn .t/ dt D

lim

n!1 a

f .t/ dt a

128

4

Integration

für Limesbildung und Integration bewiesen. Im Fall uneigentlicher Integrale haben wir dabei noch die Existenz einer integrierbaren Majorante g, also einer stetigen Funktion g Rb mit jfn j  g für alle n, für die a g.t/ dt existiert, voraussetzen müssen. Es wird sich herausstellen, dass eine analoge Voraussetzung bereits bei punktweiser Konvergenz zum Beweis der Vertauschbarkeit von Limesbildung und Integration ausreicht. Ganz ohne Voraussetzungen gilt diese Vertauschbarkeit im Allgemeinen nicht: Für die Funktionen fn .x/ WD nx exp .nx 2 / , die punktweise gegen 0 konvergieren, ist nämR1 lich lim 0 fn .t/ dt D 12 ¤ 0. n!1

4.4.2 Konvergenzsatz von Lebesgue (Satz von der majorisierten Konvergenz) Sei fn W X ! R, n 2 N, eine punktweise konvergente Folge messbarer Funktionen auf dem  -endlichen Maßraum .X; A; / . Es gebe eine integrierbare Funktion gW X ! RC mit jfn j  g für alle n 2 N. Dann sind alle fn und die Grenzfunktion f WD limn!1 fn integrierbar, und es gilt Z Z lim fn d D f d: n!1

X

X

Beweis Aus jfn j  g für alle n 2 N folgt jf j  g und damit nach 4.2.3 die Integrierbarkeit von fn , n 2 N, und f . Außerhalb einer Nullmenge N  X sind also alle Funktionen fn , n 2 N, f , g reellwertig, und wir können N D ; annehmen. Das Lemma von Fatou, angewandt auf die Folgen .g C fn / und .g  fn /, liefert Z Z Z Z  g d C f d D .g C f / d  lim inf .g C fn / d X

X

X

g d C lim inf

D X

X

Z

Z

fn d X

und Z

Z g d  X

Z f d D

X

.g  f / d  lim inf X

Z

Z g d  lim sup

D X

Wegen

R X

Z

.g  fn / d



X

fn d: X

g d < 1 folgt daraus Z

Z f d  lim inf X

Dies liefert die Behauptung.

Z fn d  lim sup

X

Z fn d 

X

f d: X



4.4 Konvergenzsätze

129

Als Folgerung aus dem Lebesgueschen Konvergenzsatz erhalten wir die Sätze über Stetigkeit und Differenzierbarkeit des Integrals. 4.4.3 Stetigkeit des Integrals Sei .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und sei Y ein metrischer Raum. Ferner sei f W X  Y ! R eine Funktion mit folgenden Eigenschaften: (1) Die Funktion X ! R mit x 7! f .x; y0 / ist für jedes y0 2 Y integrierbar. (2) Die Funktion Y ! R mit y 7! f .x0 ; y/ ist für jedes x0 2 X stetig. (3) Es gibt eine integrierbare Funktion gW X ! R mit jf .x; y/j  g.x/ für alle x 2 X und y 2 Y . Dann ist die Funktion F W Y ! R mit F .y/ WD

R

f .x; y/ d.x/ auf Y stetig.

X

Beweis Da Y ein metrischer Raum ist, ist eine beliebige Funktion F W Y ! R in einem Punkt y 2 Y stetig, wenn für jede Folge .yn / in Y mit lim yn D y stets lim F .yn / D F .y/ gilt. Dazu hätte es genügt vorauszusetzen, dass Y ein topologischer Raum ist, in dem jeder Punkt eine abzählbare Umgebungsbasis besitzt. Sei nun .yn / eine Folge in Y mit lim yn D y. Für die durch fn .x/ WD f .x; yn / definierten Funktionen fn W X ! R gilt dann jfn j  g und lim fn .x/ D f .x; y/, x 2 X. n!1 Mit 4.4.2 ergibt sich Z lim F .yn / D lim

n!1

n!1

Z

Z f .x; yn / d.x/ D lim

X

Z

lim fn .x/ d.x/ D

D

X

f .x; y/ d.x/ D F .y/:

n!1 X

fn .x/ d.x/

n!1



X

Man beachte, dass die Funktion F in 4.4.3 bereits dann stetig ist, wenn die Voraussetzungen über f und Y nur lokal in Y erfüllt sind. Insbesondere braucht die Majorante g.x/ jeweils nur für eine Umgebung von y 2 Y zu existieren. 4.4.4 Differenzierbarkeit des Integrals .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und D sei ein Intervall in R oder eine offene Menge in C. Ferner sei f W X  D ! K eine Funktion mit folgenden Eigenschaften: (1) Die Funktion X ! K mit x 7! f .x; y0 / ist für jedes y0 2 D integrierbar. (2) Die Funktion D ! K mit y 7! f .x0 ; y/ ist für jedes x0 2 X differenzierbar (d. h. f ist partiell nach y differenzierbar). (3) Es gibt eine integrierbare Funktion gW X ! R mit j@f .x; y/=@yj  g.x/ für alle x 2 X und alle y 2 D.4 4

Es genügt wieder, dass solche Majoranten g jeweils lokal in Y existieren.

130

4

Integration

R Dann ist die Funktion F W D ! K mit F .y/ WD X f .x; y/ d.x/ differenzierbar auf D und es gilt Z @f .x; y/ 0 F .y/ D d.x/: @y X

Beweis Sei y 2 D und sei .yn / eine Folge in einer geeigneten konvexen Umgebung von y in D mit yn ¤ y für alle n und mit lim yn D y. Nach dem Mittelwertsatz und Bedingung (3) gilt ˇ f .x; y /  f .x; y/ ˇ ˇ ˇ n ˇ ˇ  g.x/: yn  y Der Lebesguesche Konvergenzsatz 4.4.2 lässt sich also auf die Folge dieser Differenzenquotienten anwenden und liefert die Behauptung: Z F .yn /  F .y/ f .x; yn /  f .x; y/ F 0 .y/ D lim D lim d.x/ n!1 n!1 yn  y yn  y X Z Z f .x; yn /  f .x; y/ @f .x; y/ D lim d.x/ D d.x/:  n!1 yn  y @y X

X

Als Korollar ergibt sich für vektorwertige Abbildungen: Korollar 4.4.5 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und G sei eine offene Menge in einem endlichdimensionalen K-Vektorraum V . Ferner sei f W X G ! W eine Abbildung in einen weiteren endlichdimensionalen K-Vektorraum W mit folgenden Eigenschaften: (1) Die Abbildung X ! W mit x 7! f .x; y0 / ist für jedes y0 2 G integrierbar. (2) Die Abbildung G ! W mit y 7! f .x0 ; y/ ist für jedes x0 2 X stetig differenzierbar. (3) Es gibt eine integrierbare Funktion gW X ! R mit k.Df /.x;y/ k  g.x/ für alle x 2 X und alle y 2 G.5 Dabei ist Df das totale Differential von f . R Dann ist die Abbildung F W G ! W mit F .y/ WD X f .x; y/ d.x/ stetig differenzierbar, und für jede Richtung v 2 V ist die Richtungsableitung Dv F gegeben durch Z Dv F .y/ D Dv f .x; y/ d.x/: X

Für das totale Differenzial von F ergibt sich Z DF .y/ D Df .x; y/ d.x/: X 5

Auch hier genügt es, dass solche Majoranten g lokal in Y existieren.

4.4 Konvergenzsätze

131

R Beweis Nach 4.4.4 ist Dv F .y/ D X Dv f .x; y/ d.x/ für v 2 V , und nach 4.4.3 ist die Abbildung y 7! Dv f .x; y/ stetig. Aus der Stetigkeit der Richtungsableitungen folgt die totale Differenzierbarkeit von F .  Die Aussagen 4.4.4 und 4.4.5 lassen sich unmittelbar auch auf Aussagen über k-malige Differenzierbarkeit, k 2 N [ f1g, verallgemeinern.

Aufgaben Aufgabe 4.4.1 Sei fn W I ! R eine Folge integrierbarer Funktionen auf dem Intervall I  R, die gleichmäßig gegen die Funktion f W I ! R konvergiert. a) Ist I beschränkt, so ist f integrierbar und es gilt Z Z 1 f d D lim fn d1 : n!1

I

I

b) Man gebe ein Beispiel dafür, dass f nicht notwendig integrierbar ist (wenn I nicht beschränkt ist). R c) Man gebe ein Beispiel dafür, dass f 0, aber limn!1 I fn d1 D 1 ist. Aufgabe 4.4.2 Man gebe ein Beispiel dafür an, dass im Lemma von Fatou die Ungleichung echt sein kann. Aufgabe 4.4.3 Seien I und J Intervalle in R und f W I  J ! R eine stetige, nach der zweiten Variablen y sogar stetig differenzierbare Funktion. Ferner seien g; hW J ! I differenzierbare Funktionen. Dann ist auch die Funktion Zh.y/ f .x; y/ dx FWy ! 7 g.y/

auf J differenzierbar, und es gilt 0





0





0

Zh.y/

F .y/ D f h.y/; y h .y/  f g.y/; y g .y/ C

@f .x; y/ dx: @y

g.y/

Aufgabe 4.4.4 a) Seien r0 > 0 und W Œ0; 2 ! R eine stetig differenzierbare Funktion mit .0/ D .2/. Die Länge L D L."/ der Kurve des R2 mit der Polarkoordinatendarstellung r.'/ D r0 C " .'/, j"j klein, 2 Œ0; 2, hängt analytisch von " ab. Man gebe die ersten 4 Terme der Taylor-Entwicklung von L."/ um " D 0 an.

132

4

Integration

b) Die Funktion f in Aufg. 4.3.9 b) hänge noch von einem Parameter " aus einem Intervall I mit 0 2 I ab. Man gebe unter Benutzung von 4.4.4 Bedingungen dafür an, dass das Drehkörpervolumen Z nC1



.DI "/ D 

f .x1 ; : : : ; xn1 ; "/2 dx1    dxn1 M

k-mal stetig differenzierbar nach " ist, und gebe dann die Taylor-Entwicklung um " D 0 vom Grad  k an. Aufgabe 4.4.5 Sei f W X ! R eine messbare Funktion auf dem endlichen Maßraum X D R .X; A; / mit jf j  1. Man zeige, dass der Grenzwert I D lim X f n d genau dann n!1

existiert, wenn ff D 1g eine Nullmenge ist, und bestimme unter dieser Voraussetzung den Wert von I .

4.5

Die Transformationsformel

In diesem Abschnitt beweisen wir die schon im Anschluss an 4.2.11 erwähnte Transformationsformel. Sie ist einerseits wichtig zur Berechnung konkreter Integrale, liefert aber andererseits vor allem die Grundlage für die Integrationstheorie auf Mannigfaltigkeiten. 4.5.1 Transformationsformel Sei F W G ! G 0 ein C1 -Diffeomorphismus6 der offenen Menge G  Rn auf die offene Menge G 0 D F .G/  Rn mit der Funktionaldeterminante J.F /W x 7! J.F I x/. Ferner sei gW G 0 ! R eine messbare Funktion. Dann gilt Z

Z jgj dn D G0

jg ı F j  jJ.F /j dn : G

Genau dann ist g auf G 0 integrierbar, wenn .g ı F /  J.F / auf G integrierbar ist. In diesem Fall gilt Z

Z g dn D G0

.g ı F /  jJ.F /j dn : G

J.F / ist die Determinante der Jacobi-Matrix von F D .F1 ; : : : ; Fn /: ˇ ˇ @.F ; : : : ; F / ˇ ˇ @F  ˇ ˇ ˇ 1 n ˇ i J.F / D Det J.F / D ˇ ˇ: ˇDˇ @.x1 ; : : : ; xn / @xj 1i;j n 6

Es handelt sich also um eine C 1 -invertierbare Abbildung.

4.5 Die Transformationsformel

133

Bei n D 1 ist die Transformationsformel einfach eine leichte Verallgemeinerung der Substitutionsregel. Beschränken wir uns nämlich auf den Fall, dass F eine stetig differenzierbare, reellwertige Funktion auf einem offenen Intervall G D a; bŒ mit nirgends verschwindender Ableitung ist, so ist F .G/ D G 0 das Intervall F .a/; F .b/Œ oder F .b/; F .a/Œ je nachdem, ob die streng monotone Funktion F wachsend oder fallend ist. Dann ist aber jJ.F /j gleich F 0 oder F 0 , und die Transformationsregel liefert im ersten Fall F Z.b/

Z

g.x/ dx D F .a/

Z g d D

G0

Zb .g ı F / jJ.F /j d D

1

1

  g F .t/ F 0 .t/ dt:

a

G

Bei jJ.F /j D F 0 schließt man analog. Man beachte, dass der Diffeomorphismus F W G ! G 0 in 4.5.1 eine bijektive Abbildung B.G/ ! B.G 0 / der Menge B.G/ der Borel-Mengen in G auf die Menge B.G 0 / der Borel-Mengen in G 0 induziert. Wendet man 4.5.1 auf die Indikatorfunktion g D eF .B/ des Bildes F .B/ einer Borel-Menge B  G an, so erhält man wegen g ı F D eB : Korollar 4.5.2 Sei F W G ! G 0 ein C1 -Diffeomorphismus zwischen den offenen Mengen G  Rn und G 0 D F .G/  Rn . Für eine Borel-Menge B  G gilt dann    F .B/ D

Z jJ.F /j dn ;

n

B

  d. h. das Maß W B 7! n F .B/ , B 2 B.G/, hat die (stetige) Dichte jJ.F /j. 4.5.2 besagt speziell, dass F genau dann maßtreu bzgl. n ist, wenn jJ.F I x/j 1 ist. Beweis (von 4.5.1) Wir überlegen zunächst, dass es genügt, 4.5.2 zu beweisen. Nach Zerlegung vong in gC und g kannman dabei annehmen, dass g nichtnegativ ist. Das Maß W B 7! n F .B/ auf G; B.G/ ist das Bildmaß von n bezüglich der Umkehrabbildung F 1 W G 0 ! G des Diffeomorphismus F . Nach 4.5.2 hat die Dichte jJ.F /j. Mit 4.2.19 und der Allgemeinen Transformationsformel 4.2.9 ergibt sich Z

Z .g ı F / jJ.F /j d D G

Z .g ı F / d D

n

G

.g ı F ı F G0

1

Z / d D n

g dn :



G0

Zum Beweis von 4.5.2 benutzen wir das folgende Lemma, das die stetigen Dichten   bezüglich n für ein Maß  auf dem Messraum G; B.G/ charakterisiert und auch für sich genommen interessant ist.

134

4

Integration

Lemma 4.5.3 Es seien f W G ! RC eine stetige nichtnegative Funktion auf der offenen   Menge G  Rn und W B.G/ ! RC ein Maß auf dem Messraum G; B.G/ . Dann sind folgende Aussagen äquivalent: (1) f ist eine Dichte für  bzgl. n , d. h. es ist  D f n auf B.G/. (2) Zu jedem x0 2 G und jedem " > 0 gibt es eine Umgebung U von x0 in G derart, dass für jeden Quader Q WD Œa1 ; b1 Œ     Œan ; bn Œ  U gilt j.Q/  f .x0 /n .Q/j  "n .Q/. (2’) Zu jedem x0 2 G und jedem " > 0 gibt es eine Umgebung U von x0 in G derart, dass für jede offene Menge V  U gilt j.V /  f .x0 /n .V /j  "n .V /. Beweis (von 4.5.3) (2) folgt sofort aus (2’), da sich ein Quader Q wie in (2) von einem offenen Quader nur durch eine Menge unterscheidet, die nicht nur eine n -Nullmenge ist, sondern auch eine -Nullmenge, was ebenfalls aus (2’) resultiert. Ferner ergibt sich (2’) leicht aus (1), vgl. Aufg. 4.2.9. Wegen der Stetigkeit von f gibt es nämlich zu " > 0 eine Umgebung U von x0 mit jf .x/  f .x0 /j  " für x 2 U . Ist f die Dichte von , so folgt für jede offene Menge V  U ˇ j.V /  f .x0 /n .V /j D ˇ

Z V

ˇ   f  f .x0 / dn ˇ 

Z " dn D "n .V /: V

Wir zeigen nun, dass (1) aus (2) folgt. Die Quader Q D Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ  G, deren abgeschlossene Hüllen Q D Œa1 ; b1       Œan ; bn  ebenfalls noch ganz in G liegen, bilden ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von B.G/. Nach dem Eindeutigkeitssatz 1.4.1 genügt es daher, die Gleichheit .Q/ D .f n /.Q/ für solche Quader Q zu zeigen. Es seien also ein halboffener Quader Q mit Q  G sowie ein " > 0 gegeben. Bedingung (2) liefert, dass es zu jedem x 2 Q eine Umgebung U.x/  G gibt derart, dass j.Q/  f .x/n .Q/j  "n .Q/ gilt für jeden halboffenen Quader Q  U.x/. Indem wir U.x/ hinreichend klein wählen, können wir erreichen, dass U.x/  G ist und weiterhin, da f auf der kompakten Menge U.x/ gleichmäßig stetig ist, dass jf .y/  f .z/j  " ist für alle y; z 2 U.x/. Nach dem Lebesgueschen Lemma7 gibt es ein  > 0 derart, dass B.xI / für jedes x 2 Q in wenigstens einer der Mengen U.x/, x 2 Q, enthalten ist. Jeder p Würfel mit Kantenlänge < = n, der Q trifft, liegt daher ganz in einem U.x/. Zerlegen wir also Q in hinreichend kleine, paarweise disjunkte, halboffene Quader Q1 ; : : : ; Qm , so ist Q D Q1 ]    ] Qm , und wir können weiterhin annehmen, dass jedes Qi in einer der Umgebungen U.x/, etwa U.xi /, liegt und somit j.Qi /  f .xi /n .Qi /j  "n .Qi / gilt

7

Siehe Band Grundkonzepte der Mathematik [10], Lemma 4.4.18. Hier wird ausgenutzt, dass Q kompakt ist.

4.5 Die Transformationsformel

135

Abb. 4.13 Zum Beweis von 4.5.2

sowie jf .x/  f .y/j  " für alle x; y 2 U.xi /. Es folgt j.Q/.f n /.Q/j 

m X

j.Qi /  .f n /.Qi /j 

i D1



m X

j.Qi /  f .xi / n .Qi /j C

i D1

"

m X i D1

Z m X ˇ ˇ ˇf .xi / n .Qi /  f dn ˇ i D1

n .Qi / C

m Z X i D1 Q

Qi

jf .xi /  f j dn  "n .Q/ C "n .Q/ D 2"n .Q/:

i

Da " > 0 beliebig klein gewählt werden kann, ergibt sich .Q/ D .f n /.Q/.



  Beweis (von 4.5.2) Es genügt zu zeigen, dass das Maß  mit .B/ WD n F .B/ für B 2 B.G/ und die Funktion f WD jJ.F /j die Bedingung .20 / aus Lemma 4.5.3 erfüllen, siehe Abb. 4.13.8 Sei dazu x0 2 G, und sei T WD .DF /x0 das totale Differenzial von F in x0 . Gilt dann die Aussage von .20 / für FQ WD T 1 ı F statt F , so auch für F selbst. Wegen Det T D J.F I x0 / ist nach Satz 2.3.1 nämlich ˇ ˇ  ˇ ˇ n   ˇ F .V /  jJ.F I x0 /j n .V /ˇ D jJ.F I x0 /j ˇn FQ .V /  n .V /ˇ für jede offene Menge V  G. Da .DFQ /x0 D id ist, können wir gleich .DF /x0 D id, also insbesondere f .x0 / D 1 annehmen. Sei nun überdies ein " > 0 vorgegeben. Es ist Uˇ von x0 in G gesucht ˇ neine  Umgebung  n ˇ derart, dass für jede offene Menge V  U gilt  F .V /   .V /ˇ  "n .V / bzw.   .1  "/ n .V /  n F .V /  .1 C "/ n .V /:   Wir zeigen zunächst, dass es eine Umgebung U0 von x0 gibt mit n F .V /  .1 C "/ n .V / für jede offene Menge V  U . Da V die disjunkte Vereinigung von abzählbar 8

Dies ist ein typisches Beispiel dafür, dass sich eine differenzierbare Abbildung in der Nähe eines Punktes wie ihr totales Differenzial verhält.

136

4

Integration

vielen halboffenen Würfeln ist, genügt es diese Ungleichung für Würfel W  U0 zu beweisen. Dazu versehen wir Rn mit der Maximumsnorm und wählen ein "0 > 0 mit .1 C "0 /n  1 C ". Da F stetig differenzierbar in x0 ist mit .DF /x0 D id, gibt es eine Umgebung U0 von x0 mit k.DF /x  idk  "0 für alle x 2 U0 . Für x; y 2 U0 gilt dann nach dem Mittelwertsatz kF .x/  F .y/  .x  y/k  "0 kx  yk und folglich kF .x/  F .y/k  .1 C "0 / kx  yk. Ist W  U0 ein Würfel mit der Kantenlänge a, so ist F .W / in einem Würfel mit der Kantenlänge  .1 C "0 /a enthalten.  Es folgt n F .W /  .1 C "0 /n n .W /  .1 C "/ n .W /.  1 Wegen .DF 1 /F .x0 / D .DF /x0 D id lässt sich die vorstehende Überlegung auch 1 auf F anwenden und liefert für jedeoffene Menge V 0  U00 die Existenz einer Umgebung U00 von F .x0 / mit n F 1 .V 0 /  .1 C "/ n .V 0 /. Für jede offene Menge V  F 1 .U00 / ist F .V /  U00 offen und somit .1  "/ n .V / 

    1 1 n .V / D n F 1 .F .V //  n F .V / : 1C" 1C"

In U WD U0 \ F 1 .U00 / erhält man nun die gesuchte Umgebung U von x0 .



Beispiel 4.5.4 (Polarkoordinaten) Ebene Polarkoordinaten (siehe Abb. 4.14) x1 D r cos '

x2 D r sin '

induzieren einen Diffeomorphismus von RC  ; Œ auf D, wobei D die längs der negativen x1 -Achse geschlitzte .x1 ; x2 /-Ebene ist. Die Funktionaldeterminante ist r. Da es beim Integrieren nicht auf Nullmengen ankommt, liefern 4.5.1 und der Satz von Fubini für messbare Funktionen f W R2 ! R Z1 Z

Z f .x; y/ dx dy D R2

Abb. 4.14 Ebene Polarkoordinaten

f .r cos '; r sin '/ r d' dr: 0 

4.5 Die Transformationsformel

137

Abb. 4.15 Räumliche Polarkoordinaten

Dabei existiert das linke Integral genau dann, wenn das rechte Integral existiert. Sphärische Polarkoordinaten (siehe Abb. 4.15) sind gegeben durch x1 D r cos ' cos 

x2 D r cos ' sin 

x3 D r sin ':

Mit der Funktionaldeterminante r 2 cos ' ergibt sich für eine messbare Funktion f W R3 ! R Z f .x; y; z/ dx dy dz R3

Z1 Z Z=2 D

f .r cos ' cos ; r cos ' sin ; r sin '/ r 2 cos ' d' d dr:

}

0  =2

Aufgaben Aufgabe 4.5.1 Man berechne die folgenden Integrale durch Einführen von Polarkoordinaten: R a) M .x 2 y  y 3 x/ dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2C j x 2 C y 2  1g. R b) M y dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j x 2 C y 2 < 1; y > 0g. R p 2 2 c) M e x Cy dx dy, M WD f.x; y/ 2 R2 j x 2 C y 2  1g. Aufgabe 4.5.2 Man berechne mit Polarkoordinaten das Volumen des Körpers M WD fx 2 R3 j kxk  r; x32  ˛ 2 .x12 C x22 /g; Aufgabe 4.5.3 Man berechne

R M

˛; r > 0:

xyz dx dy dz für

M WD f.x; y; z/ 2 R3 j 0  x  1; 0  y  1;

p

x 2 C y 2  z  2g

138

4

Integration

und o n x2 y2 z2 M WD .x; y; z/ 2 R3 j 0  x; y; z; 2 C 2 C 2  1 ; a b c

a; b; c > 0:

Aufgabe 4.5.4 Sei B D B.0I r/ der offene Kreis mit dem Mittelpunkt 0 und dem Radius r > 0 in C D R2 . R a) Für m; n 2 Z existiert B z m z n d2 genau dann, wenn m C n  1 ist. In diesem Fall zeige man durch Einführen von Polarkoordinaten Z z m z n d2 D B

b) Ist f .z/ D

1 P

8
r, so ist

nD0

a0  r 2 . c) Man berechne für beliebiges z0 2 C das Integral

R

f .z/ d2 D

B

Z

1 d2 . z  z0

B P d) Sei F .z/ D bn z n eine konvergente Potenzreihe mit dem Konvergenzradius R  r, die auf B eine injektive Funktion beschreibt. Dann ist der Inhalt von F .B/ gleich P 2 2n  1 nD1 njbn j r . (Man betrachte zunächst den Fall R > r.)

4.6 Der Satz von Radon-Nikodym Sind .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und f W X ! RC eine nichtnegative messbare R Funktion, so wird durch M 7! M f d für M 2 A gemäß 4.2.5 auf X das Maß WD f mit der Dichte f bezüglich  definiert. Bei f 1 ist einfach D . Man kann die Dichte f von bezüglich  als Gewichtsfunktion interpretieren, siehe Abb. 4.16. Nach Aufg. 4.2.8 ist die Dichte eines Maßes bezüglich eines anderen Maßes (falls sie existiert) im Wesentlichen eindeutig bestimmt: Zwei solche Dichten sind fast überall identisch. Der Satz von Radon-Nikodym beantwortet in übersichtlicher Weise die Frage, wann ein Maß W A ! RC eine Dichte f bezüglich eines Maßes W A ! RC besitzt, und begründet den weitverbreiteten Gebrauch von Dichten in Physik und Technik. Zur Formulierung des Satzes nennen wir stetig bezüglich  oder -stetig, wenn gilt: Ist M 2 A und .M / D 0, so ist auch .M / D 0.9 Da das Integral über eine Nullmenge stets 0 ist, ist jedes Maß, das eine Dichte bezüglich  besitzt, also von der Form f ist, trivialerweise -stetig. Umgekehrt gilt nun: 9

Man vergleiche dazu Aufg. 1.3.16. Dort wird die Bezeichnung „stetig“ für diese Eigenschaft von Maßen gerechtfertigt.

4.6 Der Satz von Radon-Nikodym

139

Abb. 4.16 Gewichtung durch die Dichte f

4.6.1 Satz von Radon-Nikodym .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und es sei W A ! RC ein -stetiges Maß. Dann besitzt eine Dichte bezüglich . Beweis10 Als  -endlicher Maßraum lässt sich X in abzählbar viele -endliche Teilmengen zerlegen, auf denen  ein endliches Maß induziert. Besitzt bezüglich dieser Maße jeweils eine Dichte, so setzen sich diese Dichten nach 4.2.4 zu einer Dichte von auf ganz X zusammen. Wir können also annehmen, dass  ein endliches Maß ist. Wir unterscheiden nun drei Fälle: (1) Auch ist ein endliches Maß: Dann betrachten wir die Menge G der messbaren Funktionen gW X ! RC mit g  . Es ist 0 2 G . Ferner ist für g1 ; g2 2 G auch das Supremum Sup .g1 ; g2 / in G . Sind nämlich A1 WD fg1  g2 g und A2 WD fg1 < g2 g, so gilt für ein beliebiges M 2 A Z Z Z Sup .g1 ; g2 / .M / D Sup .g1 ; g2 / d D g1 d C g2 d M \A1

M

M \A2

 .M \ A1 / C .M \ A2 / D .M /: R Sei nun  WD Sup . XR g d j g 2 G / und sei gn , n 2 N, eine Folge von Funktionen in G mit  D limn!1 X gn d. Da G nach der obigen Bemerkung mit g0 ; : : : ; gn auch Sup .g0 ; : : : ; gn / enthält, können wir zur Folge Sup .g0 ; : : : ; gn /, n 2 N, übergehen und somit gleich g0  g1     annehmen. Dann ist auch g WD limn!1 gn messbar, und nach dem Satz 4.2.7 von der monotonen Konvergenz gilt für jedes M 2 A Z Z Z .g/.M / D g d D lim gn d D lim gn d  .M /; n!1

M

M

also g  . Es folgt g 2 G und .g/.X/ D

n!1

R X

M

g d D .

Wir zeigen, dass g eine Dichte von bezüglich  ist, d. h. das D g gilt. Dazu betrachten wir das endliche Maß  WD  g und haben  D 0 zu beweisen. Es 10

Dieser Beweis kann ohne Verständnisverlust übergangen werden.

140

4

Integration

genügt .X/ D 0, d. h. .X/ D .g/.X/ D  zu zeigen. Angenommen, es sei .X/ > 0. Für ˇ WD 12 .X/=.X/ > 0 ist dann .X/ D 2ˇ.X/ > ˇ.X/. Zum verallgemeinerten Maß ' WD   ˇ gibt es nach 3.1.5 eine Hahn-Jordan-Zerlegung X D XC ] X mit 'jXC  0 und 'jX  0. Wegen '.X/ > 0 ist '.XC / > 0. Wäre .XC / D 0, so wäre wegen der vorausgesetzten -Stetigkeit von auch .XC / D 0 und daher  .XC / D 0 sowie '.XC / D 0 im Widerspruch zu '.XC / > 0. Also ist .XC / > 0, und für g 0 WD g C ˇeXC gilt Z Z g 0 d D ˇ.XC / C g d D ˇ.XC / C  > : X

X

Dies ist ein Widerspruch zur Definition von , sobald wir g 0 2 G gezeigt haben. Wegen '.M \ XC /  0 ist aber Z Z Z 0 0 g .M / D g d D ˇ.M \ XC / C g d   .M \ XC / C g d M

M

Z

D .M \ XC / C

Z g d 

Z

g d D .M \ XC / C

M \XC

M

M

g d

M \X

D .M \ XC / C .g/.M \ X /  .M \ XC / C .M \ X / D .M /: Also ist g 0 2 G und der obige Widerspruch liefert nun  D 0, d. h. D g. (2) ist ein  -endliches Maß: X lässt sich in diesem Fall in abzählbar viele paarweise disjunkte messbare Mengen zerlegen, auf denen jeweils ein endliches Maß induziert. Nach (1) besitzen diese endlichen Maße Dichten bezüglich , die sich zu einer Dichte für auf ganz X zusammensetzen. (3) ist beliebig: Wir betrachten die Menge A0 derjenigen M 2 A, für die jM  -endlich ist. A0 enthält offenbar mit jeder abzählbaren Familie von Elementen von A auch deren Vereinigung. Daher gibt es ein X 0 2 A0 mit .X 0 / D Sup ..M / j M 2 A0 /. Für jedes messbare M  X X 0 gilt dann .M / D 0 oder .M / D 1. Aus .M / < 1 folgt nämlich X 0 ] M 2 A0 , und aus .M / > 0 ergibt sich .X 0 ] M / > .X 0 /, da  ein endliches Maß ist. Nach (2) besitzt jX 0 eine Dichte g 0 bezüglich . Definiert man gW X ! RC durch gjX 0 D g 0 und g.x/ WD 1 für x 2 X  X 0 , so ist g eine Dichte von bezüglich . R Für M 2 A ist nämlich entweder .M  X 0 / D 0 und damit M X 0 g d D 0 sowie .M  X 0 / D 0 wegen der -Stetigkeit von , also Z Z g d C g 0 d D .M  X 0 / C .M \ X 0 / D .M /; .g/.M / D M X 0

M \X 0

oder aber .M  X 0 / > 0 und daher ebenfalls .g/.M / D .M /.

R M X 0

g d D 1 sowie .M  X 0 / D 1, also 

4.6 Der Satz von Radon-Nikodym

141

Ist die Funktion f W X ! R auf dem  -endlichen Maßraum .X; A; / im weiteren R Sinne integrierbar, vgl. 4.2.2 (3), so ist ' D f mit '.M / WD M f d für M 2 A offenbar ein verallgemeinertes Maß gemäß Definition 3.1.1. Seine Hahn–Jordan-Zerlegung ist X D XC ] X mit XC D ff  0g und X WD ff < 0g, vgl. die Bemerkungen nach 4.2.5. Ist f D fC  f die Zerlegung von f in den positiven und den negativen Teil, so ist ' D 'C  ' , wobei 'C WD fC  und ' WD f  gewöhnliche Maße mit Dichten sind. Wir nennen auch die im weiteren Sinne integrierbare Funktion f eine Dichte des verallgemeinerten Maßes '. Die Maße 'C und ' und somit auch j'j D 'C C ' sind dann stetig bezüglich . Sei nun 'W A ! R ein beliebiges verallgemeinertes Maß und j'jW A ! RC sein Betrag. Der Zerlegungssatz 3.1.5 von Hahn-Jordan liefert: Genau dann ist j'j stetig bezüglich , wenn gilt: Ist M 2 A eine -Nullmenge, so ist '.M / D 0. Wir sagen dann auch, ' selbst sei -stetig. Als Folgerung aus dem Satz von Radon-Nikodym erhalten wir: Korollar 4.6.2 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum und 'W A ! R ein -stetiges verallgemeinertes Maß (d. h. j'j sei -stetig). Dann besitzt ' eine Dichte bezüglich . Beweis Sei X D XC ] X mit 'jXC  0 und 'jX  0 eine Hahn-Jordan-Zerlegung von '. Mit j'j D 'C C ' sind erst recht 'C D 'jXC und ' D 'jX stetig bezüglich . Nach 4.6.1 gibt es daher messbare Funktionen gC W XC ! RC und g W X ! RC mit 'C D gC  und ' D g . Da wenigstens eines der Maße 'C und ' endlich ist, ist die Funktion g mit gjXC D gC und gj.X  XC / D g im weiteren Sinne integrierbar und liefert eine Dichte für ' bezüglich .  Man nennt die Dichte f zu einem Maß bezüglich eines Maßes  auch die (RadonNikodym-)Ableitung von nach  und bezeichnet sie mit d : d Als weitere Folgerung aus dem Satz von Radon-Nikodym erhalten wir: 4.6.3 Lebesguescher Zerlegungssatz .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und W A ! RC sei ein  -endliches Maß. Dann gibt es eindeutig bestimmte Maße 0 und 1 derart, dass 0 außerhalb einer -Nullmenge verschwindet, 1 eine Dichte bezüglich  besitzt und D 0 C 1 gilt. Beweis Sind D 0 C 1 und D 00 C 10 Zerlegungen von der angegebenen Art, so können wir annehmen, dass die Maße 0 und 00 außerhalb einer gemeinsamen -Nullmenge N verschwinden. Für beliebige M 2 A gilt dann 0 .M  N / D 0 und R 1 .M \ N / D M \N f d D 0, falls 1 die Dichte f besitzt. Es folgt 0 .M / D 0 .M \ N / D .M \ N / und analog 00 .M / D .M \ N /, also 0 D 00 und dann auch 1 D 10 .

142

4

Integration

Zum Beweis der Existenz betrachten wir das Maß ' WD  C auf X. Wie  und ist '  -endlich, ferner sind  und offensichtlich stetig bezüglich '. Daher besitzt  nach 4.6.1 eine Dichte f bezüglich ', d. h. es ist  D f '. Dann ist X0 WD ff D 0g eine -Nullmenge, und jede messbare Teilmenge M von X1 WD ff > 0g ist genau dann eine -Nullmenge, wenn sie eine '-Nullmenge ist, vgl. Aufg. 4.6.1. In diesem Fall ist sie auch eine -Nullmenge. Daher sind jX1 und damit auch die triviale Fortsetzung 1 von jX1 auf X stetig bezüglich ; nach 4.6.1 besitzt 1 also eine Dichte bezüglich . Außerdem ist X D X0 ] X1 . Bezeichnet 0 die triviale Fortsetzung von jX0 auf X, so ist daher  D 0 C 1 , und wir haben die gesuchte Zerlegung von erhalten. Das Maß 0 in 4.6.3 heißt der singuläre Anteil und das Maß 1 der stetige Anteil von bezüglich .

Aufgaben 

Aufgabe 4.6.1 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und f W X ! RC sei eine positive messbare Funktion. a) Eine messbare Menge M  X ist genau dann eine -Nullmenge, wenn sie eine .f/-Nullmenge ist. b) Ist .f/ ebenfalls  -endlich, so ist 1=f eine Dichte von  bezüglich D f. (Man beachte, dass 1=f fast überall definiert ist, da ff D 1g eine Nullmenge ist.) Aufgabe 4.6.2 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und W A ! RC sei ein -stetiges Maß. Für die Radon-Nikodym-Ableitung gilt: R R a) Ist f W X ! RC messbar, so ist X f d D X f .d =d/ d. b) Ist 'W A ! RC ein -stetiges Maß, so ist ' auch -stetig und es gilt d' d' d D  : d d d c) Ist  auch -stetig, so folgt .d =d/1 D d=d . Aufgabe 4.6.3 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und ; 'W A ! RC seien  -endliche Maße mit singulären Anteilen 0 bzw. '0 und stetigen Anteilen 1 bzw. '1 . a) Das Maß C ' hat 0 C '0 als singulären Anteil und 1 C '1 als stetigen Anteil. b) Für a 2 RC hat das Maß a den singulären Anteil a 0 und den stetigen Anteil a 1 . Aufgabe 4.6.4 X sei eine überabzählbare Menge, und A sei die von den abzählbaren Teilmengen von X erzeugte  -Algebra auf X. Ferner seien  das Zählmaß auf dem Messraum .X; A/ und das durch .M / D 0 für abzählbares M 2 A und .M / D 1 für nicht abzählbares M 2 A definierte Maß. Dann sind  und nicht  -endlich; ist stetig bezüglich , besitzt aber keine Dichte bezüglich .

4.6 Der Satz von Radon-Nikodym

143

Abb. 4.17 Die Cantorfunktion

Aufgabe 4.6.5 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, bei dem alle einpunktigen Teilmengen von X messbar sind. Ferner sei 0 der singuläre Anteil eines  -endlichen Maßes W A ! RC . Ist 0 ebenfalls  -endlich, so lässt sich 0 schreiben als Summe eines diskreten Maßes 00 und eines atomfreien Maßes 000 , d. h. eines Maßes 000 mit 000 .fxg/ D 0 für alle x 2 X. Dabei sind 00 und 000 durch ebenfalls eindeutig bestimmt. Aufgabe 4.6.6 Jedes  -endliche Maß W B1 ! RC besitzt eine Zerlegung D 00 C 000 C 1 mit einem bezüglich des Borel-Lebesgueschen Maßes 1 stetigen Maß 1 (das also nach dem Satz von Radon-Nikodym eine Dichte bezüglich 1 besitzt), einem diskreten Maß 00 und einem atomfreien Maß 000 , das außerhalb einer 1 -Nullmenge verschwindet, vgl. Aufg. 4.6.5. Dabei heißen 00 der diskrete Bestandteil und 000 C 1 der atomfreie Bestandteil von . Sei nun auf jeder beschränkten Borel-Menge endlich. Mit F bezeichnen wir die zugehörige monoton wachsende und linksseitig stetige verallgemeinerte Verteilungsfunktion, vgl. Abschn. 2.1. Dann ist der diskrete Bestandteil 00 von durch die Sprunghöhen von F bestimmt vermöge 00 .fxg/ D F .xC/  F .x/. Außerdem ist die Funktion F 000 C 1 D F 000 C F 1 D F  F 00 stetig. (Vgl. Aufg. 2.1.1. – Man nennt daher gelegentlich die atomfreien Maße B1 ! RC stetig (schlechthin) und die in unserem Sinne stetigen Maße (bzgl. 1 ) absolut stetig.) Man gebe ein atomfreies endliches Maß B1 ! RC an, das keine Dichte bezüglich 1 besitzt. (Man gehe folgendermaßen vor: Die Funktion F W R ! Œ0; 1 werde durch F j1; 0 WD 0, F jŒ1; 1Œ WD 1; F jŒ1=3; 2=3  WD 1=2; F jŒ1=9; 2=9 WD 1=4, F jŒ 7=9; 8=9  WD 3=4 usw. definiert und dann monoton auf R fortgesetzt, siehe Abb. 4.17. Man vgl. die Konstruktion des Cantorschen Diskontinuums C in Aufg. 2.1.3. Offenbar hat die Funktion F keine Sprünge, ist also stetig. F wird Cantorfunktion oder Teufelstreppe genannt. F ist die Verteilungsfunktion eines atomfreien Maßes auf R, das bezüglich 1 rein singulär ist, also keinen stetigen Anteil hat. Dieses Maß wird Cantorverteilung genannt. Für die Berechnung von Integralen bezüglich solcher Maße gibt es keinen allgemeinen Kalkül.)

Lp -Räume

5.1

5

Einführung der Lp -Räume

Sei X D .X; A; / ein  -endlicher Maßraum. Nach 4.2.3 ist eine messbare Funktion f W X ! K genau dann integrierbar, wenn jf j integrierbar ist. Wie in Abschn. 4.2 bezeichnen wir den K-Vektorraum der integrierbaren K-wertigen Funktionen auf X mit L1K .X/. Die Funktion kk1 W L1K .X/ ! RC mit Z kf k1 WD

jf j d X

hat die Eigenschaften einer Pseudonorm. Es ist nämlich für f; g 2 L1K .X/ und a 2 K: (1) kaf k1 D jaj kf k1 . (2) kf C gk1  kf k1 C kgk1 . In der Regel ist kk1 jedoch keine Norm, da kf k1 D 0 nach 4.2.21 bereits dann gilt, wenn f außerhalb einer Nullmenge verschwindet, also nicht notwendigerweise f 0 impliziert. Bezeichnen wir mit N D NK .X/ den K-Vektorraum der messbaren K-wertigen Funktionen auf X, die fast überall verschwinden, so gilt kf k1 D 0 genau dann, wenn f 2 N ist. Neben den integrierbaren Funktionen auf X sind die quadratintegrierbaren Funktionen auf X wichtig. Sie bilden den K-Vektorraum L2 D L2K .X/ 2 ist. Wegen jf C gj2  der  Funktionen 2f W X ! K, für die jf j integrierbar  messbaren 2 2 2 4 jf j C jgj ist jf C gj in der Tat integrierbar, wenn jf j und jgj2 integrierbar sind,

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3_5

145

5 Lp -Räume

146

d. h. L2 ist gegenüber der Addition abgeschlossen. Auf L2 wird durch

Z 1=2 kf k2 WD jf j2 d X

eine Pseudonorm definiert, die ebenfalls genau auf N verschwindet.1 Allgemeiner betrachten wir für ein beliebiges p 2 R, p  1, den Raum p

Lp D LK .X/

derjenigen messbaren Funktionen f W X ! K, für die Z 1=p kf kp WD jf jp d 1 und p1 C q1 D 1 gilt kfgk1  kf kp kgkq : Beweis Ist kf kp D 0 oder kgkq D 0, so ist f 2 N oder g 2 N und damit fg 2 N , d. h. kfgk1 D 0. Wir können also ohne Einschränkung annehmen, dass ˛ WD kf kp und ˇ WD kgkq endlich und positiv sind. Für beliebige x; y 2 RC gilt die verallgemeinerte Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel x 1=p y 1=q  px C yq , siehe Band Analysis einer Veränderlichen [11], Beispiel 2.5.6.2 Ersetzt man hierin x durch jf jp =˛ p sowie y durch jgjq =ˇ q , multipliziert mit ˛ˇ und integriert dann, so erhält man Z Z  1 Z  1 p q kfgk1 D jf j jgj d  ˛ˇ jf j d C jgj d D kf kp kgkq p˛ p qˇ q wegen

R X

X

jf j d D ˛ , p

p

R X

X

X

jgj d D ˇ und q

q

1 p

C

1 q

D 1.



Die Dreiecksungleichung ergibt sich dabei aus 5.1.2 mit p D 2. Man sieht dies auch leicht ein, wenn man beachtet, dass die Funktion 'W RC ! R mit '.t / WD q1 C t 1=p im Punkt t D 1 ihr globales Minimum 0 annimmt, und dann die resultierende Ungleichung p t für t D x=y ausnutzt.

1 2

5.1 Einführung der Lp -Räume

147

Aus der Hölderschen Ungleichung ergibt sich unter anderem, dass bei p1 C q1 D 1 das Produkt einer p-integrierbaren und einer q-integrierbaren Funktion integrierbar ist. Insbesondere ist das Produkt zweier quadratintegrierbarer Funktionen integrierbar. Wir können nun die angekündigte Dreiecksungleichung beweisen: p

5.1.2 Minkowskische Ungleichung Es seien f; g 2 LK .X/. Dann gilt kf C gkp  kf kp C kgkp : Beweis Für p D 1 ist die Aussage trivial. Sei nun p > 1 und q WD .1  p1 /1 . Dann ist 1 C q1 D 1. Wegen kf C gkp  k jf j C jgj kp können wir f D jf j  0 und g D jgj  0 p annehmen. Außerdem sei ohne Einschränkung kf C gkp > 0. Dann ergibt sich mit 5.1.1 Z Z p p1 kf C gkp D f .f C g/ d C g.f C g/p1 d X p1

X

Dkf .f C g/ k1 C kg.f C g/ k1  kf kp k.f C g/p1 kq C kgkp k.f C g/p1 kq Z 1=q     D kf kp C kgkp .f C g/q.p1/ d D kf kp C kgkp kf C gkpp1 ; p1

X p1

woraus durch Kürzen von kf C gkp



die Behauptung folgt.

p

p

Aus dem Raum LK .X/ konstruiert man nun einen normierten Vektorraum LK .X/, p indem man zwei Funktionen f; g 2 LK .X/ immer dann identifiziert, wenn sie fast überall gleich sind, d. h. wenn sie sich nur um eine Funktion aus dem Unterraum NK WD N WD p ff 2 LK .X/ j f D 0 fast überallg unterscheiden. Man bildet also den Restklassenraum p

p

p

Lp WD LK .X/ WD LK .XI / WD LK .X/=NK .X/ und setzt kŒf kp WD kf kp für die Restklasse Œf  2 Lp einer jeden Funktion f 2 Lp . Man verifiziert unmittelbar, dass diese Definition unabhängig vom gewählten Repräsentanten f der Restklasse Œf  ist und dass auf diese Weise eine Norm kkp auf Lp definiert wird, die so genannte Lp -Norm. In der Regel werden wir die Restklassenbildung in Lp D Lp =N nicht explizit angeben und auch die Restklasse einer Funktion f 2 Lp in Lp einfach mit f bezeichnen. Eine Folge fn , n 2 N, von Funktionen in Lp konvergiert genau dann in Lp gegen die Funktion f 2 Lp , wenn kf  fn kp , n 2 N, eine Nullfolge ist, d. h. wenn Z lim jf  fn jp d D 0 n!1

X

5 Lp -Räume

148

ist. Man sagt dann auch, .fn / konvergiere im p-ten Mittel gegen f . Diese Konvergenz ist von der punktweisen Konvergenz zu unterscheiden. Aus dem Lebesgueschen Konvergenzsatz 4.4.2 ergibt sich dazu das folgende Konvergenzkriterium: Lemma 5.1.3 Es sei fn , n 2 N, eine Folge messbarer Funktionen auf dem  -endlichen Maßraum .X; A; /, die fast überall gegen die Funktion f auf X konvergiert. Außerdem gebe es eine Funktion g 2 Lp mit jfn j  g fast überall für alle n. Dann liegen f und alle fn in Lp , und die Folge .fn / konvergiert im p-ten Mittel gegen f 2 Lp . R R R R Beweis Wegen X jfn jp d  X g p d < 1 und daher auch X jf jp d  X g p d < p die Folge 1 gehören die fn , n 2 N, und f zu Lp . Ferner konvergiert n j , n 2 N,  p jf p f p p punktweise fast überall gegen 0, und es ist jf  fn j  jf j C jfn j  2 g fast überall für alle n 2 N. Der Lebesguesche Konvergenzsatz, angewandt auf die Folge jf  fn jp , n 2 N, liefert nun die Behauptung.  Als Folgerung notieren wir: Lemma 5.1.4 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und gk , k 2 N, sei eine Folge in P1 P1 Lp mit kD0 kgk kp < 1. Dann konvergiert die Reihe kD0 gk fast überall und auch im p-ten Mittel gegen eine Funktion g 2 Lp . Beweis Mit dem Satz 4.2.7 von der monotonen Konvergenz erhält man für gQ WD P1 kD0 jgk j n n X X jgk j p  lim kgk kp < 1: kgk Q p D lim n!1

kD0

n!1

kD0

Daher ist gQ 2 Lp , und gQ p ist über X integrierbar. Die Menge fx 2 X j g.x/ Q D 1g P ist folglich eine Nullmenge, d. h. k jgk j ist außerhalb einer Nullmenge konvergent. AuP ßerhalb dieser Nullmenge konvergiert dann auch die Reihe gk gegen eine Funktion g. P Pn Wegen j kD0 gk j  gQ liefert 5.1.3, dass g in Lp liegt und die Reihe k gk im p-ten Mittel gegen g konvergiert.  p

Wir können nun den Satz über die Vollständigkeit der Räume LK .X/ beweisen: 5.1.5 Satz von Riesz-Fischer Es sei .X; A; / ein  -endlicher Maßraum. Für jedes p p  1 ist dann LK .X/ bezüglich der Lp -Norm kkp vollständig, d. h. ein K-BanachRaum.

5.1 Einführung der Lp -Räume

149

Beweis Sei fn 2 Lp , n 2 N, eine Cauchy-Folge in Lp . Dann gibt es eine Teilfolge fnk , k 2 N, von .fn / mit kfnkC1  fnk kp 

1 2k

für alle k 2 N. Sei gk WD fnkC1  fnk 2 Lp . Nach Lemma 5.1.4 konvergiert die Reihe P P g fast überall und im p-ten Mittel gegen eine Funktion g 2 Lp , da k kgk kp  Pk k k k 1=2 D 2 < 1 ist. Dann konvergiert die Folge fnk D fn0 C

k1 X

.fni C1  fni /;

k 2 N;

i D0

fast überall und im p-ten Mittel gegen fn0 C g 2 Lp . Die Cauchy-Folge fn , n 2 N, p konvergiert nun in LK .X/ gegen denselben Grenzwert wie ihre konvergente Teilfolge fnk , k 2 N.  Wir haben insbesondere mitbewiesen: Korollar 5.1.6 Es seien .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und p  1. Dann besitzt p p jede Folge fn , n 2 N, in LK .X/, die aufgefasst in LK .X/ eine Cauchy-Folge ist, eine p Teilfolge fnk , k 2 N, die fast überall gegen eine Funktion f 2 Lp konvergiert. In LK .X/ gilt dabei limn!1 fn D f . Außerdem gibt es ein h 2 Lp mit h  0 und jfnk j  h f. ü. für alle k 2 N. – Insbesondere gilt: Definiert die fast überall gegen f W X ! K p p konvergierende Folge fn 2 LK .X/, n 2 N, eine Cauchy-Folge in LK .X/, so ist f D p limn!1 fn in LK .X/. Beweis Für h nimmt man etwa die Funktion jfn0 j C Beweis von 5.1.5 gewählten Teilfolge fnk , k 2 N.

P1

i D0

jfni C1  fni j mit der wie im 

Man beachte, dass auf den Übergang zu Teilfolgen nicht verzichtet werden kann, wie das folgende Beispiel zeigt. Wir betrachten den Maßraum .Œ0; 1Œ; B; 1 /. Jede natürliche Zahl n 2 N besitzt eine Darstellung n DR 2k C r mit k; r 2 N; 0  r < 2k . Sei p Œ und sei fn D eBn . Dann gilt Œ0;1Œ fn d1 D 1 .Bn / D 21k . Die Folge .fn / Bn D Œ 2rk ; rC1 2k konvergiert also im p-ten Mittel gegen 0, aber für kein x 2 Œ0; 1Œ gilt limn!1 fn .x/ D f .x/. p

Die Banach-Räume LK .X/ haben nur dann eine abzählbare Vektorraum-Basis, wenn sie endlichdimensional sind, vgl. auch Aufg. 5.1.2. Zur Beschreibung ihrer Elemente verwendet man daher Basen von dichten Unterräumen abzählbarer Dimension. Das folgende p Lemma ist nützlich, um dichte Unterräume von LK .X/ zu bestimmen:

5 Lp -Räume

150

Lemma 5.1.7 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum und M sei ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von A mit .M / < 1 für alle M 2 M. Es gebe eine Folge Mn , n 2 N, von Elementen von M mit Mn " X. Für jedes p  1 erzeugen dann die p Indikatorfunktionen eM , M 2 M, einen dichten Unterraum von LK .X/. Beweis Der Fall K D C wird leicht durch Betrachten der Real- und Imaginärteile auf den Fall K D R zurückgeführt. Sei also K D R. R p R p Für M 2 M ist dann keM kp D X eM d D X eM d D .M / < 1 und somit eM 2 Lp . Es seien nun V der von den eM , M 2 M, erzeugte Unterraum von Lp und V seine abgeschlossene Hülle. Wir zeigen zunächst, dass für jedes A 2 A mit .A/ < 1 die Indikatorfunktion eA in V liegt. Wegen Mn " X ist .A \ Mn / " A, und die Folge eA\Mn , p n 2 N, konvergiert punktweise monoton wachsend gegen eA . Wegen keA kp D .A/ < 1 ist ferner eA 2 Lp . Mit 5.1.3 erhält man nun, dass die Folge .eA\Mn / auch im p-ten Mittel gegen eA konvergiert. Es genügt daher zu zeigen, dass die eA\Mn im abgeschlossenen Unterraum V liegen. Wir können somit X durch Mn ersetzen und annehmen, dass X 2 M ist. Sei nun D WD fA 2 A j eA 2 V g. Offenbar ist M  D  A. Aus 1.2.17 folgt, dass A das von M erzeugte Dynkin-System ist. Daraus erhält man A  D und damit insgesamt die obige Zwischenbehauptung, wenn gezeigt ist, dass D selbst ein Dynkin-System ist. In der Tat ist X 2 M  D, und mit A; B 2 D, A  B ist wegen eBA D eB  eA 2 V auch U B  A 2 D. Ist schließlich A D i 2I Ai mit Ai 2 D und abzählbarer Indexmenge I , so P ist eA D i 2I eAi und wieder mit 5.1.3 ergibt sich, dass die Summe auch im p-ten Mittel gegen eA konvergiert. Wegen eAi 2 V für alle i 2 I ist daher eA 2 V und somit A 2 D. Sei nun f 2 Lp beliebig. Die Zerlegung f D fC  f von f in den positiven und negativen Teil liefert, dass es genügt, den Fall f  0 zu betrachten. Nach 4.1.10 gibt es dann eine Folge fn , n 2 N, nichtnegativer einfacher Treppenfunktionen, die punktweise monoton wachsend und dann nach 5.1.3 auch im p-ten Mittel gegen f konvergiert. Jede dieser Treppenfunktionen ist Linearkombination von Funktionen eA , A 2 A, wobei p .A/ < 1 wegen fn  f p und der Integrierbarkeit von f p gilt. Nach dem bereits  Gezeigten gehören die fn und folglich auch f zu V . Es sei daran erinnert, dass ein topologischer Raum separabel genannt wird, wenn er eine abzählbare dichte Teilmenge besitzt. Für einen normierten K-Vektorraum ist dies genau dann der Fall, wenn es einen dichten Unterraum abzählbarer Dimension gibt. Die folgende Definition wird durch den nachfolgenden Satz 5.1.9 nahe gelegt: Definition 5.1.8 Ein Messraum .X; A/ heißt separabel, wenn A als  -Algebra ein abzählbares Erzeugendensystem besitzt. Als einfache Folgerung aus Lemma 5.1.7 ergibt sich nun: Satz 5.1.9 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum. Ist .X; A/ separabel, so ist für jedes p p  1 der Banach-Raum LK .X/ separabel.

5.1 Einführung der Lp -Räume

151

Beweis X ist die Vereinigung von abzählbar vielen Mengen endlichen Maßes. Die Durchschnitte dieser Mengen mit jeweils einer Menge des vorgegebenen abzählbaren Erzeugendensystems bilden dann ein abzählbares Erzeugendensystem von A aus Mengen endlichen Maßes. Die Durchschnitte endlicher nichtleerer Familien von Elementen dieses Erzeugendensystems bilden sodann ein durchschnittstabiles abzählbares Erzeugendensystem M0 von A aus Mengen endlichen Maßes. Die Vereinigungen endlich vieler Elemente von M0 ergeben schließlich ein ebensolches Erzeugendensystem M von A. Ist M D S fMk0 j k 2 Ng eine Abzählung von M, so gilt für die Folge Mn WD kn Mk0 , n 2 N, in M auch Mn " X. Die Behauptung folgt nun aus 5.1.7.  Sei nun X 0 ein messbarer Teilraum des  -endlichen Maßraumes .X; A; /. Dann fasp p p p sen wir LK .X 0 / und LK .X 0 / stets als Teilräume von LK .X/ bzw. LK .X/ auf, und zwar p identifizieren wir ein f 0 2 LK .X 0 / mit der trivialen Fortsetzung von f 0 nach X. Bei dieser p Fortsetzung ändert sich die Lp -Norm nicht. Für jede Funktion f 2 LK .X/ ist außerdem kf jX 0 kp  kf kp . Daraus folgt sofort: Lemma 5.1.10 Es sei p  1 und X 0 ein messbarer Unterraum des  -endlichen Maßp raums .X; A; /. Erzeugen dann die Funktionen fi 2 LK .X/, i 2 I , einen dichten p Teilraum von LK .X/, so erzeugen ihre Beschränkungen fi jX 0 , i 2 I , einen dichten Unp terraum von LK .X 0 /. Für Produkträume zeigen wir eine ähnliche Aussage. Dazu seien X D .X; A; / und Y D .Y; B; /  -endliche Maßräume mit dem Produkt Z D .X  Y; A ˝ B;  ˝ /. Für f 2 Lp .X/ und g 2 Lp .Y / setzen wir f ˝ g .x; y/ WD f .x/ g.y/;

.x; y/ 2 X  Y :

Nach dem Satz von Fubini gilt Z Z Z kf ˝ gkpp D jf ˝ gjp d. ˝ / D jf jp d jgjp d D kf kpp kgkpp ; Z

X

Y

d. h. kf ˝ gkp D kf kp kgkp und somit f ˝ g 2 Lp .Z/. Mit diesen Bezeichnungen gilt: Lemma 5.1.11 Sind fi 2 Lp .X/, i 2 I , bzw. gj 2 Lp .Y /, j 2 J , Erzeugendensysteme für dichte Unterräume von Lp .X/ bzw. Lp .Y /, so erzeugen die Funktionen fi ˝ gj , .i; j / 2 I  J , einen dichten Unterraum von Lp .Z/, Z WD X  Y . Beweis Für Folgen .fQn / in Lp .X/ und .gQ n / in Lp .Y /, die im p-ten Mittel gegen f 2 Lp .X/ bzw. g 2 Lp .Y / konvergieren, folgt die Konvergenz der Folge .fQn ˝ gQ n / im p-ten Mittel gegen f ˝ g wegen kfQn ˝ gQ n  f ˝ gkp  kfQn ˝ gQ n  fQn ˝ gkp C kfQn ˝ g  f ˝ gkp D kfQn kp kgQ n  gkp C kfQn  f kp kgkp ! 0:

152

5 Lp -Räume

Die Produkte A  B mit A 2 A, B 2 B, .A/ < 1, .B/ < 1, bilden ein durchschnittstabiles Erzeugendensystem von A ˝ B. Nach Lemma 5.1.7 erzeugen die Indikatorfunktionen eAB D eA ˝ eB daher einen dichten Unterraum von Lp .Z/. Da sich nach Voraussetzung jede der Funktionen eA bzw. eB durch die Funktionen fi , i 2 I , bzw. gj , j 2 J , beliebig genau approximieren lässt, lässt sich nach der Vorbemerkung eA ˝ eB durch die Funktionen fi ˝ gj beliebig genau approximieren. Daraus ergibt sich insgesamt die Behauptung.  Eine zu 5.1.11 analoge Aussage gilt natürlich auch für Produkte von endlich vielen  -endlichen Maßräumen X , D 1; : : : ; n. Beispiel 5.1.12 Sei W Bn ! RC ein Maß auf der Borel- -Algebra Bn des Rn , das auf allen beschränkten Quadern einen endlichen Wert hat. Wir wollen einige dichte Unterräume von Lp angeben: (1) Die Indikatorfunktionen eQ der beschränkten Quader Q D Œa1 ; b1 Œ˝    ˝ Œan ; bn Œ mit ai < bi für i D 1; : : : ; n erzeugen nach 5.1.7 einen dichten Unterraum von Lp .Rn ; /. Dabei genügt es, für die Intervallgrenzen ai und bi rationale Zahlen zu nehmen. Nach 5.1.9 bzw. 5.1.10 sind die Räume Lp .Rn ; / und Lp .X; / separabel, wobei X  Rn eine Borel-Menge ist. (2) Wir nennen eine Funktion auf dem Rn eine Funktion mit kompaktem Träger, wenn sie außerhalb einer kompakten Menge verschwindet. Wir zeigen, dass der Raum n 1 n p n C1 c .R / der C -Funktionen auf R mit kompaktem Träger dicht in L .R ; / ist. Dazu genügt es wegen (1), die Indikatorfunktionen eQ zu den Quadern der Form Q D Œa1 ; b1 Œ      Œan ; bn Œ mit ai < bi für i D 1; : : : ; n im p-ten Mittel durch C1 -Funktionen mit kompaktem Träger zu approximieren. Wir wählen eine Nullfolge ."j / positiver Zahlen und zu jedem "j C1 -Hutfunktionen hj i W R ! R mit hj i .t/ D 0 für t … Œai  "j ; bi , hj i .t/ D 1 für t 2 Œai ; bi  "j  und 0 < hj i .t/ < 1 sonst. Q Die C1 -Funktionen hj WD niD1 hj i liegen dann in Lp und konvergieren punktweise gegen eQ . Mit 5.1.3 sieht man, dass sie auch im p-ten Mittel gegen eQ konvergieren. Insbesondere bilden nach 5.1.10 für jede Borel-Menge X  Rn die beschränkten stetigen Funktionen auf X, die jeweils außerhalb einer beschränkten Teilmenge von X verschwinden, einen dichten Unterraum von Lp .X; /. (3) Für jede beschränkte Borel-Menge X  Rn ist die Algebra KŒt1 ; : : : ; tn  der Polyp nomfunktionen auf X ein dichter Teilraum von LK .X; /. Wegen 5.1.10 können wir nämlich annehmen, dass X ein kompakter Quader ist. Nach dem Weierstraßschen Approximationssatz lässt sich dann jede stetige Funktion auf X gleichmäßig und folglich (vgl. 5.1.3) auch im p-ten Mittel durch Polynomfunktionen approximieren. } Analoge Aussagen wie in den obigen Beispielen gelten, wenn W Bn.G/ ! RC ein Maß auf der  -Algebra der Borelschen Teilmengen einer offenen Menge G  Rn ist, das

5.1 Einführung der Lp -Räume

153

auf jeder kompakten Teilmenge K  G endlich ist. Die Formulierungen überlassen wir dem Leser.

Aufgaben Aufgabe 5.1.1 Sei  ein  -endliches diskretes Maß auf der Menge I mit .i/ D ai 2 p RC und sei p  1. Man beschreibe die Räume LK .I I / und formuliere die Höldersche und die Minkowskische Ungleichung dafür. Besonders wichtig ist der Fall, dass I abzählbar und  das Zählmaß mit .i/ D 1 für alle i 2 I ist. Man schreibt dann auch p

`K .I / p

statt LK .I /. Aufgabe 5.1.2 Sei X D .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und sei p  1. Dann sind p äquivalent: (1) LK .XI / ist endlichdimensional. 2) X ist die disjunkte Vereinigung von Teilmengen X1 ; : : : ; Xr 2 A mit .Xi / 2 RC für alle i, wobei jede Menge M 2 A fast gleich ist zu einer Vereinigung von gewissen der Mengen X1 ; : : : ; Xr . In diesem Fall ist p r D DimK LK .XI /. 3) Es gibt keine Folge Mn , n 2 N, paarweise disjunkter Mengen Mn 2 A mit .Mn / > 0 für alle n. Aufgabe 5.1.3 Sei X D .X; A; / ein Maßraum mit einem endlichen Maß . Ferner seien p; q 2 R mit 1  p < q. Dann gilt: q

p

q

p

a) Es ist LK .X/  LK .X/ und somit LK .XI /  LK .XI /, wobei die Einbettung q p von LK .X/ in LK .X/ stetig ist mit der Norm .X/.1=p/.1=q/ . (Mit p 0 WD q=p und p 0 q D q=.q  p/ folgt dies aus der Hölderschen Ungleichung kxkp D kx p  1k1  kx p kp0  k1kq 0 .) q p b) LK .XI / liegt dicht in LK .XI /. q p c) Genau dann gilt LK .XI / D LK .XI /, wenn einer der beiden Räume endlichdimensional ist. (Beide Richtungen ergeben sich mit Aufg. 5.1.2. Beim Schluss von links nach rechts nehme man an, dass es doch eine Folge Mn , n 2 N, paarweise disjunkP ter Mengen Mn 2 A mit an WD .Mn / > 0 gibt. Es seien a WD 1 kD0 ak .< 1/, Pn P 1=p für n 2 N und x WD 1 sn WD kD0 ak , rn WD a  sn1 , cn WD rn nD0 cn eMn . Dann ist kxkqq

D

1 X nD0

kxkpp D

1 X nD0

cnq an

D

1 X nD0

an D a  sn1

an  .a  sn1 /q=p

Za

dt p D a.pq/=p < 1; .a  t/q=p pq

0 1 X nD0

an D rn

1 X nD0

an  an  1 D 1; rnC1 rn

5 Lp -Räume

154 p

weil limn!1 an =rn D 0 bei kxkp < 1 wäre und weil gilt Z 1 1 X X an an dt D  D 1: / r a  sn at nD0 nC1 nD0 a

0

Aufgabe 5.1.4 (Der Raum L1 K .X/) Sei X D .X; A; / ein  -endlicher Maßraum. Für eine messbare Funktion f W X ! K setzt man ˚    kf k1 WD Inf Sup jf j j.X  A/ A 2 A; .A/ D 0 ˇ     D Sup a 2 RC ˇ  fjf j > ag > 0 : Dabei ist kf k1 2 RC im Allgemeinen kleiner als der Wert kf kX D Supfjf j.X/g der Supremumsnorm von f auf X, und stets gilt kf k1  kf kX . Man nennt kf k1 auch das wahre oder wesentliche Supremum von jf j auf X. Offenbar gibt es eine von f abhängende Nullmenge A mit kf k1 D Supfjf j j.X  A/g. Nun bezeichnet man mit 1 L1 K .X/ WD LK .XI / den Raum der messbaren Funktionen f W X ! K mit kf k1 < 1 und setzt 1 1 L1 K .XI / WD LK .X/ WD LK .X/=N .X/;

wobei N .X/ der Raum der fast überall verschwindenden messbaren Funktionen aus 1 L1 K .X/ ist. Die Funktionen aus LK .X/ heißen übrigens auch wesentlich beschränkte Funktionen. 1 a) kk1 ist eine Pseudonorm auf L1 K .X/ und induziert eine Norm auf LK .X/. 1 b) Genau dann konvergiert eine Folge .fn / in L1 K .X/ gegen f 2 LK .X/, wenn sie außerhalb einer Nullmenge gleichmäßig gegen f konvergiert. c) L1 K .X/ ist ein Banach-Raum, sogar eine Banach-Algebra. 1 d) L1 K .X/ ist niemals separabel, es sei denn LK .X/ ist endlichdimensional. (Dieses lässt sich wie in Aufg. 5.1.2 charakterisieren.) p p e) Ist f 2 L1 K .X/ und g 2 LK .X/ mit 1  p  1, so ist auch fg 2 LK .X/, und es gilt

kfgkp  kf k1 kgkp : f) Ist .X/ < 1, so gilt L1 K .X/  LK .X/ für 1  p  1 und diese Einbettung ist p p stetig mit der Norm .X/. p

Aufgabe 5.1.5 X D .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum und für p; q 2 Œ1; 1 gelte 1 C q1 D 1, wobei p D 1 im Fall q D 1 und q D 1 im Fall p D 1 sei. Mit der p

5.1 Einführung der Lp -Räume

155

Hölderschen Ungleichung (bzw. Aufg. 5.1.4 e) sieht man, dass durch Z .f; g/ 7! hf; gi WD

f g d X p

q

eine stetige bilineare bzw. sesquilineare Funktion LK .X/  LK .X/ ! K definiert wird. Insbesondere ist Z '1 .g/W f 7! hf; gi D f g d X q

p

für jedes g 2 LK .X/ eine stetige Linearform auf LK .X/ mit der Norm kgkq . (Sei q ¤ 1. p Betrachtet man die Funktion f 2 LK .X/ mit f .x/ WD jg.x/j.q=p/1 g.x/, falls g.x/ ¤ 0, und f .x/ WD 0 sonst, so sieht man k'1 .g/k  kgkq . – Die kanonische lineare bzw. q p q antilineare Abbildung '1 W LK .X/ ! .LK .X//0 von LK .X/ in den Raum der stetigen Lip nearformen auf LK .X/ ist also injektiv und erhält die Normen. (Nach einem allgemeinen Darstellungssatz von Riesz ist sie für .p; q/ ¤ .1; 1/ sogar bijektiv.) Aufgabe 5.1.6 X D .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und für p; q 2 Œ1; 1 gelte p q 1 1 p C q D 1. Für f1 ; : : : ; fm 2 LK .X/, g1 ; : : : ; gm 2 LK .X/ bezeichne Z  G.f1 ; : : : ; fm I g1 ; : : : ; gm / D Det fi gj d X

die Gramsche Determinante bzgl. der kanonischen bi- bzw. sesquilinearen Funktion aus Aufg. 5.1.5. a) Es ist G.f1 ; : : : ; fm I g1 ; : : : ; gm / D

1 mŠ

Z

Xm

1 D mŠ

Z

  Det hf .xi /; g.xj /i d˝m     Det fr .xi /  Det g s .xj / d˝m;

Xm

wobei in den beiden letzten Integralen .x1 ; : : : ; xm / ganz X m durchläuft, f .x/ und g.x/ für x 2 X die m-Tupel .fr .x// bzw. .gs .x// bezeichnen und h; i das kanonische Skalarprodukt auf Km ist. (Beide Seiten der zu beweisenden Identität sind stetig auf Lp .X/m  Lq .X/m und alternierend jeweils in .f1 ; : : : ; fm / bzw. .g1 ; : : : ; gm /. Man kann daher annehmen, dass die f1 ; : : : ; fm und g1 ; : : : ; gm Indikatorfunktionen sind, wobei bei den f1 ; : : : ; fm die zugehörigen Teilmengen von X noch paarweise disjunkt gewählt werden können.)

5 Lp -Räume

156

b) Für f1 ; : : : ; fm 2 L2K .X/ ist G.f1 ; : : : ; fm / D

1 mŠ

Z

  jDet fr .xi / j2 d˝m :

Xm

Für X 0 2 A ist insbesondere G.f1 jX 0 ; : : : ; fm jX 0 /  G.f1 ; : : : ; fm /. p c) Man folgere aus b): Genau dann sind  f1 ; : : : ; fm 2 LK .X/ linear  abhängig, wenn die Werte-Tupel f1 .x1 /; : : : ; fm .x1 / ; : : : ; f1 .xm /; : : : ; fm .xm / in Km für fast alle Argumente .x1 ; : : : ; xm / 2 X m linear abhängig sind. Aufgabe 5.1.7 X und Y seien  -endliche Maßräume, und es sei 1  p < 1. Ist fi , p i 2 I , ein Erzeugendensystem eines dichten Unterraums von LK .X/ und sind für jedes .i / i 2 I die Elemente gji , ji 2 Ji , ein Erzeugendensystem eines dichten Unterraums von p

.i /

LK .Y /, so erzeugen die Funktionen fi ˝ gji , i 2 I , ji 2 Ji , einen dichten Unterraum p von LK .X  Y /. Ist p D 2 und sind dabei fi , i 2 I , sowie für jedes i 2 I die Familie .i / p p .i / gji , ji 2 Ji , Hilbert-Basen von LK .X/ bzw. LK .Y /, so ist auch fi ˝ gji , i 2 I , ji 2 Ji , p eine Hilbert-Basis von LK .X  Y /. (Man gehe wie in Lemma 5.1.11 vor.) Aufgabe 5.1.8 X D .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum, und W X ! RC sei eine messbare Funktion derart, dass das Maß  mit der Dichte bzgl.  ebenfalls  -endlich ist. Ferner sei p  1. a) Die Abbildungen f 7! 1=p f und g 7! 1=p g sind zueinander inverse abstandserp p haltende lineare Abbildungen zwischen LK .XI / und LK .XI /. p p b) Genau dann ist LK .XI / ein Unterraum von LK .XI /, wenn wesentlich beschränkt ist, vgl. Aufg. 5.1.4. In diesem Fall ist die kanonische Einbettung stetig mit 1=p der Norm k k1 . p p c) Genau dann ist LK .XI / D LK .XI /, wenn und 1 wesentlich beschränkt sind. (Man sagt dann auch, sei eine reguläre Dichte bezüglich ; andernfalls heißt eine singuläre Dichte bezüglich .) Aufgabe 5.1.9 X sei ein  -endlicher Maßraum. Ist f W X ! K integrierbar und bep schränkt, so ist f 2 LK .X/ für alle p  1. Aufgabe 5.1.10 In der Hölderschen Ungleichung 5.1.1 gilt das Gleichheitszeichen genau dann, wenn es eine Konstante C > 0 gibt derart, dass jf jp D C jgjq fast überall ist. Aufgabe 5.1.11 (Lp -Räume von Abbildungen mit Werten in Banach-Räumen  Bochner-Integral) Sei X D .X; A; / ein  -endlicher Maßraum, V ein der Einfachheit halber separabler K-Banach-Raum mit Norm kk, N D N .X; V / der Raum der f. ü. verschwindenden messbaren Abbildungen X ! V sowie p 2 R mit p  1. Eine messbare Abbildung f W X ! V gehöre zu Lp D Lp .X; V /, wenn die Funktion kf kW x 7! kf .x/k R p zu LR .X/ gehört, d. h. X kf kp d < 1 ist. Lp ist ein K-Vektorraum, der N umfasst.

5.2 L2 -Räume

157

Den Faktorraum Lp =N bezeichnen wir mit Lp D Lp .X; V /. Wie bei K-wertigen Funktionen unterscheiden wir in der Regel nicht zwischen den Abbildungen X ! V und ihren Klassen modulo N . R 1=p a) kf kp WD X kf kp d induziert eine Pseudonorm bzw. Norm auf Lp bzw. Lp , mit denen wir diese Räume stets versehen. P b) Ist gk , k 2 N, eine Folge in Lp mit 1 kD0 kgk kp < 1, so konvergiert die Reihe P1 p g f. ü. und auch in L gegen eine Abbildung g 2 Lp . (Vgl. 5.1.4. – Zur Messk kD0 P1 barkeit von kD0 gk siehe Aufg. 1.2.13.) c) Die Räume Lp sind vollständig. (Satz von Riesz-Fischer – Vgl. 5.1.5. Ist V ein Hilbert-Raum, so auch L2 .X; V /, vgl. dazu 5.2.1.) d) Sei T D T .X; V / der Raum der V -wertigen Treppenabbildungen, d. h. der messbaren Abbildungen X ! V , die nur abzählbar viele Werte annehmen, und T WD P P p N /. Für f 2 T ist f D v2V ef 1 .v/ v, kf k D v2V ef 1 .v/ kvk, kf kp D RT =.T \ P p p 1 .v// kvkp . Man zeige, dass T \ Lp dicht in Lp ist. (Zu v2V .f X kf k d D jeder messbaren Abbildung f W X ! V und jedem " > 0 gibt es ein g 2 T mit S kf  gk  ". Ist nämlich v0 ; v1 ; v2 ; : : : eine dichte Folge in V , so ist V D i B.vi I "/ und die Abbildung gW X ! V mit g.x/ WD vn , falls g.x/ 2 B.vn I "/ und f .x/ … B.vi I "/ für i < n, leistet das Gewünschte. Zum Beweis der Behauptung kann man nun .X/ < 1 annehmen.) Z X   f d WD  f 1 .v/ v wohldefiniert und ein Integral im e) Auf T \ L1 ist v2V

X

Sinn von Bemerkung 4.2.23. Dies definiert eine stetige Linearform T \ L1 ! V mit Norm 1 (bei V ¤ 0 und .X/ > 0). Ihre stetige Fortsetzung L1 ! V ist ebenfalls ein Integral in diesem Sinne. (Es heißt auch das Bochner-Integral. Der Raum der integrierbaren Abbildungen X ! V im Sinne von Bemerkung 4.2.23 umfasst also bei separablem V den Raum L1 .X; V /.)

5.2 L2 -Räume Es sei weiterhin .X; A; / ein  -endlicher Maßraum. Im Fall p D 2, also im Fall quap dratintegrierbarer Funktionen, tragen die Räume LK .X/ eine zusätzliche Struktur. Die 2 L -Norm Z 1=2 jf j2 d ; f 2 L2 ; kf k2 D X

kommt dann nämlich von dem L2 -Skalarprodukt Z hf; gi WD hf; gi2 WD f g d; X

f; g 2 L2 ;

5 Lp -Räume

158

her. Dabei ergibt sich die Integrierbarkeit von f g mit der Hölderschen Ungleichung, vgl. 5.1.1, wegen kf gk1  kf k2 kgk2 D kf k2 kgk2 < 1.3 Da Hilbert-Räume definitionsgemäß Banach-Räume sind, deren Norm von einem Skalarprodukt herrührt, besagt der Satz 5.1.5 von Riesz-Fischer: Satz 5.2.1 .X; A; / sei ein  -endlicher Maßraum. Dann ist L2K .X/, versehen mit dem L2 -Skalarprodukt, ein K-Hilbert-Raum. L2K .X/ besitzt wie jeder Hilbert-Raum eine Hilbert-Basis, d. h. ein Orthonormalsystem xi , i 2 I , das einen dichten Unterraum von L2K .X/ erzeugt, siehe Band Lineare Algebra [12], Sätze 19.A.4 und 19.A.7. Jedes Element f 2 L2K .X/ besitzt dann die Fourier-Entwicklung f D

X

hf; xi i xi :

i 2I

Wir werden im Folgenden in einer Reihe von Beispielen Hilbert-Basen explizit angeben und verwenden dazu die Ergebnisse von Abschn. 5.1. Seien X D .X ; A ;  /, D 1; : : : ; n,  -endliche Maßräume. Für Funktionen f ; g 2 L2K .X / und Elemente x 2 X , D 1; : : : ; n, hat man .f1 ˝    ˝ fn /.x1 ; : : : ; xn / D f1 .x1 /    fn .xn /; und mit dem Satz von Fubini erhält man für das Skalarprodukt auf dem Produktraum L2K .X1 ˝    ˝ Xn / hf1 ˝    ˝ fn ; g1 ˝    ˝ gn i D hf1 ; g1 i    hfn ; gn i: Aus Lemma 5.1.11 ergibt sich: . /

Satz 5.2.2 Für D 1; : : : ; n sei fi , i 2 I , eine Hilbert-Basis von L2K .X /. Dann .1/ .n/ ist die Familie fi1 ˝    ˝ fin , .i1 ; : : : ; in / 2 I1      In , eine Hilbert-Basis von 2 LK .X1      Xn /. Man sagt in der Situation von 5.2.2 auch, L2K .X1      Xn / sei das (vollständige) Tensorprodukt der Räume L2K .X /, D 1; : : : ; n.

3 Dies ist einfach die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung. Man kann den Beweis von 5.1.1 im Fall p D q D 2 so formulieren: Bei f; g ¤ 0 lässt sich nach Division durch kf k2 kgk2 gleich kf k2 D  kgk2 D 1 annehmen. Aus jf gj  12 jf j2 C jgj2 erhält man dann durch Integration hf; gi2    1 2 2 2 kf k2 C kgk2 D 1 D kf k2 kgk2 .

5.2 L2 -Räume

159

  Beispiel 5.2.3 (Mehrdimensionale Fourier-Reihen) Der Hilbert-Raum L2C Œ0; 1 der Funktionen auf bezüglich des Borel-Lebesgueschen Maßes 1 quadratintegrierbaren   Œ0; 1  R enthält nach Beispiel 5.1.12 (2) den Raum C0C Œ0; 1 der stetigen  Funktionen 0 als dichten Teilraum und lässt sich daher als Vervollständigung von CC Œ0; 1 bezüglich der L2 -Norm auffassen. Die Funktionen xk WD e2 i k t ;

k 2 Z;

  bilden ein Orthonormalsystem in C0C Œ0; 1 , wie folgende einfache Rechnung zeigt. Z1 hxm ; xn i D

Z1 xm .t/ xN n .t/ dt D

0

D

0

8 0 für i D 1; : : : ; n ein belie  .t1  a1 /=`1 ; : : : ; .tn  an /=`n biger Quader, so erhält man, indem man .t1 ; : : : ; tn / 7!  substituiert, aus der angegebenen Hilbert-Basis von L2C Œ0; 1n die folgende Hilbert-Basis von L2C .Q/: Pn 1 xk WD p e2 i j D1 kj .tj aj /=`j ; `1    `n

k D .k1 ; : : : ; kn / 2 Zn :

}

Beispiel 5.2.4 (Hermite-Polynome) Wir betrachten auf R das endliche Maß  D et 1 2 mit der Dichte et bezüglich 1 . Es soll gezeigt werden, dass die Polynomfunktionen 2 2 t 2 1 dicht in LK .RI e  / liegen. Dies ist dazu äquivalent, dass die Funktionen F .t/ et =2 , F 2 KŒt, dicht in L2K .RI 1 / liegen. Die Hermite-Polynome4 Hn , n 2 N, sind definiert durch Hn .t/ WD cn hn .t/ mit 2

.1/n t 2 d n t 2 hn .t/ WD e e nŠ dt n

s nŠ p : 2n 

und cn WD

Dann ist h0n D 2thn  .n C 1/hnC1 , und durch Induktion über n sieht man, dass hn und damit auch Hn Polynome vom Grad n mit den Leitkoeffizienten 2n =nŠ bzw. p .2n =nŠ /1=2 sind. Der nachfolgende Satz zeigt daher insbesondere, dass die Hn aus der Folge 1; t; t 2 ; : : : durch Anwenden des Schmidtschen Orthonormalisierungsverfahrens im 2 } Raum L2K .RI et 1 / hervorgehen. Satz 5.2.5 Die Hermite-Polynome Hn , n 2 N, bilden eine Hilbert-Basis des Hilbert2 Raums L2K .RI et 1 /. Beweis Wir zeigen zunächst, dass die Hn ein Orthonormalsystem bilden bezüglich 2 2 et 1 . Da f .t/ et für jede Polynomfunktion f bei t ! 1 und t ! 1 verschwindet, liefert n-fache partielle Integration für n  m: Z1

t 2

Hn .t/ Hm .t/ e

dt D .1/

cm 2 cn mŠ

Z1

nCm n

1

1

d mn t 2 e dt: dt mn

Bei n < m ist dieses Integral gleich 0, bei n D m ergibt sich mit Beispiel 4.3.9 der Wert cn2

2n nŠ

Z1 1

et dt D cn2 2

2n p  D 1: nŠ

Häufig werden auch die Polynome hn oder nŠhn D .1/n et .d n =dt n / et als die Hermite-Polynome bezeichnet.

4

2

2

5.2 L2 -Räume

161

Aus der eingangs erhaltenen Beziehung .n C 1/ hnC1 D 2thn  h0n ergibt sich durch Induktion über n für s; t 2 K sofort d n .t s/2 2 e D nŠ hn .t  s/ e.t s/ : ds n Die erzeugende Funktion der Hermite-Polynome hn ist 1 X

hn .t/ s n D et

nD0

2

1 X

ˇ 2 ˇ hn .t  s/ e.t s/ ˇ

sD0

nD0

 sn

1 X d n .t s/2 ˇˇ sn 2 2 2 2 D et e D et e.t s/ D e2st s : ˇ n sD0 nŠ ds nD0

Wegen kHn k D 1 in L2K .RI et 1 / ist dort 2

1 X

khn .t/s k D n

nD0

1 X

cn1 jsjn

D

1=4

nD0

1 X

p

nD0

2jsj p nŠ

n

für jedes s 2 K eine konvergente Reihe (Quotientenkriterium). Nach 5.1.4 und 5.1.3 P 2 konvergiert dann n hn .t/s n auch in L2K .RI et 1 / für jedes s 2 K, und zwar gegen 2 t 7! exp.2st  s /. Um zu zeigen, dass das Orthonormalsystem Hn , n 2 N, vollständig, d. h. eine Hil2 2 bert-Basis von L2K .RI et 1 / ist, genügt es zu zeigen, dass für jedes f 2 L2K .RI et 1 / aus hf; Hn i D 0 für alle n 2 N stets f D 0 folgt. In der Tat folgt aus hf; Hn i D 0 für alle n 2 N unter Verwendung der erzeugenden Funktion der Hermite-Polynome mit s D iu=2: Z1

t 2 iut

f .t/ e

e

s2

2st s 2

dt D hf; e i D e hf ; e iut

s2

iDe

1 X

cn1 s n hf; Hn i D 0:

nD0

1

Mit Begriffen des nächsten Kapitels heißt dies, dass die Fourier-Transformierte der Funk2 2 tion f .t/ et identisch 0 ist. Nach Satz 6.2.4 ist dies nur möglich, wenn f .t/ et und 2  damit f .t/ selbst fast überall verschwinden, also f D 0 ist in L2K .RI et 1 /. Die Abbildung f 7! f et =2 von L2K .RI et 1 / auf L2K .RI 1 / ist eine Isometrie. 2 Daher bilden die Funktionen Hn et =2 , n 2 N, eine Hilbert-Basis von L2K .RI 1 /. Für die Hermite-Polynome Hn gilt die folgende Darstellung: 2

X

2

Œn=2

Satz 5.2.6 Es ist Hn .t/ D cn

kD0

.2t/n2k .1/k mit cn D kŠ .n  2k/Š

s

nŠ p , n 2 N. 

2n

5 Lp -Räume

162

Beweis Mit der im vorangehenden Beweis eingeführten erzeugenden Funktion der Hermite-Polynome erhält man die Behauptung durch Koeffizientenvergleich in 1 X

hn .t/s n D e.2t s/s

nD0

! 1 X n X sn n D .2t/nk .s/k nŠ k nD0 kD0

1 Œn=2 X X .2t/n2k n .1/k s : D kŠ .n  2k/Š nD0



kD0

Außerdem hat man die folgende Rekursionsformel für die Hermite-Polynome: Satz 5.2.7 Es ist h0 D 1, h1 D 2t sowie für n  1 .n C 1/ hnC1  2thn C 2hn1 D 0: Beweis Differenziert man die erzeugende Funktion der Hermite-Polynome nach s, so erhält man 1 X

nhn s n1 D .2t  2s/ e2st s D 2

nD1

1 X

2thn s n 

nD0

1 X

2hn s nC1 ;

nD0

woraus die Behauptung durch Koeffizientenvergleich folgt.



Satz 5.2.8 Für alle n  0 gilt h0nC1 D 2hn . Beweis Differenziert man die erzeugende Funktion der Hermite-Polynome nach t, so hat man 1 X nD0

h0n s n D 2s e2st s D 2

1 X

2hn s nC1 :



nD0

Satz 5.2.9 Sei n 2 N. Dann erfüllen die Hermite-Polynome Hn und hn die Hermitesche Differenzialgleichung y 00  2ty 0 C 2ny D 0: Beweis Mit 5.2.7 und 5.2.8 ergibt sich h0n D 2thn  .n C 1/ hnC1 . Durch Ableiten erhält man h00n D 2hn C 2th0n  .n C 1/ h0nC1 D 2th0n  2nhn :



5.2 L2 -Räume

163

Beispiel 5.2.10 Die Funktionen ent , n 2 Z, erzeugen keinen dichten Unterraum des 2 2 Hilbert-Raums L2K .RI et 1 /. Da sin .4 t/ et ungerade ist, hat man nämlich Z1

nt

e

t 2

sin .4 t/ e

n2 =4

Z1

dt D e

1

1 Z1

D en

2 =4

sin .4 t/ e.t C.n=2// dt 2

sin .4 t/ et dt D 0: 2

1

Somit ist beispielsweise die Funktion sin .4 t/ orthogonal zu allen Funktionen der Form ent , n 2 Z, ohne selbst fast überall 0 zu sein. } Beispiel 5.2.11 Die Polynomfunktionen bilden keinen dichten Unterraum des HilbertRaums L2K .RC I s .1Cln s/ 1 /, obwohl sie alle zu diesem Raum gehören. Substituiert man nämlich in dem in 5.2.10 berechneten Integral t D ln s, so erhält man Z1

s n sin .4 ln s/ s .1Cln s/ ds D 0

0

für alle n 2 Z. Daher ist die Funktion s 7! sin .4 ln s/, die nicht fast überall verschwindet, sogar zu allen Funktionen s 7! s n , n 2 Z, orthogonal. Die Polynomfunktionen gehören zu L2K .RC I s .1Cln s/ 1 /, da für n 2 N Z1 ks k D

s 2n1ln s ds < 1

n 2

0

ist. Der Integrand dieses Integrals ist nämlich in 0 stetig mit Wert 0 und lässt sich für s  e2nC1 durch s 2 nach oben abschätzen. } Ein weitreichendes Hilfsmittel, um Hilbert-Basen und dichte Unterräume von HilbertRäumen zu gewinnen, ergibt sich aus der Theorie der Operatoren auf Hilbert-Räumen. Beispiel 5.2.12 (Spektralscharen) Seien .X; A; / ein  -endlicher Maßraum und L2C .X/ der Hilbert-Raum der quadratintegrierbaren Funktionen auf X. Für jede messbare Teilmenge A  X ist der Raum L2C .A/ der quadratintegrierbaren Funktionen auf A in kanonischer Weise isometrisch in L2C .X/ eingebettet: Jeder quadratintegrierbaren Funktion f W A ! C entspricht die Fortsetzung X ! C, die auf A mit f übereinstimmt und auf X  A verschwindet. Das orthogonale Komplement von L2C .A/ in L2C .X/ ist L2C .X  A/. Die orthogonale Zerlegung von f 2 L2C .X/ ist f D eA f C eX A f :

5 Lp -Räume

164

f 7! eA f ist also die orthogonale Projektion von L2C .X/ auf L2C .A/. Diese Projektionen liefern die natürlichsten Beispiele für den Begriff der Spektralschar im Sinne der folgenden Definition. Definition 5.2.13 Seien .X; A/ ein Messraum und H ein komplexer Hilbert-Raum. Eine Spektralschar oder ein Spektralmaß auf .X; A/ mit Werten in H ist eine Abbildung

W A ! LC .H / D L.H; H /5 , die jeder messbaren Menge A  X eine orthogonale Projektion A W H ! H von H zuordnet derart, dass folgende Bedingungen erfüllt sind: (1) ist punktweise oder stark  -additiv, d. h.: Für jede abzählbare Familie paarweise disjunkter Mengen Ai 2 A, i 2 I , ist die Familie Ai , i 2 I , punktweise summierbar U mit Summe A , A WD i 2I Ai . Für jedes x 2 H ist also X

Ai .x/:

A .x/ D i 2I

(2) Es ist X D idH . Sei eine Spektralschar wie in der vorausgegangenen Definition. Die Bedingung (2) nennt man auch die Vollständigkeit von . Bedingung (1) impliziert insbesondere die Additivität von : Für endlich viele paarweise disjunkte Mengen A1 ; : : : ; Am 2 A ist

A1 ]] Am D A1 C    C Am : Daraus folgt: Sind A; B 2 A disjunkt, so sind Bild A und Bild B orthogonal, also

A B D 0, und ACB ist die orthogonale Projektion auf Bild A k Bild B . Die Spektralschar lässt sich in äquivalenter Weise auch mit Hilfe der abgeschlossenen Unterräume HA WD Bild A , A 2 A, beschreiben. Die Bedingung (1) bedeutet: Es ist HA D k HAi i 2I

für jede abzählbare Familie Ai , i 2 I , paarweise disjunkter messbarer Mengen Ai  X mit Vereinigung A. Dabei bezeichnet ki 2I HAi die abgeschlossene Hülle der orthogonalen Summe ki 2I HAi .6 Die Vollständigkeit (2) besagt einfach HX D H . Eine Spektralschar W A ! LC .H / definiert für jedes x 2 H das H -wertige Maß

.x/W A ! H 5

LC .H / ist der Raum der stetigen Operatoren auf H . Es hätte keinen Sinn, für eine Spektralschar

in Bedingung (1) die  -Additivität in dem Sinne zu P fordern, dass die Gleichung A D i2I Ai im Banach-Raum LC .H / der stetigen Operatoren auf H gilt – man spräche dann von uniformer oder gleichmäßiger Summierbarkeit –, da eine unendliche Familie von 0 verschiedener orthogonaler Projektionen H ! H niemalsP summierbar in LC .H / ist. Von schwacher  -Additivität spricht man, wenn jeweils h A .x/ ; yi D i2I h Ai .x/ ; yi für alle x; y 2 H gilt. 6

5.2 L2 -Räume

165

mit .x/.A/ WD A .x/, vgl. Bemerkung 3.1.6, und für jedes Paar x; y 2 H das C-wertige Maß

.x; y/W A ! C mit .x; y/.A/ WD h A .x/ ; yi D h A .x/ ; A .y/i D hx; A .y/i. Insbesondere ist

.x; y/ D .y; x/, und .x; x/ ist für jedes x 2 H ein endliches positives Maß A ! RC , das auch die Intensitätsverteilung oder Spektralverteilung von x bzgl.

heißt. Ist kxk D 1, so handelt es sich um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Für alle x; y 2 H gilt (Beweis!) die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung j .x; y/j2  .x; x/ .y; y/: Ist F W .X; A/ ! .X 0 ; A0 / messbar, so ist die Bildschar F W A0 7! F 1 .A0 / einer Spektralschar W A ! LC .H / eine Spektralschar A0 ! LC .H / auf .X 0 ; A0 /. Die anfangs beschriebene Spektralschar A ! LC L2C .X/ mit A .f / WD eA f , A 2 A, f 2 L2C .X/, heißt die Standardspektralschar auf L2C .X/. Die einfachsten Spektralscharen sind die diskreten Spektralscharen: Für jeden Punkt a 2 X sei a eine orthogonale Projektion von H , und es gelte H D k Ha ; Ha WD Bild a : a2X P Dann ist W P.X/ ! LC.H / mit A WD a2A a (punktweise Summation) offensichtlich eine Spektralschar auf X; P.X/ mit Werten in H . Eine so gewonnene Spektralschar heißt diskret. Die Maße .x/ und .x; y/, x; y 2 H , sind dann ebenfalls diskret. Man beachte: Ist H separabel, d. h. besitzt H eine abzählbare dichte Teilmenge, so ist a ¤ 0 nur für abzählbar viele a 2 X. Diskrete Spektralscharen sind uns schon häufiger begegnet. Zum Beispiel definiert jede Hilbert-Basis xi , i 2 I , die diskrete Spektralschar i , i 2 I , wobei i W x 7! hx; xi ixi die orthogonale Projektion auf die Gerade Cxi ist. – Fasst man in der Fourier-Entwicklung xD

X

Z1 2 int

cn e

;

cn D

n2Z

x.t/ e2 int dt;

0

einer quadratintegrierbaren Funktion xW Œ0; 1 ! C die Summanden für m und m,  m2 N, zusammen, so erhält man die diskrete Spektralschar m , m 2 N, in LC Œ0; 1 , wobei

m die orthogonale Projektion auf Ce2 imt C Ce2 imt D C sin 2 mt C C cos 2 mt (D C, falls m D 0) ist. Die Spektralverteilung von x ist 8 0; und heißt auch die Frequenzverteilung von x.7 7

In Physikbüchern wird bemerkt, dass die Klangfarbe eines periodischen Klangs nur von dieser Frequenzverteilung abhängt.

5 Lp -Räume

166

Ist F W H ! H ein kompakter normaler Operator auf dem C-Hilbert-Raum H und sind H D Kern .F  id/,  2 C, die Eigenräume von F , so besagt der aus der linearen Algebra oder der Funktionalanalysis bekannte Spektralsatz, dass die orthogonalen Projektionen  auf die Unterräume H ,  2 C, eine diskrete Spektralschar in H definieren. Man beachte, dass dabei „nur“ das Erfülltsein der Vollständigkeitsbedingung (2), P dass nämlich 2C H D k H dicht in H ist, nicht trivial ist. Wir bemerken noch, dass P für jedes " > 0 die Summe jj" H endlichdimensional ist. Aus der Spektralschar

gewinnt man den Operator F zurück: Für jeden Vektor x 2 H ist X

F .x/ D

Z   .x/ D

2C

t d .x/: C

Die letzte Formel legt es nahe, für eine beliebige Spektralschar W A ! LC .H / und eine messbare Funktion f W X ! C die Integrale Z f d .x/ X

für x 2 H zu betrachten, wobei ein Integral über das H -wertige Maß .x/ im Sinne von Bemerkung 4.2.23 zu verstehen ist.R Dieses Integral braucht nicht für jedes x 2 H zu existieren. Im Falle der Existenz ist X f d .x/ durch die Gültigkeit der Gleichung ˝

Z

˛

Z

f d .x/; y D X

f d .x; y/ X

für alle y 2 H definiert. Für jedes A 2 A ist dann offenbar Z

Z f d .x/ D A

eA f d .x/ D A X

Z

 f d .x/ :

X

Generell gilt: R R Lemma 5.2.14 Existieren die Integrale X f d .x/ und X g d .y/ für die messbaren Funktionen f; gW X ! C und die Vektoren x; y 2 H , so ist ˝

Z

Z f d .x/; X

X

˛ g d .y/ D

Z f g d .x; y/: X

R Beweis R Sei An WD fjf j  ng \ fjgj  ng. Dann gilt An " X, ferner X f d .x/ D lim An f d .x/ und analog für die beiden anderen Integrale. Wir können also voraussetn!1

zen, dass f und g beschränkt sind. Dann kann man aber sogar annehmen, dass f bzw. g

5.2 L2 -Räume

167

Indikatorfunktionen sind (vgl. 4.1.10 oder auch 5.1.7). Damit reduziert sich die Aussage auf die für alle A; B 2 A und alle x; y 2 H gültige Gleichung h A .x/; B .y/ i D h A\B x; yi:



Es folgt: Lemma 5.2.15 Sei f W X ! C eine messbare Funktion und x 2 H ein Vektor. Dann giltW Z

Z f d .x/ 2 H

jf j2 d .x; x/ < 1

existiert genau dann, wenn

X

X

ist, d. h. f 2 L2C



 X; .x; x/ ist. In diesem Fall ist

Z

2 f d .x/ D

X

Z jf j2 d .x; x/: X

R Beweis Existiert X f d .x/, so gilt die angegebene Formel nach Lemma 5.2.14. Den R Beweis, dass umgekehrt dieses Integral existiert, falls X jf j2 d .x; x/ < 1 ist, überlassen wir dem Leser als Übung.  R Die Menge der x 2 H , für die X f d .x/ bei gegebenem f W X ! C existiert, ist ein dichter Unterraum Dfb f . /  H , denn er enthält den abgeschlossenen Unterraum Bild fjf jC g für jede Konstante C 2 RC . Die Funktion f definiert also auf Dfb f . / eine lineare Abbildung Z f . /W Dfb f . / ! H

mit f . /.x/ D

f d .x/: X

Genau dann ist Dfb f . / D H , f . / also ein Operator auf ganz H , wenn f im Wesentlichen beschränkt ist, d. h. eine Konstante R 2 RC mit fjf j>Rg D 0 existiert. Beweis! Dann ist f . / offenbar sogar stetig auf H mit kf . /k  R und normal mit fN. / als adjungiertem Operator. Die letzte Bemerkung folgt aus ˝

Z

˛ ˝ f d .x/; y D x;

X

Z

˛ fN d .y/ D

X

Z f d .x; y/ X

und ˝

Z

Z f d .x/;

X

X

˛ ˝ f d .y/ D

Z X

fN d .x/;

Z X

˛ fN d .y/ D

Z jf j2 d .x; y/ X

5 Lp -Räume

168

für alle x; y 2 H , für die f . / und damit auch fN. / definiert sind. Bei reellwertigem f ergeben sich selbstadjungierte Operatoren. f . / hängt offenbar nur von der Bildschar f W B.C/ ! LC .H / ab. Unter dem Spektrum Spek f . / von f . / versteht man die Menge derjenigen  2 C, für die f 1 .U / ¤ 0 ist für jede Umgebung U von  in C. Die Resolventenmenge ist das Komplement Rf . / WD C  Spek f . /: Sie ist die größte offene Menge V  C derart, dass .f /V D f 1 .V / D 0 ist. Man könnte Spek f . / also auch als den Träger von f definieren. Spek f . / enthält die Eigenwerte von f . /, denn offenbar ist Hf 1 ./ D Bild f 1 ./ D fx 2 Dfb f . / j f . /x D xg für jedes  2 C der Eigenraum zu . Man bestimme zur Übung Definitionsbereiche Dfb f . / und Spektren Spek  f . / für  diskrete Spektralscharen bzw. für Standardspektralscharen A ! LC L2C .X/ . Im letzteren Fall ist f . / einfach die Multiplikation mit f : f . /.h/ D f h;

h 2 Dfb f . /  L2C .X/:

Wir begegnen mit den Spektralscharen in natürlicher Weise selbstadjungierten und normalen Operatoren, die nur auf einem dichten Unterraum eines C-Hilbertraumes H definiert sind. Es ist einer der fundamentalen und schönsten Sätze der Spektraltheorie, dass umgekehrt solche Operatoren T unter gewissen notwendigen Voraussetzungen mit Hilfe einer Spektralschar in der angegebenen Weise darstellbar sind. Zum Beispiel besitzt T genau dann eine solche Spektraldarstellung, wenn sein Definitionsbereich eine aufsteigende Folge Hn , n 2 N, von abgeschlossenen T -invarianten Unterräumen von H enthält derart, S dass n2N Hn dicht in H ist und T jHn ein stetiger und normaler Operator auf Hn für jedes n 2 N ist. Der Begriff der Spektralschar ist ein Grundbegriff der Quantenmechanik. Gerade dort ist es aber häufig so, dass die Operatoren, z. B. die Schrödinger-Operatoren, sehr viel leichter anzugeben sind als die zugehörigen Spektralscharen, die wiederum für die physikalische Beobachtung relevanter sind. }

Aufgaben Aufgabe 5.2.1 Der  -endliche Maßraum X sei die disjunkte Vereinigung der messbaren Teilmengen X1 und X2 . Dann ist L2K .X/ die orthogonale Summe von L2K .X1 / und L2K .X2 /.

5.2 L2 -Räume

169

Aufgabe 5.2.2 W R ! RC sei eine Dichte bezüglich 1 für ein  -endliches Maß 1 auf R und es sei a 2 R . Ist fi .t/, i 2 I , ein Orthonormalsystem in L2K .RI .t/1 /, so ist jaj1=2 fi .at/ ein Orthonormalsystem in L2K .RI .at/ 1 /. Ist das erste System vollständig, so auch das zweite. Aufgabe 5.2.3 Es seien ˛ > 1 und ˇ  1. Man zeige (unter Verwendung von Aufg. 5.1.8 b)), dass die Polynomfunktionen einen dichten Unterraum bilden in a) L2K .RC I t ˛ et 1 /, 1Cˇ b) L2K .RI ejt j 1 /. ˇ

Aufgabe 5.2.4 Man entwickle die folgenden Funktionen auf Œ0; 12 in zweidimensionale Fourier-Reihen. a) f .x; y/ WD x n y m , .n; m/ 2 N 2 . (Man benutze die Fourier-Entwicklungen der Bernoulli-Polynome.) b) f .x; y/ WD .ax C by C c/ e4 mit a; b; c 2 K, wobei e4 die Indikatorfunktion eines der vier Dreiecke 41 ; : : : ; 44 in Abb. 5.1 ist. c) Die Funktion f sei auf jedem der beiden Dreiecke 41 [ 42 bzw. 43 [ 44 jeweils affin und nehme in den Ecken .0; 0/; .1; 0/; .1; 1/ und .0; 1/ die vorgegebenen Werte ˛; ˇ; ; ı an.   Aufgabe 5.2.5 Sei f 2 L1K Œ0; 1I 1 . Sind die Fourier-Koeffizienten Z1 cn D

f .t/ e2int dt D 0 für alle n 2 Z;

0

so ist f D 0. (Die Fourier-Koeffizienten charakterisieren also nicht nur die quadratintegrierbaren Funktionen, sondern auch die integrierbaren. – Zum Beweis bestimme man Rt die Fourier-Koeffizienten der stetigen Funktion t 7! 0 f ./d  mit partieller Integration, vgl. Aufg. 4.3.18 und benutze den Eindeutigkeitssatz aus Aufg. 3.1.2.)

Abb. 5.1 Zu Aufg. 5.2.4 b)

6

Die Fourier-Transformation

6.1

Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

Mit Fourier-Reihen lassen sich Funktionen auf endlichen Intervallen in R oder allgemeiner auf beschränkten Quadern im Rn charakterisieren. Die Fourier-Transformierten leisten ähnliches für Funktionen, die auf ganz Rn definiert sind. Allgemeiner lassen sich auf diese Weise sogar endliche Maße studieren. Wenn nichts anderes gesagt wird, bezeichnet kk die euklidische Standardnorm auf dem Rn . Da die Fourier-Transformierten auch reeller Maße und Funktionen im Allgemeinen komplexwertig sind, empfiehlt es sich, gleich mit komplexwertigen Maßen bzw. Funktionen zu starten, vgl. dazu Bemerkung 3.1.6. W Bn ! C sei also im Folgenden stets ein endliches komplexwertiges Maß. Jede integrierbare Funktion f W Rn ! C definiert solch ein Maß, nämlich das Maß  D f n mit der Dichte f bezüglich des Borel-Lebesgueschen Maßes n . Für komplexe Maße  werden wir den Betrag jjW Bn ! RC und die Norm kk D jj.RRn / benutzen. Ist f W Rn ! C integrierbar, so ist jf n j D jf j n und kf n k D kf k1 D Rn jf j dn . Definition 6.1.1 (1) Sei W Bn ! C ein endliches komplexwertiges Maß auf .Rn ; Bn /. Dann ist die Fourier-Transformierte W O Rn ! C von  die Funktion O D F  mit .x/ O D F .x/ WD

1 .2/n=2

Z

eihx;t i d.t/;

x 2 Rn :

Rn

P Dabei bezeichnet hx; ti D j xj tj das Standardskalarprodukt auf Rn , und d.t/ steht für d, um deutlich hervorzuheben, dass über t D .t1 ; : : : ; tn / bezüglich des Maßes  integriert wird.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3_6

171

172

6

Die Fourier-Transformation

(2) Sei f 2 L1C .Rn I n /. Dann ist die Fourier-Transformierte fOW Rn ! C von f die Funktion fO D F f mit Z 1 fO.x/ D F f .x/ WD eihx;t i f .t/ dt: .2/n=2 Rn

Es ist also fO D O für das Maß  WD f n mit der Dichte f bzgl. n . Man beachte, dass die Integrale in der obigen Definition existieren, da  endlich bzw. f integrierbar ist und t 7! eihx;t i auf Rn beschränkt ist. Schließlich weisen wir darauf hin, dass die Fourier-Transformierten in der Literatur häufig statt mit .2/n=2 mit einem anderen Normierungsfaktor versehen werden, beispielsweise mit 1 oder .2/n , und dass im O definierenden Integral i durch i ersetzt wird. Der Grund für die Wahl des Normierungsfaktors .2/n=2 ist, dass dadurch die Fouriertransformation zu einem isometrischen Isomorphismus L2C .Rn / ! L2C .Rn / wird, siehe Abschn. 6.3. Ist  bzw. f reellwertig, so sind die Fourier-Kosinus-Transformierten und die Fourier-Sinus-Transformierten Z  1 1 coshx; ti d.t/ D .x/ O C .x/ O n=2 .2/ 2 Rn

und 1 .2/n=2 bzw. 1 .2/n=2

Z sinhx; ti d.t/ D Rn

Z f .t/ coshx; ti dt D

 1 O f .x/ C fO.x/ 2

f .t/ sinhx; ti dt D

 i O f .x/  fO.x/ 2

Rn

und 1 .2/n=2

 i .x/ O  .x/ O 2

Z Rn

der Realteil und das Negative des Imaginärteils der Fourier-Transformierten O bzw. fO. Man beachte, dass für reelles  bzw. f die Werte .x/ O bzw. fO.x/ konjugiert-komplex O zu .x/ O bzw. f .x/ sind. Offenbar sind alle diese Fourier-Transformierten linear in  bzw. f . Trivialerweise gilt wegen jeihx;t i j D 1 für f 2 L1C .Rn / die Abschätzung Z 1 1 O jf .x/j  jf .t/j dt D kf k1 : n=2 .2/ .2/n=2 Rn

O ist für ein endliches Maß  beschränkt. Ferner gilt:

6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

173

Satz 6.1.2 Die Fourier-Transformierte O eines endlichen Maßes  und insbesondere die Fourier-Transformierte fO einer integrierbaren Funktion f sind auf ganz Rn gleichmäßig stetig. Beweis Indem wir  in Real- und Imaginärteil zerlegen, können wir uns auf den Fall beschränken, dass  reellwertig ist. Dann ist der Betrag jj von  gemäß Abschn. 3.1 R definiert und ebenfalls endlich. Für eine -integrierbare Funktion f gilt j f dj  R jf jd jj. Sei " > 0 vorgegeben. Dann gibt es wegen der Endlichkeit von jj ein r > 0 mit R ihx;t i  eihy;t i j D jeihy;t i j jeihxy;t i  1j ein kt k>r d jj  ". Ferner gibt es wegen je ı > 0 mit jeihx;t i  eihy;t i j  " für alle x; y 2 Rn mit kx  yk  ı und alle t 2 B.0I r/. Damit erhält man für diese x; y: ˇ 1 ˇ j.x/ O  .y/j O D .2/n=2

Z

ˇ  ihx;t i   eihy;t i d.t/ˇ e

Rn

 Z 1  .2/n=2

ˇ ihx;t i ˇ ˇe  eihy;t i ˇ d jj.t/ C 2

kt kr

 Z  1 "  d jj C 2" : .2/n=2

Z d jj



kt k>r

Rn



Daraus ergibt sich die Behauptung. Beispiel 6.1.3 (1) Die Fourier-Transformierte eines endlichen diskreten Maßes  ist .x/ O D

X 1 eihx;t i .t/: .2/n=2 n t 2R

Ist etwa  auf dem Gitter .2Z/n konzentriert, so hat O die überall gleichmäßig konvergierende Fourier-Reihe .x/ O D

X 1 e2ihx;ki .2k/: n=2 .2/ n k2Z

Für das im Punkte a 2 Rn konzentrierte Dirac-Maß ıa ist ıOa .x/ D .2/n=2 eihx;ai ; insbesondere ist ıO0 D .2/n=2 .

174

6

Die Fourier-Transformation

(2) Sind W Bn ! C und W Bp ! C endliche Maße, so ist auch  ˝ W BnCp ! C endlich und der Satz von Fubini liefert F . ˝ / D .F / ˝ .F /:

Wegen .f ˝ g/nCp D .f n / ˝ .gp / folgt daraus für integrierbare Funktionen f W Rn ! C und gW Rp ! C die Beziehung F .f ˝ g/ D .F f / ˝ .F g/:

(3) Die Fourier-Transformierte der Indikatorfunktion eŒa;a des Intervalls Œa; a, a  0, ist 1 eOŒa;a .x/ D p 2

Za

ixt

e a

r 2 sin ax 1 ixt ˇˇa 1 dt D p e : ˇ D a  x 2 ix

sin x , die auch Sinus cardinalis oder Kardinalsinus x

Mit der Funktion sinc x WD genannt wird, gilt

r eOŒa;a .x/ D a

2 ax sinc :  

(4) Sei a > 0. Die Fourier-Transformierte der Funktion f mit f .t/ WD eat , falls t  0, und f .t/ D 0, falls t < 0, ist 1 fO.x/ D p 2

Z1

eat eixt dt D p

0

ˇ1 1 ˇ e.aCix/t ˇ D p : 0 2 .a C ix/ 2 .a C ix/ 1

Durch Addition ergibt sich für die Fourier-Transformierte von g.t/ WD eajt j , t 2 R, r g.x/ O D fO.x/ C fO.x/ D

2 a :   a2 C x 2

(5) Sei a > 0. Die Fourier-Transformierte der Funktion f .t/ WD eat ist 2

1 fO.x/ D p 2

Z1

at 2 ixt

e

e

1

1 2 D p ex =4a 2

Z1 1

1 2 dt D p ex =4a 2

Z1 1

1 2 2 eat dt D p ex =4a : 2a

ea.t Cix=2a/ dt 2

6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

175

R1 2 Dabei haben wir benutzt, dass die Funktion G.z/ WD 1 e.t Cz/ dt für alle z 2 C p den Wert  hat. Dazu zeigt man, dass G 0 .z/ 0 ist, siehe Band Analysis einer Veränderlichen [11], Aufgabe 3.4.12. Sei a1 ; : : : ; an > 0. Mit (2) erhält man dann n  X xj2  1 fO.x1 ; : : : ; xn / D n=2 .a1    an /1=2 exp  2 4aj j D1

 Xn als Fourier-Transformierte von f .t1 ; : : : ; tn / WD exp 

j D1

 aj tj2 : Genau dann ist

fO D f , wenn alle aj D 12 sind. (6) Seien v 2 Rn ein fester Vektor und W Bn ! C ein Maß. Das um v verschobene Maß v mit v .M / WD .v C M / hat die Fourier-Transformierte Z Z 1 1 ihx;t i e dv .t/ D eihx;t Cvi d.t/ D eihx;vi .x/: O O v .x/ D .2/n=2 .2/n=2 Rn

Rn

Insbesondere gilt für eine integrierbare Funktion f W Rn ! C und die um v verschobene Funktion fv mit fv .t/ WD f .t  v/: fOv .x/ D eihx;vi fO.x/: n (7) Seien F W Rn ! Rn ein R-linearer Automorphismus von Rn und  1  W B ! C ein Maß. Dann hat das Bildmaß F  D F mit F .M / WD  F .M / die Fourier-Transformierte Z Z 1 1 ihx;t i e d .t/ D eihx;F .t /i d.t/ .F F /.x/ D F .2/n=2 .2/n=2 Rn Rn Z   1

D eihF .x/;t i d.t/ D .F / F .x/ : n=2 .2/ Rn

Dabei haben wir, um Verwechslungen zu vermeiden, den zu F adjungierten Operator (dessen Matrix bzgl. der Standardbasis die Transponierte der Matrix von F ist) ausnahmsweise mit F bezeichnet. Für eine integrierbare Funktion f W Rn ! C und die Funktion fF D f ı F 1 gilt Z Z   1 1 ihx;t i e f .t/ dt D eihx;t i f F 1 .t/ dt fOF .x/ D F n=2 n=2 .2/ .2/ Rn Rn Z   1 D jDet F j eihx;F .t /i f .t/ dt D jDet F j fO F .x/ : n=2 .2/ Rn

176

6

Die Fourier-Transformation

Im Spezialfall F D a  id .D F /, a 2 R , ist fF .t/ D f .t=a/ und O O F .x/ D .ax/

und

fOF .x/ D jajn fO.ax/:

(8) Für das zum Maß W Bn ! C konjugiert-komplexe Maß N gilt ON .x/ D

1 .2/n=2

Z

eihx;t i d .t/ N D

Rn

1 .2/n=2

Z

NO eihx;t i d.t/ D .x/:

Rn

Insbesondere erhält man für eine integrierbare Funktion f W Rn ! C N fON.x/ D fO.x/:

}

Eine wichtige Verschärfung von 6.1.2 betrifft das Verhalten der Fourier-Transformierten einer Funktion im Unendlichen. Zunächst beweisen wir den folgenden Hilfssatz: Lemma 6.1.4 Sei f W Rn ! C eine integrierbare Funktion. Dann ist die Funktion R gW Rn ! C mit g.x/ WD Rn jf .t C x/  f .t/j dt im Nullpunkt stetig mit g.0/ D 0. Beweis Wir reduzieren das Problem zunächst auf den Fall, dass f stetig ist und außerhalb einer kompakten Menge verschwindet. Nach dem Dichtesatz aus Beispiel 5.1.12 (2) gibt es nämlich zu dem gegebenen f und gegebenem " > 0 eine stetige Funktion h mit kompaktem Träger, für die kf  hk1  " ist. Dann ist aber Z

Z jf .t C x/  h.t C x/j dt C

jg.x/j  Rn

Z jh.t C x/  h.t/j dt C

Rn

Z

jh.t/  f .t/j dt Rn

jh.t C x/  h.t/j dt:

 2" C Rn

Sei daher f stetig und verschwinde außerhalb einer kompakten Menge. g hängt dann nach Satz 4.4.3 stetig vom Parameter x ab.  Nun können wir beweisen: 6.1.5 Satz von Riemann-Lebesgue Sei f W Rn ! C eine integrierbare Funktion. Dann verschwindet die Fourier-Transformierte fO im Unendlichen, d. h. es ist lim fO.x/ D 0:

kxk!1

6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

177

Beweis Für x ¤ 0 ist eihx;t i D

 ˝ 1 ihx;t i  1 1  ˛ i  hx;xi  x : 1  e kxk2 D eihx;t i  exp i x; t C e 2 2 2 kxk2

Es folgt ˇZ ˇ ˇ ˇ .2/n=2 jfO.x/j D ˇ eihx;t i f .t/ dt ˇ Rn

1 ˇˇ D ˇ 2

Z

ihx;t i

e

Rn

Z f .t/ dt  Rn

ˇ  ˝ x ˛ ˇ exp i x; t C f .t/ dt ˇ 2 kxk

Z Z  x  ˇˇ 1 ˇˇ dt ˇ D ˇ eihx;t i f .t/ dt  eihx;t i f t  2 kxk2 Rn Rn Z  x ˇˇ 1 ˇˇ  ˇ dt; ˇf .t/  f t  2 kxk2 Rn

woraus sich mit 6.1.4 wegen x=kxk2 ! 0 für kxk ! 1 die Behauptung ergibt.



Eine einfache, aber wichtige Rechenregel für die Fourier-Transformierte ist der Faltungssatz. Wir erinnern daran, dass die Faltung  zweier endlicher Maße  und auf .Rn ; Bn / das Bildmaß von  ˝ unter der Summenabbildung .t1 ; t2 / 7! t1 C t2 von Rn  Rn auf Rn ist. Ist  D f n und D gn mit integrierbaren Funktionen f und g, so ist  D .f n / .gn / D .f g/ n ; wobei f g die Faltung von f und g mit Z Z .f g/.t/ D f ./ g.t  / d  D f .t  / g./ d  Rn

Rn

ist. Es gilt nun: 6.1.6 Faltungssatz Für endliche Maße  und auf .Rn ; Bn / ist F . / D .2/n=2 .F /  .F /:

Insbesondere gilt für integrierbare Funktionen f; gW Rn ! C F .f g/ D .2/n=2 .F f /  .F g/:

178

6

Die Fourier-Transformation

Beweis Mit der Transformationsregel 4.2.9 und dem Satz von Fubini ergibt sich Z .2/n=2 F . / D Rn

Z

D

Z

eihx;t i d. /.t/ D eihx;t1 i d.t1 /

Rn

eihx;t1 Ct2 i d. ˝ /.t1 ; t2 /

Rn Rn

Z

eihx;t2 i d .t2 / D .2/n .F /  .F /:



Rn

Ständig benutzt wird ferner der folgende Reziprozitätssatz: Satz 6.1.7 Für endliche Maße  und auf .Rn ; Bn / gilt Z

Z O d D Rn

O d: Rn

Insbesondere gilt für integrierbare Funktionen f; gW Rn ! C und ein Maß W Bn ! C Z

Z O g dn D Rn

Z gO d

und

Rn

fO g dn D

Rn

Z f gO dn : Rn

Beweis Mit dem Satz von Fubini ergibt sich Z Z Rn

Z Z   eihx;t i d.t/ d .x/ D eiht;xi d .x/ d.t/:

Rn

Rn



Rn

Hinsichtlich der Differenzierbarkeit der Fourier-Transformierten gilt der folgende Satz: Satz 6.1.8 Seien k1 ; : : : ; kn 2 N und  ein komplexwertiges Maß auf .Rn ; Bn /. Existieren die Momente Z t1˛1    tn˛n d.t/; 0  ˛j  kj ; j D 1; : : : ; n; Rn

so existieren auch die partiellen Ableitungen ˛j  kj , und für diese ˛ ist

@j˛j F  für alle ˛ D .˛1 ; : : : ; ˛n / mit 0  @x ˛

@j˛j F  D .i/j˛j F .t ˛ /: @x ˛

6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

179

Beweis Es genügt, die Behauptung für eine einzige partielle Ableitung, etwa für @=@x1 R zu zeigen. Mit 4.4.4 ergibt sich aber bei der Existenz von t1 d.t/: @ 1 .F /.x/ D @x1 .2/n=2 1 D .2/n=2

Z Rn

Z

@ ihx;t i e d.t/ @x1 .it1 / eihx;t i d.t/ D i F .t1 /.x/:



Rn

In gewissem Sinne eine Umkehrung von 6.1.8 ist die folgende Aussage: Satz 6.1.9 Seien k1 ; : : : ; kn 2 N. Für die Funktion f W Rn ! C mögen alle partiellen Ableitungen @j˛j f ; @t ˛

˛ D .˛1 ; : : : ; ˛n /;

0  ˛j  kj ;

j D 1; : : : ; n;

stetig und integrierbar sein. Dann gilt für jedes dieser ˛ F

 @j˛j f  @t ˛

D .ix/˛ .F f /:

Beweis Es genügt wieder, die Behauptung für eine partielle Ableitung, etwa für @=@t1 zu zeigen. Wir setzen t 0 D .t2 ; : : : ; tn /, x 0 D .x2 ; : : : ; xn /. Sei x1 2 R. Nach 4.3.5 existieren für fast alle t 0 2 Rn1 die beiden Integrale Z1 1

@f .t1 ; t 0 / dt1 @t1

Z1 und

f .t1 ; t 0 / dt1 :

1

Wegen 0

0

Zt1

f .t1 ; t / D f .0; t / C 0

@f .t1 ; t 0 / dt1 @t1

existieren für diese t 0 die Limiten lim t1 !1 f .t1 ; t 0 / und lim t1 !1 f .t1 ; t 0 / und sind dann notwendigerweise D 0. Mit partieller Integration ergibt sich für diese t 0 Z1

ix1 t1

e 1

Z1 ˇt D1 @f 0 ix1 t1 0 ˇ1 .t1 ; t / dt1 D e f .t1 ; t / ˇ C ix1 eix1 t1 f .t1 ; t 0 / dt1 t1 D1 @t1 1

Z1 D ix1 1

eix1 t1 f .t1 ; t 0 / dt1 :

180

6

Die Fourier-Transformation

Damit erhält man mit dem Satz von Fubini Z  @f  @f n=2 .x/ D eihx;t i .2/ F .t1 ; t 0 / d.t1 ; t 0 / @t1 @t1 Rn

Z

ihx 0 ;t 0 i

D

 Z1

e Rn1

eix1 t1

1

Z

ihx 0 ;t 0 i

D ix1

 Z1

e

D ix1

 eix1 t1 f .t1 ; t 0 / dt1 dt 0

1

Rn1

Z

 @f .t1 ; t 0 / dt1 dt 0 @t1

eihx;t i f .t/ dt D ix1 .2/n=2 .F f /:



Rn

Anmerkung 6.1.10 Die Fourier-Transformation lässt sich auf beliebigen euklidischen Vektorräumen V definieren: Z 1 eihx;t i d.t/ .F /.x/ WD .2/n=2 V

für jedes endliche Maß W B.V / ! C und Z 1 eihx;t i f .t/ dV .t/; .F f /.x/ WD .2/n=2

x 2 V;

V

für jede integrierbare Funktion f W V ! C. Dabei sei n WD DimR V . Das Skalarprodukt h; i wird nur benutzt, um V mit seinem Dualraum V identifizieren zu können und um ein kanonisches Borel-Lebesgue-Maß V auf V zur Verfügung zu haben. Ist V ein beliebiger n-dimensionaler R-Vektorraum, so definiert man die Fourier-Transformierte F  für ein endliches Maß W B.V / ! C als Funktion auf V W Z 1 ei˛.v/ d.v/; ˛ 2 V : .F /.˛/ WD .2/n=2 V

Man hat zur Definition der Fourier-Transformierten F f WD F .f / einer integrierbaren Funktion f W V ! C ein Borel-Lebesgue-Maß  auf V auszuzeichnen. Man kann noch einen Schritt weitergehen: Die Funktionen ei˛ , ˛ 2 V , sind genau die stetigen Gruppenhomomorphismen W V ! U von V D .V; C/ in die multiplikative Kreisgruppe U D fz 2 C j jzj D 1g Š R=Z, siehe Band Lineare Algebra [12], Satz 18.A.3. Wir können also V mit der Gruppe X.V / WD Hom0 .V; U / dieser Charaktere identifizieren. Dann ist die Fourier-Transformierte F  eine Funktion auf X.V /: Z 1 N d;  2 X.V /; .F /./ D .2/n=2 V

6.1 Der Begriff der Fourier-Transformation und Rechenregeln

181

und der Begriff der Fourier-Transformation lässt sich in natürlicher Weise auf beliebige Torusgruppen H Š V = erweitern, wobei V ein endlichdimensionaler R-Vektorraum und ein Gitter in V sind. Bezüglich der Terminologie verweisen wir auf den Band Lineare Algebra [12], Abschnitt 18.A. Ist H vom Typ .r; s/, d. h. ist r D Rang und s D DimR V  r, so setzen wir Z 1 .F /./ WD N d .2/s=2 H

für jedes endliche Maß W B.H / ! C und jeden Charakter  2 X.H / WD Hom0 .H; U /. Sei H D V = kompakt, d. h. s D 0 und  V ein volles Gitter. Dann identifiziert sich X.H / D Hom0 .H; U / mit der Gruppe der gewöhnlichen Homomorphismen ! Z: Ein solcher Gruppenhomomorphismus ' besitzt eine eindeutig bestimmte R-lineare Erweiterung '.R/ W V ! R, die den Charakter W H ! U auf H D V = mit      Œ t D exp 2i '.R/ .t/ ;

Œ t D Restklasse von t 2 V;

induziert. Ist v1 ; : : : ; vn eine Z-Basis von und '.vi / D ki 2 Z, so ist      Œ t1 v1 C    C tn vn  D exp 2ihk; ti ;

k D .k1 ; : : : ; kn /; t D .t1 ; : : : ; tn / 2 Rn :

Die Fourier-Transformierte F  ist also nichts anderes als die Familie der Fourier-Koeffizienten Z   k 2 Zn : ck WD exp  2ihk; ti d; H

H besitzt überdies ein kanonisches Borel-Lebesgue-Maß H , das man auch das Haarsche Maß von H nennt: Mit Hilfe der (zusammen mit der Umkehrabbildung) bijektiven messbaren Abbildung Œ0; 1Œn ! H , t 7! t1 v1 C    C tn vn , überträgt man das gewöhnliche Borel-Lebesgue-Maß n von Œ0; 1Œn auf H . Offenbar ist H unabhängig von der Wahl der Z-Basis v1 ; : : : ; vn von . Für eine bzgl. H integrierbare Funktion f W H ! C ist die Fourier-Transformierte F f WD F .f H / von f die Familie der gewöhnlichen Fourier-Koeffizienten Z ck D





Z1

exp 2ihk; ti f .t/ dH D H

Z1 

0

 exp 2ihk; ti/f .t1 ; : : : ; tn / dt1    dtn ;

0

k 2 Zn , f .t1 ; : : : ; tn / WD f .t1 v1 C    C tn vn /, vgl.  Beispiel 5.2.3. Die Aussage aus Beispiel 5.2.3, dass die Charaktere exp 2ihk; ti , k 2 Zn , eine Hilbert-Basis von L2C .H; H / bilden, und der zugehörige Satz über die Fourier-Entwicklung quadratintegrierbarer Funktionen H ! C haben ihre Entsprechung in der Aussage 6.3.3 über die Fourier-Transformation quadratintegrierbarer Funktionen.

182

6

Die Fourier-Transformation

Fourier-Reihen und Fourier-Transformierte sind demnach Spezialfälle ein und desselben Konzepts, das im Rahmen der so genannten Harmonischen Analyse eine weitere Verallgemeinerung u. a. auf Lie-Gruppen findet. }

Aufgaben Aufgabe 6.1.1 Man berechne die Fourier-Transformierten folgender Funktionen f W R ! R: 8 0, mit 8 ˆ < ˛ t 1 e˛t ; falls t > 0; ˛; WD . / ˆ :0 sonst ist ix  1  1C : .F ˛; /.x/ D p ˛ 2     Man bestimme die Fourier-Transformierten der Funktionen ˛; jtj und .Sign t/˛; jtj auf R. Aufgabe 6.1.7 Seien a1 ; : : : ; an 2 RC , und W Bn ! C ein Maß derart, dass P  n exp ak jtk j  ein endliches Maß ist. Dann ist die Funktion kD1

.z/ O WD

1 .2/n=2

Z

eihz;t i d.t/

Rn

für alle z D .z1 ; : : : ; zn / 2 C n mit jIm zj j < aj definiert und komplex differenzierbar mit den partiellen Ableitungen 1 @O .z/ D  i @zj .2/n=2

Z

tj eihz;t i d.t/:

Rn

(Damit ist O sogar komplex-analytisch (holomorph) in dem angegebenen Bereich um O Rn  C n . Wegen des Identitätssatzes für analytische Funktionen sind die Funktion .z/ und insbesondere ihre Beschränkung jRn durch ihre Taylor-Reihe um 0 X 1 @j˛j O .0/ z ˛ ˛Š @z ˛ n

˛2N

184

6

Die Fourier-Transformation

eindeutig bestimmt. Man beachte, dass die Ableitungen @j˛j O 1 .0/ D .i/j˛j F .t ˛ /.0/ D .i/j˛j @z ˛ .2/n=2

Z t ˛ d.t/ Rn

im Wesentlichen die Momente von  sind. – Die Voraussetzungen über  sind beispielsweise immer dann erfüllt, wenn  außerhalb einer kompakten Menge das Nullmaß ist. In P diesem Fall darf man freilich die Potenzreihe eihz;t i D ˛ .iz/˛ t ˛ =˛Š einfach gliedweise integrieren und erhält für O eine auf dem ganzen C n konvergente Potenzreihe.) Aufgabe 6.1.8 Das ˛-te Moment, ˛ 2 N, der Beta-Dichte

.p C q/ p; q > 0; .1  t/p1 t q1 eŒ0;1 ;

.p/ .q/ ! ! ˛Cq1 . ˛CpCq1 ist . Die (überall konvergierende) Taylor-Reihe der ˛ ˛ Fourier-Transformierten von ˇp;q ist also ˇp;q .t/ WD

1 1 X .i z/˛ p 2 ˛D0 ˛Š

! ! ˛Cq1 . ˛CpCq1 : ˛ ˛

Aufgabe 6.1.9 Seien f; gW Rn ! C quadratintegrierbar. Dann ist die Faltung Z Z .f g/.x/ D f .t/ g.x  t/ dt D f .x  t/ g.t/ dt Rn

Rn

für alle x 2 Rn definiert. Es ist kf gk1  kf k2 kgk2 . Ferner ist f g stetig und verschwindet im Unendlichen. (Man reduziert die letzten Aussagen auf den Fall, dass f oder g stetig ist und außerhalb einer kompakten Menge verschwindet, vgl. den Beweis von 6.1.4.) Aufgabe 6.1.10 Man zeige, dass die Funktionen 8 0 beliebig. Für t D .t1 ; : : : ; tn / 2 Rn bezeichne hier jtj die Summe P n n j jtj j der Beträge der Komponenten von t. Für x 2 R sei ga;x die Funktion auf R mit ga;x .t/ D eihx;t i eajt j : Nach Beispiel 6.1.3 (4) ist gO a;x .y/ D

1 .2/n=2

Z

eihy;t i eihx;t i eajt j dt D

Rn

D gO a;0 .y  x/ D

 2 n=2 

1 .2/n=2

Z

eihyx;t i eajt j dt

Rn

n Y

a : 2 C .y  x /2 a j j j D1

Nun ergibt sich mit 6.1.7: Z

ihx;t i ajt j

e

e

fO.t/ dt D

Rn

Z

ga;x .t/ fO.t/ dt D

Rn

D

D

n  2 n=2 Z  Y



Rn

Z gO a;x .t/ f .t/ dt Rn

 a f .t/ dt a2 C .tj  xj /2 j D1

n  2 n=2 Z  Y



Rn

1  f .a C x/ d ; 1 C j2 j D1

wobei wir für die letzte Gleichheit die Substitution t D a C x benutzt haben. Lassen wir a gegen 0 gehen, so erhalten wir mit dem Konvergenzsatz von Lebesgue wegen der

186

6

Die Fourier-Transformation

Stetigkeit von f in x und der Beschränktheit von f : Z

ihx;t i

e

fO.t/ dt D

Rn

D

n  2 n=2 Z  Y



Rn

 2 n=2 

1  f .x/ d  1 C j2 j D1

 n f .x/ D .2/n=2 f .x/; 

und das ist die Behauptung.

Der Leser bemerke den Kunstgriff im Beweis von 6.2.1, der in der Einführung des konvergenzverstärkenden Faktors eajt j , a > 0, mit übersichtlicher Fourier-Transformierten besteht. Er wird in der Theorie der Fourier-Transformation in ähnlicher Weise häufig angewandt, vgl. z. B. den Beweis von 6.3.1. Statt dieses Faktors benützt man auch andere 2 Funktionen, z. B. den Gaußschen Kern eat , a > 0. Der Satz 6.2.1 besagt insbesondere, dass genügend viele Funktionen als Fourier-Transformierte auftreten. Um dies zu präzisieren, führen wir den Raum SK .Rn / der schnell fallenden Funktionen ein. Eine C1 -Funktion f W Rn ! K heißt schnell fallend, wenn für alle Tupel ˛; ˇ 2 N n die Funktion t˛

@jˇj f W Rn ! K @t ˇ

beschränkt ist. Die schnell fallenden Funktionen bilden einen K-Vektorraum, der den n n Raum C1 c .R / der beliebig oft differenzierbaren Funktionen R ! K, die jeweils außerhalb einer kompakten Menge verschwinden, umfasst. Daraus ergibt sich, dass SK .Rn / p dicht liegt in den Räumen LK .Rn /, p  1, und im Raum C0;K .Rn / der stetigen Funktionen Rn ! K, die im Unendlichen verschwinden, wobei der letzte Raum die Supremumsnorm trägt. Aus 6.1.8 und 6.1.9 folgt zusammen mit 6.2.1 sofort: Satz 6.2.2 Die Fourier-Transformation F induziert einen Automorphismus F von SC .Rn / auf sich mit folgenden EigenschaftenW (1) Für alle ˛ 2 N n und alle f 2 SC .Rn / ist @j˛j F .f / D .i/j˛j F .t ˛ f / @x ˛

und

F

 @j˛j f 

(2) Für alle f 2 SC .Rn / ist F 1 f .x/ D F f .x/:

@t ˛

D .ix/˛ F .f /:

6.2 Der Umkehrsatz

187

Für den Eindeutigkeitssatz über die Fourier-Transformation benötigen wir folgenden Eindeutigkeitssatz für Maße: R n Lemma 6.2.3 Sei W Bn ! C ein Maß. Gilt Rn g d D 0 für alle g 2 C1 c .R /, so ist n  D 0. f W R ! C fast überall gleich 0, R Insbesondere ist eine integrierbare Funktion n .R /. wenn Rn gf dn D 0 ist für alle g 2 C1 c Beweis Wir zerlegen  in Real- und Imaginärteil:  D 1 C i2 . Wegen Z

Z g d D Rn

Z g d1 C i

Rn

g d2

Rn

n für alle g 2 C1 c .R / können wir annehmen, dass  D 1 reellwertig ist. Dann ist nach dem Hahn-Jordanschen Zerlegungssatz  D C   mit positiven endlichen Maßen C und  und folglich

Z

Z g d D Rn

Z g dC 

Rn

g d D 0 Rn

n für alle g 2 C1 c .R /. Nach dem Dichtesatz in Beispiel 5.1.12 (2) ist

Z

Z dC D Q

d ;

d. h. C .Q/ D  .Q/

Q

für alle beschränkten Quader Q  Rn . Dann ist aber C D  und  D 0 nach 1.4.1.  Jetzt folgt: 6.2.4 Eindeutigkeitssatz Seien ; W Bn ! C Maße mit der gleichen Fourier-Transformierten O D . O Dann ist  D . – Insbesondere sind zwei integrierbare Funktionen n f; gW R ! C fast überall gleich, wenn ihre Fourier-Transformierten fO und gO übereinstimmen. n Beweis Für das Maß  WD   ist O D 0. Jede Funktion g 2 C1 c .R / ist nach 6.2.2 die Fourier-Transformierte fO einer Funktion f 2 SC .Rn /. Mit 6.1.7 folgt für solch ein g:

Z

Z g d D Rn

fO d  D

Rn

Nach 6.2.3 ergibt sich  D 0, also  D .

Z f O dn D 0: Rn



188

6

Die Fourier-Transformation

Als Verschärfung von 6.2.1 erwähnen wir: Satz 6.2.5 Sei f W Rn ! C integrierbar mit der integrierbaren Fourier-Transformierten O fO. Dann ist fast überall f .x/ D fO .x/. – Insbesondere gilt diese Gleichheit für jeden Punkt x 2 Rn , in dem f stetig ist. Beweis Es genügt, die Gleichheit Z Z O g.x/ f .x/ dx D g.x/ fO .x/ dx Rn

Rn

n für alle g 2 C1 c .R / zu zeigen. Nach 6.1.7 und 6.2.2 gilt aber Z Z OO g.x/ f .x/ dx D g.x/ O fO.x/ dx Rn

Rn

Z

D

gOO .x/ f .x/ dx D

Rn

Z

Z g.x/ f .x/ dx D

Rn

g.x/ f .x/ dx: Rn

O Der Zusatz folgt daraus, dass auch fO .x/ in x stetig ist.



Anmerkung 6.2.6 6.2.5 besagt zusammen mit 6.1.2 und 6.1.5 speziell, dass die FourierTransformierte fO einer integrierbaren Funktion f W Rn ! C höchstens dann integrierbar sein kann, wenn f fast überall mit einer stetigen Funktion, die im Unendlichen verschwindet, übereinstimmt. Hingegen existieren häufig noch gewisse uneigentliche Integrale für fO. Wir zeigen in diesem Zusammenhang exemplarisch den folgenden Umkehrsatz. } Satz 6.2.7 Die Funktion f W R ! C sei integrierbar und stückweise stetig differenzierbar1 . Dann gilt für jedes x 2 R 1 lim p 2 a!1

Za

a

 1 eixt fO.t/ dt D f .xC/ C f .x/ : 2

Beweis t 7! eixt fO.t/ ist die Fourier-Transformierte von t 7! f .t Cx/. Wir können daher x D 0 annehmen. Nach 6.1.7 und Beispiel 6.1.3 (3) gilt für a > 0 Za a

fO.t/ dt D

Z1 1

eŒa;a .t/fO.t/ dt D

r

Z1 eOŒa;a .t/ f .t/ dt D 1

2 

Z1 1

sin at f .t/ dt: t

U D. h. es gibt für alle beschränkten Intervalle Œa; b eine Zerlegung Œa; bŒD nkD1 Œak ; bk Œ und Funktionen 'k W Œak ; bk  ! C, so dass 'k auf Œak ; bk  stetig und auf ak ; bk Œ differenzierbar ist und f auf ak ; bk Œ mit 'k übereinstimmt. 1

6.2 Der Umkehrsatz

189

Es genügt somit, Z1 lim

a!1

sin at  f .t/ dt D f .0C/ t 2

0

zu zeigen. Für a > 0 gilt aber Z1

 sin at  f .t/  f .0C/ dt D t

0

Z1 sin at

f .t/  f .0C/ dt t

0

Z1 C

f .t/ sin at dt  t

1

Z1

sin at f .0C/ dt: t

1

Die ersten beiden Summanden der rechten Seite konvergieren nach dem Satz 6.1.5 von Riemann-Lebesgue für a ! 1 gegen 0, und der letzte Summand konvergiert wegen Z1

sin at dt D t

Z1

sin t dt t

a

1

gegen 0. Somit ist Z1 lim

a!1 0

sin at f .t/ dt D lim a!1 t

Z1

sin at  f .0C/ dt D f .0C/: t 2

0

R1 Hier haben wir das uneigentliche Integral 0 sint t dt D 2 benutzt, das wir schon im Band Analysis einer Veränderlichen [11], Satz 3.5.12, berechnet haben. Es ergibt sich aber auch direkt aus den vorstehenden Überlegungen, da 6.2.7 ja nach 6.2.5 a priori gilt, wenn zusätzlich vorausgesetzt wird, dass f stetig und fO integrierbar ist.  6.2.7 besagt nicht, dass fO unter den dort angegebenen Voraussetzungen notwendigerweise uneigentlich integrierbar ist. Zum Beispiel ist eOŒ0;1 D p12 xi .eix  1/ nicht Ra uneigentlich integrierbar, doch ist lima!1 p12 a eOŒ0;1 .t/ dt D 12 . Ist gW R ! C eiRa ne lokal integrierbare Funktion2 , so nennt man den Grenzwert lim a g.t/ dt, wenn er a!1 R1 R1 existiert, den Hauptwert von 1 g.t/ dt und bezeichnet ihn mit PV 1 g.t/ dt. Eine Borel-messbare Funktion f W X ! C auf einem topologischen Raum X heißt lokal integrierbar, wenn jeder Punkt von X eine Borelsche Umgebung U besitzt derart, dass f jU integrierbar ist. Ist X lokal kompakt, so ist dies genau dann der Fall, wenn f jK für jedes Kompaktum K  X integrierbar ist. 2

190

6

Die Fourier-Transformation

Aufgaben Aufgabe 6.2.1 Man wende die Umkehrsätze 6.2.1 (bzw. 6.2.7) jeweils auf die Funktion f und ihre Fourier-Transformierte fO an, um die folgenden Integralformeln zu erhalten: a) Für f .t/ WD eŒ1;1 eŒ1;1 ergibt sich

Z1  1

sin t 2 dt D  : t

(Ähnlich verwende man f .t/ WD eŒ1;1    eŒ1;1 (n Faktoren), um

Z1  1

sin t n dt t

auch für n D 3; 4; 5; : : : zu berechnen. Man kennt eine Formel für allgemeines n.) Z1 cos xt  ajt j b) Für f .t/ WD e , a > 0, erhält man dt D eajxj . a2 C t 2 a 1

ajt j

c) Für f .t/ WD .Sign t/e

8 0, erhält man

t sin xt  dt D eax ; 2 2 a Ct 2

x > 0.

0

falls jtj  1;

erhält man

sonst

8 0 sei a die Cauchy- oder Lorentz-Dichte a .t/ WD



a ; C t 2/

.a2

t 2 R:

Dann gilt a b D aCb für alle a; b > 0. (Dies ist das sogenannte Faltungstheorem der Cauchy-Verteilung. Die Faltung zweier Cauchy-Verteilungen ist also wieder eine Cauchy-Verteilung.) b) Für  2 D .12 ; : : : ; n2 / 2 .RC /n (mit j > 0) sei .0I  2 / die Dichte einer n-dimensionalen Normalverteilung mit .0I  2 /.t1 ; : : : ; tn / WD

n  X tj2  1 ; exp  .2/n=2 1    n 2j2 j D1

.t1 ; : : : ; tn / 2 Rn :

Dann gilt .0I  2 / .0I  2 / D .0I  2 C  2 / für alle  2 ;  2 2 .RC /n . (Dies ist das Faltungstheorem der mehrdimensionalen Normalverteilung.) c) Die Dichte der Gammaverteilung ist gegeben durch

˛;

8 ˆ < ˛ t 1 e˛t ; WD . / ˆ :0

falls t > 0; sonst.

Unter Benutzung von Aufg. 6.1.6 beweise man das Faltungstheorem der Gamma-Verteilung ˛; ˛; D ˛; C , ˛; ;  > 0.

192

6

Die Fourier-Transformation

Aufgabe 6.2.5 Zwei endliche Maße auf dem Rn , die beide die Voraussetzungen aus Aufg. 6.1.7 erfüllen, sind bereits dann gleich, wenn ihre Momente jeweils übereinstimmen. (Es sei noch einmal betont, dass selbst zwei endliche positive Maße im Allgemeinen nicht gleich sind, wenn alle ihre Momente existieren und übereinstimmen. Nach BeiR1 spiel 5.2.11 ist etwa 1 t ˛ g.t/ dt D 0 für alle ˛ 2 N und 8 0; g.t/ WD :0; falls t  0: Die Momente der endlichen positiven Maße gC 1 und g 1 stimmen also jeweils überein, obwohl die Maße gC 1 und g 1 verschieden sind.) Aufgabe 6.2.6 Sind f; gW Rn ! C schnell fallende Funktionen, so auch f g. Aufgabe 6.2.7 Sind f; gW Rn ! C integrierbare Funktionen derart, dass fg und die Fourier-Transformierten F f und F g ebenfalls integrierbar sind, so ist F .fg/ D

6.3

1 .F f / .F g/: .2/n=2

Fourier-Transformierte quadratintegrierbarer Funktionen

Die Grundlage für diesen Abschnitt ist die folgende Aussage: Satz 6.3.1 Sei f W Rn ! C integrierbar und quadratintegrierbar. Dann ist fO quadratintegrierbar, und in L2C .Rn / gilt kfOk2 D kf k2 : Beweis Nach dem Faltungssatz 6.1.6 ist N O D fO.x/fO.x/ D fO.x/fON.x/ D fO.x/h.x/

1

1 .f h/.x/; .2/n=2

wobei h.t/ WD fN.t/ gesetzt wurde. Die Behauptung 6.3.1 ist für schnell fallende Funktionen f trivial wegen Z Z Z Z NO n OO n 2 n O O O O kf k2 D f f d D f h d D f h d D f fN dn D kf k22 : Dabei wurden der Umkehrsatz 6.2.2 für die schnell fallende Funktion h und die Reziprozitätsformel 6.1.7 verwendet. Im allgemeinen Fall benutzen wir wie im Beweis von 6.2.1

6.3 Fourier-Transformierte quadratintegrierbarer Funktionen

193

den Faktor eajxj , a > 0, und setzen jxj D jx1 j C    C jxn j für x D .x1 ; : : : ; xn /. Dann gilt Z Z 1 2 ajxj O jf j e dx D .f h/.x/ eajxj dx .2/n=2 Rn Rn  2 n=2 Z Y 1 a D .f h/.x/  dx n=2 2 C x2 .2/  a j j Rn YZ 1 a  n kf hk1 dxj D kf hk1 D kf k22 : 2 2  a C x j j

1

R

Hier haben wir ˇ j.f h/.x/j D ˇ

Z

ˇ f .t/ h.x  t/ dt ˇ  kf k2 khk2 D kf k22 ;

Rn

vgl. Aufg. 6.1.9, und .f h/.0/ D kf k22 benutzt. Lassen wir a gegen 0 streben, so erhalten wir mit dem Konvergenzsatz 4.2.7 von Beppo Levi die Ungleichung kfO k2  kf k2 . Die Abbildung F W f 7! fO ist also auf dem Raum L1 .Rn /\L2 .Rn / stetig mit Norm  1 und dem darin dichten Unterraum S.Rn / der schnell fallenden Funktionen isometrisch.  Dann ist F natürlich insgesamt isometrisch. Anmerkung 6.3.2 Es gilt folgende partielle Umkehrung von 6.3.1: Ist f  0 integrierbar und fO quadratintegrierbar, so ist auch f quadratintegrierbar. Zum Beweis sei fk WD Min .f; k/, k 2 N. Dann ist fk quadratintegrierbar, und nach 6.3.1 ist kfk k2 D kfOk k2 für alle k. Wegen kf k2 D lim kfk k2 genügt es zu zeigen, dass kfOk k2  kfO k2 ist. Sei nun k!1

wie im Beweis von 6.3.1 h.t/ WD fN.t/ D f .t/ und hk .t/ WD fNk .t/ D fk .t/. Dann gilt stets fk hk  f h und folglich für jedes a > 0: Z Z Y a 1 2 2 ajxj O O dx D n .f h/.x/ dx k f k 2  jf j e 2 C x2  a j j n n R R Z Z Y 1 a  n .fk hk /.x/ dx D jfOk j2 eajxj dx: 2 C x2  a j j Rn

Rn

Lassen wir a gegen 0 streben, ergibt sich kfO k22  kfOk k22 .

}

Als isometrische lineare Abbildung erhält F das Skalarprodukt, d. h. für beliebige f; g aus L1 .Rn / \ L2 .Rn / gilt die so genannte Identität von Parseval-Plancherel hfO ; gO i D hf; gi, also Z Z fO gNO dn D f gN dn : Rn

Rn

194

6

Die Fourier-Transformation

Da L2 .Rn / ein Hilbert-Raum, d. h. vollständig ist, lässt sich die isometrische Abbildung F W L1 .Rn / \ L2 .Rn / ! L2 .Rn /

von dem dichten Unterraum U WD L1 .Rn / \ L2 .Rn / eindeutig zu einer isometrischen Abbildung auf L2 .Rn / fortsetzen. Ist f 2 L2 .Rn /, so wählt man eine Folge fm 2 U mit lim fm D f und setzt fO D F f WD lim fOm : m!1

Die Konvergenz ist die Konvergenz im quadratischen Mittel. Beispielsweise kann man für fm die Funktionen fm D f eŒm;m , m 2 N, wählen. Dann ist 1 fOm .x/ D .2/n=2

Zm

eihx;t i f .t/ dt:

m

Da Bild F nach 6.2.2 den dichten Unterraum SC .Rn / der schnell fallenden Funktionen umfasst, ist F W L2C .Rn / ! L2C .Rn / sogar bijektiv. Wir fassen zusammen: Satz 6.3.3 Es gibt genau eine stetige lineare Abbildung F W L2C .Rn / ! L2C .Rn /;

die für Funktionen f 2 L1C .Rn / \ L2C .Rn / mit der gewöhnlichen Fourier-Transformation f 7! fO übereinstimmt. F ist ein isometrischer Automorphismus von L2C .Rn /. Für alle f 2 L2C .Rn / gilt fast überall auf Rn F 1 f .x/ D F f .x/:

Beweis Nur der Zusatz ist noch zu beweisen. Die Gleichung F 1 f .x/ D F f .x/ gilt aber nach 6.2.2 für alle Funktionen f des dichten Unterraumes SC .Rn / der schnell fal lenden Funktionen und folglich aus Stetigkeitsgründen für alle f 2 L2C .Rn /. 6.3.3 gestattet es, für Funktionen f 2 L1C .Rn / C L2C .Rn / die Fourier-Transformierte F f zu definieren. Man setzt fO D F f WD F f1 C F f2 ; falls f D f1 C f2 mit f1 2 L1C .Rn /, f2 2 L2C .Rn / gilt. Wegen 6.3.3 ist F f1 C F f2 unabhängig von der Wahl dieser Darstellung von f . Es ist F f 2 C0 .Rn / C L2C .Rn /, wobei C0 .Rn / der Raum der stetigen Funktionen Rn ! C ist, die im Unendlichen verschwinden, vgl. 6.1.5.

6.3 Fourier-Transformierte quadratintegrierbarer Funktionen

195

Beispiel 6.3.4 Nach 6.3.3 gilt für die Isometrie F W L2 .Rn / ! L2 .Rn / die Gleichung F 4  id D 0:

Somit ist V WD L2 .Rn / die orthogonale direkte Summe der Eigenräume Um D VF .im /;

m D 0; 1; 2; 3;

zu den möglichen Eigenwerten 1; i; i2 D 1; i3 D i von F , siehe Band Lineare Algebra [12], Satz 11.C.4 und Lemma 14.A.7. Aus der Partialbruchentwicklung 1 i 1 i 4 D C   1 X 1 X i X C1 X Ci

X4

ergeben sich für die orthogonalen Projektionen pm von V auf Um die Darstellungen  1 id C F C F 2 C F 3 ; 4  1 p2 D id  F C F 2  F 3 ; 4

 1 id  iF  F 2 C iF 3 ; 4  1 p3 D .id C iF  F 2  iF 3 : 4

p0 D

p1 D

Daher ist F D

3 X

im pm

mD0

die Spektralzerlegung von F . Die Eigenräume Um lassen sich leicht explizit angeben. Es gilt nämlich zunächst für die Hermite-Polynome Hk , k 2 N, vgl. Beispiel 5.2.4: Satz 6.3.5 Sei m 2 f0; 1; 2; 3g. Die Funktionen Hk et

2 =2

;

k 2 N; k m .4/;

bilden eine Hilbert-Basis für den Eigenraum Um  L2 .R/ des Fourier-Operators F zum Eigenwert .i/m . Beweis Nach 5.2.5 bilden die Funktionen Hk et =2 , k 2 N, eine Hilbert-Basis von L2 .R/. Es genügt also zu zeigen, dass sie Eigenfunktionen von F zu den angegebenen Eigenwerten sind. Wir bezeichnen hier mit hk , k 2 N, die durch 2

d k t 2 2 e D hk et dt k definierten Polynome. Sie unterscheiden sich von den Hk jeweils nur um einen konstanten Faktor. Wir können somit Hk durch hk ersetzen. Es gilt offenbar hkC1 D h0k  2thk .

196

6

Die Fourier-Transformation

Wir beweisen die Behauptung durch Induktion über k. Der Fall k D 0 ist Beispiel 6.1.3 (5). Für k C 1 erhält man mit partieller Integration und 6.1.8 nach Induktionsvoraussetzung t 2 =2

F .hkC1 e

1 /.x/ D p 2

Z1

eixt et

1

1 D p 2

Z1

2 =2

d kC1  t 2  e dt dt kC1

.ix C t/ eixt et

2 =2

1

d k  t 2  e dt dt k

d  x 2 =2  2 hk e D ix.i/k hk .x/ ex =2  i.i/k dx   2 2 D .i/kC1 h0k .x/  2xhk .x/ ex =2 D .i/kC1 hkC1 .x/ ex =2 :  Mit 6.3.5 und 5.2.2 ergibt sich nun generell, dass die Funktionen 1

Hk1 .t1 /    Hkn .tn / e 2 .t1 CCtn / ; 2

2

k D .k1 ; : : : ; kn / 2 N n ; jkj m .4/;

eine Hilbert-Basis des Eigenraums Um  L2 .Rn / von F zum Eigenwert .i/m bilden. Insbesondere ist damit der Raum U0  L2 .Rn / der Funktionen bestimmt, die bei der Fourier-Transformation unverändert bleiben. Die in 6.3.3 beschriebene Fortsetzung der Fourier-Transformation auf L2 .Rn / heißt auch die n-dimensionale Fourier-Plancherel-Transformation.

Aufgaben Aufgabe 6.3.1 a) Für f 2 L1 .Rn / \ L2 .Rn / und g 2 L1.Rn / ist f g 2 L2 .Rn/.    (Es ist jf gj  jf j jgj. Ferner ist F jf j jgj D .2/n=2 F jf j  F jgj nach 6.3.1 quadratintegrierbar. Mit Bemerkung 6.3.2 ist auch jf j jgj 2 L2 .Rn /.) b) Ist f 2 L2 .Rn /, g 2 L1 .Rn / \ L2 .Rn / und existiert Z

Z f ./ g.t  / d  D

f gW t 7! Rn

f .t  / g./ d ; Rn

so ist f g 2 L2 .Rn /. (Ohne Einschränkung ist f D jf j, g D jgj. Für fk WD f eB.0;k/ gilt fk " f , fk g " f g. Mit a) folgt

1

O 1 :/ kfk gk2 D kfk gk2 D .2/n=2 kfOk gO k2  .2/n=2 kf k2 kgk

6.3 Fourier-Transformierte quadratintegrierbarer Funktionen

197

Aufgabe 6.3.2 Für eine Funktion f 2 L2 .Rn / und eine Funktion g 2 L1 .Rn / definieren wir die Faltung f g D g f 2 L2 .Rn / durch die Gleichung F .f g/ D .2/n=2 F .f /  F .g/:

Man beachte, dass fO gO quadratintegrierbar ist, da gO beschränkt ist, und somit fO gO ein Urbild in L2 .Rn / bezüglich F hat. Es ist zu zeigen, dass die so definierte Faltung stets mit der gewöhnlichen Faltung übereinstimmt, wenn diese definiert ist. (Nach Aufg. 6.3.1 ist f g dann quadratintegrierbar.) Aufgabe 6.3.3 Sei g 2 L2 .Rn /. Genau dann erzeugen die Translate gv .t/ D g.t v/, v 2 Rn , einen dichten Unterraum von L2 .Rn /, wenn die Fourier-Transformierte gO von g fast überall ungleich 0 ist. (Satz von Wiener – Man beachte: Die gv , v 2 Rn , erzeugen einen dichten Unterraum in L2 .Rn / genau dann, wenn dies für ihre Fourier-Transformierten O v 2 Rn , gilt.) eihx;vi g, Bemerkungen: (1) Erzeugen die gv , v 2 Rn , einen dichten Unterraum, so bereits abzählbar viele davon. Für eine abzählbare dichte Teilmenge B  Rn etwa erzeugen die gv , v 2 B, stets denselben abgeschlossenen Unterraum in L2 .Rn / wie alle gv , v 2 Rn . Vgl. Aufg. 6.1.11. (2) Wichtige Beispiele für Funktionen g, die die Bedingung der Aufgabe erfüllen, sind 2 etwa et , ejt j , et eŒ0;1Œ , oder auch alle Funktionen g 2 L2 , g ¤ 0, die außerhalb einer kompakten Menge verschwinden (vgl. Aufg. 6.1.7, womit sich diese Beispielklasse vergrößern lässt). (3) Die Bedingung, dass gO nur auf einer Menge vom Maß 0 verschwindet, ist stärker als die Bedingung, dass die Nullstellenmenge von gO nirgends dicht ist (da es kompakte Mengen positiven Maßes gibt, die nirgends dicht sind und die man als genaue Nullstellenmenge einer schnell fallenden Funktion, also als Nullstellenmenge einer Fourier-Transformierten gO mit g 2 L2 realisieren kann). (4) Die Bedingung, dass für eine Funktion g 2 L1 .Rn / die Nullstellenmenge von gO nirgends dicht ist, bedeutet gerade, dass die Faltung f 7! f g auf L1 .Rn / mit g injektiv ist. (Es ist ja f g D 0 mit F .f g/ D .2/n=2 fO gO D 0 äquivalent.) (5) Für L1 -Räume lautet der entsprechende Satz von Wiener: Die Translate gv , v 2 Rn , einer Funktion g 2 L1 .Rn / erzeugen genau dann einen dichten Unterraum in L1 .Rn /, wenn gO nirgends verschwindet. Diese Bedingung ist sicher notwendig: Ist g.a/ O D 0, so ist auch F .gv /.a/ D 0 für alle v 2 Rn und damit F .f /.a/ D 0 für alle f aus der P abgeschlossenen Hülle von v2Rn Cgv in L1 .Rn /, vgl. Aufg. 6.1.2. Es gibt aber Funktionen h 2 L1 .Rn / mit F .h/.a/ ¤ 0. – Für den Beweis der Umkehrung verweisen wir auf die Literatur. – Es gibt also Funktionen g 2 L1 \ L2 , deren Translate einen dichten Unterraum in L2 , aber nicht in L1 erzeugen, z. B. g WD eŒ1;1 , vgl. Beispiel 6.1.3 (3).

198

6

Die Fourier-Transformation

6.4 Konvergenz von Maßen und ihren Fourier-Transformierten Wir definieren zunächst zwei Konvergenzbegriffe für Maße. Wir tun dies in naiver Weise und gehen auf den funktionalanalytischen Hintergrund an dieser Stelle nicht ein. Wie üblich bezeichnen wir mit Cb .Rn /, C0 .Rn / und Cc .Rn / den Raum der beschränkten stetigen Funktionen Rn ! C bzw. den Raum der stetigen Funktionen Rn ! C, die im Unendlichen verschwinden, bzw. den Raum der stetigen Funktionen, die außerhalb einer von der betreffenden Funktion abhängenden kompakten Menge verschwinden. Es gilt Cc .Rn /  C0 .Rn /  Cb .Rn /: Ist W Bn ! C ein Maß, so bezeichnet jjW Bn ! RC seinen Betrag und   kk WD jj Rn seine Norm, vgl. die Bemerkung nach Definition 3.1.6. Definition 6.4.1 Seien k , k 2 N, und  komplexwertige Maße auf .Rn ; Bn /. (1) Die Folge k , k 2 N, konvergiert vage gegen , wenn für jede Funktion g 2 Cc .Rn / gilt: Z

Z lim

k!1 Rn

g dk D

g d: Rn

(2) Die Folge k , k 2 N, konvergiert schwach gegen , wenn für jede Funktion g 2 Cb .Rn / gilt: Z

Z lim

k!1 Rn

g dk D

g d: Rn

Jede schwach konvergente Folge .k / ist also vage konvergent, aber nicht umgekehrt: Ist z. B. .ak / eine Folge in Rn mit limk kak k D 1, so konvergiert die Folge der DiracMaße ıak , k 2 N, vage gegen das Nullmaß, aber nicht schwach. Eine Teilmenge F  Cb .Rn / bzw. F  C0 .Rn / heiße dicht, wenn sie dicht bzgl. der Supremumsnorm auf Cb .Rn / bzw. C0 .Rn / ist, wenn also jede Funktion g 2 Cb .Rn / bzw. g 2 C0 .Rn / beliebig genau gleichmäßig durch Funktionen aus F approximiert werden kann. Dagegen heiße F  Cc .Rn / dicht in Cc .Rn /, wenn jede Funktion g 2 Cc .Rn / beliebig genau gleichmäßig durch Funktionen aus F approximiert werden kann, die alle außerhalb ein und derselben kompakten Menge verschwinden. C0 .Rn / und Cc .Rn / haben abzählbare dichte Teilmengen. Für Cc .Rn / erhält man z. B. mit Hilfe des Weierstraßschen Approximationssatzes eine solche Teilmenge wie folgt: Für m 2 N sei hm

6.4 Konvergenz von Maßen und ihren Fourier-Transformierten

199

eine C1 -Funktion mit 0  hm  1 und hm 1 auf B.0I m/ und hm 0 außerhalb B.0I m C 1/. Dann ist die Menge der Funktionen f hm , wobei f die Menge der Polynomfunktionen mit rationalen Koeffizienten und m die Menge N durchläuft, eine abzählbar dichte Teilmenge in Cc .Rn /. Man beachte, dass es sich dabei um C1 -Funktionen handelt. Ist F  Cc .Rn / dicht in Cc .Rn /, so ist F auch dicht in C0 .Rn /. Der Raum Cb .Rn / besitzt dagegen keine abzählbare dichte Teilmenge, ist also kein separabler Banach-Raum. Beweis! Wir beginnen mit einem einfachen Lemma: Lemma 6.4.2 k W Bn ! C, k 2 N, und W Bn ! C seien Maße, deren Normen kk k, k 2 N, bzw. kk alle durch eine Konstante K < 1 beschränkt sind. (1) Sei F  Cc .Rn / dicht in Cc .Rn /. Gilt für alle f 2 F Z Z f dk D f d; lim k!1 Rn

Rn

so konvergiert k , k 2 N, vage gegen . In diesem Fall gilt sogar für alle g 2 C0 .Rn / Z Z g dk D g d: lim k!1 Rn

Rn

(2) Sei F  Cb .Rn / dicht in Cb .Rn /. Die Folge k , k 2 N, konvergiert schwach gegen , wenn für alle f 2 F gilt Z Z f dk D f d: lim k!1 Rn

Rn

Beweis Zum Beweis von (1) sei g 2 C0 .Rn / beliebig. Ferner sei " > 0 vorgegeben. Es gibt ein f 2 F mit kg  f kRn  ". Dann gilt Z Z Z Z ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ g dk  g dˇ  ˇ g dk  f dk ˇ Rn

Rn

Rn

ˇ Cˇ

Rn

Z

Z

f dk 

Rn

 kg  f kRn ˇ  2"K C ˇ

Da

R

R

ˇ kk k C ˇ

Rn

Z

Z

Rn

Z

f dk 

ˇ ˇ f dˇ C ˇ

Rn

Z

f dk  ˇ f dˇ:

Z

Z f d 

Rn

ˇ g dˇ

Rn

ˇ f dˇ C kg  f kRn kk

Rn

Rn

Rn f dk  Rn f d eine Nullfolge ist, ergibt sich die Behauptung. Der Beweis von (2) verläuft analog.



200

6

Die Fourier-Transformation

Der erste Hauptsatz lautet nun: Satz 6.4.3 k W Bn ! C, k 2 N, und W Bn ! C seien Maße, deren Normen kk k, k 2 N, bzw. kk alle durch eine Konstante K < 1 beschränkt sind. Konvergiert die Folge O k , k 2 N, der Fourier-Transformierten der k punktweise gegen die Fourier-Transformierte O von , so konvergiert k , k 2 N, vage gegen  und nach 6.4.2 (1) gilt für alle g 2 C0 .Rn / Z

Z lim

k!1 Rn

g dk D

g d: Rn

Beweis Da C1 .Rn / \ Cc .Rn /  S.Rn / dicht in Cc .Rn / ist, genügt es nach 6.4.2 (1), die Gleichung Z

Z lim

k!1 Rn

g dk D

g d Rn

für jede schnell fallende Funktion g 2 S.Rn / zu zeigen. Nach 6.2.2 ist g D hO mit h 2 S.Rn /, und unter Verwendung der Reziprozitätsformel 6.1.7 folgt: Z

Z g dk D Rn

Rn

hO dk D

Z

n k!1

Z

h O k d ! Rn

Z h O d D n

Rn

g d: Rn

Dabei haben wir den Lebesgueschen Konvergenzsatz 4.4.2 benutzt: Die Folge hO k , k 2 N, konvergiert punktweise gegen h, O und es ist jhO k j  jhj kO k kRn  jhj kk k  jhj  K für alle k 2 N.  Man beachte, dass die Umkehrung von 6.4.3 nicht generell gilt: k , k 2 N, kann vage gegen O konvergieren, ohne dass O k , k 2 N, punktweise gegen O konvergiert. Dazu betrachte man wieder eine Folge k WD ıak , k 2 N, von Dirac-Maßen mit kak k ! 1 und  WD 0. Für positive Maße lässt sich aber leicht eine befriedigende Aussage gewinnen. Diese ist Teil des folgenden zweiten Hauptsatzes: Satz 6.4.4 k W Bn ! RC , k 2 N, und W Bn ! RC seien positive endliche Maße. Folgende Aussagen sind äquivalent: (1) k , k 2 N, konvergiert vage gegen , und es gilt lim k .Rn / D .Rn /. k!1

(2) k , k 2 N, konvergiert schwach gegen . (3) Die Folge der Fourier-Transformierten O k , k 2 N, konvergiert punktweise gegen die Fourier-Transformierte . O

6.4 Konvergenz von Maßen und ihren Fourier-Transformierten

201

(4) Für jede beschränkte messbare Funktion gW Rn ! C, die außerhalb einer -Nullmenge stetig ist, gilt Z

Z lim

k!1 Rn

g dk D

g d: Rn

und " > 0 vorgegeben. Beweis (1) ) (2): Sei gW Rn ! C stetig und beschränkt R R Es gibt n .R / mit 0  h  1 und .1  h/ d  ". Wegen eine Funktion h 2 C c Rn dk ! R R R Rn R d und h d ! h d gilt dann .1  h/ d  3" für genügend große k. k k Rn Rn Rn Rn Nun folgt ˇ ˇ

Z

Z

Rn

ˇ ˇ g dˇ  ˇ

g dk 

ˇ Cˇ

Rn

Z

Z

hg dk 

Rn

Z

 kgk1

Z

Z g dk 

Rn

ˇ ˇ hg dˇ C ˇ

Rn

ˇ .1  h/ dk C ˇ

Rn

Z

Rn

Z

ˇ hg dk ˇ

Rn

Z

hg d 

Rn

Z

hg dk 

ˇ g dˇ

Rn

ˇ hg dˇ C kgk1

Rn

Z .1  h/ d:

Rn

R R Da R R n hg dk  RRn hg d, k 2 N, nach Voraussetzung eine Nullfolge ist, ergibt sich lim Rn g dk D Rn g d, wie gewünscht. k!1

(2) ) (3): Für x 2 Rn erhält man unter Verwendung von (2) 1 .x/ O D .2/n=2

Z

ihx;t i

e Rn

1 d.t/ D lim k!1 .2/n=2

Z

eihx;t i dk .t/ D lim O k .x/: k!1

Rn

O D .Rn / D kk. (3) ) (1): Zunächst ergibt sich kk k D k .Rn / D O k .0/ ! .0/ Nach 6.4.3 konvergiert dann k vage gegen . Da (4) ) (2) trivial ist, bleibt (2) ) (4) zu zeigen:3 Ohne Einschränkung sei g reellwertig und a  g  b, a; b 2 R. Die Menge E  Rn der Stetigkeitsstellen von g ist messbar als Komplement der Nullmenge, auf der g unstetig ist. Sei " > 0 vorgegeben. Da  regulär ist, vgl. Aufgabe 2.2.4, gibt es eine kompakte Teilmenge K  E mit .E  K/  ". Es gilt also .K/  .E/  " D .Rn /  ".   Zu jedem x 2 K wählen wir eine Kugel B xI r.x/ , r.x/ > 0, derart, dass die globale Schwankung4 der in x stetigen Funktion g auf B.xI r.x// höchstens " ist:   ˚ sup jg.x/  g.y/j j x; y 2 B xI r.x/ < ": 3

Der Leser kann den folgenden Beweis übergehen. Seine Technik ist jedoch instruktiv. Zum Begriff der globalen Schwankung siehe Band Grundkonzepte der Mathematik [10], Beispiel 3.8.17. 4

202

6

Die Fourier-Transformation

Da K kompakt ist, gibt es endlich viele Punkte x1 ; : : : ; xm 2 K mit K      Sm 1 fj und hj , die außerhalb B xj I r.xj / j D1 B xj I 2 r.xj / . Es gibt stetige Funktionen   B xj I 12 r.xj / konstant gleich dem Infimum konstant gleich a bzw. b sind, auf der Kugel  aj bzw. dem Supremum bj von g auf B xj I r.xj / sind und überdies die Ungleichungen a  fj  aj bzw. bj  hj  b erfüllen. Aus a  fj  g  hj  b, j D 1; : : : ; m, folgt dann für die stetigen Funktionen f WD Max .f1 ; : : : ; fm / und h WD Min .h1 ; : : : ; hm / a  f  g  h  b:   Ferner ist 0  h.x/  f .x/  " für x 2 K. Gilt nämlich x 2 K \ B xj I 12 r.xj / , so ist h.x/  f .x/  hj .x/  fj .x/ D bj  aj  " nach Konstruktion. Es folgt nun Z

Z f dk  Rn

Z g dk 

Rn

h dk : Rn

Aus der schwachen Konvergenz k !  ergibt sich Z

Z lim

k!1 Rn

R

n .h k!1 R

also lim

f dk D

Z 0

lim

k!1 Rn

Rn

 f / dk D

R

Rn

h dk D

h d; Rn

 f / d. Ferner ist

Rn .h

Z .h  f / d D

Z

Z f d und

Z .h  f / d C

.h  f / d  ".K/ C .b  a/ ":

Rn K

K

Nun folgt die Behauptung wegen ˇ ˇ

Z

Z g dk 

Rn

ˇ ˇ

Z

Rn

ˇ ˇ

Z

ˇ g dˇ

Rn

ˇ ˇ .g  f / dk ˇ C ˇ

Z

Z f dk 

Rn

ˇ ˇ .h  f / dk ˇ C ˇ

Rn

Rn

Z

Z

Rn

f dk  Rn

ˇ ˇ f dˇ C ˇ

Z

Rn

ˇ ˇ f dˇ C ˇ

Z

ˇ .f  g/ dˇ ˇ .f  h/ dˇ:



Rn

Korollar 6.4.5 Die Maße k W Bn ! RC , k 2 N, und W Bn ! RC mögen die äquivalenten Bedingungen von 6.4.4 erfüllen. Für jede Borel-Menge A 2 Bn , deren Rand eine -Nullmenge ist, gilt dann lim k .A/ D .A/. k!1

6.4 Konvergenz von Maßen und ihren Fourier-Transformierten

203

Beweis Die Indikatorfunktion eA von A ist genau auf dem Rand von A unstetig. Nach 6.4.4 (4) gilt daher Z Z eA dk D eA d D .A/:  lim k .A/ D lim k!1

k!1 Rn

Rn

Es sei bemerkt, dass die Gleichung limk!1 k .M / D .M / unter den Voraussetzungen von 6.4.5 in der Regel nicht für beliebige messbare Mengen M 2 Bn gilt, vgl. Aufg. 6.4.1. Ferner kann in 6.4.4 nicht ohne weiteres auf die Positivität der Maße k und  verzichtet werden, vgl. Aufg. 6.4.2. Satz 6.4.4 ist ein wichtiges Hilfsmittel in der Wahrscheinlichkeitstheorie, wie das folgende Korollar zeigt. Korollar 6.4.6 Seien Pk W B ! RC ; k 2 N, und P W B ! RC Wahrscheinlichkeitsmaße auf R mit zugehörigen Verteilungsfunktionen Fk , k 2 N, bzw. F . Dann gilt: Genau dann konvergiert Pk schwach gegen P , wenn für alle x, in denen F stetig ist, gilt lim Fk .x/ D F .x/: k!1

Beweis Jede Verteilungsfunktion ist monoton wachsend und linksseitig stetig. Die Verteilungsfunktion x 7! F .x/ D P .   1; xŒ / des Wahrscheinlichkeitsmaßes P ist stetig in x genau dann, wenn P .fxg/ D 0 ist. Konvergiert Pk schwach gegen P , so gilt nach 6.4.4 (4): Z Z e1; xŒ dPk D e1; xŒ dP D F .x/: lim Fk .x/ D lim k!1

k!1

R

R



Die umgekehrte Richtung wird in Aufgabe 6.4.3 behandelt.

Aufgaben Aufgabe 6.4.1 Die schwache Konvergenz k !  in 6.4.5 garantiert im Allgemeinen nicht die Konvergenz von k .M / gegen .M / für beliebige Borel-Mengen M  Rn . Als Beispiel betrachte man die Maße k D ıak und  D ıa , wobei ak 2 Rn eine Folge von Punkten ist, die gegen a 2 Rn konvergiert, mit ak ¤ a für alle k 2 N. Aufgabe 6.4.2 Für k 2 N sei k das Maß mit der Dichte t 7! Es gilt: a) kk k.R/ D 1 für alle k 2 N . b) lim O k .x/ D 0 für alle x 2 R. k!1

c) Es gibt beschränkte stetige Funktionen g auf R mit lim

R

k!1 R

von eŒ0;1Œ aus. – Zu diesem Beispiel vgl. 6.4.4.)

t k2

eŒk;k bezüglich 1 .

g dk ¤ 0. (Man gehe

204

6

Die Fourier-Transformation

Aufgabe 6.4.3 Gegeben seien Wahrscheinlichkeitsmaße Pk ; k 2 N, und P auf R mit zugehörigen Verteilungsfunktionen Fk bzw. F . Man führe den Beweis von Korollar 6.4.6 zu Ende: Aus der punktweisen Konvergenz der Verteilungsfunktionen Fk gegen F in allen Stetigkeitsstellen x von F folgt die schwache Konvergenz der Wahrscheinlichkeitsmaße R P R k gegen P . (Gegeben sei die stetige beschränkte Funktion g. Zu zeigen ist lim g dPk D g dP . Es kann g  0 vorausgesetzt werden. Man überlegt sich zunächst, dass F nur abR R zählbar viele Unstetigkeitsstellen hat. Es genügt dann, lim I g dPk D I g dP für ein Intervall I D Œa; bŒ zu zeigen, dessen Randpunkte a und b Stetigkeitsstellen von F sind und für das P .R  Œa; bŒ/ < " gilt. Nun approximiere man g durch einfache TreppenfunkP tionen i ai eŒti ; ti C1 Œ . Die ti können so gewählt werden, dass die Unstetigkeitsstellen von F vermieden werden.)

6.5

Beispiele

Aus der Fülle der Beispiele und Anwendungen zur Fourier-Transformation greifen wir einige wenige heraus. Beispiel 6.5.1 (Fourier-Transformierte zentralsymmetrischer Funktionen  HankelBochner-Transformation  Bessel-Funktionen) Sei n 2 N und W Bn ! C ein komplexwertiges Maß, das invariant gegenüber den linearen Isometrien des Rn ist. Nach Beispiel 6.1.3 (7) gilt dies dann auch für die Fourier-Transformierte . O Es ist also .x/ O D h.kxk/ mit einer stetigen Funktion hW RC ! C, die beispielsweise durch 1 h.r/ D .2/n=2

Z

eirt d.tI t2 ; : : : ; tn /;

Rn

  r 2 RC , bestimmt ist. Im Fall einer integrierbaren Funktion f .t/ D g ktk auf Rn ergibt   sich für die Fourier-Transformierte fO die Darstellung fO.x/ D h kxk mit h.r/ D

D

1 .2/n=2 1 .2/n=2

Z

eirt f .t; t2 ; : : : ; tn / dt dt2    dtn

Rn Z1

1

 Z

eirt g

 q  t 2 C .t22 C    C tn2 / dt2    dtn dt:

Rn1

Mit dem Ergebnis aus Beispiel 4.2.12 erhält man bei n  2 1 h.r/ D .2/n=2

Z1 Z1 1 0

eirt .n  1/ !n1 s n2 g

p

 t 2 C s 2 ds dt;

6.5 Beispiele

205

und die Substitution t D u cos ', s D u sin ', .u; '/ 2 RC 0; Œ liefert 1 h.r/ D .n  1/ !n1 .2/n=2

Z1 Z 0

eiru cos ' un1 g.u/ sinn2 ' d' du

0

Z1 D

un1 g.u/ Kn .ru/ du; 0

wobei die Funktion Kn durch 1 Kn .x/ WD .n2/=2  n1  p 2

2 

Z

eix cos ' sinn2 ' d'

0

  definiert ist. Man beachte, dass !n1 D  .n1/=2 = .n  1/=2 Š das Volumen der euklidischen Einheitskugel im Rn1 ist. Mit der Potenzreihenentwicklung eix cos ' sinn2 ' D

1 X .i/ x

Š

D0

cos ' sinn2 '

und Z 0

8  C1   n1  ˆ < 2   2 ; n2

Cn cos ' sin ' d' D 2 ˆ : 0;

falls gerade; falls ungerade;

erhält man Kn .x/ D D

1

p 2.n2/=2 

1 X .1/k .k C 12 / 2k x .2k/Š .k C n2 / kD0

1 X .1/k

1 2.n2/=2

kD0



 x 2k 1 :

.k C n2 / 2

Definiert man J generell durch J .x/ WD

1  x  X .1/k

2

kD0





 x 2k 1 ;

.k C 1 C / 2

so ergibt sich für x ¤ 0 Kn .x/ D

1 J.n2/=2 .x/: x .n2/=2

206

6

Die Fourier-Transformation

Schließlich ist h.r/ D

1

Z1 un=2 g.u/ J.n2/=2 .ru/ du DW H.n2/=2 .g/.r/;

r .n2/=2

r > 0;

0

und 











F g kxk D h kxk D H.n2/=2 .g/ kxk :

Wie man leicht bestätigt, gilt diese Darstellung auch noch bei n D 1. Offenbar ist nämlich r J1=2 .x/ D

r

2 cos x x

J1=2 .x/ D

sowie

2 sin x: x

H.n2/=2 heißt die Hankel-Bochner-Transformation der Ordnung .n  2/=2.

  Der Umkehrsatz 6.2.5 besagt: Ist x 7! h kxk auf Rn integrierbar (d. h. ist h.r/r n1 auf Œ0; 1Œ integrierbar), so ist g.u/ D H.n2/=2 .h/.u/ D

1

Z1 r n=2 h.r/ J.n2/=2 .ru/ dr

u.n2/=2 0

für alle u > 0, in denen g stetig ist. Setzt man G.u/ WD g.u/ u.n1/=2 und entsprechend H.r/ WD h.r/ r

.n1/=2

Z1 D .ru/1=2 G.u/ J.n2/=2 .ru/ du; 0

so ist Z1 G.u/ D .ru/1=2 H.r/ J.n2/=2 .ru/ dr: 0

Häufig bezeichnet man auch den Übergang von G nach H als Hankel-Transformation p der Ordnung .n  2/=2. Da die Funktion x J .x/ für jedes  2 C auf Œ1; 1Œ beschränkt p ist (vgl. Aufg. 6.5.1) und somit x J .x/ bei Re   1=2 auf 0; 1Œ beschränkt ist, ist die Hankel-Transformierte Z1 H.r/ D .ru/1=2 G.u/ J .ru/ du; 0

r 2 0; 1Œ;

6.5 Beispiele

207

für jede integrierbare Funktion GW 0; 1Œ! C und jede Ordnung  mit Re   1=2 definiert. Entsprechende Umkehrformeln gelten auch in diesem allgemeinen Fall. Dazu verweisen wir auf die Literatur. Die oben eingeführten Funktionen J .x/ D

1  x  X .1/k

2



kD0

 x 2k X .1/k  x 2kC 1 D

.k C 1 C / 2 kŠ .k C /Š 2 1

kD0

heißen Bessel-Funktionen oder Zylinderfunktionen 1. Art. Sie sind definiert für alle  2 C, wobei 1= .k C 1 C / D 0 für k C 1 C  2 N zu setzen ist. Da die zur Definition von J .x/ verwandte Potenzreihe für jedes  den Konvergenzradius 1 hat, sind die Bessel-Funktionen also dort definiert, wo .x=2/ sinnvoll erklärt werden kann, beispielsweise auf jeder durch einen vom Nullpunkt ausgehenden Strahl geschlitzten Ebene und auf ganz C für  2 Z. Sie treten in der mathematischen Physik sehr häufig auf. Im Folgenden geben wir nur einige ihrer elementaren Eigenschaften an. Zunächst halten wir die oben gefundene Integraldarstellung fest, die für Re  > 1=2 gilt: x J .x/ D  p 2  . C 12 / D

Sie zeigt, dass J Funktion ist:

 x  2

ı x  2

Z

eix cos ' sin2 ' d'

0

p

2 1 p 1

. C 2 / 2

Z1

1

eixt .1  t 2 / 2 dt:

1

bei Re  > 1=2 die Fourier-Transformierte der folgenden

t 7!

8
0, pzum Beispiel besagt, dass .s/ für Re s > 0 die Mellin-Transformierte ist von F .y/ D 2 ey . Es folgt y

e

1 D 2

Z1

. C ix/ y . Cix/ dx

1

für y > 0 und  > 0. Dabei beachte man das asymptotische Verhalten p j . C ix/j  2 jxj 1=2 ejxj=2 für x 2 R, jxj ! 1. Dies ergibt sich aus der Stirlingschen Formel am Ende von Beispiel 3.8.2 im Band Analysis einer Veränderlichen [11]. } Wir wollen nun die Poissonsche Summenformel herleiten und beginnen mit einem einfachen Lemma:

6.5 Beispiele

211

Lemma 6.5.3 Sei f W Rn ! C integrierbar. Dann ist die Funktion t 7!

X

f .t C k/

k2Zn

fast überall auf Rn definiert und integrierbar über Wn D Œ0; 1n  Rn . Beweis Es ist Z X Z XZ jf .t/j dt D jf .t C k/j dt D jf .t C k/j dt < 1: k2ZnW

Rn

n Wn k2Z

n

P Daher ist k2Zn jf .t C k/j < 1 für fast alle t 2 Wn und damit für fast alle t 2 Rn . Also P ist k2Zn f .t C k/ fast überall definiert und Z Wn

Z X Z  ˇ ˇX ˇ f .t C k/ˇ dt  jf .t C k/j dt D jf .t/j dt < 1: k2Zn

Wn

k2Zn



Rn

Beispiel 6.5.4 (Poissonsche Summenformel) Sei f wie in Lemma 6.5.3. Die Funktion P k2Zn f .t C k/ hat die Fourier-Koeffizienten c` D

XZ k2ZnW

Z D

XZ

f .t C k/ e2ih`;t i dt D

f .t C k/ e2ih`;t Cki dt

k2ZnW

n

n

f .t/ e2ih`;t i dt D .2/n=2 fO .2`/;

` 2 Zn :

Rn

Wird also die Funktion

P

X

k2Zn

f .t C k/ im Nullpunkt durch die Fourier-Reihe

c` e2ih`;t i D .2/n=2

`2Zn

X

fO .2`/ e2ih`;t i

`2Zn

P P dargestellt, was sicher dann der Fall ist, wenn `2Zn jfO .2`/j < 1 und k2Zn f .t Ck/ über Wn quadratintegrierbar und stetig ist, so ergibt sich die Poissonsche Summenformel X k2Zn

f .k/ D .2/n=2

X

fO .2`/:

`2Zn

Mit dem Hauptsatz über die Fourier-Reihen und seinen mehrdimensionalen Verallgemeinerungen lässt sich eine Poissonsche Summenformel auch unter allgemeineren Voraussetzungen gewinnen. Wir überlassen die Formulierung dem Leser.

212

6

Die Fourier-Transformation

Ist etwa f .t/ D eat , a > 0, t 2 R, so ist nach Beispiel 6.1.3 (5) 2

1 2 2 fO .2`/ D p e ` =a 2a und es folgt X

r ak 2

e

D

k2Z

 X  2 `2 =a e :  a `2Z

Für f .t/ D eajt j , a > 0, t 2 R, erhalten wir nach Beispiel 6.1.3 (4) r 2 a O f .2`/ D  2  a C 4 2 `2 und folglich 2

X `2Z

X a ea C 1 a ajkj D e D D coth : 2 2 2 a a C 4 ` e 1 2 k2Z

Da beide Seiten dieser Gleichung analytische Funktionen in a auf G WD C  2iZ sind, gilt sie für alle a 2 G. } Bereits in Aufg. 6.3.3 haben wir Beispiele dafür gegeben, wie sich mit Hilfe der Fourier-Plancherel-Transformation Teilräume quadratintegrierbarer Funktionen als dichte Teilräume erweisen. Wir geben dazu noch ein weiteres einfaches Beispiel. Satz 6.5.5 Sei W Bn ! RC ein positives endliches Maß. Es gebe Zahlen a1 ; : : : ; an 2 RC derart, dass auch das Maß exp

n X

 ak jtk j 

auf .Rn ; Bn /

kD1

endlich ist (vgl. Aufg. 6.1.7). Dann bilden die Polynomfunktionen Rn ! C einen dichten Unterraum in L2C .Rn ; Bn ; /. Beweis Es ist zu zeigen: Ist eine Funktion f 2 L2C .Rn ; / orthogonal R zu allen ˛Monomen ˛ n 2 n n t , ˛ 2 N , so ist f D 0 in L .R ; /. Für alle ˛ 2 N sei also Rn f .t/ t d D 0. n n  P   P  Nach Voraussetzung gilt exp 12 ak jtk j 2 L2C .Rn ; /. Daher ist f exp 12 ak jtk j  kD1

kD1

ein endliches komplexwertiges Maß. Nach Aufg. 6.1.7 ist die Fourier-Transformierte F .f/W Rn ! C analytisch mit der Potenzreihenentwicklung Z X .i/j˛j a˛ x ˛ ; a˛ D .2/n=2 t ˛ f .t/ d: ˛Š n ˛2N

Rn

6.5 Beispiele

213

Nach Voraussetzung sind alle a˛ D 0, also F .f/ D 0. Der Eindeutigkeitssatz 6.2.4  impliziert f D 0, d. h. f D 0 in L2C .Rn ; /.  Pn  Korollar 6.5.6 Sei f W Rn ! RC eine messbare Funktion, für die f exp kD1 ak jtk j n -integrierbar ist für gewisse positive reelle Zahlen a1 ; : : : ; an . Dann bilden die Polynomfunktionen Rn ! C einen dichten Unterraum in L2C .Rn ; Bn ; f n /. Beispiel 6.5.7 Sei f wie in 6.5.6 gewählt und X WD ff ¤ 0g  Rn . Dann ist g 7! gf 1=2 eine Isometrie von L2C .Rn ; Bn ; f n / auf L2C .X; B.X/; n jX/. Somit bilden nach 6.5.6 die Funktionen Pf 1=2 W X ! C, P 2 CŒt1 ; : : : ; tn , einen dichten Unterraum von L2C .X; B.X/; n jX/. Die Voraussetzungen von 6.5.6 sind für alle Funktionen der Form f D eX h exp.ajtjˇ / auf R erfüllt, wobei X 2 B1 ist, h eine Polynomfunktion mit h > 0 auf X und a > 0, 2 ˇ  1. Die Funktionen P et =2 , P 2 CŒ t, etwa bilden einen dichten Unterraum von L2C .R; 1 / und die Funktionen P et =2 , P 2 CŒ t, einen dichten Unterraum von } L2C .RC ; 1 jRC /, siehe auch Beispiel 5.2.4 und Satz 5.2.5. Beispiel 6.5.8 (Signaltheorie  Abtast-Theorem) Eine integrierbare Funktion f W R ! C können wir als ein kontinuierliches Signal auffassen, das zum Zeitpunkt t 2 R die Dichte f .t/ hat. Man identifiziert das Signal f also mit dem Maß f 1 . Die Umkehrsätze 6.2.1, 6.2.5 oder 6.2.7 besagen dann, dass sich f unter recht allgemeinen Voraussetzungen darstellen lässt in der Form 1 f .t/ D p 2

Z1 ixt

F .x/ e 1

dx;

wobei

1 F .x/ D fO.x/ D p 2

Z1

f .t/ eixt dt

1

die Fourier-Transformierte von f ist. Bei quadratintegrierbarem f – man sagt dann, das Signal f habe eine endliche Energie – beachte man auch Satz 6.3.3. f setzt sich also additiv in der angegebenen Weise aus den komplexen harmonischen Schwingungen eixt mit den Kreisfrequenzen x 2 R zusammen. Der Faktor F .x/ 2 C im Integranden beschreibt Amplitude und Phasenverschiebung für die Kreisfrequenz x. Man nennt F .x/, x 2 R, die Frequenzdichte, gelegentlich auch die Frequenzverteilung von f .5 Die Darstellung von f mit der Frequenzdichte F heißt die Fourier-Synthese von f mittels F und die Bestimmung der Frequenzdichte F D F f die Fourier-Analyse des Signals f . Die große Bedeutung der Fourier-Analyse liegt darin, dass sich viele Signalverarbeitungsprozesse sehr einfach in der Frequenzdichte des Signals darstellen, da sie für die harmonischen Schwingungen eixt übersichtlich sind. So besagt etwa der Faltungssatz 6.1.6, p Angemessener wäre es – wie es häufig geschieht – F= 2 als Frequenzdichte von f zu bezeichnen. Wir wollen aber die bei der Fourier-Transformation eingeführten Konstanten beibehalten.

5

214

6

Die Fourier-Transformation

dass für eine integrierbare Funktion hW R ! C die Signaltransformation Z1 f 7! f h

mit

.f h/.t/ D

Z1 f .t  / h./ d  D

1

f ./ h.t  / d  1

auf der Frequenzseite durch F 7!

p

2 F  H

beschrieben wird, wobei H D hO die Frequenzdichte von h ist. Der Hintergrund dafür – vgl. den Beweis von 6.1.6 – ist die einfache Formel Z1 .e

ixt

h/.t/ D

ix.t /

e

Z1 h./ d  D e

1

ixt

eix h./ d  D

p 2 eixt H.x/:

1

p

Die Multiplikation von F mit 2 H auf der Frequenzseite kann als Wirkung eines Filters beschrieben werden: Nach Maßgabe von H werden die Frequenzen des Signals f verstärkt bzw. geschwächt (oder ganz ausgelöscht) und phasenverschoben. Umgekehrt ist die Frequenzdichte des Produktsignals f h bei entsprechenden Voraussetzungen – z. B. dann, wenn f h, F D fO und H D hO integrierbar sind (vgl. Aufg. 6.2.7) – gleich der Faltung .2/1=2 F H . Interpretiert man h als Trägersignal, so heißt f h das mit f (amplituden)modulierte Signal. Das Trägersignal h ist allerdings (in der Theorie zumindest) häufig nicht integrierbar und nicht von endlicher Energie. Sei das Trägersignal h zum Beispiel die harmonische Schwingung ei!t . Dann hat das amplitudenmodulierte Signal f ei!t die Frequenzdichte F .x  !/: Die Frequenzdichte F von f wird also einfach um ! verschoben. Sind f1 ; : : : ; fm Signale, deren Frequenzdichten F1 ; : : : ; Fm außerhalb eines Intervalls der Länge 2!0 verschwinden und ist ˝ > 2!0 m, so kann man durch geeignete Wahl von Trägerfrequenzen !1 ; : : : ; !m erreichen, dass die Frequenzdichten der modulierten Signale f1 ei!1 t ; : : : ; fm ei!m t auf paarweise disjunkten abgeschlossenen Intervallen konzentriert sind, die Frequenzdichte des Summensignals f D f1 ei!1 t C    C fm ei!m t aber immer noch außerhalb eines gegebenen Intervalls der Länge ˝ verschwindet. Gestattet daher ein Breitbandkanal die Übertragung von Frequenzen eines Intervalls der Länge ˝, so kann man damit f und folglich die Signale f1 ; : : : ; fm gleichzeitig so übertragen, dass sie anschließend durch Frequenzfilter wieder getrennt werden können.6 Häufig benutzt man auch reelle Trägersignale der Form cos !t, ! 2 RC . Abb. 6.2 und 6.3 zeigen, wie für solch einen Träger die Frequenzdichte des amplitudenmodulierten Signals f cos !t aussieht. Fundamental für Signale f , deren Frequenzdichte F D fO außerhalb eines endlichen Intervalls verschwindet, ist das Abtasttheorem.7 In seiner einfachsten Form lautet es: 6 7

Im Englischen heißt dieses Verfahren frequency division multiplexing (FDM). Im Englischen Sampling Theorem.

6.5 Beispiele

215

Abb. 6.2 Die Signale f und h Abb. 6.3 Amplitudenmoduliertes Signal f h

6.5.9 Abtasttheorem Die Frequenzdichte F D fO des stetigen integrierbaren Signals f verschwinde außerhalb des Intervalls Œ!  !0 ; ! C !0 . Ist dann !s > 2!0 > 0, so ist f durch die Werte ak WD f .kT /, k 2 Z, eindeutig bestimmt, wenn die Abtastfrequenz 1=T gleich !s =2 ist. Beweis Sei F die periodische Funktion mit der Periode !s , die mit F auf dem Intervall Œ!  !s =2 ; ! C !s =2 übereinstimmt. F besitzt die Fourier-Entwicklung X F .x/ D ck e2i kx=!s k2Z

mit 1 ck D !s

!C! Z s =2



2i kx=!s

F .x/ e

1 dx D !s

!!s =2

p p 2  2k  2 D f ak ; D !s !s !s

Z1 2i kx=!s

F .x/ e 1

p 2 O  2k  F  dx D !s !s

k 2 Z;

vgl. 6.2.5. Die Abtastwerte ak , k 2 Z, bestimmen also F und folglich F F eŒ! !2s ;!C !2s  und damit nach dem Eindeutigkeitssatz 6.2.4 auch f .

D 

Um möglichst einfache explizite Formeln für das Signal f in 6.5.9 mit Hilfe der Abtastwerte ak D f .kT /;

k 2 Z;

T D 2=!s ;

216

6

Die Fourier-Transformation

zu gewinnen, wollen wir annehmen, dass ! D 0 ist und f auch quadratintegrierbar ist. Ein typisches Beispiel ist die Stimme eines Menschen. Dafür ist !0 =2  4 kHz. Wir können dann die Fourier-Plancherel-Transformation für L2 .R/ gemäß Abschn. 6.3 benutzen. Nach Beispiel 6.1.3 (3) hat !s !s sinc p tD 2 2

r

2 sin !s t=2   t

die Fourier-Transformierte eŒ!s =2;!s =2 und folglich !s !s sinc p .t  kT / 2 2 nach Beispiel 6.1.3 (6) die Fourier-Transformierte e2i kx=!s eŒ!s =2;!s =2 : Man beachte, dass sinc t quadratintegrierbar, aber nicht integrierbar ist. Aus p fO D F D

2 X ak e2i kx=!s eŒ!s =2;!s =2 !s k2Z

in L2 .R/ folgt daher die sogenannte Shannonsche Formel f .t/ D

X

ak sinc

k2Z

!s .t  kT /; 2

ak D f .kT /;

in L2 .R/. Allgemeiner gilt: Ist h.t/ 2 L2 .R/ eine Funktion derart, dass hO auf Œ!0 ; !0  fast überall identisch 1 und außerhalb Œ!s =2 ; !s =2 fast überall identisch 0 ist, so ergibt sich in L2 .R/ p 2 X ak h.t  kT /; f .t/ D !s

ak D f .kT /:

k2Z

Durch geschickte Wahl von h – nach 6.2.2 kann man für h eine schnell fallende C1 -Funktion wählen – kann die Konvergenz im Vergleich zur Shannonschen Formel besser werden. Da das menschliche Ohr nur Frequenzen bis !0 =2  20 kHz wahrnimmt, filtert man bei Tonaufnahmen zunächst die Frequenzen  20 kHz heraus und tastet dann mit einer Frequenz > 2!0 =2  40 kHz ab. Das Abtasttheorem gestattet es grundsätzlich, mit einem Übertragungskanal beliebig viele Signale f1 ; : : : ; fm , deren Frequenzbereiche alle ganz in einem Intervall Œ!0 ; !0 

6.5 Beispiele

217

liegen, so zu übertragen, dass die einzelnen Signale anschließend wiedergewonnen werden können. Man hat  dazu nur die Abtastwerte fi .kT / zeitlich versetzt zu den Zeitpunkten k C .i  1/=m T , i D 1; : : : ; m, zu übertragen oder das Signal fi zu diesen Zeitpunkten abzutasten. Da aber Abtasten bzw. Senden eines Wertes selbst einen gewissen Zeitraum beanspruchen, sind auch diesem Verfahren praktische Grenzen gesetzt.8 Wir haben hier nur eindimensionale (zeitliche) Signale betrachtet. Ein Bild zum Beispiel kann als ein zweidimensionales Signal aufgefasst werden, wobei die Variablen dann Ortsvariablen sind. Es ist daher selbstverständlich, dass die zweidimensionale FourierAnalyse und Fourier-Synthese bei der Bildverarbeitung von größter Bedeutung sind. } Beispiel 6.5.10 (Berechnung der Fourier-Transformierten  Schnelle Fourier-Transformation) Will man die Fourier-Transformierte fO einer Funktion f W R ! C mithilfe endlich vieler Funktionswerte f .t0 /; : : : ; f .tN / approximieren, so ist zu beachten, dass sowohl die Abtastdichte als auch der Bereich, dem die Zeiten t0 ; : : : ; tN entnommen sind, einen großen Einfluss auf die Güte der Approximation haben können. Liegen z. B. die Zeiten t0 ; : : : ; tN alle in dem Intervall Œa; b, so lässt sich mit den gegebenen Daten die Fourier-Transformierte fO von f grundsätzlich nicht von der Fourier-Transformierten der Funktion f eŒa;b unterscheiden, und diese ist gleich p12 fO eOŒa;b (wenn wir annehmen, dass fO integrierbar ist, vgl. Aufg. 6.3.2). ; k D 0; : : : ; N ; T > Wir betrachten den Fall äquidistanter Abtaststellen tk D t0 C kT N 0, und setzen ak WD f .tk / ; k D 0; : : : ; N . Mit der Trapezregel ergibt sich für den Wert 1 fO.x/ D p 2

Z

eixt f .t/ dt

R

die Näherung

N  1 X T kT   fO.x/  p ak exp ix t0 C N 2 N kD0   T a0 exp .ixt0 / C aN exp .ix .t0 C T //  p 2 2 N N 1  1 X xkT  T : ak exp  i  p ei xt0  N N 2 kD0

Insbesondere erhält man für die Stellen xn D 8

2 n ; T

n 2 Z;

Im Englischen heißt dieses Verfahren time division multiplexing (TDM). Für Einzelheiten müssen wir auf die Literatur verweisen.

218

6

Die Fourier-Transformation

die Näherungen T fO.xn /  p eixn t0 dn 2 mit den Summen dn WD

N 1 1 X ak Nnk ; N

N WD e2i=N :

kD0

Für die schnelle Berechnung dieser Summen verweisen wir auf den Band Lineare Algebra [12], Beispiel 19.C.13. Man beachte die Periodizität der Koeffizienten dn : Es ist dn D dn0 für n n0 mod N . Häufig ist es günstiger, mit den gegebenen Werten ak D f .tk /, k D 0; : : : ; N , eine Funktion gW R ! C als Approximation für f so zu bestimmen, dass g eine leicht zu berechnende Fourier-Transformierte gO hat, und diese dann als Approximation für fO zu wählen. Dies etwa für stückweise lineare Approximationen g auszuführen, überlassen wir dem Leser. }

Aufgaben Aufgabe 6.5.1 Die Funktion

p

x J .x/,  2 C, erfüllt die Differenzialgleichung

42  1  d 2z  z D 0: C 1  dx 2 4x 2 Dabei ist J .x/ die Bessel-Funktion der Ordnung , vgl. Beispiel 6.5.1.

Literatur

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Bauer, H.: Maß- und Integrationstheorie, 2. Aufl. de Gruyter, (1992) Bogachev, V.I.: Measure Theory, Springer, (2007) Cohn, D.L.: Measure Theory, 2. Aufl. Birkhäuser, (2013) Elstrodt, J.: Maß- und Integrationstheorie, 8. Aufl. Springer, (2018) Halmos, P.R.: Measure Theory, 2. Aufl. Springer, (1976) Hewitt, E., Stromberg, K.: Real and Abstract Analysis, Springer, (1965) Kusolitsch, N.: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie, 2. Aufl. Springer, (2014) Rao, M.M.: Measure Theory and Integration, 2. Aufl. Marcel Dekker, (2004) Royden, H., Fitzpatrick, P.: Real Analysis, 4. Aufl. Pearson, (2017) Storch, U., Wiebe, H.: Grundkonzepte der Mathematik, Springer, (2017) Storch, U., Wiebe, H.: Analysis einer Veränderlichen, Springer, (2018) Storch, U., Wiebe, H.: Lehrbuch der Mathematik. Band 2: Lineare Algebra, 2. Aufl. Springer, (2010)

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Storch, H. Wiebe, C. Becker, Maß- und Integrationstheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60750-3

219

Symbolverzeichnis

G.f I X /, 88 G ı .f I X /, 88 Hn , 160 J , 205  M D N , 21

M WD lim sup Mn , 22 M WD lim inf Mn , 22 Mn " M , Mn # M , 17 Bn D B.Rn /, 10

.f I X /, 88 N, 5 N , 5 ıx , 16 dimB , dimB , 65 RdimH , 65 RX f d, 89 Rn f dt1    dtn , 115 k'k, 81 kf kp , 146, 154 1 , 38 n , 40 E , 48 F , 36 ˚ , 71 v , 46 j j, 47 j'j, 80 Cb .Rn /, C0 .Rn /, Cc .Rn /, 198 Dfb f . /, 167 p LK .X /, 147, 154

R f . /, 168 SK .Rn /, 186 sinc, 174 D.V /, 47 M.V /, 47  , 117  , 25, 26 1 ˝    ˝ m , 28 B, 11 A1 ˝    ˝ Am , 28 B.X /, 9 H s , 62 Hıs , 62 Hn , 206 L1 .X; V /, 102 L1K .X; /, 99, 102 p LK .X /, 146, 154 f. ü., 18 'C , ' , 80 b , 19 O D F , 171 fO D F f , 172, 194 ff < gg, ff  gg, ff D gg, . . . , 84 d =d, 141 f g, 118 f , 91 f , 16 fC , f , 89 f1 ˝    ˝ fn , 158 fn " f , fn # f , 86

221

Stichwortverzeichnis

A Abbildung ergodische, 23 integrierbare, 89–91 maßtreue, 19 Ableitung, Radon-Nikodym, 141 absolut stetige Funktion, 95, 96 -s Maß, 143 Abtasttheorem, 215–217 Algebra, 8 allgemeine Transformationsformel, 94 amplitudenmoduliertes Signal, 214 Analyse, harmonische, 182 Atom (einer geordneten Menge), 11 atomfreies Maß, 143 Ausschöpfung (einer geordneten Menge), 17 -sformel, 17 -ssatz für Integrale, 91, 92 äußeres Maß, 24–28 metrisches, 62

B Banach -Bernstein, Satz von, 6, 7 -Raum, reflexiver, 103 -Tarski-Paradoxon, 3–7 Beppo Levi, Satz von, 92 Bessel -Fkt.=Zylinderfkt. 1.Art, 207–209 -sche Dgl., 208 -sche Gleichungen, 208 Beta-Dichte, 184 Betrag (eines verallg. Maßes), 80

Bieberbachsche Ungleichung, 59–61 Bild -kompression, 75 -maß, 16 -schar, 165 Blichfeldt, Lemma von, 57, 58 Bochner-Integral, 157 Borel -Lebesgue-Maß, 38, 46–48 kanonisches, 48, 71 n-dimensionales, 40–43 nicht notw. positives, 48 -Menge, 9–11 Boxdimension, 65, 75 Brunn-Minkowski, Ungl. von, 74

C Cantorsche -s Diskontinuum, 39, 66, 67 Staubmenge, 73 Cauchy -(=Lorentz-)Dichte, 107, 191 -Schwarzsche Ungleichung, 158 Cavalieri, Prinzip (=Satz) von, 49, 112

D Darstellungssatz von Riesz, 155 Determinante, Gramsche, 155 Dichte reguläre, 156 singuläre, 156 von Maßen, 91, 133, 141, 142 Differenzialgleichung Besselsche, 208 223

224 Hermitesche, 162 Differenzierbarkeit des Integrals, 129, 130 Dirac-Maß, 16, 38 Diskontinuum, Cantorsches, 39, 66, 67 diskrete -s Maß, 16 Spektralschar, 165 durchschnittstabil, 11 Dynkin-System, 12

E Eindeutigkeitssatz für das Borel-Lebesgue-Maß, 41, 42 Fourier-Transformierte, 187 Maße, 24 einfache Funktion, 85 endliches Maß, 19 Energie, 213 ergodische Abbildung, 23 Erzeugendensystem (einer  -Algebra), 8

F Faltung, 117, 118, 177, 197 -ssatz für Fourier-Transf., 177, 178 fast überall=f.ü., 18 Fatou, Lemma von, 127 FDM=frequency division multiplexing, 214 Fehler -integral, 116 Filter (für Signale), 214 Fortsetzungssatz für Maße, 28 Fourier -Analyse, 213 -Koeffizienten, 181 -Kosinus-Transformierte, 172 -Plancherel-Transformation, 196 -Reihe (mehrd.), 159, 160 -Sinus-Transformierte, 172 -Synthese, 213 -Transformation, schnelle, 217, 218 -Transformierte, 171–173 Fraktal, 61–65 Frequenz -dichte, 213 -verteilung, 165, 213 Fubini, Satz von, 114 Funktion

Stichwortverzeichnis absolut stetige, 95, 96 im weiteren Sinne integrierbare, 89 integrierbare, 89, 90, 101, 102 messbare, 83–86 mit kompaktem Träger, 152 numerische, 11 p-integrierbare, 146 quadratintegrierbare, 145, 192–196 schnell fallende, 186 wesentlich beschränkte, 154

G Gaußsche Volumenformel, 53 Geometrie der Zahlen, 58 Gitterpunktsatz von Minkowski, 58 Gramsche Determinante, 155 Guldinsche Regel, 121, 122

H Höhe (eines Punktes in P n .Q/), 57 Höldersche Ungleichung, 146 Haarsches Maß, 181 Hahn-Jordanscher Zerlegungssatz, 79, 80 Hankel-Bochner-Transf., 204–207 harmonische Analyse, 182 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung, 95, 96 Hauptwert eines uneig. Integrals, 189 Hausdorff -Dimension, 61–65 -Maß, 61–65 -Paradoxon, 5 Hermite -Polynome, 160–162, 195, 196 -sche Differenzialgleichung, 162 Hilbert-Basis, 158

I Identität von Parseval-Plancherel, 193 Inhalt, 15 Integral, 89–91, 103 uneigentliches, 96, 97 Integration, partielle, 124 integrierbare Abbildung, 89–91 Funktion, 89, 90, 101, 102

Stichwortverzeichnis im weiteren Sinne, 89 Intensitätsverteilung, 165 isodiametrische Ungleichung, 59–61

J Jordan-messbare Menge, 53

K kanonisches Borel-Lebesgue-Maß, 48, 71 Kegelvolumen, 121 Keplersche Fassregel, 50 komplexwertiges Maß, 81 kongruent zerlegbare Mengen, 3–5 konstruierbare Menge, 32 Konvergenz -satz von Lebesgue, 128 schwache, vage, 198–202 Kugelvolumen, 50–52, 121

L Lebesgue Konvergenzsatz von, 128 -Maß, 38, 42 -Menge, 42 -sche Nullmenge, 42, 43 -scher Zerlegungssatz (für Maße), 141, 142 Lemma von Blichfeldt, 57, 58 Fatou, 127 Levi, Satz von Beppo, 92 lineare Transformationsformel, 94 lokal abgeschlossene Menge, 33 Borelsche Menge, 14 endliches Maß, 22, 35 Lorentz-(=Cauchy-)Dichte, 107, 191 Lp -Funktionen, 146 Lp -Norm, 147 Lp -Raum, 146–149, 156, 157 L2 -Raum, 157–160, 192, 193

M Möbius-Funktion, 56 majorisierte(n) Konvergenz, Satz von der, 128 Marginaldichte (=Randdichte), 124

225 Maß, 15–18 äußeres, 24–28 absolut stetiges, 143 atomfreies, 143 diskretes, 16 endliches, 19 Haarsches, 181 komplexwertiges, 81 lokal endliches, 22, 35 metrisches äußeres, 62 mit Dichte, 91, 138–141 mit Werten in einem Banach-R., 80 negatives, 78 positives, 78, 200 -raum, 15–20 reguläres, 44  -endliches, 19 stetiges, 143 bzgl. , 22, 138, 141 verallgemeinertes, 77–81 vollständiges, 19 Maßraum, 16 maßtreue Abbildung, 19 mehrd. Fourier-Reihe, 159, 160 Mellin -sche Umkehrformel, 210 -Transformation, 209, 210 -Transformierte, 210 Menge Jordan-messbare, 53 kongruent zerlegbare, 3–5 konstruierbare, 32 lokal abgeschlossene, 33 Borelsch, 14 messbare, 9–11 paradoxe, 3–7 Riemann-messbare, 53 selbstähnliche, 68, 69 Mess -barkeitskriterium, 9 -raum, 9 separabler, 150 messbare Funktion, 83–86 Menge, 9–11 metrisches äußeres Maß, 62 Minkowski -sche Ungleichung, 147

226 -scher Gitterpunktsatz, 57–59 -Symmetrisierung, 60 Mittelpunkt einer Menge, 60 Moment, 109 monotone(n) Konvergenz, Satz von der, 92 -gleich, 21

N negative -r Teil (einer Funkt.), 89 -s Maß, 78 Norm eines Maßes, 81 Nullmenge, 18, 42, 43 numerische Funktion, 11

P paradoxe Menge, 3–7 Parseval-Plancherel, Identität von, 193 partielle Integration, 124 Pflasterung, 25, 62, 63 -sformel, 17 p-integrierbar, 146 Poissonsche Summenformel, 211, 212 Polarkoordinaten, 136, 137 positive -r Teil (einer Funkt.), 89 -s Maß, 78, 200 Prämaß, 25 Prinzip (=Satz) von Cavalieri, 49, 112 Produkt - -Algebra, 28 -maß, 28–30, 33 Punktmaß (Diracsches), 16, 38

Q Quader, 1, 28 quadratintegrierbare Fkt., 145, 192–196

R Radon-Nikodym -Ableitung, 141 Satz von, 139, 140 Randdichte (=Marginaldichte), 124 reflexiver Banach-Raum, 103 reguläre Dichte, 156

Stichwortverzeichnis reguläres Maß, 44 Resolventenmenge, 168 Reziprozitätssatz für Fourier-Transf., 178 Riemann -integrierbare Funktion, 110 -Lebesgue Satz von, 176, 177 -sche Summe, 93 Riemann-messbare Menge, 53 Riesz Darstellungssatz von, 155 -Fischer, Satz von, 148, 149, 157 Ring, 24

S Sampling Theorem, 215–217 Satz von Banach-Bernstein, 6, 7 Beppo Levi, 92 Cavalieri, 49, 112 der majorisierten Konvergenz (Satz von Lebesgue), 128 der monotonen Konvergenz (Satz von B. Levi), 92 Fubini, 114 Radon-Nikodym, 139, 140 Riemann-Lebesgue, 176, 177 Riesz-Fischer, 148, 149, 157 Tonelli, 113 Wiener, 197 schnell fallende Funktion, 186 schnelle Fourier-Transformation, 217, 218 Schnitt, 111 Schrumpfungsformel, 17 schwache Konvergenz, 198–202 selbstähnliche Menge, 68, 69 separabler Messraum, 150 normierter Vektorraum, 150 Shannonsche Formel, 216 Siebformel, 21  -Additivität, 1, 15, 164  -Algebra, 8–11  -endliches Maß, 19 Signal amplitudenmoduliertes, 214 -theorie, 213–217 singuläre Dichte, 156 singulärer Anteil eines Maßes, 142

Stichwortverzeichnis Spektral -maß=Spektralschar, 164 diskretes, 165 -verteilung, 165 Spektrum, 168 Sphärenvolumen, 50–52 Standardspektralschar, 165 Staubmenge, Cantorsche, 73 Steiner-Symmetrisierung, 60 stetig -er Anteil eines Maßes, 142 -es Maß, 143 -es Maß bzgl. , 22, 138, 141 Stetigkeit des Integrals, 129 Stieltjes -Integral, 107 -Maß, 38 Substitutionsregel, 106 Summenformel, Poissonsche, 211, 212 Supremum, wahres, 154

T TDM=time division multiplexing, 217 Tensorprodukt, vollständiges, 158 Tonelli, Satz von, 113 Träger eines Maßes, 23, 168 -signal, 214 Transformationsformel allgemeine, 94 für Diffeomorphismen, 94, 132–137 lineare, 94 Treppen -abbildung, 157 -funktion, 85, 92, 93 triviale Fortsetzung eines Maßes, 17

U Umkehrsatz für Fourier-Transf., 185–188 Mellin-Transf., 210 Umkugel, 60 uneigentliches Integral, 96, 97 Ungleichung

227 Cauchy-Schwarzsche, 158 Höldersche, 146 isodiametrische=Bieberbachsche, 59–61 Minkowskische, 147 von Brunn-Minkowski, 74 Urbild einer  -Algebra, 13

V vage Konvergenz, 198–202 verallgemeinertes Maß, 77–81 Verteilungsfunktion, 36 verallgemeinerte, 35, 41 Vervollständigung eines Maßes, 19 Vier-Quadrate-Satz, 58, 59 vollständige -s Maß, 19 -s Tensorprodukt, 158 Volumen, 1–3, 15, 45–48 -formel, Gaußsche, 53 -funktion, endlich additive, 2 von Kochsche Kurve, 69

W wahres Supremum, 154 Wahrscheinlichkeitsraum, 16 Weibull-Dichte, 107 wesentlich beschränkte Funktion, 154 wesentliches (=wahres) Supremum, 154 Wiederkehrlemma, 19, 20, 23 Wiener, Satz von, 197

Z Zählmaß, 16 Zerlegungseigenschaft (einer Menge), 26 Zerlegungssatz Hahn-Jordanscher, 79, 80 Lebesguescher, 141, 142 Zeta-Funktion, 56 Zwei-Quadrate-Satz, 59 Zylinder -funktionen 1.Art=Bessel-Funktionen, 207–209 -volumen, 121

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